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Full text of "Skythika, oder etymologische und kritische Bemerkungen über alte Bergreligion und späteren Fetischismus, mit besonderer Berücksichtigung der slavischen Völker und Götter-Namen"

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Der  Universitätsbibliothek  zu  Toronto 
als  Geschenk  überreicht 

von 

der  Königlichen   öffentlicJicn  Bibliotliek 
zu  Dresden  (Königreich  Sachsen) 

1892 


S  k  y  t  h  i  Je  a, 

oder 

etymologische  und  kritische  Bemerkungen 

über  alte 

Bergreligion  und  späteren 
Fetischismus, 

mit  besonderer 

Berücksichtigung  der  slavischen  Völker- 
und  Götter-Namen, 

von 

Georg     Liebusch, 

Oberpfarrer  und   Adjunct  der  Spremberger  Superiutendentur  zu 
Senfteiiberg. 


Mit    einem   Vorwort   des   Herrn   Professors   u.   s.  w. 
Carl  Ritter   in  Berlin. 

Camenz,     183  3. 
Gedruckt    bei    C.    S.    Krausche, 

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Vorwort. 


JcLine  gelehrte  Arbeit  wie  die  vorliegende,  wel-^ 
che  mit  so  grofser  Vorliebe  für  ihren  Gegen- 
stand auf  eine  so  umfassende,  selbstständige  Weise 
durchgeführt  ist,  und  eine  so  reiche  Ausbeute  an 
eigenthümlichen  auf  neuer  Bahn  gewonnenen 
Forschungen  enthält,  bedarf  gewifs  keiner  äufsern 
Empfehlung,  am  wenigsten  der  meinigen,  um  die 
Beachtung  zu  erlangen,  die  sie  im  hohen  Grade 
verdient*  Ich  benutze  daher  nur  den  Wunsch 
des  Herrn  Verfassers,  dem  Werke  ein  Vorwort 
beizufügen,  dazu,  meine  Freude -darüber  zu  er- 
kennen zu  geben,  dafs  es  derriselben  gelange  auf 
eine  meiner  Ansicht  nach,  sehr  lehrreiche  Weise,  in 
das  überreiche  aber  labyrinthisch  verworrene  Feld 
der  slavischen  Mythologie,  Ethnographie  u.  s.  w, 
eine  grofse  Einheit  der  Betrachtungsweise  einzu- 


IV 


führen,  die,  von  einer  gemeinsamen  Wurzel  aus- 
gehend, in  ihrer  Verzweigung  und  Entfaltung 
sich  kritisch  verfolgen  läfst,  und  dem  zu  lockern 
Spiele  der  Phantasie  auf  diesem  Gebiete  durch 
inneren  Zusammenhalt  und  Consequenz  in  ihrer 
Art  ein  Ziel  setzt. 

Bei  dem  bekla^-enswerthen  Mano-el  an  älte- 
sten  historisch  bewährten  Zeugnissen  einheimisch 
slavischer  wie  fremdclassischer  Autoren  und  Do- 
cumente  über  die^Vorgescliichte  des  östlichen 
Europa's  und  seiner  tief  nach  Asien  hineinwoh- 
nenden Völkergeschlecliter,  kann  es  nicht  an- 
ders seyn,  als  dafs  fruchtbare  Hypothesen  das 
Band  der  mannichfachen  Erscheinungen  knüpfen 
müssen,  um  zu  den  Hauptbegebenheiten  und 
den  Hauptgedanken  zurückzuführen,  die  ohne 
dieselben  aus  der  Zerstreuung  der  Facten  und 
ihrer  bewufst  oder  bewufstlos  vor  sich  gegange- 
nen Metamorphose  und  Verzerrung,  durch  so 
viele  Zeuffen  und  Jahrhunderte  in  den  Erleben- 
den  wie  den  darübec  Berichtenden  nimmer  her- 
vorgehen würden.  Umfafst  die  Darlegung  die- 
ser Hypothese  nicht  nur  mit  Scharfsinn  die  eine 
Seite  der  Erscheinungen,  sondern  dringt  sie 
eben  dadurch  auch  zugleich  in  alle  übrigen  ein, 
weil  sie  sich  bis  in  die  Tiefe  der  Wurzel  der 
Begebenheiten  wie  der  Betrachtungen  hinabsenkt: 
so  mufs  sie  schmelzwürdige  Erze   aus  dem  dun- 


kein  Schachte  der  Vergangenheit  an  das  Tages- 
licht bringen,  deren  Gewinn  die  Wissenschaft 
wirklich  bereichert,  wenn  auch  noch  manche 
Probe  dazu  gehören  wird,  durch  Unischmelzung 
den  reinsten  wahrhaften  Silberblick  zu  erzeugen. 

Dieses  Verdienst  um  die  Erforschung  der 
wichtigsten  historischen  Interessen  eines  so  zahl- 
reichen und  in  dieser  Art  der  Untersuchung  so- 
wol  von  einheimischen,  wegen  Mangel  eigner 
kritisch -historischer  Vorstudien,  als  von  nicht- 
slavischen  Autoren,  wegen  Unkenntnifs  der  sla- 
vischen  Sprachen,  so  sehr  vernachlässigten,  höchst 
bedeutenden  historischen  Gliedes,  wie  der  slavi- 
sche  Völkerstamm  zwischen  dem  Germanischen  und 
dem  Asiatischen  stehend,  genannt  werden  muls, 
dieses  Verdienst  tritt  unmittelbar  aus  jedem  Ab- 
schnitte gegenwärtiger  Untersuchungen  von  selbst 
hervor,  und  entfaltet  sich  mehr  und  reicher, 
als  positiver  Gewinn  mit  der  Darlegung  der  ge- 
sonderten aber  unter  sich  vergleichenden  My- 
thologie der  fünf  Slaven- Völker  in  der  Untersu- 
chung ihrer  Triaden,  der  Einwanderung  der  Süd- 
wenden, der  Entstehung  der  Rhetrisclien  Idole, 
des  religiösen  Volkslebens,  und  in  vielen  beson- 
dern, der  Hauptaufgabe  naheliegenden  Excursen, 

Werden  auch  im  Anfange  dieses  Werks  die 
kühnen  ganz  allgemein  gestellten  Sätze  von  Son- 
nen- und  Mond- Dienst,  von  einer  Bergreligion, 


ihrer   Reinheit   und   Moral   wie    von   einer  allen 
Völkern  der  Erde  ursprünglich  gerneinsamen  da- 
durch herausgebildeten  Ursprache,   und  die  ety- 
mologischen   Versuche    in    Beziehung    auf   diese, 
manchen  Zweifel  vmd  Widerspruch  in  dieser  All- 
gemeinheit erregen,  so  ist  doch  die  Ansicht  von 
dem    Einflüsse    einer   Bergreligion    auf   eine    ge- 
wisse   Seite    der    Sprachbildung,  so  bestimmt  ge-^ 
fafst  und  dargelegt,  dafs,  bei  der  gelehrten  Kennt- 
nifs    des    Herrn    Verfassers    von     den    slavischen 
Sprachen,  zumal  bei  seiner  Vertrautheit  mit  dem 
Wendischen,    welche  dieser  allgemeinen  Sprach- 
speculation  zur  eigentlichen  Basis  factisch  zu  die- 
nen  scheinet,      aus   solcher   Arbeit    nur  Gewinn 
für    die    specielle     Geschichte     des     Wendischen 
Sprach-  und  Volks -Stammes   und  seines  ganzen, 
inneren,  höheren,  geistigen  Lebens  hervorgehen 
Iconnte.     Und  dieses  ist   die  so   sehr  hervorzuhe- 
bende ganz  eigenthümliche  Seite  dieser  Forschun-^ 
geUj     dafs  sie  von  der   so  selten  vorkommenden 
positiven   Sprachkenntnifs    des    einen   dieser   Völ- 
ker-Zweige,    des  Wendisch -Slavischen,   und  der 
genauesten  Kenntnifs  dieses  Volks,  in  seinem  ge- 
genwärtigen  Zustande,      wie    von    seinen    Ideen 
und    Monumenten    ausoehen,     und   von    diesem 
aus,     Licht,    über  alle  damit  verwandten,     also 
über   das    weite   Feld  des  slavischen  Völkerstam- 
mes  in  seinem  vielfachen  Conflicte  mit  dem  Ger- 


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manischen,  und  zwar  in  einem  hohen  Grade 
verbreiten.  Diese  Eigenthümlichkeit  giebt  ih- 
nen einen  grofsen  Werth  und  erweckt  die  frü- 
her getäuschte  Hoffnung  *  aufs  neue,  von  den 
verschiedensten  Standpunkten  aus ,  auf  diese 
Weise,  durch  lebendige  Anschauung  besonderer 
Theile,  das  Feld  historisch -slavischer  Forschung 
von  dem  Wortkram  gedruckter  Tradition  oder 
vielmehr  unwissender  Compilation  gesäubert  und 
frisch  verjüngt  zu  sehen,  der  einzige  hier  zwi- 
schen den  lebenden  Völkern  hindurch  zu  wan- 
delnde Weg,  um  selbst  das  tiefste  Dunkel  der 
Vorzeit  wahrhaft  zu  erhellen  und  diesen  Zweig 
der  Geschichte  seiner  Natur  gemäfs  grün  und 
neu  knospen  und  treiben  zu  machen.  Es  trifft 
diese  unsere  innigste  Ueberzeugung  auf  das  ge- 
naueste zusammen,  mit  den  Resultaten,  welche 
von  den  tiefen  Sprachforschungen  unsers  ver- 
ehrtesten Freundes,  des  Herrn  Kucharoki,  Pro- 
fessors der  sl  avischen  Literatur,  aus  dem  Munde 
der  mehrsten  europäischen  Slavenstämme  und 
ihrer   Monumente   gesammelt   zu   erwarten  sind. 


*  Die  königliche  Akademie  der  Wissenschaften  erhielt  auf 
ihre  von  der  historisch -philosophischen  Classe  im  Jahre 
1826  gestellte  Preisfrage  über  die  Ethnographien  und  Anti- 
quitäten der  zumal  slavischen  Völkerstämnie  des  gebirgi- 
scheu  Osteuropa's  nach  Sprach-  und  andern  Documenten  etc. 
keine  Beantwortung,  obgleich  der  Termin  wegen  des  Um- 
fang« der  ganz  oder  theilweise  zu  lösenden  Frage  bis  rum 
Jahre  1830  verlängert  ward. 


VIII 


Sie  vereinigt  sich  mit  dem  Wunsche,  mit  wel- 
chem Herr  Professor  Schaffarik  seine  lehrreiche 
Abhandlung  Lor.  Surowiecki's  über  die  Ab- 
kunft der  Slaven  schliefst,  dafs  doch  recht  viele 
specielle  und  localische  Untersuchungen  auf  die- 
sem Felde  der  Forschung  aus  der  Anschauung 
hervortreten  möchten,  weil  nur  auf  diesem  Wege 
einst  manches,  w^as  jetzt  kaum  wahrscheinlich 
ist,  als  geA\'ifs,  und  gar  vieles,  was  der  gemeine 
Sinn,  die  Skepsis  und  viele  Stimmen  des  Tags 
als  willkülirlich ,  zufällig,  unerklärbar  und  un- 
historisch verwerfen,  als  wahrscheinlich  nachge- 
wiesen erscheinen  Avird.  Dafs  nur  auf  diese  Weise, 
wie  gesagt,  die  älteste  Geschichte  der  slavischen 
Völker  jenen  Grad  innerer  Bindung,  Folgerich- 
tigkeit und  Glaubwürdigkeit  erreichen  werde,  die 
für  sie  bei  der  Beschaffenheit  des  menschlichen 
Geistes  und  der  ^Schwierigkeit  des  Gegenstandes 
überhaupt  erreichbar  sey,  ist  auch  unsere  Ue- 
berzeugung,  so  wie,  dafs  vorliegende  Arbeit  kei- 
nen geringen  Beitrag  zur  Förderung  jenes  gro- 
fsen  Zieles  dem  Freunde  der  höheren  historischen 
Wahrheit  darbietet. 

Carl    Ritter. 


Vorerinnerungen. 


Jr  ast  Alle,  welche  über  die  slavische  Mytholo- 
gie geschrieben  haben,  sind  mehr  oder  weniger 
"bemüht  gewesen,  die  Namen  der  slavischen 
Götter  und  Göttinnen  zu  etymologisiren»  Sie 
Wülsten  nämlieh,  dafs  die  richti^je  Etvmolo<rie 
so  wie  überhaupt  der  vollständigen  Auffassung 
der  Bedeutung  eines  Worts  so  vorzüglich,  ins- 
besondere dem  Verständnisse  der  mythologischen 
Namen  in  der  Regel  einen  grofsen  Vorschub  lei- 
stet. Nirgends  ist  aber  wohl  mit  so  viel  Will- 
kühr  und  Unsicherheit  zu  Werke  gegangen  wor- 
den, als  in  diesem  Falle,  weil  auch  Manche, 
die  kein  Slavisch  verstanden,  sich  nicht  scheu- 
ten, slavische  Götternamen  zu  etymologisiren, 
und  weil  selbst  die  slavischen  Gelehrten,  unbe- 
kannt mit  dem  Unterschiede,    der  zwischen  der 


primären,  secondaren,  tertiären  u.  s.  w.  Bedeu- 
tung eines  Worts  Statt  findet,  nicht  selten  nur 
nach  dem  ohngefahren  Gleichlaute  eines  slavi- 
schen  Worts  die  Bedeutung  der  ia  Rede  stehen- 
den Namen  bestimmten.  Zu  so  vielen  Irrthü- 
mern  diese  Operation  auch  geführt  hat,  so  wür- 
de man  doch  den  erwähnten  sl avischen  Gelehr- 
ten Unrecht  thun,  wenn  man  sie  wegen  dieses 
Verfahrens  hart  tadeln  wollte,  da  man  es  ja  ei- 
nem Cicero  nicht  verübelt,  wenn  dieser  die  Na- 
men Juno  a  juvando,  Neptunus  a  nando,  Ceres 
a  gerendis  frugibus  *  fälschlich  ableitet. 

Die  so  oft  v^orkommenden,  ungereimten  Ety- 
mologien der  slavischen  Götter  -  und  Göttinnen- 
Namen,  durch  die  nicht  selten  eine  weibliche  Gott- 
heit in  eine  männliche,  und  umgekehrt  eine  männ- 
liche in  eine  weibliche  verwandelt  worden  ist, 
erzeugten  in  mir  schon  früher  den  Entschlufs, 
etymologische  Bemerkungen  über  die  Namen  der 
slavischen  Götter  und  Göttinnen  zu  schreiben. 
Dieser  Entschlufs  wurde  in  mir  um  so  fester, 
]e  mehr  der  Glaube  in  mir  wuchs,  dafs  auf  dem 
Wege  einer  tüchtigen  Etymologie  allerdings  noch 
einiges  Licht  für  die  slavische  Mythologie,  über 
die  so  wenige  schriftliche  Urkunden  uns  zuver- 
lässige Nachrichten  mittheilen,  zu  gewinnen  sey. 


*  vergl.  d.  nat.  Deor.  Kb.  II.  c.  26. 


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Als  ich  jedoch  diese  meine  Arbeit  begann,  so 
salie  ich  bald,  dafs  auf  dem  ganzen  Gebiete 
des  slavischen  lleidenthums  die  Kenntnifs  eines 
Dialects  der  slavischen  Sprache,  ja  selbst  die  Be- 
kanntschaft mit  mehreren  slavischen  Sprachdia- 
lecten  nicht  hinreiche,  indem  die  jetzige  slavi- 
sche  Sprache  manche  religiöse  Namen  der  sla- 
vischen Mythologie  eben  so  wenig  hinlänglich 
zu  erklären  vermöge,  als  die  lateinische  Sprache 
zu  Cicero's  Zeit  durch  sich  die  Namen  der  rö- 
mischen Götter  und  Göttinnen  genügend  zu  in- 
terpretiren  im  Stande  war.  Es  mufste  daher  an- 
derwärts Hilfe  gesucht  werden 5  aber  wo? 

Da  es    ausgemacht   ist,     dafs  keine  der  uns 
bekannten  todten  und  lebenden  Sprachen,  selbst 
nicht  das  Sanscrit  und  Hebräische,  als  die  Quelle 
anzusehen  ist,  aus  der  man  dann  sicher  schöpfen 
kann,     w^enn  die  National.<;prache  uns  ohne  Aus- 
kunft läfst,    so  mufste  die  sogenannte  Ursprache 
aufgesucht  werden,  d.  h.   es  mufste  nachgeforscht 
werden,  wie  das  graue  Alterthura,  aus  dem  diQ 
mythologischen    Namen    gröfstentlieils   stammen, 
sich  überhaupt  das   Material   der  Sprachen,     so- 
wohl der  todten  als  der  noch  lebenden,  beschafft 
hat,     und   nach  welchen  Principien  und  Regeln 
es  bei  der  Bilduns;  der  Wörter  und  bei  der  Be- 
Stimmung  ihrer  Bedeutungen  verfahren  ist. 

Während   ich   nun   sowohl   die  procreirende 


XII 


als  auch  regulirende  Sprachpotenz  aufsuchte,  wurde 
ich  auf  das  Gebiet  des  alten  Religions  -  DuaUs- 
mus  (Sonnen-  und  Mond  -  Cultus),  für  dessen 
Annahme  ich  mich  schon  früher,  nicht  ohne 
hinreichenden  Grund,  bestimmt  hatte,  zurück- 
geführt, und  es  wurde  mir  der  grofse  Einflufs 
klar,  den  die  genannte  Religionsform  auf  die  Bil- 
dung der  Sprachen  überhaupt  so  wie  insbeson- 
dere auf  die  Formation  der  Götter-  und  Göttin- 
nen-Namen gehabt  hat» 

Nachdem  ich  mich  einmal  für  die  Annah- 
me: dafs  das  entfernteste  Alterthum  seine  Ado- 
ration  zunächst  der  Sonne  und  dem  Monde  un- 
ter der  Supposition  der  idollosen  Form  des  Man- 
nes und  der  Frau  gewidmet  habe,  bestimint 
hatte,  bemühte  ich  mich,  auf  dem  Wege  des 
Abstrahirens  von  dem,  Avas  wir  von  dem  frühe- 
sten religiösen  Alterthume  aus  schriftlichen  Ur- 
kunden und  vorzüglich  aus  mündlichen,  einer 
grofsen  Vivacität  sich  erfreuenden,  Traditionen 
so  wie  auch  aus  der  Anschauung  der  hie  und 
da  sich  vorfindenden  alten  religiösen .  Denkmäler 
wissen,  ein  gewisses  System  zu  bilden,  wobei 
mir  freilich  der  Vorgang  früherer  Schriftsteller 
fehlte.  Indefs  bekenne  ich  es  dankbar,  dafs  mich 
die  Eintheilung  des  indischen  Budhaismus  in 
Hrn.  Prof.  Ritters  Vorhalle  der  europäischen  Völ- 
kergeschichten vor  Herodotus  zu  der  Eintheilung 


XIII 


der  Religion  des  fernen  Alterthums  in  Perioden, 
die  für  die  richtige  Auffassung  dieses  Alterthums 
so  sehr  wichtig  ist,  geleitet  hat.  So  sehr  ich 
mich  aber  bemüht  habe,  das  System  der  ersten 
Weltreligion  durch  Aufstellung  des  von  der  Be- 
schaffenheit und  Wirksamkeit  der  Sonne  und  des 
Mondes  entnommenen  Priricips  und  durch  die 
geordnete  Darlegung  der  vorzüglichsten  alten 
Religionsideen,  zu  begründen,  so  wenig  habe 
ich  mir  es  verhehlt,  dafs  die  von  mir  angeführ- 
-ten  Grundlehren  des  Heidenthums  nicht  auf  glei- 
che Weise  für  alle  Perioden  desselben  genau 
passen,  und  ich  berge  mir  es  nicht,  dafs  die  von 
mir  gegebene  Darstellung  der  Dogmen  und  der 
Moral  der  heidnischen  Religion  nur  auf  den  Na- 
men eines  Versuchs  Anspruch  machen  kann.  In- 
defs  wird  man  doch,  bei  genauer  Vergleichung 
dieses  Versuchs  mit  den  weiterhin  vorkommen- 
den Beschreibungen  der  heidnischen  Religions- 
symbole selbft,  finden,  dafs  sich  der  erste  und 
zweite  Theil  der  Skythika  in  dieser  Beziehung 
gegenseitig  erklären.  Die  Anführung  der  vor- 
züglichsten Religionslehren  des  Heidenthums  schien 
mir  auch  deshalb  erforderlich  zu  seyn,  weil  man 
nur  dann,  wenn  man  diese  vor  Augen  hat,  im 
Stande  ist,  die  oft  wunderlichen,  carricaturmä- 
fsigen  Götterbilder  in  ihrer  wahren  Bedeutung 
aufzufassen.     Insonderheit  mufste   in  der  Einlei- 


XIV 


tung  der  Grund  nachgewiesen  werden,  auf  den 
sich  meine  etymologischen  Operationen  stützen, 
damit  letztere  bei  ihrer  Unoewühnlichkeit  nicht 
als  willkührlich  und  unbegründet,  und  mithin 
als  tadelnswerth  erschienen. 

Das  mythologische  Material  habe  ich  aus 
den,  in  dem  Werke  selbst  angeführten  Schrif- 
ten zum  grofsen  Theile  entnommen  5  aber  die 
Basirung  dieses  Materials  auf  die  Religionsideen 
des  heidnischen  Alterthums  ist  die  Frucht  mei- 
nes Bemühens.  Es  ist  natürlich,  dafs,  da  ich  mich 
bei  meiner  Behandlung  der  slavischen  Mytholo- 
gie mit  fast  allen  Schriftstellern,  die  über  die 
heidnische  Religion  der  Slaven  so  wie  überhaupt 
über  Mythologie  geschrieben  haben,  genöthigt 
durch  meine  Fundamental -Meinungen,  in  nicht 
o-eringe  Opposition  setzen  mufste,  meine  Arbeit 
oft  eine  polemische  Tendenz  erhielt.  Wollte  ich 
indefs  nicht  tu.  weitläuftig  werden,  so  durfte  ich 
mich  mit  ausführlichen  Widerlegungen  der  Mei- 
nungen und  Behauptungen  Anderer  nicht  befas- 
sen, sondern  nur  die  Ergebnisse  meines  eigenen 
Forschens  kurz  und  nur  so  weit  angeben,  als  es 
mein  etymologischer  Zweck  erforderte.  Wo  aber 
das  mir  vorliegende   mythologische   Material  zur 


XV 


Vervollständigung  des  Gebäudes,  das  die  Idee 
erheischte,  nicht  hinreichte,  habe  ich,  wenn 
auch  die  mir  bekannt  gewordenen  alten  Sagen 
mich  ohne  Auskunft  liefsen,  meine  Vermuthun- 
gen  hinzugefügt,  durch  weicheich  zugleich  habe 
Andern  Veranlassung  zu  weiteren  Untersuchun- 
gen geben   wollen, 

'  ■"  Da  meine  Arbeit  in  mehrfacher  Hinsicht  mit 
andern  mythologisch 6n  Arbeiten  sich  in  Wider- 
streit stellt,  so  erwarte  ich  auch,  dafs  sie  von 
Andern,  insonderheit  aber  von  denen,  welche 
von  gewöhnlichen  Meinungen  befangen  sind,  nicht 
geringen  Widerspruch  wird  erleiden  müssen,  und 
zwar  um  so  mehr,  als  sie  bisweilen  selbst  sehr 
alte  und  für  infallibel  gehaltene  Auctoritäten 
antastet,  —  Die  Belehrungen  von  denen,  die 
tiefer  in  das  verkannte  und  durch  die  Irrthümer 
früherer  und  späterer  Schriftsteller  coi-rumpirte 
religiöse  Alterthum  eingedrungen  sind,  werden 
mir  um  so  willkommener  seyn,  als  ich,  dem 
nur  'geringe  literarische  Hilfsmittel  zu  Gebo- 
te stehen,  mich  selbst  eifrig  bemüht  habe, 
das  Meinige  zur  Aufklärung  des  Dunkels  des 
erwähnten  Alterthums  nach  Kräften  beizutra- 
gen. 


rtr     9^  VI   ^=r- 

Obgleich  mir  meine  Vertrautheit  mit  der 
•wendischen  Sprache  bei  den  diesfailsigen  Unter- 
suchungen bisweilen  sehr  zu  Statten  gekommen 
ist,  so  stützen  sich  doch  meine  Etymologien, 
•wie  ein  jeder  der  -wendischen  Sprache  Kundige 
bald  bemerken  wird,  keinesweges  allein  auf  diese 
Vertrautheit,  sondern  sie  ruhen  auf  einem  an- 
dern und  sicherern  Grunde. 

Unter  der  in  dem  Werke  mehrmals  erwähn- 
ten Ursprache  verstehe  ich  keinesweges  das  San- 
scrit,  jene  alte,  heilige,  feingebildete  Sprache 
.Hindostcins,  mit  welcher  die  alten  Sprachen 
Asiens  und  Europa's,  bald  mehr  bald  weniger, 
;in  Materie  und  Form  verwandt  erscheinen,  noch 
irgend  eine  andere  Sprache,  sondern  nur  die 
durch  gewisse.,  in  und  aufser  den  Menschen  ge- 
legenen Ursachen  bewirkte  ursprüngliche  Wort- 
Formationsart,  die  uns  nicht  nur  in  den  todten 
.^Sprachen,  sondern  auch  in  den  Grund -Elemen- 
ten der  noch  lebenden  begegnet.  Diese  Ur-For- 
mationsart  des  Sprachenstoffs  interessirt  freilich 
^weniger  den  eigentlichen  Philosophen,  dem  die 
in  einer  Sprache  vorhandenen  Wörter  nur  als 
Symbole  gelten,  mit  welchen  er  seine  Philosos 
pheme  bezeichnet,  so  wie  den  gew^öhnlichen 
Spracherlerner,  der  sich  nur  mittelst  des  Aneig- 
nens  mehrerer  Sprachen  in  den  Stand  setzen  will, 
seine  Gedanken   durch  die  Ton-  und  Schriftzei- 


XVJI 


clien  mehrerer  Völker  auszudrücken,  als  den 
philosophisch  -  historischen  Sprachforscher,  der 
sich  bemüht,  die  Art  und  Weise  der  Entstehung 
der  Sprachen  zu  erkunden,  und  der  zu  dem  Ende 
nicht  nur  ein  Volk,  sondern  mehrere  Völker  bei 
ihrem  anfänglichen  Streben  und  Trachten  nach 
den  wörtlichen  Bezeichnungen  der  ersten  Resul- 
tate ihrer  geistigen  Thätigkeit  so  genau  beobach- 
tet, als  ihm  dies  bei  seiner  grofsen  Entfernung 
von  der  aera  des  Kindesalter  der  Menschheit  und 
bei  seiner  Bewegung  in  den  Kreisen  seines  he- 
terogenen, religiösen  mid  politischen  Lebens 
nur  immer  möglich  ist. 

Bei  der  Erklärung  der  Ortsnamen,  inson- 
derheit mehrerer  solcher  in  der  Provinz  vorkom- 
menden Namen,  hatte  ich  folgende  Absicht,  Ich 
wollte  zunächst  darthun,  was  diese,  von  der 
Unkunde  und  Willkühr  so  vielfältig  gemifshan- 
delten,  Namen  wirklich  bedeuten j  und  dadurch 
den  willkührlichen  Interpretationen  derselben 
ein  Ziel  setzen.  Nicht  minder  hatte  ich  die 
Absicht,  an  mehreren  auf  einem  festen,  natür- 
lich-plastischen, in  die  Augen  fallenden  Grunde 
ruhenden  Wörtern,  dergleichen  die  Ortsnamen 
sind,  zu  zeigen:  dafs  das,  was  ich  über  den  ei- 
genthümlichen  Charakter  und  über  die  unbe- 
streitbare   Geltung  der   Vocale   und  Consdnanten 


XYJII       

angedeutet  habe,  liinlänglicli  begründet  ist.  Auch 
deshalb  habe  ich  der  Interpretation  der  (alten) 
Ortsnamen  einen  gröfseren  Platz  eingeräumt,  weil 
man  vorzügUch  von  diesen  Namen  am  sicher- 
sten (bei  der  Bildung  anderer  Wörter  haben  nicht 
selten  minder  zwingende  Ursachen  gewirkt)  die 
Regeln  abstrahiren  kann,  welche  das  ferne  Al- 
teithum  bei  dem  Gebrauche  der  Selbst  -  und 
Mitlaute  befolgte. 

Die  oft  aphoristische  Form  der  Skythika 
wurde  durch  meinen  Plan,  nicht  eine  förmli- 
che slavische  Mythologie,  sondern  nur  einzelne 
Bemerkungen  über  die  Namen  dieser  Mytholo- 
gie zu  schreiben,  bedingt,  aber  auch  durch  das 
theilweise,  mir  nur  in  den  von  Amtsgeschäften 
freien  Stunden  gestattete,  Arbeiten  erzeugt. 

Die  hie  und  da  in  der  mythologischen  Par- 
tie vorkommenden  Wiederholungen  wird  man 
hoffentlich  um  so  eher  entschuldigen,  als  sie 
von  denselben  öfters  wiederkehrenden  Materien 
nicht  selten  gefordert  werden,  und  als  sie  der 
beabsichtigten  Entwirrung  mancher  mythologi- 
schen Lehren  Vorschub  leisten. 

Der  in  dem  Titel  des  Buchs  vorkommende 
Ausdruck:  „alte"  Bergreligion  deutet  an:  dafs  die 


XIX 


Schrift  nicht  blos  den  späteren,  hie  und  da  auf 
Berten  vorkommenden  Göttercultus,  sondern 
auch  die  uralte  Adoration  der  Sonne  und  des 
Mondes,  die  auf  Bergen  Statt  hatte  und  die  den 
Bergen  selbst  ein  heiliges  Ansehen  verlieh,  be- 
rücksichtigt. 

So  wenig  auch  mir  das  Wort  „Bergreligion" 
wegen  seiner  Doppelsinnigkeit  correct  erscheint, 
so  habe  ich  es  doch  deshalb  gebraucht,  weil  es 
kürzer  ist,  als  Sonnen-  und  Mond  *  Verehrung 
auf  Bergen,  und  weil  es  in  dem  recipirten  Wor- 
te: Tempelreligion,  d.  h.  Verehrung  der  Gott- 
heiten in  gewissen  Tempeln  so  wie  auch  in  dem 
gleichfalls  vorkommenden  Worte  Thierreligion 
entschuldigende  Vorläufer  hat. 

Dafs  ich  dem  Werke  den  Titel:  Skythika 
gegeben  habe,  werden  diejenigen  entschuldigen, 
welche  nicht  übersehen,  dafs  dasselbe  sich  mit 
der  alten  Religion  der  Völker  beschäftigt,  die 
einst  gröfstentheils  das  alte  Skythien  bewohnten, 
dafs  ferner  der  Inhalt  des  ersten  Theils  dessel- 
ben etwas  uraltes  Sprachliches  und  Religiöses 
berührt,  was  aufser  den  Grenzen  der  gewöhn- 
lichen literarischen  Bearbeitungen  liegt,  und 
dafs  dasselbe  den  Leser  überhaupt  auf  ein  Ge- 
biet führt,   das  die  von  den  gangbaren  Meinun- 


XX 


gen  unserer  Tage  Befangenen  für  nicht  minder 
culturlos  und  barbarisch  haken,  als  einst  man- 
che von  Eigenliebe  befangene  Griechen  das  von. 
ihnen  wenig  genau  gekamite  Skythien. 

Senftenberg,  im  Januar   1833. 


Der  Verfasser. 


Inhalts   -Verzeichnil's. 


Seite 
I.  Name  der  Bergreligion        .         ^ 1 

II.  Entstehung  der  Bergreligion     ..>..,       2 

III.  Innere  Beschaffenheit  (Dogmen  und  Moral)   der  Berg, 
religion n.        .        .        .    4 

IV.  Aeufsere  Beschaffenheit  (  Cultu5 )  der  Bergreligion  .  15 
Luperci.  Devadaschi.  Labyrinth.  Monumente 
von  Elephante.  Salsette  Mavalipuram.  Theokra- 
tien  und  Hierarchien,  rofiog.  Lex.  iTf'n'n,  Sa- 
kon(K.ur-an,  Alcoran).  Budona.  Cumae.  Frageberg 
bei  Meschvvitz.  Hochstein  bei  Elstra.  Colojse.  Obe- 
lisken. Memnonssäule.  Pyramiden.  Sphinx.  Obelis- 
ken. Greife.  Rodzischcz°n  in  der  Oberlausitz.  Erd- 
wälle. Römerwall  bei  Senfienberg.  Sueven  (schan- 
zen). Marachen.  Heidnischer  Tempel  zu  Jüter- 
bog. 

V.  Perioden  der  Bergreligion .22 

Anfang  der   niederen   Idololatrie   in   Preufsen.     Je- 
xidi   bei    Diarbekir.      Satan.     Eesa.     Hercule.«    o-ra- 


XXII       

Seite 
jus.  Pan.  Apis,  Bachanalien.  Janus.  Vesta, 
Minerva.  Satyrn.  Silenus.  Cybele,  Apollo.  Pytho. 
Pythia,  Sidßolog.  Vulcan  'aAco7rr/|,  Germanen, 
Allemanen,  Mars.  Mercur.  Isis.  Alcis,  'Ivöot 
ivdovarot,,  Irmensäule,  Jaga  BaLa.  Bramaismvxs 
und  Budhaismus,  ■9'5Ös  sig  der  Slaven.  Einfüh- 
rung der  Idololatrie  in  Griechenland.  Ariman. 
Ormudz,  Iran.  Turan.  Bielbog.  Tschornobog. 
Zoroaster.  Sonnen-  und  Mond-Gultus  in  Mexico 
und  Peru.  Mexicanische  Bauwerke.  Menschen- 
fresser. 

VI.  Verhältnifs  des  späteren   Fetischismus   zu   der  Bergreli- 
gion der  ersten  U2id  zweiten  Periode     ,         ...      34 

VII.  Entstehung  des  (metapliysischen)  Dualismus  in  der  Re- 
ligion   37 

Typhon  (Div-Hon),  Wolos.  Quoschcz.  Ari- 
man. Pariar.  Heloten.  Separations -Edict  vom 
7.  Juni  1821.  Rüpel.  Rempel.  Runks.  Schlunks. 
Racker.  Lunks.  Hallunk.  Ruprecht.  Bubak. 
Rapak.     Bambor.     Bambora.     Bamsch.     Rübzal. 

Vin.  Spuren  bisweiliger  Rückgänge   zu    der   Verehrung   der 

alten  Götter  .        , 44 

Hellotia.  Cybele.  Eber  der  Rhedarier.  Französi- 
sche Encyclopädisten, 

IX.  Einflufs  der  Bergreligion 

A.  auf  die  Bildung  der  Sprachen 46 

Meinungen  über  die  Entstehung  der  Sprachen, 
Ursprache.  Vocalen  -  Trias.  Doppellaiite.  Drei- 
laute. '  Männliche  Vocale.  Weibliche  Selbstlaute. 
Consonanten  -  Dekade.  Natürliche  Consonanten-Li- 
nie.  Entstehung  der  Mitlaute.  Alte  Substantiva 
und  Adjectiva.  Autonomie  und  Heteronomie  in  der 
Wortbildung.  Das  alte  Neutrum.  Charakter  der 
Consonanten.  Die  weiblichen  Consonanten  n  und 
1,    Literae,     Namen   der  Buchstaben.    Benennung 


XXllI       

Seite 
der  Berge,  Bildung  der  hebräischen ,  sanskritani- 
schen ,  englischen ,  wendischen ,  griechischen ,  la- 
teinischen, neu  -  italischen,  altgallischen,  deutschen 
Zeitwörter.  Lehren.  Lernen.  Ragazza-Holza. 
Männliche  und  weibliche  Zeitwörter.  Onoma  poe- 
tica,     Adjectiva. 

B,  auf    die   Benennungen    der    späteren    religiösen   und 
bürgerlichen  Einrichtungen  der  Völker       .         .         .71 

Tempel -Namen.  Göttliches  Ansehen  der  Priester, 
Priesternamen.  Sradofs.  Ära.  Sonnenpriester. 
Mondpriester.  Druiden.  Barden,  Pontifex  maxi- 
mus,  Criwe,  Criwito.  Delai  -  Lama.  Dajni  -  So- 
ma.  Japanische  Theokratie.  Weltliche  Fürsten 
heifsen  Sonnen  -  und  Mondgötter ,  die  Fürstinnen 
Mondgöttinnen.  Zoroasterismus,  Schlösser-  und 
Burgen  -  Namen, 

C,  auf  die  Bildung  der  Ortsnamen 81 

Falsche  Ableitung  der  Namen  der  Städte  Rom,  Bu- 
dissin,  Dommitsch,  Pretzsch,  Peitz,  Cüstrin.  Dorf» 
Wefs.  Staniza.  Urbs.  Die  alten  Ortsnamen  beschrei- 
ben genau  und  malen  die  Lage  der  Orte  ab,  Man- 
nichfaltigkeit  der  Ortsnamen.  Erklärung  mehre- 
rer Ortsnamen ,  vorzüglich  in  den  Lausitzen  und 
in  den  angrenzenden  Provinzen. 

D,  auf  die  Benennungen  der  Inseln  «        ♦        ♦        .  111 

E,  auf  die  Flufsnamen        ,        ,        .        ,        ♦        .        ,112 
F»  auf  die  Benennungen  der  Götter  und  Göttinnen        .  116 

ReligionderSlaven.        .        ,        .        .        .        .        .  118 
Allgemeine   Bemerkungen.      Herkunft    der  Slaven 
und  Bedeutung  ihres  Namens.     Anzahl  der  Slaven 
in  Europa  und  Asien.  Slavischer  Ethnicismus  und 
seine  Beschaifenheit.  Czernebog. 

I.  Religion    der  Russen,      Bedeutung  des    Namens   der 
Russen,    Kosaken   und  der  vorzüglichsten  Völker- 


XXiV        

Seite 
Schäften  des  russischen  Kaiserreichs.  Kamschatka. 
"Wladimir  Swätoslawitsch  der  Grofse.  Perun,  Wo- 
los.  Tschur.  Polkan,  Korsch.  Bielbog.  Siluy 
Bog.  Tschernojbog.  Jaga  Baba,  Boye,  Psche- 
nieng.  Wechselhalg.  Busen.  Pop.  Nabob.  Scha- 
manen. Led.  Lada.  Lei.  Did.  Polel.  Ladoga- 
und  Onega-See.  Huron-  inid  Erie-See,  Simzerla.  Us- 
lad.  Semarla.  Pogoda.  Stribog.  Pochwist,  Russalka. 
Nymphen.  Morskoj  Zaar.  Gorina.  Kiinora,  Kascht- 
schey.  Leschje  oder  Lesnje.  Daschebog.  Uboze. 
Lutki.  Der  Mondgott  Znitsch.  Koliady.  Pator- 
schiza.  Sylvester- Abend.  Dies  Solis  invicti.  Ho- 
dy.    .Kupaly,     Haus-  oder  Johannis -Feuer. 

H,  Religion  der  Polen  und  Schlesier  ....  145 
Badeutung  des  Namens  der  Polen  und  Schlesier 
und  einiger  polnischen  und  schlesischen  Ortsna- 
men. Jefs,  Perknn.  Perkuna  Tete.  Auxtheias 
Vissagist,  Werschpomasy.  Audros.  Datan  oder 
Tatan.  Tavval,  Slotraz.  Dwargonth.  Klamas. 
Tartitas.  Derfintos.  Babilos.  Gondu.  Ljada.  Dzi- 
dzielja,  Zywie.  Zemina,  Marzanna,  Dziewanna. 
Nija.  Ausca.  Bezlea.  Breksta.  Warbulis.  Po^ 
goda,  Modeina  und  Rageina.  Kierpicz.  Silinicz. 
Ezernirn.  Hausgottheiten.  Sala.  Tikli,  Birzuli. 
Siricz.  Ublanicza.  Polengabia.  Aspelenia.  Bu- 
dintaia.  Duguai.  Luibegeld.  Ligicz.  Pizi.  Ben- 
tis,  Pirgirsitis.  L.awpatim.  Ratainiza,  Kremara, 
Krukis,  Priparscis,  Kurwaiczin.  Gardunithis, 
Peseia,  Lasdona,  Vielona.  Gutes  und  böses  Prin- 
cip,  Bezirks.-  und  Privat  -  Göttercultus  der  Polen, 
Mähren  und  Böhmen, 

m.  Religion  der  ]\.Iähren  und  Böhmen         ,         ,         ,       152 
Interpretation  der  Namen  der  Mähren ,     Böhmen  , 
Tschechen    und    einiger    mährischen    und    böhmi- 
schen Städte.    Peron,     Witislaw.     Krdsopani.     Do- 
brepan,      Kralomoc     Jasen,      Quosch,      Radamas 


XXV       

Seite 
(Charon),  Ladon,  Ziviena,  Zizlila,  Marzena, 
Zelun.  Sih'jvr].  Mokosla,  Mokoscli.  Pochwist. 
Nehoda,  Lei.  Polel.  Ssetek.  Diblik.  Mernt. 
Niwa  oder  Niera.  Seelenwanderuiig.  Ovids  Me- 
tamorphosen. Weles,  Wole.  Heitlii,  "Atr].  Wily, 
Kodoiza.  Murawa.  Tasani.  Sudice.  Altes  Göt- 
terregiment der  Böhmen.  Trzibek.  Bog  und  Bek, 
Krok,  Religion  der  Töchter  Kroks,  Libussa, 
Przemysl.  Böhmischer  Bürgerkrieg.  Sogenannter 
Mädchenkrieg.  Untergang  der  böhmischen  Theo- 
cratie.     Zvvölfmonatlichcs  grof.'.es  Zeitenjahr, 

IV,  Religion  der  Nord  wenden 163 

Was  die  Namen  Kassuben,  Pommern,  Obotriten, 
Linonen,  Rügier  bedeuten.  Razi.  Zinitro.  Roczne 
Czafsy.  Festi  dies.  Indische  Trimurti,  Brama. 
Wischnu.  Schivven,  Parabrama.  Zeruane  Ake- 
rene.  Jagernat.  Beleoram.  Schubudra.  Finni- 
sche Trias.  Stör- junkare,  Tiermes,  Baiwe.  Ma- 
derakko.  Jumala.  Skandinavische  Götterdreiheit. 
Skandinavische  Monatsreligion.  Tor.  Trolvolk, 
Eisriese.  Odin.  Spätere  Wochenregierung.  Dies 
der  Kelten,  Teut  generelles  Wort,  Wodan.  Teu- 
tates.  Thuisko.  Deutschen.  Teutschen.  Oybin 
bei  Zittau.  Frig,  Fricco,  virgo,  Freia,  Preufsi- 
sche  Doppel -Trias,  Perkunos.  Potrimbos,  Pike« 
los  und  Curcho,  Wurskait,  Ischwambrat,  Pergu- 
brios,  Auschwait.  Schwaitix,  Pelvit.  Altpreiifsi» 
sehe  Kriegsfahne,  Endungen  altpreufsischer  Wör- 
ter. Korsch.  Crodo.  Tarapyha.  Bedeutung  des 
Worts  Romowe.  Die  Götterdreiheiten  der  Nord- 
wenden.  Swantnwit.  Die  tiefere  Religions-Gnosis 
der  höheren  wendischen  Priester,  Por,  Ras,  Raz, 
Rad,  Rüg.  Das  weifse  Rofs  des  wendischen  Swan- 
towit.  Das  schwarze  Rofs  des  Mondgotts  zu  Stet- 
tin. Heilige  Pferde  im  Wendenlande.  Lüneburgi- 
sches Wappen,   Erndtefest,    Tempelreinigung.    Fal- 


XXVI       

Seite 
sehe  Ableitungen  des  Namens  Swantowit.  Rade- 
gast,  Bedeutung  der  später  entstandenen  Mond- 
götter. Radegast  kein  apotlieosirter  Fürst.  Incar- 
nationen  des  Wischnu.  Vulpius  Meinung,  Rade- 
gast betreibend.  Zernebog.  Prowe.  Pflugschar 
und  Hain  der  Prowe.  Griwule.  Budstikke.  Der 
Märtyrer  Laurentius,  Koschenberg.  Wallfahrts- 
ort, Campus  Martins,  Irmensäulen.  Rolandssäu- 
len, Ruska  Prauda,  Triglav  in  Stettin,  Julin, 
Grimma  etc,  Triglavs  Continen  oder  Tempel. 
Schwedenschanze  ohnweit  Stargardt  bei  Guben, 
Die  Christen  wundern  sich  über  Triglavs  Bild.  Pa- 
rabrama  der  wendischen  Religion,  Rugiäwith,  Po- 
rewith  und  Porenit.  Rugiwit,  Karewit  und  Hi- 
rovit.  Orte  des  ethnischen  religiösen  Cultus  in 
der  Oberlausitz,  Die  Trimurti  der  Germanen 
nach  Tacitus  und  Cäsar,  Mars ,  Mercur ,  Vulcan. 
Der  deutsche,  griechische  und  lyrische  Hercules, 
Tuisco  und  Mannus.  Dens  terra  editus.  Isis.  Her- 
thus,  Hertlium,  Alois  Luna.  Herthum  neutrius  ge- 
neris.  Alcis-ldole  in  Rheinhessen  und  in  der  Ober- 
lausitz. Castor  und  Pollux  Janus.  Der  gallische 
Hahn.  Napoleons  Adler,  Der  Doppeladler  der 
Oestreicher  und  R^ussen.  Der  Schimpfname  Rapak. 
Ort  des  Alcis-Cultus.  Pantheen  der  grofsen  Städte. 
Pogoda.  Siebog.  Sie.  Sif.  Zywie.  Ziwa.  Mar- 
zana.  Dziedzielja.  Zielsbog.  Ntmisa,  Namisa,  Ne- 
mis,  Nemesis,  vifia.  Nemisa-Rab,  Heia.  Mita. 
Cerberus.  Tsibaz.  Radomysl.  Raziwa.  Spätere 
Anomalien  der  indischen  Religion,  Misizlaw.  Ope- 
ra. Die  bei  Prilwitz  gefundenen  Götterbilder.  Die 
Missionarien  Bernhardus  und  Otto.  Berstuc.  Sik- 
sa.  Urii ,  Gudii  oder  Kudii.  Gasta.  Hure.  Ma- 
rovit.  Ipabog.  Tara.  Othin  und  Voda.  Wana- 
dis,  Balduri,  Geistliche  Mission  der  Bussen  in 
Peking. 


XXVII      — [ 

Seite 
V,  Religion  der  Südxvenden, 239 

Abstammung   der    Südvvenden    und   ihre    Einwan- 
derung in  das  Land  der  Hermunduren,    Naharva- 
len.  Lygier  etc.   Deutsche  Zunge  und  Sitte  in  den 
Gebirgsgegenden    der    Oberlausitz.      Die    Wenden 
nennen  sich  Serben  oder  Sserben.    Dola-(gir).  Da- 
leminzen,     BeschalTenheit   der    Religion    der    Süd- 
wenden.    Schupan.     Szwonzo.     Aux,  Hausch,  Hon, 
Han,  Jutor.    Boh   werschny.     Hody.     Puhan.     Ta- 
tan  (Datan).     Mare,  Meer,  Morjo,  &d?.ci6aa,  TLila- 
yo5,  (üV-Uvog.    Stadt  Jüterbog.    Jutry.   Dobrejtscho. 
Saitscha,   Sajtra,   Ranische  Sera.     Das    (vermeint- 
liche) Hüpfen  der  Sonne  am  ersten  Osterfeiertage» 
Grofses  Frühlings  -  und   Naturauferstehungs  -  Fest. 
Todaustreiben.     Ostern.     Schöpfen    des    Ostervvas- 
sers.  Flins.  Zwei  Repräsentationen  desselben.  Oeh- 
na  bei  Bauzeu.   Der  Löwe  des  Flins  und  seine  Be- 
deutung.    Barne  Blase.     Biry  (Erndtefest,  Pfingst- 
fest).     Feuerstein.     Vitzlav.     Lindenbäume.     Zwei- 
fel über  die  Existenz  des  Flins.    Blinzeu.    Ehe  des 
Zernebog.     Pya.      Löwengestalt   der   Pya.     Dämo- 
niaci.      Tschert.     Tschart.     Djabot.    Orakel.    See- 
lenmessen.     Frageberg.       Schlofsberg     bei     Burg. 
Meschwitz.     Ueberrest  von    heidnischen  Wallfahr- 
ten.  Heia,  Elysium.    Walhala,    Propilaga.    Kreuz- 
züge.    Jüngster  Freiheitskampf.    Grausamkeit  und 
Freiheitsliebe     der    Wenden.       Priabus.      Weifse 
Trauerkleidung   der   indischen  Weiber.     Marzana» 
Ziwa.     Marienbilder.     Freyer.     Frei-Knecht.     Ma- 
ra.    Mazmutter.    Stara  Mera.     Selowa  Zona.    Kus- 
wamicza.     Hexe.     Geisterstunde.   Psipowniza  oder 
Sschespowniza.      Sphinx.     Jehovah-Religion.     Alp. 
Kodoiza.   Murawa.   Mary.   Maracha.    Neptun.   Po- 
seidon.   Wassermann.    Religiöse  Abluitionen.   Ler- 
chen- und    Lämmerberge.    Druiden -Bildchen   in 
Zittau,    Drache.      Smij.     Smija.     Colchis.     Velins 
aureum.   Argonauten.   Cuna.   Korofs.    Gripe.    Dzi- 


XXVIII       

Seite 
wiza.  Dietrich.  Bernhard,  Zuttiber.  Suntibor. 
Honidwo.  Henil,  Hirtengöttin,  deren  Namen  und 
Repräsentation.  Sonstige  Vorstellungen  von  der 
Mondgöttin  als  Grund  mancher  Ideen  und  Ge- 
bräuche bei  Lebensveränderungen  und  Feierlich- 
keiten der  Wenden, 

A  •  n    h     a     n     g. 

Ueber   die   Verwandtschaft    des    Wendischen    mit    dem 

Sanskrit »         .         .         292 

Ueber  die  Bedeutung  des  Wors  Bog      ....      302 


Subscribenten-Verzeichnifs. 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
benten, 

Altdöbern. 

Die  Seminar -Bibliothek      . 

Herr  Köthe,  Superint.  und  Seminar-Di- 

rector         .         .         .         .        .        , 
Herr  Brähmig,  Seminarist    .       . 

„     Schiemenz,  Seminarist  . ,        ,        , 

Arnsdorf. 
„    Böhmer,  Pfarrer    »      .-       .        , 

Augsburg. 
„    Baron  von  Langenthai      .      ,        » 

Budissin. 
I,    Böhland,  Oberlehrer      ,      »        ♦ 


Druckp.  j  Schrbp, 


XXX       

Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
benteii, 

Budissin. 

Herr  Bröer,  Schul  -  College      ,         .         , 
„     Bück,  Dom-Vicar 

„     Drefsler,    Coli 

„     Hartz,  Bürgermeister  ,        -        . 

,,     Holtsch,  O.  A.  Regierungs-Advocat 

„     Jacob,  Pastor  zu  St.  Michael 

„     M.  Jahne,  Adjunctus  am  Gymnas. 

„     Klien,  Stadtrath         .         .         ,         • 

„    Krüger,    Diaconus  zu  St.  Michael 

„     Lubenski,  Pastor  Primär. 

„     Oelsner,  Stadtrath     .       ,         .         , 

„     Petri,  Kirchenrath         ,        . 

„     Quierner,  Oberamts-Regierungsratli 

„     V.  Rex,    Landesältester        ♦ 

„     Richter,  Can.  Scholasticus 

„     RouXy  Oheramts  -  Regierungsrath 

„     Schlosser,  Commissionsrath     , 

„     Schmole,   Can.  und  Pfarrer         , 

„     Schmole,  Seminarist        , 

Schullesebibliothek 

Herr  Schulze,  Buchhändler     . 
„     M.  Weller,   Buchhändler 
„     V.  Zeschwitz,  Hof-  und  Oberamts- 
Regierungsrath       »        ,         , 


Druckp, 


Schreibp. 


Berlin. 

Sr,  König  1.  Hoheit,  der  Kron- 
prinz  vonPreufsen 

Sr.  Königl.  Hoheit)  Prinz  Wil- 
helm vonPreufsen 

Sr.  Königl.  Hoheit,  Prinz  Carl 
vonPreufsen      .        .        .        , 

Sr.  Königl.  Hoheit,  Prinz  Al- 
fa r  e  cht  vo  n  Pr  e  ufs  en    ,         , 


10 
2 
2 
1 


XXXI 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
benteu. 

Berlin. 
Herr  von  Barner,  Oberster     , 

„     Kobitz ,   Stiftslehrer         . 

.,     Kopf,  Schuliiispector    .        .        « 

„  V.  Schöning,  Obristlieutenänt  und 
Hofniarscliall  Sr,  Königl.  Ho- 
heit des  Prinzen  Carl  v.  Preu- 
fsen 

„  V,  Stockhausen,  General  und  Hof- 
marschall Sr.  Königl.  Hoheit 
des  Prinzen   Albrecht  v.  Preu- 

fsen 

» 

Biegen. 
„    Wehner,  Prediger    .       ♦        ♦        . 

Bischofswerda. 
„    Weber,  Klempnermeister     ,        » 

Bockwitz. 
„    Hasse,    Pfarrer        .        .        ,        , 

Burg -Chemnitz   bei   Gräfenhainchen. 
Herr  Jacobi,  Pfarrer     .        ,        ,        . 

Breslau.  ^ 
„    Hantusch ,   Studios,  juris        , 

Camenz. 
„    Archidiaconus  Lehmann  «        , 


Cletwitz. 
„    Richter,  Pfarrer     ,      , 


'/- 


Druckp, 

Schreibp. 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

4 

i  V 

1 

XXXII 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri-     Druckp. 
beuten. 

Cletwitz. 
Herr  Franke,  Schulmeister 

Cottbus. 

Herr  Goltsch,  Conrector        .       ,        ,  1 

„     Korn,  Archidiac 1 

„    Dr.  Reuscher,  Gymnas,  Director  .  1 


Schreibp. 


Commerau. 
„    Pilopp,  Schullehrer      , 


Costebrau. 
„    Lehmann,  Schullehrer    , 

Crostau. 
,,     Michler,    Pfarrer 

Cunewalde. 

„    Apelt,  Pfarrer    ,      , 

j 

Dissen. 
,.    Buckwar,    Pfarrer        ,        ,        . 

Dobristrow. 

„     Schnitter,  Braukrüger     ,        , 
„     Voigt,  Schulmeister     , 


♦         ♦ 


Drebkau. 
„    Bronisch,  Pfarrer  zu  Steinitz     . 


XXXIII 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  SiiLscri- 
benten, 

Drebkau. 
Herr  Heinsius,  Postexpediteur     .         , 
„     NöUer,  Gericlitsdirector  ,        ,         , 

Drehnau. 
„     Böttcher,  Cantor    «      ,        .        . 

Dresden. 

Sr.Königl.  Hoheit,  der  Prinz  Mit- 
regent von  Saclisen       . 
Herr  Büttner,  Kaufmann 

jy     Mag,  Erbstein,  Privatgelehrte j 

„     Hayne,  Cantor  und   Kirchner  zu  St, 

Johannis  .         .         .         , 

„     Dr.  Käufer,  Königl.  Hofprediger   » 
„     Knochenwebel,  Gand.  des  Predigtanits 
„     V,  Olsufieff,    Kaiserlich  Russ,  Major 

aufser  Dienst     ,         .         .         . 
„     M,   Ziller,  Diac.  an  der  Kreuzkirche 
und  Mittagsprediger   an  der  So- 
phienkirche    ♦         ,         .         , 

Dürrwalde. 
„    Jurka,   Schullehrer        ♦        ♦        ♦ 

Eisten;  vverda. 
Hr.M,  Hofmann,  P.P.  und  Superintendent 

Frankfurt  an  der  Oder. 
Herr  v,  Thielenfeld,    Justiz-Commissarius, 

Gaufsig. 
„    Domaschke,      Pfarrer         »         , 


Druckp.  I  Schreibp. 


XXXIV 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
bens-n. 

Geyerswalde. 
Herr  Kubitz ,  Pfarrer  , 
Herr  Kopf,    Schulmeister 

Göda. 
Herr  Rade,  Diaconus         .         ,        .         . 

Göllnitz. 
Herr  Tietze ,  Pfarrer         •         .         .        . 

Görlitz. 

Herr  Gunschera .   Scbullehrer 

Herr  M.  Sintenis,  Arcliidiac.  .        « 

Die  Oberl.  Gesellschaft  der  Wissensliaften 

Gi'eifsvvalde. 

Herr  Kanngiefser,  Professor         ,         , 
Die  Universitäts-Bibliothek     »         , 

Gröditz. 
Herr  Voigt,    Pfarrer        «        ♦        ,        ♦ 

Grofsenhain. 

Herr  Dr.  Hering,  Superintendent  .         . 
Herr  Preusker,   Pventaintmann        , 
Herr  Dr.  Reiniger,  pract,  Arzt     . 
Herr  Stübner,  Stadtrichter       ,         , 
Herr  Wolff ,   Stadtgerichts-Actuar 

Grofskoschen. 
Herr  Hilschenz ,     Schullelirer      .        , 

Grofspavtwitz. 
Herr  Hanschke,  Pfarrer  .        ,        ,        ,      I 


Diuckp. 


Schreibp, 


1 


XXXV 


Ort,     Namen  und  Cliarakter  der  Subscri- 
beiiten, 

Gl'ofspostvvitz. 
Hexr  Marloth,     Pfarrer        ,       ,        , 

Grofsräschen. 
7,    Richter,  Pfarrer        «        ♦      «        , 

Grofs-Teuplitz. 
„     Schlomka,  Pfarrer 

Guben. 

j,     Sause,  Doctor  .         ,        ,         ,        , 
„    Böhmer,  Cand,  des  Predigtamts   . 

Guttau. 
j,     Mros,  Pfarrer  ,        .        ,        .        » 

Hainewalde   bei  Zittau. 

„     V.  Kyaw  auf  Hainewalde  u,  s,  w.  . 
„     Dornick,  Pfarrer        ♦         ,        .      , 

Halle. 

„    Dr.  Fritzsche,     Professor   der  Theo- 
logie .,.,,. 

Hörlitz. 
„    Kubasch,  Schullehrer        ,        , 

Hohenbocka. 
„    Schneider,  Candidat  des  Predigtamts 

Hochkirch. 


Druckp. 


Schreibp, 


„     Mohn,  Pfarrer      ,      .      .      , 


*** 


XXXVI 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
henten. 

Hosena. 
Herr  Rhösa,  Schnllehrer         .         ,        , 


Druckp. 


Schreibp. 


Hoyerswerda. 

„     Müfsigbrodt,  Forstrendaiit        ♦      » 
„    Noack,     Archidiaconus       ,  ,        , 

Jahmen. 
„    Pech,  Pfarrer        .        ,        ,        , 

Jessen. 
„     Bronisch,  Pfarrer     .        .        .        , 

Jöhstadt. 
„    M.  Heyde,  Pfarrer  ,        ,        ♦        » 

Kirchhayn. 

„    M.  Müller,  P.  P,  und  Superinten- 
dent          

„    M.  Heyne,  Diaconus        .        •        , 

Kleinbauzen. 
„    Klien ,  Pfarrer        ,        ,        ,        ♦ 

Klix. 
„    Seil»r,  Diaconus        ,        ♦        ♦      . 

Königsberg  in  Preufsen. 
„     Bobrik,  Studios.    .        ,        .        « 
„     Lehnerdt,  Professor    .       .         .         ♦ 
„     Dr.  Lucas,  Schulrath  und  Director 
„     Dr.  Simson,     Professor   extraordi- 
narius         *        «        *        «        * 


XXXVII 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
benten. 

Königsberg  in  Preufsen. 

Herr  Dr.  Schubert,  Professor        ,        , 
Die  Königl.  Bibliothek      .... 
Die   Bibliothek     des   Köiiigl.    geheimen 

Archivs  .         ,         .         .         . 
Die   Bibliothek    der  Königl,    deutschen 

Gesellschaft         .         .         .        . 
Die   Bibliothek    des  Königl,  Friedrichs- 

Collegiums      .         .         ,         . 
Die  Bibliothek  des  Altstädtischen  Gym- 


Königswarthe. 

Herr  Körnig,  Pfarrer 
„     Pietsch,  Schullehrer 


Krischa. 
„    Schulze,  Pfarrer        ,        ,        , 

Laasow. 
„     Zillich,  Pfarrer        ,        »        . 

Langengrassau  bei  Luckau. 
„     Jackert,  Pfarrer       .  ^    ♦        . 

Lauta. 
„    Richter,  Pfarrer        .        ♦        ♦ 

Lebus. 

„     Hartwich ,  Pfarrer        . 


Druckp. 

Schreibp. 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

XXXVIII 


Ort,     Namen  und  Charakter  der  Subscri-     Druckp.      Sclireibp. 
beuten. 


Leijjzig. 

Herr  v,  Criegeni ,  Studiosus  tlieol,  und 
Senior  der  Oberlausitzisclien 
Predigergesellschaft         .         ,  1 

„     Hadank,  Mitglied   des  wendischen 

Vereins    .....  1 

„     Haubold,  Mitglied  des  wendischen 

Vereins         .....  1 

„  Dr.  Klien,  Professor  des  Kirchen- 
rechts .....  1 

„     Pentzig,  Candidat  der  Theologie   .  1 

„  Richter,  Candidat  jur.  und  Secre- 
tär  der  Oberlausitz.  Prediger- 
gesellschaft        .         . 

„  Schneider,  Mitglied  des  wendi- 
schen   Vereins         ...  1 

„     Seyffarth,    Professor         ...  1 

„  Voigt,  Mitglied  des  wendischen 
Vereins    ..... 

Leutlien. 
„     Kopf,  Cantor 

Lübau. 
„     Mohn ,  Pastor  Primarius         .        , 


Luclvau. 

j,     Gallus,  Gericlilsamtiaann         . 

„     Krahner,  Archidiaconus 

„     M.  Lehmann,  Director  Gymnas, 


XXXIX 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri-  |  Druckp.  |  Schreihp. 
benteii. 


Luckau. 
Herr  v.  Man  teuffei,    Landratli  des  Lu- 

ckauer  Kreises         ,        .        ,  1 

„     Dr.  Töpfer         .         ,        ,        ,         ,  1 

„    Dr.  Vetter,  Subrector  ...  i 


Lübben. 
„     SüTsmilch,  Geh,  Regierungsrath    ♦ 

Magdeburg. 
Herr  Dr.  Jentzsch ,     Prediger  an  der  St. 
Jacobikirche     .        «        «        , 

Merseburg. 
„    Landvogt,  Courector  und  Professor 

Milkel. 
„    Gude,  Pastor         ,        «        ,        , 

Mühlbeck. 
j,    Richter,  Pfarrer       .        .        »        , 

Mückenberg. 
„    Strehle,  Diaconus        , 


«        * 


Nebelschütz. 
„     Georg  Sandmüller    , 

Neschvvitz. 

„    Hattas,   Pfarrer        .     J 
„     Thieme,  Diaconus 


XL 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
benten, 

Palzig. 
Herrv.  Paczkowski,  JMajor  und  Landes- 
Aeltester         .... 

Peitz. 
,;,    Schindler,  Oberpfarrer    ,        .        , 

Fohle. 
„    Gedan,  Pfarrer        .        ♦        .        . 

Prefske  bei  Budissin. 
„    Stud.  theol,   Lips.   Raeck 

Pritzen. 
„    Bronisch,   Pfarrer        ,        ,        , 

Pulzkau. 
„    M.  Petri,   Pfarrer        ,        ,         , 

Reichenau. 
,,    Franz,  Pastor  subst.        .         ,         « 

Ruhland. 

„     M.  Berger,  Oherpfarrer         .         , 
„    Dr.  Berger,  Diaconus 


Sagan. 

„    Kallenbach ,     Pastor 
„     Nehinig,  P.  P. 


Druckp. 


Schreib  p. 


XLI 


Ort,    Namen  «nd  Cliarakter  der  Subscri-    Druckp. 
beuten. 

Sali  gast. 

Herr  M.  Streckfufs,  Pfarrer        ,        ,  1 

„    Salomo,  Schulmeister        ,        ,      ,  1 


Schreibp. 


Schmochtitz. 
Herr  Ruick,  Rittergutspachter 

Schmölln. 
„    Palmer,  Pfarrer    .        ,        , 

Schön  born. 
„     Böhmel,  Pfarrer  . 

Schönfeld  bei  Calau. 
„     Patrunky,  Pfarrer        , 


Schwarz-Colm. 

„     M.  Stempel,    Pastor 
„    Kopf,  Schulmeister        , 


Sedlitz. 
„    Böhme,  Schullehrer 


Senftenberg. 

„  Blankenberg,  Amtsarzt  und  Kasten- 
vorsteher ....  1 
„  Bräunig,  Königl.  Rentmeister  ,  1 
„  Buschik,  Gerichtsamts-Actuar  ,  1 
„  Cunradi,  Oberlehrer  .  ♦  ,  1 
„     During,  Kaufmann        ...  1 


XLII 


Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
benten, 

Senftenberg. 

Herr  Fleischer,  Hilfslehrer         .         , 

„     Herrmann,  Bürgermeister   . 

j,    Kahlenl)erg,  Königl.  Premier-Lieu- 
tenant        ..... 

„     Krüger,     Protocollführer         ,     . 

„     Kupz,     Accisinspector   und   Justiz- 
Commissar  .... 

„     Lamprecht,  Cand.  des  Predigtamts 

5,     Mehnert,  Apotheker    ,         , 

j,     Post,    Archiuiaconus         « 

„     Richter,  Cantor     ,        .        ♦         . 

,,     Schiemenz,  Diaconus  und  Prediger 
zu  Sedlitz  ..... 

„     Schneider,  Rector 

„     Schneider,  Rathskäinmerer        .       . 

„     Schneider,  Kaufmann   . 

„     Scliuster,     Cand,    des  Predigtamts 

„     Zote],  Königl,  Gerichtsamtmann  . 

5,     Zschieschke,     Candidat   des  Predigt- 
amts          

Sergen  bei  Cottbus. 
„     Albin,  Schullehrer         .         »        . 


Sonnevvalde. 
Frau  Gräfin  zu  Solms- Sonnewalde 


Spremberg. 

Herr  Helmricht,    Superintendent 
„     Müller,  Diaconus     . 


Druckp. 


Schreibp. 


JVLHI       

Ort,    Namen  und  Cliarakter  der  Subscri- 
bcnti'ii. 

Soliia  bti  Budissin. 
Andreas  Liebuscli,  Gartennahrungsbesi- 
tzer und  Königl,  Accise- Ein- 
nehmer   


Druckp, 


Schreibp, 


Sorau. 

Herr  Donath,  Oberlehrer        , 

„     Erler,  Diaconus    .... 
„     Franz,  S.  .         ,         ,         .         .         , 
„     Julien,  Buchhändler 
„     M.  Kirchner,  Archidiaconus 
„     Reichenbach,  Pastor  Prim.  und  Su- 
perintendent       ,         ,         ♦       , 
„    Riecke,  Oberlehrer         ,       .        , 
,,     Röfsler,  Auscultator 
„     Scharbe,  jetzt  in  Kasan  kaiserlicher 
Professor  der  Antiq^uitäten     , 

Triebel. 
„     M.  Staufs,  Oberpfarrer   . 

Uhyst. 
„    Schulze,  Pfarrer  ,        ,        ,        . 

Ukro  bei  Luckau. 
„     Danziger,  Candidat  des  Predigtanits 

Vetschau. 

„     Malin,  Polizei-Director        , 
„     Spann ,    Oberpfarrer         ,         , 


XLIV       

Ort,    Namen  und  Charakter  der  Subscri- 
beuten. 

Vetschau. 
Herr  Wedel,  Arcliidiaconus        »        , 

Warthe  bei  Künigswarthe. 
„    HauTsmann,    Schullehrer 

Wendisch  Lieske. 
„     Hönzka,  Schullehrer        »         i 

Wendisch  Soino. 
„     Hensel,  Pfarrer         .         ♦         ,         . 


Druckp. 


Schreibp. 


Werben. 

„    Po    ^-       Pfarrer         ....  1 

„     Daiiif,  Candidat  des  Predigtamts  .  1 


Wilthen. 
Lehmann,  Pfarrer 


♦        «        ♦ 


Wittichenau. 

„  Donath ,   Schuldirector 

„  Nicolaides,  Cooperator 

„  Serbin,  Capellan  . 

„  Schneider,  Schullehrer 

„  Waury,  Oberpfarrer 


Wuischke. 
Herr  Walde,   Oberförster 


XLV 


Ort,    Namen  und  Cliarakter  der  Subscri 
beuten, 

Zittau. 

Herr  Bergmann,  Stadtrichter      , 

„  Ferber,  Candidat  des  Predigtamts 
und  Lehrer  an  der  allgemei- 
nen Stadtschule  .... 
„  Flössel,  Candidat  des  Predigtamts 
und  Lehrer  an  der  allgemei- 
nen Stadtschule  .  . 
„  Geifsler,  Predigtamts-Candidatui>d 
Lehrer  an  der  allgem.  Stadt- 
schule ..... 

„     Mag.  Haupt 

„     M.  Jentsch,  Protodiaconus 
„     Lindemann,  Dir.  Gymnas.      ,       , 
„     Ludwig  ,  Katechet  und  Zuchthaus- 
prediger .         ♦         .         . 
„     M.  Pescheck,  Diaconus      .       ,        , 
„    Peschek,  Stadtgerichts-Actuar 
„     Püschel,  Stadtrath         .         ,        * 
„    Ruckert,  Lehrer  am  Gymnasium 

ZüUichau. 

„     Jacobs ,  Lehrer         .         .         ♦        ♦ 
„     V.  Schöning,  Königl.  Landralh    , 
,,     Steinbart,     Director         .        .         * 


Tzschecheln  bei  Forste. 
Herr  Schelz,  Pastor       ,      ,      ,       . 


Druckp, 


Schreibp. 


1 
1 
1 
1 

1 
1 
1 

1 


npr 


Camenz.  (Nachträglich.) 

Herr  Scab.  Gräve     .        ,        ♦        . 

„    Stadtrichter  Hansel  .        . 


Berichtigungen   und  Verbesserungen. 
Seite       1.  Z.  19.  lies  Iiöclisteii 
„         3.  Z.  12.  1.  Mytheiialters 
„         6.  Z.    7.  1.  Es 
5,         6.  Z.  13.  1.  uttv 
„         7.  Z.  20.  1.  häusliche 

„  10.  Z.     ?.  1.  Trefflichkeit  der  Moral, 

„  12.  Z.  11.  1.  früher 

,,  19.  Z:  20.  1.  Grodik 

„  24.  Z.  17.  1.  gelegenen 

„  28.  Z.  22.  1.  dic(ßo}.og 

„  39.  Z.  35.  1.  7.  Juni 

„  #7.  Z.  18.  1.  Conglonierat 

„  48.  Z.     9.  1.  in  den  Stürmen  der  Zeit 

„  53,  Z.'29.  adde  auch 

„       65.  Z.  20.  1.  ?re,     ^re. 

„       91.  Z.     3.  1.  Gum-hi-inen 

„       93.  Z.  22.  1.  Sümpfenburg, 

„     100.  Z.  22.  1.  ono. 

.,      101.  Z.  36.  J.  Kosow. 

,',      131.  Z.  29.  ].  Itfelmen 

„      146.  Z.  12.  1.  y.ovi? 

„      146.  Z.  16.  1,  Silesia. 

„     166.  Z.  14.  1.  die  Seelen 

„     241.  Z.     3.  1.  Tromberg 

'„  256.  letzte  Zeile,  ist  nach  dem  letzten  Worte  hin- 
zuzufügen :  „Idee  lag  aber  dieser  Göttin,  die  vor- 
„zugsweise  den  Namen  Göttin  führte,  zu  Grun- 
„de?  Diese  Idee  war  ohne  Zweifel  ursprünglich 
„eine  vielumfassende,  und  begriff  alle  -die  Ele- 
„mente  in  sich,  welche  sich  in  der  alten  Mond- 
„göttin  fanden.  In  dieser  alten,[vielumfassenden  etc. 

„     §58,  letzte  Zeile  der  Note  1,  spätere . 


Einleitung. 


I»      Name     der     B  e  r  g  r  e  1  i  g  i  o  n. 


A. 


L-uf  einer  ziemlich  hohen,  nicht  erwarteten  Stufe 
eines  rehgiösen  und  moralischen  Lebens  finden  wir  das 
Menschengeschlecht  schon  in  dem  fernsten  Alterthume. 
Ohne  es  zu  untersuchen,  in  wie  langer  Zeit  dasselbe  zu 
seiner  Religion ,  Moralitiit  und  Humanität  gelangt  ist, 
deren  Betrachtung  noch  uns ,  die  wir  in  dem  himmli- 
schen, unsere  religiöse  und  sittliche  Kraft  mächtig  an* 
regenden  und  stärkenden,  Lichte  der  Christusreligion 
wandeln,  im  hohen  Grade  anzieht  und  mit  Bewunde- 
rung erfüllt,  bleibe  ich  nur  bei  der  ünläugbaren  histo- 
rischen Thatsache  stehen,  dafs  schon  in  sehr  fernem  Al- 
terthume die  Menschen  einer  sublimen  Naturreligion  zu- 
gethan  waren,  welche  man,  weil  die  Berge  in  dersel- 
ben eine  so  viel  umfassende  Bedeutung  und  eine  so  grofse 
Geltung  haben,  die  Bergreligion  des  Alterthums  nennen 
kann.  Der  Hauptgegenstand  dieser  Religion  waren  aber 
nicht  anfänglich  die  Berge  selbst,  sondern  die  Sonne 
und  der  Mond ,  die  auf  Bergen ,  diesen  ersten  Wohn- 
plätzen der  Menschen  und  diesen  nächsten  irdischen  an 
die  ätherische  Welt  grenzenden  Punkten,  göttlich  ver- 
ehrt wurden. 

1 


II.     Entstellung  der  Bergreligion. 

J-Jafs  die  Menschen  gleich  anfangs  der  Sonne  und 
dem  Monde  göttliche  Verehrung  zu  erweisen  anfingen, 
dies  wird  uns  nicht  wundern,  wenn  wir  erwägen,  wel- 
chen mächtigen  Eindruck  der  Anblick  dieser  beiden  Him- 
melskörper auf  den  Menschen  macht ,  und  welchen  wohl- 
thätigen  Einflufs  ihr  Licht  auf  die  ganze  Natur ,  inson- 
derheit aber  auch  auf  die  Menschen  hat.  Wenn  die  er- 
sten Menschen  bemerkten ,  dafs  sich  der  im  unbeschreib- 
lichen Goldglanze  strahlenden  Morgensonne  nicht  nur  die 
Pflanzenwelt  kindlich  zuwandte,  sondern  dafs  dieselbe 
auch  Tausende  der  sie  umgebenden  Thiere  in  freudigen 
Chören  jubelnd  begrüfsten,  so  darf  es  uns  nicht  auffal- 
len, dafs  auch  die  Herzen  der  in  der  freien  Natur  le- 
benden und  dieselbe  lebendig  anschauenden  Menschen 
ihr  in  Freude,  Liebe  und  Dank  entgegenschlugen,  und 
dafs  sie  zu  dem  hehren,  wohlthätigen  Tagesgestirn,  wenn 
dasselbe  an  dem  azurnen  Bogen  des  Himmels  seine  glän- 
zende Bahn  in  Majestät  und  Herrlichkeit  zu  wandeln 
schien  und  Millionen  Geschöpfen  zahllose  Segnungen 
spendete,  mit  tiefer  Adoration  hinauf  blickten.  Die  auf 
den  freien  Spitzen  der  Berge  am  Morgen  erschollenen 
Hyninen  der  Menschen  verstummten  indefs,  und  ihnen 
so  wie  den  Freudentänzen  folgten  gewöhnliche  Tagesbe- 
schäftigungen. Doch  während  derselben  vollendete  das 
hehre,  bewunderte,  göttlich  verehrte  Gestirn  seine  Bahn 
am  Himmelsbogen ,  und  indem  die  Gipfel  der  höchsten 
Berge  zuletzt  von  seinem  Lichte  erglänzten,  so  glaubten 
die  sich  im  Kindesalter  befindenden  Menschen:  es  begebe 
sich  dort  gleich  dem  müden  Sterblichen,  nachdem  er  des 
Tages  Last  und  Hitze  getragen  hat,  zur  Pvuhe.  Von  dieser 
Vorstellung  rühren  noch  jetzt  die  in  der  Volkssprache  übli- 
chen Ausdrücke:  die  Sonne  geht  heim,  ^  die  Sonne  geht 
zu  Bette  etc.  *   her.     Dunkel  und  Finsternifs  senkte  sich 


1  To  Sswonzo  dorn  dze, 

2  Lp  soIpü  se  coiiche. 


—     3     — 

nun  auf  die  hochgelegenen  Wohnungen  der  Erdbewohner 
und  Wehmuth  erfüllte  ihre  lebendig  fühlenden  Herzen. 
Doch,  siehe!  bald  erglänzte  im  Osten  von  Neuem  der 
ferne  Gesichtskreis  von  einem  zwar  nicht  so  starken,  aber 
doch  auch  erfreulichen  Lichte,  und  erhellete  das  traurige 
Dunkel  der  Nacht.  Es  war  der  Vollmond  mit  seinem 
zarten,  sanften  Schimmer,  der  nun  zu  leuchten  begann. 
Nicht  so  mächtig  durch  sein  Licht  und  durch  seine  auf 
die  Pflanzen  -  Thier  -  und  Menschenwelt  einwirkende 
Kraft  war  dies  Gestirn,  als  das  verschwundene  Gestirn 
des  Tages.  Und  deshalb  erblickten  die  Menschen  des 
fernsten  Mittelalters  in  ihm  den  Charakter  des  schwä- 
cheren Weibes  so  wie  sie  in  der  Sonne  den,  dem  Weibe 
vorschreitenden,  starken,  muthigen  Mann  erblickt  hat- 
ten. Weil  aber  auch  das  sanft  leuchtende  Gestirn  der 
Nacht  für  sie  wohlthätig  war,  und  weil  es  ihnen  insbe- 
sondere die  nächtlichen  Geschäfte  erleichterte,  deshalb 
erkannten  sie  auch  in  demselben  eine  Gottheit,  der  sie 
nicht  minder  Verehrung  schuldig  zu  seyn  glaubten,  als 
der  Gottheit,     die  sie  am  Tage  beglückt  hatte.  ^     Ja  fast 


3  Die  Religion  der  Menschen  war  anfänglich  nicht  ein  star^ 
rer,  trostloser  Pantheismus,  sondern  eine  agnitio  et  adora- 
tio  numinum  duoruni,  saepissime  in  nnnm  conjunctorum^ 
a  natura  diversorum  et  supra  naturani  elatorum.  Erst 
späterhin  sankeil  die  Menschen  durch  die  Annahme  ir- 
discher Repräsentatiohen  der  Sonne  und  des  Mondes  hie 
und  da  zum  Pantheismus  herab.  Nannte  man  auch  durcli- 
aus  Menschen,  Thiere,  Pflanzen  und  sogar  Minerale  mit  dem 
Namen  der  Sonnen-  und  der  Mondgottheit,  oo  hielt  man 
sie  selbst  doch  nicht  fiir  Götter  und  Göttinnen,  sondern 
man  wollte  nur  dadurch  andeuten ,  dafs  man  sich  dieselben 
unter  der  besondereil  Herrschaft  der  einer!,  oder  der  andern 
Gottheit  dachte.  Öätte  man  sich  z.  B.  eine  Linde  (lin-ide) 
wirklich  als  eine  Mondgöttin  gedacht j  so  würde  es  die 
grofse  Religiosität  des  Alterthums  nicht  gestattet  haben,  ir- 
gend einen  Lindenbaum  zu  fällen  und  zu  verbrauchen.  Mit 
den  heiligen  Linden  z.  B.  in  Preufsen  hatte  es  in  späteren 
Zeiten  eine  andere  Bewandnifs.  Diese  waren  consecratae, 
weil  unter  ihnen  die  Idone  der  Mondgöttin,  oder  des  Mond- 
gotts  standen,  oder  gestanden  hatten,  und  so  wie  man  heut 

1* 


—     4     - 

alle  nordisch e  Völker  erwiesen  in  spateren  Zeiten  dem 
Monde  sogar  mehr  Verehrung,  als  der  Sonne,  und  stei- 
gerten, sich  mit  den  Vorstellungen  der  südlichen  Völker 
in  Widerspruch  setzend,  seine  weibliche  Natur  zur 
männlichen. 


III.    Innere  Beschaffenheit,  oier  Dogmen 
und  Moral  ^er  Bergreligion» 

vv  ie  die  Dogmen  und  die  Moral  der  Bergreligion  in 
der  ersten  Zeit  beschaffen  waren,  läfst  sich  freilich 
bei  dem  gänzlichen  Mangel  an  schriftlichen  Schilderun- 
gen derselben  nicht  genau  bestimmen.  Bei  diesem  Man- 
gel an  vollständigeren  schriftlichen,  über  die  anfängliche 
innere  Beschaffenheit  der  Religion  der  Menschen  spre- 
chenden Belehrungen ,  ''■  läfst  sich  nur  auf  dem  Wege 
der  abstrahirenden  Betrachtung,  der  ersten,  von  den 
Menschen  verehrten  Gottheiten,  der  Sonne  und  des 
Mondes,  so  wie  durch  Abstraction  von  dem,  was  uns 
von  dem  vorgeblichen  Wirken  der  alten  Gottheiten  in 
späteren  Schriften   und   durch    Traditionen    dunkel  ange- 


vor  einem  Altare  eine  heilige  Scheu  hat,  so  achtete  man 
auch  die  besonderen,  geweiheten  Linden  hoch.  So  verhielt 
es  sich  auch  mit  den  heiligen  Fliederbäumen  und  Eichen» 
so  wie  mit  ganzen  heiligen  Hainen,  in  welchen  späterhin 
die  arae  der  Gottheiten  waren.  Die  heiligen  nemora  und 
lucus  waren  nicht  eigentliche  Objecte  dei'  Adoration ,  son- 
dern sie  wurden  nur  deshalb  für  heilig  geachtet,  weil  man 
glaubte,  dafs ,  da  in  denselben  die  Götterbilder  aufgestellt 
waren,  in  ihnen  die  Gottheiten  wohnten, 

4  Die  alten  Religionsschriften  der  Indier  gehören  nicht  nur 
ihrer  Form,  sondern  auch  der  Materie  nach,  einer  späteren 
Zeit  an,  obgleich  sie  sehr  alt  sind,  und  obgleich  z.  B.  die 
erste  schriftliche  Aufzeichnung  von  Menu's  Gesetzen  wahr- 
scheinlich lange  vor  Solon  und  Lykurg  Statt  gefunden  hat, 
Vergl.  William  Jones  Vorrede  zu  Jilenus  Verordnungen  XIII. 
Weimar,  1797. 


deutet  wird,     ein,     wenn  auch  nur  sehr  unvollständiges, 
S}stem  der  Glaubens-  und  Pflichtenlehre  der  alten  Berg« 
religion  bilden.     Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,     dafs  gleich 
anfangs  die  Beschaffenheit  der  Sonne,  wie  sie  dem  Beob- 
achter im  kindlichen  A-Ienschenalter  erschien,     Veranlas- 
sung  zur  Bildung    mancher    Glaubenslehren   gab.     Dem 
beobachtenden  Verstände  des  Menschen  drängte  sich  näm- 
lich  bald  die  Wahrnehmung    auf:     dafs   der   Sonne  eine 
grofse  Kraft    eigen  sey;     dal's  sie  tausendfaches  Leben  zu 
entwichein ,  zu  erhalten ,  und  wenn  es  zei'stört  war ,  wie- 
der neu   zu    bilden  vermöge.     Insonderheit   sah   der   mit 
Aufmerksamkeit  die  ihn  umgebenden  Dinge  betrachtende 
Mensch,     dafs  durch  die   Kraft    der  Sonne   die   Pflanzen 
aufkeimten  und  gediehen,  und  dafs,  waren  sie  durch  die 
Kälte  des  Winters  abgestorlien,  die  Frühlingssonne  dieselbe 
Gattung  wieder  aus  den  Fruchtkörnern  entwickelte.  Durch 
diese  Betrachtungen  gelangte   der  Mensch   zu  der  Ueber- 
zeugung,    dafs  der  Gott,    welchen  er  verehrte,    ein  sehr 
mächtiger  Schöpfer   und  Erhalter   der  Dinge  wäre.     Und 
indem  er   das  Leben   des  Menschen  mit  dem   Leben  dei: 
Natur  verglich,  gelangte  er,   ohnedies  schon  mächtig  ge- 
trieben von    dem   lebendigsten   Wunsche    seines   Innern, 
bald    zu    der   frohen   beglückenden   Ahnung,     dafs   auch 
sein  Leben  eben  so  wenig  völlig  untergehen  werde,     als 
das   Leben  der   Thier-   und   Pflanzenwelt.     Obgleich   der 
nachdenkende  Mensch  bemerkte,     dafs    er  nicht  nur  von 
den  ihn  umgebenden  Dingen  abhängig  war,  sondern  dafs 
auch  in  ihm  gewisse  mächtige  Naturtriebe  walteten  und 
ihn  oft  zu  seinen  Handlungen  mächtig  fortrissen  und  be- 
stimmten, so  sah  er  doch  auch  bald,  dafs  ihm  noch  ein 
besonderes  Verrnögen  eigen  wäre,     sich  für  das,    was  er 
als  nützlich,     erspriefslich ,   heilsam  und  seinem  Verhält- 
nisse zu    der   von   ihm  verehrten  Gottheit,     so   wie  dem 
Pflichtgesetze  in  seinem  Innern  entsprechend,  mithin  als 
recht  und  eut  erkannt  hatte,    frei  zu  bestimmen.     Früh- 
zeitig  gelangten   demnach  die  Menschen  zu  den  grofsen, 
viektmfassenden  Ideen,    Gott,    Unsterblichkeit  und  Frei- 
heit.   Nicht  minder  bildete  sich  auch  höchst  wahrschein- 


lieh   der  Glaube   aus,     der  sich   auf  das  Verhältnifs  der 
verehrten  Gottheit  zu  den  Menschen  bezog. 

In  diesem  Betracht  erschien  den  Menschen  die  Son- 
ne, wenn  sie  sahen,  dafs  dieselbe  sie  wärmte,  sie  durch 
ihr  Licht  ergötzte,  sie  durch  ihre  Wirkungen  nährte  und 
erhielt,  bald  als  ein  liebender  Vater,  der  treu  für  seine 
Kinder  sorgt  und  wirksam  ist.  Er  war  die  Idee  der  Liebe, 
die  sie  in  der  Sonnengottheit  personihcirt  erkannten.  Und 
merkwürdig  ist  es,  dafs  mehr  als  eine  der  mir  bekannten 
Hauptsprachen  den  Act  des  Liebens  durch  den  Ausdruck 
Sonnengottseyn  bezeichnen.  So  heifst  das  italische  amare 
(am-are),  das  hebräische  "p'CiTi  (kasch-ak)  und  das 
griechische  ayanav  (ha-ga-pa-Xetv)  Sonnen-  oder  Berg- 
gott seyn.    Obgleich  das  deutsche  Wort  lieben  (  lin-ev-en) 

und  das  wendische  lubowacz)  (lun-buh-acz)  Mondgöttin- 
und  Mondgottseyn  bedeutet,  so  widerspricht  doch  dies 
keinesweges  der  Existenz  des  erwähnten  Glaubens  und 
bezeugt  nur,  dafs  schon  in  alten  Zeiten  bei  den  Deut- 
schen und  Slaven  der  Mondcultus  vor  dem  Sonnencultus 
vorgeherrscht  hat.  So  sehr  man  aber  im  Alterthume 
überzeugt  war,  dafs  der  Sonnengott  über  Alles  mit  Macht 
und  Weisheit  herrsche  und  dafs  er  alle  Menschen  mit 
Liebe  umfasse,  so  glaubten  einzelne  Völker,  dafs  ihr 
Sonnengott,  den  sie  gewöhnlich  auch  mit  einem  beson- 
deren Namen  benannten  (Bram,  Tor,  Mars,  Swantowit, 
Janus,  Saturn  etc.)  ihr  Herr,  ihr  Piegierer  und  Führer 
sey.  Nach  ihrem  Glauben  leitete  er  sie  auf  ihren  Zügen 
gegen  ihre  Feinde  und  auf  ihren  Wanderungen  aus  einer 
Gegend  in  die  andere.  Jeder  Sonnen-  oder  Berggott  be- 
stimmte die  Grenzen  seines  Landes  und  seines  ^Volks, 
und  wenn  Einzelne  seines  Volks  in  Handelsangelegenhei- 
ten zu  Lande  und  zu  Wasser  weite  Reisen  machten  ,  so 
führte  er  auch  diese  Theile  (Karavanen,  Kauffahrer)  des- 
selben. Selbst  die  Seelen  der  Dahingeschiedenen,  die 
unter  der  Leitung  des  Mondgestims  standen,  rief  er 
nach  der  dunklen  Todesnacht  zu  dem  Lichte  der  Aufer- 
stehung.    Obgleich  durch  seine    grofse  Kraft   nicht  nur 


die  Menschen,  sondern  auch  alle  Thiere  ihr  Leben  em- 
pfingen, so  würdigte  er  doch  nur  die  grofsen  Thiere  sei- 
ner Regierung,  und  insonderheit  waren  der  sich  zu  der 
Sonne  empor  schwingende  Adler,  das  edle  Streitrofs,  der 
muthige  Stier,  der  riesige  Elephant  und  der  königliche 
Leu  seine  Lieblinge,  in  deren  Bildern  er  noch  jetzt  zürn 
Theil  den  christlichen  Völkern  Europa's  ungekannt  vor- 
steht.  ^ 

Dem  als  Schöpfer  und  Weltregierer  so  wie  auch 
Völker- Führer  erscheinenden  Sonnengotte  stand  seine 
Geliebte  und  Gemahlin,  die  Mondgöttin,  als  treue  Freun- 
din und  Helferin  bei ,  und  wenn  der  in  weiter  Ferne  in 
hoher  Majestät  und  Herrlichkeit  thronende  Sonnengott 
sich  mehr  um  das  Ganze  kümmerte  (praetor  haud  cu- 
rat miniina ) ,  so  näherte  sich  die  Mondgüttin  mehr  den 
Sterblichen  und  sorgte  gleich  einer  guten  Mutter  für  das 
besondere  "Wohl  und  Heil  eines  jeden  Einzelnen.  Führte 
der  Sonnengott  die  kriegerischen  und  unternehmenden, 
sich  in  die  Ferne  wagenden  Männer,  so  stand  die  Mond- 
göttin besonders  dem  friedlichen ,  häuslichen ,  Thätigkeit 
und  Wirthschaftlichkeit  übenden  weiblichen  Geschlechto 
vor.  Während  ihr  Gemahl  sich  im  "Winter  aus  deiii 
Norden  nach  dem  Süden  entfernte,  um  auch  die  ent- 
fernten Völker  durch  seine  Macht  und  Liebe  zu  beglü- 
cken, hatte  sie  daheim  im  kalten  Norden  die  Regent- 
schaft und  übergab  ihm  im  Frühliiige  wieder  die  Regie- 
rung. Ihre  Herrschaft  offenbarte  sich  vielfältig  in  dem 
Leben  der  Menschen.  Bei  seiner  Geburt  förderte  sie 
den  Menschen  ans  Licht  des  Erdenlebens;    sie  sorgte  für 


5  Die  Symbole,  die  sich  auf  den  Kriegsfahnen  der  niehresten 
Völker  finden  und  unter  die  auch  der  Halbmond  der  Tür- 
ken (Tur-uken  — Tür-üken,  d.  h.  Menschen,  die  [früher] 
hohe  Gegenden  bewoluiten)  gehört,  stammen  aus  der  heid- 
nischen Zeit  her.  Der  lateinische  und  wendische  Name 
Turka  hat  eine  umgekehrte  männliche  Endung,  die  in  der 
regulären  Form  Tur-ak  so  wie  von  Persa  (der  Perser) 
Per-as  lauten  würde. 


—     8     — 

seiue  erste  Nahrvtng  durch  die  Mutterbrust.  Sie  entwi- 
ckelte in  dem  mannbaren  Jünglinge  und  in  dem  aufge- 
blühten Mädchen  die  Gefühle  und  die  Sehnsucht  der 
Liebe;  sie  kündigte  die  Hochzeitfeier  an,  ordnete  die 
Hochzeitgebräuche  und  gab  den  ehelich  Verbundenen  gute 
Regeln.  Durch  ilne  eigene  eheliche  Treue  munterte  sie 
die  Ehegattinnen  zur  Treue  gegen  ihre  Ehegatten  auf, 
bestrafte  buhlerische  Künste  und  lehrte  die  Mütter  die 
Mutterpflichten  gewissenhaft  üben.  So  wie  sie  für  die 
Hausfrauen  durch  ihre  Thätigkeit  und  durch  ihren  Fleifs 
ein  Vorbild  in  einem  jeden  Hause  war,  so  standen  auch 
in  einem  ganzen  Staate  die  Wissenschaften  und  Künste 
des  Friedens  unter  ihrer  Leitung  und  unter  ihrem  Schu- 
tze. Bei  nächtlicher  Weile  umschwebte  sie  den  stillen 
Aufenthaltsort  des  Denkers  und  des  Schriftstellers.  Sie 
erfand  die  Buchstabenschrift,  diese  wohlthätige  Erhalte- 
rin und  Verbreiterin  der  Gedanken  des  Weisen  und  des 
Menschenfreundes,  und  lehrte  die  Gesetzgeber,  dem 
Volke  heilsame  Gesetze  zu  geben,  Ueber  die  Aufrecht- 
haltung der  Landesgesetze  wachte  sie  und  bestrafte  die 
geheimen  Verletzungen  der  Menschenrechte  und  der  hei- 
ligen Vorschriften  der  moralischen  Gerechtigkeit.  Die 
durch  des  Pächters  Spruch  zur  Todesstrafe  Verurtheilten 
fielen  ilirem  Regimente  zu,  so  wie  die  in  der  mörderi- 
schen Feldschlacht  Getödteten.  Mit  mütterlicher  Sorg- 
falt wachte  sie  über  die  Gesundheit  der  Menschen.  Sie 
vvgrnte  die  Unvorsichtigen,  und  wenn  ein  Mensch  in 
eine  Krankheit  verfiel,  so  suchte  sie  ihn  durch  auf  dem 
Gebirge  gesuchte  Heilkräuter  so  wie  durch  andere  dem 
gewöhnlichen  Menschen  verborgene  Naturkräfte  wieder 
zur  Genesung  zu.  verhelfen.  Schon  im  Voraus  beklagte 
sie  das  Loos  der  Todtkranken  und  nahm  nach  ihrer 
Auflösung  ihre  Seelen  in  ihr  dunkles  Reich  auf.  So  wie 
sie  die  Hochzeitgebräuche  vorschrieb,  so  ordnete  sie  auch 
die  Gebräuche  bei  der  Bestattung  der  Verstorbenen.  Die 
Gläubigen  ermahnte  sie  der  Religion  der  Väter  treu  zu 
bleiben,  und  späterhin  wähnte  man,  ihr  die  Feinde  des 
Vaterlandes  und  der  vaterländischen   Religion   opfern   zu 


—     9     — 

müssen.  Waren  die  kurzsichtigen  Sterblichen  wegen  ih- 
res künftigen  Geschicks  besorgt  und  sehnten  sie  sich 
nach  einer  Andeutung  desselben,  so  war  es  vornämlich 
die  Mond-  oder  Berggöttin,  welche  ihnen  die  erfragte 
Auskunft  gab.  Wenn  der  Sonnen  -  oder  Berggott  den 
Menschen  eine  Providentia  generalis  war,  so  war  ihnen 
die  Mondgüitin  eine  Providentia  specialis  und  specialissi- 
ma.  Die  Mondgüttin  lehrte  auch  die  Menschen,  die  von 
dem  Sonnengotte  erzeugte  Nahrung  zu  suchen ;  sie  lehrte 
sie  den  Acker-  Garten-  und  Weinbau  50  wie  auch  die 
Benutzung  der  Hausthiere  und  der  Thiere  des  Waldes 
(Diana,  Dziwiza,  Dziwanna  etc.).  Gern  gönnte  sie  so 
wie  ihr  Gemahl  den  Menschen  den  Genufs  unschuldiger 
Freuden,  ja  der  schuldlose  Freudengenufs  war  ein  Theil 
der  ihr  angenehmen  Verehrung.  Mit  ihrer  Fürsorge  um- 
fafste  die  Berggöttin  auch  die  Thiere.  Sie  sorgte  für  die 
Nahrung  derselben,  bestimmte  die  Grenzen  der  weiden- 
den Heerden  und  sicherte  durch  unausbleibliche,  harte 
Strafen  den  Besitz  der  Weidegrenzen.  Unter  ihrem  be- 
sonderen Schutze  standen  die  jungen  Hausthiere  und  das 
Milchvieh,  und  in  manchen  Gegenden  repräsentirten  die 
späteren  Geschlechter  sie  selbst  durch  das  Bild  der  Kuh, 
in  welcher  Repräsentation  sie  ihnen  bekanntlich  ein  Sym- 
bol der  Mutter  der  Götter,  der  Menschen  und  der  Thiere 
war.  Unter  ihrem  Regimente  standen  auch  die  niederen 
Berge,  die  Hügel,  die  Laubwälder  (lucus),  die  Wiesen 
(li-uki),  die  Luge  (lacus),  die  Quellen  (Ku-hellen) 
die  Flüsse  und  Ströme  in  den  niederen  Gegenden  (Li- 
ubjo  d,  h.  die  Elbe  und  Lena  —  Len-aena  in  Sibirien) 
die  Perlen  (Mar-gar-ita  oder  isa,  Meer -Bergwesen), 
und  die  in  den  dunklen,  tiefen  Räumen  der  Berge  be^ 
findlichen  Erze, 

Es  läfst  sich  vermuthen,  dafs,  da  die  Glaubensleh-. 
ren  der  alten  Bergreligion  sich  durch  einen  gewissen  lo- 
gischen und  moralischen  Gehalt  vortheilhaft  auszeichne-. 
ten,  auch  die  Pflichtenlehre  dieser  Religion  nicht  ver- 
werflicher Natur  war,    sondern  dafs  sich  dieselben  eben- 


—     10     — 

falls  durch  ihre  Trefflichkeit  auszeichnete.  Von  der 
Trefflichkeit  der  alten  Bergreligion  verkündigen  uns  frei- 
lich auch  nicht  vollständige  Beschreibungen  derselben, 
wenn  man  emige  indische  Gesetzsammlungen,  welche 
aber  doch  auch  einer  späteren  Zeit  angehören,  nicht  als 
solche  gelten  läfst,  sondern  nur  einzelne  hie  und  da  auf- 
bewahrte schriftliche  Nachrichten  und  insonderheit  die 
löblichen  Sitten ,  die  bei  denjenigen  Völkern ,  welche 
am  längsten  der  alten  Bergreligion  treu  blieben,  sich 
erhalten  haben.  So  geben  uns  griechische  und  römische 
Schriftsteller  die  Nachricht:  dafs  in  fernem  Indien  die 
gerechtesten  (ÖLKaiozaToi)  Menschen  gewohnt  haben, 
und  dafs  Oberägypten  und  insbesondere  die  Abyssini- 
schen  Alpen,  auf  welchen  sich  noch  lange  Ueberreste 
der  uralten  Bergreligion  erhielten,  als  Unterägypten 
schon  dem  niederen  Fetischismus  huldigte,  der  Wohn- 
sitz hominum  justissimorum  gewesen  ist,  zu  welchen 
selbst  Jupiter  in  gewissen  Zeiträumen  reisen  mufste,  um 
von  ihnen  Gerechtigkeit  zu  leriien.  Indem  aber  die 
griechischen  Schriftsteller  die  Anhänger  der  alten  Bergre- 
ligion Sr/.OiLOTCiTss  nennen,  so  wollen  sie  dadurch  andeu- 
ten, dafs  sie  alles  Gute  und  Löbliche  treuer  übten,  als 
die  Verehrer  des  modernen  Fetischismus,  und  dafs  sie 
insonderheit  die  viel  umfassenden  Gesetze  der  Gerechtig- 
keit und  Humanität  heilig  hielten.  Auf  eine  edle  Mo- 
ral der  alten  Bergreligion  läfst  auch  die  Sage  der  alten 
Hu  gadarn  -  Religion  in  der  englischen  Provinz  Wales 
(Wal -es,  Bergland)  schliefsen,  in  welcher  (vergl.  Ge- 
schichte des  Heidenthums  von  Mone  II,  p.  491.)  heilst: 
„das  Volk,  welches  Hu  nach  Wales  gebracht,  war  einer 
„von  den  drei  guten  Stämmen,  weil  sein  Führer  das 
„Land  nicht  durch  Gewalt  und  Unterdrückung  besitzen 
,, wollte,  sondern  durch  Gerechtigkeit  und  Frieden.  Hu 
„war  auch  eme  von  den  Kräften,  die  der  Tyrannei  wi- 
„derstrebten,  weil  er  sein  Volk  von  Defrobani  brachte, 
„aus  dem  Lande  ewiger  Feindschaft.  Er  war  auch  ei- 
„iier  von  den  drei  Seegengebern,  weil  er  sein  Volk  den 
„Ackerbau  lehrte,     ferner    einer  von    den    drei    grofsen 


—    11    — 

„Werkmeistern,  weil  er  sein  Volk  in  gesellschaftliche 
„Ordnung  brachte.  Er  bestimmte  als  einer  von  den  drei 
„Meistern  des  Gesangs  die  Dichtkunst  zur  Bewahrerin  der 
„Wissenschaft  etc."  Von  dem  edlen  Charakter  der  Moral 
der  alten  Bergreligion  geben  auch  die  lobenswerthen  Sitten, 
die  sich  bis  in  spätere  Zeiten  bei  den  treuesten  Anhän- 
gern der  Sonnenreligion,  namentlich  bei  den  Slaven  und 
Germanen,  erhalten  haben,  Zeugnil's,  Insbesondere  spricht 
dafür  das,  was  uns  von  der  Achtung  der  Keuschheit,  der 
Heilighaltung  der  Gastfreundschaft,  der  Sicherheit  des 
Besitzes  des  Eigenthums,  der  Unterstützung  der  Unglück- 
lichen und  der  persönlichen  Sicherheit  eines  jeden  Ein- 
zelnen erzählt  wird.  Noch  gab  es  damals,  als  man  sich 
zu  dieser  Religion  bekannte,  nicht  Reiche  und  Mächti- 
ge, die  ihre  ärmeren  und  schwächeren  Mitmenschen  zu 
beklagenswerthen  Sklaven  machten.  Die  Saturnalien  der 
Römer  waren  ein  lieblicher  Nachhall  jener  besseren, 
längst  verschollenen  Zeit,  wo  noch  gleiche  Freiheit  und 
gleiches  Recht  alle  Sterblichen  beglückte,  und  wo  derje- 
nige, welcher  viel  erworben  hatte,  mit  demjenigen  sei- 
nen reichlichen  Besitz  brüderlich  theilte,  der  wenig  be- 
safs  und  zwar  weil  er  dies  dem  Gesetze  der  (moralischen) 
Gerechtigkeit  angemessen  fand. 

Die  vorstehend  angedeuteten  'Glaubens-  und  Pflich- 
tenlehren ^  bildeten  sich  indefs  nicht  gleich  anfangs  so 
vollständig  aus ,  sondern  diese  Ausbildung  geschah  zum 
Theil  in  einer  späteren  Zeitperiode.  Angenommen  kann 
indefs  werden,  dafs  das  Sublimere  und  Edlere  in  den 
Dogmen  'und  in  der  Moral  der  Sonnenreligion  sich 
schon  in  der  ersten  Periode  derselben  ausbildete  und  dafs 
sich   in  der  späteren  Zeit  mehreres   Verwerfliche   in   die 


6  Sie  sind  von  den  Schilderungen  der  einzelnen  Gottheiten, 
deren  Ideen  doch  sehr  alt  waren,  wenn  auch  ihre  Repräsen- 
tationen einer  späteren  Zeit  angehörten ,  abstrahirt. 


—     12     — 

Lehren  ihres  Glaubens  und  ihrer  Pflichten  einschlich. 
Hieher  gehört  vorzüglich  der  verderbliche,  obgleich  aus 
tiefer  Religiosität  entsprungene ,  Wahn :  dafs  man  der 
Gottheit,  um  sich  die  Gunst  derselben  zu  erwerben, 
selbst  Menschen,  und  oft  gerade  die  geliebtesten,  zum 
Opfer  bringen  müsse.  Tausende  von  Kindern,  welche 
den  Eltern  das  Theuerste  und  Liebste  waren,  bluteten 
durch  diesen  Wahn  neben  den  Thieren  der  Heerde  und 
des  Waldes  auf  den  Altären  der  Gottheiten,  die  anfäng- 
lich gar  keine  materiellen  Opfer  gefordert  zu  haben  schei- 
nen, und  die  sich  späterhin  nur  mit  den  Weihfrüchten 
der  Flur  und   des  Gartens  begnügten. 

In  der  Moral  walteten  zwar  auch  noch  späterhin 
die  guten  Elemente  der  msprünglichen  Bergreligion; 
aber  die  Gerechtigkeit  wurde  schon  nicht  mehr  so  voll- 
ständig geübt,  als  früher.  Zwar  war  die  Sklaverei  noch 
nicht  überall  herrschend,  oder  war  doch  nur  milder 
Art;  aber  die  Reichen  und  Mächtigen  scheuten  sich  doch 
nicht  die  Aermeren  und  Niederen  für  sich  arbeiten  zu 
lassen  und  sie  geringer  zu  achten,  als  sich  selbst.  Heilig 
gehalten  wurde  noch  die  Sicherheit  der  Fremden,  inson- 
derheit des  fremden  R.eisenden,  und  das  Recht  der  Gast- 
freundschaft, aber  die  Gerechtigkeit  gegen  Heimische  so 
wie  die  Sittenreinheit  und  Sitteneinfalt  verschwand  im- 
mer mehr,  und  vornämlich  fing  die  uralte  Feier  des  in- 
nigen (vermeintlichen)  Geschlechtsverhältnisses  der  Son- 
ne und  des  Mondes  als  Mann  u^nd  Frau  in  wilde,  schwel- 
gerische Bacchanalien  auszuarten.  Hart  bewies  man  sich 
insonderheit  gegen  die  gefangenen  Feinde,  welche  man 
zum  Theil  den  blutdürstigen  Göttern  opferte,  die  übrigen 
^ber  zu  harter  Sklavenarbeit  verdammte, 


—     13     — 

IV.     Aeufselre   Beschaffenheitj     oder  Cul- 
tus  der  Bergreligioil. 

iiis  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dafs  die  Verehrunor 
welche  die  Menschen  anfangs  der  Sonne  und  dem  Mon- 
de erwiesen,  eine  sehr  einfache,  zugleich  aber  eine  sehr 
lebendige  war.  Bei  dem  Aufgange  der  Sonne  begrüfsle 
man  den  himmlischen  Flerrscher  und  Wohlthäter  alltäg- 
lich, oder  doch  zu  gewissen  Zeiten,  nicht  hur  mit  den 
lebendigsten  Herzensgefühlen,  sondern  auch  mit  dem 
lautesten  Jauchzen.  Dieses  Jauchzen  ergofs  sich  in  hoch- 
tönende Preis-  und  Dank-Hyixmen  und  endigte  in  see- 
lenvollen Freudentänzen.  ^  Materielle  Opfer,  zum  min- 
desten nicht  blutige,  wurden  noch  nicht  dargebracht. 

"Wenn  die  Personen  des  männlichen  Geschlechts  sich 
verpflichtet  fühlten  j  am  Morgen  dem  Herrn  des  Tages 
ihre  Huldigungen  darzubringen,  so  stimmten  dagegen  die 
Personen  des  weiblichen  Geschlechts  am  Abend  ihre  Lob- 
lieder der  himmlischen  Frau  an^  und  nur  an  bestimm- 
ten, der  Sonne  und  dem  Monde  zugleich  geltenden  Fe- 
sten waren  die  Adorationen  beider  Geschlechter  coiri-' 
binirt. 

Je  mehr  sich  aber  in  der  Folgezeit  die  geistigen 
Kräfte  der  Menschen    ausbildeten   und  je   mehr   sich  diö 


7  Sein-  verschieden  war  späterhin  das  obscöne  Springen  der  rö- 
mischen Luperci  von  den  uralten  religiösen  Tänzen  dieser 
Priester,  und  wie  sehr  unterscheidet  sich  das  jetzige  Tan- 
zen der  indischen  Devadassi  oder  Devadaschi  vor  dem  Wa- 
gen des  Jagernat  von  den  uralten  religiösen  Tänzen  auf  den 
Anhöhen  und  Gebirgen  Hindostansi  Die  Menschen  sind  iil 
der  Folgezeit  in  religiöser  und  sittlicher  Hinsicht  gefallen, 
und  sie  sind  aus  dem  Zustande  der  Unschuld  in  den  der 
Verderl)theit  getreten.  Die  religiös  und  moralisch  gefallene 
Welt  bedurfte  im  hohen  Grade  der  radicalen  Reform  und 
Correction,  zu  welcher  die  ChristusreligioM  si&  zu  führen, 
von  dem  Allbarmherzigen   und  Heiligen  bestimmt  ist. 


—     14    — 

Bestrebungen  derselben  vervielfältigten,  desto  weniger 
begnügten  sie  sich  mit  dem  einfachen  und  wie  es  scheint 
ganz  idollosen ,  das  Herz  und  Gemüth  erhebenden  reli- 
giösen Cultus.  Getrieben  von  der  lebendigen  Sehnsucht, 
den  himmlischen  Herrschern  und  Wohlthätern  des  Tags 
und  der  Nacht  näher  zu  seyn,  zogen  sie  dieselben  zu- 
nächst gleichsam  zu  sich  und  zu  ihren  Wohnungen,  die 
anfangs  bei  der  sumpfigen  Beschaffenheit  der  Niederun- 
gen vorzüglich  Anhöhen  und  Berge  waren,  herab.  Aber 
erhaben  und  grandios  waren  die  ersten  Idole,  durch  wel- 
che sie  sich  die  Himmlischen  vergegenwärtigten.  Die 
von  dem  Sonnenglanze  schimmernden  Bergfelsen  und 
Felsensäulen,  die  man  gewöhnlich  mit  einem  schützen- 
den Walle  umgab,  machte  der  Glaube  des  Alterthums 
zu  der  Wohnung  und  Heimath  (dom,  dum,  syra,  sora, 
porich)  der  Berggottheit  (Sonne  und  Mond),  obgleich 
die  arae  beider  auch  oft  dergestalt  getrennt  waren,  dafs 
die  Wohnung  des  Sonnengotts  auf  dem  höheren  Theile 
des  Felsengebirgs ,  der  Mond  aber  auf  dem  niederen  ver- 
ehrt wurde").  Diese  Berggottheit  verehrte  man  nun  nicht 
mehr  durch  blofse  Herzensgefühle,  Lobgesänge  und  Freu- 
dentänze, sondern  auch  durch  materielle  Opfer.  Später- 
hin aber,  als  die  geistige  Cultur  der  Menschen  immer 
höher  stieg,  und  als  die  Combination  und  Industrie  der- 
selben zunahm ,  fingen  sie  ah ,  der  Sonne  und  auch 
dem  Monde  grofse,  Staunen  erregende  Felsentempel 
mit  ungeheuerer  Kraftanstrengung  und  mit  bewunderns- 
würdiger Geschicklichkeit  in  natürliche  Felsenberge  zu 
arbeiten.  Ueberreste  solcher  Felsentempel  sind  ohnstrei- 
lig  jene  den  ,  wahrscheinlich  aus  Indien  herstam- 
menden, Troglodyten  zugeschriebenen  Urternpel  Nu- 
biens,  Abyssiniens  und  Oberägyptens,  die  kräftige, 
hochreligiöse  Generationen  gewifs  dort  nicht,  wie  fälsch- 
lich behauptet  \vird ,  deshalb  errichteten ,  um  sich  ge- 
gen die  Sonnenglut  und  gegen  die  erstickenden  Süd- 
winde und  SandschoUen  der  Wüste  zu  sichern.  Ein  sol- 
cher   ßergtempel    war    ohnstreitig    ferner    das    bekannte 


15 


Labyrinth  (lan-bi-rin-ith,  Mondgöttingebäude)  auf  der 
Insel  Greta,  und  auch  auf  der  Insel  Sardinien  (Sar-din- 
ia,  Bergland)  und  Corsica  (cor-  oder  gar-asica,  klei- 
nes Bergland)  finden  sich  scheinbare  Ueberreste  von  ur- 
alten Bergtempeln.  Vornämlich  ist  die  ganze  Halbinsel 
von  Vorder -Indien,  mit  uralten  Tempeln,  die  in  Fel- 
sen gehauen  sind,  angefüllt,  so  weit  das  felsige  Ghaut- 
gebirge  reicht,  und  noch  lange  nicht  sind  sie  alle,  diese 
Wundergebäude,  erforscht.  Auf  der  kleinen  Insel  Ele- 
phante,  der  Stadt  Bombay  gegenüber,  ist  ein  grofser, 
in  Felsen  gehauener  Tempel,  nebst  vielen  Nebengemä- 
chern, der  120  Fufs  lang  und  breit  ist,  und  dessen 
Decke  auf  hohen,  aus  dem  Felsen  gehauenen  Säulen 
ruht.  Seine  Wände  sind  mit  Bildwerken  oder  Reliefs 
bedeckt,  die  so  erhaben  sind,  dafs  die  Figuren  fast  ganz 
hervortreten,  und  nur  mit  den  Rücken  am  Felsen  han- 
gen; welches  beweist,  dafs  sie  so  alt,  als  der  Tempel 
selbst  sind.  Auf  der  ohnfern  von  Elephante  liegenden 
kleinen  Insel  Salsette  (Salsen-ette,  waldiges  Bergland) 
ist  ein  hoher  Berg,  der  durchaus  ausgehöhlt  ist.  Der 
eine  darin  befindliche  Tempel  hat  34  Säulen,  und  zwei 
andere  haben  mehrere  Stockwerke  über  einander;  un- 
zählige Grotten  sind  um  sie  herum.  Merkwürdig  ist  es, 
dafs  sich  hier  auch  Inschriften  finden,  die  einer  ganz 
unbekannten  Sprache  angehören.  Noch  Staunenerregen- 
der sind  die  berühmten  Grotten  von  Ellore  (hei -höre, 
Mondstadt)  mitten  in  Indien,  in  den  Ghauteebirgen, 
und  namentlich  in  dem  Felsengebirge,  welches  ein  Huf- 
eisen bildet,  dessen  Enden  eine  halbe  Meile  von  einan- 
der liegen.  Grotten  an  Grotten  sind  in  diesem  Gebir- 
ge und  manche  haben  zwei  bis  drei  Stockwerke.  Der 
gröfste  dieser  Felsentempel  ist  so  grofs,  dafs  mehrere 
unsrer  Hauptkirchen  darin  Raum  fänden.  Wenn  es 
auch  eine  Uebertreibung  ist,  dafs,  wie  die  Braminen  versi- 
chern, diese  Wunderwerke  fast  8000  Jahre  alt  sind,  so  ha- 
ben sie  doch  unläugbar  ein  sehr  hohes  Alter,  so  wie  auch 
jene  Indien  eigenthümliche  Monumente  von  Mavalipuram 


—     16     — 

auf  der  Küste  von  Coromandel,  sechs  Stunden  südlich 
von  Madras.  Die  Felsen  sind  hier  von  oben  bis  unten 
zugehauen  und  haben  dadurch  die  sonderbarsten  Formen 
von  Thürmen,  Domen  und  dergleichen,  die  auch  zu 
Grotten  ausgehöhlt  sind,  erhalten.  Auf  einem  dieser 
Felsen  sieht  man  einen  ungeheueren  Sitz,  den  man  den 
Königsthron  nennt,  der  aber  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  nicht  der  Thron  eines  irdischen,  sondern  des  himm- 
lischen Herrschers,  des  Sonnen-  oder  Berggottes  war. 

In  diesen  grofsartigen  Tempeln  stellte  man  nun  schon 
Idole  der  Sonne  und  des  Mondes  unter  dem  Symbole 
des  Mannes  und  des  Weibes,  des  Stiers  und  der  Kuh 
dar,  und  brachte  ihnen  Früchte,  Thiere  und  später  so- 
gar Menschen  zum  Opfer.  In  und  neben  diesen  imagi- 
nären W^ohnsitzen  der  Sonnen-  und  Mondgottheit  schlu- 
gen nicht  nur  die  das  Volk  regierenden  Priester  und 
Priesterinnen ,  sondern  auch  späterhin ,  als  die  Theokra- 
tien  und  Hierarchien  aufhörten,  ^  die  Fürsten  und  Kö- 
nige ihre  Wohnungen  auf,  und  selig  wurde  ein  jeder 
gepriesen,  deiiin  der  Nähe,  oder  bei  dem  Gotte  oder 
der  Göttin  im  Leben  und  im  Tode  seyn  konnte.  Aus 
den  wunderbaren  Felsen- Domen  machten  die  Götter  den 
fragenden  kurzsichtigen  Sterblichen  ihren  Willen  und  das 
Zukünftige  durch  den  Mund  ihrer  Lieblinge  und  Diener, 


8  Theokratien  und  Hierarchien  scheinen  überall  den  militä- 
rischen und  bürgerlichen  Autokratien  vorangegangen  zu 
seyn.  Der  rohe  Mensch,  welcher  der  menschlichen  Aucto- 
rität  schwer  gehorcht,  unterwirft  sich  leichter  der  göttli- 
chen. Die  Hierarchien  wurden  gröfstentheils  für  die  Völ- 
ker wohlthätig.  In  manchen  Ländern  bestanden  die  Hie- 
rarchie und  die  weltliche  Herrschaft  lange  neben  einander. 
Wo  man  die  Macht  der  Hierarchie  zu  sehr  beschränkte  (z, 
B.  in  Griechenland),  da  verschwand  der  wohlthätige  Ein- 
flufs  der  Religion.,  und  es  entstand  ein  niederes  sinnliches 
Volksleben,  das  weder  die  Sätze  der  Philosophen,  noch  die 
Künste  der  Politik,  noch  die  Zauber  der  Aesthetik  zu  he- 
ben vermochten. 


-     17     — 

der  Priester,  kund,  vind  von  hier  aus  emanirten  im  Na- 
men der  Gottheit  die  Gesetze  für  das  Volk,  welches  die 
Wörter  vofiog,  '  lex,  Irr'n^n,  Sakon  (San-akon),  die  alle 
etwas  von  den  Bergen  Herstammendes  bedeuten,  bezeu- 
gen. Aber  nicht  überall  errichtete  man  solche  künstli- 
che Werke  zur  Wohnung  der,  nach  dem  damaligen 
Glaviben  in  den  Bergen  und  auf  den  Bergen  wohnenden 
Gottheiten,  wie  in  Indien,  wo  sich  die  Kräfte  des  Men- 
schen, begünstigt  durch  ein  glückliches  Klima  und  durch 
die  Fruchtbarkeit  des  Bodens,  frühzeitig  zu  einer  Be- 
wunderung erregenden  Höhe  entwickelten,  und  wo  die 
Civilisation  schon  im  fernem  Alterthume  eine  hohe  Stufe 
erreichte.  Lange  blieb  man  anderwtärts  bei  der  ersten 
Einfachheit  des  Sonnen-  und  Mond-Cultus.  Auf  Ber- 
gen und  Anhöhen ,  wo  die  Natur  Felsensäulen  und  Fel- 
senaltäre errichtet  hatte,  versammelten  sich  die  Familien 
einer  Gegend  des  Morgens  beim  Aufgange  der  Sonne, 
und  des  Abends  beim  Aufgange  des  Mondes,  und  brach- 
ten den  himmlischen  Wohlthätern  ihre  frommen  und 
dankbaren  Huldigungen  dar. 

Indefs  entfernte  man  sich  auch  in  späteren  Zeiten 
in  andern  Gegenden  von  dem  erwähnten  einfachen  Dien- 
ste der  Götter,  nachdem  man  auch  hier  den  Glauben 
recipirt  hatte,  dafs  die  Götter  in  den  Bergen  wohnten 
und  dafs  diese  selbst  Götter  wären.  Auch  anderwärts 
höhlte  man  bald  mehr,  bald  weniger  mit  Felsen  be- 
deckte Berge  aus  und  richtete  in  denselben  unterirdische 
Grotten  zu ,  aus  welchen  noch  in  späteren  Zeiten  den 
Fragenden  die  Götterantworten  ertönten.  Eine  solche 
grob  künstliche  Einrichtung  hatte  ohnstreitig  der  Berg 
Tomarus  bei  Dodona  oder  Budona  (beide  Namen  bedeu- 
ten eine  Bergstadt)  in  Epirus;  der  Bergfelsen  Zu  Cumä 
in  Campanien;  der  sogenannte  Frageberg   bei  Meschwitz 


9  ro/to's  und  lex  können  durch  Pi"oduct,  Werk,  Lehre  der 
Mondgottheit  ül)ersetzt  werden,  iTT^Tl  und  Sakon  aber  durch 
ein  ErzeuG;uirs  des  Sonnengotts. 

2 


—    Ib   — 

:n  der  Oberlausitz,  der  Hochstein  oder  Sibinnenstein  bei 
Elstra  mit  der  Sybillen-  oder  Sibinnenhöhle  ,  der  Kott- 
marsbers  bei  Lbbau  und  andere  Berge,  auf  welchen  eine 
Bers'sottheit  aufgestellt  war.  Wo  in  späteren  Zeiten  die 
Bersbewohntr  ihren  Aufenthalt  auf  den  unfruchtbaren 
Anhöhen  und  Bergen  aufgaben  und  sich  zum  grofsen 
Theile  in  die  niederen  fruchtbareren  Gegenden  begaben, 
behielten  sie  zwar  noch  das  Bild  des  Bergcultus  bei,  mo- 
dificirten  denselben  aber  auf  verschiedene  Weise.  Dies 
thaten  die  oberägyptischen  Bergbewohner,  welche  nach 
und  nach  die  niederen  Geg-enden  Aegyptens,  welche 
nach  H-erodots  Zeugnisse  ein  Geschenk  des  Nils  waren, 
in  Besitz  nahmen. 

Der  Anhänglichkeit  der  Bebauer  des  niedei-en  Theils 
von  Aegypten  an  die  Bergreligion  verdanken  wir  die  Kar- 
yatiden (gar -hin-atiden,  Nachbildungen  der  Berggott- 
heiten), die  Collosse  (col-osen,  Bergwesen,  Berggötter), 
die  berühmte  Memnoassäule  (Mem-non-as,  Repräsenta- 
tion der  Sonnen-  und  Mondgottheit),  der  grandiosen 
Stadt  Theben,  der  sogenannte  Pallast  von  Karnak  (gar- 
nan-ak,  in  der  Niederung  gelegener  Ort),  mit  der  zu  dem- 
selben führenden  Allee  von  Löwen  -  und  Widderköpfen 
(Bildern  der  Berggötter)  ihre  Entstehung.  Auch  die  Py- 
ramiden (bir-ham-iden,  Berggöttingebäude)  scheinen  ein 
Product  der  in  die  Ebene  verpflanzten  Glaubensideen 
der  alten  Bergreligion  zu  seyn  und  Aehnlichkeit  mit  den 
indischen  Monumenten  von  Mavalipuram  zu  haben.  Al- 
lem Vermuthen  nach  repräsentirten  diese  ägyptischen 
künstlichen  Fe'^enberge,  die  Pyramiden,  die  Berggott- 
heit, vorzüglich  den  weiblichen  Theil  derselben,  und  die 
mumisirten  Leichname  der  Verstorbenen  nahm ,  nach 
dem  alten  Glauben .  die  Mondgöttin  in  ihr  dunkles  Reich 
auf.  Als  Sphinx  ( vor  der  Pyramide  des  Chephrenes)  be- 
wachte diese  Göttin  die  Verstorbenen.  Nur  die  Macht 
religiöser  Ideen,  welche  in  dem  Mittelalter  den  Münster 
zu  Strasburg,  den  Elisabeththurra  zu  Breslau  und  den  Ste- 
phansthurm  in.  Wien  errichtete,  vermochte  die  ägyptischen 
Wunderbauwerke  nach  dem  Typus   der  wirklichen  Berg- 


—     19     — 

felsentempel  aufzuführen,  vorzüglich  da  dieselbe  hierar- 
chische Antriebe  und  fürstlicher  Wille  unterstützten.  Eine 
noch  frühere  Repräsentation  der  Berggottheit,  insonder- 
heit des  Sonnengotts,  waren  in  Aegypten  jene  Stein - 
riesen  die  Obelisken  (Hon-bel-isken,  kleine  ßerggotts- 
wesen ) ,  die  man  mühsam  in  den  Steinbrüchen  aus  den 
Felsen  losnieil'selte,  abglättete  und  noch  in  späteren  Zei- 
ten, als  Aegypten  schon  dem  Fetischismus  sich  ergeben 
hatte,  wie  die  Greife  und  Sphinxe  in  Skythien,  als  Sym- 
bole schützender  Gottheiten  vor  den  Pallästen  der  Gro- 
fsen  so  wie  vor  andern  wichtigen  Gebäuden  aufstellte. 
Als  man  in  der  Lausitz  den  Cultus  der  Bergreligion  in 
die  ebeneren  Gegenden  versetzte,  so  entstanden  daselbst 
die  noch  vorhandenen  Götterburgen  oder  Rodzischczen, '" 


10  In  dem  südlichen  Tlieile  der  Oberlausitz  finden  sich  meh- 
rere Rodzischczen  z.  B.  hei  Dobruschau  am  rechten  Spree- 
ufer, bei  Logau ,  Gröditz  u.  s.  w.  Die  Rundschanze  bei 
Möllendorf,  ohnweit  Finsterwalde,  nennen  die  dortigen  deut- 
schen Einwohner  Kratig,  welches  eine  Corruption  des  wen- 
dischen Diminutivs  Grodix  oder  Grodzik  d.  h.  das  Schlöfs- 
chen  (von  grod  das  Schlofs)  ist.  Von  den  ursprünglich  aum. 
religiösen  Behuf  schon  in  fernem  Alterthume  aufgeführten 
Grodzischczen,  oder  Rodzischczen  sind  die,  bald  höheren, 
bald  niedrigeren ,  oft  mehrere  Stunden  weit  sich  hinziehen- 
den Erdwälle,  wie  der  grofse  Römerwall  bei  Senftenberg, 
die  man  mit  einem  corrupten  Namen  Lanfter  (Landwehr- 
wälle, Grenzdämme)  nennt,  verschieden.  An  diesen  fin- 
den sich  auch  hie  und  da  Rundschanzen  z.  B.  bei  Dro- 
chow  und  Costebrau  ( die  sogenannten  römischen  Keller ), 
westlich  von  Senftenberg.  Auch  diese  Rundschanzen  waren 
nicht  etwa  militärische  Fortificationen,  sondern  auf  densel- 
ben waren  Götteridole  aufgestellt.  Bezeichnete  der  Erdvvali 
die  Landes  - ,  oder  die  Militärgrense  des  Landes ,  so  war 
auf  dem,  an  demselben  befindlichen,  Bodzischczo  ein  Son- 
nengott, oder  später  ein  Mondgott  (Flins,  Mercur  etc.  auf- 
gestellt. War  aber  der  Erdwall  nur  die  Begrenzung  eines 
Weidegebiets,  so  war  es  angemessen,  an  demselben  hie  und 
da  das  Idol  der,  die  Verletzung  der  Weidengrenzen  bestra- 
fenden, Göttin  Nemisa,  oder  der  Gottheit  Henilo^ufzustellen. 

0* 


—     20     — 

von  denen  manche  hoher,  andere  niedriger  sind,  deren 
Errichtung  aber  auch  Kraftanstrengungen,  obgleich  nichts© 
grofse  wie  die  Erbauung  der  ägyptischen  Pyramiden,  er- 
fordert hat.  Die  Wenden  nennen  diese,  meistens  runde 
und  länglich  runde ,  zum  Theil  ziemlich  hohe,  von  kräf- 
tigen Menschenhänden  aufgeworfene  Erdwälle  oder  Schan- 
zen Rodzischcza,  welches  grofse  Schlösser  bedeutet.  Die 
Deutschen  nennen  diese  rohen  Bauwerke,  in  deren  Wäl- 
len ■man  schon  Getreide,  Opfesgeräthe ,  grofse  Getreide- 
Reibsteine,  wohlriechende  Harze  und  dergleichen  gefun- 
den hat,  gemeiniglich  Schweden-  oder  Suevenschanzen. 
So  wenig  man  den  Namen  dieser  Bauwerke  von  den 
Schweden,  die  im  dreifsigjährigen  Kriege  in  der  Lausitz 
hie  und  da  in  Lägern  standen,  ableiten  darf,  eben  so 
wenig  geradezu  von  den  germanischen  Sueven,  deren 
Zweig  Völkerschaften  wohl  bis  hieher  reichten.  Der  Name 
Sueven  ist  von  dem  Namen  der  um  Christi  Geburt  hier 
wohnenden  Sueven  (Tacitus  nennt  sie  Suevorum  Sem- 
nones)  völlig  unabhängig,  und  bedeutet  Berg-  oder  Son- 
nen-Gebäude, Tempel. 

Die  spätere  Zeit,  welche  die  Bedeutung  der  Wörter 
der  Sprache  der  Bergi-eligion  (Ursprache)  nicht  mehr 
kannte,  glaubte  dem  Worte  Sueven  eben  so  noch  das 
W^ort  Schanzen  hinzufügen  zu  müssen ,  als  sie  den  alten 
Ortsnamen  das  Wort  Dorf  anhing  iind  aus  Herms  oder 
Her-men-es,  Hermsdorf,  aus  Gers  (ger-es)  Gersdorf, 
aus  Irgers  (hir-ger-asoderes)  Irgersdorf  u.  s.  w,  machte. 
Auf  den  genannten  Lausitzischen  Sueven  (sun-even  oder 
isen)  verehrte  man  wahrscheinlich  lange  vor  der  christli- 
chen Zeitrechnung  die  Sonne  und  den  Mond  ohne  Sym- 
bole und  später  durch  sehr  einfache  S}'mbole.  Später- 
hin, und  namentlich  in  der  Zeit  vor  der  Einführung  des 
Christenthums ,  wo  schon  auch  hier  der  Bilderdienst  nach 
dem  Vorgange  der  Griechen  und  Römer,  Platz  gegriffen 
hatte,  stellte  man  auf  den  Sueven  oder  Rodzischczen  das 
Bild  einer  männlichen  oder  weiblichen,  oder  einer  gy- 
nandrischen  Gottheit  auf,     und  übte  daselbst  den  vorge- 


—     21     — 

schriebonen  relij^iösen  Cultus.  Die  Rodzischczen  waren 
deiunach  in  der  Tliat  Göticrburgen,  Göttersitze,  die  Kir- 
che und  das  Emporium,  so  wie  der  Wallfahrtsort  der 
Umgegend.  So  wie  man  es  im  Alterthume  im  Leben  für 
eine  grofse  Auszeichnung  und  für  ein  hohes  Glück  hielt, 
der  Gottheit  sich  nähern  zu  dürfen  und  ihr  nahe  zu  seyn, 
so  wünschte  man  auch  nach  dem  Tode  bei  ihr  zu  ver- 
weilen. Daher  rührt  es,  dafs  man  in  der  Lausitz  in 
den  Rodzisczen  und  an  den  Rodzischczen  die  Marachen, 
(Mar-achen,  hohe  Plätze,  Todtenplätze)  oder  Begi-äbnils- 
stätten  findet,  und  dafs,  wie  schon  bemerkt,  die  Pyra- 
miden Aegyptens  mit  Mumien  angefüllt  sind.  In  der 
(späten)  Periode  des  Fetischismus  erbaute  man  den  Göt- 
tern hölzerne  und  steinerne  Tempel,  welche  unsern  Kir- 
chen ähnlich  waren.  Diese  Tempel  waren  in  den  Ge- 
genden, wo  die  Wissenschaften  und  Künste  blüheten, 
Producte  dieser  höhern  geistigen  Cultur,  mithin  ästhe- 
tisch und  prächtig;  in  andern  Gegenden  aber,  wo  die 
ästhetiche  Cultur  weniger  Fortschritte  geinacht  hatte,  min- 
der schön  und  herrlich.  Aesthetischer  und  herrlicher  wa- 
ren die  Tempel  der  griechischen  Hauptstädte  und  die  Tem- 
pel Roms,  als  die  Tempel  der  Slaven  vor  der  Einführung 
des  Christenthums  zu  Arkona ,  Retra  und  Juliura ,  vmd 
an  diesen  Orten  wieder  schöner  als  der  slarische  Tem- 
pel   in   der   Stadt    Jüterbog   ^^  so  wie  dieser  doch   noch 


11  Ein  ehemaliger  Diaconus  zu  Jüterbog,  Namens  Ambrosius 
Hanneniann,  giebt  in  seiner,  1617  gehaltenen  und  1619  in 
AVittenJjerg  gedruckten  Jubelpredigt  folgende  Nachricht  von 
diesem  Tempel.  Noch  jetzt,  berichtet  er,  findet  man  auf 
dem  Neumarkte  (zu  Jüterbog)  einen  runden  Hügel,  auf 
welchem  die  Bewohner  dieser  Vorstadt  nach  einer  alten  Sit- 
te, bei  feierlichen  Hochzeiten  Tänze  halten.  Dieser  Hügel 
(Rodzik)  trug  einst  einen  wendischen  Götzentempel.  Von 
einer  solchen  heidnischen  Entstehung  ösr  Stadt  hat  auch 
Anzeige  gegeben  das  uralte  Templein ,  welches  ohngefähr 
nur  vor  vierzig  und  etlichen  Jahren  ist  eingerissen  worden, 
darin  der  heidnische  Götzendienst   der   wendische)!  Morgen- 


—     22     — 

solider  war,   als  die  hölzernen  gottesdienstlichen  Gebäu- 
de in  Sarmatien. 


V.     Perioden   der  Bergreligion. 

In  dem  Vorgehenden  ist  schon  angedeutet  worden, 
dafs  es  mehr,  als  eine  Periode  der  Bergreligion  gegeben 
hat.  Mit  Grund  kann  man  zwei  Hauptperioden  der  Berg- 
religion annehmen,  nämlich  1.  die  Periode  der  "Vereh- 
rung der  Sonne  und  des  Mondes  ohne  Idole,  2.  die  Pe- 
riode des  Sonnen-  und  Mondcultus  mit  Idolen,  die  aber 
nur  in  Felsentempeln,  Felsensäulen,  Obelisken,  Colossen, 
Greifen,  Sphinxen  und  andern  grofsartigen  Symbolen  be- 
standen. Es  läfst  sich  durchaus  nicht  genau  bestimmen: 
wie  lange  eine  jede  dieser  Perioden  überhaupt,  und  wie 
lange  sie  in  einem  gewissen  Lande,  z.  B.  in  Babylonien, 
Arabien,  Aegypten,  Thracien,  Italien  u,  s.  w.  gedauert 
hat.     Höchst  wahrscheinlich  ist  es,  dafs  die  erste  Periode 


göttin  (?  vergl.  hinten  Propilaga  und  Jutry)  soll  gehalten 
worden  seyn.  Dies  Templein  ist  in  der  Länge,  Breite  und 
Höhe  bis  an  das  Dach  recht  viereckigt  von  Mauersteinen 
aufgeführt  gewesen,  hat  oben  ein  Kreuzgewölbe  und  darü- 
ber ein  viereckig  zugespitztes  Dach  gehabt,  Die  Thüre  oder 
Eingang  von  Abendwärts  ist  2iiedrig  gewesen ,  also,  dafs  man 
im  Eingehen  sich  etwas  bücken  müs.sen.  Es  hat  auch  keine 
Fenster  gehabt ,  sondern  nur  ein  rundes  Loch ,  mit  einem 
starken  eisernen  Gitter  verwahrt ,  gegen  Morgen  und  zwar 
genau  gegen  den  Sonnenaufgang  zur  Nachtgleiche,  so  grofs 
als  der  Boden  von  einer  Tonne  ohngefähr,  dafs  das  Licht 
hat  hinein  gehen  können.  Also  habe  ichs  von  mehreren 
Personen,  die  noch  am  Leben  sind,  beschreiben  hören.  (Aus 
einer,  1817  bei  Dieterici  in  Berlin  zum  Besten  einer  wieder- 
herzustellenden Kirche  in  Jüterbog  gedruckten  Broschüre: 
Tezels  Ablafskasten,  der  die  Glaubensreformation  erzeugte, 
an  seinem  Standorte  zu  Jüterbog  p.  1—4.) 


—     23     — 

der  Ber^^religion  in  Skythien,  Thracien,  Griechenland 
und  Italien  noch  fortdauerte,  als  Indien,  Bahylonien, 
Nubien  und  Aegypten  schon  in  die  zweite  getreten  wa- 
ren, so  wie  es  ausgemacht  ist,  dafs  in  Sarmatien  ^'  und 
Germanien  die  zweite  Periode  der  Bergreligion  noch  nicht 
vorüber  war,  als  Indien  und  Aegypten  schon  lange  der 
niederen  Idololatri  oder  dem  niedei-en  Fetischismus  hul- 
digten. Ohnstreitig  irrt  man  sirh,  wenn  man  behauptet: 
dafs  die  Jezidi  bei  Diarbekir  und  die  Schemsioh  bei 
Mardin,  diese  vmversöhnlichen  Feinde  der  Türken  in 
Kleinasien,  noch  die  Bergreligion  der  ersten  Periode  be- 
kennen. Sie  sollen  zwar  die  Sonne  und  den  Mond  durch 
Abnahme  der  Turbane  beim  Auf-  und  Niedergang  der 
Sonne  verehren;  aber  man  weifs  doch  nicht,  weil  sie 
keinem  Mohamedaner  und  Christen  den  Zutritt  in  ihre 
gebirgigen,  heimathlichen  Bezirke  gestatten,  ob  sie  nicht 
gewisse  Idole  der  Sonne  und  des  Mondes  haben.  Haben 
sie  keine  Idole  der  Sonne  und  des  Mondes,  so  ist  es  mir 
wahrscheinlich,     dafs  sie  zu   der   Anzahl  der  persischen 


12  Als  die  Bildnisse  der  drei  (späteren)  preufsisclien  Haupt- 
götter in  den  Blenden  des  dicken  Stammes  der  heiligen  Eiche 
an  der  Ramowe,  an  welcher  der  neue  (skandinavische)  re- 
ligiöse Cultus  errichtet  wurde,  aufgestellt  wurden,  so  wun- 
derten sich  die  alten  Landeseinwohner  darüber,  weil  sie  frü- 
her noch  kein  Bildnils  eines  Gottes  gesehen,  (neque  in  ul- 
lam  humani  oris  speciem  assimilare  ex  magnitudine  coe- 
lestium  arbitrantur  (f.  Tacitus  germ,  c.  IX.),  sondern  nur 
Sonne  und  Mond  angebetet  und  für  ihre  Götter  gehalten 
hatten.  Dies  erzählt  Lucas  David,  ein  Rath  des  Markgra- 
fen und  Herzogs  zu  Preufsen  Bd.  I.  p.  26.  rergl.  Johannes 
Voigt  Geschichte  Preufsens  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum 
Untergange  der  Herrschaft  des  deutschen  Ordens  L  Bd.  S. 
SSO.  —  Eine  ähnliche  Verwunderung  mochte  überall  ange- 
regt werden,  wo  die  Priester  die  (spätere)  Idololatrie  (Fe- 
tischismus) einführten.  Durch  die  Einführung  der  Götter- 
bilder in  mensclilicher  Gestalt  wurde  der  religiöse  Cultus 
mehr  als  früher  an  gewisse  Orte  (Rom-owen)  gleichsam 
gebunden. 


—     24     — 

Sabaer  gehören.  Die  Jezidi  sollen  Religionsschriften  ha- 
ben ;  aber  in  diesen  iliren  Schriften  soll-  kein  anderes 
gütUiches  Wesen  genannt  werden,  als  Scheitän  und  Eesa. 
Dem  Scheitän  (Satan)  erweisen  sie  gröfsere  Ehre,  erzählt 
Bughingham  in  der  Beschireibung  seiner  Reise  durch  Sy- 
rien und  Mesopotamien  (vergleiche  37.  Theil  der  Biblio- 
thek der  neuesten  Reisebeschreibungen)  als  dem  Eesa, 
und  übersetzt  Eesa  durch  Jesus.  Aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  verstehen  sie  aber  unter  Eesa  die  Henesa,  oder 
die  Berggöttin.  Sollte  ihnen  aber  in  der  That  Eesa  Je- 
sus seyn,  so  wäre  dies  ein  Beweis,  dafs  sie  sich  Jesurn 
als  einen  Mondgott  vorstellen,  der  nicht  derselben  hohen 
Ehre  würdig  sey,  als  der  alte  Berggott  Scheitän,  welchen 
die  Palästinenser  und  Phönizier  Satan  oder  Siton  (Sin- 
iton,  Berggottheit)  nannten.  Bekannt  ist  es,  dafs  die  Je- 
zidi dem  syrischen  Patriarchen,  der  in  einem,  ohnfern 
ilires  Gebiets  gelegenem,  Kloster  residirt,  ihre  Erhaltung 
verdanken.  Dieser  Patriarch  nahm  sie  nämlich  in  seinen 
Schutz ,  und  versicherte  ,  dafs  sie  zu  seiner  Glaubenspar- 
thei  gehörten,  als  der  Sultan  Murad  in  seiner  fanatischen 
Erbitterung  gegen  alle  Idolen-Verehrer  befahl,  die  Jezidi 
Scunmtlich  zu  tödten,  weil  sie  keine  Anhänger  des  Buchs 
d.  h.  weder  Christen  noch  Muhamedaner  waren.  Die  erste 
Periode  der  Bergreligion  repräsentirt  in  Italien  der  Gott 
Janus,  (Janas,  Berggott)  der  noch,  nach  der  Sage,  eine 
Zeit  lang  mit  dem  Saturn  zugleich  regierte  und  der  sich 
von  Menschenopfern  rein  erhielt,  während  Saturn  seine 
Kinder  (durch  Menschenopfer)  frafs.  Verrnuthlich  erhielt 
sich  die  idollose  und  Menschenopfer  verabscheuende  alte 
Bergreligion  noch  einige  Zeit  in  den  Gebirgsthälern  der 
Apenninen  (han-pen-inen)  und  der  Alpen  (Hal-apen) 
als  man  in  den  niederen  Gegenden  Italiens  schon  der 
späteren  Sonnenreligion  zugethan  war.  Wahrscheinlich 
ist  der  edle,  noch  von  den  späteren  Bewohnern  Italiens 
sehr  verehrte  Janus,  der  nach  einer  urahen  Sage  unter 
dem  Namen  Hercules  die  Alpen  überstieg  und  den  man 
späterhin  aus  Unkunde  der  Sprache  der  Bergreligion  den 


—     25     — 

Hercules  grajus  '^  nannte,  die  alte  Bergreligion,  die  emf 
dem  Landwege  aus  dem  Oriente  nach  Italien  kam,  und 
Pan,  (Buh-lian,  Berggott)  diejenige,  die  späterhin  aus 
Alrika  und  aus  dem  griechischen  Archipel  auf  dem  See- 
wege einwanderte.  Schrecken  verbreiteten  anfangs  die  sich 
zu  der  Pan -Religion  bekennenden  fremden  Colonisten 
unter  den  friedlichen  Einwohnern  Italiens.  So  wohl  Ja- 
nus  als  auch  Pan  waren  alte  Berggötter,  und  wohl  nur 
die  spätere  Zeit  stellte  sie  unter  Symbolen  dar.  Das  Sym^ 
hol,  itnter  welchem  man  den  Pan  repräsentirte,  war  der 
Bock,  welcher  eben  so  gut  das  zeugende  Prinzip  bedeu- 
tete, als  der  Apis  ^*  in  Aegypten.  War  Pan  wirklich 
ein  alter  Berggott,  so  haben  diejenigen,  die  ihm  später- 
hin, Geilheit  zuschrieben,  den  Charakter  des  fernen  Al- 
terthums  nicht  richtig  aufgefafst.  Sie  wähnten,  dafs,  weil 
späterhin  die  Feste  der  alten  Berggütter,  ßachanalien  ge- 
nannt, Veranlassungen  zu  zügellosen  Ausschweifungen  ge- 
worden waren,  dieses  von  jeher  so  gewesen  sey,  und  dafs 
man  von  Alters  her  hohe  religiöse  Freudengenüsse  mit 
niederen  Sinnengenüssen  verwechselt  habe.  Obgleich  die 
Römer  späterhin  den  Jupiter  als  obersten  Gott  verehrten, 
so  blieb  doch  der  alte  italische  Berggott  Janus,  den  man 
freilich  nur  einseitig  Kriegsgott  nannte,  ihr  Führer  wie 
den  Galliern  und  Germanen  Mars,  den  Scantinaviern 
Tor,  den  Wenden  Swantowit  u.  s.  w.  Bekanntlich  öffne- 
ten die  Römer  beim  Anfange  eines  Krieges,  wenn  das 
Volk  dem  Feinde  entgegen  ging,  seinen  Tempel  und 
schlössen  denselben  wieder,  wenn  sie  seiner  Anführung 
und  Leitung  nicht  mehr  bedurften.  An  der  Spitze  der 
Legionen   zog  Janus   in   dem  Sinnbilde   des  Adlers  dem 


13  Gi'ajus  ist  höchstwalirscheinlicli  durch  Corriiptioii  aus  ga- 
rus  oder  garas  d„  h.  Berggott,    Sonnengott  entstanden, 

14  Die  Endung  des  Worts  Apis  zeigt  eben  so  wie  die  des  Na- 
mens Jupiter  einen  Mondgott  an,  Apis  (liapis)  repräsentirte 
aber  einen  Sonnengott,  obgleich  sein  Name  (pis)  nur  einen 
Mondgott  andeutet. 


2Ö 


Kriegsheere  voran.  Will  man  dem  Janus  -and  dem  Pan 
eine  Göttin  zur  Seite  stellen,  so  mufs  es  eine  solche  seyn, 
an  deren  Keuschheit  die  spätere,  lascive,  unkeusche  Welt 
glaubte,  folglich  die  alte  Vesta  (Buh-esta,  oder  asa,  Berg- 
göttin) deren  Fackel  und  ewiges  Feuer  sie  als  eine  Nacht- 
gÖttin  charakterisiren ,  oder  die  jungfräuliche  Minerva, 
(Min-her-eva)  deren  Idee  gewifs  älter  Avar,  als  die  Idee 
des  modernen  Jupiters,  aus  dessen  Gehirne  sie,  nach  dem 
späteren  Mythus,  entsprossen  war. 

Die  zweite  Periode  der  Berg-  oder  Sonnen-  und 
Mond -Religion  dauerte  in  Italien  (hin-tal-ia,  Bergland) 
bis  zu  der  Zeit,  wo  der  Saturn -Cultus  durch  den  Jupi- 
ter-Fetischismus verdrängt,  oder  bis  Saturn  mit  einer 
Kette  fest  angebunden  wurde.  Es  blieben  jedoch  auch 
noch  in  der  Folgezeit  Reste  der  alten  Sonnen -Religion 
in  den  Gebirgen  übrig,  welche  uns  in  der  Erzählung  von 
den  Satyrn  und  von  dem  Silenus  begegnen.  Der  Name 
der  Satyrn  ist  aus  San,  der  Berg,  und  tyr  (tor)  entstan- 
den und  tyr  bedeutet  hier  Gott.  Die  halb  thierische  und 
halb  menschliche  Gestalt  der  Satyrn  erinnert  uns  an  die 
Gewohnheit  des  Alterthixms,  die  Götter  auch  durch  Thier- 
gestalten  zu  repräsentiren  und  an  das  Bestreben  der  spä- 
teren Zeit ,  die  beiden  Arten  der  Götterrepräsentationen, 
die  menschliche  und  die  thierische  zu  combiniren.  Nach 
der  Sage  war  der  ursprüngliche  Aufenthalt  der  Satyrn 
jenseits  des  Atlasgebirges  und  sie  sollen  dort  bei  Nacht 
d.  h.  beim  Aufgange  der  Sonne  und  des  Mondes  ein  star- 
kes Geräusch  mit  Trommeln  und  Cymbeln  gemacht  ha- 
lsen; welche  in  Italien  verbreitete  Sage  anzudeuten  scheint, 
dafs  sich  die  Sonnenreligion  am  Atlasgebirge  lange  erhielt 
vnd  dafs  die  Sonnenreligion  der  zweiten  Periode  von  der 
nordarricanischen  Küste  nach  Italien  kam.  Der  itali- 
sche Silenus  erscheint  zwar  in  der  Vorstellung  der  Rö- 
mer als  männliches  Wesen;  aber  nach  der  Etymologie 
des  Worts  ist  er  eine  alte  Mondgottheit.  Sein  Name  ist 
aaämlich  aus  Sin-len-us  entstanden  und  bedeutet,  wenn 
man  das   fälschlich  hinzugefügte    us   mit  es    oder  is  v&c- 


—     27     — - 

lauscht,  Bergmondgöttln.  So  wie  die  Sage,  dafs  Silenus 
den  Bachus  auf  seinen  Zügen  begleitet  habe  und  dafs 
die  Satyrn,  wenn  sie  ein  hohes  Alter  erreichten,  Sileni 
genannt  worden  waren,  für  das  hohe,  bis  in  die  erste 
Periode  der  Bergreligion  reichende  Alter  dieser  Gottheit 
zevigt,  so  deutet  die  Nachricht,  dafs  Silenus  der  Lehrer 
des  uralten  aus  Indien  stammenden  Bogus  oder  Bachus 
gewesen  und  auf  einem  Esel  geritten  sey,  seinen  weibli- 
chen Charakter  an.  Das  Lehren  war  nämlich  nach  den 
Vorstellungen  des  Alterthums  den  Berggöttinnen  eigen- 
thümlich,  und  diese  Göttinnen  ritten  auf  den  kleineren 
Lastthieren,  während  die,  die  Völker  vmd  dieKriegsschaaren 
führenden,  Sonnengötter  die  gröfseren,  muthigen  Rosse 
tummelten.  Die  Cybele,  welche  die  Römer  auf  den  Rath 
des  Orakels  zu  Delphi  und  der  Sybillinischen  Bücher 
aus  Phrygien  nach  Rom  holten  vmd  die  sie  späterhin 
Ops,  (hon-buis)  Rhea  (ren-ea)  und  magna  mater  Deüm 
nannten,  war  eine  Mondgöttin  aus  der  zweiten  Periode 
der  Bergreligion.  Ihre  kleinasiatisclie  Herkunft  deutet  schon 
ihr  Name  an,  welcher  aus  Gyn  oder  Zin  und  bele  (ca- 
cuminvTm  sive  montium  dea)  entstanden  ist. 

In  südlichem  Gallien  schlich  sich  die  spätere  Idolo- 
latrie,  oder  der  Fetischismus  früher  ein,  als  in  nördli- 
chem. Hier  dauerte  der  Sonnen-  und  Mond-Cultus  mit 
den  Menschenopfern  noch  zu  der  Zeit,  als  Julius  Cäsar 
die  Verwaltung  der  Provinz  Gallien  erhielt,  fort.  Unter 
den  gallischen  Gottheiten  hatte  einen  rein  männlichen 
Charakter  der  Mars.  Weiblicher  Natur  waren  Minerva 
und  Diana.  Androgynische  Gottheiten  der  Gallier  wa- 
ren Hercules  (Her-cu-len-es)  und  Apollo  ^^  (Han-bol-olo). 


15  Das  Wort  Apollo  ist  ein  sogenanntes  altes  Neutrum  und 
bedeutet  grofse  Berggottlieit  (Sonne  und  Mond).  Die  la- 
teinische Form  ist  rein  und  antik ;  die  griechische  ist  durch 
das  angehangene  (ov  verdorben  und  gehört  einer  späteren 
Zeit  an,  wo  man  sich  Apollo  nur  als  Mann  dachte.  Der 
Sonnencultus  unter  dem  Namen  Apollo  scheint  in  Griechen- 
land einem  früheren  unter  dem   Namen  Pytho  oder  Python 


—     28     — 

Die  Germanen  (Ger-man,  niederer  Berge  Bewolmer), 
und  Allemanen  (Hal-man-anen,  hoher  Berge  Bewohner), 
die  sich  jetzt  Teutschen  (Teu-aten  oder  atschen,  von  Ten 
oder  Den  der  Berg  und  atschen  oder  äsen)  nennen ,  wa- 
ren noch  dem  Sonnen-  und  Mond-Cultus  der  zweiten 
Periode  zugethan ,  als  Julius  Ciisar  seine  Legionen  zum 
ersten  Male  über  den  Rhein  führte.  Es  darf  uns  nicht 
wundern,  dafs  dieser  römishe  Feldherr  in  seiner  Beschrei- 
bung seines  gallischen  Feldzugs  die  germanishe  Religion 
mit  der  damaligen  römischen  verglich,  und  dafs  er  mit 
dem  deutschen  Mondgott,     den  italischen  Vulcan   '^  pa- 


(nacli  der  Fabel  eine  Schlange)  gefolgt  zu  seyn.  Der  weib- 
liche Theil  der  früheren  Gottheit  bestand  auch  noch  spä- 
terhin unter  dem  Namen  Pythia.  Dem  weiblichen  Theile 
einer  androgynischen  Gottheit  konnte  nur  die  Leitung  der 
Musen  zugeschrieben  werden,  und  diesem  war  auch  der 
Wachholder  und  der  wilde  Oelbaum  gelieiligt.  Den  männ- 
lichen Theil  repräsentirten  kämpfende  Wölfe,  schnelllaufen- 
de Hirsche,  himmelwärts  fliegende  Habichte  und  in  die 
Ferne  ziehende  Heuschrecken.  Dafs  die  Ableitung  des  Na» 
mens  Apollo  von  d7c6?.Xvfii  und  dnolvco  eben  so  wenig  als 
die  Ableitung  des  Namens  Sucßokov  von  öiaßdlXco  zulässig 
ist,  bedarf  keines  Beweises. 

16  Dem  Namen  nach  ist  Vulcan  (  vul  -  can)  ein  Sonnengott  und 
mit  dem  russischen  Polkan  gleichbedeutend.  Obgleich  die 
spätere  Zeit  sich  das  Feuer  unter  der  Herrschaft  des 
Mondgotts  dachte,  so  hatte  man  doch  in  Sicilien  und  Ita- 
lien auf  dem  "Wege  einer  religiösen  Anomalie  einen  al- 
ten Berg-  oder  Sennengott  deshalb  zum  Beherrscher  des 
Feuers  gemacht,  weil  auf  der  Spitze  eines  hohen  Berges, 
auf  welchem  er  verehrt  worden  war,  sich  Feuer  zeigte.  Fast 
möchte  man  vermuthen,  dafs  in  uralter  Zeit,  wo  Vulcan  als 
reiner  Sonnengott  auf  dem  Aetna  verehrt  wurde  ( erste  und 
zweite  Religionsperiode),  der  genannte  Berg  noch  nicht 
Feuer  spie,  und  dafs  erst  später,  als  der  Hauptort  seiner 
Verehrang  ein  Feuer  speiender  wurde,  man  dem  auf  der 
Insel  Sicilien  im  fernen  Alterthume  unter  dem  Namen  Vul- 
can verehrten  Sonnengott  zum  Beherrscher  des  Feuers  ano- 
ijiatisch  machte.  —  Das  lateinische  Wort  vulpes  hat  in  der 
ersten  Silbe  diesel})e  Wurzel,     die  uns  in  dem  Namen  Vul- 


-     29     — 

rallelisiitc.  Der  spätere  Tacitvis  spricht  von  einem  deut- 
schen Mercur  (Genn.  c.  IX.)  und  Mars,  weU;he  Namen 
beide  aUe,  Völker  führende  Sonnen-  und  Mond- Götter 
der  nördlichen  Liüider  bezeichnen.  Die  alte,  durch  ein  leich- 
tes Fahrzeug  repräsentirte  Mondgöttin  der  Deutschen  ver- 
gleicht Tacitus  (c.  IX.)  der  ägyptischen  Isis  und  hält 
die  Berggöttin  der  Naharvalen  (nin-har-valen,  niederer 
und  höherer  Berge  Bewohner,  oder  auch  Mond-  wnd 
Sonnen- Verehrer),  welche  Alcis  (hal-ci-is)  hiefs,  fälsch, 
lieh  für  den  Castor  und  Pollux.  Die  Alcis  war  nämlich 
eine  androgynische  Gottheit  so  wie  die  Gottheit,  die  er 
Hertum  nennt  und  die  wahrscheinlich  die,  später  am 
Harz  (har-as  oder  az )  vorkommende,  Gottheit  crodo 
d.  h.  grofse  Berggottheit  ist,  bei  welcher  jedoch,  wie  bei 
vielen  nordischen  Gottheiten,  das  Weibliche  vorherrschte. 
Das,  was  Tacitus  durch  die  Worte  (c.  IX.):  caeterum 
nee  cohibere  parietibus  deos,  neque  in  ullam  humani 
oris  speciem  assimilare  ex  magnitudine  coelestium  arbi- 
trantur,  andeutet,  bezeichnet  ganz  die  alte  hohe  Vor- 
stellung, welche  die  Germanen  von  ihren  Gottheiten  hat- 
ten. Ist  die  Nachricht  gegründet,  die  uns  Tacitus  (1.  1.) 
giebt:  lucos  ac  nemora  consecrant,  Deorumque  nomi- 
nibus  appellant  secretum  illud,  quod  sola  reverentia  vi- 
dent,     so  war  dies    doch   nur   eine   spätere  Nachahmung 


can  begegnet  und  es  bedeutet  ein  Bergtbier,  oder  einen 
Berghuud.  In  der  wendischen  Sprache  heifsf  der  Hund  pos 
oder  poes.  Dieselbe  Bedeutung  liat  auch  das  tzt]^  in  dem 
griechischen  Wort  dlcom^^.  Das  griechische  ist  jedoch  be- 
zeichnender, als  das  lateinische.  Ersteres  ist  aus  hal,  Ion 
und  pex  oder  pes  entstanden,  und  bezeichnet  ein  Sonnen- 
und  Mond-Thier  (Hund),  oder  ein  Thier,  oder  Hund,  der 
zugleicli  über  der  Erde  und  unter  der  Erde  lebt.  Das  deut- 
sche Wort  Fuchs  ist  weniger  bezeichnend  und  bedeutet  nur 
das ,  was  das  tt/jI  in  dlcönri^.  Das  p  und  f  stehen  auf  der 
Lautlinie  hart  neben  einander.  Das  wendische  Wort  Lischka 
(vulpes)  bedeutet  ein  unter  dem  Regimenre  des  Mondes 
(li)  stehendes,  oder  ein  viel  unter  der  Erde  lebendes  Thier. 


—     30     — 

der  alten  Bergreligion,  die  jetzt  mit  den  von  den  Ber- 
gen herabgestiegenen  Menschen  auch  in  die  Ebene  (in  lu- 
cos  ac  nemora)  gestiegen  war.  Es  scheint,  dafs  die  Ido- 
lolatrie  der  Pvüiner  und  Griechen  wegen  der  kurzen  Zeit, 
die  zwischen  der  Eroberung  eines  grofsen  Theils  des 
Landes,  der  Germanen  und  zwischen  dem  Vordringen  des 
Christenthums  an  die  südlichen  und  w'estlichen  Grenzen 
Deutschlands  verflols,  in  Germanien  nicht  völlig  Wurzel 
fassen  konnte,  und  zwar  um  so  weniger,  als  die  aus  dem 
Norden  nach  Westen  und  Süden  vordringenden  deutschen 
Völker  Anhänger  des  alten  Sonnen-  und  Mond-Cultus  oder 
doch  nur  an  eine  sehr  einfache  Idololatrie  gewöhnt  waren. 
Daher  hat  man  so  wenig  deutsche  ästhetische  Götterbilder 
aufgefunden,  und  die  Inxiensäule,  welche  Carl  der  Grofse  im 
Jahre  772  zerstörie,  war  eine  alte  Repräsentation  der  Mond- 
göttin. Bei  den  Völkern  des  slavischen  Stammes  erhielt  sich 
die  Sonnen-  und  Mond  -  Verehrung  der  zweiten  Periode 
noch  lange  nach  Christi  Geburt^  aber  später  griff  auch 
hier  der  niedere  Fetischismus  Platz,  obgleich  nicht  in 
allen  Gegenden  des  grofsen  Slavenlandes  im  gleichen 
Grade.  Von  allen  Seiten  drang  späterhin  der  Polytheis- 
rnus  in  Slavonien  ein;  von  Osten  aus  Indien  und  Sibi- 
rien (Jaga  Baba  der  Russen);  von  Süden  aus  Griechen- 
land und  Italien ;  von  Westen  aus  dem  römischen  Ger- 
manien und  Gallien  und  von  Norden  aus  Finnland  und 
Skandinavien.  So  wie  in  den  ersten  christlichen  Jahr- 
hunderten ^'  die  daheim  verfolgten  Häretiker,  die  Gno- 
stiker,  Arianer  und  Nestorianer  sich  in  den  Orient  flüch- 


Es  konnte  schon  die  frühe,  durch  den  Apostel  Bartholomäus 
bewirkte  Ausbreitung  des  Christenthums  im  glücklichen  Ara- 
bien, oder  bei  den  'IvSoig  ivöorcctoig,  die  von  jeher  mit  In- 
dien in  vielfachen^  vornämlieh  nierkantilischen,  Verbindun- 
gen standen,  auf  die  jetzige  Gestaltung  des  Budhaismus,  trotz 
allem  Widerstandes  des,  eine  niedere  Idololatrie,  furchtbare 
Hierarchie,  unerträgliche  Despotie  und  eine  unbegründete 
Wanderung  der  menschlichen  Seelen  in  thierische  Körper 
lehrenden,  Bramaismus,  einwirken.  Der  neue  Budhaismus 
scheint  hinsichtlich    seiner   äufseren   Tendenz   einige  Aehn- 


-     31     — 

teten  und  in  Persien,  Kabul,  Beluschistan,  Tibet,  China 
und  Indien  ein  neues  Vaterland  fanden  und  dadurch, 
dals  sie  dortige  Weise  mit  ihren  Philosophemen  bekannt 
machten,  einen  grofsen  Einflufs  auf  die  gegenwärtige, 
viele  christliche  Elemente  in  sich  fassende  Gestalt  des 
Budhaismus  gewannen ,  so  flüchteten  sich  auch  viele  an 
dem  Polytheismus  hartnäckig  hangenden  Individuen  aus 
denjenigen  Grenzländern ,  wo  das  Christenthum  herr- 
schend wurde,  nach  Slavonien,  verdarben  aber  dort  den 
alten  Sonnen-  und  Mond-Cultus,  ohne  ihn  jedoch  von 
den  Menschenopfern  zu  befreien.  Die  erwähnte  Corruption 
des  äufseren  slavischen  Religions-Cultus  durch  Einfüh- 
rung von  Idolen  in  Menschengestalt  vermochte  indels  die 
alten  Dogmen  und  die  Moral  dieser  Religion  nicht 
in  dem  Maafse  zu  verderben ,  wie  dies  in  Aegypten, 
Griechenland  und  Italien  der  Fall  gewesen  war  und  die 
slavische,  heidnische  Religionslehre  dient  uns  jetzt  noch 
zur  Führerin  bei  der  Auffassung  der  durch  die  vielfa- 
chen, ungereimten  Mythen  der  griechischen  und  römi- 
schen Dichter  und  Theologen  corrumpirten  alten  Reli- 
gions- Ideen.  Dafs  sich  in  der  slavischen  Religion  bei  al- 
ler Einschwärzung  des  auswärtigen  Polytheismus  doch  der 
Glaube  an  den  einen  Alles  schaffenden  und  über  Alles 
mächtig  herrschenden  Berggott  in  den  ersten  christlichen 
Jahrhunderten  erhielt,  bezeugt  die  Nachricht  des  Pro- 
copius  (de  hello  Goth.  lib.  III. )>  welcher  von  den  Sla- 
ven  meldet:  ^sov  nlv  yuQ  ?vo:,  rbv  rr^g  dßrQCiitiJg  dr]f.itovQy6v, 
arcccvTcSv  kvqiov  fiovov  dvzuv  voi^l^ovclv  itvat.  Und  dais  die 
Slaven  späterhin  bei  ihrem  Polytheismus  doch  den  alten 
Glauben  an  einen  höchsten  Gott  noch  nicht  verloren 
hatten,  versichert  uns  Heimelt  (I,  c.  83).  Dieser  be- 
richtet nämlich:  „die  Slaven  haben  tausenderlei  (?)  Gö- 
tzenbilder, viele  mit  zweien,  drei  und  mehreren  Kö 
pfen.  Für  Feld  und  Wald,  Trauer  und  Freude  ha- 
ben sie  Gottheiten,  aber  unter  dieser  ganzen  Menge 
bekennen    sie     Einen    Gott     im    Himmel ,       der    über 


lickkeit  mit  dem  Protestantismus ,   der  Bramismus  aber  mit 
dem  römischen  Katholicismus  nnd  Jesuitismus  zu  haben. 


32 


die  andeiii  gebietet.  Er  ist  allmächtig  (praepotens)  una 
bekümmert  sich  blos  um  das  Him.mlische,  die  übrigen 
Götter  haben  ihre  zugewiesenen  Geschäfte  und  stammen 
von  jenem  ab,  und  sind  desto  vorneinner,  je  näher  sie 
dem  Gott  der  Götter  verwandt  sind." 

Im  südlichen  Indien   verwandelte  sich   der   einfache 
und  erhabene  Sonnen-  und  Mond-Cultus  schon  frühzeitig 
in  niederen  Bilderdienst,    nicht  minder  auch  in  Arabien, 
jBabylonien,  Phönizien  und  Unterägypten.     Griechenland 
erhielt  seinen  späteren   religiösen    Cultus,     laut   der   Ge- 
schichte, aus  Phönizien  und  Unterägypten,  und  es  ist  ge- 
wifs,     dafs   die   niedere   Idololatrie   in   beiden  genannten 
Ländern  eingeführt  wurde,    als  Inachus  (1970  vor  Chri- 
stus) und  drei  Jahrhunderte  später  Cerops ,    Cadmus  und 
Danaus  den  niederen  Idolencultus  nach  Attika ,    Böotien 
und  Argolis   durch   ihre   Colonien  brachten  und  die  dor- 
tigen Einwohner  zwangen,    mit  ihren  unbekarmten  Göt- 
tern, wie  sie  Barthelemy  in  seiner  Reise  des  jungen  Ana- 
charsis  nennt,     sich  in  die  Gebirge  und   nach   Nordgrie- 
chenland, nach  Makedonien  (Man-ke-do-onia,  Gebirgs- 
iand)  und  Thrakien  (thor-akia  oder  asia,  gebirgiges  Land) 
zurück  zu  ziehen.     So  wie  in  neueren  Zeiten  Rom    und 
Italien  mit   seinem   judaisirten   und   ethnisirten  Christen- 
thume  viele  Gegenden  der  Welt  und  insonderheit  die  an- 
grenzenden Länder  Europa's  erfüllt  hat,  so  erfüllte  auch 
das  südliche  und  östliche  Indien  einst  seine ,  mit  ihm  in 
vielen  Verkehr  stehenden  Nachbarländer,  Arabien,  Baby- 
lonien,    Aegypten,   Phönizien  u.  s.  w.  mit  seinem  niede- 
ren Idolen-Cultus.     In  Persien  oder  Iran  (hir-an,  Nieder- 
land) abrogirte  man  den  alten  Sonnen-  und  Mond-Cul- 
tus, (har-rin-man,  Gottheit  hoher  und  niederer  Berge)  der 
jetzt  auch  hier  von  Idolen  nicht  mehr  frei  war,  und  der 
neue  Berggott  Ormudz  (hor-mun-uz)  setzte  sich  mit  sei- 
nen feineren  Religionssymbolen  mit  dem  alten  Berggott 
(Ariman^^)  sowie  mit  der  Idololatrie  der  östlichen,  nörd- 


18  Lautete  der   Name   wirklich   Ariman ,     so  ist  er   ohnstreitig 


—     33     — 

liehen  und  westlichen  Nachbarländer  in  Opposition,    mit 
dem  idullosen,    edlen  Jehovah-Cultus  in    Palästina    (Bai- 


aus ha,  i-i,  man  entstanden  und  bezeichnet  eine  Gottheit 
hoher  und  jiioderer  Berge,  oder  einen  Sonnen,  (ha,  har)  und 
Mond  (ri,  rin)  Gott  (man,  deus  ).  Ist  aher  das  i  hinter 
ar,  oder  har  ein  i  euphonisticum,  so  lautete  der  Name  ur- 
sprünglich Ar  man  (Harman)  d.  h,  Berggott,  Sonnengott. 
Höchst  wahrscheinlich  war  Harman,  die  Religion  der  zwei- 
ten Periode,  früher  durch  gnnz  Persieii,  Medien  und  Bac- 
trien  verbreitet,  wurde  aber  später  wegen  der  Menscheno- 
pfer, die  sie  lehrte,  und  aus  andern  unbekannten  Gründen 
in  Iran  d.  h.  Niederlande,  abrogirt.  Dagegen  erhielt  sie 
sich  in  Turan  (Tur-an)  oder  in  den  Hochländern  noch 
lange  darauf,  und  es  entstand  auch  hier  eine  ähnliche  Feind- 
schaft zwischen  den  Anhängern  der  alten  und  neuen  Reli- 
gion, oder,  wie  naan  sagte,  zwischen  dem  Gotte  des  Nie- 
derlandes und  des  Hochlandes ,  wie  zwischen  dem  böhmi- 
schen Ja^en  und  Quoz ,  zwischen  dem  lausitzi^chen  Flius 
und  Pohan  (Datan),  zwischen  Jupiter  und  Saturn,  zwischeu 
Osiris  (ho-sir-is  d.  h.  Mondgott)  und  Typhon  (di-phon, 
deus  montanus)  u,  s,  w.  Der  Naine  Ormuzd,  der  aus  hoi, 
und  muzd,  oder  wie  die  Wenden  noch  jetzt  sagen,  muz  d, 
h.  Mann ,  Gott  zusammengesetzt  und  mit  Harman  gleich- 
bedeutend ist,  bezeichnet  einen  reinen  Sonnengott,  obgleich 
sein  Symbol,  das  Feuer,  auf  einen  Mondgolt  hinweist,  der 
er  auch  war,  wenn  man  nicht  annehmen  will,  dafs  iti  Per- 
sien, Aegyplen  (Plita,  Buhda)  und  bei  den  aus  Aegypten 
ziehenden  Juden  (Feuersäule,  Rauchsäule  vergl,  Exod,  13, 
21.)  der  Sonnengott  durch  Feuer  repräsentirt  worden  wäre. 
Bei  aller  Verschiedenheit  der  Dogmen  und  des  Cultus  der 
Religion  des  Ormudz  und  des  Ariman  glaubten  doch  die 
Verehrer  des  Ersteren,  dafs  auch  die  Anhänger  des  Letzte- 
ren, wenn  Ariman  nach  einer  12,000jährigen  Bewohiiung 
der  Finsternifs  besiegt  seyn  würde,  mit  ihnen  zugleich  nach 
überstandener  Reinigung  durchs  Feuer,  zum  Genüsse  der 
Seligkeit  gelangen  würden.  Zoroaster  metaphysicirt  den 
Ariman  und  Ormudz  und  macht  zwei  einander  widerstre- 
bende Wesen  aus  ihnen ,  deren  Idee  wir  nicht  nur  einseitig 
in  der  metaphysischen,  sondern  auch  in  der  (altan)  physi- 
schen Form  des  slavischen  Bielbog  und  Zschornobog  finden. 
Uebef  den  Ariman  (Mond,  Finsternifs,  Nacht,  "Wiater» 
Tod,   Bosheit,     Unseligkeit)  und  ülber  den  Ormudi  (Soiuie, 


—     34     — 

astina  oder  asina)  aber  in  einige  Harmonie,  In  Mexico  ^^ 
und  Pei-u  bestand  der  Sonnen-  und  Mond-Cultus  der 
zweiten  Periode  noch,  als  die  Spanier  die  Reiche  des 
Montezuma  und  der  Inca's  eroberten. 


VI.  Verhältnifs  des  späteren  Fetischismus 
iu  der  Bergreligion  der  ersten  und 
zweiten  Periode. 

Uer  Fetischismus ,     oder  diejenige  Religion  der  späteren 
Zeit,  welche  die  Götter  und  Göttinnen  durch  künstliche 


Licht,  Tag,  Frühh'ng,  Leben,  Güte,  Seligkeit)  stellte  Zo- 
roaster  den  Urgott  (zeruane  akerene)  welcher  dem  indi- 
schen Para  brama  und  dem  „höchsten"  Cotte  in  Menüs  Ge- 
setzbuche ähnlich  ist.  Der  Einflufs  des  Zoroasterismus  auf 
die  spätere  jüdische  Theologie  ist  bekannt,  aber  noch  nicht 
genug  erwiesen  ist  der  frühere  wohlthätige  Eiuflufs  des  Mo- 
saismus  auf  den  Ersteren, 

19  Der  mexicanische  Sonnen-  und  Mond-Cultus  gestattete  auch 
Menschenopfer.  Es  hatte  sich  jedoch  in  dem  mexicanischen 
Reiche  unter  dem  Einflüsse  jenes  Cultus  ein  höheres  Leben 
entwickelt.  Von  dem  hölieren  Leben,  das  schon  lange  vor 
der  Eroberung  der  mexicanischen  Monarchie  durch  die 
Spanier  in  jenem  glücklichen  Lande  waltete,  zeugen  die 
Wunderbauwerke,  die  mit  den  ägyptischen  verglichen  wer- 
den können.  Die  Namen  der  alten  mexicanischen  Orte  ver- 
danken auch  ihre  Entstehung  der  alten  religiösen  An- 
schauungsweise der  Menschen.  —  Der  Wahn,  dafs  den  Gott- 
heiten die,  anfangs  als  Symbol  geltende,  Opferung  der 
Feinde  sehr  angenehm  sey,  verleitete  die  Menschen  hie  und 
da  zum  Verzehren  der  gefangenen  Feinde.  Die  Menschen- 
fresser scheuten  sich  nicht  zur  Zeit  der  Noth,  auch  ihre 
Weiber  aufzufressen. 


—     35     — 

Menschengestalten  reprasentirte  und  diese  Repräsentatio- 
nen so  behandeln  lehrte,  als  wenn  in  denselben  wirklich 
eine  Gottheit  wohnte,  war  eine  Folge  des  später  gesun- 
kenen Aufschwungs  der  religiösen  Phantasie  der  Men- 
schen so  wie  auch  ihres  späteren  gedrängten  Zusammen- 
wohnens  in  volkreichen  Städten,  in  welchen  ihnen  der 
frühere  hoch -lebendige  Sinn  für  die  Natur  und  ihre 
Wunder  verloren  ging  und  nur  durch  eine  kalte  Con- 
templation  der  Werke  menschlicher  Kunst  compensirt 
wurde.  Manche  haben  diese  Veränderung  in  der  reli- 
giösen Welt  für  einen  Fortschritt  zürn  Besserem  angese- 
hen ,  weil  seit  derselben  die  Götter  in  Menschengestalt 
erschienen  wären,  und  weil  den  Menschen  unter  den 
lebenden  Gestalten  die  des  Menschen  doch  am  meisten 
anspräche.  Eingestehen  mufs  man  aber  doch,  dals  die 
frühere  Bergreligion  durch  die  Grofsartigkeit  und  Erha- 
benheit ihrer  Götter -Repräsentationen  den  späteren  Fe- 
tischismus nicht  nur  übertraf,  sondern  dafs  der  ersteren 
auch  eine  bei  weitem  gröfsero  logische  Solidität  und  ein 
höherer  moralischer  Gehalt  eigen  war,  als  dem  letzteren. 
So  wie  sich  der  gesunde,  kräftige  Bergbewohner  von 
dem  kränkelnden,  entnervten  Städter  unterscheidet,  so 
unterschied  sich  die  Bergreligion  von  dem  späteren  Fe- 
tischismus. Dieser  war,  zum  Mindesten  bei  den  Grie- 
chen, ein  trauriges  Gemisch  vom  Alten  und  Neuen, 
Göttlichen   und  Menschlichen,  '^^     Vernunft  und  Unver- 


20  Diese  Verwirrung  entstand  vorzüglich  dann,  als  die  Hie- 
rarcliien  völlig  mit  dem  Staate  verschmolzen  und  diesem 
gleicli  einer  Magd  dienstbar  wurden.  Nachdem  die  un- 
selbstständigen  Priester  sich  zu  Schmeichlern  der  Fürsten 
erniedrigt  hatten,  vollendeten  die  Dichter  diese  Verwirrung 
um  so  leichter  als  das  Volk,  nach  Anweisung  der  alten  Re- 
ligion, die  Fürsten  als  Repräsentanten  des  die  Völker  zum 
Kampfe  führenden  Sonnengotts  zu  betrachten  gewohnt  war. 
Vornehmlich  verwandelten  schmeichelnde  Dichter  manche 
fürstliche  Repräsentanten  des  Sonnengotts,  nach  ihi-eni  Tode,  . 
in  Götter,  umgaben  ihre  Thaten  mit  dem  Nimbus  des  Wun- 

3* 


—     36     — 

nunft,  Sittlichkeit  und  Unsittlichkeit ,  Tugend  und  La- 
ster, moralischer  Stärke  und  Schwäche,  Versöhnlichkeit 
und  Rachsucht,  und  das  logisch-  und  moralisch  Halt- 
bare ,  das  er  besafs ,  verdankte  er  zum  gröfsten  Theile 
der  alten,  von  ihm  verkannten  und  verachteten  Bergre- 
ligion, deren  hohen  Thron  er  in  seiner  zwergartigen  Ge- 
stalt ,  wie  Jupiter  den  Thron  seines  Vaters  Saturnus  usur- 
patorisch eingenommen  hatte.  So  wie  in  seinen  Dogmen 
eine  traurige  Veränderung  waltete,  so  auch  insbesondere 
in  den  Genealogien  seiner  Götter,  weil  er,  irreligiös  wie 
er  war ,  Götter  und  Menschen ,  Religion  und  Politik  mit 
einander  verwechselte. 

Obgleich  es  nicht  geläugnet  werden  kann,  dafs  seine 
oft  ungereimten  Mythen  für  den  Dichter,  Bildhauer  und 
Maler  einigen  "Werth  haben,  so  beleidigen  sie  doch  oft 
den  Philosophen  und  sind  dem  Religiösen  ein  Gräuel. 
Insonderheit  entsteht  in  dem  Menschenfreunde,  der  das 
starre  Chaos  der  Religionslehre  des  späteren  ägyptischen, 
griechischen  und  römischen  Fetischismus  mit  Aufmerk* 
sarakeit  betrachtet  und  der  es  erwägt,  wie  sehr  dieser 
religiöse  Irrthura  des  moralischen  Impulses  entbehrte, 
hohe  Freude,  dafs  zur  rechten  Zeit  ein  Welterlöser  er- 
schien ,  durch  dessen  grofses  Erlösungswerk  das  morsche, 
fast  keine  Sicherheit  und  keinen  Trost  mehr  gewährende 
Gebäude  der  späteren  Mythologie  zerfiel,  und  dafs  in 
der  religiösen  Welt  eine  neue  Schöpfung  entstand,  deren 
Betrachtung  noch  jetzt  den  religiösen  Denker  mit  Be- 
wunderung erfüllt  und  zur  Anbetung  stimmt. 


devbaren,  und  das  gemeine  Volk,  welches  die  ursprüngliche 
Bedeutung  der  Idole  verloren  hatte,  betete  späterhin  die  un- 
gereimten Legenden  nach. 


—     37     — 

yil.      Entstehung     des     (metaphysischen) 
Dualismus  in  der  Religion. 

öchon  vom  Anfans;©  her  bestand,  wie  bereits  a-ngedeutet 
worden  ist,  in  der  Religion  ein  natürlicher  Dualismus. 
Man  verehrte  die  Sonne  und  den  Mond,  und  obgleich 
man  diese  beiden  öfters  zu  einer  Gottheit  combinirte,  so 
trennte  man  dieselben  doch  auch  eben  so  oft.  Aber  die- 
ser natürliche  Dualismus,  der  sich  vornehmlich  in  den 
Symbolen  des  Mannes  und  der  Frau  darstellte,  bestand 
nicht  aus  zwei  einander  feindselig  gegenüber  stehen- 
den Einzelheiten,  sondern  er  war  das  Bild  der  in- 
nigsten Verbindung  zweier  zwar  specifisch,  aber  nicht 
generisch  verschiedenen  Wesen;  das  Bündnifs  des  Gat- 
ten und  der  Gattin ,  die  treufleifsig  die  grofse  Weltöco- 
nomie  gemeinschaftlich  besorgten.  Wie  Berg  und  Thal 
sich  allmählig  verbinden  und  wie  Tag  und  Nacht  mit- 
telst der  Abend-  und  Morgendämmerung  freundlich  mit 
einander  verschmelzen,  so  verschmolz  auch  der  ursprüng- 
liche Religions- Dualismus  in  einander.  Die  uralte  Re- 
ligion gab  demnach  den  Menschen  wenig  Veranlassung 
zu  der  späteren  Bildung  eines  metaphysischen  Dualismus 
in  der  Religion.  Dieser  entstand  durch  die  in  der  mensch- 
lichen Natur  enthaltenen  Bedingungen  so  wie  durch  den 
Impuls  historischer  Ereignisse.  Das  immerwährende  Stre- 
ben des  Menschen  nach  Veränderung  und  Verbesserung 
erfaTste  nämlich  auch  im  Laufe  der  Jalrrhunderte  mehr 
als  einmal  die  Religion,  diesen  ewigen  Gegenstand  mensch- 
lichen Interesses.  Denkende  Männer  machten  andere 
Religions -Vorstellungen  geltend  und  führten  neuen  Re- 
ligions -  Cultus  ein,  zu  dem  sich  bald  viele  wandten.  An- 
dere hielten  dagegen  an  dem  Alten  fest  und  veriheidig- 
ten  oft  mit  nicht  minderem  Eifer  und  Aufopferung  das 
Alte,  als  die  Reformatoren  und  Proselyten  das  Neue. 
Auf  diese  Weise  entstanden  zwischen  den  Anhängern  des 
Alten  und  zwischen    den  Bekennern   des  Neuen  Streitig- 


—     38     — 

keiten,  Zwiste  und  offenbare  Kämpfe,  die  man,  weil  sie 
verschiedene  Religionsmeinungen  veranlafsten,  Religions- 
kriege genannt  hat.  Das  aber,  was  die  Menschen  in 
diesem  Falle  thaten,  schrieb  man  den  Göttern  zu  und 
machte  sie  zu  Urhebern  der  diesfallsigen  menschlichen 
Ansichten,  Bestrebungen  und  Werke.  Alte  und  neue 
Götter  liefs  jetzt  der  Irrglaube  einander  feindselig  gegen- 
über treten  und  je  gröfser  und  hartnäckiger  der  Wider- 
stand war,  den  die  alte  Religion  der  neuen  leistete,  und 
je  vollkommener  der  Sieg  war,  den  die  letztere  über  die 
erstere  errang,  desto  böser  liefs  die  Siegerin  die'  mit 
Mühe  überwundenen  alten  Götter  erscheinen.  Obgleich 
man  in  manchen  Ländern  die  Entstehung  dieses  Dualis- 
mus ziemlich  bestimmt  nachweisen  kann ,  so  kann  doch 
nicht  überall  die  Zeit  des  Ursprungs  desselben  genau  an- 
gegeben werden.  In  manchen  Gegenden  entstanden  schon 
zwischen  den  ßekeniiern  der  Bergreligion  der  ersten  und 
zweiten  Periode  heftige  Streitigkeiten.  Wo  sich  aber 
die  Götter  dieser  Perioden  tolerirten  (Saturnus  herrschte 
mit  dem  Janus  gemeinschaftlich),  da  entstand  doch  ge- 
.  wifs  späterhin  ein  Kampf  zwischen  den  Göttern  der  zwei- 
ten Periode  der  Bergreligion  und  zwischen  dem  niede- 
ren Fetischismus  (Jupiter   vertrieb  seinen  Vater  Saturn). 

Spuren  des  in  Rede  stehenden  Dualismus  finden  wir 
in  Aegypten  in  Osiris  und  Typhon  (Tin-fo-on);  in 
Griechenland  in  Zeus  vmd  in  den  Titanen,  so  wie  in 
den  Giganten  (Ki-gan-aten,  Bergbewohner);  in  Italien 
in  Jupiter  und  Saturn;  in  Persien  in  Ormudz  und  Ari- 
man;  in  Rufsland  in  Perun  und  Wolos;  in  Böhmen  in 
Jasen  und  Quoschcz;  in  der  späteren  Idee  des  Bielbog 
und  Tschernebog  bei  den  Wenden  u.  s.  w. 

So  verderblich  aber  auch  die  späteren  Religionszwi- 
ste  auf  die  Herzensgefühle  der  Völker  einwirkten  und 
so  sehr  sie  auch  die  Ruhe  und  den  Frieden  derselben 
störten,  so  waren  sie  doch  auch  nicht  ohne  Nutzen. 
Durch  sie  wurden  nämlich  die  hartnäckig  an  dem  Alten 


—     39     — 

hangenden  Volkslheile,  vorzüglich  in  stark  bevölkerten 
Gegenden,  genöthigt,  in  andere  Länder  auszuwandern, 
dortige  Wüsteneien  anzubauen  und  andern,  noch  uncul- 
tivirten  Volkern  die  höhere  Bildung  ihres  Landes  zuzu- 
führen. Solche ,  aus  Indien  kommende  Refugies  iriögen 
einst  die  Gefilde  von  Mittel  -  Rufsland  und  Polen  bevöl- 
kert haben.  Flüchtlinge  dieser  Art  waren  ohnstreitig  auch 
die  Bekenn  er  der  Hu  gadarn- Religion,  die  aus  Defroba- 
ni,  dem  Lande  ewiger  Feindschaft,  nach  Wales  in  Eng- 
land zogen. 

Obgleich  aber  die  entstandenen  Religionsstreitigkei- 
ten und  Religionskriege  in  manchen  Gegenden  gezwun- 
gene Auswanderungen  der  besiegten  Glaubenspartheien 
veranlafsten ,  so  blieben  doch  auch  nicht  selten  solche 
Glaubenspartheien  in  ihrem  Lande,  nur  mufsten  sie  sich 
in  die  Bollwerke  der  religiösen, und  politischen  Freiheit, 
in  die  Gebirge  zurückziehen.  Von  hier  aus  setzten  sie 
aber  den  Kampf  mit  den  Bekennern  der  modernen  Re- 
ligion fort,  und  deshalb  wurden  in  späterer  Zeit  die  Na- 
men Gebirgsbewohner  und  Feind  Synonyma.  Dies  be- 
zeugt das  hebräische  "nir  (hanar),  das  griechische  ix^Qos, 
welches  aus  hech  oder  hoch  und  tor-as  zusammengesetzt 
ist  und  einen  Menschen  bezeichnet,  der  auf  hohen  Ber- 
gen wohnt.  Traurig  war  gewöhnlich  das  Geschick  der- 
jenigen Anhänger  der  alten  Religion,  die  von  den  Be- 
kennern eines  neuen  Glaubens  durch  Waffengewalt  be- 
siegt und  unterworfen  wurden.  Man  wähnte  ihnen  keine 
Rechte  schuldig  zu  seyn,  denn  sie  hatten  es  ja  gewagt, 
sich  nicht  nur  den  Siegern ,  sondern  auch  den  Göttern 
der  Sieger  zu  widersetzen.  Indessen  war  das  Schicksal 
der  überwundenen  Andersgläubigen  nicht  überall  so  be- 
klagenswerth ,  wie  das  der  Parias  in  Indien,  der  Heloten 
(hel-oten,  Bergbewohner,  Sonnenverehrer)  in  Sparta 
und  in  der  neueren  Zeit  in  mehrfacher  Hinsicht  der 
Wenden  in  der  Lausitz  bis  zum  menschenfreundlichen 
Separations-  (Emanci'pations-)  Edicte  vom  2.  Juni  1821 
Friedrich    Wilhelm    des   Dritten.     In  Italien   namentlich 


—     40     — 

duldete  der  neue  Jupiter -Fetischismus  die  uralte  Son- 
nen- und  Mondreligion  (Pan)  als  eine  religio  pagana 
und  sylvestris ,  und  gröfstentheils  geschah  dasselbe  auch 
im  Slavenlande.  Diejenigen  Völker,  welche  mit  den  Be- 
kennern  einer  andern  Religion  langwierige  Kriege  führ- 
ten, gebrauchten  nicht  selten  die  Namen  der  Götter,  de- 
ren Religion  und  Cultus  sie  bekämpften,  als  Schimpfna- 
men. Merkwürdig  ist  es,  dafs  die  Deutschen,  welche 
die  Idololatrie  ihres  eigenen  Volks  so  wie  vorzüglich 
die  Idololatrie  der  Slaven  und  Litthauer  in  langwierigen 
Kriegen  an  der  Saale,  Elbe,  Oder,  Weichsel,  Pregel 
und  Niemen  bekämpften  und  diese  ruhigen  Völker  bis 
zur  höchsten  Erbitterung  und  fürchterlicher  Rache  trie- 
ben ,  so  viele  Schimpfnamen  haben ,  die  früher  Berg-, 
oder  Sonnen-  und  Mondgoltheiten  bezeichneten.  Dies 
sind  die  Namen  Rüpel  ^^  (rin-pel),  Rempel  (rem-pel), 
Runks  (run-ak-as),  Schlunks  ( Schlunk  -  as ) ,  Racker, 
(ran-ak-er)  und  Lunks  (lun-ak-as,   Mondgott). 

Es  liegt  am  Tage,  dafs  diese  Namen  nicht  sowohl 
die  heidnischen  Götter,  deren  Religion  die  christlichen 
Deutschen  bekämpften,  bezeichnen,  sondern  vielmehr  die 
hartnäckigen  Anhänger  derselben,  insonderheit  ihre  Prie- 
ster, welche  vorzüglich  der  Einführung  des  Christenthums 
vielfachen  Widerstand  leisteten.  Unter  den  letztgenann- 
ten Widersachern  der  Einführung  der  christlichen  Reli- 
gion mochten  sich  vor  allen  die  verschmitzten,  gelehr- 
ten,    feinen,     in    weiblicher   Kleidung  erscheinenden  '" 


21  Rüpel  (bei)  und  Rempel  sind  Mondgötter,  oder  Mondprie- 
ster, £0  wie  auch  Racker,  Runks  und  Schlunks,  bedeutet 
einen  Sonnengott,  oder  vielmehr  einen  groben,  aber  tapfer 
für  seinen  Gott  (Schlonz,  Sswouzo,  die  Sonne)  kämpfenden 
Priester, 

22  Wahrscheinlich  recipirten  die  Wenden  Vieles  von  den  äu» 
fseren  Formen  des  religiösen  Cultus  der  Germanen ,  wenn 
nicht  schon  früher  dieselben  Religionsideen  dieselben  For- 
jnen  erzeugt  hatten. 


—     41     — 

(vergl.  Tacilus  Gevm.XLIII.)  Pnester  der  Mondgöttin,  oder 
des  Mondgolts  die  Erbitterung  der  deutschen  christlichen  Be- 
kiünpier  des  I leiden! hums  zuziehen.  Daher  scheint  es  zu 
rühren,  dal's  in  der  deutschen  Sprache  der  Name  llal- 
lunk  ^^  (hal-lun-ak,  Priester  des  Mondgotts)  einen  In- 
besriff  von  sittlicher  Schlechtheit,  raffinirter  Bosheit  und 
schändlicher  Treulosigkeit  bezeichnet.  Es  waren  auch 
die  verschmitzten,  jesuitischen  Mondpriester,  welche  die 
Wenden  in  ihrem  mchrhundert jährigen  Kampfe  gegen 
die  Deutschen  leiteten,     die  Operationsplane   der   Letzte- 


23  Knautli  leitet  Hallunk   von   dem    wendischen  Worte  Hola  d. 
h.  die  Heidegegend ,  Waldgegend  ab.    Viele  haben  ihm  dies 
nachgeschrieben.  Der  Heidebewohner  heifst  jedoch  im  Wen- 
dischen Holan  und  das  Diminutiv  lautet  Holank,  nicht  aber 
Hallunk.       Die    Holaiiken    (vergl.   Knauths   Geschichte    der 
Herrschaft  Penzig  in  Kreisigs  diplomatischen  Beiträgen  Th. 
IV.  p.  347),  die  alle  Nächte  auf  dem  Schlosse  Penzig  Waclie 
hielten,  waren  ohnstreitig  Bauern  aus  der  Klitschdorfer  luid 
Görlitzer  Heide,    die  bis  ins  15te  Jahrhundert  zu  der  Herr- 
schaft  Penzig   gehörte.     Diese   Wächter  waren    aber  gewifs, 
wenn  auch  der   Schreiber   einer   Urkunde   ihren   Namen   in 
Holunken  verwandelte,  weder  ihrem  Stande,  noch  dem  Gra- 
de ihrer  geistigen  Bildung  nach,  Halluuken.  Wenn  auch  die  We- 
gelagerer im  liten  und  15ten  Jahrhunderte  in  Heidegegenden 
vorzüglich  ihr  Wesen  trieben,  so  doch  nicht  minder  im  Ge- 
birge.    Das   Wort   Hallunk ,     das    durch    ganz  Deutschland 
verbreitet  ist,  verdankt  gewifs  nicht  seine  Entstehung  einer 
noch  nicht  erwiesenen   zufälligen  Ursache"  in    der   Görlitzer 
Gegend  und  hat  ohnstreitig  eine  andere  Bedeutung,     als  die 
eines  verachteten    (dies  deutet  hier  das  Diminutiv  an)  Hfi- 
debauers  oder  Holank,    Behauptete  indefs  ein  Anderer,  dafs 
Hallunk  so  viel  heifst,  als  paganus,   so  kann  man  ihm  dies 
eher  zugeben,   weil  derjenige,    der  dies  behauptet,   eingeste- 
hen mufs,     dafs   es  vorzüglich  die   Priester  (Mondpriester) 
waren,  welche  die  Heide-  oder  Waldbewohner  von  der  An- 
nahme des  Christenthums   abhielten.     Aber    auch   diese   Be- 
hauptung ist  unstatthaft,     weil   das  Wort   Hallunk  von  den 
Wenden   viel  seltener   gebraucht   wird,     als  von   den  Deut- 
schen, und  weil  die  Wenden  das  in  Rede  stehende  Wort  nie 
zur  Bezeichnung  eines  paganus  (Heiden)  gebrauchen,    son- 
dern stets  durch  Pohan   und  Tatan  andeuten. 


—     42     — 

ren  oft  vereitelten,  und  welche  die  Slaven,  wenn  sie 
gezwungen  worden  waren,  sich  den  Deutschen  zu  unter- 
werfen, überredeten,  dafs  sie  nicht  nur  nicht  verpflich- 
tet wären,  die  erzwungenen  Tractate  zu  halten,  sondern 
dafs  sie  sich  vielmehr  das  Wohlgefallen  ihrer  Gottheiten 
durch  Grausamkeit  gegen  die  Christen,  diese  habsüchti- 
gen Feinde  ihrer  Nationalreligion  und  Nationalfreiheit, 
erwürben.  Diese  Priester  waren  es  ohne  Zweifel ,  von 
welchen  der  Erzbischof  Adelgott  von  Magdeburg  in  ei- 
nem Sendschreiben  berichtet:  dafs  sie  (vermuthlich  in 
der  stark  bevestigten  wendischen  Stadt  Jüterbog,  die  der 
Erzbischof  Wichmann  ums  Jahr  1170  durch  Capitulation 
erhielt,)  oft  ausgerufen  hätten:  ,, Kopfe  will  unser  Gott 
„Propilaga  haben ;  solche  Opfer  mufs  man  ihm  bringen !" 
Bekannt  ist  es,  dafs  dem  Ruprecht  '^'^  Ru- per -echt, 
Mondgott)  die  Idee  des  Bösen  inhärirt,  und  dals  dersel- 
be für  die  Kinder  noch  jetzt  eine  symbolische  Andeu- 
tung des  Gegensatzes  ist,  den  das  Heidenthum  und  das 
Christenthum  bildet.  Die  Sprache  der  Wenden  hat  we- 
niger Schimpfnamen,  die  auf  das  verschwundene  Heiden- 
thum Bezug  haben,   ^^     als  die  deutsche.     Dies  rührt  da- 


24  Die  Etymologie  des  Worts  Ruprecht,  nach  welcher  es  so 
viel  bedeuten  soll  als:  Knecht,  rupfe  recht!  ist  ehi  Irrthum. 
Das  Wort  Ruprecht  bedeutet  sowohl  einen  alten  androgyni- 
schen  (nicht  gynandrischen)  Gott,  aJs  auch  einen  Priester 
desselben. 

25  Die  bei  den  oberlausitzischen  Wenden  vorkommenden  Na- 
men Bambor  und  Bambora,  die  als  Schimpfnamen  ge- 
braucht werden,  bedeuten  ursprünglich  einen  Oberpriester 
und  eine  Oberpriesterin,  Dafs  aber  bam  ober  und  Bambor 
einen  Oberbor  oder  Oberpriester  bezeichnete,  erhellet  ohn- 
streitig  daraus,  dafs  die  genannten  Wenden  noch  jetzt  den 
Pabst  Bamsch  (bam-asch  oder  as)  nennen.  Den  Namen 
Bambora  giebt  man  jetzt  einer  Frauensperson,  die  viel  un- 
gereimtes Zeug  erzählt,  oder  (den  Unwissenden)  zu  er- 
zählen scheint.  Ohne  Zweifel  war  die  Bambora  anfangs  eine 
Priesterin  einer  alten  androgynischen  Gottheit,  die  zu  ge- 
wisseji  Zeiten  mit  dem  Bambor  zugleich   an   der  ara  dersel- 


r-     43     — 

her,  weil  den  Wenden  die  christliche  Religion  aufge- 
drungen wurde  und  weil  sie  nicht,  wie  die  Deutschen, 
die  heidnische  Religion  zu  bekämpfen  hatten.  Ihr  Bu- 
bak  (bu-bog,  Berggott)  bezeichnet  die  alte  Bergreligion, 
■welche  schon  vor  der  Einführung  des  Christenthums  mit 
dem  späteren  Fetischismus  im  Widerstreite  stand.  Der 
bei  den  Wenden  oft  gehörte  Schimpfname  Rapak  d.  h. 
Rabe  deutet  ohnstreitig  eine  alte  religiöse  Repräsentation 
feindlicher  Ausländer  an.  Obgleich  der  Rübezal  von  den 
Lausitzer  Wenden  gekannt  ist  und  obgleich  sein  Name 
von  ihnen  nicht  selten  als  Schimpfname  gebraucht  wird, 
so  scheint  er  mir  doch  nicht  ein  alter  slavischer  Gott  zu 
seyn,  sondern  vielmehr  denjenigen  Germanen  anzugehö- 
ren, die  sich  nach  der  Einwanderung  der  Wenden  in 
die  südöstlichen  lausitzischen  und  in  die  schlesischen  Ge- 
birge zurückzogen  und  dort  von  den  Wenden  abgeson- 
dert lebten.  Als  das  Christenthum  unter  diesen  Germa- 
nen eingeführt  vv^virde,  so  flüchteten  sich  die  standhaften 
Verehrer  des  Rübezal  ^^  nach   den   Höhen  des  Riesenge- 


ben die  alten ,  den  späteren  Generationen  oft  ungereimt  er- 
scheinenden Traditionen,  in  denen  die  dem  Volksstamme 
von  der  Gottheit  erwiesene  Barmherzigkeit  und  Hülfe,  in 
ungebundener  und  gebundener  Rede,  gepriesen  wurden,  vor- 
trug, um  die  Zuhörer  zum  Danke  gegen  die  hülfreiche  Gott- 
lieit  und  zum  Vertrauen  auf  dieselbe  zu  ermuntern.  Hätten 
ein  Bambor,  der  die  Grofsthaten  des  Sonnengotts  erzählte, 
und  eine  Bambora,  welche  die  Wirksamkeit  der  Mondgöttin 
pries,  ihre  Erzählungen,  die  in  der  That  die  Geschichte 
des  Volksstammes  betrafen,  schriftlich  aufgezeichnet,  und 
würden  diese  Aufzeichnungen  von  späteren  Fanatikern  nicht 
zerstört  worden  seyn,  so  würde  auf  der  uralten  Geschiclite 
der  Slaven- Völker  nicht  ein  so  crasses  Dunkel  ruhen.  Das 
Zeitwort  bamboricz  ( bambor -icz),  welches  ursprünglich  et- 
was sehr  Ehrenvolles  luid  Verdienstliches  bezeichnete,  be- 
deutet jetzt:  viel  Ungereimtes  erzählen, 

26  Rübzal  (rib-zal)  heifst  Mondgott.     Rib,   oder  rif  heifst  ein 
niedriger  Berg  und  dann  auch  der  Mond,     das  zal  bedeutet 


—     44     — 

birges  (rin-esen),  woher  die  spätere  Meinung  entsiandm 
ist,  dafs  Rübezahl  seinen  Wohnsitz  auf  dem  Päesengc- 
birge  habe. 


VIIL     Spuren    bisweiliger    Rückgänge    zu 
der  Verehr uno;   der  alten  Götter. 

Oo  sehr  inan  in  der   Pvegel  da,     wo    eine   neue  Religion 
eingeführt  worden  war,  die  alten  Götter  verachtete,  und 


Gott  wie  Bai,  In  der  secondären  Bedeutung  bezeichnet  Td'ih- 
zal  einen  Priester  des  Mondgotts.  "Wie  willkührlicli  man 
den  Namen  Rübzal  etymologisirt  und  interpretirt  hat,  er- 
hellet aus  der  Relation,  die  sich  in  dem  III.  Bande  p.  513 
der  Briefe  eines  in  Deutschland  reisenden  Deutschen  findet. 
Prätorius,  der  Geschichtschreiber  Rübezals,  dieses  sonder- 
haren  AVesens  der  Einbildungskraft  (?)  schreibt  der  reisende 
Deutsche,  will  wissen,  dafs  ein  Italiener  Ronceval  lange  im 
Gebirge  nach  Metallen,  Edelsteinen,  Wurzeln  und  Kräutern 
umhergezogen  sey,  woraus  das  Volk  Rübezal  gemacht  habe, 
der  als  Geist  noch  wandere.  Andere  leiten  den  Nanien  von 
Riphaeorum  zabulus  her,  Musäus  aber  von  Rübenzählen. 
Eine  gewisse  Emma  soll  ihren  Eheniaiin  Rüben  zählen  ge- 
schickt haben,  um  u,  s.  w.  Rübezal  erscheint  (erschien) 
nach  dem  Volksglauben  bald  als  Jäger,  Bauer,  Bergmann, 
bald  als  Hund,  R.ofs,  Rabe,  ,Eule,  Katze  (uralte  Repräsen- 
tationen der  Sonnen-  und  Mond  -  Gottheit) ,  und  schickt  al- 
len, die  ihn  verschmähen  oder  verlachen,  ein  tüchtiges  Don- 
nerwetter auf  den  Hals,  verdirbt  Häuser,  Gärten  und  Waa- 
ren,  seinen  Verehrern  aber  gieht  er  Steine  und  Gräser,  die 
sich  in  Gold  und  Silber  verwandeln.  Die  Koppe  des  Riesen- 
gebirgs  ist  der  eigentliche  Tummelplatz  Rübezals,  hier  ist 
sein  Lust-  und  Gewürz  -  Gärtlein  (deutet  die  Arzneikunde 
und  ärztliche  Praxis  der  Rübezal  -  Priester  an)  und  auch 
seine  Kanzel  (ara)  (f,  1,  1, 


—     45     — 

so  viel  Büses  man  ihnen  auch  andichtete,  so  nahm  man 
Joch  bisweilen  in  den  Zeiten  grolser  Noth,  wo  man 
glaubte,  dafs  die  modernen  Gülter  allein  zu  helfen  nicht 
vermöchten,  seine  Zuflucht  zu  den  alten  Göttern,  und 
bemühte  sich  durcli  ihren  erneuerten  Cultus  sie  zur  er- 
sehnten Hülfe  zu  bewegen.  Dies  thaten  einzelne  Perso- 
nen, dies  ganze  Völkerschaften.  So  stellten  einst  die, 
schon  dem  modernen  Fetischismus  ergebenen,  Einwoh- 
ner der  Stadt  Korinth  (kor  oder  gor-hin-ith),  als  sie 
sehr  von  einer  verheerenden  Pest  heimgesucht  wurden, 
auf  des  Orakels  Rath  ein  Fest  zur  Verehrung  der  ehe- 
dem in  ihrer  Stadt  und  Umgegend  verehrten  Sonnen- 
götter unter  dem  Namen  der  Hellotia  (hel-otia  oder 
asia ,  Sonnengottfest)  an.  Als  der  römische  Staat  sich  in 
dem  zweiten  punischen  Kriege  in  grofser  Verlegenheit  und 
Noth  befand  und  als  die  Römer  glaubten,  dafs  der  mo- 
derne Jupiter  ihnen  mit  seinem  Götterrath  nicht  ge- 
nug zu  helfen  vermöchte,  so  liefsen  sie  die  alte  Cy- 
bele  (ki-bele,  Berggöttin),  die  sie  auch  Ops  (hon-bu- 
is),  Rhea  (ren-hen-a)  und  magna  mater  Deüm  nann- 
ten, aus  Pessinus  in  Kleinasien  nach  Rom  holen,  und 
ordneten  ihr  einen  förmlichen  Cultus  an.  Wenn  die 
Priester  der  slavischen  Rhedarier  eine  blutige  Empörung 
ihrer  ünterthanen  befürchteten ,  so  liefsen  sie  ein  grofses 
Wildschwein  mit  lichten  Hauern  aus  einem  See  aufstei- 
gen und  sich  dasselbe  in  dem  Schlamme  äes  See's  wäl- 
zen.  Dieser  Eber,  der  eine  alte  Repräsentation  des  al- 
ten Sonnengotts  war,  wie  der  Stier  und  das  R.ofs,  und 
vor  dem  die  späteren,  zu  dem  Fetischismus  bekehrten 
Slaven  in  Polen  und  Pommern  noch  eine  grofse  Ehr- 
furcht hatten,  mufste  demnach  bisweilen  den  Zwecken 
der  späteren  slavischen  Priester  und  Fürsten,  welche  letz- 
tere mit  den  ersteren  gewöhnlich  in  der  genauesten  Ver- 
bindung standen,  dienstbar  werden.  Auch  in  neueren 
Zeiten  hat  sich  das  diesfallsige  Alte  nicht  selten  wieder- 
holt. So  sollen  zum  Theil  die  französischen  religiösen 
Skeptiker  (Encyclopädisten) ,  die,  wenn  auch  nicht  iibfer 
den   wahren  Kern   der  herrlichen  Christusreliaion ,     doch 


—     46     — 

über  die  vielfachenMifsbräuche  des  Katholicismus,  und  inson- 
derheit über  die  Adoration  der  Maria  und  Josephs,  bitter  spot- 
teten, doch  auch  wieder,  als  sie  ein  furchtbares  Gewit- 
ter schreckte,  die  Maria  und  Joseph  implorirt  und  sich 
bekreuzt  haben. 


IX.     Einflufs    der   Bergreligion» 

A.    Auf  die  Bildung  der  Sprachen. 

Ich  übergehe  den  höchst  wichtigen  und  viel  umfassen- 
den Einflufs,  den  die  alte  Bergreligion  auf  die  intellec- 
tuelle  und  moralische  Bildung  der  Menschen ,  und  durch 
diese  auf  die  Civilisation ,  so  wie  insbesondere  auf  ihre 
technische  Cultur,  vornehmlich  aber  auf  den  Anbau  des 
Erdbodens,  gehabt  hat,  weil  es  nicht  meine  Absicht  ist, 
eine  eigentliche  und  vollständige  Schilderung  der  Berg- 
religion zu  liefern,  sondern  sie  nur  so  weit  zu  beschrei- 
ben, als  mein  etymologischer  Zweck  eine  Beschreibung 
derselben  fordert.  Nur  den  Einflufs  will  ich  erwähnen, 
den  die  alte  Bergreligion  auf  die  Bildung  der  Sprachen, 
auf  die  Benennungen  der  späteren  religiösen  und  bürger- 
lichen Einrichtungen  der  Völker  so  wie  insonderheit  auf 
die  Entstehung  der  Ortsnamen  gehabt  hat.  Ehe  ich  in- 
defs  den  Einflufs  andeute,  den  die  Bergreligion  auf  die 
Formation  des  Stoffs  der  Sprachen  geübt  hat,  will  ich  es 
versuchen  darzuthun,  wo  dieser  Stoff  herrührt,  oder 
wie  die  einzelnen  Laute,  Sylben  und  Wörter  der  Spra- 
chen entstanden  sind. 

Obgleich  es  Viele  gegeben  hat  und  noch  gegenwär- 
tig giebt,  die,  weil  sie  sich  mit  dem  blinden  Ergreifen 
des  Materials  der  Sprachen  begnügen,    die  Untersuchun- 


—     47     — 

gen  über  die  Entstehung  dieses  Materials  für  überflüssig 
und  thöricht  halten,  so  hat  es  doch  auch  denkende  Män- 
ner gegeben,  die  ihre  Forschungen  und  Untersuchungen 
bis  zu  dem  Ursprünge  der  Sprachen  ausdehnten.  Ver- 
schieden sind  die  Meinungen ,  die  sie  als  Ergebnisse  ih- 
res Forschens  aufstellten.  Keinesvveges  würdigten  dieje- 
nigen den  Menschen  herab,  welche  behaupteten:  dafs 
die  Gottheit  selbst  einzelnen  Völkern,  oder  doch  den 
Auserwiüilten  derselben  (die  Braminen  in  Indien)  die 
Sprache  unmittelbar  eingegeben  habe.  Andere  dagegen 
verkündigten  den,  die  Menschen  herabwürdigenden, 
Wahn  als  fest  begründete  Wahrheit ,  dafs  die  Menschen 
ihre  Sprache  der  Nachahmung  der  Töne  der  Natur,  vor- 
nehmlich aber  der  Laute  der  sie  umgebenden  Thiere 
verdanken.  Noch  andere  liefsen  die  Entstehungsart  der 
Sprachen  unentschieden,  und  stellten  die  Sprachen  der 
Völker  als  ein  zufällig  irgend  wie  entstandenes  Aggregat 
und  Conglomenat  von  menschlichen  Lautverbindungen 
dar,  die  sie,  nach  getroffener  Uebereinkunft,  als  Zeichen 
gewisser  Begriffe  gebrauchten  und  in  das  sie  nach  und 
nach,  wie  in  ein  starres  Chaos,  Regelmäfsigkeit  und  Ord- 
nung brachten.  Auch  haben  sich  in  der  neuesten  Zeit 
einige  bemüht,  eine  Ursprache  aufzufinden,  von  welcher 
die  übrigen  Sprachen  gleich  Töchtern  von  einer  gemein, 
schaftlichen  Mutter  abstammen ,  um  zum  Mindesten  für 
die  derivirten,  oder  Töchtersprachen  eine  bestimmte,  un- 
bestreitbare Quelle  zu  haben. 

Der  Meinung,  dafs  es  eine  zeitliche  Ursprache  gege- 
ben habe,  ist  auch  der  gelehrte  und  fleifsig  forschende 
Friedrich  Schmitthenner  (vergleiche  seine  Ursprachlehre 
p.  57.),  welcher  sagt:  „Ueber  allen  Zweifel  erhoben 
ist  der  Satz ,  dafs  die  sanskrit  -  persische ,  griechische ,  la- 
teinische, gothische  und  fränkische  Sprache  eines  Stam- 
mes sind.  Als  die  Stammsprache  kann  aber  keine  der- 
selben gelten,  vielmehr  weisen  alte,  selbst  das  Sanskrit, 
auf  eine  frühere  zeitliche  Ursprache  zurück.  Das  San- 
skrit, (sagt  derselbe  p.  58.)  Persifche,   Griechische,    La- 


—     48     — 

teinische,  Slavische,  Teutsche  sind  Stämme,  die  einer 
gemeinschaftlichen  Wurzel  entsprossen  sind,  oder  richti- 
ger und  ohne  Bild,  Besonderungen  einer  allgemeinen 
und,  wie  nun  wohl  aul'ser  allem^  Zweifel  ist,  zeitlichen 
Ursprache.  Der  Typus  der  allgemeinen  Sprache  hat  in 
jeder  besondern  eigenthüraliche  Bestiinmungen  gewon- 
nen, die  ihren  artlichen  Unterschied  ausmachen,  und 
jegliche  der  besonderen  Sprachen  hat  nach  eigenthümli- 
chem  Typus  fortgelebt  in  der  stijrmenden  Zeit.  Der  Ty- 
pus der  besondern  Sprachen  ist  bis  zu  ihren  einzelnsten 
Formen  herab  jedem  der  übrigen  gleichstäramigen  paral- 
lel, was  indessen  nicht  hindert,  dafs  einzelne  Wörter 
und  Formen  aus  den  Fugen  des  Lebens  gewichen  und 
Verhärtungen,  Exuberationen ,  Abnormitäten  edler  Art 
eingetreten  sind."  Gewifs  hat  man  auch  in  diesem  Falle 
die  Wahrheit  in  der  Ferne  gesucht ,  obgleich  sie  ganz  in 
der  Nähe  lag,  weil  inan  wähnte,  dafs  ein  solches  wun- 
dersames Phänomen,  dergleichen  die  Sprache  ist,  auch 
nur  in  dem  B-eiche  der  Wunder  erzeugt  seyn  könnte. 

Nach  meinem  Dafürhalten  verdanken  die  Sprachen 
ihre  Entstehung  lediglich  der  höheren,  geistigen  Kraft, 
die  in  dem  Menschen  wohnet  und  waltet,  deren  Opera- 
tionen durch  die  günstige  Organisation  des  menschlichen 
Körpers  erleichtert  und  durch  das  Bedürfnifs  nicht  selten 
dringend  gefordert  werden.  Diese  höhere  Kraft  des  Men- 
schen, welche  den  Plan  zu  der  ersten  einfachen  Wohn- 
hütte so  wie  zu  den  Bergpallästen  von  Elephante,  Ello- 
re,  Mavalipuram  und  den  ägyptischen  Pyramiden  ent- 
warf, und  durch  die  ihr  zu  Gebote  stehenden  körperU- 
clien  zweckmäfsigen  Gliedmafsen  ausführte,  wxirde  auch 
die  Urheberin  der  Sprachen.  Dieselbe  höhere  Kraft  des 
Menschen ,  durch  die  er  denkt  und  urtheilt ,  mag  nicht 
ruhen  und  rasten,  sondern  sich  irgend  wie  offenbaren. 
Ihre  erste  Offenbai'ung  sind  Handlungen,  wie  man  dies 
an  dem  Kinde  sieht,  welches  eher  handelt,  als  spricht. 
Immer  bleibt  aber  das  Zeugnifs,  welches  die  menschliche 
Seele  von  ihrem  Leben  und  Walten   durch  Handlungen 


—     49     — 

gi«bt ,  unvoUstimdis; ,  selbst  dann  noch ,  wenn  es  mit  der 
Interpretation  der  Geberden  verbunden  wird.  Ninraner 
verinag  nämlich  die  Mimik  alle  Nuancen  des  inneren 
Lebens  des  Mensclien,  das  immer  an  Umfang  und  Stär- 
ke gewinnt ,  je  mehr  der  Mensch  äufserlich  und  innei-- 
lich  anschaut,  deutlich  zu  machen.  Es  darf  uns  daher 
nicht  wundern,  dafs  der  Mensch  sich  bemüht,  um  seine 
Mittheilungsbegierde  zu  befriedigen,  auch  den  Schall  sei- 
ner Stimme  zu  Hilfe  zu  nehmen  und  von  den  Organen, 
durch  welche  er  Sprachlaute  erzeugen  kann,  Gebrauch 
zu  machen.  Sein  derartiges  Bemühen  begünstigt  und 
erleichtert  aber  die  grofse  Zweckmäfsigkeit  der  erwähn- 
ten Organe,  durch  welche  er  ohnstreitig  auch  die  Thiere 
übertrifft. 

Oeffnete  der  Mensch  seihe  Mundhöhle  und  gab  et 
durch  das  Hervorstofsen  seines  Athems  der  Luft  eine  zit- 
ternde Bewegung,  so  wurde  der  Laut  a  hörbar.  Ver- 
längerte er  seine  Mundhöhle  durch  das  Vorstrecken  dei* 
Lippen  und  stiefs  er  durch  dieselbe  den  Athem,  so  hörte 
er  den  Laut  u.  Verkleinerte  er  die  Mundhöhle  mittelst 
Erhebung  der  unteren  Kinnlade,  und  trieb  er  durch 
dieselbe  den  Athem,  so  ertönte  der  Laut  i.  "^"^  Zwischen 
a  und  u  Hegt  der  Stimmlaut  o  und  zwischen  a  und  i 
der  Selbstlaut  e.  Wurde  die  Zunge  bei  dem  Heraus Lö- 
nen  der  Laute  a,  o,  u  nach  der  Mundhöhle  geschoben, 
so  erhielt  man  die  Stimmlaute  ä ,  ö ,  ü ,  die  man  Um- 
laute, .  oder  in  einander  übergehende  Selbstlaute  nennt. 
Von  diesen  Lauten  behauptet  man,  dafs  sie  unauflöslich 
und  mit  den  Lauten  u,  o,  a,  e,  i  von  gleicher  Potenz 
seyen.  Aber  eben  so  unauflöslich  sind  in  der  Tliat  die 
sogenanntejn  Doppellaute.  Man  kann  diese  steigende  und 
fallende,     oder   ascendirende  und   descendirende  nennen. 


27  Die  semitischen  Sprachen  habeii  lirsprüilglich  nur  für  sie  die 
Zeichen  1,  N,  ''. 

4 


—     50     — 

Zu  der  ersten  Classe  gehören:  uo,  ua,  ue,  ul;  oa,  oe, 
oi}  ae,  ai;  ei.  Höher  nämlich  als  das  u  an  sich  tönt 
das  uo  (riiuomo),   noch  höher,    ua  (Guadiana).     Höher 

e  i 

als  ua  tönen  ue  (Duben)  und  ui  (über).    Hochtönender 

als  der  Stiramlaut  o  sind  oa  (Boa,  Goa),  oe  (Böses) 
und  oi  {8oü]).  Einen  höheren  Ton,  als  der  Normal- 
Selbstlaut  hat  ae  und  ai  (Sinai)  und  das  ei  ist  ein  bis 
zum  i  ascendirendes  e. 

Descendirend  ist  der  Laut  i  in  ie  (Bielefeld),  ia, 
(Gambia),  io,  iu  (Giurgewo).  Tiefer,  als  das  e  tönt 
ea,  eo,  eu  (Leun,  Stadt  an  der  Lahn).  Ein  fallendes  a 
ist  ao  (Bilbao)  und  au  (Kraut  statt  kar  oder  gar-at). 
Das  o  fällt  nur  bis  ou  (Fo  —  fou). 

Als  ein  ganz  besonderer  Stimmlaut  erscheint  das 
wendische  y  z.  B.  ja  fsyra  byw  (byi).  Vcrmuthlich  tönte 
das  griechische  v  eben  so,  und  nicht  wie  ein  blofses  i. 
Ich  wage  es  nicht,  diesen  Laut  (y)  irgend  einem  der 
sogenannten   Doppellaute    zu   supponiren.     Am  nächsten 

e  i 

scheint  er  dem  u  (nicht  u)  zu  kommen. 

Es  ist  ein  Irrthum,  wenn  man  behauptet,  dafs  es 
auch  Dreilaute  ( Triphthongen )  gebe.  Das  deutsche  äu 
ist  nichts  anders,  als  die  Ascension  des  au,  zu  eu.  Auch 
das  in  der  italienischen  Sprache  vorkommende  iou  in 
giuöco  ist  nicht  ein  Dreilaut,  weil  giuoco  aus  giu-oc- 
undo,   oder  giuocare,   ^^    aus  giu-oc-are  d.  h.  Mondgott 


28  Wenn  auch  das  Wort  giocare  von  einem  alten  lateinischen 
Worte  jocare  (jocus)  herstammt,  so  war  doch  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  Worts  von  der  angegebenen  nicht  ver- 
schieden. Das  wendische  Wort  Racz  ist  mit  giocare  gleich- 
bedeutend. Auch  das  lateinische  ludere  (lud-ere)  heilst 
Mondseyn.  Der  Mond  gewinnt  bald  an  Licht,  bald  verliert 
er  wieder,  weshalb  das  Wort  ludere  auch  die  Bedeutung  des 
Täuschens  hat.  In  dem  ludere  fidibus  hat  das  ludere  die 
secoitdäre  Bedeutung. 


—     51      — 

spyn  '/.usammengcsetzt  ist,  und  das  oi  in  suöi  ist  ein  zum 
i  ascendirles  o  (suo),  und  mithin  eine  Eigenthümlich- 
keit  der  pluralium.  Auch  das  uai  oder  uay  ist  nicht  ein 
Dreilaut,  wie  es  in  dem  Worte  Paraguai  oder  Paraguay  zu 
seyn  scheint.  Paraguay  ist  aus  pa-ra-gn-ai  (ein  Land,  in 
welchem  Berge  vorkommen,  die  man  im  Alterthume  pu 
ru  und  gu  nannte)  entstanden  und  das  ai  ist  ein  zum  i 
ascendii'tes  a. 

Die  tiefen  Vocale  u  und  o  gehören  fast  durchaus 
zum  Bereiche  der  Herrschaft  des  Sonnengotts,  die  ho- 
hen (e,  i)  aber,  welche  man  auch  weibliche  nennen 
kann,  stehen  unter  dem  Regimente  der  Mondgöttin.  ^' 
Das  in  der  Mitte  stehende  a  gehört  dem  weiblichen,  aber 
auch  dem  männlichen  Geschlechte  an. 

Sind  die  Vocale  Producte  des  ganzen  menschlichen 
Sprachwerkzeuges,  so  werden  dagegen  die  Mitlaute  durch 
gewisse  Functionen  der  einzelnen  Theile  des  Sprach- 
werkzeuges des  Menschen  erzeugt.  Sie  sind  in  einem 
vorzüglicheren  Grade  Zeugen  der  dem  Menschen  eigen- 
thümlichen  höheren  Kraft  so  wie  der  Zweckmafsigkeit 
des  menschlichen  Sprachwerkzeuges.  So  wie  es  anfäng- 
lich nur  eine  Triade  von  Selbstlauten  (u,  ai)  gab,  so  auch 
nur  eine  Decade  von  Consonanten.  Die  ursprünglichen 
Consonanten  waren:  h,  k,  n,  1,  j,  r,  z,  d,  b,  m.  Die 
übrigen  Consonanten  sind  Modificationen  der  genannten. 

Die  Consonanten  entstehen  auf  einer  Lautlinie,    die 


29  Dieses  ist  für  die  Etymologie  der  alten  mythologisclien  Na- 
men sehr  wichtig.  Cerherus,  Fliijs,  Perun  u.  s.  w.  können 
nicht  rein  männliche  Wesen  seyn;  Tor,  Mars,  Janus, 
Tschur,  Horus  u.  s.  w.  dagegen  müssen,  weil  sie  tiefe  Vocale 
haben,  dem  männlichen  Ceschlechte  angehören.  Die  spä- 
tere Veränderung,  die  sich  mit  dem  Mondcultus  ereignete, 
hat  zwar  die  Regel  bisweilen  verletzt,  jedoch  hat  sie  die- 
selbe nicht  ihrer  Geltung  völlig  beraubt. 

4* 


—     Ö2     — 

tief  in  der  Kehle  anfängt  und  die  sich  an  dem  äufsersten 
Rande  der  Lippen  endigt.  Auf  dieser  Linie  stehen  die 
Grund  -  Consonanten  in  folgender  Ordnung.  Am  tiefsten 
steht  das  h,  dann  folgt  das  k.  Den  nächsten  Platz  nach 
dem  k  nimmt  das  n  ein.  Auf  das  1  folgt  das  j  (z),  r, 
z,  d,  b,  m. 

Das  h,  welches  den  Uebergang  von  den  Vocalen  zu 
6en  Consonanten  bildet,  wird  erzeugt,  wenn  der  Mensch 
den  noch  tönenden  Vocal  zu  erneuern  sich  bemüht.  Es 
gesellt  sich  zu  dem  noch  tönendem  Stimmlaute  als  Be- 
gleiter, und,  entstanden  an  dem  untersten  Ende  der 
Kehle,  verhallt  es  im  Munde  des  Menschen,  ehe  es  seine 
Zähne  und  Lippen  erreicht.  Das  sanfte,  sich  mit  dem 
Vocal  verbindende  Austönen  desselben  hat  die  Anfangs- 
sylben  der  Wörter  erzeugt,  die  mit  einem  Vocal  anfan- 
gen. Dies  darf  man  nicht  übersehen,  wenn  man  die 
genannten  Wörter  etymologisiren  will.  Solche  Wörter, 
in  denen  das  h  in  dem  Selbstlaut  untergegangen  ist,  hat 
die  hebräische,  griechische,  lateinische  und  deutsche 
Sprache  viele.  Das  h  ist  z.  B.  untergegangen  in  dem  he- 
bräischen 2N  (ha-av),  in  fiN  (ha -dam),  in  )-^':^  (ham- 
mon),  ein  Ammoniter  u.  s.  w.;  in  dem  griechischen  eQcog, 
cupido,  welches  mit  fJQcos,  heros,  anfänglich  gleichbedeu- 
tend war  in  iUv&iQios  (hel-leu-ther-ios)  u.  s.  w.;  im 
lateinischen  arx  (har-as),  in  ovis  (hon-bi-is)  u.  s,  w.; 
im  deutschen  Erde  (her-ede),    Ehre  (Her-ere)  u,  s.  w. 

In  der  kräftigen  Sprache  der  Slaven  ist  das  h  zu  An- 
fange eines  Worts  fast  nie  in  dem  darauf  folgenden  Vo- 
cale  untergegangen.  Die  oberlausitzer  Wenden  haben 
dasselbe  sogar  da,  wo  es  untergegangen  ist,  wieder  re- 
staurirt.  So  sprechen  sie  nicht  Adam,  sondern  Hadam, 
nicht  Abel,  sondern  Habel,  nicht  Anna,  sondern  Hanna, 
nicht  Ungar,  sondern  Hungar  u.  s.  w.  Weil  sowohl  das 
gestrichene  h  ( Spiritus  lenis  der  Griechen),  als  auch 
das  gestofsene  (spiritus  asper)  in  der  Mundhöhle  ver- 
hallt und  nicht  einen    der    vorderen   Theile    des  Sprach- 


— .     55     — 

Organs  in  Activitnt  setzt,  deshalb  haben  Manche  pe/.wipi- 
felt,  ob  dem  h  die  Würde  eines  Mitlauts  zuzuschreiben 
sey,  odei-  nicht.  Eine  Ascension  des  h  ist  das  eh.  Den 
zweiten  Platz  auf  dem  hintersten  Ende  der  Lautlinie 
nimmt  das  k  ein.  Mit  Recht  hat  man  es  einen  starren 
Kehl-  oder  Gaumenlaut  genannt.  Eine  Ascension  des  k 
ist  das  g,  welches  an  der  äufsersten  Grenze  der  Kehl- 
laute steht.  Das  q  ist  blos  ein  anderes  Zeichen  für  das 
im  Sanscrit  vorkommende  gh  2.  B,  in  ghena  {yvvfj)  die 
Frau. 

Das  n  wird  sowohl  durch  die  Mitwirkung  der  Zun^ 
ge,  als  auch  der  Nase  erzeugt.  Im  Auslaufe  eine«  Worts 
geht  das  n  nicht  selten  in   m  über. 

Das  1  entsteht,  wenn  der  Stimmton  über  die  zu- 
rückgezogene und  an  die  Mitte  der  Zähne  gelegte  Zunge 
schnell,  aber  sanft  vorwärts  getrieben  wird.  Es  ist  der 
weichste  unter  den  Consonanten.  Im  Wendischen  ver- 
tritt er  nicht  selten  die  Stelle  des  sanft  streichenden  w 
und  im  Sanscrit  so  wie  im  Bulgarischen,  tritt  es  als  Vo« 
cal  oder  Halbvocal  auf.  Im  Italienischen  verwandelt  es 
sich  vor  einem  Stimmlaut  in  i ,  z.  B.  in  fiamma  statt 
flamraa,  fiore  statt  flore  u.  s.  w.  Im  Französischen  lau- 
tet es  nach  einem  0  in  u  aus,  2.  B.  fol  in  fou. 

Das  j,  welches  in  neuerer  Zeit,  insonderheit  durch 
Stephani,  seine  Würde  als  Consonant  wieder  erhalten 
hat,  hatte  im  Alterthume  nicht  nur  den  Ton  eines  lau- 
gen i,  welches  die  Natur  des  Mitlauts  angenommen  hat, 
sondern  es  war  ein  sanft  streichender  Zischlaut,  der  ge- 
linder war,  als  seh.  Im  Occidente  findet  sich  dieser 
Laut  noch  in  seiner  ganzen  Weichheit  in  der  französi- 
schen Sprache,  z.  B.  in  deja,  jamais  u.  s.  w. ,  so  wie  in 
der  wendischen  z.  B.  in  zito,  das  Getreide,  zaba,  der 
Frosch,  zid,  der  Jude  etc.  Höchstwahrscheinlich  spra- 
chen die  alten  Italer  das  j  auch  zischend  aus,  z.  B.  ju- 
venis  (dschuvenis),     Janus  (dschanus),    Judaeus  (dschu-^ 


—     54     — 

daexis)  u.  s.  \v.,  obgleich  doch  noch  härter,  als  die  Fran- 
zosen ihr  Jod  und  die  Wenden  ihr  z  sprechen,  was 
man  aus  der  gegenwärtigen  Aussprache  derjenigen  Wör- 
ter folgern  kann,  welche  im  Alt -Italischen  mit  einem  j 
geschrieben  werden,   z.  B.  giovanne,  giudeo  u.  s.  w. 

Der  Laut  r  bildet  sich,  wenn  das  Zungeneude  beim. 
Durchstreifen  des  Athems  in  eine  sehr  schnelle,  zitternde 
Bewegung  geräth,  bei  der  es  bald  den  Gaumen  berührt» 
bald  sich  aber  etwas  von  demselben  entfernt.  Im  San- 
scrit  erscheint  er  gleich  dem  1  (Lri)als  Vocaloder  als  halber 
Vocal  (Ri).  In  manchen  slavischen  Dialecten  geht  auch 
das  harte  r  in  ein  weiches  vocalisches  Ri  über,  wie  z, 
B.  im  Ost -Serbischen  in  prst,    srp  u.  s.  w. 

Das  z  steigert  sich  zu  s.  Dieses  letztere  aber  zu  den 
Zisch-  oder  Scheuchlauten  sh,  seh. 

Der  Zahnlaut  d  ascendirt  zum  t.  Wird  das  t  gesto- 
fsen,  so  erhält  man  th,  dessen  weichere  dem  d  entspre- 
chende Form  dh  ist.  Das  th  (the  englisch)  wandelt 
wegen  der  nahen  Verwandtschaft  des  Zahn-  oder  Stofs- 
lauts  mit  dem  Sauselaut  in  z  oder  ss,  und  das  dh  ist  in 
den  neueren  Sprachen  sammt  seinem  Zeichen  verloren 
gegangen. 

Der  Mitlaut  b  entsteht,  wenn  durch  die  Mitte  der 
geschlossenen  und  sich  plötzlich  öffnenden  Lippen  der 
Stimmton  getrieben  wird.  Es  wandelt  in  p,  wenn  vor 
dem  Durchtreiben  des  Tones  die  Lippen  fest  geschlossen 
waren.  Wird  die  Stimme  etwas  seitwärts  durch  die  ge- 
schlossenen Lippen  getrieben ,  so  bildet  sich  der  Laut  f 
(ph),  von  dem  das  v  (bh)  eine  Steigerung  ist.  Der 
durch  die  sanft  geschlossenen  Lippen  näher  an  dem  Mund- 
winkel schwach  getriebene  Stimmton  bringt  den  hörba- 
ren,  weichen  Lippenlaut  w  hervor. 

An  der  äufsersten  Grenze  der  horizontalen,  von  dem 
tiefsten  Gaumen  bis  zu  den  Lippen  liegenden  Laut-  oder 


—     55     — 

Sprach -Linie,  '"  erzeugt  sich  der  Laut  m  und  §teht  ohne 
Wandelung  da,  weil  hier  der  Laut  nicht  höher  steigen 
kann. 

Aus  den  Selbstlauten  und  Mitlauten  bildeten  sich 
die  Sylben.  Ihre  Bildung  erfolgte  auf  folgende  Weise. 
Tönte  der  Mensch  einen  Stimmlaut  und  liefs  er  demsel- 
ben plötzlich  einen ,  durch  einen  Theil  des  Sprachwerk- 
zeuges (Gaumen,  Zugige,  Zähne,  Lippen)  erzeugten 
Laut  folgen,  so  erhielt  man  die  Wörtchen  uh,  oh,  ah, 
eh,  ih;  uch,  (och,)  ach,  ech,  ich;  un,  (uon,  uan,  uen» 
uin,)  on,  (oan,  oen,  oin,)  an,  (aen,  ain,)  en,  (ein) 
in ;  ul ,  ( uil ,  uel ,  ual ,  uol , )  ol ,  (  oll ,  oel ,  oal , )  al, 
(ail,  ael,)  el,  il;  ur,  or,  ar,  er,  ir;  us,  os,  as,  es,  isj 
üb ,  ob ,  ab ,  eb ,  ib ;  um ,  om ,  am ,  em,  im  u.  s.  w. 

Kehrte  man  die  Ordnung  um,  und  liefs  man  zuerst 
den  Mitlaut  und  unmittelbar  darauf  den  Selbstlaut  ertö- 
nen, so  erhielt  man  die  Wörtchen  hu,  ho,  ha,  he,  hi; 
ku,  ko,  ka,  ke,  ki;  nu,  no,  na,  ne,  ni;  lu,  (un,  uai 
ue,  ui,)  lo,  (oa,  oe,  oi)  la,  (lae,  lai)  le,  (lei)  li;  mu 
(mui,  mue,  mua,  muo)  mo,  (moi,  moe,  moa)  ma, 
(mai,  mae)  me,  mi  u.  s.  w. 

Die  ersterwähnten  Wörtchen  (um,  om,  am,  em,  im, 
u,  s.  w. )  erschienen  dem  staunenden  Menschen,  welcher 
solche    Töne   nirgends   in    der   Schöpfung   vernahm,     als 


30  Die  Berücksichtigung  der  natürlichen  Lautlinie  ist  bei  ety- 
mologischen Untersuchungen  sehr  wichtig.  Hat  man  diese 
Linie  immer  vor  Augen,  so  wird  nian  nicht  gestört,  wenn 
ein,  in  einer  Gegend  mit  ch  geschriebenes  Wort  in  einer 
andern  mit  k  oder  gar  mit  g  geschrieben  wird,  weil  diese 
Laute  hart  neben  einandar  stehen.  Dies  gilt  auch  von  b,  p,  f 
und  V ,  und  es  kann  nicht  auffallen ,  wenn  z.  B.  das  an  ei- 
nem Orte  Bei  lautende  Wort  anderwärts  Pel  hiefs.  Dafs  die 
natürliche  Sprachlinie  in  unsern  Elementar -Lesebüchern 
und  in  den  Sprachlehren  noch  nicht  die  nöthige  Berücksich- 
tigung erhalten  hat,  ist  bekannt. 


—     56     — 

ersterschaffene  selbstständige  Wesen.  Deshalb  bezeichnete 
man  durch  sie  alles  durch  sich  Bestehende,  alles  Selbst- 
ständige, Unabhängige.  Sie  waren  in  der  That  die  er- 
sten Substantiva  so  wie  anderseits  die  W Örtchen,  die  sich 
mit  einem  Consonant  anfingen  (mu,  mo,  ma,  me,  mi) 
das  Geschäft  der  Adjectivorum  übten. 

Die  Verbindung  der  beiden  Classen  der  erwähnten 
Wörtchen  war  einfach  und  natürlich.  Das  leichte  Zu- 
sammenfliefsen  derselben  "Vocale  so  wie  die  unabweisli- 
chen  Regeln  der  Euphonie  lehrten  die  Menschen  gleiche 
Vocale  auf  gleiche  Vocale  folgen  zu  lassen.  Benannten 
sie  z.  B.  einen  Gegenstand  mit  ur  und  liefsen  sie  dar- 
auf ein  adjectivisches  W^ort  folgen,  so  mahnten  sie  die 
erwähnten  Gründe  hu,  ku,  nu,  lu,  ju,  ru ,  zu,  du,  bu, 
mu  etc.  zu  gebrauchen ,  wodurch  ,sie  die  Wörter  hur 
(hu-ur)  kur  (ku-ur)  nur,  lur,  jur,  rur,  zur,  dm-,  bur, 
mur  erhielten. 

So  natürlich  uns  diese  einfache  Operation  bei  der 
Bildung  der  Wörter  erscheint,  so  sehr  wundert  uns  die 
grofse  Harmonie  der  Sprachen  in  dem  gleichmäßigen 
Gebrauche  der  tiefen  (groben)  und  der  hohen  (feinen) 
Vocale.  Dieser  Gebrauch  wurde  theils  durch  Autono- 
mie, oder  durch  das  natürliche  Gefühl  des  Menschen 
selbst,  theils  durch  Heteronomie,  oder  durch  die  Vor- 
schriften der  Bergreligion  bestimmt.  Im  ersten  Falle 
rührt  der  Gebrauch  der  tiefen  Vocale  bei  der  Bezeich- 
nung hoher,  grofser,'  männlicher,  starker  Gegenstände 
von  der  Wahrnehmung  her,  dafs  diese  Selbstlaute  bei 
ihrem  Austönen  eine  gröfsere  Kraftanstrengung  erfordern 
und  dafs  sie  auch  kräfsiger  auf  das  Gehör  einwirken,  als 
die  hohen  oder  feinen.  Die  ersteren,  so  schlols  man,  ha- 
ben einen  männlichen  Charakter  und  müssen  den  Be- 
nennungen aller  der  Dinge  einverleibt  werden,  die  in 
der  Natur  männlich,  grofs,  hoch,  Bewunderung  und 
Staunen  erregend  sind.  Nur  diese  Dinge  darf  man  üb, 
ob,  ab;    ur,   or,  ar;    us,  os,  as  u.  s.  w.  nennen,     nicht 


—    57    — 

aber  das  Weibliche,  Kleine,  Niedrige,  Verächtliche  u.  s, 
w,;  denn  für  dieses  eignet  sich  nur  das  feine  e  und  i, 
folglich  eb,  ib;  er,    ir;  es,  is  u.  s.  vv. 

Das  aber,  was  das  eigne  Gefühl  des,  die  Natur  der 
Dinge  genau  beobachtenden  Menschen  für  angemessen 
erachtete,  stellte  die  Religion  späterhin  als  heiliges  Ge- 
setz auf.  Alles  in  der  Natur,  so  lehrte  sie,  ist  entweder 
Mann,  oder  Frau,  oder  es  steht  unter  dem  Einflüsse  des 
Mannes  d.  h.  des  Sonnengotts ,  .  oder  der .  Frau  d.  h.  der 
Berg-  oder  Mondgöttin.  In  weiter  Ferne  und  in  grofser 
Höhe,  dies  war  ihx'e  Lehre,  hat  der  Sonnengott  seinen 
Herrscherthron  aufgerichtet  und  ihm  ist  auch  das  Hohe, 
Grolse,  Starke,  Männliche  auf  Erden  unterworfen.  Dem 
gemäfs  müssen  auch  die  starken  Vocale  seiner  Herrschaft 
unterworfen  seyn.  Die  Mondgöttin  sey  die  niedere  Gott- 
heit. Unter  ihrer  Herrschaft  stehe  das  Kleine,  Niedli- 
che, Feine,  Sanfte,  Weibliche  u.  s.  w.  und  folglich  auch 
die  feinen  oder  sanften  Selbstlaute  i,  e,  a.  Und  wurde 
auch  bisweilen  dem  Namen  einer  männlichen  Person  ein 
feiner  Vocal  einverleibt,  wie  z.  B.  im  hebräischen  W^orte 
'dii<  und  im  lateinischen  vir,  so  wollte  man  dadurch  an- 
deuten ,  dafs  diese  männliche  Person  in  einer  engen,  ab- 
hängigen Beziehung  zu  dem  Weibe  steht.  Wahrschein- 
lich hiefs  vir  ursprünglich  ein  Priester  der  Mondgöttin. 
War  es  nicht  entschieden,  ob  ein  Gegenstand  männlich 
oder  weiblich  sey ,  oder  ob  er  von  dem  Regimente  des 
Sonnengotts  oder  der  Mondgöttin  abhänge,  so  gab  man 
ihm  das  o,  zur  Endung.  In  diesem  Falle  nennen  wir 
ein  Wort  generis  communis;  Solche  Wörter  sind  z. 
B,  homo,  leo,  pavo  u.   s.  vv» 

Das  o  in  Juno  und  Lado  (rassisch),  hat  man  das  o 
potentiae  oder  majestaticum  genannt,  weil  die  erstere 
Göttin  die  Herrschaft  mit  dem  Gotte  der  Götter  (Jupi- 
ter) theilte,  imd  weil  die  letztere  durch  die  vorherr- 
schende Selenolatrie  der  Nordländer  zum  Manne  poten- 
zirt  wurde.     Indefs  ist  es  wahrscheinlicher,   dafs  die  Na- 


—     58     — 

jnen  Juno  und  Lado  aus  Ja  und  uno  und  La-ado  zu- 
sammengesetzt sind  und  Berggottheit  und  Mondgottheit 
(uno,  ado)  bedeuten,  und  dafs  sie  mithin  den  Charakter 
des  alten  (noch  jetzt  im  Slavischen  gewöhnlichen)  Neu- 
trums haben,  das  den  Gegenständen  nicht  alles  Geschlecht- 
liche abspricht,  sondern  nur  unentschieden  läTst,  ob  ein 
Ding  vorherrschend  männlich  oder  weiblich  sey,  und  das, 
indem  es  das  Männliche  und  Weibliche  combinirt,  diese 
Combination  als  etwas  Grofses,  Vielumfassendes  u.  s.  w. 
(Magnanitivum)  darstellte. 

Betrachtet  man  den  ersten  Gebrauch  der  Consonan, 
ten  von  dem  Standpunkte  der  Autonomie,  so  findet  man 
in  demselben  einen  unläugbaren  Beweis  der  grofsen  Ge- 
nauigkeit in  den  Anschauungen  des  Alterthums.  Man 
findet,  dals  das  graue  Alterthum  diejenigen  Mitlaute,  die 
in  der  Kehle  der  Menschen  entstehen  und  die  bei  ihrem 
Austönen  eine  grölsere  Kraft  und  Stärke  erfordern  (h, 
eh,  X,  k,  q,  g),  sehr  angemessen  zur  Bezeichnung  des 
Hohen,  Starken,  Männlichen,  Bewunderung  und  Stau- 
nen Erregenden  gebrauchte.  Ferner  bemerkt  man  mit 
Erstaunen ,  dafs  der  sanfte  Zischlaut ,  der  auf  der  gebo. 
genen,  vorderen  Zunge  entsteht,  das  j,  nämlich 'das 
sanft  Aufsteigende  und  eben  so  Fallende  andeutet,  z.  B. 
in  tv,  iydla,  die  Tanne  u.  s.  w.,  der  Consonant  r  aber 
das  Unebene,  Rauhe,  Spaltige  (rima),  Höckerige,  das  z 
(s,  seh)  ferner  das  Zinnige,  Pyramidenförmige  u.  s.  w. 
bezeichnet.  So  wie  das  d  mitten  auf  der  oberen  Zahn- 
linie  entsteht,  so  ist  es  auch  den  Benennungen  des  Ge- 
dehnten (Damm,    Donner  ^^    u.  s.  w.)  verliehen.     Aber 


31  In  der  alten  Sprache  der  Germanen,  die  viel  kräftiger  und 
in  den  Vocalen  einfacher  war  als  die  gegenwärtige ,  lautete 
das  Wort  Donner  Donnor,  Donar,  Tunar.  Die  alte  Sylbe 
ur,  or,  ar  ist  gröfstentheils  in  das  feinere  er  verwandelt 
worden,  wie  in  den  Infinitiven  die  Endung  un,  on,  an,  in, 
in  en.  Die  Wenden  nennen  den  Donner  (to)  Rimanje,  wel- 
ches Wort  beweist,  dafs  die  Wenden  bei  der  Benennung  des 


59 


weil  das  d  auch  von  den  Zähnen  schnell  aufschiefst,  so 
bezeichnet  es  auch  das  Spitze,  Gestreckte  (Dach,  Dych, 
der  Athem).  Das  b,  welches  ohne  grofse  Kraftanstren- 
gung tönt,  bezeichnet  auch  nur  das  mittelmcäfsig  Hohe 
(Bude,  Buche,  Buckel  u.  s.  w. ),  Es  senkt  sich  in  dem 
f  und  noch  mehr  in  dem  sanft  streichenden,  bis  an  das 
1  (im  Wendischen)  grenzenden  w. 

Das  m  tönt  voll  und  breit  aus,  und  man  gebrauchte 
es  deshalb  zur  Benennung  des  Hohen,  Weiten,  Vielum- 
fassenden, z.  B.  in  magnus,  mahat,  ^^  manas,  matis, 
mein  u.  s.  w. 

So  wie  bei  den  Vocalen  Ascensionen  Statt  haben, 
so  auch  bei  den  Consonanten.  So  ascendirt  das  k  zu  q 
vmd  g,  in  welchem  letzteren  Falle  es  etwas  weniger  Ho- 
hes bezeichnet,  als  das  k.  Das  b  ascendirt  zu  f  und  w. 
Das  z  aber  ascendirt  bis  s  und  seh  und  das  d  zu  t. 

Das  t  bezeichnet  in  der  Regel  etwas  Höheres,  Län- 
geres, Härteres  u.  s.  w.  als  das  d.  Indefs  wurde  das  d 
und  t  eben  so,  vorzüglich  später  promiscue  gebraucht 
als  h  und  ch ,  k  und  g,  z  und  s,  b  und  p,  f  und  v 
b  und  w.  So  nannten  die  Italer  die  Berggottheit  Deus, 
die  Indier  Devas,  die  Germanen  Teut,  die  Griechen, 
noch  härter  Q^edg.  Das  griechische  Zfvg  ist  eine  tiefere 
Aussprache  des  deus,   'dsös. 


Donners  nicht  blos  den  gedehnten  (ma),  sondern  auch  den 
rauhen  (ri)  Ton  des  Donners  berücksichtigten.  Die  Endunff 
anje  deutet  an:  dafs  der  Donner  in  der  niederen  Atmosphä- 
re Statt  findet  und  gehört  wird.  Für  das  Präfigiren  des  g 
der  Niederlausitzer  an  die  verba,  die  sich  mit  einem  r  an- 
fangen, z,  B.  grimacz,  grabacz  statt  rimacz,  rabacz,  finde 
ich  durchaus  keinen  rechtfertigenden  Grund. 

32  mahat  heilst  im  Sanscrit  magnus,  man-as  (lateinisch  mens) 
das  Gemüth  und  matis  (fi^rig)  der  Muth. 


—     60     — 

Das  durch  die  Nase  sanft  tönende  n  und  der  sehr 
weiche  Zungen  -  Mitlaut  1  wurden  angemessen  zur  Be- 
zeichnung des  Niedrigen,  Verneinenden,  Traurigen, 
Lieblichen,  Lustigen,  Geschwätzigen  u.  s.  w.  gebraucht. 

So  richtig  schon  dem  Menschen  seine  gesunde  Con- 
templation  und  sein  unverdorbenes  natürliches  Gefühl 
bei  den:i  Gebrauche  der  Consonanten  leitete,  so  wäre 
doch  wohl  von  dem,  auf  dem  Wege  der  Autonomie  ge- 
bildeten usvis  noch  öfterer,  als  es  würklich  geschehen 
ist,  abgewichen  worden,  und  es  wäre  ohne  Zweifel  eine 
gröfsere  Verwirrung  in  die  Sprachen  gekommen,  als  sie 
sich  vorfindet,  wenn  sich  nicht  die  Religion  als  eine  re- 
gulatorische Potenz  und  als  Aufseherin  über  die  Sprache 
gestellt  hätte.  Diese  Potenz,  welche  sichtbar  die  gelehr- 
ten Mondpriester  darstellten,  hat,  älmlich  einer  Acade- 
mie,  über  den  Gebrauch  der  Consonanten  Bestimanun gen 
getroffen,  die  um  so  regelmäfsiger  und  Norm  gebender 
waren,  als  der  ursprüngliche  Sonnen-  und  Mond-Cul- 
tus  bei  einem  Volke  rein  erhalten  war  und  als  die  Prie- 
ster eines  grofsen  Ansehens  genossen.  Es  wurde  jedoch 
durch  diese  wohlthätige  Beaufsichtigung  der  beliebige 
Gebrauch  der  Staininwörter  so  wie  überhaupt  die  spe- 
cielle  Ausbildung  der  Sprache  einer  Nation  nicht  ver- 
hindert. Nur  sorgten  die  gelehrten  Priester  dafür,  dafs 
die  Bildung  der  Sprache  adaequat  den  diesfallsigen 
Vorschriften  der  alten  Sonnen  -  und  Mondreligion 
geschah. 

Es  darf  uns  nicht  wundern,  dafs  die  weit  verbreitete 
Glaubens- Anomalie,  welche  in  der  Erhebung  des  Mondes 
zum  Manne  bestand,  auch  Sprachanomalien  erzeugt  und 
fielen  weiblichen  Wörtern  eine  männliche  Endung  ge- 
geben hat.  Auch  in  dem  Falle,  wenn  ein  Mann  von 
der  Mondgöttin  abhängig  gedacht  wurde,  erhielt  sein 
Name  eine  weibliche  Ejidung,  wie  schon  bemerkt  wor- 
den ist. 


—     61     — 

In  neueren  Zeiten  hat  man  sich  bemüht,  die  Re- 
geln, welche  das  Alterthum  bei  dem  Gebrauche  der 
Mitlaute  in  einer  gewissen  Sprache  sich  stellte  und  wel- 
che es  beobachtete,  aufzustellen.  Dieser  Versuch,  so  we- 
nig er  den,  nicht  selten  von  Befangenen  erlittenen,  Spott 
verdient,  kann  aber  nie  im  Allgemeinen  gelingen,  weil, 
wie  schon  bemerkt,  bei  der  nur  regulatonischen  Macht 
der  Bergreligion  doch  den  Völkern  die  Freiheit  nicht  be- 
nommen wurde,  die  Dinge  mit  den  beliebigen  Sprach- 
wurzeln (hu,  ku,  nu,  lu,  ju,  ru,  zu,  du,  bu,  rau)  zu 
benennen.  Dies  sieht  man,  wenn  man  nur  einige  Spra- 
chen vergleicht  So  nennt  die  hebräische  Sprache  die 
Fi'au  'niiiii  (hi-ischa),  die  griechische  ywf],  die  lateinische 
femina,  die  deutsche  \^'eib  (wei-eib),  die  weudische 
zona,  die  sanscritanische  ghena,  die  persische  zen ,  die 
nagayen- tatarische  Dischi  ^^  (din-ischi),  die  namaqua- 
hottentotische  tarrath  oder  tarras. 

Als  eine  Wirkung  der  Religion  kann  man  es  anse- 
hen, dafs  der  Mitlaut  n  und  1  ausschliefslich  den  "Benen- 
nungen der  Mondgüttin,  ihrer  Eigenschaften  und  ihrer 
Geschäfte  zugetheilt  wurde.  Die  Mondgöttin  wird  mit  n 
und  1  benaimt  iin  lateinischen  Worte  nox,  im  wendi- 
schen noz,  im  griechischen  w^,  im  sanscritanischen  nis, 
im  deutschen  Nacht  (na-acht),  im  hebräischen  b'^h  (la-il), 
im  lateinischen  luna,  im  gallischen  le. 

Die  Buchstaben  (literae)  sind  alle  weiblichen  Ge- 
schlechts, weil  man  im  Alterthume  die  sich  vielfach  abmü- 
hende, die  Finsternifs  der  Nacht  (Symbol  der  Unwissenheit) 
aufhellende  Mondgöttin  zur  Urheberin  derselben  machte. 


33  Dischi    lautet    im    Indischen   Daschi,      Devadaschi  ist  eine 
Götterfraii ,   Prie^terin. 


—     62     — 

Die  Erfindung  der  Buchstaben,  durck  welche  die 
Wissenschaft  so  unbeschreiblich  viel  gewonnen  hat,  ist 
ein  Werk  der  Mondgöttin,  und  alle  Buchstaben -Namen 
der  Hebräer  und  Griechen  sind  weibliche  Wesen,  z.  B. 
Aleph  (hal-ef),  Bet  (be-et),  Gimel  (gim-el),  Dalet 
(dal -et)  u.  s.  w.  Ferner  Alpha  (hal-afa),  Beta  (ben- 
eta  oder  esa),  Gamma  (gam-a),  Delta  (del-eta)  u.  s.  w. 
Die  Formen  der  Buchstaben  wurden  wahrscheinlich  den 
Gestalten  der  entsprechenden  Berge  nachgebildet,  und  es 
ist  ohnstreitig  ein  Irrthum,  wenn  man  wähnt,  dafs  die  er- 
wähnten Buchstaben  ursprünglich  Stier,  Haus,  Kameel, 
Thür  u.  s.  w,  hiefsen. 

Unter  den  zahllosen  Gegenständen,  welche  die  Con- 
templation  der  Menschen  auf  sich  zogen ,  nahmen  gewifs 
die  Berge  den  ersten  Rang  ein.  Diese  herrlichen  Wun- 
derwerke der  sichtbaren  Schöpfung,  diese  Ehrfurcht  ge- 
bietenden Dome  der  Natur,  die  weder  Wasserfluthen 
noch  Donnerstürme  umzustürzen  vermochten,  erhielten 
noch  durch  die  Religion  eine  höhere  Bedeutung.  Diese  ver- 
setzte auf  die  von  den  Strahlen  der  Morgensonne  zuerst, 
und  von  dem  Glänze  der  Mondsonne  zuletzt  schimmern- ^ 
den  Berge  den  Sitz  der  Gottheit  und  machte  die,  in 
wunderbarer  Selbstständigkeit  da  stehenden  Berge  selbst 
zu  Gottheiten,  oder  doch  zu  ihren  vorzüglichsten  und 
ersten  Repräsentanten.  Man  verfuhr  bei  der  Benennung 
der  Berge  zunächst  nach  den  Vorschriften  der  Autono- 
mie ,  indem  man  einem  hohen  Berge  den  Namen  hun 
(hu-un)  chun,  gun,  einem  weniger  hohen  jun,  einem 
Spitzberge  zun,  sun,  schvm,  einem  niederen,  sich  breit 
dehnenden  dun ,  tun ,  einem  kleineren  bun ,  pun ,  fun, 
vun ,  wun ,  einem  weit  gestreckten  hohen  Berge  mun, 
ferner  einem  durch  Schluchten  und  Kessel  durchbroche- 
nen Berge  den  Namen  rum  beilegte.  Die  niederen  Ber- 
ge einer  jeden  angedeuteten  Art  nannte  man  hin,  chin, 
kin,  gin,  zin,  sin,  schin,  din,  tin ,  min,  bin,  pin,  fin, 
vin ,  win ,  rin ,  oder  wenn  sie  etwas  höher  waren ,  hen, 
chen,  ken,  gen,  zen,   sen^  sehen,  den,  ten,  men,     ben. 


—     63     — 

pen  ,  ff  n ,  vcn ,  wen ,  ren.  Auch  war  es  den  Bestimmun- 
gen der  Autonomie  angemessen,  dal's  man  allen  unmit- 
telbar unter  hölicrcn  Bergen  liegenden  Bergen  (Vorge- 
birge) den  (weiblichen)  Namen  nun,  und  den  sich 
sanft  hinstreckenden,  oft  mit  Laubholz  bewachsenen  Hü- 
geln die  Benennung  lum,  lom  (Lommatsch,  Stadtname) 
beilegte.  Das  aber,  was  die  Autonomie  in  diesem  Falle 
gebot,  heiligte  die  Religion  durch  ihre  Vorschriften. 

Nachdem  die  religiöse  Potenz  auf  die  Bildung  der 
Sprachen  Einflufs  gewonnen  hatte,  mufsten  sich  die 
Hauptwörter  nach  ihren  Regeln  gestalten.  Ein  Pferd  z. 
B.  mufste  S^ö,  equus,  kon,  Rofs  u.  s.  w. ,  die  Kuhvacca 
(van-acca),  kruwa  (kur-awa)  u.  s.  w.  und  das  Schaaf 
als  ein  kleines  Bergthier  ovis  (ho-vi-is)  wowza  (wow- 
oza)  nach  den  erwähnten  Regeln  heifsen.  Alle  auf  Ber- 
gen befindlichen  und  den  Bergen  ähnliche  grofse.  hohe 
Gegenstände  des  Thier  -  Pflanzen-  und  Mineral  -  Reichs 
mufsten  nun  mit  tiefen  Vocalen,  die  niederen,  kleineu 
aber  mit  feinen  Vocalen  und  mit  den  angemessenen  Con- 
sonanten  genannt  werden. 

Wenn  aber  der  Einflufs  der  Bergreligion  auf  die  Bil- 
dung aller  Hauptwörter  sich  nicht  abläugnen  läfst,  so  er- 
scheint er  als  evident  bei  der  Bildung  der  Zeitwörter. 
Diese  bildete  man  auf  folgende  Weise.  Wollte  man  näm- 
lich die  Bewegungen,  Wirkungen,  überhaupt  die  Thä- 
tigkeit  eines  Menschen,  eines  Thieres,  einer  Pflanze  und 
eines  Minerals  andeuten,  so  verglich  man  diese  Thätig-. 
keit  mit  der  wirklichen,  oder  scheinbaren  Thätigkeit  des 
Sonnengotts,  oder  der  Mondgöttin,  und  der  Mensch  sagte 
in  diesem  Falle:  Sonnengott  ich,  oder  Mondgöttin  ich 
scilicet  bin,  oder  im  infinitivo  Sonnengottseyn,  Mond- 
göttinseyn.  Bisweilen  glaubte  man  eine  und  dieselbe 
Thätigkeit  sowohl  an  der  Sonne  als  auch  an  dem  Mon- 
de wahrzunehmen,  und  in  diesem  Falle  sagte  man:  Son- 
ne und  Mond  (zugleich)  seyn. 

Das   lateinische    Zeitwort  ton-are   heifst   Berg-  oder 


—     64     — 

Sonnengott  seyn  so  wie  das  wendische  wojowacz,  wel- 
ches die  Handking  des  die  Völker  zum  Kampfe  führen- 
den und  für  die  Völker  kämpfenden  Sonnengotts  (noch 
jetzt  in  den  Symbolen  des  Adlers,  Löwen,  Rosses  sichtbar) 
bezeichnet.  Das  wendische  Verbuin  biedzicz  (bin-id- 
schin-icz)  bedeutet  das  Kämpfen  der  der  Mondgöttin 
(Bellona)  auf  Tod  und  Leben.  Desgleichen  auch  das 
lateinische  certare   ^^  (ger-et-are). 

Die  Hebräer  bildeten  ihre  Zeitwörter  durch  Zusam- 
mensetzung eines  oder  zweier  Bergnamen  und  der  SyU 
ben  ah,  ak,  ag,  al,  ar,  uz  u.  s.  w.  Im  praesenti  sup- 
plirte  man  am  Ende  sum ,  im  perfecto  fui  und  im  infi- 
nitivo  esse.  Statt  dafs  die  neueren  occidentalischen  Spra- 
chen die  Person -Bezeichnung  (ich,  du,  er  u,  s.  w.  vor- 
setzen, hängen  die  Hebräer  die  Personal- Namen  an  die 
Wurzel.  Wollten  sie  z.  B.  sagen:  Ich  bin  einher  gegan- 
gen, so  sprachen  sie  "'.niON  ^^  d.  h.  Sonnengott  ich,  sci- 
licet  sum  oder  fui. 

Der  hebräischen  Sprache  gleich  bildete  auch  das 
Sanscrit,  diese  einst  von  Cap  Comorin  bis  zu  den  Ge- 
birgen von  Kaschgar  (kasch-gar,  Bergstadt)  gesprochene 
fein  gebildete  alte  Sprache,  ihre  Zeitwörter.  Sie  setzte  im 
Infinitivo  den  Berg-  oder  göttlichen  Namen  blos  hin,  z. 
B.  tan,  (ta-an,  lateinisch  tend-ere),  tud  (tu-ud,  latei- 
nisch tund-ere),  vid  (vi-id,  lat.  vid-ere),  li  (li-i,  gi'ie- 


S4  Das  Wort  certare  sollte  sich,  nach  der  Regel,  auf  ere  endi- 
gen. Da  aber  das  Streiten  und  Kämpfen  grofse  Kraftan- 
strengungen erfordert,  so  gab  man  dem  Worte  die  männ- 
liche Endung  are. 

35  Die  hebräisclie  Sprache  besteht  aus  denselben  Elementen, 
aus  %velchen  andere  Sprachen  zusammengesetzt  sind  und  sie 
ist  mit  diesen  nach  denselben  Regeln  gebildet.  Wenn  aber 
die  Juden  z.  R.  "'.ri'TttJN  schrieben,  ?o  dachten  sie  eben  so 
wenig  an  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Worts,  als  wir 
daran  denken ,   was  das  Wort  laufen  anfänglich  bedeutete. 


-^     65     — 

chisch  XvsLv)  und  überliefs  dem  Sprechenden  die  Suppli- 
rung  des  esse  in  Gedanken.  Das  Sanscrit  hat  folglich 
Aehnlichkeit  mit  dem  Englischen,  welches  auch  den  In- 
finitiv ohne  Hinzusetzung  des  are ,  ere,  ire;  acz ,  en  u. 
s.  \v.  bildet,  z.  B.  to  look  (lu-uk) ,  Mondgüttin  seil,  seyn 
to  love  (lo-ove,  oder  oze,  ose  u.  s.  w,)  seil,  esse,  Mond- 
güttin seyn,  oder  lieben  u.  s.  w. 

Die  wendische  Sprache  setzt  die  Personal -Bezeich- 
nung gegenwärtig  vor  die,  eben  so,  wie  in  andern  Spra- 
chen gebildete  Wurzel.  In  früheren  Zeiten  scheint  sie 
das  ich  bin  im  praesens  blos  durch  am  (tw)  und  ju  (ttfii). 
oder  blos  durch  u  ausgedrückt  zu  haben,  wie  die  latei- 
nische und  griechische.  Noch  jetzt  spricht  man  in  man- 
chen Gegenden:  storkam  statt  ja  storkam,  welches  letz- 
tere eine  Corruption  des  Worts  ist,  weil  storkam  (stor- 
ok-am  d.  h,  Berg-  oder  Sonnengott  ich  bin)  schon  ich 
stofse  heifst. 

Im  Infinitivo  setzen  die  Wenden  an  die  Wurzel 
ucz,  ocz,  ycz,  acz,  ecz,  icz,  welches  durch  esse  zu 
übersetzen  ist  und  dem  lateinischen  are,  ^re,  ere,  ire 
entspricht.   '* 


S6  Auf  nycz  endigt  sich  kein  wendisches  Zeitwort,  wie  die  Sei- 
lersche  Grammatik  §.  91.  p.  60  lehrt.  Das  hier  als  Beispiel 
aufgestellte  Zeitwort  wuknycz  ist  aus  wuk  ,  nu  oder  un  und 
ucz  zusammengesetzt.  Man  könnte  das  wuknycz  durch  wuk- 
ny  bycz  d.  h.  Lernender  seyn,  übersetzen.  Weim  man  je- 
doch auf  die  Wörter  anderer  Sprachen ,  die  dasselbe  bedeu- 
ten, sieht,  so  wird  es  mehr  als  wahrscheinlich,  dafs  wuk- 
nicz  eben  so  gut  primitiv  ist,  als  discere,  lernen  u.  s,  w, 
Discer  (ger)  ere  und  lernen  ( 1er -ene-en)  bedeutet  ohn- 
steitig  eine  Mondpriesterin  sej'^n,  und  wuknycz  Mondprie- 
sterseyn.  Beide ,  die  Moudpriesterinnen  Und  die  (gelehrten) 
Mondpriester  wurden ,  nach  dem  Glauben  des  Alterthums 
von  der  Mondgöttin  (vergleiche  Minerva)  belehrt,  und  die 
Zeitwörter   lehren    (ler-en)    und  wuczicz    (wu-tschin-icz) 


66 


Im  Griechischen  und  Lateinischen  sind  die  Zeitwör- 
ter auch  aus  der  Zusammensetzung  von  Berg-  oder  gött- 
lichen Namen  gebildet.  Das  sum  im  Praesens  wird  in 
der  ersteren  Sprache  durch  aco ,  oco,  sco,  ico  und  rca  und  in 
manchen  Fällen  durch  ifii  (^sifii)  ausgedrückt.  So  heilst 
oQccca  eigentlich  hor-ao  und  bedeutet  Berggott  oder  Son- 
nengott ich  bin,  (pt?.£Oi  (phi-il-eo)  Berggöttin  ich  bin, 
oder  ich  liebe  zärtlich.  Im  Infinitive  bezeichnete  die  grie- 
chische Sprache  das  an  die  Wurzel  gehangene  esse  durch 
asiv  (äv),  OBiv  (sv),  tstv  (siv),  vsiv,  so  wie  durch  avat, 
ovatjBvat,  ivai.  Das  sum  in  der, ersten  Person  des  Praesens 
der  lateinischen  Zeitwörter  wird  durch  ö ,  eo ,  o  und 
io  ausgedrückt  und  das  esse  im  Infinitivo  durch  are,  ere, 
fere ,   ire. 

Dienen  italische  Sprache,  die,  aufser  dem  alt  itali_, 
sehen  Sprach -Elemente,  doch  auch  manches  Besondere, 
in  die  neueren  Sprachen,  insonderheit  in  das  Slavische 
Spielende  ^^  hat,  gleicht  in  der  Bildung  der  Zeitwörter 
der  lateinischen. 


bedeuten  daher  Mondgöttinseyn.  Das  lateinische  docere 
(doc-cer  oder  ger-ere)  hat  auch  die  Bedeutung  Mondgöt- 
tin- oder  Mondgott -seyn.  Die  Sonnenpriester  empfingen 
ihre  Weisheit  und  ihre  Künste,  zu  denen  auch,  im  Falle 
der  Noth,  das  eigne  Kämpfen  gehörte,  von  dem  Sonnen- 
gott. Späterhin  befanden  sich  bei  den  Armeen  auch  noch 
gelehrte  Mondpriester. 

S7  Es  ist  schon  von  Andern  bemerkt  worden :     dafs  die  vvrendi- 
sche   Sprache    schon    deshalb   Aehnlichkeit  mit  der  Italieni- 
schen hat,    weil  auch  in  ihr  sich  sehr  viele  Wörter  auf  Vo- 
cale   endigen,     wie  man  dies    aus   folgendem  Verse  (der  4te 
aus  dem  Liede:    Ich  hab  meine  Sach  Gott  u.  s,  w.)  sieht: 
Schto  Czlowek  je  hacz  Rusliczka? 
Won  nahi  pschindze  do  Swjeta 
A  niczo  szobu  nenefse,    tez  newosme, 

Dyz   safso  steho   Swjeta   dze, 
Ueberdies  harmonirt    die    wendische   Sprache   mit   der 
italienischen  nicht  nur  hinsichtlich  der  auch  in  der  letzte- 


67 


Obgleich  die  französische  Sprache  von  der  lateini- 
schen, wie  von  einer  fremden  Substanz,  durchgedrungen 
ist,  so  hat  sie  doch  noch  vieles  Eigenthümliche,  aus  dem 
Altgallischen  Herrührende.  Sie  bildet  die  Infinitiven  ih- 
rer Zeitwolter  der  lateinischen  adaequat  durch  ar,  er,  6r, 
ir,  z.  B.  in  devoir,  pleurer,  tendre,  batir.  Die  erste  Per- 
son im  Praesens  bildet  sie  durch  einen  oder  mehrere 
göttliche  Namen  und  läfst  das  sum  weg,  wie  die  hebräi- 
sche. So  heifst  je  parle  (par-le)  ich  Berggöttin,  scili- 
cet,  bin.  Dies  ist  eine  Eigenthümlichkeit ,  die  der,  wahr- 
scheinlich einst  auch  eben  so  herrlichen  Sprache,  als  z. 
B.  die  lateinische  und  slavische  noch  jetzt  sind,  in  ih- 
rem sklavischen  Zustande  noch  geblieben   ist. 

Die  deutsche  Sprache,  die  jetzt  das  seytt  im  Infini- 
tivo  immer  durch  en  ausdrückt,  hatte  früher  auch  die 
Formen  an ,  on ,  in ,  die  dem  griechischen  ascv ,  ostv,  ssiv, 
iHv  entsprachen»   Das  sum  in  der  ersten  Person  des  Prae- 


ren  vorkommenden  Ziscli- Laute,  sondern  aucli  in  der  Bil- 
dung der  Diminutivi  und  Aumentativi ,  oder  Magnanitivi 
die  iin  Wendischen  gewöhnlich  dispreggiativi  oder  impro- 
bativi  sind.  Das  Wort  ragazza  z.  B. ,  dessen  Elemente  aufs 
Gothische  und  Slavische  hinweisen ,  heilst  im  Wendischen 
Holza,  ragazzina-Holczka,  ragazziniola  -  Holcziczka  >  ragaz- 
zota'Holciatko,  (welches  neutrius  generis  ist,  weil  ein  sol- 
ches Mädchen  weder  ein  Kind  noch  eine  erwachsene  Jung- 
frau ist)  ragazzaccia  —  Holczisko,  welches  auch  ein  neu- 
trum  ist,  wie  es  virago  und  selbst  virgo  ursprünglich  war. 
Jedoch  perhorrescirt  die  ernste  wendische  Sprache  die  Spie- 
lereien, welche  die  italienische  mit  ihren  vezzeggiativi 
(Schmeichelwörtchen)  und  peggiorativi  >  z.  B.  mit  ragazzet- 
tellina  (ein  kleines  armes  liebes  Mädchen),  fanciulettino 
(ein  kleines  liebes  Kindchen)  und  con  tadinucciaccio  (ein 
niedrig  kleiner  abscheulicher  Bauer),  cavalettinucciaccio 
(ein  kleines  hübsches,  jedoch  tückisches  und  deswegen  has- 
senswerthes  Pferd)  u.  s.  w.  treibt.  Als  einti  alte  dem  San- 
scrit  ähnelnde,  Sprache  hat  die  wendische  einen  Dual,  wie 
das  Sanscrit   und  das  Griechische, 

5* 


—     68     — 

sens  eines  Zeitworts  lautet  e,  z.  B.  ich  stofse  (ston-os-e). 
Ursprünglich  hat  sie  wohl  eben  so  wenig  die  Pronomina 
ich,  du,  er  u.  s.  w.  den  Personen  vorgesetzt,  als  die 
wendische.  Die  Pronomina  waren  nämlich  schon  in  den 
Endungen  e,  est,  et,  en,  enthalten. 

Da  man  im  Alterthume  die  Handlungen  eines  Men- 
schen, eines  Thieres  u.  s.  w.  bald  mit  der  Thätigkeit  des 
Sonnengotts,  bald  aber  mit  der  der  Mondgottin  verglich, 
so  ist  es  natürlich,  dafs  die  Vcrba  gleich  den  Hauptwör- 
tern in  masculina  und  feminina  zerfielen.  Zu  der  letz- 
teren Cksse  gehören  diejenigen  Zeitwörter,  welche  in 
der  Wurzel  die  hohen  Vocale  e  und  i  haben.  Z.  B.  le- 
gere, lesen,  schreiben,  pifsacz  (pi-is-acz),  singen  (sin- 
ig-en),  welche  Wörter  alle  Handlungen  der  Mondgöttin, 
oder  der  sie  repräsentirenden  Priesterinnen  oder  der 
Mondpriester  bedeuten.  Weiblich  sind  auch  alle  alle 
Zeitwörter,  die  sich  mit  n  und  1  anfangen,  z.  B.  nutrire, 
nuere,  nocere;  nähren,  nicken,  nahen,  necken,  na- 
schen; vsvco,  vinzat,  vvxsvco;  H^; ,  S^i5 ,  p^! ,  'nU:r ; 
lavare,  ludere,  licere;  leben,  lieben,  loben,  leh- 
ren, lachen;  lova,  UiKptva;  nX':;,  '»"b  u.  s.  w.  Im 
Hebräischen  ist  generis  feminini.  z.  B.  ^V""  (jan-lan-at) 
peperit,  T^^  (jan-lan-ach)  iit  u.  s.  w.  Auch  die  Zeit- 
wörter, die  ein  zere  purum  und  cholem  purum  in  der 
letzten  Sylbe  haben,  scheinen  zu  den  weiblichen  Zeit- 
wörtern zu  gehören,  z.  B.  SSCH,  inclinavit,  amavit, 
'b'D'ii  (scha-col)  Uberis  privata  est  u.  s.  w.  Nicht  min- 
der auch  die  Zeitwörter,  die  sich  auf  N  endigen  und  in 
deren  kal  schon  der  hohe  Vocal  i  vorherrscht,  wie  z.  B. 
in  N'np,     i<Ep  u.  s.  w. 

Manche  Thätigkeit  der  Menschen  und  Thiere  stellte 
man  in  unmittelbare  Vergleichung  mit  der  Sonne  und 
dem  Monde.  So  entstand  das  hebräische  Zeitwort  y^'n 
(ru-uz)  durch  den  Vergleich  des  laufenden  Menschen 
mit  dem  scheinbaren  Laufe  der  Sonne.  Die  nördlichen 
Deutschen   so   wie    die    Wenden    verglichen    das   Laufen 


—     69     — 

eines  Menschen  ofTer  Tliicres  mit  dem  Laufen  ries  Mon- 
des, und  erhielten  dadurch  die  Zeitwörter  laufen  (lan- 
af-en)  und  biezecz  ( bien-sche-erz).  Selbst  die  südli- 
cheren Griechen  haben  ihr  vcrburn  zq^x^Iv  ( ter -  ech  -  £«v) 
von  dem  Laufe  des  Mondes  abgeleitet. 

Sehr  viele  Zeilwörter  entstanden  aber  nicht  durch 
unmittelbare  Vergleichung  der  menschlichen  Handlun- 
gen mit  den  wirklichen  oder  scheinbaren  Handlungen 
der  Sonne  und  des  Mondes,  sondern  durch  die  Verglei- 
chung der  Thätigkeit  der  Menschen  mit  der  eigenthüm- 
lichen  Thätigkeit  der  zahlreichen  Repräsentanten  (Prie- 
stern, Priesterinnen,  Fürsten,  Fürstinnen,  Stieren,  Kü' 
hen,  Adlern,  Eulen,  Pfauen,  Eichen,  Schlangen,  Quel- 
len, Obelisken,  Tempeln  u.  s.  w. )  des  Sonnengotts  und 
der  Mondgöttin.  So  ist  z.  B.  serpere  ( ser -  ep  -  ere )  von 
den  Bewegungen  der  Schlange ,  welche  als  Repräsentan- 
tin der  Mondgöttin,  oder  doch  unter  dem  besonderen 
Regimente  der  Letzleren  stehend,  gedacht  wurde,  abgelei- 
tet. Das  deutsche  Wort  kratzen  is  aus  kar  oder  gar  und 
az  oder  as  zusammengesetzt.  Was  man  sich  aber  ur- 
sprünglich unter  dem  karaz  dachte,  kann  jetzt,  wo  die 
primären  Bedeutungen  der  Wörter  zum  gröfsten  Theile 
uns  nicht  mehr  bekannt  sind  und  wo  die  Sprache  der 
Bergreligion  in  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  fast  eine 
terra  incognite  ist,  nicht  bestimmt  angegeben  werden. 
Wahrscheinlich  dachte  man  sich  unter  dem  kar  oder  gar- 
az  oder  as,  mit  dem  man  einen  kratzenden  Menschen 
verglich,  einen  Adler,  oder  Raben  (zoga^),  einen  Lö- 
wen ,  oder  einen  Bär,  welche  Thiere  den  Berg-  oder  Son- 
nengott repräsentirten. , 

Indem  sich  aber  der  Mensch  im  fernen  Alterthume 
mit  Thieren  verglich  und  sich  selbst  Thier  nannte,  konnte 
ihm  diese  Operation  nicht  als  etwas  seine  Würde  Her- 
absetzendes erscheinen.  Die  Thiere  nämlich,  mit  deren 
Handlungen  er  seine  eigene  verglich,  hatten  durch  die 
Repräsentationen,  die  der  religiöse  Glaube  ihnen  zuschrieb, 


—     70     — 

eine  höhere,  göttliche  Bedeutung,  und  man  konnte  selbst 
in  diesem  Falle  sagen :  dafs  die  Götter  die  Menschen  ihre 
Sprache  gelehrt  hätten. 

Obgleich  man  in  Betreff  der  Onomatopoeien  auto- 
nomisch  verfuhr,  so  waren  doch  dieselben  nicht  eine 
Frucht  einer  blinden  Willkühr.  Man  mufste  auch  hier- 
bei nicht  nur  die  Vorschriften  der  Religion,  sondern  auch 
die  in  einer  Sprache  gangbaren  Wörter  berücksichtigen. 
So  waren  die  Deutschen  beinahe  genöthigt  das  Wort 
brüllen  von  dem  Geschrei  des  gröfseren  Rindviehes  zu 
gebrauchen,  weil  in  der  Sprache  der  von  dem  kaukasi. 
sehen  Gebirge  herstammenden  Deutschen  das  Wort  bur, 
bor,  bar,  ber,  bir  herrschend  w^ar.  Das  Wort  brüllen 
ist  aus  bir-le-en  zusammengesetzt.  Birle,  per  metathesin 
bri-le  scheint  hier  eine  Kuh  anzudeuten,  welche  (verglei- 
che die  Kuh  Audau  mala  in  der  skandinavischen  Mytholo- 
gie) die  Berg-  oderMondgöttin  repräsentirte.  Das  wendische 
Wort  rucz,  welches  die  Handlung  und  den  Ton  des 
Brüll ens  andeutet,  ist  aus  ru-ucz  (rug-ire)  zusammen- 
gesetzt. Das  Wort  ru  aber  bedeutet  wahrscheinlich  einen 
Löwen  oder  einen  Stier,  und  rucz  entweder  Löwe-seyn 
oder  Stier -seyn.  Das  deutsche  Wort  blecken  ist  aus  bel- 
ek-en  entstanden  und  heifst  Mondgöttinseyn.  Das  Ble- 
cken ,  oder  corrupte  Blöcken  wurde  aber  ohnstreitig  des- 
halb Mondgöttinseyn  genannt,  weil  das  kleine  (blocken- 
de )  Vieh,  z.  B.  Schaafe ,  Kälber  etc.  unter  dem  besonde- 
ren Regimente  der  A-Iondgöttin  standen.  Dieselb-e  Be- 
wandnifs  hat  es  auch  mit  dem  wendischen  Onomapoeti- 
con  beczecz  (ß}.r]X'^o{iai ,  ßlrjyrj),  welches  aus  be-tsche- 
ecz ,  Berggöttinseyn  entstanden  ist.  Das  deutsche  Wort 
heulen  (VV,  jan-lan-al,  Berg-  und  Mondgöttin)  ist  aus 
heu-le-en  gebildet  und  heifst  Eule  (Repräsentantin  der 
Mondgöttin)  seyn,  und  das  wendische  Wort  wucz  bedeu- 
tet Berggott-  (hier  in  der  Repräsentation  des  Wolfs) 
seyn. 

Dafs  die  Beiwörter  (Adjectiva)  anfänglich  alle,  bis  auf 


—     71     — 

die  abfiel eiteten  ParticipiaKAdjectiva,  Substantiva  waren, 
ist  wohl  keinem  Zweifel  unterworfen.  In  der  ersten  Zeit 
entbehrten  die  Sprachen  die  Adjectiva  ganz,  und  die  Ei- 
genschaft eines  Dings  wurde  durch  mehrere  zu  einem 
Worte  verbundene  Bergnamen  bezeichnet,  z.  B.  'av&Qwnog, 
aedes,  Mercurius,  Juiiiter,  Tungusia,  Germania  (ger- 
ma-ania  oder  asia)  Hannover,  bh^'n  (hei-le-el^  der  Mor- 
genstern, die  Venus),  npns  (ne-gosch,-et)  sbd  (sche- 
le-eg)  in'^ib  (le- ve-ja- atan  ,  athon,  ason,  azon),  das 
in  der  Tiefe  (le)  in  einer  ebenen  Linie  hinstreichende 
(ve)  einem  mäfsigen  Berge  ähnliche  (Jan)  groise  Thier, 
(der  Wallfisch)   u.  s.  w. 

In  der  Folge,  als  die  ursprünglichen  Bedeutungen 
der  mit  grofser  Genauigkeit  gebildeten  Ursprache  verlo- 
ren gegangen  waren  (schon  lange  vor  Moses  und  Hero- 
dotus),  setzte  man  zu  dem  nicht  mehr  in  seiner  ursprüng- 
lichen Bedeutung  verstandenen  Wörtern  andere  Haupt- 
wörter als  das  erste  Wort  (Hauptwort)  erklärende  appo- 
sita  hinzu.  So  hiefs  d-sög  fisyag  ursprünglich :  9s6g  als 
(liyag  (me-'ga-as)  oder  Berggott  und  puella  (pu-ela) 
parva  als  par-ava  oder  asa  u.  s.  w. 


B,     Auf   die   Benennungen   der    späteren    religiösen 
und  bürgerlichen  Einrichtungen  der  Völker. 

Erwähnt  ist  es  schon  worden,  dafs  die  ägyptischen  Py- 
ramiden, .,so  wie  das  Cretische  Labyrinth  eine  Nachah- 
mung def  früheren  Felsentempel  auf  den  Bergen  waren 
und  dafs  man  sie  Berggöttingebäude  nannte.  Aber  auch 
die  später  in  den  Städten  erbauten  Tempel  wurden  Berg- 
gebäude oder  Gottesgebäude  genannt,  weil  sie  den  alten 
Felsentempeln  ähnlich  und  weil  sie  Heiligthümer  der 
Götter    waren.     Dies   erhellet   aus    der   Construction   der 


,     _     72     — 

Namen:  templum  (^tem-bu-hel-um),  Pagode  (bu-ko- 
ode),  Kirche  (ger-ike),  Zyrkei  (sir-ken-hei),  aedes 
(hen-edes),  Dom  (Dom-om),  b^i^'n  (hein-cal),  Dscha- 
mie  (dscham-ie),  Mosche  (mon-asche  oder  ase)  u.  s.  w. 

Die  Priester  ^^  welche  an  den  aris,  ^^  oder  asis  der 
Götter  und  später  in  den  Tempeln  fungirten,  wurden 
entweder  mit  dem  Namen  der  Gottheit,  der  sie  dienten, 
benannt,  oder  ihnen  wurde  der  Name  der  Kinder,  Söh- 
ne und  Lieblinge  ihrer  Gottheit  beigelegt,  in  welchem 
letzteren  Falle  die  Priesternamen  die  Form  der  Patro- 
nymica  haben.  Den  Namen  der  Gottheit  tragen  gröfs- 
tentheils  die  Namen  der  Oberpriester   bei  den  Hebräern, 


38  In  Indien  haben  die  Brauiinen  ihr  uraltes ,  göttliches  Anse- 
hen, welches  das  der  Kschettris,  der  Krieger-  oder  Regen- 
ten-Kaste (Fiajah,  Radschan)  bei  weitem  übertrifft,  durch 
Religionsartikel  geschützt.  Im  93,  94  und  95  §.  des  ersten 
CapiteLs  von  Menu's  Gesetzbuche  heilst  es :  Da  der  Brahniin 
aus  dem  vortrefflichsten  Theile  entsprang,  da  er  zuerst  ge- 
boren wurde,  und  da  er  den  Veda  besitzt,  so  ist  er  von 
Rechtswegen  das  Hanpt  dieser  ganzen  Schöpfung.  Ihn  liefs 
das  Wesen,  welches  durch  sich  selbst  besteht,  aus  seinem 
eigenen  Munde  im  Anfange  hervorgehen,  damit  er  nach 
der  Beobachtung  heiliger  Gebräuche  den  Göttern  gesäuberte 
Butter  (die  Glii,  die  in  ledernen  Flaschen  aufbewahrt 
wird ,  )  darreichen  möchte ,  und  Reiskuchen  den  Erzeugern 
des  Meiischengeschlechts  zur  Erhaltung  dieser  Welt.  Wel- 
ches erschaffene  Wesen  nun  kann  ihn  übertreffen,  mit  des- 
sen Munde  die  Götter  der  Veste  unaufhörlich  gesäuberte 
Butter  schmausen  und  die  Schatten  der  Vorältern  geheiligte- 
Kuchen  (Pindas  oder  Reiskuchen)  bei  der  monatlichen 
Sraddha  (Radofs  und  Sradofs  heilst  im  Wendischen  hohe 
Freude,  Wonne,  und  ton  dzen  teho  Sradowanja  heilst 
ein  Tag  hoher  Freude,  Festtag)  und  bei  der  Sraddha  der 
Götter? 

S9  Das  AVort  ara  ist  aus  har-a  oder  ha-ara  zusammengesetzt, 
und  bezeichnet  etwas  Hohes,  Bergähnliches.  Ara  ist  gleich- 
bedeutend mit  Romowe  und  ähnlich  dem  wendischen  Rod- 
zischczo. 


—     73    — 

Wenden,  Preufsen  und  Italem,  welches  das  hohe  Anse- 
hen anzudeuten  scheint,  in  welchem  die  Priester,  inson- 
derheit aber  die  Hohepriester,  bei  diesen  Völkern  stan- 
den. Einen  Sonnengott  bedeutet  bei  den  Preufsen  Schwal- 
gon,  Burton,  Puston  (Bu-as-ton);  bei  den  Italern  die 
Arvales  (har-val),  Salii  (San-hal).  Den  Namen  der  Berg- 
oder Mondgüttin  führte  der  hebräische  "j^rb  (ko-hen), 
der  lausitzische  Mjeschnik  (min-isch--nin-ik,  Diener 
der  Min  und  der  nis),  die  rethrarischen  Miki  (min-iki), 
die  preufsischen  Lingussonen  (lin-cu-usson),  Tilussonen, 
(til-us-on  oder  son),  Wejonen  (wen-jon),  Seitonen  (sin- 
ton),  die  römischen  Flaniines  (buh-lam),  und  Galli 
(cal-lin)  u.  s.  w. 

In  der  Gestalt  der  Patronymica  begegnen  uns  die 
Namen  der  gallischen  Druiden  (tur-iden,  Sonnenpriester), 
der  germanischen  Barden  (bar-aden,  Sonnenpriester),  der 
römischen  Luperci  (lun-ber-eci ,  Mondpriester)  und  der 
Fetiales,  (buh-ez-hal,  Priester  der  alten  Berggöttin,  '^^ 
oder  der  Buh-eza,  asa),  der  preufsischen  Siggonotten 
(sin-gon-oten),  der  obotritischen  Veidelboten  (vin-del- 
bo-oten,  Mondpriester),  der  chinesischen  Bonzen  (bon- 
ozen  )  und  des  griechischen  yscpvQcoTrig  ( ken  -  bir  -  otes, 
Mondpriester). 

Der  Name  des  römischen  Pontifex  (maximus)  ist 
nicht  a  ponte  sublicio  reficiendo  abzuleiten,  sondern  er 
ist  aus  pon  oder  bon,  tin-bvi-ek  oder  ex  entstanden.  Be- 
rücksichtigt man  die  hohen  Vocale  der  letzten  Sylben 
des  Worts,  so  kann  man  nicht  daran  zweifeln,  dafs  pon- 
tifex ursprünglich  einen  Mondpriester  bedeutele.  Die- 
selbe Bedeutung  hat  auch  Criwe,  der  bekannte  Name  des 
nordwendischen  Oberpriesters.  Dieser  Name,  den  man 
oft  fälschlich  von  krej  (krawia)  abgeleitet  und  mit  Blöt- 


40  Bei  dem  Triumphe  des  Cermanicus  erschien  auch  ein  Prie- 
ster der  Katten,  Namens  Libis.  Das  Wort  Lybys  bedeutet 
offenbar  einen  Mondpriester. 


—     74     — 

madur,  dieser  späteren,  eines  Opferpriesters  bei  den  Skan- 
dinaven  gleichbedeutend  gewähnt  hat,  ist  aus  gir  oder 
kir  und  iwe  oder  iwo  entstanden  und  bedeutet  einen 
grofsen  Mondpriester.  Adelung  (  Mithrid.  IL  p.  712)  irrt, 
indem  er  Crivve  von  dem  Vv'orte  Graf  (gar-av)  ablei- 
tet. Beide  Namen,  Graf  und  Criwe,  ruhen  zwar  auf 
derselben  Wurzel  (gur,  gor,  gar,  ger,  gir);  nur  bedeu- 
tet gir  oder  kir  und  per  metathesin  des  r  der  Criwe  et- 
was von  der  Berggöttin  Abhängiges,  oder  derselben  Aehn- 
liches,  Graf  aber  ein  Abbild  des  Sonnengotts.  Der  Cri- 
we wurde  auch,  vorzüglich  bei  den  Preulsen,  Criweito 
genannt.  Dieser  Name  gehört  zu  den  nominibus  aug- 
mentativis,  welche  der  wendischen  Sprache  nicht  min- 
der eigenthümlich  sind,  als  der  Neu -Italischen.  Nach 
der  gegenwärtigen  wendischen  Sprechart  würde  Criweito 
Criwischczo  heifsen.  Mehrere,  vorzüglich  Prätorius  und 
Hartknoch  haben  Criweito  durch  Richter  der  Richter 
übersetzt.  Diese  Uebersetzung  drückt  aber  nur  einen 
Theil  der  Würde  nnd  der  Functionen  des  preufsischen 
und  wendischen  Hohepriesters  aus.  Allerdings  nahm  der 
Criweito ,  oder  ein  Vicarius  desselben  an  den  am  Neu, 
mond  gehaltenen  peinlichen  Gerichten  Theil.  Er  bestä- 
tigse  entweder  das  gesprochene  iJrtheil,  oder  er  erklärte 
den  Angeklagten  für  unschuldig.  Es  stand  folglich  dem 
Criweito  das  Recht  der  Reformation  des  gesprochenen  ür- 
theils  zu,  wenn  er  letzteres  in  seiner  Weisheit  für  zu 
hart  erkannte.  In  der  That  war  daher  der  Criweito  ein 
Richter   der   Richter,     oder  der  oberste  Richter. 

Dafs  der  Criweito  an  den  Verurtheilungen  zum  To- 
de einen  so  entscheidenden  Antheil  nahm,  dies  forderte 
der  religiöse  Glaube  des  Alterthums ,  nach  welchem  er 
die  Göttin  der  Weisheit ,  der  Liebe ,  der  Gerechtigkeit 
und  des  Todes  repräsentirte ,  und  dafs  der  Einflufs,  den 
ihm  sein  oberstes  Pvichteramt  auf  das  weltliche  Regiment 
seines  Volks  gewährte,  ihm  ein  sehr  grofses,  das  Ansehen 
des  Königs  überwiegendes  Ansehn  gab,  (major  flaminis 
quam   regis   apud  ipsos    [Rugianos]   auctoritas   est,     sagt 


—     75     — 

Adam.  Brem.  I.  36.)  dies  ist  natürlich.  Wenn  aber  schon 
die  obevrichterlichen  Befugnisse  dem  Crivv  oder  Criweito 
ein  hohes  Ansehen  verliehen,  so  steigerte  dieses  Ansehen 
doch  noch  mehr  seine  hohepriesterliche  Würde.  Will 
man  das  Magnanitiv  Criweito,  Criwito  (Criwischczo), 
in  die  jetzige  Sprache  übertragen,  so  würde  man  ohnge- 
fähr  die  Uebersetzung  erhalten:  die  Berggöttin  (Mond- 
güttin)  repräsentirender  Hohepriester;  oder  will  man  die 
Form  des  neutri  in  Criwito  angemessener  ausdrücken: 
mondgüttliche  Gröfse,  Erhabenheit,  Hoheit.  Dasselbe, 
was  der  slavische  Name  Criw  oder  Criwito  (nord-  und 
ost-slavisch)  bedeutete,  bezeichnet  noch  jetzt  die  Be- 
nennung Delai-Lama  in  Tibet  (tin-bu-et,  Bergland) 
und  Dayri  (day-hiri,  oder  dan-iri,  Berggöttin)  in  Japan 
(Jan-pan  oder  buan,  Bergland). 

Der  Tibetanische  Titel  Lama,  der  dem  deutschen 
Worte  Hoheit,  Majestät  und  dem  persischen  Mirza  ähn- 
lich ist,  ruht  auch  auf  dem  Mondbergnamen  Lam.  Der 
japanische  Titel  Kubo-Soma  bedeutet:  sonnengöttliche 
Majestät,  und  Dairi-Soma  ist  durch  mondgöttliche  Ma- 
jestät zu.  übersetzen.  Den  Dairi  nennt  man  in  Japan 
auch  Jesiko  (Jen-sin-iko)  ,  welcher  Name,  wenn  man 
seine  hohen  Vocale  berücksichtigt,  auch  andeutet,  dafs 
man  sich  unter  ihm  einen  Repräsentanten  der  Moudgöt- 
tin,  oder  des  Mondgotts  denkt.  Nach  den  japanischen. 
Chroniken  ist  die  japanische  Theokratie  (Dairi)  schon 
663  vor  Christi  Geburt  entstanden  und  dauerte  bis  zum 
Jahre  1160  der  christlichen  Zeitrechnung,  wo  sich  das 
Oberhaupt  einer  im  hohen  Ansehen  stehenden  fürstlichen 
Familie  des  Landes  der  Zügel  der  weltlichen  Regierun«» 
bemächtigte,  dem  geistlichen  Herrscher  aber  nicht  nur 
seine  religiösen  Attribute,  sondern  überdies  noch  einen 
Schatten  seiner  ehemaligen  weltlichen  Macht  liefs. 

Bemerkenswert!!  ist  es,  dafs  die  Oberpriester  mehre- 
rer  Völker  sich  den  Namen  der  INIondgottheit  beigelegt 
haben.     Hierbei   scheinen   sie  verschiedenen    Beweggrün- 


—     76     — 

den  gefolgt  zu  seyn.  In  den  nördlichen  Ländern,  wo 
der  Mondcultus  vorherrschte ,  fanden  sie  es  deshalb  an- 
gemessen,  sich  Mondgottheit  zu  nennen,  weil  sie  die 
Hauptgottheit  des  Landes  repräsentirten ,  oder  als  nahe 
mit  derselben  verbunden,  gedacht  wurden.  In  den  T^än- 
dern  aber,  wo  der  Sonnencultus  vorherrschend  war,  hiel- 
ten sie  es  doch  für  anmaafsend ,  sich  Sonnengötter  zu 
nennen,  und  nannten  sich  daher  nur  Mondgottheit,  wo- 
durch sie  andeuten  wollten,  dafs  sie  nicht  nur  die  Mond- 
gottheit repräsentirten ,  sondern  dafs  sie  als  Stellvertreter 
des  Sonnengotts  dem  Monde  ähnlich  waren,  der  nach 
dem  Glauben  des  Alterthums,  oft  die  Sonne  vertrat.  Fer- 
ner legten  sich  die  Oberpriester  deshalb  die  Qualität  der 
Repräsentanten  der  Mondgottheit  bei,  weil  diese  Quali- 
tät ihnen  einen  grofsen  Einflufs  auf  die  Verhältnisse 
des  bürgerlichen  Lebens  ihres  Volkes  gab  und  weil  sie 
dadurch  das  Principat  unter  den  Richtern  des  Landes  er- 
hielten. In  den  Reichen,  wo  die  Theokratie  untergegan- 
gen war  und  weltliche  Herrscher  unter  dem  Namen  des 
Sonnengotts  (Kubo,  Schach,  Sultan)  das  Militair-Gouver- 
nement  führten,  nannten  sie  sich  Mondgottheit  wegen 
der  Aehnlichkeit,  die  sie  als  Mitregenten  in  Verwaltungs- 
sachen mit  dem  Monde  hatten ,  der  als  Mitregent  des 
Sonnengotts  gedacht  wurde. 

Die  weltlichen  Herrscher,  welche  die  Völker  führ- 
ten und  dieselben  unter  dem  Beirath  der  Oberpriester 
(vergleiche  Mufti  bei  den  Türken)  regierten,  wurden 
im  Alterthume  in  der  Regel  mit  dem  Sonnengotte  ver- 
glichen,    und  ein  jeder  einzelne  Sonnengott  '^^  genannt. 


41  Obgleich  Menu's  indisches  Gesetzbuch  seine  jetzige  Form 
erst  später  durch  den  AVeisen  Bhrigu  (vergl.  T.  Cap.  §.  59.) 
erhielt,  so  sind  doch  seine  Elemente  ohnslreitig  zum  gröfs- 
teii  Theile  uralt.  In  diesem  Gesetzbuche  wird  die  hohe  Be- 
stimmung eines  Herrschers  im  VII.  Cap.  §.  8,  4  und  5  also 
angedeutet:     Man    darf   einen  König,     wenn   er   auch   noch 


—     77     — . 

Davon  geben  Zeugnlfs  die  Namen:  Pharao  (buh-har-o), 
Zaar  (zan-ar),  Schach  (schan-ach  oder  as),  Mogul 
(inon-gu-ul),  Kral  (kar-al),  Grul  (gur-ul),  Rajah 
(ran -Jan -ah  oder  as),  Sohan  (sol-tan),  Roi  (ron-ah 
oder  as),  Schupan  (schun-pan),  Graf  (gar-av),  Baron 
(bar-on),  Chan  (ku-an)  u.  s.  w.  Der  Königsname  der 
Italcr  (rex),  bei  welchen  es  in  ahen  Zeiten  nur  kleine 
Königreiche  gab,  scheint  einen  kleinen  Herrscher  (Mond- 
güttin)  anzudeuten,  so  wie  auch  das  englische  King  (kin- 
ik),  das  türkische  Bey  (ben-hei,  Mondgöttin)  und  Dey 
(den -ei),  das  südasiatische  Scheik  (sehen- ik)  und  das 
nmericanische  Kazik  (ka-zin-ik).  Einen  kleinen,  oder 
doch  von  einem  gröfseren  HeiTScher  (Jehovah)  abhängi- 
gen Fürsten  bezeichnet  ohnstreitig  auch  das  hebräische 
"rjb^  (mel-ech,  ek)  und  das  griechische  Wort  ßacdEvs 
(ba-sin-len-es)  enthält  die  Benennung  eines  Fürsten, 
der,  wie  der  habessinische  Negus  (nen-gu-us),  die  Son- 
nen- ixnd  Mondgottheit  zugleich  repräsentirte.  Der  mexi- 
canische  Herrschername  Montezuma  war  ein  zusammen- 
gesetztes Wort,  dessen  beiden  ersten  Sylben  vermuthlich 
Monde  (mon-ode,  Berggöttin)  lauteten  und  die  mit  dem 
chinesischen  Chuandi  (ku-an-di)  gleichbedeutend  wa- 
ren. Das  angehängte  Zuma  ist  derselbe  Titel,  der  in  Ja- 
pan Soma  (summus)  heilst  und  der  gewöhnlich  durch  Kaiser 
übersetzt  wird.  Das  Wort  Montezuma  wäre  demnach  durch 
oberster  Fürst,  oder  Oberherrscher  zu  übersetzen.  Das  per- 
sische Mirza  (mir-aza)  oder  Mursa  ist  mit  demperuaniscchen 


ein  Kind  ist,  niclit  mit  Gleichgültigkeit  behandeln,  noch 
sich  einbilden ,  er  sey  ein  blofser  Sterblicher.  Er  ist  eine 
mächtige  Gottheit,  die  in  menschlicher  Gestalt  erscheint. 
Der  Regierer  des  Weltalls  bildete  ihn  aus  ewigen  Theilchen, 
die  er  aus  den  Wesen  Indra.  Pavana,  Yama,  Surya,  des  Ag- 
ni und  Varuna,  des  Chandra  und  Cuvera  nahm.  Und  da 
ein  König  aus  Tlieilchen  zusammengesetzt  wurde,  die  diesen 
Hauptschutzgottheiten  zugehörten,  so  übertrifft  er  daher  alle 
Sterblichen  an  Kuhm.  Vergleiche  auch  die  politische  Er- 
liliirung   des  zweiten  Psalms, 


—     78     — 

Inca  (hin-aca,  *^  Berggöttin)  und  dem  hebräischen   rnt) 
(schon -bu- et,    Mondgöttin)  gleichbedeutend. 

Aber  nicht  nur  die  Ehren -Namen  der  Fürsten  und 
Könige  wvirden  aus  Gütternamen  zusammengesetzt,  son_ 
dern  auch  die  ahen  Eigennamen  der  wehlichen  Herr- 
scher waren  aus  göttlichen  Namen  gebildet.  Manche 
Fürsten  hiefsen  nvxr  Sonnengott,  oder  Berggott,  z.  ß.  die 
persischen  Darab  (Dar-av  oder  as ,  Darius)  und  Abas 
(han-bu-as),  der  numidische  Dabar  (dan-bar),  der 
atheniensische  Codrus  (con-tur-us) ,  der  angelsächsische 
Horst  (hor-as  oder  ast)  etc.  Andere  Fürsten  nannten 
sich  nicht  nur  Sonnengötter,  sondern  auch  zugleich  Mond- 
gottheit. In  diese  Classe  gehören  die  Fürstennamen: 
Porsena  (bor-sen-a),  Tarquinius  (tar-cu-hin-us) ,  Pan- 
öion  (pan'din-on) ,  Antiochus  (han-tin-och  oder  os), 
Masinissa  (man-sin-issa  oder  iza),  Salomon  (san-lom- 
ön),  Boleslaus  (bol-es -lan-as) ,  Bogislaus  (bog-is^lan- 
as),  Cor -es  oder  Cyr-us,  Hannibal  (han-nin-bal),  Ha- 
milcar  ( hani - mil - car  oder  gar)  etc.  In  manchen  Eigen-, 
namen  der  Fürsten  steht  der  Name  der  Mondgöttin  vor 
dem  Namen  des  Sonnengotts ,  z.  B.  in  dem  Namen  Pyr- 
rhus  (bir-hun-us)  ,  Sigismund  (sin-gi-is-raun-ud),  Ina- 
chus  (hin-han-alc),  Nikolas  "^^  (nin-col-as),  Lycaon 
(lin-can)  etc.     Manche   Fürsten   hiefsen   nur   Mondgott- 


42  Die  Endung  ca  in  Inca  kann  auch  ein  invei-tirtes  ak,  das 
im  Ostasiatischen  und  auch  im  Slavischen  (kulka,  Höhna, 
Mirschnika  u.  s.  vv.)  nicht  selten  vorkommt,  seyn.  Wahr- 
scheinlich würde  eine  genaue  Vergleichung  der  alten  Ost- 
asiatischen Sprachen  mit  den  alten  americanischen  und 
australischen  die  Behauptung  bestätigen:  dafs  Australien 
und  Amerika  einst  auch  von  Asien  aus  bevölkert  worden 
sind,  oder  dafs  zum  Mindesten  Einwanderungen  von  Asia- 
ten in  die  sogenannte  neue  "Welt  Statt  gefunden  haben. 

43  Nikolas  leitet  man  gewöhnlich  fälschlich  von  viKccco  und 
Iccog  ab. 


—     79     — 

heit,  z.  B.  Nin-us,  Perseus  (ber-scn-us),  Mizislaus  (min- 
zin-lan-as),  Vercingetorix  (ber-zin-ge-tor-ik) ,  Smer- 
dis  ( sen-mer-din-is),  Thescus  (ten-sen-es)  etc.  Ob- 
gleich sich  alle  Fürsten  für  Stellvertreter,  Sühne  und  Ab, 
kömmlinge  der  Götter  hielten,  so  war  diese  Vorstellung 
doch  noch  besonders  durch  manche  Eigennamen  dersel- 
ben ausgedrückt,  z.  B.  durch  den  Namen  Mithridates. 

Da  die  Fürsten  den  Namen  der  Berg-  oder  Sonnen- 
götter führten,  so  war  es  angemessen,  dals  man  die 
Fürstinnen  "'"'■  Mondgöttinnen  nannte;  denn  eine  Für- 
stin ähnelte  ja  in  mehrfacher  Hinsicht  der  Mondgöt- 
tin. Berg-  oder  Mondgöttin  heifst  Tomyris  (tom-hir-is), 
Semiramis  (sem-mir-ham-is),  Helena  (hei- len-a),  Cly- 
tämnestra  (kil-tem-nen-es-tera) ,  Niobe  (nin-obe), 
Sara  (sar-a),  Olga  (hol-oga  oder  asa),  Gertrude  (ger-tur- 
ude),  Mina  (min-a),  Alwina  (hal-win_a),  Minona 
(min-ona),  Ernestine  (her-nen-es-tin-e),  Hermine 
(her-min~e)  etc. 

Es  liegt  am  Tage,  warum  sich  die  Fürsten  der  Völ- 
ker Sonnengötter  genannt  haben.  Aber  es  fragt  sich, 
warum  sie  zu  dem  Namen  des  Sonnengotts  auch  noch 
den  Namen  der  Mondgottheit  hinzufügten.  Darauf  ist 
folgendes  zu  antworten.  In  fernem  Alterthume  war  die 
Sonnen-  und  Mondgottheit  in  vielen  Gegenden  in  einer 
Person  vereinigt.  "Wollten  nun  aber  die  Fürsten  für  Re- 
präsentanten   der    androgynischen    Gottheit    gelten ,     so 


44  In  Ostasien  werden  noch  jetzt  niclit  nur  die  Fürsten,  son- 
dern auch  die  Fürstinnen  für  Wesen  gehalten,  die  mit  den 
Göttern  nahe  verwandt  sind.  Als  vor  einigen  Jahren  ein 
englischer  Ambassadeur  in  der  Residenz  eines  hinterindi- 
schen Herrschers  ankam,  war  so  eben  eine  Princessin  an 
der  Cholera  verstorben.  Die  Einwohner  wagten  aber  dies 
nicht  auszusprechen ,  weil  sie  dadurch  gegen  die  Lehre  ih- 
rer Religion:  dafs  ein  Fürst  und  eine  Fürstin,  ja  selbst 
eine  fürstliche  Tochter  mehr  als  ein  sterblicher  Mensch 
ist,  zu  sündigen  befürchteten. 


—     80     — 

mufsien  sie  in  ihren  Eigennamen  auch  den  Namen  der 
Mondgöttin  aufnehmen.  Wurde  aber  auch  späterhin  der 
Sonnen-  und  Mondeuhus  in  manchen  Ländern  getrennt, 
so  war  doch  die  Verehrung  des  Mondes  auch  dort  noch 
eben  grofs  genug,  dafs  dieselbe  die  Fürsten  bewegen  konnte, 
zu  dem  Namen  der  Sonnengottheit,  den  sie  führten, 
auch  den  der  Mondgoltheit  hinzuzufügen.  In  den  nördli- 
chen Ländern,  wo  die  Adoration  des  Mondes  vorhenschte, 
hatten  die  Herrscher  einen  noch  besonderen  Beweggrund, 
sich  Mond-  und  Sonnnengötter,  oder  auch  nxir  Mondgöt- 
ter zu  nennen.  Waren  die  Fürsten  nicht  nur  Anführer 
der  Völker,  sondern  verwalteten  sie  auch  das  oberrich- 
terliche Amt  in  ihrem  Staate,  so  mulsten  sie  auch  des- 
halb den  Namen  der  Mondgöttin  ihrem  Namen  ein- 
verleiben. Führten  manche  Fürsten  einen  patronymischen 
Namen,  so  bezeugte  dies,  dafs  sie  sich  für  Söhne  und 
Stellvertreter  der  Gottheit  hielten,  deren  Namen  sie  führ- 
ten. So  hiefs  Mithridates  *^  ein  Sohn  des  Mondgottes 
und  Herodes  ein  Abkömmling  der  Mondgöttin. 


45  Mithra  (mith-ira)  heitst  der  Mond,  oder  die  Moiidgöttin. 
Es  ist  uiigewifs,  ob  die  Izeds  ursprünglich  die  6  Winternio- 
nate,  in  denen  der  Mond  herrscht,  oder  die  Nächte  in  den 
Sommermonaten  bedeuteten,  oder  ob  die  Mithra  mit  ihrer 
Reihe  von  Izeds  gar  eine  weniger  geachtete  Pieligion  war, 
wie  die  litthauische  in  Preufsen.  So  viel  scheint  aber  ge- 
wifs  zu  seyn,  dafs  die  Deutung,  die  Zoroaster  später  der 
früheren  bactrischen  und  persischen  Religionslehre,  die  oh- 
ne Zweifel  von  der  anderer  Völker  nicht  sehr  verschieden 
war,  gab,  nicht  die  ursprüngliche  Religion  Bactrieils ,  Me- 
diens  und  Persiens  war.  Wenn  es  nicht  geleugnet  werden 
kann,  dafs  das  wahr  ist,  was  Herr  Dr.  de  Wette  in  seinen 
Vorlesungen  über  die  Religion  p.  402  von  der  geistigen  su- 
blimen Beschaffenheit  der  Zoroasterschen  Lehre  sagt,  so 
ist  es  doch  auch  gewifs ,  dafs  in  derselben ,  wenn  man  ihre 
historische  Basis  berücksichtigt,  eine,  von  den  religiösen 
Meinungen  anderer  Völker  sehr  abweichende  Stellung  der 
alten  Religionsideeu  nicht  zu  verkennen  ist.  Sollte  rlie  spä- 
tere   Monatsreligion    der   skandinavischen,     aus    Kaukasien 


—     81     — 

Angemessen  der  hohen  Vorstellung ,  die  man  von 
den  Königen  hatte,  war  es,  dafs  letztere  nicht  nur  ne- 
ben den  Bergtempeln,  oder  Berg- Götterburgen  wohnten, 
sondern  auch  späterhin  in  der  Ebene  in  Gebäuden  ihren 
Wohnsitz  nahmen,  die  den  hohen,  prächtigen  Götterbur- 
gen ähnlich  waren.  Diese  Gebäude  nannte  man  sowohl 
wegen  ihrer  Aehnlichkeit  mit  einem  Berge  als  auch  des- 
halb, weil  sie  Wohnungen  sichtbarer  Berggötter  waren, 
auch  Bergwesen,  Berggebäude,  Göttersitze.  Dies  bezeu_ 
gen  die  Namen:  Burg  (bor-ag),  Schlofs  ( schin  -  Ion -as 
Mondgöttingebäude),  Rod  (ron-ad),  Grod  (gor -od), 
ara  (har-os),  )'i'Knü_  (har-mon),  fil-^ü  (tir-ah  oder  as),  li^O 
(sun-gar),  n5>ä  (maan  oder  mon-os),  'n''^,:ii  (seri-ag 
oder  ak)  u.  s.  w. 


C.     Auf  die  Bildung  der   Ortshamen» 

ihs  ist  eine  fast  allgemein  verbreitete  Meinung,  dafs  die 
Namen  der  Dörfer  und  Städte  ihre  Entstehung  willkühr- 
lichen  und  zufälligen  Ursachen  verdanken.  Diese  falsche 
Meinung  hat  zum  Theil  die  Erzählungen  von  der  Ent- 
stehung vieler  Ortsnamen  veranlafst,  die  von  denen,  die 
sich  für  die  Bedeutung  der  Ortsnamen  interessiren ,  oft 
wiederholt  werden.  Diese  Erzählungen,  so  grundlos 
und  ungereimt  sie  auch  sind,  haben  die  Ortschroniken- 
schreiber aufzuzeichnen,  gröfstentheils  nicht  ermangelt. 
Bekannt  ist  die  falsche  Ableitung  des  Namens  der  Stadt 
Rom  **   von   Romulus.     Nicht   minder  bekannt  ist  auch 


herstammenden  Gothen  nicht  vielleicht  ein  depravfrterZo- 
roastrismus  seyn  ? 

46  Rom  (ro-om  heifs  eine  auf  einem,  von  Hiigehi  und  Thälern 

6 


—     82     — 

die  Fabel  von  der  Entstehung  des  Namens  der  Stadt  Bu- 
dissin  in  der  Oberlausitz.     In   Betreff    des    Ursprungs  des 
Namens   des   letztgenannten    Orts    erzählt   man  sich   Fol- 
gendes.    Eine ,     in    gesegneten    Leibesumständen  sich  be- 
findende Fürstin  habe  gelobt,    falls  sie  von  einem  Sohne 
glücklich  entbunden  würde,  eine  Stadt  zu  erbauen.    Die 
jBrsten  Worte  ihres  Gelübdes  (budze  szyn,    d.  h.  wird  es 
ein   Sohn  sevn)   hatten,     nach   der   Erfüllung  des  Wun- 
sches der  Fürstin,     der    von  ihr    erbauten  Stadt  den  Na- 
men gegeben.     Eben    so   grundlos   sind   die   Erzählungen 
von  der  Entstehung  der    Namen  der   beiden  an  dem  lin- 
ken   Eibufer    liegenden  Städte  Dommitsch   und  Pretzsch. 
Diese  Städte  hätten,     so    erzählt  man  sich,     ihre  Namen 
von  dem  Ausrufe    der  Wenden   erhahen ,     den  sie  hören 
liefsen,  als  sie  einst  gegen  den  Kaiser  Heinrich,  den  Vo- 
•gelsteller,     auf  dem  linken  Eibufer  zwei  Schlachten  ver- 
loren hatten.    Einmal  sollen  sie  ausgerufen  haben :  wono 
]e  scho  precz,  d.  h.  es  ist  Alles  weg  (verloren),  und  das 
andere  Mal:     my  dyrbimy  dom  hicz,     d.  h.  wir  müssen 
nach  Hause  (auf  das  rechte  Eibufer)  gehen.     Das  Mähr- 
chen:    dafs    die   Stadt  Peitz    von    der  Peitsche    des    Kut- 
schers,  des  brandenburgischen  Markgrafen  Johann  Georg 


beSeckten,  Terrain  gebaute  grofse  Stadt,  und  das  Wort  ist 
generis  masculiui ,  weshalb  die  Wenden  ton  F>.oni  oder  Ro- 
my  (plurale)  sagen.  Das  lateinische  Wort  Roma  hat  die 
Feminalform,  welche  die  Lateiner  in  ihren  Städtenamen 
liebten,  die  sich  aber  für  den  Namen  einer  so  grofsen  Stadt 
nicht  eignet.  Wäre  die  Gegend,  in  welcher  Rom  gebaut 
wurde,  höher,  so  würde  die  Stadt  Ruma  genannt  worden 
seyn.  —  Bemerkenswerth  ist  es,  dals  die  Erbauer  Roms 
Romulus  (Sonnengott)  und  Remus  (Mondgott)  heifsen. 
Höchstwahrscheinlich  liegt  den  Namen  Romulus  und  Re- 
mus der  uralte  ,  politisch  dargestellte  Glaube  an  die  Grün- 
dung der  Völker  und  Staaten  durcli  den  Sonnengott  und  die 
Mondgöttin  zu  Grunde.  Vergleiche  das,  was  weiterhin  über 
Tuisko  und  Mannus  bemerkt  ist,  —  Latiuni  (lan-azium, 
asium)  bezeichnet  eine  Thalgegend  und  Latini  (lat-inen' 
laz-inen)  heifsen  Thalbewohner. 


—     83     — 

von  der  Neuraark  und  die  Stadt  Cüstrin  ihren  Namen 
von  einer  Katharine  (Trine)  erhalten  liabe,  erzählen  jetzt 
nur  noch  einfähige  Weiber.  Diejenigen,  welche  sich 
über  die  unter  dem  Volke  in  Botreff  der  Entstehung  der 
Ortsnamen  cursirenden  Mährchen  erhoben  haben,  su- 
chen nachzuweisen,  dafs  dieser  oder  jener  Ort  seinen 
Namen  von  irgend  einem  heidnischen,  dort  aufgestellt 
gewesenen,  Götzenbilde,  von  einem  Fürsten  oder  Für- 
stin, von  einem  Edelmann  oder  einer  Edelfrau,  von  ei- 
ner dort  Statt  gehabten  Schlacht,  und  von  andern  zufäl- 
ligen Ursachen  erhalten  habe,  und  bekräftigen  diese  ihre 
Behauptung  durch  die  Anführung:  dafs  Alexandria  von 
Alexander,  Constantinopel  von  Constantin  dem  Grofsen, 
Elisabethgrad  von  der  Kaiserin  Elisabeth,  Theresienstadt 
von  der  AUeinherrscherin  Maria  Theresia  u.  s.  w.  seinen 
Namen  erhalten  habe,  und  dafs  man  in  Nordamerica  den 
neu  angelegten  Städten  ganz  willkührliche  Namen  gebe. 
So  wenig  dies  geläugnet  werden  kann ,  ja  so  gewifs  es 
ist,  dafs  es  Orte  späteren  Ursprungs  giebt,  die  den  Na- 
men von  ihren  Erbauern,  von  den  Flüssen  und  Heil- 
quellen, an  denen  sie  liegen,  u.  s.  vv.  erhalten  haben,  so 
gewifs  ist  es  aber  auch,  dafs  der  grofste  Theil  der  Orts- 
namen, insonderheit  sämmtliche  Namen  alter  Orte  ihre 
Entstehung  den  Vorstellungen  der  Bergreligion  verdan- 
ken. Diesen  Vorstellungen  gemäfs  sah  man  in  einem  je- 
den Dorfe  und  in  einer  jeden  Stadt  nicht  nur  eine  berg- 
ähnliche Erscheinung  (tor-av,  wen -es,  wefs),  stan-iza^ 
'nsp  (ken-pa-ar),  kc6(ii]  (come),  I^S',  (hir),  n'i'p,  [ger-et), 
ui-bs  (hur -üb),  im  genitivo  hur-ubis  contracte  hurbis 
oder  urbis),  aju  (han-asti,  oder  di),  Miesto  (men-es- 
eto),  sondern  man  gab  auch  einem  jeden  besonderen 
Dorfe  und  einer  jeden  besonderen  Stadt  einen  besonde- 
ren Namen,  welchen  der  Berg,  auf  dem  sie  gebaut  wur- 
de, oder  der  ihr  zunächst  lag,  bestimmte.  War  der  Berg, 
auf  dem,  oder  an  dem  eine  Stadt,  oder  ein  Dorf  lag 
ein  höherer,  so  wurde  der  Ort  So.nnenstadt  oder  Son- 
nendorf genannt;  gehörte  dagegen  der  Berg  zu  den  nie- 
deren oder  Mondbergen,     so  hiefs  man   den  anliegenden 

6* 


Ort  Mondstadt  oder  Monddorf.  Ein  jeder,  auch  der 
kleinste  Ort,  erhielt  auf  diese  Weise  den  Namen  Got- 
tes- oder  Göttin -Stadt   oder  Dorf. 

Auf  diese  Weise  entstanden  männliche  und  weibli- 
che Ortsnamen.  Die  männlichen  Ortsnamen  wurden  auch, 
wie  die  andern  männlichen  Wörter,  durch  die  tiefen  Vo- 
cale  ausgezeichnet,  die  weiblichen,  oder  niedrig  gelege- 
nen aber  erhielten  die  hohen,  oder  man  hing  an  den 
männlichen  Bergnamen  asa,  iza,  ana,  ona  etc.  Oft  ist 
der  Berg,  nach  welchem  man  im  Alterthume  einen  Ort 
nannte,  so  unbedeutend,  dafs  man  nicht  selten  Mühe 
hat,  ihn  aufzufinden.  Wenn  der  Berg,  nach  welchem 
ein  Ort  benannt  ist,  auch  jetzt  in  gi'öfserer  Entfernung 
von  demselben  liegt  ^  so  war  dies  in  früheren  Zeiten  ge- 
wöhnlich anders,  wo  die  Menschen  durch  die  noch  nicht 
ausgetrockneten  Sümpfe  der  Niederungen  genöthigt  wur- 
den, sich  näher  an  den  Bergen  anzubauen.  Da  hoch 
und  niedrig  relative  Begriffe  sind,  so  darf  man  sich  nicht 
wtmdern,  dafs  man  nicht  selten  einen  Berg  durch  Cusch 
fcezeichnet  findet,  der  im  Vergleich  mit  den  indischen 
Cusch  und  mit  den  Cusch  anderer  Gegenden  nur  ein 
Hügel  ist.  Weil  die  in  den  ebeneren  Gegenden  Wohnen- 
den doch  auch  ihre  Sonnenberge  haben  wollten,  so  kam 
oft  eine  unbedeutende  Anhöhe  zu  der  Ehre,  Sonnenberg 
genannt  zu  werden. 

Manchen  ist  die  Entdeckung ,  dafs  die  mehresten 
Ortsnamen  Producte  des  Glaubens  der  alten  Bergreligion 
sind,  nicht  erwünscht,  weil  sie  diese  Entdeckung  zu  der 
Gewifsheit  führt,  dafs  jeder  alte  Ortsname,  er  laute  wie 
er   wolle,   *^     weiter  nichts  bedeutet,     als  Bergdorf  und 


47  Die  alten  Ortsnamen  beschreiben ,  oder  malen  gleichsam 
die  Lage  eines  Orts  ab.  Die  Mannichfaltigkeit  der  Ortsna- 
men rührt  sowohl  von  der  Verschiedenheit  der  Lage  der 
Orte  als  auch  von  dem  beliebigen  Gebrauch  der  Sprachwur- 
zeln her.    Jedoch  war  dieser   Gebrauch   von   der    durch  die 


--'     So     — 

Bcrgstadt,  oder  Gottesdorf  und  Gottesstadt,  und  weil  sie 
alles  Spiel  des  Witzes  und  des  Scharfsinns,  dem  sich 
manche  Interpreten  der  Ortsnamen  gern  hingeben,  zu 
Schanden  macht.  Andern  dagegen  ist  die  Gewifsheit, 
dafs  alle  alte  Ortsnamen  ein  Prodnct  der  Bergreligion 
sind,  im  hohen  Grade  wichtig.  Sie  finden  nämlich  darin 
einen  deutlichen  Beweis,  dafs  Nordeuropa  schon  vor  Ein- 
führung des  niederen  Fetischismus  imd  des  Christenthums 
mehr  angebaut  war,  als  man  gewöhnlich  glaubt,  und 
dafs  namentlich  in  Germanien,  Sarmatien  und  Skythien 
schon  lange  vor  der  Einführung  des  Christenthums  bei 
weitem  mehr  Stabilität  in  dem  menschlichen  Aufenthalte 
und  mehr  Landescultur  herrschte,  als  noch  gegenwärtig 
in  den  Binnenländern  Amerika's,  wobei  sie  sich  jedoch 
nicht  verhehlen,  dafs  viele  schon  vorhandene  Orte,  z. 
B.  in  der  Lausitz,  durch  die  später  eingewanderten  Ser- 
ben erweitert  und  das  Land  um  sie  herum  mehr  ange- 
baut worden  ist.  Mancher  Ort,  der  jetzt  nur  ein  kleines 
Dorf  ist,  hatte  in  alten  Zeiten  den  Rang  einer  heutigen 
Stadt  (war  ein  äsen,  azen,  aten,  ethcn  u.  s,  w.),  und 
an  der  Stelle,  wo  ehedem  nur  einige  Hütten  standen, 
stehen  jetzt  die  Palläste  einer  fürstlichen  Residenz.  Ob- 
gleich die  Serben,  die  im  6ten  christlichen  Jahrhunderte 
von  den  Ufern  der  Unter -Donau  ins  Meifsnische  und  in 
die  Oberlausitz  einwanderten,  manche  der  vorhandenen 
Ortsnamen  nach  den  Forderungen  ihrer  Sprache  umän- 
derten, so  änderten  sie  doch  die  eigenthümliche  Beschaf- 
fenheit der  Ortsnamen  nicht,  weil  auch  ihr  religiöser 
Glaube  und  ihre  Sprache  auf  der  alten  Bergreligion  ru- 
hete.  Als  die  Deutschen  die  Länder  der  Wenden  ero- 
berten^    so   nahmen  sie  die  alten  Ortsnamen  wieder  auf, 


Religion  geheih'gten  Regel  abhängig.  Wenn  z.  B.  Berlin  auch 
Laon,  Nanking,  Bordeaux  (bor-odo),  und  Bremen  (ber- 
emen)  heilsen  konnte,  so  durfte  dieser  Ort  docli  nicht  Bar- 
do,  Bar  (sur  Aube)  und  Barcelona  (bar-sel-ona)  genannt 
werden. 


—     86     — 

verlängerten  sie  aber  gewöhnlich  durch  den  Zusatz  des 
Worts  Dorf,  Hain,  Heim,  Burg,  Berg  u.  s.  w.  Die  Na- 
men der  später  von  den  Wenden  angelegten  Orte  aber 
corrumpirten  sie  nach  den  Forderungen  der  Eigenthüm- 
lichkeit  ihrer  Sprache  und  gebrauchten  diese  verdorbenen 
Namen  in  den  schriftlichen  Urkunden,  oder  in  Diplomen. 

Bei  der  Bildung  der  Ortsnamen  verfuhr  man  im 
Alterthume  auf  folgende  Weise.  Wenn  eine  oder  meh- 
rere Familien  auf  einem  Puncte  sich  niedergelassen,  und 
wenn  sie  durch  ihre  Bemühungen  den  Boden  von  den 
Bäumen  des  Urwaldes  so  wie  auch  von  etwanigen  Stei- 
nen befreit  hatten,  so  erbauten  sie  sich  dort  Hütten,  in 
welchen  sie  sich  mit  ihrem  Viehe,  vorzüglich  während 
der  strengen  Winterkälte,  aufhielten.  Diese  Hütten,  die 
anfangs  vorzüglich  auf  Anhöhen  errichtet  wurden,  nannte 
man  ein  Seyn  oder  Wesen  und  bezeichnete  letzteres 
durch  die  Wörtchen:  üb,  uc,  ud,  uf,  ug,  uh,  uk,  ul, 
um,  un,  up,  ur,  us,  ut,  ux,  uz,  usch,  uz;  ob,  oc,  od, 
of,  og,  oh,  ok,  ol,  om,  on,  op,  or,  os,  ot  (oth)  ox, 
GZ,  osch,  oz;  ab,  ac,  ad,  af,  ag,  ah,  nk,  al,  am,  an, 
ap,  ar|,  as,  at  (ath,  ast),  av,  aw,  ax,  az,  asch,  az;  eb, 
ec,  ed,  ef,  eg,  eh,  ek,  el,  em,  en,  ep,  er,  es,  et,  ev, 
ew,  ex,  ez,  esch,  ecz;  ib ,  ic,  id,  if,  ig,  ih,  ik,  il, 
im ,  in ,  ip  ,  ir ,  is  ,  it  ( ith ) ,  iv ,  iw  ,  ix ,  iz ,  isch ,  icz. 
Vor  diese  Wöitchen  setzte  man  einen  Bergnamen  und 
dadurch  erhielt  man  den  Namen  eines  Orts.  Hatte  der 
angelegte  Ort  eine  hohe  Lage,  so  nahm  man  einen  männ- 
lichen Bergnamen  und  hing  an  denselben  eins  von  den 
erwähnten  Würtchen,  die  tiefe  Selbstlaute  haben.  So 
entsand  z.  B.  Arras  in  Frankreich  aus  har  und  as,  Aarau 
in  der  Schweiz  aus  har  und  aw  oder  au,  Ham  an  der  Som- 
me  aus  Ha  und  am,  Glatz  in  Schlesien  aus  Gal  und  az, 
Marasch  am  Euphrat  avis  Mar  und  asch,  Tann  am  Rhön- 
gebirge aus  Tan  und  an,  Thun  im  Canton  Bern  aus 
Tun  und  un ,  Husch  in  der  Moldau  aus  Hun  und  usch 
etc.     War  der  Ort  niedrig  gelegen,     so  nahm  man  den 


—     87     — 

Bori^nanien  in  der  weiblichen  Form  und  setzte  an  den- 
selben eines  von  den  vorstehenden  Wörtchen,  welches 
einen  hohen  (weiblichen)  Vocal  hat.  Auf  diese  Weise 
bildete  man  z.  B.  den  Namen  der  Stadt  Gueret  (ger-el) 
im  frauzösichen  Departement  de  la  Creuse  (ger-ese), 
der  Stadt  Gex  (dschen-ex)  am  Fufse  des  Berges  St.  Clau- 
de in  Frankreich,  der  Stadt  Kirn  (gir-in)  im  Koblen- 
zer Regierungsbezirke,  der  Stadt  Kiew  in  Rufsland,  der 
Stadt  Seres  (ser-es)  in  Macedonien,  der  Stadt  Peitz 
(pi-iz)  etc.  Den  Charakter  der  niedrig  gelegenen  Orte, 
die  man  sich  als  weibliche  Gottheiten ,  oder  doch  min- 
destens als  unter  dem  Schutze  der  weiblichen  Gottheit 
(Mondgöttin)  stehend  dachte,  bezeichnete  man  aber  nicht 
nur  durch  die  diesem  Namen  einverleibten  hohen  Vo- 
cale,  sondern  man  deutete  denselben  auch  durch  ein. 
dem  männlichen  Berg-  oder  Gottesnamen  angehcängtes  a 
(Rom-a,  Sor-a),  e  (Dahm-e),  oe  (Soroe),  i  (Gori  in 
Grusinien),  und  y  (Huy  im  Lütticlischen).  Eben  so  oft 
wurde  ein  weiblicher  Ortsname  dadurch  bezeichnet,  dafs 
man  zu  einem  Bergnamen  die,  ein  weibliches  Wesen 
nennenden,  Wörtchen:  uba,  uca  (Lucca),  uda,  ufa, 
uga  (Kal-uga),  uha,  uja  (Luja),  uka  (Luka),  ula  (Tula) 
uma ,  una  ( Corunna  ) ,  upa ,  ura  ,  usa  (  Susa  )  ussa ,  usta, 
Uta  (cuty,  Laute),  uva,  uwa,  uxa,  uya,  uza,  uscha, 
uza;  oba,  oca,  oda  (Roda),  ofa,  oga,  oha,  oja,  oka; 
ola  (Nola),  oma,  ona  (Ver-ona,  Sal-ona),  opa  (Joppe), 
ora  (Zamora),  osa  (Tolosa,  Toulouse),  ota,  otha,  ova 
(Cordova),  owa  ( W^arschowa ) ,  oscha  (Holscha,  Horscha, 
Dorfnamen  in  der  Oberlausitz)  oza;  aba,  aca,  ada  (Sta- 
de) afa  (Kaffa),  aga  (Praga),  aha,  aja,  aka  (Sakka  im 
Meifsnischen )  ama  (Parma),  ana  (Dschumna  oder  Jum- 
na),  apa,  ara  (Zara),  asa,  ata  (Dschenata  in  Habessi- 
nien) ,  ava,  awa,  axa,  aya,  aza,  ascha,  alscha,  aza;  eba, 
eca,  eda.,  efa,  ega  (Steege,  Steen-ege),  eha,  eja,  eka, 
ela  (Steele,  Steen-ele),  ema,  ena,  epa,  era  (Nehra), 
esa  (Seese,  Sen-ese),  essa  (Edessa),  eta,  esta,  eva,  ewa, 
eya,    eza,  escha,    eza;     iba,   ica,  ida    (Dschidda,   Nida, 


—     Ö8     — 

Neide) ,  ifa  (Tarifa) ,  iga ,  iha ,  ija ,  ika ,  ila ,  ima  (Grim- 
ma), ina  (Lina,  ein  Dorf),  ipa  (Lipa,  Leipe),  ira 
(Ka-ira),  isa,  issa  (Larissa),  ita,  itha,  iva,  ivva,  ixa, 
iza  (Voniza,  Belitz),  ischa,  iza  hinzufügte.  Bestand  ein 
Ort,  der  eine  weibliche  Endung  hatte,  aus  zvvei ,  oder 
aus  mehreren  Abtheilungen,  (Ober-  Mittel-  und  Nie- 
der-Stadt,  oder  Dorf)  so  gebrauchte  man  seinen  Na- 
men in  Plurali  z.  B^  Thebae,    Cumae,  Sdzar)^, Z*^    Nad- 


48  Sdzary,  Grofssärchen  bei  Hoyerswerda.  Der  Ortsname  Sär- 
clien  ist  nicht  ein  Diminutiv,  sondern  er  bezeichnet  einen^ 
auf  der  einen  Seite  etwas  höher  ( ser  )  liegenden  ,  grofsen 
(echen)  Ort.  Der  wendische  Name  Sdzary,  der  aus  sa- 
dscha-ar-y  zusammengesetzt  ist,  zeigt  einen  Ort  an,  der  auf 
der  einen  Seite  (Südseite)  etwas  höher  liegt  und  dessen  an- 
dere Seite  (Nordseite)  sich  allmählig  (dscha  oder  ja,  za) 
erhebt.  Die  Sylbe  ar  deutet  an,  dafs  der  Ort  vom  Wasser 
durchschnitten  ist.  —  Sdzar  (Sohra  bei  Bautzen)  bezeichnet 
einen  zum  Theil  hoch  gelegenen  (sa) ,  zum  Theil  an  einem 
sanft  ansteigenden  Berge  (dscha,  oder  dza)  liegenden,  im 
Ganzen  hohen  Ort.  Weil  das  Terrain,  auf  welchem  das 
Dorf  liegt,  von  einigen  kleinen  Thälern  durchbrochen  ist, 
deshalb  hat  der  Name  des  Orts  die  Sylbe  ar  zur  Endung. — 
Auch  in  den  Länder-Namen  deuten  die  Sylben  die  Beschaf- 
fenheit des  Terrains  der  Länder  an.  So  zeigen  z.  B.  die 
Sylben  in  Makedonia  an  :  dafs  das  Land  zum  Theil  Gegen- 
den hat,  in  denen  sich  ziemlich  hohe,  aneinander  hängende 
gestreckte  (ma)  Berge,  zum  Theil  wieder  niedrigere,  jedoch 
mit  einigen  kleineren  Hochbergen  ( ke )  bedeckte  Landstri- 
che finden,  dafs  ferner  hinter  diesen  eine  Hochebene  liegt, 
dafs  aber  doch  das  Land  im  Ganzen  in  Vergleich  zu  den 
hinter  demselben  ,  gegen  Norden  liegenden  Ländern  eine 
onia  d.  h.  ein  Niederland  ist.  —  Wird  man  einst  zu  der 
Ueberzeugung  gelangen,  dafs  sowohl  die  (alten)  Ortsna- 
jnen  als  auch  die  Ländernamen  ihre  Entstehung  nicht  zu- 
fälligen Ursachen  verdanken  ,  sondern  eine  Frucht  der  ge- 
nauen Contemplation  der  Natur  des  Alterthums  sind ,  so 
werden  uns  die  Reisenden  auch  über  die  Harnionie  der 
(alten)  Orts-  und  Länder-Namen  mit  der  Beschaffenheit  des 
Terrains  der  Orte  und  der  Länder  berichten. 


—     89     — 

zanazy,*'  Boschezy,  '°  Bosankezy  ^^  etc.  War  ein  Ort 
erofs  und  wollte  man  diese  seine  Beschaffenheit  ausdrü- 
cken ,  so  setzte  man  zu  den  oben  erwähnten  Wörtchen 
üb,  uc,  ud,  uf  etc.,  das  Würtchen  im,  on,  an,  en,  in, 
welches  man  durch  Stadt,  Ort,  übersetzen  kann,  und 
«rewann  auf  diese  Weise  die  Wortendung:  ubun,  üben, 
uban,  üben  (Guben,  Gu-uben),  ubin  (Lubin,  Lüb- 
ben);  ofun,  ofon,  ofan,  ofen  (Ofen,  Hon-ofen^'), 
ofin;  atun,  aton,  athon  (Marathon),  atan ,  aten,  athen, 
azen   (Bu-azen,  Bauzen),   atin;     etun,   eitun,    (Zeitun, 


49  Nadelwitz  bei  Bauzen.  Der  Name  bezeichnet  ein  im  Thale 
an  einem  sich  sanft  erhebenden  mäfsigen  Berge  liegendes 
Dorf.  Die  Sylbe  Na  bezeichnet  die  niedrige  Lage,  dafs 
Dzan,  welches  anderwärts  Jan  (jamais)  geschrieben  wird, 
die  Beschaffenheit  der  Anhöhe,  an  der  das  Dorf  liegt,  und 
azy  deutet  den  Plural  von  aza,  asa,  hier  das  Dorf  an, 

50  Baschütz  bei  Purschwitz. 

51  Bosankwitz  bei  Bauzen.  Ist  nicht  von  Bosanka,  d.  h.  die 
Fliederbeerej  abzuleiten,  sondern  bedeutet  ein  hochgelegenes 
Dorf. 

52  Ofen  in  Ungarn.  Es  ist  nicht  nöthig,  dafs  man  an  die  Syl- 
be o,  oder  ho  noch  ein  n  anhängt.  Ich  habe  aber  dies  ge- 
wöhnlich gethan,  um  den  Namen  des  Berges  ganz  zu  geben. 
Ein  Mitlaut  wurde  an  die,  sich  auf  einen  Vocal  endenden, 
Sylben  in  der  lateinischen  Sprache  (in  den  andern  weniger) 
in  der  Regel  dann  gehangen  (der  volle  Berg-  oder  Gottes- 
name gegeben),  wenn  eine  nicht  abzukürzende  Sylbe  (us,  os, 
as,  et,  is  etc.)  folgte,  wie  z.  B.  in  canis  (can-is).  sonor  (son- 
or), honor  (hon-or)  etc.  Folgten  zwei  Vocale  auf  einander, 
wie  in  Rose  (ro-ose).  Blase  (bal-ase),  Blume  (bul-ume) 
Fliege  (fli-ige)  etc.,  so  wurde  der  eine  herausgeworfen.  Wo 
in  einem  Worte  zwei  Selbstlaute  neben  einander  stehen ,  ist 
die  männliche  Endung  qu  z.  B.  in  equus  (das  us  ist  eigent- 
lich überflüssig)  umgekehrt,  wie  in  Menü,  Wischnu  etc. 
Eiine  Inversion  der  Endung  ist  auch  in  cornu,  gelu  etc., 
welche  Wörter  eigentlich  corun,  gelun  heifsen  sollten.  Cor- 
nix  (cor-nin-ix)  besteht  aus  zwei  Wörtern,  und  in  den  deut- 
schen Wörtern  Hörn  (hor-on).  Dorn  (dor-on),  Hafs  (hal-as) 
etc.  ist  hinten  ein  Vocal  herausgefallen. 


—     90     — 

zen-etun),  eton,  etan,  eten,  iten,  ithen  (Wil-ithen,  Wil- 
thon,  Weleczin).  Hinsichtlich  dieser,  einen  grofsen  Ort 
bezeichnenden,  "Wörtchen  ist  zu  bemerken:  dafs  die  ita- 
lische Sprache  das  un  in  urn  und  ium  verwandelt,  z.  B. 
in  D  y  räch  ium  ,  (tir-ach-um  oder  ium),  Brundisium 
(Brun-din-isum  oder  isium)  etc.  Die  griechische  Spra- 
che hat  on,  z.  B.  in  Marathon  (Mar-athon  oder  ason), 
etc.  Das  Hebräische  hat  auch  on,  aber  auch  an  j  das 
Germanische  hat  en  und  in  z.  B.  in  Nossen  (non-osen), 
Ressen  (ren-esen),  Raschen  (ren-esen  oder  eschen),  Gar- 
delcgen  ,  (  gar-den-len-egen)  ,  Hadmersleben  (had-mer- 
es-len-eben),  Aschersleben  (lian -  scher -len- eben),  Wer- 
ben ^^  (wer  oder  her -eben),  Missen  (min-isen),  Mei- 
fsen  (min -eisen,  Meifsen ,  wendisch  Mischnjo,  min- 
is  -  nin  -ijo  ) ,  Weferlingen  (  wen  -  ber  -  lin  -  igen  ) ,  Berlin  ^* 


53  Der  Name  Antwerpen  ist  aus  ant  oder  haut,  wer  und  epen 
gebildet.  Die  Sylbe  ant  bezeichnet  einen  hölieren  Piuict, 
an  welchem  die  Stadt  liegt.  Das  wer  deutet  die  ziemlich 
tiefe  Lage  des  Orts  an  und  die  Endung  epen  einen  grofsen 
ziemlich  tief  gelegenen  Ort.  Das  werpen  ist  ziemlich  gleich- 
bedeutend mit  Werben  bei  Coltbus.  Läge  Antwerpen  hoch, 
£0  müfste  der  Name  Antwerpen ,  Ontworpen  oder  Untwur- 
pen  lauten. 

54  Berlin  heifst  eine ,  in  einer  ziemlich  niedrigen  Gegend  ge- 
legene, grofse  Stadt  (elin).  Die  Sylbe  ber  deutet  die  Be- 
schaffenheit des  Terrains  an,  auf  welchem  die  Stadt  liegt 
luid  hat  eine  adji-ctivische  Potenz.  Mit  einem  Worte  der 
jetzigen  deutschen  und  wendischen  Sprache  läfst  sich  Ber- 
lin nicht  wiedergeben.  Wollte  man  den  Namen  durch  ein 
neugebildetes  Wort:  Tief-Grofsstadt  übersetzten,  so  drückte 
dies  d;  ch  die  Bedeutung  desselben  nicht  bestimmt  und  voll- 
ständig aus.  Wäre  die  Gegend,  in  welcher  Berlin  liegt,  noch 
niedriger,  so  müfste  der  Ort  Birlin  heifsen.  Der  Name  Ber- 
lin darf  nicht  von  dem  jetzigen  Worte  Berg  (mons)  und  von 
dem  wendischen  Worte  Lina  (der  Lehm)  abgeleitet  werden, 
sondern  er  ist  eben  so  giit  primitiv,  als  Budissin,  Fehrbel- 
lin ,  (rt^oder  ber,  bei -elin),  Bilin,  Oybin  etc.  Als  Name 
eines  grofsen  Orts  ist  er  generis   masculini,     weshalb   auch 


—     91     — 

(ber-elin),  Malin  (man-alin,  Greifenhain  in  der  Nieder- 
lausitz), Solingen  (sol-lin-igen),  Gumbinnen  (Gum- 
bin-nine),  etc.  Die  greisen  Orte,  die  in  den  ihre  Gröfse 
anzeigenden  Endsylben  ein  i  haben,  liegen  in  der  Pvegel 
in  einer  niedrigen  Gegend. 

Bekannt  ist  es,  dafs  in  der  slavischen  Sprache  das 
ason,  aton,  üben,  alon,  alin,  eben,  isen,  azen,  atschin, 
azin  etc.  in  asow,  akow  (Muzakow,  muz-akow,  Muska 
in  der  Oberlausitz  und  Moskwa  in  Rufsland),  ubovv, 
alow  (Walow),  ebovv,  isow,  ischow  (Bor-ischow  an  der 
Beresina),  und  Kschischow  (ki-schin- ischow  [Bergdorf] 
in  der  Oberlausitz),  etc.  übergeht,  und  dafs  man  im 
Deutschen  das  slavische  ow  in  au  umgewandelt  hat,  z. 
B.  Zwikow  (zin- win-ikow )  in  Zwickau.  Einen  klei- 
nen Ort  bezeichneten  die  Slaven  durch  utk,  otk,  atk, 
ask,  atschk,  etk,  eschk  (Nem-eschk,  Nieraitsch,  tief  ge- 
legenes Dorf  an  der  schwarzen  Elster),  itk,  ischk  etc., 
ingleichen  durch  utka,  otka,  atka,  aska  (Skaska,  san-can- 
aska,  Skaske),  atschka,  etka,  eschka,  itk,  ischka, 
ika,    etc. 

Einen  Ortsnamen,  der  nur  aus  einem  Bergnamen 
und  aus  dem  angehängten  Geschlechtswörtehen  (as,  asa, 
in   verschiedenen   Formen)    zusammengesetzt   ist,     kann 


die  Wenden  ton  Berlin  oder  J5arlin  sagen.  —  Es  ist  viel 
walirscheinlicher,  dafs  Cöln  auch  nach  den  Regeln  der  Ur- 
sprache gebildet,  als  dafs  es  von  dem  lateinischen  Haiipt- 
worte  colonia  abgeleitet  ist.  Ist  der  ;Name  Cöln  primitiv, 
wie  es  scheint,  so  sollte  er  Kein  geschrieben  werden.  Das 
Wort  Kein  (kel-en,  Hiigelort)  bezeichnet  einen  ein  wenig 
höher  liegenden  Ort,  als  Berlin  ist.  Rein  kommt  das  Wort 
in  dem  Namen  des  auf  einer  Anliöhe  liegenden  Dorfs  Kein, 
bei  Bauzen  vor.  —  Gliiiike  heifst  ein,  in  einer  niedrigen 
Gegend  gelegenes,  kleines  Dorf.  In  der  Sylbe  Gli  ist  eine 
Metathesis  des  i  und  ike  {ikt])  ist  die  Diminutiv -Endung, 
die  im  Slavischen  ika  lautet.  Die  Syilje  ni  bezeichnet  die 
tiefe  Lage  des  Orts. 


—    92     — 

man  einen  einfachen  nennen.  Es  eiebt  aber  auch  Orts- 
namen, die  aus  mehr  als  einem.  Bergnamen  componirt 
sind  und  die  noch  überdies  die  Geschlechtsenduns  ha- 
ben. Zu  diesen  Ortsnamen  gehören  z.  B.  Carpentras 
(gar-ben-tar-as),  AUaliabad  (hal-lan-han-ban-ad),  Mur- 
schebad  (mur-usche-ban-ad),  Denderah  (den- ter- ah), 
Machern  (  man  -  ger  -  en  ) ,  Mezieres  (  men  -  zin  -  her-  es ), 
Döbeln  (den-bel-en) ,  Dijon  (din-dschon- on),  Mom- 
baza  (mom-ban-aza),  Ambelakia  (ham- bel-akia  oder 
asia,  asa),  Prevesa  (her- ven- esa),  Thessalonike  (ten-san- 
lon-ike),  Lieberose  (lin-ber-ose),  Melinde  (men-lin- 
ide),  Ostrolenka  (hon-os-tor-len-eka  ),  Arkona  (har- 
con-a),  Teltow  (del-etow),  Beeskow  (ben-es- ekow), 
Czentschochau  ( tschen- et- schon -ochow),  Erlangen  (her- 
lan-asen),  Lauterecken  (lau-ter-eken  oder  esen),  Berch- 
tesgaden  (ber-ech-ten  -  es-gan-aden  oder  äsen,  azen, 
aken,  achen),  Ellingen  (hei -lin- igen) ,  Kostroma  (kon- 
os-tor-oma),  Aubusson  (hon-bin-ison),  Bcsancon  (ben- 
san  -  ason  )  ,  Erzerum  (  her  -  zer  -  um  ) ,  Trabesun  (tar-  ben- 
esun),  Briancon  (  bir-han-ason)  ,  Perpignan  (ber-bin- 
gan-an),  Aurillac  (hon-rin-lan-ac)  etc.  In  diesen  Orts- 
namen bedeuten  die  letzteren  Sylben  Stadt  oder  Dorf, 
die  ersteren  aber  die  Lage  des  Orts.  Die  Namen  derje- 
nigen Orte,  welche  in  den  ersten  Sylben  männliche  und 
in  den  letzten  weibliche  Selbstlaute  haben,  deuten  an: 
dals  diese  Orte  zum  Theil  eine  hohe,  zum  Theil  aber 
eine  niedrige  Lage  haben,  und  ihr  Name  ist  durch  Son- 
nen- und  Mondgöttin-Stadt  zu  übersetzen,  z.  B.  Jaros-law, 
Ostrolenka  etc.  Die  Ortsbenennungen,  deren  gleiche 
Vocale  die  gleiche  Lage  der  Orte  andeuten,  wie  z.  B. 
Brechtesgaden,  scheinen  es  zu  bezeugen,  dafs  der  Ort 
aus  der  Combination  zweier,  früher  getrennten  Orte  ent- 
standen ist. 

In  späteren  Zeiten  hat  man  an  die  Jcurzen  alten  Na- 
men der  Orte  noch  besondere,  auch  aus  Bergnamen  zu- 
sammengesetzte, Worte  angehangen,  z.  B.  wiz,  dorf,  berg, 
bürg,  pur  oder  poor  etc.     Auf  diese  Weise  entstand  aus 


—     93     — 

sin-ik  Sinkwitz,  aus  Sclilunj^  (schin-lun.ung)  Schlung- 
witz,  aus  Herms  ( her  -  men  -  es  )  Hermdorf,  aus  Jüt- 
ten  ^^  (schin-iten)  Jüttendorf,  aus  Gers  (ger-es)  Gers- 
dorf,  aus  sen-ef-eten  Senftenberg,  aus  sehen -en  Schön- 
berg, aus  Ran -ad  Radeburg,  aus  Mir-aza  Mirzabur,  aus 
Boglin  Boglipur  (poor),  aus  Dschin-in  Dscheipur  etc. 

An  die  Stelle  der  "Wörter  Wiz ,  Dorf,  Berg,  Burg 
etc.  setzte  man  auch  bach  ( Culmbach  ) ,  bog  (  Jüterbog, 
Jün-ter-bog),  busch  (Laubusch,  ^^  lau-bun-usch),  heuern 
(Kaufbeuern,  kan-av-beu-her-en) ,  blik  (Medenblik,  men- 
den-en-bil-ik) ,     breit  (Marktbreit,   marak-ber-it) ,    court 


55  Jüttendorf  bei  Senftenberg,  dessen  alter  Name  Jütten  (Jün 
oder  scliin  und  iten)  einen,  an  einem  sanft  sich  erhebenden, 
Terrain  gelegenen  gröfseren  Ort  (iten)  bezeichnet,  hat  ohn- 
fehlbar  früher,  als  der  Ort  mit  einer,  von  Norden  nach  Sü- 
den laufenden  Schanze  (Damm)  etwas  befestigt  war,  eine 
gröfsere  Bedeutung  gehabt,  als  gegenwärtig.  —  Senftenberg, 
das  ursprünglich  Senef,  dann  Senfeten  und  noch  später  Senf- 
tenberg genannt  wurde,  bedeutet  einen  an  den  Bergen  (Wein- 
bergen) gelegenen  gröfseren  (eten)  und  festen  Ort  (berg, 
bürg).  —  Meine  frühere  Interpretation  des  Namens  Senften- 
berg durch  Senftenburg,  zu  der  ich  durch  die  Kitteische 
Chronik  verleitet  worden  war,  nehme  ich  zurück,  weil  sie 
willkülirlich  und  unbegründet  ist.  Die  Wenden  nennen 
Senftenberg  Komorow,  welches  einen  gröfseren  (orow),  in 
einer  von  Flüssen  durchschnittenen  Gegend  liegenden  Ort 
bezeichnet.  Nach  der  Regel  sollte  der  Ort  wegen  seiner  tie- 
fen Lage  Kemerow  oder  Kimerow  heifsen.  Die  Ntederlau- 
sitzer  Wenden  sind  aber  l)isweilen  von  der  Regel  abgewichen, 

56  Laubusch,  wendisch  Lubusch,  der  Name  eines  Dorfs  bei 
Hoyerswerda.  Die  erste  Sylbe  lau  bezeichnet  eine  tiefe 
Gegend,  die  aber  doch  nicht  so  tief  gelegen  ist,  als  die, 
welche  mit  le,  li  bezeichnet  wurde.  Das  Busch,  welches 
hier  Dorf  bedeutet,  könnte  von  dem  deutschen  Worte  Busch 
abgeleitet  seyn,  weil  sich  dort,  wo  jetzt  der  Ort  steht,  Laub- 
holz befunden  haben  mag.  Indefs  kann  aber  busch  auch  die 
primitive  Bedeutung  (bu-usch)  liaben.  Jedenfalls  ist  aber 
die  Sylbe  lau  nicht  von  dem  jetzigen  deutschen  Worte  Laub 
(folia)  abzuleiten,  sonderji  sie  ist  eben  so  gut  primitiv 
als  lü  in  Lüben,   lo  in  Lohmen,  li  in  Lipa,  oder  Leipa. 


—     94     — 

(Mirecourt,  mir-gur-ut) ,  dam  (Potsdam,  bu-ots-dam-am), 
feld  (Elberfeld,  hel-ber-fel-ed) ,  felde  (Jahnsfelde,  jan-as- 
lel-ede)  schigar  (Tschitschigar,  tschin-it-schin-gan-ar), 
gur  (Serinagur,  ser-hin-gur),  hör  (Sahor,  san-hon-or), 
han  (Huehan,  hue-han),  heim  (Germsheim,  ger-men- 
es-heim-eim),  hain  (Kirchhain,  gir-ik-han),  hörn  (Hirsch- 
horn, her-isch-hor-on),  hals  (Ziegenhals,  zin-egen-hal-as), 
hübel  (Krummhübel,  gur- um-hin-bel) ,  kir  (Abukir, 
han-bmi-kin-ir),  kirch  (Markirch ,  mar-kir  oder  gir-ich; 
Hochkirch),  kröne  (Deutsch-Krone,  gor-one),  loch  (Hafs, 
loch,  han -as- Ion -och),  lar  (Gofslar,  kon-os-lan-ar) ,  lup 
(Gollup,  col-lun-up),  man  (Akkiermann,  han-gir-man- 
an),  mund  und  mond  (Richmond,  rin-ich-mon-od), 
mouth  (Portsmouth,  bor-ots-mun-ut),  münd  (Gemünd, 
gen-raün-id),  mart  ( Montelimart ,  lim-mar-at),  megk 
(Nimegk,  nim-ek),  mar  (Weimar,  win-in-mar),  monde 
(mon-ode),  nich  (Linnich ,  lin-nin-ich),  nach  (Creuz- 
nach,  ger-ez-nan-ach) ,  patnam  (Negapatnam,  nen-ega-bu- 
at-nam-am),  puram  (Malla-pur-am),  peln  (Oppeln,  hon- 
bel-en),  per  (Quimber,  cu-him-ber),  rück  (Ziegenriick, 
zin-egen-rin-ik),  randt  (Ortrandt,  hör- ot- ran -ad),  rode 
(Osterode,  hon-os-ter-ode),  suk  (Mursuk,  mur-sun-uk), 
sons  (Soissons,  son-is-son-on),  schin  (Chotschin,  cu-ot- 
schin-in),  siel  (Hocksiel,  hon -ok-sin-el) ,  sei  (Brüssel, 
bir-es-sen-el) ,  sand  (Gravesand,  gar-ave-san-ad)  sor  (Wind- 
sor,  win-id-son-or) ,  ster  (Rochester,  ron-schen-ster;  Mün- 
ster), sten  (Dorsten,  tor-sten),  stein  (Arnstein ,  har-an- 
stein),  schaur,  (Pischaur,  bin-schan-ar) ,  sol  (sol-lan-ad), 
tern  (Artern,  har-ter-en),  thal  (Würbenthai,  wir  oder 
hir-eben-dan-al)  tel  Tittel,  (tin-it-ten-el),  toor  (Coimba- 
toor  ,  co-him-ban-tur) ,  war  (Muckwar,  mun-uk  war  oder 
har),  vvan  (Eriwan,  heri-wan-an) ,  wangen  (Ellwangen, 
hei,  wan-agen)^  wörth  (Donauwörth,  Donau-wer.et),  wig 
(Coswig,  con-os-win-ik),  wiek  (Bradowiek,  bardon-win- 
ik),  wedel  ( wen-den -el),  warde  oder  warthe,  (Köniss- 
warthe,  ken-ig-war  ade),  walde,  (Cunewalde,  cun-wal-ade), 
zach  (Zurzach,  zur-zan-ach)  etc. 

Obgleich  in   dem   Vorstehenden   gezeigt   worden  ist. 


—    95    — 

wie  die  alten  Ortsnamen  zusammengesetzt  sind,  und  wie 
man  die  Bedeutung  derselben  auffinden  kann,  so  will 
ich  doch  noch  die  Etymologie  der  Namen  einiger  in  der 
Lausitz  gelegenen  Orte  hinzufügen.  Erwähnt  ist  es  be- 
reits worden,  wie  der  Name  Bauzen  ^^  entstanden  ist, 
und  es  ist  noch  zu  erwähnen,  wie  sich  der  von  {]cn 
Wenden  gebrauchte  Name  des  Orts  (Budissin,  Budyschin) 
gebildet  hat.  Der  Name  Budissin  ist  aus  Buh,  der  Berg 
und  diu  (Bergebene),  so  wie  aus  isin  entstanden.  Die 
hohen  Vocale  in  der  Sylbe  di  und  in  isin  zeigen  an: 
dafs,  obgleich  man  den  Ort  eine  gröfsere  Berg -Stadt 
(Budissin)  nannte,  man  doch  auch  darauf  Rücksicht  nahm, 
dafs  ein  Theil  des  Orts  tiefer  liegt. 

Der  Name  des  Kirchdorfs  Kleinbauzen  (wendisch 
Budyschink)  ist  gewifs  nicht  durch  die  Herren  von  Bau- 
dis  entstanden,  sondern  derselbe  ist  eben  so  gut  ein  Pro- 
duct  der  durch  die  Bergreligion   erzeugten  Sprache,     als 


57  Auf  der  westlichen  Seite  der  Stadt  Bauzen  Hegt  eine  Burg, 
welche  Ortenburg  heilst.  Der  alte  Name  dieses  Schlosses 
ist  Orten  und  derselbe  ist  aus  hör  und  ethen  (ethen,  athon 
azou  u.  s.  w. )  entstanden.  Dieser  Name  bedeutet  ein,  oder 
mehrere  grofse  Gebäude  (eten),  die  auf  einem  Berge  (hör) 
liegen,  und  der  (das)  Horten  (im  Wendischen  generis  Mas- 
culini)  war,  es  mochte  ursprünglich  auf  dem  westlichen 
oder  östlichen  Spi-eeufer  liegen,  ein  für  sich  bestehendes 
Ganzes,  das  von  Budissin  oder  Bauzen  unabhängig  war.  In 
späteren  Zeiten,  wo  man  die  ursprüngliche  Bedeutung  des 
Worts  Orten  oder  horten  verloren  hatte,  hing  man  zum  Ue- 
berflusse  an  dasselbe  noch  das  Wort  Burg  an.  Das  hör  be- 
deutet eine  etwas  gröfsere  Anhöhe,  als  die  Sylbe  Bu  in  Bu- 
dissin und  Bu-azen,  Bauzen.  Der  Name  Budissin  malt  die 
Lage  des  Orts  mehr,  als  Bauzen,  indem  das  di  andeutet,  dafs 
auch  ein  Theil  desselben  (  der  östliche )  tiefer  liegt.  Das 
Proschen  (bor,  oder  por  und  oschen  und  osen)  in  Proschen- 
berg  schtint  anzudeuten:  dafs  auf  diesem  Berge,  der  zum 
Theil  bewaldet  gewesen  seyn  mag  (Bor  heifst  in  der  secon- 
dären  Bedeutung  Bergwald),  ehedem  auch  grofse  Gebäude 
(eiii  oschen,  osen)  gestanden  haben. 


—     9ö     — 

Bauzen    und   Budissin  und    vielleicht    eine   Colonie   von 
letztgenanntem  Orte. 

Camenz  ist  aus  Can  und  men-ez  entstanden  und 
heifst  eine  an  einem  hohen  Berge  (cu,  ca)  niedrig  lie- 
gende kleinere  Stadt. 

Lobau  ist  aus  Len-bu-aw  enstanden.  Die  Sylbe 
Le  oder  Lö  deutet  an,  dafs  der  Ort  ein  niedrig  gelege- 
ner, oder  eine  Mond-Stadt  ist.  Die  von  den  Wenden 
gebrauchte  Benennung  des  Orts  Lubij  oder  Libij  ist  eine 
Zusammensetzung  aus  Lun,  bi  und  i  oder  hi.  Dieser 
Name  hat  mit  Löbau  dieselbe  Bedeutung.  Obgleich  Li- 
bij gegenwärtig  ein  männliches  Wort  ist,  so  war  dasselbe 
doch  ursprünglich  weiblichen  Geschlechts.  Aehnlichdem 
Namen  Libij  istHodzj,  welches  die  Deutschen  Göda  (gen- 
eda)  oder  Gödau  (gen-edow)  nennen.  Hodzj  ist  aus  Hon- 
od-schin-i  oder  hi  componirt.  Weil  auch  dieser  niedrig 
gelegene  Ort  (Mondort)  späterhin  einen  weiteren  Umfang 
und  eine  gröfsere  politische  Bedeutung  erhielt,  deshalb 
legten  ihm  die  Wenden  einen  männlichen  Charakter  bei 
und  nannten  ilm   ton  Hodzj. 

Lauban  ist  auch  Mondstadt,  nur  bezeugt  das  Lau 
und  ban,  dafs  der  Ort  schon  anfänglich  gröfser  und  hö- 
her gelegen  war,  als  Löbau. 

Der  Name  Zittau,  der  aus  zin-it  und  tan-aw  oder 
av  gebildet  ist,  bezeichnet  einen  grofsen  (aw)  in  der 
Ebene  an  den  zin  oder  hohen  Bergen  gelegenen  Ort. 
Die  Wenden  haben  dem  Worte  eine  weibliche  Endung 
(zittawa)  gegeben,  weil  die  Stadt  Zittau,  von  den  Ber- 
gen herab  gesehen,  eine  tiefe  Lage  hat  und  deshalb  eine 
awa  oder  asa  ist.  Es  darf  nicht  erst  erwähnt  werden, 
dafs  die  Ableitung  des  Namens  von  dem  Worte  zito, d.h. 
das  Getreide,  ganz  falsch  ist.  Das  zin  oder  zin  ist  auch 
in  den  Ortsnamen  zidow    (Seidau  vor   Bauzen),  Zitschen 


—     97     — 

(seitschen  bei  Gödau),  Zidzana  (Seidevvinkel  bei  Hoyeis- 
weida),  Ziwoczizy  (Siebitz),  Züwise  (Siewisch  bei  Dreb- 
kau),  Züttim  Sestinchen  bei  Calau),  Zulow  (Tile  bei 
Cottbus),  Zschiedel  bei  Camenz,  Zibalnja  (Cybelle),  Zi- 
kadlow ,  (Zikadel  bei  Lieberose) ,  Ziimmerojze,  (Simmeis- 
dorf),  Zedlischczo  bei  Senftenberg.  Das  idow  in  Zidow 
bei  Bautzen  zeigt  an,  dafs  der  Ort  schon  in  früheren 
Zeiten  grofs  war.  Das  idow  hat  dieselbe  Bedeutung  mit 
azen  in  Bauzen  und  isin  in  Budissin  und  eschen  in  Seit- 
schen. Zidzana  ist  aus  Zin  oder  Schin  und  Schan-ana 
zusammengesetzt,  und  bedeutet  ein  auf  einer  sanft  auf- 
steigenden Anhöhe  gelegenes  Dorf. 

Ziwoczizy  (zin- won-tschin-izy)  hat  man  von  der 
Berggöttin  Ziwa  oder  Schiwa  abgeleitet,  und  hat  behaup- 
tet, dafs  in  diesem  Orte  diese  Göttin  vorzüglich  verehrt 
worden  ist.  Es  ist  aber  dies  ein  Irrthum ,  weil  ein  jeder 
niedriger  gelegene  Ort  ein  Berggöttin  -  oder  Mondgöttin- 
Wesen  genannt  wurde.  Ob  der  spätere  Fetischismus  in 
einem  Orte  ein  Idol  der  Mondgöttin  aufstellte,  oder  nicht, 
dies  hatte  auf  die  Bildung  der  Ortsnamen  keinen  Ein- 
flufs.  Das  niederlausitzische  Züwise  ist  gleichbedeutend 
mit  dem  oberlausitzischen  Ziwizy  (^  zin  -  win  -  izy ).  Die 
Niederlausitzer  setzen  bei  den  Ortsnamen,  die  nur  in  der 
Mehrzahl  vorkommen,  ein  e  am  Ende,  die  Oberlausitzer 
aber  ein  y. 

Zittim  ( schin -itim)  ist  nur  eine  andere  Form  von 
Seitschen  (zitschen).  Zülow  ist  aus  Zin  oder  Schin  und 
lon-ow  zusammengesetzt,  und  das  low  bezeugt  es,  dafs 
der  Ort  eine  tiefe  Lage  hat,  oder  dafs  es  ein  Mondort 
ist.  Zschiedel  ist  aus  Tschin  -  ed  -  el ,  Zibalnja  aus  Zin- 
bal-ana  oder  anja,  Zimpel  aus  Zim-ben-el,  Zimmerojze 
aus  Zim-mer-ojze  oder  ozy  und  Zedlischczo  aus  sehen 
oder  sen  und  lin-ischczo  entstanden. 

Görlitz   ist  aus   ger,     lin-iz  gebildet,    und  bedeutet 

7 


—     98     — 

einen  niedrig  gelegenen  Ort  (lin-iz),  der  an  einem  oder 
mehreren  ger  d.  h.  Bergen  Hegt.  Der  wendische  Name 
Solerz  ist  aus  Sei  der  Sonnenberg  und  aus  her-ez  ent- 
standen und  bedeutet  eine  an  hohen  Bergen  niedrig  ge- 
legene Stadt. 

Reichenbach  ist  eine  Zusammensetzung  aus  rin-echen 
und  bach  oder  bog.  Das  bach  ist  sonder  Zweifel  später 
angehangen  und  der  Ort  hiefs  anfänglich  rin  oder  rein- 
echen.  Auch  dieser  Ort  gehört  zu  den  niedrigergelege- 
nen  oder  Mond  -  Orten.  Reichenau  bei  Zittau  hat  mit 
Reichenbach  gleiche  Bedeutung. 

Weifsenberg  hiefs  ursprünglich  win  oder  wein  -  esen. 
Die  spätere  Zeit  setzte  hier  berg  !50  -wie  an  Reijiechen 
bach  daran. 

Hirschfeld  hat  seinen  Namen  nicht  von  Hirsch  (cer- 
vus)  erhalten.  Die  Benennung  des  Orts  ist  aus  hir-isch, 
d.  h.  eine  kleine  Bergstadt,  und  aus  feld  (fel-ed),  wel- 
ches später  hinzugesetzt  worden  ist,  entstanden.  Feld 
bezeichnet  eine  Stadt,  z.  ß.  Saalfeld,  Elberfeld,  Felde 
aber  ein  Dorf  oder  einen  Flecken. 

Die  Stadt  Ostritz  (hon-stir-iz)  hat  ihren  Namen 
nicht  der  Göttin  Ostra  zu  verdanken,  wie  man  wähnt, 
sondern  auch  der  Name  ist,  wie  die  übrigen  Ortsnamen 
der  Lausitz  (lan  oder  lau-sin-iza  d.  h.  ein  niedriges 
Land  mit  mittlem  Bergen,  und  nicht  eine  blofse  Niede- 
rung, wie  Latium  [lan-azium  oder  asium]  an  der  Tiber 
in  Italien),  ein  Erzeugnifs  der  alten  Bergreligion. 

Rothenburg  heifst  nicht  die  rothe  Burg,  sondern  der 
Name  ist  aus  Pion-oten  und  bürg  entstanden. 

Muska  ist  aus  mun-aska  gebildet  und  es  bezeichnet 
einen,  an  Bergen  gelegenen,  kleinen  (aska)  Ort.  Der 
wendische  Name  Muzakow  bezeichnet  dagegen  einen  grö- 
fseren  Ort  (Stadt)  und  ist  aus  mun-usch  und  akow,  wel- 
ches mit  azen,   äsen,    eken,    echen  u.  s.  w.  gleichbedeu- 


—     99     — 

tend  ist ,     fovmirt.     Der   wendische   Name  ist  ohnstreitig 
später  entstanden,  als  der  Ort  schon  grüfser  war. 

Elster  (hel-ster  oder  ser)  heifst  Berggöttin-  Der 
Name  kann  unahhängig  von  der  Elster  entstanden  seyn, 
oder  diesem  Flusse  seinen  Namen  verdanken,  immer  ist 
seine  Bedeutung  dieselhe;  denn  auch  der  Flufsname  El- 
ster bezeichnet  eine  Berggöttin,  oder  Berggöttinwesen  wie 
Oder,  Spree,  Elbe  u.  s.  w.  Die  Wenden  haben,  die  hohe 
Lage  des  Orts  berücksichtigend ,  den  Ort  unter  den  Schutz 
des  Sonnengotts  gestellt  und  den  Ort  Halstrow  (hal-stor- 
ow)  Sonnengotts -Stadt,  oder  hochgelegene  Stadt  genannt. 

Hoyerswerde  ist  eine  Zusammensetzung  aus  hoi-her- 
es  und  werde  oder  wer-ede,  und  der  Ort  hiefs  anfängt 
lieh  wahrscheinlich  Hoihers.  Späterhin  setzte  man  an 
Hoiers  noch  werde.  Werde,  würde  (ünwürde  oder  Hun- 
würde),  berde,  pirde,  herde  u.  s.  w.  bezeichnet  ein  Dorf. 
Dafs  der  Ort  schon  früher  weitläuftig  und  aus  mehreren 
Abtheilungen  bestehend  war,  dies  deutet  die  wendische  Be- 
nennung desselben,  Wojerczy  (won-her-ezy)  an.  Die  hohen 
Selbstlaute  in  den  letzten  Sylben  des  Worts  bezeichnen  die 
tiefe  Lage  der  jetzigen  Stadt,  oder  ihr  Stehen  unter  dem 
Schirm  der  Mondgöttin.  Von  den  Grafen  Hoyer  hat  der 
Ort  gewils  nicht  seinen  Namen  erhallen. 

Ruhland,  welches  aus  Pvun-lan-ad  entstanden  ist, 
bedeutet  eine  in  einer  von  Flüssen  und  Sümpfen  be^ 
deckten  Ebene  (run)    gelegene  gröfsere  Stadt. 

Königsbrück  hat  seinen  Namen  nicht  von  des  Kö. 
nigs  Brücke,  sondern  es  hiefs  vor  der  Corruption  seiner 
gegenwärtigen  Benennung  ken-ik-bor-ik,  welches  eine 
kleine  an  einem  niederen  Berge  gelegene  Stadt  bedeutet. 

Baruth  ist  ein  einfacher  Name  und  ist  aus  bar  und 
ut  (ein  an  einem  höheren  Berge  gelegener  Ort)  ent- 
standen. 

Der  Name  Bluno  ist  eine  Zusammensetzung  aus  bel- 

7^ 


100 


un-uno,  und  bezeichnet  einen  niedrig  gelegenen  Ort. 
Die  Endung  o  bezeichnet  das  unbestinamte  Geschlecht 
(neutrum)  eines  Orts  und  deutet  an,  dais  der  Ort,  frü- 
her von  gröfserem  Umfange,  aber  weder  eine  Stadt  noch 
ein  Dorf  war.  Auf  o  endigen  sich  Nefswaczidwo ,  Rod- 
zischczo  und  Leno  in  der  Oberlausitz,  Sorno,  Rauno, 
Sauo ,  Meuro  und  Zedlischczo  im  Amtsbezirke  Senften- 
berg,  Deschno,  Werbno  und  Madlo  in  der  Niederlausitz, 
Nefswaczidwo  ist  aus  nen-es,  wan-atsch  und  idwo  ent_ 
standen.  Der  Ort  ist  aus  zwei  Dörfern,  neu  es  d.  h. 
niedrig  gelegenes  Dorf  (Neschwitz  ist  dasselbe,  was  nen- 
es)  und  wanatsch,  Bergdorf,  höher  gelegenes  Dorf,  zu- 
sammengesetzt und  diese  beiden  Dörfer  bildeten  ein  id- 
wo d.  h.  einen  grofsen  Ort.  Die  Ableitung  des  Namens 
Nefswaczidwo  von  nefswaczicz,  d.  h.  kein  Vesperbrot  es- 
sen, ist  ein  grober  Irrthum.  Rodzischczo  ist  aus  ron-od- 
schin-isch  und  iczo  entstanden,  wenn  es  ein  primitives 
und  nicht  von  Rod,  d.  h.  das  Schlofs,  abgeleitetes  Wort 
ist.  Leno  ^^  (ien-eno)  heifst  in  der  diplomatischen 
Sprache  Geierswalde,  Dieser  Name  ist  aus  gir-her-es 
und  aus  dem  späser  hinzugekommenen  walde  d.  h.  Dorf, 
entstanden.  Der  Name  des  Kirchdorfs  Sorno  bei  Senf- 
tenberg  ist  aus  Sorono  gebildet.  Er  bedeutet  ein  gro- 
fses,  in  ziemlich  niedriger  Gegend  (odo)  gelegenes  Dorf. 
Die  Wenden  nennen  den  Ort  Zarnow  (zai-anow),  wel- 
cher Name  dem  Sorno  entspi-echend  ist.  Rauno  liegt  an 
den  Weinbergen  bei  Senftenberg.  Der  Name  ist  aus  Ran 
und  ano  entstanden,  und  war  in  früheren  Zeiten  ohne 
Zweifel  gröfser,  als  jetzt.  Gegenwärtig  nennen  die  Wen- 
den den  Ort  Rowna,  d.  h.  an  Bergen  liegendes  Thal- 
dorf.     Das   in    einiger   Entfernung   von    Rauno   liegende 


58  In  diese  Klasse  gehört  auch  Mexico  (Mechico),  Jericho» 
Aleppo,  Hanaruro,  Hauptstadt  der  f Sandwich-)  Insel  Wa- 
hu  (wa-uh)  mit  einem  sicheren  Hafen,  Resident  der  christ- 
lichen Herrscherin  Nomahanna  (Mondgöttin)  u,  s.  w. 


—      IUI     — 

Dorf  Snuo  (vSan  und  awo)  ist  ein  hochgelegener  Ort,  so 
wie  Meuro  (men-ero),  welches  die  Wenden  Murjow 
(mur-ujow)  nennen.  Indefs  zeigt  doch  das  e  in  Meuro 
an,  dafs  der  Ort  tiefer  liegt,  als  Sauo,  welches  den  Selbst- 
laut a  in  seinem  Namen  hat.  Zedlischczo,  oder  Sedlisch- 
czo  (Sedlitz)  ist  eine  Composition  von  sehen-  oder  sen- 
ed  und  lin-isch-iczo.  Der  Name  bezeichnet  einen,  an 
einem  niederen  Berge  (sehen)  gelegenen,  niedrigem  (lin) 
grofsen  Ort.  Deschno  (Dissen,  din-isen)  bei  Cottbus  ist 
aus  den-esch-eno  gebildet  und  der  Name  bezeichnet  ei- 
nen, in  der  Ebene  gelegenen,  grofsen  Ort.  Ziemlich 
dieselbe  Bedeutung  hat  auch  "VVerbno  (wer- ben-eno), 
Madlo  (man-ad-olo)  bedeutet  einen  höher  (man)  lie- 
genden grofsen  Ort. 

Der  Name  des  Kirchdorfs  Cosel  in  der  Oberlausitz 
ist  aus  Kon- OS -hei  oder  el  entstanden.  Coswy  '"  (Kos- 
iy)  ist  eine  Zusammensetzung  aus  Con-os  und  owy. 
Das  owy  ist  mit  dem  azy ,    ezy ,  izy  gleichbedeutend. 

Gaufsig  (gan-as-ik,  wendisch  Huska,  hun-aska). 
Dieser  Name  deutet  an,  dafs  der  an  hohen  Bergen  gele- 
gene Ort  früher  klein  war.  Indefs  kann  auch  das  ik  die 
Lage  des  Orts  in  einem  Thale  anzeigen.  Arnsdorf  hiefs 
anfänglich  wahrscheinlich  nur  Harns   (har-nan-as,     ein 


59  Kosel  oder  Koswy.  Mir  ist  es  nicht  bekannt,  dafs  Koswy 
blos  Grab-  und  Opferhügel,  wohl  aber  dafs  das  Wort  nur 
Hügel ,  so  wie  den  obersten  Theil  eines  Dachsparrwerk?  be- 
deutet (vergl.  Mones  Heidenthum  I,  159).  Heidnische  Grä- 
ber finden  sich  in  der  Nähe  vieler  Orte.  Wo  sich  aber  diese 
Gräber  finden ,  ist  es  ein  Beweis ,  dafs  die  Orte  alt  sind. 
Höchstwahrscheinlich  existirte  z.  B.  die  Stadt  Bauzen,  oder 
Budissin,  bei  welcher  schon  mehrere  Documente  heidni- 
schen Glaubens  und  heidnischer  Sitte  gefunden  worden  sind, 
als  bedeutender  Ort  schon  lange  vor  der  christlichen  Zeit- 
rechnung, und  wenn  von  ihrer  Erbauung  die  Rede  ist,  so 
darf  man  nur  an  ihre  spätere  solidere  uaid  ästhetischere 
Form  denken.  —  Dafs  Koswy  nicht  von  Kasow  (caper)  ab- 
zuleiten ist,   bedarf  keines  Beweises. 


—     102     — 

an  hohen  Bergen  tief  gelegener  Ort).  Der  wendische 
Name  Warnoczizy  (war  oder  har-non-tschin-izy )  ist 
mit  A  rnsdorf  gleichbedeutend.  Wilthen  ( wendisch  Weleczin) 
ist  aus  wil  und  ithen  oder  iten  gebildet,  und  heifst  ein  an 
Bergen  (wal  oder  val)  liegender  grofser  Ort.  Weil  der 
Ort  in  einem  Bergthale  liegt ,  deshalb  hat  er  in  der  er- 
sten Sylbe  den  weiblichen  Vocal  i.  In  dem  wendischen 
Namen  Weleczin  (weKeczin)  ist  zwar  auch  ein  hoher, 
oder  weiblicher  Vocal,  das  e,  welches  aber  doch  nicht 
so  hoch  ist,  als  das  i.  Durch  diesen  Unterschied  deute- 
ten die  Wenden,  welche  in  der  Formation  der  Ortsna- 
men fast  durchweg  sehr  accurat  und  religiös  sind ,  an  : 
dafs  der  Ort  nicht  ganz  im  Thale  liegt.  Der  nach  Wil- 
then gepfarrte  kleine  Ort  Sdzar  (San^dschan-ar)  kündigt 
sich  durch  seine  tiefen  Vocale  als  ein  hoch  liegender 
und  unter  dem  Schutze  des  Berg-  oder  Sonnengotts  ste- 
hender an.  Der  deutsche  Name  des  Orts  ist  Sora  (son- 
pra)  und  bedeutet  ein  hochgelegnes  Dorf. 

Der  tiefe  Vocal  in  der  Sylbe  des  Namens  des  Kirch- 
dorfs Pohle  (pon-ole,  jwendisch  Palow,  bal-ow)  zeigt 
nicht  minder  die  hohe  Lage  des  Orts  an,  als  die  tiefen 
Selbstlaute  in  Jasonza  (Jan-son-oza,  Neukirch  am  Hoch- 
walde  ). 

Uhyst  ist  aus  hun-hin-ist  oder  is  entstanden  und 
bezeichnet  einen,  an  einem  Hun  d.  h.  hohen  Berge  (Tau- 
cher, tau-ger)  tief  gelegenen  Ort.  Der  wendische  Name 
Wujesd  ist  aus  Wun  oder  hun  und  aus  jen-est  oder  esd 
gebildet,  und  hat  dieselbe  Bedeutung.  Statt  des  Worts 
hin  haben  die  Wenden  das,  dasselbe  bezeichnende,  Wort 
Jen,  welches  auch  sehen  oder  dschen,  tönt.  Janazy  (Ja- 
nowitz   ^°),  Johnsdorf  (Jon-os)   und  Minjakow  (min-jan^ 


60  Janowitz,  Jolinsdorf.  Die  Sylbe  Jan,  John  rührt  nicht  von 
einem  Jan,  oder  Johann  her,  sondern  es  ist  ganz  dieselbe 
Wurzel,  die  sich  in  dem  italischen  Namen  Jan-us  findet. 
In  manchen   Gegenden    wurde    Jan  Dschan   ausgesprochen. 


akovv)  haben  statt  des  e  in  Wujesd  den  lieferen  Vocal  a, 
und  das  jan  ist  in  Nadzanazy  (  Nadel vvitz)  in  dsch  oder 
dz  übergegangen.' 

Bosankvvitz  ist  aus  bon-san-ak  und  wiz  entstanden 
und  bezeichnet  ein,  an  höheren  Bergen  gelegenes,  Dorf. 
Im  Wendischen  heilst  der  Ort  Bosankezy  (bon-san- 
ak  -  ezy ). 

Kreckwitz  ist  aus  ger  oder  ker-ek  und  wiz  gebildet 
und  bedeutet  ein  am  Berge  gelegenes  Dorf.  Der  wen- 
dische Ncme  des  Orts,  Krakezy  (gar-ak  und  ezy)  hat 
dieselbe  Bedeutung,  nur  ist  das  e  der  ersten  Sylbe  in  der 
wendischen  Benennung  in  a  übergegangen,  weil  den 
Wenden  die  Höhe  der  Berge  bei  Kreckwitz  bedeutender 
erschien. 

Purschwitz,  wendisch  Porschizy ,  bor-osch-izy,  ist 
ein  [ziemlich  tiefgelegenes  Dorf.  Das  Wort  bur,  bor, 
bar,  her,  bir,  bezeichnet  in  der  Lausitz  einen  niederen, 
mit  Holz  bewachsenen,  Berg,  lim  Griechischen  bedeutete 
Bor  einen  hohen  Berg,  wie  aus  dem  Namen  des  Bei-g- 
gotts  Boreas  erhellet. 

Malschwitz  (mal-asch- witz).  Die  erste  Sylbe  des 
Worts  hat  den  Bergnanaen  der  im  Lateinischen  in  mal- 
um,   das  üebel  und  malus,   der  Apfelbaum  enthalten  ist. 


Vergleiche  Nadianazy  und  die  indischen  Jainas ,  oder 
Dschainas.  —  So  wie  man  in  der  Benennung  der  alten 
Ortsnamen  etwas  Bezeichnendes  und  gleichsam  Malendes 
findet,  so  auch  selbst  in  den  Namen  der  Besitzer  der  alten 
Bauergüter  in  denjenigen  Dörfern,  wo  die  Namen  der  Wir" 
the  bei  allen  Personalveränderungen  bis  in  die  neuere  Zeit 
stereotypisch  geblieben  sind,  und  wo  nicht  vielleicht  der 
Muthwille  eines  Dynasten  seine  bäuerlichen  Sklaven  zwang, 
die  alten  bedeutungsvollen,  aber  ihm  barbarisch  klingenden 
Namen  abzulegen,  und  sich  Papst,  Kaiser.  König,  Herzog, 
Graf,  Bischof  u.  s.  w.  zu  nennen. 


—     1U4     — 

Die  Wenden  haben  in  ihrer  Benennung  des  Worts,  Ma- 
leschezy  noch  das  len  in  der  Mitte  hinzugefügt  ( Mal- 
len-esch-ezy) ,  welches  anzeigt,  dafs  der  Ort,  der  an  ei- 
nem Mal  d.  h.  einem  gedehnten,  allmählig  sich  erheben- 
den, Berge  liegt,  ein  Mondort,  oder  ein  tief  gelegener 
ist.  Das  Mal  begegnet  uns  noch  in  den  Namen  Maltitz, 
in  Malin  (Greifenhain)  und  Mlode  (mol-ode),  in  Malk- 
sa  (Molkwitz  bei  Forste),  in  Mallenchen.  Mit  dem  höch- 
sten Vocale  finden  wir  es  in  Milkel,  Milkwitz  und  in 
Müllrose  (  mil  -  ron  -  ose  ). 

Osling  (hon-os-lin-ik  )  ist  einj^an  einem  Berge  ge- 
legener Mondort.  Der  wendische  Name  bedeutet  dassel- 
be, nnr  ist  in  demselben  das  hon  in  wun  übergegangen, 
welches  die  Gestalt  des  Bergs,  an  welchem  der  Ort  liegt, 
genauer  bezeichnet. 

Neida  bei  Lohsa  (lon-osa,  d.  h.  Tiefendorf)  ist  aus 
nin  und  ida  entstanden,  und  bezeichnet  einen  tief  gele- 
genen ,  oder  Nachtgöttinort.  Das  nin  ( wovon  vv^  im 
Griechischen  und  nis  im  Sanskritanischen )  findet  sich 
auch  in  Niethen  (nin-ithen)  bei  Hochkirch,  in  Niem- 
zy  (Nim-ezy),  Dörgenhausen,  so  wie  auch  mit  andern 
Vocalen  in  Nemaschkleba  (nem-asch-kel-eba,)  eine 
Combination  zweier  Namen,  in  Nofslizy  (non-os-lin- 
izy,  Nauslitz),  in  Nofsaczezy  ( non -os-san- sehen -ezy, 
Nostitz),  in  Nemeschk  (Niemitsch),  in  Noehten  (non- 
ochten)  u.  s.  w. 

Der  früher  wichtigere  Ort  Diehsa  hat  seinen  Namen 
durch  die  Zusammensetzung  der  Wörter  din-  und  isa  er- 
halten. Im  Wendischen  heifst  er  Dzjezi  (dschen-ezje 
oder   ezy). 

Man  darf  nicht  glauben,  dafs  die  Orte  Biehlen  (Belsk 
(Gebeizig)  so  wie  Tschorne,  Sornfsig  u.  s.  w.  ihren  Na- 
men von  der  dort  Statt  gefundenen  Verehrung  der  (so- 
genannten) weifsen  und  schwarzen  Götter  erhalten  ha- 
ben.    Biehlen  oder  Bielna  (bil-ena)  heifst   ein  tiefgele- 


—     105    — 

genes  Dorf,  so  wie  Tschorna  (tschor  oder  tor  und  ona) 
ein  hoch  oder  höher  gelegenes,  und  Sornfsig  (Czorno- 
l'syky,  tschor -non- sin  •  iky  ,  ein  an  einem  hohen  Berge 
liegendes  Dorf).  Das  non  in  Czornofsyky  deutet  an,  dafs 
der  Ort  nicht  auf  dem  hohen  (Sonnen-)  Berge  liegt,  son- 
dern an  dem  Berge.  Auch  hier  bemerkt  man  die  wen- 
dische Genauigkeit  in  der  Bestimmung  der  Ortsnamen. 
Auch  der  Berg  Tschornebog  hat  nicht  von  dem  auf  dem- 
selben Statt  gefundenen  Cultus  des  sogenannten  Schwarz- 
gottes seinen  Namen.  Der  Tschornebog  (Berg)  heifst  Sou- 
nenberg,  so  wie  auch  der  Trom-  (tor-om)  Berg  bei  Post- 
witz (bo-ost- wiiz). 

Lauta  ist  aus  lan-ata  entstanden,  und  bedeutet  ein 
Monddorf.  Luty,  -Cuty  oder  Wuty  hat  dieselbe  Bedeu- 
tung und  ist  aus  lun-uty  zusammengesetzt. 

Rosendorf  bei  Wendisch -Sorno  hat  seinen  Namen 
nicht  von  Rosen,  sondern  der  Name  ist  aus  Ron-oseu 
(in  der  Ebene  gelegener  Ort)  entstanden.  Der  wendische 
Name  Sasrjow  ist  aus  San-as  und  ron-ojow  gebildet  und 
scheint  eine  Combination  zweier  Ortsnamen  zu  seyn. 
Vermuthlich  lag  ein  Theil  des  Orts  unter  dem  Namen 
San-as  nahe  an  den  Sandbergen,  das  ron-ojow  aber  auf 
der  bruchigen  Ebene.  Das  ojow  entspricht  dem  osen  in 
Rosendoif. 

üarbina  (Döbern)  ist  aus  dar  ödes  tar  und  bin-ina 
gebildet  und  bezeichnet  ein  an  einem  Berge  (dar)  in 
der  Ebene  (bin)  tief  gelegenes  Dorf  (ina). 

Raschen  ist  aus  ren- eschen  entstanden.  Der  wen»- 
dische  Name  Ran  (ran -an)  bedeutet  au.ch  einen  in  der 
Ebene  liegenden  gröfseren  Ort.  Ressen  ist  mit  Raschen 
gleichbedeutend.  Die  Verdoppelung  des  s  in  der  Mitte 
des  Worts  ist  eine  Anomalie,  die  nicht  selten  vorkommt. 

Obgleich  die  Wenden  Dürrwalde  durch  Ssuchigosd 
benennen,  so  ist  es  doch  mehr  als  wahrscheinlich,     dals 


—     106     — 

Dürrwalde  nicht  aus  dürr  und  Wald  entstanden,  sondern 
dafs  der  Name  dieses  Orts  auch  ein  primitiver  und  aus 
Der  oder  Ter  und  waUade  gebildet  ist.  In  der  späte- 
ren Zeit,  wo  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  Ur- Spra- 
che untergegangen  war,  nahm  man  die  Worte  in  der 
secondären,  tertiären  u.  s.  w.  Bedeutung  und  übersetzte 
manche  alte  Ortsnamen  in  die  Sprache  der  späteren  Zeit. 
So  haben  die  Wenden  der  späteren  Zeit  den  Namen  des 
Bergdorfs  Weifa  (win  oder  wein-ifa)  durch  Motydwo, 
d.  h.  die  W^eife,  Weifmaschine  und  Szowa  (son-owa) 
bei  Forste  durch  Eule  übersetzt. 

Der  Name  der  Stadt  Barschcz  (Forste)  in  der  Nie- 
derlausitz  ist  aus  Bar  und  aschcz  enstanden.  Das  Bar  be- 
zeichnet in  seiner  ersten  Bedeutung  einen  Berg,  in  der 
zweiten  aber  einen  Wald.  Ascz  ist  eine  andere  Form 
des  as.  Boblitz  ist  aus  Bon-bol  und  iz  gebildet,  und 
bol-iz  oder  iza  bedeutet  ein  Dorf,  das  an  einem  Bon 
liegt.  Burk  bei  Cottbus  ist  aus  Bur  und  uk  zusammen- 
gesetzt.    Es  heilst  Walddorf, 

Der  Name  Burk  (wendisch  Burkow)  ist  gleichbe- 
deutend mit  Borak  bei  Meifsen,  Bohrin  bei  Finsterwal- 
de,  mit  Broten  (ber-eten)  bei  Swarz  Collm  (col-om) 
U.  5.  w.  Sese  bei  Lübbenau  ist  eine  Zusammensetzung 
aus  Sen-ese,  ziemlich  tiefgelegenes  Dorf.  Der  wendi- 
sche Name  dieses  Dorfs,  Bzez,  ist  aus  ben-dschen-ez 
oder  edsch  gebildet  und  hat  mit  Sese  dieselbe  Bedeutung. 

Die  Namen  Calau  und  Kulow  ruhen  auf  derselben 
Wurzel.  Beide  Orte  heifsen  Bergstadt,  nur  hat  Kulow 
(Wittichenau  in  der  Oberlausitz)  einen  tieferen  Vocal 
in  dem  Bergnamen,  weil  seine  Lage  etwas  höher  ist. 

Cottbus  ist  aus  Kon-ot  und  bu-us  zusammengesetzt 
und  heifst  eine  grofse  Bergstadt.  Wäre  der  Ort  in  alten, 
vorchristlichen  Zeiten  klein  gewesen,  so  würde  sein  Na- 
me K-etbes  oder  Kitbis  gelautet  haben.  Der  wendische 
Name  Choschobus  hat  noch  in  der  Mitte  die  Sylbe  schon. 


—     107     — 

Diese  wendische  Verlängerung  des  Namens  deutet  die 
alte  Bedeutenheit  des  Orts  an.  Die  tiefen  Vocale  in 
diesem  Namen  zeigen  an,  dafs  der  Ort  unter  dem  Schu- 
tze des  Berg-  oder  Sonnengotts  gedacht  wurde.  Diejeni- 
gen, welche  das  Kon -schon  und  bu  in  dem  Namen  ei- 
nes Orts  offendirt,  der  nicht  im  hohen  Gebirge  liegt, 
haben  zu  bedenken,  dafs  man  in  der  Ebene  nicht  selten 
selbst  einen  Hügel  einen  Ku,  Schu,  *^  Bu,  Mu,  Ru  etc, 
nannte.  Brunschwig  (bur-un-schin-wig)  bedeutet  ein 
Bergdorf  und  hat  in  seinem  Namen  dieselben  Elemente, 
welche  der  Name  der  Stadt  Braunschweig  hat.  Indefs 
zeigen  die  Doppellaute,  oder  die  gedehnten  Laute  in 
dem  letztgenannten  Ortsnamen  an,  dafs  der  'durch  ihn 
benannte  Ort  schon  vor  Alters  ein  grofser  war, 

Mittenwalde  heifst  im  Wendischen  Chudowina,  wel^ 
ches  letztere  Wort  aus  Ku-don- win-ina  zusammengesetzt 
ist.  Das  wina  am  Ende  des  Worts  bezeichnet  einen  dorf- 
ähnlichen  Ort.  Das  letztere  Wort  steht  auf  derselben 
Wurzel  mit  dem  Namen  der  Stadt  Wien,  vin-ena.  Die 
Wenden  nennen  die  Residenz -Stadt  Wien  Wiuo  (win- 
ino).  Das  ino  deutet  an,  dafs  der  Ort  grofs  ist.  Ob- 
gleich der  Name  der  Stadt  Wien  (wi-en)  hohe  'Vocale 
hat,  so  hindert  dies  doch  nicht,  anzunehmen,  dafs  man 
sich  diese  Stadt  schon  in  alter  Zeit  grofs  dachte.  Die 
hohen  Selbstlaute  deuten  hier  die  tiefe  Lage  des  Orts 
an,  wegen  welcher  er  unter  dem  Schirm  der  Mondgöt» 
tin  stand. 


61  In  manchen  Gegenden,  vorzüglich  auch  in  der  Niederlau- 
sitz, deuten  die  tiefen  Vocale  in  der  Mitte  der  Ortsnamen 
nicht  die  hohe  Lage,  sondern  die  Gröfse  des  Orts  an.  Nach 
der  Regel  sollte  Koschobus  KoscheLus  heifsen.  Vielleicht 
ist  das  o  in  der  Syllie  sclio  eine  spätere  Depravation,  Die 
oberlausitzer  Wenden  nennen  den  Ort  auch  jetzt  noch  Koc- 
zebus.  —  Der  Name  Senftenbergs  sollteim  Wendischen  eben" 
falls  nicht Komorow,  sondern  Komerow  lauten.  Der  Name  Co- 
merau,  eines  auch  in  einer  ziemlich  ebenen  •fegend  liegenden 
Dorfes  in  der  Oberlausitz,  ist  regelrecht. 


—     108     — 

Drezniz  bei  Cottbus.  Dieser  Name  ist  aus  der-ez 
oder  esch  und  nin-iz  gebildet  und  bezeichnet  ein  niedrig 
gelegenes  Dorf.  Der  Name  Drezdzany  (der-ez,  dzan-any, 
Dresden  oder  der-es-eden,  auch  Drasen,  dar-asen)  bedeu- 
tet einen  grofsen  Ort,  der  zum  Theil  tief  (der),  zum 
Theil  höher  ( dschan )  liegt. 

Geissen  (col-osen)  heilst  wendisch  Golschin  (col- 
ißchin).  Grabin  (Finsterwalde)  leitet  man  gewöhnlich  von 
grab,  d.  h.  die  Weifsbuche,  ab.  Indefs  ist  auch  diese 
Ableitung  unrichtig,  so  wahrscheinlich  sie  auch  Vielen 
scheint. 

Der  Name  Grabin  ist  ohne  Zweifel  aus  gar  der  Berg 
und  abin,  welches  dem  äsen,  azen,  aben,  üben  d.  h.  ein 
grofser  Ort,  Stadt  entspricht,  gebildet.  Das  abin  bezeich- 
net die  ziemlich  tiefe  Lage  des  Orts. 

Spremberg  hat  seinen  Namen  von  Se-ber-em  und  ist 
aus  dem  später  dazu  gesetzten  Berg  entstanden  und  heifst 
ein  an  sen  oder  an  hohen  Berten  tief  gelegener  Ort.  Die 
tiefe  Lage  des  Orts  deuten  die  hohen  Vocale  in  seinem 
Namen  an.  Den  wendischen  Namen  dieses  Orts,  Grodk, 
übersetzt  man  durch  kleine  Burg,  Schlöfschen.  Wäre 
aber  Grodk  das  diminutivum  von  grod,  so  müfste  der 
Name  grodzik  heifsen.  Grodk  ist  zwar  ein  (altes)  Di- 
rninutiv,  aber  nicht  ein  derivirtes,  sondern  primitives 
Wort  und  bedeutet  einen  kleinen ,  an  Bergen  gelegenen. 
Ort.  Urtheilt  man  nach  der  fast  nie  trügenden  Beschaf- 
fenheit der  alten  Namen ,  so  ergiebt  sich ,  dafs  die  Orte 
Slamen  (sal-amen),  Sellesen  (sel-esen)  schon  in  alten  Zei- 
ten grofse  Dörfer  (amen,  äsen)  waren. 

Der  Name  Pförthen  (wendisch  Kunow,  kun-ow)  ist 
eine  Zusammensetzung  aus  ber,  oder  fer-eten» 

Kirchhain  (wendisch  Kustkow,  ku-ust  und  kon-ow) 
hat  seinen  Namen  nicht  von  Kirche  und  Hain  erhalten, 
sondern  von  gir-ik  und  han,  welches  eine  in  einer  mit- 
telmäfsig  tiefen  Gegend  liegende  Stadt  bedeutet.  Früher 
war  der  Ort  klein  (ik). 

Lütobor  (Polsberg  bei  Spremberg)  hat  seinen  Namea 


—     109     — 

von  Lun-ton-bor  und  heifst  ein  an  einem  niederen  Ber- 
o;e  gelegener  Ort.  Das  Pols  ist  aus  Bol  und  os  enstan- 
den.  Das  berg  so  wie  das  bor  scheint  später  angeliau- 
s,en  worden  zu  seyn.  Das  bor  hat  gewöhnlich  die  Be- 
deutung Stadt. 

Lübin  (lin-ibin)  heifst  ein  in  einer  niedrigen  Ge- 
gend gelegener  grofser  Ort.  Lübbenau  (Lübnow,  lin-ib- 
non-ow)  hat  dieselbe  Bedeutung.  Lieberose  heifst  ein 
tiefgelegenes  Dorf,  das  wendische  Lüboras  aber  bedeutet 
eine  eben  so  gelegene  Stadt.  Ein  tiefliegender  Ort  ist 
auch  Lukow  (lun-ukow,  Lukau).  Lipsko  ist  nicht  von 
Lipa,  die  Linde  abzvileiten,  sondern  auch  von  lun,  Ion, 
lau,  len,  lin  und  bezeichnet  auch  eine  tiefliegende  grofse 
Stadt.     Im  Wendischen  ist  es  deshalb  ein  Neutrum. 

Pritzen  (wendisch  Prizin,  bir-izin)  enthält  eine  Ver- 
setzung des  r  und  man  kann  den  Namen  durch  Tiefen- 
dorf, oder  auch  Walddorf  übersetzen.  Die  hohen  Vocale 
in  dem  Namen  des  Orts  bezeichnen  die  tiefe  Lage  desselben. 

Tschadow  (tsan-adow)  bedeutet  einen  grofsen,  an 
einem  höheren  Berge  gelegenen  Ort,  sowie  auch  Stra- 
dovv  (star-ado). 

Tschenz  ist  aus  tschen-ez  und  Steinnitz  von  sten  der 
Berg  und  iza  oder  isa  ,  das  Dorf,  gebildet.  Jessen  (jen- 
esen)  bei  Spremberg  heifst  im  Wendischen  Jässerna  (jen- 
ser-ena)  und  heifst  ein  grofses  an  einem  sanft  ansteigen- 
den Berge  (Jen)  liegendes  Dorf.  Auch  Gosda  (gon  oder 
kon  und  osda)  heifst  Bergdorf  oder  Hochdorf. 

Vetschau  (ven-et-eschow)  heifst  im  Wendischen  Wfe- 
toschow  ( wen-ton-oschow)  und  bezeichnet  einen  in  der 
Ebene  (win  oder  wen)  gelegenen  grofsen  Ort. 

Petershain  bei  Drebkau  verdankt  seinen  Namen  nicht 
einem  Peter,  sondern  der  Name  ist  aus  ben  oder  penter 
oder  ser  und  han  zusammengesetzt.  Wiki,  welches  der 
wendische  Name  des  Orts  ist,  rührt  nicht  von  Wiki,  der 
Marktplatz,  her,  sondern  der  Name  ist  aus  win  und  iki, 
das  eine  andere  Form  von  ojze,  ize  u.  s.  w.  ist,  gebildet. 
Wiki  bedeutet  einen  an  einem  niedern  Berge  tief  gele- 
genen grofsen  Ort. 


—     110     — 

Den  Namen  ,Wotscho\v  (  won  -  ot  -  oschow  )  führt 
Oster  (hon^ster  oder  ser}  bei  Cottbus  und  Dober- 
Stroh  bei  Ahdübern.  Der  Name  Doberstroh,  wie  er 
fälschlich  geschrieben  wird^  ist  eine  Combination  zweier 
Namen.  Der  vordere  dieser  Namen  ist  aus  do  und 
ber  zusammengesetzt  und  bezeichnet  einen,  auf  einer 
Bergebene  gelegenen,  vom  Walde  umgebenen  Ort.  Der 
zweite  Name  Strow  ist  aus  stör  und  ow  componirt.  Das 
stör  oder  sor  zeigt  an,  dafs  der  Ort,  der  diesen  Namen 
führte ,  höher  gelegen  war  und  unter  dem  Schutze  des 
Sonnengotts  stand.  Der  höher  und  südlich  gelegene  Ort 
(Strow)  wurde  späterhin  mit  Dober  combinirt,  und  noch 
jetzt  unterscheiden  sich  die  ehemaligen  Bewohner  des  al- 
ten Strow  durch  ihre  Ackerbeete  und  auf  andere  Weise 
von  den  Einwohnern  von  Dober.  Es  scheint,  als  habe 
man  späterhin  das  alte  Strow  wieder  unter  dem  Namen 
Nozzedil,  entweder  auf  demselben  Orte,  wo  es  früher 
stand,  oder  auf  einem  andern  restaürirt.  (Vergl.  eine  von 
dem  Senftenberger  Gerichtsbeamten  [advocatus]  Gisele- 
rus  in  Gegenwart  Cunrads  von  Senftenberg  und  des  Priors 
des  Dobrilugker  Klosters ,  Johannes  de  Gotebuz ,  so  wie 
der  Mönche  Henricus  de  Hallis,  Matthäus  de  Hertzberg 
und  Johannes  de  Poseryn  am  Sten  März  1290  aufgenom- 
mene lateinische  Urkunde  in  Ludwigs  reliquiis  manu- 
scriptorum  I.  p.  157.")  Aber  auch  dieses  Nozzedil  ist 
später  wieder  eingegangen. 

Ohnweit  Dobristow  liegt  Salhausen.  Das  Sal  ist  der- 
selbe Bergname,  der  in  Salgast  (Zalgoschcz),  Salzburg 
u.  s.  w.  vorkommt.  Das  hausen  (husen)  heifst  Dorf. 
Im  Wendischen  heifst  Salhausen  Zaiz  oder  Sawsch. 

Wormlage  ist  aus  worm  oder  hor-om  und  lan-age 
oder  luge  entstanden  und  heilst  ein  niedrig  liegendes 
(lan-a<^e)  grofses  Dorf.  Drochow  ist  aus  dor  und  ochow 
gebildet. 

Frankfurt  heifst  schwerlich  der  Franken  Fürth,  son- 
dern das  Wort  Frank  ist  eine  andere  Form  des  Branc 
(bar-han-ac)  und  fürt  ist  aus  bur-ut  entstanden.     Ohne 


—    111    — 

Zweifel  hat  man  das  burt  oder  fürt  später  zu  dem  Branc 
oder  Franc  hinzugefügt  und  es  steht  mit  dem  berg,  bürg, 
thal  etc.  in  einer  Kathegorie.  Das  Frank  begegnet  uns 
auch  in  Frankena  (bar-ken-ena)  bei  Kirchhain,  in  Fran- 
kenthal in  der  Oberlausitz,  in  Frankenstein,  in  Franeker 
(fran-hen-ger)  in  la  France  (bar-han-ac-azs  oder  ase)  in 
I'ranken  (bar-han-aken)  etc. 

Die  Namen  Sagan  (wendisch  Zagan,  dschan-agan), 
Sorau  (zarow,  dschan-arow),  und  Baruth  (wend.  zolm, 
dschol-om),  bezeichnen  grofse  ziemlich  hoch  gelegene  Orte« 


D.    Auf    die    Benennungen    der    Inseln. 

JNicht  nur  die  Werke,  welche  Menschen  durch  ihre  Kraft 
und  Geschicklichkeit  errichteten,  die  Hütten,  Häuser, 
Schlösser,  Burgen,  Tempel,  Dörfer  und  Städte  nannte 
man  Bergwesen,  sondern  auch  alle  Werke  der  Natur,  die 
den  erwähnten  menschlichen  Gebilden  ähnlich  wareix. 
Insonderheit  erschienen  den  Alten  als  bergähnliche  Ge- 
bäude, als  weibliche  Bergwesen,  oder  als  Berggöttinnen, 
die  Inseln.  Obgleich  nämlich  die  Inseln  Spitzen  von  Ber- 
gen sind,  die  über  die  Meeresfläche  hervorragen,  so  er- 
schienen sie  doch  als  niedrige  Landstücke,  wenn  man 
dieselben  von  den  hohen  Gebirgen  des  Festlandes  be- 
trachtete. Aus  diesem  Grunde  nannte  man  sie  fast  alle 
weibliche  Wesen  itnd  stellte  sie  unter  den  Schutz  der 
Moiidgütlin.  Weiblichen  Geschlechts  sind  die  Inselna- 
men an  sich,  z.  B.  "iN  (hi  oder  hei),  vrjaoS  (nen-son-os, 
niedriges  Bergland),  iusula  (hin-sun-ula),  Eiland  (hei-lan- 
ad)  etc. 

Nicht   minder  sind  auch  viele  Namen  der  einzelnen 


—     112     — 

Inseln  generis  feminini.  So  ist  weiblichen  Geschlechts 
der  Name  der  Insel  Corsica  (gor-sin- ica,  ein  weibliches 
Wesen,  welches  Berge  mit  hohen  Zinnen  oder  Spitzen 
hat),  Sardinia  (sar-din-ia),  Sikilia  (sin-ki-ilia),  Mallor- 
ca (mal-hor-oca),  Minorca  (min-hor-oca),  Iviza  (hin- 
bin oder  win-iza),  Formentera  (bor-men-te-era) ,  Staffa 
(stan-affa  oder  asa^,  Ilay  (hin-lan-i),  Sarasö  (sam-ese), 
Walchern  (  val-ger-en ) ,  Schouwen  (schun-wen-en) ,  Fal- 
ster  (bu-hal-ster),  Rügen  (rin-egen  oder  eken),  Malta 
(mal-ata),  Samothrace  ( samo-tar-aka  oder  aza,  aze),  Hy- 
dra (hin-tir-a),  Greta  (ger-eta),  Corkyra  (cor-gir-a), 
Sumatra  ( su-man-tar-a ) ,  Java  (jan  oder  dschan-ava  oder 
asa),  Celebes  (kel-len-ben-es),  Leyte  (len-ite),  Bali 
(bal-ali),  Kuba  (ku-uba),  Jaraaica  (jam  oder  dscham- 
aica  oder  asica),  Helena  (hel-ena),  Elba  (hel-eba), 
Hayti  (han-iti),  Muwe,  Morotai  etc.  etc.  ^^  Man  darf 
es  vorzüglich  deshalb  nicht  übersehen,  dafs  die  Namen 
der  Inseln  aus  der  Ursprache  herstammen,  damit  man 
sich  nicht  zu  falschen  Interpretationen  ihrer  Namen  ver- 
leiten läfst,  wie  es  z.  B.  denen  ergangen  ist,  die  den 
Namen  der  Insel  Rhodos  von  "^oöovf  die  Rose,  abgeleitet 
haben. 


E.      Auf     die     PluCsnameH, 

In   den    Bergen,     diesen  alten   Repräsentanten   der   Son- 
nen-   und    Mondgottheit,     sind   die    chemischen   Werk- 


62  Männlichen  Geschlechts  sind  die  Inselnamen:  Ceilon  (sei- 
le-on),  Niphon  (ni-fon),  Irland  (hir-lan- ad),  HelgoUand, 
das  man  fälschlich  durch  heiliges  Land  übersetzt  hat,  Rho- 
dos (ron-od)  etc.  Neutra  sind  die  grofsen  Inseln  Jesso 
(dschen-esso) ,  Ximo  (Ghim-o),  Xikoko  (Chi-ko-oko)  etc. 


—     113     — 

Stätten,  aus  welchen  die  Quellen  (fontes  bon.otes), 
xpjfi/ßft  (ger'enae),  Zorwo  (zor-owo),  Zrewo  (zer-ewo) 
hervorgehen.  Die  Gewässer,  die  sie  in  die  Ebene  ent- 
senden, heifsen  im  Deutschen  Bäche  (ben-eche)  und  im 
Wendischen  Rieczki  (rin-iczki).  Die  Flüsse  und  Strö- 
me, die  aus  den  Bächen  entstehen,  sind  bald  männli- 
chen, bald  weibli.:hen,  bald  unbestimmten  Geschlechts. 
Diejenigen,  welche  männlichen  Geschlechts  sind,  fliefsen 
entweder  im  Gebirge,  oder  im  Hochlande,  oder  sie 
zeichnen  sich  durch  ihre  Gröfse  aus.  Männlichen  Ge- 
schlechts sind  z.  B.  Unstrut  (hun-stur-ut),  Rhodanus 
(ron-dan-us),  Don  (don-on),  Bug  *^  oder  Bog  (bon-og), 
Pruth  (bur-ut),  Wutach  (wun-tan-ach),  Amur  (han-mur), 
Murg  (mur-ug),  Amu  (ham-u),  Rab  (ran-ab),  Sau  (San- 
av  oder  au),  Drau  (dar-av  oder  au),  Arras  (har-as), 
Donau  ^^  don-av  oder  au),  Mandau  (man-dan-av  oder 
au),  Maranhon  ( mar-han-on ) ,    Kuban  (ku-ban-an)  etc. 


63  Bug  oder  Bog  heilst  nicht  Gott,  sondern  ein  grofser  FlufSj 
der  in  einer  ziemlich  niedrigen  Gegend,  oder  in  einer  Ge- 
gend fliefst,  wo  die  Berge  den  Namen  Bu  verdienen.  Das 
ug  oder  og  bedeutet  hier  Fiufs.  Wäre  der  Flufs  kleiner,  so 
würde  er  Bag,  Beg  oder  Bech,  und  im  letzten  Falle  Big 
heifsen, 

64  Donau,  Das  ati  bedeutet  Flufs,  Strom  wie  üb  in  Danub-ius, 
Das  Wort  Don  und  Dan  zeigt  die  hohe  Beschaffenheit  det 
Gegend  an,  in  welcher  er,  zum  Mindesten  im  Anfange, 
fliefst,  Hat  man  auch  gefunden,  dafs  eine  kaukßsische  Völ- 
kerschaft das  Wasser  Don  nennt,  so  darf  man  doch  Donau, 
nicht  durch  Wasser  übersetzen.  Das  kaukasische  Wort  Don 
hat,  wie  Wasser,  aqua,  Woda  eine  generelle  Bedeutung  und 
es  ist  mit  dem  Namen  des  russischen  Flusses  Don,  den  die 
Alten  Tanais  (ta-na-is,  d.  h,  ein  in  höheren  [ta]  und  niede- 
ren Gegenden  [na]  fliefsender  Flufs  [is])  nannten,  nicht 
gleichbedeutend,  obgleich  es  mit  diesem  Flufsnamen  auf  der- 
selben Vorstellung  (Bergerzeuguifs,  Bergwesen)  und  auf  der- 
selben Sprachwurzel  ruht.  Donez  heifst  der  kleine  Berg- 
flufs  wie  Donau  der  grofse.  In  Rhodan-us  (ro-dan)  und 
£ridan-us  (her-i-dan)  hat  dan  oder  don  dieselbe  Bedeutung 

8 


—     114     — 

Weiblich  (weibliche  Bergvvesen,  Berggöttinnen)  sind 
diejenigen  Flüsse,  die  einen  hohen  Vocal  in  ihrer  En- 
dung haben,  z.  B.  Donez  (don-ez  d.  h.  der  kleine  Don), 
Linth  (lin-it),  Ems  (heni-es),  Elz  (hel-ez),  Lech  (len-ech), 
Inn  (hin-in),  Pfinz  (bi-win-iz),  Wied  (win-id),  Itz  (hi- 
iz),  Günz  (gin-iz),  Wesenitz  (wen-sen-iz),  VVeifseritz  (wen- 
ser-iz),  Müglitz  ( min-ig-lin-iz ) ,  Tay  (tan-i),  Spey  (sen- 
ben-i),  Main  (ma-in),  Queich  (ku-ech  oder  eich),  Queis 
(ku-es  oder  eis),  Spree  ^^  (sen-ber-e,  von  hohen  Ber- 
gen und  aus  Wäldern  kommender  kleiner  Fluls)  u.  s.  w. 
Die  weibliche  Eigenschaft  vieler  Flüsse  wird  durch  die, 
ein  weibliches  Wesen  bezeichnenden  Wörtchen  are,  ebe, 
ene,  era,  ale,  uda,  ute  u.  s.  w,  angedeutet,  z.  B.  in 
Loire  (lon-are),  Elbe  (hel-ebe),  Peene  (ben-ene),  Werra 
(wer  oder  her -era),  Saale  (san-ale),   Fulda  (bul-uda), 


wie  das  au  in  Donau,  das  miir  in  Amur,  das  acK  in  Wutacli, 
das  hon  in  Maranhon  etc.  Das  Ro  in  Rodan-us  deutet  an, 
dafs  der  Flufs  aus  einer  von  Bergen,  Felsen  und  Schluchten 
durchschnittenen  Gegend  kommt.  Nicht  so  felsig  und  durch- 
brochen kann  die  Gegend  seyn ,  aus  welcher  der  Jordan 
kommt,  weil  sich  die  erste  Sylbe  des  Namens  dieses  Flus- 
ses mit  einem  j  anfängt. 

65  Spree  kann  man  auch  durch  einen  kleineren  Flufs,  (e  oder 
ea)  der  in  ziemlich  hohen  Bergen  (se)  und  in  der  Ebene  (ber 
oder  per)  fliefst,  übersetzen.  Neisse,  in  alten  Zeiten  Nissa 
(nin-isa)  bedeutet  einen  in  niederen  Gegenden  fliefsenden 
Flufs  so  wie  auch  Lubota  (lub-osa),  wie  man  sonst  das  Lö- 
bauer  AVasser  nannte,  RÖder  heifst  ein  kleiner  Flufs,  der 
durch  die  Schluchten  niederer  Berge  geht.  Berste  (ber-este 
oder  ese)  ein  in  einer  niedrigen  Gegend  fliefsender  kleiner 
Flufs.  Luxa  (lu-uxa)  heifst  ein  kleiner  in  einer  ziemlich 
niedrigen  Gegend  fliefsender  Flufs ;  dieselbe  Bedeutung  hat 
auch  Lenze  (len-eze  oder  ese).  Oder  bedeutet  einen  aus 
dem  Gebirge  (ho)  kommenden  und  in  der  Niederung  fliefsenden 
Flufs.  Netze  hat  mit  Neisse  dieselbe  Bedeutung.  Die  Puls- 
nitz  hat  entweder  ihren  Namen  von  der  Stadt  gleichen  Na- 
mens, oder  der  Name  bedeutet  einen  in  niederen  Gegenden 
fliefsenden  Flufs,  der  von  einem  hohen  und  von  einem  nie- 
deren Spitzberge  herkommt. 


—     115     — 

Hunte  (hun-ute),  Mulde  (mul.ude),  Oppa  (hon.opa), 
.Warthe  (war  oder  har-ate) ,  Tschuga  (tschun.uga) ,  Neisse 
(nin  oder  nei.ise  oder  eise),  Swine  ( sin.win-ine ) ,  Lena 
(le-ena),  Wolga  (wol.oga),  Jana  (jan-ana),  Kolyma 
(kol-ima).  Jumna  (jum-una),  Newa  (nen-ewa,  FluFs  der 
JNiedorung  wie  Lena,  Neisse  u.  s.  w. ),  Dwina  (din.win- 
ina),  Angara  ( han-gar-ara ) ,  Petscliora  (pen-et.schon- 
ora),  Garonne  (gar-one).  Seine  (sen-ene)  etc.  etc. 

Auch  endigen  sich  weibliche  Flufsnamen  auf  ati, 
isi ,  ipi  u.  s.  w.,  wie  z.  B.  Irabatti  (hir.han-ban-ati), 
Jenisey  (jen-isioder  isei),  Missisippi  (min-is-s'in-ippi)u. s.w. 

Manche  Flüsse ,  die  sowohl  im  Hochlande,  als  auch 
in  der  Niederujig  strömen  und  sich  durch  ihre  Gröfse 
auszeichnen,  sind  unbestimmten  Geschlechts,  z,  B.  Lubjo 
oder  Wubjo  (lun-bu-ujo,  der  wendische  Name  des  Eib- 
stroms), Tajo  (tan-ajo  oder  adscho),  Congo  (kon>ogo), 
Arno  (har-ano),    Orinoko  (hor-hin-oko)  etc. 

Aufserdem  giebt  es  Flufsnamen,  die  einen  männli- 
chen, aber  auch  solche,  die  einen  weiblichen  Bergnamen 
zur  Endung  haben.  Zu  den  ersteren  gehört  z,  B.  Isar 
(hin-sar),  Neckar  (ne-kar  oder  gar),  Zusamm  (Zun-sam) 
u.  s.  w. ,  und  zu  den  letzteren  z.  B.  Elster  (heKster, 
Röder  (ren-der).  Bober  (bo_ber).  Wipper  (win-ip-per 
oder  ber),  Embscher  (hem-eb-scher),  Havel  (han-bel), 
Oder  (hon-der),  Mosel  (mon-selj,  Weser  (wen-ser)  etc.  etc. 


8* 


—     116 


F,    Auf  die  Benennungen  der  Götter  und  Göttinnen, 

JJa  der  religiöse  Cultus  anfänglich  auf  Bergen  Statt 
hatte,  und  da  man  Berge  und  Götter  in  der  ersten  Zeit 
identificirte ,  ^^  so  kann  es  uns  nicht  auffallen,  dafs  die 
Gottheiten,  sowohl  die  männlichen  als  auch  die  weibli- 
chen ,  Bergwesen  genaimt  wurden.  Alle  Namen  der  Gott- 
heiten bezeichneten  aber  ursprünglich  die  Sonne  oder 
den  Mond.  Manche  Götter  haben  sowohl  grobe  als  auch 
feine  Vocale  in  ihren  Nam^n.  In  diesem  Falle  bezeich- 
nen sie  die  Sonne  und  den  Mond  zugleich  und  sind  an- 
drogynischer  ^'^  Natur.   Manche  Götternamen  sind  ihrem 


66  Das  Hauptzeitwort  Seyn  bezeichnet  das  Sanscrit,  das  Itali- 
sche ,  Oberlausitz  -  Wendische  und  Böhmische  durch  bhu, 
(bu-uh),  fu  (fu-o,  fui),  und  bu  (budcz,  bydcz).  Obgleich  Buh, 
Boh,  Budha  jetzt  Gott  bedeutet,  so  ist  doch  anzvinehnien, 
dafs  bu  und  fu  ursprünglich  e-inen  Berg  bezeichnete,  weil 
auch  die  andern  Götternamen  z,  B.  Tor,  Saturn-,  Mars,  Ja- 
MUS  etc.  aus  Bergnamen  zusammengesetzt  sind.  Das  grie- 
chische q)v  in  q)va>  und  qjvfit  (fü-eimi)  bedeutet  dea,  und 
q}vij,i  heifst  dea  sum,  oder  gigno,  produco,  pario.  Weiblich 
ist  auch  das  englische  to  by  und  das  deutsche  se-en  (seyn) 
und  si-in  (sin),  weil  bei  den  Nordländern  späterhin  der 
Mondcultus  praevalirte, 

67  In  der  späteren  Zeit  hatte  man  auch  gynandrische  Götter, 
oder  solche,  die  aus,  von  männlicher  Kraft  zeugenden,  Qua- 
litäten der  alten  Mondgöttin  (mörderisches  Kämpfen  in  der 
Schlacht,  Blitzen  und  Donnern,  Erregendes  Sturmwindes  etc.) 
gebildet  worden,  und  die  in  der  grofsen  Kluft,  die  zwi- 
schen dem  hocherhabenen  Sonnengotte  und  zwischen  der  in 
niederen  Sphären  wirkenden  Mondgöttin  Statt  findet, 
mit  ihrer  Wirksamkeit  mitten  inne  standen.  Diese  Göt- 
ter (Mondgötter)  wurden  in  späteren  Zeiten  mehr,  als  die 
Sonnengötter  verehrt  und  nicht  selten  mit  letzteren,  deren 
Abbilder  sie  zum  Theil  waren,  in  dem  Glauben  verwech- 
selt, wie  z,  B.  der  polnische  Perkun.  Genannte  Götter 
haben  in  der  ersten  Sylbe  ihrer  Namen  liohe  Vocale,  die 
Endung  ihrer  Benennungen    aber    ist    männlich.    In  diese 


—     117     — 

Colorit  nach  männlich,  aber  ihrer  vorheiTschenden  Be- 
deutung nach  weiblich,  z.  B.  die  Pallas  (bal-as)  der 
Griechen,  welche  zugleich  als  Gottheit  der  friedlichen 
und  der  Kriegskünste  erscheint.  Im  umgekehrten  Falle 
stehen  Hermes  (her-men-es),  Hercules  (her-cul-es),  Flins 
(bel-hin-is)  u.  s.  w.  Diejenigen  Gottheiten,  welche  den 
Namen  der  Sonne  und  des  Mondes  zugleich  führten,  ge- 
hörten zu  den  grol'sen  und  hohen,  z.  B.  Jupiter,  Jagger- 
nat  u.  s.  w.  Schon  aus  diesem  Grunde  gebührte  dem 
Jupiter  (Ju-pi-ter  oder  tor  i.  e.  deus)  das  Prädicat  ma- 
ximus,  omnipotens ;  denn  er  war  seinem  Namen  nach  ein 
Herr  des  Tages  und  der  Nacht ,  des  Hohen  und  des  Nie- 
drigen, der  Männer  und  der  weiblichen  Personen,  des 
Lebens  und  des  Todes  u.  s.  w.  Bemerkt  ist  es  schon 
oben  worden,  dafs  die  mächtigen,  menschlichen  Allein- 
herrscher, die  sich  mit  den  oberen  Gottern  verglichen, 
auch  den  Namen  der  Sonne  und  des  Mondes  in  ihren 
Namen,  oder  in  ihren  Titel  aufnahmen,  z.  B.  Pandion, 
Salomo,   Bogislaus,   Pyrrhus  etc. 


Classe  gehören  Permi,  Wisclimi,  Merciir  u,  s.  w.  Andere 
Mondgötter  wie  Odin,  Flins  u.  s.  w.  behielten  in  ihren  Na- 
men die  Form  der  alten  Mondgöltinnen,  obgleich  man  ih- 
nen einen  männlichen  Charakter  zuschrieb. 


Religion    der    Siaven. 


Allgemeine    Bemerkungen. 


Es 


is  ist  eine  in  neuerer  Zeit  von  Mehrerern  angenom^ 
mene  Meinung,  cTafs  der  kräftige  Menschenstamm  der 
Siaven  aus  den  Gebirgsgegenden  des  nordwestlichen  Hin- 
dostans  herstamme  und  bei  der  nördlichen  Spitze  des 
Caspisrhen  See's  vorbei  zunächst  an  die  Wolga,  Don 
und  Weichsel,  und  von  hier  aus  nach  und  nach  nord- 
westlich bis  an  die  Elbe  und  Saale,  südwestlich  aber  bis 
an  die  Lagunen  von  Venedig  und  südlich  bis  an  den 
Thermäischen  Meerbusen  bei  Thessalonich,  so  wie  bis 
zum  Kap  Matapan  vorgedrungen  sey.  Man  hat  die  Mei- 
nung, dafs  die  Siaven  aus  Indien  herstammen,  durch  die 
Hinweisung  auf  den  Charakter  der  Siaven ,  auf  ihre  ei- 
genthümliche  Landesverfassung,  auf  ihre  tiefe,  indische 
Religiosität  und  auf  die  Aehnlichkeit,  die  zwischen  der 
Materie  und  der  Form  des  Sanscrit  und  der  slavischen 
Sprache  Statt  findet,  fest  zu  begründen  sich  bemüht,   ^* 


68  Für  die  Behauptung:  dafs  die  Wenden  aus  Indien  herstam- 
men, spricht  ohnstreitig  auch  der  Name  dieses  Volksstam- 
mes. Hindu  (Hin  ud  oder  Hin-uden,  hin-iden)  ist  nämlich 
mit  AVinden  oder  Wenden  gleichbedeutend.  Noch  jetzt 
setzen  die  Oberlausitzer  Wenden  oft  da  ein  w,   wo  die  Nie- 

I       derlansitzer  ein  h  haben,  z,  B.  in  wucho  statt  Hucho,  d,  h« 


—     119     — 

Zu  der  Bemerkung,  clafs  mir  rfie  erwähnte  Meinung 
sehr  begründet  zu  seyn  scheint,  fijge  ich  hinzu:  dafs  der 
Name  Slaven  erst  später  in  Gebrauch  gekommen  ist. 
Dieser  Name  ist  ein  Collectiv-Name  und  er  entspricht 
den  CoUectiv- Namen  Deutscher,  Gallier,  Indier,  Tarta- 
ren u.  s.  w.  Er  ist  aus  sal  und  per  metathesin  des  a  aus 
la  und  aven,  oder  äsen  entstanden  tmd  bedeutet  Bewoh- 
ner hoher  waldiger  Gegenden.  Man  hat  den  Namen  der 
Slaven  durch  Sonnenverehrer  übersetzt.  Indefs  hat  der 
Umstand,  dafs  die  Slaven  in  alten  Zeiten  die  Sonne  ver- 
ehrten, ihnen  nicht  den.  Namen  gegeben,  sondern  viel- 
mehr die  Beschaffenheit  der  Berge,  die  sie  bewohnten. 
Nicht  blos  die  Slaven  waren  Sonnenverehrer,  sondern 
auch  die  alten  Italer,  Parsen,  Marcomanen  u.  s.  w« 
Manche  wollen  die  Slaven  lieber  Slowenen  nennen.  Diese 
leiten  ihr  neugcbildetes  Wort  von  Slowo  d.  h.  Wort, 
Sprache  her,  und  behaupten:  Slaven  oder  Slowenen  hei- 
fse  so  viel  als  Sprachverwandte,  Sprachgenossen,  oder 
Nationen,  die  eine  und  dieselbe  Sprache  sprechen.  Wenn 
schon  diejenigen  irren,  welche  den  Namen  der  Slaven 
von  Slowo  ableiten ,  so  irren  diejenigen  noch  mehr ,  wel- 


das  Ohr.  Auch  sind  zu  den  Beweisen  für  die  indische  Ab- 
kunft der  Slaven  und  namentlich  der  Wenden  tu  rechnen: 
der  Gebrauch  der  Lövvenbilder  in  ihren  reh'giösen  Idolen 
so  wie  nicht  minder  die  noch  jetzt  in  Indien  gewöhnliche 
■weilse  Trauerkleidüng  der  Weibspersonen.  Tragen  auch 
jetzt  die  wendischen  Weiber  in  manchen  Gegenden  nicht 
mehr  weifse,  sondern  schwarze  Trauerkleider,  so  ist  dies  eine 
Folge  ihrer  Nachahmung  deutscher  Sitte.  Höchstwahrschein- 
lich zog  auch  ein  Theil  der  Hinden  oder  Winden,  als  er  die 
fruchtbaren  Thäler  des  nordwestlichen  Indiens  verlassen  hat- 
te, auf  der  südlichen  Völkerstrafse,  oder  auf  der  Südseite 
des  Kaspischen  Meeres  nach  Westen.  Es  ist  wahrscheinlich, 
dafs,  so  wie  die  Illyrier,  Serbier,  Polen,  Böhmen  und  die 
Oberlausitzer  Wenden  sich  von  den  Russen,  Ka.'.suben,  Obo- 
triten,  Linonen  und  Luretier  in  Europa  etwas  unterschie- 
den, ein  ähnlicher  Unterschied  zwischen  den  südlicheren 
und  nördlicheren  Bewohnern  der  nordwestlichen  Spitze  Hin- 
dostans  schon  früher  Statt  hatte. 


-^     120     -- . 

che  wähnen,  dafs  die  religiösen  Slaven  ihren  Namen  von 
Slawa  der  Ruhm,  abgeleitet  und  sich  selbst  die  Rulim- 
gekrönten,  die  Erlauchten,  genannt  haben.  Diejenigen, 
welche  den  Namen  der  Slaven  von  Slawa  herleiten,  be- 
denken nicht,  dafs  das  Wort  Slawa  auch  ein  abgeleite- 
tes ist,  wie  das  deutsche  Rum  (ru-um),  das  wendische 
Czefs  (sehen -es),  das  lateinische  gloria  (gol  oder  col- 
oria),  das  griechische   y.J.tog   (kel-os)  u.  s.  w. 

Dafs  einzelne  Zweige  der  Slaven,  wie  auch  Karam^ 
sin  vermuthet,  in  den  skytisch- persischen  Kriegen  so 
wie  in  den  Kriegsheeren  des  Mithridates  Eupator  gegen 
die  Römer  mitgefochten  haben,  dies  ist  zwar  sehr  wahr- 
scheinlich,  kann  aber  nicht  nachgewiesen  werden.  In 
der  historisch  beglaubigten  Epoche  kommen  die  Slaven 
unter  den  Namen  Sarmaten,  von  den  Griechen  Sauro- 
^maten  ^^  genannt,  Anten,  Heneler,  Wenden,  Winden, 
Veneter,  Budinen,  Soraben,  Sciavini,  Serben,  lUyrier, 
Obotriten,  Kassuben,  Dalmaten,  Dalemincier,  Lutetier 
u.  s.  w.  vor.  Der  Name  der  Sarmaten  ist  aus  sarm  und 
aten,  der  Anten  aus  han-aten,  der  Heneti  und  Veneti 
aus  hen  und  ven  und  eti  oder  eten,  der  Wenden  aus 
Wen  und  eden  oder  iden,  der  Budinen  aus  Bu-di-inen, 
der  Serben  aus  ser  und  eben,  der  Illyrier  aus  hil-li  und 
Iren,  der  Obotriten  aus  ho-bo^tir-iten,  der  Kassuben  aus 
ka-as-uben,  der  Dalmaten  aus  dal-ma-aten,  der  Dalemin- 
zen  aus  dal-le-min-izen  entstanden.  Die  Benennung  des 
Jordanes  Sciavini  scheint  corrupt  zu  seyn,  und  der  Na- 
me Lutetier  ist  aus  lu-ten  oder  schen-ezen  gebildet. 

Gegenwärtig  haben  die  Slaven  den  gröfsten  Theil 
des  östlichen  Europa's  und  einen  Theil  des  westlichen 
Asiens  inne,  und  die  Zahl  derselben  beläuft  sich  nach 
Professor  Schaffariks  Berechnung  (vergl.  seine  Geschichte 
der  slavischen  Sprache  und  Literatur  p.  28.)  auf  55,270,000. 


In  Sauromaten  ist  eine  Desoension  des  a  zum  au,  wie  in 
den  deutschen  Wörtera  Kraut  (kar-at),  Haut  (ha-at),  Laut 
(la-at)  u,  s,  w. 


—     121     — 

Man  theilt  sie  in  südöstliche  (39,570,000)  und  nord- 
westliche (15,700,000)  Slaven. 

A.     Die  südöstlichen  theilen  sich  in  folgende 
Stämme: 

I,  Russischer   Stamm. 

a)  Russen 32,000,000. 

b)  Rufsniaken 3,000,000. 

35,000,000. 

II.  Serbischer   Stamm, 

1)  Bulgaren  ..,.,..     600,000. 

2)  Serben 

a)  in  Ungarn 350,000. 

b)  in  der  Türkei       ,     ,     .  800,000. 

8)  Bosnier 350,000. 

4)  Montenegriner       ....  60,000. 

6)  Slavonier 500,000. 

6)  Dalmaten 

a)  in  Österreich.  Dalmatien     300,000. 

b)  in  der  Türkei       .     .     .       80,000. 

3,040,000. 
III.    Kroatischer    Stamm. 
Kroaten 

a)  in  Oesterreich,  Kroatien  u. 

westl.  Ungarn    ....        700,000. 

b)  in  der  Tüjckei     ....         30,000. 

730,000.  ~ 

IV,    Windischer    Stamm. 
Winden 

a)  in  Steiermark     ....        300,000. 

b)  in  Kärnthen 100,000. 

e)  in  Krain §50,000, 

d)  in  Ungarn      .....         50,000, 

800,000,    ' 


—     122     — 

B.     Die  nordwestlichen  bestehen  aus  nachgenannten 
Stämmen, 

I.    Böhmischer  oder  Tscliechisclier  Stamm. 

1)  Böhmen   oder  Czechen  .       2,500,000. 

2)  Mäln-en 1,200,000. 

3,700,000. 

II.     Slowakischer     Stamm, 
Slowaken 1,800,000. 

III.     Polnischer     Stam  m. 

a)  im  Königreiche  Polen.     .  3,500,000. 

b)  in  den  russisch.  Gouvernem.  1,500,000. 

c)  in  Gallicien  u.  Österreich. 
Schlesien 3,000,000. 

d)  in  Preussen 1,900,000. 

e)  in  Krakau 100,000. 

10,000,000. 

IV.     Sorbe  11 -Wendisch er   Stamm. 
Sorben- Wenden    ....  200,000. 

Summa    der    slavischen  Erdbewohner 

in  Europa  und  Asien  ....     55,270,000. 

Von  diesen  55,270,000  stehen  unter  der  Herrschaft 

a)  des  russischen  Kaisers 39,260,000, 

b)  des  österreichischen  Kaisers 11,890,000, 

c)  des  Königs  von  Preufsen  " 2,050,000, 

d)  des  türkischen  Sultans 1,860,000, 

e)  des  Freistaats  Krakau 100,000, 

f)  des    Patriarchen    von    Montenegro    oder 

Czornagora     .     .     .     , 60,000, 

g)  des  Königs  von  Sachsen 50,000, 

55,270,000. 

Ohngefähr  der  vierte   Theil  der   Slaven  steht  gegen- 
wärtig unter  deutschen  und  türkischen  Herrschern,  welche 


—     123     — - 

letztere  sich  fiiilier  vielfach  bemüht  haben,     sie   zu  ger- 
manisiien  und   zu  tüikisiren  inid   ihnen  sogar  ihre  Spra- 
che zu  entreifsen.     39  260,000  gehorchen  einem  nationa- 
len Herrscher,     dem  Kaisei    von  Pvufsland.     800,000  Ser- 
ben,    die    sich    ihre    Unabhängigkeit    nicht   haben  völlig 
entreil'sen  lassen,  haben  in  neuerer  Zeit  durch  ikre  Käm- 
pfe mit  den  Türken   und   durch   den  Beistand  Rufslands 
den  Vortheil  erlangt,     von   einem   eigenen,     unter   dem 
Schutze  des  Grofssultans    und  des   russischen  Kaisers  ste- 
henden, Fürsten  regiert  zu  werden,  und  ihre  politischen 
Verhältnisse  durch  förmliche  Tractate  gesichert  zu  sehen. 
Ihr  Land  liegt  in  einem  glücklichen  Erdstriche,  und  sie 
übertreffen   manche    andere   Slaven- Stämme    durch    ihre 
liteiarische  Cultur.    350,000  Bosnier  und  türkische  Croa- 
ten  streben  darnach,    zum  Mindesten  eine  solche  Sicher- 
heit  vor   der  türkischen  Herrschaft  zu  erhalten ,     als  die 
Serben,     wenn  auch  nicht  eine  so  vollständige,     als  die 
Griechen  erlangt  haben.     60,000  tapfere,   rohe  Montene- 
griner folgen  nur  ihrem  geistlichen  Herrn,  der  aber  selbst 
von   der   ottomanischen   Pforte    abhängig  ist.     Ohngefähr 
200,000  in  der  Ober-   und  Niederlausitz  und   zum  Theil 
auch  im  Meifsnischen  lebenden  Serben  (Sorben-Wenden) 
sind  rings  herum  von  Deutschen  umgeben.    Obgleich  sie 
von  ihren,  von  ihnen  treu  geliebten  Herrschern  mit  nicht 
geringerer  Liebe  und  Fürsorge  berücksichtigt  werden,  als 
die   übrigen  Staatsglieder,  so   verschwindet  doch  ihre  nicht 
ungebildete,  sich  aber  auf  keine  namhafte  Literatur  stü- 
tzende  Sprache    durch  das   Bemühen   mancher   derselben 
unkundigen   Beamten   und    Anderer   (nulla   ars   [lingual 
habet  osorem,  nisi  ignorantem)  mit  jedem  Jahre  immer- 
mehr,    und   der   einst  in   die   Gegenden  der  Neisse  und 
Spree,  schwarzen  Elster,  Oder,  Havel,  Elbe,  Mulde  und 
Saale  gepflanzte  Baum,    verliert,    nachdem  er  länger  als 
tausend  Jahre  gegrünt    hat,     einen  Zweig  nach  dem  an- 
dern,    weil   ihm   je  länger  je  mehr  die   nährende  Kraft 
gebricht. 

Gegenwärtig   sind   alle   Slaven   entweder  griechische, 
römisch -katholische  oder  evangelische  Christen.   Ehedem 


—     124     — 

waren  sie  aber,  wie  alle  Völker  Europa's,  Heiden.  Ihre 
heidnische  Religion  kennen  wir  nur  aus  der  letzten  (drit- 
ten) Periode,  wo  dieselbe  bereits  grüfstentheils  in  nie- 
dere Idololatrie  ausgeartet  war,  und  auch  aus  dieser  Pe- 
riode nur  unvollständig  und  nur  in  so  weit,  als  uns  die 
oft  uuzuverlässigen  Notizen  ausländischer  späterer  Schrift- 
steller und  die  nicht  minder  unzuverlässigen,  bis  in  die 
Zeiten  des  Christenthums  reichenden,  Sagen  über  die- 
selbe Auskunft  geben.  Früher  war  die  Religion  der  Sla- 
ven  ohnstreitig  ein  sublimerer  Sonnen-  und  Mondcultus. 
Der  Mondcultus  wurde  aber  späterhin  auch  bei  den  Sla- 
ven,  wie  bei  den  mehresten  nördlichen  Völkern  vorherr- 
schend, indem  der  Mond  auch  bei  ihnen,  wie  bei  den 
Skandinaven,  Indiern,  Germanen  u.  s.  w.  zum  Manne 
potenzirt  wurde.  Daher  rührt  es,  dafs  nicht  selten  ihre 
späteren  Götter  Namen  führten,  die  ursprünglich  die 
Mond  -  oder  Berggöttin  bezeichneten.  Obgleich  durch 
diese  Perinutation  ihre  uralten  Religions- Vorstellungen 
einige  Verwirrung  erlitten,  so  war  aber  doch  diese  Ver- 
wirrung nicht  so  durchgreifend  und  allgemein,  dafs  sie 
die  ursprüngliche  Idee  der  Getrenntheit  des  Sonnengotts 
und  der  Mondgöttin  durchgängig  und  völlig  aufgehoben 
hätte.  Die  uralten  Religions-Dogmen  erhielten  sich  viel- 
mehr in  mehreren  Gegenden  des  Slavenlandes  reiner,  als 
in  der  späteren  Religion  der  Hindu,  Aegypter,  Griechen 
und  Römer.  Vorzüglich  scheint  sich  die  Religion  der 
Slaven  von  dem  irreligiösen  Apotheosiren  der  Helden, 
der  Fürsten  und  Fürstinnen  gänzlich  frei  erhalten  und 
nie  ihren  höheren  astronomischen  Charakter  verloren  zu 
haben.  Der  spätere  vierköpfige  Swantowit  der  Wenden 
blieb  immer  noch  ein  Sonnengott  während  Jupiter  zu 
einem  apotheosirten  Fürstensohne  in  dem  depravirten 
Glauben  der  Italer  herabgesunken  war.  Die  Mythen  der 
Slaven  waren  daher  auch  nicht  so  mannichfach  und  so 
farbenreich,  aber  auch  nicht  so  aberwitzig  und  vxngöit- 
lich,  als  die  der,  zu  einem  zwar  glänzenden  und  in 
mehrfacher  Hinsicht  anziehenden,  aber  in  der  That  doch 
niederen   Fetischismus    herabgesunkenen    Griechen    und 


-—     125     — 

Römer,  und  nicht  so  phantastisch  und  grotesk,  als  die 
der  Skandinaven,  sondern  sie  hatten  mehr  einen  subli- 
men und  soliden  Gehalt  und  eine  practische  Tendenz. 
Und  hatten  sich  z.  B.  auch  in  dem  heutigen  südlichen 
Rufsland  späterhin  einzelne  Sagen  gebildet,  die  das  Gött- 
liche und  Menschliche  vermischten,  so  war  dies  höchst 
wahrscheinlich  eine  Folge  des  südlichen  (griechischen 
und  römischen)  Einflusses,  der  sich  als  eine  corrumpi- 
rende  Influenza  in  die  gesündere  Religion  der  Slaven  in 
späterer  Zeit  eingeschlichen  hatte.  Insonderheit  hielt  die 
slavische  Religion  der  dritten  Periode,  die  moralische  In- 
tegrität höher  und  heiliger,  als  die  Religion  der  Grie- 
chen und  Römer.  Zum  Mindesten  ist  es  auffallend,  dafs 
sich  in  den  Nachrichten  und  Sagen,  die  wir  von  den 
Göttern  der  Slaven  haben,  keine  Spur  von  der  schand- 
baren Lascivität  Jupiters  findet,  und  Ziwa,  Ziza  oder 
Zizliia  erscheint  immer  als  eine  keusche  Jungfrau  und 
treu  liebende  Ehegattin,  ingleichen  als  eine  thätige,  sich 
abmühende,  gehorsame  Hausfrau,  die  nicht  nach  An- 
dern sieht,  schmollt  und  zankt,  wie  die  Juno.  Freilich 
mag  die  religiöse  Vorstellung,  dafs  die  Mondgöttin  nur 
für  ihren  Gemahl,  den  Sonnengott,  lebe  und  sich  in 
immerwährender  Arbeit  abmühe ,  die  sklavische  Abhän- 
gigkeit der  Frauen  von  den  Männern  und  ihr  arbeits- 
volles Loos  so  wie  die  Unthätigkeit  der  Männer  gehei- 
ligt haben ,  die  sich  noch  jetzt  gröfstentheils  bei  den 
orientalischen  Völkern  findet,  die  aber  das  die  Rechte 
und  die  Würde  der  Frauen  reclamirende  und  schützende 
Christenthum  bei  den  Slaven  gröfstentheils  zeistört  hat. 

Als  ausgemacht  nimmt  man  an,  dafs  die  slavische 
Religion  von  jeher  vorzugsweise  einen  metaphysischen 
Religions- Dualismus  gelehrt  habe,  und  man  hält  diese 
Annahme  durch  die  allerdings  vorkommenden  Benen- 
nungen: Bielebog  und  Tschernehog,  welches  man  durch 
weifser  Gott  und  schwarzer  Gott  übersetzt,  hinlänglich 
begründet.  Indefs  ist  dieses ,  schon  Jahrhunderte  lang 
als  Wahrheit  geltende,    Positum  ohnstreitig  ein  Irrthum, 


—     126     — 

der  von  dem  falschen  Gebrauche  der  Adjectiven  hietj, 
und  czorny,  schwarz  herrührt  und  der,  weil  er  mit  der 
späteren  gangbaren  Dämonologie  congruirt,  den  Schein 
der  Wahrheit  erlangt  hat.  Mit  dem  vermeintlichen  sla- 
vischen  Religions-Dualismus  hat  es,  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach,  folgende  Bewandnifs :  Es  gab  schon  lange  vor 
der  Einführung  des  Christenthums  hie  und  da  in  den 
Ländern  der  Slaven  zwei  Religionspartheien,  die  mit 
einander  bald  mehr  bald  weniger,  in  Widerstreit  und 
ohngefähr  in  dem  Verhältnisse  zu  einander  standen,  wie 
gegenwärtig  der  Christianismus  und  der  Mosaismus,  wo- 
bei jedoch  der  Unterschied  Statt  fand,  dafs  die  Religion 
der  Anhänger  des  Alten  in  mehrfacher  Hinsicht  vorzüg- 
licher war,  als  die  Religion  derjenigen,  die  sich  dem 
Neuen  zugewandt  hatten.  Das  Neue,  das  hier  nur  eine 
"Modification  und  nicht  ein  förmlicher  Gegensatz  des  Al- 
ten war,  tolerirte  daher  auch  mehr  das  Letztere,  als 
dies  der  Christiauismus  vermochte ,  der  sich  als  eine  Re- 
ligion der  Wahrheit  mit  der  Religion  der  Lüge,  dem 
Ethnicismus,  in  eine  vollständige  Opposition  setzte  und 
setzen  mufste  (Christus  und  Belial). 

Der  slavische  Chwotz  (Quoschz)  z.B.  war  nicht  ab- 
solut bös,  sondern  nur  als  Repräsentant  und  Halter  ei- 
ner früheren ,  in  den  Hintergrund  getretenen  Religion 
(religio  pagana,  S}'lvestris)  vermeintlich  nicht  wohlge- 
sinnt eegen  die  Bekenner  der  neuen  Religion  d.  h.  ge- 
gen die  Anhänger  des  später  eingeführten,  dem  giiechi- 
schen  und  römischen  ähnlichen,  niederen  Fetischismus. 
Bei  der  temporellen  Feindschaft  des  Neuen  und  des  Al- 
ten gab  jedoch  das  Erstere  die  Hoffnung  nicht  auf,  dafs 
sich  das  Letztere  in  der  Folgezeit  mit  ihm  aussöhnen  und 
befreunden  werde ,  wie  Ormudz  und  Ariman  bei  den 
Persern.  An  diesen  zufälligen  historischen  Dualismus 
knüpften  späterhin  die  christlichen  Missionarien  die  Leh- 
ren von  guten  und  bösen  Dämonen,  und  wiesen  das  Da- 
seyn  des  Gottes  der  Finsternifs  und  des  in  dem  Dunkel 
der  Nacht  vollbrachten  Bösen  in  dem  Monde  der  zu  gewis- 


—     127     — 

soft  Zeiten  sein  licht  verliert,  nach.  Folgerecht  mufste  die 
MondgiJttin,  die  früher  die  Nacht  der  Unwissenheit  erleuch- 
tet hatte  (Minerva)  sich  jetzt  mit  ihren  gelehrten  verschmitz- 
ten Priesto-n ,  die  dem  Christenthume  vorzüglich  Wider- 
stand leisteten,  in  eine  böse  schwarze  Gottheit,  Czernebog(die 
wendische  Pya  oder  Buha),  Czert,  verwandeln.  Der  Na- 
me Bog,  Boh,  Bak  (Bach-us,  Bubak)  war  anfänglich 
höchstwahrscheinlich  generis  communis  und  bezeichnete 
eine  ai^drogynische  Gottheit.  Späterhin  gebrauchte  man 
das  Wort  Bog  (o  und  fj  ■S'fös)  in  der  männlichen  Be- 
deutvmg,  um  dasselbe  mit  SiaßoXog  (dio-bal-os)  in  Har- 
monie zu  bringen.  Obgleich  der  Name  Bog  schon  frü- 
her in  der  slavischen  Mythologie  vorkam,  so  wurde  er 
doch  erst  in  späteren  Zeiten  zu  einem  Gattungsnamen 
erhoben ,  wie  das  germanische  Gott  und  das  lateinische 
Deus  u.  s.  w.  und  es  ist  als  Regel  anzunehmen,  dafs  die 
Götternamen,  die  sich  im  Slavischen  auf  bog  endigen, 
späteren  Ursprungs  sind,  z.  B.  Daschebog,  Stribog,  Silny- 
bog,  Bielbog,  Tschornybog  u,  s.  w. ,  obgleich  die  religiö- 
sen Ideen,  die  sie  bezeichnen,  alt  waren.  An  die  frühe- 
ren Götter  und  Göttinnen -Namen  hat  man  in  späteren 
Zeiten  auch  statt  bog  ban  oder  pan  (Tschurban)  und 
pani  i.  e.  dea,  domina  (Krasopani),  so  wie  wit  (Marovit), 
\vist  (Pochwist),  gast  (Radegast)  u.  s.  w.  angehangen. 


I.     Religion    der   Russen. 

Obgleich  man  keinen  hinreichenden  Grund  hat,  die 
historische  Nachricht,  dafs  Rurik  der  Stifter  des  russischen 
Staats  sey,  zu  verdächtigen,  so  ist  es  doch  unlaugbar  ein 
Irrthum,  wenn  man  den  Namen  der  Russen  von  dem 
erwähnten  Rurik  ableitet,   wie  auch  Hr.  Professor  Mone 


128 


im  I.  Theile  p.  1S4  seines  Heidenthums  richtig  und  aus- 
führlicher bemerkt.  Rurik  hat  den  Russen  eben  so  we- 
nig ihren  Namen  gegeben,  als  Tschech  den  Tschechen 
oder  Böhmen,  sondern  der  Name  der  Russen  ist  auch 
ein  Product  der  Bergreligionssprache  so  wie  die  Namen 
der  übrigen  Völker.  Der  Name  der  Russen  ist  aus  m 
und  usen  zusammengesetzt  und  ist  mit  Romani  oder 
Rom-anen  ziemlich  von  gleicher  Bedeutung.  Das  Wort 
ru  bedeutet  zwar  ursprünglich  ein  durch  Thäler,  Schlün- 
de und  Bergkessel  durchbrochenes  Hochland;  indefs  hat 
man  auch  späterhin  dasselbe  Wort  zur  Bezeichnung  ei- 
ner von  Hügeln,  Flüssen,  Seen  und  Sümpfen  durch- 
schnittenen Gegend  gebraucht.  Unzulässig  ist  die  Ab- 
leitung des  Namens  der  Russen  von  rossa,  der  Thau,  die 
Feuchtigkeit  und  von  Russa  (ru-usa)  ein  Flufs.  In  dem 
Namen  Reussen  ist  das  u  bis  zum  eu  gestiegen  und  die- 
ser Name  ist  ohnstreitig  später  in  Gebrauch  gekommen 
wie  der  Name  Preussen  statt  Bor-osen  oder  Pur -usen 
(pruski,  Prusak). 

Noch  zu  Anfange  des  16ten  Jahrhunderts  hatten  die 
seit  1237  unter  der  Zwingherrschaft  der  Mongolen  ge- 
standenen Russen  mit  Tartarenhorden  um  ihre  politische 
Existenz  und  Unabhängigkeit  zu  kämpfen.  Jetzt  hat 
Rufsland  eine  hochgewichtige  Stimme  bei  den  europäi- 
schen politischen  Verhandlungen  und  das  Principat  in 
Westasien.  Unablässig  bemüht  es  sich  durch  Beförde- 
rung der  Jugendbildung,  insonderheit  der  Bildung  der 
Geistlichen,  dieser  einflufsreichen  Leiter  des  Volks,  durch 
theil weise  Emancipation  der  Leibeigenen,  durch  all- 
mählige  ernstliche  Begründung  einer  wohlthätigen  bür- 
gerlichen Freiheit,  durch  Schutz  und  Unterstützung  der 
Wissenschaften  und  Künste,  durch  Landes-Cultur,  durch 
Förderung  jeglicher  nützlichen  Industrie,  und  durch  To- 
leranz der  verschiedenen  Religions  -  Culte  sich  den  civili- 
sirtesten  Völkern  der  Welt  an  die  Seite  zu  stellen.  Mö- 
ge das  Volk  der  Russen,  welches  die  Vorsehung  zu  einer 
grofsen  Rolle  auf  der  Bühne  der  Weltgeschichte  berufen 


—     129     -— 

zu  haben  scheint ,  diese  Rolle  nach  clen  Malinungen  der 
Christusreligion  und  im  wahren  Interesse  der  Mensch- 
heit spielen,  und  sich  ein  ehrenderes  Gedächtnifs  stiften, 
als  die  Römer,  mit  denen  es  fast  denselben  Namen  und 
denselben  Umfang  des  Gebiets  hat,  die  Spanier  u.  s.  \v. ! 
Möge  insonderheit  der  Herr  der  Herren  diesem  Volke 
eine  lange  Reihe  von  Herrschern  geben,  wie  Alexander 
und  Nikolas! 

Das  ungeheuere  russische  Reich  ist  von  beinahe  100 
Nationen  bewohnt,  die  wenigstens  40  verschiedene  Spra- 
chen sprechen.  Unter  diesen  Nationen  sind  zu  erwäh- 
nen: die  Kosaken  (kos-aken,  Bewohner  hoher  Berge), 
die  sich  in  die  Grebenskischen  (greben,  der  Bergrücken, 
Wall),  in  die  Uralschen  (hur-al),  Orenburgschen  und  Si- 
birischen (si-bir-ia ,  ein  mit  Wäldern  bedecktes  niederes 
Land)  etc.  theilen.  Ferner  Litthauer  (li-tau-er  oder  eren, 
Bewohner  niederer  Berggegenden),  Letten  (let-eten,  fast 
gleichbedeutend  mit  Litthauer),  Kuren  (kuuren  ^°),  Fin- 
nen (fin-inen,  Bewohner  niederer  Gegenden),  Esthen 
(hes-eten),  Livcn  (li-iven,  Niederländer)',  Permjäken  (per- 
nien-je-eken,    Bewohner  niedejer  Bergwälder),     Surjnnen 


70  Dem  Namen  hacli  heifsen  Kuren  ßewoiiner  hoher,  schluch- 
tiger Gegenden.  Es  ist  schon  bemerkt  worden,  dafs  der  re- 
lative Gebrauch  der  Bergnamen  oft  einem  in  niederen  Ge- 
genden wohnenden  Volke  dieselbe  Benennung  gegeben  hat, 
die  eigentlich  Hochländern  zukommt.  Ueberdies  haben  auch 
nicht  selten  Völker,  die  früher  hohe  Gebirge  bewohnten, 
später  ihre  Wohnsitze  mit  Beibehaltung  ihres  früheren  Na- 
mens in  niederen  Gegenden  genommen.  Dies  berücksichti- 
gend wird  man  keinen  Anstofs  nehmen,  wenn  die  Erklä- 
rungen der  übrigen  Völkernamen  jetzt  nicht  mehr  gänzlich 
der  Beschaffenheit  der  gegenwärtigen  Wohnorte  der  Völker 
entsprechen.  Es  war  nur  meine  Absicht  anzudeuten,  dafs 
z.  B.  die  Namen  der  Kirgisen,  Tschetschenzen,  Karabula- 
ken, Tschuktscheu  u.  s,  w.  auch  ein  Product  der  uralten 
Religionsvorstelluugen  und  der  altcia  Sprachregeln  sind,  wi© 

-  die  der  Sachsen  (Sak-asen),  Franken,  Hessen,  Wenden, 
Marcomaneu  u.  s.  w. 

9 


13.0 


(sur-jen-enen,  Bewohner  hoher  und  niederer  Ber2o:eo:en- 
den),  Wogulen  (wo - gu - ulen) ,  Wotjäken  (wot-jen-eken, 
ohngefähr  dasselbe,  was  Wogulen  d.  h.  Bewohner  von 
ebenen,  von  emzelnen  Bergen  bedeckten  Gegenden), 
Tschermissen  (tscher-mi-isen  oder  issen>  Bewohner  niede- 
rer Berge),  Tschuwaschen  (tschu- wa-aschen  oder  äsen, 
welche  auf  den  Ebenen  hober  Berge  wohnen),  Mordwi- 
nen (mor-od-win-inen,  Anwohner  hoher  Berge),  Ostjäken 
(hos  oder  ost,  Jen- eken,  Bergbewohner);  ingleichen  Ta- 
taren (tan-tar-aren,  Bergebenenbewohner),  Nogajer  (non- 
ga-ajer,  Steppenbewohner),  Baschkiren  (hasch  oder  bosch, 
ki-iren,  niedriger  Waldgegenden-Bewohner),  Kirgisen  (kir- 
gi-isen,  ohngefähr  dasselbe,  was  Baschkiren),  Taleuten 
(tal,  d.  h.  der  Berg  und  eten  oder  euten,  Menschen), 
Bucharen  (  bu-uch-aren,  Bergbewohner),  Truchmenen 
(tui--uch-me-enen,  Gebirgsbewohner).  Nicht  minder  sind 
zu  nennen  Mongolen  (mon-go-olen,  Bergebenen-Bewoh- 
rer),  Kalmüken  (kal-min-iken  Hügelbewohner) ,  Buräten 
(bur-äten,  Wälderbewohner),  Tscherkessen  (tscher-ke-esen 
oder  essen,  niederer  Sonnenberge  Bewohner),  Kabardiner 
(ka-bar-din-inen,  sind  diejenigen,  die  in  Berg-Nadelwäl- 
dern und  am  Abhänge  derselben  wohnen),  Osseten  (hos- 
eten,  Bewohner  hoher  Berge),  Kharabulaken  (kar-bu-lan- 
aken,  Bewohner  hoher,  mittlerer  und  niederer  Gegenden, 
[lan-aken,  Niederländer]),  Tschetschenzen  (tschet-schen- 
ezen,  Bewohner  von  Gebirgen,  die  aber  niedriger  sind, 
als  andere  anliegende  Berge),  A waren  oder  Üaren  (ha- 
wan-aren,  hu-aren,  hoher  Berge  Bewohner),  Cumykeu 
(cum-iken,  Bergihälerbewohner),  I.esghier  (len  es-gi-ier, 
niederer  Berge  Bewohner),  Grusinier  (gur- sin -inen,  wel- 
che auf  den  spitzen  Vorgebirgen  hoher  Berge  wohnen), 
Mandschuren  (man -ad,  schu-uren,  Hochländer),  Tungu- 
sen  (tu-un,  gu-usen  ,  Bewohner  von  hohen  Bergebenen), 
Samojeden  (sarno- jen -eden  ,  Bewohner  niederer  Gegen- 
den), Korjaken  (kor  oder  gor-jen-eken,  Bewohner  von 
niederen,  sanft  aufsteigenden  Anhöhen).  Tschuktschen 
(ist  entstanden  aus  tschuk,     zug,     sak  d.  h.  ein  höherer 


131 


Berg  und  te- eschen),  Kamtschadalen  '"'  (kam-scha-da-alen, 
Anwohner  hoher  Berge  und  Spitzbßrge)  etc. 

Um  das  Jaln*  981  vei'einigte  Wladimir  Swätosla- 
witsch  mit  dem  Beinamen  der  Grofse  das  aus  drei  Thal- 
ien bestehende  russische  Reich.  Rufsland  hatte  jetzt  zvvei 
Hauptstädte,  eine  nördliche  Nowogrod  und  eine  südliche 
Kiew,  Die  erstgenannte  heifst  Neustadt,  Kiew  aber  (Ki- 
ew) hatte  seinen  Namen  aus  der  Ursprache,  und  heifst 
niedrig  gelegene  Stadt.  In  den  beiden  erwähnten  Haupt- 
städten des  Landes  wohnte  in  den  ersten  Regierungsjah- 
ren Wladimirs  eine  der  griechischen  und  römischen  ähn- 
liche Idololatrie,  und  in  beiden  waren  auch  vorzüglich 
die  Götterbilder  der  Russen  avifgestellt.  In  Kiew,  wo 
Wladimir  nach  der  Ermordung  seines  Bruders  Jaropolk 
seine  Residenz  nahm,  veiehrie  man  folgende  Hauptgott- 
heiten: Perun,  Wolos,  Korsch,  Led,  Lado,  Lei,  Polelia, 
Dedilia,  Mokosch,  Uslad,  Sernarla,  Stribo;  in  Nowogrod 
auch  gröfstentheils  dieselben,  aber  aufscrdem  noch  Znitsch. 


71  Der  Name  Kamtschatka  soll,  wie  Otto  von  Kotzebue  im  11. 
Theile  seiner  Reise  um  die  Welt  p.  6,  berichtet,  von  der 
Benennung  des  gröfsten  Flusses  dieser  grofsen  Halbinsel  her- 
rühren. Heifst  aber  auf  dieser  Halbinsel  ein  grofser  Flufs 
Kamtschatka  oder  Kontschatka ,  so  ist  ohnstreitig  die  End- 
sylbe  ka  ein  umgekehrtes  ak  ;  denn  nur  der  Name  eines  klei- 
nen Flusses  kann  sich  auf  atka  endigen.  Die  Erzählung, 
dafs  der  Name  des  Flusses,  welcher  der  Halbinsel  ihren  Na- 
men gegeben  haben  soll,  von  Kouschot,  einem  Helden  der 
Vorzeit  herrühre,  ist  ohne  Zweifel  eine  Fabel.  Die  Bewoh- 
ner der  südlichsten  Spitze  der  Halbinsel  hiefsen  früher  Hel- 
men (  hi  -  tel  -  emen ,  Niederländer).  Eben  so  gut  können  die 
höher  wohnenden  Bewohner  hoher,  spitzer,  gestreckter,  an 
einander  hängender  Berge ,  Kamschadalen  genannt  worden 
seyn.  Die  heidnischen  Kamschadalen  (nicht  Kamtschadalen) 
glaubten  an  einen  allmächtigen  Schöpfer  der  Welt,  den  sie 
Kutka  nannten.  Bedeutet  Kutka,  wie  es  scheint,  einen  SoU" 
nengott,  so  ist  das  ka  ein  invertirtes  (asiatisches)  ak,  und 
das  Wort  ist  ähnlich  den  Wörtern  Brama ,  Budha ,  Persa, 
Elisa  (Elias)  u.  s,  w, 

9* 


—     132     — 

Das  Idol  des  Gottes  Perun,  der  jetzt  der  Hauptgott  des 
Landes  war,  wurde  auf  Wladimirs  Befehl  an  dem.  Flüfs- 
chen  Buritschkowa  zu  Kiew  aufgerichtet.  Sein  Rumpf 
war  von  sehr  dauerhaftem  Holze,  der  Kopf  silbern,  der 
Bart  golden  und  die  Füfse  eisern.  In  der  Hand  hielt  er 
einen  geschlängelten  Feuerstein.  Ein  ewiges  Feuer  von 
Eichenholz  brannte  vor  ihm,  und  mit  dem  Feuertode 
wurde  derjenige  bestraft,  der  es  verlöschen  liefs.  Ein 
jeder  mufste  ihm  opfern  und  wer  weiter  nichts  hatte, 
gab  ihm  wenigstens  seine  Haare  vom  Haupt  und  Bart. 
Gewöhnlich  aber  bestanden  die  Opfer  in  Stieren,  in 
Kriegsgefangenen  und  manchmal  sogar  in  dem  Erstge- 
bornen eines  Geschlechts.  Der  Name  Perun  ist  aus  per  ' 
und  un  zusammergesetzt ,  und  mit  dem  mährischen  Pe- 
ron  gleichbedeutend.  Nach  den  Regeln  der  Ursprache 
bedeutet  per  ^^w  Mond  und  un  ein  männliches  Wesen. 
Auch  einige  Attribute  desselben,  nämlich  das  ewige 
Feuer,  welches  vor  ihm  brannte,  (Vesta  der  Römer)  die 
Opferung  der  Kriegsgefangenen  und  des  Erstgebornen  ei- 
nes Geschlechts  (früher  zum  Priester  bestimmt)  deuten 
ihn  als  Mondgottheit  an.  Indefs  hat  er  doch  im  Gan- 
zen einen  männlichen  Charakter.  Perun  ist  demnach 
eine  zum  Sonnengotte  potenzirte  Mondgottheit.  Als  Mond- 
gott deutet  ihn  der  Blitz  unter  dem  Bilde  6.G5  geschlängelten 
Feuersteins  an ,  und  der  genannte  Stein  macht  ihn  dem 
Jupiter  tonans  ähnlich.  Der  zu  R.eligionsreformationen  ge- 
neigte Alleinherrscher,  Wladimir  der  Grofse,  interessirte 
sich  für  diese  Composition  ^^s  Nationalgotts  vor  seinem 
Uebcrtdtt  zum  Christenthume  besonders ,  und  seine  Al- 
leinherrschergewalt offenbarte  er  auch  dadurch,  dafs  er 
befahl,  dafs  das  Bild  des  südrussischen  National, 20ttes 
auch  in  Nowogrod  auf  dein  rechten  Ufer  des  Wolchow 
(wol-ochow,  grofser  Bergflufs)  aufgestellt  werden  sollte. 
Nach  seiner  Bekehrung  zum  Christenthume,  welche  bei 
seiner  Vermählung  mit  der  griechischen  Prinzessin  Anna 
(987)  erfolgte,  liefs  er  aber  den  Perun  in  den  Dnieper 
werfen  mit  dem  Befehl ,  ihn  bis  an  die  Wasserfälle  die- 
ses Stroms  gelangen  zu  lassen.  Auch  in  Nowogrod  w^urde 


-^-^     133     — 

Perun  narh  dem  Uebertritte  der  Einwohner  zum  Chri- 
sten thuine  in  den  Wolchow,  wie  Flins  bei  Bauzen  in 
die  Spree,  geworfen. 

Erscheint  Perun  nicht  als  ein  Sonnengott,  so  dage- 
gen Wolos  (wol-os),  vvenn  man  seinen  Namen  betrach« 
tet.  Es  wird  uns  fieilich  nur  von  ihm  berichtet,  dafs 
die  gröfseren  Hausthiere  unter  seinem  Schutze  gestanden 
hätten ,  was  ihn  jedoch  hinlänglich  als  Sonnengott  cha- 
rakterisirt.  Der  Wolos,  der  wahrscheinlich  mit  dem 
thracischen  Boreas  (bor-asi)  Aehnlichkeit  hatte,  gehorte 
ohnstreitig  einer  früheren  Religionsperiode  an ,  so  wie 
auch  Tschur,  oder,  wie  er  später  genannt  wurde,  Tschur- 
ban  oder  Tschui-pan.  Das  Wort  Tschur  ist  aus  tschu-ur 
entstanden  und  bezeichnet  einen  Berg-  oder  Sonnengott. 
Von  ihm  wird  berichtet:  dafs  er  der  Gott  des  Maafses 
und  der  Mäfsigkeit  und  der  Grenzgott  im  Felde  gewe- 
sen sey.  Die  Sonnengötter  waren  anfangs  Ordner  und 
Beschützer  der  Grenzen  des  Landes  eines  Volks.  War 
Tschur,  wie  man  behauptet  hat,  auch  androgynisch ,  so 
prädominirte  doch  gewil's ,  wie  bei  den  alten  androgyni- 
schen  Gottheiten^  der  männliche  Charakter  in  demselben. 
Dafs  er  mit  dem  auch  in  der  russischen  Mythologie  vor- 
kommenden Tur  gleichbedeutend,  und  dem  nordischen 
Tor  sehr  ähnlich  war,  ist  keinem  Zweifel  unterworfen, 
weil  die  Religionsideen  der  Völker  ziemlich  mit  einan- 
der übereinstimmten,  wenn  auch  die  Benennungen  der- 
selben verschieden  waren  und  bei  der  Verschiedenheit 
der  Sprachen  verschieden  seyn  mufsten. 

Dem  Namen  nach  ist  mit  Tschurpan  der  Polkan 
(pol-can  oder  Chan,  Sonnengott)  gleichbedeutend.  Da 
man  ihn  als  halb  Mensch  und  halb  Pferd  abbildete, 
so  gehörte  er  unläugbar  einer  früheren  Religionsperiode 
an,  in  welcher  solche  Repräsentationen  der  Götier  (Apis 
in  Aegypten)  gewöhnlich  und  nicht  anstöfsig  waren.  Spä- 
terhin repräsentirte  auch  er  eine  religio  pagana  uud  Syl- 
vestris wie  Pan,    Faunus  und  Silenus  in  Italien. 


—     134     — 

Auch  Korsch  oder  Chors  (kor-os)  war  sonder  Zwei- 
fel ein  männlicher  Gott  der  Russen.  Er  wurde  nackend, 
dick  aufgedunsen,  mit  einem  Kranze  von  Hopfenlaub 
und  auf  einem  umgestürzten  Fasse  sitzend,  abgebildet. 
Man  brachte  ihm  Bier  und  Meth  zum  Trankopfer.  Er 
repräsentirte ,  wie  auch  der  griechische  Bacchus ,  die 
alte  wohlthätige  Bergreligion,  welche  den  Acker-  Garten- 
und  Weinbau  einführte,  in  seiner  späteren  Depravation. 
Korsch  wurde  auch,  vielleicht  in  einer  edleren  Idee,  in 
Nowogrod  verehrt. 

Dafs  der  Bielbog  die  Sonne  im  Sommer,  wo  sie 
Mücken,  Blitze  und  Donner  erzeugt,  darstellte,  ist  nicht 
zu  bezweifeln.  Er  war  der  Horus  (hor-us,  Berggott)  der 
Aegypter  und  der  Beelzebub  der  philistäischen  Ekroni- 
ten.  Der  russische  Bielbog  hatte  ein  mit  Blut  bedecktes 
Gesicht,  welches  andeutete,  dafs  er  als  Sonnengott  die 
Völker  zum  Kampfe  führe  und  für  sie  kämpfe. 

Nur  eine  andere  Benennung  des  Bielbog  war  der 
Name  Silny  Bog  d.  h.  der  starke  Gott.  Es  ist  höchst 
wahrscheinlich,  dafs  den  Russen  der  ursprüngliche  Name 
des  Sonnengotts,  den  sie  später  den  weifsen  und  den  star- 
ken Gott  nannten,  verloren  gegangen  war.  Ob  sie  ihn 
früher  Boreas,  Mars  (mar-as,  Berggott)  Wolos,  Korsch, 
Bogus,  Budan,  Tschur  u.  s.  w,  genannt  haben,  dies  läfst 
sich  nicht  bestimmen. 

Tschernebog  oder  Tschernoibog  kann  unter  den  rus- 
sischen Repräsentationen  der  Sonne  nicht  genannt  wer- 
den, weil  er  nicht  in  diese  Classe  gehört.  Die  Gottheit, 
die  man  (späterhin)  mit  dem  Namen  Tschenoibog  be- 
legte, war  der  Mond  in  seinem  lichtlosen  Zustande  und 
in  seiner  Beziehung  zu  den  Menschen  als  Tod,  so  wie 
auch  die  hemmende  Macht,  die  sich  den  Relisionsrefor- 
mationen  und  dem  Fortschreiten  in  der  religiösen  Cul- 
tur,  das  freilich  manchmal  auch  eine  aberratio  ad  dete- 
riora  war,  widersetzte,    obgleich  sie  die  Verbreitung  der 


lÖD       

weltlirlien  Wissenschaften  nicht  hindeite.  Tschernoibog  bil- 
dete später  einen  Hauptbestandtheil  derldee  des  Antichrist» 
und  man  kann  sagen,  dals  er  noch  jetzt,  vorzüglich  im  Jesui- 
tismias,  Servilismus,  im  religiösen  Obscurantisrnus  so  wie  in 
dem  Ultra-Rationalismus  und  Ultra-Liberalismus  waltet. 
Die  Russen  brachten  dem  Tschornoibog  unter  Trauergesän- 
gen blutige  Opfer  (vergl.  Mone  I.  Theil  p  145)  und  die 
Wenden  (Soraben)  leerten  ihm  bei  jedem  Gastmahle 
auch  einen  Becher,  um  sich  vor  seiner  Feindseligkeit  zu 
sichern,  weshalb  sich  der  Kaiser  Lothar  bewogen  sah, 
diese  ihm  erwiesene ,  an  die  Auszeichnung  des  Scheitan 
(Satan)  bei  den  Jezidi  erinnernde  Verehrung  zu  verbie- 
ten (cf.  Helmoldi  Chronic.  Slav.  I.  c.  53  und  Frenzel 
de  diis  Soraborum  in  Hoffmanni  script.  lus.  IL  p.  232.) 

Die  Mondgöttin  kommt  in  der  russischen  Mytholo- 
gie unter  verschiedenen  Formen  und  Nairien  vor,  oder 
die  Russen  hatten,  wie  man  gewöhnlich  sagt,  mehrere 
Göttinnen.  Unter  diesen  ist  zuerst  die  Jaga  anzuführen. 
Der  Name  Jaga  ist  aus  Ja  und  aga  entsanden  und  be- 
deutet Berggöttin  oder  Mondgöttin.  Die  Jaga  wurde  als 
eine  alte,  lange,  hagere,  abschreckende  Frauensperson, 
luit  dürien  Beinen  und  in  einem  von  Pferden  gezoge- 
nen hölzernen  Mörser  stehend,  dargestellt.  Der  Mörser 
deutet  ohne  Zweifel  an,  dafs  sie  (ihre  Priester  und  Prie- 
sterinnen) die  Menschen  nicht  nur  den  Getreidebau  ge- 
lehrt, sondern  sie  auch  unterwiesen  hätte,  das  getrock- 
nete Getreide  zu  stampfen  und  in  (grobes)  Mehl  zu  ver- 
wandeln. Sie  wird  auch  Kriegsgöttin  genannt,  und  das 
mit  Recht.  In  dem  Kriegskampfe  war  sie  nämlich  zu- 
gegen, um  nicht  nur  die  für  Religion  und  Vaterland 
Kämpfenden  zu  ermuthigen,  sondern  auch,  um  die  Ver- 
wundeten zu  heilen  und  die  Gefallenen  in  ihr  dunkles 
Reich  aufzunehmen.     Den  Beinamen  Baba  "°  d.  h.  Mut- 


72  Baba  heilst  in  der  Sprache   der  Niederlausitzer  Wenden  die 
Grofsmutter ,      in   der   Sprache    der    Oberlausitzer   bedeutet 


—     136     — 

ter,  Grofsmutter ,  erhielt  sie  später,  weil  ihre  Repräsen- 
tation äher*  war ,  als  die  der  Led  und  Lado ,  und  sie  ist 
hinsichtlich  des  Glaubens,  den  man  von  ihrem  Alter 
hatte,  mit  der  später  nationalisirten  Cybele  der  Römer, 
dieser  mater  Deäm,  zu  vergleichen.  In  der  That  wurde 
sie  auch  mit  einem  Gütterkinde,  welches  Swiatowit 
(Swantowit)  hiefs  tind  mit  einem  andern,  neben  ihr  ste- 
henden, dargestellt,  wodurch  die  Abstammung  der  späte- 
ren Religionsformen  von  den  älteren  angedeutet  wurde. 
Wenn  sie  auch  Solotaja  Baba,  oder  Gold-Mvttter  genannt 


aber  das  Wort  eine  Hebamme.  Bemerkenswertb  ist  es,  dafs 
die  oberlnusitzischen  Hebammen  ebedem  die  Wöchnerinnen 
anwiesen ,  während  der  sechs  Wochen  alle  Tage  beim  Auf- 
und  Untei'gange  der  Sonne,  mit  zur  Sonne  gewandtem  Ge- 
sichte, für  ihre  neugel)ornen  Kinder  xu  beten.  Diese  An- 
ordnung hat  höchstwahrscheinlich  schon  früher ,  zur  Zeit 
des  Sonnen  -  Cultus  ,  bei  den  Wenden  bestanden.  Eine  an- 
dere Anordnung  der  alten  wendischen  Baben ,  nämlich  die  : 
dafs  während  der  sechs  Wochen  immer  eine  Person  bei  dem 
Säugling  verbleiben  solle,  damit  nicht  eine  alte  Frau  aus 
dem  Gebirge  denselben  gegen  einen  andern,  körper-  und 
geistesschwachen  vertausche  (Pschemenk,  Wechselbalg), 
rührt  ohnstreitig  aus  den  traurigen  Zeiten  her,  in  wel- 
chen die  Bewohner  der  Ebene  mit  den,  an  dem  alten  Reli- 
gions- Cultus  hangenden,  Gebirgsbewohnern  in  feindseligen 
Verhältnissen  standen.  —  In  manchen  Gegenden  der  Mark 
nennt  man  die  Wiege  Baba,  und  im  Meilsnischen  Boye, 
Buje,  Buja.  Diese  Benennung  rührt  ohne  Zweifel  von  dem 
religiösen  Glauben  her,     dafs  die  Mondgöttin  (Baba,     Bua, 

Bya)  die  man  späterhin  Dzieczliia  (Zilsbog)  nannte,  die 
neugebornen  Kinder  besorge.  Das  Instrument  ihrer  Sorg- 
falt benannte  man  mit  dem  alten  Namen  der  Göttin  (Boja, 
Pya).  Das  auch  im  Brandenburgischen  vorkommende  Zeit- 
wort busen  ,  das  aus  bu-use-en  entstanden  ist  und  Kinder 
wiegen  bedeutet,  scheint  das  Geschäft  der  Priesterinnen  der 
Mondgöttin,  welche  zugleich  Hebammen  waren,  zu  bezeich- 
nen. —  Die  oberlausitzischen  Wenden  nennen  in  manchen 
Gegenden  ihren  Geistlichen,  wie  die  Russen,  Pop.  —  Die 
indischen  Nabob  sind  Stellvertreter  des  grofsen  Bob  d.  h. 
des  obersten  Vaters  oder  des  obersten  Herrschers. 


_     137     — 

wurde,  und  wenn  iliv  vorzü^ilidi  die  Kaufleute  opferten, 
so  deutet  dies  an,  dafs  irian  sich  dieselbe  als  Hüterin  der 
Erze  in  den  Tiefen  der  Erde  (Drache)  und  als  Spende- 
rin  des  Goldes  mittelst  des  Handels  dachte.  Nach  russi- 
schen Nachrichten  wurde  die  Slotoja  Baba  vorzüglich  an 
den  Ufern  des  Obj  verehrt,  und  ihr  Vordringen  nach 
Westen  deutet  das  Vordringen  der  Religionen  und  der 
Völker  von  Osttn  nach  Westen  an.  Dais  xnan  mit  der 
Jaga  Baba  den  Begriff  der  Hexe  verband,  wird  nicht 
auffallen,  wenn  man  sich  erinnert,  dafs  die  Priester  und 
Priesterinnen  der  alten  Mondgöttin  zugleich  Aerzte,  Chi- 
rurgen und  Ilebammen  waren  und  dafs  die  spätere  Welt 
ihnen  eine  tiefe  Kenntnifs  der  Naiurkräfte  (Medea)  zu- 
traute, die  sie  oft  nur  affectirten  (Schamanen),  um  sich 
Ansehen  und  Gewinn  zu  verschaffen. 

Eine  spiätere  Benennung  der  Mondgöttin  ist  Led, 
deren  Name  aus  Le  und  ed  entstanden  ist.  Das  Le  enU 
spricht  hier  dem  lateinischen  lun  und  das  ed  ist  die  Be- 
zeichnung eines  weiblichen  Wesens.  Led  bedeutet  dem- 
nach Mondwesen,  Mondgöttin.  Sie  wurde  mit  Harnisch 
und  Helm,  mit  Speer  und  Schild  in  der  Hand  abgebil- 
det. Die  Led  wurde  mithin  als  Mondgöttin,  bereit  zum 
Kampfe  in  der  Feldschlacht ,  dargestellt  und  war  folglich 
der  griechischen  Pallas  ähnlich, 

Die  Lado  (La-ado,  Mondgottheit),  oder  Lada  (la- 
ada)  war  auch  eine  Mondgöttin,  aber  nicht  die  in  der 
Feldschlaclit  auf  Tod  und  Leben  kämpfende  und  die  Ge«- 
fallenen  in  ihr  dunkles  Reich  aufnehmende,  sondern  die 
Mondgöttin  in  der  Form  der  Venus.  Von  ihr  stammten 
Lei,  oder  Lelja,  Lela  (le-ela),  die  Liebe,  Did  (Dido), 
die  zweifelhafte  Liebe  und  Polel  (Polelja)  die  Ehe,  oder 
die  sichere  Liebe,  der  Hymen  der  Griechen  nnd  Römer, 
Der  Ladogasee  steht  nur  in  sofern  mit  der  Lado  in  Ver- 
bindung, als  Ladoga  (lad-oga)  einen  Niedersee,  Onega 
(hon-ega)  aber  einen  Obersee  bezeichnet,  und  als  alle 
niedere  Gewässer  unter  dem  Regimente  des  Mondes  ste- 


—     138     — 

hend  gedacht  wurden.  Dem  Namen  Onega  entsprechen 
die  nordamerikanischen  Namen  Huron  (hur-on)  und  On« 
tario  (hon-tar-io),  dem  Ladoga  aber  Erie  (her-ie). 

Die  Simzerla  (sim-zer  oder  ser  und  ela)  ist  die  rus- 
sische Flora,  oder  die  Idee  der  Liebes-  und  Schönheits- 
göttin in  dem  fluchtversprechenden  Leben  der  Blüthen. 
Sie  wurde  als  eine  weifsgekleidete  Jungfrau  mit  Rosen- 
gürtel und  mit  Rosenkrone  auf  dem  Haupte  abgebildet, 
die  Lilienduft  vor  sich  verbreitete.  Auch  ihr  Halsband 
war  von  Blumen.  Ihr  Fest  wurde  angeinessen  im  April 
gefeiert,  wo  die  Blüthen  und  Blumen  im  südlichen  Rufs- 
land zu  erscheinen  anfangen. 

Der  Name  Uslad  ist  aus  hus-lan-ad  entstanden  und 
heifst  Bergmondgötiin,  oder  die  grofse  Mondgöttin.  Die 
Uslad  war  die  Beschützerin  der  Ruhenden  und  in  der 
Nacht  Schlafenden  und  ihre  Idee  nicht  nur  der  AVirk- 
samkeit  der  Mondgöttin  angemessen,  sondern  wahrschein- 
lich auch  sehr  alt.  Späterhin  repräsentirte  sie  auch  den 
Friedenszustand  eines  Volks,  und  war  folglich  der  römi- 
schen Pax  ähnlich.  Zu  Kriegszeiten  führte  der  Sonnen- 
gott (Janus  bei  den  Römern)  die  Völker.  Späterhin  wur- 
de üslad  wegen  ihrer  grofsen  Gewalt  als  Göttin  des 
Schlafs,  der  alle  überwältigt,  sie  mögen  schwach  oder 
stark,  jung  oder  alt,  niedrig  oder  hoch  seyn,  zum  Manne 
erhoben  (Morpheus),  und  man  kann  daher  auch  sagen: 
der  Uslad  (Mondgott). 

Die  Semarla  (sem-har-ala)  hatte  einen  Athem  von 
Eis,  einen  Mantel  von  Schnee  und  Frost  und  eine  Krone 
von  Hagelkörnern.  Sie  war  der  Mond  im  Winter,  die 
Herrscherin  in  der  kalten  Jahreszeit  und  während  des 
(scheinbaren)  Naturtodes.  Nach  meinem  Dafürhalten  ist 
das  sem  in  der  ersten  Sylbe  ihres  Namens  nicht  aus  dem 
abgeleiteten  Worte  Syma,  die  Kälte,  entstanden,  sondern 
das  sem  ist  primitiv  und  ist,  wie  Syma,  von  hohen  Berg- 
spitzen abgeleitet,  wo  die  Kälte  und  der  Frost  vorzüg- 
lich herrschen. 


—     139     — 

Der  Semarla  orler  Zemarla  ist  entgegengesetzt  die 
Pogoda  (po-go-oda,  Göttin  niederer  Berge),  oder  die 
milde,  wanne  Luft.  Sie  war  die  Befreundete,  Geliebte, 
der  Bkiraenkönigin  Simzerla.  Die  Pogoda  wurde  auch 
Dagoda  und  Dogoda  genannt. 

Die  wehende  Luft  wurde  Striw  (stir-iw),  und  spä- 
terhin auch  Stribog  genannt.  Die  Winde  hiefsen  Stri- 
bogs  Enkel.  Der  Stvxrmwind  führte  den  Namen  Poch- 
wist  (bog-wist).  Obgleich  Pochwist  anfänglich  weiblich 
war,  weil  man  die  Veränderungen  in  der  Erdatmosphäre 
von  dem  Einflüsse  des  Mondes  herleitete,  so  hat  man 
wahrscheinlich  doch  späterhin  die  Windgöttin  wegen  ih- 
rer starken  Wirkungen  zu  einem  Gotte  gemacht.  Man- 
che haben  behauptet:  dafs  Pochwist  keine  alte  Benen- 
nung, sondern  avis  Bog  und  W^itsch  d.  h.  der  Wind  ent- 
standen sey  und  in  dieser  abgeleiteten  Form  Windgott 
heifse.  Dies  ist  aber  nicht  gegründet.  Wäre  das  Wort 
Pochwist  später  entstanden,  so  müfste  es  witschowy  Bog 
heifsen.  Das  wist  ist  auch  hier  so  wie  in  Swantowit, 
Herowit  etc.  ein  Ding,  Wesen,  Gott  etc.  Die  Poch- 
wist oder  Posvist  hat  man  deshalb  unter  die  Zahl  der 
Schwarzgötter  gestellt,  weil  sie  ursprünglich  der  bis- 
weilen lichtlose  Mond  war,  und  weil  man  wahrnahm, 
dafs  die  Macht  des  Sturmwindes  nicht  selten  zerstörend 
wirkte. 

Auch  die  Flüsse  und  Bäche  (ben-echen)  standen 
unter  dem  Regimente  der  Mondgöttin.  Die  spätere  ido- 
lolatrische  Welt  gab  einem  jeden  Flusse  und  Flüfschen 
seine  Göttin  und  daher  rühren  die  Erzählungen  von 
den  Rusalki  d.  h.  Flufsgöttinnen.  Die  Rusalka  (rus- 
alka)  umfafst  als  ein  Ganzes,  oder  als  Wasserweib  alle 
Rusalki,  oder  Nymphen  (nira-iphen,  Nachtgöttinnen, 
Tiefegöttinnen).  Die  spätere  Zeit  gab  ihr  einen  Ge- 
mahl, den  man  mit  einem  politischen  Namen  morskof 
Zar,  oder  Meeresfürst,  Meeresherrscher  benannte.  In 
der    früheren    Zeit    hatte   die   Rusalka  »bei    ihrer   Herr- 


—     140     — 

Schaft  in  der  Tiefe  ihren  Gemahl,  den  Sonnengott, 
nicht  zur  Seite,  weil  es  ketzerisch  gewesen  wäre,  den 
hocherliabenen  Sonnengott  in  die  Tiefe  zu  versetzen. 

/ 

Im  Gegensatze  zu  der  Rusalka  stand  in  der  späteren 
Zeit  die  Gorina  d,  h.  Berggöttin.  Was  man  sich  unter 
derselben  dachte  und  welche  Geschäfte  man  ihr  zuschrieb, 
dies  ist  nicht  bekannt.  Gewifs  ist  es  aber,  dafs  sie  eine 
moderne  BerggÖtlin  und  ihr  Name,  der  eine  Adjectiv- 
fonn  hat,  erst  in  der  späteren  Zeit  entstanden  ist,  wo 
die  Bedeutung  der  alten  Bergreligionssprache  unterge- 
gangen und  bei  den  Slaven  zur  Bezeichnung  eines  Ber- 
ges das  Wort  gora  und  hora  vorzugsweise  in  Gebrauch 
gekommen  war. 


Eine  alte  Berg-  oder  Mondgöttin  war  aber  ohnstrei- 
tig  die  Kimora  oder  Kikimora.  Sie  war  die  Murawa  und 
Kodoiza  der  Wenden,  der  Alp  (die  Alpe)  der  Deut- 
schen und  die  in  den  russischen  Heldenliedern  vorkom- 
nriende  Kaschtschey  (kasch-tschen -ei).  Ihre  Kinder  wa- 
ren die  Gespenster,  die  sie  des  Nachts  über  die  Men- 
schen aussandte  und  die  schwere  Träume  brachten.  Un- 
ter ihrer  Herrschaft  standen  die  Kobolde,  Koltki  (kol- 
otki,  kleine  Bergwesen,  Bergmännchen)  und  die  Leschi 
(ein  später  entstandenes  Wort),  die  Waldgeister,  welche 
die  Menschen  bei  Tage  neckten  und  bei  Nacht  erschreck- 
ten, und  unter  denen  man  sich  entweder  rohe,  dem 
neuen  Religions  -  Cultus  abholde  Bergbewohner,  oder, 
was  in  Bezug  auf  die  spätere  Zeit  wahrscheinlicher  ist, 
Seelen  der  Verstorbenen  dachte,  die  in  Berg-  und  Wald- 
höhlen  so  lange  sich  aufhalten  mufsten,  bis  sie  das 
dunkle  Land  duichwandelt  hatten,  und  bis  es  ihnen 
durch  die  Macht  des  Sonnengotts  gestattet  war,  per 
ivcmudzaciv  wieder  ans  Licht  zu  kommen.  Die  Leschje, 
oder  Lesnje  (in   der   ersteren  Form)  waren,     sagt  Mone 


—     141     — 

(I.  p.  143.)  meist  [höser  Natur  und  zwiegestaltet ,  von 
oben  menschlich,  aber  mit  Hörnern,  hohen  Ohren  und 
Ziegenbart,  abwärts  den  Böcken  gleich.  Nach  dem 
Volksglauben  konnten  sie  ihre  Gröfse  verändern,  gin- 
gen sie  im  Grase,  so  waren  sie  nicht  höher  als  dasselbe, 
im  Walde  aber  ragten  sie  über  die  Bäume,  "Wälder  wa- 
ren ihnen  vorzüglich  geweiht  vxnd  man  durfte  sie  da 
nicht  beleidigen,  denn  sie  jagten  entweder  durch  ein 
fürchterliches  Geschrei  Schrecken  ein,  oder  verführten 
den  Wanderer  durch  bekannte  Stimmen  auf  Irrwege,  bis 
die  Nacht  kam,  wo  sie  dieselben  in  ihre  Höhle  lockten 
und  zu  Tode  kitzelten.  Dieser  Glaube  war  wahrschein- 
lich durch  das  ganze  Slavenland  verbreitet.  Zum  Min- 
desten scheinen  sich  noch  jetzt  Rudera  desselben  in  dem 
gebirgigen  Theile  der  südlichen  Oberlausitz  zu  finden, 
wo  man  zu  einem,  der  im  Walde  schreit,  scherzend 
sagt:  dafs  die  Lischkje  (in  dieser  Form  Füchse)  über 
ihn  kommen  und  ihn  zu  Tode  kitzeln  würden.  Es  ist 
fast  keinem  Zweifel  unterworfen,  dafs  hier  eine  Verwir- 
rung der  Begriffe  obwaltet  und  dafs  Lischki  aus  dem 
alten  Leschje  (Waldgeister)  entstanden  ist. 


Den  Mond  bezeichnet  in  der  russischen  Mytho- 
logie auch  der  Name  Daschebog.  Dieser  Name  ist 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  kein  primitiver,  son- 
dern ein  abgeleiteter  und  ist  aus  Daschje  oder  Duschje 
d.  h.  die  Seelen ,  und  aus  Bog  entstanden,  Dasche- 
bog deutet  eine  Function  der  Mondgöttin  an,  und 
zwar  hier  ihre  Herrschaft  über  die  Seelen  der  Verstor- 
benen, die  man  sich  als  Zwerge  vorstellte  und  die 
man   Uboze    ^^    (von    uboki,     wuboki  ,     tief,     nannte. 


73  Uboze  entspricht  sonder   Zweifel   dem   wendischen  Ludki  d, 
h.  Mondwesen,  kleine  Wesen,  in  der  tiefe  wohnende  kleine 


—     142     — 

Den  Uboze  oder  den  Dahingeschiedenen  setzten  die  Le- 
benden Speise  und  Trank  hin,  welches  beweist,  dafs  sich 
die  Letzteren. die  Ersteren  als  fortdauernd  nach  dem  To- 
de dachten.  So  wie  die  Seelen  der  Verstorbenen  unter 
dem  Regimente  der  Mondgüttin  standen,  so  auch  die 
Schätze  der  Erde,  und  daher  rührte  der  Glaube,  dafs 
die  Seelengöttin  (Daschebog)  den  Menschen  Pieichthum 
aus  der  Tiefe  gebe. 

„In  Nowogrod  (sagt  Mone  I,  p.  120.)  wurde  Znitsch 
heinahe  verehrt  wie  Perun  zu  Kiew  durch  ewiges  Feuer 
durch  Opfer  von  Kriegsraub  und  Gefangenen.  Da  er  zu- 
gleich in  Krankheiten  angerufen  wurde,  so  hatte  er  nicht 
nur  in  dieser,  sondern  auch  in  vielen  andern  Städten 
seine  Tempel."  Der  Name  Znitsch  ist  aus  zin  und  itsch 
zusammengesetzt  und  deutet  den  Mond  an.  Auch  die 
Nachricht,  dafs  Znitsch  in  Krankheiten  angerufen  wxirde, 
bestätigt  die  Behauptung,  dafs  diese  Gottheit  eine  weib- 
liche war. 

Noch  sind  die  beiden  Namen  Koliado  (Koliada)  und 


Mensclieu ,  die  man  Däumlinge  genannt  hat.  Die  Lutki 
behielten  menschliche  Gestalt,  setzten  das  irdische  Leben 
im  verjüngten  Maafsstabe  in  Erdhöhlen  fort ,  hatten  z.  B, 
kleine .  ihrer  Körpergröfse  angemessene  Töpfe  ,  Schüsseln 
u.  s.  w.  und  trieben  überhaupt  eine  kleine  unterirdische 
Oeconomie.  Nach  der  Einführung  des  Christenthums  ver- 
wechselte man  mit  den  ursprünglichen  Lutki  die  wendischen, 
an  dem  Heidenthume  hartnäckig  hängenden  Refugies,  wie 
ich  in  meiner  Chronik  der  Stadt  und  des  Amts  Senften- 
berg  etc.  angedeutet  habe.  Li  dem  ersten  Falle,  wo  Lutki 
so  viel  bedeutete  als  das  russische  Uboze,  ist  das  Wort  pri- 
mitiv, in  dem  zweiten  Falle  hat  es  secondäre  Bedeutung. 
Wenn  man  sich  jetzt  noch  erzählt:  dafs  sich  hie  und  da  an 
den  aris  der  Gottheiten  Lutki  aufgehalten  hätten,  z.  B.  in 
der  Senftenberger  Gegend  bei  Grofskoschen ,  Sedlitz ,  Dürr- 
walde und  Zschiepkau,  so  kami  man  das  Wort  bald  in  der 
ersten  (au  den  aris  deorum  dearumque  waren  gewöhnlich 
die  BegräJjnifsplätze ) ,  bald  in  der  zweiten  Bedeutung  (hart- 
näckige Anhänger  des  Heidenthums)  verstehen. 


14Ö 


Kupalo  zu  erwähnen.  Beide  sind  nach  meinem  Diifür- 
hahen  unbestimmten  Geschlechts,  oder  neuira  und  be- 
zeichnen sowohl  die  Sonne  als  auch  den  Mond.  Sowohl 
Koliado  als  auch  Kupalo  ist  durch  Berggottheitslest  zw 
übersetzen.     Am   24.  December,   ^^    wo  die   Sonne  ihre 


74  Den  24.  December  nennen  die  oberlausitzisclien  Wenden  Pa- 
torschiza.  Dieses  Wort  ist  nach  meinem  Dafürhalten  aus  Pa,, 
das  vvahrscheinlich  bua  (Pya)  bedeutet,  aus  Tor,  d.  h.  Son- 
nengott und  schin-iza,  welches  ich  durch  hocherhabenen, 
herrlichen  Tag,  Fest,  übersetze,  entstanden.  Merkwürdig 
ist  es,  dafs  der  24.  December  noch  jetzt  in  der  Lausitz  nicht, 
blos  als  Vortag  oder  Vorabend  des  Weihnachtsfestes,  son- 
dern auf  eine  ganz  besondere,  auf  alte  religiöse  Gebräuche 
hinweisende  Art  ausgezeichnet  wird.  Ausgezeichnet  wird' 
der  Tag  noch  jetzt  dadurch,  dafs  man  an  diesem  Tage  kein 
Getreide,  Butter,  Eier  etc.  verkauft.  Ferner,  dafs  an 
dem  Abende  dieses  Tages  die  wohlhabenden  Familien  zu 
Abende  neunerlei  Speisen  c,ssen  und  ihr  Gesinde  auf  gleiche 
Weise  tractiren  (vergleiche  die  Saturnalien  der  Römer), 
Die  armen  Familien,  die  sich  nicht  neunfache  Gerichte  be- 
schaffen können ,  kochen  an  dem  Tage  der  Swaczina ,  d.  h, 
Gastmahl ,  wie  man  die  Patorschiza  auch  in  manchen  Ge- 
genden nennt,  doch  eine  Speise,  die  aus  neun  efsbaren  SubrL 

t,  stanzen,  z.  B.  Schweinefleisch,  Hirse,  Wasser,  Salz,  Mohr- 
rüben, Zwiebeln,  Kohlrüben,  Waizenmehl  und  Rosinen 
componirt  ist.  Auch  horchen  manche  Abergläubische  nach 
12  Uhr  des  Nachts  an  den  Grenzsteinen,  an  welchen  früher 
Götter -Idole  aufgestellt  waren,  und  vermeinen  sie  Schwerd- 
tergeklirr  und  Pferdegewieher  zu  hören,  so  bedeutet  dies 
im  künftigen  Frühjahre  die  Entstehung  eines  Kriegs.  Aber- 
gläubische Mägde  horchen  an  den  Schwellen  der  Pferde- 
ställe auf  das  Wiehern  der  männlichen  Pferde  (das  Weissa- 
gen der  Pferde  im  Alterthume  ist  bekannt)  und  hören  sie 
dieses,  r,6  hoffen  sie,  dafs  bis  zum  24.  Juni  ein  Ernst  zei- 
gender Freier  erscheinen  wird.  Heirathsfähige  Mädchen, 
die  nicht  im  Hause  bleiben  können,  werfen  mit  der  Spitze 
des  rechten  Fufses  einen  Schuh  über  den  Kopf.  Fällt  der 
Schuh  so ,  dafs  er  mit  der  Spitze  nach  der  Stubenthüre 
zeigt,  so  bedeutet  dies,  dafs  sie  sich  bald  verheirathen  wer- 
den. Diese  und  älinliche  abergläubische,  auf  frühere  heid- 
nische Gebräuche  hinweisende  Spielereien,  die  von  den  Ge- 


—     144     •— 

Rückkehr  aus  dem  Süden  nach  dem  Norden  antritt,  feierte 
man  das  Fest  Koliady,  tmd  am  24.  Juni,  wo  der  Sonnen- 
gott sich  wieder  nach  dem  Süden  wendet,  um  auch  die 
auf  der  südlichen  Erdhalbkugel  wohnenden  Völker  durch 
seine  Nähe  zu  beglücken,  die  Kupaly.  Diese  Entfernung 
haben  die  lasciven  südlichen  Völker  als  einen  Act  ehe- 
licher Untreue  (Jupiter)  in  ihren  Mythen  dargestellt.  An 
dem  Feste  Kupaly  wurden  auf  den  Feldern  grofse  Holz-' 
stöfse  angezündet,  und  die  Jugend,  mit  Blumen  bekränzt, 
tanzte  mit  Freudenliedern  herum,  und  das  Vieh,  wel- 
ches man  vor  Verzauberungen  böser  Geister  schützen 
wollte,  liefs  man  über  das  Feuer  springen.  Mochte  man 
durch  die  Feier  des  Festes  Koliady  sich  den  wiederkeh- 
renden Sonnengott  geneigt  machen  wollen,  so  suchte 
man  sich  am  Feste  Kupaly  der  Mondgöttin  durch  das 
Anzünden  von  Holzstöfsen  zu  empfehlen,  deren  Herr- 
schaft man  sich  von  nun  an  näherte.  Auch  der  Umstand, 
dafs  an  dem  letzteren  Feste  die,  unter  der  Herrschaft  des 
Mondes  stehende,  Jugend  besonders  thätigwar,  weiset 
darauf  hin,  dafs  dieses  Fest  vorzüglich  dem  Monde  galt. 
Die  Kupaly  werden  noch  jetzt  an  vielen  Orten  in  Rufs- 
land ziemlich  nach  der  früheren  Weise  gefeiert,  und  die 
in  Böhmen  noch  gewöhnlichen  sogenannten  Haus-  (eigent- 


bildeteren  getadelt  und  gerügt  werden,  hat  man  an  vielen  Or- 
ten auf  den  darauf  folgenden  Sylvester- Abend  und  Neujahrs- 
tag verlegt.  Sie  hören  auch  jetzt  immer  mehr  auf.  —  Ehe 
man  in  alter  Zeit  zu  dem  grofsen  Gastmahle  (am  24.  De- 
cember)  ging,  brachte  man  zuvor  der  Mondgöttin,  die  sich 
jetzt  anschickte,  das  Regiment  wieder  dem  Sonnengotte  zu 
übergeben,  Dankopfer  und  zündete,  wie  es  bei  Mondfesten 
gewöhnlich  war,  viele  Fackeln,  Kienstücke,  Kienwische 
(vergl.  hinren  harne  Blase)  an.  Beim  Orakelfragen,  Schmau- 
sen u.  s.  w,  erwartete  man  den  Aufgang  der  Sonne  (Tor) 
am  25.  December  (Dies  solis  invicti  bei  den  Römern)  und 
nun  begann  das  erste  frohe  Sonnenfest  des  Jahres  (Hody), 
Den  ersten  jWeihnachtstag  nennen  die  Wenden  jetzt  Bozi 
Dzen  d.  h,  göttlicher  Tag. 


—     145     — 

lieh  wohl  Hus-  oder  Berg -Feuer)  oder  Johannis  -  Feuer 
sind  noch  ein  Ueberrest  von  demselben,  auch  ehemals 
hier  gefeierten  Feste.  Die  Feste  Koliady  und  Kupaly 
theilten  das  Jahr  in  zwei  gleiche  Theile.  Bekannt  ist  es, 
daFs  die  Russen  noch  jetzt  das  Weihnachtsfest  Koliady 
nennen,  welche  Benennung  mithin  nicht  minder  von 
dem  alten  Sonnencultus  herrührt,  als  Hody,  die  wendi- 
sche Benennung  des  Weihnachtsfestes. 


JI.     Religion  der  Polen  und  Schlesier. 

Obgleich  es  gewifs  ist,  dafs  sich  gegenwärtig  die  wen- 
dischen Einwohner  der  Oberlausitz  in  Hohrenjo  (Ge- 
birgsbewohner) ,  Holenjo  (Haidenbewohner)  und  Polenjo 
(Gefildebewohner)  theilen,  so  ist  es  doch  nicht  minder 
gewifs,  dafs  der  Name  der  Polen  nicht  auch  ein  abgelei- 
teter und  mit  dem  lausitzischen  Polenjo  gleichbedeutend 
ist.  Der  Name  der  Polen  ist  ohnstreitig  auch  ein  Pro- 
duct  der  Bergreligionssprache,  wie  die  Namen  der  übri- 
gen Völker.  Das  Wort  Polen  ist  eine  Zusammensetzung 
aus  Po  und  ölen,  d.  h.  Bewohner  niedrigerer  Berge  und 
ebener  Gegenden.  In  dem  Worte  Polonia  deutet  das 
Pol  die  Beschaffenheit  des  Landes  an,  das  onia  aber  heifst 
so  viel  als  asia,  das  Land.  Das  Wort  Polska  (pol-aska) 
ist  ein  Diminutiv  und  bedeutet  ein  kleineres  mit  nie- 
deren Bergen  bedecktes  Land,  und  ist  als  .Gegensatz  zu 
einem  grofseren  Lande  zu  denken  (kleines  Gebirgsland). 
Wahrscheinlich  hiefs  anfangs  nur  ein  kleiner  Theü  des 
Landes  Polska. 

Die  Polen  (Pol-oni)  verdanken  aber  nicht  nur  ihren 
Namen,  der  ohne  Zweifel  eine  andere  Form  der  Sarma- 

10 


—     146     — 

ten  (sarra-aten)  ist,  der  Ursprache,  sondern  auch  die  al- 
ten Namen  ihrer  Städte  und  Dörfer  sind  ein  Product 
dieser  Sprache,  So  heifst  Warschow  (waraschow)  eine  in 
einer  niederen  Gegend  gelegene  grofse  (aschow)  Stadt. 
Posen  (po-osen)  hat  ohngefähr  dieselbe  Bedeutung  und 
ist  ähnlich  dem  Namen  Bauzen  und  Bozen.  Krakau  ist 
aus  kar-akow  entstanden  und  bedeutet  eine  in  einer  Ge- 
birgsgegend gelegene  grofse  Stadt.  Kaiisch  heifst  Berg- 
stadt und  der  Name  derselben  ist  aus  kal  oder  kol  und 
isch  gebildet.  "Wilna  (wil-ina)  ist  eine  niedrig  gelegene 
Stadt.  Gnesen  hat  man  fälschlich  von  der  polnischen 
Göttin  Nija  und  sogar  von  niesdo  (nidus,  koris,  nisdhis, 
[sanscritanisch])  abgeleitet.  Der  Name  dieses  Orts  ist  aus 
gen,  d.  h.  eine  niedere  Gegend  und  esen,  ein  grofser 
Ort,  gebildet. 

Silesio,  das  man  späterhin  in  Schlesien  umgewandelt 
hat,  bezeichnet  ein  Gebirgsland.  Die  Sylbe  silrist  aus  si 
und  il  gebildet  und  esia  bedeutet  Land.  Silesia  ist  ein 
Land,  in  welchem  sich  niedere  Berge  finden,  und  wahr- 
scheinlich gebrauchte  man  früher  das  Wort  zur  Bezeich- 
nung des  niederen  Theils  von  Schlesien.  Hätte  man 
nämlich  den  oberen ,  gebirgigen  auch  anfänglich  unter 
demselben  Namen  verstanden,  so  hätte  das  Land  Sulusia 
oder  doch  Salasia  heifsen  müssen.  Die  Sylbe  schle  in 
Schlesien  ist  mit  sil  oder  sei  gleichbedeutend,  und  das 
«  ist  nur  in  5ch  übergegangen. 

Breslau  (ber-es-la-aw)  heifst  eine  tief  gelegene  Stadt, 
sowie  auch  Nimtsch  (nim-itsch).  Hirschberg  (nicht  von 
Hirsch,  sondern  von  her -isch)  und  Glatz  (gal-az)  sind 
Bergstädte,  ingleichen  Kosel  (kos-el),  Liegnitz  (li-ig- 
ni-iz),  Bunzlau  (bun-uz-la-aw)  und  Löwenberg  (le-eweu) 
aber  tiefer  liegende  Städte. 

Die  spätere  Religion  der  Polen  bestand  vorzüglich 
im  Monddienst,  der  jedoch  den  früheren  Sonnen-Cultus 
nicht  ausschlofs.     Dafs  Jefs,     der   spätere   Hauptgott  der 


—     147     — 

Polen,  den  man  mit  dem  Jupiter  der  Römer  verglichen 
hat,  ursprünglich  eine  Mondgottheit  war,  wie  der  Flins 
der  oberlausitzer  Wenden,  dies  erhellt  ohnstreitig  aus  sei- 
nem Namen  (Je-es),  der  einen  hohen  Vocal  hat.  Indefs 
hatten  die  Polen  doch  auch  in  den  späteren  Zeiten  einen 
reinenSonnengott,  Perkun  ^ ^  (per-ku-un)  oder  Perkunos  (per- 
kun-os)  genannt,  den  die  Perkuna  Tete,  die  Mutter  des  Bli- 
tzes (Mondgöttin)  am  Abende  als  einen  müden,  staubbe- 
deckten Wanderer  in  ihrem  Bade  aufnahm,  und  ihn  des 
andern  Tages  wieder  gewaschen  und  hell  fortgehen  liefs. 
Ob  nun  Perkvinos  oder  Jefs  Auxtheias  Vissagist  genannt 
wurde,  ist  ungewifs.  Soviel  scheint  aber  gewifs,  dafs 
Auxtheias  Vissagist  nicht  ein  besonderer  Gott,  sondern 
nur  eine  in  der  späteren  Zeit  entstandene  Benennung 
des  obersten  Landesgotts  war.  Auxtheias  Vissagist  bedeu- 
tet nämlich  nach  meinem  Dafürhalten  weiter  nichts,  als 
den  obersten  Berggött.  Das  Wort  Auxtheias  ist  ohnstrei- 
tig etwas  corrumpirt  und  hiefs  ursprünglich  Hus  oder 
Haus-tei-as,  Berggott.  Das  Wort  Vissagist  ist  ein  etwas 
falsch  aufgefafster  Superlativ  von  wissoki  d.  h.  hoch,  und 
Auxtheias  Vissagist  ist  nach  meiner  ATeinung  durch  deus 
Summus  zu  übersetzen.  Ein  mit  der  Benennung  Vissa- 
gist in  der  Bedeutung  harnionirender  und  aus  der  heid- 
nischen Zeit  herstammender  Ausdruck  der  Serben  oder 
Wenden    in    dem    südöstlichen    Theile    der    Oberlausitz 


75  Obgleich  Perkun  als  Sonnengott  erscheint,  so  bezeichnet 
ihn  das  e  in  der  ersten  Sylbe  seines  Namens  nicht  als  ei- 
nen solchen,  sondern  nur  als  einen,  dem  russischen  Perun 
ähnlichen,  Mondgott.  Wäre  Perkun  ein  alter  Sonnengott, 
so  müfste  er  Porkon  oder  Purkun ,  zum  Mindesten  Parkan 
heifsen.  Wahrscheinlich  war  in  späteren  Zeiten ,  als  der 
Mondcultus  auch  in  Polen  vorherrschend  wurde ,  Perkun 
(Mondgott)  dem  Sonnengott  Audros  und  Datau  substituirt 
worden,  welche  auch  anderwärts  (vergl.  Pergubrios)  vor- 
kommende Substitution  als  eine  Folge  der  späteren  Um- 
wandlung der  religiösen  Ideen  anzusehen  ist.  Ob  diese  Um- 
wandelung  in  Indien,  oder  anderwärts  begonnen  hat,  dies 
mögen  Andere  bestimmen. 

10* 


148 


scheint  derjenige  zu  seyn,  den  sie  noch  jetzt  bei  dem 
gev/öhnlichen  Grusse  gebrauchen.  Sagt  nämlich  Einer 
zu  dem  ihm  Begegnenden:  pomhai  Boh  warn  d.  h.  Gott 
helfe  Euch,  so  setzt  der  Begrüfste  hinzu :  werschpomasy, 
^velches  eine  Contraction  von  werschny  (Summus)  pom- 
hai fsam  d.  h.  der  Allerhöchste  helfe  selbst,  ist.  Hierauf 
wiederholt  der  zuerst  Begrüfste  denselben  Wunsch  in 
Beziehung  auf  den  Andern  und  dieser  stimmt  in  dem 
ihm  gewordenen  guten  Wunsch  durch  sein  wersch  poma- 
sy  ein. 

Eine  auch  vorkommende  Benennung  des  Sonnen- 
gotts ist  Audros  (hau-dor-os,  grofser  Berggott).  Er  wird 
als  Meeresgott  dargestellt,  und  für  den  Gemahl  der  Per- 
kuna  gehalten,  die  den  Perun  badete.  Männliche  Götter 
waren  auch  die,  Segen,  Gedeihen  und  Fülle  spendenden 
Datan  (da-ta-an)  und  Tawal  (ta-wa-al),  sowie  die  Haus- 
götter Slotraz  (sol-tor-az),  Dvvargonth  (da-war-gon-oth), 
Klamas  (kal-man-as),  und  der  die  Lichter  auslöschende 
Tartitas  (tar-tit-as,  die  aufgehende  Sonne).  Der  Friedens- 
gott Derfintos  (der-fin-ton-os)  war  früher  weiblich,  wur- 
de aber  späterhin  zu  einem  männlichen  erhoben.  Sein 
ursprünglicher  Name  mochte  Derfint  (Mondgöttin)  lau- 
ten. Auch  der  Bienengott  Babilos  (ba-bil-os),  der  an- 
fänglich nur  Babil  hiefs,  wurde  wahrscheinlich  erst  spä- 
ter zu  einem  os  (Gott)  erhoben,  weil  die  Bienen  als  klei- 
ne Thiere  nur  unter  der  Herrschaft  des  Mondes  stehen 
konnten.  Der  Gondu,  den  die  Mädclien  anriefen,  war 
sonder  Zweifel  eine  alte  androgynische  Gottheit.  Der 
Name  dieser  Gottheit  ist  aus  gon,  ein  hoher  Berg  und 
du  zusammengesetzt.  Das  du  steht  hier  statt  ud  und 
das  Wort  ist  ähnlich  dem  Nainen  Hindu,  Menü  etc. 
Weil  aber  die  Mädchen  Gondu  anriefen,  so  dachte  man 
sich  diese  Gottheit  höchstwahrscheinlich  später  als  weib- 
lich. 

Rein   weibliche   Gottheiten   waren    folgende.     Ljada 
(Ijan-ada,  Mondgöttin)  war  die  Kriegsgöttin  der  Polen,  so 


—     149     — 

wie  Led  der  Russen  und  die  Bellona  der  Römer.  Auf 
die  Ljada  sang  man  Siegeslieder  xmd  ihr,  der  Menschen- 
mürderin,  wurden  auch  Menschen,  insonderheit  gefangene 
Feinde,  geopfert.  Fcälschlich  hat  man  sie  mit  dem,  die 
Völker  anführenden,  Sonnengotte  verglichen.  Sie  führte 
nicht  eigentlich  wie  Mars  die  Völker,  sondern  sie  kämpfte 
in  der  mörderischen,  anstrengenden  Feldschlacht  mit  und 
nahm  die  Gefallenen  in  ihr  Reich  auf. 

Die  Dzidzielja  beförderte  die  menschliche  Frucht- 
barkeit. Ihr  Name  ist,  wie  es  mir  scheint,  kein  primi- 
tiver, sondern  ein  von  dzieczo,  das  Kind,  abgeleiteter 
und  heifst  Kindergöttin.  Sie  war  die  Veuus  und  Juno 
lucina  zugleich.  Höchstwahrscheinlich  ist  die  Dzidzielja 
mit  der  Zywie,  die  man  fälschlich  Lebensgott  genannt 
hat,  gleichbedeutend.  Die  Zywie  war  dasselbe,  was  Ziwa 
bei  den  Wenden.  So  wie  die  Dzidzielja  das  produ- 
cirende  Weib  darstellte,  so  die  Zemina  die  producirende 
Natur.  Sie  wird  deshalb  Zemina,  Erdmutter,  genannt. 
Auch  Zemina  oder  Semina  ist  nicht  ein  primitiver  Name, 
sondern  ein  von  semja,  die  Erde,  abgeleiteter. 

Die  Fruchtbarkeit  der  Felder,  Gärten  und  Wein- 
berge beförderte  Marzanna  (mar-zan-ana),  die  auch  des- 
halb vorzüglich  verehrt  wurde.  Die  Dziewanna  (dzi- 
wan-ana)  war  die  italische  Diana  (di-ana).  Sie  wohnte 
in  Wäldern  und  Frauen  und  Mädchen  zierten  ihr  Bild- 
nifs  mit  Kränzen. 

Nija  war  die  Herrin  der  Verstorbenen.  Das  Wort 
nija  ist  aus  ni  und  ija  zusammengesetzt  und  hiefs  Göt- 
tin der  (Todes-)  Nacht.  Indefs  konnte  ihr  Name  auch 
ein  von  nieski,  niedrig,  abgeleiteter  seyn  und  inferior  sci- 
licet  dea  heifsen.  Im  letzteren ,  wenn  nicht  auch  im 
ersteren  Falle,  lautete  das  Wort  Nija  niza.  Von  der 
Nija  oder  Niza,  welche  die  Verstorbenen  nach  dem  To= 
de  des  Leibes  bewahrte  und  sie  in  ein  besseres  Land 
führte,    hat  aber  die  Stadt  Gnesen,    wie  schon  bemerkt, 


—     150     — 

ihren  Namen  nicht  erhalten,  wenn  sich  auch  in  dieser 
Stadt  ein  Tempel  der  Nija  fand.  Manche  haben  die 
Nija  zu  einem  Nijam,  oder  Seelengott  gemacht.  Indefs 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dafs  die  Polen  nicht  die  reli- 
giöse Ketzerei  der  südlichen  Völker  getheilt,  die,  wie  be- 
kannt, die  Herrin  der  Unterwelt  zu  einem  Gotte  erho- 
ben haben.  Die  Göttin  der  !Morgenröthe  hiefs  Ausca 
(haus-uca,  Berggöttin),  die  der  Abenddämmerung  Bezlea 
(bez-le-ea,  Berg-  oder  Mondgöttin)  und  die  Göttin  der 
Dunkelheit  und  Finsternifs  Breksta  (brek-esta,  Göttin  des 
Walddunkels).  Warpulis  (  war-bu-li-is  )  verursachte  nach' 
dem  Donner  den  Wind  und  Pogoda  erzeugte  die  sanft 
strömende  milde  Luft.  Die  Namen  der  Waldgötter  Mo- 
deina und  Ragaina  sind  pluralia  von  Modeino  (mon-dei- 
eino)  und  Ragaino  (ragai-aino),  welche  Wörter  ßerggott- 
heit  heifsen.  Unter  den  Waldgottheiten  werden  beson- 
ders Kierpicz  (kir-pi-itsch)  ;md  Silinicz  (si-lin-itsch)  ge- 
nannt ,  die  beide  weiblich  waren.  Beiden  opferte  man 
Moos,  weil  man  sie  für  Urheber  des  Mooses  hielt,  das 
man  zum  Ausstopfen  der  Ritze  der  Stuben  und  Ställe 
gebrauchte.  Auch  die  Gottheit  der  Seen,  Ezernim  (he- 
zer-ni-!ira)  'genannt,  war  eine  weibliche,  oder  eine 
Mondgöttin. 

Unter  den  Hausgottheiten  der  Polen  waren  weibli- 
chen Geschlechts  Sala  (Sa-ala),  Tikli  (tik-ili),  Birzuli 
(bir-zu-uli),  Siricz  (sir-itsch),  deren  Aemter  man  nicht 
kennt.  Die  Göttin  Ublanicza  (hub-lan-itscha)  wachte 
über  den  Hausrath,  die  Polengabia  (po-len-ga-abia)  be- 
sorgte das  Feuer  auf  dem  Herde,  Aspelenia  (has-pel- 
enia)  safs  in  Winkeln,  Budintaia  (bu-din-taia)  weckte 
die  Menschen  aus  dem  Schlafe,  und  Duguai  (du-gu-ai) 
bewahrte  den  Brotteig.  Auch  die  Göttfn  Luibegeld  (|lu- 
ibe-gel-ed),  welche  nach  der  Sage  allen  Dinkelsaamen  in 
einer  Eichelschale  nach  Polen  gebracht  hat,  war  eine 
Mondgöttin ,  so  wie  Ligicz  (lin-gi-itsch)  die  Stifterin  der 
Versöhnungen  und  der  Ruhe.  Nicht  minder  war  auch 
Pizi  (pi-izi),  welche  die  Brautführer  anfleheten,  eine 
weibliche  Gottheit,  ferner  die  Bentis,  (ben-ti-is)  welche 


151 


die  Reisenden  zusammenführte,  imd  Pirgirsitis  (pir-girs- 
itis),  welche  die  Göttin  der  feierlichen  Waldstille  war 
und  durch  Geschrei  beleidigt  wurde. 

Vor  dem  Pflügen  flehete  man  zur  Lawpatim  (law- 
pat-iin)  und  die  Ratainiza  (ra-tai-ni-iza,  Göttin  der  Ebe- 
nen) besorgte  die  Ackerpferde,  die  Kremara  (ker-mara) 
und  Krukis  (kur-ukis)  die  Schweine,  die  Priparscis  (pir- 
pars  -  ci  -  is )  pflegte  die  abgesäugten  Ferkel  und  die  Kur- 
waiczin  (kur  wai-iz-in)  oder  Eraizin  (he-rai-izin)  pflegte 
die  Schaafe,  so  wie  Gardunithis  (gar-dun-ithis)  die  Läm- 
mei*.  Die  Peseia  (pe-sei-a)  war  die  Göttin  aller  Jungen 
im  Hause  und  Lasdona  (las-do-ona)  die  Göttin  der  Ha- 
selnüsse. Wenn  die  Todten  gespeist  wurden,  so  wurde 
der^^.Vielona  (vi-lon-ona)  geopfert. 

Dafs  die  Polen  und  Schlesier  auch  alte,  dem  spä- 
teren Fetischismus  widersrebende  Gottheiten  hatten,  ist 
sehr  wahrscheinlich,  obgleich  sie  bei  den  Polen  uicht 
genannt  werden.  Jedoch  darf  man  auch  bei  ihnen  nicht 
zwei  ursprünglich  verschiedene  Principe,  ein  gutes  und 
ein  böses,  annehmen. 

Bemerkenswerth  ist  der  Privat -Göttercultus  bei  den 
Polen  und  Schlesiern.  Manche  Städte  und  Dörfer  so  wie 
auch  manche  vornehme  Familien  des  Landes  verehrten 
ihre  besondere  Gottheiten.  So  verehrte  die  Gemeine 
Poiursk  die  Göttin  Devoitis  (de-vo-itis  oder  isis),  die  Ge- 
meine Retowsk  die  Göttin  Vetustis  (Vet-ustis,  usis).  Die 
Stadt  Sarakovvsk  hatte  zwei  Gottheiten  Guboj  (gu-boj  oder  gu- 
bog,  Berggott)  und  Twerticos  (ter-ti-cos,  Mondgott),  die 
Burg  Plotelsk  die  Kirnis  (kir-ni-is,  Berg  und  Nachtgöt- 
tin). Das  Geschlecht  Mikutz  verehrte  seinen  eigenen 
Stammgott  Simonait,  ( si-mo-na-it ,  scheint  eine  androgy- 
nische  Gottheit  zu  seyn),  die  von  Michelowicz  die  Sidzj 
(si-dschi-i,  Mondgöttin),  die  von  Schemicz  die  Gottheit 
Rekicziow.  Die  Verehrung  von  Familiengottheiten  hatte 
auch  bei  den  Mähren  und  Böhmen  Statt» 


—     152 


III.   Religion  der  Mähren  und  Böhmen. 

Die  Mähren  oder  Moraven  heifsen  Bewohner  hoher,  ge- 
birgiger Gegenden.  Das  Wort  Moraven  ist  aus  mor  und 
aven  oder  äsen  gebildet.  Die  Hauptstadt  des  jetzigen 
Markgrafthums  Mähren  heifst  Bvün  (bür-ün),  welche 
gleich  Olmütz  (  hol  -  mün  -  iz )  ßergstadt  heifst. 

Der  Name  Böhmen  ist  aus  Bö-he-emen,  Bewohner 
niederer  und  spitzer  Berge,  gebildet.  Das  Land  wird 
auch  Büheiin  genannt,  welches  Wort  man  aber  nicht 
durch  Heimath  der  Boji  übersetzen  darf.  Die  Boji  sind 
Bergbewohner  so  wie  die  Bavari  (ba-va-ari)  Bavaren 
oder  Baiern.  Die  slavischen  Bewohner  Böhmens  nen- 
nen ihr  Land  Czeclii  (tschen-echi)  welcjies  Bergländer 
bedeutet.  Sie  selbst  (die  slavischen  Einwohner  des  Lan- 
des) nennen  sich  auch  Czechi  (tschen-echen)  oder  auch 
Tschecharen  (tsche-ga-aren),  welches  mit  Boji  ziemlich 
gleichbedeutend  ist.  Der  Name  der  Hauptstadt  von 
Tsrhechien,  Prag,  ist  aus  parag  zusammengesetzt  und 
bezeichnet  eine  Bergstadt.  Dieselbe  Bedeutung  haben 
auch  die  Ortsnamen  Kaurzim  (kar  oder  kaur-zi-im) 
Tabor  (tan-bor  oder  bürg),  Budweis  (bud-wei-eis  oder 
is),  Klattau  (kal-atow  oder  asow),  Pilsen  (pil-isen), 
Przibram  ( per-zin-bar-am ) ,  Ellnbogen  (hel-len-bo-ogen), 
Eger  (hen-ger),  Leutmeritz  ( leu-et-mer-iza ) ,  Adersbach, 
(ha-der-es-bach),  Jaromierz  (ja-ro-mier-iz),  Churdim 
(chur-di-im),  Czaslau  (tschan-as-alow),  Teplitz  (ein  an 
einer  Anhöhe  (te)  tief  gelegener  (li)  kleiner  Ort  (iz, 
iza)  u.  s.  w. 

Die  Mähren  verehrten  in  der  Zeit ,  aus  welcher  uns 
ihre  Mythologie  bekannt  ist ,  den  Peron  ( per-on  )  ,  wel- 
cher mit  dem  russischen  Perun,  mit  dem  er  denselben 
Namen  hatte,     gleichbedeutend   war.      Die    Mondgöttin 


—     153    — 

nannten  sie  Wilis  (wi-itis)  und  spiiterhin  lüng  man  an 
dieses  Wort  law  (lan-aw,  Mond)  so,  dais  man  den  Na- 
men Witislaw ,  Berggöttin ,  oder  Mondgöttin  als  Mond- 
gott erhielt. 

Die  Witislaw  der  Mähren  konnte  in  mehreren  For- 
men, wie  auch  anderwärts,  vorkommen,  z.  B.  als  Juno, 
Bellona,  Minerva,  Venus,  Flora  u.  s.  w.  Eine  solche 
besondere  Form  der  Mondgöttin  war  ohnstreitig  die  Kra- 
sopani,  welches  Wort  schönes  Weib  (Venus)  bedeuten 
soll.  Ist  kraso  aus  dem  Adjectiv  gebildet,  welches  die 
Wenden  krasny  d.  h.  herrlich,  schön,  nennen,  so  ist 
der  Name  späteren  Ursprungs  wie  Daschebog,  Zizlila  u. 
s.  w.  und  bezeichnet  eine  gewisse  Eigenthümlichkeit  der 
Göttin.  Indefs  kann  kraso  auch  primitiv  seyn.  In  die- 
sem Falle  würde  es,  wie  Jnno  und  Lado,  eine  Berggott- 
heit andeuten.  Das  Wort  pani  i.  e.  domina,  dea  wäre 
dann  erst  später  zu  dem  Kraso  (kar-aso)  hinzugefijcrt 
worden,  um  anzudeuten,  dafs  man  sich  die,  wahrscheinlich 
früher  androgynische,  Gottheit  nur  weiblich  dachte.  Eine 
später  entstandene  Benennung  war  auch  Dobropan.  ^* 
Diese  Benennung  soll  dem  Mercur  (mer,  oder  mar-cu- 
ur  oder  ar),  diesem,  von  mehreren  Völkern  Mittel- 
europa's  verehrten,  die  Völker  zum  Kriegskampfe  füh- 
renden, Gotte  gelten.  Auch  kommt  ein  Krälomoc,  d. 
h.  starker  König,  vor,  von  welchem  man  glaubt,  dafs 
er  den  Jupiter  bezeichnet  habe.  Obgleich  es  aber  ge- 
wifs  ist,  dals  sich,  wie  schon  oben  bemerkt,  später- 
hin römische  und  griechische  Religions- Vorstellungen, 
vorzüglich  in  das  südliche  Slavonien  einschlichen,  so 
kann  Krdlomoc,  oder  Kral  mozny,  einen  früheren 
Sonnengott  andeuten,  der  in  Mähren  von  frühe- 
ren   Völkern     germanischen     Stammes     verehrt    wurde. 


76  Die  Benennung  Dobrepan  (doLry  Pan)  scheint  mehr  einen 
alten,  guten  Sonnengott  anzudeuten,  als  einen  spätem,  wü- 
thend  kämpfenden,  blitzenden  und  donnernden  Mondgott. 


—     154     - 

Indefs  konnte  man  unter  dem  Kral  raozny  (rex  fortis) 
auch  nur  den  späteren  Peron  oder  den  Sonnengott  Hla- 
dolot  (hal-dol-ot,  Berggott)  verstehen,  den  man  als  einen 
alten  Sonnengott  wohl  nicht  ohne  Grund  mit  dem  Sa- 
turn vergleicht. 

Obgleich  in  späteren  Zeiten  in  dem  gebirgigen  Theile 
Mährens  und  Böhmens  sich  auch  der  niedere  Fetischis- 
mus ausbreitete,  so  scheint  er  doch  hier  nicht  allge- 
mein Platz  gegriffen  zu  haben.  Die  Vornehmen  des  Lan- 
des, die  mit  den  Römern  mehr  in  Berührung  kamen,  re- 
cipirten  zwar  die  niedere  Idololatrie  und  hatten  sogar 
ihre  Familien  -  Götzenbilder.  Indefs  hielt  das  gemeine 
Volk  an  der  alten  Verehrung  der  Sonne  und  des  Mon- 
des fest,  von  denen  es  sich  die  erste  durch  Felsensäu- 
len, den  letzteren  aber-,  wie  die  Preufsen  und  die  Wen- 
den, vorzüglich  durch  Linden  vergegenwärtigte.  Ueber- 
haupt  hat  sich,  nach  meinem  Dafürhalten  des  Sonnen- 
und  Mondcultus  der  zweiten  Periode  auf  dem  Karpathen- 
(kar-pa-aten),  Suddeten-  (sud-den-eten) ,  Riesen-  (rin-isen) 
und  böhmischen  Gebirge,  so  wie  auf  der  Insel  Rügen 
am  längsten  erhalten.  In  diesen  Gegenden  nämlich  tritt 
der  Sonnencultus  nicht  so  in  den  Hintergrund  wie  an- 
derwärts in  Slavonien  und  das  Volk  behielt  hie  und  da, 
wie  so  eben  gesagt,  bis  in  die  spätere  Zeit  die  alten,  ein- 
fachen Götter  -  Repräsentationen. 

Unter  den  männlichen  Gottheiten,  welche  die  Böh- 
men oder  Tschecharen  verehrten,  sind  zu  nennen:  lasen, 
Quotz,  Radamas.  Der  lasen  ist  der  spätere,  zum  Manne 
potenziile  Mondgott,  der  bei  den  Russen  Perun,  bei  den 
Mähren  Peron,  bei  den  Preufsen  Perkunos,  bei  den  Po- 
len Jefs  und  bei  den  Lausitzer  Wenden  Flinz  hiefs.  Das 
Wort  lasen  ist  aus  Ja  und  äsen  oder  ason  zusammenge- 
setzt und  bedeutet  eine  Berggottheit.  Der  Quoz,  Quosch, 
Chuoz  (chu-oz)  ist  ohnstreitig  ein  Sonnengott  und  älter 
als  lasen.  Er  gehörte  späterhin  einer  religio  pagana  und 
Sylvestris   an.     Weil   man   seine  Religion  im  Gegensatze 


—     155    — 

zn  der  späteren  Landesreligion  dachte,  deshalb  hat  man 
ihn  mit  dem  ägyptischen  Typhon  verglichen.  Der  Name 
des  Radamas  ist  aus  ra  der  Berg  und  dam-as,  Gott,  zu- 
sammengesetzt. Er  war,  so  wie  Radamanthus  bei  den 
Griechen,  Radgost  bei  den  Mähren,  und  Radegast  bei 
den  Wenden  ein  alter  Mondgott,  der  auf  Erden  die  Völ- 
ker und  der,  nach  dem  späteren  Religionsglauben,  gleich 
dem  Charon  ^^  (gar-on)  und  Mercur  auch  die  Seelen 
der  Verstorbenen  in  der  Unterwelt  führte.  Radamas  war 
ein  gynandrischer  Gott,     wie  der  Pvadegast  der  Wenden. 

Die  Mondgöttin  kommt  bei  den  Tschecharen  unter 
verschiedenen  Namen  vor.  Sie  wird  Laden  (lad-on, 
Mondgott)  genannt,  und  ist  in  ihrer  Function  der  russi- 
schen Led  und  der  polnischen  Leda  oder  Ljada  ähnlich. 
Deshalb  hat  man  sie  mit  dem  Mars  verglichen.  Sie 
war  aber  in  der  That  die  Mondgöttin  als  Todesgöttin 
im  Kriegskampfe.  Wahrscheinlich  hiefs  Ladon  früher 
Lada,  und  nur  die  spätere  Zeit,  in  welcher  der  Mond 
zum  Manne  erhoben  wurde,  machte  aus  der  Lada  (lan- 
ada)  einen  Lad-on.  Aber  auch  in  dieser  Form  ist  Ladon 
nicht  eine  gewöhnliche  Mondgottheit,  sondern  eine  gro- 
fse  Mondgottheit,  die  durch  ihre,  grofse  Kraftanstrengun- 
gen erfordernden  Geschäfte  (heftige  Kämpfe  im  Kriege)  dem 
Manne  glich.  Die  Namen  der  Ziviena  und  Zizlila  sind 
nicht  primitive,  sondern  abgeleitete.   Die  erstere  war  die 


77  Charon  (gar-on,  Berggott)  ist,  seinem  Namen  nach,  ein 
Sonnengott,  der  die  Lebenden  auf  weiten  Wandernngen 
führte.  Die  Meinung,  dals  ein  Sonnengott  die  Dahinge- 
schiedenen fährt,  ist  zwar  nicht  ganz  orthodox,  jedoch  des- 
halb zu  entschuldigen,  weil  sein  Geschäft  nur  an  der  Gren- 
ze der  Unterwelt  Statt  hatte.  Die  funkelnden  Augen,  die 
man  dem  Charon  zuschrieb ,  charakterisiren  ihn  als  Mond- 
gott und  sein  grauer,  häfflicher  Bart  deutet  sein  Alter  an. 
Höchstwahrscheinlich  war  Charon  ursprünglich  eine  andro- 
gynische  Gottheit,  die,  nach  dem  späteren  Glauben,  hei 
einem  männlichen  Namen  ein  Geschäft  der  Mondgöttin  (das 
Führen  der  Seelen  in  die  Unterwelt)  verrichtete. 


—     156     — ■ 

Göttin  der  gebärenden  Natur  (Ceres)  und  die  zweite 
die  Mutter  des  menschlichen  und  thierischen  Lebens 
(Venus). 

Die  Zizlila,  die  man  jetzt  zyzwiwa  (ziztiia  nennen 
würde,  erhielt  ihren  Namen  von  ihren  Nährbrüsten,  die 
im  Wendischen  Nadra  (na-dar-a,  inferiores  montes)  hei- 
fsen.  Der  Name  der  Marzena  ist  aus  Mar-ze-ena  zu- 
sammengesetzt und  bedeutet  eine  Göttin  hoher  Berge. 
Sie  war  die  Diana  (di-ha  ana)  der  Italer,  die  Dziewanna 
der  Polen,  die  Dziewiza  der  oberlausitzer  Wenden.  Ze- 
lun  ist  auch  eine  Mondgottheit,  aber  in  männlicher 
Form.  Der  Name  ist  aus  ze-lu-un  gebildet  und  bedeu- 
tet Mondgott.  Vielleicht  bedeutet  Zelun  in  manchen  Ge- 
genden das,  was  Ladon.  Eine  dem  religiösen  Glau- 
ben des  Alterthums  entsprechendere  Benennung  war  die 
Zi).r,vr}  (se-le-ene,  Mondgöttin)  der  Griechen.  Das  ze 
in  zelun  ist  gleichbedeutend  mit  dem  se  in  Zthjvri]  aus 
dem  le  ist  in  Böhmen  lu  entstanden,  weil  man  dem 
W'orte  eine  männliche  Endung,  nämlich  un  gab.  Dem- 
jenigen, der  die  grofse  üebereinstimmung  der  Wurzeln 
lu,  lo,  la,  le,  li,  und  nu,  no,  na,  ne,  ni  in  den  al- 
ten Sprachen  kennt,  dem  wird  es  nicht  auffallen,  dafs 
ich  den  (die)  böhmische  (n)  zelun  und  die  griechi* 
sehe  EtXrivri  in  Vergleich  stelle ,  die  in  der  That  bis 
auf  die  Modification,  welche  die  religiöse  Anomalie 
der  Böhmen  dem  zelun  gab ,  in  Bedeutung  und  Be- 
nennung identisch  waren.  Pohoda  (heitere  milde  Luft) 
ist  nur  eine  andere  Sprech-  und  Schreibart  des  rus- 
sischen  und  polnischen  Worts  Pogoda.  Die  Böhmen 
und  obtrlausitzer  Wenden  setzen  nämlich  da  ein  h,  wo 
die  Russen,  Polen  und  die  niederlausitzer  Wenden  das 
g  adhibiren  und  sagen  z.  B.  Boh  statt  Bog,  bohaty  statt 
bogaty  etc. 

Die  böhmische   Mokosla    (mo-kos-ola)   ist  gleichbe- 


—     167     — 

deutend  mit  der  russischen  Mokosch,  unter  deren  Schutze 
die  kleineren  Hausthiere,  z.  B.  Schaafe,  Ziegtn  u.  s  w. 
standen,  welche  Function  die  Mondgöttin  deutlich  cha- 
raktcrisirt.  Pochvvist  kommt  auch  in  der  russischen  My- 
thologie vor.  In  Böhmen  hiels  die  Gottheit  auch  Ne- 
hoda  (ne-ho-oda),  welches  beweist,  dafs  man  bei  den 
Slaven  anfänglich  nicht  an  einen  Windgott,  sondern  an 
eine  Windgöttin,  die  zugleich  auch  Regen-  und  Nebel- 
göttin war,  glaubte.  Wegen  des  unfreundlichen  Charak- 
ters der  Pochwist  oder  der  Nehoda  hat  die  spätere  Zeit 
dieselbe  unter  die  schwarzen  oder  bösen  Gottheiten  ge- 
rechnet, die  man  auch  in  der  Religion  der  Böhmen,  zum 
Mindesten  nicht  in  der  jetzt  angenommenen  Form,  ver- 
geblich sucht.  Früher  erschien  Pochwist,  oder  Nehoda 
den  Menschen  nicht  als  böse;  denn  Sturm,  Regen  und 
Nebel  erschienen  ihnen  als  Wirkungen  einer  Göttin,  und 
es  wäre  irreligiös  gewesen,  Etwas,  das  von  einer  Gottheit 
herrührte,  für  böse  zu  halten.  "Wirkungen  der  Mond- 
göttin sind  auch  Lei  (le-el),  die  Liebe  und  Polel  (pol- 
el,  Hymen),  die  Ehe.  Dafs  die  Namen  Ssetek  (se- 
te-ek)  und  Diblik  (di-bil-ik)  auch  Mondgöttin- 
nen bezeichnen,  ist  gewifs .  aber  ungewifs  ist  es, 
welche  religiöse  Ideen  durch  dieselben  dargestellt  wur- 
den. Ssetek  hat  man  durch  Lar  (lan-ar,  Mondgott)  und 
Diblik  durch  Vesta  (ve-esta  oder  esa)  übersetzt.  Mernt 
hat  man  durch  Pluto  übersetzt.  Man  darf  aber  Pluto 
nicht  in  der  späteren  Bedeutung,  nämlich  als  Gott,  son- 
dern in  der  früheren  als  Berg-  oder  Mondgöttin  neh- 
men, welche  die  Verstorbenen  beherrschte  und  rich- 
tete. Dafs  Mernt  eine  weibliche  Gottheit  ist,  erbellt 
aus  der  Composition  des  Namens  (Mer-ne-et).  Ver- 
muthlich  ist  aus  mernt  das  Wort  smrt  oder  szmercz, 
mors,  gebildet  worden.  Mit  der  Todesgöttin  Mernt  war 
die  Niwa,  polnisch  Nija  oder  Niera  gleichbedeutend 
und  letztere  ist  durch  Proserpina  übersetzt  worden.  In- 
defs  darf  man  sich   die  Proserpina  der   orlhoxen  Slaven 


—     158     — 

nicht  als  Gemahlin  eines  in  der  [Unterwelt  herrschen- 
den Königs  denken.  Sie  selbst  war  Alleinherrscherin 
in  dem  Reiche  der  Dahingeschiedenen,  während  ihr  Ge- 
mahl, der  Sonnengott,  das  Hohe  in  der  Oberwelt  regierte. 
Es  ist  zu  bezweifeln,  dals  bei  den  Slaven  so  wie  bei  den 
Aegyptern,  Griechen  und  Römern  je  der  Glaube  an  eine 
von  der  Oberwelt  völlig  verschiedene,  nach  den  Formen 
der  letzteren  gemodelte  Unterwelt  existirt  habe.  Nach 
dem  slavischen  Glauben  verbargen  sich  die  Seelen  der 
Verstorbenen  in  Erdhöhlen ,  eilten  durch  dunkle  Wäl- 
der, und  den  veredelten  gelang  es  früher,  als  den  un- 
veredelten, ^®     zu   dem  Lichte   des   Sonnengotts   zu  ge- 


78  In  Betreff  der  Wanderung  der  Seelen  der  verstorbenen  Sün- 
der durch  unfreundliche,  quaalvolle  Oerter  stimmt  die  sla- 
vische  Religion  mit  der  indischen  überein;  aber  eine  Wan- 
derung der  Seelen  in  thierische  und  andere  Körper,  nach 
überstandener  Strafe  in  dem  Zustande  der  Körperlosigkeit, 
scheint  sie  nicht  gelehrt  zu  haben.  In  Menu's  Gesetze  heilst 
es  G.  XII,  §.  5%  55  und  62:  Wenn  Sünder  des  ersten  Gra- 
des durch  gräfsliche  Oerter  der  Quaal  viele  Jahre  lang  hin- 
durchgegangen sind,  so  werden  sie  am  Ende  dieser  Zeit,  um 
alle  Ueberreste  ihrer  Sünden  zu  tilgen ,  zu  den  folgenden 
Geburten  verurtheilt.  Der  Mörder  eines  Brahminen  mufs, 
nach  den  verschiedenen  Umständen  seines  Verbrechens,  den 
Körper  eines  Hundes,  Ebers,  Esels,  Kameeis,  Stiers,  einer 
Ziege,  eines  Schaafes,  Hirsches,  Vogels,  eines  Ghandala  (Par- 
ria)  oder  Paccasa  bewohnen.  Wer  ungedroschenes  Getreide 
stiehlt,  soll  als  Ratte  geboren  werden;  ein  Dieb  des  gelben 
vermischten  Metalls  als  Gänserich ;  ein  Wasserdieb  als  Fla- 
va, (Pluwar  heilst  im  Wendischen  der  Schwimmer  und  plu- 
wacz  schwimmen)  oder  Untertaucher  (Wasservogel) ;  ein  Ho- 
nigdieb als  grofse  Stechmücke ;  ein  Milchdieb  als  Krähe  etc. 
Ob  der  indische  Glaube  an  die  angedeutete  Seelenwanderung 
uralt  ist ,  oder  in  späterer  Zeit  entstanden  ist,  wage  ich 
nicht  zu  bestimmen.  —  Gewifs  würde  Ovid  seine  Metamor- 
phosen, die  an  die  indischen  Seelenwanderung  erinnern, 
nicht  geschrieben  haben,  wenn  er  die  Elemente  seiner  Fa- 
beln nicht  in  dem  Glauben  des  Volks  gefunden  hätte.  "Wenn 
auch  nach  dem  späteren  slavischen  Glauben  die  Seelen  der 
Verstovlipnpn   unmittelbar  nach   dem   dunkeln    Gange    zum 


—     159     —        " 

langen  und  sich  mit  neuen  Körpern  zu  verbinden.  In- 
defs  scheint  man  sich  doch  in  diesem  Glauben  nicht 
gleich  geblieben  zu  seyn,  vmd  insonderheit  scheinen  die 
südlichen  Slaven  späterhin  diesfalls  Einiges  von  dem 
Glauben  der  Griechen,  die  den  ihrigen  von  den  Aegyp- 
tern  erhalten  hatten,  angenommen  zu  haben. 

Die  Weles  der  Böhmen  war  sonder  Zweifel  eine  u.r- 
alte  Gottheit,  die  in  der  russischen  Mythologie  in  der 
männlichen  Form  Wolos  vorkommt.  Die  doppelte 
Auffassung  derselben  deutet  an,  dafs  sie  in  alter  Zeit 
eine  androgynische  Beschaffenheit  hatte.  In  Böhmen 
war  sie  anfangs  gut  und  der  nordischen  Wole  (wo-ole, 
Berggöttin)  und  Heithi  (hei-ithi,  Höhengöttin),  so  wie 
der  russischen  Jaga  Baba  ähnlich.  Wahrscheinlich  er- 
wies man  ihr  als  Mondgöttin  in  der  Zeitperiode  allge- 
meine Ehre,  als  noch  der  Sonnengott  Chwoz  oder  Quoz 
allgemein  im  Lande  verehrt  wurde.  Als  die  Böhmen  in 
den  ebenen  Gegenden  sich  auch  späterhin  zum  niederen 
Fetischismus  wandten,  erhielt  sich  ihr  Cultus  nur  noch 
in  den  gebirgigen  und  waldigen  Gegenden  so  wie  auch 
der  des  Quoz  oder  Chuoz  als  eine  religio  sylvestris  und 
pagana.  Die  Religion  der  Weles  (wel-es)  wurde  von 
dem  späteren ,  niederen  Fetischismus  der  Böhmen  ver- 
drängt und  die  Weles  aus  der  Gesellschaft  der  späteren 
Landesgottheiten  verstofsen.  Sehr  treffend  hat  man  sie 
daher  mit  der  griechischen  "^ir??  (ha-ate  oder  ase,  Berg- 
göttin) verglichen,  die  Jupiter  aus  dem  Himmel  schleuderte. 

Nur  eine  andere  Benennung  der  Weles  scheint  Wily 
(wi-ili)  zu  seyn.  In  der  dritten  Religionsperiode  dich- 
tete man  auch  der  -Wily  mancherlei  Böses  an  und  be- 
hauptete, dafs  sie  wie  die  russische  Kikimora,    die  ober- 


neuen  menschlichen  Leben  gelangten,  so  scheint  sich  doch 
ein  Rest  des  in  Rede  stehenden  indischen  Glaubens  in  den 
Leschje  (Waldgeister)  auch  späterhin  erhalten  zu  haben. 


160 


lausitzische  Kodoiza,  dieniederlausitzischeMorawa,  die  deut- 
sche Alpe  (Alp)  und  die  griechische  Hecate  bei  Nacht  dieMen- 
schen  durch  Gespenster  und  Beängstigungen  plage.  Die  We- 
les,  oder  Wily  war  demnach  ein  sogenannter  Tschernebog. 
AuchTasani  (ta-sa-ani)  und  Sudice  (su-di-ize)  waren  Mond- 
göttinnen, es  ist  aber  ungewifs,  welche  religiösen  Ideen 
denselben  unterlagen.  Nach  meiner  Vermuthung  waren 
sie  in  ihrer  Bedeutung  der  "Wales  und  Wily  ähnlich. 
Stransky,  der  die  Gottheiten  der  Böhmen  gröfstentheils 
sehr  gut  nach  denen,  ihnen  inhärirenden,  Religions-Ideen 
aufgefalst  hat ,  nennt  die  Tasani  Eumeniden  und  die 
Sudice  Parze.  Vermuthlich  gehörten  Quoz,  Weles,  Wi- 
ly, Tassani,  Sudize  und  Trzibek  oder  Trzibog  zu  der 
Götterregierung  der  Böhmen  in  der  zweiten  Religionspe- 
riode, und  die  Sudice  hatte  damals  die  Bedeutung  der 
späteren  Ziviena  (Ziwa)  und  die  Tassani  die  der  Ge- 
richts- und  Strafgöttin  Nemisa,  oder  Nemesis.  Die  Trzi- 
bek (tir-zi-bek)  oder  Trzibog  (tir-zi-bog)  bedeutete  den 
erstickenden  und  Krankheiten  erzeugenden  Südwind,  oder 
den  erkältenden  Nord-  und  Ostwind.  In  Rulsland  führte 
Trzibek  oder  Trzibog  den  Namen  Stribog  und  die  Win- 
de wurden  Stribogs  Enkel  genannt.  Dafs  man  bei  Trzi- 
bog an  einen  nachtheiligen  Einflufs  des  Windes  auf  die 
menschliche  Gesundheit  dachte,  erhellt  daraus,  dals  man 
in  der  russischen  Mythologie  den  Stribog  in  die  Classe 
der  bösen  Götter  setzte  und  dafs  Stransky  ( de  repub. 
Bojema  Tom.  II.  p.  508.  509.)  Trzibog  durch  Pest  über- 
setzt. Zu  bemerken  ist,  dafs  das  bek  in  Trzibek 
nicht  eine  grammatische  Anomalie,  sondern  in  diesem 
Falle  angemessener  ist,  als  bog.  Bek  oder  beg  bedeutet 
nämlich  eigentlich  eine  Göttin,  bog  aber  einen  Gott. 
Indels  gebrauchte  die  spätere  Zeit,  wie  schon  bemerkt, 
das  bog  auch  für  dea. 

Merkwürdig  ist  die  Nachricht  von  der  Privatreligion 
der  Töchter  Kroks.  Von  diesen  verehrte  eine  jede,  wie 
es  sich  auch  für  weibliche  Personen  schickte,  die  Mond- 
söttin  unter  einem  anderen  Namen.    Die  Tetka  verehrte 


—     161     — 

die  Climba  ( kiMim-iba ) ,  die  Przeraysl  die  Göttin  Dyrsa 
(dir-isa),  die  Nezamysl  die  Crafatina  (  car-fa-ti-ina ) ,  dia 
Banka  die  Kyliala  (ki-lial-ala),  und  die  Lidmila  die  Cro- 
sina  (cor-sin-ina).  Waren  aber  die  Töchter  Kroks  nicht 
in  der  That  Priesterinnen  der  Mondgöttin  ?  Dafs  Tschech 
und  Lech  nicht  ein  brüderliches  Herrscherpaar,  sondern 
zwei  Brüdervölker  bedeutet,  die  Tschechen  (hochwoh- 
nenden) nämlich  und  die  Lechen  (le-echen,  Bewohner 
niederer  Gegenden ) ,  dies  wird  jetzt  von  den  Mehresten 
als  wahr  angenommen.  Die  erste  wirklich  historische 
Person  in  der  böhmischen  Geschichte  ist  Krok  (kor-ok, 
Berggott,  Sonnenpriester),  wahrscheinlich  ein  (erblicher) 
Hohepriester  und  zugleich  Landes -Regent.  Nach  seinem 
Tode  kam  die,  bisher  in  Ehren  gehaltene,  Sonnenreli- 
gion und  mit  ihr  auch  die  böhmische  Theocratie  in  Ver- 
fall. Die  Verheirathung  der  Libussa  (li-bu-ussa,  Mond- 
göttin, Mondpriesterin )  mit  einem  Weltlichen,  nicht 
zum  fürstlichen  Priesterstande  Gehörigen  (dem  Acker- 
bauer Przemysl)  deutet  die  usurpatorische  Ergreifung  der 
Landesregierung  durch  einen  Nicht -Priester  an. 

Eine  Zeit  lang  und  so  lange  die  Theocratie  die  Mit- 
heirschaft  halte  (so  lange  Libussa  lebte),  duldeten  die 
Mondpliesterinnen  die  veränderte  Landesregierung.  Spä- 
terhin aber  empörten  sich  die  Freunde  der  Theocratie, 
die  zuletzt,  weil  der  Mondcultus  prädominirend  gewor- 
den war,  nicht  mehr  ein  männliches,  sondern  ein  weib- 
liches sichtbares  HaUpt  hatte,  auf  Antrieb  einer  Mond- 
priesterin Wlasta  (wal-asta  oder  asa)  gegen  die  weltliche 
männliche  Landesregierung.  Die  Empörer  führten  einen 
blutigen  Krieg  gegen  die,  der  weltlichen  Herrschaft  gün- 
stige Partilei ;  aber  sie  unterlagen  in  dem  Kampfe.  Wenn 
Libussa  sich  weigerte,  zu  heirathen,  so  mochte  sie  ein- 
mal die  Rücksicht  auf  ihr  Gelübte  der  Ehelosigkeit  (Ve- 
Staunen)  und  zweitens  die  Erwägung  des  Nachtheils,  der 
aus  diesem  Schritte  der  neuen ,  mondgöttlichen  Theo- 
cratie erwachsen  könnte,  zu  dieser  Weigerung  bestim- 
men.   Ein  giofser  Theil  der  Böhmen  wollte  aber,  gleich 

11 


—     162     — 

andern  Völkern,  einen  weltlichen  Herzog,  oder  König 
haben.  Der  spätere  Kampf  der  Priesterinnen -Herrschaft 
mit  dem  Königthume  ist  durch  den  sogenannten  böh- 
mischen Mädchenkrieg  angedeutet.  Nicht  zu  übersehen 
ist  es,  dafs  in  dem  erwähnten  Kriege,  aufser  der  Haupt- 
anführerin Wlasta  (Mondgöttin)  gerade  sieben  andere  An- 
führerinnen, mit  Namen:  Mladka,  Hodka,  Nabka,  Swa- 
tawa,  Wradka,  Radka  und  Czastawa,  aufgeführt  werden. 
Diese  Anführerinnen  in  dem  Kampfe,  wo  das  Himmli- 
sche mit  dem  Weltlichen  rang ,  haben  ohnstreitig  eine 
astronomische  Bedeutung  ^^  und  bezeichnen  die  sieben 
damals  bekannten  Planeten. 


79  Die  anfängliche  Religion  der  Men5chen  bestand  in  der  Ver- 
ehrung der  Sonne  und  des  Mondes.  Späterhin  aber,  als  die 
Priester  die  Gestirne  genauer  beobachteten,  zog  man  auch 
die  Planeten  so  wie  noch  später  die  sogenannten  12  Him- 
melszeichen in  das  Gebiet  der  Religion.  Dadurch  substi- 
tuirte  man  dem  alten  einfachen  Sabäismus  (Sonnen-  und 
Mond-Cultus)  einen  neuen  complicirtern,  mit  dem  man  den 
späteren,  nicht  auf  astronomischem  Wege  entstandenen,  Po- 
lytheismus in  Einklang  brachte.  Eine  Spur  von  dem  spä- 
teren Hinüberziehen  der  12  Himmelszeichen  in  das  Gebiet 
der  Religion  findet  sich  in  der  slavischen  Mythologie  nicht, 
und  es  ist  fast  zu  bezweifeln,  ob  dieselben  je  in  dem  er- 
wähnten Gebiete  eine  Stelle  erhalten  haben.  Im  jüngeren 
Bundehesch  hat  man  die  12,000  Jahre,  die  zur  Besiegung 
des  Ariman  durch  Ormudz  erforderlich  sind,  mit  den  12 
Himmelszeichen  in  Harmonie  gestellt.  Die  erwähnten  12,000 
Jahre  bezogen  sich  gewifs  ursprünglich  auf  das  zwölfmalige 
Wachsen  und  Verschwinden  des  Mondlichts,  und  bildeten 
ein  grofses  zwölfmonatliches  Jahr,  Man  darf  nicht  eine  jede 
Erklärung  der  alten  Interpreten  religiöser  Meinungen  für 
Wahrheit  halten ,  weil  diese  Männer  gewöhnlich  von  den 
herrschenden  religiösen  Meinungen  ihres  Volks  und  ihrer 
Zeit  »ehr  befangen  waren. 


—     163     — 


IV.     Religion  der  Nordwenden. 

Unter  den  Nordwenden  verstehe  ich  die  Kassuben,  Pom- 
mern, Obotriten,   Linonen  und  Rügier. 

Die  Kassuben  wohnen  in  den  Kreisen  Stolpe  und 
Lauenburg- Bütow  des  preufsischen  Regierungsbezirks  Kös- 
liu.  Sie  sind  Slaven  lechischen  Stammes.  Die  Herr- 
schaften Lauenburg  und  Bütow  machten  ehedem  einen 
Theil  von  Polen  aus  und  wurden  vom  Jahre  1460  von 
den  Herzogeu  zu  Pommern  als  polnische  Lehne  beses- 
sen, nach  deren  Aussterben  aber  von  der  Krone  Polen 
eingezogen  und  erst  der  Welauer  Vertrag  gab  sie  dem. 
Kurhause  Brandenburg  als  ein  Lehn  von  Polen  zurück. 
Jetzt  sind  die  genannten  Herrschaften  mit  Pommern  ver- 
einigt. Nach  Anton  nennen  sich  die  Kassuben  Slowen- 
ci,  nach  Mrongovius  Krabatker.  Der  Name  der  Kassu- 
ben ist  aus  ka-as-uben  entstanden  und  bedeutet  Bergbe- 
wohner. Es  ist  demnach  mit  Krabatki  (kar-ba-atki) 
gleichbedeutend. 

Ist  der  Name  Pommern  (pomerani)  von  po,  d.  h. 
bei  und  morjo,  das  Meer,  entstanden  und  bedeutet  er 
Meeranwohner,  so  ist  er  neu,  und  er  ist  diesem  Volke 
von  Andern  gegeben  worden.  Ein  altes  Volk  nannte  sich 
selbst  nicht  nach  einem  Meere  oder  Flusse,  sondern  im- 
mer nach  den  Bergen,  die  es  bevvohnte.  Ich  vermuthe 
daher,  dafs  die  Pommern,  obgleich  sie  in  der  That 
Meeranwohner  sind,  doch  ihren  Namen  nicht  von  mor- 
jo haben,  sondern  dafs  derselbe,  analog  den  Benennun- 
gen anderer  Völker,  aus  der  alten  Bergreligions«pt-ache 
herstammt  und  aus  po,  ein  Berg,  mer,  niedrig  und  ani, 
d.  h.  Menschen,  entstanden  ist.  Pomerenen  oder  Pome- 
rani heifsen  nach  dieser  Etymologie  Bewohner  niederer 
Gegenden.  Dafs  diese  Benennung  die  richtige  ist,  folgt 
auch  daher,  weil  die  Pommern  sich  früher  Wilzen  (wiU 

11* 


—     1G4     — 

izen,  niederer  Berge  oder  Gegenden  Bewohner)  nannten 
(vergl,  Geschichte  der  slavischen  Sprache  und  Literatur 
von  Professor  Schaffarik  in  Neusatz,   p.  479). 

In  dem  heutigen  Meklenburg  safsen  einst  die  Obo- 
triten.  Dieses  Wort  ist  nicht,  wie  man  behauptet  hat, 
aus  Uboko  trajazy.  Tiefwohnende,  entstanden,  sondern 
es  ist  auch  ein  Product  der  Ursprache.  Es  ist  aus  ho- 
bo-tir-iten,  d.  h.  Bewohner  solcher  Berge,  die  ho-bo  und 
tir  genannt  wurden,  gebildet  und  bedeutet  ohngefähr  ho- 
her, mittlerer  und  niederer  Berge  oder  Gegenden  Be- 
wohner. 

Die  Linonen,  welche  noch  westlieher,  ohngefähr  in 
dem  jetzigen  Lauenburgischen ,  wohnten ,  heifsen  Nieder- 
länder. Ihr  Name  ist  aus  Lin,  d.  h.  Niederland,  Mond- 
iand  und  onen,  d.  h.  Menschen,    entstanden. 

Die  Nordvvenden  theilten  ihre  Gottheiten  in  männ- 
liche und  weibliche.  Die  männlichen  nannten  sie  razi 
(ra-azi,  Berggötter),  und  die  weiblichen  zirnitra  (zir- 
ni-tara,  Berg-  und  Mondgottheiten).  Von  den  razi  ha- 
ben noch  jetzt  die  hohen  Feste  bei  den  oberlausitzischen 
Wenden   die  Benennung  roczne  Qzafsy,  ^°  d.  h.  göttliche 


80  Statt  roczne  Czafsy,  d.  h.  göttliche  Zeiten  (Festtage)  sagte 
man  höchstwahrscheinlich  in  den  nördlichen  Gegenden  Sla- 
vnniens  raczne  Czafsy  (vergl,  Raziwa).  Dem  raczne  ent- 
sprechen die  römischen  festi  (dies).  Das  Wort  festi  ist 
von  Festa,  das  mit  Vesta  (die  alte  MondgÖttin  der  Italer) 
gleichbedeutend  ist,  abgeleitet.  Festa  und  Vesta  sind  nur 
zwei  verschiedene  Sprecharten ,  wie  piscis  und  das  deutsche 
Fisch.  —  Das  wendische  Wort  Ryba  (rj'-yba,  iba,  eva), 
welches  auch  ein  kleines  Thier  der  Tiefe  (eine  Mondgöt- 
tin, oder  ein  unter  der  Herrschaft  der  MondgÖttin  stehen- 
des kleines  Thier  bezeichnet),  deutet  durch  das  r  in  seiner 
ersten  Sylbe  an;  dafs  das  durch  Ryba  benannte  Thier  bei 
seinen  Bewegungen  das  Wasser  durchbricht  (ry). 


165 


Zeiten.  Weil  die  Priester  und  Priesterinnen  der  alten 
Mondgottheiten  sich  auch  mit  der  Medicin  und  Zaube- 
rei beschäftigten,  deshalb  hiefsen  zinitra  auch  zauber- 
kraftige Gottheiten.  Auch  nannte  man  die  männlichen 
Bielebogi,  oder  Lichtgötter,  die  weiblichen  Tschernebogi, 
oder  dunkle  Gottheiten.  An  den  Bielebog  knüpfte  die 
spätere  Zeit  die  Idee  des  Guten  und  an  den  Tscherne- 
bog  des  Bösen ,  und  benannte  die  erste  Classe  dobrebogi 
d.  h.  gute  Götter,  und  die  zweite  Classe  Slebogi  d.  h. 
böse  Götter. 

Die  wendische  Mythologie  unterscheidet  sich  von 
der  russischen ,  polnischen ,  mährischen  und  böhmischen 
durch  die  ihr  eigenthümliche  Götterdreiheit.  Durch  diese 
gleicht  sie  der  indischen,  finnischen,  scandinavischen, 
germanischen  und  preufsischen.  Wenn  mir  schon  mein 
etymologischer  Zweck  gebietet,  den  schwierigen  Versuch 
zu  machen,  auch  die  nicht  wendischen  Götterdreieinig- 
keiten zu  interpretiren,  so  auch  die  Wahrnehmung,  dafs 
im  Reiche  der  alten  Religion  in  der  Regel  dieselben 
Ideen  und  Vorstellungen  derselben  Form  zu  Grunde 
liegen,  und  die  Gewifsheit  dafs  das  religiöse  Symbol  ei- 
nes Volks  sehr  oft  das  eines  andern  interpretirt.  Letzte- 
res kann  auch  nicht  anders  seyn,  wenn  man  eingedenk 
ist,  dafs  im  Alterthume  dieselben,  obgleich  hie  und  da 
verschieden  modificirten,  Religionsideen,  wenn  auch  nicht 
gleichzeitig,  auf  der  Erde  herrschten. 

Die  alte  indische  Trimurti  (tres  majores  dii)  be- 
steht aus  Brama,  Wischnu  und  Siwen  oder  Schiwen.  Es 
ist  bekannt,  dafs  den  indischen  Theologen  (Braminen) 
diese  Trimurti  zugleich  als  Idee  und  Symbol  des  Kreis- 
laufs der  irdischen  Dinge,  als  Entstehung,  Erhaltung  und 
Auflösung  derselben,  gilt.  Aber  hatte  die  Trimurti  von 
jeher  diese  blos  physicalische  Bedeutung?  Ist  sie  nicht 
das  oberflächliche  Conseqnens  eines  tieferen  Antecedens? 

Berücksichtigt   man   die   innere   Beschaffenheit    (die 


—     166     — 

Vocale)  der  Namen,  welche  die  alte  indische  religiöse 
Dreiheit  bilden,  so  ist  Brama  (bar-arn  contracte  bram  d. 
h.  Berz-  oder  Sonnengott),  in  dessen  Namen  das  ma  ein 
uni;^ekehrtes  am,  wie  in  Wischnu  das  nu  ein  irreguläres 
im  ist,  nur  ein  Sonnengott,  Wischnu  dagegen  ist  Mond- 
götiin,  oder  berarksichtigt  man  die  Endung  nu  oder  un, 
ein  Mondgott,  Siwen  oder  Schiwen  (schiw-en)  aber  eine 
Mondgöttin.  Diese  Etymologie  harmonirt  mit  der  ur- 
sprünglichen Bedeutung  der  indischen  Trimurti,  in  wel- 
cher Brama  der  zeugende  und  schaffende  Sonnengott, 
Wisf^hnu  ^^  die  ernährende,  erhaltende  Gottheit  im  Le- 
ben (ursprünglicli  Mondgöttin),  Siwen  aber  die  Göttin 
des  Todes,  die  alles  Irdische  auflöst,  aber  das  Aufgelöste, 
insonderheit  der  Seelen  der  Verstorbenen  zum  neuen 
Leben  und  zu  der  Herrschaft  des  Sonnengotts  führt,  ist. 
Es  leuchtet  ein,  dafs  diese  Religions  -  Vorstellungen  der 
Indier  mit  denen  anderer  Völker,  insonderheit  der  Sla- 
ven  im  Einklänge  stehen.  (Jeher  die  Trimurti,  Brama, 
Wischnu,  Siwen,  ^^  stellen  bekanntlich  die  (späteren)  Bra- 


81  Wischnu  wird  mit  blauer,  also  dunkler,  Farbe  abgebildet. 
Dies  charakterisirt  ihn  als  alte  Mondgöttin  so  wie  auch  die 
Muschel,  welche  man  nicht  als  Symbol  der  Zeugung  (diese 
kommt  deni  Sonnengotte  zu),  sondern  des  Gebarens  anse- 
hen mufs.  Die  dunkle  Farbe  so  wie  die  Muschel  beziehen 
sich  auf  die  uralte  Geltung  (Mondgöttin)  des  Wischnu,  die 
Keule  aber,  mit  welcher  er  die  Tyrannen  und  Riesen  zer- 
sclimettert,  deutet  ihn  als  späteren  Mondgott  an.  Der  Wisch- 
nu ist  dem  wendischen  Flins,  der  noch  in  der  spätesten 
Zeit  als  Frau  und  Mann  dargestellt  wurde,  sehr  ähnlich. 
Flins  umfafste  jedoch  auch  mehrere  Elemente  der  Schiwen 
oder  Schiwa. 

82  Schiwen  und  Schiwa  sind  gleichbedeutend.  Beide  Wörter 
sind  weiblichen  Geschlechts.  Es  ist  eine  der  gröfsten  reli- 
giösen Anomalien,  dafs  die  spätere  Zeit  Schiwa  zu  einem 
Manne  gemacht  und  ihm  eine  Gemahlin,  Paravadi ,  oder 
Bhawani,  beigesellt  hat.  In  dem  anfänglichen  Glauben  war 
Wischnu,  der  damals  Wischen  oder  AVischna  heifsen  mufste, 
die  Ehegattin  (Mondgöttin)  des  Brama.    Später  als  Wisch- 


—     167     — 

mincn  den  Parabrama  und  behaupten ,  dafs  dieselbe  eine 
Emanation  des  Letzteren  ist. 

Es  ist  aber  sehr  wahrscheinlich,  dafs  die  Aufstellung 
des  Parabrama  ^^  (ein  in  den  ersten  Sylben  corrumpir- 
tes  Wort ,  welches  eigentlich  prajama ,  Ugcozog,  primus, 
Brama  heifst),  oder  eines  Urgotts,  eine  später  in  Indien 
recipirte  Idee,  die  uns  auch  im  Buda  (Bu-da,  oder  eigent- 
lich Bu-ad,  Berggott,  Sonnengott)  begegnet,  ist,  welche 
entweder  der  persischen  Zeruane  Akarene,  oder  einem 
späteren,  oben  angedeuteten,  jüdisch -christlichen  Reli- 
gionseinflusse ihre  Entstehung  verdankt. 


nu  zum  Gotte  potenzirt  wurde,  trat  an  seine  Stelle  die 
Schiwa.  „Der  dritte  Gott  der  Iiidiei ,  sagt  Dr.  de  Wette  in 
seinen  Vorlesungen  über  die  Religion,  Berlin  1827.  p.  276, 
ist  Schiwa ,  die  zerstörende,  umwandelnde  Kraft  des  Feuer« 
(Flins),  der  Erzeuger  (Ceres,  Venus),  sowohl  als  der  Rä- 
cher (Prowe,  IVemesis),  der  Furcht  (Tschernebog),  und  Thrä- 
nen  Schaifende  (Pya,  Mernt,  mors),  der  unwiderstehliche 
Streiter  und  Sieger  des  Todes  (Bellonn,  Led),  der  Herr- 
scher des  Himmels  (der  Mond  zur  Nachtzeit),  der  Erde 
(Hertha,  Zemina,  die  producirende  Erdkraft)  und  der  Un- 
terwelt (Daschebog,  Pluto,  Heia).  Seine  Farbe  ist  die  ro- 
the  (Farbe  des  Vollmondes,  des  Feuers,  das  die  finstere 
Nacht  erleuchtet);  er  ist  mit  dem  Dreizack  (die  Mondgöt- 
tin lehrte  die  Menschen  den  Ackerbau  und  die  Schifffahrt) 
und  Schwerdte  ( deutet  die  Theilnahme  der  Göttin  an  mör- 
derischem Kriegskampfe  an)  bewaffnet,  von  Schlangen  (Zei- 
chen der  Arzneikunde )  Blitzen  und  Todtenschädeln  umge- 
ben ,  und  erscheint  in  furchtbarer  Gestalt.** 

83  Parabrama  ist  die  verborgene,  in  ihrer  Ueberschwenglich- 
keit  verhüllte  Gottheit,  das  höchste  Wesen,  durch  sich 
selbst  bestehend,  ohne  Anfang,  unendlich,  unvergleichbar, 
die  Fülle  der  Barmherzigkeit.  Dieser  höchste  Gott  wird 
nicht  verehrt,  hat  keine  Altäre  uud  Tempel.  Er  offenbarte 
sich  als  Schöpfer,  als  Brama,  indem  er  die  Welt  hervor- 
brachte. (VergL  Vorlesungen  über  die  Religion  von  de 
Wette,  p.  277.) 


—     168     — 

Die  neue  Trimurti  der  Indier  besteht  aus  Jagernat, 
Beleoram  und  Schubudra,  Dem  Namen  nach  ist  Jager- 
nat  (Ja-ger-na-at)  oder  Jaggernaut  ( Jag-ger-na-aut), 
Sonnen-  und  Mondgott  zugleich,  dex  Beleoram  (bel-le- 
hor-ara,  Mondgott),  die  Schubudra  (Schu-bu-dara,  tara, 
Sonnengottsfrau),  die  Mondgöttin.  Die  Indier  stellen  Ja^ 
gemat  (die  erste  Sylbe  wurde  schon  hie  und  da  im  Al- 
terthume  dscha  ausgesprochen)  als  einen  Mann  dar,  Be- 
leoram oder  Beloram  nennen  sie  seinen  Bruder  und  Schu- 
budra ist  beider  Schwester, 

Die  finnische  (lappländische)  Trias  besteht  aus  Thier- 
mes,  Storjunkare  und  Baiwe.  Nach  den  Regeln  der  Ur- 
sprache ist  Storjunkare  oder  Storjunkar  (Stor-jun-kar ) 
der  alte  Sonnengott,  Thiermes  der  (spätere)  Mondgott 
und  Baiwe ,  unter  deren  Schutze  das  zahme  Rennthier 
und  seine  Jungen  standen  (ein  Kennzeichen  der  Mond- 
göttin) und  denen  sie  auch  im  kalten  Winter  (im  Win- 
ter herrschte  der  Mond)  die  Lebenswärme  erhielt,  dafs 
sie  wuchsen  und  gediehen,  eine  Mondgöttin.  Sollte  Stor- 
junkare wirklich  ein  späteres  (derivirtes)  norwegisches 
AYort  seyn,  welches  grofser  Herr  bedeutet,  wie  Herr  Pro- 
fessor Mone  I.  p.  36.  berichtet,  so  wäre  doch  diese  Be- 
deutmig,  meiner  Vermuthung,  dafs  Storjunkare  der  alte 
Sonnengott  der  Lappen  (la-apen,  Thalbewohner)  sey, 
nicht  widersprechend,  weil  man  die  alten  Sonnengötter 
späterhin  bisweilen  mit  einem  unbestimmten  Namen 
nannte  wie  die  Schlesier  und  die  oberlausitzer  Wenden 
ihren  Boh  wissagist  oder  werschny. 

Es  kann  auch  seyn,  dafs  Storjunkare  ursprünglich 
nur  Stör  ( Tor ,  Tschur )  hiefs  und  dafs  das  junkare  spä- 
terhin als  Adjectiv  angehangen  worden  ist,  wie  bei  Aus- 
theias  das  Vissagist.  Indefs  kann  ich  dies  nicht  bewei- 
sen, weil  mir  die  finnische  Sprache  unbekannt  ist.  Als 
Gott  war  Storjunkare,  sagt  Mone  I.  p.  36,  Herr  über  das 
Thierreich  aufser  den  Menschen,  daher  im  Volksglauben 


—     169     — 

Beschützer  der  Jagd ,  Fischerei ,  Viehzucht  etc.  Dieser 
Umstand  scheint  anzvideuten,  dafs  Storjunkare  späterhin 
dem  italischen  Pan  ähnlich  und  in  dem  Volksglauben 
der  Repräsentant  einer  religio  infeiioris  ordinis  gewor- 
den war. 

Erscheint  Stör  als  der  ursprüngliche  Sonnengott  der 
Lappländer,  so  erscheint  Tiermes  dagegen  als  Mondgöt- 
tin. Tiermes  ist  nämlich  aus  tiv-men-es  zusammengesetzt, 
welches  nichts  anders  als  den  Mond  bedeuten  kann.  Für 
die  Annahme,  dafs  Tiermes  den  Mond  bedeutet,  spricht 
auch  der  Beiname  Aijeke  oder  Aja  (eine  andere  Benen- 
nung desselben).  Er  heilst  auch  Horangelis  (hor-han-gel- 
is),  welcher  Name  nur  eine  Berg-  oder  Mondgöltin  bo 
zeichnen  kann.  Tiermes  war  späterhin  wie  VVischnu, 
Flins,  Perun  u.  s.  w.  zum  Manne  erhoben  worden  und 
man  hatte  auf  ihn  die  Attribute  des  Sonnengotts  über- 
getragen. Nach  dem  Volksglauben  waltete  er  über  der 
Menschen  Heil  und  Gesundheit,  Leben  und  Tod.  Er 
wurde  der  Lebendige  im  Himmel,  der  gute  Alte  genannt 
und  seine  Macht  erstreckte  sich  auch  auf  die  bösen  Gei- 
ster, die  in  Felsen,  Bergen  und  Seen  wohnen.  Diese 
schlug  er  mit  seinem  Hammer  ( Blitz )  nieder  und  schofs 
sie  mit  seinem  Bogen  todt.  Der  Name  Baiwe  ist  aus 
bai  und  awe  zusammengesetzt.  Dafs  Baiwe  eine  weib- 
liche Gottheit  bezeichnet,  deutet  schon  das  zum  i  ascen- 
dirte  a  in  der  ersten  Sylbe  des  Worts  an,  und  awe  ist 
so  viel  als  ase.  Die  Baiwe  war  die  spätere  ßerggöttin, 
die  auch  hier,  wie  bei  andern  Völkern,  in  mehrere  Re- 
präsentationen (Göttinnen)  zerfiel,  die  man  zusammen  Ma- 
derakko  (ma-der-ako,  aso,  ado,  uno,  grofse  Berggottheit) 
nannte.  Unter  den  Göttinnen,  welche  die  Maderakko 
in  sich  fafste  und  die  man  ihre  Töchter  und  Schutzgöt- 
tinnen der  Weiber  nannte,  befand  sich  auch  die  Jabme- 
Akko,  die  Mutter  des  Todes  (dieSiwen  der  Indier,  Nija 
der  Polen,  Daschebog  der  Russen,  Mernt  der  Böhmen 
U.  s.  w.},,  die  unter  der  Erde  wohnte,  und  bei  der  die  Seelen 
der  Verstorbenen  blieben,  bis  ihr  Schicksal  entschieden  war. 


—     170     — 

Galt  die  Baivve  den  späteren  Lappen  wirklich  für  die 
Sonne,  wie  man  behauptet ,  so  ist  dies  ein  Beweis  der 
grofsen  späten  Prävalenz  des  Mondcullus,  die  es  bewirk- 
te, dafs  man  das  Oberste  zu  dem  untersten  machte.  Der 
"Wortbedeutung  nach  ist  das  Wort  .Tumla,  (jum-ala)  mit 
welchem  die  Lappen  in  den  späteren  Zeiten  das  höchste 
"Wesen  benannten  und  in  dem  Manche  die  Andeutung 
des  indischen  pi'ujama  (wendisch  prjeni ) ,  Bvama  zu  fin- 
den geglaubt  haben,  weiter  nichts  als  Mond.  Den  Na- 
men Jumala  (Mondgötlin)  scheint  man  späterhin  collec- 
tive  gebraucht  zu  haben,  wie  die  Slaven  ihr  Bog  und 
■und  die  Deutschen  ihr  Gott,  die  aber  beide  ursprünlich 
Berggott,  Sonnengott  bedeuteten. 

Weniger  solid,  als  die  lappländische  Religion,  war 
die  skandinavische  Religion,  die  man  freilich  nur  aus 
der  Periode  kennt,  wo  sie  ungemein  modificirt  und  cor- 
rumpirt  war.  In  der  uns  bekannten  Form  übertraf  sie 
durch  "Verworrenheit  fast  die  ägyptische,  griechische  und 
römische  und  ähnelte  wegen  derselben/  der  späteren  in- 
dischen. Sie  war  eine  Monatsreligion  geworden;  jeder 
Monat  hatte  seinen  Ae.sir  oder  Gott  so  wie  auch  seine 
Göttin.  An  der  Spitze  der  zwölf  Monatsgötter  stand  ein 
Hauptgott  mit  seiner  Gemahlin,  der  zwölf  Göttinnen  un- 
tergeordnet waren.  Diese  spätere  Gestaltung  war  ent- 
weder eine  Nachbildung  des  Jupiier-Cultus ,  welche  die 
Gothen  vom  Kaukasus  nach  Skandinavien  brachten,  oder 
sie  war,  was  noch  wahrscheinlicher  ist,  deshalb  von  den 
skandinavischen  Priestern,  Philosophen  und  Dichtern  in 
der  späteren  Zeit  bewerkstelligt  worden,  um  gegen  den 
eindringenden  christlichen  Monotheismus  eine  Art  Gleich- 
gewicht (ein  Hauptgott  an  der  Spitze  der  zwölf  Monats- 
götter) aufzustellen.  Die  Periode,  in  welcher  die  skan- 
dinavische Religion  in  der  in  Rede  stehenden  Gestalt 
bestand,  könnte  man  die  vierte  Religionsperiode  nennen. 
In  der  dritten  Religionsperiode  hatten  die  Skandinaven 
auch  ihre  Trimurti,  die  namentlich  in  Upsala  aus  Odin> 
Thor  und  Fricco  oder  Freia  bestand. 


—     171     — 

Tor  (to-or)  oder  Thor  war  der  skandinavische  Son- 
nengott. Im  Winter  schläft  er,  und  sein  Hammer  liegt 
acht  Meilen  tief  unter  der  Erde.  Nach  einem  andern 
Mythus  reist  er  während  des  "Winters  nach  Süden  und 
bekämpft  dort  das  Trolvolk  (wahrscheinlich  die  südlich 
vom  Kaukasus  wohnenden  Völker,  [Römer?]  welche  die 
Auswanderung  der  Gothen  vevanlafsten)  und  schlägt  es 
todt  (deutet  den  Groll  gegen  die  alten  Feinde  an).  Zur 
Zeit  der  Frühlingsnachtgleiche  kehrt  er  heim  und  schlägt 
den  Eisriesen  (Winter)  todt.  Er  ist  zwar  mit  dem  Jupi- 
ter verglichen  worden,  er  war  aber  älter  als  dieser  und 
gehörte  der  zweiten  Religionsperiode  an.  Unter  unsern 
Beherrschern  der  Wochentage  steht  Tor  hinter  dem  Odin 
oder  Woden  (Wo-de-en),  welches  andeutet,  dafs  er  in  der 
späteren  Zeit  den  germanischen  Völkern,  zum  Mindesten 
aber  den  Urhebern  der  neuen  Wochen -Regierung  (zu 
Carls  des  Grolsen  Zeit)  weniger  galt,  als  Woden,  welcher 
Letztere  aber  wieder  dem  Dies  der  Kelten  (kel-eten) 
oder  Galen  (ga-alen,  galli)  nachstand. 

Der  Dies,  Teut,  Thiot  (thin-ot),  von  dem  die  Deut- 
schen (  deut  -  eschen,  Bewohner  niederer  Berge)  irrthüm- 
lich  ihren  Namen  ableiten,  ist  der  Wortform  nach  ein 
Mondgott.  Manche  vermuthen,  dafs  Dies,  Teut  und 
Thiot  in  späteren  Zeiten  ein  generelles  Wort  war  vxnd 
die  Bedeutung  des  slavischen  Bog,  des  finnischen  Juma- 
la  etc.  hatte  und  dafs  man  sich  unter  seinem  Namen 
den  uralten  Sonnengott  der  Germanen  (ger-ma-anen, 
ohngefähr  dasselbe,  was  Deutschen,  Kelten,  Galen,  Ga- 
later,  Karamanen,  Serben  etc.),  den  Tacitus  Mars 
(niar-as,  Berggott)  nennt,  dachte.  Andere  vermuthen 
dagegen,  dafs  Teut  blofs  ein  späterer,  dem  Wodan,  Pe- 
run,  Jefs,  Flins,  Tiermes,  Znitsch  etc.  ähnlicher  Mond- 
gott der  gegen  den  Rhein  wohnenden  Gallier  war,  und 
dafs  er  deshalb  dem  nördlichen  Woden  oder  Wodan 
vorgestellt  wurde,  weil  er  früher  der  Hauptgott  des  herr- 
schenden Volks  in  der  Monarchie  Carls  des  Grofsen 
war. 


—     172     — 

Teutates  (Gottessohn)  und  Thuisko  (kleine  Gott- 
heit) sind  abgeleitete  Namen.  Wenn  sich  ein  oder  ei- 
nige deutsche  Fürsten  diese  Namen  beigelegt  haben,  so 
war  dies,  wie  oben  angedeutet  worden  ist,  in  der  zwei- 
ten und  vorzüglich  in  der  dritten  Religionsperiode  nichts 
Ungewöhnliches.  Hüten  mufs  man  sich  daher ,  den  Na- 
men der  Deutschen  oder  Teutschen  von  Thuisko  abzu- 
leiten. 


Erwähnt  ist  es  schon  worden,  dafs  alle  alte  Völ- 
ker es  für  eine  Irreligiosität  hielten,  sich  nach  einem 
weltlichen  Herrscher  zu  benennen.  Es  ist  übrigens  ziem- 
lich gleich,  ob  man  Deutschen  oder  Teutschen  schreibt. 
Teutsche  nämlich  sind  nur  etwas  höher  Wohnende,  als 
Deutsche.  In  beiden  Wörtern  ist  das  e  bis  zum  u  des- 
cendirt ,  welches  andeutet,  dafs  nicht  alle  Deutsche  in 
niederen  Gegenden ,  sondern  auch  zugleich  auf  ziemlich 
hohen  Bergen  wohnten. 

Der  Name  Othin,  Odin  ist  aus  ho,  das  im  Germa- 
nischen in  Wo  übergeht,  wie  noch  jetzt  im  Wendischen 
hutschoba  in  wutroba,  und  aus  di-in  zusammengesetzt 
und  bezeichnet  eigentlich  (wie  Znitsch,  Flins,  Dies  etc.) 
die  Mondgöttin.  Auch  Odin  war  in  der  späteren  Zeit 
zum  Völker  führenden  Sonnengotte  erhoben  worden,  wie 
andere  Mondgottheiten  (Wischnu,  Tiermes,  Perun  etc.) 
behielt  aber  doch  noch  einige  mondgöttliche  Elemente. 
Vermuthlich  führten  nicht  nur  die  Oberpriester  den  Na- 
men des  Odins,  sondern  vorzüglich  die  Könige  der  Go- 
then,  die  vom  kaukasichen  Gebirge  und  vom  Pontus 
Euxinus  herstammend,  in  Dännemark  und  Schweden  ein- 
wanderten. Die  Könige  dieser  Gothen  betrachteten  sich 
als  Söhne  und  Stellvertreter  des  späteren  Hauptgotts. 
Obgleich  diese  Göttersöhne  in  früherer  Zeit  es  für  eine 
Sünde  gehalten  hätten,  ihre  Thaten  mit  der  Religions- 
lehre zu  vermengen,  so  hinderten  sie  es  doch  späternicht, 
äafs  ihre  Skalden   die   Geschichte    ihrer   Vorfahren    mit 


—     173     — 

den  religiösen  Mythen  vermischten.  Die  Skalden,  die 
noch  im  zwölften  Jahrhunderte,  als  schon  das  Christen- 
thum  festen  Fuls  in  Skandinavien  gefafst  hatte»  an  den 
Höfen  der  Könige  sangen,  haben  die  Mythologie  der 
Skandinaven  fast  noch  mehr  verdunkelt,  als  die  giiechi- 
schen  und  römischen  Dichter  die  Religionslehren  ihrer 
Länder. 

Auf  eine  zwiefache  Weise  kann  die  nordische  Sa- 
ge: dafs  Odin  kein  blofser  Krieger  und  Barbar,  son- 
dern ein  aus  Asien  ( Vorderasien )  Vertriebener  (zur  Zeit 
der  Kriege  der  Römer  mit  Mithridates)  gewesen,  und 
auf  einem  weiten  Wege  nach  Norden  gekommen  und 
dort  Gottesdienst,  Gesetze,  bürgerliche  Einrichtungen, 
die  Dichtkunst  und  Magie  eingeführt  habe,  gedeutet 
werden.  Einmal  deutet  sie  an,  dafs  eine  aus  Vordera- 
sien und  aus  dem  südöstlichen  Theile  Eiaropa's  herstam- 
mende Religion  (OcTin)  wohlthätig  auf  die  religiöse,  po- 
litische, ästhetische  und  Medicinal-Cultur  der  Skandina- 
ven eingewirkt  habe.  Das  andere  Mal  bezeichnet  sie 
die  aus  Vorderasien  geschehene  Einwanderung  eines  von 
der  griechischen  Cultur  angehauchten  Volks,  dessen  Herr- 
scher sich  Othin  nannte,  Dännemark  und  Schweden  er- 
oberte, in  diesen  Ländern  neue  religiöse  und  politische 
Einrichtungen  traf  und  die  Dichtkunst  und  Magie  in 
Flor  brachte. 


Vermuthlich  sind  auch  von  dem  südlichen  Gestade  der 
Ostsee  gothische  Colonien  mit  Odinischer  Religion  auf 
dem  Seewege  nach  Schweden  gegangen  und  haben  bald 
auf  friedlichem  Wege,  bald  durch  Gewalt  dortige  Län- 
dereien in  Besitz  genommen.  Bekannt  ist  es,  dafs  Odin 
oder  Woden  mit  dem  südkeltischen  Mercur  (mer-cu- 
ur,  Berggott),  verglichen  worden  ist.  In  der  That 
war  er  derselbe.  Mercur  war  ohnstreitig  jünger  (ein 
zum  Sonnengott  erhobener  Mondgott,  weshalb  er  auch 
die  Seelen    der  Verstorbenen    führte)   als  der  Mars,    der 


—     174     — 

ein  alter,  die  Völker  zum  Kampfe  führender  Sonnengott 
war,  und  dafs  die  Engländer  die  Mittewoche  noch  Wod- 
nesday  (Wodanstag)  nennen.  Ein  Irrthurn  ist  es  aber, 
wenn  man  den  Namen  des  Dorfs  Ottenhayn  und  des 
Oybins,  eines  merkwürdigen  Sandsteinfelsens  bei  Zittau 
von  dem  Odin  ableitet.  Ottenhayn  ist  nämlich  aus  hot 
d.  h.  hoch  und  ten ,  eben  entstanden  uud  hayn  (Dorf) 
ist  später  angehangen  worden.  Oybin  ^*  ist  aus  hol  d.  h. 
ein  im  Verhältnifs  zu  den  andern  Bergen  niederer  Berg, 
und  aus  bi-in,  eben,  gebildet.  Man  kann  auch  Oybin 
durch  einen  vor  höheren  Bergen  liegenden,  (das  o  ist  bis 
zum  i  ascendirt)  auf  der  Spitze  ziemlich  platten  Berg 
übersetzen. 

Die  rein  weibliche  Gottheit  in  der  nordischen  Trias 
war  Frig,  Fricco,  Freyia.  Fricco  ist  aus  fir  oder  bir  und 
ico  d.  h.  Mondgottheit,  entstanden  und  das  Wort  hat  das 
unbestimmte  Geschlecht  (neutrum)  wie  Lado,  Juno  etc. 
Frig  (fir -ig,  im  Italischen  virgo)  und  Freyia  (frei-ia) 
sind  rein  weibliche  Namen.  Freyia  war  die  Lebens - 
Liebes-  und  Todesgöttin,  die  Ziwa  der  Wenden,  die  Ve- 
nus der  Römer,  aber  auch  die  Siwen  der  Indier  und  die 
Led  der  Russen.  Wenn  sie  zur  Schlacht  ritt,  so  erhielt 
sie  die  eine  Hälfte  der  Gefallenen  und  Odin,  (die  frühe- 
re Mondgöttin)  die  andere  Hälfte.  Als  Mondgöttin  fuhr 
sie  mit  zwei  Katzen  aus,  und  war  eine  Freundin  der 
Liebeslieder. 

Die  Preufsen  hatten  zwei  Trimurti,  eine  höhere  und 


84  Der  Name  Oybin  rührt  auch  weder  von  dem  Ausrufe  der 
Stürmenden:  Wien!  Wien!  noch  von  der  französischen  Ant- 
wort: Oui  bien!  des  Kaisers  Carl  IV.,  die  dieser  dem  Bau- 
meister auf  die  Frage:  ob  der  Ort  zur  Ahlegung  eines  Cö- 
lestiner- Klosters  recht  sey?  1370  gab.  Schon  lange  vorher 
hatte  gewifs  der  Oybin  seinen  Namen  wie  die  Lausche 
(lau-ausche  d.  h.  sehr  hoher  Mondberg,  der  hinter  sich 
noch  höhere  hat),  der  Kotmar  u    s,  w. 


—     175     — 

eine  niedere.  Die  erste  bestand  aus  Perkunos,  Pikolos  undPo- 
trimpos,  die  zweite  aus  Curcho,  Wurs  kait  und  Isch  wam- 
brat.  Perkunos  hat  einen  geineinscliaftliclien  Namen  mit 
dem  russischen  Perun,  dem  pohlischen  Perkun  und  dem  mäh- 
rischen Peron.  Perkunos  (per-kun-os)  war  der  spätere  Haupt- 
gott der  Preufsen  und,  seiner  Wortbedeutung  nach,  ein  Mond- 
gott. Er  hatte  aber  wie  Tiermes  und  Othin,  den  Cha- 
rakter eines  Sonnengotts.  Man  hat  den  Pikolos  ^^  zwar 
mit  dem  Othin  oder  Odin  verglichen,  weil  Letzterer  sich 
auch  um  Leichen  kümmerte  und  als  ehemalige  Mond- 
göttin sich  küminern  mufste;  aber  dafs  er  zu  einem 
Völker  führenden  Mondgotte  erhoben  worden  ist,  wie 
Othin,  davon  finde  ich  keine  Nachricht.  Potrimpos,  mit 
Garbe,  Topf,  Schlange  und  Milch  abgebildet,  erscheint 
schon  durch  diese  Attribute  als  Mondgöttin,  der  italischen 
Ceres  ähnlich.  Aber  auch  aus  der  Etymologie  des  Worts 
ergiebt  es  sich,  dafs  Potrimpos  eine  weibliche  Gottheit 
ist.  Das  Wort  Potrimpos  ist  nämlich  zusammengesetzt 
aus  Po-tir-im  und  pos.  Das  Potirim,  welches  dem  auch 
in  der  preufsischen  Mythologie  vorkommenden  Namen 
Occopirn  entspricht,  war  ohnstreitig  der  eigentliche  Na- 
me der  Gottheit  und  es  bedeutet  Berg-  oder  Mondgöttin« 


85  Beide  Schreibarten :  Pikolos  und  Pekolos,  sind  zulässig.  Wie 
(die)  Potrimpos  das  Princip  des  Schaffens,  Gedeihens  und 
der  Fruchtbarkeit,  so  war  Pikoh  s  das  Princip  des  Verder- 
bens und  des  Todes  (schiwen).  Drei  Todtenköpfe,  der  ei- 
nes Menschen,  eines  Pferdes  und  einer  Kuh  w?ren  seine 
Sinnbilder  (Lucas  David,  Bd.  I.  S.  29).  Beim  Opferfeste 
brannte  ihm  ein  Topf  voll  Talg;  aber  auch  Menschen,  Rin- 
der, Pferde,  Schweine  und  Böcke  wurden  ihm  (ihr)  als 
Opfergaben  dargebracht  und  deren  Blut  am  Stamme  der 
heiligen  Eiche  ausgegossen ,  wodurch  ihr  Grünen  im  Som- 
mer und  Winter  mit  bewirkt  seyn  soll.  Wie  Potrimpos 
(Wischnu  )  von  seinen  Verehrern  geliebt,  so  war  Pikolos 
allgemein  gefürchtet,  denn  er  verlangte  als  Opfergabe  stets 
das  Theuerste  von  seinen  Anbetern.  Quaal  und  Angst  der 
Menschen  war  seine  Freude,  Vergl.  Geschichte  Preufsen« 
von  Johannes  Voigt,   I,  Bd.  p.  586, 


—     176     — 

Das  pos ,  welches  dem  slavischen  bog  und  wit ,  witsch 
ähnlich  ist,  ist  ohnsteitig  angehangen  und  heilst  Gott, 
Göttin.  Aus  der  Zergliederung  des  Namens  Pikolos  geht 
hervor,  dafs  dieser  Name  ein  Wesen  bezeichnete,  das 
früher  weiblich  war,  späterhin  aber  erst  männlichen  Cha- 
rakter erhielt.  Die  Sylbe  pi  bedeutet  die  Mondgöttin, 
das  kolos  aber  einen  Gott.  Es  ist  bemerkenswerth,  dafs 
die  preufsischen  Götternamen  zum  grofsen  Theile  die 
Eigenthümlichkeit  der  griechischen  Wortendungen  haben. 
Diese  Eigenthümlichkeit  besteht  nicht  nur  in  der  Sylbe 
OS,  sondern  in  der  Verdoppelung  der  substantivischen 
Endsylbe.  So  heifst  Per-ku-un  schon  an  sich  Mondgott 
und  Po-tir-im  Mondgöttin,  und  das  os  ist  noch  überdies 
angehangen.  In  dieser  Form  sind  diese  Wörter  dem  grie- 
chischen zvQ-av'Og^  tyrannus,  bx-&oq-os,  inimicus  u.  s.  w, 
ähnlich. 

Waren  vielleicht  die  Preufsen  auch  Flüchtlinge  aus 
dem  pontischen  Reiche,  die  in  den  pontisch- römischen 
Kriegen  auswanderten  und  die  in  ihrer  früheren  Hei- 
math durch  dasige  griechische  Colonisten  einige  Formen 
der  griechischen  Sprache  angenommen  hatten,  oder  gar 
durch  Vermischung  mit  andern  Völkern  entnationalisirte 
Griechen  ? 

Betrachtet  man  den  innei'en  Gehalt  des  Namens  Per- 
kunos,  so  findet  man,  dafs  Letzterer  eigentlich  kein  Son- 
nengott, sondern  nur  Mondgott  war.  Auch  Pergubrios 
(per-gu-bir-os),  von  dem  man  rühmte :  dafs  er  den  Win- 
ter verjage,  die  Lust  des  Frühlings  wiederbringe  und 
dafs  durch  seine  Gunst  die  Aecker,  Gärten,  Büsche  und 
Wälder  grün  werden  und  blühen,  war  dem  Namen  nach 
ein  Mondgott.  Der  Ausschwait  (hau-asch-weit  oder  wit), 
zu  dem  man  bei  einer  schlechten  Erndte  rief:  dafs  er 
die  Gottes  Pergubrios,  Perkunos,  Schwaytix  und  Pelvit 
bitten  solle,  dafs  die  Leute  ihr  täglich  Brot  bekämen, 
erscheint  dem  Namen  nach  als  (alter)  Sonnengott,  wenn 
man  annimmt,  dafs  das  Wort  ursprünglich  Ausch  (hau- 


177 


asch)  hiefs  und  dafs  wait  nur  wie  das  wendische  vvit, 
witsch  (deus,  dea)  später  angehangen  wurde.  Dafs  Ausch 
eine  andre  Form  von  dem  schlesischen  Aux  (theias, 
theos,  deus)  ist,  erleidet  keinen  Zweifel.  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  war  der  Ausch  (Berggott)  der  alte 
Sonnengott,  zu  denr  die  Preufsen  ihre  Zuflucht  nahmen, 
wenn  die  späteren  Götter  ihnen  ungünstig  zu  seyn  schie- 
nen. Noch  in  späteren  Zeiten,  als  die  sittlich  gefallenen 
Menschen  im  Bewufstseyn  ihrer  Schuld  nicht  selten  an 
der  Milde  ihrer  (blitzenden,  donnernden)  Götter  ver- 
zweifelten, scheint  nämlich  die  Meinung  geherrscht  zu 
haben:  dafs  der  alte  Sonnengott  mitleidiger  und  gütiger 
gegen  die  Menschen  gesinnt  sey  und  gewesen  sey,  als 
die  späteren  Götter. 

Die  niedere  Trias  der  Preufsen  bestand  aus  Curcho, 
Wurskait  und  Ischwambrat  oder  Seh  weibrat.  Curcho 
(cur-ucho,  Berggottheit)  ist  unbestimmten  Geschlechts 
und  kann  Sonnengott  und  Mondgöttin  heifsen.  Biswei- 
len deutet  das  unbestimmte  Geschlecht  auch  eine  grofse 
Gottheit  an,  wie  schon  erwähnt  (Lado ,  Juno  etc.)  Dafs 
Curcho  ein  Sonnengott  war,  dies  zeigt  einmal  der  tiefe 
Vocal  in  der  ersten  Sylbe  seines  Namens,  dann  aber  auch 
der  Umstand  an,  dafs  man  sich  ihn  als  den  Spender  und 
Beschützer  der  Feldfrüchte  dachte  und  dafs  man  alljähr- 
lich sein  Bild  nach  der  Erndte  zerbrach  und  ein  neues 
machte.  Curcho  war  demnach  zwar  ein  Sonnengott,  aber 
nicht  der  die  Völker  zu  Eroberungen  führende,  ^^    son- 


86  Auf  der  altpreufsischen  Kriegsfahhe,  von  welclief  die  Cluo- 
nisten  Simon  Grünau  und  Lucas  David  herichten,  soll  ge- 
standen haben :  Diew  korg  supyk  su  pust)  oiei.';  uztik  szus, 
oder  Dew  korg  supyk  s  pnstitiais  ystuk  fsus,  d.  h.  Gott 
Korch !  zürne  mit  den  Verheeren! ,  thue  ihnen  Böses  (oder) 
schlage  sie !  Ist  diese  Schrift  von  Simon  Grünau  erdichtet 
(Johannes  Voigt  G.  P.  I.  Bd.  p.  694),  so  ist  sie  doch  ge- 
wifs  für  eine  heidnische  Fahne  höchst  passend,  auch  die 
zwei  weifsen  Pferde ,    die  auf  der  Fahne  abgebildet  gewesen 

12 


—     178     — 

dem  der  friedliebende,  die  Feldfrüchte  erzeugende,  Speise 
und  Trank  spendende.  Seine  Idee  sprach  vorzüglich 
den  sich  um  Welthändel  weniger  kümmernden,  die 
Früchte  der  Erde  freudig  geni&fsenden  Landbebauer  an. 
Mit  dankerfülltem  Herzen  zerbrach  der  spätere  fetischis- 
tische preufsische  Bauer  das  Bild  seines  grofsen  Gottes 
nach  der  Erndte,  wo  die  Function  des  Letzteren  (die 
Erdbefruchtung)  beendigt  war,  und  machte  sich  für  das 
folgende  Jahr  ein  neues.  Nimmt  man  von  dem  Namen 
Curcho  das  o  weg,  so  erhält  man  den  rein  männlichen 
Namen  Curch  ^^  (cur-uch,  Berggott).     Dieser  Name  ist 


seyn  sollen,  sind  gewöhnliche  Symbole  des  Sonnengotts 
(vergl.  Swantowits  weifses  Rofs),  so  wie  auch  das  mensch- 
liche Brustbild  mit  einem  Bärenkopfe  (die  Wenden  würden 
einen  LÖwenkopf  gezeichnet  haben),  andeuten  konnte:  dafs 
diejenigen,  welche  der  Fahne  folgten,  so  tapfer  wie  ein  Bär 
kämpfen  sollten.  Die  Benennung  der  Feinde  mit  dem  Worte 
„Verheerer"  deutet  ohnstreitig  die  (alten)  Principien  der 
Korg- Religion  an,  welche  nur  Vertheidigungskriege  (vergl, 
Hu-gadarn-Religion  in  Wales)    gestattete, 

87  Die  Schreibart  Curche  halte  ich  nicht  für  zulässig,  weil  das 
e  eine  Feminal -Endung  ist.  Curch's  Wohnsitz  war  nicht 
im  Heiligthume  Roraowe  (er  genofs  nicht  dasselbe  Ansehen 
wie  die  [späteren]  Hauptgötter  des  Landes),  aber  sein  Bild 
stand  immer  auch  unter  einer  heiligen  Eiche,  so  unter  an- 
dern da  j  wo  jetzt  die  Stadt  Heiligenbeil  ist;  bei  jeglichem 
heiligen  Walde  war  ein  Ort  seiner  Anbetung  und  Verehrung. 
Gewifs  war  die  Verehrung  dieses  Gottes,  wie  so  oft  behaup- 
tet ist,  nicht  an  einen  bestimmten  Ort  gebunden,  und 
nicht  blos  an  einer  heiligen  Eiche,  auf  einem  Steine  bei 
dem  Orte  Swentomest  (heilige  Stadt,  Sonnenstadt),  wo 
jetzt  Heiligenbeil  liegt,  wurden  ihm  Opfer  dargebracht,  son- 
dern es  lagen  vielmehr  die  Opfersteine,  auf  welchen  dem 
Curch  die  Erstlinge  der  Früchte ,  aber  auch  sonst  Speisen, 
Getränke,  Fische,  Fleisch,  Mehl,  Honig,  Meth  und  Bier 
dargebracht  wurden,  durch  das  ganze  Land  zerstreut.  Vsrgl. 
Geschichte  Preufsens  von  Johannes  Voigt,  I.  Bd.  S.  589.  — 
Höchstwahrscheinlich  hat  das  Dorf  Kurken,  früher  Kurkavv, 
seinen  Namen  nicht  von  Curch  erhalten,  Korkaw  ruht  mit 
dem  Namen  Curch  mir  auf  derselben  Wurzel, 


—     179     — 

sodann  gleich  dem  russischen  Chors  oder  Korsch,  deil 
ich  in  der  Idee  für  den  Bacchus  hahe.  In  Nowogrod  soll 
er  in  der  weiblichen  Form  Korscha  (Ceres  der  Italer) 
verehrt  worden  seyn,  obgleich  neben  dem  Korsch  die 
Korscha  als  seine  Heilerin  und  Gattin  wohl  bestehen 
konnte.  In  der  unbestimmten  Geschlechtsform  gleicht 
Curcho  dem  Crodo,  den  die  Wenden  am  östlichen  Harz 
und  in  der  Altmark  verehrten,  Und  der  in  Grofsere  Lau- 
sitzischen  Denkwürdigkeiten  Theil  IL  p.  8.  auf  einem 
Fische  stehend,  in  der  linken  Hand  ein  Pflugrad  und  in 
der  rechten  einen  Korb  mit  Früchten  tragend,  abgebildet 
wird,  und  den  man  auch  mit  dem  Saturn  (iii  dei?  Idee 
als  Freuden  gebender  Früchtgott)  verglichen  hat.  Die 
Nachricht,  dals  die  Preufsen  den  friedlichen  Erndtengott 
(Sonnengott)  Curcho  von  den  slavischen  Masuren  erhal* 
ten  haben,  bestätigt  meine  Vermuthung,  dafs  er  mit 
Korsch  und  mit  dem  harmlosen,  Freuden  spendenden, 
binnenländischen,  aus  dem  Osten  herstammenden  Bac- 
chus (es  ist  eine  Anmafsung,  dafs  die  Griechen  und  Rö^ 
mer  ihren  auch  aus  Indien  erhaltenen  Bacchus  nach  In- 
dien ziehen  liefsen)  gleichbedeutend  waf. 

Wurskait  ist  die  weibliche  Freundin  und  Helferiil 
des  Curcho.  Der  Name  Wurskait  ist  aus  Wurs  (wur-us) 
und  kait  (ka-it)  entstanden.  Das  kait,  welches  dem 
wayt ,  wit ,  witsch  etc.  ähnlich  ist ,  übersetze  ich  in  die- 
sem Falle  durch  dea ,  und  es  steht  statt  uscha  ( wur- 
uscha),  Dafs  das  Wurs  init  Chors  gleichbedeutend  ist, 
erleidet  wohl  keinen  Zweifel.  Chors,  Korsch,  Gorsch  ist 
nämlich  iiur  eine  härtere  Form  von  Hurs,  welches  im 
slavischen  bis  zum  Wu.rs  fällt.  Die  Wurskait  ist  dem- 
nach nichts  anders  als  die  Korscha  in  Novvogrod  und  ist 
durch  solis  uxor  (Dea)  zu  übersetzen.  Von  ihr  wird 
berichtet,  dafs  die  vierfüfsigen  Thiere  unter  ihrem  Regi^ 
mente  standen.  Sind  die  erwähnten  Thiere  Hausthiere, 
so  ist  es  aufser  allem  Zweifel,  dafs  die  Wurskait  die 
alte  ländliche  Mondgöttin  war,  die  in  späteren  Zeiten, 
wo  man  die  beiden  Hauptgottheiten,  vorzüglich  aber  die 

1^* 


—     180     — 

vielbeschäftigte  Mondgüttin  in  mehrere  Formen  theilte, 
in  Polen  als  Ratainiza  oder  Ratarniza  die  Zugpferde  be- 
sorgte, ak  Kremara  und  Krukis  die  Schweine  fütterte, 
als  Priparscis  die  abgesaugten  Ferkel  pflegte,  als  Gardu- 
nithis  die  jungen  Lämmer  in  Obhut  hatte,  als  Walgina 
auch  die  andern  Hausthiere  und  als  Babilos  (hat  preufsi- 
sche  Endung)  die  Bienen  abwartete.  Die  Wurskait  giebt 
folglich  das  Bild  einer,  vorzüglich  das  Nutzvieh  pflegen- 
jüen  bäueriichen  Hausfrau. 

Ischwambrat  (hisch- warn- bar  -  at)  ist  der  Wortbe- 
deutung nach  ein  Mondgott.  Diese  Gottheit  sollte,  wie 
in  anderen  Triaden,  ganz  weiblich  seyn,  ist  aber  hier 
Weibmann.  Von  ihr  wird  uns  nur  die  Nachricht  gege- 
ben, dafs  das  Geflügel  xinter  ihrer  Herrschaft  gestanden 
habe.  Diese  Nachricht  führt  uns  zu  einer  uralten  Idee. 
Nach  dieser  Idee  standen  die  Vögel,  die  sich  mit  ihren 
Fittigen  hoch  in  die  Lüfte  und  zur  Sonne  empor  schwin- 
gen,  unter  dem  Schutze  des  Sonnengotts  (später  Mond- 
gotts).  Deshalb  stand  neben  dem  Jupiter  der  Adler,  ne- 
ben dem  Odin  der  Rabe;  deshalb  waren  die  Vögel  dem 
Perkunos  geweihet  und  der  (die)  Tharapyhha  (tara-pya, 
bua,  bia,  Mondgöttin,  Tors  VYeib,  späterhin  zum  Mond- 
[ Sonnen-]  Gott  erhoben,  wie  andere  alte  Mondgöttin- 
nen) der  Esthen,  war  sogar  aus  dem  schönen  (Götter-) 
Walde  bei  der  Stadt  Wironia  als  Vogel  (vielleicht  als 
Rabe)  nach  9er  Insel  Oesel  (hes-el)  geflogen  (vergl.  Mone  I. 
p.  67.).  Wegen  Mangel  an  Nachiichten  über  die  äufsere  Be- 
schaffenheit der  Ischwambrat  läfst  es  sich  nicht  genau  bestim- 
men, ob  diese  Gottheit,  unter  dei-en  Herrschaft  das  (zah- 
me ?)Geflügel  stand,  eine  blofse  öconomische  Gottheit  war, 
oder,  ob  sie  die  Function  der  Todesgöttin  ( Siwen,  Heia, 
Baiwe)  gehabt  hat,  welche  die  Seelen  der  Verstorbenen 
beherrschte  und  dieselben  in  der  Form  geflügelter  We- 
sen der  neuen  Zeugung  des  Sonnengotts  entgegenführte. 
Indessen  ist  es  am  wahrscheinlichsten,  dafs,  da  Curch 
und  Wurskait  Bezug  auf  Oeconomie  hatten,  die  Regie- 
rung der  Ischwambrat  auch  weiter  nichts,  als  das  zahme 


—     181     — 

Geflügel  der  Bauern,  mithin  nur  die  Gänse,  Enten,  Hüh- 
ner etc.  unifaiste. 

Die  Trias,  die  Curclio,  Wurskait  und  Ischwambrat 
oder  Schvveibrat  (schei-wei-bar-at)  bildeten,  scheint  eine 
früher  in  lilthauisch  Romowe  für  sich  bestehende  und  nur 
später  in  preulsisch  Romowe  (rom-owe  oder  owa,  Berg- 
stadt ,  Gottesstadt ) ,  nach  der  Vereinigung  beider  Völker, 
recipirte  zu  seyn.  So  politisch  es  war,  dafs  in  preufsiscli 
Romowe  ^^  die  Götierdreiheit  des  Nebenvolks  aufgenom- 
men wurde,  so  mufste  sie  doch  der  Trimurti  des  herr- 
schenden Volks  nachstehen ,  obgleich  sie  auch  in  Preu- 
isen,  vornehmlich  bei  den  Ackerbauern,  Beifall  finden 
mochte. 


88  Es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dafs  ein  jeder  Landesbezirk 
anfänglich  seine  Romowe  hatte,  und  dafs  nur  späterliin 
diejenige  Romowe,  an  welcher  sich  der  Fürst  mehrerer  Di- 
stricte  aufhielt,  in  besonderem  Ansehen  stand.  Das  Wort 
Romowe  ist  aus  Rom  und  owe  zusammengesetzt  und  be- 
deutete ohne  Zweifel  ursprünglich  eine  aus  Steinstücken 
(rom)  zusammengesetzte  ara  (owe).  Romowe,  welches  mit 
dem  oberlausitzischen  Rodzischczo  gleichbedeutend  ist,  steht 
auf  derselben  Wurzel,  auf  welcher  der  Name  der  Stadt  Rom 
ruht  und  ist  generis  feminini.  Das  e  in  owe  entspricht 
nämlich  dem  griechischen  r]  imd  dem  lateinischen  und  slavi- 
schen  a,  und  im  slavischen  würde  das  WortRomowa  lauten.  Ob- 
gleich Romowe  locus  quietis  et  silentii  war,  so  darf  das  Wort 
doch,  wie  es  mir  scheint,  nicht  von  den  litthauischen  Ad- 
jectiven  Romas  und  Ramus,  die,  nacli  Hrn.  Prof.  Rhesa's 
Versicherung,  vim  quietis  et  silentii  haben  (vergl,  sein  Pro- 
gram de  religionis  christianae  in  Lithuanorum  gente  primor- 
diis  II.  p.  15.)  abgeleitet  werden,  sondern  diese  Adjectiva 
sind  vielmehr  von  der  heiligen  Stille  der  Romowen  derivirt. 
Die  Romowen  durfte,  aufser  den  Priestern  und  dem  Lan- 
desfürsten, Niemand  betreten.  Deshalb  wurde  Romowe 
auch  Rikaita,  Rikaito ,  Rikaiten  (Ort  der  Herrscher)  ge- 
nannt. —  Ueber  die  fremden  Benennungen  des  Orts :  Aba- 
lus  TOÄOg  dßißi]Xog;  über  ßaöiX^ia  des  Massiliers  Pytheas 
und  Basilia  des  Plinius  siehe  die  trefflichen  Belehnmgen  von 
Johannes  Voigt  Geschichte  Preufsens,  I,  Bd.  S.  633—649. 


—     iö2     — 

Die  Trias  der  Wenden  auf  der  In?el  P\ügen  liiefs 
Swantowjt,  Radegast  und  Prowe.  In  Beireff  der  Bedeu- 
tung des  Namens  Svvantowit  bemerke  ich  zunächst  Fol- 
gendes. Nimmt  man  an,  dafs  dieser  Name  ein  primiti- 
ver ist,  wie  Tor,  Bram,  Saturn  etc„  so  ist  er  aus  sa-wan- 
at  und  wit  gebildet  worden.  Das  a  hinter  dem  s  ist 
hinweggefallen  wie  in  Swon  die  Glocke,  Sswonzo  (fso- 
Avonrozo,  das  hohe,  göttliche  Wesen)  die  Sonne,  in 
Sswonkezy,  hochgelegenes  Dorf,  Sonnendorf,  Schlung- 
witz,  bei  Bauzen  etc,  Wan  heilst  ein  Berg  und  at  Gott. 
X)s^s  Wort  Swant  bedeutet  demnach  schon  an  sich  einen 
Berg-:  oder  Sonnengott.  Das  o  hinter  dem  t  ist  ein  o 
euphonisticum.  Das  wit  hat  die  Bedeutung  deus  und 
entspricht  dem  kait  (Wurskait),  kayt  (Puschkayt),  wayt 
(Ausschwayt)  in  den  Namen  der  preuTsischen  Gottheiten. 
Für  die  Vermuthung,  dafs  der  Name  Swantowit  aus  pri- 
mitiven Eilementen  zusammengesetzt  ist,  scheint  die  rus- 
sische Nachricht  zu  sprechen  ,  dafs  die  Jaga  Baba  ihren 
Enkel,  welcher  Sviatovit  hiefs,  auf  den  Avmen  getragen 
habe.  Aber  ist  der  Name  Sviatovit,  den  man  mit  Swan- 
towit für  gleichbedeutend  hält,  nicht  vielleicht  suppo- 
nirt?  Hat  nicht  vielleicht  ein  Referent  nur  vermuthet, 
dafs  das  von  der  alten  Jaga  auf  den  Armen  getragene 
Götterkind  der  westslavische  Sonnengott  gewesen  sey? 
Oder  deutet  diese  Nachricht  nicht  vielleicht  nur  an,  dafs 
die  nordwestlichen  Wenden,  die  sich  durch  ihren  Dia- 
lect  von  den  südwestlichen  allerdings  etwas  unterschei- 
den, von  den  Quellen  des  Oby  (in  der  chinesischen  Son- 
garei),  wohin  man  den  anfänglichen  Cultus  der  Jaga 
getzt,  herstammen,  und  dafs  sie  nach  und  nach  durch 
Mittelrufsland  bis  an  den  westlichen  Theil  der  Ostsee 
und  hier  auf  ihren  Ufern  bis  an  die  Elbe  vorgerückt 
sind?  So  leicht  aber  auch  der  Name  Swantovvit  ein  pri- 
mitiver seyn  kann,  so  hat  es  doch  nicht  mindere  Wahr^ 
scheinlichkeit,  dafs  derselbe  ein  derivirter  ist.  Die  ober^ 
lausitzer  Wenden  nennen  noch  heute  die  Sonne  to 
Sswonzo  (fso-woiirozo  d.  h.  das  grofse,  hohe,  himmli- 
sche Wesen  oder  Gottheit),  Höchst  wahrscheinlich  nann- 


—     183     — 

tcn  die  nordwestlichen  Wenden,  deren  Sprache  unlerge- 
panjicn  ist,  die  Sonne  Svvanto,  weil  a  und  o  nahe  ver- 
wandte Vocale  sind  und  weil  die  Consonanten  z,  s,  d 
und  t  auf  der  Lautlinie  nahe  bei  einander  stehen.  Zu 
dem  Swanto  setzte  man  wit  (deus)  und  erhielt  den 
iSamen  Swantowit.  Ist  aber  Svvantowit  ein  abgeleiteter 
Name,  wie  es  fast  gewifs  ist,  imd  bedeutet  dieser  Name 
nur  Sonnengott,  so  könnte  man  freilich  jeden  Sonnen- 
gott, z.  B.  den  Tor,  Bram,  Saturn  etc.  Swantowit  (fswon- 
zowitsch)  nennen. 

Manche  haben  bei  dem  wit  in  dem  Namen  Svvan- 
towit an  den  Gebrauch  der  Slaven  gedacht,  nach  wel- 
chem Letztere  den  Sohn  des  Vaters  wit,  witsch  (Petro- 
witsch,  Feodorowitsch)  nennen,  und  haben  vermuthet, 
dafs  die  Nord  wenden  bei  der  Bildung  ihrer  (späteren) 
Götternamen  auch  dem  noch  jetzt  bei  den  Russen  vor- 
kommenden Gebrauche  gefolgt  wären.  Könnte  man  nach- 
weisen, dals  diese  Vermuthung  gegründet  ist,  so  würde 
sich  uns  die  spätere  nordwendische  Religionslehre  frei- 
lich hoch  stellen.  In  diesem  Falle  liiel'se  Swantowit  nicht 
der  durch  ein  Götzenbild  dargestellte  Sonnengott  selbst, 
sondern  er  wäre  dann  ein  Sohn ,  ein  Repräsentant  der 
Sonne,  und  es  wäre  dies  ein  Beweis,  dafs  die  wendischen 
Priester  zu  Arkona  nicht  zu  dem  Glauben  des  niedrigen 
Fetischismus  herabgesunken  waren ,  sondern  dafs  sie  das 
höhere  Symbol  der  Gottheit  (die  Sonne)  bei  dem  irdi- 
schen Idole  nicht  aus  den  Augen  verloren  hatten. 

Da  es  aber  nicht  ervviesen  werden  kann ,  dafs  sich 
die  Nordwenden  in  ihren  Götzenbildern  nur  bloi'se  Re- 
präsentanten der  Sonne  und  des  Mondes  gedacht  und 
dafs  sie  Ersteren  nicht  ein  einwohnendes  numen  zuge- 
schrieben haben,  so  übersetze  auch  ich  wit,  witsch  nicht 
durch  Bild  der  Sonne  und  des  Mondes,  sondern  durch 
Sonnengott  und  Mondgöttin.  Uebrigens  theile  aber  auch 
ich  die  Meinung  des  Herrn  Professor  Mone,  dafs  sich 
die  höheren  Priester  zu  Arkona  (har-ko-ona,   hochgele- 


—     184     -^ 

gene  Bergstadt)  durch  eine  höhere  geistige  Bildung  ^' 
(vergl.  Mone  I.  p.  179.)  und  insbesondere  durch  eine 
tiefere  Religions-Gnosis  ausgezeichnet,  so  wie  auch,  dafs 
sie  treuer,  als  anderwärts  an  dem  alten  Sonnencultus 
festgehalten  hätten,  wozu  sie  freilich  der  Eindruck,  den 
der  Anblick  der  auf-  und  untergehenden  Sonne  in  ih' 
rer  herrlichen  hohen  Natur  auf  sie  machte,  mächtig 
aufforderte. 

Ist  aber  der  Name  Swantowit  oder  Swantowitsch 
nicht  ein  primitiver,  sondern  ein  von  Swanto  oder 
Sswonzo  abgeleiteter,  so  entsteht  die  Frage:  wie  wohl 
der  primitive  Name  des  rügischen  Sonnengotts  gelautet 
habe?  Ich  vermuthe,  dafs  Swantowit  ursprünglich  ent- 
weder Por  oder  Ras,  Raz,  Rad,  Rüg  hiefs.  Meine  Ver- 
muthung,  dafs  er  Por  geheifsen  habe,  gründet  sich  dar- 
auf, dafs  die  anderen  wendischen  Triaden  das  Wort  Por 
haben  und  dafs  die  weibliche  Göttin  der  rügischen  Tri- 
murti  den  Namen  Prowe  führte.  Die  Vermuthung  aber, 
dafs  Swantowit  früher  Rad,  Raz,  Rüg  genannt  worden 
seyn  kann ,  stützt  sich  darauf,  dafs  die  alte ,  später  zum 
Mondgotte  erhobene,  Mondgöttin  Radegast  heifst  und 
dafs  in  der  Karenzischen  Dreiheit  der  Name  Rüg  (Ru- 
giäwith)  vorkommt.  Für  die  Annahme,  dafs  Swantowit 
ursprünglich  den  Namen  Raz  geführt  habe,  spricht  aber 
der  Umstand,  dafs  die  Mondgöttin  in  der  wendischen 
Mythologie  den  Namen  Radzivia  führte,  die  männlichen 
Götter  aber  überhaupt  Razi  hiefsen. 

Seinem  Charakter  nach  war  Swantowit  ein  ganz  rei- 
ner Sonnengott.  Er  wurde  als  der  Hocherhabene,  ewig 
Leuchtende,  Mächtige,  Unveränderliche,  Leidenschaftlose, 


89  Alles  verräth  bei  diesen  Slaven  eine  bedeutende  Priester- 
schaft,  Sclireibkunst,  Weltkenntnils ,  Aufnahme  und  Ver- 
scbmekuiig  fremder  Glaubenslehren ,  reiche  Symbolik  und 
grofse  Opfer,    Vergl,  Mone  I,  p.  179, 


—     185    -^ 

Höchstglüchliclie ,  Alles  Belebende  und  Nährende,  als 
der  Vater  der  Menschen  und  Tliiere,  der  grofse  Er- 
nährer aller  Lebendigen,  der  Führer  seines  Volks  zum 
Kampfe  für  Roligion,'  Vaterland  und  Freiheit,  der 
Beschützer  der  Reisenden  und  der  Landesgrenzen,  der 
besondere  Freund  der  Priester  und  Fürsten,  die  seine 
Söhne  hiefsen,  der  Zerstörer  der  bösen  Anschläge  der 
Feinde  seines  Volks,  der  Geber  des  neuen  Lebens  nach 
dem  Tode  etc.  gedacht  und  geglaubt. 

Bildlich  wurde  er  als  ein  Krieger  dargestellt,  der  in 
der  linken  Hand  einen  Bogen,  in  der  rechten  aber  ein 
Füllhorn  hielt.  Er  hatte  vier  Köpfe,  die  nach  den  vier 
Weltgegenden  gerichtet  waren.  Als  einem  sein  Volk  zum 
Kampfe  gegen  die  Feinde  führenden,  Gotte  war  ihm  ein 
weifses  Piofs  geheiligt.  Der  tägliche  Gottesdienst  dessel- 
ben bestand  in  Arkona  in  der  Pflege  dieses  Bosses.  Auf 
diesem  heiligen  Rosse  ritt  Swantowit  alle  Nächte  aus, 
um  gegen  die  Feinde  seines  Volks  und  Glaubens  zu 
kämpfen,  (Tor  zog  nur  im  Winter  gegen  das  Trolvolk 
in  den  Kampf,)  weshalb  man  dasselbe  alle  Morgen  mit 
Staub  und  Schweifs  bedeckt  im  Stalle  fand.  War  man 
zweifelhaft,  ob  man  einen  Krieg  anfangen  sollte,  oder 
nicht ,  so  gebrauchte  man  das  Pferd  Swantowit  auf  fol- 
gende Weise  als  Orakel.  Vor  Swantowits  Tempel  legte 
nämlich  der  Diener  in  gleiche  Entfernung  drei  Spiefse 
quer  auf  den  Boden,  an  deren  beiden  Enden  zwei  ande-. 
re  mit  den  Spitzen  kreuzweis  in  der  Erde  Stacken.  Nach 
feierlichem  Gebete  zog  der  Hohepriester  das  Pferd  aus 
dem  Stalle  und  wenn  es  dreimal  ohne  Anstofs  mit  dem 
rechten  Fufse  zuerst  über  die  Spiefse  wegschritt,  so  war 
es  eine  Andeutung,  dafs  Swantowit  den  Krieg  wollte  und 
dafs  derselbe  glücklich  enden  würde.  In  Stettin  fand 
ein  ähnlicher  Gebravtch  Statt.  Dort  unterhielt  auch  ein 
Mond  -  Priester  ein  Rofs ,  das  nicht  geritten  werden 
durfte,  das  aber  von  schwarzer  Farbe  war.  Vor  einem 
Feldzug  wurde  es,  gesattelt  und  gezäumt,  von  dem 
Priester  über  neun,  einen  Schuh  weit  von  ^pinander 
iieaende    Spiefse    dreimal    hin    und    her     geführt,     und 


—     186     — 

wenn  es  mit  den  Füfsen  nicht  an  die  Spiefse  stiefs ,     so 
war  dies  ein  günstiges  Zeichen. 

Aufser  dem  sich  bei  einer  jeden  ara  des  Swanto- 
vf'n  befindlichen  heiligen  Rosse  unterhielt  man  an  meh- 
reren Orten  des  Wendenlandes  einige,  zum  gemeinen 
Gebrauche  nicht  bestimmte  Pferde,  die  bei  dem  Ausbru- 
che eines  Krieges  von  den  Anführern  geritten  wurden 
und  die  den  heiligen  Wagen  des  Gottes  zogen.  Diese 
Pferde  nannte  man  heilige  Pferde.  Die  Gegenwart  die- 
ser geheiligten  Rosse  in  der  Schlacht  erhöhte  den  Muth 
der  Streitenden  vmd  hat  verrauthlich  viel  zu  dem  hart- 
näckigen und  langwierigen  Widerstände  beigetragen,  den 
die  Wenden  den  eroberungsgierigen  christlichen  Deut- 
schen geleistet  haben.  Dafs  das  heilige  Rofs  des  Swan- 
towit  sich  noch  jetzt  als  Symbol  in  dem  Lüneburgischen 
Wappen  findet,  ist  bekannt.  Das  Füllhorn,  welches 
Swantowit  hielt,  bezeichnete  die  Kraft,  durch  welche  er 
den  Menschen  Nahrung  und  Trank  spendete.  Denn  er 
war  nicht  blos  Kriegsgott,  sondern  auch  Geber  der  Ernd- 
ten  und  in  dieser  Hinsicht  dem  preufsischen  Curch  (Cur- 
cho)  und  dem  russischen  Korsch  ähnlich. 

Das  Fest  (Emdtefest),  wobei  Swantowit  als  der  Ernd- 
tengeber  erscheint,  wurde  zu  Arkona  auf  folgende  Weise 
gefeiert.  An  einem  bestimmten  Tage  trug  der  Griwe 
(Oberpriester)  Swantowits  Füllhorn  aus  dem  Tempel  her- 
aus, und  untersuchte  vor  einer  grofsen  Versammlung 
des  Volks,  ob  das  im  vorigen  Jahre  eingegossene  Meth 
abgenommen  hätte,  oder  nicht.  Im  ersteren  Falle  bedeu- 
tete es  eine  geringe  Erndte  im  künftigen  Jahre  und  der 
Hohepriester  ermahnte  das  Volk  zur  Sparsamkeit.  War 
das  Horn  aber  noch  voll,  so  freute  sich  das  Volk  auf  den 
künftigen  Erndtesegen.  Nach  dieser  Weihsagung  gofs 
der  Criwe  das  alte  Meth  zu  den  Füfsen  Swantowits,  be- 
tete um  Heil  und  Segen  für  das  ganze  Volk  und  trank 
das  mit  neuem  Meth  gefüllte  Hörn  schnell  aus.  Dann 
wurde    es  nochmals    gefüllt   und  dem   Gotte  wieder  in 


—     187     — 

den  Arm  gep:eben.  Darauf  brachte  man  einen  beinahe 
mannshohen  Honigkuchen,  hinler  dem  sich  der  Hohe- 
priester stclhe  und  die  Versanimlelen  fragte,  ob  sie  ihn 
sehen  könnten?  Antwortete  das  Volk  ja,  so  flehte  er 
zum  Gotte,  dafs  er  im  nächsten  Jahre  einen  noch  grö- 
fseren  Erndtesegen  spenden  und  einen  so  grofsen  Ku- 
chen geben  möchte,  dafs  das  Volk  ihn  hinter  demselben 
nicht  sehen  könnte.  Er  ermahnte  hierauf  das  Volk  zur 
ferneren  A^erehrung  des  grofsen  Gottes  und  entliefs  es 
in  dessen  Namen,  Der  übrige  Theil  des  Tages  verstrich 
unter  grofsen  Opfermahlzeiten  und  Meth  wurde  in  gro- 
fsem  Maafse  getrunken. 

Vor  dem  Erndtefeste  reinigte  der  Criwe  Swantowits 
Tempel  mit  Besen,  durfte  aber  im  Allerheiligsten  nicht 
athrnen ,  sondern  er  sprang  so  oft  an  die  Thüre,  als  er 
Luft  schöpfen  niufste,  damit  Gottes  Stätte  nicht  durch 
menschlichen  Odem  entehrt  würde.  In  den  Tempeln 
der  wendischen  Hauptgötter  wurden  die  heiligen  Kriegs- 
fahnen aufbewahrt,  und  die  Priester  hatten  die  Aufsicht 
über  diese  Palladien, 

Dafs  Swantowit  an  mehreren  Orten  des  Wendenlan^ 
des,  wenn  auch  unter  andern  Namen  und  Formen,  wie 
zu  Rhetra  und  Karenz,  verehrt  wurde,  dies  ist  höchst  wahr^ 
scheinlich.  Aber  schwerlich  hat  seine  Benennung  dem 
eine  Stunde  von  Grofsenhayn  gelegenen  Dorfe  Wante- 
witz  (wan-te-wiz,  hochgelegenes  ebenes  Dorf)  den  Na- 
men gegeben;  wenn  auch  wirklich  zu  Wantewitz  ein 
Tempel  des  Swantowit  war.  Der  Name  "Wautewits  ist 
von  anderen  Bedingungen  abhängig,  wie  früher  bemerkt 
worden  ist, 

Noch  bemerke  ich,  dafs  die  Ableitungen  des  Namen 
Swantowit  von  Sswjata  Wiez  d,  h,  die  heilige  Sache,  von 
Sswjata  Sswieza,  das  heilige  Licht,  oder  gar,  wie  Eönisch 
in  der  Camenzer  Topographie  p.  24  will,  von  Wodan 
tu  Swiez  d,  h.  Wodan  (Gott)  das  Licht,     nicht  zulässig 


—     188     — 

sind.  Swantowlt  war  in  der  Idee  älter,  als  Wodan  oder 
Odin,  und  stand  in  demselben  Verhältnisse  zu  dem  Letz- 
teren, wie  der  von  Tacitus  erwähnte  germanische  Mars 
(Sonnengott)  zu  dem  Mercurius  (Mondgott). 

Hat  Swantowit  die  Eigenschaft  eines  reinen  Sonnen- 
gotts, so  dagegen  Radegast  die  eines  neueren  (dritte  Reli- 
gionsperiode) Mondgotts.  Radegast  ist  ein  Inbegriff  von 
Elementen,  die  einer  alten  Mondgöttin  und  einem  Son- 
nengotte  eigen thümlich  sind,  ein  sogenannter  Tscherne- 
bog  und  Bielebog,  Weib  und  Mann  ( gynandrisch )  zu- 
gleich, weshalb  man  ihn  mit  Wischnu,  Tiersmes  und 
Othin  parallelisiren  kann.  Er  ist  eine  frühere,  neben  ei. 
nem  Sonnengotte  bestandene  Mondgöttin,  die  später  zur 
männlichen  Gottheit  erhoben  wurde.  Seine  weiblichen 
Kennzeichen  sind :  seine  gewöhnlich  zum  gröfsten  Theile 
nackende  Gestalt,  sein  Katzen-  oder  Löwenkopf,  die 
Schlange,  die  Schnecke,  die  Traube,  der  Zauberstab  und 
die  Orakel,  die  er  auch,  zum  Mindesten  in  seiner  ersten 
Form,  einzelnen  Personen  ertheilte.  Auch  der  alte  Na- 
me desselben,  Hlawaradze  (hal-war-aze  oder  ase,  Berggöt- 
tin, Sonnengottsfrau)  beweist  es,  dafs  er  ursprünglich  ei- 
ne Göttin  war,  so  wie  auch  sein  Name  Roswodiz,  den 
man  durch  göttliche  Führerin,  oder  Anführerin  (im 
Kriege)  übersetzt  hat.  Seine  spätere  männliche  Eigen- 
schaft deutet  der  Stierkopf  auf  seiner  Brust ,  der  Adler 
auf  seinem  Haupte ,  die  Lanze  in  seiner  Hand  und  die 
schwarzen  Rosse,  die  ihm  gewidmet  waren,  an.  Die  gy- 
jaandrische  Beschaffenheit  desselben  wird  auch  durch  den 
Umstand  beurkundet,  dafs  man  ihn  an  manchen  Orten 
ols  Perkunst  (dasselbe  was  Perkunos,  Perkun,  Peron,  Pe- 
run)  und  Schwayxtix  (scha- wai-ix-tix',  Sonnengottsfrau; 
das  tis,  dea  ist  später  angehangen)  vereinigt  darstellte. 
So  wie  in  Indien  der  spätere  Mondgott  Wischnu  von  den 
Braminen  bei  weitem  mehr  angebetet  wurde  als  der  alte 
Sonnengott  Brama,  so  genofs  auch  der  Mondgott  Radegast 
um  die  Zeit  der  Einführung  des  Christenthums  eine  all- 
gemeinere Verehrung,  als  Swandowit,  und  deshalb  wird 
«ein  Name  auch  nicht    selten  vor  dem  des  Sonnengotts 


—     189     -- 

(Svvantowit)  genannt.  Der  vielfach  fälschlich  gedeutete 
Name  des  Radegast  ist  aus  Rade  und  gast  enstanden. 
Das  Wort  Rade  ist  aus  Ra-ade,  oder  ase  gebildet  und  be- 
deutet eine  (alle)  Berggöttin ,  oder  Mondgöttin.  Die. 
männliche  Form  von  Rade,  die  in  der  wendischen  My- 
thologie auLser  Gebrauch  gekommen  war,  lautete  höchst- 
wahrscheinlich Rad,  Radas  oder  Radaz,  von  welcher,  wie 
schon  bemerkt  worden  ist,  die  allgemeine  wendische;  Be- 
nennung der  männlichen  Gottheiten  (razi)  so  wie  die 
noch  jetzt  übliche  Benennung  der  hohen  Feste  Weih- 
nachten, Ostern  und  Pfingsten  (roczny  Czafs)  herrührt. 
Das  Gast  hat  man  bald  durch  Geist,  bald  durch  Wald 
(gost,  goschcz),  bald  noch  anders  übersetzt.  Er  ist  aber 
aus  ga  und  ast,  oder  at  entstanden  und  bezeichnet  Gott, 
Berggott.  Wirft  man  das  s  aus  dem  Worte  gast  hinaus, 
so  erhält  man  gat,  welches  dem  englischen  God  (deus) 
entspricht.  Radegast  hiefs  folglich  eigentlich  Sonnen- 
.gottsfrau  als  Gott ,  d.  h.  Mondgoit.  In  der  böhmischen 
Mythologie  führt  der  wendische  Radegast  den  Namen 
Rademas  (ra-ada-ma-as ,  Mondgott).  Der  böhmische  Ra- 
damas  wird  tms  seinen  Eigenschaften  nach  nicht  beschrie- 
ben und  nur  mit  dem  Cretischen  Rhadamanthus  (rada- 
nian-at  und  aus  dem  angehängten  us)  in  Parallele  ge- 
stellt. AVenn  auch  der  vvendische  Radegast  von  dem  böh- 
mischen, und  dieser  wieder  von  dem  griechischen  Rha- 
damanthus in  der  Form  etwas  verschieden  war,  so  wa- 
ren doch  gevviis  alle  drei  in  der  Materie,  oder  in  der 
Idee,  auf  die  das  Meiste  ankommt,  ziemlich  gleich.  Alle 
drei  waren  Mondgötter,  nur  unterschied  sich  Radamas 
tmd  Rhadamanthus  von  Radegast  dadurch,  dafs  uns  die 
beiden  Ersteren  als  die  Seelen  der  Verstorbenen  be- 
herrschende Gottheiten ,  Radegast  aber  als  Herr  der  Le- 
bendigen und  als  Führer  seines  Volks  zum  mörderi- 
schen Kampfe  in  der  wüthenden  Feldschlacht  erscheint. 
Früher,  als  Radegast  nur  noch  Ra-ade,  oder  Ra- 
da  war,  hatte  er  aber  auch  die  Fvinclion,  die  See- 
len der   Verstorbenen   zu  beherrschen,     sie  wegen  ihres 


—     190     — 

Erdenlebens  zu  richten  und  sie  der  neuen  Zeugung  des  i 
Sonnengotts,  oder  dem  neuen  Leben,  entgegen  zu  füh- 
ren. Wegen  seiner  Doppehiatur  (Mond-Göttin  und  Gott, 
dunkel  und  röthlich  strahlend)  erhielt  Radegast  die  Na- 
men Zernebog  und  Bielbog.  Viele  haben  den  Namen 
des  Radegast  von  Rada  d.  h.  der  Rath  abgeleitet  und  ha- 
ben ihn  durch  Rath  (Orakel)  gebenden  Gott  übersetzt. 
Durch  diese  Erklärung,  die  gerade  dem  Wesen  des  Ra- 
degast nicht  widerspricht,  wird  aber  die  Idee  des  Rade- 
gast zu  einseitig  dargestellt;  denn  auch  Swantowit  er- 
theilte  Orakel  durch  sein  Rofs  und  Hom,  obgleich  aber 
nicht  einzelnen  Personen,  sondern  dem  ganzen  Volke 
(praetor  haud  curat  singula). 

Das  Wort  Ra-ade  ist  nicht  minder  primitiv,  als  das 
wendische  Wort  Rada,  der  Rath,  Götterrath,  Orakel. 
Beide  Wörter  ruhen  auf  der  Wurzel  ra.  Noch  bemerke 
ich,  dafs  man  sehr  irrt,  wenn  man  die  Dorfnamen  Rati- 
bor  oder  Radwor,  Ratuitz,  Radmeriz  bei  Bauzen,  so  wie 
die  Städtenamen  Radeberg  und  Radeburg  von  Radegast 
(dem  dortigen  Cultus  desselben)  ableitet.  Die  Namen 
dieser  Orte  ruhen  nur  mit  Radegast  auf  derselben  Wur- 
zel Ra  d.  h.  Berg.  Dies  gilt  auch  von  dem  Namen  des 
Dorfs  Rodigast  (gast  heifst  hier  Dorf  und  ist  ähnlich  den 
Ortsnamen  Tokat  in  Natolien,  Stokach  am  Bodensee  u. 
s.  w.),  bei  Jena  und  einer  wüsten  Mark,  Radegast,  bei 
Oschatz  (ho-scha-az,  hochgelegene  Stadt). 

Eben  so  sehr  irren  diejenigen,  welche,  irregeleitet 
durch  griechische  und  römische  mythologische  Legenden, 
vermuthen:  dafs  ein  Fürst,  der  ums  Jahr  40o  nach  Chri- 
sti Geburt  'sich  durch  seinen  Zug  aus  der  Lausitz  nach 
Italien  ausgezeichnet  und  Radegast  geheifsen  haben  soll,  : 
zur  Verehrung  des  Radegast  durch  seine  apotheosirte  Per-  I 
son  Veranlassung  gegeben  habe.  Sie  vergessen  es,  dafs 
sich  wohl  die  Fürsten  nach  den  Namen  der  Landesgott-  j 
heiten  nannten,  dafs  es  aber  bei  den  Germanen  und  Sla- 


—     191     — 

ven  für  die  gröfseste  Irreligiosität  gegolten  hätte,   einen, 
auch  noch  so  ausgezeichneten  Fürsten  zu  apotheosiren. 

Der  MoncTgott  Rnclegast  war  viel  älter,  als  sein 
Sohn  und  Stellvertreter,  der  Fürst  Radegast.  Hinsicht- 
lich des  Alters  des  Mondgotts  Radegast  ist  noch  eine  Be- 
hauptung von  Vulpius  (Vorzeit  Bd.  2.  1818.  Heft  I.  p.  11.) 
anzuführen  und  zu  beleuchten.  Vulpius  sagt:  „Rade- 
„gast  war  älter,  als  die  Zeit  der  Wenden,  aber  jünger, 
„als  die  nordischen  Äsen,  und  wurde  als  ein  Waldgölze, 
„in  der  Gestalt  einer  Ziege,  woher  das  Dorf  Ziegenhayn 
„bei  Jena  abstammen  soll,  verehrt."  In  Betreff  dieser 
Behauptung  bemerke  ich  nur,  um  nicht  weitläuftig  zu 
werden,  dafs  der  Gebrauch  aus  den  (alten)  Mondgöttinnen 
Mondgötter  zu  bilden,  allerdings  vor  der  Ankunft  der 
Wenden  an  der  Elbe  entstanden  ist.  ^°  Versteht  man  aber 
unter  den  Äsen,  die  in  den  letzten  Zeiten  des  skandina- 
vischen Heidentliums  entstandenen  Monatsgötter,  so  ist 
der  wendische  Mondgott  Radegast  älter.  Vergleicht  man 
ihn  aber  mit  dem  Othin,  so  ist  es  ungewifs,  ob  die  Go- 
then,  oder  die  noch  näher  an  Indien  (wohin  Manche 
den  Ursprung  des  in  R.ede  stehenden  Gebrauchs  setzen) 
wohnenden  Nordwenden  zuerst  in  die  dritte  Religions- 
periode getreten  sind.  Zu  der  Zeit,  als  der  Radegast  in 
der  Gestalt  einer  Ziege  erschien,  war  er  noch  nicht  Gast 


90  Physisch  war  der  Moiidgott  der,  der  Sonne  ahnliche,  Voll- 
mond. Der  Mondgott,  der  späterhin  so  sehr  verehrt  wurde, 
war  ein  mit  einigeii  hohen  Vorzügen  des  Sonnengotts  und 
mit  einigen  Eigenschaften  der  Mondgöttin  begabter  Mittel- 
gott, und  ein  Product  der  gesunkenen  religiösen  Phantasie 
der  späteren  Menschen.  Es  verdient  eine  genauere  Unter- 
suchung, warum  sich  die  späteren  Generationen  einen 
INIondgott  bildeten ,  und  welche  Folgen  dies  für  ihr  religiö- 
ses und  sittliches  Leben  (der  Nachtheil  für  die  Sprachen  ist 
evident)  gehabt  hat.  Die  Indier  liefsen  den  Mondgott  in 
verschiedenen  Zeitperioden  in  verschiedenen  Gestalten  (In- 
carnationen  des  Wischnu)  erscheinen. 


—     192    — 

(Gott),  sondern  blos  Rade  (^gaö/]),  Ra-ade  d.  b.  die  (alte) 
Berggüttin,  unter  deren  Regimente  Ziegen,  Schaafe,  Läm- 
mer, Schweine,  Kühe,  Katzen  etc.  standen.  Der  Name 
des  Dorfs  Ziegenhayn  ist  nicht  ein  von  Ziege  abgeleite- 
ter, sondern  er  ist  wie  Ziebingen,  Ziegenrück  etc.  ein 
primitiver,  und  ist  aus  Zi-egen  enstanden.  Das  hayn 
(hun,  hau,  heim)  ist  später  angehangen,  wie  bei  Grofsen- 
hayn,  welcher  letzere  Ort  ursprünglich  Gor- osen  hiefs, 
und  den  die  Wenden  durch  Wussak  (wu-sa-ak)  d.  h.  ein, 
an  einer  Anhöhe  in  der  Ebene  liegender,  grofser  Ort  be- 
nennen. Uebrigens  bin  auch  ich  nicht  in  Abrede,  dafs 
der  Name  Rade  sich  schon  an  der  Elbe  und  Saale  vor 
der  Ankunft  der  Wenden  in  diesen  Gegenden  gefunden 
hat,  und  dafs  er  nur  von  den  Letzteren,  die  schon  frü- 
her seine  Idee  hatten ,  recipirt  und  einem  andern  Na- 
men, hoch  wahrscheinlich  dem  Rugiäwith,  supponirt  wor- 
den   ist. 

Neben  dem  Swantowit  und  Radegast  wird  gewöhn- 
lich Zernebog,  mithin  eine,  mit  unbestimmten  Namen 
genannte,  Mondgöttin  angeführt.  Zernebog  ist  hier  die 
in  allen  Triaden  vorkommende  reine  Mondgöttin,  die 
bei  den  Indiern  Siwen,  bei  den  Finnen  Baiwe  und  bei 
den  Skandinaven  Freia  hiefs.  Dieser  Göttin  wurden  meh- 
rere Functionen  auf  der  Erde,  insonderheit  aber  das 
Richteramt,  immer  aber  die  Herrschaft  über  die  Seelen 
der  Dahingeschiedenen  zugeschrieben.  Es  fragt  sich  nun, 
welche  slavische,  mit  dem  unbestimmten  Namen  Zerne- 
bog benannte,  Göttin  die  rügische  Dreiheit  erfüllt?  Die- 
se Göttin  ist  gewifs  keine  andere,  als  die,  fast  von  Al- 
len als  männlich  bezeichnete  Prowe.  Prowe  ist  ein  weib- 
liches' Wort,  und  ist  aus  pro ,  oder  per  metathesin  des  o 
aus  por  und  owe  (ose,  ase )  entstanden.  Prowe  oder  Po- 
rowe,  Borowe  (^)  aber  heifst  Sonnengotts  -  Gemahlin, 
Mondgöttin. 

Die  Porowe,  Porowa  war  die  alte  MondgÖttin,  deren 
Gemahl  Por,  späterhin  Porewith   hiefs.     Aber   nicht  nur 


—     193     — 

durch  die  Etymologie  ergiebt  es  sich,  dafs  Prowe  eine 
weibliche  Gottheit  war,  sondern  dies  deutet  auch  ihre 
Darstellung  an.  Prowe  wurde  nämlich  als  eine  gröfs-^ 
tentlieils  nackte  Person  dargestellt,  mit  einem  Brustschilde 
von  Goldblech,  auf  dem  zwölf  Mondringe  zu  sehen  wa-» 
ren.  Auf  dem  Kopfe  hatte  sie  eine  goldene  Krone  und 
in  der  Hand  einen  Stab  (Zepter),  an  dem  ein  schmales 
Fähnchen  befestigt  war.  Sie  soll  auch  mit  einer  Pfluge 
schar  dargestellt  worden  seyn.  Prowe's  Bild  stand  in  ei- 
nem heiligen  Haine,  in  welchem  das  Volk  alle  Montage 
zum  Gerichte  zusammen  kam.  Um  das  Bild  Prowe'ä 
war  eine  Umzäunung,  in  welche  Niemand  treten  durfte 
atifser  dem  Höhenpriester  und  den  Opferleuten,  unter  de- 
nen jedes  Mal  der  Fürst  (regulus)  gewesen  zu  seyn 
scheint.  Wenn  Prowe  eine  Pflugschar  führte,  so  ent-^ 
spricht  dies  ganz  ihrer  Idee,  als  alte  Mondgöltin.  Diese 
hat  nämlich  die  Menschen  das  Pflügen,  und  überhaupt 
die  Bestellung  der  Aecker  und  Gärten  gelehrt. 

Dafs  man  die  Pflugschal-  früher  zti  Hinrichtungen 
der  Verbrecher  gebrauchte  und  späterhin  als  prüfende« 
Werkzeug  bei  den  Ordalien ,  dies  ist  bekannt.  Die  Kro- 
lie  auf  dem  Haupte  zeigt  sie  als  hochgebietende  Gesetz- 
geberin und  Richterin  an,  und  die  zwölf  Mondringe  auf 
dem  Brustschilde  bedeuten  die  zwölf  Monate  des  Jahres* 
Der  Delinquent,  der  sich  in  den  heiligen  Hain  der  Pro- 
we oder  Borowa  flüchtete,  stellte  sich  dadurch  unter  den 
Schutz  der  Landesgesetze  und  unterwarf  sich  dem  Aus- 
spruche derselben.  Dadurch  sicherte  er  sich  vor  Privat- 
sache vxnd  vor  Mifshandlungen.  Dife  Opferlfeute,  denen  es 
mit  dem  Hohenpriester  zugleich  gestattet  war.  sich  in  die 
heilige  Umzäunung  ( bei  den  Römern  Säpta  genannt )  zu 
begeben,  waren  die  Richter,  die  eine  Art  Jury  bildeten 
und  die  aus  den  Notabein  des  Bezirks  bestanden.  Diese 
bereiteten  sich,  vorzüglich  wenn  es  ein  Capital- Verbre- 
chen galt,  durch  Opfer  und  Gebete  zu  ihr&in  wichtigen 
Geschäfte  vor ,  und  weiheten  sich  durch  religiöse  Acte 
ganz   dem  Dienste  der   Gerechtigkeit.     Bei   den   Römern 

IS 


—     194    — 

jure  jurando  adstricti  erant  ad  sincere  jndicandum  (cf. 
Cicero  pro  Roscio  amer,  c.  S.).'  Das  wendische  Volk 
stand  in  dem  heiligen  Haine  aufserhalb  der  heiligen  Um- 
zäunung ,  hörte  den  Verhandlungen  des  Gerichts  zu  und 
vernahm  endlich  den  Spruch  des  Urtheils.  Dieses  wurde 
nun  von  dem  Hohenpriester  öffentlich  bestätigt,  oder  mo- 
derirt,  und  dies  Alles  im  Namen  und  im  Angesichte  der 
Göttin  (Prowe)  der  Weisheit,  der  Humanität,  derbarm- 
herzigen  Liebe,  der  Gerechtigkeit  und  des  Todes,  die 
ungerechte  Urtheile  nicht  duldete  und  dieselben  unaus- 
bleiblich bestrafte  (Nemisa,  Nemesis). 

Die  heilige  Umzäunung  war  unsern  Gerichtsschran- 
ken  ähnlich.  Der  Stab,  den  die  Prowe  in  der  Hand  hielt, 
war  auch  das  Symbol  der  Gewalt,  die  der  Hohepriester 
als  Richter  der  Richter,  oder  als  oberster  Richter  besafs. 
Diesem  Symbole  ^^  der  oberrichterlichen  Würde  und 
Gewalt  zollte  man  überall  die  grüTste  Hochachtung,  und 
wo  nur  ein  Bote  des  Hohenpriesters  mit  demselben  er- 
schien, wurde  er  sehr  ehrenvoll  empfangen.  Diejenigen, 
welche  das  Leben  verwirkt  hatten  und  hingerichtet  wur- 
den, nahm  dieselbe  Göttin  (später  Heia  genannt)  in  ihr 
dvnkles  Reich  auf.  Mit  Recht  nennt  daher  Grofser  in 
seinen  Lausitz.  Denkwürdigkeiten  IL  p.  3.  Prowe  deum 
(deam)  justitiae  ac  fori.  So  wie  die  Form  der  Gerichte 
an  einem  Orte  des  Wendenlandes  beschaffen  war,  so 
mochte  sie  an  den  mehresten  beschaffen  seyn.  Vermuth- 
lich  trug  der  Hohepriester,  der  die  Gerichtsgöttin  reprä- 
sentirte,  ein  dem  Brustschilde  der  Prowe  ähnliches  klei- 
nes auf  der  Brust.  Für  ein  solches  hohepriesterliches 
Brustschild  halte  ich  dasjenige  goldene,  welches  vor  ei- 
nigen Jahren  in  der  Nähe  der  Biwoschmühle  bei  Tätsch- 


91  Dieser  Stab  hiefs  bei  den  Preufsen  Griwule  (generis  femi- 
nini),  bei  den  Wenden  Kriwula,  bei  den  Schweden  Budlafla 
(baculiis  nunciatorius ) ,  bei  den  Dänen  Budstikke  (göttli- 
cher Stab,  Priesterstab). 


—     195     — 

witz,  eine  Meile  von  Senftenberg,  in  einer  Urne  gefun- 
den, aber  leider!  zerstört  worden  ist.  Höchstwahrschein- 
lich war  an  dem  Orte,  wo  das  erwähnte  goldene  Erust- 
schild  gefunden  wurde,  die  Gericl>.tsstätte  der  Umgegend. 
Hier,  in  einem  niedriger  gelegen^  Haine  (lucus),  stand 
das  Bild  der  Mondgöttin,  so  wie  auf  dem  in  einiger  Ent- 
fernung liegenden  Koschenberge  das  Bild  eines  Mond- 
gotts,  an  dessen  Stelle  späterhin  ein  christlicher  Hero», 
der  heilige  Märtyrer  Laurentius,     gestellt  wurde.  '"    Zu 


92  Der  Kaiser  Valerianus,  der  Nachfolger  der  Christenfeinde 
Gallus  und  Volusianus  zeigte  sich  in  den  ersten  Jahren  sei- 
ner Regierung,  von  254  bis  257,  den  Christen  günstig.  Aber 
in  dem  letztgenannten  Jalire  ordnete  er  auf  Anrathen  seines 
Ministers  Marcianus  eine  Christenverfolgung  an,  die  jedoch 
nicht  blutig  seyn,  sondern  nur  die  Entfernung  der  Lehrer 
und  Bischöfe  von  ihren  Gemeinen  bewirken  sollte.  Aber  im 
Jahre  258  promulgabat  longe  severius  edictum,  wie  Mos- 
heim  (inst.  bist,  eccles.  c,  I[.  §.  VI.)  sagt,  und  zwar  folgen- 
den Inhalts:  },Die  Bischöfe,  Presbyter  und  Diaconen  sollten 
sogleich  mit  dem  Schwerdte  hingerichtet,  Senatoren  und 
Ritter  sollten  ihre  Würden  und  Güter  verlieren,  und  wenn 
sie  dann  noch  Christen  blieben,  sollte  sie  dieselbe  Todes- 
strafe treffen.  Die  Frauen  von  Stande  sollten  nach  Einzie- 
hung ihrer  Güter  exilirt  werden  etc.  etc,*'  Am  6,  August 
285  starb  der  römische  Bischof  Sixtus,  einige  Tage  später 
der  Diaconus  Laurentius*„igne  lente  ustus"  und  am  14. 
September  Cypriauus ,  Bischof  zu  Garthago ,  den  Märtyrer- 
tod, Bedeutend  waren  die  Wirkungen,  die  der  Tod  des  hel- 
denmüthigen,  noch  auf  dem  Roste  iür  die  Ausbreitiuig  des 
Reiclies  Jesu  mit  himmlischer  Seelenruhe  und  mit  verklär- 
tem Antlitz  betenden  Laurentius  hervorbrachte, 
„Refrixit  ex  illo  die 

Cultus  deorum  turpium 

Plebs  in  sacellis  rarior: 

Christi  ad  tribunal  curritur!_ 

Sic  dimicans  Laurentius 

Non  ense  praecinxit  latus ; 

Hostile  sed  ferrum  retro 

In  auctorem  retulit. 

Mors  iila  sancti  Martyris 

Mors  vera  templorum  fuit. 

13* 


—     196     — 

der  Capelle  des  Laurentius  waUfahrteten  die  Christen 
bis  zur  Einführung  der  Kirchenreformation,  so  wie 
die  heidnischen  Wenden  fmher  zu  dem  Bilde  des  Son- 
nengotts oder  Mondgotts  und  zu  dem,  nicht  weit  davon 
liegenden,  Haine  der  'Prowe  gegangen  seyn  mochten,  ^^ 
und  den  Markt,  der  am  10.  August  eines  jeden  Jahres 
auf  der  Spitze  des  Koschenberges  bei  der  Laurentius-Ca- 
pelle  gehalten  und  späterhin  auf  Befehl  des  Kurfürsten 
Moritz  nach  Senftenberg  verlegt  wurde,  haben  sogar, 
laut  der  Sage,  Kaufleute  aus  Leipzig  besucht. 

Die  Gerichte  der  Wenden  in  den  heiligen  Hainen 
ähnelten  den  römischen  Verhandlungen  auf  dem,  zwi- 
schen Rom  und  der  Tiber  gelegenen  Campo  Martio,  wel- 
cher wieder  Aehnlichkeit  mit  dem  Walde  der  Semnonen 


Tunc  Vesta  (die  alte,  die  Religion  schutzende  Got- 
tin) palladios  Lares 

Impune  sensit  deseri!" 
Vergleiche   Acta  primorum  martyrum  opera  Theodor  Rui- 
narti  fol.  ed.  H.   Amstelod.  1713.  p.  187—97. 

93  Bei   -dem   Dorfe   Spohla    im    Hoyerswerdaer  Kreise    ist    ein 
nach  Westen   hinlaufender    Feldweg  ,     welcher    noch   heut 

•^utana  Sczeschka  (der  Lautaer  Fufssteig)  genannt  wird. 
Wahrscheinlich  rührt  diesei'  Name  daher,  weil  in  katholi- 
schen Zeiten  die  Wallfahrer  aus  der  östlichen  Mittel -Ober- 
iausitz  zum  heiligen  Laurentius  auf  dem  Koschenberge  zo- 
gen, so  wie  früher  die  Germanenadsacra  des  Teut  und  die  Wen- 
den zu  dem  Cultus  des  Flins  und  zu  der  ara  der  Prowe  ge- 
gangen waren.  In  der  frühesten  Zeit  fand  auf  dem  Koschen- 
berge höchstwahrscheinlich  der  Sonneiicultus  Statt.  Der 
Name  des  Berges  ist  aus  Kosch  (Cusch)  und  Berg  zusam- 
mengesetzt und  kann  durch  Hochberg  (  Sonuenberg)  über- 
setzt werden.  Er  ist  gleichbedeutend  mit  Kotmar  bei  Lö- 
bau  und  Kuttenberg  in  Böhmen.  Die  Dorfnamen  Koschina 
(Grofskoschen)  und  Koschinka  (Kleinkoschen)  sind  von  dem 
Kosch  abhängig.  Der  erste  bezeichnet  ein  am  Fufse  des 
Hochberges  tiefgelegenes  (ina)  Dorf;  der  zweite  ein  eben  so 
gelegenes  kleines. 


—     197     — 

(cf.  Tacit.  Germ.  XXXIX.)  hatte.  Wenn  es  gegründet 
ist ,  clafs  die  comitia  des  römischen  Volks  in  alten  (pris- 
cis)  Zeiten  auf  dem  foro  der  Stadt  gehalten  und  erst 
später,  als  die  Volkszahl  wuchs  (crescente  populo),  auf 
dem  Campus  Martius  verlegt  wurden,  so  scheint  es,  als 
wenn  die  Römer  die  Sitte  des  Marsfeldes  von  den  Gal- 
liern ,  die  mit  den  Germanen  vielfach  in  Sitten  harmo- 
nirten,  recipirt  hätten.  Die  bekannten  Irmensäulen,  oder 
Mondgöttin  -  Statuen  der  Deutschen  waren  dasselbe,  was 
die  wendischen  Prowe- Bilder,  und  es  ist  ein  grofser  Irr- 
thum,  wenn  man  die  Irmen  (hir-men,  Mondgöttin)  der 
Germanen  für  Bilder  des  apotheosirten  Helden  Arminius 
hält.  Bekannt  ist  es,  dafs  man  in  späteren  Zeiten  die 
wendischen  Gerichte  auf  die  Marktplätze  der  Flecken 
und  Städte  verlegte,  und  dafs  man  da,  wo  noch  Heiden 
und  Christen  eine  Zeit  lang  vermischt  mit  einander  leb- 
ten, Mondgöttin-  oder  Mondgotts  -  Säulen  ,  Rolands-  (ro- 
lan-ad,  Mondgott)  Säulen  genannt,  aufrichtete,  die,  weil 
sie  den  Orten ,  in  welchen  sie  standen,  einen  Vorzug  und 
ein  Ansehen  gaben,  auch  in  den  späteren  christlichen 
Zeiten ,  z.  B.  in  einigen  Eibstädten ,  erhalten  worden 
sind. 

Dafs  die  Benennung  der  wendischen  Gerichtsgöttin 
durch  Prono  falsch  ist,  haben  schon  Andere  nachgewie- 
sen. Der  Name  Prowo,  Prawo,  der  im  Wendischen  das 
Recht ,  die  Gesetzsammlung,  z.  B.  Saxonske  Prawo,  bram- 
berske  Prawo  bezeichnet,  ist  eher  zulässig,  ist  aber  für 
die  alte  Zeit,  weil  er  ein  abstractum  ist,  unpassend.  Pro- 
we ist,  Avie  oben  bemerkt,  eine  primitive  Benennung, 
obgleich  sie  jetzt  als  derivirte  erscheint,  und  ist  generis 
feminini.  Das  Wort  bezeichnet  die  Göttin  der  Gerech- 
tigkeit, welches  auch  daher  wahrscheinlich  ist,  weil  auch 
andere  Völker  für  die  Gerichte  nicht  einen  Gott ,  son- 
dern eine  Göttin  hatten,  und  weil  in  allen  Sprachen  das 
Wort  Gerechtigkeit  von  der  Mondgöttin  abgeleitet  und 
die  Mondgöttin  bezeichnend  ist,  wie  wir  es  an  den  Wör- 
tern p"!i  ,  (ze-te-ek),  öiari  (di-ike),   Sl-acu  oavvr]  (di-ke- 


—     198     — 

osine  oderasine),  ^sfiig  (tbem-is),  justitia  (just-itia  oder 
asia),  Prauda  (par-ada,  z.  B.  Ruska  Piauda  der  Giofslilr- 
sten  Jarofslav  I.,  Wladomirowitsch  1020  bis  1054  und 
Wladimir  IL,  Wfsewolodowitsch  1113  bis  1125)  und 
Recht  (re-echt)  sehen. 

Diese  drei  Obergottheiten  der  Wenden  wurdsn  an 
vielen  Orten,  als  vereinigt  in  einer  Person,  aber  mit  drei 
Köpfen  dargestellt.  Die  also  dargestellte  Trias  nannte 
man  späterhin  mit  einem  Worte  Triglav,  oder  Triglo- 
\va ,  d.  h.  Dreikopf,  welches  aus  tfsi  oder  tri  und  glowa 
oder  Wowa,  der  Kopf,  zusammengesetzt  und  mithin  kein 
primitives  Wort  ist.  Triglav,  oder  Triglaw  ist  folglich 
kein  besonderer  Gott,  wie  man  gewöhnlich  wähnt.  In 
der  reichen  Handelsstadt  Julin  (Ju-ulin,  tief  gelegener 
grolser  Ort  )  hatte  man  einen  goldenen  Triglav,  zu  Stet- 
tin aber  war  Triglav  nur  mit  einem  goldenen  Kopfputze 
bis  auf  die  Lippen  zugedeckt.  Den  Stettiner  Triglav  er- 
hielt der  Bischof  Otto  von  Bamberg  und  schickte  ihn 
als  Siegeszeichen  des  Christenthums  an  den  Papst  Hono- 
rius  nach  Rom.  Die  wendischen  Priester  zu  Julin  wufs- 
ten  ihren  goldenen  Triglaw,  nachdem  das  Volk,  durch 
die  Bekehrung  der  Stettiner  erschüttert,  zum  Christen- 
thume  übergetreten  war ,  so  zu  verbergen ,  dafs  es  dem 
Bischof  Otto  nicht  gelang,  denselben  in  Besitz  zu  be- 
kommen. Seine  Ausspäher,  namentlich  ein  Priester  Herr- 
mann, der  Otto  bei  seinem  Bekehrungsgeschäfte  unter- 
stützte, konnte  nur  den  alten  Stuhl,  auf  dem  der  Trig- 
lav ehedem  gestanden  hatte,  entwenden.  (Vergl.  Götzen- 
dienst in  Pommern  und  Rügen,  von  J.  J.  Steinbrück,  p. 
38.)  So  gewifs  es  ist,  dafs  der  Gebrauch,  die  drei  Ober- 
gottheiten in  einem  Bilde  vereinigt  darzustellen,  durch 
das  ganze  Land  der  Slaven,  die  ich  Nordwenden  und 
Südwenden  nenne  (auch  in  Rhetra,  Grimma  u.  s.  w, 
standen  Triglavs-Bilder )  verbreitet  war,  so  läfst  es  sich 
doch,  wie  Manche  behauptet  haben,  nicht  mit  Bestimmt- 
heit nachweisen,  dcifs  die  nordwendischen  Priester,  vor- 
züglich die  zu  Wineta,  Julin  und  Stettin,     deshalb  ihre 


—     199     — 

Tiimurti  in  einer  dreiköpfigen  Gestalt  dargestellt  haben, 
um  etwas  der  christlichen  Trias  Aehnliches  entgegenzustel- 
len. Es  konnte  sie  schon  die  Rücksicht  auf  die  innige  Ver- 
bindung, in  welcher  die  drei  Obergottheiten  ihnen  in 
ihrer  Glaubenslehre  erschienen,  veranlassen,  einen  Trig- 
lav  zu  bilden,  welcher  auch  bei  mehreren  andern,  mit 
den  nordwendischen  Handelsstädten  Handel  treibenden 
heidnischen  Völkern,  wenn  auch  nicht  in  der  äulseren 
Form,  so  doch  in  der  Idee,  vorhanden  war. 

Da  der  Triglav  die  drei  wendischen  Hauptgottheiten 
in  sich  fafste,  so  darf  man  sich  nicht  wundern,  dafs  man 
ihm  an  den  Orten,  wo  sein  Bild  aufgestellt  wurde,  auch 
den  vorzüglichsten  Tempel  widmete.  So  stand  zu  Stet- 
tin Triglavs  Tempel  auf  dem  mittelsten  der  drei  Hügel, 
auf  welchen  die  Stadt  liegt.  Dieser  Tempel,  von  den 
Pommern  Contine  (con-ti-ine)  genannt,  hatte  Holz  wän- 
de, die  von  innen  und  von  aufsen  mit  sehr  naturgetreuen, 
erhobenen  Bildern  von  Menschen,  Vögeln  und  andern 
Thieren  geziert  und  mit  unzerstörbaren  Farben  bemalt 
waren.  In  der  Contine  selbst  waren  die  erbeuteten  Schä- 
tze und  Waffen  der  Feinde,  der  Seeraub  und  anderer 
Kriegserwerb,  wovon  der  zehnte  Theil  allemal  der  Kir- 
che oder  Contine  zufiel,  aufgehäuft.  Auch  goldene  und 
silberne  Becher  zum  Weihsagen  und  Trinken  für  die 
Vornehmen,  grofse,  mit  Gold  und  Edelsteinen  geschmück- 
te, Hörner  von  Auerochsen,  oder  von  wilden  Stieren  zum 
Trinken  und  Blasen  nebst  Dolchen,  Messern  und  ande- 
rem kostbaren  Geräthe  waren  in  der  Kirche  des  Trig- 
lavs, in  welcher  die  Angesehensten  des  Volks  nicht  sel- 
ten nach  vollbrachtem  Opfer  feierliche  Gastmähler  hiel- 
ten, aufbewahrt.  Ist  es  gegründet,  dafs  die  vornehmen 
Pommern  sich  bei  den  feierlichen  Gastmählern  goldenen 
und  silbernen  Geschirrs  bedient  hätten,  wie  Steinbrück 
(p.  36.)  erzählt,  so  bewiese  dies  den  hohen  Stand  der 
Wohlhabenheit,  zu  welcher  die  wendischen  Städte  der 
südwestlichen  Ostseeküste  durch  Handel  und  auf  andere 
Weise  gelangt  waren.     Die  anderen  Continen   zu  Stettin 


—     20Q     — 

waren  nicht  so  prächtig,  als  die  des  Triglav.  Sie  hatten 
nur  im  inneren  Umkreise  Sitzbänke  und  Tische  und 
dienten  nur  zur  gewöhnlichen  Andacht.  Auch  in  Julin 
zeichnete  sich  der  Cultus  des  Triglav  aus ,  so  wie  auch 
zu  Rhetra.  Am  letzteren  Orte  waren  auch  die  Holzwän- 
de des  Haupttempels  von  aufsen  mit  Schnitzwerk  bedeckt. 
Dieser  von  Kaiser  Otto  I.  zerstörte  Tempel  stand  auf  ei^ 
jiem  Fundamente  von  lauter  Stierhörnern,  ^"^  die  eine 
religiöse  Bedeutung  hatten  und  bei  den  Opfern  nicht 
mit  verbrannt  wurden.  In  Karenz  hatte  die  grofse  Con- 
tine  keine  hölzerpeo  Wände,  sondern  statt  der  letzteren 
purpurne  Vorhänge,  und  ihr  Dach  ruhete  auf  Säulen, 
welches  andeutet,  dafs  die  Karenzische  Religion  von  der 
zu  Rhetra  etwas  abweichend  war. 

In  Grofsers  Abbildungen  erscheint  Triglav  in  weib^ 
lieber  Form.  Er  steht  mit  einem  Beine  gerade,  das  an- 
dere ist  aber  etwas  gebogen  und  mit  beiden  Händen 
hält  er  einen  halben  Mond  auf  der  Brust.  Man  ist  un- 
gewifs,  sagt  Steinbrück  p.  35.,  ob  Triglav  zu  den  Göt-^ 
tern  oder  Göttinnen  zu  zählen  ist,  selbst  die  Römer 
waren  bei  der  Erblickung  des  Mondes  zweifelhaft.  Dar- 
über aber,  dafs  Triglav  in  weiblicher  Gestalt  dargestellt 
wurde,  darf  man  sich,  nach  meinem  Dafürhalten,  nicht 


54  Im  Jahre  1831  wurde  Behufs  der  Anlegung  eines  Weges  die 
grofse,  sogenannte  Schwedenschanze,  ohnweit  Stargardt  bei 
Guben,  die  200  Fufs  im  Durchmesser  hat  und  12  bis  16 
Fuls  hoch  ist,  an  zviei  Stellen  durchgegraben.  Der  Grund 
des  Walles  dieses  Rodzischczo  (ara  einer  Gottheit)  enthielt 
Jjis  T.n  einer  Höhe  von  6  Fufs  lauter  Knochen  von  grofsen 
und  kleinen  Thieren ,  wobei  auch  Hörner,  wahrscheinlich 
von  Ziegen  und  Schaafen,  so  wie  auch  Ueberbleibsel  von 
Urnen  zum  Vorscheine  kamen.  Auch  sind  aus  dem  inneren 
Räume  des  Werkes  vor  nicht  gar  langer  Zeit  viele  Steine, 
womit  die  Fläche  wahrscheinlich  gepflastert  gewesen  ist, 
ausgegraben  worden,  Vergl.  den  Bericht  über  die  Schwe- 
^enschanze  in  Stargardt  in  der  Niederlausitz  im  neuen  Lau- 
sitaisehen  Magazin,  Jahrgang  1832»  I.  Heft,  p.  87, 


—     ^01     — 

wundern,  weil  er  in  clor  That  zwei  Mondgottheiten  in 
sich  falste.  Der  Mond,  den  Tri^lav  mit  beiden  Händen 
hielt,  deutete  auch  an,  dafs  er  eine  Gottheit  sey,  in  wel- 
cher das  mondgöttliche  Wesen  vorherrsche.  Wahrschein- 
lich staunten  die  Römer  (Christen)  deshalb  bei  der  Er- 
blickung des,  einen  Mond  in  Händen  haltenden,  Trig- 
lavs,  weil  er  ihnen  eine  AehnUchkeit  mit  der  Maria 
hatte. 

Der  nackende,  nicht  mit  Spiels  und  Schwerdt  be- 
waffnete, Triglav  erscheint  als  ein  theils  auf  geschichtli- 
chem, theils  auf  dem  Wege  späterer  Speculation  entstan- 
denes Symbol  einer  sublimeren  Religions-Ansicht,  ^^  die 
bis  in  die  hohe  Region  des  christlichen  Monotheismus 
streifte,  und  die  selbst  der  christlichen  Dreieinigkeitslehre 
ähnelte,  ohne),  wie  schon  bemerkt,  auf  dem  Boden  der- 
selben entsprossen  zu  seyn. 

Die  Götterdreiheit  zu  Karenz  auf  Rügen  bestand 
aus  Rugiäwith,  Porewith  und  Porenit.  Den  Rugiäwith, 
der  mit  sieben  Köpfen  und  sieben  Schwerdtern  und  mit 
dem  achten  in  der  Hand  abgebildet  wurde,  halte  ich 
für  einen  besonders  modificirten  Mondgott  derjenigen 
späteren  heidnischen  Zeit,  die  an  die  Zeit  der  Einfüh-» 
rung  des  Christenthums  grenzte,  und  in  welcher  auch 
in  Skandinavien  und  Böhmen  (der  Mädchenkrieg)  die 
zwölf  Monate  und  die  sieben  Planeten  in  die  Com' 
Position  des  Hauptgotts  aufgenommen  wurden.  Für  dig 
Annahme,  dafs  Rugiäwith  eine  Mondgottheit  war,  spricht 
ohnstreitig  die  Zusammensetzung  seines  Namens.  Der- 
selbe ist  nämlich  aus  Ru,  ugie,  oder  ugia  und  with  ent- 
standen. Nach  dieser  Etymologie  beifst  Rugiäwith:  Mojcid- 


95  Wahrscheinlicli  ahneten  die  oberen  wendischen  Priester  der 
Slaven  auch  eine  Gottheit,  die  ihren  Thron  über  dem  Mon- 
de, der  Sonne  und  über  den  Tausenden  von  Sternen  aufge- 
richtet hatte,  einen  Parabrama,  Auxtheias  Vissagist,  Boh 
werschny. 


—     202     — 

göttin  als  Gott,  oder  *in  aus  einer  (alten)  Mondgöttin 
entstandener  Gott.  Rugiävvith  ist  demnach  dem  Rade- 
gast ähnlich.  In  der  That  hat  er  auch  eben  so  gut  mond- 
göttliche Kiemente  in  sich,  als  Radegast.  Obgleich  Ru- 
giävvith nach  dem  Glauben  der  Karenzer  (Rügier)  Letz- 
tere so  wie  überhaupt  zum  Kriegeskampfe,  so  insonder- 
heit zum  mörderischen  Rache- Kampfe  führte,  so  ist  es 
doch  ein  Irrthum ,  wenn  Frencel  (S.  134.)  Rugiäwith 
durch  Rachegott  der  Rügier  übersetzt.  Der  König  Wal- 
demar  I.  von  Dännemark  eroberte  im  Jahre  1168  die 
beiden  Rügischen  Hauptstädte  Arcona  und  Karenz.  Nach 
dieser  Eroberung  wurde  der ,  aus  einem  Eichenslamme 
gehauene,  mit  Schwalbennestern  behangene,  Rugiäwith 
auf  Refehl  des  Dänischen  Rischofs  Absalon  aus  Rosehild 
von  den  Karenzern  selbst  aufserhalb  der  Stadt  verbrannt 
(vergl.  Steinbrück  p.  29.). 

Porewith,  den  Steinbrück  Barovit  nennt,  nimmt  die 
zweite  Stelle  in  der  Karenzischen  Trias  ein.  Sein  Name 
ist  aus  Por  und  with  entstanden.  Das  e  in  der  Mitte 
des  Worts  ist  wegen  des  Wohlklangs  hineingeschoben, 
wie  in  Barovit  das  o.  Das  Por,  welches  aus  po  und  or 
zusammengesetzt  ist,  wie  Bar  aus  ba  und  ar,  bedeutet 
schon  an  sich  Berggott,  Sonnengott.  Das  with  oder  wit, 
vit,  deus,  ist  angehangen.  Porewith  konnte  auch  Pore- 
mut, oder  Poremuz  (Sonnenmann,  Sonnengott)  heifsen, 
nicht  aber  Porenuz,  oder  Porenit ,  welches  letztere  Wort 
eine  Göttin  andeutet.  Steinbrück  irrt  daher,  wenn' er  Po- 
jrewith,  Poremuz,  Poremut,  Porenuz  und  Porenit  für 
gleichbedeutend  hält.  Porewith  oder  Barovit  war  ohn- 
streitis  der  alte  Karenzische  Sonnengott,  und  seine  Idee 
lag  auch ,  wie  schon  bemerkt ,  höchstwahrscheinlich  dem 
Arconaischen  Swantowit  zu  Grunde,  wenn  auch  dem 
Letzteren  das  Gesicht  auf  der  Brust,  das  Schwerdt  und 
Füllhorn  mangelt.  Dem  Porewith  brachte  man  Pferde 
imd  Hähne  zum  Opfer,  welches  ihn  als  einen  Sonnen- 
gott bezeichnet.  Das  Gesicht  auf  der  Brust  halte  ich 
für  das  die  Person  bezeichnende,     die  vier  oberen  aber 


—    205     — 

deuten  die  vier  Jahreszeiten  und  mithin  die  Herrschaft 
der  Sonne  durchs  Jahr  an.  Steinbrück  bemerkt,  dafs 
die  fünf  Köpfe  des  Barovit  oder  Porewith  die  fünf  Sin- 
ne des  Menschen  bezeichnet  haben.  Diese  Interpretation 
aber,  wenn  sie  je  Statt  gehabt  hat,  gehört  der  spätesten 
Religionsperiode  an.  Wurde  Porewith  wirklich  ohne 
Schwerdt  und  Spiefs  dargestellt,  so  beurkundet  dies, 
dafs  er  zu  den  ganz  alten  Sonnengöttern  gehörte,  die 
den  Frieden  liebten,  denen  Menschenmord  ein  Gräuel 
war,  und  die  nur  dann  die  mörderische  Waffe  ergriffen, 
wenn  es  die  Selbstvertheidigung  galt.  Dafs  ich  die  Ge- 
richts- oder  Gerechtigkeits- Göttin  Prowe  oder  Porowe 
für  den  weiblichen  Theil  des  nordwendischen  alten  Re- 
ligions-Dualismus (Sonnen-  und  Mond-Cultus)  halte,  ist 
schon  bemerkt  worden. 

Herr  Professor  Mone  führt  (I.  p,  205.)  Porenut  als 
die  dritte  Gottheit  in  der  Karenzischen  Trimurti  auf. 
Nach  der  Regel  mufs  diese  Gottheit  eine  rein  weibliche 
seyn.  Dem  Namen  nach  ist  Porenut  (por-nu-ut)  ein 
Mondgott.  Richtiger  ist  Porenit,  dessen  Endung  weib- 
lich ist.  Wenn  schon  Porenut  eine  diesfallsige  Anoma- 
lie ist ,  so  noch  mehr  seine  Darstellung  in  einem  fünf- 
köpfigen Bilde.  Ich  kann  nicht  umhin  diese  Darstellung 
als  unächt  und  untergeschoben  zu  erklären.  Die  erwähn- 
te Darstellung  kann  nur  einen  Sonnengott  und  höch- 
stens einen  späteren  Mondgott  bezeichnen.  Der  Irr- 
thum,  dafs  man  der  Porenit  auch  die  Attribute  eines 
Sonnengotts  zugeschrieben,  ist  ohnstreitig  aus  der  Iden- 
tificirung  der  Namen  Porewith,  Poromuz,  Poromut,  uud 
Porenut  oder  Porenit,  die  sich  auch  Steinbrück  hat  zu 
Schulden  kommen  lassen,  entstanden.  Immerhin  konnte 
die  dritte  Gottheit  in  der  Karenzischen  Trias  Porenit 
oder  Poronet  (nicht  Porenut)  heifsen,  als  Sonnen-  oder 
Mondgott  konnte  sie  aber  nicht  dargestellt  wei-den.  So 
wenig  ich  nachzuweisen  vermag,  in  welcher  Form  die 
Porenit  dargestellt  wurde,  so  sehr  glaube  ich,  mich  auf 
die  Natur  der  Götterdreiheiten  so  wie  auf  die  Analogie 


—    204     — 

anderer  Religionen  stützend,  dafs  sie  der  Prowe  ähnlich 
war  und  dafs  das ,  was  von  letzterer  gilt ,  auch  grölsten- 
theils  ihr  zukommt.  Porenit  und  Prowe  sind  nach  mei- 
nem Dafürhalten  Synonima,  und  nur  in  der  Endung  ver- 
schieden. Die  Endung  owe  in  Prowe  bedeutet  ein  weib- 
liches Wesen,  wie  schon  oben  bemerkt  und  ni-it  be- 
zeichnet die  Mondgöttin.  In  der  Idee  rnufste  die  Karen- 
zische Porenit  der  skandinavischen  Freia ,  der  preufsi- 
schen  Pikolos,  der  Arkonaischen  Prowe  und  der  indi- 
schen Schiwen  ähnlich  seyn. 

Die  Nachricht:  dafs  die  Karenzische  Götterdreiheit 
Ehebruch  und  Unzucht  streng  bestrafte ,  weiset  nicht 
nur  auf  die  dort  geltenden  alten  Moralgesetze,  sondern 
auch  auf  das  hohe  Alter  des  Porewith  und  der  Porenit 
hin,  und  man  darf  auch  deshalb  um  so  weniger  anneh- 
men, dafs  Porenit  eine  spätere  religiöse  Abnormität  ge- 
wesen ist. 

Zu  Rhetra  (re-te-era,  eine  in  einer  ebenen  Gegend 
gelegene  Stadt)  bestand  die  Avendische  Trias  aus  Rugi- 
wit,  Karewit  und  Hirovit.  Rugiwit  (ru-ugi-wit)  ist  nur 
eine  andere  Sprech-  und  Schreibart  des  Karenzischen  Ru- 
giäwit.  Rugiwit  und  Karewit  wurden,  wie  Mone  (I. 
p.  206.)  erzählt,  in  einem  Bilde  mit  vier  männlichen 
und  zwei  weiblichen  Gesichtern  so  wie  mit  einem  Lö- 
wenkopfe dargestellt.  Diese  Darstellune  zeigte  an,  dafs 
in  beiden  das  Männliche  vorherrschte.  Welcher  von  bei- 
den vvar  aber  der  alte  Sonnengott  in  der  Rhetraischen 
Triraurti,  Rugiwit  oder  Karewit?  Dies  ist  mir  nicht 
deutlich.  Höchst  wahrscheinlich  waren  beide  spätere 
Mondgötter,  von  denen  aber  vorzugsweise  Karewit  sich 
durch  seine  mondgöttliche  Form,  nämlich  durch  sei- 
ne fast  nackende  Gestalt,  durch  seinen  Kopf  mit  zwei 
von  Strahlen  umgebenen  Gesichtern  und  durch  einen 
Hahnenkopf  auf  dem  Bauche  auszeichnete.  Karewit  ist 
ohnslreitig  dieselbe  Gottheit,  die  Steinbrück  p.  16.  un- 
ter dem  Namen  Herovit  oder  Gerovit  aufführt.    Das  g 


—     ^06     — 

und  k  stehen  auf  der  Lautlinie  hart  neben  einander  und 
das  g  fällt  im  Slavischen  bis  h.  Statt  Gora  (der  Berg) 
spricht  man  noch  jetzt  in  der  Oberlausitz  Hora.  Gero- 
vit,  den  ich  mit  Karewit  für  identisch  halte,  wird  von 
Steinbrück  Kriegsgott  genannt,  der  zu  Wolgast,  Julin 
und  Havelberg  verehrt  worden  sey.  Sein  Zeiclien  sey 
ein  grolser,  künstlich  gearbeiteter,  mit  Goldblech  über- 
zogener Schild  gewesen.  Vielleicht  hatte  Rhetra,  aufser' 
dem  in  eine  Person  vereinigten  Rugiwit  und  Karewit 
noch  einen  besonderen  Sonnengott,  oder  es  hatte  sich  in 
diesem  kleineren  Orte,  wo  früher  nur  eine  Mondkirche 
war,  nie  eine  regelmäfsige  Trias  ausgebildet. 

Hirowit  ist  dem  Namen  nach  eine  weibliche  Gott^ 
heit,  oder  eine  Mondgöttin.  Dies  deutet  auch  ihre  Dar- 
stellung an.  Sie  ist  jung,  ihre  Beine  sind  ringförmig 
vereinigt  und  auf  dem  Kopfe  hat  sie  vier  Hörner,  wel- 
che die  Lichtveränderungen  des  Mondes  anzeigen.  Hatte 
Hirovit  eine  männliche,  mit  derselben  Sprachwurzel  be- 
nannte Gottheit  neben  sich,  so  mufste  diese  letztere 
Harovit  oder  Horovit  (gorovit)  heifsen. 

Dafs  die  Südwenden,  d.  h.  die  Bewohner  de*  Lau* 
sitz,  der  Gegenden  der  Mittelelbe,  der  Mulde  und  der 
Saale  auch  eine  göttliche  Trias  gehabt  haben,  ist  schon 
deshalb  nieht  zu  bezweifeln,  weil  die  wendischen  Völker^ 
Schäften  in  den  Hauptlehren  der  Religion  gröfstentheils 
übereinstimmten.  Ueberdies  berichtet  Albinus  in  seiner 
Meifsner  Chronik  p.  299:  „dafs  Radegast  sammt  Swan- 
tewitz  und  Zernebog  von  den  Slaven  um  Meifsen  zu  Be^ 
nonis  Zeiten  verehrt  worden  ist."  So  gewift  es  aber  ist^ 
dafs  die  Oberlausitzischen  und  Meiisnischen  Wenden  die 
Sonne,  die  sie  Svvönzo  d.  h.  die  grofse  Berggottheit  nann- 
ten, als  Gott  verehrt  haben,  so  ist  es  doch  nicht  so  sehr 
gevvifs,  dafs  der  Sonnengott  von  ihnen  durchweg  Swan- 
towit,  oder  Swonzewiz  genannt  worden  ist.  Er  konnte 
auch  einen  andern  Namen,  2.  B.  den  Namen  Auxtheias 
führen. 


—     206     — 

Bemerkt  ist  es  schon  worden,  dafs  sich  vermuthlich 
eine  Spur  von  dem  Glauben  an  den  alten  Sonnengott, 
als  den  Höchsten,  noch  in  der  oberlausitzischen  Grufs- 
Erwiederung:  wersch  pomasy  d.  h.  der  Allerhöchste  helfe 
selbst,  findet. 

Die  ehemalige  Existenz  des  alten  Cultus  des  Son- 
nengotts, in  dessen  Nähe  indefs  auch  in  der  Regel  ei- 
ne, auf  einem  niederen  Orte  liegende  ara  seiner  Ge- 
mahlin, der  Mondgöttin,  sich  fand,  vermuthe  ich  z.  B. 
auf  dem  eine  Meile  von  Görlitz  entfernten  Todtensteine 
bei  Königshayn ,  auf  dem  Opfertische  bei  "Weigsdorf  iu 
dem  Zittauischen  Bezirke,  auf  dem  Spitzberge  bei  Oder- 
witz, auf  der  Lausche  bei  VValtersdorf ,  auf  dem  Tschor- 
nebog  und  Tromberg  bei  Bauzen,  auf  dem  Teufelsstein 
bei  Kleinbauzen,  auf  einem  (jetzt  zersprengten)  Felsen  bei 
Zibelle,  auf  dem  Koschenberge  bei  Senftenberg,  hie  und 
da  auf  den  Felsen  des  Spree-Ufers ,  auf  dem  Soraer  Ber- 
ge, eine  Meile  südlich  von  Bauzen,  auf  dem  Pichow 
zwischen  Arnsdorf  und  Tautewalde,  auf  dem  Hochstein 
bei  Elstra,  auf  mehreren  von  Menschenhänden  der  ebe- 
neren Gegenden  errichteten  Rodzischczen  u.  a.  a.  O.  In 
der  späteren  Zeit,  wo  der  (moderne)  Mondcultus  vor- 
herrschend wurde,  stellte  man  nicht  selten  da,  wo  frü- 
her ein  reiner  Sonn3ngott  verehrt  worden  war,  das  Bild 
eines  (späteren)  Mondgotts  auf.  Man  kann  annehmen, 
dafs  da  ein  späterer  Mondgott  (Flins,  ;Radegast  etc.)  ge- 
standen hat,  wo  man  an  der  ara  einer  männlichen  Gott- 
heit einen  Begräbnifsplatz  findet,  weil  die  Todten,  nach 
den  Vorstellungen  des  Alterthums,  in  die  Nähe  des  Mond- 
gotts, nicht  aber  des  Sonnengotts  gehörten. 

Der  spätere  Mondgott  der  Oberlausitzer  war  Flins 
und  ihre  Mondgöttin  in  manchen  Beziehungen  die  Zi- 
wa,  in  andern  die  Heia,  Dziewiza  etc.,  von  denen  wei- 
terhin gehandelt  werden  soll. 

Auch   die   Germanen  hatten  ihre  Trimurti.    Julius 


—    207     — 

Cäsftr  nennt  sie  (de  bell.  gal.  lib.  VI.)  Sonne,  Vulcan 
und  Mond,  Tacitus  dagegen  Mai's,  R'Teicur  und  Herthura 
oder  Hertha  (Tor,  Odin,  Freia. ).  Mercurius,  dessen  Na- 
me aus  mer-cu-ur  und  ius  zusammengesetzt  ist  und 
Mondgott  bedeutet,  war  lu  Tacitus  Zeit  derjenige  Gott, 
den  die  Germanen  vorzüglich  verehrten.  Deorum  ma- 
xime  Mercurium  colunt  (sagt  Tacitus  germ.  IX.),  cui 
certis  diebus  humanis  quoque  hostiis  litare  fas  habenU 
Cäsar  nennt  ihn  (lib.  VI.)  Vulcanus,  weil  ein  Theil  sei- 
nes Cultus  mit  den  in  Italien  am  23.  August  gefeierten 
Vulcanalibus,  welche  mit  den  früher  erwähnten  russi- 
schen Kupaly  gleiche  Bedeutung  gehabt  zu  haben  schei- 
nen, übereinstimmte.  Der  von  Tacitus  erwähnte  Mer- 
cur  war,  allen  Andeutungen  nach,  der  (spätere)  Mond- 
«nd  Kriegsgott  der  Deutschen  und  ist  demnach  mit  dem 
Radegast,  Flins  etc.  in  eine  und  dieselbe  Kategorie  zu 
stellen.  Dafs  aber  der  deutsche  Mondgott,  zum  minde- 
sten in  dem  östlichen  Germanien,  Woden  (Odin)  hiefs, 
ist  bekannt.  Die  ursprünglich  weibliche  Eigenschaft  des 
Mercur  zeigt  das  e  in  der  Sylbe  mer  an;  das  cur  i.  e. 
dcus  wurde  später  angehangen.  In  seiner  rein  weibli- 
chen Form  scheint  der  (deutsche)  Mercur  Mera  oder 
Mara  geheifsen  zu  haben.  Obgleich  die  Idee  des  Mer- 
curs  bei  den  Römern  vielfach  corrumpirt  wurde,  so  liefs 
man  ihm  doch  das  Amt  des  Seelenfübrens ,  das  er  als 
reine  Mondgöttin  früher  hatte. 

Den  Sonnengott  der  Germanen  nennt  Tacitus  Mars 
(mar-as,  Berggott).  Obgleich  dieser  Gott  auch  in  Deutsch- 
land diesen  Namen  führen  konnte,  weil  die  Wurzel 
mur,  mor,  mar,  mer,  mir  auch  in  der  deutschen  Spra- 
che (Marder,  Mark,  Marburg,  Markersdorf)  nicht  selten 
vorkommt,  so  ist  es  doch  höchst  wahrscheinlich,  dafs 
er  in  vielen  Gegenden  Deutschlands  auch  Tor  hiefs  und 
dafs  er  in  seiner  Repräsentation  dem  wendischen  Swan- 
towit  glich.  Julius  Cäsar  giebt  uns  (1.  1.)  die  ursprüng- 
liche Vorstellung  des  Mars,  indem  er  ihn  Sol,  Sonne, 
Sonnengott  nennt.    Neben  dem  Mars  nennt  Tacitus  (IX.) 


—     208     — 

den  Hercules,  und  sagt,  dafs  die  Germanen  beiden  Thie- 
re  geopfert  hätten.  Dafs  sich  Tacitus  (1.  1.)  einen  Held 
denkt,  dies  ist  wohl  nicht  zu  bezweifeln,  und  Manche  haben 
daher  vorgeschlagen:  dafs  rnan  statt  Herculem  ac  Mar- 
tern, Herculem  seu  Martern  lesen  solle.  Welche  religiöse 
Vorstellung  liegt  aber  dem  erwähnten  deutschen  Hercu- 
les zu  Grunde?  Aus  dem  Namen  Hercules  (her-cul-es), 
der  einen  Mondgott  bezeichnet,  läfst  sich  diesfalls  nichts 
folgern,  weil  jedenfalls  der  deutsche  und  der  griechische 
Hercules  sehr  von  einander  verschieden  sind ,  und  weil 
^ie  Deutschen  den  in  Rede  stehenden  Gott  gewifs  nicht 
Hercules  nannten.  Nimmt  man  an,  dafs  Tacitus  durch 
Hercules  nur  einen  göttlichen,  die  Völker  zum  mörde- 
rischen Kriegeskampf  führenden  Helden  verstanden  habe, 
so  ist  unter  dem  Hercules  höchst  wahrscheinlich  ein  spä- 
terer Mondgott,  z.  B.  der  Woden  oder  Odin  zu  verste- 
hen, den  die  Ostgermanen  kannten  und  verehrten.  In 
diesem  Falle  wäre  der  deutsche  Hercules  des  Tacitus 
das,  was  er  seinem  Namen  nach  ist,  nämlich  ein  Mond- 
gott und  von  -dem  Mondgotte  der  Westgermanen  und 
Gallier,  dem  Mercurius,  in  der  Idee  nicht  verschieden. 
Indefs  scheint  der  in  Rede  stehende  Hercules  '^  doch  et- 


96  Der  im  III.  Cap.  des  Tf'aci'tus  erwähnte  Hercules  ist  olin- 
streitig,  obgleich  dem  lateinischen  Namen  nach  nur  ein 
Mondgott ,  der  von  den  Deutschen  und  Slaven  verehrte^  das 
Volk  in  Kampf  ftir  Pveligion ,  Freiheit  und  Vaterland  füh- 
rende Sonnengott,  der  im  IX,  Cap.  genannte  aber,  wenn 
er  mit  dem  Mars  nicht  identisch  ist,  ruht  mit  dem  grie- 
chischen Hercules  ziemlich  auf  derselben  historischen  That- 
sache.  Der  letztere  ist  ohne  Zweifel  in  seinen  iQyoi'g  und 
ätuQfQyotg  eine  auf  griechische  Art  colorirte  Andeutung  der 
Mühen  und  Kämpfe,  welche  die  kräftigen,  Gerechtigkeit 
(Hinrichtung  des  Busiris  und  Emanthion)  Und  Humanität 
(Befreiung  des  Prometheus)  übenden,  den  Tod  nicht  scheuen- 
den (das  Heraufholen  des  Cerberus)  Menschen  der  fernen 
Vorzeit  unter  Leitung  ihrer  Priester  bei  der  Cultivirung 
des  Erdbodens  (vergleiche  christliche  Mönche),  insonder- 
heit aber  bei  der  Ausrottung  schädlicher  Thiere  (Nemäischer 


—     209     — 

was  Anderes  anzudeuten ,  nls  einen  blofsen  ( ßpatcren ) 
Mondgott,  weil  Tacitus  von  ihm  und  von  dem  Mars  (c. 
IX)  sagt:  Herculem  ac  Martern  concessis  onimalibus  pta- 
cant.  Die  Nachricht  des  "Tacitus:  dufs  die  Deutschen 
nur  dem  Mond-  und  Kriegsgott  Mercur  Menschenopfer 
darbrächten  (cerlis  diebus  humanis  quoque  hostiis  litare 
fas  habent),  dem  Hercules  und  Mars  aber  nur  Thiere 
opferten,  scheint  anzudeuten,  dafs  Hercules  eine  alte,  viel- 
fach für  das  Wohl  und  Heil  der  Menschheit  wirkende, 
nicht  Menschenopfer  fordernde  Gottheit  war,  welche  die 
alte  Sonnenreligion  in  ihrem  wohlthätigen  Einflüsse  auf 
die  Landescuitur  und  auf  die  Gründung  heilsamer  lusti^ 
tutionen  darstellte  und  die  mithin  dem  Bogus  oder  JBac- 
chus,  dem  russischen  Korsch,  dem  litthauisch-preufsi* 
sehen  Curcho  und  dem  wendischen  Crodo,  die  auch  Hel= 


Löwe,  Lerhäisciie  Schlange,  Erymantlieisclie  Eber)  bei  der 
Zähmung  der  Tliiere  (die  Diomedischen  Pferde),  hei  der" 
Verpflanzung  südlicher  Nutzthiere  (Geryons  Ochsen)  und 
Fruchtbäume  (die  Aepfel  der  Hesperiden)  nach  nördlichen 
Gegenden,  bei  der  Anlegung  von  Strafsen  (über  die  Gara- 
jas  oder  Alpen)  und  Canälen  (Austrncknung  des  Thessali-- 
sehen  Tempe),  bei  weiteren  Seereisen  (Argenauten,  Hercu- 
les Tyrius)  u,  s.  w.  zu  bestehen  hatten.  So  stark  und  inu- 
thig  auch  die  riesenartigen  Männer  waren,  deren  RepräseUi 
tant  Hercules  ist,  so  zeigten  sie  sich  doch  nachgiebig  ge^ 
gen  das  scliwächere  Geschlecht,  wenn  sie  sich  die  Liebe  des  ■ 
selben  durch  ihre  Thaten  erworben  hatten  (Omphale,  Vergl, 
die  Ritter  des  Mittelalters),  Hercules,  dessen  Idee  älter 
war,  als  des  modernen  Jupiters,  wurde  aber,  seines  jnorali-' 
sehen  Gehalts  ungeachtet,  in  die  Göttergesellschaft  der  spä- 
teren Griechen  und  E.ömer  nicht  aufgenommen,  weil  er 
eine  religio  antiqua  und  agrestris  repraisentirte,  die  mit  dem 
späteren  Jupiter-Fetischismus  lange  Zeit  im  Widerstreit  blieb 
(Todtschlag  des  Lehi-ers  Linus,  Verletzung  des  Delphischen 
Heiligthums  u.  s.  w. ),  und  deren  AVerth  erst  dann,  nach- 
dem sie  untergegangen  war,  anerkannt  wiirde  (Jünö  läfst 
ihren  Zorn  gegen  ilui  fahren,  er  wird  in  den  Himmel  auf- 
genommen und  erhält  Hebe,  die  Göttin  der  Jugend,  zur  Oe* 
mahlin  )< 

14 


—     210     — 

den  in  ihrer  Art  waren,  glich.  Das,  was  Tacitus  (c. IL) 
von  Tuisco  und  Mannus  berichtet,  ist  ohnstreitig  ein  Pro- 
duct  der  Poesie  der  Barden,  die  schon  zur  Zeit  des  rö- 
mischen Schriftstellers,  wie  die  griechischen  und  römi- 
schen Theologen  und  Dichter,  so  wie  die  späteren  skan- 
dinavischen Skalden,  das  Religiöse  und  Politische  com- 
miscirten.  Für  die  wahren  Conditores  gentis  germanicae 
wurden  früher  ohnstreitig  nur  allein  die  Sonne  und  der 
Mond  gehalten.  Späterhin  supponirte  man  jedoch  den 
himmlischen  Herrschern  zwei  wirkliche  oder  erdichtete 
■weltliche  Fürsten,  Tuisco  und  Mann,  von  welchen  die 
Teutschen  abstammen  sollten.  Bemerkt  ist  es  indefs  schon 
worden,  dafs  es  ein  grober  Irrthum  ist,  wenn  man  den 
Namen  der  Deutschen  von  Tuisco  ableitet,  so  wie  es 
auch  eine  religiöse  Anomalie  ist,  sich  einen  deum  terra 
«ditmn  (c.  II.)  zu  denken. 

Die  Mondgöttin  der  Germanen  kommt  bei  Tacitus 
unter  dem  Namen  Isis,  Herthus  (Herthis,  Herthum)  und 
Alcis  vor.  Man  darf  die  germanische  Isis  nicht  gerade 
für  dieselbe  Mondgöttin  halten,  die  uns  der  ägyptische, 
durch  politische  Elemente  depravirte  Mythus  vorführt. 
Eben  so  wenig  kann  es  hinlänglich  nachgewiesen  wer- 
den, dafs  der  (spätere)  ägyptische  Isis-Cultus  von  den 
Aegyptern  durch  Priester  -  Colonien  und  Missionen  sich 
bis  Germanien  verbreitet  habe,  wenn  es  auch  nicht  ge- 
läugnet  werden  kann,  dafs  er  den  Griechen  und  Römern 
bekannt  geworden  ist.  Obgleich  Tacitus  die  germanische 
(suevische)  Isis  wenig  beschreibt,  so  geht  doch  aus  der 
kurzen  Nachricht,  die  er  von  dem  Cultus  derselben  giebt, 
hervor,  dafs  sie  die  alte  Mondgöttin  war,  welche  die 
Menschen  in  dem  Acker-,  Garten-  und  Weinbau  unter- 
wies (Ceres,  Pomona,  Ziwa),  und  die  sie  lehrte,  die 
Flüsse  in  ausgehöhlten  Baumstämmen  zu  beschiffen.  Sie 
wurde  selbst  in  dem  Bilde  eines  leichten  Fahrzeugs  (Jacht) 
repräsentirt,  welches  entweder  den  Einflufs  andeutet,  den 
sie  auf  die  Erfindung  der  leichten  Fahrzeuge,  so  wie 
auch  als  Göttin   der  Wissenschaften  und  Künste  auf  alle 


—    211     — 

menschliche  Erfindungen  gehabt  hat,  oder,  was  noch 
wahrscheinlicher  ist,  den  Halbmond,  der  gleich  einem 
leichten  Fahrzeuge  durch  den  Himrnelsraum  zu  schiffen 
scheint,  bezeichnet.  Gewifs  irrt  Tacitus,  wenn  er  den 
Cultus  der  deutschen  Isis  für  ein  peregrinum  (aegyptia- 
cum?)  sacrum  hält.  Die  Mondgöttin  verehrten  alle  Völ- 
ker. Obgleich  die  religiösen  Vov«rellungen  in  diesem 
Falle  so  ziemlich  dieselben  waren,  so  hatten,  ^^^^  doch 
dieselben  in  Aegypten  auf  eine  eigen thümliche  Weise  ^>, 
bildet. 

Etwas  Aehnliches  war  sonder  Zweifel  auch  in  Ger- 
manien geschehen.  Cäsar,  der  die  deutsche  Religion  ziem- 
lich in  ihrer  primitiven  Gestalt  aufgefafst  hat,  nennt 
die  deutsche  Göttin  Luna.  Diese  Luna  war  zunächst  al- 
lerdings der  Mond;  aber  in  ihrer  Function  auf  Erdeh 
stand  sie  in  verschiedenen  Beziehungen  zu  den  Men- 
schen, und  war  ein  Inbegriff  mehrerer  Göttinnen  der 
römischen  Idololatrie,  Höchst  wahrscheinlich  war  auch 
die  germanische  Isis  eine  dea  summates,  wie  die  ägypti- 
sche, welche  letztere  bekanntlich  die  gebildeten  Römefr 
deshalb  so  anzog,  weil  ihre  Idee  universeller,  reiner  unff 
naturreligiöser  war,  als  die  Idee  irgend  einer  der  römi- 
schen Göttinnen. 

Der  Name  der  von  Tacitus  (c.  XL.)  erwähnten  germa. 
nischen  Göttin  hat  den  Intei-preten  viel  zu  schaffen  gemacht. 
Dies  wäre  nicht  der  Fall  gewesen,  wenn  Tacitus  Hertham  ge- 
schrieben hätte.  Denn  Hertha,  welches  Wort  aus  her  und  ethä 
oder  esa  zusammengesetzt  und  mit  Here,  Hora  gleichbedeu- 
tend ist,  stünde  hier  am  rechten  Orte.  Indefs  behaupten  die 
mehresten  Erklärer:  dafs  Tacitus  nicht  Hertham,  sondern 
Herthum  geschrieben,  und  dafs  ihm  der  deutsche  Geni- 
tiv Hertha's  zu  dieser  Schreibart  Veranlassung  gegeben 
habe.  So  wenig  gegen  diese  Behauptung  einzuwenden 
ist,  wenn  man  zugiebt,  dafs  Herthus  dem  weiblichen  Ge- 
schlechte angehört,  so  sehr  ist  es  zu  verwundern,  dafs 
Einige  wähnen,     dafs   das   von  Tacitus   gebrauchte  Wort 

14* 


—     212     — 

nicht  Herthus,     sondern  Nerthus  gelautet  habe  -und  dafs 
Nerthus  eine  Nachbildung  des  skandinavischen  Njörd  oder 
Njördr  sey.     Obgleich  Njörd    (ner-ed)    und  Njördr  (ner- 
der)  ursprünglich  eben  so  gut  den  Mond,  oder  die  Mond- 
göttin bedeut^et,     als  Hertha,     so  ist  es  doch  wohl  nicht 
zu   erweisen,     dafs   die  später  bei  den  Skandinaven  zum 
Mond-  und  Monats -Gott  exUobene,   von  den  Wanen  re- 
r'n'rte  Niöv'  ^^    i'acitus  Zeit  von  den  Germanen  verehrt 
^.uen  ist.     Wenn  es   auch   nicht    zu  läugnen  ist,     dafs 
in  der  deutschen  Sprache  die  Wurzel  nur,  nor,  nar,  ner, 
nir  z.  B.  in  nördlich,    Narr,   nergeln  u.  s,  w.  vorkommt, 
so  doch  noch  öfterer  die  Wurzel  hur,  hör,  har,  her,  hir, 
und   es    ist   auch  aus  diesem    Grunde   nicht   erforderlich, 
sich  für    die  Lesart   Nerthus   zu    erklären.     Auch   ist   die 
Meinung  derjenigen  zu  beleuchten:  die  in  dem  Herthum 
des  Tacitus  ein    Wort   unbestimmten    Geschlechts,     oder 
ein  Neutrum  finden.    Diese  Meinung  ist  nicht  so  grund- 
los, als  sie  bei  dem  ersten  Anblicke  erscheint.  Man  kann 
€S  als  gewifs  annehmen,    dafs  der  fleifsig  forschende  Ta- 
citus, ehe  er  sein  Werk  über  Deutschland  schrieb,  auch 
von  Deutschen,    insonderheit  von  in  Deutschland  gereis- 
ten Kaufleuten,  Erkundigungen  über  die  deutschen  Gott- 
heiten  einzog.      Von   den    Befragten    erhielt   er   die   Aus- 
kunft:    dafs  mehrere    germanische,     an   der  Ostsee  woh- 
nenden Völkerschaften  auf  einer  im  Meere  gelegenen  In- 
sel gemeinschaftlich   eine  grofse  Gottheit  verehrten,     die 
ihm  sonder  Zweifel  mit  dem  Namen  Herdo  oder  Hertho 
genannt  wurde.     Das   Hertho,     welches    dem  Tacitus  als 
ein    Wort   unbestimmten   Geschlechts  bezeichnet   wurde, 
gab  Letzterer  treu  durch  Herthum  wieder.     Dafs  es  aber 
in  Germanien   und  Slavonien ,     so   wie   auch   anderw^ärts 
gewöhnlich  war,  die  von   V'ielen  verehrten  und  viel  um- 
fassenden Gottheiten   mit  einem  Worte  vom  unbestimm- 
ten Geschlechte  (neutro)  zu  benennen,    dies  ist  unläug. 
bar.     Solche  Wörter  sind  z.  B.  Crodo,  Juno,  Lado,  Cur- 
cho,  Henilo,  Fricco  u.  s.  w.     Auch  der  angeführte  Für- 
stenname (Fürstentitel)  Tuisco  gehört   zu  der  Classe  der 
angeführten  Wörter. 


—     213     — 

Da  das  Hertho,  Horthonur  zwei  verschiedene  Formen 
eines  und   desselben  Worts    sind,     so   ist    es   sehr    wahr- 
scheinlich, dafs  Hertho,   Hordo  dieselbe  grofse  Berggott- 
heit ist,     die   man   gewöhnlich   den  Wenden  unter  dem 
Namen  Crodo  zvischreibt.     IndeLs  erscheint    die  androgy- 
nische    Gottheit    Crodo,     Hordo     (Curcho)   bei   Tacitus 
ganz    weiblich.     Sie   wird    von   dem    erwähnten    Schrift- 
steller terra  mater  genannt.     Auch  wird  von   ihr  berich- 
tet: dafs  sie  bei  den  menschlichen  Handlungen  und  Ge- 
schäften zugegen  sey,   dieselben  sehe,    höre   (intervenire 
rebus  höminum),  und  unter  den  Völkeru   herumwandele 
(invehi  populisl);     was  Alles,     nach  den  religiösen  Vor- 
stellungen des  Alterthums,    einer  Göttin  zukam.     Ferner 
zeugt  auch  die  Nachricht    von  der  weiblichen  Natur  der 
Gottheit,  dafs  sie  auf  einem  (niedrigen)  Fuhrwerke  (ve- 
hiculum)  von  ( vermuthlich    schwarzen)  Kühen  gefahren 
wurde.     Hätte   die    in  Rede   stehende  Gottheit    den  Ger- 
manen als  ein   politischer  Sonnengott,     oder  nur  als  ein 
(späterer)  Mondgott  gegolten,     so   mufsten  ihren  Wagen 
Stiere,  oder  Rosse  ziehen.     Da  die  hier  betrachtete  Gott- 
heit durchaus  als  eine  weibliche  erscheint,  so  ist  es  wohl 
unbedenklich,  sie  Hertha  zu  nennen,  wenn  auch  Tacitus 
Herthus,   oder  Herthum  geschrieben  haben   sollte.     Statt 
Hertha  könnte   man   auch   die   Form  Hert   (her -et)    ge- 
brauchen,   welche  dann  in  Hort,  (hor-ot,  Berggott)  Ho- 
rus  etc.  ihren  Gegensatz  haben  würde.     Diejenigen  irren 
aber,    welche  annehmen,    dafs  die  mehrerwähnte  Göttin 
ihren  Namen  von  dem   deutschen  Worte  Erde  und  dem 
golhischen   airtha    habe.     Eher    kann    die    Erde,     dieser 
Schauplatz  der  (niederen)  Thätigkeit  der  Mondgöttin,  ih- 
ren Namen  von  der  Göttin  Herta  empfangen  haben,  als 
umgekehrt.     Auch  iiTt  man,     wenn  man  die  Ortsnamen 
Harthe,  Herthiswalde,  Herzberg  etc.  von  der  Göttin  Her- 
tha ableitet.  Diese  Namen  sind,  wie  alle  alte  Ortsnamen, 
nicht  abgeleitete,     sondern  primitive,    und  Harthe  z,  B. 
heilst  weiter  nichts,  als  ein,  an  einem  Berge  (har)  gele- 
genes Dorf  (athe,  ase,  aze). 


—     ^1.4,.    ^ 

So  wie  die  Plertha  die  uralte  Mon^göttin  der,  vor 
der  Einwanderung  der  Wenden  im  Mecklenburgischen, 
Vorpommern  und  auf  Rügen  wohnenden,  Germanen  war, 
so  verehrten  dagegen  die  Lygischen  Naharvaien  die  Al- 
ois als  eine  alte  Nationalgottheit.  Der  Name  Alcis  ist 
^us  hal,  die  Sonne,  zin,  der  Berg  und  is,  ein  weibliches 
Wesen,  entstanden,  und  bezeichnet  mithin  eine  Sonnen- 
göttin, (Sonnengottsgemahlin)  oder,  wie  man  gewöhnli- 
cher spricht,  eine  Mondgöttin. 

Die  naharvalische  Alcis  wurde  höchstwahrscheinlich 
mit  einem  Doppelgesichte  oder  in  einer  Doppelgestalt  '^ 
dargestellt,  weil  die  Pvömer  sie,  wie  Tacitus  (germ,  XLIII.) 
berichtet,  fUr^  Castor  und  Pollux  hielten.  Sie  war  in  die- 
ser Foi'm  ohnstreitig  die  Repräsentation  des  ursprüngli- 
chen Religions-Dualismus ,  wie  auch  der  römische  Janus. 
Wenn  in  dem  römischen  Janus  das  Männliche  vorherrschend 
blieb,  so  herrschte  dagegen  in  der  germanischen  Alcis  das 
Weibliche  vor,  welches  Letztere  nicht  auffallen  kann, 
wenn  man  eingedenk  ist,  dafs  der  Mondcultus  in  den 
späteren  Zeiten  fast  überall,  vorzüglich  aber  in  den  nörd- 


^7  Die  beiden  Hole,  von  welchen  eines  in  Rheinhessen  bei  AI- 
zey,  von  Dr.  Emele,  das  andere  aber  1825  in  der  Nähe  des 
Hohnsteins  bei  Elstra  in  der  Oberlausitz  gefunden  und  spä- 
ter zur  Sammlung  vaterländischer  Alterthümer  in  Dresden 
abgeliefert  worden   ist   (vergleiche  Neues  Lausitzisches  Ma- 

,  gazin  ,  8.  Bd.  I.  H.  p.  63 ) ,  sind  ohnstreitig  Gopien  des  Bil- 
des der  Alcis  -  Gottheit.  Der  obere  Theil  dieser  Idole  reprä- 
sentirt  den  Sonnengott,  der  untere  die  Mondgöttin.  Der 
Helm ,  Schild  und  Spiels  dieser  Idole  deutet  den  kämpfen- 
den Sonnengott  an,  der  Fisch  aber  bezeichnet  die  Herrschaft 
der  Mondgöttin  über  das  Niedere.  Der  (  das )  Crodo  ruhte 
mit  Alcis  ursprünglich  auf  derselben  religiösen  Idee;  indefs 
erschien  in  Crodo  (auf  einem  Fische  stehend)  der  Sonnen- 
gott nur  als  Früchte  -  Spender.  Crodo  (cor  oder  gor-odo) 
heilst  Berggottheit.  Dafs  der  Ort  Alzey  von  Alcis  und  nicht 
von  der  Beschaffenheit  seiner  Lage  den  Namen  habe,  dies 
halte  ich  nicht  für  ausgemacht. 


—     215     — 

liehen  Ländern,  das  Uebergewicht  erhielt.  In  Janas  und 
Alcis  erblickt  man  alle  religiöse  Ideen  des  Alterlhums 
vereinigt,  und  sowohl  Janus  als  auch  Alcis  waren  in  der 
That  der  eine  sichtbare  Gott  des  Heidenthums.  Höchst- 
wahrscheinlich war  diese  religiöse  Repräsentation  in  ur- 
alter Zeit,  wo  man  die  Sonne  und  den  Mond  zu  einer 
Gottheit  combinirte,  gewöhnlich,  und  Castor  und  Pollux 
gehörten  ohnstreilig  auch  ursprünglich  zu  dieser  Reprä- 
sentationsart des  uralten  Religions- Dualismus.  Sollte  [es 
wohl  zufällig  geschehen  seyn,  dafs  der  römische  Senat 
in  dem  Tempel  des  Castor  vmd  Pollux  gewöhnlich  seine 
Sitzungen  hielt,  oder  erwählte  der  genannte  hohe  Rath 
deshalb  den  erwähnten  Tempel  zu  seinen  Berathschlagun- 
gen,  weil  die  Glieder  desselben ,  die  sich  über  die  ge- 
meine Idolülatrie  ihres  Volkes  erhoben,  in  der  Zwillings- 
gottheit die  älteste  Gottheit  erkannten,  und  weil  auch 
die  Civil-Regierer  des  römischen  Staats  eben  so  gut  un- 
ter den  Auspicien  einer  sehr  alten  Gottheit  stehen  woll- 
ten, als  die  Krieger,  denen  der  alte  Janus  in  der  Form 
eines  Adlers  ^^  im  Felde  voranzog?  Es  ist  sehr  wahr- 
scheinlich, dafs  die  Naharvaleu  in  uralter  Zeit  ihre  Al- 
cis eben  so  wie  die  Römer  ihren  Janus  in  der  raännli- 
lichen  Gestalt  verehrten,  und  dafs  sich  ihre  Adoration 
erst  später,  als  der  Mondcultus  gewöhnlicher  wurde,    zu 


98  Der  vielbesprochene  gallisclie  Hahn  war  ohne  Zweifel  auch 
ein  Adler  oder  Rabe  ,  und  mit  Recht  liefs  Napoleon  seinen 
Legionen  einen  Adler  vortragen.  Der  Doppeladler  der  Oe- 
sterreicher  und  Russen  deutet  den  bei  den  meisten  Völkern 
später  vorkommenden  Glauben  an:  dafs  der  Sonnengott  und 
auch  der  Mondgott,  die  man  beide  durch  Adler  und  Raben 
(der  Rabe  des  Odin)  repräsentirte,  die  Völker  zum  kriege- 
rischen Kampfe  führe.  Von  diesem  Glauben  zeugt  die  Nach- 
richt des  Tacitus  :  Marti  ac  Mercurio  aciem  eonstruunt.  — 
Bei  den  Wenden  war  die  Repräsentation  des  Sonnengotts 
und  des  späteren  Mondgotts  durch  einen  Adler  und  Raben 
nicht  gewöhnlich  und  ihr  Schimpfname  Rapak  d.  h.  Rabe, 
scheint  den  ihnen  feindlich  gesinnten  Gott  der  Germanen 
zu  bezeichnen. 


—     216     — 

dem  weiblichen  Theile  der  alten  androgynischen  Gott- 
heit wandte.  Die  Nachricht,  dafs  die  Naharvalen  keine 
Bilder  ihrer  Gottheit  gehabt  hätten  (cf.  Tacit.  germ. 
XLIII.)  darf  man  keinesweges  buchstäblich  nehmen.  Bild- 
nisse der  Gottheiten  mochten  wohl  [die  Germanen  auch 
haben,  aber  nicht  solche  wie  die  Römer,  sondern  nur 
sehr  einfache,  kunstlose,  ähnlich  der  Irmen,  welche  Carl 
der  Grofs£  zerstörte,  und  es  scheint,  als  wenn  die  ger- 
manischen Priester  ihre  einfachen  Götter- Repräsentatio- 
nen absichtlich  mit  Decken  verhüllt  hätten  (cf.  Tacit. 
germ.  XL.).  Den  Platz  des  Alcis-Cultus  (lucus  antiquae 
religionis)  verlegt  Herr  Professor  Kruse  auf  den  soge- 
nannten Todtenstein  bei  Königshayn  ohnweit  Görlitz. 
Allerdings  scheint  der  Name  der  Naharvalen  (na-har-va^ 
alen ,  niederer  Gegenden  und  mittlerer  Gebirge  Bewoh- 
ner) eine  solche  Gegend  anzudeuten,  wie  die  um  Kö- 
nigshayn und  Görlitz  ist.  In  dem,  von  Tacitus  erwähn^ 
ten,  heiligen  Haine  leitete  ein  Priester  in  weiblicher 
Kleidung  nicht  nur  den  Cv;ltus,  sondern  er  präsidirte 
auch  höchst  wahrscheinlich  bei  den  daselbst  gehaltenen 
Gerichten,  wie  der  Hohepriester  in  dem  Haine  der  wen- 
dischen Prowe.  Auch  in  dem  Herthahaine  wurden  zwei- 
felsohne Gerichte  gehalten ,  und  es  ist  sogar  wahrschein- 
lich, dafs  die  Prowe  später  von  den  Wenden  der  Hertha 
gubstituirt  wurde.  Antons  Meinung:  dafs  der  Name  Al- 
ois eben  das  bedeute,  was  das  wendische  Hulzy  (die  Kna- 
ben, Jünglinge)  und  Holczzy  d.  h.  kleine  Knaben,  ist  un- 
gegründet. Die  Lygier,  zu  welchen  die  Naharvalen  ge- 
hörten ,  heifsen  in  der  gegenwärtigen  Sprache :  Nieder^ 
länder,  oder  Bewohner  niederer  Gegenden. 

Unter  den  nordwendischen  Gottheiten  finde  ich  wei^ 
ter  keinen  männlichen  Gott,  als  die  oben  erwähnten 
Swantowit  und  Radegast  oder  Ridegast.  Dagegen  sind, 
©ufser  der  Prowe,  noch  einige  Göttinnen  zu  nennen. 
Die  Göttinnen  sind  auch  in  dieser  Mythologie  zahlrei- 
ehtfi  als  die  Götter.  Dies  rührt  daher,  weil  der  Mond 
ia    mehtei'ea  Beziehvmgen    zu    dem   Menschen    gedacht 


—     217     — 

wurde.     Er  war  die  Gottheit,  die  für  den  Menschen  von 
seiner    Zeugung   und    Geburt    bis   zu    seinem    Tode   und 
noch  nach    seinem  Tode   thätig   war.     Ueberdies   schrieb 
man  der  Mondgöttin  noch  nicht  nur  die  Herrschaft  über 
die  Naturkräfte,  sondern  auch  über  die  in  der  Erde  ver- 
borgenen  Metalle   so    wie   die   Sorge   für   die  Thiere  zu. 
Da  aber  die  Mondgüttin  in  sehr  vielen  Beziehungen  und 
Functionen  gedacht  wurde,     so    konnte   es   nicht  fehlen, 
dafs   man    sich    dieselbe    in    der   späteren   idololatrischen 
Zeit,  wo  man  die  beiden  Hauptgottheiten,  die  Sonne  und 
den   Mond   nämlich,     gleichsam   in   mehrere   Gottheiten 
spaltete,  auch  in  verschiedenen  Formen  (Göttinnen)  vor- 
stellte.    Dies    geschah    vorzüglich   in    den    Pantheen    der 
grofsen  Städte,  wo  die  Priesterschaft,     theils  aus  Politik, 
theils  aus  Noth,  die  Gottheiten  der  verschiedenen  Districle 
und  Provinzen  des    Landes    aufnahm,     ihren   Rang   imd 
Functionen  ordnete  und  ein  Religionssystem  bildete,    in 
welchem  freilich   oft    eine   anderwärts    als   universell  gel- 
tende Gottheit  nur  eine  specielle ,   d.  h.  nur  einen  Theil 
ihres   alten   Regiments   behaltende   wurde,     während    sie 
dessen   ungeachtet    daheim    noch    ihre   umfassendere    Be- 
deutung liehielt.      Sehr  wurde   z.    B.    die    Bedeutung    des 
keltischen  Mercurs  jenseits   der   Alpen   beschränkt ,     und 
Perkunst   und   Schvvaytix    hatten    in   dem    Pantheon    zu 
Rhetra  nicht  dieselbe  Bedeutung,  wie  in  Preufsen  selbst. 
Den  gothischen  und   nordgermanischen    Odin  nahm  man 
in  das  nordwendische  Pantheon  zu  Rhetra  wohl  nur  deshalb 
auf,  weil  unter  den  eingewanderten  Wenden  noch  Deutsche* 
verblieben  und  weil  die  Nord vvenden  vielen  merkantilischeu 
Verkehr  mit  den  Skandinaven  halten.   Dagegen  kam  bis* 
weilen   eine   Provinzialgottheit  in    dem    Pantheon    eines 
grofsen  Volks  zu  hohen  Ehren,     wie  z.  B.  die  Pessinun* 
tische  Kybele,  welche  die  in  drei  Welttheilen  herrseben« 
den  Römer  zu  einer  magna  mater  deum  erhoben. 

Unter  den  Göttinnen  der  Nordwenden  sind  noch  an* 
?uführen : 

1.  Pogoda   oder   Pogada ,     die   man   auch   fälschlich 
Dogoda  genannt  hat.    Diese  Göttin  ist  dieselbe, 


—    218     — 

welche  bei  den  Böhmen  den  Namen  Pohoda 
führt.  Die  Russen  und  Polen,  die  mit  den 
Nordvvenden  das  g  statt  des  h  gemein  haben, 
nannten  sie  ebenfalls  Pogoda.  Die  Pogoda  hatte 
höchst  wahrscheinlich  früher  eine  umfassendere 
Bedeutung  und  glich  der  germanischen  Isis,  Hert 
und  Alcis  (polnisch "Algis),  so  wie  auch  der  Pro- 
we.  In  späterer  Zeit  galt  sie  als  eine  Frühlings- 
Witterungs-  und  Erndte-Göttin,  welche  über  den 
Eber,  d.  h.  den  Winter  siegte,  weshalb  ihr  auch 
beim  Weichen  der  strengen  Kälte  ein  Wild- 
schwein geopfert  wurde.  Das  Weichen  der  stren- 
gen Kälte  bevvirkte  freilich  eigentlich  der  aus 
dem  Süden  zurückkehrende  Sonnengott.  Weil 
aber  die  Veränderungen  in  der  Atmosphäre  un- 
ter dem  Einflüsse  des  Mondes  gedacht  wurden, 
so  schrieb  man  nicht  dem  Sonnengotte,  sondern 
der  Mondgöttin  die  Wiederkehr  der  milderen 
Luft  zu,  und  deshalb  brachte  man  ihr  im  Mo- 
nat Februar  ihr  vorzügliches  Opfer,  um  sich  ih- 
rer Gunst  zu  versichern.  Die  Pogoda,  diese 
Freundin  der  Blumenkönigin  (russisch  Simzerla) 
herrschte,  unter  wohlthätigem  Einflüsse  auf  das 
Gedeihen  der  Feldfrüchte ,  der  Viehzucht  und 
auf  das  Gelingen  der  Fischerei,  vom  Ende  des 
Monats  Februar  bis  in  den  Herbst,  wo  die  Frost- 
und  Winter-Göttin  (russisch  Semarla)  mit  ihrem 
eisigen  Athem  und  mit  ihrem  Mantel  von  Schnee 
und  Frost  ihre  Stelle  einnahm.  Als  Göttin  des 
während  des  Frühlings  und  Sommers  Statt  fin- 
denden Ackerbaues  führte  sie  eine  Pflugschar 
und  die  Wirkungen  des  unter  ihrem  Einflüsse 
(Regen,  Thau,  sanfter  Wind,  Sonnenschein,  blaue 
heitere  Luft)  stehenden  Feld-  und  Gartenbaues 
bedeutete  das  Füllhorn,  das  sie  trug.  Man  darf 
sich  nicht  wundern,  dafs  die  Wenden,  welche 
eine  Ackerbau,  Viehzucht  und  Fischerei  fleifsig 
treibende  Nation  waren,  die  wahrscheinlich  frii- 


—     219     — 

her  androgynisch  (als  Sonne  und  Mond  zugleich") 
gedachte  Pogoda  sehr  verehrten ,  und  dafs  Letz- 
tere im  Nordvvcndenlande  mehrere  Kirchen  hat- 
te. Die  später  nur  in  der  weiblichen  Form  vor- 
kommende Pogoda  war  demnach  ein  sogenann- 
ter Beibog  und  ohne  Zweifel  mit  dem  Kricco 
(neutrum)  gleichbedeutend.  Kric  oder  Kir-ic  ist 
ein  Diminutiv,  aber  Kricco  ist  ein  Magnani- 
tiv,  und  bedeutet  die  vielvermögende  und  viel- 
verehrte weibliche  Gottheit,  die  aber  doch  wie 
Henilo  zu  den  niederen  (Bauer-  Hirten-  und  Fi- 
scher-) Gottheiten  des  Landes  gehörte. 

2.  Siebog.  Dieser  Name  ist  aus  si  und  e  und  bog 
zusammengesetzt  und  hcifst  Lebensgöttin.  Das 
Wort  Si-e  (skandinavisch  Sif)  bedeutet  ohne 
Zweifel  das,  was  das  polnische  Zywie,  und  bog 
(6  Kdi  rj  Q'ioe)  ist  später  angehangen.  Siebog  war 
die  Göttin  allen  Lebens  und  hiefs  bei  den  Süd- 
wenden Ziwa.  Besondere  For-men  der  nordwen- 
dischen Lebensgöttin  waren  Dziewanna  (dschi- 
wan  -  ana  ) ,  Marzana  und  Dziedzielja.  Die  erste 
war  die  Anregerin  des  Lebens  (Venus),  die  Mar- 
zana förderte  die  Geburten  ans  Tageslicht  und 
Dziedziela  (die  säugende,  die  Kindergöttin)  sorgte 
für  die  Nahrung  und  Pflege  der  Neugebornen. 
Die  Dziedzielja  führte  auch  den  Namen  Zilsbog, 
d.  h.  Göttin  mit  den  Nährbrüsten. 

Der  Lebensgöttin  Siebog  ist  entgegengesetzt 

3.  die  Nemisa,  Namisa,  oder  Nemis.  Der  NameNe- 
misa  ist  aus  ncm,  d.  h.  der  niedere  Berg»  der 
Mond,  und  isa  (die  Göttin)  zusammengesetzt, 
und  heifst  folglich  Nachtgöttin,  Mondgöttin.  Die- 
selbe Bedeutung  hat  auch  Nemis  (nem-is).  Die 
Nemisa  oder  Namisa  wurde  bei  den  Nordwen- 
den als  ein  nackendes  Weib,  aber  auch  als  ein 
bekleideter  Mann  mit  vier  Strahlen  um  das  Haupt, 


—     220     — 

mit  einem  Flügel  auf  dem  Letzteren  so  wie  mit 
einer  Taube  mit  ausgebreiteten  Flügeln  auf  dem 
Bauche  abgebildet.  Dafs  Nemisa  eine  Göttin 
war,  dies  zeigt  nicht  nur  der  weibliche  Name 
derselben  an,  sondern  zum  Theil  auch  ihre  At- 
tribute, ihre  nackte  Gestalt  nämlich  und  die 
Taube  mit  den  ausgebreiteten  Flügeln  auf  dem 
Bauche. 


Indefs  war  diese  Gottheit  späterhin  auch 
zum  Manne  erhoben  und  eine  Art  Mond- 
gott (Pluto)  geworden,  welches  die  auch  vor- 
kommende männliche  Gestalt  derselben  so  wie 
die  vier  Strahlen  um  ihr  Haupt  anzeigen.  Diese 
Metamorphose  ist  jedoch  nicht  sehr  zu  berück- 
sichtigen. Hält  man  aber  auch  nur  die  ursprüng- 
liche weibliche  Fomi  dieser  Gottheit  fest,  so  ist 
es  demungeachtet  nicht  leicht  die  Bedeutung 
derselben  aufzufinden.  Nach  meinem  Dafürhal- 
ten war  die  wendische  Nemisa  (Nemis  ist  eine 
kürzere  Form)  die  E.ichterin  und  Bestraferin  des 
im  Dunkeln  und  Geheimen  verübten  Bösen,  die 
Göttin  des  Todes  und  der  Verstorbenen  und  zu- 
gleich in  der  Form  des  Drachen  die  Wächterin 
der  unterirdischen  Schätze.  Wahrscheinlich  hatte 
sie  nait  der  esthländischen  Tarapyha,  dem  russi- 
schen Daschebog  so  wie  mit  der  böhmischen  Mernt, 
die  man  durch   Pluto  interpretirt ,    Aehnlichkeit. 

Wenn  die  Prowe  die  offenbaren  Vergehungen 
der  Landesgesetze  bestrafte,  so  richtete  dagegen 
die  Nemisa  die  verborgenen  Verbrechen  und  ihr 
Richteramt  erstreckte  sich  auch  auf  die  unter 
ihrem  Regimente  stehenden  Verstorbenen.  Die 
Function  der  Nemisa  war  demnach  diesfalls 
eine  Fortsetzung  und  Ergänzung  des  Richter- 
geschäfts   der    bürgerlichen   Gerichtsgöttin,     der 


Prowe.  Dafs  man  sich  vor  der  Nernisa  wegen 
ihrer  bis  nach  dem  Tode  fortdauernden  Bestra- 
fungen fürchtete,  erhellet  wohl  daraus,  daTs 
sie  die  spätere  Zeit  Zernebog  nannte.  Ist  es 
gegründet,  dafs  die  Nemisa  die  geheimen  Ver- 
gehungen rügte,  so  ist  es  unbezweiielt,  dafs 
sie  mit  der  griechischen  Nemesis  nicht  nur  den 
Namen  gemein  hatte,  sondern  dafs  sie  ihr 
auch  in  der  Idee  sehr  nahe  verwandt  war. 
Dafs  die  Völker  im  Alter thume  an  eine  un- 
ausbleibliche Bestrafung  des  verborgenen  Bö- 
sen ,  welches  die  Landesgerichte  nicht  rügen 
konnten,  im  Leben  und  nach  dem  Tode  glaub- 
ten, ist  bekannt.  Sollten  die  Wenden,  deren 
Religion  sonst  so  viele  Vorzüge  hat,  diesen 
Glauben  entbehrt  haben?  Gewifs  nicht.  Aber 
wie  sind  die  Wenden,  wird  man  fragen,  zu 
der  griechisch  scheinenden  Benennung  der  die 
geheimen  Sünden  strafenden  Göttin  gekommen? 
Es  ist  nicht  nöthig  anzunehmen,  dafs  die  Sla- 
ven  erst ,  als  sie  im  sechsten  Jahrhunderte  im 
europäischen  Norden  und  Westen  des  griechi^ 
sehen  Reichs  herumzogen,  über  die  Donau  gin- 
gen, Thracien  und  selbst  Griechenland  aus- 
plünderten und  sogar  im  Jahre  620  mit  den 
A  waren  Constantinopel  hart  belagerten  (ver- 
gleiche Thunmann  über  die  gottesdienstlichen 
Allerthümer  der  Obotriten  p.  45.  und  I'Caram- 
sin  russische  Geschichte  I.  Theil )  mit  der  Idee 
und  mit  dem  Namen  der  griechischen  Neme- 
sis bekannt  geworden  wären.  Die  Idee  dersel- 
ben hatten  sie  gewifs  schon  früher,  und  es  ist 
anzunehmen ,  dafs  dieselbe  reiner  und  enger 
war,     als  die  der  Griechen. 

Aber  haben  nicht  die  Slaven  zum  Minde- 
sten den  Namen  der  Göttin  von  den  Grie- 
chen   erborgt,     wie    Manche    vermuthen,     und 


—     222     — 

nur  esis  in  Isa  verwandelt?  Es  ist  nicht  nöthig, 
auch  nur  dies  anzunehmen.  Denn  die  slavische 
Sprache  hat  eben  so  gut,  als  die  anderen  Spra- 
chen, insonderheit  aber  die  griechische,  die  Wur- 
zel num,  nom,  nam,  Hern,  nim,  die,  wie  die  Wur- 
zel lu,  lo,  la,  le,  li,  ausschliefslich  für  die  Benen- 
nungen der  Mondgöttin  und  ihrer  Geschäfte  ge- 
braucht wird.  Die  Slaven  konnten  daher  den 
Namen  Nemisa,  Namisa,  Nemis  schon  früher  ha- 
ben, als  sie  mit  den  Griechen  zusammen  kamen, 
obgleich  man  zugeben  kann,  dafs  die  wendische 
Nemisa  und  die  griechische  Nemesis  nicht  ganz 
dieselbe  Bedeutung  hatten.  Die  wendische  Ne- 
misa war,  wie  schon  bemerkt,  eine  vorzüglich 
die  Verstorbenen  richtende  und  bestrafende  Göt- 
tin und  gleichsam  eine  Ergänzung  der  Gerichts- 
göttin Prowe.  Die  Functionen  der  griechischen 
Nemesis  bezogen  sich  auf  die  Lebenden,  weil  die 
Griechen  schon  ein,  von  den  Aegyptern  ent- 
lehntes, Todtengericht  glaubten.  Nach  meinem 
Dafürhalten  begegnen  uns  die  ursprünglichen 
Vorstellungen,  die  man  von  der  Thätigkeit  der 
Nemesis  hegte,  in  den  verschiedenen  Bedeutun- 
gen des  griechischen  Zeitworts  vs^ca.  In  der  er- 
sten Bedeutung  heifst  dies  Wort  nur  vsfi-sa ,  oder 
Mondgöttin  ich  bin,  oder  ich  weide  ( pasco )  das 
Vieh,  vorzüglich  das  Milchvieh,  das,  nach  dem 
religiösen  Glauben  des  Alterthums,  unter  dem 
Regimente  der  Mondgöttin  stand.  Die  genannte 
Göttin  beaufsichtigte  und  bewachte  aber  nicht 
nur  das  weidende  Vieh,  sondern  sie  sorgte  auch 
dafür,  dafs  eine  jede  Heerde  ihre  Weide  hatte, 
und  daher  rührt  die  Bedeutung  6.es  Worts  vsum, 
in  welcher  es  distribuo,  partior  heifst.  Ferner 
schützte  die  Mondgöttin  die  Hirten  in  dem  Be- 
sitze der  Weideplätze,  die  sie  entweder  durch 
Verträge,  oder  durch  Verjährung  als  Eigenthum 
inne  hatten ,  und  dadurch  erhielt  das  Wort  vi/tca 


—     223     ^ 

auch    die    Bedeutung    habeo,      possideo,      colo. 
Leicht     konnten     die     unbefriedigten     Grenzen 
des  Weidelands    von  Habsüchtigen  überschritten, 
und   den   Berechtigten    heimlich   Schaden    zuge- 
fügt werden,     und   nicht   immer   konnten  Letz- 
tere   diese   Verletzung    des   Eigenthums    ahnden. 
In  diesem    Falle  strafte   die  Nemesis    das    heim- 
liche   Unrecht    bald    durch    die    heimliche    Ver- 
letzung  des    eignen    Weidegebiets    durch    Ande^ 
re,     bald   durch   besondere    Unglücksfälle  in  der 
Viehheerde,     bald    auf    andere    Weise.      Diesen 
aufserordentlichen   Strafact   bezeichnet    das  Wort 
rfufCKö,     welches   nur   durch  eine  Verlängerung 
des  Worts  vsiia  und  aus  vefisa-aco  d.    h.   ich   bin 
Berggöttin  (vilciscor,  punio)  zusammengesetzt  ist. 
Der  spätere  Begriff  des  Worts  vBfieaig  bei  den  Grie- 
chen (temperantia,   modestia,  aequitas,  justitia), 
welchen  Herder  entwickelt  hat,   ruhte,    obgleich 
er  viel  weiter  war,  als  der  ursprüngliche,     doch 
auf  der  anfänglichen  Bedeutung  des  Worts  Wu«. 
Nur  die  durch  Unrecht  reich  Gewordenen  glaub- 
ten im  beängstigenden  Bewustseyn  ihrer  Schuld, 
dafs   die  Nemesis   die   Glücklichen    beneide  und 
ihnen     aus     Neid     ihr     Glück     entreifse.       Die 
Wörter  vifisaig   und    vifirjötg,     welche    später   ver- 
schiedene Bedeutungen  erhielten,  waren  ursprüng- 
lich  ohnstreitig   nur    eine    verschiedene   Sprech- 
und    Schreibart    desselben    Worts.     Der   Zusatz: 
Nemisa-Rab  (vergleiche  Thunmann   p.  57.)   be- 
deutet nicht,  Sklave  der  Deutschen,  sondern  nach 
meinem  Dafürhalten,  Mond-Gott.     Das  Rab  (ra- 
ab  oder  av,  deus)  entspricht  dem  Wid  Raz,  (ver- 
gleiche Thunmann  p.  53.),    welches  ein  derivir- 
tes  Wort  ist  und  Windgott  bedeutet.    Wäre  Ne- 
misa-Rab   ein   Schimpfname  gewesen   und  hätte 
es   Sklave    der   Deutschen    bedeuten    sollen,     so 
mufste  es  heifsen :  Raboczer,  oder  Robocznik  tych 


—      224:      — 

Niemzow.  R.aboczicz  oder  RoboCzicz  (robota,  der 
Frohndienst)  heilst  allerdings  Sklavendienste  ver- 
richten j  es  ist  aber  diese  Bedeutung  nicht  die  primiti- 
ve des  Worts,  In  der  primitiven  Bedeutung  hiefs  ro- 
boczicz  (ro-botsch-icz)  Mondgöttin-  oder  Mond- 
gottseyn ,  und  bezeichnete  die  ämsige ,  schwere 
Thätigkeit  mannichfacher  Art,  die  der  religiöse 
Glaube  des  Alterthums  der  Mondgöttin  zuschrieb. 
Dafs  die  Erhebung  der  Nemisa  zu  einem  Rab, 
oder  Gott,  der  späteren  Zeit,  wo  man  auch  im 
Slavenlande  so  wie  schon  früher  anderwärts,  die 
Mondgöttinnen  zu  Mondgöttern  potenzirte,  ange- 
hört, ist  schon  bemerkt  worden. 

Heia.  Diese  Göttin  steht  mit  der  die  Lebenden 
und  Todten  richtenden  Nemisa  in  Verbindung; 
denn  sie  war  die  Göttin  des  Todes  und  ihre  Prie- 
ster und  Priesterinnen  ertheilten  einzelnen  Fra- 
genden Antworten  (Todtenorakel).  Dargestellt 
wurde  sie  in  einer  fürchterlichen  Gestalt ,  die 
einen  Löwenkopf  mit  aufgesprerrtera  Rachen 
und  ausgestreckter  Zunge  hatte.  Diese  Göttin, 
von  welcher  Mone  (L  p.  210.)  glaubt,  dafs  sie 
die  Wenden  von  den  Germanen  recipirt  hätten, 
war  ursprünglich  eine  in  der  fürchterlichen  Feld- 
schlacht kämpfende  Bellona,  oder  Led.  Ihr  Lö- 
wenkopf deutet  an,  dafs  sie  einer  Löwin  ähn- 
lich ist,  die  für  ihre  Jungen  wüthend  kämpft, 
im  Allgemeinen  bedeutete  sie  den  Tod,  der  ge- 
gen die  Lebendigen  wüthet  und  Keinen  verscho- 
net: Ihren  aufgesperrten  Rachen  darf  man  nicht 
geradezu  für  ein  Symbol  des  Eingangs  zur  Un- 
terwelt ansehen,  weil  es  nicht  gewifs  ist,  dafs 
die  Slaven  an  ein  unterirdisches  Todtenreich  ge- 
glaubt haben,  wie  die  Aegypter,  die  ihre  Tod- 
ten in  den  Pyramiden  aufbewahrten.  Nach  dem 
Glauben  der  Slaven  und  Germanen  verweilten 
die  Seelen   der   Verstorbenen   in  Erdklüften  und 


—     225     — 

,  Höhlen,  welche  von  der  Heia  ihren  Namen  (He- 
len) erhalten  haben.  Wegen  ihrer  tödtenden 
Gewalt  und  ihrer  furchtbaren  Darstellung  wurde 
die  Heia  (he-ela)  von  den  späteren  Wenden  Zer- 
nebog,  d.h.  die  böse  Göttin,   genannt. 

5.  Mita.  Diese  Göttin  wurde  anf;h  Zernebog  ge- 
nannt. Aber  Zernebog  bedeutet  hier  nicht  eine 
böse,  furchtbare  Gottheit,  sondern  nur  eiuo 
dunkle  Göttin,  oder  die  Göttin  der  Nacht.  Sie 
wurde  in  der  Gestalt  eines  liegenden  Hundes 
dargestellt.  Diese  Repräsentation  deutet  an,  dafs 
sie  ursprünglich  die  Göttin  des  Schlafs  und  der 
nächtlichen  Ruhe  und  dem  (der)  Uslad  der  Rus- 
sen ähnlich  war.  Dnfs  die  Mita  bei  den  Wen- 
den die  Bedeutung  des  Cerberus- gehabt  hat,  ist 
keinesweges  gewifs.  Hat  sie  aber  je  diese  Be- 
deutung im  Wendenlande  gehabt,  so  hat  sie  die- 
selbe erst  später,  als  südliche  Religions- Ideen 
auf  den  religiö.'^en  Glauben  der  Wenden  Einflufs 
gewonnen  hatten,  erhalten. 

Der  Cerberus,  dessen  Name  aus  ker  und  ber 
(kerber,  Mondgöttin,  ßerggöttin),  so  wie  aus 
der  (anomalischen)  männlichen  Endung  us  zu- 
sammengesetzt ist,  bezeichnete  anfänglich  auch 
eine  weibliche  Gottheit.  Es  läfst  sich  nicht  genau 
bestimmen,  ob  der  Name  Mita  die  primäre,  oder 
secondäre  Bedeutung  hat.  Er  ist  aus  Mi  und  ita 
oder  isa  zusammengesetzt  und  heifst  in  der  er- 
sten Bedeutung  Berggöttin,  Mondgöttin.  Diese 
Bedeutmig  hat  aber  auch  das  lateinische  mater, 
das  wendische  macz  und  das  sanskritanische  Mi- 
ta. Es  fragt  sich  nun,  ob  nicht  die  Nordwenden 
die  Mutter  Mita  genannt  haben,  da  noch  jetzt 
die  wendische  Sprache  viele  Wörter  hat,  die  mit 
den  sanskritanischen  fast  ganz  gleich  lauten,  und 
da  die  Russen  noch  jetzt  die  Mutter  Matka,  wel- 

15 


—     226     — 

ches  ein  Diminutiv  von  Mata  (Mita)  zu  seyn 
scheint,  nennen?  Haben  aber  die  Nordvvenden 
der  Göttin  Mita  den  Namen  der  Mutter  beige- 
\eprt,  so  dachten  sie  sieh  unter  derselben  ohnfehl- 
bar  ieue  ahe,  gute  Nachtgöttin,  welche  die  Men- 
schen während  il^-^s  nächtlichen  Schlafs,  wie 
eine  sorß"^!^^  Mutter  ihre  Kinder ,  treu  bewachte 
und  beschützte.  Ihr  Name  ist  dann  mit  der  al- 
ten russischen  Baba  (Jaga  Baba ")  gleichbedeu- 
tend, von  der'  sie  aber  freilich  sowohl  in  der 
uns  bekannten  Idee ,  als  auch  in  der  Repräsen- 
tation ziemlich  verschieden  ist.  Die  Idee,  welche 
dem  (der)  Tsibaz  unterlag,  scheint  mit  derjeni- 
gen der  Mita  sehr  nahe  verwandt  zu  seyn.  Diese 
Gottheit  wurde  mit  einem  Hundekopfe  und  mit 
einer  Schlange  um  den  Leib  dargestellt.  Nach 
dieser-  Darstellung  war  Tsibaz  auch  eine  Nacht- 
göttin, welches  der  Kopf  des  wachenden  Hun- 
des andeutet.  Die  Schlange,  die  sich  um  ihren 
Leib  schlingt,  zeigt  an,  dafs  diese  Gottheit  die 
Patronin  der  Arzneikunde,  oder  der  Zauberei 
und  folglich  in  der  Idee  eine  sehr  alte  war,  weil 
nur  den  alten  Gottheiten  Zauberei  zugeschrieben 
wurde.  Ob  nun  Tsibaz  diejenige  Gottheit  selbst 
war,  der  man  den  Namen  Mutter  (Mita)  bei- 
legte, kann  ich  nicht  bestimmen.  Ruhten  aber 
Tsibaz  und  Mita  auf  der  Idee  der  uralten  Mond- 
göttin, so  waren  sie  doch  in  der  späteren  Dar- 
stellung ■  verschieden.  Während  nämlich  Mita 
rein  weiblich  blieb ,  war  Tsibaz  zu  einer  gyman- 
drischen  Gottheit  erhoben,  denn  die  Sylbe  baz 
bedeutet  das,  was  bog,  und  Tsibaz  heifst  dem- 
nach Mondgott.  Die  Umwandelungen  der  alten 
Mondgöttinnen  in  Mondgötter  war  aber,  wie 
mehrmals  bemerkt,  in  der  späteren  Zeit  des  wen- 
dischen Heidenthums,  nicht  ungewöhnlich.  Es 
konnte  auch  seyn ,  dafs  die  alte  Mond  -  oder 
Nachtgöttin  nur  in    einer  Gegend   des  Landes  in 


—     227     — 

einen  Mondgott  verwandelt  wurde,  und  dafs  man 
beide  Repräsentationen  derselben,  die  alte  und 
die  neue,  späterhin  gelten  liel's.  Dais  aber  Tsi- 
baz  anfänglich  eine  Göttin  war,  erhellet  aus  dem 
hohen  Vocal  der  ersten  Sylbe  des  Worts.  Wahr- 
scheinlich hiefs  sie,  ehe  das  baz  angehangen 
wurde,  Ti-isi.  Dlojonigen  irren  sonder  Zweifel, 
welche  das  Tsi  für  das  Zamv.,.^t  j,.gi  i^^^^^^^  ^^^ 
behaupten,  dafs  baz  so  viel  heifse  als  ^riow  oder 
glav.  Denn  die  Repräsentation  der  hohen  o.tt_ 
heit  Triglav  in  der  Form  des  (der)  Tsibaz  ist 
durchaus  ungewöhnlich ,  und  überdies  haben  die 
Nordwenden,  deren,  Sprach -Dialect  dem  russi- 
schen sehr  geglichen  zu  haben  scheint,  das  Zahl- 
wort drei  wohl  nicht  in  der  zischenden  Form 
der  Oberlausitzer  (tfsi)   gebraucht. 

6.  Piadomysl.  Dieses  Wort  ist  kein  primitives.  Es 
ist  aus  Radofs,  d.  h.  die  Wonne  und  Mysl  (im 
plurali:  te  Mysli )  der  Gedanke,  zusammenge- 
setzt. Es  soll  eine  Göttin  bezeichnen,  welche 
die  Urheberin  wonniger  (erotischer)  Gedanken 
war.  Es  ist  aber  sehr  zu  bezweifeln,  ob  die 
Wenden  eine  solche  Göttin  besonders  verehrt 
haben.  Die  Erzeugung  erotischer  Gedanken  schrie- 
ben sie  ohnfehlbar  ihrer  Aphrodite,  der  Siwa 
oder  Ziwa,  zu,  und  es  ist,  nach  meinem  Dafür- 
halten, durchaus  nicht  nöthig,  Radomysl  unter 
den  wendischen  Gottheiten  aufzuführen,  dasselbe 
gilt  auch 

7.  von  der  Razivia,  oder  Raziwia.  Dieses  Wort  be- 
deutet schlechthin  eine  Göttin.  In  der  zweiten, 
Bedeutung  heifst  es  Herrscherin,  Gebieterin,  vi'ie 
Pani  (Krasopani)  bei  den  Mähren  und  Knenje 
bei  den  Serben  in  der  Lausitz.  Das  Wort  ist 
aus  raz ,  d.  h.  Gott  und  iwa  oder  iwia ,  d.  h.  ein 
weibliches    Wesen    ( hier    dea )    entstanden.     Raz 

15* 


—     228     — 

hiefs  ein  Gott,  z.  ß.  Wid>Raz,  d.  h.  der  Wind- 
gott. Verwandt  mit  Raz  ist  das  sanskritanische 
Radscha  und  das  polnische  Rzadzca,  welches  Kö- 
nig (rex)  und  Herischer  bedeutet,  so  wie  das 
sanskritanische  Rakschasa,  i.  e.  regina,  Reke,  in- 
gleichen das  sanskritanische  Rai,  d.  h.  regnum 
und  das  in  der  »ijerlausitz  -  wendischen  Poesie 
vorkomm '-■'^^^e  Rai,  welches  dieselbe  ßedeutung 
(■xiebeski  Rai,  das  himmlische  Reich,  das  Reich 
der  Seligen)  hat.  Wenn  auf  der  l5.  Figur  der 
obotritischen  Götterbilder  neben  der  Sieba  Ra- 
■ziwia  steht  (vergl.  Thunmann  p.  58),  so  heifst 
Raziwia  weiter  nichts,  als  Göttin,  und  das  R.a- 
ziwia  ist  nur  eine  theologische  Note.  Dafs  man 
dem  Mondgott  Radegast  in  der  letzten  Zeit  des 
wendischen  Heidenthums  eine  Raziwia  als  Ge- 
mahlin zugesellt  halte,  darf  uns  nicht  wundern. 
Haben  doch  auch  die  späteren  indischen  Brami- 
nen ,  w^elche  die  ursprüngliche  Religion  der  In- 
dier  auf  eine  unglaubliche  Weise  corrumpirt  ha- 
ben, ihrem  Wischnu  und  sogar  der  Siwen  Ge- 
mahlinnen gegeben.  ^^ 


99  Die  späteren  indisclien  Theologen,  welclie  die  ursprüngli- 
che Bedeutung  der  indischen  Trimurti  verloren  hatten,  stel- 
len dem  Parabrama  die  Paraschakti,  die  alles  hervorbrin- 
gende Urniutter;  dem  Brama  die  Saraswadi ,  die  Göttin  der 
Weisheit  und  Wissenschaft  >  der  Harmonie  und  des  Eben- 
mafses ;  dem  Wischnu  die  Lakschmi ,  die  ihn  bei  allen  sei- 
nen Verwandlungen  begleitet,  die  Göttin  aller  Fruchtbar- 
keit, aller  Schönheit  und  alles  Wohlseyns,  die  Mutter  der 
Welt,  die  grolse  Gebärerin,  die  Holde,  welcher  zu  Ehren 
die  Kuh  verehrt  wird;  dem  Schivva  die  Parwadi  oder  Bha- 
wani,  welche  alle  Verrichtungen  ihres  Gatten  theilt,  als 
wohlthätige  Erzeugerin  und  Freudengeberin,  und  als  Rä-, 
cherin,  als  Schöne,  huldreiche  Göttin,  und  als  die  Thranen- 
Schaffende,  Züchtigende,  zur  Seite.  Vergl.  de  Wette  Vorle- 
sungen über  die  Religion,  p.  tll. 


—     229     — 

8.  Misizlaw.  Herr  Prof.  Mono  (I.  207.)  behauptet: 
dals  Misizlaw  ein  apotheosirter  Held  der  Wenden 
gewesen  ist.  Diese  Behauptune;  ist  aber  ohnstrei- 
tig  ungegründet.  So  tief  waren  nämlich  die  Sla- 
ven  und  Germanen  gewifs  nicht  religiös  gefal- 
len ,  dafs  sie  Menschen  zu  ihren  Göttern  gemacht 
hätten.  Misizlaw  wurde  in  einer  kriegerischen 
Gestalt,  deren  Hauch  vier  Strahlen  hatte,  darge- 
stellt. Der  Name  Misiz  ist  aus  Mi--si-iz,  d.  h. 
der  Mond,  entstanden  und  law  (la-aw,  deus)  ist 
später  angehangen.  Misizlaw,  dessen  Name  mit 
dem  jetzigen  wendischen  Worte  ton  Miefsaz,  d.h. 
der  Mond,  als  gleichbedeutend  erscheint,  bedeu- 
tet demnach  einen  Mondgott,  der  dem  Radegast, 
Othin,  Flins  u.  s.  w.  ähnlich  ist.  Vermuthlich 
galt  Misizlav  einem  Theile  der  Wenden  als  der- 
jenige Mondgott,  der  sie  auf  ihren  Zügen  aus 
dem  Osten  nach  dem  Westen  geführt  hatte.  Dies 
deutete  seine  kriegerische  Gestalt  an,  und  die 
vier  Strahlen,  die  aus  seinem  Munde  gingen ,  be- 
deuten die  vier  Lichtveränderungen  des  Mondes. 
Misizlav  mag  mit  dem  germanischen  Teut  oder 
Hercules  dieselbe  Idee  haben  und  dieselbe  Gott- 
heit seyn ,  welche  die  Mähren  Witislaw  nannten. 
Weil  aber  dem  Misizlaw  die  Idee  der  alten  Mond- 
göttin zu  Grunde  liegt,  deshalb  habe  ich  dies© 
späterhin  dem  Sonnengott  substituirte  alte  Mond- 
güttin,  von  deren  Functionen  der  Name  Mita 
einen  Theil  umfafst,  in  die  Klasse  der  weibli- 
chen Gottheiten  gestellt. 

9.  Prowe.     Von  dieser  ist    schon   oben    weitläuftig 
gehandelt  worden. 

10.  Opera.  Immerhin  mochte  das  Bild  der  Opera 
(Masch  fig.  30.)  mit  griechischen  Buchstaben 
bezeichnet  vmd  von  einem  griechischen  Künstler 
gefertigt  worden  seyn,  so  ist  doch  der  Name  die- 


--     230     — 

ser  Göttin  schwerlich  'aus  dem  griechischen  Bei- 
namrn  der  Minerva  eQyuvr]  (nicht  von  iQyov,  son- 
dern aus  her-ga-ane),  den  die  Lateiner  durch 
Operaria  übersetzten,  gebildet,  sondern  der  Na- 
me ist  slavisch  und  heilst  ho-bera,  d.  h.  Berg- 
güttin,  Mondgöttin.  Sie  wurde  als  ein  nacken- 
der Knabe  mit  Früchten,  Laub  und  Vögeln  ab- 
gebildet. Warum  sie  auf  diese  Weise  dargestellt 
wurde,  kann  ich  nicht  ermitteln.  Dieses  Reli- 
gions- Symbol  pafst  mir  zu  keiner  der  mir  be- 
kannten religiösen  Ideen  des  slavischen  Heiden- 
thums  recht.  Ueberhaupt  bin  ich  der  Meinung, 
dafs  sich  in  den  gegen  das  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts bei  Prilwitz  aufgefundenen  Götterbil- 
dern manches  Heterodoxe  und  Corrumpirte,  das 
Gepräge  der,  durch  südliche  und  nördliche  (skan- 
dinavische) Religions  -  Vorstellungen  inficirten, 
späteren  wendischen  Theologie  Tragende,   findet. 

Obgleich  man  in  Rücksicht  auf  die  bedeutende  Cul- 
tur,  deren  sich  der  gröfste  Theil  der  V'V  enden  erfreute, 
nicht  annehmen  darf,  dafs  es  unter  den  Wenden  selbst 
keine  Künstler  gegeben  hat,  die  im  Stande  waren,  leid- 
liche Götterbilder  zu  fertigen,  so  ist  es  doch  sehr  wahr- 
scheinlich, dafs  sich  griechische  und  römische  Künstler 
ins  Land  der  Wenden  begaben  und  letztere,  insonderheit 
reiche  Privaten  unter  ihnen,  mit  feiner  fabricirten  Göt- 
ter-Repräsentationen versorgten,  oder  dafs  die  derartigen 
Fabricate  den  W^enden  von  jüdischen  Kaufleuten  aus  der 
Ferne  zugeführt  wurden.  Um  den  Käufer  nicht  in  Zwei- 
fel zu  lassen ,  was  er  sich  unter  einem  jeden  religiösen 
Symbole  zu  denken  habe,  setzten  sie  nicht  nur  den  Na- 
men der  Gottheit  darauf,  sondern  sie  bemerkten  noch 
überdies,  ob  dieselbe  ein  Gott  (Rab,  Raz,  Bog  u.  s.  w.), 
oder  eine  Göttin  (Raziwia,  Zir  u.  s.  w.)  sey.  Ja,  nicht 
nur  das  Geschlecht  der  Gottheiten  bezeichneten  die  Göt- 
terbilder-Fabrikanten ,  sondern  sie  bemerkten  auch  schrift- 
lich die  Eigenschaften  derselben,  ob  sie  z.  B.  ein  Zerne- 


—     231     — 

bog  oder  ein  Bielybog,  ein  Slebog  oder  Gilbog,  ein  ur- 
sprünglich slavischcr  oder  ein  fremder  Gott  seyen.  Solche 
Bemerkungen,  die  man  theologische  Noten  nennen  kann, 
sind  die  Inschriften,  die  sich  auf  mehreren  bei  Prilwitz 
gefundenen  Gütterhildern  finden.  So  stehen  auf  dem 
Bilde  der  Podaga  (Pogoda)  die  Atafschriften  Asiun,  Lun» 
Bill,  VVid-Raz,  welche  alle  die  Eigenschaften  der  Gott- 
heit andeuten.  Das  Wort  Asiun  halte  auch  ich  für  eine 
andere  Form  für  jasny,  d,  h.  hell,  heiter,  klar  ( vergl. 
Thunmann  p.  53).  Lun  heifst  Mondgott.  Bill  bezeichnet 
weifs  und  auch  in  der  späteren  Theologie  der  Slaven 
bisweilen  gut.  Ist  Bill  wirklich  mit  11  geschrieben,  so 
ist  dies  ein  orthographischer  Fehler.  Dadurch  aber,  dafs 
der  Podoga  das  Prädicat  bil  oder  biel  beigelegt  wird» 
wird  angedeutet,  dafs  Podoga  eine  den  Menschen  Ange- 
nehmes und  Erfreuliches  erzeugende  Gottheit  (helles, 
heiteres  Wetter)  ist.  Die  Note  Wid  Raz  deutet  an,  dafs 
die  Podaga  eine  Göttin  des  sanft  streichenden  Win- 
des, oder  überhaupt  die  Beherrscherin  des  Wetters  war. 
In  der  oberlausitzischen  Mundart  heifst  der  Wind  Witr, 
in  der  niederlausitzischen  aber  Witsch.  Indefs  sprechen 
die  Oberlausitzer  doch  auch  im  Singular  Wid  statt  Witr. 
Wid  ist  dieselbe  Form,  welche  in  Wid  Raz  vorkommt. 
Das  Wetter  nennen  die  Oberlausitzer  to  Wedro, 

Dafs  die  bei  Prilwitz  gefundenen  Götterbilder,  nicht 
in  den  Tempeln  zu  Rhetra,  auch  nicht  nach  der  vermu- 
theten  Restauration,  aufgestellt  gewesen  sind,  ist  wohl 
keinem  Zweifel  unterworfen.  Ohnstreitig  gehörten  sie 
gröfstentheils  zu  dem  Privat -Pantheon  (Miniatur -Pan- 
theon) einer  reichen  wendischen  Familie,  die  sie  zu  ih- 
rer Hausandacht  benutzte,  sich  aber  bei  dem  Eindringen 
des  Christenthums  genöthigt  sah,  dieselben  in  der  Erde 
zu  verbergen. 

Wären  die  in  Rede  stehenden  Götterbilder  zur  Auf- 
stellung in  den  öffentlichen  Tempeln  bestimmt  gewesen, 
so   würden   sie   ohnfehlbar   gröfser   und  imposanter  seyn. 


~     232     — 

Die  Wenden  liebten  nämlich  in  ihren  öffentlichen  Göt- 
ter-Repräsentationen (Götterbildern),  nicht  nur,  sondern 
auch  in  dem  Cultus  der  Gottheiten  das  Grandiose  und 
Glänzende,  so  wie  es  auch  von  einem  Volke  zu  erwar- 
ten ist,  das  lange  dein  grandiosen  Sonnencultus  ( Bergre- 
ligion) treu  geblieben  war  und  das  sich  durch  eine  tiefe 
Religiosität  auszeichnete.  Dafs  die  Wenden  auf  einen 
gewissen  Pomp  bei  ihrem  religiösen  Cultus  hielten,  dies 
kann  man  aus  dem  folgern,  was  uns  von  dem  Eindru- 
cke, den  das  verschiedene  Auftreten  der  beiden  Missio- 
narien, Bernhardus  und  Otto,  auf  sie  machte,  errählt 
wird.  Der  aus  Spanien  stammende  Eremit  und  resig- 
nirte  Bischof  Bernhardus  nämlich  hatte  schon  im  Jahre 
1106  auf  Veranlassung  des  polnischen  Herzogs  einen  Ver- 
such gemacht,  das  Christenthum  in  Pommern  einzufüh- 
ren. Weil  dieser  Bernhardus,  den  Gesetzen  des  Einsied- 
ler-Ordens getreu,  im  einfachen  Kleide  erschien ,  schlech- 
te Speisen  als  und  keinen  Wein  trank,  so  nahmen  die, 
an  einen  glänzenden  Cultus  und  an  eine  reiche  Priester- 
schaft gewöhnten  pommerischen  Wenden  daran  Anstofs 
und  bemerkten:  „sein  Gott  müfste  selbst  sehr  dürftig 
„seyn,  weil  er  sonst  für  seinen  Gesandten  mehr  und  bes- 
„ser  sorgen  würde."  Der  Bischof  Otto  von  Bamberg  (ein 
Graf  von  Andechs)  der  die  Wenden  und  ihre  Gewöh- 
nung an  das  Grofsartige  im  Religions-Cultus  genauerken- 
nen gelernt  hatte,  ging  bei  seinem  im  Jahre  1124  in 
Pommern  begonnenen  Bekehrungsgeschäfte  mit  mehr 
Umsicht  zu  Werke.  Er  versah  sich  nämlich  mit  kost- 
baren Kleidungen,  Mefsgewänden,  silbernen  Kelchen,  Pa- 
tenen,  Monstranzen  und  Geschenken  für  die  Wenden, 
hielt  im  glänzenden  bischöflichen  Gewände  rührende  An- 
reden an  das  Volk  und  begab  sich  an  die  Höfe  der  wen- 
dischen Fürsten  zu  Cammin ,  Julin  etc.  Ein  erwünsch- 
ter Erfolg  krönte  seine  klugen  Bemühungen  (vergl.  Stein- 
brück  Götzendienst  in  Pommern  und  Rügen,  Stettin  1792 
p.  8.  und  9.). 

Der  Bersluc,    d.  h.  Waldgeist,   wurde  vor  dem  Cri- 


233 


we  und  Veidelboten  verehrt.  Er  hatte  eine  Bocksgestalt, 
einem  Satyr  ähnlich ,  und  heilst  Zlebog  oder  Slebog, 
büse,  zornige  Gottheit.  Welche  Bedeutung  eigentlich 
der  Berstuc  der  Wenden  hatte,  dies  läfst  sich  nicht  ge- 
nau angeben.  Venxiuthlich  gründete  sich  seine  Idee  auf 
die  frühere  Bergreligion,  die  späterhin  dem  Fetischismus 
weichen  mui'ste.  In  dieser  Voraussetzung  hat  man  sich 
unter  Berstuc  den  alten  Sonnengott  zu  denken,  der  auch 
hier,  wie  anderwärts,  in  Thiergestalt  erschien.  Diesen 
alten  Gott  fürchtete  man  sehr,  welches  seine  Benennung 
Slebog  andeutet.  Wahrscheinlich  war  der  Eber  mit  lich- 
ten Elauern,  der  aus  dem  See  aufstieg,  sich  im  Schlam- 
me wälzte,  wenn  die  Rhetrische  Hierarchie  eine  blutige 
und  dauernde  Empörung  der  Unterthanen  befürchtete, 
eine  Andeutung  des  alten  Gotts.  Der  Berstuc  stand  an 
der  Spitze  sämmtlicher  Waldgeister  (bei  den  R.ussen 
Lesnje,  Liesni  scilicet  Duchi).  Dadurch,  dafs  auch  spä- 
terhin noch  Criwe  und  Veidelboten  den  Berstuc  verehr- 
ten, wurde  der  Zusammenhang  der  alten  Religion  mit 
der  neuen  angedeutet  und  Berstuc  galt  eigentlich  nur 
dem  Volke  für  einen  bösen  Gott,  oder  für  eine  Art 
Teufel. 

Die  Gemahlin  des  Berstuc  war  Siksa,  (sikisa,  Berg- 
göttin, Waldgöttin),  die  in  der  Gestalt  einer  ruhenden 
(Andeutung  der  Mondherrschaft)  Kuh  abgebildet  wurde. 

Zii  dem  alten,  abrogirten,  oder  vielmehr  degradirten 
wendischen  Göttersysteme  gehörten  mit  Besstuc  und  Sik- 
sa auch  die  Gottheiten  ürii  nnd  Gudii  oder  Kudii.  IJrii 
ist  aus  hur-ii  entstanden  und  bezeichnet  in  dieser  Form 
eine  Berggöttin.  Bemerkenswerth  ist  hier  die  Endung  ii, 
welche  alt,  grammatisch  richtig  und  mit  der  neuen  En- 
dung a,  oder  ia,  gleichbedeutend  ist.  Der  Urii  wurde  Zau- 
berkraft zugeschrieben,  welches  nicht  nur  ihr  hohes  Alter, 
sondern  auch  ilire  weibliche  Eigenschaft  andeutet.  Späterhin 
hatte  man  diese  alte,  wahrscheinlich  androgynische  (Sonne 
und  Mond)  Gottheit  auch  zu  einer  gynandrischen,  oder  zu 


—     234     — 

einem  Mondgott  gemacht,  weil  sie  mit  einem  bärtigen 
Kopfe  abgebildet  wurde.  Indels  konnte  docli  auch  die 
alte  androgynische  Form  derselben  diese  Darstellung  ver- 
anlafst  haben. 

Nicht  nur  der  grammatischen  Beschaffenheit,  son- 
dern auch  ziemlich  der  Bedeutung  nach  gleicht  die  in 
dem  Bilde  eines  kleinen  weidenden  Hirsches  (Fig.  33. 
der  Rhetraischen  AlterthiAmer)  dargestellte  Göttin  Gudii 
der  Urii.  Gudii  (gu-di-i)  heifst  auch  Gudis  (gu-di-is). 
Gudii  ist  mit  Kudii  gleichbedeutend,  weil  das  g  nur  eine 
Ascension  des  k  ist.  Obgleich  Urii  später  mehr  in  der 
weiblichen  Form  erscheint,  so  ist  es  doch  wahrschein- 
lich, dafs  er  früher  mehr  in  männlicher  Gestalt  darge- 
stellt wurde,  und  dafs,  wenn  er  nicht  selbst  der  mit  ei- 
nem allgemeinen  Namen  genannte  Berstuc,  doch  ein  al- 
ter Berggott  (hur)  war,  der  mit  dem  alten  russischen 
Tschur  Aehnlichkeit  hatte.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich, 
dafs  man  im  Alierthume  den  Sonnengott  auch  Hur,  Hör, 
genannt  hat,  weil  sich  bei  den  Griechen,  Lateinern  und 
Deutschen  die  weibliche  Form  Sqa,  hora,  hera,  Hure  ^°° 
findet. 

Den,  für  bös  gehaltenen,  Waldgöttern  waren  die 
bösen,  im  Hause  schadenden  Gottheiten  entgegengesetzt. 
Man  nannte  sie  Gasta,  d.  h.  überhaupt  Gottheitrn.  Gast 
(Radegast)  heist  Gott,  Gaste  (unbestimmtes  Geschlecht, 
Neutrum)  Gottheit,  auch  die  grofse  (hier  gefürchtete) 
Gottheit.     Gasta  (te  gasta)  ist  der  Plural  von  Gasto, 

Unter  den  Hausgeistern  wird  in  der  nordwendischen 


100  Mit  dem  Namen  Hure,  welches  in  der  primitiven  Bedeu- 
tung eine  Berggöttin  und  in  der  secondären  eine  Mondprie- 
sterin  beieiclinete,  wurde  wohl  erst  später  eine  unkeusche 
Frauensperson  benannt,  als  die  alte  Bergreligion  ausartete 
(Bacchanalien),  oder  als  die  späteren  Priester  und  Priester- 
innen die  Anhänger  und  Anhängerinnen  der  alten  Bergreli- 
gion in  feindlicher  Absicht  ins  üble  Licht  stellten. 


—     255     — 

Mythologie  nur  der  Zei-nebog  Marovit,  der  mit  einem 
Lövvenkopfe,  abgestumpften  Armen,  mit  Schuppen  unij 
Federn  so  wie  mit  einem  blumigen  Rocke  bekleidet  dar- 
gestellt wurde,  genannt.  Ohne  Zweifel  war  Marovit  ein 
quälender  Alp,  dessen  Idee  ich  weiterhin  darzustellen 
versuchen  will.  Der  Name  Marovit  ist  aus  mar  d.  h. 
hoch,  der  Berg  und  vit,  deus,  entstandezi,  Marovit  ist 
demnach  eine  alte  Berggottheit.  Obgleich  das  deutsche 
Wort  Gast  (hospes)  mit  Gasto  avif  derselben  Wurzel  ru.ht, 
so  darf  man  es  doch  nach  meiner  Meinung  nicht  von 
dem  letzteren  ableiten.  Das  Wort  Gast  (hospes)  bedeu- 
tete anfänglich  einen  von  fernem  Gebirge  gekomme- 
nen Fremdling,  der  in  der  Fremde  der  Unterstützung 
bedurfte.  Dieselbe  Bedeutung  hat  auch  das  wendische 
Gosz  oder  Hosz. 

Noch  ist  unter  den  nordwendischen  Gottheiten  Ipa- 
bog  zu  erwähnen.  Obgleich  diese  Gottheit  in  den  Wäl- 
dern ihre  Geschäfte  hatte,  so  war  sie  doch  nicht  eine  so- 
genannte Waldgottheit,  oder  sie  gehörte  nicht  zu  den 
alten  gefürchteten  Göttern  des  Volks.  Ihr  Name  ist  aus 
Hi  und  ipa  (isa,  iza)  zusammengesetzt,  und  bog  ist  spä- 
ter angehangen.  Auf  das  Bog,  welches  nicht  nur  Gott, 
sondern  auch  bisweilen  Göttin  bedeutet,  darf  man  nicht, 
viel  Rücksicht  nehmen.  Der  alte  Name  der  Gottheit 
war  ohnstreitig  Ipa.  Auf  ihrem  Bilde  ist  eine  Hirsch- 
und  Schweine -Jagd  vorgestellt.  Deshalb  und  wegen  ih- 
res ursprünglich  rein  weiblichen  Namens  kann  man  sie 
für  die  nordwendische  Jagdgöttin  und  mithin  mit  der 
römischen  Diana  so  wie  mit  der  südwendischen  Dziewiza 
für  gleichbedeutend  hallen. 

So  wie  man  gegenwärtig  in  protestantischen  Ländern 
und  Städten  da,  wo  das  Bedürfnifs  es  erfordert,  auswär- 
tigen Religions-Cultus  (römisch-katholischen,  griechi- 
schen, jüdischen)  gestattet,  so  gestatteten  auch  die  tole- 
ranten und,  nach  damaligen  Begriffen,  nicht  wenig  ge- 
bildeten Nordwenden,     insonderheit  die  in  den  Haupt- 


—     236     — 

und  Handels-Städten,  die  Verehrung  auswärtiger  Gotthei- 
ten. Dies  war  um  so  nöthiger,  als  sich  in  den  an  der 
Ostsee  gelegenen  Handelsorten  immer  mehrere  finnische 
und  skandinavische  Kaufleute  aufliielten  und  als  wohl 
bisweilen  sogar  mehrere  Individuen  der  genannten  Völ- 
ker in  den  Wendenländern  ihren  Wohnsitz  nahmen.  Da- 
her rührt  es,  dafs  man  neben  den  wendischen  Götterna- 
inen  auch  finnische  und  skandinavische  findet.  Zu  den 
finnischen,  oder  vielmehr  esthländischen  Gottheiten  ge- 
hört Tara.  Tara  bedeutet  aber  nicht  den  Sonnengott 
Tor,  sondern  die  Mondgöttin  Taara,  die  nackend  (ge- 
wöhnliche Darstellung  der  ursprünglich  v;?eiblichen  Gott- 
heiten) und  mit  einem  Pfeil  abgebildet  wurde.  Der 
Pfeil  deutete  wahrscheinlich  an ,  dafs  Tara  eine  Gottheit 
des  Krieges  und,  nach  der  späteren  Vorstellung,  ein  Mond- 
gott war.  Manche  wollen  in  dem  Pfeile  auch  ein  Sym- 
bol des  Blitzes  finden,  welche  secondäre  Deutung  auch 
zulässig  ist,  weil  die  später  entstandenen,  leidenschaftlichen 
(als  die  Menschen  selbst  böser  und  leidenschaftlicher  ge- 
worden waren)  Mondgötter  nicht  nur  kriegten,  sondern 
auch  blitzten  und  blitzen  kennten,  indem  der  Blitz  als 
ein  Erzeugnifs  der  niederen  Atmosphäre  und  als  ein, 
dunkle  Wetterwolken  erleuchtendes,  Licht  schon  früher 
der  Mondgöttin  zugeschrieben  wurde.  Wahrscheinlich 
war  die  Tara  die  esthländische  Tara-pya  (pya,  Göttin) 
in  ihrer  vielfachen,  noch  nicht  hinlänglich  bekannten  Be- 
deutung. 

Auch  Othin  und  Vohda  wurden  in  dem  Lande  der 
Nord  wenden  hie  und  da  verehrt.  Othin  oder  Odin  ist 
der  bekannte  Mondgott  der  Gothen ,  die  vom  kaukasi- 
schen Gebirge  nach  Norden  kamen,  einen  Theil  des  süd- 
lichen Gestades  der  Ostsee  einnahmen  und  dann  zum 
Theil  nach  Dännemark  und  Schweden  zogen.  Die  Ver- 
ehrung des  Othin  wurde  im  nördlichen  Wendenlande, 
theils  durch  den  Aufenthalt  skandinavischer  Kaufleute 
in  den  wendischen  Handelsstädten ,  theils  durch  den 
Umstand  bedingt,    dais  noch  eine  Anzahl  Gothen  (Ger- 


—     237     — 

manen)  in  dem  Lande  der  Obotritren  blieb,  als  die 
Letzteren  das  Land  occupirt  hatten.  Auch  nehmen  Man- 
che an:  dais  die  Wenden  schon  früher  von  den  Gothen, 
als  Erstere  noch  in  der  Nähe  der  Letzteren  in  den  Ge- 
genden des  schwarzen  Meeres  wohnten,  den  Odin-Cultus 
angenommen  hätten  (vergl.  Thunraann  über  die  gottes- 
dienstl.  Alterthümer  der  Obotriten  p.  24.). 

Neben  Odin  wurde  im  Wendenlande  auch  Vohda 
oder  Wohda,  vorzüglich  zu  ßhetra ,  verehrt.  Der  Ety- 
mologie nach  ist  Vphda  eine  Göttin.  Der  Name  Vohda 
kann  nämlich  doch  nur  aus  vo  und  oda  entstanden  seyn. 
Das  h  in  der  ersten  Sylbe  ist  ohnstreitig  ein  orthographi- 
scher Fehler.  Voda,  oder  Woda  heifst  Berggöttin,  Mond- 
göttin. Als  solche  kündigt  sie  auch  ihre  Repräsentation 
an.  Sie  erscheint  nämlich  gewöhnlich  nackt,  hat  unter 
ihren  Attributen  Schlangen  und  auf  ihrem  Bilde  steht  di«  In- 
schrift Zir  undZinitra,  vvelchesGöttin  bedeutet.  Nach  meinem 
Dafürhalten  bedeutet  die  neben  dem  Odin  verehrte  Woda 
nichts  anders  als  die  skandinavische  Freia  und  die  wendische 
Ziwa  in  alter  Form,  überhaupt  die.,  neben  dem  Mond- 
gotte  stehende,  Mondgöttin. 

Dafs  die  Woda  ältere  Religionsvorstellungen  in  sich 
fafste,  als  die  Freia  (fer  oder  ber,  ia)  im  neuen  skandi- 
navischen Glaubenssysteme,  erhellet  aus  den  ihr  beige- 
legten Sclangen,  die  sie  als  eine  alte,  die  Arzneikunde 
beschützende  Göttin  bezeichnen. 

So  wie  Woda  Berggöttin  heifst,  so  auch  Wanadis 
(wan-adis,  asis),  mit  welchem  Namen  man  die  Freia 
benannte.  Wanadis  darf  man  aber  nicht  durch  Göttin 
der  Wanen,  die  man  mit  Wenden  für  Synonima  hält, 
übersetzen,  weil  die  Benennungen  der  Gottheiten  nach  Völ- 
kern und  Städten  bei  den  Slaven  durchaus  ungewöhnlich  zu 
seyn  scheinen,  wenn  auch  die  Wenden  früher  wirklich  Wanen 
(wa-anen,  Bewohner  flacher,  waldfreier  Gegenden,  entgegen- 
gesetzt den  Hochländern,  ]  Sarmaten)  geheifsen  hätten.  Das 


—     238     — 

deutsche  Wort  Wahn  (opinio)  ruht  zwar  mit  dem  Na- 
men der  Wanen  auf  derselben  Wurzel,  ist  aber  nicht  von 
den  Wanen  abzuleiten,  sondern  bezeichnet  den  späteren 
idololatrisrhen  religiösen  Glauben,  den  die,  der  alten 
Sonnen  -  Religion  treu  gebliebenen ,  Bergbewohner  für 
falsch  hielten.  Das  slavische  Wort  Woda  (aqua)  lautet 
zwar  wie  der  Name  der  Göttin  Woda;  aber  es  bedeutet 
etwas  Niedriges ,  von  Bergen  Herstammendes  und  unter 
dem  Regimenie  der  Mondgöttin  Stehendes.  Auch  haben 
Manche  behauptet,  dafs  Voda  das  bedeutet,  was  das  in- 
dische Budha.  Nach  meinem  Dafürhalten  ist  aber  Budha 
nicht  eine  weibliche,  sondern  männliche  Gottheit,  und 
das  Wort  Budha  die  umgekehrte  männliche  Endung 
(Bud-ah),  wie  Brama  (bar-am),  Wischnu  (wisch-un), 
Menü  (me-un)    u.  s.  w. 

Unter  den  fremden  Gottheiten,  die  im  Wendenlan- 
de verehrt  wurden,  ist  auch  Balduri  genannt.  Es  ist 
schwer,  genau  zu  bestimmen,  welche  Bedeutung  diese 
Gottheit  gehabt  hat.  Der  Name  derselben,  der  aus  Bai, 
die  Sonne  und  duri,  die  Göttin,  zusammengesetzt  ist, 
bedeutet  eine  Sonnengottsgemahlin,  Mondgöttin.  Darge- 
stellt wurde  Balduri  mit  drei  gehörnten  Köpfen,  und  sie 
führt  den  Namen  Rathgeber.  Die  drei  Köpfe  der  Balduri 
scheinen  einen  Triglav  anzudeuten,  so  wie  die  drei  Hör- 
ner drei  Halbmonde.  Ich  vermuthe  es,  dafs  Balduri  die 
drei  Gottheiten  Tor  (Bai),  Odin  (Wodan)  und  Woda 
in  sich  vereinigte,  kann  es  aber  nicht  bis  zur  Evidenz 
beweisen.  Dafs  man  diesen,  von  mir  supponirten,  Trig- 
laf  mit  einem  weiblichen  Namen  benannte,  wird  nicht 
auffallen,  wenn  man  sich  erinnert,  dafs  in  der  späteren 
Zeit  der  Mondname  so  wie  der  Mondcultus  überall  vor- 
herrschte. In  Steinbrücks  Abbildungen  der  wendischen 
Gottheiten  erscheint  Triglav  durchaus  weiblich,  welche 
Repräsentation  um  so  zulässiger  erscheint,  als  Triglav 
zwei  Mondgottheiten  in  sich  fafst.  Es  galt  auch  hier 
sonder  Zweifel  die  Regel:    a  potiori  fit  denominatio. 


—     239     — 

Es  kann  seyn,  dafs  die  Wenden  in  ihrer  Sprache 
Balduri  auch  Triglowa,  d.  h.  die  dreiköpfige  nannten  und 
sich  zu  diesem  Adjectiv  das  Hauptwort  Göttin  (Bya,  Ra- 
7.iwa,  Zir,  Zirnitra  etc.)  dachten,  ßathgeber  wurde  die 
Balduri  wohl  deshalb  genannt,  weil  sie  vorzüglich  Ora- 
kel ertheilte.  Wurde  die  dreiköpfige  Balduri  nur  von 
den  Skandinaven  und  den  im  Wendenlande  verbliebe- 
nen,' oder  sich  bisweilen  in  das  Land  der  Wenden  be- 
gebenden Germanen  verehrt,  und  gaben  die  Balduri-Prie- 
ster  nur  diesen  durch  Orakel  Rath,  so  bildeten  sie  eine 
zweckmäfsige,  wohlthätige  Anstalt,  bei  der  sich  ihre, 
sich  in  der  Fremde  befindenden  Nationalen,  aufser  reli- 
giösem Trost,  auch  sonst  noch  Rath  und  Hülfe  erholen 
konnten.  Diese  Anstalt  hatte  einige  Aehniichkelt  mit 
den  heutigen  Gesandtschaften  in  fremden  Ländern,  ^°^ 
welche  dort  die  Nationalen  vertreten,  und  sie  durch  Rath 
und  That  unterstützen. 


V.     Religion   der  Südwenden. 

Schon  früher  habe  ich  (Neues  Lausitzisches  Magazin) 
es  ausgesprochen,  dafs  ich  mit  Karamsin  (vergl.  russische 
Geschichte,  I.  Th.)  der  Meinung  bin:     dafs  die  jetzigen 


101  Vorzüglich  mit  der  geistlichen  Mission  der   Russen   in  Pe- 
king. 


—     240     — 

Oberlausitzei*  und  Meifsner  Wenden  so  wie  die  ehemali- 
gen Wenden  des  Erzgebirgischen  und  Leipziger  Kreises 
aus  Serbien  und  Slavonien  herstammen  und  dafs  sie,  weil 
sie  sich  dem  Awaren  -  Chan  Bajan  nicht  unterwerfen  woll- 
ten, durch  Tschechien  in  ihre  letzten  Wohnsitze  einge- 
wandert sind.  Die  Einwanderung  dieser  Freiheitliebeaden, 
von  der  Cultur  der  Griechen,  mit  denen  sie  gegen  ein  Jahr- 
hundert verkehrt  hatten,  angehauchten  Flüchtlinge  wurde 
für  den  Anbau  des  Landes  im  hohen  Grade  erspriefslich.  Ge- 
gen die  früher  in  dem  Südwendenlande  wohnenden  Ger- 
manen,  namentlich  gegen  die  Naharvalen,  Lygier,  Hermun- 
duren u.  s.  w.  führten  sie  nicht  einen  Vertilgungskrieg,  son- 
dern beenügten  sich  mit  den  niederen,  vorzüglich  zum 
Ackerbau  geeigneten  Gegenden,  beliefsen  dagegen  die  ge- 
hirgigen  den  Germanen.  Daher  rührt  es ,  dais  noch  jetzt 
in  der  Oberlausitz  in  den  Gebirgsgegenden  deutsche  Zun- 
ge und  Sitte ,  in  den  niederen  dagegen  die  wendische 
herrscht.  In  der  Niederlausitz  und  an  der  Mittelelbe 
stiefsen  sie  mit  den,  auf  einem  andern  Wege  in  die 
Spree-,  Havel-  und  Eibgegenden  gekommenen,  Wenden 
zusammen  und  verschmolzen  hier  wieder  mit  denselben, 
von  denen  sie  sich  vor  ihrer  Einwanderung  in  die  Gren- 
zen des  griechischen  Kaiserreichs  wahrscheinlich  getrennt 
hatten.  Man  kann  es  jetzt  nicht  genau  angeben,  wie 
weit  die  aus  Südost  eingewanderten  Wenden  nordwärts 
vorgeschritten  sind,  weil  sich  gegenwärtig  auch  die  nie- 
derlausitzer  Wenden  Serben  nennen.  Jetzt  zeigt  sich 
uns  da  eine  Scheidungslinie  zwischen  den  Süd-  und 
Nord -Wenden,  wo  sich  der  süd-  und  nordwendische 
Sprachdialect  trennen,  oder  wo  man  z.  B.  statt  hora  go- 
ra,  statt  hat  gat,  statt  prawo  pschawo,  statt  jeden  jaden, 
statt  fswjaty  fswety  etc.  zu  sprechen  anfängt. 

Die  Wenden  in  der  Oberlausitz,  in  der  Niederlausitz  und 
im  Meifsnischen  nennen  sich  jetzt  alle  Serben,  oder  Sserben 
d.  h.  Bewohner  niederer  Gegenden.  Die  in  den  oberen 
Bezirken  des  Meifsner  Kreises  früher  wohnenden,  hiefsen 
Daleminzen  (dal-min-izen),  welches  Wort  dem  Namen 


—     241     — 

Hermunduren  entspricht.  Das  Wort  dal  hat  zwar  oft  die 
Bedeutung  eines  hohen  Berges,  wie  z.  B.  in  Dolagir,  in 
Dole  im  Elsafs,  im  Ortsnainen  Dahlen  am  Tromsberge 
bei  Baüzen  ii.  S.  vv,  Indefs  wird  dies  Wort  auch  zur 
Bezeichnung  niederer  Berge  gebraucht.  Da  in  dem  Na- 
men Daleminzei;!  dem  Worte  dal  noch  minzen,  welches 
Bewohner  niederer  Gegenden  bezeichnet,  angehan"'en  ist, 
so  kann  man  Daleminzen,  oder  Daleminzier  durch  Be- 
wohner hoher  und  niederer  Gegenden  übersetzen.  Wahr- 
scheinlich blieben  auch  in  den  höchsten  Gebirgsgegenden 
des  Meifsner  und  Erzgebirgischen  Kreises  die  Germanen, 
sitzen,  die  Wenden  dagegen  nahmen  die  niederen  Berge 
und  das  ebene  Land  in  Besitz. 

So  wie  die  Oberlaiisitzer,  Meifsner  und  Leipziger 
Wenden  mit  den  Nordwenden  zu  einem  und  demselben 
Hauptvolksstamme  gehörten,  so  hatten  sie  auch  mit  den 
Letzteren  denselben  Religiönsglauben.  Indefs  ist  es  ge- 
wifs,  dafs  die  Südwenden  Einiges  aus  der  Religion  dei! 
Böhmen  und  Schlesier,  mit  denen  sie  in  enger  Verbin- 
dung standen,  so  wie  insonderheit  aus  dem  Glauben  det 
Germanen,  die  vor  ihnen  im  Lande  gewöhnt  hatten  und  die 
an  ihrer  Seite  sitzen  blieben,  in  ihre  Mythologie  aufnah- 
men. Wäre  auch  nur  ein  Prilwitzisches  Pantheon  in  dem 
Lande  der  Südwenden  aufgefunden  worden,  so  könnte 
man  bestimmtet  über  die  Beschaffenheit  der  südWendischen 
Religion  in  der  letzten  Zeitperiode  ( vor  der  Einführung 
des  Chlristenthums )  ürtheileü.  Ich  habe  die  Religion  der 
Südwenden  von  der  nordwendischen  deshalb  geschieden, 
weil  im  Südwendenlande  einige  mythologische  Namen 
vorkommen,  die  uns  in  der  nordwfendischen  Religion 
nicht  begegnen,  und  weil  sich  sowohl  das  politische, 
als  auch  das  religiöse  Leben  in  den  binnenländischen 
Kreisen  (Ssüpauien  ^°^)   der  Südvvenden   doch  etwas  an- 


102  Das  Wort  Ssupän   (auch  Scliupan)  bedeutet   einen  Fürsten. 
Die  Ssupane  scheinen  aber  nicht  die  Gewalt  besessen  zu  ha- 

16 


—     242     — 

ders  gestaltete,  als  in  den,  an  die  Ostsee  angrenzenden 
nordwendischen  Fürstenthümern.  In  Norden  mischte  sich 
das  Skandinavische,  Preufsische  und  Finnische  in  den 
Glauben  der  Wenden,  im  Süden  dagegen  das  Böhmische, 
Schlesische  und  Südostgermanische. 

Fragt  man  zunächst  darnach,  wie  ider  Sonnengott 
der  Südwenden  geheifsen  hat,  so  ist  darauf  Folgendes  zu 
antworten.  Die  südlichen  Wenden  verehrten  in  der  späte- 
ren Zeit  allerdings  auch  die  Sonne,  diese  grofse,  wohlthäti- 
ge  Gottheit,  und  benannten  sie  mit  dem  unbestimmten 
(Neutrum)  Namen:  to  Szwonzo.  Es  ist  unläugbar,  dafs 
dieser  Benennung  die  alte  Idee  der  einen  androgynischen 
grofsen  Gottheit  (Sonne  und  Mond  zusammen)  zu  Grun- 
de liegt,  Indefs  hatte  sich  auch  bei  den  Südwenden  nicht 
der  erwähnte  uralte  Monotheismus  erhalten,  sondern  auch 
bei  ihnen  waren  die  Sonne  und  der  Mond,  als  getrennte 
Gottheiten,  in  das  Leben  der  Menschen,  der  Thiere  und 
der  leblosen  Natur  herabgezogen  worden ,  die  man  mit 
verschiedenen  Namen  benannte  und  die  man  durch  ver- 
schiedene Idole  repräsentirte.  Der  Sonnengott  hat  hier 
höchst  wahrscheinlich  die  Namen  Hausch,  oder  Aux,  Han 
oder  Hon  und  Jun  oder  Tutor  geführt.  Hausch  (Aux- 
theias)  wurde  der  Sonnengott,  nach  meiner  Vermuthung, 
in  der  südöstlichen,  an  das  schlesische  Gebirge  anstofsen- 
den  Oberlausitz  genannt.  Der  Name  Aux,  oder  Hau-as, 
ax  kann  ein  primitiver,  jedoch  aber  auch  ein  derivirter 
seyn.    In  beiden  Fällen  bedeutet  er  einen  Berggott,  Son- 


ben,  wie  die  nordwendischeii  Fürsten  (reguli).  Im  Südwen- 
den-Lande scheint  eine  mehr  democratische  Regierung  Statt 
gehabt  zu  haben.  Das  Wort  Ssupan  hat  man  auch  durch 
Gerichtsherr  (Schofet,  Consul)  übersetzt,  und  Ssupanie 
durch  Gerichtsbezirk,  Fürstenthum,  Canton  u.  s.w.  Aus 
Liebe  zur  Freilieit  hatten  die  Siidwenden  ihre  früheren 
Wohnsitze  (an  der  westlichen  Grenze  des  griechischen  Kai- 
serreichs) verlassen.  Vergl.  Karamsin's  russisch.  Geschichte, 
1.  Bd, 


—     243     — 

nengott,  Höhengott,  das  hocherhabene  Wesen.  Der  Name 
Aux,  Hausch,  Haus  ist  ohnstveitig  mit  dem  Haus  in  dem 
Worte  Hausieuer,  d.  h.  Bergfeuer,  dasselbe,  und  das 
noch  jetzt  von  den  Oberlausitzer  Wenden  gebrauchte  Boh 
werschny  eine  Uebersetzung  des  Auxtheias. 

Als  das  Christenthum  in  der  Oberlausitz  eingeführt 
wurde,  brauchte  man  den  Namen  eines  rein  männlichen, 
hohen,  grofsen  Gotts,  zur  Bezeichnung  des  einzigen 
wahren  Gottes.  Von  dem  Oo.ip.  ^^^^  ^^^^^^  Namen  man 
den  wahren  Gott  benennen  wollte,  muis.^  ^^^  Glaube 
herrschen,  dafs  er  uralt,  mächtig,  gütig,  unveränoc-cij^^u 
barmherzig  sey.  Diese  Bequisite  fand  man  nun  in  dem  al- 
ten Berggott,  dessen  Idee  doch  nicht  untergegangen  war, 
obgleich  zur  Zeit  der  Einführung  des  Christenthums  seine 
Verehrung  der  des  späteren  MondgottsFlins  hintenan  gesetzt 
wurde.  Dafs  der  Name  Aux,  Hau-as,  Haus,  Hausch  ger- 
manisch ist,  dies  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel.  Ist 
der  Name  nicht  ein  primitiver,  so  ist  es  wahrscheinlich, 
dafs  ihm  der  alte  Berg-  oder  Sonnengott  Mars  (mar-as) 
zu  Grunde  liegt,  weil  die  Mondgöttin  unter  dem  Namen 
Mars  noch  in  der  späieren  Zeit  in  der  Zittauer  Gegend 
vorkam,  und  weil  die  Wurzel  mar  sich  noch  in  mehre- 
ren Ortsnamen  der  eben  genannten  Gegend,  z.  B.  in 
Markersdorf,  Marklissa,  Marktliennersdorf  u.  s.  w.,  so 
wie  in  dem  Bergnamen  Kotmars  (berg)  findet,  obgleich 
es  gewifs  ist,  dafs  die  genannten  Orte  von  dem  früher 
daselbst  Statt  gehabten  Cultus  des  Sonnengotts  Mars  und 
der  Mondgöttin  Mara  ihren  Namen  nicht  erhalten  haben. 

Der  Name  Hon  ist  höchst  wahrscheinlich  nur  eine 
andere  Form  für  Hau-as,  oder  ax.  Das  Wort  Hon  ist 
aus  Ho  und  on  zusammen  «besetzt  und  bezeichnet  einen 
Berggott,  Sonnengott.  Es  ist  dies  die  Wurzel,  die  in  den 
Namen  Hünen  (hu-unen,  Bergbewohner),  Hungaria  (hun- 
gar-ia),  Homburg  (Bergstadt)  u.  s.  w.  vorkommt.  Der 
Name  Hon  scheint  eher  germanisch,  als  slavisch  zu  seyn, 
weil  die  Wurzel  hun,   hon,  han,  hen,  hin  in  der  deut- 

16* 


—     244     — 

sehen  Sprache  skh  oft  findet.  Intlefs  ist  es  gewöhnlich 
unsicher,  wenn  man  auf  den  Grund  der  Bemerkung,  dafs 
eine  Wurzel  in  einer  Sprache  häufig  vorkommt,  sogleich 
behauptet,  dafs  dies  oder  jenes  Wort  einer  Sprache  al- 
lein angehört.  ^°^  Die  erwähnte  Wurzel  begegnet  uns 
nämlich,  wenn  auch  nicht  so  oft,  als  im  Deutschen,  auch 
in  der  wendischen  Sprache,  z.  B.  in  Huno,  die  Tenne. 
Hono,  die  hochgelegene  Feldflur,  Honak,  der  Hahn  u. 
s.  w.  Für  die  Meinung,  dafs  Hon  bei  den  Wenden  den 
Sonnengott  bedeutet  habe,  -rriLtit  ohnstreitig  die  noch 
bei  denselben  gewöhnliche  Benennung  des  Weihnachts- 
festes»  ^'^'eiches  Hody  (ho-ody)  heifst.  Ohne  Zweifel  feier- 
ten die  heidnischen  Bewohner  des  Südwendenlandes,  ohn- 
gefähr  um  Weihnachten,  das  Fest  des  aus  dem  Süden 
wieder  zurückkehrenden  Sonnengotts,  Dieses  Fest  war 
dasselbe,  dessen  Feier  die  Russen  am  24.  December  be- 
gingen und  das  sie  Koliady  nannten.  Ferner  weiset  die 
noch  jetzt  bei  den  Südwenden  übliche  Benennung  eines 
Heiden  (Puhan)  darauf  hin,  dafs  das  Wort  Hon,  oder 
Han,  den  Sonnengott  bedeutet  hat.  Puhan  heifst  näm- 
lich in  der  ersten  Bedeutung  Berggott,  deus  montanus, 
in  der  zweiten  bezeichnet  es  aber  einen  Menschen,  der 
dem  Cultus  des  Berggotts  hartnäckig  anhängt.  Höchst 
wahrscheinlich  war  das  Wort  Puhan  schon  lange  vor  der 


103  So  scheint  es,  dafs  das  Wort  Meer,  Morjo  (wendisclien)  dem  la- 
teinisclien  mare,  welches  wieder  aus  dem  Sanscrit  stammen  soll, 
nachgebildet  ist.  Sowohl  die  Deutschen  als  auch  die  Wen- 
den, hatten  aber  ohne  Zweifel  das  Wort,  womit  sie  das  Meer 
bezeichnen,  viel  früher,  als  die  lateinische  Sprache  mitdem 
Christenthume  zugleich  in  ihren  Ländern  sich  verbreitete. 
Bezeiclmend  und  malend  ist  insbesondere  das  wendische  Wort 
Morjo,  welches  ein  Hohes,  das  aber  wie  ein  sanft  anstei- 
gender Berg  sich  erhebt  (ojo)  bedeutet.  Das  griechische  9d- 
Jicicaa  ist  aus  thal,  d.  h.  der  Berg  und  asa,  ein  weibliches  We- 
sen, zusammengesetzt  und  scheint  ursprünglich  nur  einen 
Landsee  bezeichnet  zu  haben ,  n^layog  (pel-ag)  und  'ansavog 
(ho-ke-an)  dagegen  das  hohe  Meer,   das  Weltmeer, 


—     245     — 

Einführung  des  Christenthums  bei  den  Südwenden  üb- 
lich, und  bezeichnete  die  Anhänger  der  Sonnenreligion 
der  zweiten  Periode,  die  auch  hier,  wie  anderwärts,  am 
längsten  in  dcai  gebirgigen  Gegenden  ihren  alten,  von 
dem  modernen  Fetischismus  bedeutend  abweichenden  re- 
ligiösen Cultus  fortsetzten.  Die  niederlausitzer  Wenden 
nennen  einen  Heiden  Tatan,  welches  Wort  von  dem  al- 
ten polnischen,  Segen,  Gedeihen  und  Fülle  spendenden 
Sonnengott  Datan  (Tatan  ist  nur  eine  härtere  Sprechart), 
und  nicht  von  den  im  ISten  Jahrhunderte  bis  nach 
Schlesien  vorgedrungenen  Tataren  abzuleiten  ist.  Weil 
aber  die  Niederlausitzer  einen  Heiden  Tatan  nennen,  so 
kann  man  annehmen ,  dafs  der  Datan  nicht  blos  in  Po- 
len, sondern  auch  in  der  Niedex^ausitz  als  Sonnengott 
(zweite  Religionsperiode)  verehrt  worden,  und  dafs  der- 
selbe wie  Hon  dem  Saturn,  Tschur,  Quoschcz  u.  s.  w. 
ähnlich  gewesen  ist.  Auch  der  niederlausitzer  Sprach- 
dialect  hat  mit  dem  polnischen  viel  Aehnlichkeit.  Fälsch- 
lich hat  man  das  oberlausitzische  Wort  Pohan  von  dem 
lateinischen  paganus  abgeleitet.  Obgleich  nämlich  das 
Verhältnifs,  in  welchem  die  Christen  in  Italien  zu  den, 
an  der  Idololatrie  fest  hängenden  paganis  standen,,  und 
dasjenige,  welches  zwischen  den  späteren  fetischistischen 
Bewohnern  des  Südwendenlandes  und  den,  sich  in  die 
Gebirge  begebenen,  Anhängern  des  Sonnencultus  zweiter 
Periode  Stattfand,  Aehnlichkeit  hatte,  so  war  doch,  wie 
eben  bemerkt,  das  Wort  Pohan  in  der  Oberlausitz  eher 
vorhanden,  als  die  dasigen  Wenden  mit  dem  Christen- 
thume  zugleich  mit  einigen  lateinischen  Wörtern,  z.  ß. 
Saerament,  Pretzel  (pretiolum)  u.  s.  w.  bekannt  wurden. 

In  dem  jetzigen  preufsischen  Potsdamer  Regierungs- 
bezirke liegt  eine  ehemals  wendische  Stadt,  welche  Jüter- 
bog heifst.  Weil  die  letzte  Sylbe  des  Namens  dieses  Orts 
mit  dem  wendischen  Worte  Bog  (Gott)  gleichlautet,  so 
hat  man  angenommen,  dafs  es  einen  wendischen  Gott 
Namens  Jüterbog  gegeben ,  dafs  dieser  Gott  in  der  Stadt 
Jüterbog   verehrt    worden  ist   und   dafs    diese  Stadt    von 


—     246     — 

demselben  Gotte  ihren  Namen  erhalten  hat.  Dieser  Schlufs 
ist  aber  falsch.  Das  Wort  Bog  bedeutet  in  dem  Namen 
Jüterbog  weiter  nichts,  als  Stadt.  Es  ist  gleichbedeutend 
mit  dem  bach  in  den  Ortsnamen  Culrabach,  Rambach 
u.  s.  \v.  Die  beiden  ersten  Sylben  des  Ortsnamen  (Jü- 
ter)  bilden  den  ursprünglichen  Namen  des  Orts,  welcher 
einen,  an  ehaer  sanft  ansteigenden  Anhöhe  tief  liegenden 
Ort  bedeutet;  das  bog  wurde  später  angehangen,  als  der 
ehedem  kleine  Ort  (Jüter)  ein  grofser,  befestigter  wurde. 
Der  Wortbedeutung  nach  war  das  Dorf  Milstrich  bei  Ca- 
menz  ,  welches  im  Wendischen  den  Namen  Jütro  führt, 
in  alten  Zeiten  bedeutender,  als  Jüter.  Jütro  ist  näm- 
lich, wie  lipsko  (Leipzig),  Wino  (Wien),  Blunjo  (Bluno 
bei  Hoyerswerda )  u.  s.  w.  ein  etwas  Grofses  bedeuten- 
des Neutrum.  So  wenig  aber  der  Name  der  Stadt  Jü- 
terbog den  einstigen  Glauben  der  Wenden  an  eine  Gott- 
heit, die  ohngefähr  so  hiels  wie  Jüterbog,  beurkundet,  so 
kann  man  doch  aus  einem  andern  Grunde  annehmen,  dafs  die 
Wenden  eine  Gottheit,  deren  Name  mit  Jütex-bog  ziemlich 
gleichlautend  war,  verehrt  haben.  Diesen  Grund  finde  ich 
in  der  noch  jetzt  gewöhnlichen  wendischen  Benennung  des 
Osterfestes,  welches  Jutry  (Ju-utry)  heilst.  Dafs  diese 
Benennung  von  dem  Namen  einer  Gottheit  der  heidni- 
schen Wenden  herrührt,  ist  wohl  nicht  zu  bestreiten.  Es 
fragt  sich  aber,  welchen  Namen  eigentlich  die  Gottheit 
hatte,  von  welcher  die  Benennung  des  Osterfestes,  Jutry, 
herstammt?  Der  Morgengrufs  der  niederlausitzer  Wenden 
lautet  noch  jetzt  Dobrejtscho.  Dieses  Wort  ist,  wie  das 
oberlausitzische  wersch  pomasy,  eine  Contraction  und  ist 
aus  dobre  Jutscho  entstanden.  Das  Wort  Jutscho  bezeich- 
net im  Niederlausitzischen  den  Morgen,  Sajtscha,  die 
Zeit  unmittelbar  nach  dem  Aufgange  der  Sonne.  Das 
Wort  Sajtscha  lautet  im  Oberlausitzischen  Sajtra,  welches 
aus  Sa,  nach  (post),  jutra  entstanden  ist.  Dafs  Jutra 
(ju-tura)  ein  Plural  ist,  so  wie  auch  ranische  Sera,  d.  h. 
die  Morgendämmerung,  dies  erleidet  keinen  Zweifel.  Der 
Plural  Jutra  deutet  an ,  dafs  die  oberlausitzer  Wenden 
die  Aurora,  welche  die  Polen  Ausca  (Hau-aska,  von  Aux, 


—     247     — 

oder  ITaux,  Ilnus,  Hausch  abgeleitet)  nannten,  so  wie 
die  aufgehende  Sonne  unter  dem  Worte  verstanden.  Sa- 
Jutra,  oder  Sajtra  war  die  Zeit  nach  der  Morgenröthe 
und  nach  dem  Aufgange  der  Sonne.  Melanchthon  be- 
merkt irgendwo,  dafs  in  Jüterbog  Deus  aurorae  verehrt 
worden  sey.  Einen  Deus  Aurorae  hat  es  aber  in  keiner 
Mythologie  gegeben,  weil  nach  dem  Glauben  des  Alter- 
thunis  die  Nachtgöttin  in  dem  Zwielicht  der  Morgenrö- 
the waltete.  Erst  die  aufgegangene  Sonne  brachte  das 
volle  Licht  und  endete  das  dunkle  Walten  der  Göttin. 
Weil  aber  beim  Beginn  des  Tages  beide  Gottheiten,  die 
weibliche  und  die  männliche,  thätig  waren,  deshalb 
nannten  die  Wenden  den  frühen  Morgen  Sajutra,  d.  h. 
die  Zeit  nach  den  beiden  Gottheiten. 

Obgleich  in  dem  erwähnten  Falle  nur  das  in  Rede 
stehende  Wort  in  plurali  vorkommt,  so  war  es  doch  ge- 
wifs  auch  in  singulari  üblich,  wie  man  dies  an  dem  nie- 
derlausitzischen  Jutscho  sieht,  welches  mit  Jutro  völlig 
gleichbedevitend  ist.  Freilich  mochte  das  Wort  Jutro 
(ju-tu-uiT),  d.  h.  die  grofse  Berggo'.theit)  vorzugsweise  die 
Sonne  bezeichnen;  es  schlofs  aber  doch  auch  die  Göttin, 
deren  Herrschaft  (Aurora)  unmittelbar  an  die  des  Son- 
nengotts grenzte,  nicht  aus.  Iliefs  aber  Jutro  (Jutscho) 
die  grofse  Morgengottheit,  so  entsteht  nun  die  Frage: 
warum  die  christlichen  Wenden  das  Osterfest  Jutry  ge- 
nannt haben?  Dies  konnte  freilich  deshalb  geschehen, 
weil  sie  zwischen  dem,  von  Grabesruhe  auferstandenen, 
die  Welt  von  der  Finsternifs  des  Irrwahns  befreienden 
Erlöser  und  zwischen  dem ,  von  der  Ruhe  des  nächtli- 
chen Schlafs  wieder  froh  erwachten  Sonnengotte,  einige 
Aehnlichkeit  fanden.  Auch  der  Wahn,  dafs  die  Sonne 
am  Morgen  des  ersten  Osterfeiertages  freudig  hüpfe, 
konnte  aus  einer  Paralellisirung  des  siegenden  Sonnen- 
gotts mit  dem  von  den  Todten  auferstandenen  Sieger 
über  Bosheit,  Tod  und  Grab  hervorgehen.  So  viel  Ur- 
sache aber  die  Wenden  hatten ,  den  göttlichen  Helden 
aus  Canaan  mit  dem  siegenden  Sonnenhelden  (aufgehen- 


248 


^e  Sonne)  zu  paralellisiren ,  so  glaube  ich  doch  nicht, 
dafs  diese  Paralelle  allein  die  wendische  Benennung  Ju- 
try  erzeugt  hat.  Es  ist  vielmehr  höchst  wahrscheinlich, 
dafs  die  Wenden  in  alter  Zeit  ein  Fest  feierten,  welches 
sie  Jutry  nannten ,  weil  auch  die  Benennungen  der  bei- 
den andern  hohen  Feste  auf  den  Namen  alter  Götterfeste 
ruhen.  Das  grofse  Fest  aber,  welches  um  die  Zeit  un- 
sers  Osterfestes  in  vielen  Ländern  gefeiert  wurde,  war 
das  Frühlingsfest.  Manche  Völker  feierten  dieses  Fest 
in  der  Mitte  des  Aprils  und  noch  später.  Die  Letten 
feierten  dasselbe  (vergl.  Mone  L  p.  87.)  am  22.  März, 
An  diesem  Feste  pries  der  Priester  den  Pergubrios  mit 
den  Worten:  O!  Herr,  unser  Gott  Pergubrios,  du  ver- 
jagst den  Winter,  bringst  die  Lust  des  Frühlings  wieder, 
durch  dich  grünen  Aecker  und  Gärten,  durch  dich  blü- 
hen Wälder  und  Büsche.  Durch  dieses  Fest  suchte  man 
sich  den  nun  in  volle  Herrschaft  tretenden,  über  den 
Tod  des  Winters  siegenden  Sonnengott  geneigt  zu  ma- 
chen und  sich  seiner  Segnungen  zu  vergewissern.  Ea 
war  dies  Fest  das  Fest  der  Auferweckung  und  Auferste- 
hung der  animalischen,  vorzüglich  aber  der  vegetabili^ 
sehen  Natur  nach  dem  Winterschlafe  und  nach  dem 
"Wintertode,  Kurz  vorher  valedicirte  man  der  Alles  er-= 
Starrenden  und  tödtenden  Winter-  und  Todes-Göltin  und 
zerstörte  wohl  auch  ihr  Symbol.  Darauf  gründete  sich 
die  bekannte,  noch  in  den  späteren  christlichen  Zeiten, 
hie  und  da  beobachtete  Sitte  des  sogenannten  Todaus^ 
treib ens  am  Sonntage  Lätare, 

Weil  aber  bei  dem,  durch  die  Sonnenstrahlen  be-. 
wirkten ,  neuen  Naturleben ,  an  welches  der  alte  Glaube 
sogar  den  Wiedereintritt  der  dahingeschiedenen  Seelen 
in  das  Leben  des  Fleisches  durch  die  Zeugung  anschlofs, 
die  Erde  thätig  war,  so  berücksichtigte  man  bei  dem 
grofsen  Frühlings-  und  Auferstehungs- Feste  auch  die 
Mondgöttin  (Demeter,  Ceres,  Ziwa  etc.),  und  zwar  in 
jnanchen  Gegenden  gar  zu  sehr,  und  daher  kam  es  ohn- 
streitig,  dafs  man  die  ganze  grofse  Gottheit,  die  das  neue 


—    249    -« 

Leben  der  Natur  hervorbrachte,  Jutro  (Sonne  und  Mond) 
nannte.  Dieses  Jutro  (die  Lateiner  würden  sagen  Ju- 
trum) war  ohne  Zweifel  dieselbe  Gottheit ,  welche  man 
anderwärts  Crodo ,  Curcho ,  Hordo  etc.  nannte ,  und  das 
bekannte  Herthum  des  Tacitus,  welches  den  befangenen, 
und  mit  dem  alten  Neutrum  mythologicum  unbekann- 
ten Interpreten  in  der  Form  des  Neutrums  so  sehr  mifs- 
fällt.  Es  war  ganz  angemessen,  dafs  an  dem  grolsen 
Feste  des  Lebens  und  der  allgemeinen  Freude,  was  das 
Frühlingsfest  war,  das  Morden  und  der  Jammer  des  Krie- 
ges aufhörte.  Dafs  dies  geschehen  ist,  berichtet  Taci- 
lus  *°*  (c.  XL)  mit  folgenden  Worten  j  non  bella  ineunt, 
non  arma  sumunt;  clausum  omne  ferrum;  pax  et  quies 
tunc  tantum  nota,  tvinc  tantum  amata.  Es  zeugt  ohn- 
streitig  von  der  genauen  Naturbeobachtung  der  wendi- 
schen Priester,  dafs  sie  die  Morgensonne  und  die  Früh-, 
lings- Sonne  mit  einem  und  demselben  Namen,  nämlich 
Jutro  (Jutscho)  benannten.  Die  Sonne  geht  zwar  um 
die  Zeit  der  Frühlingsnachtgleiche  in  voller,  belebender 
Kraft  für  den  Norden  allmählig  auf,  aber  der  Winter  mit 
seiner  Nacht  (Schiieegestöber)  und  mit  seinem  Tod© 
(Frost)  streift  noch  in  ihr  Licht  und  Leben  hinein,  und 
es  findet  zu  der  Zeit  eine  ähnliche  Erscheinung  Statt, 
wie  am  Morgen  eines  Tages,  wq  die  Nacht  noch  gleiche 
sam  in  den  Tag  hineinschaut  und  hineinstreift.  Nicht 
übersehen  darf  man  den  angemessenen  Gebrauch  der  Wur-. 
zel  Ja  in  Jutro  und  in  Jutry,  welche,  wie  schon  früher 
bemerkt,  ein  allmähliges  Aufsteigen  und  Wachsen  eines 
Dinges,     z.  ß.  des   Tages    (ör),     des    Frülrlings»    fee- 


104  Ich  nehme  an :  dafs  die  Religionsgehräuche  der  Germanen 
und  Slaven  nicht  bedeutend  von  einander  verschieden  wa- 
ren,  und  dafs  insonderheit  die  Slaven  späterhin  Vieles  von 
den  Deutschen  annahmen,  als  sie  in  ihre  östlichen  Provin^ 
zen  einwanderten.  Diejenigen  irren,  welche  zwischen  def 
Religion  der  benachbarten  Völker,  der  Slaven  und  der  Ger- 
manen, einen  solchen  Unterschied  annehmen,  wie  er  jetzt 
zwischen  Juden  und  Christen  Statt  findet. 


—     250     — 

deutet.  Bekannt  ist  es,  dafs  auch  das  deutsche  Wort  auf 
dem  Namen  einer  Gottheit  ruht.  Ob  aber  diese  Gott- 
heit Ostar  (hos-tar,  d.  h.  Sonnengott)  oder  Ostra  (hos- 
tara,  Mondgöttin)  hiefs,  will  ich  nicht  entscheiden.  Wenn 
es  höchst  wahrscheinlich  ist,  dafs  die  Namen  Ostar  und  Ostra 
auch  besonders  vorkamen,  wie  Jutor  und  Jutra,  so  nannte 
man  doch  ohne  Zweifel  die  Gottheit,  von  welcher  die 
Benennung  Ostern  herrührt,  Ostoro  (Sonne  und  Mond), 
welches  mit  dem  Neutrum  Jutro  dieselbe  Form  und  Be- 
deutung hatte.  An  das  Ostoro  wurde  an,  oder  en  (hier 
das  Fest)  angehangen,  und  so  entstand  per  contractio- 
nem  das  Wort  Ostern,  welches  schon  lange  vor  der  Ein- 
führung des  Christenthums  von  dem  Naturauferstehungs- 
feste gebraucht  wurde.  Beiläufig  bemerke  ich  noch,  dafs 
von  der,  mit  Hörnern  (Kennzeichen  des  Mondes)  und 
mit  mondfürmig  gebogenen  Schuhen  abgebildeten  Berg- 
göttin  Ostra  oder  Ostara  zwar  das  Schöpfen  des  Oster- 
wassers ,  nicht  aber  die  Namen  der  Orte  Ostra  (hochge- 
legener Ort)  bei  Camenz ,  Ostritz  (hos-tir-iza,  an  einer 
Anhöhe  gelegene  kleine  Stadi),  Osterode  (hos-ter-ode) 
u.  s.  vv.  herstammen.  Sonder  Zweifel  rührt  das  noch  ge- 
genwärtig bei  den  Wenden  an  vielen  Orten  übliche  Schö- 
pfen des  Wassers  am  Ostermorgen,  so  wie  das  Bespren- 
gen mit  demselben,  ingleichen  das  Schwemmen  der 
Pferde  in  demselben  von  den,  an  dem  vorchristlichen  Oster- 
feste gewöhnlichen  Abluitionen  her.  Durch  diese  Abluiiio- 
nen  reinigte  man  sich  am  alten  grofsen  Frühlingsfeste  von 
denUnreinlichkeiten  des  Winters,  beförderte  die  in  der  wär- 
meren Jahreszeit  Statt  findenden  Ausdünstungen  des  Körpers, 
glaubte  dadurch  sich  vor  Krankheiten  zu  schützen,  vorhande- 
ne Krankheiten  zu  verbannen  und  bemühte  sich  überhaupt, 
für  das  neue  Leben  des  Sommers  vorzubereiten.  Inson- 
dei'heit  glaubten  sich  die  Ehefrauen  durch  die  heiligen 
Abwaschungen  an  dem  grofsen,  frohen  Lebensfeste  für 
ihre  Bestimmung  geschickter  zu  machen.' 

Der  Mondgott   der  Oberlausitzer    hiefs    Flins.     Der 
Name  desselben  ist  aus  fil,  hin-is   entstanden,     und    be- 


—     251     — 

deutete  ursprünglich  eine  Mondgöttin.  In  der  Sylbe  Fli 
ist  eine  Versetzung  des  i,  vor  dem  n  ist  ein  h  und  hin- 
ter dem  n  ein  i  herausgefallen.  Von  den  Repräsentatio- 
nen des  Flins  sind  vorzüglich  zwei  zu  berücksichtio^en. 
Ein  Mal  wird  er  als  ein  menschliches  Gerippe  abgebil- 
det, dessen  mittlerer  Theil  mit  einer  leichten  Decke  be^ 
deckt  war  und  das  in  der  rechten  Hand  eine  Fackel,  auf 
dem  Nacken  und  mit  der  linken  Hand  aber  einen  Lö- 
wen trug.  Ein  ander  Mal  erscheint  Flins  als  ein  star- 
ker bärtiger  Mann  mit  denselben  Attributen,  jedoch  auch 
mit  entblüfster  Brust.  In  dieser  letztern  Repräsentation 
hat  Flins  die  Gestalt  eines  Mondgotts,  ruht  aber  inicht 
minder  auf  der  Idee  einer  alten  Berggöttin,  als  die  (spä- 
ter entstandenen)  Mondgötter  anderer  Gegenden  und 
Völker.  Aelter,  als  diese  Repräsentation,  ist  die  Abbil- 
dung, in  welcher  er  als  ein  menschliches  Gerippe  er- 
scheint und  in  welcher  man  keine  Merkmale  des  Ge- 
schlechts wahrnimmt.  In  dieser  Abbildung  ähnelt  er 
der  russischen,  sich  durch  ihre  dürren  Beine  auszeich- 
nenden Jaga  Baba,  mit  welcher  er  auch  in  den  alten 
Zeiten  ohne  Zweifel  dieselbe  Idee  gemein  gehabt  hat. 

Dieses  religiöse  Symbol  soll  auf  einem  Felsen  des 
linken  Spreeufers  ohnfern  des  Dorfes  Oehna  ^°^  bei  Bau- 
zen  gestanden  und  bei  der  Einführung  des  Christenthums 
in  die  Spree,  wie  der  Perun  bei  Nowogrod  in  die  Wol- 
chow  gestürzt  worden  seyn.  An  der  Repräsentation,  in 
welcher  Flins  als  ein  Mann  erscheint,  vermifst  man  die 
kriegerische  Lanze  und  das  mörderische  Schwerdt»  wes- 
halb man  vermuthet  hat,    dafs  die  oberlausitzer  Wenden 


105  Oehua,  welches  mit  Uhna  fast  gleiche  Bedeutung  hat,  be- 
zeichnet ein  etwas  hoch  gelegenes  Dorf.  Das  Wort  ist  aus 
he  und  ena  entstanden,  so  wie  Uhna  aus  hu  und  una.  Der 
wendische  Name  des  Dorfs  Oehna  (Hownjow)  ist  nicht  von 
Howno,  d.  h.  Stercus,  entstanden,  wie  behauptet  wird,  son- 
dern es  hezeichnet  auch  die  Lage  des  Orts   ( how-ni-ijow). 


—    252    — 

und  Germanen  entweder  nicht  Kriege  und  Eroberungen 
geliebt,  oder  dafs  ihnen,  die  sehr  lange  an  der  religiö- 
sen Orthodoxie  fest  gehalten  zu  haben  scheinen,  nur  der 
Sonnengott  als  Führer  im  Kriege  gedient,  die  alte  Bil- 
hinis  oder  Filhinis  aber  nur  als  die  auf  dem  Kampfplatze 
wüthende  Todesgöttin  (Bellona,  Led  u.  s.  w.)  gegolten 
habe.  Statt  der  Lanze  führt  Flins  eine  Art  Fackel  in 
der  Hand.  Dieses  Attribut  charakterisirt  ihn  als  Nacht- 
göttin ,  die  zugleich  auch  Todesgöttin  war. 

Der  Löwe  des  Flins  ist  das  charakteristische  Zeichen 
der  slavischen,  vorzüglich  der  südlicheren  slavischen  VöU 
ker.  Mit  dem  Löwen  wurde  Flins  nicht  deshalb  abge- 
bildet, weil  nach  dem  Glauben  der  Südwenden  der  Löwe 
durch  sein  Gebrüll  die  Todten  erweckte.  Der  Löwe  des 
Flins  war  nicht  nur  das  Symbol  der  Kraft  und  Stärke, 
sondern  auch  der  Wuth  in  dem  mörderischen  Krieges- 
kampfe und  überhaupt  des  Todes.  Die  Herrschaft  über 
die  Todten  kam  in  alten  Zeiten  der  Mondgöttin  zu.  Spa- 
ter bekamen  auch  die,  aus  den  alten  Mondgöttinnen 
entstandenen  Mondgötter  Einflufs  auf  diese  Herrschaft 
(Odin  erhielt  die  Hälfte  der  Gebliebenen ) ;  den  Sonnen- 
göttern verblieb  jedoch  das  Geschäft,  die  Seelen  der  Ver- 
storbenen ins  neue  Leben  zu  rufen.  Es  ist  unläugbar, 
dafs  der  Verfasser  der  Sachsen  -  Chronik  ( Botho )  nicht 
hinlänglich  in  die  Religionsmeinungen  der  Wenden  ein- 
gedrungen war  und  dafs  er  christliche  und  heidnische 
Religionsvorstellungen  verwechselte,  als  er  in  Betreff  des 
LÖwens  des  Flins  die  Bemerkung  niederschrieb :  upp  der 
„luchteren  Schuldern  eynen  uppgerichten  Lawen,  de  se 
,,vorweken  scheide ,  wenn  sie  storven."  Die  Erscheinung, 
dafs  zum  Theil  die  Mondgötter  der  Slaven  unter  ihren 
Attributen  einen  Löwen  oder  eine  Löwin  hatten,  scheint 
es  ZU.  beweisen,  dafs  Letztere  früher  in  einer  südlicheren 
Gegend  lebten ,  in  welcher  sich  Löwen  befinden.  Die 
Sachsen  -  Chronik  sagt  auch:  dafs  die  Flinsgottheit  in  der 
Hand  einen  Staff  (Stab)  mit  „einen   barnen  Blase"  ge- 


—     253     — 

halten  habe.  Ueber  die  Bedeutung  der  „bamen  Bla- 
se" *°*  walten  verschiedene  Meinungen  ob.  Man  hat 
die  barne  Blase  bald  durch  Opferschaale ,  bald  durch 
Korngarbe ,  bald  durch  Fackel  erklärt.  Opferschaalen  fan- 
den sich  fast  neben  einem  jeden  Götzenbilde.  Galt  Flins 
den  späteren  Wenden  für  einen  Mondgott,  so  konnte  er 
nicht  füglich  eine  Korngarbe  in  der  Hand  halten;  galt 
er  ihnen  aber  als  eine  alte  Berggottin,  so  konnte  er  wohl 
eine  Korngarbe  in  der  Hand  halten,  weil  die  alte  Berg* 
güttin  die  Menschen  nicht  nur  gelehrt  hatte  den  Acker 
zu  bestellen,  sondern  auch  die  reifen  Kornkörner  zum 
Mehle  zu  stampfen  und  zu  reiben,  Ohnstreitig  bedeuten, 
aber  die  Wörter  barne  Blase  weiter  nichts,  als  einen, 
Kienholz  wisch,  den  man  bei  den  abendlichen  und  nächt- 
lichen Mysterien  der  Flinsgottheit,  die  eine  Nachtgott- 
heit war,  anbrannte.  Das  Wort  barne  ist  ein  Adjectiv 
vind  stammt  von  der  Wurzel  bur,  bor,  bar,  ber,  bir  her. 
Bur,  bor,  bar  bedeutet  zunächst  einen  Berg-  oder  Son- 
nengott, oder  einen  Menschen,  der  unter  dem  Schutze 
der  Berggottheit  steht,  einen  Bur  (Bauer,  agricola);  fer- 
ner einen  Bergwald ,  und  drittens  das  Nadelholz.  Ber 
und  bir  kann  nur  etwas  Niedriges  bezeichnen,  z.  B.  das 
Getreide,  weshalb  das  Erndtefest  von  den  Wenden  Biry 
genannt  w^orden  ist.  Das  Wort  Blase  (bal-ase)  kann  nur 
etwas  Bundes,  dem  Vollmond  Aehnliches,  bezeichnen. 
Es  ist  indefs  höchst  wahrscheinlich,  dafs  dasselbe  noch 
mehrere  Bedeutvingen  hatte,  als  Vollmond,  weibliche  Brust 
und  Blase  (bulla).  Man  hat  behauptet,  dafs  die  wendische« 


106  Der  Prediger  Ladehi&nn  in  MadloW  bei  Cottbus  übersetzt  in 
seiner  Kirchengescbichte  der  Stadt  und  Herrschaft  Cottbus 
p.  6.  barne  Blase  durch  Schvveinsblase,  Andere  haben  ohne 
allen  Grund  diese  Uebersetzung  vertheidigt.  Auch  erzählt 
Lademann:  dafs  in  der  Haide  bei  Kolkvvitz  Und  zu  Madlow 
an  der  S+el.e,  wo  jetzt  die  Kirche  steht,  ein  Flinsbild  ge- 
standen habe. 


—     254     — 

Priester  dann  die  barne  Blase  des  Flins  angebrannt  hät- 
ten ,  wann  sie  Mangel  an  Lebensmitteln  litten.  Dies  ist 
aber  keinesweges  ausgemacht.  Denn  der  Cultus  an  der 
ara  einer  Gottheit  war  durch  Observanzen  und  durch 
ausdrückliche  Verordnungen  des  Oberpriesters  bestimmt» 
und  es  stand  in  der  Piegel  nicht  in  der  Willkühr  der 
Priester,  denselben  zu  einer  aufserordentlichen  Zeit  zu 
veranstalten.  Opfergaben  aber,  welche  zum  Bestehen  des 
nöthigen  Götterdienstes  erforderlich  waren,  befahlen  die  Lan- 
desgesetze an.  Weil  Flins  eine  Nacht-  und  Todesgottheit 
war,  deshalb  wurde  sie  Zernebog,  d.  h.  eine  dunkle,  ge- 
fürchtete Gottheit  genannt.  Sowohl  Mone  (L  p.  209.) 
als  auch  Steinbrück  (p.  15.)  versichern:  dafs  das  Flins- 
bild  auf  einem  Flins-  oder  Feuer-Steine  gestanden  habe. 
Dieses  Attribut  deutet  auch  an :  dafs  Flins  ursprünglich 
eine  Mond-  oder  Nachtgöttin  war,  welche  für  die  Er- 
leuchtung der  Finsternifs  der  Nacht  zu  sorgen  hatte. 
Dafs  die  wendischen  Priester  den  Feuerstein,  auf  wel- 
chem Flins  stand,  noch  einer  besondern,  sich  auf  das 
Licht  eines  neuen  Lebens,  dem  die  Todesgöttin  die  See- 
len der  Verstorbenen  entgegen  führte  (vergleiche  Mer- 
cur),  beziehenden  Deutung  unterworfen  haben,  ist  zwar 
nicht  gewifs ,  jedoch  sehr  wahrscheinlich.  Gewifs  ist  es 
aber,  dafs  Flins  nicht,  wie  Steinbrück  p,  l5  angiebt,  ein 
apotheosirter  Heerführer,  oder  König,  Namens  Vitzlav, 
jj^ewesen  ist,  der  die  Wenden  ums  Jahr  90  nach  Christus 
in  Pommern  und  Brandenburg  geleitet  habe,  und  dem 
diese  späterhin  aus  Erkenntlichkeit  und  Dank  Opfer  dar- 
gebracht haben.  Denn  sollte  auch  ein  wendischer  Fürst  und 
Held  den  Namen  Flins  geführt  haben,  was  nichts  Ungewöhn- 
liches wäre,  weil  gewöhnlich  die  Fürsten  die  Namen  der  Göt- 
ter und  die  Fürstinnen  die  der  Göttinnen  führten ,  so  ist 
es  doch  gewifs,  dafs  ihm  die  rechtgläubigen  Wenden 
nach  seinem  Tode  eben  so  wenig  wahrhaft  göttliche  Ehre 
erwiesen  haben ,  als  die  Germanen  ihrem  Held  Arminius, 
Existirte  wirklich  die  Sage:  dafs  Flins  die  Wenden  in 
die,  früher  von  Germanen  besessenen  Provinzen  geführt 
und  dafs  man  ihm  deshalb  späterhin  eine  ausgezeichnete 


—    255    — 

Verehrung  erwiesen  habe,  so  ist  es  deraungeachtet  keines« 
weges  unumgänglich  nöthig,  dafs  man  sich  unter  Flins 
einen  menschlichen  Kriegsanluhrer  denke ,  da  ja  nach 
dem  religiösen  Glauben  der  Heiden  eigentlich  die  Göt- 
ter die  Völker  führten.  Zwar  führten  eigentlich  die  Son- 
nengötter die  Völker  zum  Kampfe  und  Siege.  Aber  in 
der  späteren  Zeit,  vorzüglich  bei  blutigen  Eroberungen, 
durfte  bei  den  Kämpfen  eines  Volks  der  wüthende  und 
mordende  Mondgott  nicht  fehlen,  und  es  war  ganz  dem 
späteren  Religionsglauben  angemessen ,  wenn  die  Germa- 
nen ihre  Kriegerschaaren  unter  den  Schutz  und  unter 
die  Leitung  nicht  nur  des  Sonnengotts,  sondern  auch  zu- 
gleich des  Mondgotts  (Mercurius)  stellten. 

Zu  erwähnen  ist  noch  die  Nachricht  Steinbrücks: 
dafs  das  Flinsbild  zu  Leipzig  unter  einem  ausgebreiteten 
Lindenbaume  gestanden  habe.  Die  Linde  (lin-ide,  Mond- 
baum) war  nämlich  als  ein  grofser  Baum  der  Niederun- 
gen vorzugsweise  der  Mondgöttin  und  den  späteren  Mond- 
göttern geheiligt,  und  daher  rührte  auch  das  heilige  An- 
sehen, in  welchem  die  Lindeubäame,  insonderheit  in 
Preufsen ,  standen. 

Unnöthigerweise  haben  Manche  deshalb  an  der  Exi- 
stenz des  Flins  gezweifelt,  weil  die  wendische  Sprache 
die  Lautverbindung  fl  nicht  habe.  Es  ist  zwar  aller- 
dings gewifs,  dafs  sich  diese  Lautverbindung  in  der  ge- 
nannten Sprache  nicht  findet  und  dafs  Letztere  statt  de$ 
ü  bl  und  wl  hat;  aber  daraus  folgt  noch  nicht,  dafs  die 
Wenden  nicht  eine  Gottheit  verehrt  hätten,  welche  wir 
unter  dem  Namen  Flins  kennen.  Wer  die  nahe  Ver- 
wandtschaft der  Laute  b,  f  und  w  nicht  übersieht,  der 
wird  leicht  glauben,  dafs  die  Oberlausitzer  Wenden  die 
in  Rede  stehende  Gottheit  Blins  (bil-hin-is)  genannt  ha- 
ben. Das  b  und  seine  Ascension  p  ist  ein  alter  grader 
Lippen-Mitlaut,  das  f  mit  seiner  Steigerung  v  da2;egen 
ist,  obgleich  er  jetzt  auch  für  sich  bestehend  ist,  ein  Sei- 
ten-Mitlaut, dessen  nahe  Verwandtschaft  mit  dem  b  und 


—     256     — 

p  die  Griechen  durch  ihr  qp  andeuten.  Obgleich  die 
deutsche  Sprache  die  Wurzel  bul,  hol,  bal,  bei,  bil  sehr 
oft  durch  das  der  slavischen  Sprache  eigene  bl  ausdrückt, 
z.  B.  in  Blut,  Block,  Blat,  Blei,  blind,  so  nicht  minder 
oft  durch  ein  f,  z.  B.  in  Flug,  Floh,  Flachs,  Flechse, 
Fliege,  und  es  ist  zufällig,  dafs  die  Deutschen,  von  de- 
nen wir  die  Nachrichten  von  dem  Flins  haben,  Flins 
und  nicht  Blins  schrieben.  Indefs  konnte  auch  die  ab- 
•vveichende  Sprechart  schon  früher  in  der  Oberlaüsitz  der- 
gestalt bestehen ,  dafs  die  Deutschen  die  in  Rede  stehen- 
de Gottheit  Flins,  die  Wenden  aber  Blins  nannten.  Oh- 
ne Zweifel  ist  auch  das  bekannte  Zeitwort  blinzen  (bil- 
hin-iz-en,  Mondgöttin  seyn)  von  der  alten  Mondgbttin 
Bil- hin -is  abgeleitet,  aus  welcher  späterhin  der  Mond- 
gott Blins  oder  Flins  gebildet  worden  war.  Für  die 
Existenz  des  Flins  zeugt  auch  die  fast  allgemeine  Tra- 
dition von  der  in  den  letzten  Zeiten  des  Heidenthüms 
Statt  gefundenen  Verehrung  desselben,  die  dei:  des  ger- 
manischen Mercurius,  welcher  mit  dem  Flins  als  Mond- 
gott auf  derselben  Idee  ruhte,  ähnlich  (Vulcanus)  war. 

lEs  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dafs  die  Flinsgott- 
heit  wirklich  in  zwei  Bildern,  als  Göttin  nämlich  und 
als  Gott  dargestellt  würde.  Diese  Darstellung  hat  die 
spätere  Opinion  von  der  Ehe  des  Zernebog  (Flinis)  ver- 
anlafst.  In  der  (alten)  weiblichen  Darstellung  ist  die 
Flinsgottheit ,  der  Idee  nach,  mit  der  Pya  sehr  nahe 
verwandt. 

Pya  wurde  zu  Rhigtra  als  ein  ergrimmter  Löwe  mit 
offenem  Rachen  abgebildet.  Der  Name  Pya  ist  gewifs 
nicht  aus  Pyos  und  Pyar  entstanden,  sondern  er  ist  aus 
py  und  a  zusammengesetzt.  Er  ist  ein  Collectiv-Name, 
in  welchem  das  py  eine  härtere  Form  des  by  ist.  Das 
y  ist  hier  das  acht  slavische  und  steht  mithin  nicht  an 
der  Stelle  eines  reinen  i,  sondern  es  ist  dem  bis  zum  e 
ascendirten  u  ähnlich.  In  der  reinen  Form  würde  das 
Wort  Bua  oder  Bia ,     d.  h.  die  Göttin ,  lauten.     Welche 


—     257     — 

Idee  bestand  aber  Pya  in  der  letzten  Zeit  des  wendi- 
schen Ileidenthums,  allen  Andeutungen  nach,  nicht 
mehr.  In  dieser  Zeit  dachte  man  sich  unter  dem  Namett 
derselben  vornehmlich  die  Göttin  des  nicht  nur  im  mör- 
derischen Kriegeskampfe,  sondern  auch  sonst  dem  Men- 
schen in  vielen  Gestalten  drohenden  Todes.  Dal's  der 
Pya  diese  Idee  zu  Grunde  lag,  dafür  spricht  ohnstreiiig 
ihre  Repräsentation  in  einer  Löwengestali.  Der  Löwe 
aber,  unter  welchem  sie  dargestellt  wurde,  war  schwor- 
lich  ein  männlicher,  sondern  ein  weiblicher,  weil  eine 
Löwin  nur  eine  weibliche  Göttin  repräsentiren  konnte, 
und  weil  die  Löwin ,  die  für  ihre  Jungen  kämpft ,  das 
Symbol  der  höchsten  Wutli  ist.  So  unbezweifelt  es  ist, 
dafs  die  Pya  ursprünglich  gvit  und  menschenfreundlich 
war,  so  gewifs  ist  es,  dafs  sich  die  Wenden  späterhin 
unter  ihr  eine  verderbliche  Macht  dachten,  die  dezn  leib- 
lichen Wohl  der  Menschen  feind  war.  Sie  glaubten,  dafs 
diese  Macht  nicht  an  Gesundheit,  sondern  an  Krankheit, 
nicht  an  Frohsinn,  sondern  an  Traurigkeit,  nicht  am 
Leben ,  sondern  am  Tode  Freude  habe.  Die  Pya  galt 
den  späteren  Wenden  als  ein  physischer  Zernebog,  oder 
Teufel,  der  eine  grofse  Macht  besitze,  ihrem  leiblichen 
Wohl  zu  schaden.  Es  ist  kein  Wunder,  dafs  man  glaubte 
den  immerwährenden  Grimm  dieser  feindseligen  Potenz 
durch  Opfer  und  sogar  Menschenopfer,  so  wie  durch  Li- 
bationen  bei  den  Gastmählern ,  welche  den  christlichen 
Wenden  unter  dem  Kaiser  Lothar  ausdrücklich  verboten 
werden  mufsten,  besänftigen  zu  müssen.  Selbst  die  er- 
leuchteteren Priester  durften  den  Glauben  an  die  feindse- 
lige Macht  der  Pya  nicht  aufgeben,  weil  sie  diesen  Glau- 
ben zur  Inzaumerhaltung  des  immer  sittlich  schlechter 
werdenden  und  zum  Theil  nach  einer  neuen  religiösen 
und  bürgerlichen  Ordnung  der  Dinge  verlangenden  Volks 
sehr  bedurften.  Aber  nicht  nur  als  Ursache  der  leibli- 
chen ,  sondern  auch  der  geistigen  und  geistlichen  Uebel 
stellte  man  die  Pya    ^°^   dar.     Man   schrieb    ihr   die   Er- 


107  Pya  war  ähnlicli  der  preufsischen  Pikolos,  die  sich  an  dem 

17 


258 


Zeugung  nicht  nur  der  Verblendung  u.e<i  Geistes,  der  Ver- 
slandesverwirrung und  des  Wahnsinns,  sondern  auch  der 
Gewissensangst,  Trostlosigkeit,  Verzweiflung  und  des 
Widerstandes  gegen  das  Bessere,  oder  gegen  das  lür  bes- 
ser Gehaltene  zu.  Zu  dem  Glauben  an  einen  Urheber, 
oder  Urheberin  aller  leiblichen,  geistigen  und  sittlichen 
Üebel  leitete  den  Menschen  die  Wahrnehmung,  dals  es 
solche  Ucrbel  giebt.  Den  eben  allgemein  verehrten  Göt- 
xem  konnte  man  aber  die  Erzeugung  dieser  Uebel 
nicht  zuschreiben,  wenn  man  sie  nicht  eo  ipso  zu 
bösen  machen  und  ihnen  die  Gemüther  der  Menschen 
abgeneigt  machen  wollte.  Die  alten  Gottheiten,  deren 
Cultus  abrogirt  war  und  deren  hartnäckige  Verehrer  den 
Anbetern  der  modernen  Gottheiten  manche  Unbilde  zu- 
fügten, mufsten  die  Schuld  der  Erzeugung  der  Uebel 
übernehmen.  Ein  alter  Sonnengott  konnte  nach  dem 
Glauben  des  Alterthums  nicht  füglich  zum  Urheber  der 
physischen  und  geistigen  Uebel  gemacht  werden,  weil 
sein  Reich  über  das  Erdenelend  erhaben  und  weil  es  nicht 
sein  Geschäft  war,  sich  um  die  kleinlichen  Begegnisse 
der  einzelnen  Menschen  zu  kümmern.  Daher  mufste 
alles  Unangenehme,  welches  den  Körper  und  die  Seele 
des  einzelnen  Menschen  traf,  der  sich  um  das  Einzelne, 
Kleinliche  und  Niedrige  kümmernden,  physisch  und  mo- 
ralisch schwächeren,  veränderlichen,  launenhaften,  lei- 
denschaftlichen Mondgöttin  zugeschrieben  werden.  Höchst 
wahrscheinlich  hat  diese  Opinion  nicht  wenig  die  im 
Heidenthume  vorkommende  Verachtung  der  Weiber,  in- 
sonderheit der  alten,    von  der  sie  durch  das  welterlösen- 


Elende  der  Mensclieu  ergötzte.  "Die  spätere  Zeit  wähnte, 
dafs  sie  Epileptische  und  Wahnsinnige  in  Besitz  genommen 
habe.  —  Daemoniaci.  In  spätereia  Zeiten  wähnte  man  so- 
gar, defs  die  böse  Gottheit  die  Seelen  der  Bösewichter  ein- 
nehme und  regiere.  Auf  diesem  Wahne  ruhen  die  Aus- 
drücke: won  man  Czerta,  won  ma  Djaboia  und  der  später 
crasse   Exorcisnwis. 


—     259     — 

de  Christenthura  befreit  worden  sind,  befördert  und  un- 
terhalten. 

Wenn  die  alte  Pya  den  Wenden  schon  vor  der 
Einführunc;  des  Christenthums  als  eine  böse,  gegen  die 
Menschen  feindselig  gesinnte  Gottheit  galt,  so  stie^T  der 
Glaube  an  ihre  Bosheit  doch  noch  mehr,  als  die  christ- 
lichen Missionarien  die  IJog  des  Teufels  auf  die  Idee 
der  Pya  gleichsam  pfropften.  Jetzt  wu^rTe  die  Pya  so- 
gar zum  Manne  potenzirt,  weil  sie  die  Bedeutuiig  einer 
vielfachen  Opposition  des  Sonnengottähnlichen  Erlösers 
und  seines  Licht werks  erhielt. 

So  wie  die  Wenden  von  der  Zeit  der  Einführung 
des  Christenthums  an  Gott  Boh,  Buh,  Bog  zu  nennen 
begannen,  so  mochten  sie  wohl  den  Teufel  anfangs  Bu- 
ha ,  Pya  nennen.  Als  jedoch  diese  Benennung  in  der 
Folge  dem  dtäßolog  nicht  entsprechend  erkannt  wurde, 
eo  kam  das,  dasselbe  bedeutende,  Wort  Tschert  in  Ge- 
brauch. Das  oberlausitzische  Tschert  (Czert)  ist  der 
AVortbedeutung  nach  auch  ein  weibliches  Wesen,  ob- 
gleich Czert  jetzt  die  Geltung  eines  männlichen  Worts 
hat.  Die  Niederlausitzer  haben  dafür  Tschart,  welches 
die  männliche  Form  von  Tschert  ist.  Ob  übrigens  das 
Wort  Tschert  ein  primitives,  oder  ein  abgeleitetes  ist, 
dies  will  ich  nicht  bestimmen.  Tschert,  welches  aus 
tscher  und  et  zusammengesetzt  ist,  erscheint  dem  ersten 
Anblick  nach  allerdings  als  primitiv  und  bedeutet  Mond- 
göttin (tscher  ist  die  härtere  Form  des  ser,  und  et  be- 
zeichnet ein  weibliches  Wesen).  Indessen  kann  auch  hin- 
ter dem  r  in  tscher  ein  n  herausgefallen  und  die  Syl- 
be  tschei-n  so  viel  bedeutet  haben,  als  tscherny,  tschor- 
ny  (czorny)  und  Tschernt  das  bezeichnet  haben,  was 
Zernebog,  d.  h.  dunkle,  böse,  feindselige  Göttin.  Diese 
letztere  Zusammensetzung  des  Worts  Tschert  ist  jedoch 
viel  unwahrscheinlicher ,  als  die  erstere.  Vor  der  Ein- 
führung des  Christenthums,  wo,  wie  schon  bemerkt, 
Pya  noch  nicht  für  so  böse  gehalten  wurde ,   mochte  sie 

17* 


—     260     — 

allerdings  mit  der  polnischen  Todesgüuin  Nija  (nisclia) 
und  der  böhmischen  Niwa  fast  dieselbe  Bedeutung  ha- 
ben. Lebrigens  ist  Tschert  und  Tschart  dasjenige  Wort, 
mit  welchem  die  Wenden  jetzt  den  christlichen  Teufel 
in  der  kirchlichen  Sprache  bezeichnen.  Im  gemeinen  Le- 
ben gebrauchen  sie  jedoch  auch  das  Wort  Djabot,  wel- 
ches ohne  Zweifel  der  Diabolus  der  heiligen  Schrift  ist. 
Auffallend  ist  es,  dafs  die<=c^  letztere  Wort  keinesweges 
die  schlimme  Bedeutung  hat,  als  Tschert  und  Tschart. 
f)p>-  iJjaboi  gilt  nämlich  den  Wenden  nur  als  ein  Inbe- 
griff von  Dummheit,  Ausgelassenheit,  Wollust  und  stür- 
mischer Heftigkeit,  und  es  giebt  einen  andern  Sinn, 
•.vonn  sie  sagen:  won  ma  Djaboia,  als  won  ma  Tscher- 
la,  d.  h.  er  hat  den  Teufel.  Wenn  ich  nicht  ganz  irre, 
so  ist  der  Unterschied,  den  die  Wenden  zwischen  dem 
fremden  Teufel  und  zwischen  dem  heimischen  machen, 
ein  Docuraent  ihres  früheren  Stolzes,  welcher  es  nicht 
zuliefs,  dafs  sie  dein,  ihnen  von  den  feindlichen  Deut- 
schen verkündigten  Teufel  so  viel  intellectuelle  und  Wil- 
lenskraft zuerkannten,  als  dem  nationalen,  oder  slavi- 
schen.  Dafs  man  der  alten  gefürchteten  Nacht-  und  To- 
desgöttin oft  opferte,  wird  nicht  auffallen,  wenn  man  er- 
wägt, wie  sehr  den  Menschen  die  ihm  eigenthämliche 
Sorge  für  sein  Wohlseyn  antreibt ,  sich  vor  dem  Unan- 
genehmen und  Bösen  zu  verwahren.  Noch  jetzt  sollen 
die  Jezidi  bei  Diarbekir  den  alten  Scheitan  (Satan)  des- 
halb so  angelegentlich  verehren,  weil  sie  wähnen,  dafs 
derselbe  eine  sehr  grofse  Macht  habe,  ihnen  zu  schaden. 
Dafs  die  Ortsnamen  Tschorna  bei  Hochkirch  und 
Camenz,  Tschirna  bei  Lauban,  Czornofsyky  (Sornfsig)  bei 
Bauzen  u.  s.  w.  nicht  von  dem  frijher  dort  Statt  gefun- 
denen Cultus  des  Zernebog  ( Pya )  herrühren,  ist  gewifs, 
und  dafs  der  Berg  Czornebo»  bei  Hochkirch  und  der 
Czorn-  oder  Teufels  -  Stein  bei  Camenz  ihre  Namen  von 
der  früher  daselbst  Statt  gefundenen  Verehrung  der  er- 
wähnten Gottheit  erhalten  haben,  ist  ebenfalls  nicht  so 
gewifs,  als  man  gewöhnlich  glaubt. 


—       2Ö1       — 

Wenn  die  Sonnengötter,  und  spiiterhin  auch  die 
Mondgütter,  einer  ganzen  Nation  Orakelsprüche  ertheil- 
ten,  so  lag  es  den  Mondgöttinnen  ob,  jedem  Einzelnen 
die  gewünschte  Auskunft  zu  geben.  Diese  Pflicht  übten 
vorzüglich  manche  alte  Göttinnen.  Die  Griechen  und 
Römer  berieth  vorzüglich  die  Pythia  (Priesterin  [ihia] 
der  Pya)  am  Berge  Paruasus  (barn-asos)  in  Phocis.  Die- 
ses Orakel  konnte  sowohl  einzelnen  Personen  als  auch 
ganzen  Völkern  Antworten  ertheilen,  weil  es  unter  dem 
Einflüsse  des  Apollo  (ha-po-olo),  der  eine  androgyni- 
sche  Gottheit  war,  gedacht  wurde.  Obgleich  späterhin 
im  Wendenlande  eine  jede  Göttin  in  ihrem  Regierungs- 
Departement  Orakel  zu  ertheilen  pflegte,  z,  B.  die  Ziwa 
dtn  heirathslustigeu  Mädchen  und  den  jungen  und  schwan- 
geren Frauen,  die  Dziewiza  den  Jägern  u.  s.  w.,  so  wandte 
luan  sich  doch  vorzüglich  deshalb  an  die  alten  Göttin- 
nen, wenn  man  sein  künftiges  Geschick  erfahren  wollte, 
weil  man  diesen  eine  reifere  Einsicht  zutraute,  als  den 
modernen.  Insonderheit  wurden  auch  die  Priester  und 
Friesterinnen  der  alten  Todesgöttin  oft  von  Kranken  und 
deren  Verwandten  veranlafst,  Götterantworten  zu  erthei- 
len, so  wie  auch  über  das  Geschick  der  Verstorbenen 
Auskunft  zu  geben.  Sonder  Zweifel  gab  es  in  der  Lavx- 
sitz  mehrere  Orte,  wo  die  schauerlichen  Mysterien  "" 
der  gefürchteten  Todesgöttin  Statt  fanden  und  wo  ihre 
Priester  und  Priesterinnen  Orakelsprüche  ertheilten.  Vor- 
nehmlich fand  sich,  der  Tradition  zufolge,  nicht  nur  eine 
Repräsentation  der  zernebog  Pya,  die  aber  wahrschein- 
lich von  der  zu  Rhetra  etwas  verschieden  war,     sondern 


108  Manche  haben  behauptet:  dafs  die  sogenannten  Seelenmes- 
sen an  die  Stelle  des  Einflusses  getreten  sind,  den  man  den 
heidnischen  Priestarn  auf  das  Geschick  der  Veritorbenen 
zuschrieb.  Auch  hat  man  behauptet:  dafs  das  Anzünden  der 
vielen  Kerzen  bei  den  Messen  durch  das  Anzünden  der  Fak» 
kein  bei  den  nächtlichen  Mysterien  der  Nacht-  und  Todes- 
Göttin  veranlafst  worden  iit. 


—     202     — 

auch  ein  Orakel  derselben  auf  dem  Frageberge  bei  Mesch- 
witz  oder  Cunewalde,  südöstlich  von  Bauzen.  Dieser  Berg 
ist  in  der  Reilie  der  Berge,  die  rechts  der  Strafse  von 
Bauzen  nach  Löbau  liegen,  der  höchste.  Er  ist  zum  Theil 
mit  Holz  bewachsen  und  mit  zahllosen  gröfseren  und 
kleineren  Felsstücken  bedeckt.  Insonderheit  zeichnen  sich 
fünf  gvofse,  immer  emige  Hundert  Schritte  von  einan- 
der entfernte  und  gleichsam  geschichtete  Haufen  Granit- 
blöcke auf  demselben  aus.  Der,  von  Osten  gegen  We- 
sten gerechnet,  erste  Felsen  heilst  maia  Kaczka,  der  an- 
dere vvulka  Kaczka,  der  folgende  dritte,  vierte  und  fünfte 
Haufen  aber  führen  den  Namen  des  ersten,  zweiten  und 
dritten  Frageberges  (vergl.  Oberl.  Alterthümer  von  Preus- 
ker,  I.  Beitrag  p.  40.). 

Der  Name  Kaczka,  den  zwei  der  erwähnten  Felsen- 
berge führen,  ist  zwar  mit  Kaczka,  die  Ente,  gleichlau- 
tend, aber  nicht  gleichbedeutend.  Kusch,  Kosch,  Kot 
(mar)  heifst  ein  hoher  Berg,  kaschka  (Diminutiv)  ein 
kleiner  Berg;  Kaschka  oder  Kaczka  dagegen  ein  Ideines^ 
unter  dem  Regimente  der  Berggöttin  stehendes  Thier, 
die  Ente.  Auf  dem  Frageberge,  der  sich  wegen  seiner 
Höhe  recht  eut  zu  einem  Olymp  eignet,  fand  in  uralter 
Zeit  wahrscheinlich  ein  einfacher  Sonnen-  und  Mond- 
Cultus  Statt.  In  der  dritten  Religionsperiode  dagegen 
waren  auf  demselben  wahrscheinlich  nicht  nur  das  Bild 
des  Sonnengotts,  und  des  Mondgotts,  sondern  auch  die  Re- 
präsentation einiger  Göttinnen  aufgestellt,  unter  denen  sich 
auch  die  der  Todesgöttin  fand.  Dafs  die  Todesgöttin  so  wie 
auch  die  andern  Gottheiten  dort  den  Fragenden  Antworten 
ertheilten,  war  ganz  in  der  Ordnung.   '°^ 


109  Eine  von  den  grofsten  heidnischen  Aris  (Rodzischczen )  der 
Niederlausitz  ist  der  auch  jetzt  schon  ziemlich  destruirte 
sogenannte  Schlolsberg  bei  dem  Dorfe  Burg,  ohngefähr  eine 
Meile  nordwestlich  von  Cottbus,    den  die  dortigen  Einwoh- 


—     2Qd     — 

Nachdem  bei  der  Einführung  des  Chvistenlhums  auch 
hier  die  arae  Deorum  dearumque  durch  kräftige  Men- 
schenluinde  zerstört  und  die  zu  den  Symbolen  der  Gott- 


iier  gegenwartig  Grod,  d.  h.  das  Schlofs,  nennen.  Diese 
Benennung  des  durch  ziemliche  Anstrengung  menschlicher 
Kräfte  entstandenen  Werkes  hat  zu  der  falschen  gangbaren 
Meinung  Veranlassung  gegeben,  dafs  der  Grod  bei  Burg 
blos  das  Castell  eines  wendischen  Fürsten  (Schupan)  gewe- 
sen ist,  welchen  der  Sage  nach  Markgraf  Gero  überwand. 
Wenn  auch  an  dieser  ara.  der  militärische  Hauptmann  ei- 
nes vvendisclien  Bezirks  sich  wesentlich  aufhielt  und  sich 
mit  seinem  Volkszweige  zuletzt  gegen  die  christlichen  Deut- 
schen, seinem  Berufe  als  Vertheidiger  des  Landes  und  der 
Religion  gemäfs,  tapfer  und  hartnäckig  vertheidigte,  so 
wohnte  doch  auch  dort  der  Oberpriester  der  Schupanie  mit 
seinem  Clerus.  Die  regelmafsigen  Wälle  der  ara,  in.  wel- 
chen man  gewöhnliche,  zur  Aufbewahrung  des  Tempelscha- 
tzes, der  Kreis -Palladien  (vorzüglich  der  Provinzial-Kriegs- 
fahnen),  der  Opfergeräthe  so  wie  zum  Verbergen  der  Prie- 
ster bei  Ertheilung  der  Orakelsprüche  bestimmte  Behältnisse, 
eine  Menge  Golddrath,  Urnen,  Streitäxte,  Bruchstücke  von 
Wildschweinhauern ,  Thierknochen  u.  s.  w.  gefunden  hat, 
waren  früher  höher,  und  der  von  Natur  aus  Sand  bestehen- 
de Berg  ist  ohngefähr  drei  Fufs  hoch  mit  vorzüglich  guter, 
aus  der  Ferne  herbeigeschafften  Erde  bedeckt,  weil  es  die 
Principien  der  heidnischen  Religionslelire  forderten,  dafs  an 
dem  Orte,  wo  die  Gottheit  wohnte,  sich  auch  der  beste 
Erdboden  befinden  müfste.  Auf  dem  oI:eren  südlichen  Theile 
der  ara  stand  wahrscheinlich ,  zum  Mindesten  in  früheren 
Zeiten,  das  Idol  des  Sonnengotts  (Swantowit,;  Por-with,  Ju- 
tor,  Kon,  Hör,  Hur,  Wur),  und  auf  dem  unteren  das  der 
Mondgöttin  (Prowe),  vor  welchem  der  Oberoriester  mit 
dem  Fürsten  (rex,  regulus)  un.d  mit  den  Notabein  des  Gaues 
oder  der.  Provinz,  vorzüglich  am  Tage  vor  dem  Neumonde 
oder  des  Neumondes  das  ernste,  feierliche  Gericht  hielt, 
und  vor  welchem  der  überführte  grobe  Verbrecher  durch  den 
Schlag  der  scharfen  Pflugschar  der  Herrschaft  der  lichtlosen, 
dunkeln  Göttin  (Zernebog)  überliefert  wurde.  Hier,  auf 
dem  oberen  und  unteren  Theile  der  ara  wurden  nicht  nur 
die  Hauptfeste  anx  24.  December  (Patorschiza ,  russisch  Ko- 
liady)  zu  Anfange  des  Frühlings  (Jutry,  das  Auferstehungs- 
fest der  Natur),    und  am  24.  Juni  (Biry,  russisch  Kupaly), 


—      2Ö4     — 

heilen  führenden  Felsengänge  verschüttet  worden  sind, 
bemerkt  man  jetzt  noch  eine  Oeffnung,  aus  welcher  die 
Götterantworten  durch  einen  im  Felsen  verborgenen  Prie- 
ster ertönten. 

Manche  haben  behauptet,  dafs  das,  an  der  nördli- 
chen Seite  des  Fragebergs  ^'°  gelegene  Dorf  Meschwitz 
von  dem  einstigen  dasigen  Aufenthalte  der  wendischen 
Priester  und  Priesterinnen,  die  den  Cultus  der  Götter 
und  Göttinnen  des  Fragebergs  besorgten,  seinen  Namen 
habe.     Diejenigen,     welche  dies  behaupten,     leiten    den 


$0  wie  mehrere  andere  Feste  gefeiert,  und  aus  den  erwähn- 
ten gewölhähnlichen  Räumen  ertönten,  vorzüglich  an  der 
ara  der  Göttin,  jedem  Fragenden  durch  den  Mund  der  khi- 
gen,  erfahrnen  Priester  oder  Priesterinnen  die  erfragten  Göt- 
terantworten. Nicht  minder  wurden  in  wichtigen  Fällen  an 
der  ara  der  Sonnen  -  und  Mondgottheit  auch  die  Volksbe- 
rathungen  unter  dem  Einflüsse  und  Leitung  des  Hohenprie- 
sters und  des  Fürsten  gehalten.  An  der  Südseite  der  ara 
bei  Burg  ist  ein  naher  kleiner  Spreearm,  dessen  Wasser  zu 
den  vorschriftmäfsigen  heiligen  Abluitionen  diente,  und  von 
der,  früher  von  Gewässern  und  Sümpfen  umgehenen  ,  ge- 
nannten ara  hat  man  eine  ziemlich  weite  Aussicht.  Ob  da§ 
Burgsche  Rodzischczo  ursprünglich  von  Wenden  oder  schon 
früher  von  Germanen  angelegt  worden  ist ,  dies  iäfst  sich 
nicht  bestimmen;  die  spätere  regelmälsige  Form  hat  es  aber 
höchst  wahrscheinlich  durch  die  Sorge  nicht  culturloser  wen- 
discher Oberpriester  (Bam-bor-for-far)  und  Fürsten  er- 
halten. Wenn  auch  die  ara  bei  Burg  von  Markgraf  Gero 
erobert  worden  seyn  sollte,  was  nicht  wahrscheinlich  ist, 
so  hat  doch  nach  Gero's  Rückzuge  der  heidnische  Cultus 
auf  dieser  Ara  vermuthlich  noch  lange  fortgedauert,  und 
ohne  Zweifel  bestanden  die  vom  Bischof  Dithmar  in  seiner 
Chronik  erwähnten  heidnischen  Lutetier,  d.  h,  Niederlän- 
der, welche  in  der  nordöstlichen  Oberlausitz  zu  dem,  gegen 
den  König  von  Polen  Boleslaus  Chobri  streitenden ,  Kriegs- 
heere des  Kaisers  Heinrich  H,  stiefsen,  auch  zum  Theil  aus 
Anwohnern  des  östlichen  Spreewaldes, 

UO^Vendisch  Praschiwa  Hora, 


—    265     — 

Namen  Meschwitz  von  dem  Worte  Mjeschnik,  der  Prie- 
ster, her.     Obgleich  es  sehr  wahrscheinlich  ist,  dafs  Prie- 
ster und  Priesteriunen  in  Meschwitz    so  wie  in  dem  auf 
der  Südseite  des  Fragebergs  gelegenen  Cunewalde  wohn- 
ten, so  ist  Meschwitz  doch  nicht  von  Mjeschnik  entstan- 
den,    w^eil    der   Ort    sonst  Mjeschnikwitz   heifsen  würde, 
sondern  dieser  Ortsname  ist  aus  men-esch-witz ,  d.  h.  ein 
Dorf,      das   an    einem    gestreckten    Berge    liegt,     zusam- 
mengesetzt.    Die   wendische   Benennung   des  Orts,     Me- 
schezy,     hat   dieselbe   Bedeutung.     Es    bezeichnet    einen 
am  Fufse  des  Mun  (Frageberg)  gelegenen  Ort.  Die  noch 
in    neuerer  Zeit  bemerkte   Gewohnheit   der   umher  woh- 
nenden Wenden,  vorzüglich  über  der  jungen  Leute,  jährlich 
am  dritten  Pfingstfeiertage  Nachmittags  in  grofser  Anzahl 
auf  den  Frageberg  spazieren  zu  gehn,     ist   ohne  Zweifel 
noch  ein  Ueberrest  der,  in  der  heidnischen  Zeit    zu    den 
aris  der   auf  dem   oberlausitzischen   Olymp   aufgestellten 
Gottheiten  üblichen ,     heiligen    Gänge.     Das    Gehen   der 
benachbarten   Wenden   auf   den   Frageberg  am  Pfingstfe- 
ste  bezieht  sich  ohne  Zweifel  zunächst  auf  die  Feier  des 
früher  um  die  Zeit  der  Pfingsten  Statt  findenden  Erndte- 
festes  (Heuerndte).     Indel's  wurde  auch  um  dieselbe  Zeit 
das  Fest  der  Lebens-  und  Liebesgöttin,     der  Ziwa,     ge- 
feiert, so  wie  bei  den  Russen  das  Fest  der  Did  und  der 
Lado.     Neben  den  Orakeln  aber,  welche  die  Ziwa-Prie^ 
ster  und  Priesterinnen  erlheilten,  wurde  auch  ohne  Zwei- 
fel von  der  Todesgöttin   den    Fragenden   Auskunft    gege- 
ben.    Die  Heia  scheint  nur   eine   andre  Benennung   der 
Todesgüttin   Pya   gewesen   zu    seyn.     Die   erstere    wurde 
auch   als  ein  Löwe  (Löwin)   mit  ausgesperrtem   Rachen 
und    vorgestreckter    Zunge    dargestellt    und    sie   ertheilte 
auch    Todtenorakel.     Dafs    die    Südwenden    den  Namen 
der  Heia  gekannt  haben,    erhellet  ohnstreitig  daher,  dafs 
auch  sie,  wie  die  Deutschen,  den  Aufenthaltsort  der  Ver- 
dammten   noch   jetzt  Heia   nennen.     In   den   Zeiten   des 
Heidenthums  mochte  der  Ausdruck ;  zur  Heia,  oder  zum 
Zernebog  kommen,  so  viel  bezeichnen,  als  sterben.  Heia 


266 


bezeichnete  damals  die  Todes  ~öttin  selbst,  ab.er  auch  den 
Ort  ihrer  Herrschaft,  und  in  dieser  secondären  Bedeutung 
entsprach  das  Wort  dem  italischen  Elysium  (hel-isium 
oder  asium,  d.  h.  den  greisen  Ort,  wo  die  Hele  oder  To- 
desgöttin herrschte  und  dem  nordischen  Walhala  [Bt.'rg- 
göltinort]). 

In  der  bevestigten  wendischen  Stadt  Jüterbog  führte 
die  Todesgöttin  den  Namen  Propilaga.  Dieses  Wort  ist 
aus  por-ipi  und  la-aga  zusammengesetzt.  Der  ursprüng- 
liche Naane  derselben  hiefs  ohnstreitig  Por-ipi  d.  h.  Son- 
nengottsfrau. Späterhin  wurde  an  Proipi,  contracte  Pro- 
pi,  noch  laga,  d.  h.  Mondgöttin,  angehangen.  Das  ange- 
hangene Wort  laga  hatte  eine  erklärende  Bedeutung  und 
Propilaga  hiefs  so  viel,  als  die  alte  Sonnengottsgcmahlin 
als  Mond-  oder  Todesgötiin.  Der  Propilaga  wurden  nach 
dem  Berichte  des  Erzbischofs  iNdelgott  die  gefangenen 
Christen  geopfe-rt.  Dies  war  aber  ganz  in  der  Ordnung. 
Die  christlichen  Deutschen  nämlich ,  welche  die  sonst 
nicht  grausamen  Wenden  ^"  zu  der  grüfsten  Erbitterung 
und  Wuth  getrieben  hatten  (vergl.  die  Kreuzzüge  und 
den  neuen  Freiheitskampf  der  Spanier,  Russen  und  Deut- 
schen gegen  die  Franzosen),  waren  von  den  Letzteren, 
als  unversöhnliche   Feinde   ihrer   politischen    Freiheit   ^" 


111  Viele  Schriftsteller  erzälilen  von  der  grofsen  Grausamkeit 
der  Slaven,  und  nocli  Posselt  bericlitet  in  seiner  Geschichte 
der  Teutschen  p.  112,  dafs  die  Slaven,  obgleich  sie  gastfrei 
und  aufrichtig  waren,  doch  einen  natürlichen  Hang  zur 
Grausamkeit  gehabt  hätten.  Es  ist  nicht  alles  za  bestreiten, 
was  die  fremden  Scribenten  Nachtheiliges  von  den  Slaven 
berichten;  jedoch  darf  man  es  nicht  übersehen,  dafs  viele 
derselben  von  Eigenliebe  so  wie  ,von  Religions-  und  Natio- 
nal -  Hafs  befangen  waren. 

112  Sie  liebten  die  Freiheit  und  hafsten  alles,  was  einen  Schein 
von  Unterwürfigkeit  hatte,  so  dafs  sie  auch  keine  Leibeige- 
nen unter  sich  duldeten.  Vergl.  Posselts  Geschichte  der 
Teutschen  für  alle  Stände,  Theil  I.  p.  112.    Die  christlichen 


—     267     — 

und  ihrer  Religion,  wahrscheinlich  durch  einen  gemein- 
schaftlichen Beschlufs  der  Priester,  Fürsten  und  des  Volks 
dem  Tode  geweihet,  und  daher  rührt  der  allerdings 
schreckliche  Zuruf:  „Chrislenblut  will  unser  Gott  (Göt- 
tin) Propilaga  haben"  her. 

In  ihrer  Repräsentation  mochte  Propilaga  etwas  Pria- 
pisches  haben,  weshalb  man  sie  schon  in  früheren  Zei- 
ten mit  dem  durch  römische  Dichtungen  sehr  entstellten 
und  noch  nicht  hinlänglich  erklärten  Priapus  (alte  Le- 
bens-, Liebes-,  Frucht-  und  Todes -Gottheit)  verglichen 
hat.  Die  jetzigen  Wenden  nennen  den  Tod  Ssmercz, 
welches  Wort  mit  der  alten  böhmischen  Mernt  gleichbe- 
deutend zu  seyn  scheint.  W^^nn  der  Irrglaube  den  Tod 
in  der  Gestalt  einer  weifsen  Frau  erscheinen  läfst,  so 
congruirt  diese  Meinung  mit  den  Vorstellungen  des  Al- 
terthums  nicht.  Nach  diesen  mufs  der  Tod  (Todesgöttin) 
in  einer  schwarzen,  oder  doch  dunkeln  Gestalt  erscheinen; 
denn  die  weifse  Farbe  ist  die  Farbe  der  Sonnengötter 
(das  weifse  Rols  des  Swantowit),  die  schwarze  aber  die 
der  Mondgottheiten,  weshalb  die  Stettiner  auch  dem 
Triglav,  in  welchem  das  mondgöttliche  Element  vor- 
herrschend war,  ein  schwarzes  Pferd  geheiligt  hatten. 
Schwarze  Katzen  zogen  auch  den  Wagen  der  Tades- 
göttin  Freia.  Manche  haben  behauptet;  dafs  die 
wendischen  Weiber  ihre  weifsen  Trauerkleider  ersi  nach 
der  Einführung  des  Christenthums  angenommen  ha- 
ben, und  dafs  Letztere  andeuten  sollen,  dafs  diejeni£:en» 
die  sie  tragen  so  wie  deren  Todten  nicht  mehr  in  der 
Gewalt  der  Todesgöttin  sich  befinden,  sondern  dafs  sie 
unter  der  Herrschaft  des  Sonnengott  ähnlichen  Besiegers 


Deutschen  machten  sie  in  heklagenswerthen  Heloten,  so  wie 
die  christlichen  Spanier  die  gutmüthigen  und  harmlosen 
Amerikaner. 


—     268     — 

des  Todes  und  des  Grabes,     der    den  Todten  ein  neues, 
frohes  Leben  giebt,  stehen.   ^^^ 

Die  Marzana  war  auch  eine  Göttin  des  Todes,  nicht 
aber  des  animalischen  und  geistigen  (Geisteskrankheiten) 
Todes ,  sondern  des  Naturschlafes  und  Todes  im  Winter. 
Ihr  Name  ist  eine  Zusammensetzung  aus  mar  und  zana 
und  bedeutet  Göttin  hoher  Berge,-  oder  Gemahlin  des 
Berggotts,  Sonnengotts.  Dieser  Name  ist  nur  eine  Ver- 
längerung des  Namens  Mara.  Der,  vorzüglich  zur  Zeit 
des  scheidenden  Winters  angestellte,     Cultus  dieser  Göt- 


113  Diese  Behauptung  ist  ohne  Zweifel  grundlos.  Die  wendi- 
schen Weiber,  die,  zur  Zeit  der  tiefsten  Trauer,  den  ganzen 
Körper  mit  einer  Decke  von  weifser  Leinewand  bedecken, 
haben  diese  Trauerbekleidung  ohnstreitig  schon  vor  der 
Einführung  des  Christenthunis  getragen,  land  die  Gewohn- 
heit, solche  Trauerbekleidung  zu  tragen,  aus  den  ersten 
Wohnsitzen  der  Winden,  Wenden  (Hindu),  aus  dem  nord- 
westlichen Indien,  mitgebracht.  Noch  jetzt,  dies  erzählt  der 
jesuitische  Missionar  M.  Perrin  in  seiner  Reise  durch  Hin- 
dostan,  nach  dem  Französischen  bearbeitet  von  Theodor  Hell, 
Leipzig  1810,  II.  Theil  p.  12,  legen  die  indischen  Weiber, 
wenn  Jemand  aus  ihrer  Familie  gestorben  ist ,  allen  ihren 
Schmuck  ab  und  bedecken  sich  mit  einem  grofsen  Stück 
weifser  Leinwand,  ohne  eine  andere  Farbe  an  sich  zu  tra- 
gen. So  wie  die  weifse  Trauerkleidung  ein  nationelles  Un- 
terscheidungszeichen zwischen  den  Wenden  und  den  Germa- 
nen, welche  die  schwarze  Farbe  bei  der  Trauer  führen,  bil- 
det,  so  zeugt  sie  auch  deutlich  von  der  indischen  Abkunft 
der  Slaven.  —  Die  Priesterinnen  der  Kimbern  (kim-ber- 
eren,  d,  h.  in  niederen,  von  Hügehi ,  Felsenspitzen  u.  s.  w. 
bedeckten  Gegenden  Wohnende)  trugen,  nach  Strabo's  Be- 
richt, weifse  Mider  mit  erzbesetzten  Gürteln.  —  Die  weifse 
Trauerkleidung  kann  nur  aus  der  Zeitperiode  herstammen, 
wo  man  noch  androgynische  Gottheiten  verehrte,  —  Die 
Braminen  tragen  noch  jetzt  drei  weiLe  Streifen  (Zeichen  der 
Sonnenpriester)  der  Länge  nach  ßuf  der  Stirn.  Vergl.  Per- 
rin II,  Theil,  p.  32.  —  Das  Wort  Brama  stammt  nicht  von 
dem  sanscritanischen  Verbo  bramaha,  d.  h,  sich  sehnen,  ab, 
Bramaha  heifst  Mondgöttin  seyn. 


—     269     — 

tin  hat  zu  dem  bekannten ,  noch  in  den  christlichen 
Jahrhunderten  hie  und  da,  vorzüglich  in  Radeberg,  Leip- 
zig, Görlitz  vorgekommenen,  sogenannten  Todtaustreiben 
am  Sonntage  Lätare  Veranlassung  gegeben,  liu-  Cultus 
am  Ende  des  Winters  war  aber  in  den  heidnischen  Zei- 
ten gevvifs  eben  so  wenig  etwas  Spafshaftes,  als  das  Zer- 
brechen des  litthauischen  Curcho  nach  der  Erndte,  und 
er  ging  dem  groisen  Frühlings-  und  Auferstehungsfeste 
(vergl.  Jutry)  voran. 

Der  Todesgöttin  ist  die  Zivva,  oder  Lebensgöttin  ent- 
gegengesetzt. Dieser  Name  ist  nicht  ein  primitiver,  son- 
dern ein  abgeleiteter.  Er  ist  aus  dem  Adjeciiv  zivvy,  a, 
e  (vivus,  a,  um)  entstanden,  und  es  ist  bei  Ziwa  Razi- 
wa,  Bya,  Sir  u.  s.  w.  zu  suppliren.  Die  Wenden  setzen 
gewöhnlich  da  ein  Adjectiv,  wo  die  deutsche  Sprache 
zwei  Substantiva  zu  einem  Worte  verbindet.  So  sagen 
die  Wenden  statt  Gottessohn  bozi  Ssyn  (divinus  filius), 
statt  Ofenthüre  kachlowe  Duri  u.  s.  w.  Ziwa  scilicet 
Bya  heifst  eigentlich  lebendige  Göttin,  ist  aber  durch 
Göttin  des  Lebens  zu  übersetzen.     Die  Ziwa   ^^*  Schiwa 


114  An  die  Stelle  des  in  späteren  Zeiten  sehr  verehrten  Mond- 
gotts  (Flins,  Piadegast  etc.)  stellte  man  nach  der  Einführung 
des  Chris tenthums  die  Bilder  der  Apostel  und  der  Heiligen 
und  das  Idol  der  Schiwa,  Mara  u.  s,  w,  verwechselte  man 
mit  dem  Bildnisse  der  Maria.  Nicht  nur  der  Umstand,  dafs 
die  Maria  die  Mutter  des  Welterlösers  ist,  hat  in  der  spä- 
teren katholischen  Kiiche  die  Adoration  der  Maria  veran- 
lafst,  sondern  vornehmlich  ihre  Stellung  an  die  Stelle  der 
verschieden  benannten  Moudgöttin.  Späterhin  stellte  mau 
auch  da,  wo  eine  Göttin  gestanden  hatte,  das  Bildnifs  einer 
weihlichen  Heiligen  auf.  Jetzt  ist  diese  Accomodation  nicht 
mehr  nöthig.  Bei  dem  westlich  von  SenftenLerg  lieget  den 
Dorfe  Zschiepkau  stand,  laut  der  Sage,  da,  wo  in  heidni- 
schen Zeiten  ein  Schiwabild  gestanden  hatte,  in  katholi- 
schen Zeiten  ein  Marienhild, 


—     XJ70     — 

(Sieba)  war  die  Göttin  eines  jeglichen  Lebens.  Als  Göt- 
tin des  Naturlebens  wurde  sie  als  eine  nackte  Jungfrau, 
mit  bekränztem  Haupte,  langen  Haaren,  einen  Apfel  in 
der  rechten,  und  eine  Weintraube  in  der  linken  Hand 
haltend,  dargestellt.  Sie  war  die  Pomona  und  Ceres  (Ger- 
es) der  Italer,  die  Isis  der  Aegypter,  der  Bacchus  der 
Asiaten  und  der  Korsch  und  Curcho  der  Russen  und 
Litthauer.  Als  Göttin  des  thierischen  Lebens  hiel's  sie 
Ziza,  Zilsbog,  Zizliia ,  d.  h.  die  Göttin  mit  den  Nähr- 
brüsten, und  als  Geberin  des  menschlichen  Lebens  so 
wie  als  Pflegerin  der  neugebornen  Kinder  führte  sie  den 
Namen  üzizieaja  (von  Dzjeczo,  das  Kind).  Sie  war  der 
Aphrodite  der  Griechen,  der  Venus  und  der  Juno  lucina 
der  Italer,  der  Freia  der  Skandinaven  und  Nordgerma- 
nen,  so  wie  Herta  der  Deutschen  ähnlich.  Als  Göttin 
des  Natur-  und  vegetabilischen  Lebens  wurden  der  Ziwa 
Feldfrüchte  und  Obst  geopfert,  als  Göttin  des  thierischen 
Lebens  dagegen  Schaafe,  Ziegen,  Kälber,  Kühe  u.  s.  w. 
Sie  war  die  Patronin  der  jungen  Ehefrauen  und  der  hei- 
rathsfähigen  Jungfrauen ,  die  nicht  selten  zu  ihr  fleheten 
und  sich  von  ihr  Auskunft  über  ihr  künftiges  Geschick 
in  Orakelsprüchen  erbaten.  Es  wird  auch  behauptet, 
dafs  der  Ziwa  Jungfrauen  geopfert  worden  wären.  Dies 
soll  auf  dem  Frageberge  bei  Meschwitz  und  auf  dem, 
jetzt  zerst-örten,  Jungfernstein  bei  dem  drei  Stunden  von 
Senftenberg  gelegenen  Dorfe  Leipa  geschehen  seyn.  Diese 
Opfer  konnten  aber  wohl  nur  dann  als  nothwendig  er- 
scheinen, wenn  bisweilen  viele  Wöchnerinnen  und  junge 
Personen,  vorzüglich  des  weiblichen  Geschlechts,  in  ei- 
nem Bezirke  starben.  Gewöhnlich  hatten  auch  hier  vor- 
züglich Sklavinnen  und  im  Kriege  gefangene  Mädchen 
das  traurige,  von  manchen  schwärmerischen  Jungfrauen 
auch  bisweilen  ersehnte,  Loos,  der  Göttin  geopfert  zu 
werden.  Obgleich  die  Ziwa  die  Lebens  -  und  Liebes- 
Göttin  war,  so  hat  sie  doch  auch  ohne  Zweifel  die  Idee 
der  Todesgöttin  in  sich   gefalst,     wie   die  skandinavische 


—     271     — 

Frei.i.  ^'^  Diese  Combination  kann  nicht  auffallen, 
wenn  man  eingedenk  ist,  dafs  das  ernste  Amt  der  altea 
Mondgöttin,  die  man  sich  unter  der  Ziwa  ohnstreiiig  ge- 
dacht hat,  das  ganze  Leben  des  Menschen  (summates 
Dea)  von  seiner  Entstehung  bis  zu  seinem  Tode,  und 
von  seinem  Tode  bis  zum  neuen  Leben  desselben  um- 
fafste.  War  aber  die  Ziwa  auch  zugleich  die  Göttin  des 
Todes,  wie  die  indische  Schiwen  (gleichbedeutend  mit 
Schiwa ,  Ziwa),  so  war  es  angemessen,  dafs  man  ihr 
auch  bisweilen  Menschen  opferte.  Manche  leiten  indefs 
den  Namen  der  Ziwa  nicht  von  Ziwy ,  a ,  e  ab ,  sondern 
sie  behaupten,  dafs  der  Name  der  Ziwa  (Schi-iwa,  Berg- 
göttin, Mondgöttin)  ein  primitiver,  und  dafs  sowohl  das 
Hauptwort  Ziwenje ,  d.  h.  das  Leben  und  das  Eigenschafts- 
wort ziwy,  a,  e  von  der  Ziwa  abgeleitet  worden  ist.  Dem 
sey  wie  ihm  wolle,  so  ist  es  doch  höchst  wahrscheinlich, 
dafs  sie  mit  der  alten  Mara  fast  durchaus  dieselbe  Be- 
deutung gehabt  hat. 

Man  hat  an  der  (ehemaligen)  Existenz  der  Mara 
deshalb  gezweifelt ,  weil  ihr  Name  in  den  slavischen  Tra- 
ditionen nicht  vorkomme.  Diese  Behauptung  ist  aber 
ungegründet.  Das  Wort  Mara  kommt  allerdings  in  dem 
nordvvendischen  Marowit,  in  dem  südwendischen  Mara- 
cha,  Mary,  Martra  (mar-tara,  d.  h.  die  Plagegöttin,  A-lar- 
ter)  u.  s.  w.  vor.  Obgleich  der  Name  Mara  persischen  und 
germanischen  Ursprungs  zu  seyn  scheint,  so  war  er  doch  auch 
späterhin  ein  Eigenthum  der  Wenden,    vorzüglich  aber  der 


115  Von  dem  Namen  de^  Göttin  Freia  ist  abhängig  das  Wort: 
freyen  (heitathen);  der  Freyer  (einer,  der  unter  dem  Ein- 
flüsse der  Freia  als  Liebesgöttin  steht);  der  Freie,  der  Frei- 
Mann  (Scharfrichter)  der  Frei-Knecht,  welche  in  dem  Dien- 
ste der  Freia  als  Todesgöttiu  (vorzüglich  bei  Hinrichtun- 
gen) stehen.  Das  Adjectiv  frei  (über,  a,  um)  stammt  nach 
meinem  Dafürhalten  nicht  von  der  Göttin  Freia,  sondern 
es  bezeichnet  eine  niedere,  flache,  nicht  mit  Nadelholz  be- 
wachsene Gegend,  Dem  frei  (her.  ei)  ist  entgegengesetzt 
Bor,  der  dichte  Bergwald. 


—     272     — 

Südwenden  geworden.  Mara  ist  die  weibliche  Form  des 
persisch-germanischen  masculinum  Mars,  d.  h.  Berggott, 
Sonnengott.  Unter  dem  Namen  Mara  wurde  die  alte 
Mondgöttin  sowohl  von  den  in  die  Gebirgsgegenden  der 
südlichen  Oberlausitz  geflüchteten  Germanen ,  als  auch 
von  den  angrenzenden  Wenden  in  späteren  Zeiten  ge- 
meinschaftlich verehrt.  Sehr  interessant  ist  die  Sage, 
welche  ein  ehemaliger  Pfarrer  Grünewald  zu  Eubau  bei 
Zittau  in  Betreff  der  Mara  und  ihres  Cultus  schriftlich 
aufgezeichnet  hat,  und  die  also  lautet:  „Die  alten  Wen- 
„den  haben  sie  (die  Mara)  Mazmutter  genannt  und  von 
„ihr  geglaubt,  dal's  sie  zur  Mittagsstunde  auf  dem  Kot- 
„marberge  herum  wandle ,  alles  fruchtbar  und  die  Kräu- 
„ter  wachsend  mache.  Daher  pflegten  sie  solche  durch 
„Wallfahrten  dahin,  durch  angezündete  Feuer,  gekochte 
„Milch  und  Kräuter  zu  verehren,  damit  sie  ihr  Vieh  be- 
„schütze  u.  s.  w."  Diese  Sage  charakterisirl  die  Mara 
durchaus  als  eine  alte  Mondgottin.  Zunächst  deutet  die 
Nachricht:  dafs  die  Wenden  die  Mara  Macz,  d.  h.  Mut- 
ter, genannt  haben,  an ,  dafs  man  sie  nicht  nur  für  sehr 
alt   ^^*  (Jaga,    Baba  der  Russen),     sondern  auch  für  die 


116  Bekannt  ist  es ,  dafs  die  Wenden  eine  alte  ausgelassene 
Frauensperson  Stara  Mera,  d.  h,  alte  Mera  nennen.  Man- 
che glauben,  dafs  Mera  nur  das  bedeutet,  was  das  deutsche 
Wort  Mähre  (equa).  Indefs  ist  es  wahrscheinlicher,  dafs 
die  Wenden  eine  ausgelassene  alte  Weibsperson  nicht  sowohl 
mit  einer  Mähre  an  sich  in  Vergleich  stellen ,  als  vielmehr 
mit  den  Priesterinnen  der  alten  Mera  oder  Mara  (zweite  Re- 
ligionsperiode), von  denen  man  in  späteren  Zeiten  wähnte, 
dafs  sie  der  Ausgelassenheit  gefröhnt  hätten.  Der  spätere 
Mara-Gultus  bei  Zittau  scheint  ein  reformirter,  oder  viel- 
mehr depravirter,  d.  h.  ein  fetischistischer  gewesen  zu  seyn, 
der,  obgleich  man  den  1  ruberen  Priesterinnen  der  Göttin 
manches  Böse  nachsagte,  doch  in  der  späteren  Zeit  von  da- 
sigen  Deutschen  besonders  heilig  gehalten  wurde  und  zu 
dem  sich  auch  die  benachbarten  Wenden  einfanden,  weil 
die  dasige  Mara  wegen  ihrer  Orakel ,  ihrer  Heilkraft  etc. 
im  grofseu  Rufe  stand  ( vergl.   die    späteren    Marienbilder). 


—     273     — 

Urheberin  oder  Mutter  des  menschlichen,  thierischen  und 
vegetabilischen  Lebens  (Ziwa)  gebalten  habe.  Ferner 
geht  aus  der  vorstehenden  Sage  hervor,  dafs  die  Mara  als 
Urheberin  des  vegetabilischen  Lebens  gegolten  hat.  In- 
sonderheit darf  man  die  Tradition:  dafs  die  Mara  die 
Kräuter  auf  dem  Kotmar  wachsend  mache,  nicht  über- 
sehen. 

Der  Mondgüttin  lag  es  nämlich  ob,  für  die  Heilung 
der  Kranken  durch  heilsame  Kräuter  zu  sorgen,  und  die 
noch  hie  und  da  in  den  gebirgigen  Gegenden  der  Ober- 
lausitz sich  erhaltene  Sage  von  der  nach  dem  Mittage 
auf  den  Bergen  herumgehenden  Kräuterfrau  (Selowa  Zo« 
na)  rührt  ohnstreitig  von  dem  Kräutersuchen  der  Prie- 
sterinnen der  Mondgöttin  her,  die  unter  ihren  Amtsver- 
pflichtungen auch  die  hatten,  heilsame  Kräuter  zu  lesen, 
und  dieselben  an  die  Ki'anken,  die  an  der  ara  der  Göt- 
tin Hilfe  suchten,  entweder  zu  vertheilen,  oder  aus  den- 
selben mit  Hilfe  der  Priester  heilkräftige  Extracte  zu 
fabriciren.  Vermuthlich  mufsten  die  Anbetenden  und 
das  Orakel  der  Mara  um  Rath  Fragenden   deshalb   auch 


Offenbar  ist  es,  dafs  aufser  (Jetn  Worte  Mähre  (equa)  auch 
die  Wörter:  die  MäKre  (naratio,  traditio),  Märchen  (fabula) 
und  das  Altgallische  la  mere  (macz)  von  Mara  oder  Mera 
abgeleitete  sind.  Das  Wort  Mähre  (traditio)  bedeutet  das, 
was  das  wendische  Bamboraj  oder  doch  die  Erzähhm* 
gen  der  Bambora.  Noch  jetzt  erzählen  die  Braminen  an 
den  aris  der  Gottheiten  von  den  Thaten  dieser  Gotthei« 
ten  (vergl.  Perrin's  Reise  durch  Hindostan,  II.  p.  43),  Die 
Sylbe  mar  in  Kotmarberg  bedeutet  hoch  und  ist  ohn- 
streitig später  angehangen»  Der  Berg  hiefs  ursprünglich 
Kot  (Kusch)  und  wurde  später  Kot-mar,  d>  h.  Berg  hoch 
oder  Hochberg  genannt.  Eine  noch  spätere  Zeit  hing  an 
Kotmar  noch  das  Wort  Berg  an.  Mit  dem  Kotmar  ist  der 
Mont  Martre  bei  Paris  gleichbedeutend.  Das  Mar  bedeutet 
hoch ,  und  ter  Berg,  Das  Mont  ist  zum  Ueberflusse  später 
vorgesetzt.  Die  Ableitung  des  Namens  Mont  Martre  von 
mons  Martyrum  ist   offenbar  falsch» 

18 


—     274     — 

Kiäuteropler  bringen,  weil  an  der  ara  der  Göttin  eine 
grofse  Quantität  Kräuter  verbraucht  wurden  und  weil 
nicht  alle  erforderlichen  Sorten  Kräuter  in  der  Nähe 
wuchsen.  Einen  (Mond-)  Priester,  der  sich  mit  der 
Arzneikunde,  aber  auch  mit  sympathetischen  Mitteln 
unter  Gebeten  zu  der  Mondgöttin  beschäftigte,  nannte 
man  Kuswar,  oder  Zauberer,  und  eine  Priesterin,  die 
eben  dies  Geschäft ,  vorzüglich  bei  den  Frauen ,  trieb, 
Kuswarnicza,  d.  h.  Zauberin.  Diese  beiden  Namen  hat- 
ten anfangs  nur  eine  gute,  ehrenvolle  Bedeutung.  Aber 
schon  in  der  späteren  fetischistischen  Religionsperiode 
kamen  sie  an  manchen  Orten ,  wenn  auch  nicht,  wie  es 
scheint,  an  der  Ara  der  Mara,  in  Verruf.  Daran  war 
theils  die  Anhänglichkeit  der  zauberkundigen  Priester 
und  Priesterinnen  an  die  alte  Religion,  theils  der  Neid 
der  Priester  und  Priesterinnen  der  modernen  Gottheiten 
Schuld.  Als  das  Christenthum  eingeführt  worden  war, 
so  ermahnten  die  christlichen  Priester  deshalb  das  Volk 
zum  innigen  Abscheu  eines  Kuswar  und  einer  Kuswar- 
nicza, weil  diese  beide  bei  ihren  Guren  den  Beistand 
der  heidnischen  Gottheiten  anriefen.  Indefs  eilte  das 
Volk  doch  zu  solchen  Personen ,  weil  die  einfachen ,  aus 
den  Kräutern  der  Umgegend  gezogenen  Mittel  oft  sehr 
erwünscht  wirkten.  Empfindlich  waren  schon  die  kirch- 
lichen Strafen,  mit  welchen  die  christlichen  Priester  die- 
jenigen belegten,  welche  die  alte  Curart  anwendeten,  so 
■wie  auch  diejenigen ,  die  sich  derselben  bedienten.  Aber 
trauriger  wurde  noch  das  Loos  der  sogenannten  Hexen,  ^^^ 


117  Der  Name  Hexe  ist  aus  liek  und  ese  entstanden  und  bedeu- 
tet eine  Mondgöttin,  aber  auch  eine  Priesterin  dieser  Göt- 
tin. Im  Jahre  1484  verordnete  Pabst  Innocentius  VIII.  durch 
eine  Bulle  förmlich  die  Hexenprozesse,  luid  eine  im  Jahre 
1489  unter  dem  Titel  malleus  maleficarum,  unter  öffentli- 
cher Auctorität  erschienene  Schrift,  schrieb  das  bei  diesen 
Prozessen  zu  beobaclitende  Verfahren  vor.  Noch  im  Jahre 
1780  wurde  zu  Glarus  in  der  katholischen  Schweiz  eine 
Hexe  hingerichtet.    Balthasar  Becker  und  Christian  Thonia- 


—     275     ~ 

als  positive  Landesgesetze  ihre  Bestrafung  bestimmten  und 
als  die  Juristen  anfingen  Hexenprozesse  zu  instruiren. 
Manche  alte  Frau,  die  unglücklicherweise  rothe  Augen 
hatte  und  das  ihr  zugeschriebene  Verbrechen  auf  der 
Folter  eingestand,  wurde  nun  dem  Feuertode  ijberliefert. 
Die  Meinung,  dafs  eine  Hexe  feuerrothe  Augen  habe 
und  haben  müsse,  stand  mit  dem  Feuer,  welches  einen 
Haupttheil  des  Cultus  "^  der  Mondgöttinnen  und  der 
Mondgötter  ausmachte,  in  genauer  Verbindung.  Auch 
der  jetzt  seltene  Irrwahn  der  alten  Weiber ,  dafs  sich  die 
Hexen  in  der  Gestalt  einer  schwarzen  Katze,  oder  einer 
schwarzen  Häsin  an  die  Kühe  und  Ziegen  (über  die 
Ochsen  und  Pferde,  welche  unter  dem  Regimente  des 
Sonnengotts  standen,  haben  die  Hexen  keine  Gewalt, 
wohl  können  aber  auch  diese  von  Zauberern  bezaubert 
werden)  heranschlichen  und  dieselben  behexten,  ist  noch 
ein  Ueberrest  von  dem  uralten  Glauben  an  die  Reprä- 
sentationen der  Mondgöttin  durch  weibliche  Thiere. 
Nicht  minder  stimmt  die  Meldung,  dafs  die  Mara  in  der 


sius  haben  durch  ihre  Bestreitung  des  Wahns  der  Hexerei 
und  der  TeufelsLesitzungen  den  Untergang  des  fürchterli- 
chen Aberglaubens  veraniafst, 

118  In  der  südlichen  (wendischen)  Oberlausitz  fand  noch  vor 
wenigen  Jahren  alljährlich  am  letzten  April  das  sogenannte 
Verbrennen  der  Hexen  Statt,  An  diesem  Tage  zogen  nach 
Sonnenuntergang  die  Knechte  und  Mägde,  nachdem  Letz- 
tere üie  Viehställe  gehörig  verschlossen  und  die  Thüren  der 
Kuhställe  mit  drei  Kreuzen  bezeichnet  hatten,  auf  einen  be- 
nachbarten, holzfreien  Berg  und  xündeten  dort  eine  Menge 
alter  Besen  an,  mit  denen  sie  lärmend  herumliefen  und  die 
sie  brennend  in  die  Höhe  warfen.  Jetzt  ist  dieser  Unfug, 
der  zu  manchen  Ausschweifungen  Veranlassung  gegeben  und 
sogar  Ffuersbrünste  veraniafst  hat,  streng  verboten.  Dieses 
Hexen- Verbrennen,  das  den  Sieg  des  Christenthums  über 
das  Heidenthum  andeuten  sollte,  war  ohnstreitig  noch  ein 
Ueberrest  der  mondgöttlichen  Mysterien,  die  in  alten  Zei- 
ten vor  dem  Aufersteliungsfeste  gefeiert  wurden. 

18* 


276 


Mittagsstunde  auf  dem  Kotmar  und  auf  den  umliegen- 
den Bergen  herum  gewandelt  sey,  mit  den  religiösen 
Vorstellungen  des  Alterthums  überein.  Denn  vor  dem 
Mittage,  wo  die  Herrschaft  des  Sonnengotts  noch  wuchs, 
hatte  die  Mondgöttin  keine  Gewalt  (der  Glaube  an  eine 
Dopomniza,  Vormittagsgöttin,  ist  eine  grobe  Anomalie); 
aber  nach  dem  Mittage,  wo  die  Herrschaft  des  Sonnen- 
gotts abzunehmen  anfing ,  konnte  die  Mondgöttin  schon 
allmählig  ihr  Walten  beginnen  (Geisterstunde,  Streit  der 
Geister  um  die  Herrschaft).  Dafs  man  zu  gewissen  Zei- 
ten zu  der  ara  der  Mara  wallfahrtete,  dafs  man  ihr  Feuer 
anzündete,  dafs  man  ihr  opferte  und  sie  bat,  das  Milch- 
vieh zu  beschützen,  dies  Alles  war  den  Forderungen  des 
alten  Religionsglaubens  entsprechend, 

Höchst  wahrscheinlich  ruhete  die  Idee  der  wendi- 
schen Pschipowniza  auch  auf  der  Idee  der,  für  das  Wohl- 
seyn  der  Menschen  angelegentlichst  sorgenden  alten  Berg- 
göttiii.  Der  Name  Pschipowniza  oder  Pschespowniza  be- 
zeichnet eine  Göttin,  die  in  den  Stunden  unmittelbar 
nach  dem  Mittage  waltete.  Nach  der  sich  bis  jetzt  noch 
erhaltenen  Tradition  ging  die  Pschipowniza  in  der  ersten 
Naciimittagssiunde  zur  Zeit  der  gröfsten  Sonnenhitze  auf 
den  Erndtefeldern  herum  und  erschreckte  diejenigen,  die 
sich  den  nachtheiligen  Einwirkungen  der  Sonnenhitze 
auf  ihre  körperliche  Gesundheit  ohne  Noth  aussetzten 
und  die  entweder  aus  Hartherzigkeit ,  oder  aus  Geiz  ih- 
ren Mägden  und  Knechten  während  der  drückendsten 
Sonnenhitze  keine  Erholung  gönnten.  In  dieser  Gestalt 
erschien  sie  als  eine  zwar  ernste ,  aber  doch  für  die  Ge- 
sundheit der  Erndtearbeiter  mütterlich  sorgende  Gottheit, 
uud  dieses  ihr  Erscheinen  ist  dem  Glauben  des  Alter- 
thums an  die  Fürsorge  der  alten  Berggöttin  für  das  Wohl 
der  Menschen  ganz  angemessen.  Noch  jetzt  sprechen  die 
oberlausitzer  Wenden  im  Scherz  zu  demjenigen,  der  wäh- 
rend der  gröfsten  Sonnenhitze  auf  dem  Erndtefelde  ohne 
Noth  (zur  Zeit  eines  herannahenden  Gewitters  erscheint 
die  Pschipowniza  nicht)  arbeitet:     nebojisch   ty  fso,     so 


277 


Pschipowniza  na  tebe  pschindc/,  budze,  d.  h.  fürchteit 
du  dich  nicht,  dafs  die  Pschipowniza  auf  dich  kom- 
nnen  wird?  Demjenigen,  dem  die  Pschipowniza  er- 
schien, legte  sie,  nach  der  Tradition,  Fragen  über  den 
Flachsbau  vor.  Wufste  der  Gefragte  nicht  sofort  auf  alle 
ihm  vorgelegte  Fragen  zu  antworten,  so  vervvundete  sie 
ihn  entweder,  oder  tödtete  ihn  sogar.  Die  Pschipowniza 
scheint  ein  deutlicher  Beweis  zu  seyn,  dafs  die  wendi- 
schen Priester  und  Priesterinnen  angelegentlich  für  das 
leibliche  Wohlseyn  der  Bewohner  ihres  Bezirks  sorgten, 
und  dafs  sie  deshalb  die  Arbeiter  in  der  Erndte  (nur  in 
der  heifsen  Jahreszeit  erschien  die  Pschipowniza')  biswei- 
len vor  zu  grofsen  Anstrengungen  warnten.  Wer  nicht 
auf  ihre  Warnungen  achtete,  wurde  verwundet,  d.  h.  er 
erkrankte,  oder  er  wurde  von  der  Pschipowniza  sogar  ge- 
tödtet,  d.  h.  er  zog  sich  eine  Krankheit  zu  und  starb. 
Die  von  der  Pschipowniza  vorgelegten,  sich  auf  den  Flachs, 
dessen  Cultur  und  Bearbeitung  so  viele  Geschäftsstadien 
bis  zu  dem  Zeitpunkte  hat,  wo  er  als  Leinwand  er- 
scheint, sich  beziehenden  Fragen  sollten  die  Menschen 
zur  Erhaltung  ihrer  Gesundheit  durch  nöthige  Bedeckung 
ihres  Körpers  in  der  bremienden  Sonnenhitze  auffordern 
tuid  sie  von  zu  grofsen  Kraftanstrengungen  abschrecken. 
Dies  konnte  sie  durch  die  vielfältigen  Fragen  um  so  leich- 
ter bewirken,  als  Keiner  gewifs  war,  dafs  er  alle  ihm 
vorgelegte  Fragen  werde  treffend  und  genau  beantworten 
können.  Man  hat  die  wendische  Pschipowniza,  deren 
Name  kein  primitiver,  sondern  von  Pschipownjo,  d.  h.  die 
Zeit  vom  Mittage  an  bis  Nachmittags  2  bis  3  Uhr,  abge- 
leiteter ist,  mit  der  Sphinx  der  südlichen  Länder  vergli- 
chen. Es  findet  aber  zwischen  der  letzteren  und  zwischen 
der  wendischen  Sphinx  ein  grofser  Unterschied  Statt.  Die 
böotische  Sphinx,  deren  Name  aus  Si-fi-hin-is  oder  ix 
zusammengesetzt  ist  und  der  eine  Berggöttin  bedeutet,  be- 
xeichnete  ohne  Zweifel  ein  ganzes  religiös-  wissenschaftli- 
ches Institut ,  während  die  wendische  Pschipowniza  nur 
einen  kleinen  Theil  der  Tliätigkeit  einer  wendischen  reli- 


278 


glös-  medicinisclien  Anstalt  documentirte.  Die  böolisclie 
Sphinx  war  gewifs  nicht  ein  blofses  Ungeheuer,  sondern 
eine  Pvepräsentation  der  Pveligion  der  zweiten  Periode. 
Unter  ihrem  Schutze  stand  ein  Verein  von  Männern  und 
Frauen,  die  hartnäckig  an  der  alten  Religion  hielten, 
sich  mit  physischen,  anthropologischen,  naturreligiösen 
und  medicinischen  Untersuchungen  beschäftigten ,  die 
Ausplauderer  ihrer  Geheimnisse  mit  dem  Tode  bestraf- 
ten, bisweilen  Menschen  opferten  und  die  sich  über- 
haupt mit  der  späteren  Religion  der  Griechen  in  Oppo- 
sition setzten.  Das  unbedeutende  Räthsel  dieser  Sphinx, 
welches  Oedipus  löste,  deutet  zwar  auch  die  Form,  vor- 
nehmlich aber  die  Materie  des  wissenschaftliclien  Trei- 
bens des  gefürchteten  böotischen  Priester-  und  Priesterin- 
nen-Vereins  an.  Die  Sphinx  an  der  Pyramide  des  Ce- 
phrenes  repräsentirte  die  Göttin  des  Todes,  welche  als 
Wächterin  des  Reichs  der  Verstorbenen  gedacht  wurde. 
Die  Sphinxe  an  dem  Pallaste  des  Skythenkönigs  Skyles 
in  dem  Emporium  der  Anwohner  des  Borysthenes  (He- 
rodot.  IV,  79.)  waren  Symbole  der  schützenden  Mond- 
gottheit {7CT]VT£  Tciqi^  livni  li&ov  ccpr/yss  t£  '''■ch-  ygvnag  i'ovaaav), 
die  um  das  Sinnbild  des  herrschenden  Sonnengotts  {).£vkS 
ii&ov)  standen.  Wenn  Herodot  erzählt:  dafs  in  dem  Pal- 
laste des  Skythenkönigs  die  Feste  des  Dionysos  (dio-ni- 
isos,  Nachtgott,  Mondgottheit)  in  bacchischer  Wuth  ge- 
feiert wurden,  so  besagt  dies  weiter  nichts,  als  dafs  die 
dortigen  Skythen  Verehrer  der  alien,  bei  den  Griechen 
schon  untergegangenen ,  Bergreligion  waren,  und  dafs 
den  Anwohnern  des  Borysthenes  (Dnper)  in  die  Augen 
fallende  Freudengenüsse  und  insonderheit  freudenvolle 
Tänze  am  grofsen  Frühlings-  so  wie  am  frohen  Erndte- 
Feste  ( vergl.  Jutry,  Korsch,  Biry  u.  s.  w. )  als  ein  in- 
tegrirender  Theil  ihres  religiösen  Cultus  galten.  Der 
spätere  Fetischismus  war  bekanntlich  der  Religion  des 
Jehovah  (Jen-hon-va  [bu]  ah)  ein  Gräuel.  Aber  die 
jüdischen  Dichter  und  Aesthetiker"  verschmäheten  es 
nicht,  die  Symbole  der  alten  Sonnen-  und  Mondreligion 
(Ezechiel  10,  Jesaias  6,  2.)  bei  der  Darstellung  religiöser 


279 


Ideen  zu  Gebrauchen.  Jedoch  erschienen  diese  S}"  in  hole 
nur  im  untergeordneten  Verhältnisse,  welches  andeuten 
sollte,  dai's  die  Jehovah- Religion  "'  die  alte  Religion 
der  zweiten  Periode,  ja  selbst  der  ersten,  an  Vortreff- 
lichkeit, Erhabenheit  und  lleilsanikeit  bei  weitem  über- 
trefie. 

Es  erleidet  keinen  Zweifel,  dafs  die  Idee  des  jetzi- 
gen Alps,  der  die  Menschen  ohne  Noth  quält,  aus  den 
Vorstellungen  hervorgegangen  ist,  die  man  von  den  Ge- 
schäften der  Mond-  oder  Berggöttin  hatte.  Aber  auch  schon 
im  Alterthume  glaubte  man,  dafs  die  alte,  auf  strenge 
Moralität  und  Legalität  haltende  Berggöttin  bei  Nacht 
die  Uebelthäter  und  Verbrecher  durch  einen  unruhigen 
Schlaf  und  durch  Beängstigungen,  die  von  einem  unru- 
higen Gewissen  herrührten,  peinige.  Diese  vvohlthätige, 
geheime,  nächtliche,  der  Nemisa  ähnliche  Rächerin  des 
Bösen  verwandelte  man  schon  in  der  Zeit  des  späteren  Fe- 
tischismus in  ein  Wesen,  welches  die  Bekenner  der  mo- 
dernen Religion  des  Nachts  willkührlich  plage,  die  christ- 
liche Zeit  aber  überhaupt  in  einen  menschenfeindlichen 
Plagegeist,  der  seine  Bosheit  vorzüglich  an  alten  Wei- 
bern und  älteren  Jungfrauen  übe.  Die  oberlausitzer 
Wenden  nennen  dieses  peinigende  Wesen,  das  der  Aber- 
glaube bald  als  eine  alte  schwarze,  unflätige  Frau  (ver- 
gleiche den   zernebog   Marovit    der   Nordwenden),     bald 


119  Wenn  auch  die  jüdische  Religion  in  ihren  aufseien  Formen 
mit  dem  Palästina  umgehenden  Ethnicismus  in  dieser  und 
jener  Hinsicht  harmonirte ,  so  steht  sie  doch  in  ihren  Dog- 
men und  in  ihrer  Moral  als  einzig  und  als  eine  Gottes 
würdige  Offenbarung  da.  Alle  andere  Religionen  mufsten 
untergehen ,  sagt  de  Wette  in  seinen  Vorlesungen  über  Re- 
ligion p,  431,  weil  sie  zuletzt  eher  dem  Aber-  und  Unglau- 
ben dienten,  als  dem  Glauben;  nur  die  israelitische  trug 
in  sich  den  Keim  des  Heils  der  Menschheit,  und  entwickelte 
aus  ihrem  Schoofse  eine  neue  bessere,  die  einzig  wahre 
Religion. 


—     280     — 

ßls  ein  Männchen  im  feuerrothen  Kleide  (Mondgott)  sich 
vorsteht,  Kodoiza.  Dieses  Wort  ist  aus  ko,  der  Berg  und 
aus  doi-iza,  die  Göttin,  zusammengesetzt.  Die  Nieder- 
lausitzer  nennen  die  Kodoiza  Murawa  (mur-awa,  asa), 
welches  Wort  auch  Berggöttin,  Mondgöttin,  Sonnengotts- 
frau bezeichnet.  Die  Schweden  (Mar)  und  die  Deut- 
schen haben  den  Alp  fälschlich  zu  einem  Manne  ge- 
macht. Ein  Sonnengott  ist  dieser  Mann  nicht  und  kann 
es  nicht  seyn,  weil  das  Geschäft,  welches  dem  Alp  zu- 
geschrieben wird,  mit  der  Idee  des  nur  am  Tage  und 
im  Lichte  wirkenden  Sonnengotts  unvereinbar  ist. 

Der  Grund,  warum  sich  die  Deutscheu  den  Alp  als 
ein  männliches  Wesen  denken,  kann  nur  darin  liegen, 
dafs  sie  sich  denselben  als  einen  Mondgott  dachten,  und 
weil  sie  in  der  religiösen  Anomalie  überhaupt  so  weit 
gingen,  dafs  sie  die  Mondgöttin  in  einen  Mann  (Mond) 
verwandehen.  Die  späteren  Wenden  sind  insofern  in 
den  deutschen  Irrthum  verfallen,  als  sie  sich  die  Kodoiza 
als  ein  roth  gekleidetes  Männchen  denken,  welche  Vor- 
stelking  gewifs  jünger  ist,  als  der  Glaube,  dafs  der  Alp 
in  der  Gestalt  einer  alten  Frau  erscheine. 

Dafs  man  sich  die  Mara  auch  als  Todesgöttin  ge- 
dacht hat,  ist  schon  deshalb  nicht  zu  bezweifeln,  v/eil 
die  alten  Mondgöttinnen  auf  die  sämmtlichen  Verände- 
rungen des  menschlichen  Lebens  Einflufs  hatten  und  weil 
die  Todten  lediglich  unter  ihrem  Einflüsse  oder  nach 
dem  späteren  Glauben,  unter  der  Herrschaft  der  aus 
Mondgöltinnen  gebildeten  Mondgötter  (Mercur,  Odin) 
standen.  Ueberdies  ist  es  auch  wohl  nicht  'von  ohnge- 
fähr  geschehen,  dafs  die  Wenden  die  Todtenbare  Mary 
(te  Mary,  d.  h.  die  der  Mara  gewidmeten  Werkzeuge) 
nennen.  Höchst  wahrscheinlich  ist  die  Benennung  Ma- 
ry sehr  alt  und  bezeichnet  die  Trage,  auf  welcher  man 
den  Leichnam  zu  dem  Orte  trug,  wo  er  begraben,  oder 
verbrannt  wurde.  Das  Verbrennen  der  Todten  geschah 
gewöhnlich  in  der  Nähe   der  ara  einer  Mondgöttin,  oder 


—     281     — 

eines  Mondgotts,  öderes  wurde  doch  auf  der  Maraclia  "° 
(Todtenfeld)  ein  Bild  der  Todesgüttiu  (verji;!.  die  Sphinx 
an  den  Pyramiden)  aufgestellt,  welches  andeutete,  dafs 
die  Todten  unter  der  Herrschaft  der  Todesgöttin  so  lan- 
ge stehen,  bis  sie  der  Sonnengott  früher  oder  später  zum 
neuen  Leben  ruft.  Von  dem  Glauben  an  den  Ueber- 
gang  der  Seelen  der  dahingeschiedenen  Menschen  in  thie- 
rische  Körper  findet  sich  in  dem  slavischen  Glauben 
durchaus  keine  Spur. 

So  wie  das  Wasser  überhaupt  unter  der  Herrschaft 
der  Mondgöttin  und  Todesgöttin  (^Neptun  ist  ein  Mond- 
gott so  wie  auch  Seidon,  dessen  Namen  man  noch  das 
po  [buh]  zum  Ueberflusse  praefigirt  hat)  stand,  so 
dachte  man  sich  auch  sie  in  demselben  waltend.  Auf 
dieser  Vorstellung  ruht  noch  jetzt  der  Glaube  an  den 
Nix,  Dieses  Wort  ist  dasselbe,  welches  im  Griechischen 
vv^  (ni-ix  oder  is)  und  im  Sanscrit  nis  heifst.  Nix  ist 
weiblichen  Geschlechts  und  fälschlich  haben  sie  die  Deut- 
schen zum  Manne  wie  die  Alpe  (hal-ape)  zum  Alp 
(hal-ap)  gemacht.  Die  Wenden  nennen  den  Nix  wodna 
Zona,  d.  h.  Wasserfrau.  Sie  haben  der  Wasserfrau,  von 
der  sie  erzählen,  dafs  sie  vor  dem  Einbruch  regnigter 
Witterung  ihre  Wäsche  auf  den  Ufern  tiefer  Teiche 
und  Seen  trockne,  einen  Mann  zugesellt,  den  sie  wod- 
ny  Muz,  d,  h.  Wassermann,  die  Russen  aber  mor- 
ko}   Zaar   nennen.     Der   wendische    wodny   Muz  ,      den 


120  Bei  dem  Dorfe  Dürrwalde,  eine  Meile  nordlich  von  Senf- 
tenberg,  ist  ein  bedeutender  alter  Begräbnifsplatz ,  aus  wel- 
cbeni  man  sehr  viele  Urnen ,  sogar  mit  römischen  Münzen, 
ausgegraben  hat.  Die  Ackerbeete  hinter  diesem  Begräbniüs- 
platze  nennen  die  dortigen  Einwol\ner  noch  jetzt  samara- 
chiske  seil.  Liechi ,  oder  Wolsrietki.  Das  Adjectiv  mara- 
chiske  deutet  an :  dafs  die  Wenden  früher  den  Todtenacker 
Maracha,  d.  h.  hochgelegenes  Feld  und  in  der  zweiten  Be- 
deutung das  Todtenfeld  (im  Sanskrit  heifst  mri  und  im 
Wendischen   mrjecz  5ter])en)  nannten. 


—     282     — 

einige  ohne  Grund  in  wodny  Huz,  d.  h.  Wasserschlan- 
ge, verwandeln  wollen,  list  wahrscheinlich  ein  Mondgott 
(Neptun  und  Amphitrite).  Indessen  kann  er  doch  auch 
aus  dem  Grunde  ein  Sonnengott  seyn,  weil  man  biswei- 
len das  Bild  der  Sonne  im  Wasser  erblickt. 

Dafs  die  Mara  auf  dem  sogenannten  Lehrherge  bei 
Eubau  verehrt  worden  ist,  berichtet  die  Sage.  Auf  die- 
sem Berge  stand  ehedem  ein  Gebäude,  welches  die  spä- 
tere Zeit  das  Lehrhäuschen  nannte,  das  aber  ohnstreitig 
ein  Tempel  der  Mara  war.  Neben  dem  sogenannten 
Lehrhäuschen  befand  sich  ein  Brunnen ,  ^^^  den  man 
noch  bis  in  die  neueren  Zeiten  den  Lehrbrunnen  nann- 
te. Auch  Ueberreste  |von  einem  von  dem  Kotmar-  bis 
zum  Lehrberge  führenden  unterirdischen  Gange  will  man 
beuierkt-  haben.  Der  Name  Lehr  (barg)  ist  dem  Kot- 
mar entgegengesetzt.  Lehr  (le-her)  bedeutet  einen 
niederen  oder  einen  Mond- Berg,  Kotmar  (kot-mar) 
aber  einen  hohen  Berg  der  aber  doch  niedriger  ist,  als 
ein  Kusch,  oder  Cusch.  Eine  andere  Form  des  Kot  ist 
Kosch,  z.  B.  in  Koschenberg  bei  Senftenberg.  Unterirdi- 
sche, zu  dem  Tempel  der  alten,  Orakel  vielfacher  Art 
ertheilenden,  Mara  durften  nicht  fehlen,  eben  so  wenig 
als  ein  Brunnen  an  ihrem  Tempel.  Ging  ein  unterirdi- 
scher Gang  von  dem  Kotmar  bis  zum  Leher,  so  war 
derselbe  deshalb  angelegt,  damit  die  Priester  und  Prie- 
sterinnen von  der  ara  des  Sonnengotts,  die  ich  auf  dem 
Kotmar  vermuthe,  zu  dem  Tempel  der  Mara  unbemerkt 


121  Bei  einer  jeden  ara  mufste  ein  Brunnen,  oder  ein  Flufs,  Be- 
hufs der  Abluitionen  seyn.  Ueber  den  Zweck  der  heiligen 
Abwaschungen  vergleiche  de  Wette's  Vorlesungen  über  Re- 
ligion, p.  330  u.  f. 

122  Der  Name  Lerchenberg  kommt  hie  und  da  vor.  Er  bezeich- 
net einen  niederen  Berg  so  wie  Lam-  oder  corrupte  Läm- 
nierberg.  Die  Benennung  Lerchenberg  ist  aus  Ler  und  dem 
später  angehangenen  Berg  entstanden. 


—     283     — 

gelangen  konnten,  worauf  bei  dem  heidnischen  zum 
grofsen  Theile  auf  Täuschung  beruhenden,  Göttercultus 
viel  ankam. 

Obgleich  die  Bilder  der  Mondgöttin  bei  weitem  nicht 
so  grofs  waren  und  nicht  so  grofs  seyn  durften,  als  die 
Bilder  der  Sonnengötter  und  selbst  nicht  so  grofs,  als 
das  Bild  eines  Mondgotts,  so  konnten  sie  doch  wohl  die 
Höhe  einer  Normal  -  Frauensperson  erreichen.  Bisweilen 
waren  sie  wohl  auch  kleiner,  vor7Äiglich  wenn  sie  aus 
edlem  Metall  bestanden,  wie  z.  B.  der  goldene  Triglav 
der  Juliner,  den  der,  den  Bischof  Otto  begleitende,  Prie- 
ster Herrmann  entwenden  wollte.  Dafs  das  in  dem  Le- 
h  er -Tempel  aufgestellte  Bild  der  Mara  gröfseri^war,  als 
das  1738  von  dem  Pfarrer  Grunewald  zu  Eubau  aufge- 
fundene, S  Zoll  10  Linien  hohe,  bronzene  sogenannte 
Druiden -Bildchen  (jetzt  auf  der  Rathsbibliothek  zu  Zit- 
tau), so  wie  das  von  dem  Pfarrer  Fetter  zu  Rausche  der 
Rathsbibliothek  zu  Görlitz  überlieferte  Götzenbild,  dies 
ist  keinem  Zweifel  unterw^orfen.  Die  gefundenen  Bild- 
chen sind  ohne  Zvveifel  nur  Copien  des  Hauptbildes  der 
Mara,  welches  dj<i  Priester  und  die  Priesterinnen  an  wohl- 
habende Privaten,  insonderheit  an  reiche  Frauen  (ver- 
gleiche den  gegenwärtigen  Bilder-  und  Figuren- Verkauf 
in  den  K-'östern  und  an  den  Wallfahrtsorten)  Behufs  der 
häuslic-?Jen  Andacht  verkauften,  die  aber  letzteren  bis- 
weikn  in  die  Urne  mit  gegeben  wurden,  wenn  man  sie 
jidch  ihrem  Tode  in  der  Nähe  der  ara  der  Göttin  zur 
Erde  bestattete.  Auch  scheineu  die  Priester  und  Prie- 
sterinnen der  Göttin  eine  Copie  ihres  Hauptbildes  als  ein 
Docunient  ihrer  Anstellung  bei  der  ara  derselben,  vor- 
züglich wenn  sie  sich  von  ihrem  Wohnorte  entfernten, 
bei  sich  getragen  zu  haben.  Dafs  man  noch  in  christli- 
chen Zeiten  am  Abende  vor  dem  Pfingstfeste  auf  dem 
Leher  wallfahrtete,  dies  zeigt  von  der  groi'sen  Vivaciiät 
der  alten  Gebräuche. 

Au'jh  der   Drache,     dessen  Existenz    die  SüdwencTen 


—     284     — 

glaubten,  und  an  die  einige  abergläubige  alte  Weiber 
noch  glauben,  ist  ein  Zweig  der  Idee  der  Nachtgöttin- 
Als  Drache  bewachte  die  Mondgöttin,  nach  den  Vorstel- 
lungen des  Alterthums,  nicht  nur  die  sich  unter  der  Er- 
de, sondern  auch  über  der  Erde  befindlichen  Erze,  wel- 
che letztere  sie  ihren  Lieblingen  bei  nächtlicher  Weile 
zutrug.  Um  dies  thun  zu  können,  wird  sie  geflügelt 
(vergl.  Tara  pya)  gedacht.  In  manchen  A'Iythologien  war 
die  Idee  des  Drachen  mit  der  Idee  der  Göttin  der  Todten  ver- 
bunden, z.  B.  in  der  böhmischen  in  Mernt,  in  der  rus- 
sischen in  Daschebog,  in  der  italischen  in  Pluto  (pul- 
ulo,  d.  h.  die  grofse  Gottheit),  welches  nicht  auffallen 
kann,  weil  sowohl  die  Göttin  der  Verstorbenen  als  auch 
die  Bewacherin  der  Schätze  (vergl.  den  Drachen,  der  in 
Colchis  [col-ichis,  ^'^^  Hügelland]  mit  dem  feuerspeien- 
den Ochsen  [Mondgott]  das  goldene  Vliefs  hütete)  in 
dem  unterirdischen  Dunkel  ihre  Geschäfte  hatten.  So 
wie  der  Adler  unter  den  römischen  signis  militaribus 
(Pferde,  Wildschweine,  Minotauren)  den  Sonnengott  an- 


123  Der  Name  ColcTiier,  Colchi  (col-iclien)  iezeichnet  Men- 
sclien,  die  in  niedrigeren  Gegenden  wohnen,  als  die  Kaka- 
sen  oder  Kaukasen.  Colchis  entspricht  dem  Naiaen  Mingre- 
lia  (  min-ger- elia  )  und  Immireti  (hin-min-ren->ti).  Der 
Name  Colchi,  der  mit  Gali  (nicht  galli),  Galatae  lud  Kel- 
ten (Kel  eten)  ziemlich  gleichbedeutend  ist,  konnte  anch 
anderwärts,  wo  die  Menschen  an  dem  Rande  höherer  Berje 
wohnten ,  z.  B.  am  Cap  Comorin  in  Indien ,  vorkommen, 
ohne  dals  gerade  ein  Volk,  das  denselben  führte,  von  einem 
andern  eben  so  sich  nennenden  abstammte.  —  Phasis  (fa- 
asis )  bezeichnet  einen  in  niederen  (fa)  Gegenden  fliefsen- 
den  Flufs  ( asis ).  —  Das  vellus  aureum ,  zu  dessen  Abholen 
die  Griechen  eine  Expedition  (Argonauten)  ausrüsteten, 
scheint  anzudeuten,  dals  man  in  Colchis  entweder  wirklich 
oder  vermeintlich  mittelst  eines  Vliefses  Golukörner  in  Flüs- 
sen sammelte.  Der  Drache  und  der  Stier,  welche  das  gol- 
dene Vliefs  bewachten,  waren  ohnstreitig  Bilder  der  Golchi- 
schen  Gottheiten,  deren  Gebote  den  Fremden  das  Fischen 
des  Goldsandes  nicht  gestatteten. 


—     285     — 

deutete,  so  der  Drache  die  Mondgottheit.  Die  Deutschen 
haben  die  Mondgöttin,  unter  deren  Schutze  die  Schätze 
stehen,  zu  einem  männlichen  Wesen  gemacht  und  nen- 
nen sie  den  Drachen,  welches  Wort  ursprünglich  die 
Drache  (dur-ache)  lautete  und  das  seiner  Bildung  nach 
den  noch  weiblichen  Wörtern  Bache,  Piache,  Wache  u. 
s.  w. ,  die  anfänglich  eine  Repräsentation  und  Geschäfte 
der  Mondgöttin  bedeuteten ,  gleich  ist.  Auch  das  he- 
bräische "i'^n,  welches  aus  Tan-nin-in  zusammengesetzt 
ist,  bezeichnete  ursprünglich  ein  weibliches  Wesen,  Berg- 
göttin, Nachtgüttin.  Das  lateinische  Draco  ist  ein  altes 
Neutrum,  das  aus  Dar-aco  (to  Dnraco)  entstanden  ist. 
Die  Wenden  nennen  den  Drachen  gröfstentheils  Plön 
und  Smij ,  welche  Wörter  beide  männlichen  Geschlechts 
sind.  Jedoch  nennen  die  Wenden  den  Drachen  auch  ta 
Smija  (  sim  -  ija  ).  Diese  Form  ist  die  alte  und  dem  frü- 
heren Religionsglauben  entsprechend.  Die  Eintheilung 
des  Drachen  in  a)  zitny  Smij,  d.  h.  Getreide -Drache, 
b)  mlokowe  Smij,  d.  h.  Milch -Drache  und  c)  in  pe- 
nezny  Smij,  Gelddrache,  ist  bei  den  Südwenden  gewöhn- 
lich, aber  unwichtig. 


Von  der  Gerichtsgöttin  (Prowe)  finde  ich  im  Süd- 
wendenlande keine  andere  Benennung,  und  es  ist  höchst 
wahrscheinlich,  dafs  man  auch  hier  die  genannte  Göttin 
mit  dem  im  Nord  wendenlande  üblichen  Namen  be- 
nannte. 


Es  ist  ungewifs,  ob  die  BerggÖttin  an  manchen 
Orten  Cuna  genannt  worden  ist.  Wurde  sie  auch  mit 
diesem  Namen  benannt,  so  vertrat  er  die  Stelle  des  Na- 
mens der  Mara.  Obgleich  ich  es  nicht  bestreiten  will, 
dafs  die  Mondgöttin  bei  den  Wenden  auch  Cuna  gehei- 
Tsen  hat,  so  habe  ich  doch  allen  Grund  es  zu  bezwei- 
feln :  dafs  die  Ortsnamen  Cunewalde,  Kunnewitz  bei  Jauer- 
nick,  Kunitz  bei  Postwitz,  Kuna  bei  Schönberg  u.  s.  w. 


—     286     — 

ihre   Entstehung   dem   früher    daselbst   Statt    gefundenen 
Cuhus  der  Göttin  verdankent 


Irrig  ist  die  Meinung,  dafs  die  oberlausitzer  Wen- 
den einen  Krankheitsgott,  Krosto  genannt,  verehrt  und 
dafs  von  diesem  Gotte  die  Orte  Crostau,  Crostwitz  u,  s. 
w.  ihre  Namen  erhalten  haben.  Denn  von  dem  Sonnen- 
gotte,  der  ein  Gott  des  Lebens  war,  konnte  die  Krank- 
heit nicht  herrühren,  selbst  auch  nicht  von  dem  in  der 
späteren  Zeit  vorzugsweise  verehrten  Mondgotte.  Wenn 
ja  den  Wenden  eine  Gottheit  als  Urheberin  der  Krank- 
heiten galt,  so  konnte  dies  nur  die  alte,  späterhin  für 
böse  gehaltene  Pya  oder  Tschert  seyn.  Die  Einwirkung 
der  Pya  auf  Kranke  nahm  man  aber  doch  wohl  nur  bei 
aufserordentlichen  Krankheiten,  z.  B.  bei  Lähmungen 
durch  Schlag,  bei  Wahnsinn,  Epilepsie  u.  s.  w.  an.  Das 
W^ort  Krankheit  (ta  Korofs)  ist  weiblichen  Geschlechts 
wie  die  deutschen  W^örter  Kränke  (ger-hen-eke)  und 
Gripe  (gir-ipe).  Ob  aber  die  Krankheit  deshalb  als  ein 
weibliches  Wesen  bezeichnet  wurde,  weil  man  sie  von 
einer  Mondgöttin  oder  einem  Mondgotte  (Kor-ofs,  d.h.  das 
Bergvvesen)  ableitete,  oder  deshalb,  weil  man  sich  die  Krank- 
heit unter  der  Gewalt  der  arzneikundigen  Mondgöttin,  die 
zugleich  die  Todesgöttin  war,  dachte,  ist  ungewifs.  Leitete 
man  in  späterex  Zeit  die  Krankheiten  von  der  feindseligen 
Pya  her  (daemoniaci),  so  that  man  dies  ohnstreitig  früher 
nicht,  sondern  betrachtete  die  damals  selteneren  Krank- 
heiten nur  als  eine  natürliche  Folge  der  Schwachheit 
und  Zerstörbarkeit  des  menschlichen  Körpers,  der  die 
Mondgöttin  duicch  ihre  ärztlichen  Künste    zu  Hilfe  kam. 

Die  Dörfei;  Crostau  (gor-ostau  und  Crostwitz  ( gör- 
est-wiz)  haben,  ihre  Namen  nicht  von  der  alten  Berg- 
gottheit Crodo,  die  in  ihrer  weiblichen  Eigenschaft  mit 
der  Pya  in  dem  späteren  wendischen  Glauben  gleichbe- 
deutend seyn  konnte,  sondern  von  den  Cor  oder  gor,  d. 
h.  Bergen,  an  dtmen  sie  liegen. 


—     ^67     ~ 

Der  Name  des  Dorfs  Prietitz  rührt  von  der  Lage  des 
Orts  (pir-it-iza)  her,  und  nicht  von  einer  wendischen 
Frühlings-,  Lebens-  und  Auferstehungsgöttin,  die  den 
Namen  Priscza,  oder  Priseza,  wie  der  wenig  kritische 
Bönisch  glaubt.  Schwerlich  haben  die  Wenden  irgend- 
wo die  Lebensgöttin  mit  dem  Namen  Prisczeza  benannt. 
Eher  könnte  man  annehmen,  dafs  sie  die  Mondgöttin  Bo- 
riza  genannt  haben,  welches  Wort  so  wie  Raziwa  über- 
haupt eine  Göttin,  und  in  der  secondären  Bedeutung 
insbesondere  eine  Waldgöttin,  Bergwaldgöttin,  be- 
zeichnet. 


Die  Göttin  des  Wildes  und  der  Jagd  nannten  die 
Südwenden  Dziewiza,  welcher  Name  mit  dem  polnischen 
Dziwana  gleichbedeutend  ist.  Von  ihr  meldet  eine,  noch 
hie  und  da  in  der  südlichen  Oberlausitz  von  alten  Per- 
sonen referirte  Sage  Folgendes:  Die  Dziwiza  war  eine 
schöne,  junge  Knenje  oder  Edelfrau  (Krasopani  der  Mäh- 
ren), welche  mit  einer  Zylba,  d.  h.  Geschofs  bewaffnet, 
in  den  Wäldern  herumstreifte.  Die  schönsten  Jagdhunde 
begleiteten  sie  und  schreckten  nicht  nur  das  Wild,  '^son- 
dern auch  die  Menschen,  die  sich  in  der  Mittagsstunde 
(vergl.  Pschipowniza)  in  dem  dichten  Walde  befanden. 
Noch  jetzt  sagen  die  Wenden  in  der  südlichen  Oberlau- 
sitz zu  Einem,  der  über  den  Mittag  allein  im  dichten 
Tannenwalde  ist ,  im  Scherze :  fürchtest  du  dich  nicht, 
dafs  die  Dziwiza  zu  dir  kommen  wird?  Indefs  glaubte 
man  doch  auch,  dafs  die  Dziwiza  in  mondhellen  Näch- 
ten in  den  Wäldern  das  Geschäft  der  Jagd  treibe.  Der 
noch  jetzt  von  abergläubischen  alten  Weibern  hie  und 
da  gehegte  Glaube  an  die  wilde  Jagd  ( Dietrich  Bern- 
hard, Diterbenada)  ist  ein  Ueberrest  des  alten  Glau- 
bens an  das  Geräusch,  welches  die  Hunde  der  Dziwiza 
und  überhaupt  ihre  Begleitung  bei  nächtlicher  Weile  in 
den  Wäldern  machte. 


—     288     — 

Auch  \vird  eine  Waldgottheit  erwähnt,  welche  den 
Namen  Zuttiber  oder  Suitibor  führte,  und  die  von  den 
Wenden  bei  Grofsenhayn  und  bei  Merseburg  (mer-ese 
und  bürg)  verehrt  worden  seyn  soll.  Ohnfehlbar  ist  der 
Name  Zuttiber  so  wie  auch  Suitibor  etwas  corrumpirt. 
Nach  meinem  Vermuthen  hiefs  die  in  Rede  stehende, 
nicht  näher  beschriebene  Gottheit  Suntibor  oder  Swontibor 
und  ihr  Name  bezeichnete  einen  Sonnengott.  Der  Cul- 
tus  des  Suntibor  oder  Zuntibor  fand  wahrscheinlich  auf 
einer  waldigen  Anhöhe  (Berge)  bei  Merseburg  Statt.  Der 
Swontihor  war  entweder  der  spätere  auch  auf  Rügen  und 
anderwärts  verehrte  Sonnengott  Swantowit,  oder  er  glich 
dem  nordwendischen  von  Criwe  und  Veidelboten  verehr- 
ten Berstuc,  oder  Bersduch,  in  welchem  Falle  seine  Ver- 
ehrung ein  Ueberrest  des  alten  Sonnen -Gultus  war.  Der 
Name  des  Swontibor  ist  nach  meinem  Dafürhalten  aus 
Swonto  oder  Szwonzo  die  Sonne,  und  aus  bor,  d.  h.  Gott, 
entstanden.  Bor  oder  Por  (Porewith)  bedeutet  nämlich 
erstlich  die  Sonne,  oder  Gott,  zweitens  einen  Berg  (Bo- 
rak,  Bergdorf)  und  drittens  einen  Bergwald.  So  wenig 
ich  für  Zuttiber  und  für  Suitibor  eine  mir  zulässig  er- 
scheinende Etymologie  finde,  so  sehr  bin  ich  überzeugt, 
dafs  die  Sylbe  suiti  nicht  aus  i'swjaty,  d.  h.  heilig,  ent- 
standen ist  und  dafs  Suitibor  nicht  eine  heilige  Fichte 
"bezeichnet  hat,  wie  selbst  Abraham  Frenzel,  der  auch 
von  dem  Fehler  der  willkührlichen  Etymologie  nicht  frei 
war,  behauptet. 

Wenn  jetzt  die  südwendischen  Hirten  im  Firühlinge 
das  Milchvieh  noch  nicht  auf  die  Weide  treiben,  wenn 
diese  schon  mit  vielem  Grase  bedeckt  ist ,  so  rufen  ihnen 
die  Hirten ,  welche  ihr  Vieh  schon  weiden ,  drohend  zu : 
ja  budü  tebi  Hönidwo  do  doraa  pofswacz,  d.h.:  ich  wer- 
de dir  Honidwo  ins  Haus  senden.  Fragt  man  sie,  was 
sie  unter  dem  Honidwo  verstehen,  so  wissen  sie  darauf 
nichts  zu  antworten,  als  dafs  sie  damit  sagen  wollen:  dafs 
die  nachlässigen  Hirten  ihre  Schuldigkeit  thun  und  dem 


—     289     — 

Viehe    den  Genufs  des  frischen,     kräftigen  Frühlingsgva- 
ses  gewähren  sollen. 

In  dem  erwähnten  Scherze  der  südoberlausltzischen 
Hirten  findet  sich  höchst  wahrscheinlich  eine  Spur  von 
dem  vorchi istlichen  Gebrauche  der  sächsischen  VVendon, 
den  der  Bischof  Dietmar  zu  Merseburg  in  seiner  Chro- 
nik folgendergestalt  beschreibt:  „Die  sächsischen  Sorben- 
„wenden  hatten  einen  Wach-  und  Ruhegott,  weichen 
„der  Hirte  von  Haus  zu  Haus  mit  den  Worten:  wache, 
„Henilj  wache!"  abzugeben  hatte,  worauf  nach  beendig- 
tem Herumgeben  gewöhnlich  ein  Schmaufs  gehalten  wur- 
de. Er  (Henil)  bestand  aus  einem  Stabe,  an  dessen 
oberen  Ende  eine  Hand  bevestigt  war,  die  einen  eiser- 
nen Ring  hielt.  Der  Name  Henil,  der  aus  he,  ni-il 
zusammengesetzt  ist,  kann  nicht  einen  Gott  bedeuten, 
sondern  er  bezeichnet  eine  Berg- oder  Nachtgöttin,  Mond- 
göttin, unter  deren  Schutze,  nach  dem  Glauben  des 
Alterthums,  die  Milchviehheerden  und  ihre  Hirten  stan- 
den, und  die  bei  den  Nomaden  die  Weidegrenzen  (Ne. 
misa ,  Nemesis)  bestimmte  und  beschirmte.  Aufser  der 
Form  Henil  mochte  auch  das  Neutrum  Henilo  (hen-ilo) 
Heniwo  und  Honiwo  ,  d.  h.  ßerggottheit,  vorkommen, 
woraus  die  spätere  Zeit  Honidwo,  d.  h.  ein  Treib -In- 
strument, gemacht  hat.  Der  Schmaufs,  der  nach  dem 
Herumgeben  des  Henilo  gehalten  wurde,  war  ein  gemein- 
schaftliches frohes  Essen ,  welches  die  Hirten ,  vorzüglich 
nach  Verlauf  der  Weidezeit,  bei  dem  Opfer  hielten,  wel- 
ches sie  ihrer  schützenden  und  helfenden  Gottheit  dar- 
brachten. Die  Repräsentation  der  Henil  war,  wie  sich 
es  auch  für  eine  alte  und  eine  Hirten-Göttin  pafste,  sehr 
einfach.  Der  eiserne  Ring,  den  die  Hand  hielt,  war 
ohnstreitig  das  Symbol  einer  Schlange,  welche  andeutete, 
dals  die  Henil  auch  für  die  Gesundheit  des  geweideten 
Viehes  durch  den  Aderlafs  (vergleiche  die  Schlange  des 
Aesculaps)  sorge.  Die  Henil,  oder  das  Henilo  war  dem- 
nach zugleich  Patronin  der  Tliierärzte, 

19 


—     290     — 

So  wie  die  Mondgüttin  nach  dem  jetzt  abrogirten 
Glauben  der  Wenden  den  Menschen  ein  ihnen  bevor- 
stehendes Unglück,  z.  B.  Feuersnoth,  und  den  Kranken  ih- 
ren baldigen  Tod  durch  ihr  Wehklagen  (Boze  Ssadleschko, 
von  Gott  gesandte  Berggottheit )  ankündigte  und  sie  da- 
durch schon  im  voraas  wegen  ihres  traurigen,  unabän- 
derlichen Geschicks  in  der  Repräsentation  der  Nachteule 
beklagte  ,  so  nahm  sie  auch  in  derselben  Gestalt  an  den 
frohen  Ereignissen  und  Begegnissen  ihres  Lebens  Theil. 
Erschien  die  Eule  am  Tage  bei  einem  Hause,  in  wel- 
chem eine  heirathsfähige  Jungfrau  wohnte,  so  bedeutete 
dies  eine  baldige  Hochzeit,  und  zeigte  sie  sich  bei  ei- 
nem Hause,  in  welchem  sich  eine  hoffende  junge  Ehe- 
frau befand,  eine  baldige,  glückliche  Entbindung.  Der 
jetzige  Hochzeitbitter  und  Ceremonienmeister,  der  vor 
der  Trauung  herzrührende  Anreden  an  Braut  und  Bräu- 
tigam so  wie  an  deren  Angehörige  hält,  bei  der  kirchli- 
chen Trauung  hinter  dem  Bräutigam  so  wie  die  Sswon- 
ka  hinter  der  Braut  steht,  und  der  bei  dem  Hochzeit- 
schmause das  Ordner-  und  Aufseher -Amt  mit  einer  ge- 
wissen Würde  verwaltet,  war  in  der  heidnischen  Zeit 
ohnstreitigB  in  Priester  (bar-aschk,  der  kleine  bar  oder 
bor,  ein  Repräsentant  des  bor)  des  Sonnengotts,  oder 
doch,  vorzüglich  in  der  späteren  Zeit,  des  Mondgotts 
(woher  der  Name  Braschka,  Pobraschka)  so  vvie  auch  die 
Sswonka  (Sswon-aka,  eigentlich  Sonnengottsfrau)  eine 
Priesterin  der  Mondgöttin  war.  Beide,  der  Braschka  (Po- 
biraschka)  und  die  Sswonka,  deren  Namen  die  Unkunde 
ganz  irrig  durch  Salzmeste  übersetzt ,  hatten  den  Beruf, 
den  jungen  Eheleuten  guten  Rath  zu  ertheilen ,  und  ein 
Theil  der  Verhaltungsregeln,  welche  noch  jetzt  die  Braut- 
leute zu  befolgen  haben,  ist  ohne  Zweifel  ein  Ueber- 
rest  der  psychologischen  und  medicinischen  Weisheit 
der  wendischen  heidnischen  Priester  und  Priesterinnen. 
Nicht  minder  ist  die  sammtne,  gezierte  Krone,  Barta 
genannt,  welche  die  Bräute  der  oberlausitzischen  Wen- 
den an  ihrem  Trauungstage  auf  dem  Haupte  tragen,  ein 


—     291     — 

Kopfschmuck,  welchen  die  wendischen  Mondpriesterin- 
nen,  als  Priesterinnen  der  Liebesf]i;üttin ,  trugen  und  den 
sie  der  keuschen  Braut  an  dem  festlichen  Tage  ihrer 
ehelichen  Verbindung  zu  tragen  gestatteten. 


19* 


— -     292     — 


ANHANG. 

Ueber  die  Verwandtschaft  des  Wendischen 
mit  dera  Sanskrit. 

vVenn  sich  auch,  nach  dem.  Zeugnisse  der  beglaubigten. 
Geschichte,  schon  in  fernem  Aherthume,  in  Babylonien, 
an  den  Ufern  des  Nils,  an  der  phönicischen  Küste,  auf 
den  Gefilden  von  Iran,  an  dem  östlichen  Gestade  des 
Pontus  Euxinus,  am  See  Mäotis,  so  wie  an  den  Ufern 
des  sich  in  denselben  ergiefsenden  Tanais  ein  höheres, 
geistiges  Leben  regte,  so  ist  es  doch  mehr  als  wahrschein- 
lich ,  dafs  dieses  Leben  ursprünglich  nicht  in  den  genann- 
ten Gegenden  erblühete,  sondern  dafs  die  ersten  Pulse 
desselben  in  dem  herrlichen  Länderstriche  Hindostans, 
der  zwischen  dem  Indus  und  Ganges  gelegen  ist,  zu 
schlagen  begannen.  Hier,  wo  die  Natur  ihrem  vorzüg- 
lichsten Kinde,  dem  Menschen,  alles  zu  seiner  Erhaltung, 
Ausbildung  und  Freude  Erforderliche  mit  liebender  liand 
reichlich  spendet;  wo  herrliche  Berge  mit  paradiesischen 
Thälern  abwechseln  und  wo  ein  günstiges  Klima  die  Be- 
strebungen und  die  Thätigkeit  der  Menschen  unterstützt 
und  erleichtert,  ist  ohnstreitig  der  Seegensbaum  der 
menschlichen  Cultur  zuerst  entsprossen  und  erwachsen. 
Insonderheit  war  höchst  w^ahrscheinlich  Indien  dasjenige 
Land ,  wo  die  erste  objective  Religion  entstand  und  sich 
ausbildete.  Auf  den  herrlichen  Hügeln  und  Vorgebirgen 
der  Küsten  Hindostans  nämlich,  wo  die  aus  dem  indi- 
schen Ocean  in  unnennbarer  Herrlichkeit  aufsteigende 
Morgensonne  die  Menschen  zur  Anbetung  stimmte,  und 
^vo   der    scheinbar   aus   den    Meeresfluthen   auftauchende 


293 


Mond  die  Herzen  der  innigst  fühlenden  ersten  Menschen- 
geschlechter mit  wehmüthig  süFsen  Gefühlen  erfülhe  und 
nicht  minder  zur  Adoration  leitete,  als  der  Anblick  der 
Sonne,  dieses  vvohlthätigen  Beherrschers  des  Tages,  be* 
gann  ohne  Zweifel  der  Cultus  der  Sonne  und  des  Mon- 
des, welcher  ohnstreitig  die  erste  Religionsform  der  Welt 
war.  Einfach  und  lebendig  war  anfänglich  die  Vereh- 
rung der  genannten  himmlischen  Wohlthäter,  von  denen 
man  sieh  die  Sonne  als  einen  kräftigen,  heldenmüthi- 
gen  Mann,  den  Mond  aber  als  eine  sanfte,  liebende^ 
duldende,  dem  Manne  nachschreitende  Frau  vorstellte. 
Weil  die  Menschen  noch  selbst  weichherzig  waren,  und 
weil  sie  ein  lebendiges  Mitgefühl  für  die  Freuden  und 
Leiden  aller  ihrer  fühlenden  Mitgeschöpfe  besafsen ,  so 
können  wir  fast  mit  Gewifsheit  annehmen,  dafs  auch  die 
beiden  ersten  von  ihnen  verehrten  Gottheiten  keine  blu- 
tigen Opfer  forderten.  Lehrten  auch  nicht  geschriebene 
Vorschriften  der  Moral  die  ersten  Sterblichen  Gerechtig- 
keit und  Humanität  üben ,  so  doch  das  in  ihr  Inneres 
tief  eingegrabene  natürliche  Pflichtgesetz.  Ein  hoher 
Grad  von  sittlicher  Reinheit  zeichnete  das  Leben  der  er- 
sten Menschenvereine  aus ,  die  noch  mit  Aufmerksam- 
keit auf  des  Gewissens  laute  Stimme  achteten,  und  die 
noch  nicht  durch  verderbliche  Vorurtheile,  durch  der 
Gottheit  unwürdige  Dogmen,  durch  Vorschriften  einer  fal- 
schen Moral,  so  wie  durch  selbstsüchtige  Gesetze  der  Poli- 
tik irre  geleitet  wurden. 

Aber  der  angedeutete,  schuldlose,  friedliche,  glück- 
liche Zustand  der  ersten  Menschengeschlechter  dauerte 
nicht  lange,  Bald  entzweiten  sie  sich  zunächst  über  die 
Form  der  Verehrung  der  Sonne  und  des  Mondes.  Wäh- 
rend nämlich  ein  Theil  der  Menschen  noch  an  dem  ein- 
fachen idollosen  Cultus  des  himmlischen  Beherrschers  des 
Tages  und  der  himmlischen  Regentin  der  Nacht,  der  in  le- 
bendigen Herzensgefühlen,  freudigen  Hymnen  und  seelen- 
vollen Tänzen  bestand,  festhielt,  zog  der  andere  die  himmli- 
schen zu  sich  herab,  repräseniirte  sie  durch  verschiedene, 


'      —     294     ■— 

obgleich  anfangs  grandiose  Bilder  (Felsentempel,  Colos- 
sen ,  Obelisken ,  Pyramiden ,  Memnonssäulen  etc. ) ,  ket- 
tete sie  gleichsam  an  einen  Ort  fest  und  brachte  ihnen 
materielle  Opfer  dar.  Dieser  Uebertritt  eines  Theils  der 
Menschen  aus  der  ersten  Religionsperiode  in  die  zweite, 
der  bald  die  dritte  der  niederen  Idololatrie  ( Pvepräsenta- 
tion  des  Sonnengottes  und  der  Mondgöttin  durch  Men- 
schen- und  Thier- Gestalten)  folgte,  erzeugte  aber  nicht 
nur  einen  theoretischen  Gegensatz  in  der  Religion,  son- 
dern auch  einen  practischen,  welcher  anfangs  traurige 
Zerwürfnisse  und  Zwiste  und  zuletzt  sogar  blutige  Käm- 
pfe zur  Folge  hatte.  Diese  Kämpfe  (Religionskriege),  in 
denen  sich  der  Glaube  an  gute  und  böse  Gottheiten  aus- 
bildete, zerstörten  nicht  allein  das  wohlthätige  Gefühl  der 
Bruderliebe  in  den  Herzen  der  Menschen,  sondern  ver- 
leiteten Letztere  auch  zu  grausamen  Verfolgungen  der 
Andersgläubigen.  Insonderheit  wurden  durch  die  ent- 
standenen Religionszwiste  und  Religionskriege  gewaltsame 
Auswanderungen  der  Altgläubigen,  oder  doch  derjenigen, 
die  in  denn  hitzigen  Kampfe  unterlagen  ,  verursacht.  Die 
daheim  Bedrückten  und  Verfolgten  entschlossen  sich,  um 
den  Unbilden,  die  man  ihnen  in  ihrem  Vaterlande  vielfach 
zufügte,  zu  entgehen,  in  entfernte,  fremde  Gegenden  aus- 
zuwandern. Nach  allen  Weltgegenden  zogen  nun,  bald 
in  gröfserer,  bald  in  geringerer  Anzahl,  die  Flüchtlinge 
aus  dem  Paradiese  ihrer  ersten  Heimatb,  die  in  einen 
traurigen  Tummelplatz  der  Furie  der  religiösen  und  po- 
litischen Kämpfe  verwandelt  worden  war. 

Unsere  kleine  Geschichte,  die  uns  nur  Einiges  von 
den  alten  Begebenheiten  auf  den  Inseln  und  Ufern  des 
mittelländischen  Meeres,  so  wie  der  angrenzenden  Pro- 
vinzen ,  und  dieses  oft  nur  in  mangelhaften ,  mährchen- 
haften  Formen  verkündet,  giebt  uns  keine  Kunde  von 
den  einstigen  gezwungenen  und  freiwilligen  Emigratio- 
nen der  Menschen  aus  den  Paradiesen  Indiens  nach  den 
Inseln  des  indischen  Archipels,  nach  Australien  und 
nach  dem  wahrscheinlich  früher  mit  Asien  zusammen- 
hängenden Amerika ,     ingleichen  nach  China  und  Japan. 


—     295     —    • 

Wird  uns  ferner  durch  geschriebene  Geschichtsurkunden 
nicht  gemeldet,  wann  durch  indische  Auswanderer  Ara- 
bien, Nubien,  Abyssinien,  Oberägypten,  Babylonien,  die 
tyrische  Küste,  Persien,  Skythien,  Ost-  und  West-Pe- 
lasgien  occupirt  worden  ist ,  so  erscheinen  doch  die  frü- 
her dort  vorkommenden  und  nocli  jetzt  daselbst  hie  und 
da  vorhandenen  uralten  Monumente  der  Baukunst  als  un- 
läugbare  Nachahmungen  nicht  nur  indischer  Kunst ,  son- 
dern auch  alten  indischen  Religionscultus,  der  die  Kunst, 
wie  man  an  den  uralten  Bergtempeln  auf  der  Insel  Sal- 
sette  und  in  dem  Ghautgebirge,  so  wie  an  den  Monu- 
menten von  Mavalipuram  sieht,  sich  dienstbar  machte. 
Freilich  sind  die  Nachahmungen  der  uralten  religiösen 
Gebäue  Indiens  in  den  Pyramiden  Aegyptens  vollkom- 
mener, als  in  den  Aushöhlungen  des  Berges  Tomarus 
bei  Budona  oder  Dodona  in  Epirus,  des  Cumäischen 
Bergfelsens  in  Campanien,  in  den  Sueven  (Sun-öven 
oder  Rodzischrzen  der  Lausitz  und  in  den  Romowen 
(Rom -Owen)  in  Preussen.  Indischen  Ursprungs  war  auch 
ohne  Zweifel  die  alte  Eintheilung  der  Bewohner  Aegyp- 
tens in  Kasten.  Ueberdies  tönte  auch  der  Klang  der  hei- 
ligen Sagen  nicht  nur  der  Aegypter,  sondern  auch  der 
Vorderasiaten  vielfältig  nach  Indien  hin,  und  ihnen  war 
noch  späterhin  dieses  Land  ein  Land  von  nicht  geringe- 
rem Interesse,  als  den  neueren  Europäern  Palästina  und 
Griechenland, 

Scheint  es  aber  aufser  Zweifel  zu  liegen,  dafs  indi- 
sche Refügies  und  indische  Colonisten  nicht  nur  das  übri- 
ge Asien  ,  sondern  auch  Europa ,  so  wie  die  Nordküste 
Afrika's  bevölkert  haben,  so  kann  man  auch  vermuthen, 
dafs  sich  auch  in  den  Sprachen  der  aus  Indien  herstam- 
menden Völker  Elemente  der  uralten  Sprache  Hindostans, 
des  Sanscrit,  finden.  Dafs  dieses  der  Fall  ist,  hat  man 
schon  jetzt  nachgewiesen,  und  es  wird  noch  künftig  mehr 
dargethan  werden  können,  wenn  uns  einst  die  herrlichen 
Schätze  der  altindischen  Literatur  werden  mehr  zugäng- 
lich seyn.   Bekannt  ist  es,  dafs  man  in  der  neuesten  Zeit 


296 


einige  Verwandtschaft  des  Hebräischen  und  des  Griechi- 
schen mit  dem,  Sanskrit  gefunden  hat.  Auch  in  der  Spra- 
che der  alten  Preufsen ,  die  ohne  Zweifel  ein  Zweig  der 
^vährend  der  römisch -pontischen  Kriege  vom  Kaukasus 
emigrirten  Gothen  war,  hat  man  Sanskritanische  Ele- 
mente entdeckt.  Merkwürdig  ist  es,  dafs  auch  die  la^ 
teinische  Sprache  vorzugsweise  dem  Sanskrit  verwandt 
erscheint.  „Das  Lateinische,  sagt  Friedrich  Schmitthenner 
in  seiner  Ursprachlehre  Seite  68,  steht  dem  Sanskrit  am 
nächsten.  Diese  herrliche  Sprache,  bemerkt  der  genanu-' 
te  gelehrte  und  fleifsige  Sprachforscher,  ist,  obwohl  an 
Formen  ärmer,  doch  ihrem  Gepräge  nach  antiker,  ihrer 
Textur  nach  einfacher  als  das  Griechische,  welches  Letz^ 
tere  sehr  gemischt  ist  durch  Wörter,  die  dem  semiti- 
schen Sprachstamme  angehören,  ein  Ergebnifs  der  Sprach-^ 
forschung,  das  für  die  Geschichte  höchst  bedeutend  ist." 
Höchst  wahrscheinlich  war  schon  in  uralter  Zeit  ein 
Theil  eines  indisch-persischen  Volksstammes,  der,  wie 
die  Menschen  in  der  ersten  Religionsperiode,  den  Göt-. 
tern  noch  keine  Menschenopfer  darbrachte,  auf  der  süd-. 
liehen  Völkerstrafse,  am  See  Mäotis,  durch  Thracien, 
Pannonien  und  lUyrien  nach  Italien  gezogen,  hatte  sich 
zuvörderst  an  der  Mündung  des  Padus  (Po)  festgesetzt 
und  dem  letztgenannten  I>ande  die  höhere  Cultur  zuge- 
führt, deren  Früchte  noch  späterhin  Hetrurien  (He-tur-. 
ia  d.  h.  ein  Land,  welches  zum  Theil  niedrig,  zum 
Theil  gebirgig  ist)  aufwies. 

Nicht  ohne  Grund  behauptet  man,  dafs  die  Sla- 
ven  einer  der  letzteren  Zweige  sind,  der  sich  von  dem 
grofsen  indischen  Volksstamme  trennte,  und  der,  ver- 
pflanzt in  den  Westen  Asiens  und  in  den  Osten  Euro- 
pa's,  zu  einem  mächtigen  Stamme  erwachsen  ist.  Man 
hat  diese  Behauptung  durch  die  Anführung  des  ziem- 
lichen Gleichlauts  der  Benennung  eines  Theils  des 
slavischen  Volksstammes  zu  rechtfertigen  gesucht.  Ein 
Theil  der  Slaven  führte  nämlich  schon  früher  den  Na» 
men  Anten,  Heneten,  Veneten  und  heilst  noch  jetzt 
Wenden,  Winden.     Diese  letzteren   Namen    sind,     nach 


—     297     — 

meinem  Dafürhalten,  allerdings  mit  clem  Namen  Hindu, 
welcher  in  der  regulären  Form  Hin-ud,  oder  Hin- uden. 
Hin- den  lauten  würde,  identisch,  und  nur  das  w  ist. 
mit  dem  h  in  denselben  verwechselt  worden.  Dies© 
Verwechselung  wird  nicht  auffallen,  wenn  man  sich  er- 
innert» dafs  noch  jetzt  die  beiden  lavisitzischen  wendi- 
schen (hin-duischen,  hen-deiscben)  Dialecte  dieselbe  Ver- 
wechselung machen,  und  dafs  man  in  der  Oberlausitz 
statt  Hu*schoba  Wutroba,  statt  Hucho  VVucho  etc.  spricht. 
Ferner  zeugt  für  die  indische  Abkunft  der  Slaven  (Wen- 
den)  nicht  nur  der  Urnstand,  dafs  noch  gegenwärtig  in 
einigen  Gegenden  der  nordwestlichen  Spitze  Hindostans 
eine  sehr  der  slavischen  Sprache  ähnliehe  Sprache  ge- 
sprochen wird,  sondern  auch  die  tiefe,  indische  Reli- 
giosität, durch  die  sich  fast  alle  Zweige  des  slavischen 
Volksstamraes  auszeichnen.  Nicht  minder  hat  man  be- 
hauptet, dafs  die  vveifse  Trauerkleidung  der  oberlausitzi 
wendischen  Weiber  auf  Indien  hinweise,  wo  diese  Klei-^ 
düng  noch  jetzt  von  den  trauernden  Personen  weiblichen 
Geschlechts  getragen  wird..  Varnehmlich  aber  beurkun- 
den das  Herstammen  der  Slaven  aus  Indien  sowohl  die 
auf  südliche  Gegenden  hinzeigenden  Lüwengesichter  meh-- 
rerer  Götzenbilder  derselben,  als  auch  die  einst  bei  die- 
sem Volke  stattfindende  Verehrung  von  Götterdreihei^ 
ten ,  die  höchst  wahrscheinlich  in  Hindostan  ihren  Ur-^ 
Sprung  erhalten  hat. 

Es  läfst  sich  vermuthen,  dafs,  da  für  die  indische 
Abkunft  der  Slaven  so  viele  nicht  zu  verwerfende  Ze«""- 
nisse  sprechen,  auch  die  Sprache  dieses  Volksstsirimes, 
dessen  Wohnsitze  näher  an  Indien  liegen»  als  di©  der 
germanischen  und  pelasgischen  Völker  (Italer  und  Gri€s 
rhen)  mit  der  alten  Sprache  Hindostans,  dem  Sanskrit, 
in  Materie  und  Form  verwandt  sey.  Man  würde  je~ 
doch  zu  weit  gehen,  wenn  man  glaubte,  dafs  diese 
Verwandtschaft  so  grofs  ist  wie  diejenige,  welche  gegen- 
wärtig zwischen  dem  Oberlausitz  -  und  Niederlausitz- 
WendiscVien  stattfindet.     Denn    wenn  auch  in  alten  Zei- 


—     298     — 

ten  das  Sanskrit,  wie  versichert  wird,  vom  Cap  Comoriti 
bis  zu  den  Gebirgen  von  Kaschgar  allgemein  gespro- 
chen wurde,  so  kann  man  doch  präsumiren,  dafs  schon 
damals  verschiedene  Dialecte  des  Sanskrit  bestanden, 
und  dafs  die  Sprache  der  Indier  im  Südost  von  der 
Sprache  der  Indier  im  Nordwesten  differirte,  wie  jetzt 
Hochdeutsch  und  Plattdeutsch,  die  Langued'oui  und 
die  Langued'oc,  das  Wendische  und  das  Russische,  das 
Florentinische  und  das  Venetianische  etc.  Zum  Min- 
desten kann  man  annehmen,  dafs,  als  die  alte  Lite- 
ratur der  Indier  geschlossen  wurde,  der  Dialect  der  wen- 
dischen (slavischen)  Auswanderer  sich  schon  von  der  hei- 
ligen Sprache  (Sanskrit)  Hindostans  ziemlich  entfernt 
hatte.  Man  wird  es  nicht  unnatürlich  finden,  dafs  diese 
Entfernung  sich  in  der  Folgezeit  immer  mehr  vergrü- 
fserte,  wenn  man  die  vielfachen  inneren  und  äufseren 
Einflüsse  nicht  übersieht,  welchen  eine  Sprache,  inson- 
derheit wenn  sie  in  ferne  Regionen  verpflanzt  wird,  und 
nicht  durch  eine  gemeinschaftliche  Literatur  mit  der 
Mutter  vei'bunden  bleibt,  ausgesetzt  ist.  Eine  solche 
durch  Verpflanzung  in  fremde  Gegenden  versetzte  Sprache 
gleicht  einer  Tochter,  die  sich  von  der  Seite  der  Mut- 
ter entfernt  hat  in  fremde  Gegenden,  in  ein  fremdes 
Klima  gezogen  und  die  dort  in  einen  von  dem  Lebens- 
Itveise  der  Mutter  vielfach  verschiedenen  Lebenskreis  ein- 
geführt worden  ist.  Nach  langen  Jahren  wird  sich  die 
Lebensform  der  Tochter  noch  mehr  verändern,  als  die 
Gestalt  des  Lebens  der  daheim  verbliebenen  Mutter. 
Indefs  wird  man  doch  auch  noch  nach  dem  Verlaufe 
einer  geraumen  Zeit,  bei  genauerer  Aufmerksamkeit  und 
Prüfung,  finden,  dafs  beide  das  Band  der  Verwandtschaft 
umschlingt. 

Man  hat  in  neuerer  Zeit  Versuche  gemacht,  nach- 
zuweisen, dafs  nicht  nur  das  Altpersische,  sondern  auch 
das  Italo-  und  Gräco-Pelasgische,  so  wie  auch  das  Go- 
thische  mit  dem  Sanskrit  in  Materie  und  Form  vielfach 
übe.  einstimmen ,     und    hat    bemerkenswerthe   Ergebnisse 


—     299     — 


gewonnen.  Ohne  Zweifel  würden  deutsche  Sprachfor- 
scher auch  die  aniik  gestaltete  slavische  Sprache  in  den 
Kreis  ihrer  diesfälligen  Vergleichungen  gezogen  haben, 
wenn  ihnen  nicht  die  Kunde  derselben  gemangelt  hätte. 
Nachstehende  Beispiele  mögen  andeuten,  dafs  sich  in  dem 
slavischen  Sprachdialecte  der  Oberlausitz  nicht  minder, 
als  in  den  pelasgischen ,  Wörter  finden ,  welche  mit  den 
Wörteru  der  heiligen,  jetzt  nur  noch  von  den  ßraminen 
verstandenen  Sprache  der  Indier,  dem  Sanskrit,  mehr 
oder  weniger  gleichlautend  sind.     So  lautet  im 


Wendischen 

Sanskrit 

Lateinischen 

Griechischen 

prjeni 

prajama 

primus 

JIQWTOS 

picz 

pa 

bib-o 

Ttöca 

brat 

bhrata 

frater 

cpQarrjQ 

budcz 

bhu 

fu  -  ere 

(pv-fii. 

diiri 

duar 



9vQa 

driecz 

dri 



_ 

(  reifsen ) 

woda 

uda 

uda,  um 

VSCOQ 

widzicz 

vid 

vid -ere 

liiS  -  Evai 

(wedzicz) 

niesdo 

nidhis 

nid -US 

710 -vig  (lens) 

sto 

sätan. 

centum 

£Kaz6v 

woczi 

aksclii 

oculi 

toKfg  ((ojTfg) 

kokula 

kokila 

cuculus 



szytsch 

sitsch 





( säen  ) 

snacz 

dschna 

gnosco 

yvom 

zona 

gliena 



yvvri 

hussa 

hansa 

anser 



krasny 

kris 

gracilis 



syma 

Hima 

hiems 

XH^LK 

mrjecz 

mri 

mori 



macz 

mita 

mater 

ILTycn^ 

noz 

nis 

nox 

vv^ 

noss 

nasa 

nasus 

— 

Rai 

rai 

regnum 



Sera  (raniscli 

e) 

Surija 

Sirius 



(  Morgenröthe 

)             (Sonne) 

P^ada 

radh 

ratio 



So     wahrscheinlich 

es    ist,     dafs    die 

vorstehenden 

wendischen 

\'V 

?^örter  aus 

dem  Sanskrit  herstammen,    weil 

—     300     — 

sich  ein  früherer  Nexus  des  Slavenvolks  mit  den  In- 
diern  mit  ziemlicher  Evidenz  historisch  nachweisen  läfst, 
so  irrt  man  doch  ohnstreitig,  wenn  man  annimmt,  dals, 
wenn  sich  in  zwei  Sprachen  zwei  gleichlautende  und 
gleichbedeutende  Wörter  finden,  jedesmal  die  eine  vSpra- 
che  das  gleichlautende  Wort  von  der  andern  reripirt  ha- 
be. Denn  die  gleichartigen,  sowohl  durch  die  Autonomie 
als  auch  Heteronomie  bedingten  Anschauungen  der  Men- 
schen konnten  in  verschiedenen  Gegenden  und  bei  von 
einander  weit  entfernten  Völkern  ganz  oder  doch  ziem- 
lich gleichlautende  Wortbildungen  erzeugen.  So  kann 
man  z.  B.  annehmen,  dafs  das  slavische  Wort  Nofs,  die 
Nase,  welches  eine  vorspringende  niedere  Erhöhung  des 
menschlichen  Körpers  (£;leichsdm  ein  Vorgebic^e)  bedeu- 
tet, sich  ganz  unabhängig  von  dem  Sanskrit ,  dem  Latei- 
nischen und  Germanischen  gebildet  hat. 

Da  die  Wörter  derjenigen  Sprachen,  die  mnthmafs- 
lich  aus  dem  Sanskrit  herstammen,  in  der  Folgezeit,  in 
dem  Zustande  der  Getrenntheit  von  ihrer  peoieinschaft- 
licheii  :viutter.  vielfach  verändert  worden  sind,  so  darf 
man  si- h  nicht  wundern,  dafs  auch  ihre  Formen  jver- 
schifcdece  Wandeluiigen  erlitten  haben.  In  einigen  Spra- 
chen, z-  ß.  in  der  griechischen  und  germanischen,  wur- 
den mehrfache  Ascensionen  und  Descensionen  der  Selbst- 
laute (ui,  ue,  oe,  oi,  ae,  ai,  ei,  iu,  eu,  ao,  au,  ou  etc.), 
die  man  gewöhnlich  Diphthongen  nennt ,  eingeführt, 
v.nd  nur  die  lateinische  und  slavische  Sprache  erhielt 
si' h  von  den  Ausdehnungen  und  Schwankungen  der  Vo- 
cale  ziemlich  frei.  Der  Dual  verblieb  nur  der  slavischen 
U'  d  gjiecmsi.  hen  Sprache.  Die  Zeitwörter  fast  aller  eu- 
rowüis  hen  Spra  hen  verbanden  auf  immer  das  esse  (seyn) 
Xttit  ihrer  Wurzel,  die  ursprünglich  bald  eine  wirkliche, 
bald  eine  scheinbare  Thätigkeit  der  beiden  ersten  Gott- 
heiten .-er  Menschen,  der  Sonne  und  des  Mondes,  oder 
ihrer  späteren  zahlreichen  Repräsentanten  andeutete.  Die 
griechische  Sprache  bezeichnete  das  esse  im  Infinitiv  der 
Zeitwörter  durch  ssiv,  ostvy  ccnv,  inv,  utvy  oder  durch  avui, 


—     ÖOl     — 

ovai,  avat,  evat,  ivui;  die  lateinische  durch  ate,  ?re,  ere» 
ire;  die  wendische  durch  ucz,  ycz,  ocz,  acz,  ecz,  icz; 
die  gothische  (germanische)  durch  un,  on,  an,  en,  in. 
Die  drei  erstgenannten  Sprachen  haben  keine  der  ange- 
führten Formen  der  Infinitiv-Endung  verloren;  die  hoch- 
deutsche dagegen  ist  aller  bis  auf  das  en  (seyn),  wel- 
ches sie  gegenwärtig  an  alle  Wurzeln  der  Verben  hängt, 
verlustig  gegangen. 

Bei  der  Conjugation  der  Zeitwörter  haben  sich  nut 
die  griechische  und  lateinische  Sprache  von  der  (über* 
flüssigen)  Verdoppelung  der  Personen-Bezeichnungen  frei 
erhalten;  das  Siavische  aber,  obgleich  eS  sonst  in  seinen 
Formen  nicht  so  viele  Veränderungen  erlitten  hat  als 
das  Germanische,  hat  den  Fehler  des  Letztern  nach- 
geahmt, und  die  Wenden  sprechen  gegenwärtisr  au-^h: 
ja  wamam ,  ty  wamasch  etc.,  so  wie  die  Deuts.htn  ich 
breche >  du  brichst  etc.  Die  Endunf^  am  in  wTmam  be- 
zeichnet nämlich  schon  ich  bin  (süm),  so  wie  aas  e  in 
breche  (ber-ech-e)  und  beide  Wörter,  wamam  und  bre- 
che, bedeuten  schon  an  sich:  Mondgott  ich  bin  und 
Mondgöttin  ich  bin.  Beide  angeführten  Zeitwoter  ver- 
danken vorzüglich  der  im  fernen  Alxerthume  bei  der 
Bildung  des  Sprachstoffs  mächtig  mitwirkenden  heiero- 
nomischen  Potenz  ihre  Entstehung.  Na^h  dem  uralten 
relisiösen  Glauben  standen  nämlich  die  Verändern usen 
in  der  niederen  Erdathmosphäre  untfr  dem  Regimente 
des  Mondes,  und  indiem  der  \l(.n''Ch  Etw.ip  ze  brach, 
verglich  er  sich  mit  der  Wind  unr'  Sturm  eivcugenden 
und  dur-^h  diesen  dje  Bäume  des  V\aldes  zerbrechenden 
Mondgöttin. 


—     302 


Ueber  die  Bedeutung  des  Worts  Bog.   ' 

Das  Wort  Bog,  mit  dem  jetzt  ein  Theil  der  Slaven  und 
unter  diesen  auch  die  niedei'lausitzer  Wenden ,  den  wah- 
ren Gott  benennen,  ist  aus  Ro  und  og  zusammengesetzt 
und  bedeutet  im  Allgemeinen  ein  grofses,  mächtiges,  erha- 
benes, männliches  Wesen,  in  dem  Bereiche  der  Religion  aber 
eine  männliche  Gottheit.  In  der  heidnischen,  heiligen  oder 
kirchlichen  Sprache  hat  dieses  Wort  gleiche  Bedeutung 
mit  dem  alten  wendischen  Bak  in  Bubak,  mit  dem  je- 
tzigen oberlausitzischen  Boh  und  dem  böhmischen  Buh, 
und  sehr  nahe  verwandt  ist  dasselbe  mit  dem  ostasiati- 
schen Budha,  dem  germanischen  Wod-an  so  wie  mit 
dem  pelasgischen  Bach-us, 

Manche  haben  Bedenken  getragen,  dem  Worte  Bog 
auch  nur  eine  Verbal -Verwandtschaft  mit  den  letztge- 
nannten Namen  einzuräumen,  weil  dasselbe  den  wahren 
Gott  bezeichne,  und  weil  dagegen  die  Namen  Budha, 
Wodan  und  Bachus  nur  eingebildete,  falsche  Götter  an- 
deuten. 

Indefs  hatte  das  Wort  Bog  in  der  kirchlichen  Spra- 
che nicht  gleich  von  seiner  Entstehung  an  seine  gegen- 
wärtige, prägnante  und  besondere  Bedeutung,  sondern 
es  bezeichnete  anfänglich  eben  so  gut  wie  Allah,  Gott 
und  Devas,     deus,     &ios,  ^evg,    eine  bestimmte  Gottheit 


1  Dieser  Aufsatz  wurde  zuerst  in  den  lausitzisclien  Provin- 
zial- Blättern  abgedruckt,  so  wie  der  vorstehende:  über  die 
Verwandtschaft  des  Sanskrit  mit  dein  Wendischen  in  dem 
Neuen  Lausitzer  Magazin, 


—     303     — 

der  früheren,  abrogirten  heidnischen  religiösen  Welt.  In 
der  ersten  und  zweiten  heidnischen  Religionsperiode  be- 
zeichnete nämlich  Bog  einen  Sonnen-,  oder  doch  einen 
androgynischen  Gott,  in  der  dritten  Aera  des  religiösen 
Heidenthums  aber,  wo  die  Welt,  vorzüglich  in  den  Nord- 
ländern, vorzugsweise  den  Mond  verehrte,  einen  Mond- 
gott, oder  eine  gynandrische  Gottheit.  Nur  unter  dem 
Einflüsse  dieser  so  eben  angedeuteten  Umwandlung  der 
früheren  ursprünglichen  Relieionsmeinungen  durfte  in 
den  späteren  Zeiten  auch  solchen  Gottheiten  der  Name 
Bog  beigelegt  werden,  welche  anfänglich  weiblich  wa- 
ren und  die  einen  Theil  des  vielumfassenden  Amts  der 
alten  Mondgöttin  verwalteten,  wie  z.  B.  dem  Dasche- 
bog,  unter  welchem  man  in  der  dritten  Religionsperiode 
in  der  russischen  Mythologie  diejenige  Gottheit  verstand, 
welche  die  Uboze,  oder  die  in  den  Tiefen  der  Erdhöh- 
len fort  lebenden  Verstorbenen  (die  Lausitzer  nannten 
sieLutki)  bis  zu  dem  Zeitpunkte  beherrschte,  wo  sie 
der  Alles  belebende  Sonnengott  zum  neuen  irdischen 
Daseyn  rief. 

Sowohl  in  seiner  fi-ühesten,  als  auch  in  der  späte- 
ren, wenn  auch  nicht  in  der  gegenwärtigen  Bedeutung 
ist  das  Wort  Bo.t  in  der  heidnischen  kirchlichen  Sprache 
allerdings  mit  Budha  nicht  nur  grammatisch,  sondern 
auch  hinsichtlich  der  religiösen  Ideen,  die  beide  Wörter 
bezeichnen,  sehr  nahe  vervvandt.  Die  W^ortverwandt- 
schaft  des  Bog  mit  Budha  stellt  sich  uns  folgendergestalt 
dar.  Budha  hat  in  der  ersten  Sylbe  an  der  Stelle  des  g 
das  höhere  d,  und  es  kommt  in  derselben  Form  noch 
jetzt  in  dem  wendischen  Hauptzeitworte  budcz  (bud-ucz) 
vor,  wo  es  entweder  Gott,  oder  einen  Berg,  jedenfalls 
aber  etwas  Selbstständiges,  Festes,  Unvei-gangliches  be- 
zeichnet. Die  Endsylbe  in  Budha  ist  ein  invertirtes  ah, 
das  in  andern  Formen  schon  früher  bisweilen  in  der  alt- 
italischen, mit  der  altpersischen  sehr  verwandten,  Spra- 
che z.  B.  in  Persa,  gelu,  cornu  u.  s.  w.,  gegenwärtig 
aber  in  den   neuostasiatischen  Sprachen,     so    wie  in  der 


—     304     — 

Sprache  der  Wenden  noch  oft  vorkommt,  und  das  mit 
as ,  OS,  US,  or,  ur  u.  s.  w.  gleiche  Gehung,  nämlich  die 
Potenz  eines  Substantivs,  wie  in  VYischnu,  Menü  etc. 
das  nu  oder  un  hat.  Mehr  als  wahrscheinlich  ist  es,  dafs 
Budha  anfänglich  nur  Bud  hiefs ,  und  dafs  das  Wort  nur 
in  späteren  Zeiten  durch  das  ha  oder  ah  eine  ähnliche 
Verlängerung  erhielt,  wie  turn  in  Sa-tur-un  (turn), 
inudz  in  Or-mud-uz  u.  s.  w.  Diese  Verlängerung  des 
Bud  durch  ha  oder  ah,  die  in  andern  Formen  in  der 
griechischen,  lateinischen  und  altpreufsischen  Sprache 
häufig  und  zur  Ungebühr  vorkommt,  und  welche  die  pe- 
lasgischen  Sprachen  den  Sprachen  des  germanischen  und 
slavischen  Volksstammes  so  unähnlich  macht,  veränderte 
aber  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Worts  nicht  mehr, 
als  dies  jetzt  geschieht,  wenn  wir  statt  Sonne  sagen: 
Sonnengott,  Sonnengottheit. 

So  wie  Bog,  Böh,  Buh  bei  deil  slavischen  Völkern 
der  Träger  der  verschiedenen  Religionsvorstellungen,  wel- 
che in  dea  drei  Hauptperioden  ihres  Heidenthums  vor- 
herrschten, war,  so  auch  bei  den  Ostasiaten  Bud,  oder 
das  neuere  Bud-ha  oder  ah.  Ja,  man  kann  behaupten: 
dafs,  so  wie  jetzt  das  Wort  Bog  in  der  Sprache  mehre- 
rer Slavensiämme  eine  ganz  besondere,  durch  das  Chri- 
stenthum  erzeugte,  neue  religiöse  Vorstellung  bezeichnet 
und  mithin  schon  seit  seinem  Entstehen  bei  den  Slaven 
die  vierte  Bedeutung  hat,  auch  Bud-ha  (bei  den  Chine- 
sen Fob,  welches  mit  dem  oberlausitzischen  Boh  gleich- 
bedeutend ist)  iri  Ostasien  eine  vierte  heidnische  Reli- 
gionsform benennt,  nämlich  den  Heueren,  wahrschein- 
lich durch  jüdisch^  christliche  Religions- Elemente  refor- 
mirten,  oder,  wie  Herr  Professor  Carl  Ritter  in  seiner 
Vorhalle  der  europäischen  Völkergeschichten  vor  Hero- 
dotus  sagt,  regenerirten  Budhaismus. 

Eben  so  wenig  als  der  slavische  Bog  in  seiner  frü- 
heren grammatischen  und  reellen  Bedeutung  von  dem 
asiatischen   Bud   oder   Budha  wesentlich   verschieden   ist, 


—    305    — 

ehen  so  wenig  auch  von  dem  germanischen  Wod-an. 
Um  sich  davon  zu  überzeugen ,  darf  man  zunächst  nicht 
unbeachtet  lassen,  dafs  B  und  W  auf  der  Lautlinie  nicht 
nur  nahe  bei  einander,  sondern  nahe  neben  einander 
stehen  und  dafs  das  W  nur  eine  Ascension  oder  Modifi- 
cation  des  B  ist.  Wegen  der  nur  modificirten  Identität 
des  B  und  W  konnte  daher  wohl  ein  Wesen,  welches 
einige  Völker  Bud  nannten,  bei  andern  Wud  oder  Wod 
(Idas  u  und  o  werden  häufig  permutirt,  wie  z.  B.  in  Buh 
und  Boh)  heil'sen.  Die  Endsylbe  an  in  Wod-an,  die 
in  späteren  Zeiten  hie  und  da  in  en  überging ,  ist  nur 
eine  andere  (gothische,  germanische)  Wortendung  und 
hat  mit  ha  oder  ah  in  Budha  dieselbe  Potenz. 

Dafs  Wod-an  in  den  drei  heidnischen  Haupt -Reli- 
gionsperioden auch  verschiedene  R.eligions-Ideen  bezeich- 
nete, wie  Bud-ha  und  Bog,  dies  erleidet  keinen  Zweifel. 
In  der  Periode,  in  welcher  wir  ihn  kennen,  war  er 
nicht  mehr  ein  Sonnengott,  sondern  ein  Mondgott,  und 
stand  folglich  mit  dem  von  Tacitus  in  seiner  Beschrei- 
bung Germaniens  erwähnten  deutschen  Mercurius  so  mit 
dem  Odin  (Hod-in)  der  Skandinaven,  dem  Perun  der 
Russen,  dem  Fun?  oder  ßlins  der  X,ausitzer  und  Dale- 
minzen,  dem  Wischnu  der  Indier,  dem  Tiermes  der  Fin- 
nen u,  s.  w.  in  einer  und  derselben  Classe.  Stellte  man 
neben  den  Wodan  eine  Göttin  (Mondgottin),  so  mufste 
sie  Voda  oder  Woda  heifsen ,  welchen  Namen  sie  auch 
in  der  That  führte.  So  gewifs  es  ist,  dafs  Wod-an  mit 
Bo2  in  den  letzten  heidnischen  Jahrhunderten  zieinlich 
gleiche  Bedeutung  hatte  (gröfsere  oder  geringere  Ver- 
schiedenheit der  religiösen  Ideen  und  Formen  fand  auch 
bei  aller  Harmonie  der  religiösen  Grundmeinungen  im 
Alterthume  Statt ) ,  so  weicht  doch  seine  Bedeutung  fast 
eben  so  sehr  von  der  des  jetzigen  asiatischen  Budha,  als 
von  der  des  gegenwärtigen  Bog  der  Slaven  ab.  Bekannt 
ist  es,  dafs  jetzt  in  Nordgermanien  und  in  Britannien, 
wo  der  Cultus  des  Wodan  oder  Woden  schon  längst  der 
Christusreligion  hat  Platz  machen  müssen,  der  Name  des 

20 


—     306     — 

Wodan  sich  nur  noch  in  dem  letztgenannten  Lande  in 
der  Benennung  des  mittelsten  Tages  der  Woche,  den 
die  Engländer  Wodnesday  (Wodanstag)  nennen,  erhal 
ten  hat ,  und  als  eine  Folge  der  zuMligen  Einwande- 
rung der  Angelsachsen  in  England,  unter  Horst  und 
Hengist ,  ist  es  anzusehen,  dafs  die  Britten  gegenwärtig 
das  höchste  Wesen  nicht  Wodan  (gleichbedeutend  mit 
Bog,  Boh,  Buh,  Bud-ha),  sondern  mit  einem  andern 
germanischen ,  ursprünglich  dasselbe  bedeutenden  Na- 
men,    mit  God  (Gott)  benennen. 

Wenn  aber  auch  Manche  die  ursprüngliche  verbale 
und  reale  Identität  der  Wörter  Bog,  Bud-ha  und  Wod- 
an in  dem  Gebiete  der  Religion  zugeben  möchten  ,  so 
werden  doch  gewifs  Viele  Bedenken  tragen  der  Behavip- 
tung  beizustimmen:  dafs  Bog,  Bud  und  Wod  mit  Bach- 
us  in  einer  sehr  engen,  nicht  nur  wörtlichen,  sondern 
auch  ideellen  Verwandtschaft  stehen,  und  dies  um  so 
mehr,  je  fester  sie  an  den  ungereimten,  das  Alte  und 
Neue  vermengenden ,  Mythen  der  griechischen  und  la- 
teinischen Theologen  halten,  und  je  mehr  sie  wähnen, 
dafs  der  spätere  griechische  Bachus  ^  oder  Dionysos  (dio- 
nys-os,  d.  h.  Mondgott,  Nachtgott)  die  ursprüngliche 
wahre  Idee  der  in  Rede  stehenden  Gottheit  enthalte.  Ver- 


2  Die  Schreibart  Bacchus  läfst  sich  nicht  rechtfertigen  und 
ist  eben  so  wenig  zulässig  als  Grippe  statt  Gripe.  Das 
Wort  Gripe  (ger-ipe)  oder  Kripe  ist  ohnstreitig  ein  Gegen- 
satz der  Korofs  (grofse,  tödtliche  Krankheit)  und  bezeich- 
net eine  kleine  Krankheit  oder  Pest.  Die  oberlausitzischen 
Wenden  hatten  schon  früher  in  ihrer  Sprache  ein,  wahr- 
scheinlich von  einem  ex  usu  gekommenen  Hauptworte  Kri- 
pa  abgeleitetes,  Adjectiv ,  welches  kripawy,  a,  e,  lautet, 
und  mit  dem  man  einen  kränklichen  Menschen  bezeichnet, 
der  an  einer,  kurze  Zeit  dauernden,  Lähmung  der  Glieder 
leidet.  Kripawe  Hussatko  wird  eine  junge  kränkliche  Gans 
genannt,  die  auf  einige  Zeit  an  Beinen  und  Flügeln  er- 
lahmt ist; 


—     307     — 

wundert  werden  manche  fragen:  wie  ist  es  möglich,  dafs 
man  den  Bachus,  diesen  Patron  (nach  der  gewöhnlichen, 
vorgefafsten  Meinung)  der  Säufer,  Schwelger  und  Schlem- 
mer, dessen  schandbaren  und  verderblichen  Cultus  der 
römische  Staat  durch  ein  besonderes  Gesetz  zu  verbieten 
sich  genöthigt  sah,  mit  dem  slavischen  Bog,  der  jetzt 
den  wahren  Gott  bezeichnet,  auch  nur  in  eine  entfern- 
te Geraeinschaft  stellen  könne?  Wie  stimmt  Belial  und 
Christus?  Und  doch  müssen  wir  dem  Bach-us  diese  Ge- 
meinschaft auch  dann  zugestehen,  wenn  wir  uns  auf 
den  Boden  des  strengsten  Kriticismus  stellen.  Dazu  nö- 
thigen  uns  zunächst  grammatische  Gründe.  Das  AVort 
Bach,  welches  nur  Berücksichtigung  verdient  (das  us  ist 
angehangen,  wie  in  Budha  das  ha  oder  ah,  in  Wodan 
das  an ) ,  ist  nämlich  nur  eine  andere  Sprech-  und  Schreib- 
art des  Worts  Bog.  Das  o  und  a  wird  so  häufig  permu- 
tirt,  dafs  es  aufser  allem  Zweifel  liegt,  dafs  auch  liier 
eine  Verwechselung  beider  Selbstlaute  Statt  gefunden  hat. 
Es  liefse  sich  sogar  aus  den  Differenzen ,  die  zwischen 
den  seligiösen  Vorstellungen  der  Slaven  und  Griechen 
Statt  fanden,  nachweisen,  dafs  die  Ersteren  die  Gottheit, 
von  welcher  die  Rede  ist,  Bog,  die  Letzteren  aber  Bach- 
us benennen  mufsten.  Indefs  würde  uns  dies  hier  zu 
weit  führen.  Wir  verweisen  daher  nur  auf  den  alle  Ta- 
ge vorkommenden  usus,  nach  welchem  die  Bewohner 
des  Gebirges  oft  da  ein  o  setzen,  wo  die  Bewohner  der 
Ebene  ein  a  gebrauchen.  Aber  auch  selbst  bei  den  Sla- 
ven kommt  das  a  in  der  Benennung  des  alten  Berg- 
oder  Sonnengotts,  in  dem  Bubak  (buh-bak)  nämlich, 
dessen  Religion  mit  dem  späteren  slavischen  Fetiscliismus 
in  Opposition  stand,  vor.  Eben  so  wenig  als  die  Ver- 
wechselung der  Selbstlaute  o  und  a  in  der  Sylbe  Bog 
und  Bach  gegen  die  Identität  des  Bog  und  Bach-us  spricht, 
eben  so  wenig  auch  die  der  beiden  Consonanten  g  und 
eh.  Diese  Mitlaute  stehen  nämlich  auf  der  Consonan- 
tenlinie  ^  neben  einander,  indem  das   ch  eine  Ascension 


3  Die  10  Grund  -  Consonanten  (h,  k,  n,  1,  j,  r,    z,  t,  p,  m) 

20*  4b 


—     508     — 

oder  Modificatien  des  h ,  das  g  aber  des  k  ist.  Das  g 
ist  von  dem  ch  noch  nicht  so  w-eit  entfernt,  als  das  g 
vind  h,  welche  Laute  gegenwärtig  noch  in  Bog  und  ßoh 
oder  Buh  vorkommen ,  und  beide  Mitlaute  stehen  auf 
der  natürlichen  Lautlinie  gerade  nur  so  weit  von  ein- 
ander, als  das  h  in  Boh  und  das  k  in  Bak  (ßu-bak). 


stellen  mit  ihren  Ascensionen  (Verfeinerungen)  in  der  Ord- 
nung, welche  nachstehende  Linie  darstellt. 


Kehllaut 
ch  (x) 

Gaumenlaut 
g 

Hinterster 

Zungen  -  und 

Nasenlaut 

Mittler  Zun- 
:gen-Laut 

ch 

€ 

H 

K 

N 

L 

ha     cha  •  chi      ka       ge 


el 


Vorderer   Zun- 
genlaut 

z 

Vorderster        Innerer  Zahn- 
Zungenlaut                laut 

seh 

Zahnlaut 

dsch 

s 

d 

J 

R                    Z 

T 

)od   dsche   zet     er 


zet       es     sehe      te        de 


Lippenlaut 
vv 

Aeufserer  Lippenlaut 

V 

f 

b 

P 

M 

pe       be      ef      ve     we         em 

In  meiner  Skythika  ist  pag,  54.  das  t  als  Ascension 
des  d  und  das  p  als  Ascension  des  b  fälschlich  genannt. 
Das  t  ascendirt  nämlich  zum  d  und  das  p  zum  b,  weshalb 
auch  das  t  in  der  Regel  etwas  Höheres,  Gröfseres  und  Här- 
teres bedeutet,  als  das  d,  und  das  p  zur  Bezeichnung  von 
höheren,  gröfseren  und  härteren  Dingen  gebraucht  wird, 
als  das  b. 


—     309     — 

U'enn  aber  audi  cUc  grauunatische  Idenliläl  des 
Bog  und  ßacli-  (us)  nicht  zu  bestreiten  ist,  so  scheint 
doch  nicht  nur  zwischen  der  neuen,  sondern  auch  selbst 
zwischen  der  alten  religiösen  Bedeutung  des  Worts  Bog 
und  Bach  -  us  ein  sehr  grofser  Unterschied  Statt  zu  fin- 
den. Dies  scheint  jedoch  nur  so.  Berücksichtigen  wir 
zunächst  die  Idee  des  Bachus  in  der  späteren  (dritten) 
Religionsperiode,  in  welcher  uns  die  Griechen  ihren  Ba- 
chus oder  Dionysos  vorführen  und  in  welcher  seine  Fe- 
ste, Bachanalien  genannt,  in  den  heutigen  Kirmefsfesten, 
"VYurstschmäusen,  so  wie  in  den,  dem  christlichen  Ernste 
so  sehr  Abbruch  thuenden  Sylvester- Debauchen  ihren 
Refrain  und  ihre  moderne  Modification  haben,  so  finden 
wir  sie,  obgleich  etwas  verändert,  doch  auch  in  dem  re- 
ligiösen Glauben  und  in  der  religiösen  Sitte  der  Slaven 
und  anderer  Völker.  Wir  finden  dieselbe  Idee  in  dem 
Curch  oder  Curcho  der  Litthauer  und  Preulsen,  in  dem 
Crodo  der  Saal- Wenden,  zum  Theil  auch  im  Arconai- 
schen  Swautowit  ^  (Erndtenspender),  vorzüglich  aber  iui 
russischen  Chors  oder  Korsch,  welcher  Letztere  nackend, 
dick  aufgedunsen,  mit  einem  Kran/.e  von  Hopfenlaub  und 
auf  einena  umgestürzten  Fasse  sitzend,  abgebildet  wurde, 


4  Die  in  den  höheren  Gegenden  Asiens  und  Europa's  leben- 
den Slaven  sprachen  höchstwahrscheinlich  Swonzowitsch  statt 
Swantowit,  so  wie  nach  jetzt  ein  Theil  der  Slaven  kurit 
(rauchen)  twarit  (bauen)  bit  (schlagen)  statt  kuricz,  twaricz, 
bicz  spricht.  Die  in  der  Sprache  vieler  Slavenstämnie  hau 
fig  vorkommenden  Zischlaute  charakterisiren  diese  Stämme 
als  Slaven,  d.  h.  als  Hochwohnende,  Gebirgsbewohner.  Der 
It-Dialect  (der  Pommern  ,^  Linonen  u.  s.  v/.y  bildet  mit  dem 
Itsch-Dialecte  (der  Daleminzen,  Böhmen,  Polen  u.  s.  w.) 
ohngeführ  denselben  Gegensatz,  in  welchem  jetzt  die  Sprech- 
art der  Göttinger,  Berliner  u.  s.  w.  (Spalte,  Stunde,  Stadt 
u.  s.  w.)  zu  der  Sprechart  der  Zittauer,  Cliemnitzer  u.  s.  w. 
(Schpalte,  Schtunde,  Schtadt  etc.  )  steht.  Die  fast  zwingen- 
den Ursachen,  die  diesen  Gegenstand  erzeugt  haben,  sind 
sdioi)  oft  beleuchtet  wordei^. 


—     310     — 

(vergl.  meine  Skythika  p.  134)  und  dem  man  an  seinen 
P'esten  (Erndtefesten) ,  die  in  Skythien,  wie  Herodot  be- 
richtet, mit  bachischer  Wuth  gefeiert  wurden,  Bier  und 
Meth  zum  Trankopfer  darbrachte.  Von  diesem  späteren 
slavischen ,  vorzüglich  aber  griechischen  und  römischen 
Bachus,  der  die  spätere  sittlich  depravirte  Welt  repräsen- 
tirt,  war  aber  der  frühere,  ursprüngliche  Bachus  sehr 
verschieden. 

Dieser  Bachus  war  der  Inbegriff  der  ersten ,  einfa- 
chen, edlen  Sonnen-  und  Mond-Religion,  die  so  bedeu- 
tend die  Cultur  des  Erdbodens  beförderte,  die  nicht  zu 
Angriffs-  sondern  nur  zu  Vertheidigungs-Kriegen  ermun- 
terte, Unrecht  aller  Art  verabscheute  und  rügte,  den 
Sterblichen  einen  unschuldigen  Freudengenufs  gern  gönnte 
und  die  es  sogar  den  Menschen  zur  Pflicht  machte,  die 
gütige,  segnende  Gottheit  an  ihren  Festen  nicht  nur 
durch  den  Genufs  der  besten  ihrer  Segnungen,  sondern 
auch  durch  freudige  Hymnen  und  seelenvolle  Tänze  zu 
verehren. 

Aus  Rücksicht  auf  diese  letztere  Verpflichtung  schrieb 
ohnstreitig  auch  die  griechische  Pxeligionslehre  die  Erfindung 
des  Trauer-  und  Lustspiels  dem  Bachus  zu.  Wahrschein- 
lich hatte  sich  die  edle  wohlthätige  Naturreligion ,  (der 
frühere  Bachus)  die  diesen  Namen  in  einem  besonderen 
Grade  verdient,  weil  ihre  Beziehungen  vorzugsweise,  die 
Cultur  und  die  Producte  der  Erde  betreffen ,  und  deren 
Charakter  zum  Theil  auch  Hercules  in  seinen  '^Qyoig  und 
Ttcige^yois  darstellt,  mit  den  von  Osten  nach  Westen  zie- 
henden Völkerzweigen  von  Indien,  diesem  Lande  der 
ersten  geistigen,  religiösen  und  technischen  Cultur,  in 
den  Abendländern  verbreitet,  (es  ist  eine  Anmafsung  der 
Griechen,  dafs  sie  den  Bachus  aus  Europa  nach  Aegyp- 
ten,  Syrien  und  Indien  ziehen  lassen,)  mufste  aber  spä- 
terhin, als  der  mehr  politisch  und  metaphysisch  gestal- 
tete Religionscultus  den  Vorzug  erhielt,  zum  Mindesten 
in  den  Südländern  Europa's    in  den  Hintergrund  treten. 


—     311     — 

Indefs  hatte  sich  dieselbe  auch  in  den  späteren  Zei- 
ten bei  den  mehr  bei  der  ersten  Natureinfachheit  ver- 
bliebenen, der  Cultur  des  Erdbodens  so  wie  der  Vieh- 
zucht obliegenden,  Slavenvölkern  in  hohen  Ehren  erhal- 
ten und  deshalb  wurde  der  Name  Bog,  Bak  (Bach)  bei 
den  Slaven  zum  Gattungsnamen  erhoben,  dem  der  spä- 
ter inlroducirte  christliche  Monotheismus  seine  jetzige 
prägnante  Bedeutung  verlieh. 

Obgleich  das  Wort  Bog  in  der  kirchlichen  Sprache 
der  slavischen  Heiden  späterhin  zur  Bezeichnung  irgend 
einer,  sowohl  männlichen  als  auch  weiblichen  Gottheit 
gebraucht  wurde,  und  gebraucht  werden  konnte,  weil  es 
nicht  allein  für  die  Zeit,  wo  androgynische,  sondern  auch 
für  die,  wo  gynandrische  GoUerbildungen  gewöhnlich 
waren,  pafste  (o  kki  tj  ^eog),  so  kommt  doch  auch  in  der 
slavischen  Mythologie  das,  nur  eine  rein-weibliche  Gott- 
heit andeutende  Wort  bek  vor,  z.  B.  in  Trzibek  der 
Tschecharen  oder  Böhmen. 

Aber  nicht  blos  in  der  rein  religiösen  Bedeutung 
begegnet  uns  das  Wort  Bog,  Bach,  Bak,  Bud,  Wod,  son- 
dern dasselbe  bezeichnet  auch  profane  Dinge,  z.  B.  den 
Bewohner  einer  Anhöhe,  eine  Stadt,  einen  Flufs  u.  s.  w. 
Zwischen  dem  Worte  Bog  iiTi  rein  religiösen  Sinne  und 
zw^ischen  dem  in  profaner  Bedeutung  steht  dasselbe  Wort, 
wenn  es  einen  Priester  oder  einen  Fürsten  bedeutet.  Die 
Priester  und  Fürsten  nämlich,  welche  die  Staaten  gemein- 
schaftlich regierten  und  beschützten ,  waren  ,  nach  dem 
Glauben  des  Alterthums,  nicht  gewöhnliche  Menschen, 
sondern  Lieblinge,  Söhne,  Repräsentanten  der  weiblichen 
(vorzüglich  Priester)  und  der  männlichen  (Fürsten)  Lan- 
desgottheiten. 

Unter  den  Priesternaraen  findet  sich  jedoch,  so  viel 
ich  weifs,  keiner,  dem  das  Wort  Bog  einverleibt  ist.  Da- 
gegen begegnet  uns  das  Wort  Bud,  welches  ohnstreitig  nur 
eine  andere  Form  des  Bog  ist,  in  mehreren  priesterlichen 


312 


Namen.  Butii  (Butios)  wurden  die  heidnischen  Priester 
auf  den  westindischen  Inseln  genannt  und  Budstikke 
hiefs  bei  den  Dänen  der,  die  oberrichterliche  Würde  der 
Hohenpriester  andeutende,  Stab  oder  Zepter,  der  bei  den 
Preufsen  den  Namen  Criwule  und  bei  den  Nordwenden 
Criwula,  das  von  Criwe  oder  Criwy,  d.  h.  der  Göttliche, 
Priester  abgeleitet  ist,  führte.  Bemerkenswerth  ist  es,  dafs 
noch  jetzt  die  an  der  Nordseite  des  Atlasgebirges  woh- 
nenden arabischen  Völkerschaften,  eine  Classe  von  from- 
men, von  dem  göttlichen  Geiste  inspirirten  Menschen 
Morabot,  Marabut  uud  Marebout  nennen.  Der  Name 
Marabut  ist  aus  Mara,  d.  h.  hoch  und  But  entstanden. 
Marabut  bezeichnet  aber  nicht  einen  gewöhnlichen  Iman, 
der  in  der  Dschamie  fungirt,  sondern  einen  inspirirten 
Propheten  Gottes,  einen  Heiligen.  Diese  Heilige  (Mara- 
but) haben  in  ihrem  Leben  einen  erofsen  Einflufs  auf 
das  Volk.  Aber  auch  nach  ihrem  Tode  wallfahrtet  man 
zu  ihren  Gräbern,  und  zur  Zeit  der  Gefahr  und  Nöth 
implorirt  man  ihre  Hülfe.  So  befahl  der  letzte  Dey  von 
Dschesair  (Algier),  als  ihm  im  Jahre  1830  die  französi- 
sche Invasion  drohte,  dafs  seine  Minister  zu  verschiede- 
nen Grcbstätten  der  Morabots,  oder  Marabuts  wallfahr- 
ten, und  dafs  sie  an  denselben  nicht  nur  Schaafe  und 
Rinder  opfern,  sondern  auch  an  die  Armen,  die  sich  da- 
selbst in  groiser  Menge  einfanden ,  Geld  austheilen  soll- 
ten. Das  Volk  von  Algier  aber  betete  inbrünstig  zu  den 
durch  Wnnderthaten  ausgezeichneten  verstorbenen  Mora- 
bots Sidi-Abdelgader,  Sidi-Abdrachman  und  vorzüglich  zu 
Sidi- Weled-Dede,  dafs  sie  ihr  Land  und  ihre  Stadt  vor 
den  Franzosen  schützen  möchten,  wie  sie  dieselben  schon 
Öfters  vor  andern  Feinden  geschützt  hätten. 

Obgleich  aber  das  Wort  Marabut  gegenwärtig  bei 
den  africanischen  Arabern  und  bei  den  Kabeili  (Kabylen) 
bisweilen  einea  frommen  Menschen  bezeichnet,  der  au- 
Iser  dem  priesterlichen  Orden  lebt,  so  ist  es  doch  mehr 
als  wahrscheinlich,  dafs  dieses  Wort  früher  die  Bedeu- 
tung eines  Oberpriesters  hatte,   der  die  Gottheit,    der  er 


—     313     — 

diente,  repräsentirte,  und  in  welchem  diese  Gottheit  auf 
eine  besondere  Weise  wohnend  und  vvaUend  g;edacht 
wurde.  Das  Wort  But  oder  Bud  ^  konin:it  demnach  bei 
den  afrikanischen  Arabern  in  einem  speciellern  Sinne 
vor,  als  bei  den  asiatischen  Arabern,  bei  welchen  es  ein 
jegliciies  Idol  bezeichnet. 

In  den  alten  Fürstennamen  kommt  das  Wort  Bog 
nicht  in  der  reinen,  sonderen  in  der  Nebenform,  in  wel- 
cher es  Boch  Idutet,  vor.  In  dieser  letzteren  Form  findet 
es  sich  in  Teutoboch  (us),  dem  Namen  eines  Königs 
der  Teutonen,  den  der  römische  Feldherr  Manus  in  der 
grofsen  Schlacht  bei  Vercelli,  in  welcher  er  die  Cimbern 
und  Teutonen  überwand,  gefangen  nahm.  Es  ist  unbe- 
zweifelt,  dafs  das  boch  in  Teutoboch  das  jetzige  slavi- 
sche  Bog  ist.  Weniger  gewifs  ist  es  aber,  ob  das  boch 
in  Teutoboch  nur  so  viel  als  König  (Teutonen -König, 
Herrscher)  bedeutet,  oder  ob  ihm  eine  andere  Bedeu- 
tung eigen  ist.  Diejenigen,  welche  behaupten:  dafs  Teu- 
toboch so  viel  bedeute,  als  Teutonen -Beherrscher,  mei- 
nen: es  sey  nichts  natürlicher,  als  dafs  das  Wort  Teu- 
toboch einen  König  der  Teutonen  bezeichne,  weil  der 
von  Marius  in  Triumph  aufgeführte  Teutoboch  Könio^ 
der  Teutonen  war.  Es  sey  hier  eine  Wortverbindung, 
die  der  ähnlich  ist,  wenn  die  Griechen  sagten:  Perser- 
könig und  wenn  wir  jetzt  sagen:  Sachsenkönig,  Preus'- 
senkönig  u.  s.  w. 


5  Bud  (Bu,  Buh)  Iiat  die  Bedeutung  eines  Berges,  einer  An- 
höhe in  dem  Tibetanischen  Provinz -Namen  Butan,  ( Ge- 
hirgslaitd)  im  Stadtnameu  Budissin ,  Budiveij,  Bulak  bei 
Kairo  etc.  —  Das  Wort  Bok,  Buk,,  in  der  Bedeutung  Berg, 
findet  sich  in  dem  Provinznamen  Bukowina,  d.  h,  Gebirgs- 
land.  Bus  (gleichbedeutend  mit  bog,  bok,  bach)  bezeich- 
net in  Cottbus,  Priebus  u.  s.  w.  eine  Stadt,  in  Schor- 
bus,  Trebbus  ii,  s.  w.  einen  grolsen  Ort,  ein  grofses 
Dorf. 


—     314     — 

Indefs  scheint  mir  diese  Behauptung  doch  keines- 
weges  so  begründet  zu  seyn,  als  man  gewöhnlich  glaubt. 
Es  war  nämlich  im  Alterthurae  nicht  gewöhnlich ,  dafs 
sich  ein  König  nach  dem  Namen  seines  Volks  nann- 
te, sondern  er  führte  immer  den  Namen  der  Gottheit, 
deren  Repräsentant  er  war.  Mit  mehr  Grund  kann  man 
daher  annehmen:  dafs  Teutoboch  so  viel  hiefs,  als  Sohn 
des  Teut,  oder  Gottessohn,  was  der  Kriegsanführer  der 
Teutonen  auch  nach  dem  alten  religiösen  Glauben  in 
der  That  war.  Das  Wort  Teut,  welches  bei  den  Kelten 
(Galliern)  Dies  (Di -eh),  bei  den  Römern  Deus,  bei  deiji 
Griechen  Zsvg  lautete,  bedeutete  bei  den  Teutonen  son- 
der Zweifel  Gott,  ohne  dafs  man  jedoch  zugeben  darf, 
dafs  die  Teutonen,  wenn  auch  ihr  Anführer  den  ihm 
gebührenden  Namen :  Mondeott,  Gottessohn,  Gottes  sicht- 
barer Gott  führte,  die  Göttlichen,  von  Gott  Stammenden 
geheifsen  hätten.  Der  Name  der  Teutonen  bedeutet, 
den  Regeln  der  Ursprache  und  dem  Gebrauche  anderer 
Völker  in  den  Bildungen  ihrer  Namen  zufolge,  Men- 
schen, die  zum  Theil  in  niedrigem  (teu),  zum  Theil  in 
höheren  (ton)  Gegenden  lebten,  die  aber  doch  im  Gan- 
zen oni  oder  onen  d.  h.  Niederländer  waren, 

Dafs  Teutoboch  nicht  schlechthin  Beherrscher  der 
Teutonen  hiefs,  erhellet  ferner  daraus:  dafs  der  König 
der  Nitiobriger,  der  mit  dem  Vercingetorix  gegen  die 
Römer  focht,  den  Namen  Theutomarus  (teutomar)  führ- 
te, obsleirh  er  nicht  über  Teutonen  herrschte.  Die  Syl- 
be  mar  hat  ohnstreiiig  mit  Boch  oder  Bog  dieselbe  Be- 
deutung^ und  d.is  ganze  Wort  Theutomar  oder  Teutomar 
kann  man  durch  Mondgotts- (sichtbarer)  Gott,  oder  durch 
Erhabener,  Eiböheter,  Herrlicher  der  Gottheit  übersetzen. 
Das  boch  in  Teutoboch  und  das  mar  in  Theutomar  hat 
mit  dem  seus  (^svg)  in  Theseus  und  Pevseus  (Mondgott), 
mit  dem  slavischen  las  oder  laus  (Mondgott,  Gott),  mit 
bal  in  Hannihal,  mit  car  in  Hamilcar,  mit  bod  (bud) 
in  Marobod  u.  s.  w.  ganz  dieselbe  Bedeutung.  Das  theus 
nnd  das  dasselbe   bedeutende   thous   in    den    noch    wenig 


-^     315     — 

erklärten  Namen  Prometheus  (hcJchstwahrscheinlich  ein, 
sich  dem  späteren  griechischen  Religionsglauben  opponi- 
render,  Sonncncultus  [por-om]  der  zweiten  Religionspe- 
riode bei  den  thracischen  und  kaukasischen  Völkerschaf- 
ten) und  Pirithous  (Mondgott)  sind  später  angehangen, 
wie  das  bog  in  dern  russischen  Worte  Stribog, 

In  der  profanen  Sprache  hat  das  Wort  Bog,  Boch, 
Bok,  wie  schon  erwähnt,  verschiedene  Bedeutungen.  Es 
bedeutet  erstlich  Menschen,  die  auf  Anhöhen,  oder  auf 
bergen  von  mittlerer  Gröfse  leben.  In  dieser  Bedeutung 
begegnet  uns  das  Wort  in  dem  Namen  einer  germanischen 
Völkerschaft,  die  am  Oberrheine  wohnte  und  die  sich  Tri- 
bocci  oder  Tribochi  nannte.  Manche  haben  gewähnt,  dafs, 
das  Wort  aus  dem  slavischen  Zahlworte  tri  (tfsi,  tres)  und 
aus  dem  Wor'e  Bog  oder  Gott  zusammengesetzt  sey,  und 
dafs  es  ein  Volk  bezeichne,  das  drei  Götter,  oder  einen 
Triglav,  verehrte.  Diejenigen  aber,  welche  dies  behaup- 
ten, irren  sich  eben  so  sehr,  als  diejenigen,  die  den  Na- 
men Tribochi  durch  try  Buken  (drei  Buchen)  überse- 
tzen zu  müssen  glauben. 

Die  Sylbe  tri  (tir)  bezeichnet  nämlich  eine  Gegend, 
die  mit  ziemlich  hohen  Bergen ,  zwischen  denen  rauhe 
Gründe  liegen,  bedeckt  ist,  und  Bocci  oder  Bochi  (ßo- 
ken  oder  Bochen)  bedeutet  ziemlich  hoch  wohnende 
Menschen,  Ein  i  hat  das  Wort  Tribochi  deshalb  in  der 
ersten  Sylbe,  weil  weiter  hinauf  noch  höhere,  gebirgiaere 
Gegenden  liegen.  Boken ,  Bochen  (ziemlich  Hochwoh- 
nende) nannten  sich  aber  die  Tribochi  deshalb,  weil  sie 
in  einer  höheren  Gegend  ihre  Wohnsitze  hatten,  als  die  in 
der  Gegend  von  Speier  sitzenden  Nemeten,  deren  Namen 
man  durch  Bewohner  niederer  Gegenden,  oder  vorderer 
Gebirge  übersetzen  kann,  und  der  mit  dem  Namen  Niem- 
zy  *  (Nim-ezen)  mit  welchem  gegenwärtig  die  Wenden 


6  Der  Name  Niemzy  ( Nim  -  izen  ),  mit  welchem  jetzt  die  S!a. 


—     316     — 

die  Deutschen  benennen,  ziemlich  gleiche  Bedeutung 
hat.  Wirkliche  Niederländer  wurden  Lin-onen,  Liven 
(li-even).  Lybier,  Latier  etc.  genannt. 

Mit  d^n  Tribochen  steht  der  Name  Boog,  Bok,  Buk, 
Bacb,  welchen  hie  und  da,  vorzüglich  in  slavischen  und 
ehedem  slavischen  Gegenden,  einzelne  Individuen  als  Fa- 
miliennamen führen,  in  einer  und  derselben  Kategorie. 
Diese  Namen,  die  weder  Gott  noch  einen  Priester,  noch 
einen  Bock  ( caper),  noch  eine  Buche  (wendisch  Buk), 
noch  viel  weniger  einen  Bach  (rivus)  bedeuten,  sondern 
(ursprünglich)  ein  Individuum,  oder  eine  Familie,  die 
auf  einer  mittelmäfsigen  Anhöhe  lebt,  sind  auf  demselben 


ven  die  Deut?clien  benennen,  bedeutet  Niederländer  oder 
docli  solche  Menschen,  die  am  Rande  gebirgiger  Gegenden 
wohnen.  Wahrscheinlich  bezeichnete  IXiemzy  (nim-eten) 
anfänglich  eine  besondere  deutsche  Völkerschaft,  der  wegen 
des  Teiraius,  das  sie  bewohnte,  der  Name  Niem-iy  gebührte» 
Späterhin  wurde  aber  der  Name  als  Coilectiv  -  Name  ge- 
braucht, wie  von  den  Piöniern  Germani  und  von  den  Fran- 
zosen Allemanen  (Hal-ma-anen,  d,  h.  Hochwohnende).  Die- 
jenigen irren  sehr,  welche  wähnen,  dafs  das  Wort  Niemzy 
die  Verachtung  andeute,  mit  welcher  die  Slaven  auf  die 
Deutschen  geblickt  hätten,  und  dafs  es  so  viel  heiffe,  als 
(moralisch)  Niedrige,  Niederträchtige,  Verworfene,  wenn 
auch  historisch  nachgewiesen  werden  kann,  dafs  sich  bei 
de:v  Slaven  wie  bei  den  Ungarn  Spuren  einer  stolzen  Erhe- 
bung über  die  Deutschen  finden ,  welche  der  ähnlich  ist, 
mit  welcher  manche  Deutsche  auf  die  ihnen  doch  in  vielen 
Stücken  vorschreitenden  Franzosen,  vorzüglich  aber  auf  die 
Wenden,  Polen,  Russen,  Portugiesen  u.  s.  w.  sehen.  Noch 
mehr  haben  diejenigen  geirrt ,  welche  die  Behauptung  auf- 
gestellt haben:  dafs  der  Name  Niemzy  ans  nieme  Psy,  d.h. 
stumme  Hunde,  mit  welcher  Benennung  die  Wenden  die 
Deutschen,  weil  sie  ihre  Sprache  nicht  verstanden,  beehrt 
haben  sollen,  entstanden  sey.  Dieser  grobe  Irrthum,  der 
nicht  blos  von  Ungelehrten  hundert  Mal  wiederholt  worden 
ist,  kann  nur  mit  demjenigen  parallelisirt  werden :  dafs  die 
Deutschen  ihre  slavischen  Nachbarn,  die  ihrer  Sprache  nicht 
mächtig  waren,  stumme  Wände  (parietes)  genannt  hätten 
und  dafs  aus  dieser  beschimpfenden  Benennung  der  Name 
der  Wenden  entstanden  wäre. 


317 


Wege  entstanden,  auf  welchem  die  Ortsnamen  ihren  Ur- 
sprung: erhielten.  So  wie  man  einem  jeden  Orte,  nach 
Malsgabe  der  Beschaffenheit  des  Terrains,  auf  welclicm 
und  an  welchem  er  lag,  einen  angemessenen,  durch  die 
Gesetze  der  sogenannten  Ursprache  bedingten  Namen  er- 
theilte,  so  gab  man  auch  einem  jeden  einzelnen  Besitzer 
eines  Weilei-s  oder  eines  Hofes  einen  Namen,  welcher 
der  Beschfiffenheit  des  Landstücks,  auf  dem  sein  Gehöfte 
lag,  entsprach.  Auf  diesem  Wege  entstanden  die  Namen 
Karas  (der  auf  einem  Berge  Wohnende),  Golk  (der  auf 
einem  HügeL  Wohnende),  Linat  (der  lief  Wohnende)  u. 
s.  w.  u.  s.  w.  Wenn  schon  die  Ortsnamen  die  Frucht 
einer  sehr  accuraten  Auffassung  der  eigenthümlichen  Be- 
schaffenheit des  Erdbodens  sind,  auf  welchem  ein  Ort  ge- 
legen ist  oder  ursprünglich  gelegen  war,  so  documentiren 
die  auf  diese  Weise  entstandenen  Familien -Namen  doch 
noch  eine  genauere  Contemplation  des  Terrains,  auf  wel- 
chem die  Gehöfte  eines  (alten)  Dorfs  liegen.  Man  fin- 
det noch  jetzt  in  manchen  Dörfern,  wo  die  Namen  der 
Bauergüther  stereotypisch  geblieben  sind,  obgleich  sie  im. 
Laufe  der  Zeit  von  Wirthen  besessen  wurden,  die  ver- 
schiedene Namen  führten,  deutliche  Beweise  von  dem  ur- 
alten Gebrauche,  den  Namen  des  Besitzers  eines  Gehöf- 
tes nach  der  Beschaffenheit  des  Erdbodens,  auf  welchem 
dasselbe  gelegen  ist,  zu  bilden.  An  vielen  Ortpn  ist  aber 
die  in  Rede  stehende  Entstehung  der  Namen  der  Gehöf- 
tebesitzer nicht  mehr  durchgängig  nachzuweisen,  weil  die 
uralten  Namen  der  Güther  verloren  gegangen  und  die 
unpassenden  Namen  der  späteren  Besitzer  auf  sie  über- 
getragen worden  sind,  so,  dafs  ;eizt  dort  ein  Linat  wohnt, 
wo  ein  Karas  (kar  oder  gar-as)  ein  Nigebar,  wo  ein  Han- 
drosch (ein  auf  einer.kegelförmigen  Anhöhe  Wohnender),  ein 
Leschka  (lesch-ak  d.h.  Thalbewohner),  wo  ein  Kosak  (f loch- 
wohnender), ein  Lipak,  wo  ein  Raupach  etc  wohnen  sollte. 
Ueberdiessind  auch  in  den  späteren  Zeiten,  wo  die  Gewohn- 
heit, die  Familien  nachder  Bc5'  haffcnheit  der  höheren  oder 
tieferen  Lage  der  Höfe  oder  Weiler  zu  bilden,  verschwand, 
zu  der  Zahl  der  bedingten  und  noihwendigen  Namen  der 


—     318     — 

Gutsbesitzer  sehr  viele  willkührliche  gekommen.  Vor- 
züglich darf  man  da  nicht  mehr  urahe,  der  Lage  dei^ 
Höfe  entsprechende  Namen  der  Bauergutsbesitzer  suchen, 
wo  eigensinnige  Dynasten  ihre  Unterthanen  gezwungen 
haben,  willkührliche  Namen  anzunehmen  und  wo  der 
neue  deutsche ,  nicht  auf  festen  Principien  ruhende  Ge- 
brauch Eigennamen  zu  bilden  (Lange,  Grofse,  Klein, 
Junge,  Mann,  Haase,  Fleischer,  Löwe,  Bürger,  Starke, 
Hund  etc.  etc.)  herrschend  geworden  ist. 

Die  Familien- Namen  der  Adeligen  sind  zum  gro- 
fsen  Theile  von  den  Ortschaften,  deren  Besitzer  sie  wa- 
ren, entlehnt. 

So  nannten  sich  die  Herren  (Besitzer)  von  dem  Dorfe 
Sinkwitz  von  Sinkwitz,  die  von  dem  Dorfe  Pannewitz 
von  Pannewitz,  die  Dynasten  von  Möllendorf  von  Möl- 
lendorf,  die  von  Dohna  von  Dohna  etc.  obgleich  sie  frü- 
her anders,  z.  B.  Händler,  Fleischer,  Adler,  Löwe  etc. 
heifsen  mochten.  Manche  Adelige  behielten  (vorzüglich 
in  späteren  Zeiten)  ihren  Familiennamen  bei  und  Man- 
che Neu-Adelige  (vorzüglich  in  den  neuern  Zeiten)  ga- 
ben ihrem  gewöhnlichen  bisherigen  Namen  ein  antikes, 
vornehmes  Colorit  und  verwandelten  z.  B.  den  Namen 
Krause  in  Krausendorf,  Krausenhof,  Krausenfeld,  Krau- 
senthal, Krausenberg,  Krausenburg  etc. 

Der  profanen  Sprache  gehört  ferner  das,  in  der  letz- 
ten Sylbe  des  Stadtnomens  Jüterbog  oder  Jüterbok  vor- 
kommende Wort  Bog  an,  und  nicht  der  kirchlichen,  wie 
man  gewöhnlich  glaubt.  Jüterbok  (bokk  bogk  und  bock 
ist  spätere  deutsche  Schreibart  und  eben  so  wenig  zuläs- 
sig als  Bac  chus  statt  Bachus  )  hat  nämlich  keinesweges 
seinen  Namen  von  Juter  (Morgen-  und  Frühlings-Sonne 
und  von  Bog,  d.  h.  Gott,  erhalten,  sondern  der  Name  des 
Orts  ist  ganz  nach  den  Regeln  gebildet,  nach  welchen 
man  im  Alterthume  die  Ortsnamen  formirte.  Ohnstrei- 
tig  lautete  der  Name  Jüterbok   anfänglich  Juter  oder  Ji- 


—     S19     — 

ter,  welches  Wort  einen  Ort  bedeutet,  der  zum  Theil 
an  einer  sehr  sanft  aufsteigenden  Anhöhe  (Ji),  zum  Theil 
in  einer  von  einem  Flusse  durchschnittenen  Ebene  (t^r^), 
im  Ganzen  ziemlich  tief  gelegen  ist.  Das  Wort  Bok  oder 
Bog  wurde  in  späteren  Zeiten  an  den  Namen  Jüter  ge- 
hangen, als  der  Ort  grofs  wurde  und  die  militärische 
Befestigung  erhielt,  die  er  zur  Zeit  hatte,  als  er  von 
dem  Erzbischof  Wichmann  in  Besitz  genommen  wurde. 
Das  slavische  Bog  in  Jüterbog  (Jüterbok)  hat  ganz  die 
Bedeutung  des  germanischen,  eine  Stadt,  oder  ein  grofses 
Dorf  bezeichnenden  Bach  in  den  Ortsnamen  Tambach, 
Anspach,  Lambach,  Marbach,  Culmbach,  Rambach.  Lau- 
terbach etc.  In  der  Feminal- Form ,  in  welcher  es  ein 
Dorf  bedeutet,  lavitet  es  Boka  und  Beka  und  begetmet 
uns  z.  B.  in  Hohen -Boka  und  in  Iser-beka  (fälschlich 
becca)  bei  Wittenberg.  Hätten  die  Deutschen  das  alte 
Jüter  zu  einer  Burg  gemacht,  so  winde  der  Name  jetzt 
höchstwahrscheinlich  Jüterbach,  Jüterberg  oder  Jüter- 
burg  lauten. 

Im  Allgemeinen  ist  zu  tjemerken:  dafs  sich  bei  al- 
len alten  Völkern ,  welche  lange  Zeit  dem  Sonnen-  und 
Mond-Cultus  treu  blieben,  insonderheit  auch  bei  den 
Germanen  und  Slaven,  der  usus  gebildet  hatte,  die  Na- 
men der  Dörfer  und  Städte  ganz  nach  der  Beschaffen- 
heit des  Terrains,  auf  welchem  sie  lagen,  zu  benennen. 
Obgleich  dieser  usus  auch  früher  in  Aegypten,  Italien 
und  Griechenland  geherrscht  hatte,  wie  man  dies  an  vie- 
len dasigen  alten  Ortsnamen  sieht,  so  verschwand  der- 
selbe doch  späterhin,  als  der  moderne  Fetischismus  die 
Menschen  von  der  genauen  Naturbetrachtung  abzog,  oder 
doch,  wie  in  Aegypten,  dieselbe  sehr  modificirte,  fast 
ganz.     Dafs  die  Juden  dem  diesfälligen  Gebrauche  nicht 


7  Weil  durch  die  Stadt  Berlin  ein  Flufs  fliefst,  deshalb  lautet 
die  erste  Sylbe  in  dem  Namen  dieser  Stadt  her  und  nicht 
bei. 


S20 


wie  die  heidnischen  palästinensischen  Völkerschaften,  die 
sie  besiegten  und  ausrotteten,  folgten,  wird  uns  nicht 
wundern ,  wenn  wir  eingedenk  sind ,  dafs  dieses  Volk 
nicht  unter  dem  Einflüsse  einer  Naturreligion,  sondern 
einer  besondern,  von  den  Religionen  aller  andern  Völ- 
ker abweichenden,  Religionsfonn  stand.  Indefs  sind  doch 
auch  sehr  viele  späterhin  in  jüdischem  Lande  vorkom- 
menden Ortsnamen  Producte  des  erwähnten  alten  Ge- 
brauchs, und  manche  in  Palästina  zur  Zeit  der  Entste- 
hung des  Christenthums  uns  begegnenden  Ortsnamen  hat- 
ten ursprünglich  eine  ganz  andere  Bedeutung,  als  die  jü- 
dischen Gelehrten,  welche  die  Namen  der  Orte  ihres 
Landes  aus  Unkunde  der  Ursprache  nicht  minder  will- 
kührlich  interpretirten ,  als  dies  gegenwärtig  bei  uns  ge- 
schieht, z.  B.  mit  Jäterbog,  Berlin,  Budissin,  Erlangen  u. 
s.  w.  \t)rgaben,  und  viele  bei  uns  als  wahr  recipirten 
Erklärungen  der  jüdischen  Ortsnamen ,  z.  B.  Nazareth, 
Capernaum,  Jericho  etc.  sind  ohnstreitig  falsch. 

Wie  willkührlich  man  jetzt  bei  uns  die  Namen  für 
die  neuangelegten  Orte  bildet,  dies  ist  bekannt.  Vor  al- 
lem ist  es  aber  bemerkenswerth ,  wie  willkührlich  die 
Europäer  jetzt  bei  der  Benennung  der  von  ihnen  in 
Amerika  und  Australien  erbauten  Orte  zu  Werke  gehen. 
Sie  stehen  in  diesem  Falle  in  einem  vollständigen  Ge- 
gensatze mit  den  (alten)  amerikanischen  und  australi- 
schen L'^r-Ein wohnern,  welche  die  Namen  ihrer  Berge, 
Flüsse ,  Inseln  und  etwaigen  Ortschaften  ganz  nach  den 
Regeln  der  sogenannten  Ursprache  bildeten. 

Noch  ist  zu  bemerken :  dafs  auch  der  Name  der  bei- 
den russischen  Flüsse  Bog  und  Bug  der  Profan -Sprache 
angehört.  Dieser  Name,  der  auch  in  dem  Flufsnamen 
Oyapok  (bog,  bok,  bug)  im  französischen  Südamerika 
vorkommt,  hat  nicht  eine  religiöse  Bedeutung,  wie  Man- 
che gewähnt  haben,  wenn  auch  Traditionen  darauf  hin- 
weisen sollten,  dafs  die  ehemaligen  heidnischen  Anwoh- 
ner der  genannten   Flüsse  die   ihnen   von  ihrer  Religion 


—     321     — 

vorgeschriebenen  heiligen  Abluitionen  hie  und  da  in  den- 
selben verrichtet  haben  (vergl.  Ganges,  Nil,  Jordan  u. 
s.  w.).  Der  Name  Bog  (Bug  ist  von  Bog  in  der  Bedeu- 
tung sehr  wenig  verschieden)  bedeutet  hier  einen ,  in  ei- 
ner ziemlich  hohen  Gegend,  die  aber  doch  nicht  so  hoch 
ist,  als  die,  in  welcher  der  von  den  Karpathen  kommen- 
de Flufs  San  flielst,  strömenden  Flufs,  und  er  ist  gene- 
ris  masculini,  wie  die  Flufsnamen-  Unstrut,  Donau,  Man- 
dau,  Amur,  Maranhon  u.  s.  w.  In  einer  etwas  abwei- 
chenden Form  begegnet  uns  der  Name  des  Flusses  Bog 
in  dem  italischen  Po  (bei  den  Alten  Pad-us,  Pag>-  Pog- 
us),  der  ursprünglich  aus  Po  und  oh  (von  Bog  ohnge- 
fähr  so  verschieden,  wie  Boh  von  Bog)  zusammengesetzt 
ist.  Bekannt  ist  es,  dafs  das  deutsche  Wort  Bach  (rivus) 
mit  dem  slavischen  Flufsnamen  Bog  auf  derselben  Na- 
turanschauung des  Allertliums  und  auf  derselben  Sprach- 
wurzel ruht.  Es  bezeichnet  einen  von  einem  mittleren 
Berge  herabkommenden  kleineren  Flufs  (Flüfschen)  und 
gehört  mit  Recht  dem  männlichen  Geschlechte  an,  weil 
alle  Bache,  insofern  sie  aus  Quellen  der  Berge  und  An- 
höhen entstehen,  hochfliefsende  Gewässer  genannt  wer- 
den, können. 


21 


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