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Full text of "Sämmtliche Schriften. Zum erstenmale vollständig gesammelt und hrsg. von Verwandten, Freunden und Verehrern des Verewigten; und mit einer Vorrede begleitet von. J.N. Grollmann"

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Johann Heinrich Jung's, 
genannt Stilling, 


Doktor der Arzneikunde und der Weltweisheit, Großherzogfich » Badifcher 
geheimer Hofrath, 


fammtlihe Schriften. 





3 um 


erftenmale vollftandig gefammelt und herausgegeben 


von 


Verwandten, Freunden und Verehrern des Verewigten. 





23 70 — 


Bd 
——— 

/)E 35 Dritter Band. 

Bd ; > Enthält: 

Siegsgefchichte der chriſtlichen Religion fammt 


Nachtrag, 
| 


nr anne nn ET BR TEE EEE EEE EN EEE, 
Stuttgart. 
J. Scheible's Buhhandlung. 





—X ce wi, 


1835. 


Siegsgeſchicht 


der 


BER Die 


. 


chriſtlichen Religion 


in einer 


‚gemeinnügigen Erklärung der Offenba— 
rung Johannis. 


— De — 





— —— — — ——— — 


Stuttgart. 
I Scheibleis Buchhandlung. 








1835. 


Unmerfung. 


Menn meine Leer Nutzen und Erbauung von biefem Bud) 
haben wollen, fo müffen fie ja nid;t hin und wieder Stüde her- 
auslefen, fo wie es ihnen die Neugierde eingibt, fondern fie 
müflen vorne an der Einleitung anfangen, und mit unpartheii: 
ſchem Gemüth dad Ganze ruhig und mit Gott ergebenem Her: 
zen durchitudieren, und im Licht der Wahrheit prüfen; 
theile und. vorgefaßte- Meinungen trüben. das. Bern. ia 
ben, und die Neugierde ſchwächt das ruhige Koran en ha 
wahren Sinn des Geiſtes der Weilfagung. 

















Einleitung. 


— — — — 


RR will den Wahrheit fuchenden Lefer nicht mit einer weit: 
laͤuftigen Vorrede aufhalten, fondern nur einige wichtige 
Punkte, die zum Verftand und zur Berichtigung des ganzen 
Werks durchaus noͤthig find, und daher vorher gelejen wer: 
den muͤſſen, erörtern, 

Bei. der Menge wohl oder übel gerathener Auslegungen 
der Apocalypſe könnte wohl Jemand gleich Anfangs bei Er- 
‚blidung ‚diefes Buchs mit Unmuth ausrufen, oder denken: 
Abermals eine vergeblihe Mühe! — wenn doc. die guten 
Leute aufhoͤrten, eine Weiffagung zu erklären, die, nicht er— 
Hlärt werden kanu! — Oder ein anderer glaubt: Bengel umd 
‚feine Nachfolger hätten dieſe Materie erfchöpft, wozu alfo noch) 
‚eine wiederholte Erklärung ? 

Diefen und Allen, welche gleich) Anfangs, ohne mein, Werk 
‚gelefen zu haben, darüber ſchon aburtheilen, lege ich folgen: 
des zur, Beherzigung ‚vor, und überlajje ihnen dann zu chun, 
was ihnen ihr Herz ſagt. 

Weder Ruhmſucht noch Geldſucht kounte mich zur Aus: 
arbeitung diefes Werks beftimmen; denn die Apocalppfe iſt 
„heut zu Tage, kein Gegenſtand dieſer Art; dann hätte ich, eut- 

„weder etwas aus der Kantifchen Philofophie, oder einen Mode- 
‚Roman. vor die Hand nehmen müfjen; . bloß allein. die Be— 
merkung, daß es jetzt ſehr viele gute und rechtichaffene Chris 
ſten gibt, die die wichtigen Vorfälle unferer Zeit mit Brucı- 
ſtuͤcken aus der Offenbarung Zohannis vergleichen, wo. fie 
dann einige Aehnlichkeit finden, alfofort urtheilen und glau: 
‚ben, fie, hätten, die Erfüllung der Weiffagung getroffen; hat 


6 Ginleitung. 


hat mich bewogen, diefe fchwere und mühfame Arbeit zu uns 
ternehmen. Es ift unglaublich, wie häufig jet die erhabes 
nen Hieroglyphen diefer heiligen Urkunde auf die gegenwärs 
tige Zeit angewendet werden; — im Ganzen trifft der 
allgemeine Forfchungsgeift der wahren Chriften ganz genau 
den rechten Punkt, und dieſes war zu wichtigen Zeitpunkten 
immer der Fall, folglicdy thut diefe göttliche Schrift ihre ge— 
hörige Wirkung; aber weil der menfchlihe Vorwitz die Um⸗ 
fände der Zukunft zu genau wiffen will, fo geht er dann 
leicht zu weit, er wähnt, raͤth und vermuthet, läßt auch wohl 
feinen Wahn, Errathung und Vermuthung befannt werden, 
oder gar drucden, und wenns dann hernach anders geht, fo 
grämt ſich der Rechtfchaffene, der Spötter fpottet laut, der 
Schwachglaͤubige fcheitert vollends, und der Urheber der 2% 
pothefe wird zu Schanden. 

Die Apocalypfe ift ein großes, fehönes und in allen Thei⸗ 
len zuſammenhaͤngendes Ganze; kein einzelner Theil laͤßt ſich 
fuͤr ſich allein und außer dem Zuſammenhange ſicher erklaͤren, 
man muß erſt den Zweck des ganzen Buchs wiſſen, und die— 
fer ift: Eine bildliche Vorherfagung der ganzen Gefchichte des 
Kampfs zwifchen dem Erldfer und dem Verderber de 
Menfchen = Gefchlechts, von Johannes an, bis in die Fünf: 
tige Ewigfeit hinein; jedes Bild hat da feine angewiefene 
Stelle, die ihm die Ordnung des Geſichts und deffen Erzaͤh—⸗ 
lung anweifet — dahin gehört ed, dahin muß auch feine 
Erfüllung gedeutet werden, und nirgends anders, und wenns 
auch noch fo wahrfcheinlich fchien. 

Diefes ift ein unumftdßlicher Grundfaß, den die Erklärung 
der Offenbarung Johannis in jeder Zeile beobachten muß, 
und wo das geichieht, da wird wenigftens in der Haupt: 
ſache nicht gefehlt; befolgt man aber diefe Negel nicht, fo 
geräth man auf Abwege, man verirrt fi, man mag aud) 
übrigens fo vorfichtig feyn, wie man will. Sch habe alfo 
rein und fo unparteiifch ald mir möglich) war, jenen Grund⸗ 
faß ins Auge gefaßt, und der chriftliche Lefer mag urtheilen, 
ob und in wieferne ich ihn befolgt habe. 

Die erfte Urfache alfo, warum ich diefes Buch gefchrieben: 


Einleitung, 7 


habe, ift: Die wahren Verehrer Jefu für die voreiligen 
und unreifen Anwendungen der einzelnen Bilder der Apocas 
Inpfe auf gewiffe Vorfälle unferer Zeit zu warnen, und ihnen 
die wahre Methode zu zeigen, wie diefes heilige Buch ges 
braucht werden fol. 

Hiezu fommt aber nun noch ein wichtiger Umftand: Der 
felige Prälat Bengel hat in den vierziger Fahren dieſes 
Jahrhunderts die Apocalypfe fo bearbeitet, erklärt und ins 
Licht gefegt, daß feit Johannis Zeiten bis auf den heutigen 
Tag Feiner unter allen Auslegern ihm an die Seite gefegt 
werden kann. Seine propherifche Zeitrechnung ift ein fo 
bewundernswürdiges Syſtem, daß ed Erftaunen erregt, ſo⸗ 
bald es deutlich erfannt wird; durch diefes Syſtem wird die 
Zeitrechnung der Welt nicht nur, fondern fogar das Zweifels 
hafte in gewiffen aftronomifchen Berechnungen berichtigt. 
Goͤttliche Offenbarung ift diefes Syſtem wohl nicht, aber, 
gewiß eine unter Leitung der Vorfehung entftandene höchft: 
wichtige Erfindung, wodurch nicht allein die geheimen Zeiten 
in der Apocalypfe, fondern auch in andern prophetifchen 
Schriften richtig entwickelt und beſtimmt werden koͤnnen. 
Wem die Bengelfchen Schriften zu weitläuftig und zu Fofts 
bar find, der findet alles diefes in folgendem Buch vortreffs 
lic) ausgeführt und berechnet: „Einleitung zu näherer und 
‚deutlicher Aufklärung der Offenbarung Jeſu Ehrifti, oder 
St. Johannis, nad Chronologie und Gefchichte, als Beis 
trag zum Beweis, daß Bengels apocalyptifches Syftem das 
Wahre fey. Karlsruhe 1785. bei Michael Madlot.“ 

Was aber nun diefem Syftem das größte Gewicht und 
‚den höchften Grad der Wahrfcheinlichkeit gibt, das ift: Daß 
es jo außerordentlich pünktlich eintrifft, und nad) Bengels 
Tod befonders, in unfern Tagen dergeftalt eingetroffen ift, 
daß gar Fein Zweifel mehr über deffen Wahrheit entftehen 
kann; aber eben diefer hohe Grad der Gewißheit in dem 
Dengelfchen Zeitrechnungsſyſtem, gibt nun feiner Apocalypfe 
‚überhaupt eine folche Autorität, daß man ihr nun in allen 
übrigen Stuͤcken blindlings glaubt; das ſollte man nicht thun, 
"weil der felige Mann in einigen Stüden das rechte Ziel 


‘8 Ginleitung. 


gewiß nicht getroffen hatz denn er hält die Erde für Afien, 
das Meer für Europa, die Ströme und Bäume fr Egyp⸗ 
ten, u. |. w. Daraus folgt alfo nun: Daß das Thier aus 
der Erden aus Afien entftehen muß. Da wir nun noch nichts 
von einem folchen Thier in Afien wiffen, fo ift e8 nad) Benz . 
gel noch nicht aufgeftiegen, und hat doch ſchon fo lange ſei⸗ 
nen Unfug getrieben, welches auch nach Apoc. 15. nicht an⸗ 
ders ſeyn kann. Erde, Meer und Ströme, wie auch die 
Baume, haben in der hohen Offenbarung verfchiedene, aber 
fehr regelmäßige Bedentungen, die man nicht verfehlen Fann, 
wenn man nur jedes Drts die Beziehung dazu nimmt, in 
welchen fie mit den übrigen Bildern ftehen, wie der Leſer in 
meiner Erklärung bald bemerfen wird. 

Dergleichen menſchliche Fehler, die im des vortrefflichen 
und frommen Mannes erflärten Dffendarung mit 
eiugeſchlichen ſind, machen nun, daß man noch vieles erwar⸗ 
tet, das ſchon unvermerkt voruͤbergegangen iſt, oder das ganz 
anders geſchehen wird, als man ſichs vorgeſtellt hat: woher 
es denn kommen kann, daß mans gar nicht bemerkt, und dar⸗ 
über die Termine verfehlt, u. ſ. w. Die Haupturſache von 
dieſer ſehr verzeihlichen Schwaͤche des großen Mannes lag 
wohl in ſeiner aͤußerſt gewiſſenhaften Aengſtlichkeit, ja bei 
dem trockenen Buchſtaben der Apocalypſe zu bleiben, weil er 
auch dieſen fuͤr goͤttlich halten mochte, welches doch gewiß der 
Fall nicht iſt: Nur da, wo ihm Chriſtus oder ein Engel et: 
was Ddictirt, wie 5. E. die fieben Briefe, da ift alles, auch 
der Buchſtabe goͤttlich; aber wo Johannes beſchreibt, was 
er geſehen und gehoͤrt hat, da bedient er ſich ſeiner ihm na⸗ 
türlichen Red: und Schreibarten, da müffen wir alfo auf bie 
Sachen und nicht auf die Worte feben, wenn wir ihn erklaͤ⸗ 
ren wollen. 

Dieſe buchſtaͤbliche Aengſtlichkeit merkt man in Bengels 
apocalyptiſchen Erklaͤrungen allenthalben, und beſonders auch 
in feiner Ueberfegung des Textes der Offenbarung. Hiezu 
kommt aber noch eins: Bengel ſowohl als feine Nachfolger, 
auch der ungenannte Verfaſſer des oben angeführten Carls⸗ 
ruher Buchs, Tegen den Theil der Offenbatung/ der entweder 


Einleitung. 9 


wirklich, oder nach ihrer Meinung noch zufünftig ift, wie ich 
ſehr fürchte, zu buchftäblic) und wenn ichs jagen darf, zu 
fraß aus; wenn das nun-in der nahen Zukunft nicht fo eins 
trifft; ſo fällt dann der Verdacht der Unrichtigkeit auf das 
ganze Bengelfche Syftem, oder gar auf die hohe Offenbarung 
felbft, welches ein unerfeglicher Schade für den Liebhaber 
des göttlichen Worts feyn wiirde, weil er dadurch gerade zu 
der Zeit, wo er diefed Wort der Geduld und der Hoffnung 
am nöthigften braucht, mißleitet und irve gemacht wird, 
Bengel felbft war noch am behutfamften, viele feiner Nachs 
folger aber find fo freimäthig, Tag und Stunden und Vors 
fälle fo genau zu beftimmen, ald wenn gar feine Frage mehr 
von. der Nichtigkeit der Beugelſchen Vermuthungen wäre, 
und das ift fehr mißlich und gefährlich. 

Die zweite Haupturfache, warum ich diefe Arbeit unters 
uahm, war aljo: Nach befiem Wifjen und Gewiſſen des jelis 
gen portrefflihen, und id mag wohl fagen, heiligen Mans 
nes Ehre, und fein herrliches Syftem für Mißverftand und 
Mißbrauch zu retten, und dadurch zugleich auch den Ehriften 
unferer Zeit den Weg zu beſſerer Einficht in die erhabene 
Meiffagung des neuen Bundes, zur Stärkung des Glaubens, 
zu bahnen, deren er in anfern Tagen fo fehr bedarf. 

Uebrigens find mir zwei Dinge in der Bengelihen Ers 
klaͤrung noch immer dunkel; Einmal ann ich nicht begreis 
feu, warumser die Briefe an die fieben Gemeinden für nicht 
prophetiſch erklärt, da fie doch, wenn fie das nicht find, fo 
ganz zwedlos da ſtehen? — und dann aud), warum er zweis 
mal taujend Jahre zum herrlichen Reiche Chriſti anfest, da 
doch dad Alles fein Syſtem fo wenig als die Offenbarung 
ſelbſt nothwendig macht? — Seine Gründe dazu find nicht 
überzeugend; der Leſer wird an den gehörigen Orten finden, 
warum ich Darin von ihm abgegangen bin, 

Dieſe zween Hauptgruͤnde mögen zu meiner Rechtfertigung, 
warum ich die Menge der Schriften über die Apocalypfe 
‚ Durch, die meinige noch vermehrt habe? genug ſeyn. Sch 
wende mic) aljo noch zum zweiten Theil diefer. Einleitung. 
Damit die-Lefer diefes Buchs, welches ſich auch, wie es 


10 Ginleitung. 


nicht anders feyn Tonnte, auf Bengels Zeitrechnungsfyften 
gründet, weil das höchft wahrfcheinlic) das Einzige Wahre 
ift, nicht nöthig haben mögen, des feligen Mannes, oder 
auch feiner Nachfolger Schriften zu kaufen, um die meinige 
zu verftehen, fo will ich diefes Syftem hier in der Kürze, 
aber doch hinlänglich vollftändig darftellen. 

Es gibt in der Apocalypfe zweierlei Zeiten: 1) Geheime 
prophetifche, und 2) natürliche Zeiten, fo wie wir 
fie im gemeinen Leben beftimmen. 

Die prophetifchen Zeiten werden entweder mit dem nemlis 
chen Namen benennt, den wir auch den natürlichen beilegen, 
ob fie gleich weit länger find, wie 3. B. die 42 Monate der 
Waͤhrung des Thiers; oder fie haben unbeftimmte Benens 
nungen, aber doch eine beftimmte Dauer, wie 3. B. die eine 
Zeit, zwo Zeiten und eine halbe Zeit des Weibes in der Wuͤ⸗ 
fien, und der Zeitlauf, welchen die Seelen unter dem Altar 
noch ruhen mußten, welchen Bengel den Chronus nennt. 

Die natürlichen Zeiten, welche in der Offenbarung vorkom⸗ 
men, find die 666 Fahre der Währung des Thiers, Kap. 13, 
DB. 18. und dann die 1000 Fahre des Reichs Chriſti auf 
Erden; beide werden im Text entweder ausprädlich, oder 
durch die Umftände ihrer Währung als folche beftimmt. - 

Da wir die natürlichen Zeiten Fennen, und wiffen, wie 
groß fie find, fo koͤnnen wir auch die geheimen prophetifchen 
Zeiten nad) ihnen beftimmen, fobald ein Schlüffel gegeben wird, 
welcher anzeigt, wie fich die leteren zu den erftern verhalten. 

Diefer Schläffel muß in der Offenbarung gegeben werden, 
fonft wären fie ganz zwecklos; denn fobald die apocalyptis 
fhen Zeiten, wenigſtens nicht ungefähr, beſtimmt werden 
fonnen, fo kann fie ald Weiffagung gar nichts nuͤtzen. 

Da es aber auch bei Weiffagungen nothwendig ift, daß 
fie bis auf einen gewiffen Grad dunfel bleiben, damit der 
Widerfacher den Plan Gottes nicht errathe, und auch aus 
eben dem Grunde die Zeitpunkfte, wo die apocalyptifchen Zeis 
ten anfangen, für den Glaubigen zwar hinlänglicy gewiß, 
für den Zweifler aber nicht deutlich genug beftimmt find, fo 
wurde auch jeder Schlüffel gleichfam ins Ganze verſteckt. Wer 
nun Weisheit hat, der mag ihn fuchen, 


Einleitung. 11 


Das 15te Kapitel enthält ihn; nirgend anders ift er zw 
finden. Dort heißt e8 im 5ten Vers: Und ed wurd ihm 
(dem Thier aus dem Meer) Gewalt gegeben, zwei und 
vierzig Monate lang zu wirken. Nach dem natürlichen 
Zeitmaaß wären dad drei und ein halb Jahr; da aber alles 
dad, was diefed Thier, der Weiffagung zufolge, ausrichten 
fol oder wird, unmöglich im einer fo kurzen Zeit gefchehen 
Tann, fo müffen diefe 42 Monate eine prophetifche Zeit feyn. 

Am Schluß diefes dreizehnten Kapiteld im 18ten Vers 
beißt es nach meiner gewiß richtigen Ueberfegung: Hier ift 
die Weisheit — wer Beurtheilungsfraft hat, der bes 
rechne die Zahl des Thiers; denn es ift eine Menfchenzahl, 
und die Zahl defjfelben ift fechs hundert ſechs und fechzig. — 
Bengel, der ungenannte Verfaſſer ded Garlsruher Buchs, 
und ich, haben bei diefer Stelle bewiefen, daß diefe 666 die 
Anzahl der Regierungsjahre des Thierd aus dem Meer nach) 
menfchlicher Nechnungsart beftimmen; die übrigen Anwens 
dungen der Zahl 666 auf gewifje Namen oder Sachen wers 
den deswegen dadurch nicht ausgefchloffen. Da nun bier 
dem, der Beurtheilungsfraft genug hat, dad Rechnen anges 
rathen wird, und da es ausdrüdlich heißt: Hier ift Die Weis: 
heit — und über das Alles, da die Gefchichte des laufenden 
1789ften Jahrs die vollfommenfte Wahrheit diefes Syftems 
der 666 Regierungs- oder Gewaltjahre befiegelt ; fo liegt der 
Schlüffel ganz zuverläßig in diefer Stelle. 

- Da in den Morgenländern Mondenjahre gebräuchlich waren, 
fo lauter diefer Schlüffel ſo: 

42 prophetiihe Monate geben 666 Mondenjahre, wie 
viel gibt 1 prophetifcher Monat? — fo läßt fih auch nun 
berechnen, wie groß eine prophetifche Sekunde, Minute, 
Stunde, Tag, Woche und Jahr fey? 

Zu einer beiläufigen Zeitbeftimmung wäre dieß wohl ges 
nug; da aber durch die Berechnung der prophetifchen Zeiten, 
welche eine unbeflimmte Benennung haben, nemlich der 
viertehalb Weibszeiten, der wenigen Zeit des Drachen, und 
des Chronus der Blutzeugen unter dem Altar, jene 666 noch 
genauer beftimme werden, und dadurch dann erſt das voll. 


12 —Einleitung. 


kommene Bengliſch⸗Apocalyptiſche Rechnungsſyſtem, wel⸗ 
ches zur Beſtimmung aller prophetiſchen Zeiten in der Bibel, 
umd fogar zur Berichtigung aftronomifcher Berechnungen, und. 
der gefammten: Weltdauer fo vortrefflich iſt, vollendet, die 
apocalyptiiche Progreffion dargeftellt wird; fo muß man num 
auch noch zuerſt diefe Zeiten von unbeftimmter Benennung 
ausfindig machen: dann erft kaun jene Berechnung der erften, 
propherifhen Zeiten aufs genaufte zu Stande gebracht. werden. 

Das Wort Zeit ift an fich ein unbeftimmter Ausdruck, 
und kann anders nicht ald durch Vergleihung mit beſtimm⸗ 
ten Zeiten oder Zeitmaaßen verfiändlich gemacht werden. 

Bengel, und der ungenannte Verfaſſer des Carlsruher 
Buchs gehen einen aͤußerſt ſchweren und muͤhſamen Rechnungs⸗ 
weg, auf welchen ihnen wenige meiner Leſer werden folgen 
koͤnnen, dagegen ift er aber dann auch ficher und in hohem 
Grad überzeugend. Sch fuchte daher einen andern, jedem 
meiner Lejer verftändlichen Auffchluß über diefe geheime uns 
beftimmte Zeiten, und fand zu meiner Bewunderung den 
Schlüfjel dazu ebenfalld in der Zahl 666 —! auc) Diefer 
Aufſchluß ift fiher und vollfommen überzeugend. 

Die Zahl 666 befteht aus drei Gliedern, nämlich 600, 60. 
und 6; jedes diefer Glieder ift nun zwar eine Zeit, aber bie 
- zweite ift zehnmal länger ald die dritte, und die erſte zehn 
mal länger ald die zweite; indefjen ftehen einmal dreimal 6 
da, und jede diefer 6 bezeichnet eine Zeit; die Zahl 666 bes 
ſtimmt alfo Feine zwei, Feine vier, fondern genau drei Zeiten. 

Wenn ich alfo mit 3 in 666 dividire, fo befame ic) 222 
Jahre zu einer Zeit, folglich 111 zur halben Zeitz diefe 111 
find auch darum merkwürdig, weil nach einer alten Zradis 
sion 111 Päbfte feyn werden, und man fchon lang 6 Jahre, 
als das mittlere Verhältniß der Regierungsiahre eines Pab⸗ 
fies, angenommen hat. Man fehe meine Erklärung über den 
18ten Vers des 15ten Kapitels; wenn ich 111 Päpfte mit 
6 Regierungsjahren innleiplieite,, fo kommt wieder Die Zahl 
666 heraus, 

Diefer Sat ift nun zwar a priori angenommen und nichts 
weiter als eine Hypotheſe; nimmt man aber nun den Bes 


Einleitung 15 


weis a BEER“ der Gefchichte hinzu, fo wird er ges 
wiß und überzeugend. (Man lefe hier meine Erklärung des 
fo eben angeführten 18, Verſes des 15. Kapitels.) Sm Jahr 
1059 begonn der gte Flug des Sonnenweibes in die Wüfte, 
Kap. 12. V. 14. und im eben diefem Jahr begann auch die 
erfte entfernte Anftalt zum Auffteigen des Thiers aus dem 
Meer; von hier an laufen nun die viertehalb bene 
mit den Thiereszeiten nebeneinander fort. 

: Das 1725fte Jahr iſt fo wichtig in den viertehalb Zeiten 
des Sonnenweibes, daß es mothwendig eine Hauptepoche 
ausmachen muß. S. meine Erflärung des 14ten Verſes 
des 21. Kapiteld, Da nun im Fahr 1059 die viertehalb 
Zeiten anfangen, und von da an bis 1725 genau 666 Jahr 
verfloffen find, fo muͤſſen diefe 666 Jahr eim merfwürdiger 
und beftimmter Theil der viertehalb Zeiten feyn. 

_NB. Bei der Anwendung der Apocalytifchen Zeitrechnung 
auf die Gefchichte, um der Erfüllung der Weiffagung nachzu⸗ 
fpüren, braucht man Auf den Heinen Unterfchied zwifchen 
Mond : und Sonnenjahren nicht Nücficht zu nehmen, denn 
die alte Gefchichte erzähle die Umftände nie fo genau, daß 
man die Erfüllung auf Tage und Stunden beftimmen koͤnnte. 

Wenn diefe 666 eih beftimmter Theil der viertehalb Zei⸗ 
ten find, fo muͤſſen fie entweder eine halbe oder eine ganze, 
oder zwei, oder drei Zeiten ſeyn. Mären 666 Jahre eine 
halbe Zeit, fo Beträgen die viertehalb Zeiten 4662 Jahre; 
wären fie eine ganze Zeit, fo betrügen fie 2551 Jahre, und 
wollte man fie als zwei Zeiten, folglic 355 für eine Zeit 
anchmen, fo machten die MWeibszeiten 11654 Jahr aus; 
alle drei Summen aber find viel zu groß, und paffen gar 
nicht zum Ganzen der Apocalypfe. 

1 Es bleibt alſo nichts anders übrig, als die 666 Jahre 
muͤſſen entweder drei oder gar viertehalb Zeiten felbft feyn; 
im legern Fall muͤßte im Jahr 1725 das Schickſal des Sons 
nesweibes entfchieden worden feyn, das ift aber nicht der 

‚Bil; ; denn fie lebt noch immer in der Wüfte fort, folglich 

eibt nichts anders übrig, als daß die 666 Jahre dreien 


— und daß 222 Jahre eine Zeit ausmachen. 


1% Einleitung. 


> Die viertehalb Zeiten werden alfo beftimmt: Wenn ich eine 
Zeit 222, zwei Zeiten 444, und eine halbe Zeit 111 zuſam—⸗ 
men addire; gefchieht diefes, fo befomme ich 777 Jahre für 
die viertehalb Zeiten des Sonnenweibes in der Wüften. 

Hier entdecken fi) nun fchon die Bruchftüde der berühms 
ten apocalyptifhen Progreffion, welche der felige Prälat 
Bengel erfunden, und wodurd) er fo viel geleiftet hat. Die 
falſch berühmte Auffläsung fucht aber dieß Licht mit Gewalt 
unter den Scheffel zu verſtecken, welches auch Fein Wunder 
iſt; denn man möchte zu viel dabei fehen. 

Nach den, was wir nun gefunden haben, wäre eine halbe 
Zeit von 111 Jahren der Maaßſtab oder das mefjende Glied 
diefer Progreffion, und müßte folgendergeftalt geordnet werden: 
411 — 222 — 355 — 444 — 555 — 666 — 777 — 
833 — 999 — 1111 u. f. w. 

Sp ſchoͤn und regelmäßig aber nun auch) diefe ö 
iſt, und ſo genau ſie auch in jeder Erfuͤllung zutrifft, indem 
alle apocalytiſche Zeiten in ihren Gliedern gefunden werden, 
fo fand doch Bengel, daß noch eine Hauptzahl der Offen: 
barung Sohannis, nemlidy die taufend Sahre fehlten — die 
999 Fahre kommen zwar der Dauer des taufendjährigen Reichs 
Ehrifti ſehr nahe, aber fie find doch Feine taufend Jahre; er ges 
zieth alfo aufden Einfall, fie durch einen Bruch auszudrücken, 
und diefen dann auch) durch die ganze Progreffion, nach dem 
nemlichen Maaßſtab fortgehen zu laffen, er verwandelte alfo 
die taufend Fahre in 9992, und Damit war die Sache berichtigt. 

Durch diefen Bruch) befommt nun die apocalyptifche 
Progreffion folgende Geſtalt: 1) 111 3 — 2) 222 3 — 
5) 3555 8 — A) 444 5 — 5) 5  — 6) 6 — 
7) 777% — 8) 888 & — 9) 999 2 — 10) 1115 — 
jeßt ift diefes bewundernswürdige Syſtem vollftändig, und 
man wird in meiner folgenden Erklärung der Apocalypfe fes 
hen, wie genau ed zutrifft; und was ed in aftronomifchen 
Berechnungen leiftet, das findet man in oftgedachtem Carls⸗ 
suher Buch ausführlich, fo daß mans ohne —** nicht 
leſen kann. 


Ein Haupteinwurf, den vernünftige Dinner gegen diefe 


4 
| 


- 


Einleitung. 15 


- Berechnung gemacht haben, und der ſich auch mir anfänglich 


aufdrängte, als ich Bengeln las, ift folgenders Bei der heis 
ligen Einfalt, die man durchgehends in der Bibel findet, 
und wodurch fie fo ehrwärdig und gemeinnüßig wird, kommt 
einem eine folche tieffinnige, Fünftliche, mathematifche Ope⸗ 
ration ganz widerfinnig vor; man Fann fi) des Gedankens 
nicht erwehren, daß der fromme Johannes, der wohl fchwers 
lich in feinem Leben rechnen gelernt hatte, gewiß an Ben 
geld apocalyptifche Progreffion nicht dachte — allein diefer 
fo fcheinbare Einwurf ſchwindet im Augenblid, fobald man 
fih die Sache nur aus dem rechten Geſichtspunkt vorftellt. 
Gewiß ahndete Zohannes von diefer Progreffion nichts — 
aber der Geift der Weiffagung legte fie gewiß deswegen hin— 
ein, damit fie Bengel im achtzehnten Jahrhundert zur Glaus 
bensftärfung feiner Zeitgenofjen finden möchte. Man wird 
mir doch zugeben, daß der heilige Geift rechnen, und alfo 
auch den Propheten Geheimniffe dictiren oder vorftellen kann, 
die fie wohl fchreiben, aber deswegen noch nicht verftehen 
koͤnnen! — Man lefe nur, was der Engel zu Daniel fagt: 
Es würden in den leiten Zeiten viele in feiner verfiegelten 
Schrift großen Verſtand Pens und dieß gilt auch hier. 
Dan. 12. V. 4. 

Bei dem allen aber muß man denn doch immer noch in 
Anwendung des Bengelſchen Regierungsſyſtems auf die zus 
fünftigen noch nicht erfüllten Weiffagungen fehr vorfichtig 
feyn; man darf wohl nach feiner Anleitung glauben und 
hoffen, aber nicht gewiß wiffen; denn jede Weiffagung muß 
bis zur Erfüllung einen Grad von Ungewißheit behalten, 
damit ihre Erfüllung nicht gehindert werde. 

Jetzt will ich nun auch die apocalyptifche Progreffion auf 


die Weiffagung felbft anwenden : 


E 


1) 111 5 Fahr find die halbe Zeit des Sonnenweibes. 
2) 222 3 machen eine ganze Zeit aus. 

5) 555 3 findet in der Apocalypfe Feine ausgefuchte Stelfe, 
fie machen anderthalb Zeit aus, und jeigen die Dauer 
der Herrfchaft des Heidenthums über das Chriftenthum, 
bis zur Einweihung der Stadt Conftantinopel an, die 
im 354ften Jahr nach Ehrifti Geburt geſchah. 


16 Ginleitung. 


4) 444 8 find die zwo Zeiten des Meibes. 
5) 555 :&: haben auch in der Apocalyfe noch Feine Stelle 
gefunden, aber nad) Bengeld vortrefflichen Beweis, 
beftimmen fie Daniels 70 Zahrwochen fehr genau. 
6) :666 £ ift die Schlüffelzahl, die Zahl der Regierungs— 
jahre des Thiers, gleich 42 prophetifchen Monaten. 
7) 777 3 machen die gefammten viertehalb Weib. zeiten aus. 
8) 888 & beftimmen die wenigen Zeiten, die der Drache 
nach feinem Sturz aus dem Himmel auf die Erde, hier 
‚zu wüthen noch Zeit hat; fie fangen vor den Weibszei⸗ 
ten an, und hören mit denfelben auf, folglich müffen 
fie länger feyn. 
9) 999 2 find taufend Sabre des herrlichen Reichs Ehrifti 
auf Erden; und 
10) 1111 # machen den Chronus oder den Zeitlauf aus, 
den die ‚Seelen unter dem Altar noch ruhen follten, und 
der. der Thyatirifchen Sefabel zum a vergoͤnnt 
wurde. 
Der: Nicht» Chronus des re Engels Rap. 10. 
V. 6. fällt zwifchen die Glieder 999 % und 1111 3 

Aus .diefer anasalaptiichen Progreffion, und zwar —* der 
Schluͤſſelzahl 666 $ laffen ſich nun auch die prophetiſchen 
Zahlen beftimmen, "toelche gewöhnliche Benennungen haben, 
Wenn aljo 42,prophetifhe Monate 666 5 gewöhnlichen Jah⸗ 
„zen ‚gleich. find, ſo beträgt 
v3 Stunde, Off. Joh. 8, B. 1. 4 Tage, 2 Stunden 10 Minuten. 
„2 Stunde, Kap. 9.8: 15. 8 Tage, 2 Stunden 20 Minuten, 


4 Tag, ebendaſelbſt . . +.196 Zage,und fall 8 Stunden, 
4260 Tage des Weibes in der 


Wüſten, Kap. 12. ©. 6. 677 Sahre, 97 Tage. 
Jahrwoche Daniels. 73.542 T. 1St. 15 Min. 36 Sec. 
4 Monat, Off. Soh. 9. V. 15. 15 Fahr und 318 Tage. 
5. Monat, Kap. 9. V. 15. 79 Jahr, 19 Wochen, 1 Tag. 
4 Jahr, Kap. 9. V. 15. 196 Fahr, 147 Tage, 15 Stunden. 


4 St. 1 Tag, 1 Mon. 1 Jahr, ae, 6; 
ebendafeldft, zufammen . . 212. Saht, 275 Tage, 12 Stunden. 


Sest wären nun alle apocalyptifche Zeiten, fo viel ihrer 
Re — find, bekannt und aufgelöst. 


. Einleitung. 17 


Die Zeitene Progreffion und diefe beftimmten prophetifchen 

Zeiten treffen im’ den Monaten ohne Bruch zuſammen. Denn 
111% gemeine Zahre,. oder eine halbe Zeit ift 7 propheti⸗ 
ſchen Monaten gleich 5 folglich kann auch die Progreffion nach 
lesterer Benennung won 7 zu 7 Monaten  fortgehen; als 
1114 glei 7,'222% glei) 14, 5353 glei) 21, 444% gleich 
98, 5555 gleic) 35, 4666% gleich 42, 7775 gleidy 49, 8888 
gleich 56, 9998 gleich 65, und A111} ee 70 prophetifchen 
Monaten. - r 
Wollte nun einer — Warum doch die * ſonderbar⸗ 
Zahl von 2292 gewöhnlichen Jahren als ein allgemeines bes 
ſtimmtes Zeitmaaß — als eine Zeit — in der Apocalypfe 
angenommen würde? — fo dient ihm hierauf zur Antwort: 
Darum, weil 222% unferer irdifchen Jahre gerade den Maaß—⸗ 
ftab ausmachen, durch welchen der Lauf aller himmlifchen 
Körper ohne Bruch und ganz regelmäßig: beftinme,'wird. 
Menn einer unfterblich wäre , und das ganze All des Sons 
nenſyſtems bewohnte, ſo konnte er feine Dauer und die Ges 
ſchichte nicht anders abmeffen, als nach allgemeinen, in der 
ganzen Schhpfung „gültigen Zeiten, und jede — 
enthielte dann 2225 unſerer irdiſchen Jahre. 
Be die Mühe geben, und. das wichtige Buch: ‚Bens 
—— 8, oder fonderbare Betrachtung des großen: Welt— 
jahrs, oder auch nur das oft angeführte Carlsruher Buch, 
aufmerkſam lefen und ftudiren will, der kann unmöglich mehr 
an der Wahrheit und Nichtigkeit der apocalpptifchen Progrefs 
fion, aber auch dann eben fo wenig an der Göttlichfeit und 
ganz vorzüglichen Sufpiration der Offenbarung Zohannis 
zweifeln. Denn kein Johannes in der Welt war im Stand, 
vor 1700 Sahren einen Schlüffel: zu. einem aftronomifchen 
Syſtem zu erfinden, zu dichten, oder zu phantafiren, das 
man nur erſt nach langfamen und muͤhſamem Fortfchritt in 
diefem Jahrhundert jo ziemlich ind Reine gebracht hat, und 
das fogar durch jenen Schlüffel vollender wird! — 

Wen das nicht rührt, dem ift nicht zu helfen — ich Fenne 
feinen Aıkern Beweis für die Göttlichfeit der Apocalypfe als 
dieſen. — Wehe dem, der diefe erhabene ans ver⸗ 

Stillingk mmti. Schriften. itt. Band. 


18 Einleitung. 


wärft, ‚oder nur geringſchaͤtzt, beſonders jeßt, nachdem die 
Vorfehung auch noch diefen Grund des Glaubens hinzu ge= 
than hat. 

Jetzt gebe ich num in Gottes Namen mein Buch der Lefes 
welt in die Hände. Die Gelehrten von der. falfchen Aufklaͤ⸗ 
rungsparthei, alle Neologen und Philoſophen mögen nun las 
chen: oder weinen, ‚fpotten oder ſchimpfen, das Alles thut 
mir nicht einmal an der Singerfpige wehe, gefchweige am 
Herzen. Wenn aber ein wahrer Freund Gottes, Ehrifti und 
der Bibel etwas findet, das ihm nicht recht ift, fo widerlege 
er mich nur nicht. dffentlih: Denn dieß macht die redlichen 
Lefer irre; fondern er fehreibe nur feine Gedanken oder Eins 
wendungen an den Derleger diefes Buchs, diefer foll fie mir 
zuſchicken, und ich will fie dann in meinen apocalyptifchen 
Nachträgen, die ich nad) und nad) Heftweife herauszugeben 
gedente, abdruden laffen, und dann aufrichtig beantworten; 
auch wenn ich Fehler an meinem Werk bemerfe, oder neue 
Entdefungen made, fo foll das Alles in jenen Nachträgen 
berichtiget und mitgetheilt werden. 

Zu meiner Veberfegung der Apocalypfe habe ich mid) des 
Bengelichen griechiſchen neuen Teſtaments bedient, weil fols 
ches von den bewährten Theologen als eins der genaueften 
und correcten angefehen wird. — Der Geift Sefu Chriſti werde 
Fuͤhrer und Regierer aller derer, die dieß Werk leſen Amen! 








— ———— — rn 


Das erſte Kapitel. 
1. Die Offenbarung Jeſu Chriſti, 


welche ihm Gott gegeben hat, feinen Knechten zu zeis 
gen, was fchnell nacheinander gefhehen muß; und bat 
es in Sinnbildern 

9, vorgeftellt, da er es durch feinen Engel feinem Knecht 
Johannes fandte, welcher das Wort Gottes und das 
Zeugniß Jeſu Chrifti, info ferne er Augenzeuge 
gewefen, 

5. auch bezeugt hat. Selig find Lefer und Zuhörer der 
Worte diefer Weiffagung, wenn fie denn auch bewahs 
ren, was darin gefchrieben iftz Denn die Zeit ift nahe. 


So lautet der feierliche Titel diefes Buchs, das an Erhas 
benheit der Bilder und an Wichtigkeit des Ausdrucks in der 
ganzen Bibel feines gleichen nicht hat. Wenn auch die Gots 
tesgelehrten Feine äußere und die ftrengfte Kritifaushaltende 
Beweife für die kanoniſche Gültigkeit defjelben: aufgefunden 
‚hätten, fo würde es doch der wahre und unpartheiifche Bis 
belfreund und Bibelfenner bald an der Sprache erfennen, 
So dichtet weder ein alter noch ein neuer Dichter, und man 
füplt alfofort, daß ein höherer Geift im ganzen Buch weht, 
als in irgend einem Werk des menfchlichen Genies. . Indeſ⸗ 
fen find doch nun auch wieder gelehrte Theologen darum eins 
ſtimmig, daß. dieß Buch kanoniſch, bibelwärdig und wirklich 
von dem Evangeliften Johannes gefchrieben worden fey. 

Die Aufihrift Heißt: Die Offenbarung Jeſu Ehrifti, 
oder: Die Offenbarung der göttlichen Rathfchlüffe über: die 
riftliche Religion und ihre Verehrer, von dem dermaligen 
Zeitpunft an, bis zu feiner herrlichen Wiederfunft, an Jeſum 
Chriſtum ſelbſt. Diefer unfer Herr und Heiland wußte wäh: 
vend feinem Pilgerleben hienieden, felbft diefe Rathſchluͤſſe nur 

2 * 


20 Erklärung der Offenbarung Johaunis. 


gleichſam im dunfeln Blicke, wie foldhes aus Matth. 24. 
V. 56. Marc. 15. V. 52. und Ap. Geſch. 1. V. 7. Klar 
erhellet; nachdem aber das Lamm gefihlachtet war, feinen 
Sit zur Rechten des Vaters genommen, und nun bie fieben 
Siegel, womit dad große Dokument des göttlichen Regie: - 
rungsplans zugefiegelt worden, eröffnet hatte, jeßt wußte Er 
feibft diefen Plan,’ nach welchen Er von da an die Regierung 
feiner Chriftenheit einzurichten.hatte. Eben diefe Entdedung, 
die der zum Meltregenten erhobene Erlöfer in Anfehung der 
‚göttlichen Rathſchluͤſſe gemacht hatte, wollte Er nun aud) ſei⸗ 
nen Dienern. mittheilen, aber ſo, ‚daß nur geübte und dazu 
auögerüftete Chriften zu jeder Zeit das, was fie anginge, darz 
aus erkennen, und ihren Zeitgenofjen erklären Fonnten. Des—⸗ 
wegen wurde Alles in magjeftätifche, geheimnißvolle Bilder, 
gleichfam in Hieroglyphen verhüllt, die alfo nur. der verſte— 
hen fonn, der ſich mit dem Geift der Weiffagung befannt und 
vertraut gemacht hate ©. 25 
Es ift ganz natürlich, daß Weiffagungen diefer At nie 
ganz deutlich ſeyn dürfen; denn wenn fie jedermann verſtaͤnd⸗ 
lich wären, fo fünnen fie nicht erfüllt werden, weil die Feinde 
ſich wohl hüten würden, das Ihrige zur Erfüllung beizutra⸗ 
gen; indefjen würden fie doch auch ganz ohne Nugen feyn, 
wenn fie Niemand verftünde, daher fanden ſich in jedem Zeit- 
punkt Männer, die ihre Auffchläffe über die Propheten, und 
befonders auch über die hohe. Offenbarung, die: wir jetzt vor 
uns haben, ihten Zeitgenoffem mittheilen; wäre. es nur immer 
mit der gehörigen Vorficht gefchehen! — aber das war: felten 
der Fall, .man wagte: fich weiter, ald man. hätte thun follen, 
und fchadete dadurch mehr, als man nüßte. Der Herr ſchenke 
mir die Gnade, daß ich dieſe Klippe vermeide! fi 

Alfo, Gott gab dieſe hohe Offenbarung feinem Sohn Sefu 
Chriſto, und nachdem fie Diefer empfangen, fo fandte Er fie 
auch feinem Kieblingsjünger, dem Apoftel Johannes; Damit 
er fie ferner ausbreiten und den Dienern unfers Herrn zeigen 
möchte, wie es mit der chriftlichen Religion fernerhin gehen, 
und was für Schiefale die Anhänger Jeſu bis zu feiner Mies 
derkunft haben würden, | Der Apoftel Johannes, welcher die 


j Kap. 1. V. 1. 2. 3 21 


ganze Geſchichte dieſer Offenbarung in Form eines Briefs 
abfaßt, macht ſich denen Freunden, an die er damals dieſen 
Brief ſchrieb, durch eine Beſchreibung ſeiner Perſon kenntlich, 
damit ſie nicht etwa einen audern Johannes, als ihn, fuͤr 
den Verfaſſer auſehen möchten; darum ſagt ers Er.fey ber 
Sohaunes, der das Wort Gottes gelehrt, und ald Augenzeuge 
das Zeugniß von Jeſu Chrifto bezeugt habe. 

Es iſt aber in dieſem Titel dieſes wichtigen Buchs ein 
Ausdruck, über den ich mich erklaͤren muß. Es heißt nem⸗ 
lich: feinen Anechten zu zeigen, was ſchnell nacheinan— 
der geſchehen muß; Luther hats überfegt: Was in der 
Kürze gefhehen foll; dies ift aber nicht ganz richtig, 
denn das griechifche Wort bedeutet — in Gefhwindigfeit — 
daher muß mans fo verſtehen: Alles, was hier geweiffagt 
wird, foll fehr fchnell auf einander fölgen, alles foll in ges 
drängter Geſchwindigkeit gefchehen, wenn au das Ganze 

viele Jahrhunderte ausfüllen folffe; man kann es ganz deutz 
Lich machen, ‚wenn mans fo umfchreibts „Seinen Knechten 
„die Menge von wichtigen Gefchichten zu zeigen, die in achts 
ehenhundert und mehreren Fahren im Neich Gotted auf 
„Erden, in gedrängter Geſchwindigkeit auf einander folgen, 
„ſich gleihfam unter einander ablöfen, und nun in Kurzem 
„anfangen. follen, 
‚Endlich enthält diefer Titel noch etwas, das ſehr merk⸗ 
1— wiirdig ift, nemlich e8 heißt; Gott habe Ehrifto diefe Dffens 
barung gegeben, und dann fey fie durch einen Engel an Jo⸗ 
Dannes gefandt worden. Hiedurch werden wir gelehrt, wie 
der Apoftel zu den erhabenen Gefichtern gefommen ſey: Nems 
lich ein Engel fegte ihn in einen Zuftand der Entzuͤckung, und 
fellte ihm nun, wie in einem Tebhaften Traum, alle die 
- Bilder und merfwürdigen Dinge vor, die er und befchreibt 
und Hinterlaffen hat. Ob nun der frohe und erhabene Scher 
‚wirklich während dem Geficht alles aufjchrieb, wie aus. dem 
 »10ten Kap. V. 4. zu vermuthen ift, oder obs * ger | 
ſchehen ſey? das kann und gleichgültig ſeyn. 
Die letzten Worte: Selig, oder auch gluͤcklich ſind 
Leſer und Zuhoͤrer der Worte dieſer Weiſſagung, wenn fie 


22 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


auch dann bewahren, behalten und bewachen, was barinnen 
gefchrieben fteht, denn die Zeit ift nahe! — wollen fo viel 
ſagen: Ihr, und alle, denen diefe Weiffagung zu Gefiht und 
Gehör kommt, feyd fehr glückliche Menfchen, wenn ihr euch 
dadurch warnen, unterrichten und zur wahren Befehrung leis 
ten laffetz denn der Anfang der göttlichen Gerichte ift nahe 
vor der Thuͤr; umd wirklich, es dauerte auch nicht lange, fo 
fingen die furchtbaren Gerichtöreiter ihre Erefution an, wie 
im Verfolg erhellen wird. 

Liebe Lefer! während der ganzen Zeit, von der Publika⸗ 
tion diefer Offenbarung Johannis an, welches jet gerad 
1700 Sahr find, war immer dieſe Ermahnung, oder viels 
mehr diefer Segenswunſch über alle, die den rechten Gebraud) 
davon machen, gültig und wichtig; aber doch nie wichtiger, 
als jeßt, da fi) num die ganze Weiffagung dem Schluß naht, 
und die ganzliche Enthällung des Geheimniffes Gottes vor 
ber Thür ift: Selig find, die jeßt diefe Weiffagung recht 
benutzen, denn wahrlich! die Zeit iſt nahe. 

Nun folgt der große merkwuͤrdige Brief des Apoſtels Jo⸗ 
hannis felbft, und zwar zuerft der Gruß und RER 
nach morgenländifcher Art, folgender Geftalt: 


4. Johannes an die fieben Gemeinden im 
AUfien! Gnade euch! — und Friede, von dem 
der ift — war — und kommt — und von den fies 
ben ©eiftern, die vor feinem Thron find, 

5. Und von Jeſu Chrifto, dem treuen Zeugen, dem 
Erftgebornen der Todten, und dem Fürften der Erdens 
Könige, der ung geliebt, und in feinem Blut von unfern 

6. Sünden gewafchen, auch ung zum Königreich, zu Pries 
ftern feines Gottes und Vaters gemacht hatz Ihm ‚iey 
Herrlichkeit und Gewalt in die Ewigkeiten. Amen! 


Welch ein Gruß! — liebe Leſer! und von wen? — Ach, 
wenn und doch der Ewiglebende, der Jehovah, der fieben- 
flammigte Geift, und Jeſus Chriftus, der Regent aller Res 
genten, auch fo grüßen ließe! — Sa wirkli! diefer Gruß 
gilt aud) uns: Denn wie fünnte er die fieben afiatifche Ge⸗ 


Kap. 1. V. 4. 5. 6. 95 


meinden allein angehen, da der Inhalt des Briefs bis’ and 
Ende der Welt dauert — alfo auch für alle und an alle ges 
fchrieben feyn muß? — Diefe Offenbarung Jeſu Ehrifti iſt 
ein Manifeft des Königs aller Könige an alle feine Unterthas 
nen und Diener, von der damaligen Zeit an, bis and Ende 
der Tage. Warum aber hier nur die fieben Gemeinden ges 
nannt werden, was es damit für eine Bewandtniß habe, 
und wie fie gleichfam Stämme oder Vorbilder aller Chriften 
bis an die Vollendung des Geheimniſſes Gottes find, dar⸗ 
über werde ich mich im Verfolg erklären. 

Die Apoftel gruͤßen immer mit Gnade und Friede, dem bes 
ften geiftlihen Gütern, die der Ehrift nur wünfchen kann; 
der Befi der Gnade Gottes, und der Genuß des innern Gots 
tes = Friedens, der über alle Vernunft geht, diefe beide find 

Schon Seligkeit auf Erden. Aber ganz anderd, old in allen 
andern apoftolifchen Briefen, iſt hier die Befchreibung defs 
fen, der grüßen läßt: Paulus, Petrus und die übrigen Apos 
fiel grüßten gewöhnlich von Gott dem Vater und feinem 

- Sohn Jeſu Chriſto; aber hier Flingt es in einem erhabenern 

Ton: Gnade euh —! — und Friede von dem Seyens 

den, der jeßt da ift — von dem, der immer war, und 
von demin Zufunft Kommenden, von den fieben Geis 

ſtern vor feinem Thron, und von Jeſu Chrifto u, f. w. 

Hier find nun folgende Punkte zu bemerken: 

1) Johannes hat wenigftend den Eingang in diefen Brief 
vom Iften bis zum Sten Vers nachher gefchrieben, als er 
mit den Gefichtern fertig war; denn in diefem Gruß zielt er 
. auf dad, was er hernuach fahe, ald er im Geifte hinaufftei: 

gen mußte, um den Thron mit aller feiner Herrlichkeit zu 
ſehen. ©. Kap. 4. Da wurde er erft die fieben Geifter Gots 

tes gewahr; und im Verfolg entdeckt ſich ihm erft Der, der 

‚it, war und fommt. MWahrfcheinlich fehrieb alfo der Apo⸗ 
ftel während dem Geficht alles auf, und nachher feßte er dies 

fen Gruß daran. 

2) Es it merkwürdig, daß hier gerade der Name Gottes: 
Der ift, war und fommt, oder feyn wird, vorfommt, mit 
welchem fi) Gott dem Mofe auf dem Berge Horeb nach 


‚RN 
— 


24 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


2 Moſ. 5. V. 14. bekannt machte, welches alles auch der 
Name Jehovah ausdruͤckt. Hierauf laͤßt dann der Apoſtel 
auch die ſieben Geiſter folgen, die vor dem Thron des Jeho—⸗ 
vah ſind, weil dieſe auch noch zum alten Bund mit gehoͤren, 
und durch dem ſiebenflammigten Leuchter vor dem Allerheilig— 
ften in der Stiftshätte und hernach im. Tempel abgebildet 
wurden. Man koͤnnte alſo dieſen majeſtaͤtiſchen Gruß fo ums 
ſchreiben, und deutlich machen: „Gnade euch! und Friede 
„von dem Jehovah, der die Erzvaͤter leitete, Egypten bes 
„kämpfte, richtete und ſiegte, der Iſrael mit mächtiger 
„Hand nach Cangan fuͤhrte, dort auf Moriah Teuer und 
„Heerd hatte, hernach Babel bekaͤmpfte, richtete und ſiegte, 
„die Juden wieder in ihr Land brachte, aber endlich auch 
„dieſe wegen ihrer Suͤnden bekaͤmpfte, richtete und beſiegte, 
„und nun jetzt noch immer auf dem Thron ſitzt, und in Zu⸗ 
„kunft auch alle ſeine und ſeines Volks Feinde bekaͤmpfen, 
„richten, beſiegen, und zudem Ende von nun an am Koms - 
„men bleiben wird, bis alles vollendet iſt.“ | 

„Und von den fieben Geiftern vor feinem Thron, welche 
„der fiebenarmigte. Leuchter vorbildete, deren ſich der Herr 
„wie feiner Augen bedient, um alle Länder damit zu durchs 
„ſchauen, nah Zachar. 3.8, 9, und. 4. V. 10. und deren 
„er ſich fernerhin in allen fieben Siegen, fieben Pofaunen 
„und fieben Zornfchaalen zum Beobachten und Wirken bebdies 
„nen wird u. f. m.’ 

5) Hierauf folgt nun der Held des neuen Bundes, Jeſus 
Chriſtus, der in den neuteftamentifchen Kämpfen Deffen, der 
ift, war und fommt, auch ift, war und kommen, flreiten, 
sichten und fiegen wird, an feines Vaters ſtatt. Sonſt pflegt 
Ehriftus zwifchen dem Vater und dem heiligen Geift zu fliehen. 
Man fagt Vater, Sohn und Geift — hier heißt ed aber 
Vater,  fieben Geifter und dann der Sohn. Die Urfache ift 
wahrfcheinlich folgende: Eben darum, weil die ganze Offen: 
barung eine finnbildliche Gefchichts= Erzählung des Kampfs 
und Siegs Chriſti gegen alle feine Feinde iſt, ſo nimmt der 
Apoftel den Vater und den Geift zufammen, um hernad) in 
einem fort den Helden der Gefchichte im Auge zu behalten, 


N 


Raps 4. B8. 4,5: 6. | 35 


Vielleicht will man auch zwiſchen dem heiligen Geiſt und 
dieſen ſieben Geiſtern einen Unterſchied machen, dazu aber 
finde ich keinen Grund. Ich glaube fo lange, bis man mir 
das en. —77 daß der ſiebenfache Geiſt, der nach 
Jeſaiaͤ 11. B. 1. u. f. auf dem wahren Sproͤßling Iſai 
ruhen fol, eben 4 die ſieben Geiſter Gottes ſind; und 
daß dieſe ſieben Re enbogenfarben in Eins vereinigt, auch 
das Kicht Gottes, en eigentlichen heiligen Geift,, fo wie 
wir Ehriften ihn glauben, ausmachen, Endlich 
4) wird nun diefer große Held, Jeſus Ehriftus, auch nad) 
feiner Erhabenheit und höchften Liebenswuͤrdigkeit gefchildert; 
Er ift der treue Zeuge,' denn er ftarb auf die Wahrheit feiner 
Rehre, Er ift den Erfigeborne der Todten; denn er erwachte 
am allererften im verflärter Geftalt aus dem Grabe und vom 
Todesfchlaf zum ewigen Leben, Er iſt der Fürft der Erdens 
koͤnige; denn Ihm iſt alle Macht gegeben, im Himmel und 
auf Erden, und er wird ſich auch als Befehlähaber, als 
Kaifer aller Könige im Verfolg zeigen, Er liebte die Mens 
ſchen, ja wahrlich! Er ward felber Menfh, und liebte ſich 
zu todt an den Menfchen, Er hat uns in feinem Blut von 
unferm Sünden gewaſchen. O du unaudfprechlich lieber Blut⸗ 
bürge — in taufend Martern von Sethfemane an bis zum 
Seitenftich am Kreuze, vergofjeft du dein Foftbares unfchuldiges 
Blut, um fuͤr uns zu bezahlen, um und aus unferm ewigen 


Concurs zu befreien! — Es ift entfeglich und Höchft traurig, 


daß man ſich heut zu Tage fchämt, vom Blur Chriſti und 
vom Abwafchen der Sünden in diefem Blut zu reden! Man 
ſchaͤmt fich des Verföhnungsblutes ? — Wahrhaftig! fo wahr 
der Herr lebt! — das wird fürchterliche Folgen haben. Er 
hat aus uns, feinen wahren Verehrern, ein Königreich errichtet, 
in welchem fromme Erdenkdnige Vafallen find: noch zur Zeit 
iſt dies Königreich blos geiftlich , es wird bald aber auch ein 
wirkliches Königreich werden. Er hat und endlih auch zu 
Prieſtern feines und unfers Gottes und Vaters gemacht, zu 
Prieſtern nach der Drbuung Melchifedehs, Ihm im Geift 
uund in der Wahrheit, in feinem innern Heiligthum, wohls 
—* * zu Bean: Ihm unferm großen Siegesfürs 


—X 


96 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


ſten, fey Herrlichkeit und Gewalt in die Ewigfeiten. Amen! 
Diefem Gruß fett nun der Apoſtel noch ein paar wichtige 
Bemerkungen hinzu: indem Er fagt: 


7. Siehe! — Cr kommt. mit den Wolken, un jedes 
Auge wird Ihn fehen, auch diejenigen, die Ihn durchs 
ftochen haben; und alle Volkerſtämme der Erden mers 
den über Ihn wehklagen. Ga! Amen! 

8. Ich bin das U und das große O, fpricht der — — 

Gott — der iſt — der war und der da kommt, 

der Allbeherrſcher. 


Das Aufmunterungswort: Siehe! ſoll aufmerkſam machen 
auf das, was die Engel bei der Himmelfahrt Chriſti geſagt 
hatten: Er wuͤrde ſo wiederkommen, wie Er aufgefahren ſey. 
Apoftel:Sefhichte 1. V. 11. Auch hat der Herr ſelbſt feis 
nen Juͤngern oft verfichert: Er würde zum Vater gehen, aber 
auch wiederfommen, und die Seinigen zu ſich nehmen; das 
her will hier Johannes fo viel fagenz/ Seht! Er wird wies 
derfommen, aber dann wirds mehr Auffehen machen, als da 
Er gen Himmel fuhr — dann werden Ihn nicht etwa einige 
Sreunde, fondern alle Menfchen fehen; aber auch die, 
die JIhn durchſtochen haben, und eben diefe mit allen 
Nationen der Erden, welche feine Erlöfung nicht gewollt has 
ben, werden num jammern und wehklagen, denn nun ift die 
Reihe an ihnenz daß diefem allem fo fey, das habe ich in 
dem Geficht erfahren, das ich euch jest erzählen will. Ja! 
Mahrlich, es verhält fich fo, wie ich euch fage. 

Der achte Vers enthält eine neue Benennung, die fi) Chri⸗ 
ſtus felbft gibt: Er nennt fi) dad A und das große DO. In 
- der griechifchen Sprache, in welcher hier Johannes ſchreibt, 
ift das große D oder Omega der legte Buchftabe, fo wie 
‚bei uns das 3, daher es fo viel heißt ala: Ich bin das A 
und das 3, das wahre ewige Wort Gottes, das alles in fich 
enthält, alle Kenntniffe in fic) begreift, die nur immer durch 
Buchſtaben ausgedrüct werden Finnen; ja ich bin das Aund 
dad 3, der Anfang und das Ende, ich hab das Werk der 
Erlöfung angefangen und werde es auch endigen, alle Hin- 
derniffe überwinden, und dann wiederfommen, um euch auch 


0 Ray 1: V. 7. 8. 27 


zu mir zunehmen, damit ihr dann auch feyn möget, woich bin. 
Diefem Titel A und D fügt der Apoftel die Verficherung 
noch hinzu, daß dieß der Herr felbft ıgefagt habe, der Gott, 
der daift, war und kommt der Allesbeherrfcher. 
Es ift bemerfenswerth, daß Johannes feinen Unterfchied 
zwifchen dem Vater und dem Sohn macht, fondern ihnen beis 
ben den nemlichen Titel beilegt: Denn im Aten Ders find 
diefe Worte: ift, war und fommt, augenfcheinlich dem Vater 
beigelegt worden, weil im 5ten Jeſus Chriftus befonders ans 
geführt wird. Daß aber der Erlöfer hier unter dem A und O 
verftanden werde, ift aus dem Verfolg klar, wo er fich felbft 
dad Aund O nennt, fiehe ®. 11. bis 18. Es ift alfo ges 
wiß, daß Johannes Ehriftum mit dem Vater in gleiche Würde 
ſetzt, und’ daß er alfo mit ihm gleich ewiger Gott fey, der 
auch ift, war und fommen wird. Man fonnte wohl mit 
. Grund behaupten, daß der Tte und Ste Vers gleichfam einen 
furzen Inhalt ded ganzen Buchs ausmachten; denn die ganze 
Meifagung ift ein Beweis des Satzes, daß Erift, war 
und kommt, und daß Er in der That das A und große D, 
der Beherricher aller Dinge ift. 
Hier hört nun die Einleitung zur Offenbarung auf, und 
die Erzählung derfelben geht folgender Geftalt an: 


9.55, Johannes euer Bruder und Theilnehmer 
an der Zrübfal, am Königreich und an der Aushars 
rung bei Jeſu Chrifto, war wegen dem Wort Gots 
tes und dem Zeugniß von Je ſu auf der Inſel, weldye 
Patmos genannt wird, 

10. An dem Tage des Herrn war ich entzückt, und ich 

hörte hinter mir eine große Stimme, als einer Pofanne, 

11. welche ſprach: Was Du fieheft, das fchreib in ein 

Bud, und fende es den fieben Gemeinden, zu Ephe⸗ 

ſus, zu Smyrna, zu Pergamo, zu Thyatira, 

au Sardes, zu Philadelphia, und zu Laos 
icea. 


Der heilige Seher, der fanfte, liebe und fromme Apoftel 
Johannes, bezeugt den Gemeinden überall durch die Befchreis 
bung feiner Perfon, daß er es fey, den fie wohl Fenneten: 


28 Erklärung. der Offenbarung. Johannis. 


Dein er fey ihr Bruder in Ehrifto, er habe: mit ihnen Vers 
folgung erlitten, fey ihr Miterbe am Reiche Gottes, und habe 
auch mit ihnen bei dem Herrn Zefa in allen Prüfungen ause 
gehalten. Hierauf fängt er nun an zu erzählen, er ſey auf 
ber Inſel Patmos gewefen, und an einem, dem Dienfte des 
Herrn gewidmeten Tage in eine Entzuͤckung gerathen. 

Die Inſel Patmos liegt im türfifchen Meer ‚welches ges 
wöhnlich der Archipel genannt wird; fie'befteht aus einem 
Selfengebirge, und ift zu feierlichen, erhabenen Betrachtungen 
fehr geſchickt; übrigens ift fie Hein, unfruchtbar und wenig 
bewohnt. Wie der edle vortreffliche Apoftel dahin gefommen, 
das erzählen uns alte, ziemlich zuverlaͤſſige an fols 
gender Geftalt: 

Sm I5ften Fahr nach Chriſti Geburt —— * roͤmi⸗ 
ſche Kaiſer Domitian eine heftige Verfolgung gegen. die Chris 
fen. Nun hielt fich Johannes damals zu Epheſus auf, wo 
ſich ein roͤmiſcher Stadthalter befand; dieſer ließ alſo dem 
Apoſtel den kaiſerlichen Befehl vorleſen, und ihn zugleich 
ermahnen, er möchte Chriſtum ˖ verlaͤugnen und das Predigen 
ſeiner Lehre unterlaſſen. Hierauf antwortete Johannes maͤnn⸗ 
lich und apoſtoliſch: Man muß Gott mehr gehorchen als den 
Menſchen, darum will ich auch weder Chriftum meinen 
Gott verläugnen, noch aufhören, feinen Namen zu verfündis. 
gen, bis ich den Lauf meines Dienjles, den ich von on 
erhalten, vollendet habe. 

Auf diefe Antwort befahl der Stadthalter, ihn als einen 
Rebellen in einem Keffel vol Eochenden Oels zu werfen; das 
gefchah auch, allein ohne Wirkung, und man nahm ihn une 
befchädigt wieder heraus. Dieß machte den Stabthalter bes 
ftürzt, und er hätte den ehrwürdigen Mann frei gelaffen, als 
Jein er durfte es des Kaiſers wegen nicht thun, daher erdachte 
er eine glimpfere Strafe, und fchickte ihn auf die wüfte In— 
fel Patmos, welche von der Stadt-Ephefus etwa 15 Meilen 
entfernt ift. Ephefus liegt am weftlichen Ufer von Klein: 
afien, und Patmos liege auch diefer Stadt gegen Abend. 

Hier war nun der Apoftel bis Anno 97 im Winter, als 
der Kaifer den Herbft vorher war ums Leben gekommen; da 


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nun der Senat zu Rom alle Defrete des Kaiferd vernichtete, 
fo wurde auch das Verfolgungsdekret aufgeboben, und os 
hannes Fam im often" Jahr feines: Alters nach Epheſus, 
wo er noch fieben Jahr ruhig lebte, und dann Anno 104 
farb Er war alſo fieben Jahr jünger als Chriſtus, folge 
lich im 25ften Jahr feines Alters vom Herrn in die Zahl feis 
ner Juͤnger aufgenommen worden. 
Auf der Sufel Patmos war: er ungefähr anderthalb Jahr, 
im sgften und g9oſten Fahr feines Alters; im 8oſten hat er 
vermuthlich Die Offenbarung gehabt und gefchrieben. Hier 
hatte er nun, befonders, wenn er auf einen. Berg flieg, eine 
weite Ausfichts Gegen Morgen Kleinafien, wo die jieben Ges 
meinden lagen; zwifchen Morgen und Mittag, aber. weiter 
entlegen, ohne dahin ſehen zu koͤnnen, das gelobte Land; 
gegen Mittag Egypten; gegen Abend das Meer; weiter hin 
ganz Griechenland, noch weiter Stalien, und fonft nichts als 
Meer; zwifchen Abend und Mitternacht hatte er Macedonien, 
Griechenland, oder die europäifche Türkei, weiterhin Ungarn, 
und noch weiterhin: Deutfchland und alle nordifchen Länder, 
Gegen Mitternacht aber Tag ihm die: Gegend, wo jetzt Con⸗ 
ſtantinopel fteht, mit allen umliegenden Ländern. Es ift 
gut, wenn wir und das Alles deutlich vorftellen, denn es 
dient dazu, um meine Erklärung beffer verftehen zu können. 
Hier war num der goͤttliche Seher, um des Wortd Gottes 
und um des Zeugnifjes Jeſu willen, als er gewürdigt wurde, 
den hohen Rathſchluß der Zukunft zu erfahren. Vermuth— 
lich Hat er mir Traurigkeit uͤber die betrübten Schickſale der 
EhHriften, unter ver Herifchaft des Heidenthums nachgedacht, 
ſich uns die Zukunft bekuͤmmert, und für feine: Bruͤder gebe- 
tet; er hatte gewiß an dem Tage, au welchen überall die 
S Chriften ihre Erbauungsftunden hielten, auch ſich mit erbaus 
liden Gedanken befchäftigt, und war alſo gerade in einem 
3 Gemuͤthszuſtand, der Wi zum re der —* 
zung fähig machte. 
N N Diheafen Ehsifennänäten wi Offertag eigentlich des Det 
Tag, doch wurden auch ihre Erbauungstage wohl fo'genannt.: 
Wahrſcheinlich war es der Oſtertag, an welchem Johaunes 


50 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Den fabe, Der todt war, und nun ewigleber, wie Er ſich 
felbft im Verfolg ausdrüdt. An einem foldhen Tage nun, 
erzählt der Apoftel weiter, fey er, im Geift gewefen. Diefe 
Redensart will anders nichts fagen, als er fey in Eutzuͤckung 
gerathen, in einen überfinnlichen -Zuftand: verfegt worden; 
daß diefed durch einen Engel bewirkt — iſt nach dem 
erſten Vers gewiß. 

In dieſem Zuſtand nun hoͤrte er hinter ſich eine große Slimme, 
ſo als wenn ein Streithorn geblaſen wird. Dieſer ſtark durch⸗ 
dringende Ton war alſo der Anfang der Erfcheinung. Sch 
habe das Wort Pofaune beibehalten, weil man es aus unferer 
deutfchen Ueberfegung gewohnt, auch der Ausdruck feierlicher 
und erhabener ift, ald Trompete. Eigentlich gab es nur zwei 
Blasinſtrumente, vondenen eins hier verftanden werden muß: 
Das erſte war das große Widderhorn, und diefes ift ed, was 
Luther durch Pofaune überfegt hatz fein Ton war durchdrin⸗ 
gend, ſtark tönend, nicht Enarrend oder ſchmetternd, wie die 
Trompete, fondern. ungefähr fo, wie der Ton unferer heutis 
gen Pofaune, nur viel ftärfer, fo daß man ihn fehr weit hoͤ⸗ 
‚ven Fonnte, befonders wenn das Blafen auf einem Berg ges 
ſchah. Die Schaafe waren dort fehr groß, und die, um die 
Dhren fi) herummindende Widderhörner befonders gefchict, 
einen ftarfen feierlichen Ton zu geben. Der Pofaunenton 
auf Sinai 2 Mof. 19. V. 16. war dem Ton diefes Horns 
gleich, und eben diefe Hörner wurden.auc) bei Jericho gebraucht, 
um die Mauern 'darnieder zu blafen. Das andere Blasin- 
firument war die filberne Trompete, 4 Mof. 10.8.2. u. folg., 
welche zur Zufammenberufung des Volks gebraucht wurde. _ 
Melches Inſtrument von beiden hier gemeint wird, das kann 
man eigentlich nicht wiffen, ich vermuthe aber das erfte, weil 
der Ton feierlicher und erhabener ib und weil er auch auf 
Sinai gehört wurde. 

Diefer Pofaunenton war aber fein einfaches Getbne: fons 
dern eine Sprache, ed war Jemand hinter dem Apoftel, der 
in diefem Ton ſprach, und fagte: Was du fieheft, das fchreib 
in ein Buch, und ſchicke es dann an die fieben Gemeinden 
zu Ephefus, Smyrna, Pergamos, Thyatira, Sardes, Phis 
Iadelphia und zu Laodicea. 


| 
i 


809.:14:8.'9; 10. 11 51 


Warum wohl au diefe fieben Gemeinden ausfchlieglih? — 
Warum nicht an eine, oder an Mehrere? Diefe Frage ift, 
wahrlich, nicht vergebliy. Um diefes wichtige Buch für die 
Nachwelt aufzubewahren, bedurfte es nur einer einzigen nam⸗ 
haften Gemeine; etwa der zu Ephefus, als welche der Juſel 
Patmos am nächften war; denn verfchiedene apoftolifche Briefe 
find am einzelne Gemeinden gefchrieben worden, und wir has 
ben fie richtig erhalten, das würde alfo auch der Fall mit dem 
gegenwärtigen gewefen ſeyn; oder wollte man aunehmen, die 
fieben Gemeinden hätten eben ded Troftes und der Warnung, 
welche ihnen im Verfolg gegeben werden, am mehreften bes 
durft, fo kann man erftlich darauf antworten, daß man zu 
diefer Vermuthung ganz und gar feinen Grund habe; denn’ 
in den übrigen Gemeinden ‚ging ed theild nicht beffer und 
theild noch fchlimmer zu; und fürs zweite würde ja eine 
folhe Warnung, Ermahnung und Tröftung etlicher Gemeins 
den in gar, feinem Zuſammenhang mit der hohen Offenbas 
rung ftehen — diefe ging ja die fieben Gemeinden nicht mehr 
an, ald alle andre — fo zwedlos handelt der heilige Geift 
nie, und es ift ganz gewiß und ausgemadt, daß diefe fies 
ben Gemeinden, fo wie man auch von jeher geglaubt hat, 
eine finnbildliche Bedeutung ‚und wichtige Beziehung auf die 
MWeiffagung felbft hatten, und ed wundert mich, wie dieß dem 
erleuchteten, gründlich gelehrten und gotteöfürchtigen Praͤla⸗ 
ten Bengel entgehen Fonnte! 

Haben die fieben Gemeinden hier Feine geheime prophetifche 
ie ſo fommt mir died Buch gerad fo vor, ald wenn ein 
großer Herr eine wichtige, auf Sahrhunderte fich hin erſtre— 
ende, und fein ganzes Königreich aufs höchfte intereffirende 


- Verordnung an alle feine Unterthanen ergehen ließ, und im 


Eingang derfelben im erfien Kapitel, einigen Dörfern theils 
Tadel, theild Lobfprüche beilegte , die übrigens , außer dem 


k allgemeinen moralifhen Nutzen, Eeinen Menfchen weiter etwas 
angingen; fehen wir aber jene fieben Gemeinden ald Repräs 


ſentauten der ganzen Chriftenheit durch alle Jahrhunderte 
au, fo paßt alles vortrefflih, dann koͤnnen wir begreifen, 


warum der Herr gerade diefe fieben und Feine andre wählte; 


> 


52 Erklärung der Offenbarung Johanuis. 


denn ihre innere Verfaſſung paßte gerade ſo in der Ordnung, 
wie ſie hier aufeinander folgen, auch ganz genau auf die von 
Zeit zu Zeit ſich veraͤndernde Verfaſſung der Kirche Gottes, 
von der Zeit an, bis daher, wie ich im Werfolg unwider— 
ſprechlich beweiſen werde; und dann koͤnnen wir uns auch 
troͤſten, Daß und der Herr Jeſus Chriſtus a u ch Habe: gruͤßen 

laſſen/ und ſeinem Sekretarius, dem Apoſtel Johannes 
auch einen beſondern Brief an uns in die Feder dic— 
tirt habe. Welcher unter den ſieben es ſey, das werde ih 
unten klar und deutlich zeigen. Daß alſo die fieben Ge: 
meinden aus geheimen: prophetiſchen Urſachen hier gewaͤhlt 
worden, iſt gewiß, und wird im Mh noch * gewiſ⸗ 


ſer werden. ———— 
Mit den ſieben Staͤdten, worin ſich dieſe Gemeinden * 
fanden, verhaͤlt es ſich folgender Geſtalt: 


Epheſus, auf deutſch Wuͤuſchenswerth, liegt Me Sufel 
Patmos gegen Morgen, und'15 Meilen von ihr entfernt; 
jetzt iſt der Ort ein armes Dorf — wo etwa 50 bis #0 gries 
hifche Familien wohnen, und heißt Ajaſaluk ua un sun 

Smyrna, auf teutſch Myrrhen, iſt noch ———— große | 
Handelsſtadt, "in’welcher über 90,000 Menſchen wohnen. 
Die Türken nennen fie Ißmir, fie .. 15 ee von Ephe⸗ 
ſus gegen Mitternacht, © © Tnnngnhis 
Pergamos liegt 17 Meilen von I — * weiter ge⸗ 
gen Norden, folglich 52 Meilen von Epheſus, auf deutſch 
heißt e8 eine 'erhabene Burg, oder Hohenbürg; ehemals war 
diefer Ort der Sit des Königreichs Pergamos, jetzt ift er 
ar, halb wüfteiund halb bewohnt, es wohnen ungefähr 5000 
Türken, und etwa 15 griechifch schriftliche Familien daſelbſt. 
Thyatira, auf teutfch die Schlachtopfer verzehrend, liegt 
95 Meilen’ von Epheſus, auch gegen Norden, doch etwas - 
tiefer im Lande, mehr'gegen Morgen, und 10 Meilen’ von 
Smyrnen. Jetzt ift der Drt garftig, unfauber und von lau⸗ 
ter: Tuͤrken bewohnt, Die eine gute Handlung mit Seide und 
Baumwolle treiben, er heißt jetzt Ackiſar. BEL 

Sardes, auf deutſch die Leberbleibfel, war in tee Zei⸗ 
ten die Reſidenz eines reichen Koͤniges; ſie liegt 16 Meilen 


* 


Kap. 108: 12: 13. 14. 15.16. 55 


von Ephefus, einige Meilen von Thyatira, noch mehr gegen 
Morgen, und heißt jet Sardo; jetzt ift der Ort ganz wuͤſte 
und bettelarm, es wohnen nur etliche Griechen da. 

Philadelphia , auf teutfch Brupderliebe, liegt 24 Meilen 
von Ephefus, noc) etwas weiter gegen Morgen, ald Garden, 
und von diefem Ort ungefehr 8 Meilen entfernt. Die Gries 
chen haben den Namen noch beibehalten, die Türken aber 
nennen diefen Ort Allachfcheir, die Stadt Gottes. Er ift 
noch immer groß, aber nicht ftarf bewohnt. 

Laodicea, auf teutſch Volkögericht, liegt ungefähr 24 Mei: 
len von Ephefus, gerad gegen Morgen, gegen zehn Meilen 
von Philadelphia entfernt, und ift jegt ein wuͤſter Steinhaufen. 

Warum ich alle diefe Bemerkungen über diefe Städte hier 
gemacht habe, das wird fich im Verfolg aufflären. Sie las 
gen in der Nähe von Patmos herum, und eine Gemeinde 
fonnte der andern den Brief zufchiden, oder der Bote, den 
Sohannes zuerft damit nach Ephefus ſchickte, reiste nach allen 
diefen Städten der Ordnung nach herum, und las ihn in jes 
der Gemeinde vor. | 

Nun heißt es ferner: 


12. Und ic) wandte mich um, um nady der Stimme zu 
ſehen, die mit mir redete; und als ich mich umfehrte, 
fo fahe ich fieben goldne Leuchter. 

13. Und in der Mitte der fieben Leuchter einen, der dem 
Menfchens Sohn ähnlich war; er war befleidet mit 

einem langen Rod, und begürtet um die Bruft mit 
einem goldenen Gürtel, 

14. Sein Haupt aber und feine Haare waren weiß, wie 
weiße Wolle, wie der Schnee, und feine Augen, wie 
Fenerflammen. 

15. Und feine Füße gleich dem lauterften Erze, das tm 
Ofen glüht und feine Stimme wie das Rauſchen vies 
les Gewäſſers. 

16. Und er hatte in feiner rechten Hand ſieben Sterne; 
aus ſeinem Mund aber ging ein zweiſchneidiges ſpitzi⸗ 
ges Schwert hervor, und ſein Angeſicht ſtrahlte n wie 


die Sonne in ihrer Macht. 
Stillinas ammit. Schrifteu. I. Band. Ki I 


1534 ar 


34 Erklärung der Offenbarung: Johannis. 


Sohannes wurde in feiner Entzüdung durch den Pofaunen- 
ton, den er hinter fich hörte, und durch die Anrede, die da= 
durch an ihn gefchahe, aufmerkſam gemacht; er drehte fh 
alfo um, um zu fehen, was das für eine Stimme fey, und 
da fielen ihm alfofort fieben goldene Leuchter in die Augen. 
Es waren nicht fieben Arme an einem Stamm, wie der fie- 
benarmichte Leuchter im Tempel, fondern fieben einfache Leuch=- 
ter, die vermuthlich im halben Zirkel herum ftunden, und 
alle angezündet waren. Man muß aber hier nicht an Wachs⸗ 
oder Unfchlittlichter denken, fondern e8 waren Dellampen auf 
goldenen Geftellen. 

Ferner erblickte er mitten im Kreis, den die fi eben Leuch⸗ 
ter machten, eine furchtbare majeſtaͤtiſche Perſon. Wenu man 
die Beſchreibung des Apoſtels lieſet, und ſich dann die Er— 
ſcheinung lebhaft vorſtellt, fo durchdringt einen ein heiliger 
Schauer. Das Erſte, was er bemerkte, war, daß dieſe er— 
habene Figur Fein Engel, fondern einem Menfchen ahnlic) 
fey; und es fcheint eine Ahnung in ihm. aufgeftiegen zw feyn, 
ob fie nicht etwa der Herr Chriftus feyn koͤnnte? — Dieß, 
deucht mir, liege in den Worten: Er habe einen, dem Men 
fhenfohn ähnlichen gefehen; denn Ehriftus pflegte ſich vorzuͤg⸗ 
lich den Menfchenfohn zu nennen, weil die Juden ſich unter 
diefer Benennung ihren Meffias dachten, wozu fie im Pro— 
pheten Daniel Kap. 7. ®. 15. und 14. den Grund fanden: 
Denn da fommt der Menfchenfohn, Bar Enasch, in des Him- 
meld Wolfen, und empfängt von dem Alten auf dem Thron 
alle Gewalt. Diefer Bar Enaſch war. den Juden eine gar 
erwänfchte Perfon, den fie herbei zu flehen fuchten; um alfo 
“bei ihnen defto eher Eingang zu finden, fo nannte fid) Chri— 
ftus fo, und Johannes, der das oft von Ihm gehört Bat, 
bedient fich hier des nämlichen Ausdrucks. 

Es dauchte alfo dem Apoftel, es koͤnne wohl Ehriftus feyn. 
Er betrachtete ihn daher vom Haupt bis zu Fuß, um ihn 
genau befchreiben zu koͤnnen: Die ganze Perfon war mit ei- 
nem langen weißen Priefterroc? bekleidet, und auch eben fo, 
oben unter den Brüften her, mit einem goldenen Gürtel ums 
gürtet. Der erfte Anblick ſtellte alſo einen juͤdiſchen Prieſter 
vor in ſeinem Schmuck. 





Kap. 1.8. 1% 15. 1% 15. 16. 55 


Ob das Haupt auch einen Priefterhut oder Krone trug, 
das fagt Fohannes nicht, wahrfcheinlic war es aber mit fo 
etwas bedeckt, weil es zum ganzen Priefterrod gehörte. 
Das Haupthaar aber war" blendend fchneeweiß und lodigt. 
Die Tradition fagt uns, Chriftus habe blonde Haare gehabt; 
wahrlich! hier waren fie blond! — Die Augen waren wie 
Feuerflammen; ich ftelle fie mir fo vor, wie zween Morgens 
fterne neben einander, fie funfelten, und kamen dem Apoftel 
alfo wie Flammen vor. Die Füße. waren Chalfolibanon, 
das im Dfen glühet. Das Wort Chalkolibanon kann Fein 
Menfc richtig uͤberſetzen; denn es bedeutet ein Metall, das 
wir nicht mehr kennen. Mir deucht, es ließe fi ch am beſten 
mit unferem Similor oder Compoſition vergleichen, doch mußte 
es wohl koſtbarer ſeyn, denn man ſchaͤtzte es höher als Gold. 
Die Stimme aber kam dem Apoſtel vor, wie das Donnern 
eines fehr ftarken Wafjerfalls. 

Großer Gott! welche furchtbare Majeftät! — wen fällt 
da nicht der Löwe aus Juda ein? — wenn der brüllt, wer 
follte fih da nicht fürchten. 

In der Hand hielt der Surchtbare fieben Sterne, und wer 
wird fie da heraus reißen? — Preiß und Danf und Anbes 
tung Dir, Du Held aus Jeſchurun! unfer Stern, unfer Stell⸗ 
vertreter ift noch im deiner Hand — aus feinem Mund ging 

. ein zweifchneidiges fpigiges Schwert hervor, das einem 
Schlachtſchwert gli. Dieß muß man fi fo vorftellen: 
Wenn er fprach, fo fuhr ein bligender Strahl aus feinem 
Munde, der die Geftalt hatte, wie ein großes zweifchneidiges, 

vorn ſpitziges Schlachtſchwert. Diefes Schwert feines Mun⸗ 

des iſt aͤußerſt wichtig, wie ſich im Verfolg zeigen wird. 
Endlich ſtrahlte dann auch fein Angeficht wie die Sonne in 
ihre Macht, das ‚beißt ; Wie die Sonne im hohen Sommer 
des Mittags. 

Dieſe ganze Beſchreibung zeigt uns deutlich, daß hier der 
Chriſtus (denn der war es felbſt) nicht in ſeiner gewoͤhn⸗ 
lichen Geſtalt, die Er jetzt in feiner Herrlichkeit im Himmel 
'w dem Zohannes erſchien; wiewohl es Ihm da gewiß auch 
an himmlifcher Majeftär nicht fehlen wird; rau die ganze 


56 Erklärang der Offenbarung Gohannis. 


Figur war bedeutend und finnbildlih. Er tritt hier in feiner 
himmlischen Kriegsräftung auf, und ftellt fich dar, ' als ver 
Allbeherrfcher, der num gegen alle Mächte der Finſterniß zu 
Feld ziehen will; daher ift alles’ furchtbar: friegeriih; Die 
Stimme donnert im Kriegshörnerton: die Augen bligen und 
funfeln; das Angeficht glüher. Wehe dem, der fih Ihm 
widerfegt! 

Lieben Brüder! lieben Schweftern! die ihr die leſet; die 
fieben Sterne. in der Hand diefes Starfen, und die fieben 
Leuchter um Ihn her! — wie tröftlich! wie Er fie mit feinen 
Flammenaugen bewacht! — Bedenfe doc), unfer Leuchter 
fteht au) da, unfer Stern ift auch in feiner Hand; wem 
Kann da bange werden! Unmdglich kbunen diefe fieben Sterne 
und diefe fieben Leuchter jene fieben Gemeinden allein bedeutet 
haben — follten ihn andere Gemeinden zu Rom, zu Jeruſa⸗ 
lem, zu Corinth, zu Theffalonich, und jeßt das Heer feiner 
Frommen in der ganzen Chriftenheit weniger lieb ſeyn? Ge⸗ 
wiß nicht! | 

Nach dieſer Beſchreibung erzaͤhlt Johannes fort und ſagt: 


17. Und als ich Ihn ſahe, fiel ich wie todt zu ſeinen Fü⸗ 
ßen nieder; und Er legte ſeine rechte Hand auf mich 
und foradh: Fürchte dic) nicht! Ich bin der Erite 
und der Letzte, | 

18, Und der Lebendige, und ich war todt, und fiehe! 
lebendig bin ich, von Ewigkeiten zu Ewigkeiten, und 
ih habe die Schlüffel des Zudes und des Toden⸗ 
behälters. 

19. Schreibe, denn die Dinge, die du gefehen haft, und 
die da find, und die Fünftig nach diefen gefchehen werden. 

20. Das Geheimniß der ſieben Sterne, welde du in 

meiner rechten Hand gefehen haft, und die fieben 
goldene Leuchter: Die fieben Sterne find Engel der 


fieben Gemeinden, und die fieben Leuchter find ſi eben 
Gemeinden. 


Johannes, der Buſenfreund des Herrn Jeſu, fand doch 
die furchtbare Majeſtaͤt dieſer erhabenen Perſon ſo ſchrecklich 


— 


Kap. 1.08.17. 18.19, 20. 57 


und fir feine fterbliche Natur fo erfchütternd, daß er in Ohn⸗ 
macht zu den Füßen derfelben darnieder fank, wie mehrmals 
den alten: Propheten: gefchehen war, wenn fie Fuͤrſten der 
Geifterwelt zu fehen gewürdigt wurden. Um num den ſchwa⸗ 
chen Sterblihen zum gegenwärtigen Zweck hinlänglicdy zu 
ftärfen, legte der Erhabene den Rüden feiner rechten Hand 
auf ihn; denn in der Höhlung der Hand hielt er die ſieben 
Sterne, und sprache Sey nicht bange, meine furchtbare Ruͤ— 
ftung zum Kampf geht dich nicht an, du Fennft mich ja — 
ich bin der Erfte und der Letzte — du fiehft, daß ich lebe, 
und du haft mich fterben fehen, nun lebe ich durch alle —* 
feiten durch, u. ſ. w. | 

Die Worte: Jh bin — der Erfte und der san 
druͤcken wieder den Titel des Herrn aus: Ich bin — war 
und werde ſeyn; auch kommen ſie mit dem A und großen 
O uͤberein; Er bezeugt alſo hierdurch feine goͤttliche Natur, 
vermög welcher Er war, Joh. 17. V. 5. gegenwärtig iſt, 
und in alle Ewigkeit ſeyn wird; dann aber ſagt er auch: 
ich bin der Lebendige, der todt war, nun aber in alle Ewig—⸗ 
feiten fort lebt! Hiemit zielt Er auch auf feine menfchliche 
Natur; nur die kann fterben, und durch die Allmacht wieder 
ins Leben ‚gerufen werden. Mir einem Wort: Ich bin Jeſus 
Chriſtus, der geftorbene, wiederauferftandene und nun ewig 
lebende Gottmenfh. Dann fügt aber: der Herr noch die 
wichtigen Morte hinzu: Und ich habe die Schlüffel zum Tod 
und zum Todenbehälter; ich mag das griechifche Wort Hades 
nicht durch Hölle überfegen: Denn dadurch verſtehen wir den 
Ort der Verdammten, der aber hier nicht gemeint iſt; fondern 
der Wortverftand ift folgender: Ich war todt, und lebe nun 
in alle Ewigkeit; aber das nicht allein; ich habe noch die 
Schlüffel zu den feften Behältern der geftorbenen Menfchen, 


ſowohl ihrer Leiber als ihrer Geiſter; ich Fann fie alfo auch 


wieder lebendig machen, wenn ihre Zeit da iftz denn ich bin 


jaa die Auferftehung und das Leben — der Weg, die Wahr: 
beit unddas Lebenu. ſ. w. Der Gebraud) diefer Schlüffel 


fieht im 26ſten Kapitel diefer hohen Offenbarung, im I5ten 
Vers, bei deſſen Erklärung ich meine Gedanken über bie 


58 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


geheimnißvollen Worte Thanatos Tod, und Hades Todten: 
behälter näher entwickeln werde; hier ift es noch zu frühe. 

Jetzt befommt nun der Apoftel den Befehl zu ſchreiben. 
Die Alten führten ihr. Schreibzeug immer bei fi) ‚und der 
Herr ſelbſt wollte ihm indie Feder dietiven. Schreibe! ſprach 
der Hochwuͤrdigſte, alles, was hier vngwangen er jetzt vor⸗ 
geht, und was noch vorgehen wird, 

Hier follte eigentlich das 2te Kapitel anfangen‘; denn hie 
faͤngt der Herr an zu dictiren, indem er ſagt: Schreibe das 
Geheimniß der ſieben Sterne, die du in meiner Hand geſehen 
haſt, und noch ſieheſt, und ‚die ſieben goldne Leuchter! — 
Die ſieben Sterne ſind Engel der ſieben ——— Jun die 
fieben. Leuchter find fieben Gemeinden, 

Man hat von: jeher dafür gehalten, daß hier unter den 
Gugeln der: Gemeinden die Vorfteher, Lehrer oder Biſchoͤffe 
derſelben verſtanden wuͤrden. Freilich iſt es etwas Hohes, 
Erhabenes und Wuͤrdiges, ein Stern in der Hand des Herrn, 
und ein Engel einer chriſtlichen Gemeinde zu ſeyn! So viel 
iſt gewiß, daß in der prophetiſchen Bilderſprache die Sonne 
Licht und Wahrheit, oder auch die herrſchende Religion, zu 
Zeiten wohl auch die Urquelle der Religion, der Mond den 
Grad der) Aufklärung unter dem Menfchen, und Die Sterne 
dann die, Lehrer bedeuten, Sc) gebe auch gerne zu, daß hier 
unter den Engeln der. Gemeinden auch die damaligen: Lehrer 
mit verftanden: werden; aber ich gebe doch auch zu bedenken, 
daß hier der Herr doch eigentlicdy den Zuftand der Gemeinden 
ſelbſt fehildert, indem: Er ihren Engel anredet; nun wäre es 
doc) fonderbar, wenn in allen fieben Gemeinden der Charak⸗ 
ter der Biſchoͤffe mit. be Charakter der Gemeinden genau 
einerlei gewefen wäre! — Daher dünft mich, es wäre beffer, 
wenn man unter Dem Code der Gemeinde den herrſchenden 
Geift derſelben verftindes Wenn man z. B. den fittlichen 
Zuftand einer Stadt oder eined Drts forfchen wollte, und man 
fragte dann: Was herrfcht für ein Geift daſelbſt? — fo 
würde man in der Antwort den ſittlichen nn des Orts 
ſchildern. 

Alſo die ſieben Sterne in * rechten Hand beö * 


Eee u 


Kap. 1. V. 17. 18: 19% 20, 39 


find die fieben regierenden Kräfte der ehemaligen fieben, und 
nachher aller chriftlihen Gemeinden aller Zeiten, bis and 


Ende, oder bis zu feiner Wiederfunft. Diefe Kräfte mögen 


nun durch Engel oder Menfchen befeflen oder verwaltet wers 
den, das ift im Grund einerlei. 

‚Die fieben Leuchter find dann die ehemaligen fieben, und 
nach ihnen, alle chriſtliche Gemeinden ſelbſt. Dieſe Leuchter 
ſtehen unter des Herrn Aufſicht; Er wandelt zwiſchen ihnen; 
ſie ſollen ihr Licht leuchten laſſen vor den Leuten, daß dieſe 
ihre gute Handlungen ſehen, und dadurch bewogen werden, 
Gott zu preifenz fie follen nicht unter irgend etwas verdeckt, 
fondern in der Höhe ftehen, damit fie recht weit glänzen koͤn⸗ 
nen, und wenn fie dunkel brennen, fo foll ihr Stern mehr 
Licht hinein ftrahlen, 

Nach diefer Erklärung werden nun die Briefe an die, Ges 
meinden dem Apoftel vom Herrn felbjt von Wort au Wort 
im die — * dictirt, wie Anh 


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40 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Das zweite Kapitel, 


1. Dem Engel der Gemeinde zu Epheſus ſchreibe: 
Das ſagt der, welcher mitten zwifchen den fieben gol⸗ 

denen Leuchtern umher wandelt. 

2. Ich weiß deine Werke und deine Mühfeligkeit, und 
deine Ausharrung, und daß du die Bösartigen nicht ers 

tragen Fannft, und haft die geprüft, welche fich felbft 
für Apoftel ausgegeben, aber es nicht find, und haft 
fie falſch gefunden. | 

5. Und haft Geduld, und haft um "meines Namens wils 
len ertragen, und bift nicht müde geworden, 


Ehe ich zur Erklärung der fieben Epifteln übergehe, muß 
ich noch einige nöthige Anmerkungen vorausfchiden: 

Bei jedem Brief bedient fich der Herr Chriftus eines Theils 
feines Titels, und Fündigt fi) durch denfelben der Gemeinde 
an, an die gefchrieben wird; diefer Titel hat daun auch zus 
gleidy einen paffenden Bezug auf ihren Zufland. 

Jeder Brief enthält ein Lob, eine Ermahnung und eine. 
Beſtrafung oder Drohung, wo dann auch die Urſachen von 
allen dreien angegeben werden. 

Jeder Brief hat die merkwuͤrdige 
Wer ein Ohr zu hoͤren hat, der hoͤre, was der Geiſt den 
Gemeinden ſagt; — und eben dieſe Formel iſt ein Beweis 
mehr, daß unter den ſieben Gemeinden alle Chriſten bis ans 
Ende verſtanden werden. Alles was Ohren hat fuͤr meine 
Religion und fuͤr meine Lehre, das horche auf! denn das, was 
hier der Geiſt der Gemeinden ſagt, das geht Alle an. 

Jeder Brief enthaͤlt am Ende eine praͤchtige und uͤber alles 
erhabene Beſchreibung des Lohns, den in jeder Gemeinde 
und in jedem Zeitlauf die Ueberwinder empfangen ſollen. 
Wen das nicht ruͤhrt, und im Kampf ſtaͤrkt, der —* aͤußerſt 

gefuͤhllos ſeyn. 


N Kap. 3, V. 1. 2. 6* 41 


Endlich muß ich auch noch bemerken, daß die ſieben Briefe 

an die geſammten Unterthanen des Reichs Gottes und Chriſti 
gleichſam den Eingang und die Vorbereitung zur Offenbarung 
ſelbſt machen; der Herr will erſt ſeinen Unterthanen ſagen, 
was Er ihnen zu fagen hat, fie auf ihre Pflichten aufmerk⸗ 
fam machen, und ihnen zeigen, was fie zu fürchten und zu 
hoffen haben, und hernach macht er ihnen dann auch bekannt, 
wie Er feine Feinde befämpfen und befiegen werde, damit 
fie ihre Maasregeln darnach nehmen und auch das beobachten 
koͤnnen, was fie dabei zu thun haben. 
Noch ein wichtiges Hauptftüd darf ich nicht vergeffen : 
Chriftus fchreibt hier nicht an die herrfchenden Kirchen aller 
hriftlichen Religions= Partheien: Denn die gehören nicht fels 
ten. zu. feinen Feinden, „fondern an feine wahren Verehrer, 
an die unfichtbare Gemeinde, welche in der Zerftreuung unter 
allen Volksklaſſen ihre Mitglieder hat. 

Nach diefen vorläufigen Erinnerungen gehe ih nun zur 
Goflärung felbft über. | 
+ Su diefem Brief an die Gemeinde zu. Ephefus nennt fi 
Chriftus: Den, der.die fieben Sterne in feiner rechten Hand 
hält, und mitten zwifchen den fieben goldenen Leuchtern ums 
herwandelt. Epheſus heißt wünfchenswerth, liebenswürdig, 
und die Gemeinde. daſelbſt ftellt den wünfchenswerthen liebens⸗ 
würdigen Zeitlauf der apoftolifchen Kirche vor; daher will ich 
ihn auch den apoſtoliſchen Zeitlauf nennen; zu der Zeit als 
Sohannes fchrieb, gings fchon ziemlich mit ihm gr die Neige, und 
man koͤnnte wohl ſeinen Ablauf ungefähr in die Zeit des Todes 
unſeres Apoſtels, in den Aufang des zweiten Jahrhunderts 
ſetzen. Judeſſen verſteht ſichs ja von ſelbſt, daß ſich fo et= 
was eben nicht auf ein Jahr beſtimmen laͤßt, weil der Verfall 


— hier fruͤher und dort ſpaͤter eintritt. 


Der Gemeinde zu Epheſus und dem apoſtoliſchen Zeitlauf 
kuͤndigte ſich der Allerheiligſte als den an, der die ſieben 
Sterne in ſeiner rechten Hand haͤlt, der folglich alle Lehr⸗ 
und Erleuchtuugskraͤfte in ſeiner Bewahrung hat, und der 


mitten zwiſchen den fieben goldenen Leuchtern umberwandelt; 


der alfo der wahre Hüter und Wächter feiner Gemeinden ift, 


42 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


genau auf fie acht hat, und nie fchläft oder fchlummert, 
oder über Feld geht, oder fonft Gefchäfte hat, über denen er 
‚die Seinigen vergeffen follte. Liebe Zeitgenoffen! beherziget 
das Alles doch recht wohl! fühlt ed doch tief, daß unfer 
Leuchter auch da fteht, den Er für dem Ausblafen oder Ums 
fioßen won! bewahren wird, wenn wird nur nicht felbft thun! '. 

Sch weiß deine Werke, fagt der Hochwürdigfte ferner; 
deine Muͤhſeligkeit, deine Ausharrung, und daß du die Uebel⸗ 
Hefinnten nicht ausftehen Fannft u. f. w. Man braucht nur 
die Apoftelgefchichte, ıumd die Briefe der Apoftel, dann aber 
auch die Nachrichten der alten Kirchenvaͤter zu leſen, ſo wird 
man von Staunen und Ehrfurcht uͤber die reine Liebe gegen 
Gott und die Menfchen, über die großen Thaten der Apoſtel 
amd apoftolifhen Männer, über die unbefchreiblichen Be: 
fhwerlichkeiten, mit denen fie zu Fämpfen hatten, und über 
die nie zu ermüdende Geduld, mit welcher fie allen Wider: 
fand ertrugen und endlich befiegten, durchdrungen, hingeriffen 
und emporgehoben. Man leſe Gottfried Arnolds Abbildung 
der erften Chriften, feine Kirchen» und Keßer - Hiftorie, und 
Schmids Abriß der Gefcpichte der chriftlichen Religion und 
Kirche für Volk und Jugend (ein herrliches Buch, welches 
ic) allen meinen Leſern fehr empfehle), aber auch nur die Ge⸗ 
ſchichte des erſten nn: ſo wird man das alles 
ſo —————— 

Merkwuͤrdig ſind die hinzugefuͤgten Worte: Und daß du 
die Bösartigen nicht ertragen kannſt. Dieß zielt auf die 
ſtreuge Kirchenzucht der erſten Chriſten: Man duldete nie⸗ 

and in der chriſtlichen Gemeinde, der nicht vom Herzen fromm 
war, und feinen richtigen Glauben in feinen Werfen zeigte. 
Eben fo vorfichtig und noch behutfamer war man in der Wahl 
der Lehrer, Aelteften und Auffeher der Gemeinden; daher 
fagt auch der Herr ferner: Und haft die geprüft, welche ſich 
ſelbſt für Apoſtel ausgeben, aber es nicht find, und haft fie 
falſch befunden, | 
) Schon damals fing der Geift des Widerchrifts an, fich zu 
segen; 2 Thefal. e.V.’ 8. und 1 Joh. LAW 18. Der 
Geift des Widerchriſts befteht in dem herrfchenden Gedanfen, 





„hs Kap. 2. BU Bei 43 


daß die Vernunft nicht bloß Werkzeug, fondern Quelle 
der Wahrheit ſey. Dieſen Gedanken müfjen wir, befonders 
jest, als einem hoͤchſtwichtigen und unumftößlichen Grundfaß 
anſehen. Wenn wiridie Vernunft in geiftlicen überfinnlis 
chen: Dingen, die wir nicht anders ald durch Offenbarung 
und Gefchichte willen können, blos ald Werkzeug zum Prüfen 
brauchen, um die Gewißheit der Gefchichte der Offenbarung, 
die Richtigkeit «ders durch Erfahrung erkanuten Tharfachen, 
und die Zweckmaͤßigkeit und Heiligkeit der und aufgelegten 
Pflichten ins Reine zu bringen , fo ift diefer Gebrauch der 
Vernunft heilige undounnachläßige Pflicht ; aber, ſobald wir 
blos aus der. Natur und aus den Eigenfchaften der menfch- 
lichen Seele, nach anerfchaffenen Grundfägen, eine Religion 
fehmieden wollen, das ift: Sobald wir die Vernunft als die 
einzige’ Quelle der Wahrheit anfehen, ſo führen uns fogar 
die richtigften Schlüffe zur Naturreligion, die aber nur für 
von Narur heilige, nicht gefallene Menfchen paßt; wird diefe 
nun fuͤr fo tief gefallene; und im ſittlichen Verderben fo ganz 
verfunfene Menfchen zur einzigen Religion: gemacht, ſo wird 
dadurch „die verdorbene menſchliche Natur ald unverdorben 
erklärt, die Vernunft Anftatt des Erldfers. auf den Thron 
efeßt, und da diefe nun durch die Herrfchaft der finnlichen 

üffe partheiifch, und unfähig geworden, das reine Licht der 

- Wahrheit zu ertragen, ſo macht fie die Selbftfucht, den Egois⸗ 
mus zur Triebfeder aller Handlungen. Da nun. Chriftus 
und feine Religion der Selbftfucht, als der Zerftdrerin aller 
irdiſchen und himmliſchen Glückfeligkeit, gerade und mit Macht 
entgegen wirken, und an deren Stelle uneigennüßige. Gottes⸗ 
und Menfchenliebe, auch mit einer Aufopferung die Befor: 
derung des allgemeinen Beſten, als die vollkommenſte Pflicht 
des Menſchen forderaz; fo entfteht daher die grimmigfte Feinde 
ſchaft der felbftfüchtigen Vernunft gegen den Erlöfer, und 
alle die an ihn glauben, und das iſt dann der wahre 
— Antichriſt: Dieß muͤſſen wir wohl bedenken, ſonſt koͤnnen 
wir uns an unſerm Nebenmenſchen, der anders denkt als 
wvirx aſehr ſchwer verſuͤndigen. Dieſen Begriff mußte ich erſt 
fefbjeßen, ehe ich weiter gehen Fonnte: RE ER TE 04a 129, 


3 
\ “ \ 





u Erklärung der ‚Offenbarung Johannis. 


Waͤhrend dem erften apoftolifchen Zeitlauf wurden auch 
manchmal gelehrte Männer und Philofophen unter Juden und 
Heiden zu Ehrifto befehrt, diefe brachten daun oft ihre herr= 
{chende Vernunftsbegriffe mit ins Chriftenthum, die fie gerne 
beibehalten, und mit der einfachen Lehre der Apoftel vereinis 
gen wollten, woher es denn Fam, daß alfofort allerhand Sek⸗ 
ten entftandenz; denn ſolche Männer gaben fid) auch für Apo⸗ 
ftel und Volkslehrer aus, die alfo Unkraut unter den reinen 
Waizen freuten: allein man war wachfam dagegen, fo lange 
die Apoftel und apoftolifhe Männer lebten; man prüfte fie 
firenge, und warnte Dagegen, und dieß lobt hier Chriftus. 
In der Gemeinde zu Ephefus hielt fich eben ein folder Mann, 
Namens Cerinthus, auf, der einen großen Anhang hatte. 
Bermuthlich hat diefen der Herr unter andern mit ihm im Auge. 
Nun. wiederholt Chriftus im dritten Vers das Lob der 
Geduld, des Ertragend und des unermüdeten Eiferd, und 
zeigt dann auch, die Gefahr, in welcher ſich die Ephefinifche 
Gemeinde, und ihr Nachbild, der —* Zeitlauf, er 
Det indem Er ſagf: 


4. Aber ich haͤbe gegen sie, daß du deine erſte Liebe 
verlaſſen haſt. 

5. Denke alfo nad, von wannen du gefallen bift! und 
‚ändere deine Gefinnung, und wirke wieder die erften 
Werke. Wo aber nicht, fo komm ich dir ſchnell, und 
rücke deinen Leuchter ang deiner Stelle, wenn du deine 
an nicht änderft, 

6. Aber das. haft du, daß du die Werke der Nikolaiten 

.bafeft, welche ich auch haffe. —8 

Liebe! Liebe! bruͤnſtige Gottes⸗ und Dirt iſt 

die Seele des Chriſtenthums; ohne Liebe iſt alles blos Ge⸗ 

maͤlde; die groͤßte und erhabenſte Tugend nichts als ein 
ſchoͤnes Portrait, ohne Leben und Thaͤtigkeit. Die Liebe 
iſt die Sonnenwaͤrme des Reichs Gottes; ohne fie iſt Fein 

Keim. von Fruchtbarkeit möglid — Gottes und Menfchen- 

liebe. bewirkt Thärigfeit zum allgemeinen ‚Beften, und die 

felbftfüchtige Eigenliebe fucht nur eigenen Genuß: auf Unko⸗ 


— — 
1 * 


Kap. 2. V. 4. 5. 6. | 45 


ften des allgemeinen Beten. Der Satan und fein ganzes 
Reich herrſcht durch Selbſtſucht; fie ift die Lebenskraft des 
Drachen, von dem ich im Verfolg noch genug zu veden haz 
ben werde. 

Chriftus und feine Apoſtel koͤnnen daher auch die währe 
Liebe nicht genug empfehlen, alle ihre Worte und Werke ath— 
men Liebe, und diefe felige himmlifche Tugend war auch fo 
herrfchend bei den erften Chriften, daß mans ohne Rührung 
nicht leſen kann; nach und nach aber, fo wie fich die Apos 
fiel und ihre Schüler verloren, und überhaupt der Chriften 
viel wurden, fo erkaltete die Liebe allmaplig, und jet da 
diefer Brief gefchrieben wurde, war es ſchon weit Damit ger 
kommen; deswegen fagt auch der Herr: Denke nur einmal 
nach, wie weit du ſchon verfallen bift — erinnere dich, wie 
du im Anfang warft, und wie du jege bift! — Schleunig 
fehre um! wieder auf deinen erften Poſten; und übe die edlen 
Handlungen der Liebe und Wohlchärigkeit wieder aus, die 
du ehemals auch ausübteft. — Wenn du das aber nicht thuft, 
fo fomme ich, ehe du dirs verfiehft, und ruͤcke deinen Leuch— 
ter von deinem Ort weg; er geht mich dann nichts mehr 


. an, und er flieht dann wicht mehr unter meiner. befonbern 


Aufficht. * 
Großer Gott! wie wahr iſt dad geworden! — Die 

den, welche jeßt Ajaſaluck, das ehemalige Ephefus, befuchen, 

finden dort gegen vierzig arme griechifche Bauernfamilien, 


‚welche zwar Chriften heißen, aber fchwerlih nur fo viel 


Licht und Erkeuntniß von Chrifto und feiner Religion haben, 
als der unwiſſende Bauernfnabe in irgend einem deutſchen 
Dorf. — Ja wohl ift der Leuchter weggerüdt — da ift fein 


Licht der Erkenntniß mehr; und fo verhält ſichs durchgehende 


am allen Orten des apoftolifchen Zeitlaufs — id) wüßte doch 


- Seinen Einzigen, wo noch irgend ein Leuchter leuchter, noch 


irgend wahres Licht der Erfenntniß Jeſu Chrifti zu finden 


wäre, ob ich gleich damit nicht fagen will, daß es auch 


dort im. Verborgenen Feine einzelne wahre Chriften mehr gebe; 


aber fie mögen dünne gejaet feyn. 
Diefes wurde im Jahr 96 gefchrieben, wo noch Fein Denfch 


46 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


wiffen und errathen Fonnte, was nad) 1700 Fahren gefchehen 
würde, und doc) ift pünftlich eingetroffen, was hier ftehr — 
dadurch werden die Beweife ver Goͤttlichkeit diefes —* —* 
verſtaͤrkt. 

Bei Allem dem, ſagt der Herr ferner, daß “ deine aſte 
Liebe verlaſſen haſt, biſt du doch noch ſo weit nicht verfallen, 
daß du Behagen an den Werken der Nikolaiten faͤndeſt; von 
der reinen heiligen Liebe bis zu den Nikolaitiſchen Pfuͤtzen der 
unreinen Liebe, die mir fo ſehr zuwider find, verſunken waͤ— 
reſt — im Gegentheil, du haſſeſt fie, und das gefällt mit 
noch an dir. 

Wer die Nikolaiten in jenen Zeiten: eigentlich, waren, das 
fann man nicht genau wiffen, fo viel fcheint aber richtig 
zu: feyn, daß fie eine Art gnoftifcher Philofophen gewefen, 
die Chriſtum und finnlichen Genuß mit einander vereinigen 
wollten, und darin zu weit gingen; fie vernünftelten, ſchwatz⸗ 
ten viel von Weisheit und Tugend, und dachten dabei: Es 
fäme ja aufs Aeußere eben nicht an, man koͤnne ja wohl 
auch den Heiden etwas zu gefallen thun, und von ihren Goͤ⸗ 
Benopfern miteffen, man müßte gegen Alle vertraͤglich und 
liebreich ſeyn; und in Anfehung des weiblichen Geſchlechts 
feyen die Ehriften auch zu ftrenge, die Näturtriebe feyen da: 
für da, daß man ihre Früchte genieße, fo lang die Gefund- 
heit nicht darunter leide? u. f. w. 

O wie gefährlich, wie fhlangenartig, wie glatteinfehläpfend 
find diefe Grundfäge! wirklich, man follte faft denfen, fie 
feyen auch fo übel nicht; aber eben defto gefährlicher: Denn 
fie find die Pforte zum breiten Wege, weh dem, der da hin⸗ 
ein geräty! — Wer ein wahrer Chriſt werden will, der muß 
fi) manches, das an fidy wohl erlaubt wäre, verfagen, blos 
um feine Lüfte unter den Gehorfam zu — * und —* uͤber 
ſein Fleiſch und Blut zu werden. 

Ob es heut zu Tage wohl noch Mikolaiten gebe? — 
dad mag jeder ſelbſt unterfuchen, und ſich auch dann prüfen, 
ob er nicht ihre Werke, aber ja nicht ihre Perfonen, haffe? 
Dan findet die Befchreibung diefer Leute 2 Petri * und im 
Brief Judaͤ. 

Endlich fügt der Herr zum Schluß des Briefe wo die 


Kap. Br2. 2 


u fmunseuuahlermed and dann die Verheißung hinzu, ‚ins 
dem er ſagt: PEN 


7. Wer Ohren hat, der höre, was der Geift den Gemeinden | 
fügt! Dem Ueberwindenden, dem werde icy zu effen 
‚geben vom Holz des Lebens, welchesi im Paradies mei⸗ 


ies Gottes iſt. 


Nicht allein, ihr Epheſer, ſondern jeder Zeitgenoſſe der 
apoffolifchen Periode, der nur ein Ohr für die Erlöfungswahrs 
heiten hat, ber höre, was der. heilige Geift, der Tröfter, den 
ich euc) ehemals fenden wollte, und nun gefandt habe, den 
Gemeinden ſagt; denn ed ift wichtig und hörenswerth. Wer 
jegt allen den VBerfuchungen und Vefolgungen widerfteht, wer 
fi) wieder zur erhabenen Stufe der erften Liebe hinauf ſchwingt, 
der foll Früchte vom Baum des Lebens aus dem Paradies meis 
nes Gottes befommen, und alſo ewig leben. 

Diefe Worte find merfwürdig, und enthalten, wie das bei 
dem Mort Gottes immer der Fall ift, mehr in fih, als man 
dem erften Anblic nach vermuthen follte. Der Hauptbegriff, 
der darin liegt, ift folgender : 

Diefer Brief ift an die Gemeinde zu Ephefus, und im ties 
fern Sinn, wie ich ſchon oben erinnert habe, an die apoftos 
liſche Kirche gerichtet. Sie war als die erfte Frucht des 
Erldfungswerk3, fie enthielt die erfigebornen Kinder des neuen 
Bundes. Go wie nun durch den Fall Adams das Paradies 
verfchloffen, und ein Cherub mit einem beftändig hin und her 
Freifenden Schwert vor feinen Eingang geftellt wurde, fo 
dffnete es nun der Herr wieder. durch fein Leiden, Sterben 


und Auferftehung; denn Er verfprah ja. dem Schaͤcher: 
Wahrlich! ‚noch heute, gleich nach meinem Tod, follft du 


mit mir im Paradies feyn. Dann ſchickte Er auch den Cherub 
mit dem Schwert wieder fort, fo daß nun jedermann, der 


VA den rechten Weg einfchlägt, dahin kommen, wieder vom 
Baum des Lebens Früchte effen, und alſo ewig leben Faun. 


Die Auferftehung Ehrifti hat uns eigentlich den Genuß diefer 
Lebensfruͤchte erworben. 


Es iſt alfo paflend, zweckmaͤßig, weife und veigend, —* 


48 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


der Herr feinen erjten Erlösten auch den erften Segen des 
num wieder eröffneten Weges zum Paradies und Baum des 
Lebens verfpriht. 

Er grüßt feine erften Reichögenoffen mit feinem erften und 
wichtigen Zitel — mit dem Charakter ald Schuß = und 
Schirmherr, ald Selbfterhalter aller feiner Verehrer, bis zu 
feiner Wiederfunft, und entlaßt fie auch mit dem Verfpres 
chen des erften Genuffes der nun wieder erworbenen Früchte 
vom Baum des Lebens. | 
. Nun folgt der zweite Brief: 


8. Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna ſchreibe: 
Das ſagt der Erfte und der Letzte, welcher todt war 
und ift lebendig worden: 

9. Ich weiß deine Trübfal und Armuth, aber reich 
bift du! — und. die Läfterung von denen, die ſich 
für Suden ausgeben, und e8 nicht find, fondern eine 
Synagoge ded Satans, 


10. Fürchte Dich nicht, für dem, was du zukünftig leiden. 


wirft! — Siehe! der Teufel wird mehrere von euch 
ins Öefängniß werfen, auf’ daß ihr geprüft werden 
möget, und ihr werdet zehn Tage Drangfale haben, 
Sey getreu bis zum Tod, fo will id) dir Die Krone 
des Lebens geben! 

11. Wer Ohren hat, der höre, was der Geift den Gemein 
den fagt! Der Ueberwindende foll vom zweiten Tod 
nicht beleidigt werden. 


Der Engel der Gemeinde zu Smyrna befommt feinen Tas 
del, Feine Beftrafung,, fondern nichts als Lob, Troſt und 
Verheißung, und das ift viel: es muß alfo wohl wenig 
ſchlechte Ehriften in Smyrna gegeben haben ; Polycarpus, ein 
Schüler des Apofteld Johannis, der hier fchreibt, war Bis 
ſchof in Smyrna, und litte auch dort in feinem hohen Alter 
einen glorreichen Martertod; ob der nun jeßt fchon dort war, 
oder erft nachher dahin Fam, das weiß ich nicht, es Fommt 
aber auch hier nicht darauf an, das zu willen. 


Die Gemeinde zu Smyrna ftellt aber auch hier den zweiten. 


A Kap. 2. BD, 8. 9. 10. 11. 49 


oder Martyrers Zeitlauf heißen kann; der aber-auch die wahre 
Gemeinde des Herrn gegen Faͤulniß fügte, und ihre Wuns 
den und: Gefchwäre heilen Fonnte. Ich muß aber nochmals 
bemerken, daß Feiner dieſer fieben Briefe die gefammteEhri- 
fienheit des Zeitlaufs, an den er gerichtet ift, angehe, fon= 
dern nur diejenigen, welche ausſchließlich als wahre Ehriften 
betrachtet werden wollen und follen; an diefe fchreibt: alfo 
der Herr, und unterrichtet fie.von dem, was ſi ie in ihrer Enge 


zu wiffen und zu thun nöthig haben. 


Der Martyrer=Zeitlauf fängt bald nach Cheifti Himmel: 
fahrt, mit Stephanus an, und endigt fich ungefähr in der 
Mitte des vierten Jahrhunderts, zwijchen dem Jahr 500 und 
550. So daß alfo der vorhergehende Ephefinifche oder Apos 
ftolifche Zeitlauf einen Theil des Smyrnifchen oder Martyrers 
Zeitlaufd ausmacht, beide laufen alfo nebeneinander, nur 
daß der letztere dreimal fo lang ift, wie der erfte. 

Der erfte Brief ift alfo an die erſten wahren Ehriften des 
erften Sahrhunderts überhaupt und der zweite, unter dem paſ— 


ſenden Vorbild der Gemeine zu Smyrnen, an alle, die unter 


der Herrichaft des heidnifchen Roms um der Wahrheit willen 
würden Verfolgung leiden, oder gar fterben muͤſſen, gerichtet, 
Die ganze Chriftenheit, welche zu der Zeit wuchs und zunahm, 


kann hier nicht gemeint ſeyn; denn da hätte es genug zu wars 


nen, zu drohen und zu firafen gegeben, weildamals ſchon das 
Verderben mit Macht einbrach und uͤberhand nahm. Eben 
fo ifts auch wahrſcheinlich, daß nicht jeder Chriſt in Smprna 
diefen Brief auf fich deuten Fonnte, 

Su dem Titel Eündigt fih der Herr an, als den Sefen 


und Letzten, ald den Geftorbenen, und’wieder Leben: 


DE a u Te * 


diggewordenen. Auf diejenigen, die ihr Leben fuͤr die 
chriſtliche Religion aufopfern muͤſſen, kann keine Eigenſchaft 
des Erloͤſers tiefern Eindruck machen als dieſe: — Der, für 
den fie fterben, ftarb zuerft für. fie, was ift alfo billiger, 
als daß fie auch für Ihn fterben, wenns erforderlich iſt? — 
Der, „der. für fie ftarb, iſt wieder lebendig worden — und 
wird alſo auch die wieder ins Leben zufeny die: — * 


Ihu ſterben. 


Stillina's ſammtl. Schriften. III. Baud. 4 


50 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Hierauf bezeugt nun der Herr ferner im Brief felbft: Ich 
weiß deine Zrübfal und Armuth, aber reich bift du. — O 
welch. ein tröftliches Zeugniß! — wer wird nicht alles dran 
wagen, um auch fo Eines zu befommen! Wenn man von 
Außen in die Klemme kommt, fo gefellt fib gewöhnlich auch 
von Innen die Geiftesarmuth dazu! das ift aber auch ganz 
natürlich: Denn wenn Kreuz, Truͤbſal und Verfolgung den 
Chriſten beftürmen, fo rügt ihn die züchtigende Gnade; es 


fommt zum fcharfen Prüfen, in wie ferne man fih wohl 


diefe Ruthe felbft gebunden, oder auch in wie fern man folche 
Züchtigungen verdient habe? — da finder man danu gewöhns 
lich eine fo jammerliche Armuth an Allem, was uns vor Gott 
angenehm machen Fann, daß man int Gefühl diefer Armuth 
auch Fein Auge vor Gott auffchlagen niag, und dieß ift dann 
eben die rechte Seelenftimmung, um reich zu werden am gus 
ten Werken; wen nichts mangelt, der wird auch nichts zu 
erwerben fuchen, went aber für der Armuth bange ift, der 
fucht fo viel vor fi) zu bringen, als er kann. 

Deswegen fagt auch der Herr gar recht: Selig find die 
Armen im Geift, denn das Himmelreich ift ihr — eben 
darum, weil fie ſich arm fühlen, fo ringen fie nach dem wahs 
ven Reichthum, und fo leider dann das Himmelreich Gewalt, 
und. die ihm Gewalt thun, die reißen ed an fih. Hieher 
gehören nun vornemlich die Achten Kämpfer für die Wahrheit 
Jeſu Chriſti; die wahren Martirer und Belenner: die bis 
in den Tod getreuen Bürger des lieblichen und geiftlichen 
Smyrna’s, auf deutfch Myrrhenheims. 

Ich weiß auch, fagt der Herr ferner: Was diejenigen von 
euch läftern, die ſich für Zuden ausgeben, es aber nicht find, 
fondern des Satans Synagoge. Aus der Gefchichte ift be- 
Tannt, mit weldem bittern Haß die Zuden die Chriften bei 
ihren heidnifchen Obrigfeiten verflagten, und fie aller nur 


möglichen Lafter befchuldigten; dieß gefhah nun befonders. 


auch zu Smyrna, und überhaupt allenthalben, fo lange als 
das Heidenthum die Herrfchaft hatte. Sie konnten die Ehri- 
ften felbft nicht martern und hinrichten, denn fie hatten Feine 
Gewalt mehr, aber läftern, verlaumden und anklagen, das 





Kap. 2. B. 8. 9. 10. 11, 51 


fonnten fie, und triebens aud) bis aufs boͤchſte. Darum ſagt 
auch der Herr: Dieſe ſeyen keine Juden, ſondern eine Gemeinde 
des Satans! — Wie ganz wahr iſt dad? — Das Wort 
Satan bedeutet ein Gegner oder Anfläger im Gericht, und 
das waren hier auch die Juden, Polizeidiener des Satans 
felbft, aber Feine Bekenner und Verehrer Gottes und feiner 
Wahrheit, welches fonft der Name Zude eigentlich fagen will, 

Das Alles aber foll den Smyrnern und Martirern nichts 
ſchaden; darum heißt ed: Fürchte dich nicht für dem, was 
du Fünftig leiden wirft: denn du wirft auch dafür gefrönet 
werden. Allerdings wird ed was zu leiden geben: Der Zeus 
fel wird einen und andern ind Gefängniß werfen — alfo 
ber Teufel wirft ind Gefängniß, und Satan Flagt an. Das 
Wort Teufel Heiße im griechifchen und lateinifchen Diabolus, 
ein Läfterer, Verläumder, Ankläger, und ift alfo mit dem 
Wort Satan ganz eins; nur daß Satan hebräifch, Diabos 
Ius aber griechifch und Iateinifch ft; gleich ald ob der Herr 
fagen wollte: Der hebräifche Teufel (die Zuden) werden den 
Ankläger gegen ‘euch machen, und der griechifche und römifche 
Teufel wird dann euer Richter feyn. Alles diefes wurde in 
Smyrna und im ganzen Martirer » Zeitlauf aufs genauefte 
erfuͤllet. 

Die Urſache dieſer Leiden iſt, um die Chriſten zu prüfen, 
wie weit ihre Liebe zu Gott und dem Erlöfer gehe? — Der 
Herr braucht vielleicht in feinem uns noch unbekannten 
‚Reich, in jener Welt, Geifter, deren Glaube und Heiligkeit 
dieſe Probe ausgehalten haben muß, um durch fie große Dinge 
auszurichten. 

Die Verfolgung, Prüfung und Martirzeit foll zehn Tage 
währen. — Daß diefe Zeitbeftimmung im geheimen prophes 
tifchen Sinn verftanden werden müffe, ift darum gewiß, "weil 
aus der Gefchichte befannt ift, daß die Verfolgung in Smyraa 
ſelbſt oft wiederholt worden , und jedesmal gewiß. länger als 
etwa zehn natürliche Tage gewährt hat. Der natürlichfte, 
ungezwungenfte, und gewiß der Meinung des Herrn am naͤch⸗ 
ſten fommende Verftand diefer Worte ift folgender: 


Wer einigermaßen mit den Ausdruͤcken der Bibel bekannt 
1 ® 


—⸗ 


52 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


iſt, der wird ſich erinnern, daß gar oft die Zeit, in welcher 
ein gewiſſes Geſchaͤft angefangen und vollendet wird, ein 
Tag, oder auch Tagwerk genannt wird. Die Worte, ihr wer⸗ 
det zehn Tage Drangſal haben, haben alſo keinen andern 
Sinn, als: Es werden zehn Hauptverfolgungen über euch 
ergehen! — In diefem Sinn verftand mans auch von jeher, 
allein in den neuern Zeiten will man das nicht mehr gelten 
lafien; bald fagt man, es feyen mehr als zehn Verfolgungen 
über die Chriften ergangen; bald will man diefe fieben Briefe 
nicht für prophetifch gelten laffen, und bald will man gar 
nichtö mit der ganzen Sache zu thun haben. Indeſſen geht 
die erhabene Wahrheit des göttlichen Worts ihren einfachen, 
jedermann faßlichen Pfad fort; man rechnete von jeher zehn 
Hauptverfolgungen: 1) Unter dem Kaifer Nero, 2) unter 
Domitian, 5) unter Trajan, 4) unter Hadrian, 5) unter 
Mark Aurel, 6) unter Eever, 7) unter Marimin, 8) unter 
Decind, 9) unter Valerian, und 10) unter Diocletian. Die 
achte und die zehnte waren die heftigften. Die Hauptver- 
folgungen laͤugnet Fein Gefchichtforfcher; vielleicht will er 
aber noch eine oder andere hinzufügen, um die Zahl zehn 
zweifelhaft zu machen; indefjen läßt es ſich doch außer allen 
Zweifel fegen, daß, wenn nod) eine oder andere ftatt finden 
follte‘, ſolche weder fo heftig noch fo allgemein gewefen jey. 
Menn mans dody nur immer redlich mit der Bibel meinte! — 
man darf nichts hinein, aber auch nichts heraus tragen. In 
den Augen des MWeltregenten, ver alles überfchaut und im 
rechten Licht anfieht, ift manches, das uns gar wichtig fcheint, 
fehr unbedeutend ; hingegen fehen wir vieles als eine Klei⸗ 
nigfeit an, das in den Augen Gottes von Außerfter Wichtig: 
keit ift. Dieß muß den Ausleger der Weiffagungen fehr vors 
fihtig, aber auch den Kritiker fehr behutfam machen, nicht 
fogleich dictatorifch zu entfcheiden. 

Wie fchonend ift übrigens: hier der Ewigliebende! — Er 
will feine Getreuen nicht mit Borausverfündigung der ſchreck⸗ 
lichen Martern betrüben, die auf fie warten, fondern er fagt: 
Fuͤrchtet euch nicht! Gefaͤngniß und Drangfal von zehn Tagen 

warten euer; feyd ihr nur getreu bis zum Tode, fo’ werde 


Kap. 2. V. 8. 9 110. 14. 53 


ich euch die Lebenskrone, oder beffer, die Siegesfrone 
des Lebend auflegen. 

So ganz ohne einen verborgenen Wink zu geben, was auf 

die Bürger zu Myrrhenheim ‚warte, gehts doch nicht ab. 
Der Herr will fo viel fagens Zum Sterben um meinetwillen 
koͤnnte es doch wohl fommen, aber Fämpft euch mit uners 
fchütterlicher Treue nur ritterlich durch, ſo foll euch die Gies 
gerfrone des Lebens nicht fehlen. ’ 
Im neuen Teftament, und befonders auch in der hohen 
Dffenbarung ‚ kommen zweierlei Kronen vor, Köuigsfronen 
und Siegeskronen; dieſe legtern find hier gemeint; und dieß 
Bild kommt von dem Gebrauch der Alten her, welche Kampfs 
fpiele anftellten, um die jungen Leute zum Krieg geſchickt zu 
machen, wo dann dem Sieger gewöhnlid) ein Kranz auf das 
Haupt gefetzt wurde, den man die Siegesfrone nannte. Wen 
in aller Welt Fonnte num die Giegesfrone mit mehrerem 
Recht zufommen, ald den Kampfern, die um der Wahrheit 
willen den Staͤrkſten aller Starken, den fürchterlihen Mars 
tertod befiegten? 

Merkwürdig ift aber auch der Zuſatz: Die Siegeöfrone 
bed Lebens — denn was hülfe einem Todten die Sies 
gesfrone ohne Leben? — Daher Fünnte man die ganze Vers 
heißung fo ausdrüden: Seyd getreu bis zum Tod! denu der, 
der, für mich ſtirbt, ſoll die erfte Auferfiehung,, ein ewiges, 
feliges und glorreiches Leben zur Siegeskrone aus meiner Hand 
empfangen. Dr herrliche Berheißung! — Wer wollte nun 
nicht alles wagen, wenn aud) die Reihe an und fommen 

 follte 2. Denn die Krone des Lebens empfängt Jeder, der 
die Anfechtung erduldet, und dadurch bewährt wird, Jak. 1. 

B. 12, folglich in dem Fall auch wir. 

Eudlich schließt der Erhabene, Erſte und Legte den Brief 

mit den merkwürdigen Worten: Alles, was Ohren hat, das 

höre, was, meines Vaters und mein Geift den Gemeinden 

ſagt: Der Veberwinder foll vom zweiten Tod 
nicht beleidigt werden. Eigentlich Heißt es: Dem Yeberwine 
der foll der zweite Tod Feine Schmaͤhungen, Feine Schmach 
zufügen. 


54 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Oben wurde dem bis in den Tod getreuen Ueberwinder 
die Siegeskrone des Lebens verfprochen und hier wird ihm 
dann auch. zugefichert: Daß der zweite Tod fich nicht gegen 
ihn muffen, ihm nichts anhaben fol. Da in der hohen Of⸗ 
fenbarung mehrmals des zweiten Tods gedacht wird, ſo muß 
ich doch wohl den rechten Begriff davon entwideln. 

Kap. 40. V. 14: und Kap. 21. V. 8, wird das Werfen 
in den Feuer » und Schwefelfee der andere Tod genannt: 
folglich ift die eigentliche Hölle, oder die eigentliche Berdamms 
niß darunter zw verftehen. So wie nun der. erfte Tod 
‚eine Folge des Falls Adams ift, den Chriſtus hernach durch 
fein Leiden und Auferftehung befiegte, fo ift nun diefer weit 
fchredlichere zweite Tod die Folge des zweiten Falld: 
Denn was verdient der Menfch nicht, dem fich die Gnade 
Gottes in Chrifto in aller ihrer Herrlichkeit geoffenbaret, 
und ihm die Früchte vom Baum des Lebens angeboten hat, und 


der dann doc) diefe Früchte verwirft, und noch immer vom 


“ verbotenen Baum ift, ungeachtet er alle fchredliche Folgen 
dieſes Genuffes erfahren Hat? — Sch werde noch verfchiedes 
nes vom zweiten Tod zu fagen haben, wenn mic) einmal die 
Ordnung des Vortrags dahin leiten wird. 

Der Ephefinifchen Gemeinde und dem Apoftolifchen Zeits 
lauf wurde die Frucht vom Baum des Lebens verheißen, 
und der Smyrnifchen Gemeinde mit dem Marterzeitlauf wird 
Sicherheit gegen alle Folgen des Genuffes der verbotenen 
Frucht, Sicherheit gegen den erften und zweiten Tod vers 


fprochen ; fie follen nicht nur vom Holz des Lebens efjen, 


fondern auch gegen alle — der verbotenen Frucht ewig 
ſicher ſeyn. 

Man ſollte aber denken, das waͤre ja wohl bei allen Se⸗ 
ligen der Fall? — dieſe Frage ſoll, wie geſagt, unten naͤher 
beleuchtet werden. 

Endlich kommts mir doch auch merkwuͤrdig vor, daß 
Smyrna unter allen ſieben Städten die Einzige iſt, die bluͤhend 
und volfreich geblieben; es fcheint, als hätte. das Blut der 
Märtyrer auch Segen für die Nachwelt im Irdiſchen gebracht. 
So wie ed überhaupt der Religion zum Gegen gewefen ift. 


* 


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Kap 2. B. AI 1ER‘ 55 


- Nun folgt der dritte Brief: dodcaafmını nn 

12. Und dem Engel der Gemeinde zu Pergamos fihreibe: 

Das fagt der, ber das zweifchneidige fpisige Schwert 
at;? 

15 9 weiß, wo du wohneſt, da, wo des Satans Thron 
ift, und hältft dich an meinen Namen, und haft meis 
nen Glauben in den Tagen, ald Antipas mein 

treuer Zeuge war, nicht verläugnet, welcher bei euch, 
da, wo der Satan wohnet, ‚getödtet worden iſt. 

Pergamos, zu teutfch Hohenburg, war einft die Haupts 

fiadt von ganz Kleinafien; diefe Stadt liegt in der Provinz 

Troas oder Myfien, und auf ihrem hohen Schloß vefidirten 

die Könige, Zu der Zeitiaber, als diefer Brief gefchrieben 

wurde, war fie, fo wie alle benachtbarte Völker, Länder und 

Städte in der Gewalt der Römer. | 

In dem Sendfchreiben an den Vorfteher der Kirche zu Per 
gamos nennt fich der Herr den Beſitzer des zweifchneidigen 
fpigigen Schwertö, welches er auch brauchen wird, nad) der 
ausdrüdlichen Drohung des folgenden 16ten Verſes; dann 
ſagt Er ferner: Ich weiß, daß du an einem Dre wohneft, wo 
der Satan mein und meiner Lehre größter Feind, der allges 
meine Ankläger und Widerfacher alles Guten und aller guten 

Menfchen , fo recht feinen Thron aufgefchlagen hat; denn in 

Pergamos war ded Gökendienftes Feim Ende; die" ganze 

Stadt war mit Bildern der heidnifchen Götter, mit Tempeln 

und Priefterniangefüllt, der: Satan hatte da eine rechte Hof⸗ 

"Und doc) hatte fich die dafige Gemeinde mit ihrem Vor⸗ 
fieher unter allen diefen feindfeligen Verhaͤltniſſen treu an 

Chriſto und an dem Öffentlichen Bekenntniß feiner Lehre ges 

halten, auch fogar in der neulichen Verfolgung unter dem 

Kaifer Domitian, als ein frommer Ehrift, Namens Antipas, 

um der Religion willen im: Dianentempel zu Pergamos in 

einen glühenden ehernen Ofen geworfen und verbrannt wurde, 
wie und Tertulliaw erzählt, war fie treu und ſtandhaft ges 
blieben, und hatte ihren Glauben an ihren Herrn und Heiz 
land nicht verläugnet; dieſes wird ihr hier vom Herrn als 


56 Erflärung der Offenbarung Gohannis. 


ein großes Lob angerechnet; Er fagt:  Dieß Alles weiß ich, 
* das iſt genug. 

Im geiſtlichen Verſtande bezielt dieſer Brief die * 
Ghriften in dem Zeitraum von Conftantin dem Großen bis 
anı Karlven Großen; alſo von Anno 324 bis 800: Denn 
der Zeitlauf der Martyrer hörte auf, als der Erftere die chrifts 
liche Religion annahın, diefe alfo nunmehr herrfchend wurde. 
Don nun an aber gerieth fie in ein ſolches Verderben, daß 
der Satan’ von neuem mitten in diefem Tempel Gottes und 
Ehrifti, feinen: Thron aufrichten Fonnte, folglich die wahre 
Gemeinde. des Herrn abermals.da wohnte, wo des Satans 
Thron war. Man braucht nur die Gefchichte zu leſen, um 
ſich von der; vollfommenften Wahrheit diefes Satzes zu übers 
zeugen. Gibbons Gefchichte der Abnahme und des Falls des 
römifchen Reichs, ift in dieſer Beziehung fehr lehrreich: Denn 
ob er gleich Fein fonderlicher Freund des Chriftenthumsd war, 
fo bleibe er doch als Gefchichtfchreiber der Wahrheit getreu. 
» Sobald Conſtantin die chriftliche Reliaion angenommen 
hatte, fo wurden allenthalben prächtige Kirchen, mit der Zeit 
auch Klöfter, und Eonftantinopel eine wahre Hofe und Res 
fidenzfladt des Satans, lauter Pergama, durchs ganze rdmifche 
Reich gebaut. Wer nun ein wahrer Chrift feyn wollte, der 
war jest: eben: fo fehr wieder ein Antipas (jedermann entges 
gen, oder jedermann gegenüber) ald ehemals unter den Heis 
den. Man braucht nur die Keßergefchichte mit: unpartheits 
[hen Gemuͤth zu lefen, fo wird man gar oft finden,‘ daß 
die Keßer weit beſſere Chriften waren, als die fogenannten 
Rechtglaubigen. Den: ftillen ruhigen: Chriften ließ man uns 
geftört ‚feinem Gott: dienen; der Chriſt als Chrift wurde nicht 
mehr, verfolgt, aberumer fich der Biſchoffsherrſchaft und 
den Mißbraͤuchen im chriſtlichen Heidenthum eutgegenſtemmte, 
der war ein Antipas, und hatte dann auch alle auf dem 
Halſe. Man findet Beiſpiele genug in der Geſchichte der das 
maligen Zeit, wie ſehr der, Antipas verfolgt und der wahre 
Geiſt des — eier treue Zeuge, aumatug getoͤdtet 
worden iſt. 

Bei allem dem haite 4 der Herr noch allenthalben ſeine 


” Kap. 2, 8. 13, 1381 57 


treuen Bekenner, die diefer Brief denn auch befonderd angeht. 
Unter den Einſiedlern, die um diefe Zeit anfingen häufig zu 
werden , und den Grund. zum Mönchsleben zu legen, waren 
bei allem Mißverftand, und bei allem einfchleichenden' Fas 
kirismus (rafende, unnuͤtze Werkpeiligfeit) doch noch viele fehr 
rechtfchaffene Ehriften, derem Lehre und Elias : Zeugniß durch 
wahre ungeheuchelte Frömmigkeit beſeelt, als das Salz der 
Erden in der ee re Ben) erst wers 
den mußte und‘ fonnte. : 

Nun heißt es ferner: 


14. Aber ich habe einiges foider dich: Weil du dort ſolche 
haft, die Bileams Lehre halten, welcher dem Bas 
Tat zu gefallen Yehrte, wie man den Kindern Iſrael 

durchs Eſſen der Gbtzenopfer und durch Hurerei ein 
Aergerniß anrichten konnte. 

15. Folglich haft du auch ſolche, die die Lehre der Nifos 

laiten halten, welches ich haſſe. 

16. Deswegen ändere deine Geſinnung! Thuſt du dag 

aber nicht, fo werde ich dir fchnell kommen und mit 
ihnen kriegen mit dem Schwert meines Mundes. 


Der 12! und 15. Vers enthielten das Lob, hier folgt nun 
auch der Tadel der Gemeinde zu Pergamos. Vorerſt muͤſſen 
wir wohl bemerken/ daß es Feine eigentliche Sekte der Bilias 
miten gab, wie einige Ausleger vermuthet haben, ſondern nach 
meiner Einſicht iſt der Sinn folgender: 

Nur das habe ich an dir auszuſetzen, daß es dort geht, 
wie zw Balacks und Biliams Zeiten, je'zuweilen nachzugeben, 
und eine Goͤtzenopfermahlzeit mitzuhalten, und ſich allenfalls 
auch wohl mit liederlihen Weibsleuten abzugeben, wodurd) 


dann der reine Geift des Chriftenthums gedämpft, und meine 


Gläubigen mit Lift allmäplig, fo wie ehemals die Sfraeliten, 


vom Wege der Wahrheit wieder abgelenkt werden; : daraus 


machen fich einige unter euch eben nicht viel, auf diefe Weife 
bangen fie alſo an der‘ —* der Nikolaiten, und das iſt mir 
ſehr zuwider. 

Mich duͤnkt, man muͤſſe hen 15ten Vers als. bie: Sdiuß. 


58 Erflärung der Offenbarung Johannis. 


folge des 14ten anfehen, und alfo fo überfeßen, wie ich ge⸗ 
than habe: Denn Bileams Lehre und die Lehre der Nifolais 
ten, kamen im Wefentlichen überein; da nun alfo einige Pers 
gamener Bileams ‚Lehre folgten, fo waren fie Nifolaiten, 
oder diejenigen, welche fich zum Nikolaus befannten, die übten 
eben dadurch Bileams Lehre aus, 

Nun folge Warnung und Drohungs Nendere deine Gefin- 
nung, hinke dich nicht mehr anf beiden Seiten, fondern kehre 
wieder zur Neinigfeit des Glaubens und der Liebe zuräd! 
Thuft du das aber nicht; fo komme ich plößlich, wie ein 
Dieb in der Nacht, und befampfe fie mit dem zweifchneidi= 
gen Schwert, dad aus meinem Munde geht. 

Er will niht den Engel und feine Gemeinde befämpfen, 

fondern die Nifolaiten, und da follte ed dann auch mit ihnen 
nicht leer abgehen, wenn fie fich nicht befehrten. 
Das Kriegen mit dem Schwert feines Mundes ift eine 
fehr dunkle Redensart, die ohne Uebung in den prophetifchen 
Schriften nicht wohl erflärt werden Fann,  WBermuthlich zielt 
hier der Herr Chriftus auf den 2ten Vers des 49ſten Kapi⸗ 
teld Sefaja, wo es heißt; Und er hat meinen Mund gemacht 
als ein fcharf Schwert, unter dem Schatten feiner Hand hat 
er mich. bedeckt, und Er hat mich zu einem: gefchidten Pfeil 
gemacht, ‚und mich in, feinen Köcher verborgen. Schwert 
und Pfeil ſind hier eins, beide find fer; die Feinde 
zu. befriegen. 

Das Schwert des Mundes if unftreitig das Wort Gottes; 
(Hebr; 4 12.) denn das Wort Gottes iſt lebendig und kraͤftig, 
und (chätfer als eimzweifchneidiges Schwert, und 
durchdringet (demm es ift auch fehr fpigig), bis daß es 
ſcheidet Seel und Geift, auch Mark und Bein, und ift ein 
Richter der Gedanken und Sinnen des Herzens. 

Die Wirkungen diefes Schwertd find zweierlei, vielleicht 
ift es auch darum zweifchneidig ; Erftlich wirkt e3 Durd) Bes 
Iehrung und Ueberzeugung; wenn es den» Sünder fo) recht 
trifft, ſo dringt es ifreilich durch Mark und Bein, und vers 
wundet Geift und Seele. Davon fehen wir ein. Beifpiel’am 
König David, als Nathan zu ihm Fam, und ihn wegen Urias 


und Bathfeba ruͤgte; andere Beiſpiele von der Wirkung dies 
fe8 Schwerts ald Belehrung finden wir bei den Emaus:Füns 
gern: Brannte nicht unſer Herz im uns, ſagten fie," da 
Er mit und redete auf dem Wege, und Er uns die Schrift 
dffnete, und Ap. Gef. 5. V. 57: da fie aber dad höreten, 
gings ihnen durchs Herz u. ſ. w. 

Daß aber alle dieſe Wirkungen nicht zum Kriegfuͤhren 
mit dem Schwert des Mundes gehoͤren, verſteht ſich von 
ſelbſt; denn jene ſind alle wohlthaͤtig und heilſam, hier aber 
ſoll fuͤrs zweite auch die andere Schneide gebraucht werden. 

Das Kriegfuͤhren mit dieſem Schwert bedeutet wohl nichts 
anders als Gericht und Strafe; wie dieß nun durch das Wort 
Gottes geſchehe, das iſt ſo leicht nicht zu erklaͤren. Gott 
bat in der heiligen Schrift gedroht, daß auf gewiſſe herrfchende 
Suͤnden und Laſter auch gewiſſe Gerichte und Strafen folgen 
ſollen; wenn dieß nun wirklich geſchieht, fo kann man aller⸗ 
diugs ſagen, das Wort Gottes habe fie getroffen, mit ihnen 
Krieg geführt, 

Die Vorſehung fowohl im Kleinen über Einzelne, als 
im Großen über Völker and Staaten, und ihre ganze Regie⸗ 
rung, iſt immer fortdauerndes, ſprechendes Wort Gottes. 
Wenn nun durch ihre Fuͤgung ein Volk über das andere her⸗ 
fällt, ein Volk dem andern zum Gericht und zur Strafe wird, 
fo.ift das Krieg Gottes gegen die Sünder durch fein Wort. 

Vornehmlich aber find die Kriege mir dem Schwert aus 
dem Munde des Herrn die, welche zwifchen der felbjtfüchtigen 
Vernunft und der Offenbarung oder dem Wort Gottes geführs 
werden, wo dann allemal: die Wahrheit die Lügen: befiegt; 
dieß geht fo zus Weun die, Verehrer. der wahren Religion 
anfangen, lau und träge zu werden, und Wohlſtand, Ruhe 
und Sicherheit den Lurus herrfchend machen, fo fucht die Vers 
nuuft durch die falfhberähmte Kunft Zweifel gegen das Wort 
der Wahrheit in Gang zu bringen, da nun die mehreften 
Menfchen partheiifch finds fo gelingts ihr; die Zweifelfucht 
gebiert die Freigeifterei uud Ausgelaſſenheiten aller Art, da⸗ 
durch folgen nun, nach den ewigen Gefegen der finnlichen und 
ſittlichen Natur, Gerichte und ‚Strafen, in welche fih dann 


60 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


die hohe Vorſehung wieder fichtbar einmiſcht, um die Wahr: 
heit zu retten, und im jedem folcher Kämpfe werden fehr viele 
Rechtſchaffene bewährt, und die Wahrheit geht aus jedem 
ſolcher Kriege fiegend, und gereinigter hervor: Die Menfchen 
lernen dann aus Erfahrung, daß außer Chrifto Fein Heil fey. 

Endlich find doch wohl die allereigentlichften und unftreitig 
hieher gehdrigen Kriege mit dem Schwert aus dem Munde 
des Herrn die Religionskriege; auc) in diefen fiegt das Wort 
Gottes immer, und gewohnlidy eben dadurch, daß feine Bes 
kenner gedrückt werden,‘ weil die Leiden den Sieg der praftis 
chem Religion befoͤrdern; Kin beweist die Kirchengefchichte 
aller: Zeiten. 

In Pergamos war der Krieg mit dem Schwert des Herrn 
am noͤthigſten, weilda das Heidenthum fo vorzüglich thätig war. 

Bis zur Höchften Ueberzeugung, daß Pergamos den Zeitlauf 
von Eonflantin dem Großen: bis zu Earl dem Großen bedeute, 
bringt uns nun die Anwendung der Vorwürfe, die, der Herr 
den Pergamenern macht, auf gedachte Zeiten: So fehr ſich 
auch unter Conſtantin, und nachher die hriftliche, nunmehro 
herrfchende Religion ausbreitete, ſo blieben doc) allenthalben 
noch viele Heiden übrig, denen man ihren Gottesdienft und 
Neligionsübung erlaubte, ja es gab noch viele Städte und 
Dirfer, die ihre Goͤtzentempel und: Priefter hatten. 

Um nun die Heiden anzuloden, und auch zugleich dem ges 
meinen Volk, das theild um Gewinns willen, theild auch wohl 
durch Swang zum Chriſtenthum uͤbergegangen war, feine neue 
Religionsangenehm zu machen, fo wählte man Bileams, 
Balaks und Nifolaus Politik, man verwandelte die heidnifche 
Zempel:imchriftliche, die Gößenbilder in Heiligenbilvder, betete 
Diefe au wie jene, Opferpriefter wurden nun Meßpriefter, ftatt 
der heidnifchen Drafel gabs nun dhriftliche, und der wunders 
ıhätigen Bilder war Fein Ende; dieß rügt hier Ehriftus und 
droht im Fall des Nichtbußerhuns mit dem Krieg, mit dem 
Schwert feines Mundes, und da nun jenes nicht geſchahe, 
fo. erfolgte: dieſer auf die ſchrecklichſte Weiſe: denn welcher 
Krieg war je ein eigentlicher Religionskrieg, als der, den 
Mahomed und feine Nachfolgerigegen Ehriften, Juden und 


Kap. 2. ©. 17. 61 


Heiden fuͤhrten: — Und eben diefer ward, der der ganz Nifos 
laitifch gewordenen griechifchen Kirche ihren Leuchter wegftieß. 
Wie pünktlich ift diefe Weiffagung erfüllt worden! Dieß kann 
den Glauben ftärfen. 

Für die getreuen Yeberwinder folgt nun auch eine Verheißung : 


17. Wer Ohren hat zu hören, ber höre, mas der Geift 
den Gemeinden fagt! — dem Ueberwindenden — 
dem werde ich geben von dem verborgenen Dianna ; 
und ich werde ihn ein weißes Wahlzeichen geben, und 
auf diefes Wahlzeichen einen neuen Namen gefchrieben, 
den niemand weiß, als der ihn empfüngt. 


Ueber die Formel, wer Ohren hat u. f. w., habe ich mich 
oben hinlänglich erflärtz; es fol fo heißen: Alles, was zu 
Pergamos und im griechifchschriftlichen Zeitlauf Ohren für 
die chriftliche Religion hat, der höre, was der Geift Jeſu 
Ehrifti den Gemeinden fagt! wer in diefen Bileams-Balaks 
and Nikolaitifchen Zeiten, die fo fcheinbare, für die finnliche 
Vernunft fo verführerifche und für die finnlichen Lüfte fo hoͤchſt 
reizbare Verfuchungen zum Gößenopfereffen, und dabei vors 
- ‚fallenden Genuß der Wolluft männlich befämpft und über: 
'windet, dem will ich ein anderes, weit erhabeners Traftament 
vorfeßen, das auch in den Tempel gehört, nemlic) das Manna, 
das im Krügelchen neben der Bundeslade im Allerheiligften 
verborgen ift, 2:8. Mof. 16. V. 32. und wenn es einmal 

zur Wahl fommt, wer verdammt und wer lo&gefprochen, oder 
. wer zum Rathöheren gemacht werden foll, fo befommt ein 
‚folcher Heberwinder eine weiße Kugel, den weißen Wahlftein, 
und darauf foll fein neuer Name fiehen, den niemand weiß, 

als der ihn empfängt. 
Unter diefen Anfpiegelungen aufs Manna neben der Bunz 
deslade, und auf das weiße Wahlzeichen oder Stein, find 
‚ehr erhabene und wichtige Dinge verborgen: Was das Eſſen 
‚des verborgenen Manna's bedeute, das finden wir Ev. Joh. 6. 
V. 27. bis zu Ende des Kapitele. Chriftus ift das verbor- 
gene Manna. Die Bundeslade nebft dem Gnadenftupl ftellre 
‚den Throm Gottes vor; der Krug mit dem Manna an ihrer 


62 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Seite iſt ein Symbol des in feiner verklaͤrten Menſchheit vers 
borgenen ewigen Worcs, fiend zur rechten Gottes, fo wie 
Aarons blühender Stab, der aud) bei der Bundeslade lag, 
fein ewiges Prieſterthum nach der Weife Melchiſedecks vorftellte. 
In unferm Nachtmahl wird aud) dad Eſſen des verborgenen 
Manna's vorgeſtellt. 

Selig iſt der, der dieſes Manna zu Zeiten koſtet! — wahr: 


lich es ift nicht Speife für Jedermann! fondern nur für die 


Ueberwinder! es ift ein hoher geiftiger Genuß, der alles über: 
trifft, was nur genannt werden kann. Befchreiben läßt fich 
das nicht, man muß es erfahren. 

Bei den Alten pflegte man wohl zu flimmen, ob ein Be: 
Hlagter fehuldig oder unfchuldig fey; wenn num dem Volk 
alle Akten befannt gemacht waren, fo befam jeder, der dabei 
eine Stimme zu geben hatte, ein fchwarzes und ein weißes 
Steinchen; wer nun den Beklagten für ſchuldig hielte, ver 
warf den fhwarzen Stein in ein, zu dem Ende hingeftelltes 
Gefäß, und wer ihn für unſchuldig hielt, der warf das weiße 
Steinchen hinein; waren nun am Ende der weißen Steine 


mehr ald der ſchwarzen, fo wurde der Beklagte freigefpros 


chen, und waren der ſchwarzen meht, ſo wurde er verdammt. 
In dieſem Sinne will alſo der Erloͤſer dem Ueberwinder ſeine 
Stimme zur Freiſprechung von aller Schuld geben, und dieſe 
Stimme gilt. Hiemit kann man auch folgende Bedeutung 
verbinden: Wenn geſtimmt werden ſoll, wer Ueberwinder iſt, 
ſo ſoll derjenige, der in dieſem Fall ſiegt, den weißen Stein 
haben; oder wenn einer zu Geſchaͤften im Reiche Gottes ge⸗ 
wählt werden foll, fo befommt der Pergamenifche Sieger den 
weißen Stein von mir. 

Aber auf dem weißen Wahlzeichen ſoll auch ein neuer Name 
ſtehen. — Die Bedeutung iſt folgende: Die Namen Gottes 
und Chriſti beziehen ſich auf Ihre Eigenſchaften; und wir 
finden auch in der heiligen Schrift, daß allemal die Namen, 


die Gott den Menfchen gab, Beziehung auf ihre Beſtimmung 


hatten; im Reiche Gottes find alfo die Namen nicht will: 
kuͤhrlich, fondern jeder wird genannt, wie es fein in diefem 
Leben erworbener fittlicher Charakter mit fich bringt, folglich 


Kap. 2. DB. 18, 19 65 


befommt jeder, der felig wird, im jener Welt einen neuen Nas 
men, fogar der Herr Ehriftus wird nad) vollendetent Sieg 
einen neuen Namen und Titel befommen. Dffenb. Joh. 5 
D. 12. Kap. 19. V. 12. und 16. Eben fo werden aud) die 
Ueberwinder von Pergamos ganz vorzüglich neue Namen bes, 
fommen, die etwas mehr bedeuten, als fonft wohl gewöhns 
li ift. Bei den Römern ward in den damaligen Zeiten 
- wohl gebräuchlich, daß ein großer. Kriegsheld einen Zunamen 
befam, der auf feine Siege Bezug hatte. 
Der vierte Brief lautet folgendergeftalt : 


18. Und dem Engel der Gemeinde zu Thyatira fehreibe: 
Das fagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuer⸗ 
flammen, und deffen Füße dem lauterftien Erz 
gleich find, 

19. Sch weiß deine Liebe und deinen Glauben, deine 
Dienftbefliffenheit und Geduld, und daß deiner legs 
ten Werke mehr find, als der. erften, 


Hier fangen nun eigentlich die Briefe an, die für uns 
vorzüglich wichtig find, weil fie fi auf die abendländifche 
Kirche beziehen. Die Zeitläufte der Apoftel, der Martirer 
und der griechifchen Kirche find verfloffen. 

In der Kirchengefchichte findet man Feine Nachricht, daß 
eine Gemeinde zu Thyatira gewefen; vermuthlich war fie 
Hein und unbedeutend, woher fie dann auc) fehr gut zum 
Vorbild des Zeitlaufs gebraucht werden fonnte, den fie vor⸗ 
ſtellen follte. Thyatira heist die Schlachtopfer verzehrend; 
aber mir dünft, es koͤnne noch eigentlicher überfeßt werden: 
- Die durch Schlachtopfer geplagte. Da wir ‚von diefer Ge: 
‚meinde weiter nichts willen, als daß nad) Ap. Gefh. 16. 
V. 14. eine Handelöfrau aus diefer Stadt, Namens Lydia, 
{ eine Ehriftin geworden, fo kann ich auch diefes Sendfchreiben 
nur auf den Zeitlauf anwenden, den Thyatira vorbildet; 
dieſer beginnt mit Karl dem Großen, und dauert gewiffer: 

maßen noͤch fort, wie ich bald zeigen werde. 

Wir müffen und immer wohl erinnern, daß die fieben _ 
Briefe des Herrn nicht am die herrſchende äußere oder Staatss 


64 Erklärung der Offenbarung Johanuis. 


firche,, fondern nur an die wahre Gemeinde, die unter der 
berrfchenden lebt, gerichtet find. Die Stadt Thyatira bedeu⸗ 
tet alfo hier die Fatholifche Kirche, von Karl dem Großen an, 
unter der Herrfchaft der Pabfte, bis. auf fpätere Zeiten; daß 
‚fie die Schlachtopfer verzehrend, und durch Schlachtopfer 
drücdend gewefen, das ift eine befaunte Sade, die jeder⸗ 
mann weiß. 

Im achten Jahrhundert, um die Zeit Karls des Großen, 
als in den Morgenländern theild durch die erftaunliche Aus⸗ 
breitung der Mahomedanifchen Religion, theils auch durch 
die unbefchreibliche Verdorbenheit der griechifchen Kirche, ein 
Gemeinde =Leuhter nad) dem andern weggerüct wurde, oder 
auslöfchte, entdedte man in den füdlichen Alpenthälern der 
Schweiz eine zahlreiche Gefellfehaft wahrer Chriften, die 
man die Vallenfer oder Thalleute nannte; fie kamen in allem 
Betracht den erften Ehriften in ihrem Leben und Wandel fehr 
nahe, und ihre Symbolen waren mit unfern proteftantifchen 
beinahe die nemlichen. Nachher gefellten fich die Waldenfer 
und Albigenfer noch zu ihnen. Im folgenden neunten Jahr— 
hundert brachten zween griehifche Mönche, Methodius und 
Eyrillus, das Chriſtenthum nad) Böhmen und Mähren, da—⸗ 
durch entftand dann. die mährifche, Brüderfirche, Die in der 
Herrnhuter Bruͤdergemeinde noch fortdauert. Die. Vallenfer, 
Waldenſer, Albigenfer und die, mährifchen Brüder machen 
alfo die Gemeinde zu Thyatira aus, und in der Mährifchen, 
nunmehro Herinhuter Brüdergemeinde dauert fie noch) immer 
fort, und wird auch bleiben: bis zur Zufunft des Herin. Dar⸗ 
am heißt es auch im 25ſten Bers: Was ihr habt, das haltet 
feft, bis ih Eomme! — Dieß wurde Feiner der vorigen 
Gemeinden geſagt, weil Feine bis zu feiner Anfunft währen 
würde. Die Vallenfer, Waldenfer und Albigenfer, und was 
im füdlichen Frankreich zu ihnen gehörte, wurde theils durch 
die ſchrecklichſten Verfolgungen vertilgt, und die Uebrigen 
vereinigten ſich hernach größtentheils mit den — und 
Maͤhren. 

Ich will dieſe Periode den Zeitlauf der Mährifehen: Kirche 
nennen, weil diefe vorzüglich ihre Eriftenz behauptete, und 


Kap 2. BTIB bis 20. 65 


noch immer auf eine ſehr merkwuͤrdige Art behauptet. Ich 
werde im Verfolg Gelegenheit — nd: — * dar⸗ 
uͤber zu ſagen. or 

An diefe Gemeinde zu Khyatira * ſich der Herr Chri⸗ 
ſtus und ſagt: So ſpricht der Sohn Gottes, den ihr vorzuͤg— 
lich.befennet, und euch von dem, was fein angeblicher Stadt⸗ 
halter vorgibt, nicht hinreißen läßt, fondern nur dem glaubt, 
was Er felbft redet. So fpricht der, der Augen hat wie 
Senerflammen, die über alle die Greuel der herrfchenden Kirche 
für Zorn funfeln; und fo fpricht der, deffen Füße dem lauters 
ften glühenden Erz gleich find, auf welchen Er nicht allein 
felbjt unerſchuͤtterlich feft fteht, fefter, als das Monarchienbild, 
deffen Füße von Eifen und Thon gemifcht find, und das Er 
nun bald ftürzen will, .fondern mit denen Er auch, wenn Er 
einmal in ſeinem Gericht einherfchreitet, alles, was ihm wis 
derfteht, zermalmen und in Aſche verwandeln wird... 
Sch weiß deine Werke, die nicht im Kirchengehen, Meß 
hören, den Prieftern Gefchenfe machen, Wallfahrten und ders 
gleichen, fondern in wahrer Gottes: und Menfchenliebe der 
fiehen. Du biſt dienfifertig'gegen jedermann, und.in deinen 
gottesdienſtlichen Verrichtungen apoftolifh gefinnt 5. dein 
Blaube ift rein, du glaubft nur an Chriftum, und nicht an 
den Papft und feine Bullen; in den ſchweren Prüfungen duls 
deſt du und harreſt treulich aus, und anſtatt, daß die morgen⸗ 
laͤndiſchen Kirchen von Tag zu Tag abnahmen, ann du 
von Tag zu Tag zu. | nd 

Dieſe legten merfwirdigen Wortes: Daß der Testen Werte 
mehr feyn follen, als der eriten, gilt vorzüglich von der Briis 
dergemeinde. Man brauche nür- ihre m a aan oh x 
leſen, um davon überzeugt zu werden. 
Bei allem dieſem Lob gehts dennoch ohne Tadel nicht , 
denn es heißt ferner? | 


\ 20. Aber ich habe —8 aih, daß du das Weib Jefa— 
bel, die ſich ſelbſt eine Prophetin nennt, meine 
Knechte lehren und verführen läſſeſt, daß he e —* 

treiben und Götzenopfer eſſen. 


a Sıifinga ſämmtl. Scheiften. Ni. Band. 5 


66 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


241. Und ich habe ihr eine beftimmte Zeit geaeben, um 

ihre Öefinnung zu ändern, aber fie will ſich von ihrer 
Hurerei nicht bekehren. 

22, Siehe! ich werfe ſie in ein Bette, und die mit ih die 
Ehe brechen in. große Trübfal, wenn fie für ihre Werke 

nicht Buße thun wollen, 

23. Und ihre Kinder werde ic} durch den Tod biuwichten 
und alle Gemeinden werden erkennen, daß ich der Er: 
forfcher der. Nieren und des Herzens bin, und id) 
werde Jedem unter euch geben nach, euern Werken. 


Es iſt wohl zu bemerken „ wie der Herr in diefen Briefen 
auf eine fonderbare Art die Gefchichte des Volks Iſraels, 
oder vielmehr des ganzen alten Teftaments, vom Paradies 
an, benutzt: Bei der ephefinifchen oder apoftolifchen Ge: 
meinde, wo das Chriſtenthum begann, da ijt vom Baum des 
Lebens im Paradies die Rede, 

Bei den Smyrnern fpricht der Herr vom andern Tode, der 
mit dem erſten, welcher aufs Eſſen der verboteuen Frucht 
folgt⸗ in Verbindung ſteht. 

Bei den Pergamenern kommt Bileam, Balad und das 

Manne ‚wor; lauter Sachen, die auf das Volk Iſrael in 
der. Waͤſten, auf ſeiner Reiſe nach dem gelobten Land Be⸗ 
zug haben. 
Und hier gedenkt nun Chriſtus der Jeſabel, des Weibes 
Ahabs, und braucht ſie zum Bild einer Verfaſſung, die mit 
der zu Elias Zeiten eine große Aehnlichkeit hat. Daß alſo 
der Herr ſein neuteſtamentiſches Volk hier gleichſam als ein 
zweites Iſrael auffuͤhrt, das iſt unläugbar. Ob zu Thyatira 
wirklich eine Sefabel war, oder ob Ahabs Gemahlin blos 
als Sinnbild hier gebraucht werde, das laßt ſich nicht aus⸗ 
machen, es iſt aber auch nicht noͤthig; ich glaube eben fo 
wenig, daß zu Thyatira eine Sefabel war, ald zu Pergamos 
ein Bileam, das find lauter bildliche Ausſpruͤche, ein pro⸗ 
phetiſcher Styl. 

So wie nun der iſraelitiſche Koͤnig Ahab die heidniſche Jeſabel 
heirathete, die dann den Goͤtzendienſt des Baals neben dem 
Dienft des Jehovah einführtes gerade fo machte es aud) die roͤ⸗ 


Kap. EM E 67 


mifche Kirche, fie borgte den Heiden beinahe alles ab, und 
bildete ein chriftliches Heidenthum oder heidnifches Ehriftens 
thum daraus, wie id) bei dem vorhergehenden Zeitlauf ſchou 
bemerkt habe. Vorzuͤglich aber paßte diefes Bild auf die Zei⸗ 
ten der Waldenfer und der Mährifchen Kirche, der Verfall 
in der herrfchenden Kirche war ſo unausſprechlich groß, und 
der wahren Verehrer Jeſu fo wenig, daß auch wohl die 
Eliaffe zu der Zeit fagen kounten, ſie harten? geglaubt, fie 
wären allein übrig geblieben. 

Die Vorftellung der falſchen Kirche unter dem Bild einer 

Gemahlin, die ihrem rechten Manne untreu wird, ift den 
Propheten fehr geläufig, und in der hohen Dffenbarung 
kommt ja eine Hauptperfon, die babylonifche Hure, in eben 
diefem Sinne vor; es iſt alfo nicht zu zweifeln, daß aud) 
hier die Zefabel eben jene babyloniſche Hure, folglich die aus: 
geartete römifche Kirche zu jenem Zeiten habe vorftellen ſollen; 
es konnte aber auch Fein paſſenderes Bild gewählt werden: 
Denn fo wie Sefabel die wahren Gottesverehrer verfolgte und 
umbringen ließ, fo auch die römifche Kirche die Waldenſer 
— und o wie viel Naboths Weinberge hat dieſe —— 
gerechter Weiſe an ſich geriſſen! 

- Der Vorwurf, den der Herr den Waldenſern, — 
Höhmen und Mähren macht, ift immer der nämliches Die er⸗ 
ſten Gemeinden bequemen fich zu fehr nach dem Heidenthum, 
und. diefe mochten auch wohl nicht immer wachfam' genug 
ſeyn, daß nicht die falſche Propherin je zuweilen dem einen 
- oder andern verführte, und zum geifilichen Ehebruch des heids 
niſchen Chriftenthums verleitete. Judeſſen droht denn doch 
Ehriftus der Gemeinde nicht mit Strafe, fondern nur der 
Jeſabel felbft, und dann auch denen, die ſich von ihr verfüh: 
ren laffen. | 
Ich habe ihr. einen Zeitraum , eine " pefkiitumte Zeit feftge: 
ſetzt, fagt der mir den funfeluden Augen, wenn fie fich in 
demſelben nicht beſſert, fo werde ich ihr vergelten,, wie ſie's 

verdient; aber fie wird fich nicht beffern, darum will ic) fie 


in ein anderes Bert werfen, als worinnen fie bisher ihre 


Greuel getrieben bat. Die eigentliche Jeſabel wurde zum 
5 * 


68 Erklärung: der Offenbarung Johannis, 


Benfter heraus auf die Straße geworfen, wo fie.die Hunde 
auffraßen, das war alfo ihr. Todtbette; auch die roͤmiſche 
Sefabel findet ihr Sterbebette ganz anders, als. fie jerges 
ahnet hat. — D wie wahr find die Ausfprüche des aus gen 
worden! — 

Aber auch die Gauuſtlinge dieſer Jeſabel ſollen, wenn fie ie 
nicht Buße thun, in große Zrübfal gerathen! — id) meyne, 
daß fie gekommen ift, und dereinft noch erft Fommen wird! 


Shriftus fagte immer: Wer Ohren hat, der hoͤre und ich 


möchte fagens Wer Augen hat, der fehe! 

Aber auch die Kinder der Jeſabel follen durch den Tod hinges 
richtet werden, fo wie dad aud) bei dem Ahab und feiner Gemahe 
lin der Fall war. Die Kinder der römischen Sefabel follen auch 


‚ nicht gedeihen, fondern durch den Tod von der Erde vertilgt wers 


den. Ich erinnere hier, daß ich nie unter der römifchen Jeſabel 
die katholiſche Kirche, fondern blos die römifche Hierarchie, 
den päbftlichen Thron verftehe; jene ift mir ehrwuͤrdig. Aber 
auch diefe Gerichte über die Kinder der Jeſabel, fo wie über 
fie ſelbſt und ihre Günftlinge, werden alle Gemeinden für 
heilig und gerecht erfennen ; fie werden mit Staunen und Vers 


wunderung fehen, wie — das Schwert aus dem Munde 


des Herrn immer den Rechten trifft, und wie richtig der, der 
es führt, alles beurtheilt. Das ift aber auch Fein Wunder, 
denn Er ift ja der Herzen» und Nierenprüfer, und fo vergilt 
Er jedem genau, fo wie ers verdient hat, Wer Augen hat, 


der fehe, was der Geift den Gemeinden vorhergefagt hat! 


und jetzt zum Theil ſchon in Erfuͤllung geht. 
Auf die Drohung folgt nun auch die Verheißung: 


34. Euch aber, den Uebrigen zu Thy atir a, ſage ich: 


So viel eurer dieſe Lehre nicht haben, welche, ſo wie 


ſie ſagen, die Tiefen des Satans nicht erkannt haben, 
ich will Eeine andre Laft auf euch werfen. 


25. Doc) was ihr habt, das haltet feft, bis daß ich kom⸗ 


men werde, 


26. Und dem Ueberwindenden, und dem, der da meine 





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Kap. 2. V. 24 bis 29, 69 


Werke bis ans Ende bewahrt, dem werde ich Macht 
geben über die Völker. 

27. Und er foll fie mit einem eifernen Scepter hüten, fo 
mie die irdenen Gefäße zerfchmettert werben, nie 

auch ich von meinem Vater empfangen habe, 

38. Und ich werde ihm den Morgenftern geben. 

29. Wer Ohren hat, der böre,. was der Geift den Ges 
meinden füge! 


Der Herr Chriſtus will es mit den —* zu TIhyatira, 
geſetzt auch, fie Hätten fich zu Zeiten einmal von den fubtilen 
Ssefabeld = Striden unvermerft fangen laffen, fo genau nicht 
nehmen; in jenen dunfeln Zeiten erkannten fie die Tiefen des 
Satans in der Jeſabels-Lehre nicht, und das geftehen fie 
aufrichtig,, fie hatten Fein Arges darin, darum will ihnen 
der Herr auch nicht noch eine Laft zu der ihrigen aufbürden, 
die ohnehin unter Ahabs und Jeſabels Despotismus fchwer 
genug iſt; aber fie muͤſſen dann auch bei der einmal erkanu⸗ 
ten Wahrheit feft bleiben, und ſich 2 nehmen ne * | 
der Herr fommen wird! 

Dieſe Gemeinde foll alfo dauern bis der Herr — * Der 
epheſiniſchen Gemeinde, und hernach der pergameniſchen droht 
Chriſtus: Ich werde dir bald kommen, wenn du nicht Buße 
thuſt, deinen Leuchter wegſtoßen und mit dir kriegen mit 
dem Schwert meines Mundes. Man ſieht alſo mit der groͤß⸗ 
ten Ueberzeugung, daß in dieſen beiden Drohungen von einer 
Zukunft des Herrn zu einem befondern Gericht die Rede ift; 
Denn es heißt, ich komme, dir deinen Leuchter wegzuftoßen, 
und dieß iſt num auch ſchon längft erfüllt; oder ich Fomme dir, 
um mir ihnen zu kriegen mit dem Schwert meines Mundes, 
auch das iſt ſchon längft gefchehen, hier aber heißt es: Halte 
i was du haft, bis ich Fomme; es ift jegt nicht vom Strafen, 
ſondern vom Belohnen die Rede, und dieß ift das Gefchäft 
der legten Zukunft des Herrn. Doch dieß ift fo klar und 
fo gewiß, daß e8 Feines Beweifes bedarf; aber eben fo ge: 
wiß iſt es denn auch, daß die Sendfchreiben an die fieben 
Gemeinden in Kleinafien zugleich propherifch find, und Bes 


70 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


zug auf die ganze Ehriftenheit bis and Ende haben! und daß 
die vorgebildere Gemeinde zu Thyatira noch immer fortdauere, 
und bis zur Zukunft des Herrn fortdauern werde. Da nun 
die Waldenfer, Albigenfer und die böhmifche und mährifche 
Brüder diefer Gemeinde, und bie erften alle endlich in den 
legtern, namlich der Herrnhuter Brüdergemeinde zufammenges 
ftoßen find, fo geht diefe leere eigentlich die Ermahnung 
des Herin vom zdften bis 2sften Vers an: Gie foll feft 
halten, was fie hat, bis er kommt; der Meberwinder aus 
diefer Gemeinde, und der, der die Werfe Jeſu Chriſti 
zur Erlöfung der Menfchen bis and Ende des großen und leß- 
ten Kampfs bewahrt, ver foll Made befommen aber ui 
Heiden. 

Ich finde hier nöthig, zu erinnern, daß ich gar nicht zur 
Herinhuter s Brüdergemeinde gehöre, und ganz und gar uns 
partheiifch bin; ich wünfche nur, daß man fie Fennen lerne, 
ehe man über fie urtheilt. 

Daß diefe Gemeinde, oder diejenigen aus ihr, die in als 
len noch nöthigen Sichtungen treu bleiben, in allen Kämpfen 
überwinden, Macht über die Heiden befommen follen, iſt 
merkwuͤrdig: Denn welche Religionsgefellfchaft in aller Welt 
und zu allen Zeiten hat fich verdienter um die Nationen ges 
macht, als eben diefe Brüdergemeinde? 

Aber dieſe Verheißung geht noch weiter: 

Der erhabenfte Verfaſſer diefes Briefs zielt mit den Wor⸗ 
ten: Und er foll fie weiden mit eifernem Scepter, fo wie 
die irdenen Gefäße zerfchmettert werden, wie auch ich von 
meinem Vater empfangen habe, fichtbar auf die Stelle Pf. 2. 
DB. 9. Heifche von mir, fo will ich dir die Heiden zum Erbe ges 
ben, und der Welt Ende zum Eigenthbum, du follft fie mit 
einem eifernen Scepter zerfchlagen, wie Töpfe follft du fie zers 
fhmeißen. Wo alfo Gott der Vater feinem Sohn Jeſu Ehrifto, 
den Er von Ewigkeit her gezeuget, und der nun hier einen 
Brief an diefe geiftliche thyatirifche Gemeinde diktirt, die Herrz 
ſchaft und die Macht über die Heiden, bis an die * 
der bewohnten Erde gibt. 

Eben dieſe Verheißung wird auch Kap. 12. 3 bi * 


Kinde gegeben, welches das Weib im Sonnenfleid gebiert; 
und endlich kommt auch Kap. 19. V. 15. bei der Vollendung 
des legten Kampfs das nämliche wieder vor, Aus dem allen 
ift nun klar, daß dem Herrn Ehrifto_felbft die Herrſchaft 
über die Heiden, und dad Bändigen der Widerfpenftigen un: 
ter ihnen durch eiferne Scepter, von feinem Vater übertragen 
‚worden, und da Er felbft in eigener Perfon diefed nicht aus⸗ 
‚führen will, fo bedient er fich feiner Diener dazu, und be: 
lehnt nun wieder diejenige Gemeinde mit diefem Regal, die 
fih um die Heiden am verdienteften gemadt hat. 

Das Mehrere wird in der Erklärung oben angeführter 
Stellen vorfommen, 

Dabei foll es aber nicht bleiben ; Sie follen auch) den Mors 
genftern befommen; das muß auch etwas wichtiges ſeyn! — 
Der Harr nennt fich felbft einen helleuchtenden Morgenftern, 
Kap. 22: V. 16. und Petrus verweifer in feinem 2. Brief 
Kap. 1. V. 19. fo lang aufs fefte prophetifche Wort, bis 
der Morgenftern, der Lichtträger, im Herzen aufgehe. Dies 
ſes Spradhbild will alfo fo vielfagenz Bei euch, thyatirifchen 
Ueberwindern, foll der Tag meines Reichs zuerft anbrechen; 
ihr follt zuerft den Morgenftern fehen, ihn aus der erften Hand 
+ befommen. Die Erfüllung der Weiffagungen fängt fich bei 
euch an zu fchließen, ihr werdet das fefte prophetifche Wort 
am erjten nicht mehr bedürfen, weil euch der Morgenftern 
ſelbſt das Nähere zeigen wird, Wer Ohren hat, der höre, 
was der Geift den Gemeinden fagt! 

Diefe Formel ftand in den drei vorhergehenden Briefen 
immer vor der Giegeöverheißung, und in den vier leiten 
fteht fie nachher, und macht den Schluß; — dieß gefchieht 
nicht ohne Urfaches Die drei erften Zeitläufte hörten mit dem 
Sturz der griehifchen Kirche auf; zum Lob, zum Zabel, 
zur Drohung und zur Ermahnung bedurfte es da diefer Aufs 
munterungsformel, diefes Nota bene nicht, denn das Alles 
ſtand damals den Zeitgenpffen vor Augen, alles das ligitimirte 
ſich an jedem wahrheitliebenden Herzen; was aber den Ueber: 
windern nach ihrem Tod in der Ewigkeit bevorftund, das 
wußten fie noch wicht, und darum fagt der Herr jedesmal: 


72 Erklärung der ffenbarung Johannis. 


Gebt wohl Acht, was auf den wartet, der treu Kent und 
aushält; wer Ohren hat, der horche auf! 

Die vier Ießten Zeitläufte aber waren damals noch ganz 
zufünftig, ihre Anfänge waren noch weit hin,. gefehweige ihr 
Ende; daher will der Hochwuͤrdigſte Verfaffer auf jeden gans 
zen Brief. aufmerffam machen, und hängt daher jedem dieß 
Nota benesan: Das Alles, was in dem Brief fteht, behals 
tet! wer nur Ohren hat, der. höre, was da der Geift den 
Gemeinden gefagt hat. Befonders aber .ift auch hier das 
Ganze jedes Briefs außerordentlich merkwürdig, weil die 
Zeitläufte alle vier, ‚bis zur Vollendung der Enthuͤllung deö 
Geheimniffes Gottes und Chrifti fortlaufen, und alſo auch 
alle vier an fie. gerichtete Briefe außerordentlich wichtige Le= 
benöregeln für alle ihre Zeitgenoffen enthalten, wie. dieß fchon 
aus dem nächftvorhergehenden Sendfchreiben an die Gemeinde 
zu Thyatira erhellet, und aus beiden folgenden noch weiter 
erhellen wird. 


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Kaps BEN bis Fall  '73 


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Das sritte Kapitet. 


1. Ulm m: Enger der Gemeinde zu Sardes eöreibe: ı 
Das fagt, der die fieben Geifter Gottes und die fieben 
"Sterne hat? Ich weiß deine Werke, daß du den Nas 

men haſt, als lebteſt du, und bift doch todt. 

2. Werde wacker, und färfe das Uebrige, das fterben 
wills Denn ich habe deine Werke nicht vollendet ges 
funden vor deinem Gott. 

5. Grinnere did, deßwegen, wie du empfingft und hor⸗ 
‚tet, behalte es und ändere deine Geft Inmung. Wenn 
du aber nicht wacheft, fo werde ich wie ein Dieb 
‘ Tommen, und du wirft nicht wiffen, nn Stunde ich 
über dich kommen werde. 


Die Gemeinde zu Sardes, an welche diefer Brief gerichtet 
ift, war, wie man aus demfelben ſieht, nicht fo wichtig und 
vorzüglich, daß fie e8 vor vielen andern verdient hätte, eine 

Mitbewahrerin der Offenbarung Jeſu Chrifti zu werden, 
und doch wird fie es, weil fie genau die chriftliche Gemeinde 
in der Fatholifchen Kirche, von Karl dem Großen an bis 
ans Ende vorftellt, und ihr getreues Vorbild if. . 
Dieſer Gemeinde nun Fündigt fich der Herr, ald den Inn⸗ 
\ haber der fieben Geifter Gottes, und der damit in Verbindung 
ſtehenden fieben Sterne an. Dieß gefhieht darum, weil die 
‚Katholifchen, auch die Froͤmmſten, ihre Kirche für die allein 
ſeligmachende halten, und nicht glauben, daß außer ihr in 
‚einer ‚andern. dad Seligwerden möglich fey; bilde dir das 
nicht ein, will der Herr gleichſam fagen, daß ed nur einen 
Steru gebe, und daß du eben der Einzige-feyft, nein! es 
gibt deren fieben, fo wie ſich auch der einige Geift Gottes 
im fiebenfachen Lichte äußert. — Ich, der Befiger diefer Geis 
ſter und diefer Sterne, fage dir nun geradezu, daß ich deine 


7A Grelärung: der Offenbarung Johannis. 


MWerfe weiß und daß du dir viel auf dein Leben einbildeft, 
und bift doch todt. Du haft ven Namen, daß du lebeft, allein 
auch weiter nichts. | 

Da Ehriftus und Johannes beide Hebraer waren, fo ift 
es wahrfcheinlid, daß der Herr mit den Worten: Du haft 
den Namen, als lebteft du, auf ven Namen der Stadt zielt; 
welches -Urfprungs. das Wort Sardes auch ſeyn mag, fo 
laßt es fic) doch aus dem Hebräifchen Sarad, übrig geblieben 
feyn, oder, ‚er ift übrig geblieben, wohl herleiten, wenigftens 
läßt es fich darauf aufpielen, gleich) ald wenn Ehriftus fagen 
wollte: Du meineft, du wäreft im großen Kampf des Heiden: 
thums und Chriftenthums allein noch am Leben, noch allein 
übrig; du wäreft die wahre Frucht des Bluts der Märtirer, 
aber das bilde dir nur nicht ein, du bift eben fo todt, wie 
deine griechiſche Schwefter, darum halte dich beffer als diefe, 
fey wachend! Mas noch in dir übrig ift (hier wird wieder 
auf den Namen der Stadt gedeutet), das ift fehr Fränklich, 
Darum brauche ihm die gehdrigen Stärfungsmittel, damit 
es nicht auch fterbe, und am Ende nichts mehr übrig feyn 
möchte: Denn ich habe alle deine gottesdienftliche Werke ges 
prüft, und fie nicht vollendet, nicht erfüllt gefunden. 
Und woran liegt ed denn bei diefen Werfen, daß fie nicht 

für voll gelten Fonnen? — Eben daran, weil fie der Fathos 
lifche Chriſt für verdienftlich hält, und dann gehört bei dem 
Gott unfers Herrn Jeſu Chrifti viel dazu, bis fie als vollens 
det, als Pflichtgemäß angefehen werden; fobald wir mit Gott 
rechnen wollen, fo wird vollkommene Erfüllung des ganzen 
Eittengefeßes von der Geburt an bis in den Tod gefordert, 
und wenn dann aud) einer das Alles geleifter hätte, fo hätte 
er dann doch dadurd) noch nichts verdient, fondera nur blos 
feine Schuldigfeit gethan, Der Herr Ehriftus will alfo fas 
gen; Wenn du auf deine Werke troßen willft, ſo muß ich 
Dir verfichern, daß du damit lange nicht zureicheft, Du fcheinft 
vergeffen zu haben, waraufes hier ankomme; darum erinnere 
Dich der Lehre, die du empfangen und gehört haft, bewahre 
fie und thue Buße! — 

Diefe Erinnerung ift deu Chriſten i in der oki Kirche 


Kap. 5 B. 4. 5. 6 75 


fehr uothwendig: Weil man ihnen ehemald-die Bibel vor: 
enthielt, und fie noch immer nicht genug braucht, fo war 
amd ift ihnen die Lehre von der Erlöfung durch Chriftum, 
vom wahren Glauben und von den guten Werfen, als Wir: 
Zungen jenes Glaubens und der Liebe gegen Gott, nicht ges 
läufig genug, folglich erinnert fie der Herr daran, und fagt? 
Gedenfe was du empfangen und gehört haft, und behalte es} 
Muun folgt aber auch die Drohung: Wenn du aber nicht 
wachejt, fo werde ich dich plöglich im Schlaf wie ein Dieb 
überfallen, und du wirft nicht wiffen, weldye Stunde es ges 
fhieht. Solcher unerwarteter Ueberraſchungen, ald Vorfpiele 
des legten großen Gerichts über fie, und des MWegftoßens 
ihres Leuchters hat fie nun fchon zwo erfahren, eine zur Zeit 
der Reformation, und die andere jet durch Frankreich. Die 
Redlichen in der Fatholifchen Kirche mögen fich alfo jene Ers 
iunnerung, treu zu wachen, und fich an die Bibel zu halten, 
wohl zu nuß machen, und ihr treulic) folgen, damit fie, wenn 
ſie nun der legte Schlag übereilt, errettet werden mögen. 


4. Über du haft wenige Namen in Sardes, welche ihre 

Kleider nicht beſchmutzt haben, und ſie werden in wei⸗ 
ßen Kleidern mit mir wandeln, denn ſie ſinds würdig. 

5. Der Ueberwindende, dieſer ſoll mit weißen Kleidern 
bekleidet werden, und ich werde ſeinen Namen aus 
dem Buche des Lebens nicht BD und ich werde 
m Namen bekennen vor meinem Vater und vor 
einen Engeln. 


6. Wer Ohren hat, der höre, was der Geiſt den Gemein⸗ 
den fagt! 


Alles Verderbens und Abweichend ungeachtet, find doch 
immer noch einige namhafte Chriften hin und wieder und 
zu allen Zeiten in den Fatholifchen Kirchen gefunden worden; 
hierunter werden Feine Waldenfer, oder fonft irgend eine Parz 
thie, die von diefer Kirche ausgegangen war, verftandenz 
denn ſolche gehörten nicht mehr zu ihr, fondern wirkliche 
katholiſche Chriften, die den Lehren ihrer Kirche treu folgten, 
und zugleich wahre Nachfolger Zefu waren. Man erinnere 


76 Erklärung der Offenbarung Johanuis. 


fi) nur folgender weniger Namens Franz von Affife, Catha⸗ 
rina von Siena, Gatharine von Genua: Gregorius Kopez, 
Johannes a cruce, Nusberich, Gerhard Peterfen, Thomas 
von Kempen, Taulerus, der Kardinal und Erzbifhof Carl 
Borromäus, die Madame Gujon, der Erzbifchof von Saglinacs 
Fenelon u. f. w., welcher rechtfchaffene Chriſt wird fich weis 
gern, fobald er die authentifche Gefchichte jener Fatholifchen 
Seelen gelefen hat, ſich im Augenblic® mit ihnen zu verbrüs 
dern? Dergleichen hats von jeher immer gegeben, deren Nas 
men zwar den Menfchen nicht befannt worden, die aber der 
Herr gewiß nicht vergeffen wird. * 

Von dieſen wird nun bezeugt, daß ſie ihre Kleider nicht 
beſchmutzt haͤtten. Chriſtus behauptet ſeinen Charakter, den 
er in den Tagen feines Fleiſches aͤußerte, auch in feiner Herr⸗ 
lichfeit immer fort: Zu allen Stüden bezog Er ſich auf die 
Schriften des alten Teftaments, um es zu erfüllen, und hier 
geichieht das nemliche in allen Briefen, Die prophetifche 
Stelle, die er bier im Auge hat, fteht Jeſajaͤ 64. ®. 6. 
- Aber nun find wir allefamt wie die Unreinen, und alle unfere 
Gerechtigkeit ift wie ein unflätig Kleid. Bon Feiner chriftli- 
hen Keligionsparthei in der Welt kann dieß mit größerem 
Necht gefagt werden, als von der Fatholifchen, im welcher 
alles auf Werk: Gerechtigkeit, und zwar auf eine fehr unreine 
hinauslauft; wie Fann 3. B. das bloße Meßhoͤren, Beichten, 
Abendmahlgehen, Wallfahrten, jo oder fo viel Vaterunfer 
beten, u. dgl.. bei Gott etwas gelten? — Das ift eine fehr 
unfläthige Gerechtigkeit, ein beſchmutztes Kleid, wenn nicht 
auch die wahren Eigenfchaften des Chriften damit verbunden 
werden; da num die wenigen Namen in Gardes mit jenen 
Gerimonien e Werken auch zugleich die wahre Gerechtigkeit 
Chriſti vereinigten, fo lobt fie hier der Herr und fagt von 
ihnen, daß fie ihre Kleider nicht befudelt Hätten, und darum 
follten fie audy mit ihm in weißen Kleidern wandeln, denn 
fie feyen es werth. 

Auc) mit diefen weißen Kleidern wird auf die Prieſter und 
Leviten des alten Teſtaments gedeutet, als welche auch in 
Weiß gekleidet waren, und beſonders durch weiße Kleider zu 


Kap. 3. B. 7. 8. 77 


ihrem Dienſt eingeweihet wurden. Die Worte Chriſti alſo, 


nach unferm Sprachgebrauch umgebilvet, würden fo lauten: 
Sch will ſie zu Kandidaten, zu Leviten im Tempel des neuen 
Bundes einweihen, dazu haben fie fich fähig gemacht. 
‚Diefe Einkleidung zum neuteftamentlichen Priefterthum wird 
nun, auch den. Ueberwindern in der Fatholifchen Kirche, die 
ſich ritterlich durch alle Hinderniffe hindurch kaͤmpfen, zuges 
ſagt, und zugleich verſprochen, daß bei dem großen Gericht 
uͤber Babylon, wo ihres Namens Gedaͤchtniß aus dem Buch 


des Lebens weggetilgt werden foll, ‚die Namen dieſer edlen 


Bekenner der Wahrheit nicht ausgeldfcht werden follen, ſon— 
dern Chriſtus will fie fo gar Öffentlich vor feinem Vater und 
dem ganzen bimmlifchen Hof laut aldi feine Freunde und 
Priefterthumd = Kandidaten anfündigen. Wer nun Ohren für 
dergleichen Dinge hat, der höre, was hier der Geift Jeſu 
Chrifti feinen Getreuen in der Fatholifchen Kirche gefagt hat, 
und laffe fich dann aber auch dadurch warnen, damit er nicht 
im großen Gericht über. die Kirche verloren gehen möge. 
Nun ‚folgt der, Brief an die Gemeinde zu Philadelphia. 


7, Und dem Engel der Gemeinde zu Philadelphia 
fehreibes Das fagt der Heilige, der Wahrhaftige, 
der deu Schlüffel Davids hat, der aufmacht, und 
niemand fchließt zu, und der zufchleußt, und niemand 
macht auf. 


* Ich weiß deine Werke. Siehe! ich habe bir die Aus— 


fiht in eine offene Thür gegeben, „die niemand zus 
N kann; weil du eine Eleine Kraft baft, und 
aft Doch mein Wor bewahrt, und meinen Namen 


* nicht verlängnet, 


we 


Hier haben wir nun auch das Sendfchreiben des Herrn an 


die wahren Chriften unter allen Partheien in den beiden pros 
teſtantiſchen Kirchen, von der Reformation an bis zu feiner 
Zukunft; im Philadelphia, in der Bruderliebe, werden alle 


Chriſten, aus dem geiftlichen Thyatira oder der Brüderges 


meinde,, aus den Menoniten, Separatiften, Pietiften aller 
Art, Merhodiften, Quadern u, ſ. w. in ein Buͤndelein gebuns 


— 


78 Erklärung. der Offenbarung Johannis. 


den, und zur Gemeinde in Philadelphia gemacht. Ich bitte 
aber wohl zu bemerken, daß nur wahre Chriften aus dieſen 
Partheien felbfiz denn da im ganzen Brief weder Warnung, 
noch irgend ein Vorwurf oder Drohung fteht, fo kann er fid) 


auch nur auf wahre Chriften beziehen. Die Namchriften aller 


Partheien befommen im folgenden Brief an Laodicea auch 
ihren Theil. 

Wie unausfprechlich tröftlich it dev Gedanke, diefer Brief 
ift an mid) gerichter, hier hat auch der über alles Geliebte, 
der König aller Könige an mich gefchrieben ! — aber theurer, 
lieber Lefer! wenn diefer Gedanke in dir auffteige, fo prüfe 
dich wohl, ob du auch ein Bürger in Philadelphia bift? — 
bier kommts wahrlich nicht darauf an, daß du ein Herrnhuter 
oder Pietift von irgend einer Art heißeft ! — die Parthei macht 
es nicht aus, fondern unterfuche redlich, ob du en Ei⸗ 
genſchaften an dir habeſt. 

1) Bift du in deiner Seele überzeugt, und faͤhlſt du tief, 
daß du in deinem natuͤrlichen Zuſtande unter der Herrſchaft 
der finnlichen Lüfte ſteheſt? — oder mit einem Wort: Fuͤhlſt 
du bein firtliches Verderben mit Leidweſen? 

2) Iſt dein Wille unwiderruflich und beftimmt befeftiget, 
fhlechterdings nichtö anders zu wollen, als was dem allein 
guten Willen Gottes gemäß ift? 

5) Machen dir edle und chriftliche Handlungen mehr, Freude, 
ald auch erlaubte finnliche Luftbarkeiten; fo. daß du auch das 
liebſte finnliche Vergnügen einer Fleinen edlen Handlung aufs 
opfern Fönnteft, wenn Eins von beiden unterbleiben müßte? 

4) Empfindeft du auch mit Leidwefen, daß alle veine Hand» 
lungen, aud) die beften, noch von Selbftgefälligfeit, Eigen: 
nuß oder geiftlicher Anmaßung nicht frei find ? 

5) Fuͤhlſt du, mit der lebhafteften Ueberzeugung, daß dich 
alles dein Thun und Laffen, alle deine beften MWerfe, der 
Bürgerfchaft Philadelphia’s und der Seligfeit nicht würdig 
machen, fondern daß bloß und allein die Gnade: Gottes in 
der Erlöfung durch) Chriſtum das Mittel dazu fey? 

6) Spürft du auch. die, Gegenwart des heiligen Geiftes in 
deiner Seele? das iſt: Spürft du einen Trieb in dir zu Ge⸗ 








Kap. 3. V. 7. 8. 79 


bet, haſt du freudige Zuverſicht im Beten? und fuͤhlſt du 
jeden Augenblick ſehr lebhaft, wenn du etwas thuſt, das 
nicht recht iſt? — je feiner diefes Gefühl ift, defto beffer. 

7) Haft du endlich kein Vorurtheil gegen irgend eine hrift- 
liche Parthei? fondern find dir alle Glieder aus allen. Par— 
theien lieb, fo bald fie fi) ald wahre Chriften legitimiren? 
— Hätteft du alle vorige ſechs Kennzeichen, und dieß letztere 
fehlte dir, fo waͤrſt du fein Bürger in Philadelphia; denn 
dir hätteft die allererſte Tugend des Chriften, die Bruderliebe, 
nicht, und wärft alfo ein tönend Erz und eine Flingende 
Schelle. 

Wer num unter euch bei redlicher Prüfung findet, daß er 
noch jene Eigenfchaften nicht hat, der nahe fich herzlich und 
Findlich zum Geber allen guten und vollfommenen Gaben, 
und höre nicht auf, zu flehen, zu ringen, und zu kämpfen, 
bis ev das Ziel errungen hat. 

Diejenigen aber, die in Demuth und in der Wahrheit in 
diefer Prüfung beftanden find, die follen num hören, was 
ihnen der Herr zu fagen hat. 

Hier kuͤndigt fich Chriftus ald den Heiligen und Wahrhaf⸗ 
tigen an: Seine Gerechtigkeit ift rein und heilig, daran iff 
Fein Flecken; dahingegen die Thätelei unferes Zeitalters ein 
Bettlersmantel voller Ungeziefer ift; und ob es gleich fcheint, 
ald wenn es mit den Verheißungen des Herrn aus waͤre, und 
fie nicht erfülle würden, fo können wir und. doch darauf ver= 
laſſen, daß Fein Jota umerfüllt bleiben wird, denn Er ift der 
MWahrhaftige, dieß gehört ja zw feinem Siegeltitel oder neuen 
Namen. Kap 19. V, 11. 
Dicie folgenden Ausdrücde: der den Schlüffel Davids hat, 
der aufichließer, ohne daß fonff jemand ald Er wieder zus 
ſchließen Fann, und der zufchließt, ohne daß ein Anderer aufs 
machen Fan, beweifen wieder, was ich oben fagte, daß 
Chriſtus immer die Ausfprüche der Propheren auf fich ans 
wende; dieß foll uns deßwegen das alte Teſtament fehr 
wichtig machen.) Die Stelle, deren ſich hier der Herr bes 
dient, ſteht Jeſaiaͤ 22. V. 22. und die Anfpielung ift fehr 
lehrreich: Der König Hiskia hatte zween Minifter au feinem 


80 Erklärung der Offenbarung Johannis. . 


Hof, der Eine hieß Eltafim, der Sohn Hiökia, welcher ei⸗ 
gentlich auch Hofmarfchall war, und der andere hieß Sebna, 
der das Zuftizwefen zu beforgen hatte, Als nun der König 
Hiskia geftorben war, und fein gottlofer Sohn Manaffe an 
die Regierung Fam, fo ift vermuthlich der rechtfchaffene Elias 
fim geftürgt, und Sebna des Königs Liebling. geworden; 
woher ed dann auch gekommen feyn mag, daß eben diefer 
Sebna in Davidsburg, und uͤberhaupt zu Jeruſalem und im 
ganzen jüdifhen Lande, fo recht den Meifter fpielte, als ver 
König nach Affyrien in die Gefangenfhaft weggeführt. wor—⸗ 
den war; er ließ fih8 recht wohl feyn auf Davidsburg z ſo⸗ 


gar bauete er fich ein prächtiged Grabmal dahin, um auch nach. 


feinem Tod noch im Anfehen und Andenken zw bleiben, Dies 
fes.rügt num der Prophet Jeſajas in oben’angeführter Stelle: 


Das ganze Kapitel ift eine geheimnißvolle Weiffagung von 


der Eroberung Serufalems durdy die Affyrer, wo dann eben 
diefer Sebna ein ganz anderes Grab finden, der rechtichaffne 
Eliafim aber die wahre Zuflucht der Elenden werden follte, 
Da aber Ehriftus hier fi) eben diefer Stelle bedient, und ſie 
auf ſich anwendet, ſo wird dadurch auch die ganze Weiſſa⸗ 
gung noch weit merkwuͤrdiger und bedeutender: Denn nun 
ſtellt Jeruſalem mit dem Lande Juda die europaͤiſche Chriftens 
heit vor, und zwar in den gegenwärtigen Zeiten, wo fie auch 
von den Affyrern gedrängt wird; und Sebna bildet den roͤmi⸗ 


{hen Pabſt ab, ver fich fo recht der Davidsfchlüffel nach- 


Gefallen bediente; dieſer Sebna foll auch geftürzt werden, 
und dann fpricht der Herr, will ich der rechte Eliakim feyn, 
und die Schlüffel zur Davidsburg beffer brauden; wie der 
Verfolg zeigen wird. 

Sch weiß eure Werke, Philadelphier! fagt der Herr ferö 
ner, und bin mit euch zufrieden; ihr habt nur eine Kleine 
Kraft, denn ihr lebt in Zeiten, wo der Lurus, die Vers 
ſchwendung und die Ueppigfeit aller Art den Geift des Chris 
ſtenthums dampft, und wo die Vernunftweisheit recht dars 


über aus ift, um euch vollends jede Duelle des Glaubens 


zu trüben, und doch halter ihr feft am Evangeliv, und vers 
laͤugnet aud) fogar meinen Namen nicht in einer Zeit, wo 


Je Er u 2 Ze 


Kap. 3. V. 9 10, 11. 81 


es fo weit gefommen ift, daß man fich ſchaͤmt, in einer ho: 


netten Öefellfehaft meiner zu gedenken. Darum hab ich euch auch 
die Thür zur wahren Feſtung Davids gedfinet, die auch Fein 
Menſch zufchließen kann, dahin koͤnnt ihr fliehen, wenn nun 
bald der: allgemieine Sammer angeht, da follt ihr ficher feyu. 
Dieſe tröftliche Verheißung wird im folgenden 10ten Vers 
noch mehr. erweitert und befräftiget. 


- Nun heißt es ferners 
2 Eiche! ich gebe dir etliche aus des Satans Syna⸗ 


goge, die da fagen, fie feyen Juden, und finds doch 
nicht, fondern fie lügen; fiehe! ich will machen, daß 
fie Eommen, dich fußfällig ehren, und erkennen fols 


j 


"Ten, daß id dich geliebt habe, 


10, Dieweil du das Wort meiner Geduld bewahrt haft, 
fo will ich dich aud) bewahren für der Verfuchungss 
ftunde, welche Fünftig über die ganze bewohnte Erde 
kommen wird, um diejenigen, die auf ihr wohnen, 

zu prüfen 

11. Ich komme fehnell, ‚halt was du haft, damit dir nies 
mand deine Ciegeskrone rauben möge. 


Auch in Pbiladelphia gabs Juden, deren Eynagoge eine 
Gemeinde ded Satans war, grad ſo wie in Smyrna; die 
alfo den allgemeinen Öffentlichen Anklaͤger der Chriften bei der 
romifchen Obrigkeit machten. Durch diefe rühmten fi) wahre 
Juden, Bekenner und Verehrer Gottes und ſeiner Wahrheit 
zu ſeyn, waren * Bekenner und Verehrer des Teufels und 
feiner Luͤgen. 

NMun ſollten der Engel taub die ‚Gimeinde zu Philadelphia 
die Freude haben, daß wenigſtens einige diefer grimmigen 
Berfolger zur Erfenntniß kommen, und ihnen fußfällig Abs 
bitte thun müßten; denn es follte ihnen hell in die Augen 
ſtrahlen, daß die Philadelphier nicht allein von den Brüdern, 
fondern auch vom Herrn ſelbſt geliebt würden. Für den ftols 
sen, halsſtarrigen, und gegen. die Chriſten fo feindfeligen: Zus 
den war. das eine harte Nuß, und es muß dieß Einige ers 


ſtaunliche Kämpfe gefoftet haben, bis fie ſich * fußfältigen 


Stillings ſämmtl. Schriften. II. Band. 


842 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Abbitte vor denen, die fie am meiften haßten, bequemen 
fonnten. 

Haben wir in unferm Philadelphia denn aud) folche Juden? 

— ſolche feindfelige dffentliche Anklaͤger des alten aͤcht— 
evangeliſchen Chriſtenthums? — gibts auch bei uns Ber: 
ſammlungen, Collegien des oberſten und gehaͤſſigſten oͤffent⸗ 
lichen Anklaͤgers? — find auch dieſe ſtolz, voller eigenen Anz 
maßung, ald alleinige Befiger aller wahren Erkenutuiß? — 
Leſet nur die mehreften Zeitſchriften und Nezenfionen geiftlicher 
Bücher, fo koͤnnt ihr diefe Frage leicht beantworten. Auch 
von dieſen follen etliche zur Erfenntniß Fommen, und dem 
verachteren, für fchwärmerifch erklärten Philadelphia fußfäls 
lige Abbitte thun, aber mit Demuth und tiefer Beugung 
foll man fie dann auch brüderlicy umarmen; denn fie haben 
einen ſchweren Kampf gekämpft und einen ftarfen Feind übers 
wunden, 
Der zehnte Vers enthält drei merfwürdige Punkte: 1) Iſt 
die Frage: Woher es fomme, daß hier fo viel vorzüglichen 
Werths auf die Bewahrung des Worts der Geduld, alfo auf 
die nertrauensvolle Ausharrung gelegt wird? 2) Was unter 
der Verfuhnng verftanden werde, die über die ganze bee 
wohnte Erde fommen fol? 3) Was das Prüfen durch dieſe 
Berfuchung bedeute? Für uns ift die richtige Beantwortung 
diefer Fragen Außerft merkwuͤrdig, denn fie treffen dem Ans 
fang nad) das Philadelphia unferer Zeit. 

Wenn jemals Geduld und Gelaffenheit in der Ausharrung 
bis zur Vollendung des Geheimnifjes Gottes nöthig war, fo 
ift das jet der Fall. Die Vernunftmänner triumphiren, 
pochen und troßgen auf allen Seiten; es ift ja lächerlich, 
noch) an folde Schimären, wie die Bibel enthält, zu glaus 
ben; und den übrigens guten einfältigen Chriftum für eine 
göttliche Perfon halten zu wollen, das ift ja vollends Uns 
finn 2 — die Aufklärung geht ihren Gang unaufhaltbar fort, 
ohne das wahre Chriftenthum auch nur im Wege anzufehen: 
Denn darüber ift abgeurtheilt, entfchievden, davon ift gar 
feine Rede mehr. ı Während der Zeit gehen wir arme Philas 
delphier, wie ehmals die Emaus- Jünger, traurig unfern 


Kay 58.9. bis .. 8 


einfammen»dornigten Felfenpfad fort, und fagen gegen eins 
ander: Es ift doch unbegreifllid) , daß uns unfer Herr fo im 
Stich, und doch auch nicht das Geringfie von fich hören umd 
ſehen läßı ! — Er koͤnnte uns ja doch wohl einmal ein Zei⸗ 
chen geben, daß er noch lebe, noch da fey! — Und über das 
Alles finds nun fchon faft 1800 Jahr, daß er — 
hat, und das iſt lange, 

| O meine Brüder, laßt uns ausharren! fo muß ed gehen — 

‚gibt ed denn einen glänzendern Sieg ald den, der in diefem 
fo ganz von aller Unterftägung entblößten Glaubensfampf 
ausharrt, und die er des Herrn zur Geduld * 
bewahrt? 

Eben in dem oben — Fortſchritt und Triumph der 
falfchen Aufklärung beftept nun auch ſchon ein Theil der 
Verſuchung, die über die ganze bewohnte Erde kommen foll; 

vorzüglich aber gehört hieher, der durch den langwierigen 
Rurus und Erkaltung alles wahren Religions = Gefühlarent: 
ftandene falfche Freiheitsſinn, und die lechzende Begierde, 
‚alle Feffelm der bürgerlichen Zucht und Ordnung abzufchitteln, 
mit einem Wort: Die Nevolutionsfucht; diefe fchredlichfte 
Verſuchung unter allen ifts eben, welche Amerika zerrüttet, 
Europa geiffelt und in Afien gähre — fo weit die eultivirte 
Menſchheit geht, alfo über die ganze bewohnte Erde fängt 
diefe Verfuchung an zu walten. Diefer Geift ift nun eben ver 
wahre Geift der Prüfung, ein Satan in Lichtengelögeftalt, 
der dem Thier aus dem Abgrund fo recht fihön den Weg 
. bereitet. O es iſt ein ſchrecklich, gefährliches Gift! Erft 
kommt die falfche Aufklärung, und fpricht aufferordentlich 
" vernünftig über Religion und Eyriftenthum, fie will beides von 
Schwaͤrmerei und Aberglauben reinigen, und das ift billig 
und vernuͤnftig; wer ſich num mis ihr einläßt, den führe fie 
allmaͤhlig weiter, und wenn er nun unvermerft auf den rech⸗ 
ten Fleck gerathen iſt, ſo erſcheint daun jeder Satan ih 
Richt gehuͤllt, und erläutert ihm die Menfchenrechte ; was ift 
nun billiger, als daß er ſich derfelben vinzirt, und fie, ſo 
bald er kann, denen raubt, die fie ihm nach feinen Wahn fo 
widerrechslich entzogen haben? — Seht! das ift die ſchreck⸗ 

5 6 * 


84 Erklärung der Offenbarung: Johannis, 


liche, Verſuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen 
ſollte, und nun gekommen iſt. Noch nie, ſo lang die Welt 


ſteht, gabs eine ſo allgemeine und ſo gefaͤhrliche Verſuchung, 


und hier haben wir auch wiederum einen Beweis mehr, daß 
dieſer Brief jenes alte Philadelphia nur als Vorbild anging; 
denn damals ift fo nichts in der Welt vorgegangen, das zu 
diefer Weiffagung völlig paſſend wäre, unfere gegenwärtige 

Verfuchungsftunde wurde durch jene heidniſche Verfolgune 
gen ‚und nachher durch die —*— Verwuͤſtung nur 
vorbedeutet. 

Das iſt nun anch die letzte große Průfung ; ſelig iſt, wer 
darinnen aushaͤlt! — Wer weiß aber, wie lang ſie noch 
waͤhren, und wie hoch ſie noch ſteigen wird? — Darum 
halte feſt, was du haſt! laß dich in keinem Fall durch die 
laodiceiſche Aufklärung in deinen Grundſaͤtzen der Anhänge 
lichkeit an Chriftum und feine Religion wanfend machen, 
damit dir niemand deine Giegesfrone, die zuverläßig deiner 
wartet, wenn Du aushälft, rauben möge. 

Es wird bier einer Stunde der Verfuhung gedacht; 
nach der Prophetifchen Zeitbeftimmung des fel. Bengels bes 
trägt eine folde Stunde S Tage, 2 Stunden und 20 Minus 
ten. Mit einer fo Furzen Zeit kann ſich aber die Vorftellung 
einer Verſuchung, die über die ganze bewohnte Erde kom— 
men foll, nicht wohl verbinden laſſen: folglich geht man am 
fiherften, wenn man einen gewiffen abgemeffenen Theil der 
Zeit darunter verſteht, der mit einer beftimmten Handlung 
ausgefüllt werden fol. Als Maria ehmald fagte: Sohn! 
fie haben: feinen Wein mehr! — fo gab Chriftus zur Ant 
worts Meine Stunde ift noch nicht fommen; das ift, der 
Zeitpunkt, den die Vorfehung durch die Umftände beftimmt, 
daß ich helfen kann und fol, ift noch) nicht gefommen. Die 
Stunde der Verfuchung bedeutet alfo einen Theil der Zeit, 
der, durch die große Verfuchung ausgefüllt werden fol. © 

Für -diefer Verfuhungsftunde fol nun der Philadelphier 
dergeftalt bewahrt werden, daß er durch ihre Plagen nicht 


zu Grund gerichtet werden möge, er foll erhalten werden, - 
dafür ift ihm zur Davidöburg die Thuͤr gebffnet worden, 


nr * x . 
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Er nee er Fe 


— 


Kap. 2 AR FE N EURE 35 


aber ohne Pruͤfung gehts deswegen noch nicht ab — den 
philadelphiſchen Ueberwinder wird viel verſprochen: Wie 
kaun man uͤberwinden, wenn kein Kampf vorhergeht? — 
aber es ſoll keiner zu Grund gerichtet werden, der nur das 
Geduld-Wort bewahrt. Dieß kann dem wahren Chriſten in 
* Zeiten zum großen Troſt gereichen. 

Das iſt dann die legte große Prüfung, ſelig, wer das 
rinnen aushältz Denn nun femme der Herr fchleunig. — 
Diefe Worte find merkwürdig, und beweifen wiederum, daß 
diefe Briefe weiter gehen, als an die fieben Gemeinden in 
Afien. Die allgemeine große Zukunft, auf welche der Herr 
hier zielt, war damals, als Johannes diefes fchrieb, noch 
nicht nahe, aber jeßt ift fie ed; wir fönnen diefe Worte ganz 
eigentlich auf unfere Zeiten ziehen, darum laßt uns treu 
ausharren, feſt halten, was wir haben, fo wird uns der 
Kohn der Ueberwinder nicht fehlen. Diefer ift nun wichtig, 
denn es heißt; 


9, Den Ueberwindenden — den werde ich im Tempel 

meines Gottes zum Pfeiler machen, und er wird 
nicht mehr herausgeben, und ich werde den Namen 
meines Oottes, und den Namen der Stadt meines 
Gottes, des NeusGerufalems, melde von meis 
nem Gott aus dem Himmel herabfteigt, und TE 
neuen Namen auf ihn ſchreiben. 

15. Wer Ohren hat, der höre, was der Geiſt ben Ges 
meinden fagt! 


Mas bier den philadelphifchen Weberivinbern verheißen 
wird, iſt weit größer und herrlicher, als alles vorhergehende; 
Die Ephefiner follen von der Frucht des Lebensbaums efjenz 
die Smyrner vom andern Tod frei feyn; die Pergamener fols 
len das verborgene Manna genießen; die Ihyatirer befoms 
men Macht über die Heiden, diefe vereinigten ſich aber in 
der. philadelphifchen: Gemeinde mit den Frommen aller übs 


rigen Partheien, und nehmen alfo Theil am Lohn der philas 
delphiſchen Ueberwinder; ja man Fann wohl mit Grund ans 


nehmen, daß die thyatirifche Gemeinde Stod und Stamm 


86 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


der Philadelphiſchen iſt, und vermuthlich noch mehr werden 
wird; die Sarder erhalten weiße Kleider, und werben Les 
viten im neuen Zempel, aber num gehts ins Große: Der 
philadelphifche Ueberwinder foll ein Pfeiler diefes herrlichen 
Tempels werden, er wird SPriefter feyn unter dem Hohens 
priefter nach der Ordnung Melchiſedecks. — Gott, welche 
große Beftimmung! — Ach! laft uns doch treu aushalten — 
was unferer wartet, ift unbefchreiblih , und geht über alle 
Vorftellung. Dafür, daß wir hier um Chrifti Hohenpries 
ſterthums und feines großen Opfers willen verhöhnt worden, 
und. diefe feine Wurde behauptershaben, dafür follen wir 
dann auch in feinem Reich Arons Stamm und Gefchlecht 
erſetzen. | 

Was wird aber wohl dad Gefchäfte des philadelphifchen 
Driefterthums ſeyn? Das fagt uns hier der Herr mit wenigen 
Morten: Er bedient fich des Bildes der Säulen in einem 
Tempel; fo wie diefe das ganze Gebäude tragen und unters 
fügen, fo follen diefe Priefter dem ganzen Gottesdienft und 
der Kirchenpolizei vorftehen; worinnen nun das Alles be— 
ftehen wird, das wird und dann die Zeit lehren, Merk: 
würdig ift aber noch ein Zweck diefes Prieſterthums, auf 
diefe Säulen folfen dreierlei Namen gefchrieben werden, der 
Name Gottes, der Name des neuen Jeruſalems, und der 
neue Name Chrifti. Hiemit wird auf einen Gebrauch ges 
deutet, den man von jeher hatte, und noch hat, daß man 
nämlih Wappen und Siegeszeichen an den Pfeilern in den 
Zempeln und Kirchen aufhing, auch wohl die Thaten großer 
Männer mit großen Buchftaben auf Zafeln, die an den 
Dfeilern aufgehängt wurden, oder auch auf die Pfeiler felbft 
ſchrieb. Dieß ganze Bild will alſo fo viel fagenz Die 
Philadelphiſchen Priefter follen in ihrem aͤuſſern Anfehen 
und Schmud, auch wohl durd dffentlichen Vortrag und 
Geremonien, die großen Thaten Gottes und feine weife Fuͤh— 
sung des menfchlichen Gefchlechts, die Kampfe und Siege 
Chriſti und feiner treuen Verehrer über alle feine Feinde, 
und die herrliche Einrichtung der bürgerlichen Gefellfchaft 
des neuen Jeruſalems und des Reichs Gottes verkündigen, 


. 











Kap. 5. B. 14. bis 18? 87 


und die Menfchen darüber belehren, um fie zu immer größe- 
ver Liebe zu Gott, und zum innigften Dank gegen Ihn zu 
erwecken; dann auch, um fie immer mit ihren Pflichten bes 
kanut zu machen : Denn diefes herrliche Reich wird eine Theo: 
cratie im eigentlichften Verſtande, ein Priefterliched König: 
reich ſeyn. 

Ach! alles was nur Ohren hat, der höre, was hier der 
Geift Jeſu Chriſti der philadelphifchen Gemeinde verfündis 
get! — das ift für und ein Wort zu feiner Zeit. 

Aber nun folgen harte Worte; hätte doch die ganze pros 
| teſtantiſche Gemeinde auch Ohren dafuͤr! 


14. Und dem Engel der Gemeinde zu Loadicea fchreiber: 
Das fagt der Amen, der getreue und wahrhaftige 
Zeuge, der Urfprung der Schöpfung Gottes. 

15. Sch weiß deine Werke, daß du weder Falt noch warm 
biſt — möchteft du doch kalt oder warm feyn! 

16. Da du aber nur laulicht, weder kalt noch warm biſt, 
ſo werde ich dich aus meinem Munde ausſpeien. 


So wie ſich das geiſtliche Thyatira zum geiſtlichen Gars 
des verhaͤlt, ſo verhaͤlt ſich nun hier auch Philadelphia zu 
Laodicaͤa. Laodicaͤa heißt ein Volksgericht, oder ein Volk, 
das da richtet, aber dann auch gerichtet wird; eine demos 
kratiſche Verfaffung. Thyatira und Philadelphia fließen ges 
gen das Ende in Eins zufammen, und machen die philadels 
phiſche Gemeinde aus: eben fo vereinigt ſich auch Sarden 
und Laodicaͤa, und bilden die laodicaifche Gemeinde. Die 
ſardiſche oder Fatholifche Kirche ift eine Hierarchie, die pros 
teftantifche aber eine Art von Republif, an den mehrften 
Drten nach) der Form der Ariftofratie eingerichtet, an vielen - 
iſt fie aber ein eigentliches Laodicaͤg, oder eine Democratie; 
doch will jener Name mehr fagen, wie im Verfolg erhellen 
wird, 

Die Gemeinde zu Laodicaa ftellt alfo die beiden proteſtan— 


tifchen Kirchen, und zwar diejenigen in denfelben vor, die - 


ſich noch zu Ehrifto befennen, und noch Feine fürmliche Dei⸗ 
fien geworden find. Diefen Tündigt fih nun der Herr mit 


83 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis, 


‚dreien Benennungen an: 1) Ald den Amen; 2) als den 
treuen und wahrhaftigen Zeugen; und 5) als den Anfang 
oder Urfprung der Schöpfung Gottes. 

Sch hab fchon bemerft, daß Chriſtus in feinen Neben gar 
oft auf Stellen im alten Teftament anfpieltz; er hatte bis ing 
dreißigfie Jahr feines Lebens auf Erden fi) in häuslicher 
Stille auf feinen großen Beruf vorbereitet, und: diefer bes 
ftund darinnen, daß Er die heiligen Dokumente feines Volks 
mit außerftiem Fleiß durchftudierte; da Er nun feine hohe 
Beftimmung fühlte, fo zog Er nicht nur die Weiffagungen 
der alten Propheten. vom Meffias auf fich, fondern Er folgt 
auch diefen Vorfchriften , richtete feine Berufsgefchäfte dar= 
nach ein und fo wurde dann erfüllt, was erfült werden 
follte. 

Mit dem erften Ausdruck: Das fagt der Amen! zielt der 
erhabene Verfaffer vermuthlich auf eine prophetifche Stelle, 
welche ef. 65. V. 16. flieht, wo ed in unferer Ueberfegung 
heißt: Denn welcher ſich fegnen wird auf Erden, der wird 
fih in dem rechten Gott fegnen, und welcher ſchwoͤren 
wird auf Erden, der wird bei vem rechten Gott ſchwoͤ⸗ 
ven. Das Mort, welches Lurher durch rechten Gott übers 
fegt hat, heißt im Hebräifchen Eloheei Amen, der Gott 
Amen; dem zufolge bedeutet diefe Redensart ſo viel: Dieß 
fagt der Amen, in welchem alle Völker follen gefegnet wers 
den, und bei dem man dereinft ſchwoͤren wird. Die holläne 
difche Staatenbibel überfeit jene Worte: Der Gott der Wahrs 
heit — vielleicht läßt es fi) auch nicht beffer ohne Umfchreis 
bung ausdrücken, allein das Wort Amen will doch immer 
noch mehr fagen, ald Wahrheit. Chriftus braucht dieß 
Wort als Berheuerungformel fehr oft, denn wo im Teut⸗ 
fchen ſteht: Wahrlich! Wahrlich ! ic) fage euch), da bedient 
Er fih der Worte: Amen! Amen! ich fage euch! Mir 
deucht alſo, man müßte fich hier alles denken, was ſich von 


Amen, nad) den hebräifchen Wurzelwort, Aman, er hat 


ernährt, nur immer mit Grund denfen Läßt: Aus jenem 
Wurzelwort entftehen Anleitungen, die ſich auf Wort hal⸗ 


sen, auf einen vertrauen, ſich feR auf einen verlaſſen, 





EEE U - 


A —93— 





8 u —— 


Kaps B, 14. bis 1 89 


beziehen. Daher fchließt das Wort Amen folgenden Begriff 
in fih: Vollgenuß der Erfüllung deffen, wovon die Rede ift. 
Nun Fomme aber noch eine feierliche Sanction diefes Worts 
hinzu, fie findet fih 5. B. Mof. 26., wo das ganze Volf 
Sirael auf jeden Fluch, der vom Berge Ebal von den Levis 
ten herab gerufen werden follte, Amen antworten mußte, 
Dadurch wurde num dieß Wort allmählig zu einer feierlichen 
Berheuerung, die folgendergeftalt ausgedrüct werden kann: 
Dieß Gefagte erfülle Gott wahrhaftig auf die vollenderfte 
eife. 

Menden wir num diefen entwickelten Begriff auf die Worte 
an, dieß fagt der Amen, fo heißt das: Dieß fagt Derjenige, 
der alle Verheißungen Gottes erfüllet hat, und bis zum 
Vollgenuß vollwichtig erfüllen wird. 

Die folgende zweite Benennung, der treue und wahrs 
baftige Zeuge, vder der glaubwürdige wahrhaftige Zeuge, 
ſcheint auch aus dem prophetifchen Wort genommen zu ſeyn: 
, Denn eö heißt Jefaja 55. V. 4. Siehe! ich habe ibn den Lea 
viten zum Zeugen geftelle, zum Fürften und Gebieter den 
- Völkern. Auf diefe Vermuthung bringt mich der 5te Vers 
des erften Kapiteld diefer Offenbarung, wo es heißt: Und 
von Jeſu Ehrifto, dem treuen Zeugen, dem Erftgebornen 
der Todten, und dem Fürften der Erdfönige — hier ift es 
faſt fihtbar, daß auf jenen Spruch gezielt wird. Uebri⸗ 
gend hat auch diefer Ausdrud viel ähnliches mit dem vors 
hergehenden: Denn die Worte glaubwürdig und wahrhaftig 
fiehen mit Amen in naher Verbindung Er ift der Zeuge der 
Wahrheit ohne Gleihen, niemand hat fich jo bezeugt, wie 


Er, niemand wußte fie fo, wie Er: Denn Er war ed, der 


ſie von Anfang am vom Himmel herab brachte, und dem 
Menſchen —* als das ewige unerſchaffene Wort des 
Vaters. KT 
Enndlich feßt Er nun noch hinzu: Der Urſprung, der An⸗ 
i fin der Grund der Schöpfung Gottes. Die Weisheit fagte - 
Spr. Sal. 8. V. 22. Jehovah hat mich im Anfang feis 
ned Weges, vor feinen Werfen von Ewigkeit her befeffenz 
und V. 25. ich bin von Ewigfeit her, von Anfang, vor 


90 Erklärung der Offenbarung Gohannis. 


den Urſpruͤngen der Erde, geſalbet worden. Auf dieſes Als 


les bezieht fi) nun Johannes in feinem Evangelium Kap. 1. 
V. 1. bis 3. und hier legt fi Chriftus felbft diefen großen 
und erhabenen Titel bei. 

Nimmt man nun dieß Alles zufammen, fo Fann man die: 
fen Titel fo umfchreiben: Dieß fagt, der wahrhaftige Sohn 
Gottes, der vor Grundlegung der Welt im göttlichen Wefen 
verborgen war, hernach fi der. Menfchheit, als ein treuer, 
glaubwürdiger und wahrhaftiger Zeuge in der Offenbarung 
des Willens Gottes bewiefen hat, und als der Gott der 
feierlichften Wahrheit bis zur Vollendung aller Geheimniffe 
Gottes auch beweifen wird. 

Diefe Benennung paßt eben fo genau auf Laodicaͤa, als 
jeder der vorigen Titel auf die Gemeinde paßte, an welche 
gefchrieben wurde; denn den Laodicaͤern aller Zeiten fehlt es 
am rechten Glaubensgrund, fie haben unrichtige Begriffe von 
der Perfon und Sendung Ehrifti, fie gründen ſich auf bloße 
Moral, ohne fih um die wichtigften Glaubenslehren von der 
Erlöfung des Menfchengefchlehts zu befümmern, daher ents 
fteht denn die Kraftlofigkeit, Lauigkeit und der Eigendünkel, 
durch welche die laodicäifche Gemeinde charakterifirt wird: 
Man prüfe jest einmal den herrfchenden Geift der beiden 
proteftantifchen Kirchen, ob er Chriftum für den Amen, für 
den glaubwürdigen und wahrhaftigen Zeugen, für den Anz 
fang der Kreatur Gottes halte? und man wird leider! lei⸗— 
der! finden, daß Er für einen bloßen Menfchen gehalten 
- wird, den aber die Vorfehung zubereitet habe, um reine 
Moral zu lehren; daß Er der Amen, der Erfüller aller alten 
MWeiffagungen fey, läugnet man, denn es gibt Feine eigent⸗ 
liche Borherfagungen; feine Zeugniffe, aus dem alten Bund 
hergenommen, galten höchftens nur. den Juden; und daß 
Er der Grund der ganzen Schöpfung ſey, das iſt eine oriens 
taliſche Hyperbel. Deswegen bezeugt hier der Herr felbit 
und Laodicaͤern: Ya, Er ſe⸗ dem ungeachtet das alle in 
der That! 

Ich weiß deine Werke, fagt der frembgeworbene König der 
Menſchen: Za, ich weiß fiel — Du bift weder kalt noch 





Zi rn See ee ehe een ai 








Kopnan) Bi 1 Zn Bmım! tr 91 


warm; weder ein Unchrift,, Widerchrift, noch auch ein Chriſt. 
— Märeft du nur eind von beiden, jo wüßte man doc, 


wie man mit dir dram wäre; aber fo bift du ein ungeſchmack⸗ 


tes laues Mittelding, fo edelhaft, daß das Erbrechen erregt 
(das Wort in. der Grundſprache, welches gewöhnlich durch 
Ausfpeien Üüberfegt wird, heißt wirklich nichs anders als 
vomiren, erbrechen), darum kann ich did auch ſchlechter— 
dings nicht genießen; ſondern ich werde dich) aus meinem 
Munde wegfpeien. 

Kann der gegenwärtige Zuftand des praftifchen Shriftens 
thums unter den gewöhnlichen Lutheranern und Reformirten 
treffender gefchildert werden? — Aber es kommt noch beffer;z 
denn es heißt nun ferner: 


17. Weil du fagft: Ich bin reich, und habe überflüßig, 
‚und bedarf weiter nichts, und nicht weißt, daß du 
bift der Elende und der Bedaueruswürdige, arm, 
blind und nackend; 

18. So gebe Kl dir den Rath, Gold von mir zu kaufen, 
das im Feuer durchläutert iſt, damit du reich wer⸗ 
deft, und weiße Kleider, auf daß du dich bekleiden 
Fonnteft, und die Schande deiner Nackheit nicht of 
fenbar werde; und Angenfalbe, deine Augen zu De> 
ftreichen, damit du ſehen mögeft. 


Meint man nicht, man höre unfre heutigen Modetheolo- 
gem fprechen ! Der Menfch ift nicht arm, nicht Fraftlos, es 
fehle ihm an Kraͤften nicht, um beffer zu werden — wie 
hoc) iſt nicht die Kultur und Aufklärung geftiegen! im allen 
Kenutniſſen find wir fortgerücdt, was haben wir in diefen 


Jahrhundert und feir der Reformation her nicht in den Forts 
ſchritten des menfchlichen Wiffens gewonnen! der Aberglaube 
iſſt doch gänzlich geſtuͤtzt — und der Schwärmerei der Fläs 


gel gelaͤhmt; — man hört, Gottlob! von der Blut- und 


Wundentheologie nichts mehr auf unfern Kanzeln, und: das 


Baulbertchen des Glaubens an Ehriftum ift verfchiwunden. — 


Mein! wir wollen nicht blos geglaubt, wir wollen gethan, 


gewirkt Haben; darum predige man nur von den: Pflichten, 


92 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


und halte die Leute an, daß fie fie erfüllen, fo brauchts Feis 
ner weitern Glaubens: Lehre mehr, Gottlob! wir haben 
doch nun einmal eine vernünftige Bibeleregefe befommen, 
feit Semmler das Eis brach! Wir Fennen nun den Schwung 
der orientalifch = hebräifchen Poefie in den Propheten, und 
wiffen, daß uns das alte Teftament weiter nichts angeht. 
Auch verfiehen wir nun, das neue zu behandeln, was wir 
darin auf Rechnung des Drientaliums zu fchreiben haben, 
und was nichts Denn alles, was nicht zu unferer Aufklärung 
und Philofophie paßt, das ift morgenländifcher Geniefhwung ; 
wir müffen das in unferem philofophifchen Jahrhundert ja 
befjer verftehen, als Ehriftus und feine Apoftel, die redeten 
und fchrieben für ihre Zeitgenoffen , und wir für die unſrigen. 

Dieß ift der wahre Kommentar über die Worte: Zch bin 
reich, habe überflüßig und bedarf weiter nichts. 

: Die wahre Antwort darauf iſt: O ihr elende, ich möchte 
faſt lieber fagen, miferable, bedauernswüärdige, arme, nas 
ende, blinde Leiter der Blinden! — Ihr rühmt euch eurer 
Aufklärung und habt doch alle Viertelhundert Jahr eine 
ganz nagelneue Philofophie! — In diefem Jahrhundert has 
ben wir fchon die dritte Schulweisheit, und wie lang wird 
diefe dritte währen? — und jedesmal, fo oft eine neue ers 
funden ift, ftügt man fi) darauf, macht fie zur Richterin 
über die Bibel, modelt die Exegeſe nach ihr, und prahlt 
dann, man habe nun die höchfte Stufe der Metaphyſik ers 
fliegen. — Seht ihr denn nicht ein, daß euch euer Morals 
predigen gar nichts hilfe? — Ich will an jenem Tage ges 
‚gen euch auftreten, und zeugen; wenn ihr mir eine eine 
zige Menfchenfeele zeigen fonnt, die ihr durch euer Syſtem 
gebejjert habt, fo will ich euch vor dem Richterſtuhl Zefu 
Ehrifti, vor Gott und feinen Engeln öffentlich Abbitte thun. 
Lehrt euch denn nicht die allgemeine Erfahrung aller Völker 
und aller Zeiten, daß das menfchliche Gefchlecht radical ver: 
dorben ift? — und daß es, wenn es nicht durch die Gnas 
denmittel der Religion gebefjert wird, zu immer größerem 
firtlichen Verderben fortjchreite? — Wäret ihr nicht. blind, 
Jo würdet ihr ed. ſehen? — Kant — der. große Stifter der 











Kapr 5. B. 17. 18. 93 


Philofophie des Tages, fagt ed euch in feiner Abhandlung 
vom radicalen Boͤſen auf eine unwiderlegbare Weiſe; aber 
fo etwas übergeht ihr mir Stilfchweigen , da müßte man ja 
wieder zu den fchwärmerijchen Ideen der —— — 
ſeine Zuflucht nehmen. 

Aber was hilft das Alles? es ‚geht. ihnen genau wie den 
Pharifäern zu Ehrifti Zeiten, fie find viel zu ftolz, um fich 
belehren zu laffen, lieber mag die Welt zu Grund gehen, als 
daß fie geftehen follten, daß fie irrten; man fpottet und durch» 
haut mit Aleranderd Schwert, anftatt zu prüfen und zu uns 
terfuchen, Dieß ift nun auch der CEommentar zu den Worten: 
Und nicht weißt, daß du bift der Elende, der Bedauernswuͤr⸗ 
dige, arm, blind und blos. 

Mrun gibt die ewige Liebe aber aud) einen guten Rath, wie 

noch geholfen werden fünne. — Die laodicäifche Gemeinde 
hat drei große Mängel: Sie ift arm; denn fie hat felber 
nichts, und verwirft aud) den, der fich reich machen koͤnnte: 
Eie ift blind , glaubt aber, fie fähe beffer als alle Menfchen, 
folglich fucht fie auch Feine Hilfe, und fie ift nackend, aber 
fie ift überzeugt, daß ihre narürliche Bedeckung, nemlich 
die blofe Haut, hinlänglich fey, um fo gut ein Thier zu feym, 
wie auch die andern. Deswegen nun eben, weil fie ihren 
unbefchreiblichen Sammer nicht erfenut, zu ftolz dazu ift, ihn zn 
erkennen, deswegen iſt ihr auch ſchwer zn helfen, und des 
wegen ift fie elend und. bedauernswürdig. 

Wenn uns alfo noch geholfen werden foll, fo bedürfen. wir 
— Mittel: 1) Aechtes, reines, vollkommen gelaͤutertes, 
das iſt 24 karatiges Gold; 2) weiße reine Kleider, und 5) 
eine gute Fleckenſalbe, um die Aufklaͤrungsflecken von den 
Augen weg zu tilgen. Dieſe drei Stuͤcke heben Armuth, 
Nacktheit und Blindheit, vorausgeſetzt, daß man —* 
man ſey arm, nackt und blind. 

Was der Herr hier unter dem reinen, geläuterten Gold 
— — dad wird aus dem Gegenſatz der Armuth klar; die 
geiſtliche Armuth, die hier verftanden werden muß, iſt der 
Mangel an wahrer Erkenntniß, und der eingebildete Reichs 
thum, der Wahn, man wife alles, was zur Vervollkomm⸗ 


9% Erklärung der Offenbarung Johannis. 


nung des Menfchen gehöre; folglich ift jenes reine Gold 
nichtd anders, als die wahre Weisheit, die nicht anders er— 
halten werden fann, als durd) das Wort Gottes, und die 
Mittheilung der Gnadenwirkungen des heiligen Geifted. Die 
Meisheit, welche Salomo in feinen Sprüchen Kap. 8. res 
dend eingeführt, fagt im 15ten und 19ten Verfe: Reiche 
thum und Ehre ift bei mir, ein dauerhaftes Gut und Ges 
vechtigfeit. Meine Frucht ift beffer, ald ausgegrabe: 
nes gediegenes Gold, und mein Einkommen befjer, 
als auserlefenes Silber. Hier wird alfo die Frucht der 
Meisheit, das ift, die wahre Erfenntniß des Weges zur 
Vollkommenheit, ‚mit reinem guten Gold in Vergleichung 
geſetzt; folglich) Fann aud) das nämliche darunter verftans 
den werden. R 

Dieß Gold der Weisheit follen wir num kaufen — aber 
was haben wir dagegen zu geben? — nichts als uns felbft: 
Gib dich felbft Hin mit allen deinen Kräften und deinem ganz 
zen Willen, das ift alles, was du geben Fannft, und diefe 
Webergabe wird dem Herrn fehr angenehm ſeyn; dafür wirft 
du dann auc) die weißen Kleider und die Augenfalbe befoms 
men. Kleider bedeuten die Gerechtigkeit, die Wirkſamkeit des 
Menfchen, wie oben fchon erwiefen worden. Die lavdiceifche 
Thätigkeit ift ein unreiner zerriffener Bettlersmantel, der 
nichts taugt: daher müffen wir die weißen Kleider der Glau— 
bensgerechtigfeit vom Herrn erhalten. Endlich ift dann die 
Augenfalbe die wahre Selbftprüfungs wir müffen unfer grunds 


lofes Verderben erkennen lernen, dann erſt werden wir recht 


aufgeklärt, und dann erft fehen wir alles im wahren * 
ſo wie es iſt. 

Wer aber nun das Alles nicht kauft und nicht haben will, 
was wird deſſen Schickſal ſeyn? — er wird in der aͤußerſten 
Armuth darben, und in aller ſeiner Bloͤße vor den Buͤrgern 
des Reichs Gottes an den NEUER es an den gr 
geftelle werden. 

Herr Jeſus Chriftus! nimm Du und ganz hin — und 
gib uns dann Weisheitögold, das Kleid des wahren Glaus 
bens, und die Önade des heiligen Geiftes zur Augenfplbe, 








Kap. -3 2. 19. 20. 95 


fo werden wir aus Laodiceern in Theodiceern ‚verwandelt 
werden; wir — dann den Vater und dic) on 
und verherrlichen. 


19, Was mid) betrifft, diejenigen, die ich Yiebe, die über: 
zeuge und erziehe fie; darum fey auch eifrig, 

und ändre deine Geſinnung. 

20. Siehe! ich habe mic) vor die Thür hingeftellt, and 
Elopfe an: Wer nun-etwa meine Stimme hören, und 
mir die Thür dffuen wird, bei dem werde ich eins 
ehren, und das Abendmahl mit ihm halten und er 
mit mir, 


Hier will der Herr fo viel fagen: Steigt ihr Laodiceer in 
eurer Aufklärung, und verfteigt euch fo weit ihr wollt und 
koͤnnt, ich meines Orts bleibe bei meiner alten Methode: 
Menn ich einen finde, aus dem fich etwas machen läßt, fo 
hab ich ihn lieb, deßwegen überzeuge und belehre ich ihn 
erft in dem, was er wiffen muß, und dann erziehe ich ihm, 
wie man Kinder erziehtz dann muß aber auch ein folcher das 
feinige thun, eifrig und fleißig feyn, und feine Gefinnuns 
gen ändern. 

In Laodicea ift das Belehren umd Weberzeugen aber auch 
die Hauptfache! denn da glaubt man nicht fo leicht. 

Sn Philadelphia heißt ed, ich komme bald; hier aber: 
Eiche! ich ftehe fhon vor dem Thore, es kommt nun auf 
dich an, ob du mir aufmachen willt? Wenn du es thuft, 
fd kehre ich bei dir ein, und fpeife mit dir zu — her⸗ 
nach du aber auch mit mir, 

Ich hab ſchon bemerkt, daß Thyatira und Philadelphia 
bis zur Ankunft des Herrn zu feinem herrlichen Reich fort= 
dauern, und endlich ganz zufammen fließen werden. Im 
Brief an die erftere Gemeinde heißt ed: Doch was ihr habr, 
das halter feft, bis daß ih fommen werde; und der 
letzteren fchrieb der Har: Ih Fomme ſchnell, halt was 
du haſt, u. ſ. w. Die Aehnlichkeit diefer zwo Schwefterge- 
meinden ift auffallend. Gerade fo verhält es fih nun auch 
auf der andern Seite mit Sardes und Laodicen, auch dieſe 


96. Erklärung der Offenbarung Johannis. 


währen fort, und vereinigen fich gegen dad Ende; im Brief 
an die zu Garden heißt es: wenn du aber nicht wachelt, fo 
werde ich wie ein Dieb Fommen, und du wirft nicht wiffen, 
welche Stunde ich über dich Fommen werde. Zu den Laodis 
ceern hingegen wird gefagt: Wer fich aber auch fagen läßt, 
das ift, wer wachſam ift, der wird erfahren, daß ich vor der 
Thür ftehe und Elopfe, wenn er mir dann aufmacht, fü werde 
ich ihm nicht wie ein Dieb fommen, ſondern als ein Freund. 

Alle vier Gemeinden dauern in ihren Zeitläuften fort, bis 
der Herr kommt, dieß ift unftreitig, gegen das Ende aber 
vereinigen fich zwo und zwo, fo daß es alddann im Grund 
nur zwo chriftliche Hauptpartheien geben wird. 

Theure liebe Lefer! die Zeit nähert fich, wir fehen das an 
allen Anftalten; laßt und wachen, damit wir das Anklopfen 
des Herrn hören und Ihm aufmachen mögen; — wenn wir 


jet während der Zeit des Kampfs feinen Geift, und feine 


armen leidenden Glieder aufnehmen, wie Ihn felbft, uns 
von Erfterm regieren und erleuchten laffen, die leßtern aber 
erquiden, fpeifen, Heiden und beherbergen; jo wird himmlis 
ſcher Friede in unferm Herzen wohnen, und wenn Er fommt, 
fo werden wir dann auch feine Säfte feyn, und das will viel 
fagen. ©. Kap. 19. V. 9. meine Gedanken vom Abends 
mahl des Lammes. 


91. Dem Ueberwindenden — dem werde ich ‚geben, bei 
mit zu ſitzen auf meinem Thron , fo wie auch id 
überwunden und mich bei meinem Vater auf Ka 
Thron gefest habe. 
22. Wer Ohren hat, der höre, was der Geiſt den Ges 
meinden fagt! | 


Wenn man die Sache ſo oberflächlich anfieht, fo kommts 
einem fonderbar vor, daß dem lavdiceifchen Ueberwinder unter 
allen die höchfte Ehre erzeigt wird — er ſoll mit dem König 
aller Könige und Herin aller Herren auf einem und demfels 
ben Thron fißen, das iſt: Ihm regieren helfen — die lavdis 
ceifchen Weberwinder follen. feine Minifter werden. Was 
Tann dann aber aus Laodicea Gutes Fommen? — So wie 


Zu EEE 





2 a Zu Zu Tr a ee Ben a er ee N te un De) ah Düne 


Rap BE MARN 97 


aus Galilda, fehriviel! man muß fi nur die Sache recht 
vorftellen, fo ift nichts watärlicher und nichts vernünftiger. 
‘Ein laodiceifcher Weberwinder iſt ein Menfch, der erft vom 
Geift der gegenwärtigen Zeit beherrfcht wurde; dem alſo das 
Chriſtenthum Aberglaube; die Naturreligion aber die wahre 
Religion war, der vom Demofratidmus und dem Egoismus, 
den wahren laodiceifchen Charakterzügen unferer Zeit, einge: 
nommen wurde, und alfo auf dem Wege war, ein Kämpfer 
des Antichrifis: gegen Chriftum zu werden — der aber nun 
dem allen ungeachtet andern Sinnes wird, und ſich von Hers 
zen befehrt, und unter ChHrifti Fahne für Ihn Fampft ; wer 
unter allen Siegern außer Ehrifto ift größer, ald er — Wer 
aber auch nur in lagdiceifchen Gefinnungen erzogen worden, 
und hernad) noch ein wahrer Ehrift wird, der: gehört ſchon 
hieher — das heißt recht, die Letzten follen die Erften feyn. 
Ich fagte fo eben, die Ichheit und die, daraus entjpringende 
Volksherrſchſucht ſeyen laodiceiſche Charakterzügez: diefe bes 
währen unwiderlegbar, daß wir jegt im Zeitlauf dieſer Ges 
meinde leben. Schon das Wort Laodicen zielt dahin, und 
kann durch Volköherrfchung , ohne dem Wortverftand Zwang 
anzuthun, gar wohl überfegt werden. «Mer num in’ diefe 
Zeiten dem Trieb felbft zu herrſchen, freiwillig »verläugnet, 
und lieber gehorchen will, als befehlen, dem wirds im Neiche 
des Herrn erſetzt werden, dort wird er dann im Kabinet des 
Königs aller Menfchen genug zu thun befommen. | 

Wir wiſſen alſo nun ſchon, wer die erften Stellen im kuͤnf⸗ 
tigem Reich des Herrn bekleiden wird: Die laodiceifchen Ueber— 
winder kommen and Minifterium der inländischen. Sachen, 
die Philadelphier verwalten Gottesdienft und Religionspolizey, 
außer dieſen haben die Thyatirer noch die auswärtigen Gas 
hen zu beforgenz; überall, am Hof und im Tempel, (gehen 
dann die Sarderian die Hand; gerade jo wie im alten * 
| ment der Stamm Leni. 

So wie der Vater dem Sohn das Melttegiment überträgt, 
* uͤbertraͤgt es nun der Sohn auch ſeinen Getreuen aus den 
vier letzten Gemeinden: Denn die Erſten ſollen die Letzten, 
und die Letzten die Erſten ſeyn. Warum dieß rn ſoll, 


Stilling's ſaͤmmtl. Schriften. II. Band. 


98 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


das ift nicht fo fchwer zu begreifen: Den erften Chriſten wurde 
das Glauben weit leichter, ald den Letzten; denn fie hatten 
die Beweisguellen näher, und die Kräfte, die die Wahrheit 


beftreiten ‚ waren viel fchwäcer; wer aber in unfern und» 


fpätern Zeiten ‚alle Hinderniffe überwindet, und treu bleibt, 
der leiftet weit mehr als fies 

Wer nun hierin Laodicen noch Ohren zu * hat, der 
höre, was der’ Geiſt Jeſu Chriſti den Gemeinden fagt! — 
Der Ohren find aber wenig; man verfpottet lieber alle Worte 
der Wahrheit, als daß man fie hören follte. Wer aber nod) 
hören; fann, der höre, denn die Sache ift Außerft wichtig, 
und. bald wird Feine Gnadenftimme mehr gehört: werden, 
dann iſts auf ewig vorbei, wi 
Dieß ift nun der erfte Theil der Offenbarung Jeſu Chrifti, 
in welchem er allen feinen Getreuen, von feinem Hingang zum 
Vater an bis zu feiner glorreichen Wiederfunft, die für ihre 
Zeit, Lage und Umftände nöthige Anweifung giebt, um fie zu 
unterrichten, was fie vorzüglich zu thun, zu laffen und zu 
erwarten haben. Darauf folgt dann das große und erhabene 
Schauſpiel ſelbſt, in welchem durdy Engel in prachtvollen und 
majeftätifchen Vorftellungen und Bildern, doc) auf eine ges 
heimnißvolle Art gezeigt wird, wie Chriftus feinen Haupts 
feind, die alte Schlange, welche die erften Menfchen verführte, 
in dreien Hauptlämpfen, erftlich gegen das Heidenthum, 
zweitens gegen das Pabthum, und drittens gegen den Antis 
chrift beſtreitet, zulegt mächtig befiegt, dann den ganzen Erd⸗ 
freis einnimmt, den Feind gefangen fett, und nun das in 
ben Propheten hin und wieder verheißene Neich des Fries 
dens errichtet. Dieſe Nachricht theilt der Herr den: fieben 
Gemeinden in Aften im Vorbild, und allen Ehriften der fols 
genden Zeiten im Nachbild mit, damit fie jederzeit bei den 
großen Weltereigniffen einen Singerzeig hätten, 'wornach fie 
fich richten Fönnten. Zu Feiner Zeit aber war diefer Fingers 
zeig nöthiger, als jeßt, da der dritte und legte große Kampf 
beginnt, und das Irren und Abfallen fo Leicht ift. Möchte 
ed mir doch gelingen, zum leichteren Gebrauch und größerer 
Gemeinnuͤtzigkeit diefer hochheiligen Urkunde etwas beizutragen! 





Jen 


BEHAART 699 


Doch ehe ich, weiter gehe, will ich noch veinige Bemerkun⸗ 
gen den vorhergehenden Briefen beifuͤgen: Daß die Namen 
der fieben Städte paſſend find, | das haben wir ſchon gefunden; 
man hat: in der Bibel Beifpiele genug, daß die Namen be⸗ 
deutend find, und die Vorfehung bei dem Geben: eines: Nas 
mens wirffam geweſen iſt. Artig ift auch die Lage jener fies 
ben Städte — Ephefus liegt am weitften gegen. Abend 5 von 
hier aus. liegen num die folgenden ſechs in der nämlichen 
Drdnung, wie hier die Briefe auf einander: folgen, in ‚einem 
halben Zirkel gegen Mitternacht bis gegen Morgen herum, fo 
daß Philadelphia und Laddicen von Epheſus aus gerade ges 
gen Sonnenaufgang liegen. Eben ſo warı auch der Gang 
des Chriſtenthums von dem Apofteln: an bis ‚daher; won ihrer 
Zeit-an gings immer gegen Norden, es wurde immer kaͤlter 
und dunkler, in Xhyatira aber nahm er feine Richtung ofts 
wärtd, bis er in Philadelphia und Laodicen den Ausgang aus 
der Höhe erwarten ä 

Auffallend merkwuͤrdig iſts endlich dei daf den Märtis 
rern, die ihr Blut für den Herrn Ehriftum und. feine, Relis 
gion vergoffen haben, fo wenig verheißen wird — die Smyr⸗ 

ner follen frei ſeyn für der Gefahr des andern: Todes, und 
die Krone des Lebend empfangen; das ift num“ freilich viel, 
aber es kommt doch dem Lohn der folgenden‘ Ueberwinder in 
den vier legten Gemeinden nicht bei. Im Verfolg finden 
wir bei der Eröffnung des fuͤnften Siegels, daß die Blutzeus 
gen in dem Behälter unter dem Brandopferaltar verwahrt 
werden, wo fie eben noch nicht ganz volllommen zufrieden 
find. Wenn wir aber diefer fonderbar fcheinenden Sache 
nur etwas nachdenken, fo fünnen wir bald den Grund von 
dem allen finden: Für Chriftum-und feine Religion fterben 
koͤnnen, wenns noth thut, ift eines jeden Ehriften erfte und 
unabläßige Pflicht; fo fchwer das auch fcheint, fo ift es doch 
nicht mehr und nicht weniger, ald was jeder rechtfchaffene 
‚Soldat für fein Vaterland und für feinen Fürften thut; fo 
gar fterben viele blos um falfcher Ehre willen, wie z. B. im 
Duell; und wieder andere laffen fich aus Kaprice und Eigens 


finn, um nichtö und wieder nichts, auch wohl für eine falfche 
7 * 


100 Erklärung der Offenbarung Gohannis, 


Religion Hinrichten, fogar bringen ſich viele aus Lebensuͤber⸗ 
druß ſelbſt ums Wenn alfo ein Menfch weiter Fein Verdienft 
hat, als daß er für Chriſtum ftirbt, fo wird ihm das aller⸗ 
dings durch ein ewiges feliges Leben, und durch die Sieges⸗ 
krone der’ Blurzeugen‘ vergolten werden; aber er made ſich 
doch dadurch nicht fähigen zu Reichögefchäften, dazu wird 
ein weit gefdrderter Grad der Erleuchtung und Heiligung ers 
fordert, ſo wie ihn der nothwendig erringen muß, der fi) 
in Thyatira/ Sardes, Philadelphia und Laodicea durch alle 
Verſuchungen und Hinderniſſe durchfämpft und alle überwindet. 

Endlich ift auch noch nörhig zu erinnern, daß alle prophe⸗ 
tiſche Bilder im der hohen Offenbarung, das Abgebilvete erft 
gegen das: Ende, wenn es'in feiner höchften Vollfommenpeit 


und Volendungifteht, recht deutlich vorftellen: Z. B. die 
Befchreibung der Gemeinden zu Ephefus, zu Smyrna us ſ. w. 


zu Thyatira, Philadelphia:und Laodicea paßt am beften, 


oder trifft am vollftändigften zu, wann es mit einer Gemeinde 


aufs höchfte oder gegen das Ende gekommen; daher verfteht 
man: aud) die Weiffagung immer: befjer, je weiter man: in 
der Geſchichte fortruͤckt. Eben fo verhält es ſich nun auch mit 
allen folgenden: prophetifchen: Vorſtellungen und Bildern, wie 
ſich nun im Verfolg zeigen wird. 

Jetzt wollen wir und in der Furcht des Herrn, die aller 
Weisheit Anfang iſt, an das große Schauſpiel ſelbſt wagen, 
und es zu enthuͤllen ſuchen. 





DI Ze a a ZH rn a ne 


0— 


Kap DB, 1. bis 535. 10601 


Dad vierte Kapitel, | 


1, Nach diefem fahe ih, und, fiehe! eine Thür ward im 
‚Himmel geöffnet, und die erfte Stimme, welche ich 
wie eine Pofaune hatte mit mir reden hören, ſprach: 
Steige hieher, und ich werde dir zeigen, was nach die⸗ 

ſem geſchehen wird. 

2. Und alsbald wurde F entzückt; und fiehe! ein Thron 
war in dem Himmel geftellt, und auf dem Thron 
ſaß Einer, 

5. Und der da faß, war im Anfehen dem Yafpiss und 
Sardisftein ähnlich; und ein Regenbogen, gleich dem 
Smaragd, umfreifete den Thron. 


Diefes ganze Kapitel enthält nichts weiter, als die Bes 
ſchreibung des Throns der Majeftät in der Höhe, des Throns 
des Alten der Tage, des Vaters der Ewigkeit, aller Welten 
und aller Wefen, und deffen, was zunächft um ihn her ift. 

Nachdem nun Johannes die fieben Briefe vollender hatte, 
fo verfchwand die Vorftellung der glorwärdigen Perfon Ehrifti, 
nebft den fieben Sternen und fieben Leuchtern, und bald dars 
auf fahe er ein gebffnetes Thor am Himmel. Vermuthlich 
war der heilige Seher bisher in einem Thal am Fuß eines 
Berges gewefen, wo er über den traurigen Zuftand des Reichs 
| Gottes nachdachte; vielleicht hatte er dem Berg. den Rüden 
zugewendet, als er die erfte Pofaunenftimme hinter fich hörte; 
er kehrte ſich alfo um, und in diefer Stellung fahe er vor 
fih am Berge Chriftum zwifchen den Leuchtern, fo fchrieb 
er die Briefe, die ihm dietirt wurden; denn die Alten führten 
ihr Schreibzeug immer bei ſich. Jetzt verfhwand dieß erfte 
Geſicht, und er fahe vor fih hinauf oben auf der Spitze des 
Berges am Horizont ein Thor, welches fich in den Himmel 
dffnete, und nun rief die erfte Stimme im Pofaunenton : 
Steige hieher; denn ich will dir zeigen, was in ber Zufunft 


102 Erklärung der Offenbarung Johannis. 
gefchehen fol. Diefe Worte: fteige hieher! fcheinen mir zu 


beweifen, daß er einen Berg hinauf, bis auf die Spiße ges. 


hen follte; denn durch die Luft fich empor zu fchwingen, war 


natürlicher Weiſe nicht moͤglich, und es ift auch nicht nöthig, 


daß mans annimmt. Er folgte alfo der Stimme, und ging 
hinauf, bis durch diefe Pforte des Himmels. hat 

Hier fahe er nun einen Thron, einen Foniglichen Regentens 
ſtuhl, in einiger Entfernung vor ſich, dann zwifchen ihm und 
dem Thron war noch das gläferne Meer, doch) war es nicht 
fo weit, daß er nicht alles deutlich erkennen fonnte. Auf 
dem Thron faß eine menfchliche Geftalt, die ihm dem aͤußern 
Anfehen, der Farbe nach, fo vorfam, wie die Edelfteine Jaſpis 
und Sardis; beide Steine find blaß, oder fleifchfarbig röthe 
lich, der Jaſpis aber hat rothe Aederchen, und dann find 
beide, wenigſtens der Sardis, halb durchfichtig; folglich war 
diefe menfchliche Geftalt nicht grob fleifhicht, fondern durche 
fhimmernd verflärt und herrlich. Das Ganze aber ftand nicht 
auf der, Erden, fondern es war in dem Himmel, in die Luft 
bingeftellt, . Dieß beweist ferner, daß der Seher jeßt auf 
dem Gipfel eines Berges fand. Endlich umfreifete ein Smas 
ragdener, ein grünlicht fchimmernder Regenbogen, rund ume 
her, der Höhe und Tiefe nach, den ganzen Thron. Der Bogen 
des Bundes Gottes mir den Menfchen umfreifete den Sit 
des Weltenregenten, zum Beweis, das auch die fchredlichften 
Gerichte und Kämpfe diefen Friedensfchluß, der mit. dem 
Stammvater, Noah gefchloffen worden, nicht aufheben follten. 


4. Und rings um deu Thron her waren hier und zwanzig 


Thronen, und auf diefen Thronen faßen bier und zmans - 


zig Uelteften, mit weißem Gewand bekleidet, und auf 
ven Häuptern hatten fie goldene Siegesfronen. 


5, Und von dem Thron aingen Blitze, Stimmen und 
Donner hervor, und fieben Feuerflammen brannten 
vor dem Thron; welde die fieben Geifter Gottes find. 

6, Und vor dem Thron war e8 wie ein gläfern Meer, dem 
Kriftall aͤhnlich. Und mitten iin Thron, und um den 
Thron ber, waren vier lebendige Wefen, vornen und 
binten voller Augen. 


nl nn 7 Da ne 





— 


Kap. 4. V. 4. bis 6. 105 


Auf den Thron felbft folge nun auch die Befchreibung defs 
fen, was ihn zunächft umgab; und da fielen dem Apoftel zu 
allererft noch vier und zwanzig Thronen in die Augen, die im 
Kreis um den Urthrom vermuthlich fo herftunden, daß fie ſich 
im Hintergrund an beiden Seiten an denfelben anfchloffen, 
und dann um das gläferne Meer her den Kreis bildeten. Auf 
diefen Thronen faßen nun. auch vier und zwanzig Männer, 
die Johannes Xelteften, Rathöherren, Volfsvorfteher nennt. — 
Diefe hatten weiße Amtskleider an; fie find priefterlich ges 
Heidet, aber ihre Kronen find Feine Diademe, Königsbinden, 
fondern Stephanen, Siegeöfränze, fie find Ueberwinder. 

Dei diefen vier und zwanzig Welteften dürfen wir weder 
an die zwölf Patriarchen, noch an die zwölf Apojtel denken: 
Denn die Erften waren der Erzählung Mofe nach, eben nicht 
durchgehende folche Männer, daß fie diefe hohe Stelle be: 


‚Heiden konnten; und die Apoftel Fonnten hier auch nicht mit 


ſitzen: Denn einer von ihnen wenigftens, nemlich der Seher 
felbft, lebte ja noch, folglich hätte alfo auch ein Stuhl leer 
ftehen muͤſſen; doch Kap. 5. V. 9. und 10. erklären fie ſich 
felbft: Daß fie mir dem Blur des Lammes aus allerlei 
Geſchlecht und Sprachen, Völkern und Nationen 
erfauft, und im Fünftigen herrlichen Reich auf Erden zu 
Königen und Prieftern beftimmt feyen. Die Apoftel follen den 
zwölf Stämmen Iſraels vorftehen und ihre Richter feyn, 
Matth. 19.8. 28, folglich nicht ihre Stammpäter, die zwölf 
Patriarchen. 

Es Scheint, als wenn hier auf die Hier und zwanzig Stands 
männer oder Deputirten gezielt würde, welche dad Volf Sfrael 
im Tempel zu Jeruſalem beftändig unterhielt, wo fie das 
ganze Volk vorftelen, und in feinem Namen den täglichen 
Opfern beimohnen, aud wohl die Angelegenheiten ihrer 


Stämme am Hof und bei den Prieftern, oder auch bei dem 
- Sanhedrin (dem hohen Rath, Parlament) beforgen mußten. 


Auf eine ähnliche Weife fchienen alfo auch hier die vier und 


zwanzig Aelteften, die Repräfentanten der ganzen Menfchheit 
zu ſeyn; die nach Kap. 5. V. 8. Lobgefänge und die Gebete der 


Heiligen vor Gott bringen; im Verfolg wird noch mehres 


104 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


res zur Erlaͤuterung fen — und ihrer Beſtimmung 
vorkommen. 

Aus dem Thron züden-i immer Blitze in die weite Luft hin, 
es tönen Stimmen, und es bruͤllen Donner in die Ferne ums 
ber. Diefe Bilder drüden die raftlofe Thätigkeit der Nature 
frafte aus, welche immer zum. Strafen und Belohnen, zum 
Fluchen und zum Segnen bereit, und in der weiten Schoͤ⸗ 
pfung immer in dem Allen gefchäftig und thätig feyn müffen. 

Vor dem Thron entdechte Johannes ferner einen großen 
weiten: Mafferbehälter, in welchem aber diefes Element fo 
ruhig und fo Elar ftand, ald wenn es ein Glas oder Kriftall 
wäre, es wallte und bewegte fih im Geringften nit. Dieß 
ift num im eigentlichen Sinn, Gottes Brünnlein, das Wafs 

ſers die Fülle hat, die Quelle aller Lebenswaffer, das ewige 
» Element, aus welchem ſich in alle Theile der firtlichen Welt 
Ströme und Bäche ergießen; die Quelle des Stroms des Les 
bens, an. defjen Ufern Bäume des Lebens und Palmen fürdie 


Ueberwinder wachjen. ‚Hier fpiegelt fi) im eigentlichen Sinn 


des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angefiht; und jeder 
Menſch hat auch im verborgenen tiefen Grund feiner Seele 
eine Quelle, die aus diefem Meer urfländer, er braucht fie 
nur zu Öffnen, oder durch den Geift des Herrn in fich eröffe 
nen zu laffen, fo entfteht da auch ein nie verfiegender Brunn, 
aus dem fi) Ströme lebendigen Waſſers auf alle die ergies 
Ben, die Erquidung bedürfen. Zu diefem Kriftallmeer keh⸗ 
ven dann auch alle Ströme in den Gebeten und guten Glaus 
benöwerfen der Heiligen wieder zuruͤck. 


Diefes Meer ift ftille, es wird von feinem Lüftchen RER 


denn es feiert feit der Schöpfung feinen ewigen Sabbath, 
hievon wäre noch) vieles zu jagen, aber es gehoͤrt an einen 
andern Ort. Nach Kap. 15: V. 2. ift Feuer hinein gemengt, 
das hat aber auch feine Urfachen, bon denen ich auch zu ſei⸗ 
ner Zeit veden werde. 

Aber über diefem gläfernen Meer, zunächft vor dem Thron, 
brannten auch fieben Fadeln, oder befjer, fieben ruhige ftille 


Flammen, ſo wie eine Lampe brennt; von Leuchteru ſteht 
nichts da. 





HE ee DT ⏑ 


RIED, A bi 405 


" Der Regenbogen hat vier Haupt» und drei Mittelfarben, 
alfo fieben, die alle im eins concentrirt das Licht ausmacheny 
fo wird auch hier das Urlicht in fieben befondere Flammen 
oder Lichtquellen getheilt, Jeſaias benennt fie alle fieben K. 11. 
DB. 2, 1) der Geift des‘ Herrn; 2) der Weisheit; 5) des 
Verftandes; A) des Raths; 5) der Stärke; 6) der Erfennts 
niß, und 7) der Furcht des Herrn. Diefer fiebenfache Geift 
foll auf vem Sprößling aus dem Stamm Iſai ruhen, wels 
cher au) das Lamm ift, das deswegen eben fieben Augen 
hat: Hievon ließ fich noch vieles jagen, aber es gehört 
nicht hieher. 

Nun folgen noch die merfwürdigen vier Urwefen, welde 
Luther und der felige Bengel Thiere nennen. Das Wort in 
der Grundfprache bedeuter etwas, das lebt; da wir Teutſche 
aber mit dem Wort Thier einem niedrigen Begriff verbinden, 
der durchaus nicht hieher paßt, fo kann ich mich auch nicht 
überwinden, e8 zu gebrauchen. Das griechifche Wort Zoon 
heißt freilich auch ein Thier; aber es wird auch von allem 
gebraucht , das Leben hat; und bier ift mehr als ein Thier. 
Das Wort lebendiges Wefen fchickt fich am allerbeften. Diefe 
vier befanden ſich zunächft am Thron, und zwar, fo daß fie 
ihn umgaben; das vorderfte fiand gerade vor dem Thron, 
fo daß ed dem Seher ſchien, als wäre ed in der Mitten; die 
zwei folgenden fianden auf beiden Seiten, und das vierte 
hinten, doch fo, daß es gefehen werden Fonnte. Auch bes 
merkt Johannes, daß fie alle vier über und über mit Augen 
befäet waren. | 

Der Prophet Ezechiel fahe den Thron der Herrlichkeit des 
Herrn beinahe auf die nämliche Weife Kap. 1. allein gleichs 
ſam auf der Reife, wo die vier Wefen den Thron trugen 
und auf feinen Rädern fortbewegten,, hier aber ift der Sit 
des Herrn feft und in feiner Ruhe. Auch Zefaias fahe etz 
was Ähnliches Kap. 6, er nannte diefe Weſen Seraphint, 
und auf der Bundeslade machten zween Cherubim den Sit 
des Jehovah aus: Weil jene Cherubim bei dem Jeſaias das 
‚ Heilig Heilig ausrufen, fo wie hier die vier Weſen, fo will 


ich mich auch viefes Worts hier bedienen, und fie Seraphim 
nennen. 


106 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


So wie die vier und zwanzig Alteften die Repräfentanten 
der Menfchheit find, fo fielen.die vier Seraphim die vier 
geiftigen Kraftelemente der gefammten Schöpfung vor; in 
ihnen concentriren fi alle Wefen, und in ihnen verherrlicht 
die ganze Natur ihren Schöpfer; fie find die vier Prinzipien 
aller Dinge, die gefchaffen find; fie find die Drgane, wos 
durch der Schöpfer in der Natur und zu der Natur fpricht, 
und. wodurd die Natur auch wieder zu ihrem allgemeinen 
Vater redet; mit einem Wort, fie find der vierfache Geift 
der Natur felbft, der metaphyfifche Gott, auf den man end» 
lich geräth, wenn man Zhn durch die Vernunft allein fins 
den will, aber Ihn dann doch nicht erkennt, wie er ift, fons 
dern blos eine verhüllte Zfis fieht, deren Schleier Fein Sterbs 
licher aufdeden kann. 

Diefe Seraphim find über und über voller Augen; aller 

vier Hauptgefchäft ift, Sehen; die immer wachtfame rafts 
lofe Natur verfäumt unter allen Myriaden Wefen auch nicht 
dad geringfte Wirmchen ; jedes individuelle Grashälmchen, 
fo wie der größte Monarch und der Erzengel, ftehen in der 
genauften Aufficht,, und zwar vom erften Entftehen an, bis zu 
feiner Vollendung ; dazu gehören Augen, 
Mit einem Wort: Die vier Seraphim find die unmittels 
baren Werkzeuge der Vorſehung, fie verwalten die göttliche 
Polizei in allen Welten, und überall, im Kleinften wie im 
Größten, mit größter Treue; da wird auch nicht das Ges 
ringfte, das Haarzaͤhlen nicht einmal, vergeffen, 

Die fieben Geifter flößen Kicht und Erfenntniß ein, die 
vier Urwefen aber geben Kraft; jene beziehen ſich allein auf 
Bervollfommnung aller moraliſchen Weſen dieſe aber auf 
alles Erfchaffene, 


7. Und das erfte Yebendige Wefen war einem Löwen 


ähnlich: das andere lebendige Wefen gleich einem 
Kalb; das dritte lebendige Wefen hatte ein Ange⸗ 
fiht wie ein Menſch; und das vierte lebendige Wer 
fen war einem fliegenden Adler gleich, 


8. Und die vier lebendigen Wefen hatten, jedes von 


a A mn Pe ne” 





Kap. Ik B. 7. 8. su’ — 107 


ihnen, ſechs Flügel beſonders, ringsum und inwen⸗ 
dig waren. fie mit Augen angefült, und. ſie haben 
weder Tag noch Nacht Nuhe, indem fie fagen: Hei⸗ 
lig! Heilig! Heilig! ift der Herr, Gott, der Als 
berrfcher! der war, ift, und kommt! 


Setzt werden nun die vier Seraphim genauer befchrieben : Der 
Erfte war einem Löwen ähnlich; diefer ift der wahre Ariel, 
der Löwe Gottes; fein Charakter ift unüberwindlicher Muth 
und Kraft, daher ift er das Bild der Urkraft, die aber noc) 
ohne Beftimmung ift — die Fülle der Kraft, bereit zu ſchuͤtzen 
und zu ftrafen, wo es der Allberrfcher gebeut. Der Erzengel 
Michael ift mit ihm übereinftimmend: Denn Michael ift ein 
Schlagender oder Kämpfender Gottes, oder auch ein 
fehlagender, frafender Gott, andere überfegen dieß Wort: 
Mer ift wie Gott? 

Der zweite Seraph hat die Geftalt eines Kalbes; von ihm 
haben wohl die Egyptier ihren Gögen Apis hergenommen, 
den fie in einem lebendigen Ochfen verehrten, und woher 
dann auch das goldene Kalb in der Wüften entftund. Ju 
dieſem Seraph nimmt die erfte, große, uneingefchränfte, zu 
allem gefaßte Löwenfraft ihre Richtung zum allgemeinen 
Beten; fie wirkt zum Wohl aller Wefen, und dient auch) 
dem Herrn zum wohlgefälligen Opfer: Denn alle diefe Eis 
genfchaften finder man bei den wohlthätigen Ochfen = und 
Kuhheerden; die Hindus verehren noch immer diefe Thiere 
göttlich. Mit diefem Seraph Forrenfpondirt der Erzengel 
Raphael, welcher den Menfchen auch wohlthätig ift, denn 
das Wort bedeutet: Gott hat geheilt, oder Gott hat geholfen. 

‚Der dritte Seraph hat ein menfchliches Angeficht ; in ihm 
wird num jene Urfraft, die im zweiten lebendigen Wefen ihre 
Richtung zum Wohl der ganzen Schöpfung genommen, nad) 
Vernunft geleitet, und der Weisheit zur Erreichung des gros 
Ben Zwecks des allgemeinen Beften untergeordnet. Auf dies 
fen hat der Erzengel Gabriel Beziehung; alle Weisheit und 
Vernunft ift Kraft; alle Weisheit und Vernunft kommt von 
Gott, daher find aud) beide, Kraft Gottes, Stärke Gottes, 
und Gadriel Heißt: meine Kraft iſt Gott. 


108 Erklärung der Offenbarung Johannis. 
© Der vierte Seraph endlich ift einem fliegenden Adler aͤhn⸗ 


lich ; fo wie num diefer Vogel mit unverwandtem Blick in die 


Sonne ſchaut, und fih ihr im Emporfhwung zu nähern 
fucht, fo nimmt nun auch endlich jene Urfraft, nachdem fie 
nunmehr mit Weisheit und in Gottes Kraft zum allgemeinen 
Beften wirkt, ihren Flug und ihre Richtung dem ewigen Urs 
licht, dem Mittelpunft alles Strebens aller Wefen, der Sonne 
der Geifterwelt entgegen, der fie ſich ewig nähert, fie aber 
nie erreicht, Mit diefem Seraph fteht der Erzengel Uriel im 
Berhältniß; denn Uriel heißt; Gott iſt mein Licht. 

Was alle die Augen, womit die vier Seraphim angefüllt 

find, bedeuten, ift eben fchon erinnert worden. 

So wie dieſe Iebendigen Wefen, fobald fich die Gottheit 
außer ſich offenbart, zu ihrer Natur gehören, fo finden wir 
auch in der menfchlihen Natur, fobald fie außer fih wirks 
fam ift, dad nemliche; und zwar 1) bei dem einzelnen Mens 
fhen; 2) bei jedem Volk, und 5) bei der gefammten 
Menfchheit, 

Bei jedem einzelnen Menfchen ift eine Grundfraft zur 
Thätigfeit, die fih befonders in der Zugend wild, unbändig 
und löwenartig äußert; nach und nad) wird fie milder, zah⸗ 
mer, und fängt nun im Sünglingsalter an, nad) Zwecken zu 
wirken und nüßlich zu werden, im Mannsalter gefellt fich 
Vernunft, Erfahrung und Weisheit dazu, und hernach im 
hohen Alter beginnt der Adlersflug zur Vollendung. Dieß 
alles findet befonders bei folhen Menfchen ftatt, welche durch 
die Religion Jeſu geleitet und geheiligt werden, 

Dei einem Volk geht die Natur den nemlichen Gang; 
Sm erften Beginnen ift es wild, löwenartig; im zweiten 
Zuftand kommt es zu Viehzucht und Aderbau, und wird 
landwirthſchaftlich; im dritten entftehen Fabriken, Handlung 
und Funftmäßige Politif; im vierten nemlich nimmt es feine 
Richtung zur höchften finnlihen Verfeinerung durch den Zus 
xus, und dann geht es mit ihm zum Ende; fein Adlersflug 
hat nicht das wahre Licht im Auge. 


Dei der gefammten Menſchheit ift diefer Gang ebenfalls 


fehe kenntlich und merkwürdig; befonders wenn man. ihre 


— Du — 


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Kap. 4.8, 7.8 vu 409 


Geſchichte nach ber Fuͤhrung der Borfehung betrachtet, fo 
wie fie uns die Bibel an die Hand gibt. Von der Schöpfung 
bis auf, Mofe währte die Herrſchaft der Löwenfraft; von 
Mofe bis auf Ehriftum fand das Volk: Gottes. unter dem 
Jod, unter dem Dienft des Ceremoniengejeßes, und mitihm 
alle kultivirte Völker unter dem Opferdienſt. Unter der. Herre 
fchaft der chriftlichen Religion kommt fie zum Verftand und 
zum männlichen Alter, und derjenige Theil, welcher in allen 
Proben bewährt gefunden wird, nimmt dann im nahen herr⸗ 
lichen Reich Chriſti feine Richtung im Adlersflug dem Urlicht 
und der hohen Beftimmung der Menfchheit entgegen. 

In diefen vier Urkräften liegen noch tiefe Geheimniffe vers 
borgen, die auf den auf dem Thron Senden, auf das Lamm, 
und auf den fieben flammigten Geift merkwürdige Beziehung 
haben, allein. das find Sachen, die nicht für jedermann gehören. 

Daß die. vier anführende Stämme Iſraels, Zuda, Ruben, 
Ephraim und Dan, die vier Thiere in den Fahnen geführt 
haben folen, und daß man fie auch den vier Mnopaelißrn 
zugeeiguet, hat bier Feinen Einfluß. 

Die, vier, lebendigen Wefen ‚hatten jedes ſechs Sldgel, um 
ſich defto gefhwinder durch alle Welträume bewegen und die 
Befehle des Allerhöchften ausrichten. zu fonnen, Es ſteht 
Jeſ. 6. V. 2. fie hätten mit zween Flügeln ihr Autlitz be⸗ 
deckt, mit zween die Fuͤße, und mit dem dritten Paar härten 
fie geflogen; dieß alles geſchieht, je nachdem ihre Verrichtung 
ift, fie kͤnnen auch alle ſechs zum Fliegen gebraucht werden. 
Aber nun ihre Befchäftigung! — Sie haben weder Tag 
noch Nacht Ruhe — dieſer bedürfen fie aber audy nicht, denn 
fie ermuͤden nicht, und ihre QTaufende von Augen finfen nie 
in einen Schlummer. Mit diefen fehen fie in der göttlichen, 
geiftigen und materiellen Natur unaufhörlich fo viele Wunder 

der Weisheit und Herrlichkeit Gottes, daß fie der Heiligung 
ſeines Namens nie müde werden fönnen, und darinuen rg 
Augenblick ihre höchfte Seligkeit finden. 

Ja: Du Allherrſcher! Der Du warft, bift und ka, 
gebeiligt werde dein Name von und bienieden, und von dei 
Seraphim um deinen Thron! 


110 Erklärung ber Offenbarung Johaunis. 


Sie rufen das Heilig dreimal aus: Daß dieß auf Pater, 
Sohn und Geift Beziehung habe, ift fichtbar. Aber warum 


gerad Heilig? — warum nicht auch Allmächtig, Gütig, Ges 


recht u. f. w. Das Wort hagios, bei dem Jeſaias kadosch, 
bedeutet eine Abfonderung von allen Dingen, und Beftimmung 
zu einem gottesdienftlichen Zweck; wird ed aber von Gott 
gebraucht, fo ſtellt es eine unerreichbare Hoheit in allen Zus 
genden, eine folche Vollkommenheit vor, der fich endliche We— 


fen zwar nähern, aber fie nicht erreichen Fünnen. ' Dahun 


die vier Seraphim mit ihren Taufenden von Augen im Uns 
grund der göttlichen Volllommenheiten nichts anders als 
folhe Höhen fehen, die auch dem höchften Aufſchwung des 
fechsflügelichten Seraphs ewig unerreichbar find, fo Tonnen 
fie auch nichts anders als heilig! heilig! Heilig! rufen. 
Daß anſtatt des Namens: Der ift, der war, und feyn 
wird, die Worte, der ift, der war, und der fommt, ges 
braucht werden, das bezieht fich auf den Zweck diefed Buchs, 
welches eine Weiffagung auf die Zufunft des Herrn iſt — Sein 
Kommen ift der Text der ganzen Offenbarung Johannis. 
Der Here — Gott — der Allherrfcher, oder Allesregierer, 
oder Alleserhalter, find die Namen deffen, der von jeher war, 
jest ift, und nun bis zur Vollendung am Kommen BIENDE, 


9, Und wenn die lebendigen Weſen Herrlichkeit, Chre 
und Dank Dem geben, der auf dem Thron ſizt⸗ und 
der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt: 

10. So fallen die vier und zwanzig Aelteſten vor ben. 
der auf dem. ‚Thron fist, nieder, und.beten. den von 
Ewigkeit zu Ewigkeit Lebenden an, und. legen dann 
ihre Siegeskronen vor dem Thron hin und fagen: 

14. Würdig bift du, Herr unſer Gott! Herrlichkeit, Ehre 

‚and Macht anzunehmen: Denn Du haft alle Dinge 
gefchaffen, und durch Deinen Willen waren fie, und 
fie find geſchaffen worden. 


Die vier Seraphim fi find die Anführer bei den hiumliſchen 


Gottesverehrungen, weil fie die Repraͤſentanten des ganzen 


Alls ſind; wenn ſie nun in ihrem Jubel ſo hoch ſteigen, daß 


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ee ——— ——— 


Rap a. DB 9b 1. 111 


fie vom dreimal heilig, fih im Triumph zum Herrlichkeits 
Ehre: und Danfgeben emporfhwingen, fo ſtimme auch) die 
Standmänner der Menſchheit mit ein; fie finfen von ihren 
Thronen auf die Knie nieder, legen ihre Kronen ab, und im 
tiefften Gefühl der Heiligkeit, Herrlichkeit, Ehre und Macht 
Gottes des ewiglebenden Weltbenerrfchers, ſtimmen fie mit 
den Serahim in den Jubel ein, und bekennen, daß Er allein 
des Preißes, der Herrlichkeit, der Ehre und der Macht werth 
fey: Denn Er habe ja alle die Wunder der Unermeßlichkeit 
geihaffen, und blos fein Wille habe fie hervorgebracht. .. 
Es bedarf nur einer ftillen, ruhigen Betrachtung und Vor: 
ftellung diefes erhabenen Gefihts, um von einem - Gefühl, 
von einer Empfindung durchdrungen zu werden, die alles bei 
weitem hinter fi) laͤßt, was irgend die Phantafie der größten 
Dichter hervorbringen kann! — Und wie paſſend, wie über: 
einftimmend ift diefes Alles mit dem ganzen Mort Gottes! — 
Mer da noch an der göttlichen Eingebung zweifeln Fann, dem 


ift nicht zu helfen. 





112  Grflärung: der Offenbarung Johannis. 


"pas Hänfke Kapitel. — os 

4. ff if ra in der rechten Hand des auf ein Thron 
Sitzenden ein inwendig und auswendig beſchriebenes 
mit ſieben Siegeln verfiegeltes Bad), 

2. Und ich fahe einen ſtarken Engel, der mit “großer 
„Stimme rief: Wer ift würdig das Buch zu Offen, 
"und feine Siegel zu loſen? 

— Und niemand, weder. im, Himmel och auf Erden, mod) 

“unter der. ‚Erden, konnte weder das AAN DRRAT, ud 

8 befehen... ä u 


„Nachdem und. der erhabene Sehen * — herr⸗ 
—* Schauplatz der hohen Offenbarung beſchrieben und 
uns die Hauptperſonen auf demſelben gezeigt hat, ſo faͤhrt 
er nun fort, und beſchreibt auch die Handlungen, die er da 
ſahe. Hier fängt alſo die eigentliche Offenbarung der Ges 
heimniffe Gottes an. 

Er bemerkte nun zuerfi, daß Jehovah eine inwendig und 
auswendig befchriebene Papierrolle in der rechten Hand hielt, 
die aber mit fieben Siegelu.verfiegelt war. 


BIST 


Zu Johannis Zeiten bediente man ſich des egyptifchen Pas 


piers, welches aus dem Baft des Papierrohrs eben in foldye 
Platten geformt wurde, wie auch unfere Bogen Papier ges 
formt werden. Man hatte aber vermuthlich auch ſchon Pers 
gament; aus einem von beiden wurden die viereckigten Stüde 
der Länge nach aneinander geleimt, befchrieben, und dann 
zufammen gerollt. Diefe Einrihtung hatte nun auch das 
merfwärdige Buch, von dem hier die Nede iſt; das Ende 
aber war der Länge der Rolle nach mit fieben Siegen vers 
fhloffen, fo daß man fie alle fieben öffnen mußte, ehe man 
es lefen koönnte; es enthielt die ganze Gefihichte der chriftli= 
chen Religion, von ihrer Stiftung an, bie zu ihrem endlichen 


u ee Er ee * — 


u u u 


Kap. 8. Bl. bis 30 115 


Triumph am) Ziel; oder vielmehr: Es enthielt den vorher 
beftimmten Rathſchluß Gottes, den Entwurf zu dem dreien 
Hauptlämpfen zwifchen dem Licht und der Finſterniß, durch) 
deffen Ausführung danıı erft die Geſchichte der chriſtlichen 
Religion entſtehen folltes | 

"Daß dieſe Rolle auswendig und inwendig vollgefchrieben 
war, zeigt an, daß auch der ganze Zeitlauf des nenen Tes 
ſtaments mir merkwürdigen Borpilleii ganzangefüllt feyn wird; 
dad Papier der Zeit wird: * N und een: * 
—** ſeyn. 

Daß die ſieben Siegel alle PRPETIREN dur der Rolle, längs 
das Ende hinauf aufgedruckt find, und nicht durch die ganze 
Rolle gehen, fo daß man fehon ein Stück leſen Fann, wenn 
eins gedffner ift, ift daraus Klar, weil die erſten ſechs Siegel 
einen Fleinen Zeitraum, von diefer Offenbarung at nur noch 
etwas über 206 Jahr einnehmen, und das fiebente Siegel 
alsdann über 1600 Jahre, folglich 5* die ganze Rolle 
enthält: 

Will man aber auch annehmen, die große Rolle des fiebens 
ten Siegels fey zuinnerſt und verfiegelt gewefen: Diefe habe 
die fechöte umgeben, und diefe die fünfte, u. f. w. fo daß 
jedes Siegel ein eigenes Stuͤck Papier ausmachte, das um 
bier Rolle gewickelt war, fo hab ich "auch nichts dagegen eins 
zuwenden, denn es kommt nichts darauf anz indeſſen ift es 
nicht wahrfcheinlich, weil alsddaun Johannes vor dem Eröffs 
new die fieben Siegel nicht fehen konnte. 

Da alle Offenbarungen Gottes an die Menfchen durch den 
heiligen Geift expedirt werden, fo läßt fich auch leicht begrei- 
fen, woher die fieben Siegel fommen? dent jeder von den 
fieben Geifern Gottes hat das Seinige aufgedrudt: 

Mun erſcheint der Herold des Himmels’ — ein ftarfer En: 
gel ruft durch die ganze Schöpfung aus: Wer ift kuͤhn genug, 
wer hat das Herz und das Vernidgen, das Buch zu öffnen 
und zu eutſiegelu! — wer iſt dazu würdig? — Daß diefer 
Engel ftark ſeyn mußte, wenn feine Stimme die ganze Schdz 
pfung durchtönen, und er von allen Weſen gehört werden 
ſollte, das verfteht ſich doch von ſelbſt. Allein allenthalben 


Stillings ſammtl. Schriften. III. Banp; 8 


114 Grflärung der Offenbarung Johaunnis. 


war. tiefe Stille — Fein Himmelöbürger, ‚ein Erdebewohner, 
Feiner im. Hades, Fein; Abseſchiedener — Niemand! Niemand 
meldete fich. 

Man muß ſich ja nicht heran, daß dieſer Engel und 
fein Ausruf ein bloßes leeres Bild geweſen ſey — mein! 
feine Stimme ertonte gegen das Ende diefes erften Jahrhun⸗ 
dertö fehr laut; die erſten Chriften ſtunden in den Gedanfen, 
es würde, num ‚mit der. chriftlichen‘ Religion immer vorwärts 
gehen, und die Aelteſten unter, ihnen würden die Zufunft des 
Herrn zu feinem herrlichen Reich nod) erleben: Als nun aber; 
das erfte Jahrhundert auf die Neige ging, und ſich zu allen 
diefen Erwartungen nicht der. geringfte Anfchein zeigte, ob 
fih gleich die chriftliche Religion erſtaunlich gefhwind und 
bis in die eutlegenften Laͤnder au£breitete, fondern ihre Ans 
hänger gedrüct, verfolgt und auf die graufamfte Weiſe hins 
gerichtet wurden, ſo entftand natürlicher Weiſe unter allen 
Chriften ein allgemeines Sehnen, Aengften und Ringen nad) 
Licht und nach Aufſchluß uͤber dieß Geheimniß; man fonnte 
nicht begreifen⸗ wie das in allen Laſtern verſunkene Heiden⸗ 
thum herrſchen, fiegen, und über. das Chriſtenthum den Meis 
fter fpielen könne. ‚Das ſchien der Gerechtigkeit und Wahrheit 
Gottes zuwider zu feyn. Hier tritt alfo nun ein jtarfer Engel 
als Herold und Sachwalter der Menfchheit auf, und ruft: 
Iſt denn Fein Wefen in der ganzen Natur, welches das Ge: 
heimniß des göttlichen Rathſchluſſes uͤber Chriſtum und fein 
Reich enthüllen, und feinen, wahren Verehrerm zeigen Tonne, 
was denn endlich aus der- Sache werden follıe ? 

Dieſes Gefchrei der gefammten Chriftenheit wurde: immer 
ftärfer,, und war, vermuthlich jegt aufs hoͤchſte geftiegen; da⸗ 
her fand auch der Herr für gut, feinem Liebling, dem Johan⸗ 
nes, den Inhalt des verfiegelten Buchs in diefer Offenbarung 
fund zu machen, Damit er, als noch lebender Apoftel, der 
überall den größten Kredit-hatte, die Gemüther defto eher 
beruhigen möchte. :«Diefer Zweck wurde auch vollkommen er: 
reicht: ‚Denn fo dunkel auch dieje Weiffagung ift, fo leuchter 
doch der Satz, daß die hriftliche Religion noch lange Zeit 
manche Sichtungen und Laͤuterungen durchgehen muͤßte, doch 


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aber am Eude herrlich fiegen würde, "aus allen dieſen majes 

ſtaͤtiſchen Bildern, den Chriften aller Zeit fo lebhaft in die 
Augen, daß jedermann, der nur Vertrauen auf Gott und ſei⸗ 
nen Erloͤſer harte, ſich volllommen dabei beruhigen konnte. 
Vermuthlich erkundigte man ſich auch damals allgemein bei 
lebenden erleuchteten Männern, in den Schriften der Verſtor⸗ 
benen, und wendete ſich haͤufig im Geber zu Gott, un Aus: 
Funft über dieſe dunkeln Umftände zu finden, und man fand 
Feine ; weder im Himmel noch auf Erden, noch inter der Er: 
den zeigte fi) jemand, der das Bud) —* OEM 
entfiegeln konnte. 


4, Und ich weinte fehr, daß niemand wirdig gefunden 
wurde, das Bud) zu Öffnen und es zu ſehen. 

5. Und. einer. aus den Melteften ſprach zu mic; Weine 
nicht! Siebe! der Lowe aus. dem Stamme Juda, 

die Wurzel, Davids, hat überwunden, um dag Re 

and feine fieben Eiegel zu eröffuen. 

6. Und ich fahe in der Mitte des Throns, und der. vier 
lebendigen Wefen, und in der Mitte der Aelteſten, ein 
Lamm ftehen, als wenn es gefchlachtet wire; „welches 

ſieben Hörner und fieben Augen hätte: diefe find die 

‚Über die ganze Erde gefandte fieben Geiſter Gottes. 

7. Und es kam und nahm das. Buch aus der Rechten deffen, 
„ber. auf dem Thron ſaß. 


Bei dem heiligen Seher machte es tiefen Eindruck, daß 
ſich niemand fand, der das Buch öffnen und leſen konute; er 
weinte ſehr — hieraus erhellet, wie groß damals das allges 
meine Sehnen nad Licht in dieſer Dunfelyeit war; ſelbſt 
Sohannes, der. den Herrn fo wohl gekaunt, und feine Reden 
gehöre und fo wohl bepalten parte, wurde vom Geift der Zeit 
tief gebeugt, und wußte nicht mehr, wo es hinaus wollte? — 
er ſaß im Elend auf der Inſel Parmos, und Domitiaus 
Verfolgung wuͤthete graufam unter feinen Glaubensgenoſſen. 
Hier jahe er nun das Mitrel, wie man Troft und Erkenntniß 
über: die Schieffale der Religion würde befommen koͤnnen, 
und ſiehe da — Fein Wen in der ganzen Natur fonute das 
s * 


116 Erklärung ber Offenbarung Sohannis. 


Räthfel, enthuͤllen, darum, weinte er fehr. Wenn ‚aber die 
Noth am, größten ift, fo ift Gottes Hülfe am naͤchſten. 
Einer von den Nelteften redete den Apoftel an, und: erins 
nerte ihn an: die alte Weiffagungen Mofis und Sefajä, gleich 
als ‚wenn. er, fagen wollte: Denkſt du denn nicht daran, was 
Jehovah durch die heiligen Erzväter und; Propheten: vers 
fprochen, hat, ‚daß Zuda ein Low feyn und ſiegen würde? 


L: Br Moſ. 49. Br 9. und daß ein Wurzelzweig Davids aus 


den Stamm Iſai aufgehen und Frucht bringen, und daß auf 
ihm. der, fiebenfache Geift des Heren ruhen würde? Jeſ. 11. 
V. 1. u. f. — Diefer hat nun überwunden. Er hat wie ein 
Low den Tod und die Hölle befiegt, und hat das Gefängniß 
gefaugen gefuͤhrt, dieſer vermag die Siegel zu brechen und 
das Buch zu leſen, darum weine nicht! 

Dieß beruhigte den Seher, und nun entwickelte ſt ch auch 
das Raͤthſel: Denn mitten im Thron, im Mittelpunkte der 
Spttheit, erfchien ein Lamm, welches zwar lebte, aber doc) 
noch die Wunde vom Schlachten an fid) hatte. Dies Lamm 
hatte fieben Hörner und fieben Augen. Es ift befannt, daß 
das Horn in der heiligen Schrift im finnbildlihen Verftand 
eine Macht, eine Stärke, und bei den Propheten bald einen 
König, bald auch ein Königreich bedeutete; man lefe nur deu 
Propheten Daniel, fo wird man davon überzeugt werden; 
auch David ald Dichter gedenkt des Horns feines Heils, als 
der göttlichen Macht, die ihm beiftand. Dieß Lamm hat 
alfo fieben Mächte; daß damit auf die fieben Gemeinden des 
neuen Zeflaments gezielt wird, ift unlaugbar : wenn man 
meine Erklärung der fieben Briefe im vorhergehenden gelefen 
hat, fo wird man dieſe fieben Mächte leicht erfennen; fie find 
aber ‚alle lammsartig, fie Fampfen und fiegen, durch Dulden 
und Schweigen, ‚Leiden und Meiden. Aber durch nichts in 
der Welt kann auch die Macht der Hölle befier gebandigt 
werden, ald durch diefen himmlifchen Lammscharakter, der 
macht alle Waffen ftumpf, und die ewige Glut der Hölle 
zum fühlen Thau. Auch der, Löwe aus dem Stamm Juda 
kaͤmpft nicht durch Menfchenmord, fondern er läßt feine Feinde 
ihre eigene Wege gehen, und vertheidigt nur die Seinigen; 





Kap, 5 V. 4 bis guurbli . 117 


zugleich’ aber weiß er jene fo zu führen, daß fie immer in die 
Grube fallen, die fie andern gegraben haben, und fich felbft 
untereinander aufreiben. Auf diefe Weiſe müfjen fie ſich herz 
nach felbft die Schuld geben, und * van Sort und ac 
Gerechtigkeit verherrlichen.. 

Was die fieben Augen des Lammes bedeuten, das ſagt uns 
der Seher felbft; denn er weist und auf den Propheten Zacha⸗ 
ria, Kap. 5. V. 9. und Kap. 4. ®. 10. Sn der erſten Stelle 
wird eines Steins gedacht, der fieben Augen hat, und in der 
legteren heißen fie die Augen ded Jehovah, die dad ganze 
Land durchziehen. Die fieben Geifter Gortes find alſo die 
Augen des Lammes! — Das will viel jagen! — Wer kann 
da mehr an der Göttlichkeit der Perfon zweifeln, die das 
Lamm vorftelle? — Warum zeigt ſich aber wohl hier der 
große Entfiegler der göttlichen Geheimniffe nicht ald Löwe, 
fondern ald Lamm? — befonderd da ihn auch der Xeltefte 
ald den Sieger aus dem Stamm Juda ankündige? — Ants 
wort; Er befommt feine Wiürdigkeit, das Buch zu eröffnen 
und feine Siegel zu löfen, nicht ald Sieger über den Drachen, 
die alte Schlange, über Tod, und Hölle, fondern als Verſoͤh⸗ 
ner der Menfchen mit Gott. Er, der die Menfchheit aus 
der Gewalt des Drachen mit feinem Blut erfauft hat, befam 
auc dadurch) allein das Recht, den Kriegsplan gegen diefen 
Hauptfeind einzufehen, um ſich in der Ausführung, die ihm 
ja deswegen auch allein zufommt, ald Löwe aus dem Stamm 
Juda darnach richten zu koͤnnen. Er zeigt fih alſo hier fehr- 
ſchicklich und paſſend als Verſoͤhnopfer. Daß ihn aber der 
Aeltefte als Sieger oder als Löwe anfündigt, gefchieht um 
den Johannes zu tröften: Weine nicht, will er fagen, Er 
wurde als Lamm igefchlachtet, aber in feiner Auferftehung 
uͤberwaud Er als Loͤwe. Er wird euch auch jeßt nicht ſtecken 
laffen, fondern euch retten; denn Er hat bishef überwunden, 
und wird auch ferner überwinden, “ 

Daß Er fich unter dem Bild des Oſterlamms zeigte, durch 
defien Blut die Sfraeliten in der legten und fchredlichiten 
Plage der Egypter gereitet wurden, iſt and) tröftlichs wir 
baben auch ein Oſterlamm weldpes der für, und geopferte 


118 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Chriſtus iſt; fein Blut wird. ung auch gegen alle Gerichte 
Gottes uͤber feine und unſere Feinde ſchuͤtzen. — Aber wer 
nur dieß Blur gering ſchaͤtzt, und nichts von Verföhnung * 
ſen will, deſſen erbarme ſich Gott! 

Dieſes merkwuͤrdige ſiebenaugichte Lamm fuͤhlt ſeine Wuͤrde⸗ 
es darf fich wem „u. der auf dem Thron ſitzt, nahen, thut es 


auch wirklich, und nimmt die Rolle aus der Hand des Alle 


herrſchers zu fi, 


8. Und als es das Bud) nahm, fielen die vier Tebendigen 
"Wefen, und die bier und zwanzig Nelteften vor dem 
Lamm hieder; jeder hatte eine Harfe, und fie hatten 
"goldene Schäafen, mit Rauchwerk argefüllt, welche 
die Gebete der Heiligen find. 

9, Und fie ſungen ein neues Lied, und fprahen: Wür— 
Dig biſt Du, das Buch zu nehmen, und feine Eiegel 
zu eröffuän: Weil du dich haft fchlachten laffen, und 
uns mit dem Blut aus allen Stämmen, Sprachen, 
Vbolkern und Heiden erkauft haft, 

10, Und haft fie unferm Gott zu Königen und Prieftern 
gemacht, und fie werden auf der Erde regieren, 


Hier kann man fehen, wie vielen Antheil die ganze Schds 
pfung au der Eröffnung der göttlichen Rathſchluͤſſe über den 
allgemeinen Feind aller MWefen nimmt — die ganze Kreatur 
feufzte unter dem Dienft: der Eitelkeit, und ſehnt fih nad) 
der Sreiheit der Kinder Gottes ; durd) die Eröffnung des Buchs 
aber ſoll fie. nun Hoffnung und Gewißheit befommen, daß 
endlich alle Feinde befiegt werden, ‚und die Heiligen die Welt 
regieren. follen: darum fielen. auch erft die vier Seraphim als 
Repräfentanten der ganzen Natur, hernach auch die Staud⸗ 
maͤuner der Meuſchheit vor dem Lamm nieper es anzubeten 
und ihm zu danken. 

Hier kann man ſehen, ob Chriſtus muͤſſe angebetet werden 
oder nicht. 

Das Wort, welches hier durch Harfe uͤberſetzt iſt, bedeu⸗ 
tet ein Saiteninſtrument, welches mit den Fingeru gefpielt: 
wird, und dient zu Jubel⸗ und Lobgefängen; was die Schaa⸗ 


’ 
— — 





An nn une Zn 


ae re Kr er 


REBEL 0119 


„ Ten mit dem Rauchpulver bedeuten, das fagt uns der Apoftel 


felbft, fie ſtellen die Gebete der Heiligen vor; dieſe Nepräs 
fentanten der. Menſchheit bringen alfo der Frommen Gebete 
vor Gott. Hier ſieht man, daß im jenen bedsängten Zeiten 
brünftige Seufzer um Hilfe, Rettung und Aufſchluß über die 
dunkle Zukunft zu Gott empor geftiegen feyn muͤſſen. 

Nun wurden auch die Harfen gebraucht; alle zufammen 
fungen ein neues, noch nie gefungenes Lied, das Lied des 
Lamms. Kap. 15. ®. 3. Cie hatten Aber auch noch mehr 
Urfache dazu, als ehemals David Pf. 40. V. 4. und Pf. 96. 
2. 1, ferner Pf. 98. B. 1. Jeſaias verfündigt dies neue 
Lied vorher. Kap. 42. V. 10. Dieß ganze Kapitel gehört 
hieher, und muß hier gelefen werden. 

Sch erinnerte fchon oben, daß ſich Ehriftus hier um feines 
großen Opfers willen ald Ofterlamm zeigt, und daß Er um 
eben dieſes Opfers und um des Erlöfungswerf willen allein 
wirdig fey, das Buch der görelihen Rathſchluͤſſe zu enthuͤllen, 
und fie auszuführen, hier wird das außer allen Zweifel ges 
ſetzt: Deun die hoben Vorfänger, die vier Seraphim und 
dad ganze Ehor der Aelteften Tagen es ausdruͤcklich. — Der 
Inhalt ihres ganzen Lieds ift: Du Lamm Gottes, das der 
Melt Sünde trug, biſt deßwegen würdig, weil du un verjühnt 
und mit deinem Blur erfauft haft, u. ſ. w. 

Dann finden wir auch'hier den Beweis, daß die vier und 
zwanzig Aelteften nicht erwa das Volk Iſrael oder fonft irgend 
eine Nation, fondern.die Chriften und gortesfürchtigen Mens 
[hen aus allen Gefchlechrern der ganzen Erde vorftellen. 
Du haft uns aus allen Stämmen, Sprachen, Völkern und 
Nationen mir deinem Blur erfauftz; und Dir und. unferm 
Gott ein Königreich und Priejtertyum daraus bereitet, das — 
man merke dieß wohl! — hier auf Erden herrfchen fol — 
und man kann noch an dem herrlichen Reich Chriſti auf Erz 
den zweifeln? — 

Hierzu gefellen fich nun aud) die Here des Himmels: 


1. Und ich fahe und hörte die Etimme vieler Engel um 
den Thron, die vier Nahen Wefen und die Aelte⸗ 


120 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


ften her, und ihre Zahl war viel zehn tauſendmal 
zehn taufend, und viel tauſendmal tauſend. 

412. Die fprachen mit großer Stimme: Würdig iſt das 
gefhlachtete Lamın, Macht, Reichthum, Weisheit, 
Gtärfe, Ehre, Herrlichkeit und Lob zu nehmen, 


Der Prophet Daniel erzäplt Kap. 7. V. 10, feiner Weifs 
fagung, daß er den Nichter der Welten auf feinem Slammenz 
thron gejehen habe, und daß ihm taufendmal Taufende gedient, 
und zehntaufendmal zehn Taufend vor Ihm geftanden hätten, 
Auf diefe Stelle zielt hier auch der heilige Seher, und fagts 
Diefe Zebaoth — diefe Heere hätten in die Verherrlichung 
des Lammes mit eingeftimmt, 

Hier. ift aber wohl zu merken, daß dieſe Engel nicht —3 
Du haſt uns erkauft, — ſondern nur, Du biſt aller der Herr⸗ 
lichkeit würdig — daraus folgt, daß die Engel nicht vollen⸗ 
dete ſelige Menſchen, ſondern von uns verſchiedene Weſen 
ſind. Ich fuͤhre dieß deswegen an, weil mehrere erleuchtete 
Maͤnner dafuͤr halten, es gebe Feine andere Engel, als vol⸗ 
lendete Gerechte, ob dieſe gleich auch eine beſondere Klaſſe 
von Engeln ausmachen werden. Er nimmt nicht irgend die 
Engel an ſich, ſondern nur den geiſt + und welcuchen Saa⸗ 
men Abrahams. 

Dieſe Heere verherrlichen das Lamm mit einem —— 
Lobſpruch: Du biſt wuͤrdig zu nehmen: 1) Macht, 2) Reiche 
thum, 3) Weisheit, 4) Staͤrke, 5) Ehre, 6) Herrlichkeit, und 
7) ob, Dieſes paßt auf die fieben Augen des Lamm, das 
ift, auf die fieben Geifter Gottes: Der Geiſt des ‚Herrn ift 
maͤchtig, an Weisheit reich, am DVerftand weife, an Rath⸗ 
ſchluͤſſen ſtark, an Stärke ehrenvoll, an Erfenntniß herrlich, 
und in der Furcht des Herrn lobenswuͤrdig. Erſt preißt die 
Menfchheit ihren Erloſer, diefe hat auch vor allen Kreaturen 
am mehreften Urſach dazu; dann folgen alle BG 
und uun endlich alle Geſchoͤpfe. 


15. Und jedes Geſchoͤpf, das im Himmel, auf der Erden, 
unter der Erden, im Meer, und was in ihnen iſt, 


alles hörte ich fagen: Dem, der auf dem Thron ſitzt, 
und dem Lamm, fey der Dank, die Ehre, die 
Herrlichkeit, und die Gewalt in bie Ewigkeit 
der Ewigkeiten. 

1/41. Und die vier lebendigen Wefen ſprachen: Amen! und 
die Welteften fielen nieder und beteten an, 


Man beherzige hier, was ich oben über den Sten Vers ges 
fagt habe! Die ganze Kreatur nimmt den größten Antheil 
an der Erlöfung und der Erlöfungsfchicialen der Menfchen; 
denn das Alles, was Beziehung auf den Menfchen hat, hatte 
auch Beziehung auf fie. 

Die Schöpfung hat vier Repräfentanten am Thron Gottes, 
die vier Seraphim, und bier ift aud) eine vierfache Derchs 
rung: — 1) Danf, 2) Ehre, 5) Herrlichkeit, und 4) Gewalt. 
Der kraftvolle Löwe bringt Gewalt, das gemeinnügige Opfers 
thier Ehre, der Menfchenähnliche Seraph Herrlichkeit, und 
der vollendete Adler Danf, bis in die ewigen Ewigkeiten hinein, 

Die. vier lebendigen Weſen fprechen. zur Gottesverehrung 
Amen! fie fangen fie an, und endigen. fie — dieß kommt 
ihnen aber auch zu, weil fie alled vorftellen, was außer. Gott 
und nicht, Gott ift; das gefallene Engelreich hat hier Feinen 
Stellverwefer, es bedarf aber auch Feinen und will feinen. 
An die vier Seraphim ſchließen fih. dann die vier, und zwanzig 
Aelteſten wieder betend an... Auf diefe Weife wurde das Bud) 
der göttlichen Rathſchluͤſſe über die chriftliche Religion dem 


‚ Stifter derfelben feierlich übertragen; mit diefem Uebergang 


befam Er aber auch den Auftrag, fie auszuführen, wie nun 
in den folgenden Bildern. und Vorſtellungen gezeigt wird. 


122 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


\ 


Das fehdte Kapitel. 


1. Und ich fabe, daß das Lamm eins. von den fieben Sie⸗ 
geln eröffnete, und. ic) hörte eins son. den vier lebendis 
gen Weſen, wie mit der Stimme des Donners ſagen: 
up; — ſiehe! — 


9, Und ich ſahe, und fiehe! ein weißes Pferd, und der, 


Aral auf ihm faß, hatte einen Bogen, und es wurde 
ihm eine Siegeskrone aegeben, und er zog als Uebers 
winder aus, um zu überwinden. 


Da nun hier die eigentliche Entwicklung des Geheimniffes 
Gottes und Chrifti anfängt, fo müffen wir gewiffe Punkte 
feftfegen, und ung in der ganzen Erklärung darnach richten. 

1) Diefe ganze Weiffagung enthält nichts anders, als die. 


bevorftehenden Schicfale der hriftlichen Religion, ihres Stifs 


terd und ibrer Anhänger; denn hier foll den Kinechten Gottes 
gezeigt werden, was 5* in Beziehung auf fie geſche⸗ 
ben foll. 

2) Alle, auch noch fo wichtigen Vorfaͤlle in der Welt, ge— 
hoͤren alſo nicht in dieſe Weiſſagung, wenn ſie keinen wich— 
tigen Einfluß in die Religionsgeſchichte haben. 

3) Die ganze Religionsgeſchichte beſteht aus nichts anders, 
ald aus Kämpfen zwifchen dem Reich des Lichts und dem 
Reich der Finfterniß, und den Siegen des Erften über das 
Letzte. Aufenthalt, Prüfung und Fortfchritt der Verehrer 
Jeſu hängt von diefen Kampfen und Siegen ab. 

4) Befonders ift folgender Geſichtspunkt, in den wir ung 
ftellen muͤſſen, wenn wir diefe hohe Offenbarung beurtheilen 
und verftehen wollen, merkwürdig: Zur Zeit diefer Offenba— 
rung war noch alles verfiegelt; das Zudenthum, die bisherige 
einzige wahre Religion, war wider Vermuthen des Volks 
Iſraels geftärze, und doch war ihm in feinen heiligen Urkuns 


nen Kap. 6. V. 2 8. sh % 23 


den fo vieles verheißen worden. Das Chriftenrbummwor und 
wurde aufgebreitet, und man hoffte in demfelben und durch 
daſſelbe Sieg und Triumph über, dad Heidenthum, und die 
Errichtung eines‘ herrlichen Reichs Chriſti, das über die 
ganze Erde verbreitet und herrfchend werden follte,, und fiehe 
da! es ließ ſich allenthalben zum Gegentheil an, allenthalben 
win ven die Chriften’fchredlich verfolgt und das Heidenthum 
mit allen feinen Graͤueln fiegte. Dieß mahre die Chriften 
in ihren Hoffnungen und Wuͤnſchen irre; die ganze Zukunft 
war ihnen ein verfiegelted Buch, das nun niemand dffnen 
konnte. Die große Frage: Iſt Jehovah der wahre Gott, der 
Himmel und Erden erfchaffen hat, und ift Ehriftus der Gott: 
menſch und Welterlöfer, wofür Er ſich ausgab, over it alles 
lauter Täufchung ;' find alle Wunder, felbft feine Auferftes 
bung, bloße Aeußerungen gewiffer, den Menſchen noch unbe: 
kaunnten Naturfräfte gewefen? — Bleibt die ganze Beſchaf— 
fenheit der Kraftsund Geifterwelt für ben Meufchen, dieſſeits 
des Grabes wenigftens, ein verfiegelised Buch, und ift die 
Menfchheit dazu beftimmt, fih mir Traum und Phaurajie, 
mit Srrfal und Mythologie durchzuaı beiten, oder gibts nod) 
einen Meg zur Wahrheit? — Der ganze Auſchein gab's, 
daß es mit allem, was die Bibel jagt, fo ficher nicht jtehe — 
dieß fegte nun alles; was Chriftum befannte, in die ſchreck— 
lichfte Verlegenpeit, und den Juden irı Wuth und Verzweiflung. 

5) Aus dem allen folgt, daß nur allein der große Punfr: 
Ob das Ehriftenthum, oder das Hoeidenthum ſiegen werde ? 
verfiegelt war; daher wird dieſe Frage durch die Eröffnung 
der ſieben Siegel beantwortet; in den fechd erften wird der 
vollendete Sieg des Chriſtenthums über das Heidenthum ges 
offenbart, und daB Siebente zeigjt dann die Schicjale der 
- Ehriftenheit felbft, nachdem das Hıridenthum geftürze und gez 
richtet worden, Nach diefer Borberreitung koͤnnen wir nun zur 
Erklärung fortgehen. 

Das Lamm begann die Erbrechung der Siegel, und ſo— 
bald es dad Erfie erdffnete, rief einer der vier Seraphim, 
oder vielmehr der Erſte, nemlich der mit der Löwengeftalt, 
im Ton eines brüllenden Donners::. Komm? fiehe! Johannes 


12% Erklärung ‚der Offenbarung Johannis. 


trat näher, und fahe ein weißes Pferd, auf diefem faß Einer, 
der. einen Bogen in der Hand hatte. Der verklaͤrte Bengel 
haͤlt den roͤmiſchen Kaiſer Trajan für diefen Reiter; allein er 
ſowohl ale feine. Nachfolger mögen mir verzeihen, daß ic) 
ihnen. hier "widerfprechen muß. — Diefer' Reiter auf dem 
weißen Pferd ift niemand ald der Herr Chriftus ſelbſt; hier 
zieht Er zun großen Kampf aus, als der wahre Löwe von 
Juda, und Kap. 19. V. 11. bid 16. kommt Er im Triumph 
wieder; es iſt gar nicht daran zu zweifeln, daß beide. eine 
und die nämliche Perfon vorftellen. Daß Trajan nicht dars 
„unter verfianden werden koͤnne, beweißt: I) Weil alle. Siege 
dieſes Kaiferd gar feinen Bezug auf die Chriftenheit nicht 
einmal einen merklichen Einfluß auf fie hatt:n, und eben fo 
wenig trugen feine Siege zum Sturz des Heidenthums ets 
was bei: 2) waren auch diefe Siege fo vorübergehend , wie 
ein Strohfeuer, fie find Feineswegs fo wichtig, daß fie würdig 
wären, mit einem. befondern Siegel im Buch der göttlichen 
Rathſchluͤſſe verfiegelt zu werden; 3) mußte nothwendig durd) 
die wirkliche Erdffuung eines ſolchen Siegels in der Natur, 
jeder wahre Chrift die Enthuͤllung eines bisher verborgenen 
wichtigen Geheimniffes erfahren, und darüber belehrt werden ; 
— das war aber bei Zirajan Feineswegs der Fall — feine 


Siege machten. den‘ Chriften die Sache noch dunkler; und 


endlich 4) wie Fann der |heidnifche ‚Eroberer, deſſen Kriege 
und Siege weiter feinen Grund hatten, als fein Reich zu 
erweitern und feinen Ruhm zu verewigen, und der zu dem 
Ende viele Tauſend Menfchenfeelen für nichts und wieder 
' nichts in die Ewigkeit ſchickte/ im Himmel mit einer Gies 
geöfrone belohnt werden? —- Der Gedanke ift ja empüdrend — 
dad hieß ja dergleichen Krivge billigen! Uebrigens war Tra⸗ 
jan ein guter Regent, und überhaupt ein edler Mann. 
Chriſtus ifts, der hier zum Kampf auszieht, und auf einem 
weißen Pferd fit. Das weiße Pferd ift das Bild des Siegs, 
es mußte alfo gleich bei deirı erften Anblick den Seher tröften. 
Es ift bemerkeuswerth, daß hier-und bei den drei folgenden 
Siegeln immer des Pferds zuerfb gedacht wird — ic) fahe 
ein weiß, voth, ſchwarz, fahl Pferd, und der, der darauf 
| hr 


If are Bier. urn! 125 


faß 10. — dieß gefchieht deswegen, weil das Pferd bezeichnet, 
wer ber ift, ber darauf fit. Das weiße Pferd iſt das Bild 
des Siege, folglich der darauf fit ein Sieger. Dieſer ins 
Feld ruͤckende Held hatte einen Bogen! — Warum? Er Fämpft 
ja mit denn Schwert feines’ Mundes, wie kommt er denn hier 
zum Bogen ? — Das finden wir Jeſ. 49. V. wo es heißt: 
Und er hat meinen’ Mund zum ſcharfen Schwert gemacht — 
waher! das "Schwert feines Mundes) und er hat mich zu eis 
nem ſauberen Pfeil geordnet, und mich in feinem Köcher vers 
borgen: > Der Bogen, der dieſe Pfeile abdruͤckt, mid die Pfeile 
feldft bedeuten in diefer Beziehung Eins und das Nämliche z 
fie ſind Waffen zum Vortheil der Religion; das Schwert 
wirkt in der Naͤhe, Bogen und: Pfeile in ver Ferne; das 
Schwert verwundet auf der Auffenfeite wenn es zum Hieb 
gebraucht wird, u Pfeil faͤhrt aber in dei Ferue ha durchs 
bohrt das Herz. 

Beſonders aber el hier der Bogen mit den pfeifen die 
Ausbreitung der chriftlichen Religion in der Ferue vor; denn 
- im der fo eben angeführten Stelle des Jeſajas bedeuten fie 
die Predigt von der Wahrheit der Religion, eben fo, wie hier: 
Chriſtus zieht hier aus, um mit den Pfeilen des Glaubens 
den’ Aberglauben des Heidenthums zu bekämpfen, “es ift ein 
Kampf deriBernunft gegen die Unvernunftz man kann ihm 
die Worte des Föniglichen Dichters Pi 45. V. 4 5! 6. zus 
rufen: Gürte dein Schwert an. deine Hüfte, o Held! deine 
Majeftät und deine Herrlichkeit. Und teite mit Vortheil auf 
dem Mort der Wahrheit, und auf der rechtfertigen Eanftz 
muth, fo wird dich deine rechte Hand erftaunliche Dinge lehren. 
Deine Pfeile find ſcharf, Völker folfen vor dir 'niederfallen ; 
fl ie treffen ind Herz der Feinde des Koͤnigs. 

Dann wurde diefem Helden, wie er ins Feld ruͤckt, -eine 
Siegeskrone gegeben; dieß gefchieht deöwegen, weil er jeßt 
bei denn Auszug: ſchou Heberwinder des Judenthums ift, folgs 
lich ‚eine Siegeskrone verdient hat, ‚die Er auch den ganzen 
Krieg durch) trägt, bis noch mehrere Kronen dazu kom⸗ 
men, Kap. 19. V. 12. Man kann auch annehmen, dag Er 
ſich dieſe Krone durch feine Ueberwindung des. Todes ers 


126 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


zungen habe; indeffen ift doch der: erfte Sddante ra 
paflender. ı « 

‚Er zieht als Ueberwinder aus, um: zu 9 — am 
Sieg iſt nicht zu zweifeln; — Er zieht mehr hin, zu uͤber⸗ 
winden, als zu kaͤmpfen. Jetzt will Er die Pfeile brauchen 
zur Bekehrung der Voͤlker; zur Beſtrafung ſeiner Feinde * 
braucht Er dann das Schwert ſeines Mundes. er 

Ob nun diefes erſte Siegel erfüllt: worden, und sin: wie —4 
hem Grad das geſchehen ſey? — das laſſe man ſich nur den 
beruͤhmten Gibbon in ſeiner Geſchichte der Abnahme und des 
Falls des roͤmiſchen Reichs erzaͤhlen, und dieſem Manu kann 
man gewiß glauben, wenn er etwas zum Vortheil der chriſt⸗ 
lichen Religion ſagt. Der Fortſchritt der Bekehrung war er⸗ 
ſtaunlich und unbegreiflich. Gottfried Aruold hat im ſeiner 
Kirchen = und Ketzerhiſtorie die Zeugniſſe daruͤber geſammelt. 
Sa wahrlich! Er zog aus zu uͤberwinden, und, uͤberwand: 
Erſt ſtuͤrzte Er den Aberglauben, und endlich alleheidnifche 
Gottheiten vom Olymph herab. Er felbft kaͤmpft nicht dur) 
ſchwere Zorngerichte, das uͤberlaͤßt Er feinen drei Adjutanten, 
die ‚nun, auf Ihu folgen. — Er iſt uicht gekommen, jemand 
unglücklich. zu machen, felbiti feine ſchrecklichſten und grimmig⸗ 
fen Feinde nicht, das überläßt Er-denen;, die dem Auftrag 


dazu ‚haben, das Schwert feines Mundes ſpricht das Urtheil, 


und dann gibts Ausführen diefer Urtheile; daran fehlts nicht. 


3. Und da es das zweite Siegel eröffnete : hörte ich das 
zweite lebendige Weſen ſagen: Komm! Ay 

4. Und es ging ein anderes feuerrothes Pferd beraus, 
und dem, der darauf ſaß, wurde gegeben, den Frie— 
den von "der Erde zu nehmen, damit fie fi ch unters 
einander fihlachteten, und es wurde ihm ein ‚großes 
Schwert gegeben. | ua 


So wie der erfte Reiter weg genieen war, um nun ſein Ge⸗ 
ſchat zu beginnen, ſo eroͤffnete das Lamm auch das zweite 
Siegel; ſo wie das geſchehen war, fo rief der zweite Ges: 
raph, der die Geſtalt des Kalbes hatte: Komm! — Man 
hat keinen Grund, zu beftimmen, gegen welche Weltgegend 


' 


2 GE nn a nen nn can desee 





— 


Er Be Mer 


jedes lebendige Weſen feinen Stand hatte; 8 iſt aber auch 
nicht ndthig weil es zur Erklaͤrung und zum befiern Ver⸗ 
ſtand nichts beitraͤgt. Johaumes war alſo auf die Seite ge⸗ 
gamgen, wo wer Loͤweuſeraph fand, und harte den Reiter auf 
dein weißen. Pferd gejehen 5" jege rief ihm nun der Opferfes 
raph zu welchem er auch hinging, und nun fahe er aus 
der geheimnißvollen, nunmehro entjiegelten ea ein 
feuerrorhes Pferd hervorſchreiten. 

Pferde bedeuten in der biblifchen A atleg; ; das 
weiße Pferd zielte auf den Kampf des Lichts mir der Zins 
fterniß ; dieſes rothe aber bringt wirklichen Krieg; dieſer 
Adjutant des großen Siegesfuͤrſten unterſtuͤtzt ihn nun mit 
dem Schwert, er iſt der Eugel des Kriegs; — aber er 
kaͤrupft nicht ſelbſt, ſondern er, leitet uun den Kampf der 
Monſchen zum Beſten des Reichs Gottes; deun es heißt: 
Ihm fey gegeben worden, den Frieden vonder, Erden zu 
nehmen, aber keineswegs, die Menjchen aneinander zu beßen; 
das Fönnen fie. felbft, wenn diefer himmlische, Held feine 
Hard abzieht, und ihren Fürften Feine Gedanken des Fries 
den? mehr ind Ohr lifpelt. Sein Schwert braucht er, nur 
zum: fommanvdiren und vertheidigen ; die Meuſchen ſchlachten 
ſich felbit. 

Dieſer Kriegsengel hat aber noch einen andern Zweck, 
— befonders der Opferſeraph zielt; es ſollte im Umſturz 
des Heidenthums, oder des heidniſchen Roms, noch eine 
Menge Blutzeugen augeworben werden, deren Seelen wir 
im 9ten Vers unter dem Braudopferaltat wieder finden 
feurige Berfolgungen m... die —* Ban und Kant 
RER 

Die, Erfüllung dieſes — Bildes ift belannt; 
man leſe nur Gibbous oben angefuͤhrtes Werk, ſo bleibt 
kein Zweifel. mehr uͤbrig. Bald nach dem Schreiben dieſer 
bohen Offenbarung, noch bei Lebzeiten Johannis, Fam Tra⸗ 
jan auf den Kaiferrhronz er eroberte ‚vieles in. den Morgens 
laͤndern, aber bald nach ihm ging auch alles wieder verlo⸗ 
ven. Unter Trajans Regierung machte der Reiter auf dem 
weißen Pferd noch weit größere Eroberuugen, ſeine Pfeile 


128 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


fliegen in alle bekannte Laͤnder, uͤberall ſiegte die chriſtliche 
Religion; das, was das erſte Siegel verdeckt hatte, das 
konnte num jedermann leſen: Nun kam aber auch der rothe 
Reiter dazu; denn von nun an gabs keinen dauerhaften Fries 
den mehr, er wurde von der Erde wegenommen, und innere 
Buͤrgerkriege wechſelten mit den auslaͤndiſchen immer: ab; nft 
wuͤtheten auch beide zugleich, und das ſo lange, bis endlich 
das Heidenthum auf immer beſiegt unterlag, und die chriſt⸗ 
liche Religion unter Conſtantin und ſeinen Nachfolgern herr⸗ 
ſchend wurde. Zacharias ſahe auch einmal einen ſolchen ro⸗ 
— * —* der kanun wohl der —* ie ar sr 


\) 


5. und F— er das dritte Segel helfe, ‚ hörte i Bas 
"dritte lebendige Weſen ſagen: Komm! — und ich ſahe, 
und ſiehe! ein ſchwarz Pferd, und der auf ihm ſaß, 
— Ba eine Wage in dev Hand. 

6. Und ich hörte eine Stimme ans der Mitte der bier: les 
beudigen Weſen ber, die ſprach: Ein Mäßchen Wais 
zen um einen Zehner, und drei Mäßchen Gerfte um 

9J— „einen zehnten, und Del und Wein verletze nicht. 


uf den Kriegsengel folgt nun der zweite Adjutant: des 
großen Siegers, er reitet: auf dem ſchwarzen Hunger, — aber 
auch dieſer ift Fein Dienfchenverderber, das kann Fein Engel, 
der, für Chriſtum kaͤmpft; er. hat: eine Wage, womit er jedem 
ſo viel zuwiegt,. als en für. den: Tag braucht. Es verftehr ſich 
aber auch von ſelbſt, daß man ſich an dieſen Joſeph wenden 
maß, wenn man Brod haben, und nicht Hungers ſterben will. 
Johannes mußte alfo noch ein Viertel des Zirkels, in dem 
die: Helteften faßen, umgehen, als ihm der Menfchenferaph 
zurief: Komm! — ser ging, und fahe nun aus dem ewigen 
Dunkel auch. dieſen Sammerboten hervortraben Warum ihn 
der Serapb mit dem Menfchengeficht hieher ruft, dad fcheint 
deßwegen zu gefchehew, weil Dienfchenverftand zum Darwäs 
gen des Brodes gehört, am. die Vertheilung täglich zu mas 
chen, daß es denen, die Gott vertrauen, auch in der fchredfs 
lichften Theurung und Hungersnoth nie mangeln Fan, 


- Kay. 6. V. 5.6. 9. 189 


Es ift artig, daß hier gleichfam eine ordentliche Brodfare 
von der göttlichen Polizei publizirt wird: Alle vier Serappim, 
die Repräfentanten der ganzen Natur, üben diefe Polizei aussi — 
Beherzigt dieß, liebe Lefer! es ift außerordentlich merkwuͤrdig; 
— Alles, Alles, die ganze Schöpfung trägt zur Führung 
der Vorfehung mit bei, wer ihr nur feft vertraut, und ſich 
immer an fie wendet, ber findet auch in der fchrecklichften 
Theurung und Hungersnoth täglich fein Mäßchen Waizen, 
oder feine drei Mäßchen Gerfte, je nachdem es noth thut, 

Diefe Brodtare ift fo eingerichtet, daß jeder Taglöhner fiir 
das, was er des Tages über verdient, fo viel Brod befoms 
men Fanı, als er braucht. Aus Matth. 20. erhellet, daß 
die Münze, welche ich hier Zehner überfegte, und in der 
Grundfprache denation heißt, den gewöhnlichen Tagelohn 
eines Arbeiters ausmachte, und eben fo ift der choinix Wai: 
' zen, oder drei choinix Gerfte, ein Maß, womit man einen 
Tag ordentlich ausfommen Fanın. 

Diefe Stelle hat den Auslegern viel zu fchaffen gemacht, 
weil fie eben Feine fonderliche Theurung darinnen finden; und 
doch foll das Bild eine foihe Hungersnoth bedeuten, die das 
heidnifcherömifche Reich zu Grund richten half, Das ganze 
Berfehen liegt eben darinnen, daß man den Engel felbft für 
den Bewirfer ded Hunger anfieht, welches doch nicht der 
Fall ift, die Pferde find hier die Hauptbilder, denn es heiße‘ 
immer, ich fahe ein weiß, roth, fchwarz Pferd. Der Reis 
ter felbft [hist die Frommen für dem Hunger durch feine 
Wage, wie fein Borfahrer durch das Echwert vor dem Krieg. 

Auch die Worte, Del und Wein verlege nicht, werden miß⸗ 
verſtanden; fie follen fo viel heißen: Gib acht, daß den Del- 
bäumen und Weinftöcen fein Schaden zugefügt werde, damit 
man doc) das Alles, was fie in der langen Theurung nur 
tragen fünnen, erhalten möge. 

Die Erfüllung diefes prophetifchen Bildes ift erftaunlich — 
und bis zur höchften Evidenz überzeugend: Nachdem der 
Krieg in der heidnifch = römischen Monarchie bei anderthalb 
hundert Jahren abwechfelnd gewüthet hatte, und ed mit dem. 
Lurxus und der Verfchwendung der Römer bis aufs höchfte 

Stillings ſämmtl. Schriften. IH. Band. 9 


150 Erklärung der Offenbarung Sohannis, 


gekommen war; fo fanden fich auch die barbarifchen Völker: 
horden, befouders die Gothen aus dem Norden ein, und über: 
zogen das römifche Reich mit Krieg. Zu dem unaufhörlichen 
Blutvergießen,, und der unglaublichen DVerfhwendung der 
Vornehmen und Reichen, die mit den ſchrecklichſten Blutſau— 
gereien und Unterdruͤckungen des Volks verpaart gingen, ge— 
felfte fich num die graufamfte und allgemeinfte Hungersnoth, 
die durch dad ganze Reich wüthete, und feine Macht außer: 
ordentlich ſchwaͤchte. Ueberſchwemmungen, Erdbeben, unge: 
gewöhnliche Luftzeichen, unnatürliche Finfterniffe, und eine 
Menge erdichteter oder vergrößerter Wunder, fagte Gibbon, 
hatten Die Gefchichte, diefer dunkeln Periode verziert; dieſe 
find aber allemal die Symptome der vor den nahen Geriche 
ten fchaudernden Natur, oder auch die Urfachen derfelben. 
Der weiße Reiter Fam alfo zuerft, nur um zu fiegen, fein 
Bogen fehlte nie. Das Licht überwand die Finfterniß allent: 
halben. Ihm folgte bald der rothe Neiter; des Kriegens, 
DBlutvergießens, und mitunter des Hinrichtens und Marterns 
der Ehriften war Fein Ziel und Fein Ende, Nun gefellte ſich 
Anno 248 der fchwarze Reiter noch dazu, durchs ganze Reich, 
und die angrängenden Länder ftarben Tauſende für Hunger, 
und es fehlte zur Vollendung der göttlichen Gerichte über das 
Heidenthum weiter nichts, als die Peſt; diefe blieb aber auch 
nicht aus, wie num die Erklärung der folgenden zween Verfe 
eigen wird. 


7. Und als er das vierte Siegel eröffnete, hörte ich das 
vierte Thier fagen: Komm! 

8. Und ich fabe, und fiehe, ein fahles Pferd, und der anf 
ihm faß, dem Fam der Name Tod zu, und der Toden⸗ 
behälter folgte mit ihm. Und es wurde ihın Macht 
gegeben, über den vierten Theil der Erden, mit Schwert, 
Hunger und Tod, und durch die Thiere der Erden 
zu todten. 


Nun war der Adlerferaph noch übrig; diefer macht überall 
den Schluß — er eilt zum Ziel, es mag zum guten oder zum 
fhlimmen Ende gehen. Als daher das Lamm das vierte 


. Kap. 6, V. yP 8. 13 1 


Siegel geöffnet hatte, fo rief auch diefer, fomm! und Johau⸗ 
ne3 dDurchwanderte das letzte Viertel des Kreifes um den Thron 
ber, fo daß er num wieder an. dem Drt fiand, wo er ge 
ftanden hatte, als ihm der erfte Seraph rief. 

Hier fahe er nun aus dem ewigen Dunkel ein fahles, ei: 
gentlich ein bleichgrines, grün und gelbes Pferd. hervorfchreis 
ten, diefes bedeutet Peft und anfterfende Seuchen aller Art, 
und fein Reiter heißt Tod — diefer ift der Engel des Todes, 
der auch dereinft feine. Unterthanen hergeben muß. Kap. 20. 
V. 15. Er ift der Nachrichter des gefallenen menfchlichen 
Geſchlechts, und weil er mit feinem Gefängniß, dem Hades, 
in den Feuerfee geworfen wird, Kap. 20. V. 14. fo muß 
er auch dort wohl noch fein Amt fortfeßen; er gehört alfo zu 
den böfen Wefen. Es kann aber aud) einen guten Zodesen- 
gel geben; wiewohl wir Feinen Grund haben, dieß um des 
Reiters willen anzunehmen 5; denn der Drache war ja noch ſelbſt 
im Himmel; nah Kap. 12. V. 7. 8. 9. 

Diefer Reiter hat feinem Kerker bei fih. Sc verftehe unter 
diefem Todenbehälter, Hades, nicht das Grab; denn dieß 
ift eigentlich nur die Ruheſtaͤtte des Körpers, fondern den 
Drt des Schweigens, die dde Geifterwüfte, wo die Seelen, 
welche noch nicht fo bald ihr Urtheil empfangen Fönnen, aufs 
bewahrt werden bis fie zu ihrer Beftimmung reif find, Dies 
fer Hades ift die Vorburg des Himmels und der Höfe. Unter 
welcher Geftalt Johannes diefen Traumort gefehen, das 
fagt er nicht, daher koͤnnen wir es aud nicht wiffen, es ift 
aber auch nicht nöthig, weil es zur Einficht in die Weiffagung 
gar nichts beiträgt. 

Diefer Thanatos — ein furchtbarer Keiter, befommt Ge: 
walt über den vierten Theil der Erden; vermuthlich geht dieß 
auf die Menfchenzahl im römifhen Reich; er: fol alle in 
feinen Hades fammeln, die durchs Schwert, Hunger und 
wilde Thiere umfommen, ausgenommen die Blutzeugen, die 
um Chrifti willen, ſterben, dieſe fommen unter den Brand: 
opferaltar im. Himmel; nad, V. 9. dann aber hat er auch 
noch dem befondern Auftrag felbft, durch Seuchen diejenigen 
zu toͤdten, die ihm angewiefen werden, und fie in feinem Kerker 

9 * 


153 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


bis zum Gericht aufzubewahren. Diefer Neiter macht alfo 
den Befchluß in den Gerichten über das Heidenthum in dies 
fer fichtbaren oder finnlichen Welt; was ferner in der Geis: 
fterwelt vorgeht, das fagt und die Eröffnung der folgenden 
zwei Siegel, 


Auch diefes Bild ift fo genam erfüllt worden, daß gar Fein 


Zweifel gegen meine Erklärung auffteigen kann: Gibbon ers 
zählt, daß fich zu der im Jahr 248 entftandenen Hungers: 
noth zwei Jahre fpäter, nemlich Anno 250, eine wüthende 
Peſt gefellet Habe; diefe währte bis 265, und rafete in jeder 
Provinz, jeder Stadt und in jeder Familie des römifchen 
Reichs ununterbrochen fort; ed gab Zeiten, wo nad) dem 
‚mittlern Durchfchnitt täglich nur allein in der Stadt Rom 
fünf taufend Menfchen ftarben. Wenn wir nun auch mit 
diefem aͤußerſt glaubwirdigen Schriftfteller eben nicht anneh— 
‚men wollen, daß ungefähr die Hälfte des menfchlichen Ges 
ſchlechts im römifchen Gebiet durch Schwert, Pet, Hunger 
und wilde Thiere umgefommen, ſo beweißt dieß doch alles 
fo viel, daß es hier in der hohen Offenbarung Feine poetifche 
Floskel ift, wenn es heißt, dem Todesreiter fey über den vier: 
ten Theil der Erden, das ift, des römifchen Reichs, Gewalt 


gegeben worden, Der vierte Theil der Unterthanen deffelben 


* alſo gewiß aufgerieben worden. 

Dieſe vier Reiter wirkten nun fort, bis zwiſchen dem Jahr 
524 und 800 das Chriſtenthum über das Heidenthum nad) 
und nach den Sieg erhielt. 


Diefe Erklärung der vier Reiter duͤnkt mir fo richtig und k 


fo ungeswungen zu feyn, daß nichts dagegen eingewendet 
werden koͤnne; die Nachfolger des würdigen Bengels mögen 
wohl wegen dem Chronus eine Schwierigkeit dabei finden, 
allein aud) diefe läßt ſich leicht heben, ohne dem vortrefflis 
hen Syſtem der prophetifhen Zeitbeftimmung des verflärten 
Pralaten nahe zu trete, 

Man muß nur nicht zu pedantiſch am Buchſtabem u und 
an den Ausfuͤllungswoͤrtern hangen, ſondern nur immer dem 


F 
4 


gefunden Menſchenverſtand und den Parallelſtellen Gehör ge 


ben, wenn man die Schriften der Heiligen, vom Geift Got: 


$ 


— 


Le; 


Kap. 6. V. 9. 10. 135 
tes erleuchteten, aber: keinesweges gelehrten —** erklaͤ⸗ 


ren will; 


9, Und als er das fünfte Siegel dffuete, ſehe ich unter 
dem Brandopfersaltar die Seelen derer, welche um 
des Worts Gottes, und um des Zengniffes willen, 
welches fie gehabt hatten, waren hingeopfert worden. 

10. Und fie ſchrien mit großer Stimme und. fprachen: 
Wie lange, Herr! Du Heiliger und Wahrhaftiger! 
richteſt und rächeft Du nicht unfer Blut an denen, 
die auf Erden wohnen? | 


Sch habe ſchon erinnert, daß die vier erften Siegel, wo 
die vier Seraphim und die vier Reiter wirffam waren, fich 
auf das Gericht Gottes über dad Heidenthum, oder auf den 
erften Kampf des Lichts gegen die Finfterniß, und zwar in 
fo fern, als die Ausführung auf der Erden in die Sinnen 
fiel, beziehen. Jeder aufmerkffame Beobachter der Wege Gots 
tes Fonnte nun fchon fehen, wo es hinaus wollte, und daß 
die chriftliche Meligion fiegen würde; allein die Siege in 
diefer Welt bewiefen noch nicht, daß darum die Partie auch 
immer fliegen, und endlich auf immer das Feld behalten werde. 
Darüber follten nun die zwei folgenden Siegel den Aufſchluß 
geben. Daß fünfte follte dad Schickſal der Märtirer entfcheis 
den, und das fechöte das jüngfte Gericht über die Heiden bes 
kannt machen. Denn weil: diefe beiden fürchterlichen Aktus 
in der Geifterwelt ausgeführt wurden, fo follten fie den treuen 
Verehrern Jeſu durch diefes Manifeft befannt gemacht wers 
den, um ihnen Dadurch zu verfüchern, daß fie vom Heidens 
thum in Ewigkeit nichts mehr zu befürchten haben würden; 
dann aber auch, um ihre Begriffe über den Zuftand der Bluts 
zeugen nach dieſem Leben zu berichtigen. 

Das Lamm ſetzte die angefangene Enthällung der göttlis 
chen Geheimniffe durch Erbrechung des fünften Siegelö fort; 


and nun fhwand die Wolkenhuͤlle, die bieher den Brands 
opferaltar vor dem himmlifchen Tempel verdecdt hatte, bins 


weg: Daß ich hier nicht den goldenen Rauchaltar vor dem 


Thron Kap. 8. V. 5., ſonderne den Brandopfersalter untere 


# 


154 _ Erklärung der Offenbarung Johannis. 


ftelle, hat einen doppelten Grund: Denn erftlich dient jener 
zum Räuchern, das ift, die Gebete der Heiligen vor den 


Herrn zu bringen. Diefer VBrandopfersaltar aber wurde ges 


braucht, um die gefchlachteten Thiere darauf zu verbrennen ; 
bier im Himmel iſt er nur dazu beftimmt, das Kreuz und 
die Leiden der Chriften dem aufzuopfern, der auch für fie 
gelitten hat, und geftorben ift; hieher gehört alfo auch das 
große Opfer derer, die ihr Leben fuͤr Chriſtum hingegeben 
haben. Und zweitens hatte auch der juͤdiſche Braudopfersals 
tar, 2. B. Mof. 27. der nad) dem Mufter diefes himmlis 
fhen gemacht worden, Kap. 25. V. 40. und Kap. 27. V. 
5. unten herum ein Gitterwerk, das ihn weirläuftig umgab, 


innerhalb. welchen alfo der heilige Seher die Märtiver fahe, 


der Rauchaltar aber hatte feinen Raum dazı. 

Bei Dem Seelen unter dem Altar muß man fich Feine ans 
dere denken, als ſolche, die weiter nichts im Reich. Gottes 
geleiftet, .ald daß fie den Martertod gelitten hatten; denn 
wären fie außerdem auch vorzügliche Menfchen gewefen, fo 
würden fie fchon zu andern Zwecken gebraucht worden feyn, 
da das aber nicht der Fall war, fo wurden fie hier im’ eis 
nem ruhigen fichern Zuftand aufbewahrt, und nady und nach 
auf die Zukunft zubereitet. Ihr endliches Schickfal finden 
wir Kap. 20. V. 4 


Dieſe Seelen nun hoͤrte Johannes mit großer Stimme 


rufen: Wie lange ſoll's denn währen, Herr! Du Heilis 
ger! — Der du Fein Unrecht dulden kannſt! — Du Wahre 
haftiger! Der du und den Sieg verheißen und zugefagt haft, 
daß wir mit dir regieren follen — wie lange ſoll's währen, 
bis du diefe Verheißung erfülleft, und das große allgemeine 
Gericht über die ſuͤndhafte Welt ergehen laͤſſeſt? — Du richteft 
fort und fort, und es wird doc) Fein Ende, wenn ein Feind 
befiege ift, fo fleht wieder ein anderer auf, und for wird 
dann noch durch einen allgemeinen Sieg deiner Wahrheit 
und deines Lichts über Aberglauben, Lügen und Finfterniß, 
unfer Blut, das wir doch für dich und deine Wahrheit vers 


goffen haben, nicht gerochen, ja es ſcheint, * wenn wir 


umjonft gelitten hätten? — 


Fa en CD 


Kap. 6. ®. 9. 10. | 155 


Obgleich diefe Scene in der unfichtbaren Welt vorging, fo 
mußte fie doch ihren Grund auf der Erden in der ſichtbaren 
Kirche Chrifti haben, fonft wäre ja die Erdffuung diefed 
fünften Siegels fruchtlos gewefen, niemand wäre Dadurd) 
belehrt worden. Die Sache verhält fid) folgendergeftalt : 

Als nun Conftantin der Große die chriftliche Religion ans 
nahm, diefe aljo herrfchend wurde, fo wurde zwar. dem 
Heidenthum dadurdy der Todesftoß gegeben, aber feine Zu: . 
Aungen dauerten doch noch lange, und in diefem wurde noch 
mancher Chrift erdrüdt und aufgeopfert. Dazu kamen aber 
noch andere: Umftände, die dem wahren Chriften das Ziel 
verrichten. Man glaubte nun allgemein, jest würde das 
verfprochene herrliche Reich Ehrifti angehen, die glücfeligen 
taufend Fahre würden num eintreten, und alles Ein Hirt und 
Eine Heerde werden, allein weit gefehle! — Im Gegens 
theil: Das Chriſtenthum fing allmählig an, ein neues Hei⸗ 
denthum zu werden; gar oft wurden die Nechtichaffenen vers 
feßert und graufam verfolgt; die arianifchen Greuel begans 
nen, und ihre Anhänger marterten die rechtglaubigen Ehriften 
troß den Heiden. Dazu kamen nun die Einfälle graufamer, 
barbarifcher und heidnifcher Völker , die den abendländifchen, 
und die Sarazenen, welche den morgenländifchen Theil des 
römifchen Reichs verheerten. Nom ſelbſt wurde endlich er= 
obert, und es wurden ganze neue Königreiche gegründet, und 
ob gleich verfchiedene diefer Völker und ihre Regenten die 
chriſtliche Religion annahmen, fo war das doch nur blos 
eine Veränderung des Namens; der Aberglauben, die Bars 
barei und der rohe Sinn blieben, und verfchiedene fchlugen 
ſich noch außerdem zur arianifchen Parthei, fo daß eö das Anz 
fehen hatte, als wenn der legte Betrug noch ärger werden 
würde, als der erfte, befonders als man fahe, daß fich zu 
Nom eine neue, dem wahren Chriftenthum und der politis 
ſchen Staatenverfaffung hoͤchſt gefährliche geiftliche Macht 
. gründete. Daher fhienen nun alle Erwartungen der wahren 
Anhänger Zefu abermals getäufcht zu werden; allgemeines 
Flehen und Seufzen der Gläubigen ftieg zu Gott empor, und 
wen Fonnte diefe ftarfe Stimme beffer in den Mund gelegt, 


4156 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


wer konnte beffer zu Boten diefer Stimme gebraucht werden, 
als dieſe Blutzeugen? Die Antwort und Entwicklung diefes 
Seheimnifjes folgt in dem folgenden Vers: 


11. Und es wurde einem jeden von ihnen ein weißer 
Rock gegeben, und es wurde ihnen gefagt, daß fie 
noch eine beftimmte Zeit ruhen, möchten, bis aud) 
ihre Mitfnechte und Brüder vollendet würden, Die 
eben fo wie fie zukünftig hingerichtet werden follten» 


In dieſem Vers liegt der ganze Auffchluß der fo dunfeln 
Klage der Blutzeugen; die Antwort, die ihnen gegeben wird, 
beweißt,. daß fie fich darüber gramten, daß es mit dem Ans 
brud) des Reichs Gottes, in welchem fie belohnt werden folls 
ten, fo lang dauerte — und diefe Klage war Stimme aller 
wahren Verehrer Jeſu. Hier wird ihnen nun der Knoten 
gelöst ; Erſt bekommt jeder eine weiße Stola, ein Kleid, das 
zum Priefterfiand gehört; fie werden alfo einen Grad höher 
gefordert, und von nun an gebraucht, vermuthlich auch, um 
Gebete, der Heiligen vor Gott zu bringen.  Wahrfcheinlich 
liegt die Bedeutung diefer weißen Kleider darinnen, daß man 
den Märtirern zu Ehren Gedaͤchtnißfeſte fliftete, fie zu Kirs 
chenpatronen machte, ihre erbauliche Lebensgefhichten aufs 
fohrieb, mit. Nutzen las, und Betrachtungen darüber anſtellte. 
Nichts muntert mehr zum heiligen chriftlichen Wandel auf, 
als die Beiſpiele gottesfürchtiger. Menfchen. 

Die Gemeinde des Herin auf Erden machte alfo die Märs 
tirer zu Kandidaten des himmlifchen Priefterthyums, und dieß 
wurde aud) genehmigt; hätte fi nur nicht wieder heidnifche 
Verehrung und Gdgendienft, Aberglauben und Unſinn, und 
bejonders abſcheuliche Simonie der Hierarchie mit dazu ges 
miſcht; fo. hätten ale jene Denkmale unferer vollendeten vers 
Härten Brüder fehr nüßlich werden koͤnnen. 

Wenn ich zum Beiſpiel auf meinem Spaziergang in einer 
angenehmen Eindde eine Kapelle fände, in welcher das Bild 
des feligen Policarp oder fonft eines großen Blutzeugen ftünde, 
koͤnnte mir, das. nicht erbaulicher feyn, als ein vaticanifcher 
Apoll, ein, Herkules Farneſianus, oder fonft ein Phantom 


Kap, 6. V. 11. 137 


dieſes Schlages? — aber der Mißbrauch diefes fo edlen Ers 
bauungsmitteld hat ed nun mit dem Bann belegt. 

Hernach wird ihnen gefagt: ES würden ſich in den Kirs 
chen Chrifti felbft noch Mächte, noch Gewaltthiere, gegen 
das Reich des Lichts erheben, und feinen Anbruch aufhalten; 
diefe würden noch weit mehrere ihrer Brüder nach der geift- 
lichen Geburt, und ihre Mitkuechte im Weinberg des Herrn, 
um. der Wahrheit willen hinrichten; und diefe hätten eben⸗ 
‚falls. Anfpruch an die nemlichen Vorzüge und Beförderungen 
im Reich Gottes, wie fie; ‚ehe und bevor num diefe neuen 
Feinde befämpft und überwunden wären, Tonne das Reich 
des Herrn auf Erden nicht ftatt finden, daher müßten fie 
noch eine beſtimmte Zeitruben, bis ihre Zahl voll wäre. 

Diefe beſtimmte Zeit heißt im griechifchen Grundtert 
Chronus und hier fommen wir an eine Stelle, wo wir zuerft 
Anlaß finden, von der aͤußerſt merfwärdigen prophetifchen 
Zeitrechnung des feligen Bengels Gebrauch zu machen. Diefe 
Zeitrechnung legitimirt und bewahrheitet fich immer mehr, 
und fie. hat mehr Gründe der Wahrheit für fich, als je eine 
prophetifche Auflöfung gehabt hat, folglich koͤnnen wir ihr 
einftweilen, aber ja in Abhängigkeit von dem Herrn und 
feinem Wort, Glauben zuftellen; da fie aber doch immer noch 
irren, wenigftens in einigen Stüden nicht: zutreffen Fonnte, 
fo. müffen wir, und nicht zu feft daran halten, damit:wir, wenn 
irgend etwas anders Fäme, am. Ölauben nicht-Schiffbruch lei⸗ 
den mögen, 

Das Wort ‚Chronos ‚bedeutet einen gewiffen beftimmten 
‚Zeitraum; der aber nicht durch Zahlen, fondern durch That⸗ 
ſachen der Gefhichte beſtimmt iſt: 3. B. Der Zeitraum 
vom Anfang eines Reichs bis zu feinem Ende madt feinen 
Chronos aus; das franzöfifche Königthum fing mit Klodwig 
dem Erſten an, und hörte mit Ludwig dem fechzehnten auf. 
Diefer Chronus ift alfo 1800 Jahre lang, dahingegen der 
Ehronus der Schweizer, und Holländifchen Republifen, wenn 
fie ſich nicht wieder vom franzdfifchen Zoch losmachen, nur 
wenige Sahrhunderte lang if. Hiemit will ich nur fo viel 
fagen, daß die Griechen mir dem Wort Chronus nie den Bes 


t 


158 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


griff einer beſtimmten Zahl verbanden, ſondern nur einen Zeitz 
rauın darunter verftanden, in welchem gewiffe Dinge gefche= 
ben und vollendet werden follen. Wenn man einem riechen 
gefagt hätte: Dieß oder jenes wird einen Chronus lang wäh 
ven, fo würde er nichts dabei haben denken koͤnnen; fagte man 
ihn abers Der Chronus Ddiefes oder jenes Kriegs dauerte 
fo und fo viele Fahre, fo verfiand er, was man fagte. 
Hierans ift nun Far, daß die Länge des apofalyptifchen 
Chronos nicht im Begriff des Worts felbft gefucht werden 
mußte, fondern in andern, durch Zahlen beftimmten Zeiten, 
die mit ihm parallel laufen. Aber eben hieraus erhellet auch, 
daß die Bengelfche Länge eines ſolchen Chronus bloße Vermu⸗ 
thung fey, die aber Doc) den größten Grad der Wahrfcheins 
lichkeit hat. Sie beträgt 1115 ordentliche gemeine Sabre. 
Siehe die Einleitung. 

Merkwuͤrdig ift e8, was der Herr an die Gemeinde zu 
Thyatira ſchreibt (j. oben Kap. 2. V. 21.). Sch habe ihr 
(der. Sefabel eine beftimmte Zeit (Chronon) gegeben, um 
ihre Gefinnung zu andern. Da nun Bengel die fieben Briefe 
nicht für prophetifch, fondern blos für Ermahnungen hält, die 
nur jene afiatifihe Gemeinden angingen, .fo befommt aud) nach 
ihm der Ehronus, welcher der Jeſabel gegeben wird, Feine 
weitere Bedeutung, ald daß er eine gewiffe Gnadenfrift vors 
fiellt, die zur Bekehrung der wirklichen Perfon geftatter wird, 
und alfo nur wenige Fahre enthalten Fann: Nehmen wir aber 
meine Erflärung an, fo bedeutet die Gemeinde zu Thyatira 
die Waldenfer, Albigenfer, boͤhmiſche und mährifche Brüder; 
folglich) ift dann diefe Jeſabel die ausartende rdmifche Kirche 
und Hierarchie, die eigentliche babylonifche Hure; Kap. 17. 
auf diefe paßt dann auch der Chronus, der ihr zur Bekeh— 
zung angewiefen wird, fehr genau, wie ich nun ferner ner 
fen werde. . 

Der apofalyptifche Chronus enthält nach Bengel, wie ges 
fagt, 1111 Fahre und etwas drüber. Nun werden wir zu 
feiner Zeit finden, daß alle apokalyptiſche Zahlen und Zeitz 
Yaufte zwifchen 1800 und 1836 ablaufen; diefe legtere Fahr: 
zahl enthält alfo nach dem Bengelfchen Syſtem den weitften 


Kap. 6. V. 11. | 159 


Termin, wo ber große letzte Kampf ausgekaͤmpft und das 
herrliche Reich Chrifti auf Erden im Anbruch iſt; dann find 
erft die Blutzeugen gerächt, Kap. 18. V. 20. 24. Kap. 
19. Kap. B. 2. und 20. ®. 4. und dann erft Fann man fas 
gen, daß ihre Mitknechte und Brüder vollender feyen, die auc) 
noch hingerichtet werden follten, wie fie. 

Der verflärte Bengel und feine Nachfolger fegen die Fahre 
1208 und 1209 als merfwärdig an, weil im denfelben die 
Berfolgungen der Chriften durch die Päbfte und ihre neu ges 
ftiftere Bertelorden aufs neue angefangen hätten: Allein das 
dürfen wir doch nicht annehmen; denn es folgen zwo Unrichs 
tigfeiten daraus: Erftlich kann man ja nicht fagen, daß die 
Mitknechte und Brüder der Blutzeugen alle vollendet und 
hingerichtet feyen, wenn diefe Hinrichtung erft 
anfängt — fondern diefe Vollendung finder erft ftatt, wenn 
der Feind völlig befiegt, und das Reich Gottes auf Erden 
im Anbruch iftz; folglich muß der Zeitraum von 1800 bis 1856 
angenommen werden; und zweitens follen die Blutzeugen 
fd lange ruhen, bis ihre Micbrüder noch hinzugefommen und 
vollendet find, und dann erft follen fie alle zufammen mit 
Chriſto taufend Jahre leben und regieren, Kap. 20. V. 4. — 
eher nicht; alſo nicht fehon 1208 oder 1209. Hiezu kommt 
aber noch eine Unbequemlicht>' t: Nimmt man diefe legtern 
Jahre als den Zeitpunft der Bouendung des Chronus an, der 
den Märtivern zur Ruhe angewiefen wurde, fo fällt die Zeit 
ihres Nufens in die Jahre 97 und 98, das ift, in die Fahre, 
wo Johannes die Offenbarung fchrieb; da aber nun die allges 
meine Sehnfucht der Chriften zu Ende des erften Jahrhun⸗ 
derts durch die Schwierigkeit, daß niemand die fieben Siegel 
brechen Fonnte, und durch das Weinen des Johannes fchon 

vorgeftellt worden, befonders aber, da fchon die vier erften Sies 
gel geöffnet find, folglich ſchon ein ziemlicher Theil der Erz 
füllung diefer Weiffagung vergangen feyn muß, ehe der Zeitz 
punft des Rufens der Seelen unter dem Altar angenommen 
werden kann und muß, fo Fann diefer Zeitpunkt nirgends an— 
ders als in die folgenden Jahrhunderte verfegt werden. 

Es ift ja aber auch nichts natürlicher, ald daß mon die 


140  Grklärung der Offenbarung Johannis. 


Vollendung des großen Kampfö, oder den Anbruch des Reichs 
Gottes zum: Ziel annimmt, weil dann alle Blutzeugen vol- 
lendet find, folglich den Zeitraum von 1300 bis 1856: Hier 
von zieht man dann die 1111 Jahre ab, fo fallt die Zeit des 
Rufens der Seelen unter dem Altar in die Jahre zwifchen 689 
und 725 und nun lefe man nur die geifts und weltliche Ge⸗ 
fchichte diefer Zeit, fo wird man finden, daß es weder vorher 
noch nachher einen Zeitpunkt gegeben habe, in welchem, nad) 
meinen obigen ‚gegründeten Vorausfegungen, diefes Rufen 
treffender angenommen werden fünnte; denn damals fing in 
Nom. das Weib Zefabel an recht Fenntlich. zu werden, das 
Chriſtenthum wurde gleichfam ein neues Heidenthum, und 
die Sarazenen drohten alles zu verfchlingen; da rief gewiß 
jeder Chrift aus der Tiefe zu Gott empor: Herr wie lange 
rihteft Du? — will denn der Sammer gar Fein Ende neh: 
men? — u. f. w. Hier fängt alfo der Chronus der Jeſabel, 
der ihr zum Bußethun gegeben wird, an, und eben fo beginnt 
auch hier der Ruhechronus der Seelen unter dem Altar; denn 
beide find im Grund eins, und fünnen nicht getrennt werden, 
Dieſes fünfte Siegel gab alfo den Ehriften im Anfang des 
achten Jahrhunderts einen Wink zur Beruhigung : ſie follten 
nur, Gedult haben; wenn die Zahl der Blutzeugen vollendet 
wäre, der Kampf ansgefämpft fey, fo werde es beffer werden, 
dieſes feste das fechäte Siegel nun vollends außer allen Zweifel. 


12. Und ich fahe, wie e8 das fechste Siegel eröffnete; 
und es entftand ein großes Erdbeben, und die Sonne 
ward fehwarz, wie ein härener Sad, und der Mond 
ward wie ein Blut. 

15. Und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, 
fo wie ein. Feigenbaum feine unveife Feige abwirft, 
wenn er von einem ſtarken Wind erfchüttert wird. 

44, Und der Himmel wurde weggefchafft, wie ein zufams 
mengerolltes Bud, und jeder Berg und Inſel wurde 
aus feinem Drt bewegt. 


Hier fehen wir, eine ber heiligen Schrift ganz geläufig, 
finnbildliche WBorftelung eines legten vollendenden, oder 


Kap. 6. V. 1% bis 1%. 141 


Schlußgerichts Über ein Volk, Königreich oder Nation; nach 
diefem Gericht ift in Ewigkeit Fein MWicderauffommen mehr 
zu erwarten. Man muß fich bei diefem fechsten Siegel ja 
das große allgemeine oder jüngfte Gericht nicht denken, wel- 
ches doch fo leicht gefchieht, erftlich weil ChHriftus fich bet 
der Befchreibung des Endes der Welt ähnlicher Bilder bes 
dient, und zweitend, weil man diefe Bilder zu wörtlich 
nimmt, und fich eine wirkliche Zerrüttung des Himmels und 
Aufhoͤrens der Sonne, des Monds und der Sterne dabei 
denkt; fondern diefe prophetifche, fehr lebhafte Schilderung 
ift lauter Bibelfprache, deren fih die Propheten des alten 
Teftaments, auch bei Partifulargerichten über einzelne Völker 
und Staaten, und fo auch Ehriftus in feiner Weiffagung und 
Ankuͤndigung des legten allgemeinen Gerichts bedienten, daher 
kann hier Fein anderes jüngftes Gericht verftanden und anges 
nommen werden, ald dasjenige, welches über das heiduifche 
Nom und überhaupt über das ganze Fultivirte und die Welt 
beherrfchende Heidenthum aus der unfichtbaren Welt her vers 
hängt wurde; in der fichtbaren fing dieß Gericht unter Kon— 
ftantin dem Großen ſchon au, aber gänzlich vollendet und 
ausgeführt wurde ed im achten und neunten Jahrhundert 
durch Karl den Großen und die Sarazenen ; diefe legtern haben 
dem Heidenthum, im öftlichen Afien befonders, den Herzens 
ftoß gegeben. Seitdem hat es fich nur noch in den Außers 
ſten Winkeln der Erde, in China und Japan, bei einzelnen 
Voͤlkerſtaͤmmen und unter den wilden Nationen, wiewohl 
nur in’ halber Ohnmacht erhalten, bis es endlich mir den 
andern Feinden der Wahrheit gänzlich von der Erde verfchiwins 
den wird. 

Das Erfte, was Johannes nach Eröffnung des fechöten 
Siegeld fahe, war ein Erdbeben, die Sonne ward ſchwarz⸗ 
braun, oder ganz verfinftert,, und der Mond verdunfelte fich 
auch, und wurde wie Blut. Eines’ ähnlichen Bildes bedient 
fi Jeſaias, wenn er das legte Gericht über das ehemalige 
Babel verfündigt. Im 15tem Kap. V. 15. fagt er: Darum 
will ich den Himmel berühren, und die Erde foll von ihrer 
Stelle bewegt’werden! Und vorher im 1oten Vers: Denn 


142 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


die Sterne des Himmels und fein Orion follen. ihr Licht 


nicht ſchimmern laffen, die Sonne fol verfinftert; werden 
im Aufgehen, und der Mond wird fein Licht nicht. fcheinen 
laffen. Daß bier. der, Prophet» au's jüngfte Gericht nicht 
denfe, fondern nur vom Gericht über Babel weiffagt, das 


. zeigt der ganze Zuhalt des Kapiteld. Joel bedient fich eben 


fo ftarfer Ausprüde bei einem befondern Gericht über das 
jüdifche Voll, Kap. 2. V. 10. und wenn Ezeciel den Uns 
tergang Pharaons verfündigt, fo drüdt er fih Kap. 32. V. 
7. 3. alfo aus: Und wenn ic) dich auslöfche, ſo werde ic) 
den Himmel bedecken, uud ſeine Sterne ſchwarz machen. 
Sch werde die Sonne mit Wolfen bedecken, und der Mond 
fol fein Liche nicht leuchten laſſen. ‚Alle glänzende Lichter 
am Himmel werde ih um teinetwillen ſchwaͤrzen, und ich 
werde eine Finſterniß über dein Land bringen, ſpricht der 
Herr Zebaoth. 

Hieraus fieht man nun deutlich, daß diefe Redensarten. in 
der heiligen Schrift Feineswegs das jüngfte Gericht ausſchließ— 
lich, fondern überhaupt jedes legte Volksgericht ‚bedeuten, 
und daß dabei eben fo wenig an eine wirkliche phyſiſche Vers 
dunfelung oder Zerſtoͤrung jener glänzenden —— 
gedacht werden duͤrfe. 

Die Bedeutung dieſer majeſtaͤtiſchen Bilderſprache iſt zwei⸗ 
fach: Im erſten gemeinen und leicht verſtaͤndlichen Sinn 
will ſie ſo viel ſagen: Ich will dich von der Erde vertilgen, 
Sonne, Mond und Stern ſollen fuͤr dich gar nicht mehr da 
ſeyn. In einem zweiten hoͤhern und wirklichen Bibelſinn 
aber, ſtellt die Erde das Land, die dfonomifhe Verfaſſung 
eines Volkes, ſeine buͤrgerliche geſellſchaftliche Einrichtung, 
Vermoͤgens und die Art es zu benutzen vor; Erdbeben bedeu⸗ 
tet. alſo Unſicherheit der Heimath, des Wohnens: und des 
Vermoͤgens, Unruhe allenthalben; die Menſchen finden. Feis 
nen ſichern Aufenthalt mehr, fie wiffen nicht, wohin fie 
fliehen follen. Die Sonne, bedeutet die Religion ,. oder auch 
die Quelle derfelben, die Gottheit, ihre Lehre, Offenbarung 
und ihre Mythologie; wenn alſo von dem Gericht einer. heid: 
nifchen Nation, geredet wird, fo, felt die Verdunklung der 


* 


Kap. 6. 8. 1%. bis 1% 143 


Sonne eine gänzliche Zerftörung ihrer Religion und der Quelle 
derfelben, den Umſturz ihrer Gottheite vor. Der Mond ift 
das Bild der Vernunftweisheit, der Philofophie und geiftigen 
Kultur eines Volks, daher bedeutet feine Verdunklung ein 
gänzliches Verfinken in die Außerfte Barbarei, und die Sterne 
find alsdann Bilder der Lehrer und Vorſteher in Kirchen: 
und, Religionsfachen ; die Vorfteher der fieben Gemeinden in 
Kleinafien waren ja Sterne in der Hand des Herin, und 
die viele zur Gerechtigkeit gebracht haben, die Bekehrer zur 
wahren Religion, follen leuchten wie Sterne immer und 
ewiglic), Dan. 12. V. 48. Diefe Sterne nun follen vom 
Himmel auf die Erde fallen, das ift, ihre Neligionsverfafs 
fung und. Hierarchie, welche durch den Himmel vorgeftellt 
wird, foll den Lehrern feinen Unterhalt, Feinen Beftand mehr 
geben, daher gerathen ſie nun herab auf die Erde, unter den 
Poͤbel, fie verlieren allen Glanz, allen Werth und alles An 
fehen; dazu kommt nun noch, daß fie wie unreife Feigen, 
denen. die Lebenskraft entgangen ift, oder wie wurmftichiges 
Obſt, herabfallen, fo daß fie zu nichts, nicht einmal zum 
Biehfutter, zu brauchen find. Wären fie reif und vollfaftig 
füß, fo würde der große Hausvater ernten, aber fo find fie 
gar nicht zu brauchen. 
Der Himmel endlich wird weggefchafft, zufammengerolit, 
wie eine Rolle, die lange ausgedehnt und gebraucht wurde, 
die man aber nun nicht mehr nöthig hat. Die ganze Reli⸗ 
giousverfaſſung und Hierarchie wird aufgehoben und wegge⸗ 
räumt, und auf der Erde im Politifhen und Oekonomiſchen 
wird alles anders, Fein Berg und Feine Inſel ift mehr wie 
vorher. Will man von diefen Bildern allen eine fehr voll 
ſtaͤndige Erfüllung fehen, und fich von der Wahrheit meiner 
Erklärung überzeugen, fo werfe man nur einen Blick auf 
das, was feit zehn Jahren in Frankreich geſchehen ift. Uebriz 
gend aber pafjen die Bilder auf jede Hauptrevolution. 


15. Und die Könige der Erden, und die großen Herren, 
und die Hauptleute, und die Neichen, und die Stars 
fen, und jeder Knecht und Freier, alle verbargen 

ſich feldft in die Höhlen und in die Felfen der Berge, 


144 Erklärung der Offenbarung Sohannis, 


16. Und fprachen zu den Bergen und Felfens Fallet auf 
und und verbergt und vor dem Angeficht deffen, der 
auf dem Thron fist, und vor dem Zorn des Lamms. 


17. Denn der große Tag feines Zorns iſt kommen, und 
wer Fann beftehen? 


Da haben wir num auch die unausbleibliche allgemeine 
Wirkung folcher endlichen Gerichte auf die Menfchen, die fie 
treffen, wenn fie alle Gnadenmittel verachtet, und ſich Got⸗ 
tes Güte und Langmuth nicht haben wollen zur Befferung 
leiten laffen; alle Stände, von Könige bis zum Sklaven, 
finfen in den allgemeinen Stand der Gleichheit herab, fie find 
nun alle gleich -elend, alle haben Feine Heimath, feinen Stand, 
Feine: Ehre, Feinen Gott, Feine Religion, Feinen Ort, wo fie 
bleiben können, Fein Vermögen und Fein Brod mehr, wie 
dieß alles jeßt bei vielen franzofifchen Emigranten beinahe 
der Hall iſt. Innere Beruhigung, Vertrauen auf den Vater 
der Menfchen, Hoffnung auf eine felige Zufunft vor oder nach 
dem Tode, das alles fehlt ihnen ganz; im Gegentheil, der 


firenge Richter, der auf dem Thron fißt, fpiegelt fich in ihrem 


Gewiffen, und fein zweifchneidiges Schwert droht fürdhter- 
lich; fie koͤnnen diefen Anblick nicht ertragen, denn fie fühlen 
tief, daß fie das alles verdient haben, daher möchten fie fich 
vernichtigen, diefem fchredlichen Anblick entziehen, und dieß 
wird dann durch die Bilder des Bedeckens mit Bergen und 


Felſen angedeutet, welche abermals ven Propheten des alten’ 


Teſtaments in ähnlichen Fallen abgeborgt werden. So fagt 


z. B. der Prophet Jeſaias Kap. 2. V. 19. bis 21. Dann 


werden fie in die: Felfenklüfte und in die Höhlen der Erde ges 


hen, wegen dem Schreden vor dem Jehovah, und wegen 
der, Herrlichkeit feiner Majeftät, wenn Er fih aufmachen 
wird, um die Erde zu erſchrecken. Diefe Weiffagung zielt 


auf eben dad Gericht über die Heiden, von welchen —* hier 
in der Offenbarung die Rede iſt. 

Noch deutlicher und zum Beweis meiner Erklaͤrung dien⸗ 
licher, iſt das, was der Prophet Hofen Kap. 10. fpridt. 
Hier klagt er über die Verwuͤſtung des Königreichs Iſrael, 








Kap. 6: B.: 15. bid 17. 145 


und bricht dann endlih ®. 8. in die Worte aus: Und die 
Höhen von Aven, Iſraels Sünde, follen vertilgt werden: 
Dornen und Difteln follen auf ihren Altärem wachfen, und 
fie werden zu den Bergen fagen,ıbedednuns! und 
zuden Hügeln, fallet auf uns! | 

Und endlich bedient fi) Ehriftus felbft diefer — 
wenn er fie auf die Zerfidrung Jeruſalems und auf das das 
mals nahe Gericht über den jüdischen Staat auwendet, 
Luc. 25, V. 50. aus welchem allen, dann unwiderfprechlich 
folgt, daß hier nicht das jüngfte Gericht, fondern nur das 
Schlußgericht über das Heidenthum zu verfiehen fey ; Chris 
ſtus hat nun diefe erfte Macht der Finflernip total und ents 
fcheidend überwunden. 

Noch ein fonderbarer Ausdrud muß hier erklärt werden, 
es heißt nemlich — und vor dem Zorn des Lamms — wer 
wird denn den Zorm des Lamms fürchten? fogar feine; fieben 
Hörner beleidigen nicht; fir dem Zorn des Löwen aus Juda, 
das lautet natürlicher; was ift alfo der Zorn des Lamms ? — 
Antw. Nichts anders, als die Entziehung des Antheils an 
dem großen Opfer — an den Vortheilen der Ehjnug tun 
bay diefer Lamms⸗ Zorn iſt ſchrecklich. 

Endlich folgt dann auch das Bekenntniß: Es iſt nun aus 
mit uns, denn Der große Zorntag ift eingetreten, und nies 
mand kann beſtehen, unfere Herrlichkeit hat nun auf ewig 
ein Ende. 

Hiemit ift alfo nun das große —·· das durch 
ſecht Siegel allen vernünftigen Weſen verborgen war, ent— 
huͤllet. — Nun weiß man, weldye unter den zweien Haupt⸗ 
teligionen, die von den Menfchen‘ bekannt wurden, fiegen 
wuͤrde; anfänglich fchien es, als wenn das mächtige, alles 
beherrfchende Heidenthum, das Kleine Häufchen der Chriften 
verfchlingen würde; allein es Fam anders, der Löwe aus dem 
Stamm Juda — das große Opferlamm — Jeſus Chriftus 
— der Gekreuzigte, fiegte auch hier, fo wie er über dad Zus 
denthum gefiege hatte, und die folge Macht der Finfternif 
fihmiegte fih nun ſchon zum zweitenmal zu feinen Füßen. 

Nun war aber noch ein Siegel zu erbrechen übrig, und der 

Stillina's fämmel. Schriften. IH. Band. 10 


146 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Theil der Rolle,’ der noch dadurch verborgen war, war bei 
weitem der größtes Nach dem Sturz des Heidenthums ents 
fanden in der Ehriftenheit zwo Hauptparteien, die griechifche 
und die lateinifche Kirche; und eben fo theilte ſich auch das 
römifche Reich in zwei große Reiche, deren das erſte oder 
orientalifche zu: Konftantinopel feinen Sit hatte, und die 
griechifche' Kirche, Hingegen das zweite oder oecidentalifche, 
welches’ fich in Deutfchland feft feste, und die lateinifche oder 
roͤmiſche Kirche in Schuß nahm. Beide Kirchen feindeten. fid) 
an, und verfolgten fi) aufs bitterfte, Feine hielt die andere 
für eine Kirche ChHrifti, und beide waren vielleicht gleichweit 
vom “wahren Ziel entfernt; heidnifche Greuel und LKafter, 
heidnifcher Aberglaube und Götendienft, und heidnifche Nies 
rarchie herrfchten in der einen Kirche fo gut, wie in der ans 
dern; wahre rechtglaubige Ehriften wurden von der einen 
fo ſehr wie von der andern verkegert und verfolgt, und fo 
war es doch dem Hauptfeind Gottes, Ehrifti und der Mens 
fhen abermals gelungen, eine Macht gegen Chriftum zu fams 
meln, und Ihm in feinem eigenen Reiche die Spige zu bietem. 
Setzt entftund alfo wiederum aufs Neue Sorge der treuen Ans 
hänger Jeſu für die gute Sache der wahren Religion, und 
ängftlicher Kummer über den ungewiffen Ausgang ihrer Schick⸗ 
fale. © Diefen Kummer nun zu heben, mußte das Lamm aud) 
noch das fiebente Siegel oͤffnen, und. durch den Geift der 
Meiffagung feiner Getreuen die Hoffnung und die Zuverficht 
ftärfen, daß am Ende nody alles herrlich ausgehen, und die 
Wahrheit von Jeſu Chrifto über alle ihre Feinde einen großen, 
vollftändigen. und’ ewigen Sieg erkaͤmpfen würde. 

Hier ift aber nun ein Hauprpunft wohl zu bemerken: Vor, 
in und. nach jedem göttlichen Gerichte geht immer: eine Ver—⸗ 
fiegelung aller derjenigen vor, die vor dem Herrn treu erfuns 
deniwerden, die den Glauben an feine Vaterliebe bewahrt, 
und fich indem allgemeinen fittlichen Verderben rein erhalten 
haben. Dieſe Verfieglung befhügt fie dann in allen Gefahr ° 
ven, und gibt ihnen die Gewißheit des feligen Ausgangs 
der Sache, fowohl für ni Perfouen, als —* je das 
Reich Ehrifti. 


Es wird aber für allen Dingen nöthig feyn, daß ich näher 
beſtimme, was eigentlich unter dem Wort Verfiegelung ver: 
ftanden werde? An und für fich felbft ift es ein bildlicher 
Ausdruck, der von einem orientalifchen Gebrauch hergenome 
men ift. Wenn man Sklaven oder auch) Thiere aus einer Menge 
ausfucht, um fie zu faufen, fo pflegt man ihnen ein Giegel an die 
Stirne zu drüden, damit fie nicht vertaufcht oder verwechfelt 
werden Fönnen; wenn ein Herr einmal einem Knecht fein Sies 
gel aufgedrüdt hat, fo ift er fein Eigenthum und in feinem 
Schuß. Daher beventet nun das Wort Verfiegelung in der 
Bibel zweierleis 1) Stellt es die zuverläffige Verſicherung 
vor, baß man, fobald man einmal verfiegelt worden, gewiß 
ein Kind Gottes fey, und daß einen nichts mehr aus der Hand 
des Herrn werde reißen koͤnnen; in diefem Sinn wird ed hin 
und wieder in den apoftolifhen Briefen gebraucht; und 2) ift 
die Verfiegelung an der Stirne auch ein Zeichen, wodurch 
allen Werkzeugen der göttlichen Strafgerichte angedeutet wird, 
einem ſolchen Berfiegelten ja fein Haar zu kruͤmmen; eine 
ſolche Verfiegelung muß bier in der Offenbarung, wo die Rede 
davon ift, verftanden werden. 

Damit aber der gottliebende Lefer nun auch wiffen möge, 
was die Verfiegelung eigentlich fey? und wie fie in der Seele 
den Menfchen vorgehe; fo muß ich mich näher darüber ers 
Hären: Wenn fich der Menfch griindlich zu Gott befehrt hat, 
und allmählig fo weit gefommen ift, daß ihm der Wandel in 
der Gegenwart Gotted und das Wirken der chriftlichen Glaus 
benöwerfe gleichfam natürlich geworden ift, fo entwickelt fich 
im tiefften Grund feiner Seele ein Gefühl der Zufriedenheit 
und Gelaſſenheit, eine ruhige und vollkommene Ergebung in 
Gotted Willen, wodurch zugleich eine alle Zweifel überwies 
gende Verficherung entjteht, man. fey auf ewig des Herrn 
Eigenthum, und alles, was geſchehe, das diene zum Beften, 
auch Fünne einem ohne Gottes Willen fein Haar gekruͤmmt 
werden. Dieß alles: ift eine Wirkung des heiligen Geiftes, 
der nun bei einem jchon fo weit geförderten Grad des Glaus 
beus und der Liebe die Oberherrfchaft in den Geelen belom⸗ 
men, das iſt, ſie verſiegelt hat. 

10 * 


148 Erklärung der Offenbarung Tohannis, 


Durch diefe Sefinnung aber entfteht nun auch eine fehr wich» 
tige Folge für den Ehrijten, die ihn in allen göttlichen Ges 
richten fhüßt, und das eigentliche Siegel Gotted an feiner 
Stirne ift. Jene vollftändige Ergebung in alle Fügungen des 
Willens Gottes macht, daß man der Vorfehung nicht vorläuft; 
fondern ruhig: ihre Winfe abwartet, und ihnen dann auch mit 
äufferfter Treue und Gehorfam folgt, ohne zu vernuͤnfteln und 
zu überlegen, ob man auch wohl dabei fahren werde? — Wird 
dieß num immer pünftlicher befolgt, fo ift man mitten im 
Sturm und Ungewitter eben fo vollfommen fiher, als im 
allerbeften Hafen, und im wüthendften Krieg eben fo beſchuͤtzt, 
ald im tiefften Frieden. Alles, was einem dann gefchieht, 
iſt nur Laͤuterung und Glaubensprüfung, welche immer fo 
viele Kraft begleitet, ald zum Ertragen nöthig iſt: fobald 
man aber der Vorfehung nicht traut, und fich durd) feine eigene 
Bernunft und Ueberlegung gegen’ Gefahren fichern will, fo 
fommt man viel zu kurz, und rennt aus einem Unglüd 
ind andere, 

Man muß mic) wohl verftehen — id) fchließe den Gebraud) 
der Vernunft und die Anwendung menfchlicher Vorficht ja 
nicht aus, nur muß fie den Winken der Vorfehung nicht 
vorlaufen, fondern nachfolgen. Der Geübte wird mich wohl 
verftehen, 

Ich fagte oben, daß vor, in und nach den göttlichen Ge: 
richten eine ſolche ſchuͤtzende Verfieglung vorzüglich veranftals 
tet werde; dieß finden wir in der heiligen Schrift in allen 
Fällen bewahrheitet: Vor dem Gericht der Sündfluth wurde 
Noah mit feiner Familie verfiegelt; im Gericht über Sodom 
bekam Loth mit feinen Töchtern dad Schußzeichen an Die 
Stirne; vorzüglich) aber, und worauf befonders hier in der 
Offenbarung gezielt wird, wurden die Kinder Iſrael in den 
göttlichen Strafgerihten über Aegypten durch das Blut des 
Oſterlamms verfiegelt, 2 Mof. 12. damit mußten die Thuͤr⸗ 
pfoften beftrichen werden, auf daß der Mürgengel jvorüber 
gehen möchte; in dem leiten Gericht über den jüdifchen Staat 
wurden die Chriften verfiegelt und nad) Pella gerettet; und 
im Gericht über das Heidenthum wohnten viele ficher in den 


Kay. 6: B. 15. bis 17, 149 


MWifteneien, Felfenhöhlen und gemeinen Dertern, wo fie die 
Wuth der Verfolgung, ded Kriegs und anderer Landplagen 
nicht treffen Fonnte. 

Ueberhaupt koͤnnen wir verfichert feyn, daß wir auch in den 
gegenwärtigen und bevorftiehenden Gerichten bewahrt bleiben 
werden, wenn wir dafür forgen, daß uns die Verfieglung 
nicht fehlt. 

Endlich muß ich aud) noch bemerken, daß diefe Verfieglung 
in ihrer Wirkung zum Schuß dreifach ift: 

1) Werden viele Getreuen vor den nahe bevorftehenden Ges 
richten durch den Tod weggerafft, folglich zum feligen Heims 
gang verfiegelt; wenn man alfo wahrnimmt, daß ein großer 

wirdiger Mann nach dem andern flirbt, fo mag man aufpaffen. 

2) Macht auch wohl die Vorfehung Gelegenheit zum Wegs 
ziehen, fo daß fie denen, die den Herrn fürchten und Ihm 
treu find, Winfe gibt, von Babel auszugehen; dieß ift dann 
die Verfieglung zur Abfonderung, und 

5) Werden au viele Getreuen, die im Kampf felbft ges 
braucht werden, ald Werkzeuge des Herrn zu großen Zweden 
dienen follen, zum Dulden und Ausharren, Kämpfen und 
Leiden verfiegelt. 

Jet, da nun bei Eröffnung des fiebenten Giegeld durch 
die erften fechd Pofaunen wieder ein neues Gericht über ein 
ausgeartetes Volk ergehen foll, jetzt geht wieder eine folche 
Verfieglung derer vorher, die in diefem Gericht erhalten und 
bewährt werden follen, wie und folcyes das folgende Kapitel 
nun zeigen wird, 





150 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Das fiebente Kapitel, 


1. Und nach diefem fahe ich vier Engel anf den vier Ecken 

ber Erden ftehen, welche die vier Winde der Erden 
beherrfchten, damit Fein Wind über die Erde wehte, 
weder über das Meer, noch irgend einen Baum. 

2. Und ich fahe einen andern Engel, welder von der 
Sonnenaufgang ber emporftieg, und das Siegel des 


lebendigen Gottes hatte; und er rief den vier Engeln, 


welchen gegeben ift, Die Erde und das Meer zu be 
fhädigen, mit großer Stimme zu. 
3. Und ſprach: Befchädiat weder die Erde, noch das 
Meer, noch die Bäume, bis wir die Knechte unfers 
Gottes an ihren Stirnen verfiegeln, 


Nahdem nun das Heidenthum geftürzt iſt, fo fchreitet 
das prophetifche Geficht des Johannes weiter, und bereitet 
die Erbrechung des fiebenten GSiegeldö vor: Der verhabene 
Geber fieht in Often und Weften, Süden und Norden, an je: 
dem dieſer Drte einen: Engel ftehen , der den von diefem Ort 
her wehenben Hauptwind zuͤgelt und einhält, oder beherrfcht. 
Sm 104ten Palm V. 4. heißt ed: Du machſt deine Engel 
zu Winden; im Grund iftd einerlei,. die Engel find dienſt⸗ 
bare Geifter, die des Herrn Befehle ausführen, ‚hier find 
viere, welche Windebändiger genannt werden koͤnnen, fie 
halten die Sturmwinde in ihren Schranfen, daß fie weder 
die Erde noch das Meer befchädigen Tonnen, bis ed ber 
Herr der Natur gebeut. 

Warum wird aber wohl hier der vier Winde und ihrer 
Engel gedacht? — Warum werden Feine andere Werkzeuge 
der göttlichen Strafgerichte in diefem prophetifchen Gefichte 
vorgeftelt? — Die Antwort hierauf fteht Pfalm 107. im 


Iften, 2ten und Sten Verſe: Lobet den Herrn! denn Erift 


gut, und feine Güte währet in Ewigkeit, damit folches die 


Kap, 7» V. % bis 34 7 j €) 151 


Befreiten des Herrn fagen, die Er von der Hand ber Wider- 
facher befreit hat, und die Er aus den Ländern von 
Dften und Welten, von Morden und vom Meer 
ber verfammelt hat, u f. w. und Math. 24. V. 81. 
fagt Chriſtus: Und Er wird feine Engel mit hellen Pofaunen 
fenden, und fie werden feine Auserwählten fammeln aus 
den vier Winden, von einem Ende desHimmels 
zum andern. Wenn alſo die Knechte des Herrn aus allen 
vier Winden verfiegelt werden ſollen, fo müffen diefe vier 
Winde gezigelt und in den Schranken gehalten werden, damit 
‚fie feinen Unfug anrichten mögen, bis die Verfi veglung vor: 
bei ift, — 

Die Winde, und beſonders die Sturmwinde, ſind * 
ſchwerer und allgemeiner Strafgerichte uͤber Laͤnder und Voͤl⸗ 
fer‘, wenn: man alſo dem erſten Vers dieſes Kapitels vom 
Bilderſchmuck entkleidet, ſo will er nichts anders ſagen, als: 
Der Herr hielt uͤber die ganze Erde ſeine halb een 
Strafgerichte zurüd. 

Auf diefe erfte Vorftelung der Windebandiger. folgt. num 
die. zweite: Es zeigt fich im DOften ein anderer Engel, ver 
fo über das Gebirge Kleinafiens emporfteigt, wie die Sonne 
aufgeht. Diefer Engel hat das Siegel des lebendigen: Got: 
tes in feiner Hand, und ruft num den vier Windebändigern 
zu, fie follten ja nicht zugeben, daß Erde, Meer und 
‚Bäume befchädige würden, bis er und feine Mitgefandten 
salle Knechte Gottes an ihren Stirnen verfiegelt hätten. 

Das Muſter und Vorbild zu diefer prächtigen Vorftellung 
finden wir Ezechiel 9. wo der Prophet eine folche Verfieges 
lung oder Stirnzeichnung der Bürger Jeruſalems anzieht 
und befchreibt; hier aber gehts ins Ganze, in alle vier 
Winde, 

Der große Engelherold fommt von Often, weil dorther auch 
‚die Strafgerichte einbrachen, wie ich im Verfolg' zeigen 
‚werde, folglich auch die Verfieglung von Morgen her ihren 
Anfang nehmen mußte. Er hat das Siegel des lebendigen 
‚Gottes; denn er fol ed ja den Knechten Gottes an die 
Stirne drüden, und wenn jemand wiffen will, was auf 


q 
152 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


diejem Siegel fteht, der findet e8 2. Zim. 2.0. 19. Dennod) 
ſteht das-feite Fundament Gottes, und hat diefes Siegel: 
Der Herrkennet diejenigen, die fein find: Und, 
ein jeder der Dem Namen des Herrn nennt, der 
fiehbe ab von der Ungerechtigfeit. Ja wohl kenut 
der. Herriidie Seinigen, Er verfieht fih an feinem, und 
weiß jehr wohl, wem fein Siegel aufgedrüct werden muß. 

Daß Died Siegel ein Siegel des lebendigen Gotted 
genannt wird, hat folgende Bedeutung. Vor den Gtrafges 
gerichten geht gemeiniglicdy eine allgemeine Ruhe und Sicher, 
beit her, alles geht ſo natürlich zu, und wer nicht ganz 
vorzüglich aufmerkffam auf die Wege Gottes ift, der merkt 
‚fo wenig von göttliher Regierung und Dazwifchenfunft, daß 
der blos finnlihe Naturmenſch leicht auf die Gedanken geräth, 
Gott befümmere ſich gar nicht um die Welt, oder es gäbe 
feinen andern Gott, als die allgemeine alles belebende Natur; 
die vier Windebändiger halten alle Strafwerfzeuge im Zaum, 
und müffen fie auch fo lange zügeln, bis die Verfieglung vols 
lendet iſt. Um aber doc) zu bezeugen, daß bei aller diefer 
Ruhe und Sicherheit der Alte der Tage, der Allmächtige und 
Allwirkſame noch lebe, braucht der erhabene Herold diefen 
Ausdrud: Das Siegel des lebendigen Gotted, des Got—⸗ 
tes, der fich bald als lebend und wirkſam genug zeigen wird. 

Der göttlie Befehl, den der Engel von Dften den vier 
Windebändigern zuruft, heißt: Beſchaͤdiget weder die Erde, 
noh das Meer, nohdie Baume, bis wir die Kuechte 
unferes Gottes an ihren Stirnen verfiegeln. 

Große Sturmwinde find gemeiniglich Begleiter der Erds 
beben, und in den unterivdifchen Höhlen und Schlünden ein- 
gefchloffene Winde, wenn fie von Waffer oder Feuer in Bes 
wegung gefegt worden, find gewöhnliche Urfachen derfelben. 
Auf dam Meere find die Minde unter allen Naturkraͤften die 
gewaltehätigften und ſchaͤdlichſten, und die Bäume werden von 
den Orkanen beſchaͤdigt und oͤfters ausgewurzelt. Es iſt 
natuͤrlich, daß ein Befehl an die Winde auch zu ihren Wirs 
fangen paſſen muß; daher liegt Feine andere Bedentung in 
die ſem Bild, als: Die allgemeine Ruhe und Sicherheit fol 


⸗ 


Kap. 7. V. 4. bis 8. 453 


fortdauern, alle Werkzeuge, die auf jedem Wink bereit find, 
die göttlichen Strafgerichte auszuführen, follen noch fo lange 
einhalten, bis diejenigen Knechte unferd Gottes, die zum 
feligen Heimgang bereit find, zu ihren Vätern gefammelt wers 
den; bis diejenigen getreuen Anhänger des Herrn, denen Er 
durch feine Vorfehung im irgend einem Lande des Friedens 
einen Ort der Sicherheit beftimmt hat, weggezugen find, und 
bis diejenigen, die der Herr im Kampf und in den Gerichten 
‘ald Zeugen der Wahrheit und als Werkzeuge zum Erretten 
brauchen will, dazu vorbereitet find. 

D wie unausfprechlich tröftlich ift auch uns diefe prophes 
tifche Vorftellung, dieſe Profopopdie, in unfern bedenflichen 
"Zeiten! Ewig gewiß ifts, daß vor allen göttlichen Strafges 
richten eine folche Verfieglung vorher geht. 

Unwiderlegbar gewiß ifts ferner, daß alle wahre Knechte 
und Mägde Gottes verfiegelt werden. 

Unwiderlegbar gewiß ift jeder ein Knecht oder Magd Gots 
tes, der ſich bewußt ift, daß fein Wille ohne Vorbehalt dem 
Willen des Herru unterworfen if. Und 

Eben fo gewiß ift auch, daß jeder zu dem Zweck verfiegelt 
wird, zudem er, feinem Charafter nah, am gefchickteften ift. 
Theure Brüder! Schweftern ! Freunde! was haben wir 
nun zu fürchten? 


4. Und ich hörte die Zahl der Derfiegelten; hundert 
_ vier und vierzig taufend DBerfiegelte aus allen 
Stämmen der Kinder Jfrael. 


5. Aus dem Stamm Ju da zwölf taufend Verfiegelte. 
Aus dem Stamm Ruben zwölf taufend Verſiegelte. 
Aus dem Stamm Gad zwmdlf taufend Derfiegelte. 


6 Aus dem Stamm. Afer zwölf taufend Verſi egelte. 
Aus dem Stamm Naphthalim zwölf tanfend Vers 
fiegelte, Aus dem Stamm Manaffe zwölf taufend 
Berfiegelte. 


ri Aus dem © Stamm Si imeon zwolf taufend Verſi egelte. 
Aus dem Stamm Levi zwölf taufend Verſiegelte. 
Aus den Stamm’ Sfafchar zwölf taufend Derfiegelte, 


454 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Uns dem Stamm Zabulon zwölf tauſend Verſie— 
gelte, Aus dem Stamm’ Gof eph zwölf tauſend Ver⸗ 
ſiegelte. Aus dem Stamm Benjamin zwolf tauſend 
Derfiegelte. 


Es ift aͤußerſt merkwuͤrdig, daß vor dieſem Gericht, welches 
nach der Eroͤffnung des ſiebenten Siegels, durch die ſechs erſten 
Poſaunen, uͤber das morgenlaͤndiſche Kaiſerthum, und die 
damit verbundene griechiſche Kirche ergehen ſoll, eine Verſieg⸗ 
lung aus den zwölf Stämmen Iſraels hergeht. 

Vor dem Gericht über das Judenthum hatten - Chriftus 
und feine Apoftel fchon eine ziemliche Menge aus den Stäms 
men Juda und Benjamin, als welche vorzüglich.im gelobten 
Lande wohnten, verfiegelt, und zum Himmelreich augewors 
ben. Nachher wurden diefe beiden Stämme in alle vier Winde 
zerftreut; und fo lange das Heidenthum herrfchte, waren fie 
die gewöhnlichen Ankläger der Ehriften, wie ich ſchon oben 
in der Erklärung des Briefs des Herrn an die Gemeinde zu 
Smyrna bemerkt habe. Don der Zerfidrung Serufalemd an, 
bis auf den heutigen Zag, find aber nach Verhaltniß wenig 
Juden mehr eruftlich zu Chrifto gefommen; alles, was wir 
Suden nennen, ftammt aus den Stämmen Juda und DBens 
jamin her, von den übrigen zehn Stämmen kennen wir feinen 
einzigen Menfchen, und wir wiffen audy nicht eigentlich, wo 
fie geblieben find; nur fo viel ift gewiß, daß fie von Sal⸗ 
manafjer, dem König von Affyrien, nach Halah und Habor, 
am Waller Gofan, und in die Städte der Meder verpflanzt 
worden; 1. Kön. 17. ®. 6. und 18. V. 11. in den noͤrd⸗ 
lihen Gegenden Perſiens alfo haben fih die Sfraeliten 
niedergelaffen. 

Das vierte Buch Eſra, welches bei unfern heutigen Theos 
logen wenig Kredit findet, auch von Luther nicht fonderlich 
gefhätt worden, ob es gleich au) am Ambrofius, Frenäus, 
Klemens von Alerandrien und Chryfoftomus fehr wichtige 
Bertheidiger hat, beweißt doch fo viel, daß zu den Zeiten 
des Verfaſſers diefes Buchs, der, wenn er auch nicht. Efra 
‚felbft gewefen, doch nicht fpater als im zweiten Jahrhundert 


Bia. bis Po: 1:15 


gelebt Haben kann, geglaubt worden, die 10 Stämme feyen nicht 

‚in jenen Gegenden geblieben, fondern fehr weit nad) Norden, 
Mordoften und Nordweften, in unbewohnte Gegenden gezos 
gen, um da ihrem Gott auf ihre, Weife ruhig dienen zu koͤn⸗ 
nen. Efra 15. V. 59—46. Diefer Meinung pflichten auch 
viele gelehrte Juden und chriftliche Gelehrten bei, und es 
Tann auch in der That nichts dagegen eingewendet werben, 
denn fie. ift hoͤchſt wahrfcheinlich; und mir, nachdem ich Pelz: 
Ioutieres Gefchichte: der Celten und Gibbons vortreffliche Ges 
danfen über die Völferwanderungen gelefen habe, faft gewiß, 
daß die gegenwärtigen europäifchen chriftlichen Nationen 
großentheild von 'den zehen Stämmen Iſraels abftammen; 
denn die Völker, von denen jene entfprungen find, Fommen 
genau: aus den Gegenden her, wohin die leßtere der Tradis 
‚tion nach gezogen find. Wahrfcheinlich ift Stod und Stamm 
diefes Saamen Abrahams jegt noch in Thibet unter der Bots 
mäßigfeit des Dalai Lama. 

Dem zufolge kam alfo ein großer Theil der zehn Stämme 
nad) Polen, Böhmen, Ungarn, Griechenland, Deutſchland, 
die nordifchen Reiche, Großbrittannien, Frankreich, Spanien, 
Portugal und Stalien, vorzüglich aber ließen ſich diefe nordafias 
‚tifchen Völker bei ihren Wanderungen in die dftlichen Ländern 
‚Europend, Polen, Böhmen, ganz Deutfchland, Schweiz, 
Stalien, Ungarn, Moldau, Wallachei und dem nördlichen 
Griechenland nieder; aus Deutfchland breiteten fie ſich dann 
nah Frankreich und England aus. Was aber diefe Hypo⸗ 
thefe vollends zur Gewißheit erhebt, das find folgende Saͤtze: 

Die Dffenbarung Johannis iſt eine göttliche, zur Bibel 
gehörige, vom Gott der Wahrheit durch einen Engel dem 
Apoftel Johannis mitgerheilte Schrift. Wenn dieß unftreitig 
iſt, wie es denn unmöglich von jemand beftritten werden 
kann, der dieß Buch mit Aufmerkſamkeit ftudirt Hat, fo folgt: 

Daß die Verfieglung aus den zwölf Stämmen, von denen 
‚hier. die Rede ift, Fein leeres Gedicht, fondern Wahrheit feyn 
muͤſſe: und wenn man auch einen myftifchen Verftand darin= 
nen fuchen wollte, fo würde er immer ungewiß und ungezwuns 
‚gen herausfommen. 


156 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Gewiß ift alfo, daß zwifchen der Vollendung des Gerichts 
über das Heidenthum und dem Anfang des Gerichtd über 
das morgenländifche Kaiferthum, im Verborgenen, aus jedem 
der zwölf Stämme Iſraels zwoͤlf tauſend Menſchen verſie e⸗ 
gelt worden. 

Daß niemand als ein vorzuͤglich weit gefoͤrderter Ehriſt 
verſiegelt werden koͤnne, verſteht ſich von ſelbſt, und daß dieſe 
zwoͤlfmal zwoͤlf tauſend Iſraeliten wirklich ſehr weit gefoͤr⸗ 
derte Chriſten waren, iſt aus Offenb. Joh. 17. V. 1- 6. 
unwiderſprechlich. 

Aber eben ſo ausgemacht iſts auch, daß in den Rändern, 
wohin die zehen Stamme Iſraels ehemals verfegt worden, 
und wo fie heruach auch fo lange gewohnt haben, nemlidy im 
udrdlichen Afien, die chriftliche Religion niemals fo befannt 
geworden, daß da nur zwolf taufend, gefchweige hundert vier 
und vierzig taufend gute, erleuchtete und weitgeförderte Chris 
fien Hätten zufammen gebracht und verfiegelt werden koͤnnen. 

Dieß war alfo nur in der Chriftenheit möglich; folglich) 
mußte ein großer Theil der zehn Stämme Iſraels mit den 
chriftlichen Nationen vermifcht feyn. 

Aus diefer wichtigen Wahrheit folgen noch fehr wichtige 
Schluͤſſe: Wir find nun alfo aud) wahre Sfraeliten nah dem 
Fleiſch, folglich gehen und auch die großen und tröftlichen 
Berheißungen an, die in den Propheten des alten Bundes 
dem Volk Sfrael verfprochen worden. 

Die Zuden find nun auch) nach dem Fleiſch unfere Brüder, 
und wir find Daher doppelt verpflichtet, uns ihrer anzunehmen. 

Wir Haben eben fo viel Anfpruch an die Erbgerechtigkeit 
Kanaans wie fie; und follten einmal die Juden befehrt wers 
den, und nad) Ferufalem ziehen, "fo haben wir das Recht 
mitzuziehen: Denn Abraham war ſo gut unfer Vater wie 
der ihrige. 

Doch ich wende mich num wieder zur Erklärung ber Be 
Dffenbarung, und da wir hier einen aufferftwichtigen Gegen⸗ 
fand vor uns haben, fo bitte ich meine Leſer, folgendes mit 
angeftrengter Aufmerkſamkeit zu beherzigen: Er 

In diefem ganzen Buch bezieht ſich alles auf folgenden Sas: 


en u en U u ET in. 


Kap. 7. B. 4. bis 8. 157 


Die ganze Menfchheit. liegt im Verderben, Jeſus Chrifius 
bat fie durch fein Leben auf Erden, und durch fein Leiden und 
Sterben erlöst, um ſie der Herrfchaft der alten Schlange, 
welche  unfre erften Eltern im Paradies verführte und. unter 
ihre Bormäßigkeit brachte, zu entziehen; zu dem Ende hat 
Er ſich durch alle Anftalten, und durdy feine Gefandten unter 
den Menfchen ein Reich gegründet, welches bis zu feiner 
Zufunft, wo Er auf Erden ein herrliches Reich des: Friedens 
errichten wird, dem alle Völker unterworfen ſeyn werden, die 
fireitende Kirche genannt wird. Die Zufunft des 
Herrn alfo, nebf der Erribtung feines herrlis 
ben Reihe, und dern Kampf zwifchen der jireis 
tenden Kirche und der Macht des Drachen, macht 
den ganzen Inhalt diefes unbefchreiblich wich— 
tigen Buchs aus, und auf diefe sap. nenn be: 
zieht fich alles. 

Die beiden Heerführer, die alfo hier ai Salbe Tiegen, fi find 
Chriſtus und der Satan, das Lamm und der Drache. Die 
erfte Macht, die fih Satan gegen Gott errichtete, war die 
Vielgoͤtterrei, oder das Heidenthum; dieſem feste Jehovah 
die ifraelitifchen Anftaltenı entgegen; Jirael wich: allmählig 
ab, und in: diefenn Volk erfchien: der, Sohn Gottes, und ers 
richtete durch alle feine Erlöfungsanftelten das Chriſteuthum, 
und in demfelben die fireitende Kirche, als Grundlage zu 
feinem Fünftigen herrlichen Reich; nachdem dieß gefchehen 
war, ſo fingen die Wirkungen des großen Kampfs vor feiner 
Zukunft damit an, daß das falfche Judenthum gerichtet und 
auf immer geftürzt wurde. Durch viele Prüfungen und Läus 
terungen wuchs nun das Ehriftenthyum, und in. demfelben die 
flreitende Kirche, und etwas über zwei hundert: Jahr nach 
der Zerftdrung)des jüdifchen Staats fiel auch das Heidenthum 
auf immer, und wurde gänzlich überwunden. 

Auf diefen Standpunkt bin ih num mit meiner Erflärung 
gekommen; hier aber fangen nun andere Aufferft wichtige Ana 
falten zu einem neuen Kampf an, die nun aud) nach einans 
der entwidelt werden muͤſſen. 

Es ift bekannt, das fid) Jehovah im alten Teftament oͤfters 


/ 


158 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


des Bildes zwifhen Mann und Weib, oder des Eheftandes 
bedient, wenn Er vom der Beziehung, oder dem Verhaͤltniß 
zwifchen fich und feinem Volk Iſrael redet; befonders finden 
wir diefes Bild fehr ausführlich Ezech. 25. Des nemlichen 
Gleichniſſes bedient fih auch zw Zeiten Chriftus, wenn Er vom 
Braͤutigam und der Braut fprichtz vorzüglich aber: gefchieht 
diefed hier in der Dffenbarung Johannis, wo die’ getreue 
Heerde der wahren Verehrer Jeſu und Befenner der Wahr: 
heit die Braut des Lamms genannt wird. Der Gegenfag 
diefer Braut des Lamms ift die falfche abgewichene chriftliche 
Kirche , oder babylonifhe Hure, die ihren Hauptfig in der 
ehemaligen Hauptftadt des Heidenthums, in Rom hatz das 
her wird auch wie Stadt Rom felbft die babylonifche Hure ge⸗ 
nannt, in weldyer dad Thier aus dem Meer feinen Sig hat, 
Off. Joh. 17: V. 18. und gegen’ über fteht dann das Heer 
der Heiligen, die wahre Kirche, oder die Braut des Lamms, 
welche ebenfalls eine Stadt und Bürgerfchaft, nemlich das 
neue Jeruſalem ausmacht. Kap 21. V. 9. 

Alsıder Feind Gottes und der Menfchen, der Drache, fahe, 
daß feines erfte Macht, das Heidenthum ‚ überwunden war, 
fo ſchlich er fi) fogar ins Chriſtenthum ein, und verwandelte 
ed im Drient und Occident in ein neues Heidenthum, in wels 
chem er fih abermals eine neue Macht gegen Chriſtum und 
fein Reich bildete; im Orient oder in der griechifchen Kirche 
fand er nicht Kraft genug, die Menſchen waren zu weichlich 
und zu ſchwach im Lurus und in’ der: Ueppigkeit geworden, 
daher überließ er fie ihrem Schicffal und. nahen Gericht, aber 
im, Dceident, in der 'abendländifchen Kirche, "waren: lauter 
Kraftmenfchen, die er brauchen Fonnte, hier legte er — * vom 
Heerlager_ an, und befeftigte ed aufs befte. 

Daher finden wir auch ‚gleich nady dem Fallı'des Heiden: 
thums unter dem Karolingifchen Kaiſern das Weib Jeſabel 
in Rom;) man lefe mit Sleiß, was ich oben in meiner Er: 
klaͤrung des Brief an die Gemeinde zu Thyatira Kap. 2. 
V. 20— 23. über diefe Materie gefagt 'habe. Jetzt war 
die babylonifche Hure noch jung, daher gab ihr der Herr noch 
einen ganzen Chronus, von 1111 Sahren,. Zeit zur Buße, 


Me Kehren in na 4 — 





Kap, 7.8. 4, bis 8, 159 


damit fie hernach im Gericht. über fie Feine Entfchuldigung 
haben möchte. Aber da Er, der Allwiffende, wohl voraus 
fahe, daß aus dem Bußerhun nichtd werden würde, fo warb 
Er ſich num die eigentliche Braut ded Lamms an, und dazu 
waren die hundert vier und vierzig taufend verfiegelte Iſrae⸗ 
liten die Erſtlinge; Er fliftete nun eine neue Gemeinde, Lie 
in Thyatira und Philadelphia noch fortblüht, und zu wels 
cher die wenigen aus Garden und die Laodiceiſchen Ueber: 
winder noch hinzufommen werden. - ©, oben meine Erklärung 
der Briefe an diefe vier legten Gemeinden. 

Dad alte Teſtament ift Grund und Fundament des neuen; 
Iſrael Stod und Stamm’ der wahren Kirche Gottes; Chris 
ftus felbft war ein Sfraelit nah dem Fleiſch, und die erften 
Chriſten Abrahams Saame; eben fo follten audy die hundert 
vier und vierzig taufend verfiegelte Iſraeliten die erften Aktiv⸗ 
Bürger: und die Meiftbeerbten: des neuen Jeruſalems feyn. 
Jedes Zerufalem ift immer. die Hauptitadt Iſraels, das 
neue, fowohl als das alte, und wenn wir die Befchreibung 
des neuen Serufalems Kap. 12. B. 10. aufmerkfam betrach⸗ 
ten, :fo finden: wir, daß es fich ganz genau zu feinen ‚hundert 
vier und vierzig taufend. Aktivbuͤrgern ſchickt: Denn diefe 
Stadt ift viereckigt, und jede Seite zwoͤlf taufend Stadien 
lang, folglich enthält fie hundert und vierzig Millionen Stas 
bien; wenn wir diefe unter die 144,000 Bürger vertheilen; 
ſo befommt jeder taufend Quadrat Stadien, welche 10,000 
Morgen: Landes nach unferm Maaße, den Morgen zu 140 
Ruthen gerechnet, ausmachen; ein Hausplaß ; auf welchem 
eine hübfche Stadt: gebaut: werden koͤnute — wie viele Bei⸗ 
ſaßen kann nun ein folcher Bürger aufnehmen ? — DO Freunde! 
es ift noch Raum dal — im meines Vaters Haus find viele 
Wohnungen, wietröftlich ift das? — 

Die zwölf Stämme Sfraels find der Hauptftoff des gans 
zen alten Teftaments, und die zwölf Apoftel des neuen — 
das alte Teſtament mit dem neuen multiplizirt, 12mal 12 
macht 1445 12 ift die Wurzelzahl des neuen Serufalems, 
und 144 fein Quadratinhalt, der Segen der Vermehrung 
geht dann in die Tauſende. Die Stadt hat zwoͤlf Thore, 


160 Erklaͤrung ber Offenbarung Johannis. 


auf jeder Seiten drei, und zwölf Gründe, nad) der Zahl der 
zwölf Apoſtel des Lamms, und über den Thoren ftehen die 
Namen der zwölf Stämme Sfraels, u. f. wi Offenb. Joh. 21. 

Mer fiehet nun aus dem Allem nicht, daß die 144,000 
BVerfiegelte den Grund der Bürgerfchaft des neuen Zerufalems, 
folglich die Braut des Lamms in ihrer Jugend ausmachen? 

Die Verfieglung felbft gefchahe bald nach dem Sturz des 
Heidenthums; und da wir num einmal gefunden haben, daß 
fi) ein großer Theil der zehn Stämme Sfraeld in der Euro» 
päijchen Chriftenheit, und zwar in den füdlichen Theilen 
derfelben, befindet, fo ift nichts gewiffer, als daß unter den 
Dorfahren der’ Gemeine zu Thyatira ein Theil der 144,000 
Verfiegelten, für welche der weftliche Engel feinen Wind zuͤ⸗ 
gelte, gefucht und gefunden werden koͤnnen. Der ndrölihe 
Engel zahmte feinen Sturmwind für die Wallachei, Moldau 
und: Zrazien, bis auch! hier ein anderer Theil der Erftlingss 
bürger des Serufalems, das droben ift, angeworben worden; 
der oͤſtliche Windebändiger forgte für das nördliche Perfien, 
fo weit. fich die Chriſtenheit erſtreckte, Affyrien, ‚Mefopodas 
mien, Syrien, Palaͤſtina und Kleinaſien, bis aud) da die 
BVerfiegelung vollendet war; und der füdliche Engel hielt die 
Strafgerichte aus Arabien, Egypten und Afrika zuruͤck; denn 
dort befanden fich allenthalben Juden, die nun —R und 
der hohen Verſieglung fähig waren. 

"Damit warınum der Grund zum Fünftigen — Keich 
gelegt; die Braut des. Lanıms angeworben; im 12ten Kapi⸗ 
tel finden wir fie in einer ganz andern Geftalt wieder, wo 
denn auch ihr ferneres Schickſal näher beftimmt wird. 

Bei der Verfieglung aus den zwölf Stämmen * Pi 
nun nod) folgende Stüde zu bemerken: | 

1) Es ift merfwüärdig, daß hier der Stamm Juda voran⸗ 
geht, und Benjamin den Beſchluß macht, da ſonſt Ruben 
der aͤlteſte Sohn Jakobs war; dieß kommt daher, weil Juda 
der Stamm iſt, der die Geſchlechtslinie des Erldfers enthält, 
und alfo mit Recht ald die Familie Chrifti den erſten Rang 
hat. Benjamin macht den Befchluß, weil er unter den zwölf 
Patriarchen der jüngfte ift, indeffen da Zuda und Benjamin 


Kap, 7. V. 4. bis 8, a ; 


fo mit einander vermifcht find, daß Fein Zude mehr wird 
fagen Fünnen, ob er von Juda oder Benjamin herftanıme, fo 
daß, wen Zuda den Anfang und Benjamin dus Ende von 
einem Umkreis macht, beide in einander übergehen. Dann 
verdient auch Juda den Rang vor allen andern, weil er mit 
feinem Bruder Benjamin, feit der Zerftdrung Jerufalems, 
Zleichſam der Repräfentant des ganzen Volks Iſraels ift, und 
ganz allein den Jammer der göttlichen Ungnade trägt, wähe 
rend dem feine zehn Brüder mit den andern Nationen vers 
mifcht find, und nichts leiden. - Auch das ift ehrwürdig an 
ihm, daß er mit’ unbefchreiblicher Treue am väterlichen Ge— 
fe und der Religion feiner Vorfahren hängt, während dem 
feine zehen Brüder die Erfenntniß des wahren Gottes lang 
- verloren haben, auffer den verlornen Schaafen, die Chriftus, 
beſonders auch in diefer Verfieglung, zu feiner Heerde ges 
bracht hat. 

Aber wenn auch Juda und Benjamin einmal zu einander 
fagen werden : Das alles haben wir an unferm Bruder Chris 
fius verfchulders komm, wir wollen zu Ihm gehen, und 
Ihn um’ Gnade’ bitten — dann wird Er fie mit göttlichen 
Erbarmen aufnehmen, und fagen: Jetzt foll nun mein Blut 
in einem andern’ Verftand über euch und eure Kinder foms 
men, und daun wird Juda —* unſer erſtgeborner Brus 
der werden. 

0) In der politiſchen Ordnung der zwölf Staͤmme Iſraels 
wurde Levi immer ausgelaſſen, weil dieſer Stamm dem Prie⸗ 
fterthum gewidniet war, und Feine dfonomifche Eriftenz im 
Lande Kanaan hatte; damit aber doc) die Zahl zwölf immer 
voll bleiben möchte, fo theilte man den Stamm Joſeph in 
zween, Ephraim’ und Manaffe, Hier aber, wo vom levitiz- 
ſchen Gottesdienft und Priefertyum gar Feine Rede mehr 
feyn kann, hier hat Levi gleichen Rang und Antheil am dem’ 
Bürgerrecht des neuen Serufalems mir feinen Brüdern. 

5) Ephraims Name ift ganz ausgelaffen, und der Name 
Joſeph an die Stelle gefeßt worden ;' vermuthfich deswegen, 
weil fi) Ephraim, als der Hauptſtamm des Königreichs 
Iſrael, fehr Schlecht auffuͤhrte, und daher ſein Name vor dem 
Stillings ſaͤmmtl. Schriften. III. Band. 11 


162 Erklärung ber Offenbarung Johannis, 


Herrn ftinfend geworden war; immer macht der Name Joſeph 
einen beſſern Eindruck, als der Name Ephraim. Und | 
4) Der Stamm Dan ift ganz auögelaffen; — Levi füllt 
bier feinen Plaß aus; vielleicht auch der halbe Stamm Manaffe, 
der dieffeitd dem Sordan, im Lande Kanaan wohnte. Das 
ift hartd — der Stamm Ephraim ift doch da, er hat nur 
Joſephs Namen angenommen; aber der ganze Staium Dan 
iſt verſchwunden. Die wahre Urfache liegt gewiß: in feiner 
Aufführung, welche der Erzvater Jakob auf feinen Todbette 
ſchon ahnete. Er fügte 1 Mof: 46. im 17ten Verfe: Dan 
wird eine Schlange am Wege feyn, eine Dtterfchlänge neben 
dern Fußpfad, die das Pferd in die Zerfe fticht, ſo daß fein 
Reiter herunterfaͤllt. Ein fchredliches aber fehr treffendes 
Gemälde eines verrätherifchen Böfewichts! Schon 5: Moſ. 24. 
V. 10/ und 11 zeigt fich die Bosheit eined Daniten, aber 
Nicht: 18: finden wir den wahren Grund des gänzlichen Aus⸗ 
ſchluſſes dieſes Stammes von der Bürgerfchaft des neuen 
Serufalems; Die Daniten hatten noch immer ihr Erbtheil 
nicht in Befiß genommen, als die übrigen Stämme ſchon 
ziemlich in Ruhe waren; endlich field ihnen ein, doch num 
auc) zuzugreifen! auf diefen Zug Plünderten ‚fie die Hauss 
gottheit Micha, des Eyhraimiten, und fingen ſchon mit der 
Beſitzuehmung ihres Erbtheild die Abgötterei an, welche 
unter Jerobeam noch mehr zunahm, deffen egpptifcher Ochſe 
oder Apis in der Hauptftadt Dan verehrt wurde, und auch 
nicht eher dufhörte, bis diefer Stamm unter den zehn Stäms 
men mit weggeführt wurde, Indeſſen gibt doch Ezechiel im 
48ſten Kapitel feiner Weiffagung dem Stamm Dan ein Erbe 
theil, folglich) wird er auch von der Bürgerfchaftdes neuen: 
Jeruſalems nicht ganz ausgefchloffen, fonderm ‚feine: geringe 
Zahl, die Feine zwölf taufend Verfiegelte ausmacht, iſt unter 
den andern Stämmen verſteckt. Aber ald Stamm ift er ganz 
ausgeſchloſſen. 


9. Nach dieſem ſahe ich, und ſiehe! eine große Schaar, 
die niemand zählen konnte, aus allen Nationen, 
Stämmen, Völkern und Sprachen, welche vor dem, 


Kap BI bi. 163 


Thron und vor dem Lamm ſtund, mit weißen Nds 
cken bekleidet war, und Palmen in den Händen hatte. 


10. Und fie. fehrien mit großer Stimme, und ſprachen: 
Das Heil ſey unferm Gott, der auf dem Thron fist, 
und dem Lamin! | 


11. Und alle Engel ftunden rings um den Thron, um 
die Aelteften und um die vier lebendigen Weſen; 
und fie fielen vor dem Thron auf ihr. Angefi hhte nie⸗ 
der, beteten Gott an, | 

12. Und fprah: Amen! Die Lobpreifung und die Herrs 
lichkeit, und die Weisheit, und die Dankffagung, und 
die Ehre, und die Macht und die Stärke fey unferm 
Gott, in die ewige Ewigkeiten, Amen! 


Nachdem nun alles vorgeftellt ift, was zu den ſechs Sie⸗ 
geln, zum Sieg uͤber das Heidenthum gehoͤrt, und auch fuͤr 
den Schutz der Erſtgebornen, durch die Verſiegelung, gegen 
die Gerichte des ſiebenten Siegels geſorgt iſt, ſo macht nun 
der Triumph der Auserwaͤhlten wegen jenes Sieges, wie im: 
mer den Schluß. 

Die große, unzählbare Schaar, aus allen Nationen, Stäms 
men, Völfern und Sprachen, befteht aus allen Erlösten des 
Herrn, die vom Antritt feines Lehramts an durch Ihn, feine 
Apoftel und alle treue Sefandte zu feinem Reich angeworben 
worden. Die Blutzeugen aber find nicht dabeiz denn diefe 
befinden fich unter dem Altare, Kap. 6. V. 9. Diefe Schaar 
fteht nun vor dem Thron und vor dem Lammz ſie iſt zum 
großen Ziel ihrer mühfeligen Laufbahn gefommen, fie. hat 
überwunden; darum tragen fie auch num die weißen Kleider, 
die Uniform des himmlifchen Hofs; fie haben das hochzeit— 
lihe Kleid an; die Palmen in den Händen find Die Zeichen 
ihres Siegs und hohen Zriumphs. 

Dabei bleibts aber nicht, fondern das ganze Heer legt auch 
nun das einmüthige Bekenntniß ab, daß feinem unter ihnen 
die Ehre ihrer Ueberwindung zufomme, fondern fie alle hätten 
ihre Errettung, ihr Heil ganz allein ihrem Gott, dem auf 
dem Thron figenden Jehovah und dem Lamm zu verdanken, 

11 * 


164 Grflärung der Offenbarung Johannis. 


Diefe Gefinnung iſt der Geift des Reichs Gottes, ohne wel: 
chen niemand. vor dem Thron des Allherrfchers erfcheinen 
kann; ſo wie Selbftfucht-der Geift der, Hölle ift. Gott und 
Chriſto allein die Ehre! iſt die Lofung des Himmels; wer die 
uicht von Herzen fagen kann, der gehört nicht dahin. 

Die Engel find dienftbare Geifter, ausgefandt zum Dienft, 
um derer willen, die die Geligfeit ererben follen. Hebr. 1. 
V. 14. Hier ift nun eine unzählbare Schaar, welcher auch 
eine unzählbare Menge Engel zum Schuß und zu Führern 
in ihren mannigfaltigen Leiden gedient hat! folglich ift auch 
billig, daß fie hier, Bei der erften großen Bewillfommnungse 
audienz, zugegen find, und über den wohlgelungenen Ausgang 
der Sache, Dem, der auf dem Thron fit, und dem Lamm 
ihre Ehrfurcht bezeigen; fie fallen nieder auf ihr Angeficht 
und beten Gott an. mc 

Bei diefer Anbetung iſt das Erfte, Voß fie jenes allgemeine 
Bekenntniß ber feligen Menfchenfchaar, daß alles Heil Gott 
und. dem Lamm zuzufchreiben fey, durch ein feierliches Amen 
verfiegeln, dieß koͤnnen fie aus Erfahrung thun; denn fie was 
ven ja Begleiter diefer Menjchen in ihrem Leben, und fie 
wiſſen alſo, wie wenig der Menfh vermag. "Darauf folgt 
dann: wieder der fiebenfache Preisruf, den auch das Lamm 
empfing, als es die Entfieglung des Buchs übernahm. Kap. 5. 
V. 12. Man fieht alfo hieraus, daß die Himmelsbewohner 
Gott und Chrifto: gleiche Ehre erzeigen, und daß der fiebene 
flammigte Geiſt überall mit thätig ift. Auch dieß wird mit 
einem Amen verfiegelt. 


25. Und einer aus den Melteften antwortete und ac 
zu mir: Diefe, die mit den weißen Rocken bekleidet 
find, wer find fie? und woher find fie Eommen? 

14. Und ich fagte zu ihm: Mein Herr! du weißt es. 
Und er ſprach zu mir: Dieß ſind diejenigen, die aus 
der großen Trübſal gekommen ſind, und ihre Rocke 
im Blut des Lamms gewaſchen und gebleicht haben. 


Der erhabene Seher Johannis wünfchte vermuthlich 4 
wiſſen, aus was für Leuten dieſe ſelige Menſchenſchaar be⸗ 


Kap. 7.8, 13. bis 17. 165. 


fiinde? — Einer aus den Aelteften, bie ihm nahe waren, 
. abemerfte das, und beantwortete ſeine Sehnſucht mit der 
Frage: Weißt du auch, wer diefe felige Menſchen find, und 
woher fie fommen? — Er verfegte darauf mir Ehrfurcht: 
Nein, mein Herr! aber du weißt es vielleicht, und kannſt 
‚mich darüber belehren. Dieß gefchah denn auch’ Dieß find 
‚diejenigen, ſprach der Neltefte, die in dem großen Kampf des 
Chriſtenthums gegen: das Heidenthum treulicy vausgehalten 
haben, und bewährt erfunden worden; daß ihre Roͤcke ſo weiß, 
ſo reinlich find, das formt daher, fie haben fie mit dem Blut 
des Lamms gewafchen und ‚gebleicht. 

Es iſt überaus merkwürdig, daß diefe hohe Offenbarung, 
bei allem hohen Schwung der Begeifterung,, doch ſo ganz 
genau die chriſtliche evangelifche Heilölehre lehrt und beobach⸗ 
‚tet, ſie uͤbertreibt nichts), läßt nichts aus, und>bringt aud) 
nichts Fremides hinein; die Erlöfung durchs Leiden und Ster⸗ 
ben Chrifti ift hier; wie überall‘ im neuen Teftament, der 
Grund aller Seligfeit. 

Im Blute ded Lammes feine Kleider wafchen und bleichen, 
iſt ein bildlicher Ausdrud, welder nichts mehr und nichts 
weniger, bedeutet, ald daß der durch Leiden und Sterben 
vollkommen gemachte Geift Jeſu Chrifti alles in und wirken 
muͤſſe, was vor Gott gelten foll; dieſen müffen wir uns durch 
Glauben, Lieben, Wachen und Beten erwerben, Daß: unfere 
ganze. Wirkfamkeit,; die ja dem geiftigen Menfchen feine 
ganze Geſtalt gibt, unter dem Bild eines Kleides vosgefielt 
wird, iſt ſehr treffend und bedeutend. 


15, Um deswillen find fie vor dem Thron Gottes, und 
"dienen Ihm Tag und Nacht in feinen Tempel, und 
der auf dem Thron ſitzt, wird fein Zelt über ihnen 
& auffhlagen, 
16. ‚Sie werden fernerhin weder ‚Hunger noch Dürft leiden, 
weder Sonne noch irgend eine Hitze wird fie, drücken. 
47. Denn das Lamm über der Mitten des Throns wird 
ſie weiden, and zu. dem lebendigen Wafferquellen leiten, 
‚and Öott wird jede Thräne aus ihren Augen wiſchen. 


166 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Darum, weil fie, fpricht der Aeltefte ferner, fich die Er: 
loͤſuug Jeſu Chriſti recht zu nuße gemacht haben, und nicht - 
mit ihrem. eigenen befudelten und befchmußten Gerechtigfeits: 
rock gefommen find, fondern fi) vom Geifte der Erldfung 
haben bewirken und heiligen laffen, darum find fie nun vor 
dem: Throne Gottes, Freunde der nähern Zulaffung; mit 
dieſem Kleide find fie nun Kandidaten des ewigen Priefters 
thums geworden; von nun an dienen fie Zag und Nacht 
Gott.in feinem Tempel, Worin diefer Dienft. beftehe, das 
werden wir zu feiner Zeit erfahren — Gott helfe und dazu)! 

Die übrigen Bilder im L6ten und 17ten Vers: find alle 
aus dem alten Zeftament genommen: Daß der Herr ein 
Zelt uͤber ſie auffchlagen wird, finden wir Pſ. 91. B. 1. und 
Jeſe 4. V. 55 6. Daß fie: weder hungern noch dürften, we⸗ 
der, Hige noch Sonne drücken foll, ift genommen aus Pſ. 121. 
B. 6:0 und vorzüglich aus Jeſ. 49. V. 10. Das ‚Weiden 
und Leiten zu: lebendigen Wafjerquellen fteht Pi. 25. V. 1. 2. 
und ef. 49. V. 10. und das Abwifchen der Thränen vers 
ſpricht auch Jeſaias Kap. 25. V. 8. Man fieht überall, 
daß Jeſus Chriſtus in diefem legten Buch der Heiligen Schrift 
das alte Zeftament, Mofen und die Propheten noch einmal 
recht: befraftigen, vollends ganz erfüllen, und feinem’ ganzen 
Evangelio zum Grund legen will; darum laßt es uns ja 
nicht: gering ſchaͤtzen, fondern ebenfalls die erften Quellen 


aller Erkenntniß Gottes, Chrifti und unfrer ganzen Heilds 


lehre darinnen auffuchen. Suchet in den Schriften des al⸗ 
ten Bundes; denn fie finds, die von mir zeugen, fagt Chris 
ftus Joh. 5. V. 39 

Alle dieſe Bilder haben nun den Zweck, der ſeligen Schaar, 
die aus großen Truͤbſalen kommt, und alle Leiden erduldet 
hat, vollkommene Sicherheit und die allervollſtaͤndigſte Er⸗ 
quickung zu gewähren; von nun an haben dieſe Erlösten 
des Herrn ganz und gar nichts mehr zu fürchten, fondern 
die ewige Seligkeit macht fie alles Leid vergeffen. 

Set find wir nun mit den ſechs erften Siegeln ganz fer⸗ 
tig; aber das allerwichtigfte fiebente Siegel ift noch übrig. 





Da achte Kapitel, 


4 Und als 4 das fiebeute Siegel eröffnete, entflund ein. 
Stillfchweigen im Himmel, etwa einer halben Stunde 

lang. 

2. Und ich ſahe die ſieben Engel, welche vor Gott — 
und es wurden ihnen fieben Pofaunen gegeben. 


Das fiebente Siegel enthält die Kämpfe, Gerichte und 
Siegel unfers Herrn Jeſu Chrifti über die beiden ausgeartes 
ten Kirchen, die morgenländifche Griechifche und die abends 
laͤndiſche Römifche, die Proteftantifche nicht ausgefchloffen, 
in fo fern fie zum Laodicen geworden ift. Diefe Kämpfe 
werden durch Kriegähdrner ,. Arietinen, oder Widderhdrner, 
welche Kriegs⸗ und Siegswerkzeuge find, angekündigt. Die 
fechs erften Pofaunen fündigen die verfchiedenen Kämpfe ges 
gen die morgenländifche griechifhe Kirche, und ihren endlis 
den Umfturz an, wobei doch noch Hoffnung einer endlichen 
Rettung übrig bleibt; die fiebente Pofaune aber macht durch 
ihre fieben Sornfchälen der abendländifchen Chriftenheit und 
allem MWiderftand ein Ende ; darauf folgt das herrliche Reich 
Chrifti, und endlich die ewige Seligkeit, wodurch dann die 
Periode des gefallenen Sefchlechts Adams ein Ende hat. 

Dur) die Verfieglung der 144,000 Ssfraeliten war num 
für die Saamen- und Pflanzfchule des Reichs Gottes geforgt; 
an diefe fchloßen fi) nun immer, bis auf unfre Zeiten die 
Getreuen des Herrn an; und dieß Anfchließen aller From⸗ 
men wird fortdauern bis zur Vollendung. 

Der Anfang des neuen großen Schaufpield begann mit der 
‚Erbrechung des fiebenten Siegels durch das Lamm; fo wie 
dieß gefchah, bemerkte Fohannes ein allgemeines Stillfchweis 
gen im Himmel: Bisher hatte das Heilig, Heilig, Heilig, 
der vier lebendigen Wefen und das Lobgetöne aller Hims 
melsbewohner gar nicht aufgehört, aber jeßt fchwieg alles; 
alles harrte und wartete, was nun zum Vorfchein Pair 


168 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


würde; denn jedermann vermuthete mit Recht, daß dieſes 
allerwichtigfte fiebente Siegel über alles den Auffchluß ge- 
ben würde. Es kam dem erhabenen Seher fo vor, als wenn 
dieſes Schweigen)erwa eine halbe Stunde gewährt hätte. 
Nach der Benglifchen Zeitrechnung. beträgt eine halbe Stunde 
vier Tage, zwo Stunden und zehn Minuten, Es kaun 
wohl ſeyn daß hernach in der Ausführung ein wirkliches 
Schweigen im Himmel vorgegangen iſt, und auch ſo lange 
gedauert hat; allein daruͤber laͤßt ſich aus der Geſchichte kein 
Beweis fuͤhren. Dieß iſt aber auch nicht noͤthig; fuͤr uns 
iſt es hinlaͤnglich, wenn wir nur bemerken, daß die Erbre⸗ 
chung des ſiebenten Siegels wegen ſeiner großen Wichtig⸗ 
Feit, ein, ‚allgemeines Erwarten im, Himmel erregt, , und ‚alle 
feine, ‚Bewohner, fo damit erfüllt habe, daß fie eine kurze 
‚Zeit, lange .alle ihre Befchäftigungen vergaßen. 

Das erſte, was auf die Eroͤffnung des ſiebenten Siegels 
‚erfolgte, war, daß die fieben Engel, welche vor Gott fieben, 
ſieben Poſaunen empfingen; ſie wurden vermuthlich aus dem 
‚Zempel geholt, und ihnen überreicht. | 
Die alten Hebraͤer glaubten, daß beſtaͤndig fieben. Engel vos 
‚nem Herrn ſtuͤnden, welche als Boten gebraucht würden, | um 
feine Befehle, ‚auszurichten ; man nannte ſi ſie ‚Erzengel, Zob. 
12. V. 16. Daß dieſer Glaube, gegruͤndet war, wird hier 
bewieſen, denn es heißt ausdruͤcklich: Und ich ſahe die ſieben 
Engel, welche vor Gott ſtehen, und es wurden ihnen ſieben 
Poſaunen gegeben. Dann. erzählte Johannes weiter. | 
3. Und ein, anderer Engel ‚welcher eine goldene Rauch⸗ 

vfaune.batte, kam, und ſtellte ſich an den Rauchal⸗ 

tar. Und es wurde ihm viel Rauchpulver ‚gegeben, 
damit er es bei den Gebeten aller Heiligen auf dem 
goldenen, Altar vor dem Thron Gottes opfern mbchte. 
4. Und. der Dampf des Rauchwerks ſtieg mit den Gebeten 
des Heiligen, aus der. Hand des Engels zu Gott hinauf, 
5. Und der. ‚Engel nahm die Nauchpfanne und füllete ſie 
mit dem Feuer vom Altar. und. warf es auf die 

Erde. Und es entftunden- MORE und. ee v np 

zung, und Erdbeben, | “ 


9 = 
7 % 


Aimud Kap. 8. V— 5. bis —öII 469 


Ich habe oben, vor der Erbrechung der ſieben Siegel der 
bangen Erwartungen aller Frommen gedacht „. wie ſie ſich 
nach dem, Aufſchluß des Geheimniſſes, ob denn das Chriſten⸗ 
thum nicht endlich, uͤber das Heidenthum ſiegen wuͤrde ? ge⸗ 
ſehnt hätten, Hier, finden, wir, etwas ähnliches is. Alle Heis 
ligen, ‚Am, Himmel, und. auf, Erden, bemerften abermal das 
fonredliche,, Steigen, der. Macht der. Finfterniß ‚in der Chri— 
ſtenheit ſelbſt; Daher entſtand nun ein allgemeines Flehen 
zu Gott, um Hilfe; aber der Herr erhoͤret, ehe fie ſchreien, 
and Er antwortet, ehe fie, rufen; denn die ſieben Engel 
ſtehen ſchon da, und ruͤſten ſich zum Poſaunen. 
Das Naucbopfer des Engels iſt hier ſehr merlwuͤrdig da⸗ 
sum befchreibt ‚es; Johaunes auch fo ausführlichs) Denn dieſe 
prieſterliche Funktion ſoll vorſtellen, was geſchehen muͤſſe, 
weun die Gebete der Heiligen Gott angenehm ſeyn, und er⸗ 
hoͤrt werden ſollen. Das Beten, auch das Beten der Heis 
digen „., iſt noch bei weitem zur Erhoͤrung nicht genug — 
neiu! das himmliſche Rauchpulver muß noch dazu kommen, 
durchs Feuer in Dampf verwandelt werden, und dann muß 
dieſer angenehme Geruch zu, Gott hinauf ſteigen· v- 
Aber, was iſt denn nun dieß. himmliſche Rauchpulver 2, und 
worqus heſteht es Die Antwort „hierauf koͤnnen wir 
leicht finden, wenn wir, ung. erinneun „e was eigentlich, zu ei⸗ 
nem ‚Gebet gehoͤre, das yon, Gott erhört,, werden, fol; dazu 
wird erfordert: Eine gaͤmuche Ergebung in Gottes Willen; 
eine innere Auregung des, heiligen. Geiſtes zu einem: Findlis 
ben, zutiauenövollen und ernſtlichen Gebet um die verlangte 
Sache; ein reiner und vollkommener Glaube an die Allmacht 
und Vaterliebe Gottes in; Jeſu Chriſto; das Zeugniß der 
Kindſchaft, und, daß man. mit dem Vater durch Chriſtum 
verſoͤhnt ſey; und endlich, Fruͤchte der Gerechtigkeit, des 
Glaubens durch die Wirkungen der Gottes: und Menſchen⸗ 
liebe; wenn dieß alles unſer Gebet begleitet, ſo nimmt es 
‚ein, Prieſtereugel als ein wohlriechendes Rauchwerk, bringt 
es guf den goldenen, Rauchaltar und zuͤndet es im heiligen 
Feuer der, göttlichen Liebe - ‚des. Erlöfers an, und. ‚fo ſteigt 
Data ·dieſer angenehme Geruch zu Gott empor; — Ihm 


4170 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


gefänt dieß Opfer, und Er erfüllt dann gerne, was wir von 
ihm begehren. 

Etwas beſonders geſchieht aber noch mit bieſenn Ya 
opfer: Johannes fieht ferner, daß der Prieſterengel die 
Rauhpfanne nimmt, fie mit dem Feuer vom Altar anfällt, 
und ed dann auf die Erde hinwirft, wodurch metkwuͤrdige 
Naturerſcheinungen, Donner, Blitze, Toͤne und Erdbeben 
erzeugt werden. | — 
Aus der Geſchichte iſt bekannt, daß vor großen und merk⸗ 
wuͤrdigen Gerichten gemeiniglich ungewoͤhnliche Naturer⸗ 
ſcheinungen, als Vorboten ſolcher Gerichte, vorhergehen. 

Freilich darf man ſo etwas heut zu Tage vor der Welt 
nicht laut ſagen, wenn man nicht ausgehoͤhut werden will; 
aber es iſt nichts defto weniger doch wahr, man lefe nur alte 
und neue Gefchichtfchreiber, ſowohl heidniſche als jüdische 
und- chriftliche, fo wird man diefe Behauptung wahr finden, 
Indeſſen wurde von jeher viel Aberglaube mit diefer Vor⸗ 
ſtellung verbunden, und man legte ungewöhnlichen Naturers 
ſcheinungen Zu viel Bedeutendes bei, daher muß man auch 
hier den Mittelweg gehen, und auf Fein Extrem verfallen. 
Wenn man alfo hier annimmt, daß durch ſolche ungewoͤhn⸗ 
liche Naturwirfungen damals, als die "göttlichen Gerichte 
über das griechiſche Reich vorbereitet wurden, den betenden 
Heiligen auf Erden ein Winf gegeben worden, daß ihr Ges 
bet erhört fey, fo irrt man nicht; immer Ehnnen ſolche Vor⸗ 
boten denen, die den Herin fürchten, und feiner Huͤlfe hars 
ren, Winfe geben, daß etwas Merfwürdiges zum Beften 
des Reichs Gottes gefchehen werde, damit fie fi) darnach 
richten, ſich mit Beten und Wachen naher zu Gott halten, 
und ſich auch untereinander naͤher aneinander anſchließen koͤnnen. 


6. Und die ſieben Engel mit den ſieben Poſaunen hatten 
fich zu blaſen gerüftet. 


7. Und der erfte blies die Pofaune, und es entftund Hagel 
und Feuer in Blut gemifcht, welche auf die Erde geworfen 
wurden, und das dritte Theil der Erde, das dritte 
heil der Bäume und alles grüne Gras verbrannte, 


" Kap. 8. V. 6697. ) m 


Zum Anbrucy. der Gerichte Gottes uͤber den Orient war 

nun alles bereit,. 

Den vier Windebändigern war befohlen worden, ſie ſollten 
die Stürme einhalten, bis die Knechte Gottes verſiegelt Waͤ⸗ 
ven, damit fie nicht während der Zeit die Erde, das Meer 
und die Bäume beſchaͤdigen, und alfo jene Verſieglung ftds 
ven möchten; fie hatten gehorcht. Nun aber, als dieß Ges 
ſchaͤft geendigt war, umd ihnen mir der erſten Poſaune dad 
Zeichen gegeben wurde, fo ließ ſchon einer feinen Sturm⸗ 
wind loß, unddiefer führte ein Hagelwerter, welches mit 
‚Feuers und Blurregen vermifcht war, über die Erde, wos 
durch dann ein Drittel’ diefer Erde, ein Drittel der Bäume 


und alles grüne Gras verbrannt wurde. 


Wenn wir die Bedeutung diefes'prophetifchen Bildes der 
erften Pofaune genau treffen wollen, fo müffen wir die Res 
gel wohl beobachten, die ich’ oben ſchon bemerkt habe, nem⸗ 
lich: Keine, auch die merfwärdigfte, und übrigens auf dieß 
Bild paſſende Geſchichte darf darunter. verflanden werden, 
wenn: fie, nicht dem morgenläudifchen Kaiferthum zu Kons 
fantinopel und damit verbundenen griechifchen Kirche. einen 
folchen Abbruch thut, wodurdy fie ihrem Umſturz näher kommt; 
folglich dürfen wir weder an ein Gericht über die Juden 
(denn die waren gerichtet, ehe Johannes die Offenbarung 
empfing) noch über die Heiden denken , weil ja das fechöte 
Siegel unwiderruflich über fie entfchieden hatz und da es 
jegt noch Feine Muhamedaner gab, fo kann auch fie diefe 
erfte Pofaune nichts angehen, Pe fie: muß allein die 
Ehriften treffen. 

Ich habe oben den Anfang des Falls des Heidenthums 
unter Konſtantin den Großen geſetzt, und zwar mit Recht, 
weil dieſer Kaiſer die chriſtliche Religion annahm, und fie 
dadurch herrfchend wurde; das Ende der Vielgötterei aber 
fchrieb ich Karl dem Großen zu, weil diefer auch im Occi⸗ 
dent derfelben den legten Stoß gab; indeſſen laßt ſich doch 
ein mittlerer Termin feftfegen, in welchem das Heidenthum 
geiegmäßig verboten wurde, und diefes gefchahe unter Theos 
dofius dem Großen, gerade am Ende des vierten und im 


173 Erklärung. ders Offenbarung Johannis. 


Anfang des: fünften Jahrhunderts. Von Rouſtantin dem 
Großen, das ift, vom Anfang des vierten Jahrhunderts am, 
bis an die Zeit, wo Karl der. Große Kaifer in den Abend⸗ 
Jändern wurde, nemlich im Anfang des neunten" Jahrhun⸗ 
derts, nimmt alfo die Vertilgung des Heidenthumssin den 
‚gegenwärtigen Provinzen des ehemaligen roͤmiſchen Reichs 
beinahe 500 Jahre sein; in dieſe Zeit: fällt, num auch die 
erſte Pofaune, und da wir auch die Zeit wiſſen, in welcher 
Theodoſius der Große das Heidenthum geſetzmäßig verbot, 
nemlich im Anfang deso fünften Jahrhuuderts, ſo koͤnnen 
wir auch fuͤr gewiß feſtſetzen, daß die Gerichte,/ welche die 
erſte Poſaune ankuͤndigte, nemlich das große — 
um dieſe Zeit feinem Aufang genommen habe 
Keine Weiſſagung kann genauer zutreffen, als dieſe, und 
Hein Bild; pafjender und nachdruͤcklicher ſeyn, als eben jenes 
Hagelwetter; denn gerad um die Zeit uͤberfielen die Gothen, 
Hunnen und andere Scythiſche und Nordiſche Voͤlkerhorden 
das roͤmiſche Reich, und zwar vorzuͤglich die gegen Abend 
liegende: Provinzen deſſelben; ihr Anfall; ihre: allgemeine 
Derheerung, beſonders unter dem Hunnenfonig Attila, konnte 
nicht treffender: worgeftellt werden, :ald durch ein mit Feuers. 
und Blutregen gemifchtes Hagelwetter, welches Bäume und 
Garn und ſogar den ‚Boden zu Grund» richtete. 7 ı 
Man leſe nur bei Gibbon:die- ausführliche, Befchreibung 
Biefer. ſchrecklichen Zeiten, fo wird. man vollkommen übers 
zeugt «werden, daß jene Ueberfaͤlle die. Gerichte find, * 
durch die, erſte Poſaune angekuͤndigt worden. 
Dieſe barbariſchen Voͤller nun entriſſen nach und * 
dem Kaiſerthum alle Abendlaͤnder, und die Gothen und Lon⸗ 
gobarden richteten ſogar einige Koͤnigreiche in Italien auf; 
kurz der dritte Theil der ganzen roͤmiſchen Monarchie, alle 
occidentaliſchen Laͤnder gingen fuͤr die griechiſchen Kaiſer zu 
Konſtantinopel und ihre — eng u — 
auf immer verloren. 
I Unter‘ der Erde verſteht man am: füglichften: die Händen, 
welche zum roͤmiſchen Reich‘ gehören; die Bäume find die 
Bilder der Nahrung für die Menfchen, fo wie das Gras 


4 


Kap. 8. V. 8. 9. 173 


für das Vieh. ! Doch bedeuten die Bäume aud) zu Zeiten 

im ‚prophetifchen Sinn die vornehmern Stände, und Grad 
und Kräuter das gemeine Volk u. f. w. welche Bedeutung 
nun jedesmal gewählt werden müffe, das muß und kann 
der Zuſammenhaug zeigen. Hier kaun jede dieſer — ur 
gen ſtatt findenz alle paſſen hieher. 

Dieß war alſo der erſte Schlag, der die ausartende Chri⸗ 
ſtenheit traf, und die Macht der in Ueppigkeit ſchwelgenden 
orientaliſchen Kaiſer ſchwaͤchte; er kam aus Norden her, 
der losgelaſſene Sturmwind fuͤhrte dieß Gewitter aus den 
mitternaͤchtigen Laͤudern gegen Abend, wo es jene verheerende 
Wirkungen ausrichtete. 


8. Und der zweite Engel bließ die Pofanne, und e8 wurde 
etwas, glei einem großen, im. Feuer brennenden 
Berg, ins Meer geworfen, und, der dritte Theil des 
Meers ward Blut. 


9. Und der dritte Theil der Geſchopfe, die im Meer dag 
‚Leben haben, ftarb, und der. dritte Theil der Schiffe 
wurde zu Grund gerichtet. 


Zur rdmiſchen Monarchie gehoͤrte auch der geöfte Theil 
der afrikanischen Kuͤſte, Egypten und die heutige Barbarei; 
Karthago war eine beträchtliche Handelsitadt, und von Afs 
rika aus beherrfchten die Kaifer das mittelländifche Meer 
und» die Handlung auf demjelben. Die Scytiſchen Voͤlker— 
horden hatten das europäifche Drittel des römifchen: Reichs‘ 
verheertz und fo wie ein Hagelwerter fruchtbare Staaten 
verderbt, fo wurden auch jene Staaten zertreten; hier kuͤn⸗ 

digt num auch. der; zweite ‚Engel mit feiner Pojaune das. 

Gericht Gottes. über das afrikaniſche Drittel an, und der: 
erhabene Seher fieht es unter dem Bild einer ‚großen feu— 
rigen Maffe, einem in Feuer und Flammen fiehenden Berg 
ähnlich, der ins Meer geworfen wird, wodurc dann der 
dritte Theil des Meers blutig, der dritte Theil der lebendi— 
gen Gefhöpfe in demfelben getoͤdet, und der dritte Theil 
der Schiffe zertruͤmmert wird. 

Keine Weiffagung kann abermal genauer erfuut en 


4174 Erklärung der Offenbarung Sohannis. 


als dieſe: Dem Apoftel Johannes war auf der Juſel Pat⸗ 
mos Afrika gegen Südweften, jenfeits dem Meer; wenn 
nun der brennende Berg Afrika treffen follte, fo konnte es 
ihm nicht anders vorfommen, :ald wenn er, ind Meer ges 
worfen würde; dazu Fam noch, daß die Wirkungen diefer 
Revolution vorzüglid die Schifffahrt des; römifchen Reichs 
und feine Herrfchaft über das Meer zerrütteten, wodurch 
dann dies Bild noch treffender wird. 

Der Kaifer Thevdofius zu Konftantinopel hatte das Neich 
unter feine Söhne getheilt, fo daß Arkadius im Drient, und 
Honorius im Occident herrfchen follte; er ftarb im Fahr 
595, gerad zu der Zeit, als der Völferhagel in Deutfchland 
recht am Toben war, und fich gegen Stalien hinzog. Hono: 
rius refidirte in Stalien zu Ravenna, und ftarb Anno 4235 
ein gewiffer Johann maßte fi) zwar der abendländifchen 
Kaiferfrone an, allein e8 gelang ihm nicht, fondern Valentin 
der Dritte wurde Kaifer im Occident; indeffen regierte. er 
nicht, fondern das überließ er feiner Mutter Placida, und 
genoß was er genießen Fonnte. Nun hatte er zween nam⸗ 
hafte Männer, große Kriegshelden in feinem Dienft, der 
eine hieß Aetius, und der andere Bonifazius; diefer letztere 
war im Anfang der Regierung Valentinianus in Afrika, wo 
alles wegen der Donatiften und innern Unruhe in Unordnung 
war; Aetius, der unterdeffen am Hof war, und von Neid 
gegen den Bonifazius brannte, bediente ſich aller hoͤlliſchen 
Kunftgriffe, theils um den Bonifazius in die Falle zu locken, 
theild ihn bei der Kaiferin Placida verhaßt zu madenz 
beides gelang ihm zum unerfeglichen Schaden des Reichs: 
denn er führte den Bonifazius fo irre, daß diefer den Koͤ— 
nig der Vandalen Genferich, der ‚gerade damals in Spanien 
gegen die Sueven Fämpfte, zu Hilfe rief. Diefer ließ fich 
das nicht zweimal fagen, er Fam mit feiner Armee von mehr 
ald 80,000 Mann, und fiel wie ein brennender Berg mit 
voller Kriegswuth in Afrifa ein, und das nicht ald Helfer 
und Netter der Römer, fondern als Würherich und barbaris 
fher Eroberer; er und feine Armee brannte im lichterloher 
Kriegöflamme, und fo Famen fie Anno 429 in Afrika an; 


„Kap 8. V. 10, 11. 175 
Genferih war ein ſchrecklicher Tyrann, und feine Truppen 
wilde Barbaren; des Ranbens, Mordens und Verheerens 
war. fein Ende; innerhalb zehn bis zwölf Jahren hatten fie 
das afrifanifche Drittel des römifchen Reichs erobert, und 
dafelbft. das Neich der. Vandalen geftifter. Nach hundert 
Jahren wurde zwar dieß Reich durch den berühmten Feld- 
heren Belifarius, des. Kaifers Juſtinians General, wieder 
zernichtet, und die Vandalen vertrieben, allein: nie kamen 
doc) die griechifchen Kaifer wieder in den ruhigen Beſitz 
diefer Provinzen, denn Empdrungen und Unruhen aller Art 
zerrütteten fie, bis fie endlich die Sarazenen eroberten, die 
fie noch bid auf den heutigen Tag in Beſitz haben. 

. Der Vandalen König Genferich mit feiner Armee war 
alfo. der brennende Berg, den der Sturmwind von MWeften 
‚her über das afrifanifche Drittel des römischen Reich hins 
wehte, wodurd dann Blut genug vergoffen wurde, um das 
Meer zu färben, auc die Menfchen, die auf der See in 
den Schiffen Nahrung trieben, getödtet und mit ihren Schifs 
fen zerträmmert wurden, Jetzt war alfo nur noch das oriens 
talifche Drittel des römifchen Reich übrig; diefes war aber 
auch bei weitem das beträchtlichfte, und es waren noch vier 
Hauptftöße nöthig, um es ganz zu flürzen. 


10. Und der dritte Engel bließ die Poſaune und ein 
großer Stern, der wie eine Fackel brannte, fiel aus 
dem Himmel, und er fiel auf das dritte Theil der 
Ströme und auf die Wafferquellen. 

11. Und der Name des Sterns wird Abſinthus ges 
nannt, und der dritte Theil des Waffers wurde zu 
Wermuth, und viele Menfchen fturben von dem Wafs 
fer, weil es bitter worden war. 


Die Religionseinigkeit hält die Völker in einem brüders 
lichen Bande zufammenz; fo lange diefe dauert, koͤnnen auch 
politifche Trennungen ihre Verfaffungen nicht ganz zerruͤt⸗ 
ten; bis daher hatten zwar manche fogenannte Keßereien, 
vorzüglich aber der Arianismus, der Donatismus u. dgl. 
viel Unheil in der herrſchenden chriftlichen. Kirche geſtiftet, 


176 Erklaͤrung ber Offenbarung Johannis. 


auch mögen fie wohl zur Schmaͤhung des Reichs Vortberei⸗ 
tungsmittel geweſen ſeyn, allein ſie ie hatten doch weder der 
Kirche noch dem Staat Hauptftöße verfegt, daher ich auch 
den Arius ſo wenig als irgend einen Ketzer unter dem Fa— 
ckelſtern der dritten Pofaune verſteben kann. Die Trennung 
der Iateinifchen -Abendländifchen Kirche von der griechiſchen 
oder Morgenlaͤndiſchen aber, war ein toͤdtlicher Schlag fuͤr 
das griechiſche Kaiſerthum; dein dadurch wurden auch die 
abendländifchen Chriſten, die nun "zwar Feine Mitbürger 
mehr waren, "aber doch noch immer als chriſtliche Mitbrüs 
der betrachtet wurden, —* —— —* 
der Griechen. 

Die Haupturſache von bieſer ungluͤcklichen Trennung de 
fund eigentlich in dem Empordrang des römifchen Bifchofs, 
der nicht allein allgemeiner geiftlicher Regent, fondern auch 
Gebieter aller weltlichen Fürften zu werden trachtete. Da 
nun unter den Sternen, im prophetifchen Sinn, die Vorſte⸗ 
her der Religion, oder die vornehmften Beiftlichen verftans 
den werden, fo bedeutet auch hier der größe glänzende Fa 
elftern den römifchen Bifchof, der ſich vom griechifchen,' 
bisher allgemeinen Kirchenhimmel fosriß, auf die Erde fiel, 
das ift, die weltlichen Staaten in Befig nahm, und dann 
dadurch) im abendlandifchen Drittel alle, Stroͤme und Quels 
len, worunter. die chriftlide Glaubenslehre Yerfiannen, wird, 
verbitterte. 

Daß die Sterne jene — haben iſt ſchon oben 
bemerkt worden, und daß die Waſſer des Lebens die, evau⸗ 
gelifhe Wahrheit von Jeſu Chriſto vorftellen, bedarf feines 
Beweiſes: denn der Erlöfer bedient ‘fi. mehrmals, dieſes 
Bildes in dem Sinn; auch ſelbſt in dieſer Offenbarung kommt 
es weiter unten in dem nemlichen Verſtand vor. 

Jener Empordrang des roͤmiſchen Biſchofs begann ſchon 
fruͤhe, und wurde durch den Rangſtreit mit den Patriarchen 
zu Konftantinopel immer mehr angefacht und erhitzt. Der 
eigentliche Anfang des Falls dieſes Fackelſterns aber begann 
Anno 607 Als Bonifazius der Dritte vom griechiſchen Kaiz 
fer Phofas, der auch Rom beherrfcjte, gefegmäßig den Titel‘ 


Kap. 8 D 1 r 177 


und die Macht eines allgemeinen Biſchofs bekam. Bon 
nun an nahm die Anmaßung zu, fo daß fich, ſchon hundert 
Jahr fpäter, Pabft Konftantin der Erfte vom griechifcyen 
Kaifer Zuftinian dem Zweiten die Füße Eüßen ließ, bis 
endlich gegen dad Ende des achten Jahrhunderts die Päbite 
fhon große weltliche Fürften in Stalien waren, und alfo 
der große Stern num ganz auf der Erde lag. 

Der Name des Sterns hieß Abfinthus, fagt Johannes; 
dieß Wort bedeuter etwas fehr bitteres, und wird daher auch 
dem Wermuthfraut beigelegt; wie wahr wurde dad? Die 
Anmaßung der römischen Hierarchie machte die Waller des 
Lebens fo ungenießbar, fo bitter, daß mehrere Menfchen 
davon ftarben ; viele Getreuen des Herrn wurden durch die 
Bitterkeit des Pabftthums hingerichtet, und viele flarben 
auc) des ewigen Todes an der Birterfeit des Waſſers felbit. 

Sm folgenden neunten Kapitel, wo diefer gefallene Stern 
— dad Gericht der fünften Pofaune verurfacht, werden 
wir weiter von ihm reden. 


12. Und der britte Engel bließ die ine, und dag 
Drittel der Sonne, und das Drittel des Monds, 
und das Drittel der Sterne wurde geſchlagen, ſo 
daß ein Drittel von ihnen verfinftert wurde, und 
alfo auch der Tag fein Drittel nicht ſchien, R. pie 
hen auch die Nacht nicht, 


Sch habe fchon oben bei dem ſechsten Siegel erinnert, 
was unter Sonne, Mond und Sternen verflanden werden 
muͤſſe, und zugleich mehrere Stellen angeführt, welche meine 
Erklärung beweifen. Dem zu folge bedeutet alfo bier die 
Sonne die hriftlihe Religion, der Moud ftellt die Aufkläs 
rung oder die Vernunftweisheit vor, welche unter einen 
Volk wechfelt, d.i. ab⸗ oder zunimmt; und die Sterne bes 
deuten dann die Gelehrten, bejonders die Lehrer und Vor⸗ 
ſteher der Religion. 

Dieß ganze Bild bezeichnet die Wirkung der muhameda= 
niihen Religion auf die morgenläudifche Chriſtenheit. Der 


Stifter derfelben Muhamed, ein Araber, war fein in dffentz 
Stilling’s fämmtl. Schriften. Ill. Baud. 12 


1738 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


lichem Amt fkehender Lehrer, fondern ein Privatmann, da= 
ber kommt er hier auch nicht unter dem Bild eines Sterns 
vor; aber er warf fich felbft zum Religionsſtifter auf, und 
befehrte durch Feuer und Schwert. Er wurde im Fahr 596 
geboren, im Jahr 609 fing er in Mekka an zu predigen, 
im Jahr 692 Fündigte er denen, die. nicht feine Kehre Freie 
willig annahmen, den Krieg an, hatte unglaubliches * 
und ſtarb im Jahr 652. 

Obgleich die Revensart, das Drittel der Sonne, des Monde 
und der Sterne wurde gefchlagen, ein hebräifcher Ausdruck 
ift, der eine Sonnen = oder Mondsfinfterniß bedeutet, fo 
trifft er doch auch hier. buchftäblih zu; denn Muhamed 
ſchlug und befämpfte die Religion und Aufklärung ; und 
das mit folhem Gluͤck, dag nicht allein eim Drittel der 
morgenländifhen Chriftenheit dadurch verfinftert, und ein 
Drittel ihrer Lehrer außer Amt gefegt wurde, fonderit ganze 
heidnifche Nationen nahmen feine Lehre an. 

Es ift aber wohl zu bemerken, daß bier nicht die Kriege 
und Eroberungen der Türken gemeint find, wodurd) endlid) 
das griechifche chriftliche Reich ganz geftürzt wurde; denn 
dieß endliche Gericht gehört unter die fechste Pofaunez; fon: 
dern bier ift nur die Nede von der Wirfung der muhames 
danifchen Religion durch das Schwert der Sarazenen auf 
die morgenländifche Chriftenheit, welche die letztere dergeftalt 
ſchwaͤchte, daß dadurch der Umfturz des römifchen Reichs in 

Aſien um vieles erleichtert wurde. 

Diefe Erklärung des Gerichts der vierten Pofaune ift fo 
deutlich, fo treffend, und fo wenig einem Zweifel unterwors 
fen, daß ich nichts mehr hinzu zu feßen weiß. 

Diefen giftigen, tödtenden, Sonne, Mond und Sterne 
verdunfelnden Dampf, trieb der fünlihe Sturm über gang 
Afien, Afrika, und fogar auch nad) Spanien in Europa. 


15. Und ich fahe und hörte einen in der Mitte des Him⸗ 
mels fliegenden Adler, der mit großer Stimme ſprach: 
Weh! — Weh! — Beh! — denen die auf Erden 
wohnen, wegen der noch übrigen Pofaunentöne der 
drei Engel, die zukünftig noch Dlafen werden. 


Kap. 8 2. 15. 179 


Bor der Erbrechung der Siegel war ein großes Sehnen 
und Aengiten unter den Ehriften, nach Licht und Auffchluß 
des Geheimmniffes Gottes und Ehrifti. Siehe oben Kap. 5. 
DB. 4. Als dieß Geheimniß, ob das Chriftentyum oder das 
Heidenthum fiegen wiirde? durch die Eroͤffnung der vier erften 
Siegel nun entfchieden war, fo eutſtand wegen der neuen 
Macht der Finfterniß in der Ehriftenheit felbjt wieder neue 
Beforgniß, Kap. 6. V. 10. diefe wurde abermals beruhigt: 
Durchs fehste Siegel wurde das Heidenthum auf immer 
gerichtet, und beider Eröffnung des fiebenten Siegels wurde 
das Flehen aller Heiligen um Sieg und Errettung auf dem 
goldnen Raucyaltarıvor den Herrn gebracht und erhört, K. 8. 
V. 3. 4. Der Erfolg diefer Erhörung war, daß durch die 
vier erften Pofaunen die erfchredlich ausgeartete und tief ges 
ſunkene griechifche Kirche aufs aͤußerſte gefhwächt wurde, 
Aber nun entflunden dagegen zwo Mächte der Finfterniß, 
die beide der wahren Religion gleich gefährlich waren: Näms 
lid) im Orient der Muhamedismus, und im Dccident das 
Pabſtthum — jetzt ging aljo das Flehen und Jammern der 
Ehriften wieder an, und ihre traurige Ahnung wird hier durch 
den himmliſchen Ausrufer bekraͤftigt. | 

Db diefer Ausrufer ein Engel oder ein Adler gewefen, ift 
— aber auch einerlei. Einige Handſchriften haben 
bie erſte Leſeart, andere die letzte; ich folge dem ſel. Bengel, 
deffen Eritifche Kenntniffe allgemein auerfannt werden. 

Diefer Adler rief nun ein dreifaches Weh aus, welches 
diejenigen, die auf Erden wohnen, das ift, die Unterthanen 
des rbmifchen Reichs, in den Morgen: und Abendländern, 
treffen würde; das erfte füllte durch die fünfte Pofaune verur: 
facht werden, und aus dem Abgrund entjtehen; das zweite 
durch die fechste Pofaune vom Euphrat herfommen, und das 
dritte unter der fiebenten Poſaune, als das legte langwierigfte 
und ſchrecklichſte, follte dann vorzüglicy durch die fieben Zorns 
ſchaalen allem Weh und Sammer auf Erden auf ewig ein 
Ende machen. 

Daß es bei allem fittlichen Verderben in der Chriftenheir, 
zu allen, alſo aud zu Muhameds Zeiten, noch immer eine 
2: KU 


180 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


auserwählte, zerftreute und unter dem großen Haufen ver 
borgene Schaar wahrer Befenner Ehrifti gab, daran ift Fein 
Zweifel, und dafür bürgt uns aud) die Verfieglung, Kap. 7. 
D.3. 0. fe Daher gab ed aud) jet, ald Muhameds Lehre 
fo fehr überhand nahm, und alles zu verfchlingen drohte, 
gewiß Ohren für die Warnungsftimme des Adlers. Unger 
achtet aller Nachrichten, welche uns die Kirchenväter jener 
Zeiten von Drthodoren und Ketzern hinterlafien haben, iſt 
doch die Gefchichte zu arm, um alle, oder auch nur die wich» 
tigften Regungen und Bewegungen unter den Rechtichaffenen 
des Morgenlandes, die der Muhamedismus veranlaßte, und 
der Adlersruf wecte, darinnen wahrnehmen zu koͤnnen. Der 
einige Bibbon hat in feinem unfterblichen Werk, im 54. Kas 
pitel, die für und äußerft merfwärdige Gefchichte der Paus 
lizianer gefammelt, welche im Jahr 660, alfo gerad zu der 
Zeit entſtunden, ald die Muhamedanifche Macht recht am 
Steigen war. Diefe Paulizianer find die maͤhriſchen 
Brüder, zugleich aber auch die Huffiten des Drients, 
und gewiß ein Theil der hundert vier und vierzig taufend 
Verfiegelten. Wir werden fie unten bei der Erklärung des zwoͤlf⸗ 
ten Kapitels auf eine aͤußerſt merkwuͤrdige Art wieder finden 

Gibbon ift und immer ein gültiger Zeuge, als viele andre, 
gerade deswegen, weil er Fein Freund der. chriftlichen Relis 
gion iſt — wenn er alfo etwas zu ihrem Vortheil fagt, fo 
iſts gewiß zuverläßig. Es gab alfo damals eine fehr be: 
trächtliche und wichtige Heerde, die Ohren für den Adlersruf 
hatte, und ihn zur Rettung vieler ausbreitete,. 





fo 9 V. 1. bis 5. 181 


Dur N A 
w' 5 


Das neunte Kapitel. 


1, Und der fünfte Engel blies die Pofaune, und ich ſahe 
einen Stern, der aus dem Himmel auf die Erde ges 
„fallen war, und ihm wurde der Schlüffel zum Schlund 
des Abgrunds gegeben, RR 
9 Und er Öffnete den Schlund des. Abgrunds, und es 
ſtieg ein Dampf: aus dem Schlund empor, wie ber 
Dampf eines. großen Rauchfangs, amd die Sonne und 
die. Luft wurden durch deu. Dampf. des Schlundes vers 
.finftert., | — X 
3. Und es gingen Heuſchrecken aus dem Dampf hervor 
auf die Erde, und es wurde ihnen Macht gegeben, 
ſo wie die Scorpionen der Erde Macht haben, 


Der hohe Gang der göttlichen Gerichte über die griechiſche 
Kirche und das morgenländifche roͤmiſche Kaiferthum geht 
nun unaufhaltbar fort, zwei Wehe find dazu beftimmt, beide 
in den Staub zu ſtuͤrzen; die fünfte Pofaune Fündigte das 
erfte an, und nachdem der Engel geblafen, fo fieht Johan⸗ 
nes, daß dem Stern, welder nad) dem 10ten Vers des 
vorigen Sten Kapitels vom Himmel auf die Erde gefallen war, 
ein Schlüffel gegeben wird; dann bemerkte er auch den obern, 
jest noch verfchloffenen Schlund des Abgrunds, und fieht 
nun, daß der Stern mit dem Schlüffel diefe Mündung 

auffchließt. | 
> 9 Daß diefer Stern den römifchen Bifchof bedeute, haben 
wir oben ſchon gefünden; und wie er dem griechifchen Reich 
den erſten Herzensftoß durch die Kreuzzuͤge, vornehmlich aber 
durch die Eroberung Konftantinopeld und des orientalifchen 
Kaiferthums durch die Franzofen und ihre Bundesgenoffen, 
die Venerianer, fo recht hinterliftig und Scorpionenartig 
gibt, davon überzeugt und die Gefchichte jener Kriege fo 
vollſtaͤndig, daß darüber Fein Zweifel mehr entſtehen Tann. 


1893 Erklärung der Offenbarung Johannis 


Die roͤmiſchen Pähfte hatten num feit dem fiebenten Jahr⸗ 
hundert her durch taufend liftige, oft abgrundsmäßige Kunfte 
griffe ihre Macht und Herrfchaft über die abendländifche 
oder lateinifche Kirche zu gründen und zu befeftigen geſucht; 
durch die umeingefhränfte Gewalt über die Gemürher der 
Menfchen war eö ihnen dam aud) leicht, ihr weltliches Ge: 
biet immer zu vergrößern, und der allgemeinen MWeltmonarchie 
immer näher zu kommen; denn diefe war eigentlich der 
Hauptzweck, den ſie beengten. Nun hatte ſich aber die 
griechiſche Kirche mit ihrem Kaiſer von ihrem Zwang losge⸗ 
feſſelt — die Morgenländer befümmerten fih um den römis 
ſchen Pabft nichts, und das war ihm ein Dorn im Herzen, 
aber mit Gewalt Fonnte er nichts ausrichten, daher mußte 
er zur Lift feine Zuflucht nehmen, und jedes Mittel ergreiz 
fen, wodurd er die Griechen ſchwaͤchen und demüthigen 
fonnte, 

Auch die abendländifchen Regenten, befonders die teut⸗ 
fhen Kaifer, fperrten ſich oft gegen den fchredlichen De— 
ſpotismus des römifchen Hofs, aber da fie einmal durchaus 
feine geiftliche Gewalt anerfannten, fo Fonnte es nicht fehr 
len, fie mußten in der zeitlichen nachgeben; folglich kam es 
dann endlich dahin, daß Pabſt Gregor der GSiebente im 
eilften Jahrhundert die wunderbare hierarhifche Monarchie 
gründete, die noch nie in der Welt etwas ähnliches gehabt 
hat. Indeſſen waren denn doch die teutfchen Kaifer dem 
geiftlihen Monarchen immer noch gefährlihe Nachbarn, 
und nicht allezeit fo ganz gehorfam, Da nun der-Pabft wes 
gen der Eingeſchraͤnktheit feiner Staaten Feine: hinlängliche 
Armee halten oder aufbringen Fonnte, um die ungehorfas 
men, aber mächtigen Söhne zu Paaren zu treiben, fo mußte 
er zur Lift feine Zuflucht nehmen, und dazu bot ſich gegen 
das Ende des eilften Jahrhunderts eine erwänfchte ren 
beit dar. 

Die Muhamedaner, welche man die Saracenen M 
machten allenthalben erſtaunliche Fortſchritte, ohne daß die 
weichlichen griechiſchen Kaiſer etwas Erſprießliches gegen ſie 
ausrichten konnten; jene nahmen alſo dieſen eine Provinz 


Kap. % Bu bis 3. 185 


nach der andern weg, ohne daß fich die abendländifchen Für: 
ften viel darum befümmerten; nun kamen aber auch die 
Zürfen aus dem norddftlichen Afien dazu. Diefe Eriegerifche 
ration ſetzte fi im Kleinafien feit, nahm die muhamedas 
nifche Religion an, und befam endlicdy auch die Herrfchaft 
über die Saracenen. Diefe Türken nun eroberten in. den 
Sahren von 1076 bis 1096 unter andern auch Jeruſalem 
und das gelobte Land; und da fie viel wilder und graufas 
mer ald die Araber oder Saracenen waren, fo wurden das 
durch die chriftlichen Pilger, welche aus allen Provinzen der 
Ehriftenheit, vorzüglich auch aus den Abendländern dahin 
reisten, um nach damaliger Weife an jenen heiligen Dertern 
ihre Andacht zu verrichten, erfchredlich mißhandelt und geftört. 

Einer von diefen Pilgern, ein Eremit, Namens Peter 
von Aniiend, aus der Picardie in Frankreich gebürtig, mochte 
wohl von den Türfen vorzüglich übel behandelt worden ſeyn, 
wozu dann auch noch fromme Schwarmerei und erhißte 
Einbildungskraft Fam; diefer machte vorzüglich viel Laͤr— 
mens über diefe Bedruͤckung, und über den himmelfchreiens 
den Gräuel, daß ſolche unglänbige Barbaren im Beſitz des 
Landes feyen, welches der Heiland der Welt durch fein 
Erlöfungswerf geheilige hätte, Bei feiner Ruͤckreiſe aus dem 
Morgenländern wandte er fih nah Rom, wo Pabft Urban 
der Zweite vor kurzem dem berühmten Gregor dem Giebens 
tem in der Regierung nachgefolgt war, und von ganzem Herzen 
den großen Plan der allgemeinen Weltmonardie, den fein 
BVorfahrer entworfen hatte, ferner auszuführen fuchte, Dies 
fen fchlauen Kopf Fam der Einfiedler Peter recht erwünfcht ; 
denn in feiner Seele flieg der abgrundsmäßige Gedanfe auf: 
Wenn er die Eroberungen des heiligen Landes den abend: 
ländifchen Fürften zum Himmel verdienenden Werk, und 
zum Mittel machte, wodurd) man auch die größten Gräuels 
thaten und Blutfehulden abbüßen fünnte, fo erreichte er da= 
durch folgende, dem römischen Stuhl höchft ermünfchte Zwecke: 
2) Lenfteer dadurch die Politik der abendländifchenFürften von 
fi) ab, und richtete ihre Aufmerkfamfeit nach den Morgenläns 
dern, wodurch er dann defto beffer im Duukeln fortwirfen konnte. 


184 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


2) Singen die Fühnften Krieger aus. den abendländifchen 
Provinzen mit ganzen Schaaren von vielen Taufenden nach dem 
Drientz daß ein großer Theil’ nie wiederfommen: würde, 
war gewiß, folglich wurden die Fürften geſchwaͤcht, und 
konnten alſo um fo viel weniger etwas gegen ihn unternehmen, 

5) Konnte man die Güter der Edlen, die in diefen Krieg 
zogen, huͤbſch au die Kirche bringen, folglich fie dadurch 
reicher und mächtiger machen; und 

4) Mußte auch dadurch nothwendig das griechifche eich 
gefchiwächt werden; und wer: weiß, ob nicht der fchlaue 
Pabft ſchon darauf rechnere, daß feine abendländifchen Kries 
ger mit der Zeit Meifter von jenem Reich werden, und es 
feinem Stuhl auch unterwerfen würden ? Su folgen Umftäns 
den ließ fid) fo etwas leicht ahnen. 

Dieß war ein höllifches Feuer in Urbans Eee, deſſen 
Dampf nun bald hernady Sonne und Luft verfinftern konnte. 
Er berief Konzilien nach Piazenza und nad) Clermont; der 
Eifer des Pabftes für diefe Sache, und der Fanatismus 
Perers des Einfiedlers flammten die abendländifchen Völker 
an.» Hier ſchloß der gefallene Fadelftern, der Pabft, den 
Schlund des Abgrunds auf; der Dampf des Aberglaubeng, 
der irrenden Ritterfchaft und der würhenden Schwärmerei flieg 
empor, und verfinfterte Sonne und Luft, Wahrheit und 
‚vernünftige Denfart, und mit diefem Dampf trieb‘ der weft: 
liche Sturmwind ganze Heere, wie alles —*—— a 
ſchrecken, gegen den Drient him, 

"Das Bild ift wahr und treffend: Gegemiy 200: Jahr * 
zogen nach und nach ſieben Heere von vielen Tauſenden aus 
Europa nach Aſien; viele Hunderttauſende kamen um, und 
durch das Alles wurde nichts gewonnen, als daß der roͤmiſche 
Hof im Truͤben fiſchen und ſeine Macht vergroͤßern konnte. 
Dieſe Heuſchrecken- Echwärme aber druͤckten das griechi⸗ 
ſche Reich gewaltig, und einer unter ihnen ſchwaͤchte es 
auf das Aeußerſte, wie wir nun ſehen werden. 

Und es wurde ihnen geſagt, daß ſie * das Gras 

der Erden, noch etwas Grünes, noch irgend einen 
Baum beſchädigen ſollten, ſondern nur die Menſchen, 
welche Gottes Siegel nicht an ihren Stirnen haben, 


EEE Be) 28 


Bi Und es wurde ihnen gegeben, daß fie fie nicht tödtes 
ten, fondern daß fie fünf Monden lang gequält würs 
den, und ihre Qual war wie die Qual von: einem 
EScorpion, wenn er einen Menſchen hauet. 

6. Und in dieſen Tagen werden die Menſchen den Tod 
fuchen, nnd ihn nicht finden. "Und fie werden zu fters 

pen wünſchen, "aber der Tod wird vor ihnen fliehen.’ 

—M 


Der erhabene Seher ber Offenbarung Jeſu Chriſti, welche 
die Dinge enthaͤlt, die ſchnell nach einander bis aus Ende 
der Tage geſchehen ſollten, ſieht die Kreuzſoldaten in der 
Geſtalt von wandernden Heuſchrecken, deren Sache es ſonſt 
iſt, alles Gras, alles Grüne und ‚alle Blätter von den Baͤu⸗ 
men zu. verzehren; diefe apofalyptifche Heuſchrecken aber find 
von ganz anderer Gattung , fie. haben etwas Ecorpionenars 
tiges — gerad ſolche Schwänze, wie dieß Infekt hatz eben fo 
betragen ſie fih auch : Denn fie haben den Befehl, nicht Heus 
ſchreckenartig die Länder zu verheeren, nicht zu erobern , und 
im griechiſchen Reich den Meifter zu fpielen, fondern wie 
die Scorpionen von hinten her zu, ftechen. Können fie die 
Griechen auf eine Art, zu Grund, richten, ‚die nicht in die 
Augen. fällt, ihnen ſo von hinten eins verfegen, ja! dad moͤ⸗ 
gen ſie thun, aber oͤffentlich dürfen fie fi) nicht ald Feinde 
zeigen „.da haben fie es nur mit den. Zürfen und Sarazenen 
zu thun. wen 

Dieß Quälen, welches fünf Monden dauern, und nur 
die Menfchen treffemfoll, die das Siegel Gottes nicht an ihren 
Stirnen haben, muß aber ja nicht von den Kriegen der 
Kreuzfoldaten gegen die Türken und Sarazenen verftanden 
werden; denn hieher gehört durchaus nichts. als was Bes 
zug auf den Umfturz des. griechifchen Reichs hat; fondern 
die Menſchen, die jenes Siegel nicht haben ; find vie in 
aller Wolluft und Ueppigkeit verfunfene griechiſche Kaiferfas 
milien, mit allen Großen ihres Reichs, ihrem Hof und Res 
fidenzftadt Konftantinopel, Damit will icy aber nicht bes 
haupten, daß unter allen. diefen Menfchenklaffen Feine eins 
zelne fromme, oder von Gott verfiegelte Seele gewefen — 


* 


186 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


fondern es iſt hier vom Ganzen die Rede. Jene Stände 
waren fo unbefchreiblich unwürdig,, daß einen sein Edel ans 
wandelt, fo oft man ihre Gefchichte liest, diefe waren nicht 
verfiegelt, fondern zum Gericht verurtheilt, und diefe wurs 
den vom den Heufchrecfen mit: Scorpionenfhwänzen fünf 
Monate lang gequält und nicht getbdtet. 

Die Erfüllung diefes prophetifchen Bildes ift ſehr Harı. 
Hundert Jahre lang wanderten diefe abendländifchen Heu: 
ſchreckenheere, in ihren fanatifchen Dampf gehällt, durch 
die griechifchen Reichsprovinzen; ohne ihnen gerade zu und 
von vornen her zu. fehaden: man kann aber auch nicht laͤug⸗ 
nen, daß auch die unverfiegelten Griechen Fein gutes Herz 
zu ihnen trugen; fondern fie oft aufs Eis zu führen fuchten. 
Zu Anfang des dreizehnten Zahrhunderts aber fam man eiz 
nem Hauptziel näher. Der griechifche Kaifer Iſaak Angelius, 
ein Menfch von dem allerfchlechteften und umwürdigften Chas 
rafter, wurde von feinen nicht viel beffern Brüdern des Throns 
und der Augen beraubt; und dann in einen Thurm gefangen 
geſetzt; fein Sohn Aleris, ein Prinz von zwölf Jahren, 
floh durch Italien und fuchte in Deutfchland Schuß; dieß 
gab nun zu dem vierten Heufchredenzug der Kreuzfahrer, 
welche für dießmal Franzofen waren, eine treffliche Gelegen⸗ 
heit, ihre Scorpionenfhwänze zur Züdhtigung der Griechen 
zu gebrauchen. Sie verbanden fih mit den Venetiauern, 
und ergriffen den Vorwand, um den abgefeßten blinden Kais 
fer Iſaak zum Beften des jungen Prinzen Alexis, den fie in 
ihrem Schuß hatten, feinen Thron wieder zu fhaffen, das 
griechifhe Reich zu erobern; gelang ihnen diefes, fo wurde 
die griechifche Kirche mit der päbftlichen vereinigt, "und fols 
chergeftalt das orientalifche Reich dem römifchen unterworfen, 
weldyes mehr zu bedeuten hatte, als der Befig Jeruſalems, 
welchen fie 87 Jahre behauptet, und vor Kurzem wieder vers 
loren hatten, 

Die Franzofen, mit ihren unbAnyerm Benetianern, zogen 
alfo im Jahr 1203 vor Konftantinopel, eroberten es, und 
fegten den verächtlichen blinden Iſaak wieder auf den Thron; 
hier geht alfo dad fünfmonatliche Qualen an. Die Gries 


utig, Kap. 9. V. 4. GIB 187 


‘hen kounten die. Herrſchaft der Franzoſen unmöglich ertragen 5 
ein gewiſſer Murzuphlus regte fie auf, Iſaak und fein Sohn 
Alexis wurden abgefeßt, die Frauzoſen eroberten Konftanti= 
nopel von neuem, und behielten das Kaiſerthum nun felbft, 
fünf abendländifche Kaifer aus den Häufern Flandern und 
Gourtenay regierten nacheinander mit lauter Scorpionenqual, 
und im Jahr 1291 wurden fie von den Griechen, wieder 
vertrieben. 


Wenn man die Gefchichte liest, fo muß man erftaunen, 
wie genau daß Bild, das Fohannes fahe, hier eintrifft. Mor: 
den und Blutvergießen, außer was der Krieg mit fich brachte, 
gefchahe nicht; denn diefe Heufchrecden follten nicht tödten, 
fondern nur — 7 dieß Quaͤlen aber geſchah recht Scor⸗ 
pionenmaͤßig; Raub und Pluͤnderung, Spott und Verachtung, 
Mißbrauch des weiblichen Geſchlechts, und was von Muths 
willen der Franzofen der damaligen Zeit nur möglich war, 
das übten fie die ganze Zeit ihrer Regierung durch an dem 
Griechen aus, Wie gern hätten die Griechen ihr Leben daran 
gewagt, um ſich zu retten; aber fie konnten nicht dazu Fonts 
men, fie fuchten den Tod, um ber Dual zu entfommen, aber 
fie fanden ihn nicht, 


Auch die Dauer diefer Qual von fünf prophetifchen Mon⸗ 
den trifft Doppelt zus Denn die ganze franzdfifche Regierung 
des griechifchen Reichs beftand aus fünf Kaifern nacheinau⸗ 
der, deren Neichöverwaltung aber ein beftäudiger Monds— 
wechfel,; ein immerwährenudes Abs und Zunehmen der Macht 
war. Auch die Bengeljche propherifche Zeitbeftimmung kann. 
hier angewendet werdem: Denn diefer zufolge betragen: die 
fünf Monate 79 Jahre 19 Wochen und 1 Tag; nun hat 
zwar die franzdfifche Regierung im griechifchen Reich eigents 
lich nur 55: Jahr gewaͤhrt, aber ihr Einfluß, ihre Gewalt 
und Scorpionenqual dauerte doch beinah fo lang als die Kreuz⸗ 
zuͤge ſelbſt, und dieſe endigten 1291 mit dem Verluft von 
Are und dem ganzen gelobten Lande; wüßte man die Ges 
ſchichte diefer Zeiten genau, fo würde fich ven un * 
Rn Rechuuug eintraͤfe. 


188 Grflärung der Offenbarung Johannis. 


7. Und die Heuſchrecken waren den Roſſen, die zum 
Krieg gerhftet find, fehr ähnlich; und anf ihren Kö— 

pfen war es, als wenwfie dem Gold ähnliche Sieges⸗ 
kronen hätten; und ihre Angeft ichter —* Base Mens 
ſchen⸗Angeſichte. andas Ni 


8. Und fie hatten Haare, wie Beiberhünte, und ie 
Zahne waren, wie die der Lowen. 


9, Und fie hatten Bruſtharniſche (Küraffe) als wenns 

eiſerne Bruſtharniſche waͤren, und das Schnurren ih—⸗ 

rer Flügel war, wie das Raſſelu vieler Wagen mit 
Pferden, die im Streit laufen. 


Nun folgt die nähere Befchreibung diefer Heufchredten, fo 
wie fie dem heiligen Seher im Geficht erfcheinen; er bedient, 
fich dabei einiger Ausdrüde, die im Propheten Zoel Kap. 2. 
DB. 4. und 5. vorfommen, wo es heißt: Das Anfehen. ders 
felben ift wie das Anfehen der Pferde, und fie rennen wie 
die Reiter, Sie fprengen dahin, wie im Wagengeraffel auf 
den Höhen der Berge u, fo w. und Kap. 1. ®. 6. Denn e8 
iſt ein Volk über mein Land gefommen, mächtig und unzaͤhl⸗ 
barz — feine Zähne find Lömwenzähne, und die Backzaͤhne 
eines alten Lowens. Wenn man ſich hiebei einen Kreuzfahs 
rer vorſtellt, wie er mit feinem Pferde: vom Haupt bis zu 
Fuße faft mir Eifen bedeckt war, und fidy dann die manchers 
lei Zierrathen, Wappen und Waffen dabei denkt, fo fommt 
die Figur ziemlich Heufchredfenartig heraus. Indeſſen find 
doc) jene prophetifchen Bilder durchgehende allegorifh. Die 
Heuſchrecken bedeuten ein ftarfes, wohlgerüftetes Kriegsheer; 
die goldähnlichen Siegeskronen ſtellen vor, daß dieß Heer 
ſchon mehr gefämpft und gefiegt hat; daß diefe Krieger Mens 
fhenangefichter haben, zeigt, daß ihre Abfichren menfchlicy 
und gut gemeint find, fie werden aber durch‘ eine abgrundss 
mäßige Macht Fommandirt und gemißbraucht. Die Kreuze 
fahrer hatten ſehr gute Meinungen, fie glaubten Wunder, 
mit welchen Aufopferungen fie Gott dienten." Ihre lange 
lodigte Haare bezeichnen fie ald Abendländer, die fih von 
den Morgenländern dadurch unterſchieden; die Löwenzähne 


find Bilder des Raubs, der Stärke im Kampf und der Ver- 
wuͤſtung; eiferne Bruftharnifche hatten fie wirklich, auch war 
ihre Bruft eiſern, nicht zum Mitleidven oder Erbarmen ges 
neigt; dad Getbferiprer Flügel, welches dem Raffeln der 
vennenden Streitwagen ähnlid war, mag das fürchterliche 
Gerücht vorftellen, welches vor den Kreuzheeren herflog, und 
alles. in banges Erwarten ſetzte. 


10. Und fie haben Schwänze gleich den Ecorpionen, und 
Stacheln an ihren Shmwänzen; ihre Macht ift, die 
Menfchen fünf Monate lang zu beleidigen. 

11. Und fie haben einen König über ſich, den Engel des 
Abgrunds, fein Name ift auf bebräifh Abbadon, 
im griechiſchen aber hat er den Namen Apollyon. 

12. Das erfte Weh ift vorüber gegangen; fiehe, es kom⸗ 

men nod) zwei Web nach diefem, 


Der Juhalt des 10ten Verſes ift aus dem — 
klar: der I1te aber ſetzt noch etwas Merkwuͤrdiges hinzu: 
Die Heufchrecken werden durch eine unfihrbare Macht, durch 
einen geiftlichen König beherrſcht, und diefer König ift — 
nicht ein — ſondern der Engel des Abgrunds; der Erzen— 
gel, der fein Fürftentyum verwirkt hat, und dafür nun König 
des Abgrunds ift. 

‚Hier. erfcheint er nicht unter feinen gewöhnlichen Nauen 
Satan — Diabolus — Teufel — fondern ald Kriegsobers 
fer, und als folcher heißt er auf hebräifch ftatt Satan — 
Abbadon — Verwüfter, und auf griechifch, ftatt Diabolus — 
Ypoliyon, Verderber. 

Es iſt merkwuͤrdig, daß dieſer Fuͤrſt der Finſterniß und des 
ewigen Abgrunds fo oft unter feinem hebraͤiſchen und gries 
chiſchen Namen vorfommt. Kap. 12. V. 9. und Kap. 50. 
B.2. Die Urfacherliegt wohl darinnen, weil Johannes das 
mals mehrentheils hebraͤiſche und griechifche Leſer hatte. 

Das hebräifche Wort Abbadon kommt verfchiedenemal im 
alten Teſtament vor, aber nie als. der Name eines lebendi— 
gen Wefens, fondern als Sache; 3. B. Hiob 28. VB. 22. 
heißt. eö: Abbadomund Maveih ſagen: Wir haben ihr 


190 Erklärung der Offenbarung Sohannis. 


Gerücht mit unfern Ohren gehdrt. — Die fiebenzig Dollmet- 
fcher überfegen dad fo: Apoleia und Thanatosfagen 
u. f. w. und wir Deutfche überfegen: "Das Verderben und 
der Tod fprechen ve. Und Sp. Sal. 15. ®. 11. heißt es: 
Scheol und Abbadon find offenbar vor dem Herrn; die 
fiebenzig Dolfmerfcher geben die: Hades und Apoleia 
find u. f. w. und wir Deutfche überfegen: die Halte und 
das Verderben ic 

Das Wort Apollyon kommt aber in der Bibel meines Wiſ⸗ 
ſens nirgends anders als hier vor; ſo viel iſt alſo ausge⸗ 
macht, daß die Namen Abbadon und Apollyon hier dem 
Satan zum erſtenmal beigelegt werden, weil er ſich gegen die 
letzten Zeiten hin immer mehr als Verwuͤſter und Verderber 
zeigen wird. Sein erhabener Beſieger und Ueberwinder Je⸗ 
ſus Chriſtus bekommt ja auch durch dieſen Kampf aller Kämpfe 
neue Namen. Kay. 19. V. 16. 

Diefer Abbadon Apollyon war alſo der geiftliche König und 
Beherrfcher der franzöfifchen Kreuzkrieger, die daB griechifche 
Kaiferthum unterjochten und quälten; ach möchte doch diefe 
in manchem Betracht fo vorzügliche Nation ſchon damals dies 
ſem König des Verderbens entfagt, oder ihn nun noch in 
diefen legten Fahren ftatt Ludwigs des Sechzehnten entthront 
haben! — aber wir Deutfche find blutweinende Zeugen, daß 
der Engel des Abgrunds noch immer fort Bien Macht und 
Gewalt durch ihre Armeen ausuͤbt. 

Von den dreien Wehen des Adlerrufs iſt nun eins vorüber, 
“aber das zweite ift vor der Thür, 


15. Und der feste Engel bließ die Poſauue, und ich 
hörte nur eine Stimme aus den vier Hörnern des gol⸗ 
denen Altars, der vor Gott ift, 


14, Diefe ſprach zum ſechsten Engel, der die Poſaune 
hatte: Mache die vier Engel (08, die am großen 
Strom Euphrat gebunden fi nd. | 


15. Und die vier Engel, welche auf Stunde, Tag, Mos 
nat und Jahr, das dritte Theil der Menſchen zu tod⸗ 
ten, gerüftet waren, wurden Iosgebunden, 


Kap. 9. V. 13. bis 1. 191 


Hier erfchallt num die legte Pofaune für das griechifche 
Reich; und fobald fie nachlaßt, hört Johannes eine Stimme 
aus den vier Hörnerm des Altars, auf welchem, nach dem 
3ten und Atem Vers des vorhergehenden Sten Kapitels, der 
Priefterengel die Gebete der Heiligen geopfert hatte. Diefe 
Stimme ift alfo Folge der Erhörung jenes Gebets; und ihr 
Inhalt ift ein Befehl an den Engel der fehöten Pofaune, 
daß er die vier Engel am großen Strom Euphras losbins 
den foll. 

Dieſe vier Engel fi ud feindfelige Kriegsgeifter — Jagdhunde, 
die an der Kette liegen, wo fie zu jeder Zeit bereit find, fo 
bald man fie nur losläßt. Ihrer find vier, weil fie auch vier 
Krieganationen beherrfchen und beleben. nr 
+ Der. erfte ift der Furt der Saracenen; der zweite belebt 
‚den Dſchingis Chan mit feinen Moguln und Tartaren; der 
dritte war der Geiſt QTamerlans, und der vierte fommandirte 
die Türken, Am Euphrat lags eben, daß diefe vier Engel 
nicht wüthen fonnten, wie fie wollten. bis die Bande, die 
fie da fefjelten, gelost wurden; hier kaͤmpften Saracenen und 
Türken, und beide vereinigten fich zu einer Macht, ihre beis 
den Engel wurden durch den Euphrat nicht mehr gehalten, 
daher rückten fie Konftantinopel immer näher. 
 Dibingis Chans Nachfolger verfchlungen das ganze nörds 
liche Afien, bis nach Polen und an die Donau, und mit ges 
nauer North entging damals Konftantinopel und das griechifche 
Reich ihrer Wuth. 

Timur oder Tamerlan ſchwung ſich auf den tartariſch⸗ 
moguliſchen Thron von Zagatai, und zog nun aus, die 
Welt zu erobern; er kam bis an die Graͤnze von Aſien, Kon— 
ftantinopel und Griechenland gegenüber; die Türken, die 
damals noch in Kleinafien waren, hatte er bezwungen, und 
‚ihren Sultan gefangen genommen; aber bier fühnten fich 
Türken, Chriſten, Araber, und Egyptier mit ihm aus, er 
empfing Huldigung und Tribut von ihnen, und zog wieder 
nad) Haus, um andere weitfchichtige Plane auszuführen. 
“Er wurde Didingis Chans Engel Meifter, und diefer 
vereinigte fich mit dem feinigen gegen die Verbündeten beide, 


19% Erklärung der Offenbarung Johannis. 


der Sarazenen und der Türken; da aber num auch die Friede 
machten , fo waren alle vier Engel mit den Türken: am Eu- 
phrat vereiniget, und fo vierfach begeiftert fielen fie über 
das griechifche Reich her. 

Mer die Gefhichte gründlich und mit Nachdenken: ſtudirt, 

ber wird unwiderſprechlich überzeugt werden, daß der Dſchin⸗ 
giö:Chanen, Tamerlans und Sarazenen Dafeyn, entfernte 
mittelbare Wirkungen, dann auch unmittelbare Kämpfe, 
Siege und wechfelfeitige Niederlagen, die ottomannifchen 
Türken zu der furchtbaren Macht gebildet haben, die fie 
nach und nach geworden find. Die vier feindfeligen Engel 
wurden alfo endlich Schußgeifter der Tuͤrken, und fo lang 
vom göttlichen Verhängniß gezügelt, bis fie wie eine Slurh 
Daher brechen durften. 
Die vier Engel, welde die Winde bändigten, 2 
den Anfang der göttlichen Gerichte über das orientaliſche 
Kaiſerthum, und die vier Kriegsengel vom Euphrat her mas 
chen den Befchluß. Der dftlihe Windebändiger läßt diefen 
Sturmwind los, der nun bie hriftliche Kaiferfrone in den 
Staub wirft. 

‘ Die Worte, daß jene vier Kriegegeifter auf die Stunde, 
Tag, Monat und Fahr das dritte Theil der Menfchen 
zu tödten bereit feyen, treffen im doppelten Verftand zu; 
denn erftlich kann man diefe Worte fo verftehen, daß fie zu 
jeder Stunde, auf jede Zeitbeftimmung, das Gericht Gotz 
tes auszuführen bereit feyen; aber weit merfwürdiger und 
den Glauben an den Geift der Weiffagung ftärfender treffen 
fie zu, wenn’eine Stunde, Zag, Monat und Jahr nach 
Bengels prophetijcher Zeitrechnung berechnet werden. Zu 
dieſem Sinn beträgt eine Stunde 8 Tage, 4 Stunden, 20 
Minuten; ein Tag 196 Tage, 3 Stunden; ein Monat 15 
Sahre und 518 Tage; ein Jahr 196 Fahre, 117 Tage und 
15 Stunden; addirt man nun diefe Zahlen ordentlich zus 
ſammen, fo betragen die Stunde, der Zag, der Monat und 
das Jahr nach prophetifcher Deutung 212 Zahre, 2754 * 
oder 2123 Jahre beilaͤufig. 

Es iſt zum Erſtaunen, wie genau auch hier wieder dieſe 


Rap I) 9 


Rechnung utriffes Im Jahr 1240 gingen die sttomannifchen 
Tuͤrken zuerft über den Euphrat und fielen Syrien und das 
-gelobte Land an; hier wurden alfo die vier Engel loß; zu 
1240 addire man 212% Jahre, fo fällt die Summe ins 
Sahr 1455, in welchem der Sultan diefer Ottomannen, 
Mahomet der Zweite, Konftantinopel eroberte, und den,urs 
alten Thron der römifch= griechifchen Kaifer einahm, nach⸗ 
dem der legte und feit Jahrhunderten bei weitem der befte 
‚Kaifer und befte Menſch, Konftantin der Zwdlfte, der Pas 
laͤologe, wie ed ihm geziemte, im Helvenfampf' für feine 
Familie und fein Reich das Leben aufgeopfert hatte. 

Will man aud) die vier Engel auf die vier Zeiten, einen 
auf die Stunde, den andern auf den Tag, den dritten auf 
den Monat und den vierten aufs Jahr beziehen, fo hab ich 
nichts dagegen; denn aud da werden fich Webereinftim: 
‚mungen zeigen, wie das überall bei den wahren Weiffaguns 
gen der Fall ift, fi ie werden in mannigfaltigen Verhaͤltaiſſen 
erfüllt, 

Bon dem Todten des dritten Theils der Menfchen weiter 
unten. 


16. Und die Zahl der Kriegsheere zu Pferd war zmweis 
mal zehntaufendmal zehntaufend, Ich habe ihre 
Zahl gehoͤrt. 

17. Und ich ſahe die Pferde, und die darauf ſaßen fol⸗ 

.. gendergeftalt im Gefihts Sie hatten feuerfarbene, 
violette und ſchwefelgelbe Bruftharnifhe, und bie 
Köpfe der Pferde waren wie Lowenkopfe, und aus 
ihren Mäulern ging Feuer, Dampf und Schwefel 
hervor. 

18. Durch diefe drei Plagen, Feuer, Dampf und Schwe⸗ 

fel, die ans ihren Mäulern ſtrömten, wurde ber 
dritte Theil der Menfchen getödtet. 


.  Hohannes hörte die Zahl diefer Heere, daß fie zwei hun⸗ 
dert Millionen betrage, dieß Fam ihm erftaunlich vor, und 
damit ihn feine Leſer nicht des Webertriebenen befchuldigen 

. möchten, fo bezeugt er, jene Zahl fey ihm genannt worden, 

Stillinas fämmtl. Schriften. III. Band. 13 


4194 | Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Mill man fie als eine unbeftimmte große Zahl annehmen, 
wie man davon mehrere Beifpiele in. der heiligen, Schrift 
hat, fo hab ich nichtö dagegen; indeffen koͤnnen die Kriegs 
heere der vier Engel in ein paar hundert Fahren auch wohl 
fo viel Köpfe enthalten haben. 

Die folgende Befchreibung diefer Armeen ift völlig ſinn⸗ 
bildlich und prophetifch ; alles zielt auf Grauſamkeit, Kriegs⸗ 
wuth, Verheerung und Tod; ed wurde überflüffig ſeyn, 
wenn man fich in die Deutung diefer Bilder einlaffen wollte. 


Es ift fonderbar, daß in diefem Gericht über das grie= E 


chifche Kaifertyum immer auf Drittel gerechnet wird. Der 


Reiter auf dem fahlen Pferd, Kap. 6. V. 8. hatte Macht, das 


vierte Theil der Menfchen zu tödten; folglich blieben noch 
drei Viertel von den Unterthanen des römifchen Reichs übe 
tig.» Diefe machen nun das Ganze aus, umd find alfo drei 
Drittel; aus diefen werden erft die Verfiegelten ausgeſon— 
dert, und dann geht es über die drei Drittel her; Die erfte 
Pofaune reißt das abendländifche Drittel ab; durch die zweite 
geht das afrifanifche verloren; unter der dritten macht fid) 


— 





das abendlaͤndiſche Drittel vom Religionsverband los; unter 
‚der vierten nimmt Muhamed ein Drittel von der ganzen Chris 


ftenheit weg; unter der fünften wird das morgenländifche 

Drittel nur gequält, aber durch die fechöte wird es gänzlich 
unterjocht und zur Kmechtfchaft verurtpeilt. 

Mer unter diefen Dritteln noch tiefere Geheimniſſe fieht, 


‘dem wollen wir feine Erkenntniß von Herzen goͤnnen: die - 


Tiefen des prophetifhen Wortd find unergründlid — zu 
unferm Zweck mag obiges genug feyn. 


19. Denn die Macht der Pferde iſt in ihren Mäulern 
und Schwänzen. Und ihre Echwänze find den 
Schlangen ähnlich, fie haben Köpfe und damit be: 
ſchaͤdigen #e. 


20. Und die übrig gebliebenen Menfhen, die in diefen 


Plagen nicht getödtet worden, bereuten Feineswegs | 


bie Werke ihrer Hände, daß fie die Geifter, und die 
goldene, filberne, eherne, fteinerne und hölzerne Bil; 








Kap. 9. B. 19. bis 2ı. 195 


der, bie weder fehen, noch hören, noch wandeln konnen, 
nicht follten angebetet haben. 


21. Auch bereuten fie weder ihre Todtfchläge, noch ihre 
Zaubereien, noch ihre Hurerei, noth ihre Diebereien, 


Die Pferde find. im prophetifchen Wort Bilder des Kriegs; : 

- bier zeigen alfo die Löwenfopfe, der Pferde mit ihren Mäus 
lern ein ſchreckliches Wuͤrgen und Morden anz die fchlangens 
ähnlichen Schwänze aber, die auch Köpfe haben, bedeuten, 
daß fie das, was fie übrig laffen, falſch und ſatauiſch, das 
ift, fhlangenmäßig behandeln, Maͤn lefe die Geſchichte der 
tärkifchen Eroberungen, und urtheile dann, ob diefe Weiſſa⸗ 
gung. eingetroffen fey. 

So wuide alſo das mörgenläudifche griechifcherdmifche Reich 
durch die Türken im Jahr 1455 unterjocht; fo lange fie er: 
oberten, wuͤtheten die Löwenföpfe erſchrecklich, und. wo fie 
Herren wurden, da quälten die Schlangenſchwaͤnze fürchters 

lich, wie ſolches die arnıen Griechen noch heütiges Tages 
zur Gnüge erfahren. 

Man follte freilich denken, ein fo fchredliches und lang⸗ 
wieriges Gericht muͤßte bei den uͤbriggebliebenen Griechen 
wahre Buße und Beſſerung bewirkt haben — aber nichts 
weniger ald dieſes. Ale Reifende kommen darinnen übers 
ein, daß ihr Charakter durchgehends ſchlecht, und ihre Nelis 
gion nichts als ein Gemiſche von abergläubifchen Gebräuchen 
fen; von wahrer Herzensteligion, vom praftifchen Chriſten— 
thum wiffen fie nichts; fie verehren ihre Heiligen mehr als 
Gott und Chriftum, und gewiß find viele darunter, die nichts 
weniger ald heilig waren; eben fo erpicht find fie auf den 
Bilderdienft, fo daß fie von ihren heidnifhen Vorfahren in 
nichts verfchieden find, als daß ihre Gögen audere Namen 
haben. Ob nod Mord, Giftmifcherei und Zauberei, Hurerei, 
Berrug und Diebftahl unter ihnen herrſche, Das koͤnnen alle 
diejenigen beantworten, die eine Zeitlaug unter ihnen gelebt has 
ben. Keine Weiffagung kaun alfo wörtlicher eintreffen, als diefe. 

Die Redensarten, dereu ſich der heilige Sehet bier —* 
finden wir Pf. 114. V. 5—7. 


— 


13* 


196 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Es ift merkwuͤrdig, daß wir hier bei dem Gericht über da6 
morgenländifch = römifche Neich Feine- ſolche große Naturbils 
der antreffen, als bei dem Gericht über das heidnifche Rom 
und über dad Heidenthum überhaupt. Kap. 64 V. 12 bis 17.— 
Dieß kommt daher: Unter dem fechsten Siegel wurde das 
Heidenthum auf ewig gerichtet, und fein jüngfter Tag ges 
fohildert, hier aber ift an ein foldyes Schlußgeriht gar nicht 
zu denfen; das orientalifche Kaiferthum dauert noch fort, 
nichts ift geändert, als daß ein fremdes Volk von anderer 
Religion und Sprache die alte griehifche Nation beherrfcht, 
und ihre Religion blos duldet. Diefe Nation und Religion 
ift alfo noch immer da, und fie Faun getroft auf eine glüc 
liche Aenderung hoffen, wenn der Zürfen Zeit einmal erfüllt 
feyn wird; fo wie auch ganz Iſrael felig werden fol, wenn 
die Fülle des Heidenthums vollendet ift. 

Run ift noch die fiebente Poſaune übrig, die aber bei weis 
tem die wichtigfien Dinge der ganzen Apofalypfe enthält: 
Denn fie betrifft das abendlänvdifche römische Reich — den 
legten Kriegsichauplag des größten und alles entfcheidenden 


Kampfs zwifhen Ehrifto und dem Draden — dem Lamm ‘ 


und dem. großen Thier in dreifacher Geftalt, als auffteigend 
aus dem Meer, aus der Erden und aus dem Abgrund, über: 
haupt zwifchen Licht und Finfterniß, Wahrheit und Lügen, 

Es ift wahr, das Land Kanaan war von jeher als der 
Schauplatz der Offenbarung Gottes wichtig, aber doch bei 
weitem fo wichtig nicht, als die europaifchen chriftlichen Länz 
der, wo der letzte Kampf gekämpft, das Geheimniß Gottes 
völlig entfiegelt und vollendet, und die Summe der noch übri- 
gen Weiffagungen vollends erfüllt werden fol. Jetzt find 
und nun im Verfolg folgende Länder, naͤmlich Deutfchland, 
das ift, fo weit man hoc) = und niederdeutfch fpricht, Frank: 
reich und Stalien vorzüglic) merkwürdig. 

Ehe ich aber den Stab meiner Unterfuhungen in diefem 
heiligen Dunkel weiter ſetze, muß ich meine Lefer auf eine 
Sadje aufmerkfam machen, die fo manchem Ausleger ein 
unauflößliher Knoten gewefen ift, und gar viele irre geführt 
bat; ich bitte mir daher die: gefpanntefte Aumerffamkeir. 


— 


a Skat ee ee ee N X 


Kap. 9. V. 19. bis 19. 197 


Bis daher geht das Geficht der ſechs Siegel, dann des 
ſiebenten, und in demfelben der ſechs Pofvunen, in feiner 
Erfüllung mit der Gefchichte gleichfürmig fort; hier aber 
fommt etwas dazwifchen: Johannes wird durch einen bes 
fonders”mageftätifhen Engel in feinem bisherigen Geficht 
unterbrochen; diefer Engel bereitet ihn auf die allerwichtigfte 
fiebente Pofaune vor, und weiffagt große Geheimniffe, die 
aber in die legten Zeiten gehören; nachdem diefer Engel feis 
nen Auftrag an den Johannes, der im zehnten und eilften 
Kapitel bis zum 1äten Vers enthalten ift, ausgerichtet hat, 
ſo verſchwindet er, und der Seher knuͤpft nun im 14ten Vers 
den Fortgang des vorigen Gefichts dadurch wieder an, daß 
er fagt: Das zweite Wehe (der fechsten Pofaune oder des 
Gerichts über das morgenländifche Kaiſerthum) ift vorüber, 
fiehe! das dritte Weh kommt nun fchnell; und darauf erzäplt 
er dann, daß der fiebente Engel die Pofaune geblafen habe. 
Menn man alfo den prophetifchen Inhalt des zehnten und 
eilften Kapitels hier zwifchen die fechöte und fiebente Pofaune 
einſchalten, und da feine Erfüllung fuchen wollte, fo irrte 
man fehr, und doch ift diefer Irrthum von jeher oft begans 
gen, und dadurch die hohe Offenbarung, ald Feiner Erklärung _ 
fähig, bei Seite gelegt worden. 
Dieß Alles wird nun vollends Flar werden, wenn wir biefe 
Epifode in dem großen und göttlichen Gefichte näher beleuchs 
tet, und ihre richtige Erklärung gehörig entwickelt haben? 





198 Grkfärung der Offenbarung - Johannis, 


Das zehnte Kapitel, 


1. Und ich fabe einen andern ſtarken Engel aus dem Him⸗ 
mel herabſteigen; er war mit einer Wolke umbhüllet, 
den Regenbogen auf ſeinem Haupt; und ſein Angeſicht 

wie die Sonne; und feine Füße wie Senerpfeiler. 

2. Und er hatte ein kleines gedffnetes Büchlein in feiner 
- Hands und er feste feinen rechten Fuß auf das Meer, 
den Linken aber auf die Erde, | 

5. Und er fihrie mit großer Stimme, wie ein Löwe brüls 
let; und als er fchrie, fo. vedeten die fieben Donner 
ihre eigenen Etimmen, | 


Hier unterbricht ein neuer Auftritt die bisherige Folge des 
Geſichts: der ſechste Engel hatte durch ſeinen Poſaunenruf 
das Gericht über die griechifche Kirche angefündigt, und die 
Bilder diefes Gerichts waren vorübergegangen ; ; jeßt war nun 
die Reihe am fiebenten Pofaunenengel, Aber fo, wie vor der 
Sröffnung der Siegel überhaupt ı ein himmlifcher Ausrufer auf: 
trat, Kap. 5. V. 2. u. f. und wieder ein anderer vor der 
Eröffnung des fiebenten Siegeld, Kap. 2.8. 2. u. f. fo ers 


ſcheiut hier abermals einer vor dem ſiebenten Poſauneuſchall, J 


doch mit dem Unterſchied: die Verrichtung des Erſten, fein 
Abruf aller lebendigen Weſen zum Erbrechen der Siegel, und 
der Befehl des Andern, zur Aufhaltung aller Gerichte, bis 
die Knechte Gottes verſiegelt ſeyen, gehoͤren ſo in die Reihe 
der Geſchichte, wie ſie auch hier in der Reihe des Geſichts 
porfommen; bei dieſem majeſtaͤtiſchen Geſandten aber verhaͤlt 
ſichs ganz auders: Er bereitet die ſiebente Poſaune durch eine 
hoͤchſtwichtige Weiſſagung vor, Die er dem Johanues zu ver⸗ 
Fündigen aufträgt, und die die Gemüther während dem Lauf 
der Geſchichte unter der fiebenten Pofaune aufrecht erhalten 
foll, deren Erfüllung aber gegen das Ende erft erwartet oder 


Kap. 10. B. 1. bis 3. 199 


erfannt werden kaun. Die Urfache von dem Allen wird ſich 
zeigen, wenns Zeit ift. 

Der Engel, der hier erfcheint, ift ein anderer, als die ſechs 
Pofaunenengel; überhaupt Feiner von den bisher gefehenen, 
fondern vorzüglich groß und ftark, und fein Cerimonienhabit 
ift erhaben und majeftärifh: Hier ift nicht von weißen Kleis 
dern und goldnen Gürteln die Rede, fondern er erfcheint fo, 
daß er wenigftensd den Sohn Gottes vorftellt, wenn Er es 
nicht jelbft iſt; daß Leßte follte man beinahe aus dem Sten 
Vers des folgenden eilften Kapitels ſchließen, wo diefer Ens 
gel ſagt: Und ich werde meinen zween Zeugen geben u. ſ. w. 
Uns kanns indeffen einerlei feyn, er ift Gefandter Gottes, 
und wir nehmen alfo das, was er fagt, an, als wenns Gott 
gefagt hätte; denn er kam vom Himmel herab. 

Sein Angeficht glänzt wie die Sonne, denn er lebt im Lichte, 


und klaͤrt alles auf, wohin er ſieht; von feiner Erſcheinung 


an bis daher iſts auch immer heller und heller geworden, 
Um fein Haupt glänzt der Negenbogen ; denn er ift ein Bote 
des Bundes, der die Enthüllung des Geheimniffes Gottes, 
in welchem der Bund Gottes mit Noah und alle feine Vers 
heißungen erfüllt werden follen, ausrufen fol. Er ift mit 
einer Wolfe befleidet, die der Wagen und das Reifekleid defs 
fen ift, der da fommen wird in den Wolken. Kap: 1.8.7. 
und Dan. 7. V. 15. Und feine Füße find wie Feuerpfeiler; 
denn wo er fieht, da fteht er feft, die Pforten der Hollen 
Fonnen ihn nicht von der Stelle bewegen, und wer ihn wegs | 
kaͤmpfen will, der verbrennt fich die Finger, Dieß alles ift 
uns Bürge für die Gültigkeit feiner Borfchaft, für die Wahrs 
heit des Büchleind, das er in der Hand hat, und das uns 
Johannes nun noch mittheilt. 

Dieß Büchlein ift num noch der Reft der Rolle mit den 
ſieben Siegeln, die das Lamm erbrah; darum ift es nun 
auch offen und aufgerollt; und fo gedffnet hält es der Engel 
in feiner linken Hand; denn auf diefer Seite ftand Johannes, 
weil jener mit dem rechten Fuß auf dem Meer ftund, 

Diefe Stellung des Engels mit dem rechten Fuß auf dem 
Meer, und mir dem linfen auf der Erden, bedeutet, daß die 


200 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


hriftfiche Religion, deren Nepräfentant er ift, mit ihrem Feuer⸗ 
fäulichten Füßen, See und Land einnehmen, feft darauf ftehen, 
und weder durch Sturm noch durch Erdbeben wegbewegt wer: 
den fell; aber auch Europa , welches unter dem Meer, und 
Afien, welches unter der. Erde verftanden werden kann, fols 
leu die Wohnftätten ded Herrn und feiner Kirchen bleiben, 
und da follen nun auch noch) die IDPS REN Gerichte und Kämpfe 
ausgeführt werden, 

Er fchreit mit großer Stimme, wie ein Chi brülft: Der 
Low hat gebrülft, wer follte nicht fhaudern, der Herr Herr 
hat geredet, wer follte wicht weiffagen? Amos 3. V. 8. Aber 
warum bruͤllt wohl der Eugel fo löwenartig? — Darum, 
weil der Zorn des Allmächtigen zum legten Kampf waͤchſt. — 
Es ift ja erfchreflih, — der Vater der Meufchen hat fo 
viele Jahrtauſende an feinen Kindern erzogen, und alle Mits 
tel angewendet, fie zu rerten, allein was hilft? — wenn 
eine Macht der Finfterniß überwunden iſt, fo wirft fi eine 
andere noc) ftärfere auf, und hier, gerade jeßt, hat Er es 
mit der legten und fihredlichften zu thun — da mag ber 
Low aus Zuda oder fein Gefandter wohl brüllen, daß ed 
von einem Pol zum andern gehört wird; koͤnnte der Engel 
weinen über die Menfchen, er hätte es wohl Urfachel 

Diefer Löwenftimme halfen die fieben Donner wie ein Echo 
nach); dieſes find ohne Zweifel die nemlichen, deren Kap. 4. 
D, 5. und Kap. 8. V. 5. gedacht wird, fie find Gerichtör 
werfzeuge des Herrn, und verkündigen feine Macht und 
Herrlichkeit; der 29ſte Pfalm benennt fie alle fieben, dieſes 
wird deutlich, wenn man ihn im Hebräifchen liest " 

Der Erfte ift der Donner Öottes der Ehren, der auf großen 
Waſſern tönt. 

Der Zweite iſt der Donner der Kraft. 

Der Dritte ift der: Donner. der Herrlichkeit, 


Der Vierte ift der Cedernbrecher, der die Bergehüpfen mad, 


Der Fünfte iſt der Bliggebährer, der mit Feuerflammen 
peitſcht. | 
Der Sechste ift das Kol Koree in der Wüften, 
Der Siebente der. Bändiger der rohen und wilden Natur. 








Kap. 10, V. 4. 201 


‚Die fieben Gerichsdonner fangen alfo an, deutliche und 
verftändliche Reden über Berg und Thal hin zu grollen, fo 
bald der Löw aus Zuda ausgebrült hat. Welch eine a 
bare Majeſtaͤt — 


4. Und als die fieben Donner geredet hatten, wollte ic) 
ſchreiben; und ich hörte eine Stimme aus dem Hinis 
mel fagen: Berfiegle, was die fieben Donner geredet 
haben, und diefes ſchreibe nicht. 


Johannes verftund wohl, was die fieben Donner ſprachen; 
dem Befehl zu Folge, den er Kap. 1.2. 19. erhalten hatte, 
wollte er alfo fchreiben, was er hörte; allein eine Stimme 
aus dem Himmel verbot es ihm, und befahl ihm, an deſſen 
Stelle das Gehoͤrte zu verſiegeln. 

Dieſe prophetiſche Verſieglung iſt oft mißverſtanden, und 
daher auch unrichtig ausgelegt worden; denn man glaubte 
immer, Johanues habe die Reden der ſieben Donner gar nicht 
aufgefchrieben, und das Verſiegeln bedeute nichts anders, 
als;: Behalte du für dich, was fie gefagt haben, und fage 
es niemand, allein das ift gewiß irrig: Denn etwas verfiegeln 
heißt, es bis auf gewiffe Zeit, fo aufbewahren, daß bis das 
hin niemand weiß, was es ift. ‚Aber eben dadurch, weil es 
verfiegelt wird, bezeugt man den höchften Grad. der Wichtige 
keit defjelben, und daß eine folhe Sache, wenn fie.die Vor⸗ 
febung einft durch die Hand der Zeit entfiegelt, große Wirs 
fung haben werde. 

Ein Beifpiel davon, auf welches fich hier gewiß ftillfchweis 
gend bezogen wird, finden wir bei dem Propheten Daniel: 
Und du Daniel (heißt es da) fchleuß diefe Worte zu, und 

- verfiegle dieß Buch, bis zur Zeit des Endes; viele wer⸗ 
den ibm nabhfpüren, und die Erfenntnifß wird 
vervielfältigt werden, Kap. 12.2.4. Hier fieht man 
ja deutlich, daß diefe Verfieglung eine folche Aufbewahs 
tung einer Weiffagung bedeute, wodurch ihre Erklärung fo 
lang unmöglich wird, bis die Vorfehung folde Data und 
Schlüfel dazu an die Hand gegeben hat, die fähig find, den 
redlichen Forfcher der Geheimniffe Gottes auf die Spur zu 


2032 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


leiten, und das Siegel zu loͤſen. Dieß ift der nemliche Fall 
bei dem Befehl an den Johannes; Er foll die Reden der fies 
ben Donner fo nicht auffchreiben, wie er fie gehört hat, fons 
dern man wird fie in ſolche myftifche Bilder einkfeiden, daß 
fie nicht eher verftanden werden koͤnnen, bis es Zeit if; 
und dieß ift dann die wahre Verfieglung, die au) bei Da⸗ 
niel ftatt fand. Während der Zeit einer ſolchen Verfieglung 
fpannen fie denn doch die Erwartung, ftärfen Glauben und 
Hoffnung, und geben Troft im Leiden; denn man weiß, daß 
der Vater noch etwas für und arme, fchwache, aber aud) 
vorwißige Kinder aufgehoben hat, das wir aber leicht mißs 
brauchen fönnten, wenn wirs früher wißten, 

Merkt wohl, liebe Lefer! das Buch mit den fieben Sie⸗ 
geln ift nichts anders, als die verfiegelte Rolle der Weiſſa⸗ 
gungen der Propheten des alten Teftaments, die num hier 
in der hohen Offenbarung, je nad) den Zeitbediirfniffen, 
entſi egelt wird. Das, was die ſieben Donner ſprachen, war 
der völlige Aufſchluß des Geheimniſſes Gottes unter der fiebens 
ten Pofaune; diefen Aufſchluß aber fo ganz offen mitzutheis 
len, dazu war es noch zu früh, daher hüffte ihn der Engel in 
myſtiſche, dunfele Bilder ein, und trägt dieſe im eilften Kas 
pitel dem heiligen Seher vor, und fo ſchreibt nun diefer 
Das, was die fieben Donner fagten, unter diefer Verſieglung 
nieder; auch Dadurch werden zur rechten Zeit die Erfenntniffe 
vervielfältige werden. Daß dieß Alles Wahrheit fey, das 
wird fi im Verfolg immer deutlicher zeigen. _ 


5, Und der Engel, den ich auf der Erde und anf dem 
Meer ftehen fah, erhob feine rechte Hand im den 
Himmel. 


6. Und ſchwur bei dem, der, in die ewige Ewigfeiten 
lebt, der den Himmel, und was darinnen ift, bie 
Erde und was darinnen ift, und dag Meer, nnd was 
darinnen ijt, aefchaffen hat, daß es nicht erh einen 
beftimmten Zeitlauf währen wird, 


7. Sondern in den Taxen der Stimme des fiebenten 
Engeld, wenn er die Pofaune blafen wird, dauu wird 


Kap. 10. ©. 5. bis 7. 205 


das Geheimnif Gottes vollendet werden, fo wie er es 
feinen eigenen Kuechten den Propheten, verkündi⸗ 
get hat. 


Ehe der Engel dem Johannes die ſieben Donnerſtimmen 
zur Verſieglung uͤberliefert, entledigt er ſich ſeines Haupt⸗ 
auftrags, er donnert mit feiner Loͤwenſtimme den erhabenen 
und unwandelbaren Schwur in die endlpfe Weite bin, daß ed 

nun mit dem Kämpfen bald zu Ende gehe. 

N De Sormel, deren fich der Engel bedient, und feine ganze 
Attituͤde, find aͤußerſt merkwuͤrdig: Er ſchwoͤrt bei dem Ewig⸗ 
lebenden, der den Himmel, in den er feine Hand hinauf⸗ 
hebt, die Erde, die feinen linfen Fuß, und das Meer, dad 
feinen rechten Fuß trägt, mit allem, was in allen dreien if, 
gefchaffen hat. Und was ſchwoͤrt er denn? — | 

Die eigentlichen Worte lauten fo : 


Daß ein Chronus nicht ferner feyn werde! 

Die merkwuͤrdigen Entdeckungen, die der felige Bengel in 
Anfehung des Chronus gemacht hat, unterftelle ich als bes 

kannt; nach feiner Zeitrechnung enthält der Chronus 1111% 
Jahre, und er wird durch das geduldige Ausharren der 
Blutzeugen f. oben Kap. 6. V. 11. befiimmt ; wenn man 
nun das nachliest, was ich dort über den Chronus der es 
fabel und der Blutzeugen gefagt habe, fo wird man finden, 
daß diefer Zeitlauf gegen dad Ende des fiebenten Jahrhuns 
dert feinen Anfang nimmt, dieß wird auch noch durch den 
Fall des Fackelſterns beftärkt. Kap. 8. V. 10. Hier fängt 
alfo der merkwürdige Chronus der Blutzeugen und der der 
Sefabel an, beide laufen mit einander fort, und hören auch 
beide zwiſchen 1800 und 1856 zu gleicher Zeit auf, 

Da nun bier der Engel ſchwoͤrt — es würde Feinen 
Chronus mehr waͤhren, bis das Geheimniß Gottes vollen⸗ 
det ſey; das iſt, von ſeinem Schwur an, bis zwiſchen 1800 
und 1856 würden feine 1111 Jahre mehr feyn ; zur Zeit feis 
ned Schwurs aber doc) die fiebente Pofaune noch nicht ges 
blafen worden war, welches nicht fpäter ald im Jahr 800 
angenommen werden kann, fo fällt die Zeit, in welcher der 


204 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Engel hier ſchwoͤrt, in die Mitte des achten Jahrhunderts, 
etwa von 725 an bis 775, und die Zeit, welche er hier ans 
zeigt, oder der Nichtchronus, ift etwas mehr ald taufend 
aber doc) Feine 1111, fondern ungefähr 1050 Sahre. 

Die merfwürdigften Dinge, welche in jener Zeit, das ıft 
“in der Mitte des achten Zahıhunderts vorgingen, waren 
Karls des Großen gewaltthätige Bekehrungen der teutfchen 
Voͤlker zu Chrifto, und die Bemühungen des heiligen Bonis 
faozius, das Reich des Pabſtes zu vergrößern; befonders 


aber wurden damals die Waldenfer bekannt, der Zeitlauf der 


Gemeinde zu Thyatira fing an; und eben bdiefes ift hier 
werth, beherziget und der Brief des Herrn an die Gemeinde 
zu Thyatira hiemit verglichen zu werden; Dort kuͤndigt 
ſich Ehriftus an ald Einen, der Augen hat wie Feuerflam: 
men, und deffen Füße dem Tauterften glühenden Erze gleich 
find, und hier hat fein Gefandter eben ſolche Füße; dort 
wird der romifchen Gefabel ein Chronus zur Buße gegeben, 
und hier, da ed die Sjefabel gleich anfangs gar zu hißig 
treibt, fo fchwört der große Gefandte, es foll feinen Chronus 
mehr währen; und endlich wird dort das Gericht über die 
Sefabel verfündigt, wenn der Ehronus abgelaufen ift, und 
bier befehwort der Engel die Vollendung des Geheimniffes Gots 
ted auf die nämliche Zeit, folglich fteht der Brief an die 
Thyatirer mit diefer Botfchaft des Engeld in genauer Vers 
bindung, und eben diefes beftärft denn auch noch immer 
mehr Bengels Zeitrehnung und meine Erklärung, 

Nun beftimmt auch der Engel genauer, was den eigent= 
lid) gefchehen fol, wenn der Nichtchronus abgelaufen iſt; 
er ſagt: In den Tagen der Pofaune des fiebenten Engels 
foll das Geheimmiß Gottes, fo wie es durch. die Propheten 
verfündigt worden, vollendet werden; das ift, die große 
Srage: Wird denn endlich Chriftus durch feine Religion noch 
fiegen, und feine Wahrheit herrfchen bis an die Außerften 
Gränzen der Erden? — Wird das Reich der Finfterniß auf 
ewig unter die Füße gebracht werden? — Mit einem Wort: 
Sind die großen Erwartungen des Chriften, nicht des neus 
‚modifchen, fondern des altevangelifchen fo wie fie die Pro= 





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Kap. 10. V. 8. bis 11. 205 


pheten und Apoftel im ihm gewedt haben, wahr oder Taͤu⸗ 
ſchung? — diefe große Fragen follen in den Tagen der fies 
benten Poſaune, und befonders am Ende derjelben, völlig 
und zur Genüge beantwortet werden, 

Liebe Lefer! diefe völlige und genügende Beantwortung ift 
nahe — fehr nahe! — Wer die Morgenröthe noch nicht fehen _ 
kann, der Faufe fic) Augenfalbe, Kap. 5. V. 18. denn er 
hat fie fehr nöthigz; und. wer etwas fchwachglaubig ift, der 
ſtaͤrke feinen Fleinen Funken, damit der glimmende Docht nicht 
gar verlöfchen möge. Wir muͤſſen die Lampen brennend ers 
halten, denn der Herr iſt nahe; jeßt gilts! — jetzt iſts Kunft, 
auszuhalten, da ed zur ewigen Entfcheidung fommen fol, 
und die Ölaubensgründe fo ſchwach find. Halte was du haft, 
- damit dir niemand deine Krone nehmen möge | | 


8. Und die Stimme, welche ich aus dem Himmel gehört 

hatte, redete wiederum mit mir, und ſprach: Gebe, 
nimm das eröffnete Büchlein in der Hand des Engels, 
der auf dem Meer und auf der Erden fteht! 

9. Und ich ging bin zum Engel, und ſprach zu ihm: 

Gib mir das Büchlein! und er fagte zu mir: Nimm 
und iß es auf! Und es wird dir bitter. im Leibe, aber 
im Mund fo füß feyn, wie Honig. 

10. Und ich nahm das Büchlein aus der Hand des Enz 

| gels und aß es auf; und es war im meinem Munde 
fo füß, wie Honig, und indem id) ed aß, fpürte ich 
die Bitterfeit im Leibe. 

11. Und er fagte mir: Du mußt abermal über Nölfer, 
Nationen, Eprachen und viele Könige weiſſagen. 


Die nämliche Stimme, welche vorhin dem Sohannes bes 
fahl die Worte der fieben Donner nicht zu fchreiben, trägt 
ihm jegt etwas ganz anders auf: Er fol die geöffnete Role 
aus der Hand des Engeld uehmen, und fie effen. 

Dieß prophetifche Bild ift ebenfalls aus dern alten Tee 
ſtament genommen; denn als Ezechiel zum Lehramt angeord: 
net wurde, fo mußte er-auch einen Brief effen, der in feis 
nem Munde honigfüß war, aber Klage, Ach und Weh ents 


] 


206 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


hielt; folglich —* auch Bauchgrimmen verurſachen mußte. 
Ezechiel 2. V. 8 — 10. und Kap. 5. V. — 5. Johan⸗ 
nes befolgte * Befehl, der Engel gab ihm die geoͤffnete 
Holle, der Scher aß fie, im Munve ſchmeckte fie honigfüß, 
aber hintennach empfand er Bitterfeit im Keibe. 


Sieß ganze Bild ſtellt vor, daß jedes Wort des Herrn, 
denen Die himmliſcher Natur find, allen begnadigten Seelen, 
eine füße Speife, ein wahres Matina ſey; find aber foldye 
Worte Verkündigung ſchwerer Gerichte über die Menfchen, 
fo bringt diefer Genuß, ob er gleich gefünd und heilfam ift, 
Nachwehen: Denn welcher geheiligte Menfch, der alle Adams 
finder, feine Brüder, liebt, empfindet nicht Schmerzen, 
werin er weiß, daß ihnen großer Jammer bevorfteht? Sn: 


er 


- WE 
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deſſen, felig ift der, welcher mit dem Wort ded Herrn ger 


fpeißt wird I — es ift Nahrung vom Baum des Lebens; 
fommt aud) zuweilen eine Bitteifeit hintennach, fo ift auch 
diefe heilfani. 

Nun erklärt auch dei Engel dem Johannes, was dieß Eſ—⸗ 
fen bedeute? — er foll die Gerichte der fiebenten Poſaune 
Völkern, Nationen, Sprachen und vielen Königen verfündigen. 


Die Zeit, in welcher der Engel hier ſchwort, und auf welche 
ber Auftrag zu diefer neuen Weiſſagung hinzielt, fällt, wie 
vorhin fchon bemerft worden, in die Mitte ded achten Fahr: 


hunderts; damals waren alle die gegenwärtigen chriftlichen 


Nationen, Völker, Sprachen und die vielen Könige noch zus 
kuͤnftig; diefe entſtunden allmäplig nach der Gründung des 
abendländifchen roͤmiſchen Reichs, wie ich im Verfolg zeigen 
werde. Für diefe aberivländifchen Völfer, Nationen, Spra⸗ 
chen und viele Könige gehört alfo nun nöd) der Reſt von 
dem Buch mit den fieben Siegeln, die das Kamni erbrad) — 
der Reſt, den der Engel in der Hand hatte, und den Fohans 
nes effen mußte: Wenn er nun im Geift all den Jammer 
vorausſahe, den die römische Jeſabel unter den treuen Ans 
hängern Ehrifti, von den Waldenfern an, bis auf die Hu: 
genotten, anrichten, und all das Elend ahnete, welches der 
legte Abfall und das Thier aus dem Abgrund ftiften würde — 


Kap. 10. V. 8. Bid 11. 0. 207 


wahrlich Fa! fo Fonnte der menfchenliebende Mann wohl 
Bauchweh befommten. 

Hier folgen nun die hoöchſtmerkwuͤrdigen Res 
ben der fieben Donner, fo wie der Engel dem 
Johannes prophertifch verfiegelt übergibt. 





208. Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Das eilfte Kapitel 


4. Und e8 wurde mir ein Rohr, einer Ruthe ähnlich, ae- 
geben; und der. Engel ſtund und ſprach: Mache dich) 
auf, und miß den Tempel Gottes und den Altar, uud 
die in demfelben anbeten. 

2, Und den Vorhof außer dem Tempel ſchleiß aus, und 
miß ihn nicht: Denn er iſt den Nationen gegeben; und 
fie werden die heilige Stadt zwei und vierzig Monate 
lang zertreten, 


Serie beherzige hier, was ich oben ii den 4ten Vers des 
origen Kapitels gefagt habe, und lefe dann weiter! 

— muß ich bemerken, daß ich im erſten Vers die Leſe— 
art: Und der Engel ſtund und ſprach — der gewoͤhnlichen — 
und ſprach — deswegen vorziehe, weil die letztere keinen 
Sinn hat. 

Johannes empfing ein langes ſtarkes Schilfrohr, wie eine 
Ruthe; dieſes Gewaͤchs brauchte man in den Morgenlaͤndern 
zum Meſſen, weil es ſehr leicht, dabei aber gerade und ſehr 
lang war; in den warmen Laͤndern werden dieſe Pflan⸗ 
zen groͤßer und ſtaͤrker als bei uns. Darauf befahl ihm der 
nemliche Engel, der auf dem Meer und der Erden ſtund, und 
ihm das Buͤchlein zu eſſen gegeben hatte: Er ſolle nun hin⸗ 
gehen, und den Tempel, den Altar, und diejenigen, die da 
. anbeten, meffen, u. f. w. 

Dieß Meffen ift mit demjenigen, welches Ezechiel fieht, 
Kap. 40. V. 5. 5. u. f. vermuthlich nahe verwandt; was 
es aber eigentlich bedeuten foll, das muß und wird die Vor: 
fehung zu feiner Zeit entfiegeln; fo viel läßt fi) wohl dar: 
über fagen, daß es eine neue Befignehmung diefes Tempels 
bedeuten koͤnne; und da der Vorhof außer dem Tempel, alfo 
der innere und der äußere, den Nationen 42 Monate lang 
Preis gegeben werden fol, fo fcheint es faft, ald wenn dieß 


en 


Rap. ur BB. NE ur) 209 


Zertreten der Vorhöfe und der heiligen Stadt mit den 42 
Gewaltmonaten des Thiers eine gleichlaufende und gleich 
lang dauernde Zeit ſeyn »folltess Diefe Vermurhung wird 
noch wahrfcheinlicher , wenn man dieß myſtiſche Geficht auf 
das irdifche Jeruſalem anwendet: denn dieß fing: gerad in 
der Zeit an zertreten zu werben, alsı fi der Pabft zur welt⸗ 
lichen Machr erhob; folglich wirde dann auch dieß Zertreten 
aufhören, wenn die Gewaltmonate des Thiers zu ‚Ende WA: 
ren, — Die Zeit wird num bald lehren, ob diefe Vermu— 

thung zutrifft? 
Eine zweite Erklärung , die ebenfalld Gründe und Wahre 
ſcheinlichkeit fir fi har, ift folgende: Man fegt' die Erfüls 
lung diefes Mefiens ſowohl ald des Zertretens and Ende, 
und nimmt dann die 42 Monate nicht im prophetifchen, fonz 
dern im gewöhnlichen Sinn. Dazu glaubt man den hinlänglis 
chen Beweis in folgenden 7ten Vers zu finden, wo das Thier 

aus dem Abgrund, welches zuverläflig ans Ende, nahe vor die 
Zukunft des Herrn gehört, die ziween Zeugen überwinden umd 
tödten wird; die zween Zeugen aber werden aus Meſſen uud 
Zertreten — 

Was mir am wahrſcheinlichſten vorkommt, das will ich 
am Schluß diejer erhabeuen Hieroglyphe fagen. 

Das Meffen derer, die im Tempel anbeten, ‘geht —— 
lich auf ihre Anzahl; vielleicht auch auf die Prüfung und 
Beftimmung ihrer Grade des Fortſchritts in der Heiligung. 


3. Und ich werde meinen zween Zeugen geben, und fie 

werden in Säcke gehüllt tauſend zweihundert und ſech⸗ 
zig Tage weiſſagen. 

4. Diefe find die zween Oelbäune und die zween Leuchter, 
welche vor dem Herrn der Erde ſtehen. 

8. Und wenn fie jemand beleidigen will, fo geht Feuer 

aus ihrem Munde, und verzehrt ihre Feinde. Und 
wenn fie jemand umbringen will, der wird eben fo 

umkommen. 


| Wenn diefer Engel nicht felbft Chriftus ift, fo fpricht er 
doch in feinem Namen, indem er ſagt: Und ich. will meine 
Stiflings ſammti. Schriften. II. Band. 14 


310 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


zween Zeugen beordern, daß fie in Saͤcke gehüllt 1260 Tage 
weiffagen follen. Das Bild diefer zween Zeugen ift erftlich 
von Mofe und Aarom, zweitens von Elia und Elifa, und drits 
tens vorzüglich von Serubabel und Zofua entlehnt; alle drei 
Paare hattens mir böfen, das Volk Gottes drüdenden Maͤch— 
ten, und’ zwar gerade in dem Zeitpunkt zu thun, wo es bies 
gen oder brechen mußte. 

"Die Zeit der Weiffagung fol 1260 Tage währen, den ı Mos 
nat zu 50 Tagen gerechnet, macht das 353 Jahr, und wenn 
die Zeugen natürliche Menfchen find, fo muß auch diefe Zahl 
nicht im prophetifchen, fondern im gewöhnlichen Sinn verz 
ftanden werden. Indeſſen ift ed doch merkwuͤrdig, daß ges 
rade die Formel 1260 Tage, und nicht 35 Jahr oder 42 
Monate: gebraucht werden; denn alle drei Zeiten find gleich, 
fobald. man 50 Tage auf einen Monat rechnet; es fcheint 
alſo doc), als wenn zwifchen den 1260 Tagen des Weibes in 
der Wüften und diefen eine geheime Beziehung wäre! Ja 
wer: weiß, ob nicht gar eine geheime Verbindung mit den 1290 
und: 1355 Zagen Danieldö Kap. 12: V. 11. 12. ſtatt finder, 

Dieß find die zween Delbaume und die zween Leuchter, 
fagt der Engel ferner, die vor dem Herrn der Erde ſtehen; 
Zacharias fahe fie, Kap. 4. befonders V. 14. und ihm wurde 
auch gefagt, wer fie ſeyen, nemlich Zofua, der Hohepriefter, 
und: Fuͤrſt Serubabel, die beiden Männer, auf denen damals 
die Hoffnung zur Erlöfung Iſraels beruhte. 

Oelbaͤume geben das Del zu den Leuchtern, aber. aud) die 
Delzweige des Friedens; das erfte Sinnbild ift hier am ſchick⸗ 
lichften, weil die Zeugen auch zugleich Leuchter find, die des 
Oels bedürfen; fie müffen fehr heil leuchten: Denn zu ihrer 
Zeit iſts ſchrecklich finfter. Wer hier unter dem Herrn der 
Erde verftanden werden fol, das fallt nicht fo gleich im die 
Yugen; denn. man koͤnnte auch wohl die Macht der Finſter— 
niß Darunter verfiehen, als welde zu ihrer Zeit leider! Herr 
auf Erden feyn wird; es jcheint aber doch, ald wenn Gott 
felbjt gemeint wäre; die Ausdruͤcke in den Parallelftellen des 
Propheten 5 geben Winke. | 

Daß Feuer aus dem Munde der zween Zeugen gehen und 


Kap. 11. ®. 6 7. 211 


ihre Feinde verzehren fol, ftellt fie in DVergleichiing mit dem 
Propheten Elias, 2 Kdn. 1. ®. 10. 12. Niemand Fan fie 
ungeftraft beleidigen, fo lang als ihr Strafamt währer; fie 
gehen in Trauerfleidern wegen der herrfcheideit Sünden der 

Völker, und wegen der Bedruͤckung derer, die den Herrn fürchten. 


6, Diefe haben Macht, den Himmel zu verſchließen, daß 
es nicht regne die Tage ihrer Weiffagung. Und fie 
haben Macht über das Waffer, um es in Blut zu vers 
wandeln, und die Erde mit allerhand Plagen zu fchlas 
gen, fo oft fie nur wollen. 
7. Und wenn fie ihr Zeugniß vollendet haben, fo wird 
das Thier, das aus dem Abgrund auffteigt, Krieg mit 
ihnen führen, uud fie überwinden und tödten. 


Die Macht, den Himmel zu verfchließen, hatte Elias auch, 
I Kön. 17. V. J. und die Verwandlung des Waffers in Blut, 
nebſt den übrigen Plagen, übten Mofe und Aaron aus, 2 Mof. 7. 
B. 20. 21: Es ift alfo augenfcheinlich, daß diefe zween 
Zeugen alle die Geſandtſchaftsauftraͤge ausüben follen, welche 
Serubabel und Joſua, Elias und Elifa, und Mofe und Aaron 
ausgeibt haben; fie machen den Beſchluß der Strafgefandts 
ſchaften an die fündige Welt, fie find die legten Werkzeuge, 
welche Brände aus dem Feuer retten follen, und empfangen 
auch den Lohn, den alle treuen Blutzeugen, von dem Zacha⸗ 
rias, Badachias Sohn, bis auf fie hin, empfangen haben, 
fie find die legten Martyrer : 

Denn das Thier aus dem Abgrund wird erft einen Krieg 
mit ihnen anfangen; fie muͤſſen alfo wohl einen großen Ans 
bang haben, Vorfteher großer Gemeinden ſeyn; man wird fie 
zu ſchuͤtzen ſuchen, aber die Macht der Finfterniß wird fie 
überwinden und toͤdten. 

Im Verfolg wird unwiderfprechlich bewiefen werden, daß 

dad Thier aus dem Abgrund die legte und fchredlichfte Mache 

fey, die Chriftus zu bekämpfen und zu überwinden habe; da 

nun die zween Zeugen von diefem Thier befriegt und getdd- 

tet werden follen, fo ift daraus klar, daß fie noch zufünfs 
tig find. m 
14 *# 


212 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


Zugleich aber erhellet auch hieraus, daß der Engel hier 
von den legten Zeiten höchft merfiwärdige und zwar foldye 


Dinge weiffagt, die in die Gefchichtsreihe des folgenden Ges 


fihrö nicht eingefchalter werden durften, weil fie da durch die 
Verbindung zu deutlich würden geworden feyn, und zu viel 
vom Kriegsplan gegen den Feind würden offenbart haben. 
Das war eben der Fall bei den Stimmen der fieben Donner, 
darum durfte fie auch Johannes nicht fchreiben, aber verfies 
gelt mußten fie auf die Zukunft gebracht werden, und das 
geſchieht nun hier. 


8. Und ihre Leichname werden auf der Gaſſe der großen. 
Stadt liegen, welche geiftlih Sodom und Aegyp⸗ 
ten genannt wird, wo auch ihr Herr gefrenzigt wors 
den iſt. 


9. Und etliche aus den Völkern, Stämmen, Spraden 
und Nationen feben ihre Leichname drei Tage und 
einen halben, und fie werden nicht zulaffen, daß ihre 
Leichname ins Grab gelegt werden, 


10. Und diejenigen, die auf Erden wohnen, freuten ſich, 
werden fröhlich feyn über fie, und ſich untereinander 
Geſchenke ficken; denn eben diefe zween Propheten 
quälten die Bewohner ber Erden. 


, Die zween Zeugen werden auf den Gaffen einer großen 
Stadt getbdtet werden; ihre Leichname wird man da zum 
Schauſpiel des Volks liegen laffen, damit es fi) an dem 
Anblick diefer ermordeten Menfchquäler weiden koͤnne. Diefe 
große Stadt aber wird der prophetifchen Verfieglung wegen 
nicht. mit ihrem wahren Namen genannt; ‚doch gibt ihr der 


Engel der Aehnlichkeit wegen drei Merkmale: Er nennt fie 


im geiftlichen, verblämten oder propherifdhen Sinn, Sodom; 
denn ihre Bewohner führen fie eben fo, wie die Bürger zu 
Sodom auf, fie ift aber aud) ein geiftliches Aegypten, weil 


das geiftliche Sfrael eben fo von ihr in der Kuechtfchaft gehal⸗ 


ten wird, und es die zween Zeugen eben fo, wie ehemals 
Mofe und Aaron retten wollten; und endlich fette der erhabene 


Kap, 11. B. 8. bis 10. 215 


Weiffager Hinzur Es ift die Stadt, wo aud) ihr Herr ges 
freuzigt worden ift. 

Diefe Worte haben viele Ausleger bewogen, das irdifche 
Jeruſalem für die große Stadt, für das geiftliche Sodom und 
Aegypten zu halten; allein ich habe, wie mir deucht, gegrüns 
dete Bedenklichfeiten dabei. 

1) Man fieht deutlich, daß hier der Engel verfiegelt fpricht 
— er will die Stadt nicht kenntlich machen, aber fie doc) fo 
beſchreiben, daß fie zur Zeit, wenns gilt, nicht verfannt wers 
- den kann; wenn man aber nun die Worte — da, wo ihr Herr 
gefreuzigt worden — umverfiegelt verfteht, fo ift Das ja eben 
fo gut, ald wenn er gefagt hätte: Mit einem Wort, es ift 
Serufalem! 

2) Man kann das jegige Jeruſalem unmdglich mit Sodom 

und Aegypten vergleichen; indeffen wilf ich nicht läugnen, 
daß ed bald beides werden fünnte; auch war diefe Stadt nie 
fd groß, daß fie vorzugsweife Die große Stadt genannt 
‚werden Fonnte; und 

3) Das Kreuzigen ihres und unferd Herrn kann ja auch 
geiftlich verftanden werden, und über dad noch einmal auf 
eine folche Art, und fo gefchehen, daß es zu feiner Zeit 
die Stadt Fenntlih genug macht. Freilich Fann Chriſtus 
nicht noch einmal Förperlich gefreuzigt werden, aber doch 
. wohl geiftlid — und wer weiß, was das Thier aud dem 
Abgrund noch für Uebermuth treiben wird, wodurd) es dann 
endlich zu feinem fchredlichen Gericht vollends heranreift. 

Die große ungenannte Stadt wird permuthlich zu der Zeit 
der Hauptſitz, entweder der Aufklärung oder der Handlung, 
‚oder irgend einer nahmhaften Regierung, oder vielleicht aller 
dreien zugleich ſeyn; denn es find Leute aus vielen fremden 
Nationen da zugegen, wenn die verachteten, verhaßten Chris 
ftenvorfteher endlich einnral aus dem Wege geräumt werden. 
Jene werden fich freuen, vecht luftig machen, und glauben: 
Nun fey denn doch der legte Keim des chriftlichen Aberglaus 
bens, der fo lang den Emporſchwung des menfchlichen Geis 
ſtes gedrückt, und alle Aufklärung gehindert habe, mit der 
Wurzel auögerotter; da wird es an Bällen, Komdbien, Sl: 


21% Erklärung der Offenbarung Johannis. 


luminationen, und dergl. nicht fehlen, aber ed geht Ben 
anders. ald fie denken, 


11. Und nach den dreien und einem halben Tag Fam er 
Geift des Yebens aus Gott in fie, nnd fie ftunden 
auf ihren Süßen, und alle, bie fi ie fahen, überfiel 
eine große Furcht. 

13. Und fie höreten eine große Stimme aus dem Him⸗ 
mel, die zu ihnen ſprach: Steigt hieher! und fie 

al feiegen { fu den Wolfen gen Himmel, und ihre Feinde 
fahen fie, 

15. Und in der nämlichen Stunde entftand ein großes 
Erdbeben; und der zehnte Theil der Stadt fiel; und 
in dem Erdbeben wurden fieben taufend Menfcheitz 
namen getödtet; und die übrigen wurden boll Schres 
cken und gaben Herrlichkeit dem Gott des Himmels. 


Mitten in dem Zubel über den großen Sieg wendet ſich 
das Blatt auf einmal und auf ewig; ganz unerwarter flehen 
die todten Männer wieder lebendig da auf ihren Füßen jetzt 
hat die Freude ein Ende, und Angſt tritt an die Stelle; 
denn an ein ferneres Morden ift nicht mehr zu denken. Das 
zu fommt nun auch der Aufruf vom Himmel, daß fie hin⸗ 
auf fteigen folen, zu dem, der fie gefandt hat, und fie 
folgen dem Ruf; denn eine Wolke umhuͤllt fie und führt fie 
aufwärts, 

Einen Tag, zween Tag und einen halben Tag waren 
die zween Zeugen todt; auch diefe Zahl ift bedeutend, fie 
fcheint wieder mit der einen Zeit, zwo Zeiten, und einer hals 
ben Zeit des Weibes in der Wüften im Verhältmiß zu ftehen. 

Eo wie die zween Zeugen gen Himmel gefahren find ent: 
ſteht ein ſchreckliches Erdbeben, in welchem der zehnte Theil 
der großen Stadt zerftdre wird, fieben taufend Menſchenna⸗ 
men umfommen, und die Mebrigen dann endlich die wei: 
Feit Gottes erfennen und preifen. 

Eo weit geht die Weiffagung ded Engeld, oder die vers 
fiegelte Erimme der fieben Donner; was fie aber nun bes 
deute,, das kann noch nicht beſtimmt werden, denn das, 


—— — ir u 3 Ah u 2 
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Kap. 11. DB. 11. bis 15. 215 


was zur Entfieglung gehört, das hat die hohe Vorfehung 
noch nicht an die Hand gegeben. Und hier, meine lieben 
Leſer! deucht mir eine Erinnerung, die mir fchon lange am 
Herzen gelegen hat, am rechten Ort zu ſtehen: Es ift übers 
haupt mißlich, wenn man bei Auwendung der noch unerfülls 
ten Weiffagungen auf die Zufunft zu viel wagt — gewöhns 
lich trifft nicht ein, und wenn nun dieß der Fall ift, fo wird 
Auslegung und Weiffagung beides mit einander proftituirt; 
wenn man doch nur bedächte , daß man das, was zukünftig 
ift, nicht vorher wiffen ſollz denn darum ift es eben in pros 
phetifche Bilder eingekleidet, und nicht deutlich gefagt wors 
den. Die Weiffagungen follen blos Winfe geben, wo es 
hinaus will, und wenn die Morgenroͤthe der Erfüllung eins 
tritt, dann erft iftö Zeit, daß fich die Männer, ‚die Kraft und 
Drang dazu fühlen, aufmachen und den Uebrigen nad) Anleis 
tung der Weiffagungen den rechten Weg zeigen, wo es hinaus 
will. Diefe Regel foll auch mich in diefem Werk leiten ;; der 
berühmte Newton fagt irgendwo folgende goldene Worte: Die 
Dffenbarung und jede Weiffagung ift nicht dars 
um gegeben, um die Allwiffenheit der Ausleger, 
fondern die Allwiffenpeit Gottes der Welt fund 
zu machen. 

Mas alfo wohl von den verfi iegelten Morten der fi eben 
Donner gefagt werden fönnte, dad wäre etwa folgendes : 

Die ganze Weiffagung des Propheten Ezechiels, vom Ans 
fang des zoften Kapitels an, bis zum Ende des 4sften, ift 
noch unerfüllt,, folglich zufüuftig : das Meffen, welches hier 
dem Zohannes aufgetragen wird, iſt eine Anfpielung auf 
jenes, und es ſcheint, ald wenn es mit den hundert vier 
und vierzig taufend Verfiegelten in Verbindung ſtuͤnde; für 
diefe wird wohl der Tempel, vie geiftliche Kirche des Herrn 
hier gemeffen, und ihnen ihr Theil angewiefen: folglich ges 
ſchah dieß Meffen, nach der Verfiegelung jener zwölf mal 
zwölf taufend Siraeliten, f. oben Kap. 7. aber auch nach 
dem Schwur des Engeld; kurz, es gefchahe in der Zeit, als 
die Türken und Sarazenen Jeruſalem anfingen zu zertreten, 
und dad Pabſtthum die Vorhöfe des Herrn an ſich riß; aber 


216 Erklärung der Offenbarung Sohannis. 


nie. den innern wahren Tempel einehmen Fonnte, der blieb 
den Vorfiegelren bis daher, und fie werden ihn auch im Bes 
fig behalten, bis in det Zukunft des Herrn am feinem herr: 
lichen Reich, wo dann aud die erhabene Weiffagung Eze— 
chiels ganz erfüllt werden wird; während den 42 Gewaltmo⸗ 
naten des Thiers, und 42 Monaten des Zertretend, zwo 
Zeiten, ‚die mit einander fortlaufen,, ohngefähr zugleid) ans 
fangen, und ungefähr zugleid) endigen, bleiben die Verfiegelten 
in ihrem fürrfie abgemeffenen Theil des innern Tempels am 
Anbeten, bis der Herr kommt; und nun auch einmal die Reihe 
an ihnen ift, hervortreten und ‚die Haupter empor zu heben. 
Wenn aber die Gewaltinonate abgelaufen find, und das 
Thier aus dem Abgrund recht am Wuͤthen iſt, ſo werden 
dann die zween Zeugen auftreten. 

Ich habe oben bei der Erklaͤrung der vier letzten Briefe 
des Herrn an. die Gemeinde zu Thyatira, Sardes, Phila— 
delphia und Laodicen, bemerkt, daß diefe vier Gemeinde 
bis ans Ende fortwähren, und die übrig gebliebenen oder 
wenigen Namen in Garden, deögleichen die laodiceiſchen 
Meberwinder ſich mit Thyatira und Philadelphia vereinigen 
würden; es ift alfo wahrfcheinlid), daß die zween Zeugen die 
Engel oder Vorfteher diefer Gemeinde feyn werden. 

Eben diefe beiden Gemeinden find die naͤmliche Kirche, 
Die mit den 144000 Verfiegelten anfingz fie find das Weib 
mit der Sonne befleider, Kap. 12. die Braut oder das Weib 
des Lamms, Kap. 19. V. 7. 8. welches der babylonifchen 
Hure gegenüber ſteht. Diefes Weib, diefe Gemeinde, dieſes 
Stanımhaus aller Auserwählten, ift taufend zwei hundert 
und fechzig prophetifche Tage, an einem ſichern Ort in der 
Müften, und ihre legten Vorfteher zeugen 1260 natürliche 
Tage für die Gerechtfame ihrer Kirche und für die Wahrheit 
von Jeſu Chriſto; daun wird auch die fernere Flucht des 
Sonnenweibes durch eine Zeit, zwo Zeiten und eine halbe 
Zeit beftimmt, und hier liegen die Leichname der zween Zeu— 
gen einen Tag, zween Tage und einen halben Tag todt auf 
der Gaſſen,, dann aber ſtehen fie auf zum ewigen Leben, 
und fahren gen Himmel. 


Kap. 11.8, 11. bie 13. 217 


Sc gebe diefes alles bloß für Winfe und Vermuthungen 
aus, die aber doch zu feiner Zeit unfern Blicken eine Riche 
tung geben Fonnen, die der Wahrheit wenigftend nicht nach— 
theilig feyn wird. Uebrigens muß das Geficht und die Weiſ— 
- fagung von den zween Zeugen Außerft wichtig feyn, weil es 
ein fo anfehnlicher Engel hier fo feierlich anfündigt — auch 
daß es hier zwifchen ver fechsten und fiebenten Pofaune eins 
gefchalter wird, und gleichfam eine Vorbereitung zur leiten 
ift, muß etwas fehr Merkwürdiges zum Zwed haben. So 
viel ift gewiß: Das Gefiht von den zween Zeugen enthält 
die eigentliche und beftimmte Entiwiclung des Geheimniffes 
Gottes, und den ganz genauen Ausgang des legten Kampfs 
Ehrifti gegen das Thier aus dem Abgrund — wenn es alfo 
einmal mir diefem aufs höchfte gefommen iſt; fo werden Die 
zween Zeugen wohl Fenntlich werden, fie mögen dann moras 
liſche oder phyſiſche Perſonen; und der Ort ihres Zeugniffes 
mag Serufalem oder eine andere Stadt ſeyn; guug! dann 
wird diefe prophetifch = verfiegelte Weiffagung entfiegelt, und 
dem glaubigen Chriſten verftändlich gnug werden, Jetzt laßt 
und nur ja nicht vorwigig grübeln, fondern die Zeit erwars 
ten, die ohnehin nicht fern mehr ift — aber wir wollen in 
der Furcht des Herrn aufmerfen, damit uns in dem Ges 
dränge der großen Vorfälle, womit unjre Zeit und die nahe 
Zukunft ſchwanger geht, eine fo wichtige Erfüllung nicht 
unbemerkt entgehen möge; denn die Erfüllungen der Weiſſa⸗ 
gungen find die Fräfrigften Herzftäarfungen der Glaubens 
ſchwaͤche; und vorzüglich find auch ſolche Weiffagungen zu 
diefem Zweck für uns aufbewahrt worden. Es ift ſchrecklich, 
und ein Kunftgriff des Thiers, daß man fie ung rauben will! 


14, Das zweite Weh ift vorüber gegangen, fiehe! das 
| dritte Weh kommt fchnell. 


Dei dieſem Vers ift wohl zu bemerken, daß er keineswegs 
mit den vorhergehenden zufanımenhängt; denn wenn er dieß 
‚thäte, fo würde man das Gericht über die große Stadt, deſ— 
fen im 15ten Vers gedacht wird, für das zweite Weh halten 
muͤſſen — das wäre aber widerfinnig, weil jenes Gericht in 


218 Crklärung der Offenbarung Fohannis, 


die Zeit des Thierd aus dem Abgrund fält, und das allers 
legte vor der Zufunft Chrifti, oder doch eins von den letzten 


ſeyn wird. Dem zufolge würde alddann das dritte Weh vr 


dem zweiten hergeben, welches ja unvernünftig und ein wahs 
ver Widerſpruch waͤre. Derowegen muß man dieſe Sache 
ſo anſehen: Dieſer 14te Vers ſchließt ſich an den 21ten des 


Hten Kapitels anz dort hört die Weiffagung der festen Pos 


faune oder des Gerichts über das orientalifch » griechifch » chrifts 
liche Kaiferthum auf, und eben dieß Gericht war das zweite 
Wehe — darauf madht nun die Erfeheinung des ſchwoͤrenden 
Engelö, und feine Weiffagung vom völligen Aufichluß des 
Geheimniffes Gottes, zur Zeit des Thiers aus dem Abgrund 
furz vor der Zufunft des Herrn, ein Epifode oder Einfchals 
tung; nachdem diefe mit dem vorhergehenden 18ten Vers ges 
endigt worden, und der Engel wieder verfchwunden ift, fo 
geht nun das Hauptgeficht wieder fort, und Johannes knuͤpft 
den Faden feiner Erzählung damit wieder an, daß er fagt: 
Das zweite Wehe war alfo unter der festen Pofaune vor⸗ 
über gegangen, fiehe! lieber Lefer! jeßt folgt nun auch das 


dritte Wehe unter der fiebenten Pofaune fchleunig nach, Diefe 


ganze Sache ift fo natuͤrlich und fo Flar, daß ich nicht begreis 
fen kann, wie fo viele Augleger fie haben_überfehen koͤnnen. 


‚15. Und der fiebente Engel blies die Pofaune, und es 
entftunden große Stimmen im Himmel, die fpras 
hen: Die Königreiche der Welt find unferm Herrn 
und feinem Gefalbten geworden, und fie werden in 
die ewigen Ewigkeiten regieren, 

16. Und die vier und zwanzig Nelteften, die vor Gott 
auf ihren Thronen figen, fielen auf ihre Angefichter 
nieder, und beteten Gott an, 


‚Die fiebente Pofaune ift bei weiten die wichtigfte, befons 
ders für ung; und dieß nicht allein deswegen, weil fie uns 
trifft, fondern weil fie aud) den legten Kampf und Sieg und 
die ewige Entſcheidung des Schickſals der Menfchen enthält. 
Sobald fie tönt, ſtimmt der ganze Himml ein großes Jubel: 
gefchrei an: Der Herr ift König — das Koͤnigreich der Welt, 


> ur — — 


—— — 


— —— 


er u 





Kap 1a V. 15, 16 219 


oder ihre Königreiche gehören nun ihm und feinem Gefalbten, 
dem Ueberwinder der Hölle, ded Todes und aller feiner Feinde; 
und fein Königreich wird in alle Ewigkeit währen. 

Dieß war vermuthlich Folge des Schwurs ded Engel! — 
er hatte mit feiner Löwenftimme durch alle Himmel gefchrien, 
daß in den Tagen der fiebenten Pofaune das Geheimniß Got: 
tes vollendet werden ſollte: vielleicht war es aber auch ſchon 
den Himmelsbürgern auf einem andern Weg befaunt gemacht 
worden. Auf diefes Zubelgefchrei, worauf die vier und zwans 
zig Stellvertreter des Menfchengefchlehrs geharrt hatten, 
weil es ihnen Winf zur Feier war, fielen fie auch nieder auf 
ihre Angefichter, und beteten Gott, den ewigen König, an. 

Das Blafen der fiebenten Pofaune fällt in den Anfang des 


neunten Fahrhunderts, als unter Karl dem Großen das abends 


laͤndiſche chriftliche Kaiferthum, diefer große Schauplaß des 

letztern großen Kampfs und Siegs Chrifti gegen und über 
feine Feinde, geftiftet wurde; bier eutſtunden nach und nach 
die feindfeligen Mächte, die den letzten Verfuch gegen den 
menfchgewordenen Erlöfer wagen dürfen, über diefem Wagen 
aber auc) erfahren werden, wie Er iſt. Hier gründet er 
aber auch fein Feuer und Heerd, und feine Braut, feine Ges 
meinde, fteht hier der babylonifhen Hure gegem über, und 
wird endlid) gewiß üßer fie triumphiren. 

Die Worte, die Königreiche der Welt find unſers Gottes 
und feines Chriſtus geworden, werden im doppelten Sinn 
erfüllt: Denn ald Karl der Große Frankreich beherrfchte, fo 
richtete er nicht allein das abendlandifche Kaiferthum wieder 
auf, fondern er fuchte auch die chriftliche Religion: auf alle 
Weiſe auszubreiten, fo jehr es ihm nur möglich war; freis 
lic) gefhah das nicht fo hriftlih, als es hätte gefchehen 
follen, allein der Weg wurde denn doch dem Sonnenweibe 
gebahnt, und ihm in der Wuͤſte ein Ort bereitet. Nah und 
nach wurden alle europälfche Negenten und "Könige Chriften, 
das mächrige Nußland nicht ausgefchloffen; folglic waren 
ſchon einmal viele Reiche der Welt, wenigftens die kultivir⸗ 
teften, am mehreften vermögenden, Gottes und feines Chris 
fius geworden; und da die Muhamedaner doch Verehrer des 


220 Erklärung der Offenbarung Johannis 


wahren Gottes find, wer wollte fie hier ausfchließen? alle 
muhamedanifchen Reiche find einmal Gotres, und fonnen Daher 
auch feines Ehriftus werden, fobald der Zug des Vaters zum 
Sohn bei ihnen einft beginnen wird, 

Die Haupterfüllung fteht aber noch bevor, nad) der Ueber: 
windung des Thiers aus dem Abgrund werden erft in vol- 
lem Sinn alle Reihe der Welt unferm Herrn und feinem 
Geſalbten zugehören. 

Daß die pier und zwanzig Aelteſten niederfallen und ans 
beten, das iſt ganz in der Ordnung ; denn fie geht die Sache 
der Menfchen vorziglid an, und wenns aufs Beten und 
Danfen anfommt, fo müffen fie den Anfang machen. Sie 
fielen alſo auf ihre Angeſichte. 


17. Und ſprachen: Wir danken bir, Herr Gott, Allherr— 
ſcher! der iſt und der da war, und der kommt, daß 
du deine große Macht ergriffen, und das konigliche 
Regiment angetreten haft. 

18. Und die Nationen find zornig worden, und dein Zorn 
ift gekommen, und die Zeit der Zodten, Gericht zu 
halten, und deinen Kuechten, den Propheten und Hei: 

ligen, und denen, die deinen Namen fürchten, beides 
Kleinen und Großen, ihren Kohn zu geben, und die 
zu verderben, die die Erde verderbt haben. 


Hier beziehen fi) die vier und zwanzig Anbeter in ihrer 
neuen Huldigungsrede auf alle Verheißungen Gottes, von 


Adam an bis auf Ehriftum. Sie reden den Herrn mit der 


Umfchreibung des Namens Sehopah an, erkennen ihn für den 
Pantokrator, für den Alleserhalter und Allesregierer, und 
Danfen Ihm dann, daß Er nun auch einmal mit dem Schlans 
gentreten den Anfang macht, fich feiner Macht bediene, und 
ald König zu regieren anfange; dann fpielen fie ferner auf 
den 2ten Pfalm und auf den goften an, und fagen: Darum 
find au) die Heiden am Zoben, und zornig geworden; aber 
dein Zorn ift auch gefonmen, und du wirft nun aud) Todten 
und Lebendigen, jedem feinen Lohn geben, fo wie er es vers 
dient hat. 


Bde > 


Kay. 11108. 17. bis 1. v2 


Dies alles ift Zeugniß, daß unter der fiebenten Pofaune, 
die nun bald ihrem Ende nahe ift, alles vollendet werden fol, 
fo wie der Engel gefhworen hatte: Laßt und wachen! der 
Herr kommt bald! jeßt gilts vorzüglich, 


Ä 
19. Und der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet: 
und die Lade feines Bundes wurde gefehen in feinem 
nel; und es entftunden Blige, Stimmen, Don: 
ner, Gröbeben und großer Hagel. 


Daß Gott im Himmel auch einen Tempel babe, der mehr 

fagen will, als die Peteröfirche zu Nom, und auch eher die 
Mutterfirche aller Kirchen der Welt genannt zu werden Vers 
dient, das fehen wir: aus vielen Stellen dieſes erhabenen 
Buchs; und da die Stiftöhütte, und hernach auch der Tem— 
pel zu Serufalem nach diefem Arhitypus, nach diefem Erz= 
muſter, gebaut worden, fo fünnen wir von jenem auf diefes 
fchließen ; ed gibt alfo auch im bimmlifchen Tempel eine 
Bundeslade. 
“ Hier finden wir num den Auffchluß, warum das Allerheis 
ligfte,. mit der darinnen enthaltenen Bundeslade, für jeden, 
auch den frömmften Sfraeliten, auf immer unzugänglich war — 
nur der vorbildende Hohepriefter durfte an einem Tage des - 
Jahrs, nemlihd am Verföhnungsfeft, etlichemal hineingehen, 
aber dann mußte er doch feinen Bli zur Erde richten, er 
durfte die Bundeslade nicht anfehen. Im zweiten Tempel 
war fie nun gar nicht, folglich konnte fie auch nicht gejehen 
werden! aber bier wird fie nie geraubt und nie entweiht. 

Dieß geheimnißvolle Heiligthum ift nichts anders, als der 
verborgene Behälter — das Archiv der göttlihen Weisheit 
und feiner Ratbfchlüffe über das gefallene Menfchengefchlecht; 
dieß war nie einem Sterblichen zugänglich, nur der ewige 
Hohepriefter Jeſus Chriftus erfaufte fich den freien Zutritt 
durch fein Leiden und Sterben; das Buch mit den fieben 
Siegelu wurde aus diefer Lade genommen, und vom Laim 
erbrochen ; hier nun, wo es unter der fiebenten Pofaune zur 
endlichen Entwicklung und Erfüllung der göttlichen Geheim— 
niſſe kommt, bier hört die Verbergung der Bundeslade vor 


= 


222 Erklärung der Offenbarung Sohannis, 


den Augen der Menfchen auf — nun kann und darf fie jeder: 
mann fehen. Wofür fol man einen leeren Kaften geheim 
halten, wenn er nichts Geheimes mehr enthalt °— — 
Das Vorfpiel dazu wurde fchon bei dem Tod Chrifti ges 
geben: Denn weil diefer Tod ein Hauptftüc der Enthüllung 


jenes Geheimniffes war, fo riß auch der Vorhang im Tem: a 


pel entzwei, und der Zutritt zum Allerheiligften wurde geöffnet. 
Als das fiebente Siegel erbrochen, und die Gebete aller 
Heiligen auf dem Altar mit himmliſchem Nauchwerf geopfert 
wurden, fo bezeichnete der Ewige die Erhdrung jener Gebete 
mit Stimmen, Donner, Bligen und Erdbeben. Kap. 8.8.5. 
Hier dffnet fich nach dem Danfgebet der 24 Aelteften der 
Tempel Gottes im Himmel, und die himmlifche Bundeslade 
wird enthält — dieß ift die Antwort des Herrn für die, 
welche gewohnt find, mit Adleraugen in den Himmel zu fehen, 
fie Heißt: Seht hier! der Bund Gorted mir den Menfchen 
ift erfüllt, und das Allerheiligfte nicht mehr ein unzugänglis 
ches Dunkel; 
Fuͤr irdifche Augen und Ohren aber fpricht dann auch die 
Natur; es gefchehen Zeichen im Himmel und auf Erden; 
Donner, Blige, Stimmen, Erdbeben, Hagel und dergleichen 
fündigen wohl oft göttliche Gerichte an, befonderd wenn fie 
auf ungewöhnliche Weife in Wirkfamkeit gefet werden. Da 
fpricht denn der Unglaube: Das find Feine Wunder, es geht 
ganz natürlich zu — Gut! — bie göttlichen Gerichte: find 


auch — 








Kap 12. V. 122. 225 


Das zwölfte Kapitel, 


: 4. Und e8 wurde ein großes Zeichen im Himmel geſehen: 
Cin Weib mit der Sonne bekleidet, und deu Mond 
unter ihren Füßen, und auf dem Haupt eine Giegess 
krone von zwölf Sternen. 

2. Und fie war fhwanger, und ſchrye für Geburtsſchmer⸗ 
zen, und aͤngſtete ſich zum Gebären. 


Bis dahin iſt num alles zu den großen Begebenheiten uns 
ter der fiebenten Pofaune verbreitet worden; jeßt fangen fie 
an; und da die wahre Kirche, Oder. die Braut des Lammes, 
und die falfche Kirche, nämlich die babylonifhe Hure, nun— 
mehr als zwo Hauptperfonen auftreten und thätig feyn wer— 
den, fo wird bier zuerft die Erfte unter dem Bild eines ges 
bährenden Weibes vorgeftellt. | 

Vielleicht Hätte ich fchon früher bemerken ſollen daß in 
dieſer hohen Offenbarung, bei jedem neuen Auftritt, in der 
Geſchichte wieder zuruͤckgegangen wird, um das, was zum 
Zweck dient, nachzuholen; ſo ging das Gericht uͤber das 
Heidenthum unter den ſechs Siegeln bei Konſtantin dem Gros 
Ben an, und hörte unter Karl dem Großen auf; hernach 
fing das Gericht über die morgeniändifche Kirche ſchon unter 
Konftantin von Ferne an, und hörte erſt im fünfzehnten Jahr: 
hundert auf; jet muͤſſen wir wieder ins fiebente, achte und 
neunte Jahrhundert zuräcgehen, weil dort fchon die Anftals 

ten zur fiebenten Pofaune begonnen. 
Daß dieß gebähremde Weib die Gemeinde der 144,000 
Verfiegelten fey, das hab ich fehon oben erinnert; auch die 
Wurzelzahl der zwölf Sterne um ihr Haupt, fcheint ed ans 
zudeuten; denn 12 mal 12 ift 144. Das Bild eines gebaͤh⸗ 
renden Weibes iſt im Gegenfag der babyloniſchen Hure ſehr 
ſchicklich; und ſo wie dieſe eine große Stadt vorſtellt, Kap. 
17. V. 18. ſo bildet auch jene eine große Stadt, naͤmlich 


234 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


das neue Serufalem ab: Kapı 21. V. 9. 10. Die babnlo: 
nifche Hure regiert zuerſt; während der Zeit wird das Meib 
im Eril, in der Wüften, ernährt, und ihr männlicher Sohn 
vor Gott und feinem Stuhl erzogen; wenn diefer dann mas 
joren geworden, fo wird die Hure geſtuͤrzt, und er tritt dad 
Reich an, wie fich im Verfolg zeigen wird. 

Die Belchreibung diefes Weibes ift fehr majefkätifeh: Sie 
ift mit der Sonne, mit der ebangelifchen Mahrheit von Ges 
ſu Ehrifto bekleidet. Er ift eigentlich die wahre Sonne der 
Seifterwelt, und fein Licht. ift feine feligmachende Lehre. 
Der Mond ift die immer abwechfelnde Vernunftweigheir, die 
Philoſohhie, die aber doch ihr Kicht von der Geifterfonne ers 
halten muß: Diefen Mond hat das Sonnenweib unter den 
Süßen; denn die Vernunft fol, unter dem Gehorfam des 
Glaubens ftehen, aber der Glaube muß doch aud) auf fie ge: 
gründet, er foll vernünftig feyn.  Endlicy trägt die hohe Ges 
baͤhrerin eine Krone von zwoͤlf Sternen; daß die Sterne Leh— 
rer vorſtellen, iſt ſchon mehrmals bemerkt worden, und da 
auh Kap. 21. DB. 14. wo dieß Meib unter den Bilde einer 
Stadt. vorgeftellt wird, die zwölf Apoſtel als Grunpdfteine 
der Mauern angefehen werden, fo kann man wohl:behaups 
ten, daß feine Krone von zwölf FSternen ebenfalls die Apo⸗ 
ſtel bedeute. 

Dieß Sonnenweib war ſchwanger und in Kindsnoͤthen, aber 
die Geburt war ſchwer und die Angft groß, darum ſchrie fie. 

Die babylonifche Hure gebiert zwar auch Kinder, Kap. 2. 
D. 23. aber fie find nicht legitim, fie fonnen das Reich nicht 
ererben,. dieß kommt dem Erbfürften zu, ‚der hier geboren 
werden ſoll. 

Dieß wichtige prophetiſche Bild verdient vorzüglich. ‚eine 

gründliche Erörterung: Wer ift alfo die Gebährerin? und 
wer ift ihr männlicher Sohn, den fie mit fo großen Yengften 
gebähren muß ? 

Die griechifche Kirche fan das Weib mit der Sonnen bes 
Hleidet, nicht ſeyn; denn fie wich ſchndde, wie ehmals Zfrael, 
ab, und wurde unter den ſechs Poſaunen gerichtet. Noch 
weniger aber kann die römifche Kirche darunter verftanden 








Kap 1. BE 2. 225 


werden, weil fie fogar die babylonifche Hure, als die Erz⸗ 
feindin des Sonnenweibes, zur Beherrſcherin hatz folglich 
muͤſſen wir diefe merfwürdige Perfon unter der Menge der 
hriftlichen Religionspartheien fuchen, ob fie gleich alle von 
den zwo herrfchenden Hauptlirchen verfegert worden. Daß 
aber dieß Sonnenweib eine NReligionsparthei bedeute, bedarf 
feines Beweifes, denn dieß ift theils aus ähnlichen prophes 
tifchen Bildern, theils auch aus dem Gegenfaß der babylos 
nifchen Hure Flar. 

Man kann aber auch die wahre Kirche Gottes, fo wie fie 
aus Mitgliedern befteht, die unter allen chriſtlichen Nelis 
gionspartheien zerftreut leben, nicht darunter verſtehen; denn 
diefe fängt mir Chrifti und feiner Apoftel Lehramt an, ‚und 
dauert fort, bis er fomme, alle ihre mannigfaltigen Ab: 
wechfelungen und Schickſale paſſen nicht zu den Merkwürs 
digkeiten, die hier dem Eonnenweibe und ihrem Kinde zuges 
fchrieben werden; folglid muͤſſen wir eine chriftliche Ges 
meinde aufjuchen, die vorzüglid) den Charakter der Braut des 
Lamms hat, und deren Eigenschaften allen Zügen der erhabes 
nen Hieroglyphe diefer apofalyptifchen Gebaprerin entfprechen, 

Der felige Bengel verfannte in der böhmifch- und maͤhri— 
ſchen Brüderfirye das Sonnenweib nicht, fondern er hielt 
mit Grund dafür, daß Feine audre Religionsgefellfchaft dar: 
‚unter verftanden werden muͤſſe; da aber zu feiner Zeit der 
‚felige Zinzendorf im gedachter Brüderfirche erft zu wirken an: 
fing, und fein Werk mancherlei gute und böfe Gerüchte durch: 
gehen-mußte, auch wirflicy manches mit unterlief, das die 
Probe nicht aushalten Fonnte, fo war Bengel damals od) 
nicht im Stande, die Anwendung des erhabenen Bildes auf 
die erneuerte mährifche Brüdergemeinde, die man nunmehr 
‚die Herruhutifche nennt, fortzufegen; aber ich kann ed nun 
deſto beffer: Einmal, weil ich nicht zu diefer Gemeine ge: 
höre und unpartheiiich urtheile, und dann auch, weil id) 
‚Gelegenheit gehabt, und noch habe, alles das Große und 
Denfwürdige, was fie zur Belehrung der wilden Nationen 
‚gethan hat, und noch thut, nebſt ihrer innern bewunderns— 


‚würdigen Polizei und Anlage zur Gründung des Fünftigen 
Stilting’s ſammti. Schriften. 111. Band. 15 


‚226 Crklärung der Offenbarung Johannis. 


Reichs des Herren zu beobachten und zu erfahren. Ich bin 


gründlich und mit Gewißheit überzeugt, daß diefe enangelifche 
Brüderunität, wie fie fich gern nennt, noch immer das Eons 
nenweib und die Pflanzfchule des nun bald einbrechenden herrs 
lichen Reichs Ehrifti auf Erden ſey; hierinnen ftimmen viele 
gelehrte und aufgeflärte Proteftanten geift und weltlichen 
Standes mit mir überein, und die Zeit wird unfre Erwars 
tung rechferfigen. 

Um aber die Wahrheit diefer Deutung meinen Lefern faßs 
licher zu miachen , ift es nöthig, daß ich ihnen die Hauptmos 
mente der mährifchen Brüdergefchichte erzähle, und dann im 
Verfolg meiner Erflärung , die Anwendung der prophetifchen 
Bilder auf fie, Elar vor die Augen legen, und die Richtigs 
Feit meiner obigen Behauptung beweifen zu koͤnnen. 

Im neunten Jahrhundert, verimuthlich um die Hälfte defs 
felben, kamen zween fromme griehifhe Mönche, Namens 
Eyrillus und Methodius nad) Böhmen und Mähren, und 
predigten dort das Evangelium von Jeſu Ehrifto mit fo gus 
tem Erfolg, daß eine bleibende und zahlreiche Gemeinde da: 


ſelbſt entſtund. Der römifche Hof wurde auf diefe neue Kirche, 


welche fich in vielen Stüden, vorzüglich aber in der Reinigs 
feit der Lehre und Heiligkeit des Lebens, beträchtlich von 
der. fo fehr vwerdorbenen römifchen Kirche unterfchied, aufe 
merkſam: Der Pabft wollte fie daher zum Gehorfam bringen, 
und fie zur Annahme feiner Lehrfäze zwingen; allein es ges 
lung ihm nicht , fondern die böhmifch : mährifche Kirche wi: 
derfegte fich, blieb der erfannten Wahrheit getreu, und ers 
duldete alle Verfolgungen, die manchmal heftig über fie ers 
gingen, bis fie endlich zu unfern Zeiten (fo lang es Rt) 
zur Ruhe gekommen ift. 

Hundert‘ Jahre früher, ald Cyrillus und Methedius nad) 
Böhmen kamen, entdeckte man in den füdlichen Alpenthälern 
Staliens die Ihalleute oder Vallenfer , welche zahlreiche Ges 
meinden ausmachten, und in Lehre und Leben mit der böhs 
miſchen Kirche übereinftimmten. 

Im zehnten Jahrhundert eroberte Kaifer Otto dad Herzogs 


thum Böhmen, jet wurde allenthalben die Fatholifche Relis 


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Kap. 12. V. 1. 3 337 


gion eingeführt, und die alte böhmifche und mährtfche Kirche 
follte nun zur lateinifchen Meſſe, mit einem Wort, zur rds 
mifchen Religion gezwungen werden; alleiit fie weigerte fich 


ſtandhaft, ſchickte im Jahr 577 zween Deputirte, Boldorft 


und Myslibor nad) Nom, und verlangte freie Religions 
Übung; in etwas wurde zwar ihrem Auſuchen gewillfahrt, 
im Ganzen aber war und blieb fie gedruͤckt; beſonders bes 
diente man fich der gewoͤhnlichen Künftgriffe der Verführung, 
wodurch dann viele Vornehme nach und nach gewonnen wurs 
den, und eine Trennung eutſtund. Indeſſen blieb denn doc) 
das Ganze der Kirche, unveraͤndert getreu, und man bes 
firebte fih nun, noch genauer und vorfichtiger zu wandeln, 
und fich für den Irrthuͤmern der herrſcheuden Kirche noch 
forgfältiger in Acht zu nehmen: Won nun an mußte fich diefe 


der Wahrheit getrene Gemeinde des Herrn zurücdziehen, und 


fi) mit dem Privargottesdienft begnügen, welchen Pabft Ale: 
zander zwar auch verbot, allein ohne —* deun ihr 
Herzog Wratislaus ſchuͤtzte ſie dabei: 

Allein dieſer Schutz hoͤrte gegen das Ende des eilften Jahr⸗ 
hunderts auf; dein Pabſt Gregor der Siebente verbot dieſen 
Privatgottesdienſt, und ſetzte auch dieß Verbot mit Gewalt 
durch. Von nun an mußte ſich die Bruͤderkirche ganz ins 
Verborgene zuruͤckziehen, und ſich mit dem geheimen Gottes⸗ 
dieuſt begnügen; dieſer traurige Zuſtand dauerte uͤber hundert 
Jahre; gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts aber ents 
flunden nun auch die Waldenfer und Albigenfer , die fich mit 


den Vallenfern oder Thalleuten vereinigfen, und unter dem alls 


gemeinen Namen der Waldenfer bekannt find; diefe kamen im 
Sahr 1176 nad) Böhnien, bauten ſich dort au, und vers 
einigten fich mit der alten maͤhriſchen Bruͤderkirche, als mit 
welcher fie in Lehre und Leben übereinftinimten; Jetzt richs 
teten fie ihren geheimen Gottesdienft ördentlich ein, hielten 
unter fich auf gute Zucht und Ordnung, und hatten, je nache 
dem es anging, heimliche oder öffentliche DVerfarimldtigen: 
Shrer überall zerftreuten Brüder nahmen fie ſich eruſtlich au, 
und fandten zu dem Ende Gehülfen nach England, Ungarn, 
Polen, Brandenburg, Pommern u; f. w. . 
15 


338 Erklärung‘ der Offenbarung. Johannis 


An Ende des vierzehnten Jahrhunderts aber, nämlich im 
Jahr 1592, wurden fie durch die Unvorfichtigfeit zweier Pre— 
diger entdect, darauf hart verfolgt, und zum Theil in die 
benachbarten Länder zerſtreut; doch blieb noch immer der ver— 
borgene Stamm der mährifchen Kirche an Ort und Stelle. 
Nunmehr trat aber der befannte Blutzeuge der Wahrheit, 
Sohannes Huß, aufz diefer zeugte dffentlich gegen die Irr— 
thuͤmer und Lafter der römifchen Kirche, er befam faft allges 
meinen Beifall, und die alte böhmifch= und mährifche Kirche 
fchloß fi) an ihn an, und fo entftand dann die zahlreiche 
neuere böhmifche Kirche, die unter dem Namen Huſſiten bes 
kannt ift. 

Dieß alles brachte den römifchen Hof — auf, daß 
er nicht ruhte, bis Huß den bten Juli 1415 und bald hier⸗ 
auf ſein Freund Hieronymus von Prag zu Konſtanz am 
Bodenſee lebendig verbrannt wurde. 

Durch dieſes ſchreckliche Verfahren wurden die Boͤhmen er⸗ 
bittert, ſie griffen zu den Waffen, und kaͤmpften fuͤr ihre 
Religionsfreiheit, wobei aber ſelten der Geiſt Chriſti der 
herrſchende war; waͤhrend dieſer Zeit bleiben dann doch die 
Rechtſchaffenen immer bei der reinen Quelle, bis endlich, 
theils durch Niederlagen, theils durch Verträge die Sache 
ein Ende nahm und die böhmifche Kirche immer imeDrud 
blieb. Sm Jahr 1455 befamen verfchiedene ıhrer treuften 
Anhänger vom König Georg Podiebrad am der fchlefifchen 
Gränze einen Diſtrikt Landes gefchenft, wo fich viele hin- 
zogen und ganze Dörfer anbauten. Hier fingen fie an, fi) 
den Namen Brüder, oder die vereinigten Brüder, beizules 
gen; aber auch hier waren fie nicht lang ruhig, fie wurden 


aufs neue heftig verfolgt, der gemeinen bürgerlichen Rechte 


unfähig erklärt, und von Haus und Hof vertrieben, fie hiel- 
ten fi in wüften Eindden und Höhlen auf, wurden aber das 
durch nur treuer in ihrem Chriſtenthum, machten Anordnun— 
gen zu guter Disziplin, wählten Nelteften, hielten Syuoden, 
forgten für die Succeffion der Biſchoͤffe, und hielten ai 
ihre Verfaſſung aufrecht. 

Im Jahr 1471 hörte einftweilen die Verfolgung auf, weil 





— a — * 





Kap. 12, V. % 2. 2239 


der König Georg, der dem Pabſt die Vertilgung der Brüder 
verfprochen hatte, farb, und MWiadislaus von Polen auch 
Böhmen befam. Unter diefem Regenten hatte diefe Gemeinde 

des Herrn Ruhe, und ums Jahr 1500 zählte man beinahe 
zweihundert Kirchen und Gemeinden in Böhmen und Mähs 
ven, bie ſich zu den Brüdern befannten. 

Im Zahr 1508 erregte die roͤmiſche Geiftlichkeit eine aber: 
mals heftige Verfolgung, uud da ed dad Aufehen hatte, daß 
die Brüder wohl koͤnnten aus ihrem Vaterland vertrieben were 
den, fo ſchickten fie vier Männer, Lucas von Prag, Maus 
rus Kokowez, Martin Kapatuif und Kafpar aus der Mark 
in fremde Länder, um ein Volk aufzufuchen, das Ehrifto laus 
terlich diente, und an welches fie ſich dann anfchließen woll- 
ten. Der Erfte ging nach Griechenland, der Zweite nad) 
Rußland, der Dritte nah Thrazien und der Bulgarei, und 
der Vierte nach Paläftina und Aegypten; allein fie funden 
nirgends wahres Chriftenthum, fondern überall herrfchende 
> Rafter, Irrthum und gänzliche Erftorbenheit in allem Guten, 

Dieß veranlaßte die Bruͤderkirche, noch einmal eine Sys 
node zu halten, und zu befchließen, was etwa zu thun ſeyn 
möchte? Der Entfchluß fiel dahin aus, den Lukas von Prag 
und Thomas den Teutſchen nach Jtalien zu ſchicken, um. zu 
fehen, ob noch Waldenfer dort feyen, allein fie fanden wenige: 
jetzt befchloffen fie, für fich fortzumandeln, und dad Evange— 
lium fo gut auszubreiten,, als fie koͤnnten. 

Hierauf trat nun 1517 Luther auf, die Reformation bes 
gann, und nun befam die böhmifchmährifche Kirche Gefell- 
fchaft genug, man ſchickte Deputirte an Luthern ab, man 
freute fih, und fuchte ſich an die proteftantifchen Kirchen ans 
zujchließen, allein ed fam mit diefen nie ſo weit, daß ſich 
jene mit ihnen haͤtten vereinigen koͤnnen; denn die genaue Kir⸗ 
cheuzucht der Böhmen und die Reinigkeit ihres Wandels hat 
noch nie eine Gemeinde, unter den Lutheranern ſo wenig als 
unter den Reformirten, erfteigen fönnen; Luther und Mes 
K lanchthon erkannten das wohl, allein es ließ fich nichts er— 

zwingen indeſſen liebten und verehrten ſie die vr 
Bruͤder in hohem Grade. 





250 Erklärung der Offenbarung Johannis 


So Fämpfte fich die boͤhmiſch- mährifche Kirche bis zum 
Anfang des dreißigjahrigen Kriegs im vorigen Jahrhundert 
durch, im welchem fie entfeglich gedrüct und verfolgt, aber 
feineswegs vertilgt wurde; viele wendeten fich in andern Läns 
dern zu den Proteftanten, allein der uralte Stamnı blieb im— 
mer in Mähren und der genauen Konftitution der Vorfahren 
getren, bis endlicy im Anfang des gegenwärtigen Jahrhuu— 
bertö Graf Zinzendorf diefen Stanım aushob, und auf feine 
Güter in der Laufiß verpflanzte, wo fie Dann in den Fahren 
1722 bis 1737 den berühmten Ort Herruhut aulegten; von 
da an hat uun die Bürgergemeinde immer zugenommen, fic) 
immer mehr veredelt und gereinigt, und mehr zum Beften 
des Reichs Gottes gethan, als vom Anfang ihres Entftehens 
an gefchehen ift. Man lefe hierüber: Loretz, Grund der Vers 
foffung der evangelifchen Brüderunität, und befonders alle 
ihre Miffionsgefhichten, fo wird man finden, daß ich die 


Wahrheit gefagt habe. Darum fehrieb auch Chriftus unter 


dem mpftiichen Namen Thyatirg an diefe Gemeine; Sch weiß 
deine Liebe und deinen Glauben, und deine Dienftbefliffenheit 
und Geduld, und daß deiner legten Werke mehr 
find, als der erften. Kap. 2. V. 19. 

Um aber auch dem erften Entfiehen diefes Sonnenweibes, 
der mahrifchen Brüderfirche, auf die Spur zu fommen, muß 
ich noch eine hiftorifche Hypothefe ausführen, die bei mir 
faft zur Gewißheit geworden iſt; es iſt naͤmlich die Frage; 


Woher Eyrillus und Methodius, und woher die Thalfeute in 


den Alpenthalern die Reinigfeit ihrer Religion und die flrenge 
Disziplin befommen haben? — Man kann mir freilicy ante 
worten, aus der achten Quelle, aus dem Evangelio — ale 
fein dazu wurde denn doc) eine befondere Erweckung erfors 
dert, denn die ganze Chriftenheit hatte die nämliche Quelle, 
und dod war fie durchaus fo heidnifch in ihren Kirchenges 
bräuchen und fo in allen Laftern erfoffen, daß ſolche Männer, 
wie jene Miffionare und die VBallenfer nicht wie die Shwämme 














aus diefem Wuſt hervorwachfen konnten; folgende Brei i 


diefer Sache dünft mir glaubwürdig zu feyn. 


Im fiebenten Jahrhundert entftand im Drient eine Sehe, 


Kap. 12. V. 1. 2 231 


welche fich die Paulizianer nannten; man zählte fie von Ans 
fang an zu den Manichdern, und man hat ihre verächtliche‘ 
Schilderungen bis auf unfre Zeiten immer den griechijchen 
Kirchenlehrern abgeborgt, und daher eben fo wenig ihren wah⸗ 
ren und vortrefflichen Charakter kennen gelernt, als man den 
der boͤhmiſch⸗ mährifchen Bruͤderkirche aus den roͤmiſch-ka⸗ 
tholifchen Geſchichtſchreibern kennen lernen würde. 

Der einzige unpartheiifche Gibbon har mir hier ein Licht 
aufgeftect, und was ich dabei gefehen habe, das will ich 
bier in der Kürze mittheilen, | 

Nachdem man in den erften Jahrhunderten die Gnoſtiker 
und Manichder alfenthalben verdrängt und verfolgt hatte, 
fo flüchteren fie fi in die Dörfer und Gebirge an den Ufern 
des Euphrats, wo ihr ruflofer Weberreft im Anfang des fies 
benten Jahrhunderts wohnte, Ju der Mitte deffelben zwis 
ſchen 650 und 660 lebte ein gemeiner Mann, Namens Kons 
ftantin, zu Manalis, unweit Somofata, in eben diefen Ges 
genden, Diefer beherbergte einen aus fprifcher Gefangens 
ſchaft zuruͤckkommenden Geiftlichen,, der ihm das neue Zeftas 
ment ſchenkte. Konftautin las diefes köftlihe Buch, und es 
wurde von dem Augenblid an Richtſchnur feines Glaubens 
und Lebens; doch gab er den Schriften des Apoftels Paulus 
für allen den Vorzug. Nun wurde er Reformator, und die 
Parthei, die er führte, und deren Vorfteher er war, nanns 
ten ſich Paulizianer, weil der Apoſtel Paulus naͤchſt Ehrifto 
> ihr vorzüglicher Lehrer war. Vorher waren fie, Gnoftifer und 
Manichaͤer geweſen, daher kams denn, daß fie noch immer 
mit diefen Namen gebrandmarkt, gehaßt und verfolgt wurden. 

Es ift wahr, die Paulizianer mochten noch viele Nebens 
griffe aus der gnoftifch= manichäifhen Schule in ihre eigene 
mir hinüber bringen, aber in der Hauptfache des Chriftens 
thums waren fie vollfommen rechtgläubig; was fie aber bes 
ſouders auszeichnete, dad war ihr vortrefflicher chriftlicher 
Mandel, und ihr ftrenges Zeugniß, das fie überall gegen die 
Mängel und Gebrechen der herrfchenden griechifchen Kirche 

ablegten; ſie verdammten und verabſcheuten aufrichtig die 
Jrrthuͤmer der Manichaͤer, und bezeugten, daß fie nicht mehr 


— — — 

















252 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


zu ihnen gehörten, allein das Half nicht, fie wurden verab⸗ 
ſcheut und verfolgt. 

Die apoſtoliſchen Arbeiten dieſes Konftanting, der mit 
dem Zunamen Sylvanus hieß, waren aufjferordentlid) gefegs 
netz; die Weberrefte der gnoftifchen Sekten, und befonders 
die armenifchen Manichaer, vereinigten fich unter feine Fahne; 
und viele griechiſche Chriften gingen ebenfalls zu ihm über. 

Wenn man diefer Leute Gefinnungen, Denkart und Hands 
lungsweife betrachtet, ſo findet man eine auffallende Aehn— 
lichfeit zwifchen ihnen und der böhmifch = mährifhen Kirche! 

Dieſe neue Religionsparthei verbreitete ſich durch die Pros 
vinzen Kleinafiens, vom Archipel bis an den Euphratz Kon: 
ftantin fliftete viele Fromme Gemeinden, und nachdem er 37 
Fahre ald Apoftel gearbeitet hatte, fo ftarb er auch ald Apo⸗ 
ftel; denn er fiel als Schladhtopfer der Wahrheit unter der 
verfolgenden Hand der herrfchenden Kirche. Nach feinem 
Tode nahm die Anzahl ver Paunlizianer immer zu; aber aud) 
die Verfolgung. Unter der Turzen Regierung der Kaiferin 
Theodora follen hunderttaufend Paulizianer. hingerichtet wor⸗ 
den feyn; allein das half nicht, ihre Anzahl nahm defto 
mehr, zu, und gewiß * ihr genauer Wandel und ihre 
Frömmigkeit. 

Aber auch darinnen waren fie der böhmifchen Kirche ähne 
lich , daß fie endlich Macht mit Macht zu vertreiben und fich 
zu fchügen fuchten. Durch die fchredlichften Verfolgungen 
aufgereizt, ergriffen fie die Waffen, fuchten ſich zu verthei- 
digen, und verbanden fidy mit den muhamedanifcdhen Kali—⸗ 
fen. Freilich war dad Alles gegen den Geift der Religion 
Sefu, allein es läßt fih doch auch vieles zu ihrer Entfchule 
digung fagen: Denn wer vertheidigt nicht gern fein Leben und 
feine Familie, wenn er fo ungerechter Weife verfolgt wird? — 
Diefer Kampf der Paulizianer begann in dem Jahren 845 
und 848. | 

Es ift begreiflich, daß die armen Paulizianer mit allen 
ihren Zaufenden gegen die Macht der griechifchen Kaifer nichts 
vermochten, aber diefen war es aud) eben fo wenig möglich, 
fie zu vertilgen, im Gegentheil, fie nahmen unter der Hand 











an DE —— 
—* u 
— 5 ur % 


Soap. 1.9.12 255 


dergeftalt zu, daß man zu politifhen Mitteln feine Zuflucht, 
nehmen mußte; man vertrieb fie nämlich aus ihrem Vaters 
land, und verpflamzte fie in die Länder an den Ufern der 
Donan bis nady Thrazien hin; auch hier wurden fie wieder 
zahlreich und mächtig, fie breiteten fich weiter gegen Abend 
aus, Famen nach Stalien und Franfreich, vereinigten ſich 
dort mit den Vallenfern, Waldenfern und Albigenfern, und 
zuverläßig haben fie auch die ihnen viel näher gelegene Ges 
meinden in Böhmen und Mähren befucht, mit denen fie fo 
viel Aehnlichkeit hatten. 

Ich Kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß Eyrils 
lus und Methodius Paulizianer gewefen, weil die von ihnen 
geftiftete Kirche fo viel Aehnliches mit diefen hat, und übers 
haupt war damals die griechifche Kirche ſchon fo verdorben, 
und mit ſo viel Ceremonien = Schnörfeln verbramt, daß auch 
felbit die frömmften Geiftlichen dergleichen in folche von ihnen 
geftiftete neue Gemeinden würden mitgebracht haben, aber das 
war in Böhmen nie der Fall; eben diefe Gründe laffen mic) 
auch ein Gleiches von den Vallenfern vermuthen. Auf diefe 
Meile wäre alfo die mährifche Brüderfirche im Sahre 660 
in Eyrien am Euphrat entjtanden. 

Geſetzt aber auch, ich irrte in diefer Hypothefe, weldes 
doch wohl der Fall nicht ift, fo ift das doch gewiß, daß fi) 
die Paulizianer mit den Waldenfern,, und diefe mit den boͤh⸗ 

ifchen Brüdern vereinigt haben, und fo finder denn doch 


obige Succeffion ftatt. Dieß ift alfo die Furze Skizze der Ges 


fhichte des fchwangern und gebährenden Sonnenweibes. 

Um aber meinen Beweis, daß die mährifche Brüderfirche 
diefes Sonnenweib fey, noch überzeugender zu machen, bitte 
ich folgende Säge wohl zu beherzigen. 

Daß dieß glänzende Bild eine bürgerliche religiofe Gefells 
{haft bedeute, ift gewiß: denn da fie den Grund zum Reich 


Chriſti auf Erden legen foll, fo muß fie fhon den Keim das 
zu erhalten; das ift, fie muß eine vortreffliche Polizei und 


Kirchenzucht ausüben; dazu wird aber eine Firchlich = bärgers 
liche Verfafjung erfordert, welche die gefammte unter allen 
chriſtlichen Religiouspartheien zerjtreute, jogenannte fireis 


2534 Erklärung der Offenbarung Gohannis. 


tende Kirche Ehrifti nicht hat, folglich Fann fie auch das ges 
bahrende Sonnenweib nicht feyn. 

Diefe chriftliche Religionsparthei muß aber aud) eine ſolche 
Polizei und Kirchenzucht ausüben, daß jeder DVernünftige 
und redlich denfende Menſch, fobald man ihm fagt: Wenns 
überall fo wäre, fo hätte man den Himmel auf Erden, volls 
kommen davon überzeugt ift. | 

Vornämlich aber, und worauf ich mit Außerfter Aufmerk⸗ 
famfeit zu achten bittes Diefe chriftliche Religionsparthei 
muß von ihrem erften Entftehen an, in der Reinigkeit der 
Lehre, des Wandels, der Polizei und der Kirchenzucht nicht 
zurücd, fondern immer vorwärts gehen — fie Fann zu 
Zeiten ftille ftehen: aber bei der nächften Epoche muß fie 
wieder wachfen, und dad nicht etwa blos an philofophifcher 
Aufklärung, fondern an Gerechtigkeit, Heiligkeit, Wahrheit; 
Glauben und Liebe. Nun — alle, die ihr euch Chriften 
nennt, gebt Gott die. Ehre, und legt ein hriftliches Zeugs 
niß ab; Wißt ihr in der Welt eine foldye religiofe Gefells 
fhaft, außer der paulizianifch + böhmifch » mährifch-waldens 
ſiſch-herrnhutiſchen Brüdergemeine!!} 

Bei dem allen hat denn doc) diefe Kirche oder Gemeinde 
feine Urfache, fi) etwas darauf einzubilden, oder zu glaus 
ben, ihre Glieder feyen deswegen fröommer als andere Chri— 
ften, oder fie gelte mehr bei dem Herrn als andere! — fie 
mag wohl auf ihrer Hut ſtehen; Denn von ihr wird weit 
mehr. gefordert, ald von und andern allen — und worauf 
Fonnte fie fih auc) etwas einbilden, denn was hat ee das 
fie nicht empfangen hätte? — 

Der Segen ded Herrn und fein Geift ruhe auf dieſer ver⸗ 
fiegelten Gemeinde, auf diefem geiftlichen Iſrael Gottes, auf 
diefen Hundert vier und vierzigtaufend Aftiobürgern Neujes 
rufalems, bis der Herr komme! — die Zeit ift nahe!!! 

Dieß ift nun meine Antwort auf die erfte Frage, wer Das 
gebährende Sonnenweib fey? — Was ihr männlicher Sohn 
vorftelt, das wird bald am gehdrigen Drt folgen. 


3. Und es wurde ein anderes Zeichen im Himmel ges 
ſehen: und fiehe! ein feuerrother Drache hatte fieben 


Kap, 1, V. 3. 4. 255 


Hänpter und zehn Hörner, und auf feinen Häuptern 
fieben Königskronen, 

4. Und fein Echweif zog den dritten Theil der Sterne 
des Himmels, und warf fie auf die Erde. Und der 
Drache ftellte fich vor das Weib, welches gebähren 
wollte, auf daß er, wenn fie geboren hätte, ihr 
Kindlein auffreffen möchte, 


Hier erfchien num endlich der Hauptfeind Gottes und der 
Menfchen in eigener Perfon, und zwar in der Geftalt einer 
großen, feurigen, fliegenden Schlange, mit fieben Köpfen 
und zehn Hörnern, er ift, feitdem er im Paradies Adam 
und Eva verführte, trefflich gewachfen; denn damals war er 
nur eine fimple Schlange mit einem Kopf, bier aber hat er 
deren fieben, und auf jedem- eine Königsfrone, ‚Er hat es 
leider, mit feiner Herrfchaft Über die Menfchheit weit ges 
bracht; feine feurige Geftalt zeigt den Grimm an, mir dem 
er herrfcht und alles zu verderben droht, und feine zehn Hörs 
° ner find Mächte, die ihm zu Gebote ftehen, 

Das Lamm hat nun einen Kopf, weil im Reid) Gottes 
alles durch einen einzigen Verftand und einen Willen regiert, 
und durch die fieben Geifter ausgeführt wird; hier aber find 
fieden Köpfe; folglih auch fieben individuelle Urtheilsträfte 
und fieben Willen, derensfeder immer gegen jeden im Res 
volutionszuftand ſteht, weil gerne jeder allein herrfchen möchte; 
wenns aber Gott, Ehriftum und die Menfchheit betrifft, dann 
find fie alle fieben einig. 

Bis dahin war der Drache in diefem großen apofalyptis 

[hen Schaufpiel noch nicht erfchienen; deun der Gegenftand, 
um den es ihm eigentlich zu thun ift — der Nationals 
hirte war noch nicht da. — Diefer Eliafim, Friedrid von 
Langenau, oder Eugenius, ift eigentlich Kern und Stern der 
Apofalypfe; um ihn dreht fih das Ganze, wie um einen 
Angel herum, feine Erfcheinung, die völlige Beftegung des 
Drachen und unfer großes Maranarha (der Herr fommt) find 
Eins. Darum war auch die alte Schlange zeitig bei der 
Hand, um das Kuäblein, fo wie es das Licht der Welt ers 
bliden würde, auf der Stelle zu verfchlingen. 


256 Erklärung. der Offenbarung Johannis 


Dann wird auch noch von dem Drachen gefagt, daß fein 
fchlangenformiges Hintertheil den dritten Theil der Sterne des 
Himmels gefchleppt und auf die Erde geworfen habe. Dieß 
bedeutet, daß ihm die Beiftlichfeit des abendlandifchen Drit— 
tels, die Priefter und Lehrer der römifchen Kirche, ſchon zu 
Gebot ftunden, ihr allgemeiner Bifchof war, nach dem 10ten 
Ders des achten Kapiteld, vom Himmel auf die Erde gefal: 
len (fiehe oben die Erklärung) ; hier aber warf der Drachen 
ſchweif auch alle feine Untergebene zu ihm auf die Erde; fie 
fangen nun alle an, jeder in feinem Theil nad) irdifchen Guͤ— 
tern, Gewalt und Ehre zu fireben, und Drachenartig zu 
wirken. Der Fadelftern, oder der Bifchof zu Rom, fiel im 
fiebenten Jahrhundert, wo er aufing, irdifche Gewalt zu bes 
fommen, und ein Herr der Erde zu werden; in den folgen: 
den nächften Jahrhunderten folgte ihm allmaͤhlig die ihm un⸗ 
tergebene Sternſchaar nach. 


5. Und ſie gebar einen männlichen Sohn, der dereinſt 
alle Nationen mit dem eiſernen Scepter hüten wird. 
Und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und feinem Thron. 

6. Und das Weib floh in die Wüfte, wo fie einen von 
Gott zubereiteten Ort hat, auf daß man fie daſelbſt 
eintaufend, zweihundert und ſechzig Tage ernähren 
möchte, ala 


Hier muß num erörtert werben, wer der männliche Sohn, 
der Fünftige Nationenhirte fey? und wann er geboren worden? 


Da das gebährende Weib eine befondere Gemeinde des 
Herrn, alfo eine moralifche Perfon ift, fo kann auch ihre Ges 
burt nicht eigentlich verftanden werden, fondern der maͤnn⸗ 
lihe Sohn muß ebenfalls eine moralifche Perfon ſeyn? Im 
2. Pfalm wird diefer geiftliche König zuerft angefündigt, und 
Offenb. Joh. 2. V. 26. 27. wird dieß Königreidy aud) den 
thyatirifchen Ueberwindern verfprochen (f. oben meine Er: 
Härung), eigentlich ift Chriftus diefer Nationenhirte, und von 
Ihm gilt auch vorzüglich jene Weiffagung , allein Er regiert 
duch Werkzeuge, und diefe fol das geiftliche Thyatira oder 
die Brüdergemeine gebahren; folglich werden wir den Sinn 


ap, B. 5 6; x 257 


diefed prophetifchen Bildes am beften treffen, wenn wir uns 
dieje myftiiche Geburt fo vorftellen: Jene Gemeinde hat im 
neunten Jahrhundert einen Gemeingeift, einen geiftlichen Chris: 
ſtus erzeugt, der einen Keim enthält, wenn er die Zeit über, 
die das Sonnenweib in der Wüfte durchlebt, vor Gott und 
feinem Thron vollends erzogen und ausgebildet worden, voll: 
fommen zum NRegieren des Volks Gottes und aller Nationen 
gefchickt ift. Gott zwingt feinen Menſchen zum Gehorfam 
gegen die Gebote Ehrifti, fondern fein Volf muß Ihm freie 
willig dienen; wenn nun diefes Volk auch noch eine äußere 
göttliche Regierungsform, eine dem Geift Ehrifti gemaͤße 
Staatöverfaffung, mit einem Wort, eine fürmliche Theo— 
fratie auf Erden fiften foll, fo wird mehr als ein chriftlis 
her Sinn und Wandel dazu erfordert — dann ift auch eine 
hoͤchſt weiſe, durch viele Erfahrung bewährte, in der Gegen 
wart Gottes allmäblig ausgebildere Politik unentbehrlich, 
und diefe muß bei dem Volk des Herrn, welches den Grund 
zum Reich Ehrifti auf Erden legen foll, allgemein herrfchene 
der Gemeingeift feyn, und diefer ift dann der nunmehro ma= 
joren gewordene männliche Sohn. Hiemit will ich aber nicht 
behaupten, daß nicht auch zu feiner. Zeit ein Mann auftres 
ten koͤnne, der ganz mit dieſem Geiſt angethan und bes 
lebt, als Stellvertreter Ehrifti, als Fürft im Haufe Gottes 
das Reich verwalten werde — oder daß nicht auch Chriftus 
felbft auf eine finnliche Weife diefem Volk näher feyn koͤnne, 
wie bisher — die Weiffagungen zeigen die Zufunft nie fo 
deutlich, daß man jie genau beftimmen koͤnne und dürfe, wir 
müffen das alles ruhig und gerne abwarten. 
Daß der Nationenpirte eine geiftliche moralifche Perſon fey, 
iſt auch daraus Flar, weil feine Gegner, das Thier aus dem 
Abgrund, desgleichen auch das Thier aus der Erden, ders 
gleihen geiftige Wefen find, 

Mit diefem Gemeingeift, der dereinft zu einem fo großen 
Zweck heranreifen follte, ging im achten Jahrhundert die Ge— 
meine der Paulizianer fchwanger, als fie fo ernft gegen die 
bierarchifchen Gräuel und Lafter zeugte; denn was einem 
rechtichaffenen Gemüth fo außerft zuwider ift, das ſucht es 


258 Grklärung der Offenbarung Johannis. 


zu vermeiden. Daher die hohe Tugend der Paulizianer; und 
nun diefe durchgehends bei allen ihren Glievern in Thaͤtig— 
feit zu feßen, wurde eine firenge Kirchenzucht eingeführt, 
welche ‚dann eigentlich den Keim enthielt, aus dem durch 
mehrere Ausbildung jener Gemeingeift erjeugt wurde. Se 
mehr ſich nun diefer fiärfte, defto mehr eiferte die griechifche 
Kirche gegen ihn; defto mehr wuchs die Verfolgung, und 
diefe war dann eben das höchfte und vollfüommenfte Geburts: 
mittel jenes Geiftes 5 denn je mehr man jene Gemeinde der 
Paulizianer zu zerftoreu füchte, defto mehr Fleiß, Mühe 
und Weisheit wendeten fie an, um fich eine dauerhaftere und 
feftere Konftitution zu geben, durch welche alle Gemeinglies 
der gegen Abfall und Irrthum gefichert und fo das Ganze 
der Gemeinde erhalten werden möchte; 

Dieſe Verfolgung ; in welchem das gebährende Weib für 
Schmerzen fhrye, waren ihre Wehen zur Geburt; 

Der Drache hat nun eine Hauptleidenſchaft, welcher alle übs 
tigen zu Gebote ftehen, und diefe ft: Univerfalmonardie. 

Man behalte diefen Sat wühl,- denn wir haben ihn im 
Verfolg nörhig; tun iſt er gefcheid genug, einzuſehen, wo 
irgend etwas diefem feinem Hauptzwec entgegen kam; fobald 
er alſo den Gaug jener Gemeinde bemerkte, fo erregte er den 
in Gräueln und Laftern erirunfenen und ihm ganz ergebenen 
Hriechifch = Faiferlihen Hof zur Verfolgung, um diefe ihnen 
beiden gefährliche Konftirution gleich in der Geburt zu erfti- 
deu; allein eben dadurch wurde jener Gemeingeift vollends 
zur Geburt gebracht: Denn in den Jahren 845 und 846 gas - 
ben fie ſich ihre eigene Konftitution, bildeten eine Staatövers 
faffung und ergriffen die Waffen: 

Diefe find alfo die eigentlihen Geburtsjahre des männli- 
chen Sohns, oder des Nationalhirtens; wiewohl es hier auch 
äuf einige Fahre früher oder fpater nicht ankommt. Hier 
find die Gefbichtichteiber, aus leicht zu errathenden Urfas 
chen, nicht genau und ausführlic genug gewefen: 

Die Entruͤckung dieſes neugebornen Kindes zu Gott und 
feinem Thron —9 Daß die muͤtterliche Vorſehung den 
zarten Keim der vortrefflichen Konſtitution und Kirchenzucht 


gap. 1. DB 5 6 239 


der Paulizianer in ihre befondere Pflege nahm, die Rechts 
ſchaffenen unter ihnen von allen irdifchen Zwecken abzog, und 
ihnen blos auf wahre Gottfeligfeit und reines Ehriftenthum 
die befte Richtung gab: Denn hierauf Fam es an; und es 
gehörte noch unendlich viel dazu, um eine irdifche Theofratie 
bilden und errichten zu koͤnnen; der männliche Sohn mußte 
nun erft noch bei taufend Zahre lang erzogen und ausgebil— 
det werden, 

Jetzt flohe nun das Weib in die Wifte, an den Ort, den 
ihr die Vorfehung bereitet hatte, das ift: Eyrillus und Mes 
thodius brachten die reine Lehre ihrer Kirche nach Böhmen 
und Mähren, wo die Gemeinde des Herrn neuen Fuß faßte, 
und fich aufs befte gründete; und wo fich dann auch in fpä= 
teren Zeiten die Rechtichaffenen unter den Paulizianern, als 
ihre Gemeinde nah Thrazien und au die Ufer der Donau vers 
pflanzt wurden „ und noch fpäter, die Gemeinde der Wals 
denfer an fie anfchloß. 

Das Fliehen in die Wifte hat einen doppelten Sinn, erfts 
lid) wird darunter das damals in Verhälmiß gegen die Mor: 
genländer noch wuͤſte Böhmen verftanden, und zweitens bes 
deutet ed auch, daß diefe Gemeinde ihren Gottesdienſt nicht 
mit bürgerlicher Freiheit, fondern in wüften und entlegenen 
Dertern, in Höhlen und Felfenkläften ausüben mußte, wie 
fi im Verfolg näher zeigen wird; er 

Hier follte nun das Sonnenweib 1260 Tage ernährt wer: 
den; daß diefe Zeit prophetiſch ſey, verfteht ſich von felbft; 
nach dem Benglifchen Syſtem betragen die 1260 Tage 677 
gemeine Jahre, welche mir der Flucht des Weibes in der 
Wuͤſte, das ift, mit der Stiftung der böhmifch = mährifchen 
Kirche, in der Mitte des neunten Jahrhunderts anfangen, 
und fich alfo in die Zeit der Reformation, namlich in den 
Zwanziger Jahren des fechszehnten Jahrhunderts endigen. 

Diefe Erklärung und Erfüllung ift äußerft ungezwungen 
und treffend: Denn diefe 1260 prophetifche Tage over 677 
gemeine Jahre hindurch war fie im eigentlichften Sinn in 
der Wüften, fie hatte feine Gefellichaft, fie lebte im finfters 
fien Pabſtthum, unter Drud und Knechtſchaft, und außer 

\ 


240 + Erklärung der Offenbarung Gohannis. 


ihr, nachdem fich die Waldenfer mir ihr vereinigt hatten, 
fand fich in der ganzen Welt, und am wenigften in den Abend= 
ländern, nirgends eine wahre Gemeinde Ehrifti — das hieß 
recht in der Wüften leben, und fi) von dem nähren, was 
man ihr gab. 

Auch die drei Epochen taufend — zweihundert — fechzig, 
find fehr merfwürdig : 1000 prophetifche Tage find 557 ge: 
meine Jahre, addirt man diefe zu 850, fo fommt das Fahr 
1387 heraus. Bis an diefe Zeit hatte fich die böhmifch = mäh: 
rifhe Kirche unter vielen Drangfalen und Abwechslungen, 
befonders auch) dur) Aufnahme und Berbindung mit den Wals 
denfern, völlig ausgebildet, und eben in dem Jahr 1587 ſchrieb 
der berühmte Wiklef in feinem letzten Lebensjahre noch einen 
Troſt und Ermahnungsbrief an fie. 

Die 200 prophetifchen Tagen betragen 107 gemeine Jahre, 
zählt man dieſe zu 1587, fo erhält man 14945 dieſer Zeit: 
raum begreift nun den langwierigen und fchrecklichen Huffi- 
tenfrieg in fih; denn im Jahr 1400 trat Johannes Huß als 
Zeuge der Wahrheit auf, im Sahr 1415 den 6ten Zulius 
wurde er verbraunt, und bald nachher griffen die Böhmen 
zu den Waffen. Daß diefer blutige Krieg nichts half, fons 
nur erbitterte, iſt bekannt; die Fämpfende Kirche unterlag, 
die Verfolgungen wurden ſtaͤrker, bis endlich gegen das Ende 
diefer Periode eine Ruhe erfolgte, und die Gemeinde des Herrn 
fehr wuchs und zunahm. 

Der letzte Zeitraum von 60 Tagen oder 32 Fahren reicht 
nun bis in die Reformation hinein. Dieſer zeichnere ſich 
beſonders durch eine merkwürdige Sehnfucht nach Gefellfchaft 
aus, die Brüderfirche fandte Boten, um chriftliche Gemein: 
den zu fuchen, und fand fie nicht; dieß gefchah 1508, fiehe 
oben die Gefchichte der böhmifch = mährifchen Gemeinde; doch 
wurde ihre Sehnſucht noch weit herrlicher geftiltz Denn 1517 
brach die Reformation aus, welche jener Kirche ungemeine 
Freude verurfachte; allein in der Mitte diefes Jahrhunderts, 
nämlich 1548, wurde die ganze Gemeinde ded Landes ver: 
wiefen; bei weitem der groͤßte Theil wanderte nach Volen, 
Preußen und andern Ländern, aber das Weib felbft, der 


Kay, 12. 8.7. bis 9: rm 


Stamm, blieb noch immer in Böhmen und Mähren, wiewohl 
ganz unbekannt, im firengften Iufognito, in der verborgen: 
ſten Wuͤſten. 

Der Zeitraum von 1260 Tagen bezieht ſich alſo auf das 
äußere Verhälmiß des Sonnenweibes oder der boͤhmiſch⸗- mähs 
rifchen Kirche gegen andere bürgerliche und Firchliche Gefells 
ſchaften; hingegen die viertehalb Zeiten, die fie ebenfalls 
in der Wüfte zubringt, ſ. V. 14. enthalten ihren innern Ges 
meindegang, ihr inneres Verhaͤltniß zu fich felbft, bis zum 
Anbruch des Reichs Chrifti, wie ich das bei Erklärung jenes 
Verſes deutlich zeigen werde; 


7, Und es entfiund ein Streit im Himmel: Michael 
und feine Engel hatten mit dem Drachen au kriegen, 
und dert Drache und feine Engel hatten auch gekriegt. 

8, Und fie vermochten nichts, und e8 wurde and) ferner— 

hin im Himmel fein Plas mehr für ihn gefunden, 

9, Und der große Drache, die alte Schlange, die man 

Teufel und Satan nennt, wurde hinausgewors 

fen: der Berführer der ganzen Welt wurde binaug 


auf die Erde geworfen, und auch feine Engel warf 
man mitihm hinaus, 


Menn Sonne, Mond und Sterne, Religion, Philofophie 
und die Lehrer der Religion bedeuten, ſo fann unter dem 
"Himmel im prophetifhen-Sinn nichts anderd verftanden wers 
den, ale die Kirche, ift nun von der wahren chriftlichen Kirche 
die Rede, fo ift auch diefer Himmel der wahre, in welchem 
Gott in feinem Tempel thront, wohin der männliche Sohn 
euntruͤckt wurde, und wo ſich auch den Beifte nach die 144,000 
WVerſiegelten befinden. Um Verwirrung der Begriffe zu vers 
- meiden, muß ich hier eine wichtige Erläuterung einſchalten. 
Die wahre eigentliche auserwählte Mutterfirche aller üb: 

tigen, das Sonnenweib oder die Braut des Lamms, ift auch 
zugleich die Gemeinde der 144,000 Verſiegelten, diefe mas 
hen ihr Fundament aus. Jetzt müffen wir alfo zwei Stuͤcke 
wohl bemerken: Erftlich wird diefe Kirche, die ich im naͤchſt⸗ 


vorhergehenden weitläufig befchrieben habe, als eine religidſe Ge⸗ 
Stilling’s ſammtl. Schriften. DL. Band. 16 


3 


an ° Erklärung der Offenbarung Johannis. 
ſellſchaft im Gegenſatz der falſchen Kirche vorgeſtellt — als 


ſolche lebt ſie 1260 Tage, und in anderer Beziehung viertehalb 


Zeiten in der Wuͤſten. Zweitens iſt aber auch dieſe naͤmliche 
Gemeinde die Gemeinde der Erſtgebornen, die im Allerheis 
ligften vor Gott anbetet und mit dem Lamm auf dem 
Berge Zion fteht. Kap. 14. Vi ’1. Folglich ift fie in Bes 
ziehung auf die Erde, auf die Meifchheit und auf den gros 
Ben Kampf, das Sonuenweibs Sn der Geifterwelt aber, oder 
in ihrem geiftigen Verhältniß zu Gott und allen andern We: 
fen ift fie das geiftliche Priefterthum , der Himmel im’ eigent: 
lichten Einn, in weldem Jeſus Chriftus und fein Geift 
herrſcht und lebt. 

Dieſe zwo Seiten des Scunenweibes, oder der Stammges 
meinde des Herrn, muß man immer im Auge behalten; im 
legtern geiftigen Verhältniß gehören alle Heiligen aus allen 
Nationen zu ihr; im eiften aber nur diejenigen, die zu ihrer 
religiöfen Gefellfhaft verpflichtet find. 

Daß in diefem Himmel, in das geiftige Element der wah⸗ 
ven Kirche, der Drache nie kommen koͤnne, iſt daraus klar, 
weil das Kind des Sonnenweibes für ihn dahin in Sicher: 
heit gebracht wurde; dagegen ift er allerdings in deu Him= 
meln der falfehen Kirchen, leider! gegenwärtig genug. 

Wenn nun die wahre Kirche unter der falfchen zerftreut 
ift, wie dieß vor der Flucht des Eonnenweibes der Fall war, 
fo treibt die alte Schlange beftändig ihr Spiel, da ift des Lä- 
ſterns und Verläumdens Fein Ende; immer hängt fie die 
Frommen über einander her; der Eine fplitterrichtet den An: 


dern, bei den weltförmigen Menfchen fucht fie den Verdacht - 


des Heuchelus und geheimer Gräuel zu unterhalten, um nur 
der Religion Abbruch zu thun; und Fann fie es dahin brin- 
gen, daß die treuen Verehrer Fefu verfolgt werden, fo ruht 
fie nicht. Auf diefe Art ift der Drade im Himmel, und 
fo übt er da fein Anklagegefhäft unabläßig aus; dadurch 
that er der Gemeinde des Herrn mehr Schaden, "als * 
offenbare Fehde. 

Hier wird nun eines Kriegs gegen den Drachen gedacht: 
dieſes Bild bezieht ſich auf Dan. 10. V. 13. und Kap. 12. 


Kap. 12, V. 7. bi 9, 245 


V. 1. wo der Erzengel Michael als ein großer himmliſcher 
Held vorkommt: auch herrfchte die Meinung unter den Zus 
den, daß diefer Erzengel mit dem Satan um den Leichnam 
Moſis geftrirten habe, wie folches im Brief Judaͤ behauptet 
wird. Ueberhaupt aber wird auch auf den erflen Kampf bei 
dem Abfall des Fuͤrſtens der Finfterniß gezielt, als er eben: 
falls mit feinem-ganzen Heer aus dem Himmel geftürgt wurde. 

Die Bedeutung diefer prophetifchen WVorftellung ift klar: 
Sobald fi) eine treue und wahre Gemeinde des Herrn ab: 
fonderte, allmählig bildete ünd reinigte, fo hörte in ihr jenes 
Läfterungsgefchäfte des Teufels und Satans auf, diefer wurde 

durch die Macht des Herrn aus diefem Himmel ausgeftoßen. 
Er und alle feine Helfershelfer werden durch die Wachfamfeit 
und genaue Kirchenzucht diefer Gemeinde, wie durch einen 

unüberfteigbareh Mall aufgehalten, da hält Michael mit ſei⸗ 
ner Heerſchaar Wache. 

Es fcheint mir, ald wenn das Meffen des Tempels dur) 
Sohannes, dad Ausfondern des Vorhofd und das Zertres 
ten deffelben durch die Natiotten, Beziehung auf diefen Streit 
zwifchen Michael und dem Drachen hätte — das Meffen 
des Tempels und derer, die darinnen anbeten, ftellt viels 
leicht -die erfte Bildung der Martergemeinde — des Eone' 
nenweibes vor; das Hinauswerfen des Vorhofs, welcher 
ben Heiden gegeben ift, bedeutet dann die genaue Abfons 

derung jener Gemeinde von allen, die nicht rechter Art find, 
die Reinhaltung und Heiligung ihrer Kirche; bei welcher 
- Gelegenheit dann auch der Läfterer und Lügner vom Anz 
- fang allerdings mit hinaus promovirt wird. In dem Zer: 
treten des Vorhofs und der Stadt läge dann auch eine 
Aehnlichkeit mit dem Begriff des Wohnens in der Wuͤſte; 
das eigentliche Zertreten läuft mit der Zeit des Thiers und 
mit diefem Wohnen ziemlich parallel, nur daß diejes früher 
- anfängt und fpäater aufhört, wie ſolches auch die Sicher⸗ 
heit des Sonnenweibes erfordert. 

Die Erfuͤllung dieſer Weiſſagung finden wir bei der boͤh⸗ 
miſch⸗ maͤhriſchen Kirche; denn als fie nun durch Cyrillum 
und‘ Methodium gegründet worden, folglich an dem von 

16 * 


944 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Gott für fie zubereiteten Ort genährt wurde, fo wurde der 
alte Käfterer durd) die Macht des Herrn aus ihrem Him— 
mel verbannt, ihre genaue Disciplin, oder ihre brüderliche 
Viebreiche Aufficht auf den täglichen Wandel eines jeden ein: 
zelnen Gliedes, welche die Paulizianer fchon fehr ftreng 
ausübten,, ließ Feinen Läfterer mehr Raum, und ihr reiner 
einfältiger Sottesdienft im Geift und in der Wahrheit ver- 
urfachte die Aunaͤhrung des Geiftes des Herrn in ſolchem 
Maaß, daß ſich weder der griechiſche Diabolus (Teufel), 
noch der hebraͤiſche Satan, welche beide ein und die naͤm— 
liche Perſon find, nur von weitem blicken laſſen durfte: 
Bon dem geheimen Einfluß, den diefer boͤſe Geift, durch 
unbewachte Herzen, und durch die Unvorfichtigkeit des einen 
oder andern Mitglieds, doch noch immer haben kann, davon 
ift hier nicht die Rede; das hat auch keinen merklichen 
Einfluß aufs Ganze, | 

Die Schwangerjcaft der Haulizianifchen Kirche mit einer 
vortrefflicben Polizei und Kirchenzuht, und dann auch ihre 
firenge Rüge der Laſter der herrfchenden griechifchen Kirche, 
brachte diefe fo auf, daß fie, wie oben gemeldet, die bit— 
terften Verfolgungen über jene verhängte — dadurch grünz 
dete fich aber die vortreffliche Konftitution der Gemeine des 
Herin noch mehr, und zwar fo lang, bis im Jahr 845 
der männlide Sohn geboren wurde, und die gedrückte 
Heerde zu den Vertheidigungswaffen griff. Hier fing nun 


auch der Kampf Michaels mit dem Draden an; im Geifters . 


reich wurde leßterer hinausgefämpft, und im Aeuffern Fampfte 
der Drache, dad Weib in die Wuͤſte; dieſer Streit dauerte 
vollfommen hundert Jahr; denn in der Mitte des zehnten 
Jahrhunderts, zwifchen 940 und 950 wurden die Paulizia— 
ner allmählig überwunden, und aus dem Drient an die 
Ufer der, Donau verpflanztz dagegen aber Fämpfte dann auch 
die Gemeinde des Herrin den Drachen aus ihrem Himmel 
hinaus. 

Der Satan wird aber nicht blos aus dem Himmel ges 
worfen, vom der Gemeine des Herrn entfernt, fondern es 
wird hier auch gefagt, wohin er mit feinen Engeln ges 


Kap. 12. V. 10. bis 12. 245 


- worfen worden — nämlich auf die Erde; welcher Ort dats 
unter verftanden werde, dad zeigt fich im folgenden Kapitel, 
wo gefagt wird, daß der Drache dem Thier aus dem Meer 

‘ feine Kraft, feinen Stuhl und große Macht gegeben habe. 
Zunächft bedeutet die Erde das politifche oder aͤuſſere Staats⸗ 
verhältniß der Menfchen, im Gegenfaß des Himmels, wels 
cher die Firchliche Verfaffung vorftellt; dann aber zeigt fich 
auch hier aus dem Verfolg, daß das abendländifche Kaifers 
thum der beftimmte Dit fey, an dem nun der Drache, der 
Braut des Lamms gegenüber, ein formliches Königreich ers 
richtet. Demungeachtet aber weiß er doch aud) von hier aus 
noch auf die ganze Menfchheit zu wirken, bis ihm endlich das 
Hauptwerk ganz gelegt wird; er ift ein Lügner und Verführer 
vom Anfang, und die erfte Urfache alles Jammers. 


10. Und ich hörte eine große Stimme im Himmel fpres 
chen: Gebt ift das Heil, und die Macht, und dag 
Königreich unferm Gott, und die Gewalt feinem 
Chriftus geworden: ‚weil der Ankläger unferer 
Brüder, der fie Tag und Nacht in Gegenwart unfers 
Gottes verklagt, ausgeſtoßen worden, 

11, Und fie haben ihn durch, das Blut des Lamms, und 
das Wort ihres Zeugniſſes überwunden, und haben 
ihr Leben nicht bis zum Tode geliebet. 

2, Derowegen heitert euch auf ihr Himmel; und die, fo 
fie bewohnen! Wehe der Erde und dem "Peer! denn 
der Teufel ift zu euch hinab gefommen, und hat einen 
großen Grimm, daer weiß, daß er wenig Zeit hat, 


’ Hier äußert fi) nun die frohe Empfindung der Sicherheit 
‚bei den Himmelsbewohnern; man faun die große Stimme, 
die Johannes im Himmel fprechen hört, den vollendeten Ges 
‚rechten, aber auch der Gemeine des Herrn hier auf Erden, 
‚aber auch beiden zugleich zufchreiben, man wird in feinem 
Fall irren; die Erlösten des Herrn jauchzen nun laut, und 
fagen: Jetzt fünnen Gott und fein Sohn Jeſus Chriftus uns 
fer Erldſer, frei und ungehindert und unter den Gliedern der 
Gemeine herrſchen; jest kann fih die Macht der Erlöfung 


246 Erklaͤrung ber ffenbarung Sohannis, 


unaufhaltbar thätig erzeigen, der Geift Jeſu Ehrifti mit vol: ' 
ler Kraft zur Heiligung-wirfen, und der Keim zur Anlage 
des Fünftigen herrlihen Reichs Chrifti auf Erden kann ſich 
nun ungehindert entfalten und wachfen, denn der allgemeine 

Anfläger, der vor dem Angeficht Gottes beftändig die Schwach⸗ 
heiten der wahren Chriften rügte, und weder Zag noch Nacht 
ruhte, um Schaden anzurichten, ift des Landes verwieeun er 
darf nie wiederkommen. 

Die große Stimme im Himmel ade fi des Ausdrucks: 
Der Aufläger unferer Brüder, vielleicht wird Damit auf Hiob 1. 
V. 6. u. fs und Kap. 2. V. 1. u. fr gezielt. Unter diejeu 
Brüdern werden befonders die Blutzeugen, und vermurhlich 
diejenigen verftanden, die von der falfchen Kirche, vornemlich 
durch Veranftaltung der Kaijerin Theodora, wie oben gemel⸗ 
det worden, noch kurz vor dem Sturz des Drachen, waͤhrend 
der Schwangerſchaft des Sonnenweibes, gemartert und hin⸗ 
gerichtet worden. Diefe Blutzeugen find die eigentlichen Ueber— 
winder des Drachen; denn es heißt von ihnen: Sie hätten 
MN überwunden durch das Blut des Lamms — und dad 

Wort ihres Zeugniffes; und fie hätten ihr Leben nicht fo lieb 
gehabt, als den Tod um diefes Zeugniffes willen, 

. Der wahre Sinn diefer Worte ift folgender; Diefe Blut: 
zeugen gründen ihren Werth gar nicht auf die fittlihe Tugen⸗ 
den; denn da würde der dffentlihe Anfläger auch bei den 
Allerheiligften bald. fo viele Mängel und Gebrechen' finden, 
daß fie ſich ihm zu Gefangenen ergeben, und vor daß ernfte 
Gericht des ferengen Richters fchleppen laffen müßten; fonz 
dern fie appelliren alfofort an die Barmherzigkeit Gottes, an 
die unendliche Liebe, die fich im Werk der Erlöfung geoffen⸗ 
bart hat; ‚dagegen kann dann der Drache Fein Wort fagen: 
Denn bei diefem DOberappellationsgericht gilt er mit allen fei= 
nen Schergen und Henkersfnechten ganz und gar nichts. 
Sollte ev aber aud) einwenden wollen, fie müßten erft bes 
weifen, daß fie mit Grund Anſpruch an die Wohlthat der 
Erlöfung machen koͤnnten, und daß ihr. Glaube und ihre Liebe 
nicht leeres Gefhwäß, fondern beide rechter Art feyen, fo 
dient darauf zur Antwort: Die Brüder haben beides bezeugt, 


Kap. 12. V. 15. 10 247 


und mit ihrem Tod verſiegelt, einen — Beweis gibts 
nicht. 

So fehr ſich aber auch der Himmel auf Erben, die Gemeine 

des Herrn, und alle die zu ihr gehören, Urfache zu freuen 
haben, fo ſchrecklich wird ed denen gehen, die nicht zu ihr 
gehören,’ fondern blos Bürger der Erden find; denn ber 
- Drache ift fehr mißlaunigt; bei den Himmelsbürgern ift es 
übel für ihn abgelaufen, dort darf er fich nicht mehr fehen 
laffen, und auf der Erde foll er auch nicht lange verweilen, 
: denn er weiß, daß auch da feine Zeit beſtimmt, und nicht 
fehr lang ift; er wird alfo zu guter Letzte noch einmal alle 
feine Kräfte anftrengen, und fein Beftes thun, um zu fliegen, 
darumz Wehe denen, die auf Erden wohnen! — Diefes Wehe 
iſt alſo das dritte. Siehe Kap. 8. V. 15. Kap. 9. V. 12. 
und Kap. 11. V. 14. 
Becengel hat die wenige Zeit, die der Drache Zeit hat, auf 
der Erde zu würhen, durch Vergleich mir den übrigen gleiche 
laufenden Perioden fehr genau und glaubwürdig beftimmt; 
Er fegt fie auf 888% Jahre; da nun alle übrigen Perioden 
fpäteftens im Jahr 1856 auslaufen, fo finden wir den Sturz 
des Drachen auf die Erde im Jahr 948, alfo etwa hundert 
Sahre nach der Flucht des Sonnenweibes in die Wüften, 
um diefe Zeit hörte der Krieg gegen die Paulizianer durch 
ihre Verpflanzung an die Donau, auf, und während der 
Zeit mochte fi) auch die böhmifche Kirche in ihrer Eonftitus 
tion befefligt haben. Der Drache hingegen arbeitere nun 
mit aller Macht an der Gründung feines neuen Reichs, wel⸗ 
ches er durch das Thier aus dem Meer verwalten laffen 
wollte; etwas über hundert Jahr fpäter Fam er auch damit 
zu Stande, wie das folgende Kapitel zeigen wird. 


13. Als nun der Drache fabe, daß er auf die Erde ge: 
worfen war, verfolgte er das Weib, welche den Kna— 
ben geboren hatte. 


2 Und dem Weibe wurden die zween Flügel des großen | 
Adlers gegeben, damit fie in die Wüſten an ihren 
Ort fliegen Fönnte, dahin, wo fie eine Zeit, und zwo 


248 Erklärung der Offenbarung Kohamnis. 


Zeiten und eine halbe Zeit vom Anblick der Schlange 
* ernähret würde. 


Der Drache hatte ſchon manche Verfolgung gegen das 
ſchwangere Sonnenweib angezettelt; jetzt aber, als er nun 
gar aus ihrem geiſtlichen Aufenthalt verbaunt war, griff er 
die Gemeinde des Herrn aufs neue an. Man braucht nur 
die Geſchichte der boͤhmiſch⸗ maͤhriſchen Kirche zu leſen, um 
ſich lebhaft und mit Wehmuth zu uͤberzeugen, wie ſehr Paͤbſte 
und Kaiſer ſich in die Wette bemuͤht haben, dieſe Weiſſa— 
gung in Erfüllung zu bringen: Vom Jahr 670 an bis 1725 
bat der Drache durch feine Werkzeuge beftändig das Eon: 
nenweib verfolgt,. und fie hatte nur dann und wann Zwis 
fhenräume der Ruhe, die aber immer ziemlich. kurz waren; 
er mußte wohl merfen, daß ihm diefe Gemeinde befonders 
gefährlich fey; befonders aber gingen die Verfolgungen nad) 
den. 940ger Jahren an, als Otto der Große Böhmen erobert, 
und die Paͤbſte nun auch.da freie Hand zum wirken hatten, 
und in eben diefen Jahren wurde auch der Drache auf die 
Erde geworfen, | * 


Die eigentliche Verfolgung aber, wovon hier die Rede iſt, 
faͤngt im eilften Jahrhundert, und zwar um die Mitte defe 
felben an; wir müfjen hier wohl bemerken, daß num von ihr 
sem innern Gemeindegang die Nede ift; oben bei den 1260 
Tagen wurde ihr Aufferes Verhältniß gegen die bürgerlichen 
Geſellſchaften um fie her vorgeftellt, hier aber bei den bier: 
tehalb Zeiten fucht der Drache ihre innere geiflige Verfaſ— 
fung zu hindern und zu ſtoͤren; zwiſchen 1050 bis 1060 
"wurde ihr nicht nur ihr vffentlicher, fondern foger auch der 
Privatgottesdienft verboten; ihr Herzog ſchuͤtzte fie zwar noch) 
dabei, aber es währte nicht lang, denn im Jahr 1075 kam 
Hildebrand unter dem Namen Gregord des Siebenten auf 
den päbjtlichen Thron. Diefer Stifter des Thiers aus dem 
Meer ſetzte nun jenes Verbot ganzlich durc), fo daß das Weib 
num auch der innern Verfaſſung nach in die Wüfte fliehen, 
und in Höhlen und Felsklüften den Gottesdienft halten mußte; 
von 1058/an war dieß fhon gefchehen, doc) nicht fo ununs 


KUNST 949 


terbrochen, wie von nun an, wo der Drache die entfeßlichfte 
Verfolgung über diefe Gemeinde verurfachte, 

Nun heißt ed, dem Weide feyen die zween Flügel des 
großen Adlerd gegeben worden, um damit in die Wüfte an 
ihren beftimmten Ort zu. fliegen. — Unter diefem großen 
Adler hat man den römifchen Neichsadler oder die römifchen 
Kaifer verftehen wollen. Allein man mag diefe Flucht des 
Weibes auslegen wie man will, fo hat doch diefer Adler 
dem Weibe nie feine Flügel geliehen; im Gegentheil er hat 
fie verfolgt, wo und wie er nur Fonnte, 

Der große Adler ift entweder das vierte lebendige Weſen 
am Thron Gottes, oder die mütterlichleitende Vorfehung felbft. 
Beide Bedeutungen finden hier ftatt; im Anfehung der erften 
lefe man aufmerffam, was ich oben in der Erklärung des 7. 
Verfes des 4. Kapiteld von dem fliegenden Adler, als der 
vierten Grundkraft der gefammten moralifhen Natur, gejagt 
habe, und wende es dann auf die Muttergemeinde, das Sons 
nenweib, an: Dem zufolge nahm fie nun, mit diefen Adlers— 
flügeln verfehen, ihren Flug in die Einſamkeit, und richtete 
ihren Blic® mit unverwandtem Auge zum Urlicht, ter Sonne 
der Geifterwelt entgegen; diefen Flug Fonnte der Drache mit 
allen feinen Helfershelfern nicht hindern, und ihr auch in 
diefer Wüften, im ihrem Adlersneſt nicht beifommen,. "Zus 
gleich aber waltete auch die Vorfehung über fie, und in dies 
fem Sinn iſt das, was dort Mofe in feinem Lied vom Volk 
Iſrael fagt, 5. Mof. 52. V. 10. 11. 12. auf fie anwendbar, 
und wer weiß, ob nicht der erhabene Seher diefe Stelle im 
Sinn gehabt hat; bier” heißt es: Er (Jehovah) fand ihn 
.. (den Sfrael) im Lande der Eindde, und in einer wüften 
heulenden Wildniß; Er führte ihn umher, und unterwies 
ihn, Er bewahrte ihn wie einen Augapfel. Gleichwie ein 
Adler fein Neft aufweckt, über feine Jungen fchwebt, feine 
Fluͤgel ausbreitet, fie aufnimmt, und auf feinem Fittig trägt, 

ſo füpre ihn Jehovah allein, und Fein anderer Gott war mit 
Ihm. Mir deucht, man Fünne dem Adlerflug des Weibes 
in die Wüfte Feine fchönere Deutung geben. Da kommt fie 
recht am ihren Ort, wo fie den Gottesdienft im Geift und 


250 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


in der Wahrheit ruhig abwarten kann, und wo fie. recht mit. 
dem Brod des Lebens ernährt wird, ohne daß ed der Drache 
und feine Thiere hindern fonnen. Den äuffern Gottesdienft - 
fonnte man der Gemeine des Herrn verbieten, aber den innern, 
in der abgefchiedenen Wüfte, nie, In diefem Zuftand heißt 
ed von ihr: Aber die auf den Herrn harren, werden die 
Kraft erneuern; fie werden auffahren mit Slügeln, gleich den 
» Adlern, fie werden laufen und nicht müde werden; fie ſollen 
wandeln, ohne zu ermatten. Jeſ. 40. V. Sl. 

In der Verfaffung des innern Gottesdienſtes, in welcher 
der aͤuſſere entweder ganz verboten, oder nur blos geduldet 
wird, ſoll die Bruͤdergemeine eine Zeit, Zeiten, das iſt, zwo 
Zeiten, und eine halbe Zeit — naͤmlich bis dahin verharren, 
wenn der Sieg uͤber den Hauptfeind, das Thier aus dem 
Abgrund, erkaͤmpft, und das Reich des Herrn nun im vols 
len Anbruch — der Natipnenhirte mündig geworden ift, 
Kap. 19: 8, 1-3, | 

* Bengels Syſtem betraͤgt eine Zeit 2222, zwo Zeiten 
4445 und eine halbe Zeit 1115, folglich alle viertehalb Zeis 
ten PROER 7773 Jahre; addiren wir diefe nun zu 1048, 
fo fällt ver Termin ins 185ſte Jahr, in welchem alle apocas 
lyptiſche Perioden auslaufen, und ganz gewiß auslaufen 
würden, wenn man immer genau ihren Anfang traͤfe; indefz 
fen ift doch fo viel zuverläffig, daß das Jahr 1856 der längfte 
Termin feyn muß, wenn anders Bengels Syſtem richtig iſt, 
und daß es hoͤchſt wahrſcheinlich ſey, das haben die großen 
Begebenheiten des 1798ſten Jahrs bewieſen, wie ich weiter 
unten zeigen werde. Laßt es uns in der Anbängigleit vom 
Herrn erwarten! | 

Es ift aber auch merkwuͤrdig, daß Johannes nicht ſagt, 
drei und eine halbe, ſondern eine Zeit, zwo Zeiten und eine 
halbe Zeit. Dieſe Redensart zielt auf zwo Parallelſtellen 
im Propheten Daniel Kap. 7. V. 25. und Kap. 12. V. 7. 
welche beide durch die apofalyptifche vortrefflich erklärt und 
beftätigt werden: Denn der geiftige Aufenthalt des Son: 
nenweibes in der innern myſtiſchen Wuͤſte fängt wenige 
Jahre vor dem Auffteigen des Thiers aus dem Meer an, 


Kap, 12: V. 15, bis 17. 251 


und hört mit dem Sturz des Thiers aus dem Abgrund auf; 
jeßt Iefe man oben angeführte zwei prophetifche Zeuguiſſe, 


ſo wird man Verſtand darinnen finden; doch hat aud) die 


gedachte Abtheilung der viertehalb Zeiten noch einen andern 
Grund, und zwar darinnen, daß drei Perioden dadurch be⸗ 
ſtimmt werden; deren jede von der andern merklich verfchies 
den ift; denn 

Im Fahr 1058 fingen fie anz wenn man nun eine Zeit, 
als die erfte Periode, dazu addirt, fo kommt das Jahr 1280 
heraus; in diefem Zeitraum bildete ſich die boͤhmiſche Kirche 


vollig aus, fie fam aus dem Wochenbette; hundert Jahre 


fruͤher, nemlich 1179, waren die Waldenfer nad Böhmen 
gezogen, und von da ab an, wurde ihre Kirchenzucht immer 


beſſer, geordneter, genauer und vollftändiger. 


5 LEE > 
— 


Zu 1280 addirt man num ihre zwo Zeiten, nemlich 444%, 
fo fält das Eude der zweiten Periode ind Jahr 1725, wo 
Herruhut völlig im Werder war, und Zinzendorf den Stamm 
der mährifchen Kirche in der Lauſiz verpflanzte. Man braucht 
nur die Gefchichte der erneyerten mährifchen Brüdergemeine 
zu leſen, ſo wird man ſehen, wie ſehr ſie ſich allmaͤhlig zu 
dem bildet, was ſie werden muß, um die Pflanzſchule des 
herrlichen Reichs Chriſti auf Erden zu ſeyn. Die halbe Zeit 
111 zu 1725 gezaͤhlt, gibt dann wieder 1856. 


15, Und die Schlange fpie ein Waffer, gleich einem Strom, 
hinter den Weibe her aus ihrem Maul, um fie weg⸗ 
zuſchwemmen. 


| 16. Und die ‚Erde Fam dem Weibe zu Hülfe; und die 


Erde öffnete ihren Mund und verfchlang den Strom, 
den der Drache aus feinem Maul gefpieen hatte. 
17. Und der Drache erzürnte fi fi ch über das Weib, und 
ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihres Caas 
mens, Die da die Gebote Gottes DRADFEN,. und. das 
Zeugniß Jeſu haben, 
Das Ausſpeien eines Stroms ift ein Bild, das aus der 
Natur entlehnt iſt; denn die große Riefenfchlange geußt eis 
nen Strom von Geifer über ihren Raub her, wenn fie ihn 


352 Grklärung der Offenbarung Johannis. 


getddtet hat: Hier jagt der Schlangenfünig dem in die Wüfte 
fliependen Sonnenweibe einen ſolchen Geiferftrom nach, um fie 
Damit zu erfäufen, und von der Erde wegzufpülen. Daß 
ein Wafferftrom in der prophetiichen Sprache Völferfchaaren 
bedeuten Fünnte, und wirklich bedeute, hat feine Richtigkeit; 
hier aber geht diefe Auslegung nicht an, fondern die natürs 
lichfte ift, wenn man unter diefem Strom die falfche Lehre 
des Drachen verfieht; denn da unter dem Maffer des Lebens 
die Heilölehre des Evangelii abgebildet wird, fo bedeutet 
ganz natürlich und ungezwungen der Geiferftrom, den der 
Drache aus feinem Maul geußt, die abfcheuliche Lehre des 
sömifhen Stuhls, welche Pabft Hildebrand gleich nach der 
myftifchen Flucht des Weibes in die Müfte, ihr gleichfam 
auf dem Fuß nachſchickte; hierüber fagte Loretz in feiner 
ratione Diseiplinae unitatis fratrum ©. 34. folgendes: - 
„Gegen dad Eude des eilften Jahrhunderts ließ Pabft 
„Gregor der Siebente, genannt Hildebrand, ein neues 
„ſcharfes Verbot dagegen (gegen den Privatgoftesdienft der 
„‚böhmifchen Kirche) ausgehen, welches mit gewaltfamer 
„Hand durchgeſetzt wurde. Hier fingen fich alfo die har— 
ten Berfolgungen der roͤmiſchen Kirche gegen die Vorfahs 
„ren der Brüder in Mähren und Böhmen an, welche end: 
„lich in die. fchredlichften Graufamfeiten ausbracdhen. Je 
„mehr aber die Irrlehren bei der römifchen Kirche und 
„die Lafter bei der Geiftlichfeit zunahmen, defto weniger 
„konnte diefe, weder durch Lift noch Gewalt vermocht 
„werden, fich unter dad Zoch des Pabftthums zu bringen. 
„Der Bilderdienft, die Kehre von der Verwandlung des 
„Brods im Abendmahl, die Einführung defjelben unter 
„einer Geſtalt, das Fegfeuer und fo mehrers, war ihnen 
„unerträglich; fie blieben daher bei ihren Sitten, und 
„hielten fi fo viel möglich im verborgenen.“ 
Dieß war eigentlich der Schlangenfirom, der das Weib 
erfäufen follte; da fich diefe immer mehr ins innere Heilig: 
thum zurüczog, wohin weder der Drache noch fein Geifer 
fommen fonnte, fo wurde fie Feineswegs weggefpielt, fondern 
der Strom verlor. ſich in der politifchen Verfaffung ,  diefe 


un u u Fe ah ee Du u nen ml nm un u DU, 


Kay. 15.8. 15. bis 17% 255 


öffnete ihren Mund: und verfchlang ihn; denn die Päbfte bes 
famen nun die Ausführung ihrer weitausfehenden Abfichten 
durch die Kreuzzüge fo viel zu thun, daß zuweilen auf eine 
Zeitlang das böhmifche Häuflein Keger vergeffen wurde. 

Daß hier diefes Alles noch immer dem Drachen und nicht 

dem Thier aus dem Meer, dem Pabftthum, zugefchrieben 
wird, kommt daher, weil jenes Thier noch nicht aufgeftiegen 
war, und weil der Drache diefem noch nicht feine Macht 
übertragen hatte. Kap. 15. V. 2: 
Da nun der Drade ſahe, daß er dem Gonnenweibe in 
Böhmen nichts anhaben fonnte, fo wurde er zornig, und 
fuchte fi) an den Übrigen ihres Saamens zu rächen; dieſe 
waren die Waldenfer und Albigenfer im füdlichen Franfreic) 
und ndrdlidhen Italien, gegen welche die Päbfte, im Verfolg 
der Zeit, ordentliche Kriege führten; gegen diefe wurden im 
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts die DBettelorden, der 
Sranzisfaner und Dominikaner, und die fürchrerliche Inqui⸗ 
fition geftifteer — das hieß doch wohl ſchon Krieg führen 
gegen die Uebrigen von dem Saamen des Sonnenweibes; 
denn der Kern der MWaldenfer hatten fich ſchon früher nach 
Böhmen gezogen: Aber nachher Friegre man aud) im eigents 
lichen Sinn gegen jene Uebrigen; denn es wurden fürmliche 
Kreuzzüge gegen fie veranftaltet, durch welche fie auf dad 
ſchrecklichſte mißhandelt und mit den graufamften Martern 
getbdtet worden. Diefe Erklärung des 17ten Verfes ift fü 
Har und richtig, daß auch zugleich die Deutung der vorher: 
gehenden dadurch beftätiget wird. 

Hier endigt fih nun wieder eine große und wichtige Pes 
viode der hohen Offenbarung — das Heidenthum ift gerichs 
tet — die Grundlage des herrlichen Reichs Chriſti auf Er: 
den durch das Sonnenweib, oder die Brüderfirche ift feit und 
“  umerfchütrerlich gegründet, und der Drache ind abendländifche 
Kaiferthbum gebannt. Jetzt ift nun noch der legte und aller: 
wichrtigfte Auftritt übrigs Der Drache ftrenger feine legten 
Kräfte aufs aͤußerſte am, indem er ein Reich errichtet; das 
die allgemeine Alleinherrfchaft für ihn durch Aberglauben ers 
ringen will; und da diefes mißlingt, fo gründet er eine neue 


354 Erklärung der Offenbarung Gohannis. 


Macht, die das nemliche dur Unglauben erfämpfen will, 
und beide werden durch eine geheime große Kraft der Fin: 
fterniß unterftügt. "Alles ift aber vergebens; denn der Sie⸗ 
ger mit den vielen Kronen erfcheint, macht allem Kampf ein 
Eude, und richter nun fein ewiges Königreich auf. In der 
Mitte zwifchen allen erhabenen Bildern ſteht dann noch die 
hohe Hieroglyphe der fieben Donner, die das Tempelmeffen, 
und das Geheimniß der zween Zeugen enthält? das Erſte 
ſcheint ſchon in der bisherigen Gefchichte des Sonnenweibes 
zu liegen, das leßte aber ift noch ganz unenrfiegelt, 


Edhe ich aber meinen dunkeln Pfad in dieſem geheimnißvols 
len Heiligthum fortfege, fcheint mir eine Erinnerung noͤthig 
zu ſeyn, die ih alfo hier einfchalten will! Miele Partheien 
und viele einzelne wohlmeinende Seelen unter euch, meine 
lieben Brüder! und theure Lefer! find entweder von der Ber 
fhaffenheit der Brüderfirche nicht genug unterrichtet, oder 
fie haben auch noch wohl Vorurteile von Alters her gegen 
fie — mit denen, die fie beneiden, habe ich Fein Wort zu res 
den — dem Erften empfehle ich des Herrn Paſtor Frohe 
Ye ers Briefe über Herrnhut, Zoregensratio Diseiplinae 
unitatis fratrum, oder Grund der Verfaffung der evangelis 
ſchen Bruderunitaͤt, und Cranzens, Loskiels und Oldendorps 
Schriften über die Miffionen der Bruͤdergemeine; Spangen: 
bergs Lebensgefbichte Fann auch dem wahrheitsliebenden 
Lefer vieled aufklären, was ihm bisher nod) dunfel war; 
und den Letztern rathe ich nur, fo lang ihre Vorurtheile abs 
zulegen, bis fie fi) auch durch jene Schriften unterrichtet 
haben, und wenn fie folche dann ferner noch behalten, ſo 
hab ich ihnen nichts mehr zu ſagen. 


Sobald man ſich alſo von der Wichtigkeit und Richtigkeit 
der Bruͤderkirche vollkommen uͤberzeugt, alle Vorurtheile ab⸗ 
gelegt, und dem Sonnenweib recht ins Angeſicht geſchaut 
hat, ſo muß man voͤllig uͤberzeugt ſeyn, daß meine Erklaͤrung, 
welche ſich ohnehin ſchon auf die Bengelſche ſtuͤtzt, unſtreitig 
die richtige ſey. Ich bezeuge nochmals feierlich, daß ich nie 
zur Bruͤdergemeine gehoͤrt habe, zu keiner Parthie auſſer der 


proteftantifchen Kirche, gehöre — aber die Wahrheit ift mir 
ftärfer, als jedes Verhältniß, und will fie redlich bezeugen. 
Ihr müßt euch aber deswegen, daß diefe Kirche die Pflanz: 
fchule des Neichs Gottes ift, Feine zu hohe dee von ihr 
machen; ihr hoher Werth beruht nicht auf der größeren Hei⸗ 
ligfeit ihrer Glieder, fondern auf ihrer intern Einrichtung 
und dem felfenfeften Anhatigen am einzigen Grund des Glaus 
bens, an der Lehre bon der Erlöfung der gefallenen Menſch— 
heit durch Chriftum. Auf diefen Punkt müßt ihr euern 
Blick heften, wenn ihr fie beobachten wollt, und dann werdet 
ihr nicht mehr zweifeln. 
Endlich Fönnte diefe meind —— Erklaͤrung, nach⸗ 
dem ſie bei frommen, gutwilligen Seelen Ueberzeugung be— 
wirkt haͤtte, wohl einen Trieb erwecken, ſich mit der Bruͤder— 
kirche zu vereinigen — Liebe Seelen! — dazu rathe ich nicht, 
es iſt nicht eher noͤthig, als bis euch die Vorſehung dazu 
führt, und euch den Weg dazu bahnt, im Eigenwillen muß 
fo etwas nicht gefchehen. Wenn ihr es redlih meint, fo 
werdet ihr gewiß nicht zurücbleiben: Denn, folltet ihr etwa 
- die Zeit des Aubruchs des Reichs Chriſti erleben, welches 
gar leicht bei den Juͤngern unter euch der Fall feyn koͤnnte, 
fo feyd nur getroft und aufmerkſam auf die Winfe des Herrn, 
Er wird gewiß dafür forgen, daß Feine Klaue zurüc bleibt. 
Ihr gehoͤrt alle zur philadelphiſchen Gemeinde, ihr moͤgt 
nun ans Sarden oder Laodicea ſeyn, und Philadelphia wer: 
den wir und alle mit der thyatirifchen Brüdergemeine vereiz 
nigen; laßt uns alle nur halten was wir haben, damit ung 
Niemand unfere Kron? rauben möge, 


18. Und ich wurde auf dem Sand des Meers geftellt. 


Sohannes hatte biöher in feinem Geficht einen Standpunft 
gehabt, aus dem er fehen Fonnte, was im Himmel vorging,: 
jeßt aber weißt man ihm einen Platz am Ufer des Meers 
an, wo er den fchredlichen Auftritt des Auffteigens des Thiers 
aus dem Meer in der Nähe beobachten kann; was er num 
da gefehen hat, das erzählt er im folgenden Kapitel. 





256 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


Das dreizehnte Kapitel 


4. Und ich fahe ein aus dem Meer empotfteigendes Thier, 
welches zehn Hörner und fieben Köpfe, und auf feinen 
Hörnern zehn Königskronen, und auf feinen Köpfen 
Namen der Sottesläfterung hatte. 

2. Und das Thier, welches ich fahe, glich einem Pardel, 
und feine Füße den Bärenfüßen, und fein Maul einem 
Pöwenmanl. Und der Drache gab ihm feine Macht, 
and feinen Thron, und große Gewalt: 


Su den prophetifchen Gefichten Danield werden diejeniz 
gen Königreiche, welche vorzuͤglich Einfluß auf dad Volk 
Gottes gehabt haben, unter ungeheuern, aus mehrern Thierz 
gefchlechtern zufammen geſetzten Beſtien vorgeftellt. Im 7. Kap. 
V. Atem erfcheint die affyriichebabylonifhe Monarchie wie 
ein fliegender Lowe; im Sten die perfiiche gleich einem Baͤ⸗ 
ren mit drei großen eiſernen Zaͤhnen; im 6ten die griechifche 
gleich einem Pardel mit vier. Fluͤgeln und vier Köpfen, und 
endlich im 7ten und 8ten die Fomifche gleich einem greulis 
hen und fchrecflichen Ungeheter, das aber weiter nicht befchrie: 
ben wird, auffer daß es zehn Hörner hatte; und aus diefen 
Hörnern entfteht nun ein Fleines Horn, mit welchem es der 
Prophet hauptfählich zu thun hatz darauf folgt daum die 
Zufunft des Herrn. 

Dieſes greuliche und fehredliche vierte Thier wird nun Gier 
in der hohen Offenbarung ausführlicher abgehandelt, und fie 
fhließt fi) hier ordentlic) an Daniels Weiffagung an, Die: 
fer Prophet fahe alle vier TIhiere aus dem Meer auffteigen, 
folglich darf man nicht fo beftimmt unter dem Meer Die 
Abendländer verſtehen; denn die drei erſten regierten ja in 
Afien, fondern das Meer bedeutet auch allerhand Völker und 
Nationen, aus denen fic) jedes Thier bildete. Dennoch aber 





EB end 2 


flieg dieſes vierte Thier in jeder Ruͤckſicht aus dem Meer auf: 
1) € eutftund ı aus bielen Nationen, 2) in den Abendlaͤndern, 
in Europa, und 3) im Gegenſatz eines andern, der aus der 
Erden fein Haupt erhebt. 

Im allgemeinen Sinn kaun dies vierte Thier wohl die ganze 
römifche Monarchie von dem Anfang ihrer Ausbreitung an, 
bis an die Errichtung des Reichs Chrifti auf Erden bedeuten; 
hier aber wird nur die letztere feindfelige Macht darunter 
verſtanden, welche in jener Monarchie errichtet’ wird, und 
welcher der Drache Deswegen feinen Thron und feine Gewalt 
gibt, um Chrifto und den Anftalten entgegen zu wirken, und 
es, wo möglich, ganz zu hindern, 

Ehe ich aber zur Erflärung des Tertes weiter fortgehe, 
muß ich noch eine nothwendige Erinnerung vorangehen laſſen. 

Die bewährteften Nusleger, und namentlich auch Bengel, 
verſtehen umter dieſem apocalyptifchen Thier aus dem Meer 
ausschließlich das tomijche Pabſtthum, vder eigentlich den 
rdmiſchen Hof unter den Paͤbſten; fo wahr und richtig num 
das and ift, fo müffen wir uns doc) fehr in Acht nehmen, 
daß wir die farholifche Kirche immer von diefer Idee abfons 
dern — der Pabft Fönnte fogar allgemeiner Bischof feyn, ohne 
daß er deswegen zu diefem Thier gehörte. Das Ningen nad), 
der Univerfaloberherrfehaft über die gefammte Chriftenheit, 
oder gar-über die gefammte Menfchher, und ihre ordentliche 
Obrigkeiten, und das nicht blos in religidfen, foudern auch 
in polirifchen Sachen — mir einem Wort? An Gottes 
Statt die Welt regieren wollen, dies ift der Geift 
des Drachen und das Wefen des Thiers. Da wir num bei 
dem römifchen Hof diefen Charakter von langer Zeit her dauer: 
haft gegründer finden, fo iſt Die Folge der Paͤbſte, nicht in 
Anfehung des allgemeinen Bisthums, ſondern iin Rücficht 
auf jenen Charakter, dieß Thier aus dem Meer; wuͤrde alſo 
eine andere Macht diefen Charakter annehmen, fo würde fi ie 
auch immer das naͤmliche Thier ſeyn, auſſer daß dann fein 
Auffteigen aus einem andern Ort entflürde. Kap. 11. B. 7. . 
wird von dem Thiet geredet, das aus dem Abgrund auffteigt, 


und Kap 17 Vs. fagt der Engel zum Johannes, eben 
Stillings fammil. Schriften. IH. Band. 17 


258 Erklaͤrung der Offenbarung Sohannis, 


das nämliche Thier, das aus dem Meer aufgeftiegen ſey, 
werde fich eine. fleine Zeit. verlieren, und dann wieder. aus 
dem Abgrund aufſteigen. Dieß alles fagerich nur deswegen, 
Daß man dieß feindfelige Thier nicht fo ganz unbedingt, an den 
roͤmiſchen Hof feſſeln foll, weil es fi) auch hoch auderswo 
zeigen kann; indeſſen iſt es doch hoͤchſt wahrſcheinlich daß 


Kom in. jedem, Fall auch bei dem Thier aus dem Abgrund 


eine ‚große Rolle fielen wird, 

Endlich muß man. auch forgfältig, einen ‚Sebler oetsheiden; 
den verfchiedene, übrigens fehr einſichtsvolle Ausleger beganz 
gen haben, daß fie die vollendete Geftalt des Thiers, fo wie 
fie der heilige Seher bier befchreibt, fo gleich im Anfang der 
päbftlichen Univerfalmonarchie ausfindig ‚machen wollten; da 
doch dieß Thier allmaͤhlig wächst, und erſt nad) und * 
ſeine Figur bekommt. Johaunes ſieht es hier ſo, wie es kurz 
vor ſeinem Sturz in den Feuerſee, nachdem es ſchon aus dem 
Abgrund aufgeſtiegen ift, ausſehen wird; Wollte man mir 
einwenden, er hätte es doch, fo sollendet. aus, dem Meer aufs 
fieigen fehen, fo bevenfe man, daß auch. Daniel die griechi⸗ 
{ce Monarchie in Geftalt eines Thiers mit vier Köpfen aus 


dem Meer. auffteigen fah, ungeachtet die vier: Koͤpfe erſt eine 


Zeitlang nad) dem Auffteigen entſtunden. Das Thier fteige 
aus dem Meer auf, und zeigt fich dem Seher in feiner ‚volls 
fommenen Geſtalt, weil der. Zweck nicht erforderte, J er 
ſich vor ſeinen Augen bildete; 

Hierauf wollen wir nun zur Erklärung. übergehen, 
Die feindſelige Macht gegen Chriſtum und fein Reich ent—⸗ 
fieht aus dem Meer; was das bedeute, iſt oben fchon gefagt 
worden; Rom, Stalien, mit einem Wort das ganze abend: 
ländiihe Reich, war durd) die Völferwanderungen ein Ges 
mifche von allerhand Nationen ‚geworden, als Pabſt Gregor 
der Siebente, genannt Hildebrand, -diefe feindfelige Macht 
fiftere, Daß unter dem Meer auch Stalien verftanden werz 
den koͤnne, weil es im Meer. liegt, ift gewiß, | 

Die zehn Hörner, die Johannes num bemerkt, fi nd sehn 
Könige. Kap. 17: V. 12. Es ift zwar allerdings merkwürdig, 
daß. das veeidentalifcye Kaiſerthum, Re die- Eongerhen 


— — 


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BT EWR SW ET 


Kay. 15. 8, 4,234 259 


überhaupt, feit Gregors Zeiten aus ungefähr zehn Königreichen, 
bald mehrern, bald wenigern beftanden ; allein im genauen Sinn 
dürfen doch diefe zehn Hörner wicht dahin gedeutet werden, 
fondern erft am Ende des Thiers werden fic) die zehn Mächte 
in ihrer wollen Kraft zeigen, danı wann es mit Daniels 
Monarchenbild Dan. 2. einft zu den zehn Zähnen gefommen 
iſt. Jedes Horn hatte: eine föniglihe Krone, zum Beweis, 
daß jedes einen König vorſtelle. Ob. fie alle zehn auf einem, 
etywa dem mittlern Kopf flunden, oder ob jie anf alle fieben 
Kdopfe vertheilt waren, das fagt Johannes fo wenig als Das 
niel, man kann es alfo auch nicht. wiffen,. 

Die fieben Köpfe des Thiers bedeuten, die, fi eben Berge 
ber Stadt Rom. Daß diefe Stadt auf: fiebew Hügeln oder 
Bergen liegt, ift eine befannte Sache, und bei der Erklärung 
des 17ten Kapitels werde ic) ausführlicher vonm ihnen reden. 
Vor Alters: waren folgende Berge bebaut und bewohnt: 1) Der 
Aventinus, wo jeßt die Kirche zu St; Sabina: ſteht; 2).der 
Gapitelinug, ‚wo: das. Capitolium ift,; und wo fich der. Senat 
verfammelt 5.5) der Coelus, oder das Lateran, wo die Kirche 
des heiligen Johannes iſt; 4) der Exqu lilnus mit der Kirche 
Maria Maggiore; 5) der Palatinus, welcher von langer Zeit 
wüfte und mit Weinbergen bepflanzt iftz am. defien Stelle 
kommt nun der Vatikanus, ‚welcyer die berühmte St. Peters⸗ 
Firche und den paͤbſtlichen Pallaft enthaͤlt; 6) der Quirinalis, 
wo die Kirche St: Markus ſteht, und wo fich die Sommers 
vefidenz der Pabfte befinderz und 7) der VBiminalis; Ju was 
für einer; Beziehung dieſe ſieben Berge mit den Köpfen des 
Thiers ſtehen, das wird eſenenbei der Erklaͤrung des 17ten 
| Rapinil gefagt werden. 

Auf diefen Köpfen bemerkte Sohannes Namen der Läftes 
rung.; Gottesläfterung ift, wenn man entweder Gott menfchs 
liche Schwächen oder gar Lafter zufchreibt, oder wenn man 
fündigeMenfchen Sort gleich ſetzt; auf beiderlei Weije iſt auf 
jenen Bergen Gott geläftert: worden; man machte Gott zu 
einem-lafterhaften Wefen, indem: man die Menfchen beredete, 
Vergebung der Sünden oder Rettung aus dem Fegfeuer ließe 
ſich durch zeitliche Guͤter erkaufen; und man erhob lafterhafte 

17 * 


| Mr 
360 Erklärung der Öffenbarung Johannis 


Menfchen zur Würde der Gottheit, indem man den Pabft 
einen Vicegott nannte, oder zweideutigen Heiligen größere 
Kraͤfte zufchrieb, als Chriſto; daß dieß gefchehen fey, darüber 
hat man unverwerfliche Zeugniffe genug: 
Nun wird auch der eigentliche Körper des Thiers befchries 
ben: Sein Rumpf gli einem Pardel oder Panther; er hatte 
namlich eine buntgefledte ſchͤne Haut. Die buntfchedigte 
Aufpugung des päbftliheh Hofs ift bekannt; dann ift auch 
der Pardel ein fehr grimmigeg reißendes Thier, das nichts 
fhont, und diefen Grimm haben alle diejenigen erfahren, 
die fich der römifchen Politik widerfegten. Es hatte ferner 
Bärenfüße und eim Löwenmaul; oder vielmehr Löwenmäuler. 
Mir ven Füßen zerdruͤckt, zerreißt und zertritt der Bär alles 
das, worüber er ergrimmt iſt; er kann aber auch damit auf 


die Bäume klettern; und der Lbwe brüllt fürchterlich mit feis 


nem Maul, aud) zerreißt und frißt er mit Maul und Zähnen 
gierig feinen Raub, Dieß Alles find Bilder, deren Deutung 
auf den römifchpabftlichen Hof fo ungezwungen und fo leicht 
ift, daß ich mich gar nicht dabei aufhalten mag. 

Diefer Beftie gab nun der Drache, nachdem er auf die 
Erde geworfen worden, feine Machtz er machte ed zu feinem 
Adjutanten, um dadurch den Plan feiner Univerfalmonarchie, 
Gott der gefammten Menfchheit oder Erden zu werden, außs 
zuführen, da er als ein geiftiges Wefen dieß unmittelbar nicht 
faun. Diefe Drachen- oder Satansmadıt. beftand in der 
Gewalt über die Gewiffen; daher Heißt es ferner: Er gab 
. dem Thier auch feine große Gewalt. — Es ift allerdings, 
nach natürlichen Urfachen gefchloffen, unbegreiflich, wie es 
möglid) war, daß ein Fleiner geiftliher Fürft in Stalien im 
Stand war, Kaifer und Könige, mit einem Wort, vom Thron 
ins Elend zu verftoffen, und andere auf denfelben zu erheben, 
ohne daß fie ihre Armeen und alle ihre Macht dagegen ſchuͤ⸗ 
ten kounte. Allein die ganze Ehriftenheit lag ohne Erkenntniß 
“im tiefften Aberglauben verfunfen — die Sefabel oder babyloni= 
fhe Hure hatte die Sache trefflich dazu eingeleitet, und dem 
Thier den Weg gebahnt. Durch diefen Aberglauben wirkte 
nun der Drache durch fein Thier auf den Willen der Mens 


A u Den 


= 


Kap, 18. V. 5. 4. 261 


fhen, und fie gehorchten ohne Widerſpruch, und wer dieſen 
wagte, der wurde gefreſſen. 

Der Aberglaube war das Element des Thiers aus dem 
Meer; der Unglaube iſt das Element des Thiers aus dem 
Abgrund; und der wahre Glaube das Element des Sonnens 
weibes, und aller, die Chrifto und feinem Adjutanten, dent 
Nationenhirten, angehören. Wer unumfchränfte Gewalt über 
die Gewiffen der Menfchen erlangt hat, dem gehorchen fie 
ohne Zwang aus freiem Willen, 

Endlicy übergab auch der Drache dem Thier fpinen Thron, 
ben er während der Herrſchaft des Heidenthums in Rom bes 
ſeſſen hatte, aber nach dem Gericht über dafjelde verlaffen 
mußte, 

Hier follte ich nun auch die Zeit anzeigen, in welcher das 
Thier aufgeftiegen ift, allein da uns der 18te Vers diefes 
Kapiteld eine noch bequemere Gelegenheit dazu an die Hand 
gibt, fo wollen wir es auch dahin verfparen, 


3. Und eins von feinen Häuptern war, als wenn es tobt 
gehauen, und die tödtlihe Wunde wieder heil gewors 
den wäre; umd bie ganze Erde ftaunte dem Thier nach. 

4, Und fie beteten den Drachen an, weil er dem Thier 
die Gewalt gegeben hatte, und fie beteten auch dag 
Thier an, und ſprachen: Wer ift dem Thier gleich? 
und wer kaun mit ihn Eriegen ? 


Der Heilige Seher ſahe eins von den fieben Häuptern, als 
wenn es einen tddtlichen Hieb mit einem Schwert befommen 
hätte; ®. 14. und doch war diefe Wunde wie der heil. Ben 
gel glaubte, diefe Kopfwunde fey fchon dem erſten Stifter 
des Thiers dem Pabſt Hildebrand verfegt worden, als er 
vom Kaijer und von vielen Bifchöfen abgeſetzt wurde, einen 
Gegenpabit befam, und im Exil ftarb; allein die ift mehrern 
Paͤbſten wiederfahren, das waren Feine tödtliche Wunden, 
die einem ganzen Kopf, welcher eine ganze Reihe Päbfte ents 
/ hält, gefährlich werden Fonnten, Mir duͤnkt vielmehr, man 

treffe den Sinn am ficherfien, wenn man unter dem Schwert, 
das die Wunde fchlägt, das verſteht, was in der Offenbarung 


262 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


darunter verſtanden werden muß, nämlich das Wort Gotted; 
dieß iſt das Schwert, welches aus dem Munde des Herrn 


geht, Kap. 2. V. 16. (fr meine Erflärung dieſes Verſes), 
womit er auch gegen ſeine Feinde ſtreitet. 

Daß nun die Reformation ein Hieb war, der dem —* 
regierenden Kopf leicht hätte toͤdtlich werden koͤnnen, das 
wird kein Menſch läugnen, der der Sache nur reiflich nachdenft. 

Wenn wir die Regierung der Köpfe, fo wie fie der Ges 
fhichte nach aufeinander gefolgt find, und wie fie Bengel in 
feiner erklärten Offenbarung Seite 899. u. f. aufuͤhrt; der 


ungenannte Verfaſſer des vortrefflichen Buchs: Einleitung 


zu naͤherer und deutlicher Aufklaͤrung der Offenbarung Jeſu 


Chriſti, Karlsruhe bei Maklot, 1784, aber in Anfehung des 


— Quirinalis noch beſtimmter entwickelt, naͤher betrach⸗ 

fo finden wir, daß der Edlius der erfte, der Vatican 
ie zweite, der Aventinus der britte, der Quirinalis der vierte, 
und der Exquilinus der fünfte iſt; bis dahin ſind wir nun jetzt 
gekommen, der Capitolinus und der Viminalis, oder Pala⸗ 
tinus (wenn diefer wieder angebaut würde), find num noch 
uͤbrig. Von dieſem allen aber werde ich im 17ten Kapitel 
ausführlicher reden; ich führe dies nur deswegen an, damit 
id) den Kopf beſtimmen Fönne, der die toͤdtliche Wunde bes 


Fam. Diefer war nun der Quirinalis mit feiner Marfuss 
kirche; denn da fing Pabſt Paulus der zweite im Jahr 1464 


an zu regieren, und Leo ber Eilfte hörte im Fahr 1605 da 
auf, in diefen Zeitraum fallt nun die ganze Reformations— 
geſchichte/ folglich auch die tbdtliche Wunde, die diefer Kopf 
durchs Schwert befam, aber fie ward auch an eben diefem 
Kopf wieder heil; denn das Tridentinifche Concilium wurde 
bon diefem Berge aus dirigirt, und während diefer Zeit wurde 
auch der Jeſuiterorden geſtiftet und eben dieſe beiden Salben 
waren es, wodurch der Kopf ſeine Genefung‘ erhielt. 

Unter den fieben Köpfen ift der vierte auch der mittelfte; 
vom erften an bis auf diefen flieg die Macht des Thiers, 
und vom vierten an nahm fie bis auf unfre Zeiten wieder 
ab, fo daß in dem Be. Kopf das rin des er 
beginnt. 


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muss u ne SE u. 


Dieſem wunderbaren Thier ftaunte wun die ganze Erde 
nad); eigentlich heißt ed: Sie erftaunte hinter ihm her: dieß 
zeigt an, daß alle ‚Staaten der abendländifchen Ehriftenheit 
ihm folgten, und ſich von ihm leiten ließen; jedermann bes 
wunderte die große Macht und die erftaunlichen Wirkungen, 
die das Thier hervorbrachte: und dies bewog fie dann, es 
fuͤr eine überirdifche Macht zu halten; deswegen hielt : man 

auch dafür, daß der Geift, der es belebte, die Gottheit fey, 
die man in ihm anbeten müffe; daran dachte man aber nicht, 
daß man durch diefe Anbetung den Drachen verehrte, 

Aber auch fogar dad Thier felbft betete man an; Denn ift 
das Wort;: heiligfter Vater! Feine Anbetung? — So kann 
ic) nur allein Gott aureden; Chriſtus bediente fich diefer 
Formel an feinen und unfern Vater, Job. 17. V. 11. Er 
fagte: Heiliger Vater! — und eineu armen Erdenwurm nennt 
man fogar heiligfter Bater!? — Fuͤrſten knieten vor ihm und 
kuͤßten ſeine Fuͤße, ſie erwieſen ihm alſo eine Ehre, die nur 
ſolche Fürften annehmen, die Heiden find, und ſich ſelbſt für 
Götter halten, oder von ihren Unterthanen dafür gehalten 
werden. 

Aber das Alles laͤßt fi & noch mit Geremoniel, Hofmaris 
men und dergleichen entfchuldigen ; man braucht ſolche Worte, 
ohne etwas dabei zu denfen. Hingegen, wenn man vom 

Pabſt Ablaf, Vergebung der Sünden, Erlöfung aus dem Feg⸗ 
feuer, Difpenfationen von Pflichten und Erlaubniß, Greuels 
thaten zu verüben, begehrt und erhält, das ift weit mehr 
Erzeigung der goͤttlichen Ehre, als jenes. 

Man hatte ganz recht, wenn man ausrief: Wer if dem 
Thier gleich? Wer kann mit ihm kriegen? — Wer es Fann 
das wiſſen wir — Der, dem ein Schwert aus feinem Munde 


ſtrahlt. 


5. Und es wurde ihm ein Mund — große Dinge 

> amd Gottesläſterung zu veden. Und es wurde ihm 
Gewalt gegeben, ‚zwei und vierzig Monate lang zu 
wirken. 


6, Und es oͤffnete ſeinen Mund zur Läfterung gegen Gott, 


264 Erklärung der Offenbarung Gohannis, 


und feinen Namens und feine Wohnung⸗ und die im 
Himmel wohnen zu läftern, 


7. Und es ward ihm gegeben, Krieg zu führen mit den 
Heiligen, und fie zu überwinden, Und es wurde ihm 
Gewalt gegeben über alle Geſchlechte, und Völker, und 
Sprachen, und Nationen, 


8, Und alle, die auf Erden wohnen, deren Namen nicht 
im Lebensbuche des Lamms, das von Grundlegung 
der Welt an a ifi, angefchrieben find, bete⸗ 
ten es an. 


Johannes kann nicht aufhoͤren, zu bezeugen, wie ſehr das 
Thier laͤſtert und große Dinge ſpricht — groß thut und prahlt; 
dazu hat es ein Maul, das ihm der Drache gibt, und Gott 
zulaͤßt, damit ed dad Maaß ſeiner Greuel voll machen moͤge. 

Don der Zeit der 43 Monate, welche dem Thier in feiner 
Regierung beftimmt find, werde ich beim 18ten Bers dieſes 
Kapitels das Nöthige fagen. 

Es läftert Gott, feinen Namen, den es fi) felbft beilegt, 
auch die göttlichen Eigenfchaften zu menfchlichen Leidenfchafe 
ten herabwürdigt; feine Wohnung, indem es feine Tempel 
zu Häufern Gottes macht, und fie doch den größten Bofewich- 
tern und Banditen zu. Freiftätten beftimmt; es läftert die 
Heiligen im Himmel, indem es felige Menfchen verdammt, 
und verdammungswäürdige felig fpricht, 

Es führt Krieg mit den Heiligen; es befriegt fie von den 
MWaldenfern an bis auf die Hugenotten, und überwindet fie 
dein Sleifche nah; es herrfcht von China bis nach Mexiko, 
fo weit es Chriften feiner Kirche gibt. 

Endlich werden dann auch diejenigen, welche dem Thier 
Anbetung wiedmen, und ihm als Unterthanen huldigen, näher 
ausgezeichnet: Diejenigen naͤmlich ſind es, die ſich in der 
Chriſtenheit befinden, aber von der Vorſehung nicht in das 
Buch des Lebens eingetragen worden, weil ſie ihre Seligkeit, 
ihre Beguadigung und Heiligung, nicht im verdienſtvollen 
Leiden und Sterben Chrifti, des großen Dpferlamms, dad 
fchon im Rathſchluß Gottes, vor Grundlegung der Welt als 


Kapı 15. V. 9. 10 f HN: 265 


gefchlachret betrachtet wurde, und worinnen alle Heiligen der 
Vorwelt ihr Heil fanden, fuchen, fondern durd) ihre eigne Werk⸗ 
heiligkeit ſelig werden wollen. 

Es iſt ſehr merkwuͤrdig, daß in dem Sinn, durch Werkhei⸗ 
ligkeit ſelig zu werden, der Aberglaube, und der Unglaube, 
die ſich gerade entgegen ſind, uͤbereinſtimmen; ehedem ſuchte 
man ſein Heil in kirchlichen Ceremonien, und jetzt in der 
Sittenlehre; in beiden Faͤllen geht man ſtolz und vermeſſen 
den einzigen Gruud der Seligkeit, die Erlöfung durch Chris 
ſtum, vorbei. . Das ift die Marime des großen fi ebeulbpfig⸗ 
ten Thiers, 

9. Wenn jemand, Ohren hat, fo höre er! 
10. Wenn jemand in die Gefangenfhaft zufammenführt, 
! jo wird er auch in die Gefangenſchaft geführt, Wenn 
einer mit dem Schwert tödtet, fo muß er aud) durchs 
Schwert getddtetwerden. Hier ift die Geduld und 
der Glaube der Heiligen, 


Nachdem der heilige Seher das Thier aus dem Meer hins 
länglich befchrieben hat, fo fühlt er an feinem eigenen Hers_ 
zen, welche traurige Empfindungen dieß ſchreckenvolle Bild 
bei den gläubigen Lefern diefes Buchs erwecken werde — ehe 
er alfo zur Schilderung des Thiers aus der Erden fortgeht, 
hält er für rathfam, eine Erinnerung einzufchalten,; die den 


‘ wahren VBerehrern Jeſu zum unerfchütterlichen Troſt nothwen⸗ 


dig gereichen muß; und damit ja niemand diefen Beruhigungs⸗ 
grund nur flüchtig überlefen möge, ohne recht auf den Inhalt 
- zu achten, ſo bedient er fich der Aufmerkungsformel Chriſti; 
fo wie diefer fein lieber Herr und-Meifter oft fagte: Wer 
Ohren hat zu hören, der höre! fo fagt der Lieblingsjünger 
auch hier; dieß ift alfo auch ein Nota bene für ung, Dar— 
auf führt er Dann Dad ewige Jus Talionis, das MWiedervers 
geltungsrecht an? Denkt deswegen nicht, liebe Chriften! will 
er jagen, daß dieß fchredliche Ungeheuer die gute Sache ver= 
nichten, und die Errichtung des herrlichen Reichs Chriſti von 
einem Ende der Erden zum andern verhindern werde; — 
nein, keineswegs; erinnert euch nur an dad ewige unveräns 


266 Erklarung der — Johannis. 


derliche Geſetz der Gerechtigkeit Gottes! — Hat dieß Thier 
mit ſeinen Helfershelfern Millionen ins Gefaͤngniß zuſammen 
geſchleppt, ſo wird es endlich, wenn ſein Maaß voll iſt, auch 
hineingefuͤhrt werden; und hat es Millioren hingerichtet, ſo 
wird es am Ende auch hingerichtet werden ; darum bekuͤmmert 
euch nicht, und zweifelt nicht an der Vatertreue Gottes, und 
an dem Worthalten des Erlöfers, . r wieder zu kom: 
men verſprach. — 

Aber freilich wird manchem während‘ den 42 Monaten die 
Zeit lang werden; ‚manchem wird die Geduld-ausgehen; man⸗ 
chem feine Glaubenslampe verlöfchen, aber dafuͤr huͤtet euch! — 
Wer heilig werden und Theil an der, erften Auferfiehung und 
am Reich des Herrn haben will, der muß ausharren und 
glauben. — War das je nöthig, ‚P iſt dieß jetzt in un⸗ 
fern Zeiten beſonders der Fall. 


11, Und ich fahe ein ander Thier aus der Erde auffteigen, 
und es hatte ziwei Hörner, gleich’ einem Lamm, aber 
es ſprach wie der Drache. 


12. Und es übt alle Gewalt des erften Thiers vor, ihm 

aus; und.ed machte, daß die Erde, und die, welche 
auf derfelben mohnen, das erfte Thier, defjen zeni 
Wunde heil worden war, anbeteten. 


"Ehe ich beſtimme, wer und was dieß andere Thier aus der 
Erden fey, will ich erft alle feine Eigenfchaften unterſuchen; 
aus welchem fich dann mit defto größerer er he — 
meine Vermuthung ergeben wird, 

Dieß Thier hat zwei Hörner, fo wie ein Lamm; unter die: 
fem wird aber niht das Lamm mit den ſieben Augen: und 
fieben Hoͤrnern verftanden, fondern es hat überhaupt zwei 
Lammshoͤrner; zwo Kräfte, mit denen es Fämpft, oder die 
ihm zur Gegenwehr gegeben find; diefe fahen nun Lamms⸗ 
artig ans, das ift, feine Religion und feine Philoſophie 
ſcheinen wirklich die Sache Chriſti und fein Reich zu bezwe— 
cken, und dafür zu kaͤmpfen, allein das Maul! das Maul! 
fuͤhrt keine Sprache, die ſich zum Lamm ſchickt! — die Al⸗ 
leinherrſchaft des Thiers aus dem Meer iſt ſeine Hauptſache; 


Kap. 13. V. 11. AR“ 2367 


fein Zweck, welchen zu erreichen es fich alle Mittel erlaubt, 
und dann doch dabei im geheimften Dunfel feines Herzens 
den verborgenen Plan ‚hat, im Namen des Thiers aus, dem 
Meer feldft zu herrfchen, und eben dieß Alles ift dann wahre 
und unbezweifelte Drachenſprache. An Gottes ſtatt zu. herr— 
(hen — ift. daß Prinzip alles Redens und Handelns. 


Dieß Afterlamm fommt nicht aus dem Meer, fondern aus 
der Erden; es entfteht in den Staaten der römifchen Chris 
ftenheit, auf wohlgepflügtem und gedüngtem Boden, wo es 
‚ Nahrung und Waide im vollen Ueberfluß findet, und fett wird. 


Nach feinem Auffteigen merkt man nun bald, daß es alle 
Funktionen und Verrichtungen des Thiers aus dem Meer 
ausübt, und fie auch eben mit der Macht und Gewalt, und 
durch die nämlichen Mittel zu Stand bringt. Befonders aber 
fiebt man, daß es dem Thier aus dem Meer in die Hände 
aubeitet, ihm treue Verehrer und Unterthanen anwirbt, wobei 
es dann auch nicht leer ausgeht; denn ed macht, daß bie 
Erde, die ganze Staatöverfaffung, und die Bürger derfelben, 
das erfte Thier anbeten, deſſen tödtliche Wunde heil gewor⸗ 
den war. 


Dieſe letzten Worte ſind hoͤchſt merkwuͤrdig; ſie geben Auf⸗ 
ſchluß in dieſem prophetiſchen Geheimniß, und zeigen an, 
daß dieß Thier nach der nalen Kopfwunde des erſten aufs 
geftiegen ſey. 

Schrecklich, fchauerlich und abſcheulich ift das Bild, wels 
ches jeßt da vor meiner Seele vorüber geht — das Bild der 
Satanifchen Dreieinigkeit — Der Drache ift fo gefcheid, daß 
er wohl einfieht,, die Regierungsmarime Gottes müßte doch 
wohl die weifefte feyn, darum will’er fie nachäffen. Er 
ſtellt fich hin, und will den Vater präfentiren — durd) das 
Heidenthum und Pabſtthum gaukelt er die Regierung Gottes 
im alten. Bund nach, wo dann das Thier aus der Erden 
feinen allwaltenden und alles regierenden Geift vorftellen foll. 
Wenn aber nun einmal das fiebenföpfige und zehnhdrnichte 
Ungeheuer in den Abgrund und aus demfelben wieder herauf 
geftiegen, der Satan nun Menfch geworden ift, dann 


208 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


wird dieſe gotteslaͤſterliche Dreieinigkeit im vollen Glanze 
der ewigen Glut erſcheinen. Herr erbarme dich unſer!!! 


15. Und es thut große Wunder, ſo daß es auch Feuer 

aus dem Himmel auf die Erde vor der Menſchen 
Augen fallen macht. 

14. Und es verführt durch die Wunder, die ihm in Ge⸗ 
genwart des Thiers zu thun gegeben find, diejenigen, 
die auf Erden wohnen; indem es ihnen fagt, fie fol- 
len dem Thier, welches die Wunde vom Schwert 
gehabt, und das Lamm behalten hätte, ein Bild machen. 


Die Wunder des Thiers aus der Erden find, wie fi) ‚das 
von felbft verfteht, faljche und luͤgenhafte Kräfte, Zeichen 
und Wunder. 3 Theſſ. 2. B. 9. Man lefe nur die alten und 
neuen Legenden der pabftlihen Heiligen, fo kann man ſich 
von der Erfüllung diefer Weiffagung überzeugen; fogar laßt 
dieß hier vor den Augen der Menfchen, fo daß es niemand 
läugnen fan, Feyer vom Himmel fallen, — Ad ja! oft, 
fehr oft hat es gemacht, daß der roͤmiſche Himmel im Bul⸗ 
Iendonner brüffte und mit Bannftrahlen auf die Erde hinbligte, 
und wo er traf, da zündete er und richtete Jamnier an. Dieß 
war auch ein Wunder, 

Alle diefe Zeichen gefchehen in Gegenwart des erften Thiers, 

das ift, mit feinem größten Beifall, es weiß fie, wuͤnſcht 

und begünftigt fie; denn fie find eben die Mittel, wodurch 
ihm die armen abergläubifchen Menfchen zu Unterthanen ans 
geworben werden, 

Dieß Afterlamm geht noch weiters Um bie Unterthanen 
des erften Thiers immer mit der Verehrung und dem Dienft 
defjelben zu befchäftigen; und auch um prüfen zu Eönnen, 
wer ihm mit unverbrüchlicher Treue anhange, oder nur blos 
heuchle, fo bedient es fich der Politif Nebufadnezars, Dan. 5. 
und beredet die Leute, daß fie fi) von dem Thier aus dem 
Meer, deſſen Kopfwunde wieder geheilt ſey, ein Bild mas 
chen follten. 

Wenn wir und vom Bild des Thiers einen richtigen Begriff 
- machen wollen, ſo müffen wir ihn erft vom Thier felbft 


Kap. 13. V. 13 1 ih | , | 269 


haben. Der Pabſt ift das Thier nicht, fondern bloß feine 
‚Hierarchie, in fo ferm fie die Weltherrſchaft zum Zweck hat, 
auf unerfättliche Eroberung ausgeht; folglich ift das Thier 
nicht3 anders als die Propaganda mit allen ihren geheimen 
und ‚dffentlichen Miffionsanftalten. Jede kleine oder große 
Geſellſchaft, in welcher Leute erzogen und zubereiter werden, 
um unter dem Vorwand der Ausbreitung der chriftlichen Nee 
ligion dem Pabft und dem römifchen Hof Unterthanen anzu: 
werben, ift ein Bild des Thierd im Kleinen. Und man fage 
mir aufrichtig, ob nicht det Geift eines jeden Moͤnchsordens 
ein folches Thier in Miniatur fey? Alle die Marianifche und 
andere Brüderfchaften gehören nicht hieher, fondern nur die, 
welche zur Allperrfchaft des Pabſtes und Ausbreitung feines 
Reiche gefhäftig find, und dieß zum Zweck haben. Unter 
der Herrfchaft des Thierd aus dem Abgrund werden alle 
prophetifchen Bilder der hohen Offenbarung immer lebhafter 
und deutlicher werden, und hier bitte ich folgenden Sag, der 
bei Erklärung und Erfüllung der Weiffagungen Außerft wich- 
tig ift, ja wohl zu behalten und nie aus den Augen zu 
verlieren. \ 

Alle wahre Weiffagungen haben ein Schema, einen Grund 

riß — in welchem ſich alle ihre mannigfaltigen Bilder auf: 
loſen; dieß Schema war im alten Teftament E hriftus 
und fein Reich überhaupt, von feiner Zufunft ins Fleiſch an, 
bis zu feiner Zukunft zu feinem herrlichen Reich 5 bier in der 
Apofalypfe aber ift es bloß diefe feine legte Zukunft» nebjt 
den vorhergehenden Kämpfen und Siegen des Kichts über die 
Finfterniß. Nun bitte ich wohl zu bemerken : 
Ä Alle Erfüllungen der weiffagenden Bilder und Hieroglyphen 
- fangen’ im tief verborgenen Geiftigen an, und werden von 
Zeit zu Zeit immer deutlicher, bis fie endlich nahe vor der 
vollfommenften Deutlichkeit und Klarheit vor jedermanns Aus 
gen da ftehen, und dann die größten unwiderlegbarften Bes 
weife find, daß die Bibel mir ihren Weiffagungen Gottes 
Wort, und daß die Bibelreligion die einzige wahre fey. 

Dem zufolge werden alfo auch die apokalyptiſchen Thiere, 
nebft dem Bild des erfien, und allen noch dunkeln Hiero⸗ 


« 


270 Erklärung ı der Offenbarung Johannis. 


glyphen, im Verfolg der Zeit immer Fenntlicher werden und 
eö kann wohl ſeyn, daß bald noch fehr vieles wörtlich erfüllt 

wird, was ich jetzt nur — geiſtigen Erfuͤllung Ing * 
anzeigen darf. 

Daß man in ünfeen Zeiten ein koft fehr — 
Weibsbild als Goͤttin der Vernuunft in Prozeſſion herum— 
fuͤhrte, und in: den Kirchen zur Verehrung auf den Altar 
feßte, war.eine Spielerei,die wohl dereinft etwas. mehr nach 
fih ziehen; und. zur Verehrung des Bildes des Thiers aus 
dem Abgrund verleiten koͤnnte: Denn im Gtund ift das Wer 
fen: des Thiers nichts anders, als eine Vernunft, die fich 
ſelbſt anbetet, und au Gottes ftatt regieren will, 


15, Und es wurde ihm gegeben, ; daß es dem Bild des 
Thiers einen Geiſt gab, daß das Bild des Thiers 
redete, und daß alle diejenigen, die das Bild des 
Thiers nicht anbeteten, getbdtet warden 

16, Und es macht, daß man allen, Kleinen und Großen, 
Reichen und Armen, Freien und Kuechten, ein Zei⸗ 
chen auf ihre rechte Hand, oder auf ihre Stirne gibt. 


| Das Thier aͤus der Erden. ift der belebende Geiſt aller 
Bilder des erſten Thiers, deſſen toͤdtliche Kopfwunde heil ge— 
worden war; dieſe Bilder fangen alſo an zu reden und zu 
haudeln, das ft, zu befehren und Profelyten zu machen ; 
wer num Diefe Miffionairen, die wahre Ebeubilder des Zeiten 

Thiers find, nicht ald -Gefandten ‚Gottes reſpektirt, ihnen 
nicht die Ehre erweifet, deren fie fi) anmaßen, der laͤuft 
Gefahr, fein Leben zu verlieren, wie es davon an häufigen 
blutigen Beweifen leider! nicht fehle. 

Alle nun, «die fi) zum Thier befehren,, fie mögen, Hein 
Aber groß, veich oder arın) Freie oder Knechte, adelicd oder 
bürgerlich feyn, die erhalten ein: Zeichen, ‚entweder auf. ihre 
rechte Hand, oder auf ihre Stirn, welches ihnen das Recht 
der Bürgerfchaft und der freien Gewerbe gibt. Dieß Zeichen 
liegt noch) im Dunkeln, ‚in der geiftigen Quelle aller-Weif: 
fagungen verborgen. Diejenigen, welche das Bezeichnen mit 
dem Kreuz dafuͤr anfehen, irren gewiß; denn darnech erklaͤrt 


I m 1 a 


Kap. 18. V. 16. bis 17. 274 


man ſich keineswegs für einen Anbeter und. Unterthanen des 
Thiers; es gibt ja auch andere chriſtliche Religionspartheien, 


die mit Rom und feinem Hof nichts zu ſchaffen baben⸗ und 


doch das Kreuz machen. 

Im geiſtigen Sinn liegt das ———— — fhon 

in der Huldigung, ‚die jeder mit Hand: und Mund dem Thier 
leiften muß; dagegen befomme er dann da, wo das — | 
zu herrfchen hat, alle bürgerliche Freiheiten, 
Es wird aber unters der Herrſchaft des Thiers aus ** 
Abgrund noch beſſer kommen. Nur bitte. ich ſehr, ſich in 
acht zunehmen, daß man nicht etwas; für. das. Zeichen des 
Thierd halte, das es nicht iſt. Sp lang das Zeichen, wel« 
ches durch ded Thierd Gewalt zu tragen befohlen wird, fein 
Zeichen der Verläuguung Jeſu CHrüfti und feiner Religion 
iſt, und wird; ſo laug ift ed auch das Zeichen des 
Thiers nicht, ſobald aber ein ſolches, oder ein anderes 
Zeichen durch geſetzliche Verordnung ein Beweis des BRAUN 
von Chrifto wird, dann huͤte man fi. 


17. Sp daß niemand Kaufen oder verkaufen kann, wenn 
er nicht dag Zeichen des Thiers oder die Zahl feines 
Namens ‚hat. 


Wer nicht dem, Pabſt gehuldigt hat, wer nicht sömifchs 
Fatholifch heißt, der kann weder leibliche noch geiſtliche Waa— 
ven bekommen, noch an andere überlaffen; unter der Herrs 
fchaft des Thiers aus dem Abgrund aber wird es vermurhlic 
ein Zeichen geben, wodurch derjenige, der: es am Kopf oder 
an der, Hand trägt, oder der fich nad) dem Thier beneunt, 
oder die Zahl; wodurch der Name des Ihiers charakterifirt 
wird, ſich zum Unterfcheidungszeichen macht, oͤffentlich und 
vor jedermann fi) als ein Gegner unſers Herin Jeſu Chriſti 


und wahren Unterehan des Antichrifts erflärtysund ein fols 


cher wird dann allein bürgerliche Rechte und Freiheit genies 
Ben, alle andere nicht. Vorboten von dem Allen bemerkt der 
nüchterne Beobachter der Zeichen unfrer Zeit gar wohl: von 
Gerne, aber man beobachte auch nur in der Stille, und warne 
dann. erft, wann es Zeit zu warnen iſt, damit man nicht 


272 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


unnoͤthiger Weiſe die Geiviffen befchwere, es wird ohnehin 
genug zu kaͤmpfen geben, Wem die Verfuchtingen nahe kom⸗ 
men, der wache und bete, fo wird ihn der ME des Bun: 
in alle Wahrheit leiten. 

Hier ift nun der Ort, wo ich das Thier aus der’ Erde 
Fenntlic) machen Tann, fo wie bei folgendem Vers das erfte 
Thier vollends, ir weit wir fehen koͤnnen, — * wers 
den foll; ' 

Das Thier aus der Ede ift eine Macht, die fi in * 
Staaten der abendlaͤndiſchen Chriſtenheit gebildet hat. 

Dieſe Macht hat zwo Kraͤfte, wodurch ſie wirkt, Religion 
(aber nicht die wahre) und * — biefe find — *— 
hörner: 

Sie iſt ein keheſtanp, Denn fie 5* auch Kap. 19. 8: 20, 

der. falfche Propher genannt, fie ift folglich keine weltliche 
Macht, Königreich oder Republik. 
Sie lehrt und unterrichtet die Menſchen, abeinlht in der 
wahren, fondern während der Herrfchaft. des Aberglaubens, 
durch diefen in der päbftlichen Religion, wodurd die All: 
herrſchaft des romiſchen Hofs bezielt wird, und in Zukunft 
unter der Herrfchaft des Unglaubens durch diefen im 
Naturalismus, Fatalismus, oder beffer, in der Nichtreligion 
des Antichrifts, zur Allherrſchaft des Menfchen der Sünden, 
oder des Kindes: des Verderbens, welches im eigentlichen 
Sinn das Thier aus dem — —— —* Dan —2 
ſeyn wird: 

Wenn wir uns nun nach ſolch einer Macht im Bere 
gegenwärtigen und zufünftigen umfehen, fo entdeden wir alfoe 
fort einen großen, mächtigen, durch die ganze Chriftenheit 
und fo weit diefe nur Gefchäfte hat, thätig wirkenden Or- 
densgeift — diefer iſt unftreitig das Thier aus der Erden; 
ein Geift, "der fih immer mehr als die dritte Perfon der 
fatanifchen Dreieinigfeit legitimiren wird, Die Moͤnchsor— 
den haben überhaupt von jeher viel zur Unterftüßung und 
Bewirfung der Allherrſchaft des römifchen Hofs beigetragen, 
aber im eigentlichen Sinn war doch der Fefuitismus nicht 
die Zefuiten (denn es waren viele große und wärdige Männer 


— 


Kap. 15 >. 17. ur? 275 


unter ihnen) fondern * rei der allgewaltig für-die 
Politif des Pabſtthums geſchaͤftig war, Dad Afterlamm, 
welches waͤhrend der Herrſchaft des Aberglaubens zu ſeinem 
und des erſten Thiers großen Vortheil im Truͤben fiſchte. 
Dieſes Thier ſtieg aus der Erden auf, denn es bildete ſich 
in den roͤmiſch-katholiſchen Staaten der abendländifchen Chris 
ftenheit; es erfcheint Auf dem Schauplaß, nachdem die toͤdt⸗ 
liche Wunde des Thiers aus dem Meer wieder zu. heilen anz 
fing; denn der ZJefuiterorden wurds im Jahr 1540 vom Pabit 
Paulus tem Dritten geſtiftet, zugleich beganıı auch 1545 
das Tridentinifche Coneilium, und diefe beiden heilten eigentz 
lich die Wunde wieder fa zu, daß nichts als die Narbe, aber 
doc) in diefem. Kopf eine folhe Schwäche übrig. blieb, daß 
es nie wieder feine vorige Kraft erhielt, ſondern allmäplig 
dad Nichtfeyn des Thiers aus dem Meer bewirkt hat, fo 
daß es num in den Abgrund hinabſteigt, um ſich neue Kräfte 
zu holen. 

Nun halte man nur alle oben befchriebene Eigenfchaften 
des Thiers aus der Erden gegen die. Kraftthaten des Jeſui— 
tismus, fo wird. man ander Richigkeit meiner Erklärung nicht 
mehr zweifeln koͤnnen. 

Nach und nach wuchs die Aufklaͤrung; das Element des 
Thiers aus dem Meer, worinnen es lebte, und wodurch es 
alles bezwang, der Aberglaube, wurde allmaͤhlig immer ſchwaͤ— 
cher, man konnte ihn nicht mehr brauchen, folglich war dem 
falſchen Propheten auch der Jeſuitismus nicht mehr nuͤtze; 
er ſchuf ſich alſo eine neue Maſchine, den Jakobinismus; 
ſo wie alſo das Thier aus dem Meer, das Pabſtthum, durch 
den Aberglauben beſtand, ſo mußte es auch fallen, ſo wie 
dieſer fiel; es ſteigt daher in den Abgrund, um ſich mit den 
ſtaͤrkſten hoͤlliſchen Kraͤften auszuruͤſten, und dann wieder zu 
kommen; um nun die Menſchen auf dieſe Wiederfunft vor— 


und ‚zuzubereiten, ſo verändert oder verwechfelt auch das 
| Thier aus der Erden, der faljche Prophet, feine Werkzeuge; 
er ‚gründete zu dem Ende eine neue Macht, die der nämliche 
Drvenögeift, das ift: Er felbft, eben fo belebt, wie vormals 


den Jejuitismus, die Grundfäge — der Zweck heilige. die 
Stillings ſammtt. Schriften. Ul. Band. 18 


2764 Erklaͤrung der ‚Offenbarung Johannis. 


Mittel — die Allherrſchaft des Thiers u. ſ. w. — find im⸗ 
mer die naͤmlichen, nur daß jetzt nicht mehr das Thier aus 
dem Meer, ſondern das aus dem Abgrund der Zweit, nicht 
mehr der Aberglaube, fondern der Unglaube dad Element 
ift, wodurd gewirkt wird. Dieß alles wird nun noch Flarer 
werden, wenn ich nach Anleitung. des 18ten Verſes den 
Charakter des großen erſten Thiers vollends ausgezeichnet 
haben werde. 
418, Hier ift die Weisheit, wer Beurtheilungskraft bat, 
der berechne die Zahl des Thiers; denn es ift eine 
“ Menfchenzahl, und die Zahl deffeiben ift 198 hun⸗ 
dert ſechs und ſechzig. | 


Diefer hoͤchſt merkwuͤrdige Vers enthält den Schlüfel zur 
ganzen Offenbarung; und der große und fromme Bengel 
war der Erfte, der ihn fand. Hier ift Weisheir!. fagt To: 
hannes; wer Kopf hat‘, der gebe fih ans Rechnen; denn 
die Zahl des Thiers ift eine gewöhnliche, im. menfchlichen 
Leben gebräuchliche Zahl, fie ift 666. | 

Diefe Zayl nun, heißt die Zahl des großen Thiers, dann 
auch die Zahl feines Namens; zudem ift fie nicht prophetifch, 
fondern bürgerlich; folglich Fann fie nichts anders bedeuten, 
als die Anzahl der Päbfte oder Regenten, multiplizire mit 
den Regierungsjahren derfelben ; oder die Dauer der Gewalt 
des Thiers, von feinem Auffteigen an bis zu feinem Sturz, 
nad) gewöhnlichen Jahren berechnet; denn wenn einer fragte: 
Welches iſt die Zahl des chriſtlich-griechiſchen Kaiſerthums? 
ſo wuͤrde ja nothwendig geantwortet werden muͤſſen: Von 
der Gründung der Stadt Konftantinopel an, bis zu ihrer 
Einnahme durch Mahomet den Zweiten fi find etwas über 1100 
Fahre, Oder went man fragte: Welches ift die Zahl des 
Namens diefer Monarchie? — das ift: Wie lang hieß dieß 
Keich dad griechiſche? — denn vorher nannte man ed das 
sömifche, und jet heißt ed das tuͤrkiſche — fo würde man 
eben fo antworten. Die ungewöhnliche Art, To zu fragen, 
muß man fich nicht irre machen laffen; denn die Grundfprache 
ift orientalifh — fie hat für uns ungewöhnliche Redensarten; 


VPE DB. AB. 975 


und noch dazu ſpricht ſie raͤthſelhaft, myſtiſch, wie ſolches 
in prophetiſchen Schriften noͤthig iſt. 

Hieraus folgt num unſtreitig, daß die Monarchie des fi ies 
benköpfigten Thiers in jedem Betracht 666 Jahre währen 
fol; nun wurde aber noch im 5ten Vers dieſes Kapitels ges 

ſagt, feine Gewalt follte 42 Monate daueru ; folglich müffen 
diefe 42 Monate gerade 666 Jahre glei, und alſo prophes 
tiſch zu verftehen ſeyn; fegt mar nun mad) der Regel Detri 
42 Monate find 666 Jahr, wie viel ein Monat; eine Woche, 
ein Zag, eine Stunde, ein Jahr im prophetiſchen Verfland, 
fo erhält man die Beſtimmung der prophetifchen Zeiten, des 
ren Kenneniß nicht allein in den Weiſſagungen der heiligen 
Schrift, fondern fogar in den. aſtroudmiſchen Berechnungen 
von erftannlicher Po ift. ©; die Einleitung zu diefer 
meiner Erklärung ! | 
Die Geſchichte des jetzt laufenden 1798 ften Jahrs hat das 
Bengelſche prophetiſche Rechnuugsſyſtem gerechtfertigt, wie 
ſich nun zeigen wird. 

Daß mit Pabjt Gregor dein Gichenten; genannt Hildes 
brand, das Auffteigen des Ihierd aus dem Meer begann, 
wird heut zu Tage vom den mehreften und beften Auslegern 
für erwiefen gehalten, und Fein vernünftiger fachfundiger 
Mann fann auch etwas dagegen einwenden. Diefer Hil— 
debraud brachte es ſchön, noch ehe er Pabft und nur noch 
Kardinal war, im Jahr 1059 dahin, daß weder der Kaiſer 
noch die Stadt Rom bei der Wahl des Pabftes etwas mehr 
zu fagen hatte, fondern alles blos von den Kardinälen abhing, 
dies war der erſte Begiun des Auffteigens; zu 1059 addire 
man 666, fo kommt die Jahrzahl 1725 berans, diefe Zahl 
bitte ich nun wehl zu behalten und zu bemerken. 

Sm Jahr 1075 winde Hildebrand unter dem Namen Gre: 

gors des Siebenten Pabſt, und 1085 ftarb er; zu 1075 addire 
mau 666, fo erhält man 1759, und eben diefe 666 aud) zu 
1085, jo entfteht die Zahl 1751; diefen Zeitraum von 1759 
bis 1751 bitte ih ebenfalls wohl zu behalten. 

Unter Kaifer Heinrich dem Fuͤnften und Lotharius dem 
Zweiten und den beiden Päbften Galixtus dem Zweiten und 

18 * 


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x 


276 Erklärung der Offenbarung Sohannis, 


Honorius dem Zweiten, wurde Anno 1123 das erfte abendländis 
fche, allgemeine große Eoneilium zu Rom im Lateran gehalten, 
wo beinahe taufend Prälaten gegenwärtig waren. Auf dies 
ſem Coneilium wurde die Allgewalt des Pabſtes dekretirt, 
feftgefegt und der Verglich, den er mit Heinrich dem Fuͤnf⸗ 
ten auf dem Reichsſtag zu Worms geſchloſſen, und wodurch 
dem Pabſt verwilligt wurde, was er verlangte, beftätigt. 

Diefes erfte lateraniſche Koncilium ift num der Zeitpunft, 
wo die Gewalt des Thiers rechtskräftig gemacht wird, wo 
ed alfo aus dem Meer herauskriecht. Merkwärdig ift auch 
zugleich, daß auf diefem Concilium die Priefterehe verworfen 
wird. Zu diefer höchftwichrigen Jahrzahl 1125 Zahle man 
wieder 666, fo Fonımt das höchftwichtige Revolutionsjahr 
1789 heraus; diefes zu behalten brauche id) wohl nicht zu 
- erinnern, 

Don nun au nimmt die Gewalt der Paͤbſte uͤber die Kai⸗ 
fer mit Macht zu, und im Jahr 1152 war es ſchon fo weit 
gelonmen, daß Sinnocentius der Zweite den Kaifer Lotharius 
den Zweiten einen Pabftmenfchen, einen Leibeigenen des. 
Pabftes nannte, und nennen Fonnte. Dieß 1132fte Jahr 
mit 666 zufammen gezogen, macht 1798!!! Wie heilig und 
hehr! — Mie wahr iſt dieſe Weiſſagung!!! 

Hier faͤngt nun das Nichtſeyn des Thiers aus dem Meer 
an — die Zeit beginnt, wo die Hure auf ihm reitet; Kap. 17. 
V. 3. und DB. 3; aber deswegen hört feine Gewalt noch nicht 
auf — es hoͤrt nur auf, das Thier aus dem Meer zu feyn; 
jetzt ift’eö nun in den Abgrund hinabgeftiegen, und bald wird 
es mit neuen, aber abgrundsmäßigen Kräften wiederfommen, 
‚ und dann wird erft das rechte MWürhen angehen. Bahn 
wird ihm genug gemacht, und die Menfchheit durch den fals 
ſchen Propheten trefflich zu feinem Empfang vorbereitet. 

‘Auch bier ift Geduld und Glauben der Heiligen nöthig. 

Ungeachtet des mit Kaifer Heinrich gefchloffenen Vergleichs 
fonnten und wollten ſich die folgenden Kaifer noch nicht fo | 
‚ganz in den päbftlichen Gehorfam ſchicken ; eben fo wenig 
hatten fie ſich des Einfluffes in die Pabftwahlen begeben, ob 
man fie gleich feit 1059 fo wie die Stadt Rom davon auss 


# 


sap 138. nn ag7 


gefchloffen hatte. Auch diefe hatte bisher noch, * prote⸗ 
ſtirt; aber im Jahr 1145 wurde Pabſt Coͤleſtin der Zweite 
ganz allein und ohne Widerſpruch von den Kardinaͤlen ge⸗ 
waͤhlt; die Stadt Rom war nun auch unterjocht. 666 zu 
1143 macht 1809, was dann geſchieht, RR die Zeit 
lehren. 

Das Jahr 1152 ift fehr merfwirdig, weil: in demfelben 
der Pabft Eugenius der Dritte das Fanonifche Recht einführte, 
folglich die Regierung des Thiers nun auf gefchriebene Ges 
fetze gegründet wurde. Auch wurde jet das Recht der Päbite, 


Menfchen heilig zu fprechen, erfunden und feftgefegt. 666 zu 


1152 beträgt 1818. 

Nun folge der legte Kampf der Kaifer mit den Paͤbſten 
um die Obergewalt, unter Kaiſer Friedrich Barbaroſſa; wos 
bei aber diefer unterliegt, und im Jahr 1170 für Die deut⸗ 
fchen Kaifer alles verloren ift; hiezu 666 addirt, kommt der 
allgemein große und merfwürdige Zermin 1856 heraus, in 
welchem hoͤchſt wahrfcheinlich der leste große Kampf aus- 


‚ gelämpft, und das herrliche Reich Chriſti auf Erden anfans 


gen wird. 

Die Epochen und Perioden;, ‚welche ich im vorhergehenden 
bemerkt habe, find die Jahre 1725, 1739 bis 1751, 1789, 
1798, 1809, 1818 und 1856. 2 

Das Jahr 1725 iſt befonderd merkwürdig, weil da auch 


die letzte halbe Zeit des Aufenthalts des Sonnenweibes in 


der Wuͤſten angeht; ſiehe oben meine Erklaͤrung des 14. Vers 
ſes des 12. Kapitels; mit diefer halben Zeit, in welcher fich 
die Stammgemeinde ded Herrn zu dem ftärft, was fie werden 
fol, läuft nun die Zeit der Abnahme des Thiers aus dem 


Meer fein Nichtfeyn, oder Abfteigen in. den Abgrund, fein 


\ 


Miederfommen aus demfelben, feine legte Wurh und endli— 


cher Sturz in den Feuerſee mit gleichen Schritten fort. Daß 


von dieſer Zeit an der Fall des Pabſtthums vorbereitet wor— 
den, iſt keinem Zweifel unterworfen; man leſe die Geſchichte 


der Paͤbſte, fo wird man es finden. < 


Der Zeitraum von 1759 bis 1751 ift äußerft merkwürdig : 
Men wir die eigentliche wahre Urfache aufjuchen, vos 


a n 


/ 


% 


278  Grflärung ber Öffenbarung. Sohannis 


durch der Pabft und die gefammte Hierarchie geftürzt: wird, 
fo finden wir fie ohue Widerfpruch in dem herrfchenden Geift 
des Unglaubens — Denn da die ganze römifche Hierarchie 
nichts anders, als ein höchft abergläubifcher Mißbrauch der 
riftlihen Religion ift, fo muß diefer Aberglaube mit feiner 
ganzen Hierarchie notbwendig fallen, fobald die chriftliche 
Religion überhaupt für Nberglauben und Unfinn erklärt wird; 
der Unglau be hat alfo das Thier aus dem Meer geftürgt, 
aber auch zugleich deffen Abfteigen in den Abgrund und Wie⸗ 
deraufſteigen vorbereitt. 

Wer nur "einigermaßen mit der Geſchichte der —— 
unſers Jahrhunderts bekannt iſt, der weiß, daß Voltaire mit 
ſeinen Freunden die großen und ſchrecklichen Werzeuge allein 
und ausſchließlich geweſen, die dieſen Geiſt geweckt und durch 
die ganze Chriſtenheit verbreitet haben; und dieſe bluͤhten 
und ſchrieben eben in den Jahren von 1739 bis 1751, in 
dieſer Zeit gaben fie dem Thier aus dem Meer deu toͤdtlichen 
Stoß, welches 666 Fahre vorher, in eben fo viel Fahren 
durch Gregor dem Siebenten den Grund zu feiner Monarchie 
gelegt hatte. | Bar | 
666 Fahre vor 1789 hatte das Concilium i im Sateran die 
Gründung der Macht des Thiers vollendet, und 1789 fing 
die furchtbare Macht an, fih zu bilden, die neun Jahre 
fpäter dies Thier kürzt, fein Nichtfeyn bewirkt, und die Hure 
auf daffelbe hinaufhebt, um auf ihm zu reiten. Kap 17.8. 3 

Das gegenwärtige 1798fte Fahr bedarf Feiner Erläuterung ; 
wir wiffen alle, daß in demfelben das Auffteigen der Hure 
auf das Thier gefchehen, und das Nichtfeyn des letztern im 
Beginn iſt. 

Bei den uͤbrigen drei — kann und darf ich nur fols 
gendes bemerken: Sch halte es durchaus für unerlaubt, aus 
Meiffogungen beftimmt vorherzufagen, was in der Zufunft 
gefhehen wird: wer nicht felbft als Prophet gewiffen Aufs 
trag von dem hat, der allein die Zufunft weiß, der foll 
das bleiben laffen, denn alle Weiffagungen follen und müffen 
nur verdedte Winfe geben; diefe Winfe bemerfli zu mas 
hen, um die Zeitgenoffen zu tröften und zu ſtaͤrken, und ihren 


Kap SB, 18. . 279 


Glauben zu befeftigen, das ift alles, was man thun darf. 
Die Weiffagungen find nicht dafür da, daß wir daraus bie 
Zukunft genau erfahren, fondern dann, wann fie erfüllt wors 
den, die Allwiffenheit Gottes und die Görtlichfeit der heilie 
gen Schrift dadurch erkennen und verherrlichen follen. Das 
mit müffen wir und auch nun für jetzt berupigen, und in deu 
nahen und wichtigen Vorfällen die Erfüllung. des noch übris 
gen Theild der hohen Offenbarung erwarten; trifft Bengels 
und nun auch meine Erklärung fernerhin nicht ein, , fo liegt 
die Schuld avi unferer Schwachheit, und nicht an der Apo— 
kalypſe, die der, der fie gegeben hat, auch wohl legitimiren 
wird. Bisher hat alles eingetroffen, und es ift wahrfchein- 
lich, daß es auch ferner gefchehen werde. 

Sn Demuth und Abhängigkeit vom Herrn glaube ich fo 
viel fagen zu dürfen: 

1) Von nun am über 38 Zahre * odchſt vermuthlich 
der Herr erſcheinen — wie? und auf welche Art? — das 
wollen wir in Geduld erwarten, und dann wird fein herrlis 
ches Reich auf Erden anfangen; es Fann aber auch noch eher 
geichehen, ſchwerlich fpäter. 

2) Das fiebenköpfigte Thier ift noch nicht aus dem Abs 
grund aufgeftiegen; aber dieß Auffteigen ift nahe, ‚und es 
wird mächtig vorbereitet; wo, wer und wie e8 erfcheinen; 
wie es aud heißen werde, das fünnen wir noch nichr willen, 

5) Dann wird dad, was in diefem Kapitel noch -dunfel 
ift, nämlich dad Bild, das Zeichen und die. Namenszapl 
diefes Thiers, aber auch die Wunder des falſchen Propheten, 
erft dem frommen Forfcher recht deutlich werden, fo lang 
müffen wir warten: Denn Johannes fahe das Thier in 
feiner ganzen Vollendung , und fo weit find wir noch nicht 
gekommen. 

Schließlich muß ih noch eine Merfwürdigkeit anführen, 
die fehr wichtig ift: Man hatte eine alte Tradition des Erz— 
bifhofs Malachias, welche in der Fatholifchen Kirche allges 
mein befannt ift, daß ed nämlicy 111 Päbfte geben würde; 
ſ. Bengels erklärte Offenbarung hinten im Beſchluß; nun ift 
der gegenwärtige Pabft Pius der Sechste unter den ordent: 


Ä 


a 


280 Erklaͤrung der Dffenbarung Johannis. 


lichen Paͤbſten der 96ſte; folglich fehlen an ber Zahl 111 
noch 15; num hat es aber bis dahin 17 Gegenpäbfte gegeben, 
bie ah thitgerechnet werden müffen; weil fie als Paͤbſte 
anerfannt worden, und als ſolche gewirft haben, es ift aber: 
doc) leicht moͤglich, daß zwei darunter find, die eigentlich 
nichts gethan haben, und alfo nicht mirgezählt werden dürfen; 
zoͤgen wir diefe ab, fo wäre jeßt fchon die Zahl voll; im 
einzigen 1102ten Jahr gab es zween Gegenpabfte, Theodoris 
cus und Sylveſter den DVierten, einer von ihnen fünnte ſchon 
anggeftrichen werden; aud) regierte ein Innocentius nur im 
Jahr 1177, Vielleicht hat auch diefer nichts gethan.” Die 
Zukunft wird nun lehren, ob die. Regenten des Thiers nod) 
ferner Päbfte heißen werden oder nicht, im erften Fall Fonnten 
vielleicht noch ar Gegenpäbfte wegfallen. 

Ferner hat man ſchon lange berechnet und bemerkt, daß 
nach dem mittlern Dürchfchnitt eine päbftliche Regierung nur 
ſechs Fahre beträgt; nimmt man alfo nad) beiden alten Tra= 
ditionen die Anzahl der Päbfte auf 111 an, und multipliziert 
mir den ſechs Regierungsjahren eines Pabftes, fo kommt die 
Zahl des Thiers und feines Namens 666 wieder heraus. 

Diele haben’ diefe Zahl auch in den Namen : Nom, Lateinos, 
Ludovicus u. ſ. f. gefunden — dieß laßt man beiher gelten, 
aber die Hauptfache ift ed nicht. Ob ſich in Zukunſt noch 
ein Name finden wird, der PIE in biefem Fall Genüge lei⸗ 
ftet, das muß die Zeit lehren 

Laßt und wachen und beten, daß wir nicht in Anfechtung 
fallen, ‘der Geift ift willig, aber das Fleiſch ift ſchwach. 





*— 


RE af 
\ 


- 


S 


| Das vierzehnte Kapitel, 


1. Und ich ſahe, und ſiehe! das Lamm ſtund auf dem 
Berge Zion, und mit ihm hundert vier und vierzig 
taufende, die feinen Namen und den Namen feines 
Daters an ihren Stirnen gefhrieben hatten. 

2. Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel wie eine 
Stimme vieler Waffer, und eine Stimme. eines gros 
Ben Donners, und die Stimme, die ich hörte, war 
wie von Harfenfängern, die auf ihren Harfen fpielen, 

5, Und fie fungen ein neues Lied vor dem Thron und 
vor den vier. lebendigen Wefen, und den Uelteftenz 
und niemand Fonnte das Lied lernen, als nur bie 
hundert vier und vierzig tanfende, die von der Erden 
erfauft find. 


" Nachdem der heilige Seher die leiste Macht der Finfter: 
niß, die der Drache dem Kicht entgegenfegt, umftändlicd) bes 
fehrieben hat, fo wird nun wieder die Scene verändert, und 
das ehrwürdige Gegenbild jener Macht erſcheint auf dem 
Schauplatz. | | 

So wechſeln die Gegenftände in diefer hohen Offenbarung 
immer ab; bald erfcheinen ſchreckliche Auftritte, dann aber 
auch wieder tröftliche, bis endlich das Ganze herrlich auss 
geht, es wurde einem bei den Darftellungen der fchredlichften 


Thiere im vorhergehenden Kapitel: wehe ums Herz, und 


bange um Zroft, aber hier ift er, und man athmet nun wieder. 

Johannes fahe den Berg Zion im Geift, und auf demfels 
ben das Lamm — nicht ein Lamm — fondern gerade dass 
jenige,, welches fieben Augen und fieben Hörner, und das 


Buch mit den fieben Stegeln erbrochen hat. Es war alfo 


jegt nicht im Thron Gottes, fondern da, wo feine irdifche 
Heimath, die Burg feines Vaters Davids war; ed hat für 


! 


282 Erklaͤrung ber Offenbarung Yobannis 7 


jet feinen Siß zur rechten Gottes verlaffen, und fich mit 
feiner Armee auf dem vaterländifchen Berge, auf Serufalems 
Feſtung gelagert, wo es mit feinen fieben Augen feinen 
Feind beobachten, und die weifeften Maasregeln zu feiner 
gänzlichen Niederlage nimmt und nehmen wird. Aber hier 
wird auch dereinft das neue Jeruſalem prangen, und auf 
diefem Berge wird dann das Lamm fliehen, und der Sonne 
Stelle vertreten. Kap. 21. ®. 33... Hier find auch ſchon 
die 144,000 Aftiobärger gegenwärtig, und es fteht ihnen an 
der Stirne gefchrieben, wer fie find, und wen fie angehören? 

Naͤmlich Gott und Chriſto! fie find Chriften — feine 
Deiften und Moralfrämer, 

Aus Allem, was ich biöher von der verfiegelten Gemeine _ 

gefagt habe, wird der chriftliche Lefer nun wiffen, wer diefe 
144,000 find? fie find die zwei Hauptgemeinden Thyatira und 
_ Philadelphia, mit welchen ſich die Uebrigen aus Sarden und 
die laodiceiſchen Heberwinder vereinigt haben und vereinigen 
werden; fie ftehen den Thierdanbetern gerade gegenüber ; ; diefe. 
tragen das Mahlzeichen des Thiers, und jene den Namen 
Gottes und des Lamms an ihren Stirnen,' 

Dieſes geiſtliche Juda und Iſrael ſteht dem Geiſte nach 
auf dem Berge Zion, unter dem Kommando des Lamms ges 
lagert; fein Streiten befteht nur in Kämpfen gegen feine 
eigene verdorbene Natur, im Wachen gegen alle liſtige Uebers 
fälle des Thiers und feiner Rotte, und im Beten um Geduld 
und Glauben; wir Fämpfen nicht beleidigend, fondern nur 
vertheidigend, nicht mit fleffchlichen, fondern mit den Waffen, 
die Paulus Ephef. 6. befhreibt. 

Die Stimme, welche Johannes aus dem Himmel fchallen 
hört, Eommt nicht vom Berge Zion; die 144,000 fingen 
nod) nicht, fondern e8 find die himmlifchen Schaaren, die 
um den Thron des Unendlichen und Erhabenen her ſtehen; 
diefe fingen in Gegenwart der vier lebenden Wefen, und der 
vier und zwanzig Welteften in ihrem Harfendonner ein neues - 
Lied; der Stimmen find Diyriaden, viele taufendmal taufend; 


Gott — die Repräfentanten der ganzen moralifhen Natur _ 


und der Menfchheit, find die Zuhdrer diefes feraphinifchen 


N 
Kapı 414. V. 1. bis 3. 283 


Koncerts — 4 der Himmel feiert ein Feſt, ſo wie es 
noch nie gefeiert wurde die Ueberwindung des Lamms und 
feiner erftgebornen Gemeine; — den nahen, legten und 
vollenderen Sieg über das Reich der Finfterniß und die nahe . 
‚Gründung des herrlichen Reichs Gottes auf Erden. Daran 
nimmt alles Theil, was nur denfen kann, und dem Herrn 
angebdrt: fogar die ganze Kreatur, die bisher unter dem 
Dienft der Eirelfeit feufzte, und fih nach der Freiheit der 
Kinder Gottes fehnte, nimmt in den vier lebendigen Wefen, 
den bier ArAten, Theil an dieſem Jubel. 


Dieß Lied jſt nun freulich neu — denn es iſt ein Hochges 
fang des wohlgelungenen Ausgangs des Raths Gottes über 
die Menſchen, der alfo biß daher noch nie gefungen werden 
konnte. Daß ihn niemand fernen fonnte, als die Gemeinde 
des Lamms, iſt natürlich; — Fein Thiersanbeter kann und 
mag die Sprache des Himmelsbürger lernen, und eben fo 
wenig feine eigene Schande befiegen, 

Endlich heißt ed von den 144.000den, fie feyen von ber 
Erden, das ift aus der ganzen Chriſtenheit erkauft worden; 
ſie ſind nicht durch ihre Tugend und eigene Gerechtigkeit zu 
der Ehre gekommen, fondern Chriſtus hat fie mit ſeinem 
theuern Loͤſegeld losgekauft, fie jelbit haben Fein Verdienft 
dabei. 


Test muͤſſen wir aber auch unterſuchen, zu — Zeit 
dieſer Triumph im Himmel gefeiert worden. 


Da im folgenden I5ten Kapitel das Lied Mofis, und im 
g9ten endlich der hohe und letzte allgemeine Zubelgefang, 
das große Hallelujah gefungen wird, fo Fanin diefe gegens 
wärtige Triumphfeier Feine andere, als die Feier der geſegne— 
ten Reformation durch Luther, Zwingli und Kalvin ſeyn; 
diefe ift wirklich der Anfang der großen Siege Ehrifti und 
der Wahrheit über das Thier aus dem Meer und den Abers 
glauben; und fie erweckt eine frohe Ahnung, daß es Ihm 
auch) gegen das Thier aus dem Abgrund und den Unglauben 
gelingen werde; die im Verfolg vorfommende englifche Aus» 
tufer beftätigen diefe meine Erklärung. 


28% Erklaruug der Offenbarung Johannis 


4, Dieſe finds, die ſich mit Weibern nicht befleckt haben, 
denn fie find Junggeſellen; dieſe finds, die dem Lamm 
nachfolgen, wo es hingebet. Diefe find von den Mens 
fehen Gott und den Lamm zum Erfiling erkauft. 

5, Und in ihrem Munde tft nichts Falſches gefunden wor⸗ 
den; fie find ohne Tadel, 


Es fheint, ald wenn diefe zwei Verſe Theile, oder viel- 
mehr der Inhalt des neuen Liedes feyen, welches die himme 
lichen Harfenfpieler fingen, die 144,000 ftellen immer und 
zu allen Zeiten die Gemeinde des Herrn vor, alfo auch die 
wahren frommen Chriften, die durch die Reformation aus 
den Menfchen durch das Blut des Lamms erfauft worden; 
dieſe werden alfo auch befungen; diefe finds, heißt e8, welche 
fih mit MWeibern nicht befleckt haben, fie find Junggeſellen. 
Hiebei müffen wir nicht an ein ehelofes Keben denken, fon= 
dern der Sinn geht zuverläaßig auf ihre geiftliche Treue gegen 
Ehriftum im Gegenfaß der babylonifchen Hure, welche Ihm 
untreu und abtrünnig geworden iftz daher wird auch ferner” 
geſagt, ſie folgten dem Lamm nach, wo es hinleitet, denn 
darinnen befteht eigentlich die geiftliche Jungfrauſchaft, welche 
hier verſtanden werden muß. 

Dieſe ſind auch die Erſtlinge, die ſich Chriſtus durch ſeinen 
abermaligen Sieg mit ſeinem Blut erkauft hat; denn die 
Reformation ſtellte den evangelifchen Glaubensgrund, das 
Seligwerden durch das Verdienſt Chriſti wieder her, ſie find 
Bott. und dem Lamm aus der Menfchenmaffe ald ein Erfts 
ling erfauft worden. Sie haben dem Thier nicht geheuchelt, 
Bott nichtö vorgelogen, fondern fie hielten fich an die reine 
Wahrheit des Evangeliums, darin find fie auch nun une 
tadelih,, und der Himmelsbürgerfchaft werth. ı | 
6. Und ich fahe einen andern in der Mitte des Himmels 

fliegenden Engel, welcher ein ewiges Coangelium hatte ' 

zu verkfündiaen denen, die auf der Erde fisen, und 
jeder Nation, und Gefchlecht, und Sprade und Volk. 
7. Zudem er mit großer Stimme ſprach: Fürchtet Gott 
und gebt Ihm Ehre! denn die Stunde feines Gerichts 


— 


\ Kap. 1 V. 6. 7.8 er x 285 > 


ift gefommenz und betet Den an, der ben Himmel 
und.die Erde, und das Dieer, und Pre Wafferquellen 


gemacht hats - 


Mir müffen ki dieß prophetiſche Geſt cht ſo vorſtellen: 
Johannes ſahe den Berg Zion, auf dieſem das Lamm mit 
der Stammgemeine, aus dem Himmel herab hoͤrte er nun das 
Jubelgetoͤne mit dem neuen Lied; und jetzt ſieht er auch einen 
andern, noch nie geſehenen —*5 mitten unter dem Him— 
mel her fleigen. Den Himmelsbewohnern war der Rath 
ſchluß Gottes zur Ausführuug der Reformation bekaunt wors 
den, darum jubeln fie und fingen ein neues Lied. 

Hier folgt nun die Ausfuͤhrung: Ein Engel fliegt mitten 
durch den Himmel, damit er auf der ganzen Breite der Er— 
den gefehen werden koͤnne; oder will man die. chriftliche Nes 
ligionsverfaffung darunter verfteben, fo ift Deutfchland in 
der Mitte diefes Himmels; bier flog aljo diefer Neformas 
tionsengel, unter welchen man ohne Anftand den feligen 
Doktor Luther verfiehen kann. Denn diefer große Mann 
war nicht allein der Urheber ver Religionsverbefferung; fon= 
dern er war ed auch im eigentlichen Sinn, der daS ewige 
Evangelium hatte, und verfündigte. — Faft niemand war 
mehr mit der Bibel befannt; die Laien durften fie nicht les 
fen, und die Geiſtlichkeit mochten nichts damit zu fchaffen 
haben; dieß ewige Evangelium war faft vergeffen, aber Lu— 
ther überfegte die Bibel in die teutiche Sprache, und fo kam 
fie nun in jedermanns Hände — Ja wohl! brachte er allen 
Völkern, Zungen, Geſchlechtern und Nationen das ewige, 
weder durch Aberglauben, noch durch Unglauben zu befiegeude 
Evangelium; denn von nun an wurde die Bibel in alle Spra= 
chen überfegt. -Die auf der Erde figen, -find diejenigen in 


der Chriftenheit, die mit Sehnſucht auf die Reformation 


harrten. | 

Dieſer Engel —— * Lehre mit großer Etimme; 
man braucht nur Luthers Schriften zu lefen, um zu erfahren, 
wie ftark feine "Stimme war. Er ruft: Fürchter Gott und 
nicht den Pabſt! Ihm gebt die Ehre, und nicht dem Thier; 


286 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


das Pabſtthum wird gerichtet, und der Aubruch diefes Ges 
sichts ift nun da! — Den allmächtigen Schoͤpfer Himmels 
und der Erden betet an, und nicht das Thier, oder die 
Heiligen ‚oder gar ihre Bilder "— Der den Himmel gemadıt 
bat, kann ihn auch allein aus Gnaden geben, der die Erde 
mit ihrer ganzen Einrichtung fchuf, kann auch allein austheis 
len an wen Er'will; der Pabft verfchenfte fie au), aber mit 
Unrecht. Gott ift vi Beherrſcher aller Meere, und aller 
‚Quellen; Er ift Herr über Alles, und fonft niemand, 

Es ift bemerkenswerth, daß bier nur der heil der Lehre 
der Reformatoren angeführt wird, dei Bezug auf das Thier 
aus dem Meer hat; denn mit diefen hat es hier eigentlich) 
die Offenbarung nur zu thun, die evaugelifche Glaubenslehre 
liegt auch ſchon im Begriff des ewigen Evangeliums. 


8. Und ein anderer zweiter Engel folgte; ber ſprach: 
Sie iſt gefallen! Sie ift gefallen! Babylon die 
Große! mit dem Wein ihrer — hat ſie alle 

Nationen getränft: 


Diefer zweite Engel mit feinem Ausruf zielt auf das, was 
im alften Kapitel Jeſaiaͤ im Iten Vers ſteht, wo es heißt: 
Und fiehe nun, da fommt ein Wagen mit Männern, und ein 
paar Reuter, da antwortete er, und ſprach: Babel iſt ges 
fallen, fie ift gefallen, ünd alle gefchnigte Bilder ihrer Goͤt⸗ 
ter liegen zerbrocihen auf der Erden. Diefe Anwendung auf 
" daß neue Babel ift fehr paſſend. Wer aber nun dieſer Engel 
geweſen ſey, daruͤber ſind die Ausleger nicht einig; mir deucht 
aber, er ſey leicht ausfindig zu machen; ich werde freilich 
bei.diefeni meinen Fingerzeig vielen Widerfprud) finden, als 
lein das darf ich nicht achten, ich muß der Wahrheit treu 
feyn: Der verachtere, verfannte, und für einen Erzſchwaͤrmer 
erklaͤrte Jakob Boͤhm iſt dieſer Engel; keiner vor und keiner 
nach ihm bat’ fo laut den Fall des geiſtlichen Babylons bes 
zeugt, und fo laut von der Lilienzeit (wie er ſich ausdruͤckt) 
geweifjagt. Hätte diefer hocherleuchtere Mann feine Sprace 
mehr in feiner Gewalt gehabt; um feine erhabenen Begriffe 
deutlich vortragen zu koͤnnen; fo würden feine Schriften ge= 


Rap, 148.9. bis 11. 387 


meinnüßiger gewefen feyn, und durch Mißverftand nicht fo 
viel gefhadet habenz dieß thut aber nichts zur Sache; es 
gibt viele, die fie mit großem Nugen lefen, und wird eine 
Zeit fommen, wo er theuer und werth geachtet werden wird. 
Seine Philofophie föhnt die reine ünbefangene Vernunft ganz 
mit dem ewigen Edangelio dus, und er folgt als der andere 
Engel mit Recht auf Luthern. Ale Kapitel feiner Schriften 
rufen: Babel ift gefallen! ihre Hurerei if — die 
Zeit der Lilien iſt vorhauden. 


‚9. Und ein anderer dritter Engel folgte ihnen, der 
ſprach mit großer Stimme: So jemand das Thier 
und fein Bild anbetet, und nimmt das Mahlzeichen 

an feine Stirn oder an feine Hand. | 

10. So wird er auch trinfen von dem Wein des Zorng 
Gottes, der unvermifcht eingefhenkt ift in den Bes 
cher feines Grimms, und gequälet werden mit Feuer 
und.Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem 
Lamm, | 

11. Und der Rauch ihrer Qual wird in bie * Ewig⸗ 

—keiten aufſteigen; und diejenigen, die das Thier 
und fein Bild angebetet, und das Mahlzeichen feis 
nes Namens angenommen aha werden weder Tag 
noch Nacht ruhen. 


Dieſer dritte Engel warnt vorzuͤglich fuͤr der Anbetung 
des Thiers und feines Bildes, und für der Annahme feines 
Maplzeichens an Stirn oder Hand. Die Drohungen, die er 
darauf feßt, find die fchre@lichften in der gauzen Bibel; aber 
das aud) mit, Recht, denn wer nun noch, nach allem, was 
der Herr an den Menfchen gethan hat, den Weg Belials 
wandelt, der'verdient ſolchen Jammer. 

Diefer Engel bedient ſich des fürchterlichen Bildes’, wels 
ches ſchon Jeſaias und Jeremias, Zei. 51. V. 17. 22. 25, 
und Ser. 25. V. 15. bei ähnlichen Gelegenheiten brauchten, 
aämlich des Taumielfelch8 des Zorns Gottes, wodurch ders 
jenige, welcher aus ihm trinkt, fernerhin alle Fähigkeit vers 
liert, fich eines Beſſern zu befinnen; er taumelt feinen Weg 


288 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


zum Verderben fort, und ſtuͤrzt ſich endlich uͤber Hals und 
Kopf von ſelbſt hinein. Dieſes Bild paßt ganz eigentlich 
auf die Verehrer des Thiers, dann, wann es einmal aus 
dem Abgrund wird aufgeſtiegen ſeyn. — Und fagt mir nur 
einmal aufrichtig, liebe Leſer! haben nicht auch diejenigen 
aus dem QTaumelbecher ded Zorns getrunken, und ihre Be— 
fonnenheit verloren, die durch ihre Aufklärung fo beraufcht 
find, daß fie von Ehrifto und feiner herrlichen Erlöfung 
nichts mehr fehen oder hbren mögen? — das find Vorboren 
einer nahen fchredlichen Zufunft. 

Das Qualen mit Feuer und Schwefel ift zu unfern Zeiten 
fo oft verfpotter worden, daß einem ein Edel anwandelt, 
wenn man fi) nur daran erinnert; jeder Vernuͤuftige fieht 
wohl ein, daß dieß ein Bild ift, unter welchem die entfeks 
lihfte Pein der Gottlofen vorgeftellt wird, und daß von nas 
tuͤrlichem Feuer und Schwefel nicht die Rede ift. Aber Muth— 
willensvoll wollen fie e8 nicht wiffen; fie träumen fich einen 
fo liebreihen Gott, der auch. die Menfchen nicht ftraft, die 
ihrer Nebenmenfchen Zeufel gewefen find, und fih in allen 
Laſtern gewälzt haben. — Gott erbarme ſich ihrer! damit fie 
es nicht an Ni felbft erfahren mögen, was REP Feuer, diefer 
- Schwefel ift. 

Der Rauch diefes Qualfeuers wird von einer Ewigkeit zur 
andern aufiteigen, fie werden weder Tag noch Nacht Ruhe 
haben, diefe Thiersanbeter! — Wir wollen hier nicht unter= 
ſuchen, ob denn dieß fchredliche Feuer nie wieder auslöjchen 
werde ? — fondern wir wollen und Lieber fir dem Taumelbecher 
hüten, damit wir nicht auch hinein taumeln mögen. 

Wer nun diefer fürchterlich warnende Engel jey das wird 
ſich leicht ausfindig machen laſſen. 

Durch die Reformation war das ewige Evangelium wies 
der in jedermannd Hände gefommen; die vaͤterliche Vor— 
fehung Gottes hatte die proteſtantiſchen Kirchen von dem 
ſchweren Zoch des Thiers und der babylonifchen Hure befreit, 
aber fie fingen beide bald wieder au, deu Weg des Thiers 
zu wandeln; die Geiftlihen, und befonders foldhe, die an 
der. Spige des Kirchenregiments ſtunden, wurden num ſelbſt 


Kap. 14. B. 9. bis 1 289 


eben fo viel Paͤbſte; des Verfolgens zwiſchen Lutheranern 
und Reformirten, und des Verketzerns derer, die anders uns 
ter ihnen dachten, war fein Ende; man betete zwar das roͤ⸗ 
mifche Thier und fein Mahlzeichen nicht mehr an, allein man 
machte fich. felbft wieder zum Thier, und beftimmte die - 
Mahlzeichen, die jeder annehmen müßte, wenn er Ruhe haben 
wollte; — daher war eine neue Reformation nörhig, und 
diefe bewirkten Arndt, Spener, Frauke, Graf Zinzendorf 
und Andere mehr. Die drei erfte find eigentlich die Etifter 
der Gemeine zu Philadelphia, fo wie Zinzendorf der Engel 
der Gemeinde zu Thyatira war. Diefer verfannte, aber 
theure Mann Gottes Fann diefer dritte Engel deßwegen nicht 
ſeyn, weil er blos auf die Bruͤdergemeine wirkte, die erjten 
- drei aber koͤnnen Anſpruch Auf die Ehre machen, und id) 
wuͤrde am liebften den feligen Auguft Hermann Franke daft 
anfehen; denn von ihm rühren eigentlich alle wahre und 
große Erweckungen diefes Jahrhunderts her; ihm hat man 
die ernfte Warnung für allem falfben Chriſtenthum, und die 
Ermahnung zum innern wahren Wandel.vor Gott zuzuſchrei—⸗ 
ben; er bildete als Profefjor der Gottesgelehrtheit eine Menge 
frommer Prediger, die allenthalben Funken färten, deren 
Teuer noch überall in der zerftreuten philadelphiſchen Ges 
meinde unter den wahren Pieriften glimmt, und nicht aus⸗ 
loſchen wird, bis der Herr kommt. 


Das erſte Ringen nach der Guade Gottes in Chriſto, und 
die lebhafte Vorftellung der fchredlichen Folgen, die auf eis 
nen unwidergebornen Geift nad) dem Tode warten, find die 
Hauptprinzipien des wahren Pietismus, und auch der Geift 
des Buchſtabens, dem hier der dritte Engel ausruft. 

Wer mit der Erweckungsgeſchichte diefes Jahrhunderts Bes 
kannt ift, der weiß, wie maͤchtig Franfens Gefinnung in 
Holland, England, Teutſchland und in den nordifchen Reichen 
wirkte; und allenthalben ahnte man den nahen Fall et: 
und die darauf folgende Zufunft des Herrn. 


12. Hier ift die Ausharrung der Heiligen, welche die 
Gebote Gottes und den Glauben an Zefum bewahren. 
Stillina's ſämmtl. Schriften. Ill. Band. 19 


290 Erklarung der Offenbarung Johannis. 


15. Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel zu mir 
fagen: Schreibe! — Glücklich find, die im Herrn 
—— Todten von jetzt an! — Sa! ſpricht der 
Geift: Damit fie ausruhen von ihren Muhſeligkei⸗ 
ten; darum folgen ihre Werke mit ihnen. 


Diefe zwei Verfe find fehr nierfwirdig. Der 12te gehört 
noch zum Ausruf des dritten Engels: bier gilt es Aushars 
rens, die Bosheit wächft zufehends, und der Herr verzeucht 
mit feiner Zufunft: aber diejenigen, welche die Gebote Got: 
tes halten, und von Herzen an Chrijtum glauben, die find 
heilig, und diefe werden in der Geduld bewährt erfunden 
werden; befonders da nun jeßt die leiten göttlichen Gerichte 
über die verdorbene Chriftenheit im Anzug find, und auss 
harrende Geduld nöthiger und wichtiger feyn wird, als jemals. 

Mit dem Isten Vers geht aber nun ein neuer Abfchnitt 
an: Denn von hier au richtet die erhabene Offenbarung ihren 
Seherblid auf den Beſchluß, namlid auf das Gericht über 
das Thier und die babylonifche, Hure, und dann auf den. 
herzerhebenden Gegenftand der Erwartung aller Srommen, 
auf die Zufunft des Siegers mit den vielen Kronen, und 
auf die Gründung feines Reichs; ein Blick, der und troͤſten 
kann uͤber allen Jammer, den, wir erleben und noch erleben 
werden, | 

Johannes hört eine Stimme aus dem Himmel, die ihm 
das Schreiben der Worte anbefiehlt, die fie ihm zu fagen 
hat. Er hatte zwar bisher alled aufgefchrieben, was er ges 
fehen und gehöret hatte, aber diefe Worte follten ja nicht 
vergeffen, fondern gleichfam als ein Nota bene eingeſchaltet 
werden. Der Sinn diefes Nota bene it folgender: 


Von num an werden die göttlichen Gerichte mit Gewalt einz 
brechen; forthin wirds in der Chriftenheit wenig Ruheftun: 
den mehr geben, Sammer wird auf Sammer folgen, bis der 
Herr kommt; darum ift niemand glückfeliger, als diejenigen, 
die im Herrn flerben, und fo vor dem Unglück weggerafft 
werden; denn weil fie richtig gewandelt haben, fo folgen 
ihnen auch ihre Werke nach, darum Fommen fie zum Frieden 


— WE - 


Kap. 1 Bi. bis 16. 291 


und ruhen in ihren Kammern. Jeſ. 57. V. 1. 2. Dies fpricht 
der Beift des Herrn und bekräftigt ed mit der Beiiepmug!: 
Sa! Sürmahr!l 

Der felige Bengel hat in ER Schriften biefe hinmlifche 
Stimme nachgehallt, er war ihr Echo — darum ruht er nun 
auch ſauft in feiner Kammer bis zur erften Auferftchung. 


14. Und ich ſahe, und ſiehe! eine weiße Wolke, und 
auf der Wolke einen ſitzen, der einem Menſchenſohn 
ähnlich war; auf feinem Hanpte hatte er eine gol—⸗ 
dene Sieerkrone, und in feiner — eine ſcharfe 
Sichel. | 

15. Und ein anderer Engel Fam aus kom Tempel, und 
tief mit großer Stimme dem, der auf der Wolfe 
faß: Lang zu mit deiner Sichel und ernte! denn 
die Stunde zu ernten ift gekommen, weil die Ernte 
der Erde dürre geworden iſt. 

16. Und der auf der Wolke Sitzende ſchwung feine Sir 
chel über die Erde, ‚und erntete die Erde. 


- Hier werden nun die feligen Todten, die im Herrn fterben, 
geerntetz fie. haben mit. Thraͤnen gefäet, fie gingen hin und 
weinten, und trugen edlen Saamen, hier fommen fie num 
mit Freuden und bringen ihre Garben. 

Der Engel, welcher auf der weißen Molke figt, iſt der 


| ‚frohe Todesbote, der Heimführer aller feligen Geifter, der 


Todesengel der Frommen; er ruht auf einer weißen Wolke, 


die weder mit Donner noch mir Blig ſchwanger ift, fondern 


zum Triumphwagen, zur feligen Heimfahrt dient; er ruht 
auf derfelben mit feiner fcharfen Sichel, bis ihm befohlen 
wird, daß er diefen oder jenen ernten foll; feine Siegesfrone 
trägt er deßwegen, weil er lauter Kämpfer abholt, die ges 


‚ fiegt Haben. Sein Ernten mag ſich wohl vorzuͤglich auf 


Blutzeugen beziehen, wiewohl auch die, welche eines natüre 
lichen Todes im Herrn —— nicht von ſeiner Sichel ause 
a find. Ei 
Er ruht und harrt auf Befehl, diefer kommt nun; Der: 
jenige, bei im Tempel im Allerheiligften thront, findet eis 
19 * 


292 Erklärung ber Dffenbarung Johannis. 


nen Tempelengel, einen Engel der innern Zulaffung, einen 
himmliſchen Leviten, diefer ruft mit großer Stimme, er folle 
nun ernten; es fey hohe Zeitz denn bie Ernte ſey duͤrre 
geworden: 

Auch diefer ruft mit großer Stimme; called treibt und 
drängt fi) nun zum Ziel, überall große Etimmen , Drang 
und Thätigfeit. 

Das Bild von der Ernte ift dem Geift der Weiſſagung 
ſehr gelaͤufig, auch Chriſtus bedient ſich oft deſſelben. Hier 
wird die Getreidernte verſtanden, welche auch am gewoͤhu⸗ 
lichſten die Hieroglyphe derer, die im Herrn ſterben, iſt. 
©. Matth. 13. V. 30. Der folgende Engel aber herbſtet den 
Wein, folglich Fann diefe Ernte nicht auch auf die Weit: 
trauben gehen, fondern auf die Saarfelder des großen 
Hausherru. 

Dieſer Ernteengel hat ſchon feit der Reformation her man⸗ 
che wichtige Garbe in des Herrn Scheuer geliefert: aber die 
Aufforderung, von der hier die Rede iſt, geht auf unſere 
Zeiten. In Frankreich war die Ernte duͤrre, und es war 
Zeit, daß der Engel mit der Sichel kam. Hier ſchwung er 
ſie vom Thron an bis in die aͤrmſten Huͤtten, und bis zu 
den Saͤuglingen in der Wiegen. 

Koͤnig Ludwig der Sechzehnte wurde in ſeinem *— 
gen Gefaͤngniß uͤberreif, und zur vollwichtigen Garbe; er 
blickte zu den Sternen hinauf, als er auf dem Blutgeruͤſte 
ſtand, und ſprach wie ſein Erldſer: Herr verzeihe meinem 
Volk! — Sagt, liebe Leſer! ob ein Menſch fo ſprechen kann, 
der nicht vom Geift Jeſu Chrifti durchdrungen ift? — Von 
ihm an wurden Millionen unfhuldiger Menfchen durch die 
erſchrecklichſten Anftalten geerntet, und in die Scheuern ge: 
fammelt; auf Frankreichs Acer ift die volfe Ernte angeganz 
gen, und ed wird aud an die übrigen Zelder des Herrn in 
der Ehriftenheit fommen, darum haltet euch bereit, Brüder ! 
mit Beten und Wachen. 

17. Und ein anderer Engel aina aus dem Tempel, der 
im Himmel ift, auch diefer hatte ein ſcharfes, krum⸗ 
mes Meſſer. 


Kap. 14. B. 17. bis 20, Y 295 


18. Und ein anderer Engel ging aus dem Altar heraus, 
er hatte Gewalt über das Feuer, und er rief mit eie 
nem großen Schrei dein, der das fcharfe Frumme Meſ—⸗ 
fer hatte, und ſprach: Lang zu mit deinem feharfen 
Meffer, und lies die Trauben des Weinbergs ber 
Erden, weil feine Beeren reif find, 


19. Und der Engel ſchwung fein krummes Meffer auf bie 
Erde, und las den Weinberg der Erden, und warf 
es in die Kelter des großen Zorns Gottes. 


30. Und die Kelter wurde aufferhalb der Stadt getreten, 
und das Blut ging aus der Kelter bis zu deu Pfers 
dezäumen, durch taufend ſechs hundert Stadien. 


Der vorige Engel erntete die Frommen, dieſer aber mun 
die Gottloſen: denn es heißt im 19ten Vers, er habe die 
gelefenen Trauben in die Kelter, in die Mofterbätte des 
großen Zornd Gottes geworfen — dieß kann nur von ben 
böfen Menfchen verftanden werden. 

Im Tempel, der im Himmel ift, gehen die Priefierengel 
- aus und ein, fie warten des Vottesdienftes, und richten die 
Befehle des Herrn ausz hier fommt nun wieder, einer mit 
einem Ffrummen, fichelförmigen Rebenmeffer zum Vorſchein, 
und erwartet den Winf zum Herbften ; diefer wird ihm bald 
gegeben; denn der Engel, welcher die Aufficht über das 
Feuer auf dem Altar hat, damit ed nicht verlöfche, kommt 
vom Altar ber, und fehreit auch mit großer Stimme, weil fein 
Auftrag. eilig und dringend iſt, er ſolle fih geichwind aus 


Traubeunleſen geben, weil auch fie reif, der Weinberg der 


Erden zeitig fey. Die Seelen der Blutzeugen unter dem 
Altar follen einen Zeitlauf warten, bis ihre Brüder, welche 
auch noch jo wie fie geopfert werden würden, hinzukaͤmen. 
Kap. 6. V. 9. bis 11, Diefer Engel aus dem Altar weiß 
das — er. weiß, daß nun diefer Zeitlauf anfängt, ein Ende 
zu nehmen, und da er Antheil am Scicfal der Seelen 
unter dem Altar nimmt, ihren Zuftand gern verbefjert ſieht, 
fo. fchreit er mit großer Stimme; er verlangt dieß höchfts 
gerechte Opfer, und hat dazu das Zeuer unterhalten. 


294 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Das Bild von der Zornkelter ift aus dem Propheten es 
faias genommen; in feinem 65ften Kapitel kommt ein. Ge: 
ſpraͤch zwifchen dem großen Kekrertreter und ‘einem andern 
vor, der ihn fragt, warum feine Kleider fo roth ſeyen 

Dieß Gemaͤlde iſt fuͤrchterlich, aber treffend. — Den Ans 
fang auch davon haben- wir ebenfals in Franfreicy erlebt. 
Diefes Land oder dieſe Nation: war. bisher in allem die 
Erfte in. Europa; daher ift fie aud) in jedem Sinn am ers 
ften reif geworden, Beide Eruteengel machen da den Au— 
fang; wenn fie durch die gauze Chriftenheit fertig geworden, 
fo wird der. Herr. felbft erfcheinen, und dem Ernten und 
Keltertreten ein Ende machen. Kap. 19. V. 15. Hatte der 
vorige Engel in Frankreich die Frommen geerntet und in 
des Herrn Scheune gefamnielt, fo. wirft num  diefer Die 
Gottloſen und zum Gericht reifen Sünder im die. Kelter des 
Zorns Gottes, 

Ber die Greuel alle, die in Lyon, in der Vendee, im 
Paris, und an fo vielen Orten in Frankreich, feit ſechs 
Jahren vorgegangen find, gelefen hat, der wird das Bild 
von der Zornfelter Gottes nicht übertrieben, fondern ſehr 
paffend finden; nimmt man nun noch alle die mörderifchen 
Schlachten Diefes einzigen Krieges in feiner Art dazu, fo 
kann man nicht mehr zweifeln, daß diefe Weinlefe angefans 
gen habe. — Wann fie aber in Frankreich endigen? wo fie 
num zuerft wieder anfangen? und welche Weingärten nad): 
einander vorgenommen werden follen? das muß die Zeit 
lehren, Jeder hüre fich, daß er Diefem Engel nicht unter 
fein krummes Rebenmeffer falle! 

Der heilige Seher mahlt dies fchredliche Bild noch ftär- 
fer aus; Es fam ihm vor, ald wenn der Blutſtrom, der 
aus der großen Kelter quoll, gleich vor derfelben den Pfer- 
den bis an die Zäume, bis and Gebiß gegangen fey — 
dieß überzeugt uns von zwei wichtigen Stuͤcken: 

1) Daß dieß fchredliche Gericht durch Krieg — denn nur 
dazu brauchten die Morgenländer die Pferde — und nicht 
durch Krankheiten oder Hungersnoth ausgeführt werden foll; 
und 


. 


Kap. 14. V. 17. bis 20. 295 


2) daß dieß Blutbad ungeheuer, unglaublid und ohne 
Beiſpiel feyn werde. Ja wahrlich! ſchon der Anfang hat 
in der ganzen Gefchichte feines gleichen nicht. 

Endlich Fommt es ihm dem Augenmaaß nad) fo vor, als 
wenn der Blutſtrom 1600. Stadien weit geflofien wäre; 
dad macht ungefähr vierzig deutfche Meilen aus. Schreds 
lih! Scredlih! Herr erhalte und und unfre Kinder und 
Freunde! — und das du gewiß, wenn wir nur frem 
bleiben! 

Diefe beiden Ernteengel feßen nun ihr Herbftgefchäfte fo 
fort, wie fie ed angefangen haben, bis der Herr kommt. 
Da gibt es zwar zuweilen Pauſen, aber fie währen nicht 
lang. Häufer und Kirchen und Palläfte auf Jahrhunderte 
hin zu bauen — große Plane zum Gläc feiner Kinder und 
Kindesfinder zu machen — und große Güter zu erwerben, 
dazu haben wir Feine Zeit mehr; jeßt Fann man nichts beis 
ſers thun, als ſich ehrlich mir den Seinigen ernähren, ruhig 
und geduldig ausharren, und mit großem Erxuſt, mit Furcht 
und Zittern, feiner Seelen Seligfeit zu fchaffen; wer dieß 
thut, dem wirds in jedem Fall wohl gehen, und er darf 
fih in der nahen Zukunft eine Glüdfeligkeit verfprechen, 
die er fich in fo hohem Grad jegt nicht vorftellen kann. 





296 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis, 


Das fünfzehnte Kapitel, 


4, Und ich fahe ein anderes. großes und wunderbares Zeiz 
chen im Himmel: Eieben Engel, welche die fieben lets 
ten Plagen hatten: denn durch fie wird der Zorn Got⸗ 
tes vollendet, | Ä 

9, Und ich fabe etwas, wie ein gläfernes, mit euer ges 
mifchtes Meer; und diejenigen, welche über das Thier 
uud über fein Bild, und über die Zahl feines Namens 
geſiegt ‚hatten, an diefem gläfernen Meer ee und 
Harfen Gottes haben. 


Su dem fo eben abgehandelten 14ten Kapitel fi find die 
leiblihen Gerichte der legten Zeit geſchildert worden, hier 
folgen nun auch die geiftlichen; diefes I5te enthält die Vor: 
bereitung dazu, und das folgende I6te die Ausführung, 
Daß die fieben Zornfchaalen wirklich auf die moralifchen Vers 
haltmiffe gehen, das wird fich in der Erklärung jelbft deut: 
lic) zeigen. 

Johannes nennt den Auftritt, den er jetzt zu fehen ger 
würdigt wird, groß und wunderbar. — Die Majeftät der 
Anftalten, und das Geheimnißvolle, das er darinnen bes 
merkt, bringt ihn zu diefem Ausdrud. Er ſieht fieben Enz 
gel, welche dazu beftimmt find, in fieben fchweren Plagen 
den Zorn Gottes und feine legten Gerichte über dad Reich 
der Finfterniß auszuführen und zu vollenden. Ehe aber 
dieſe Engel in Thatigfeit gefeßt werden, geht wieder eine 
Subelfeier vorher. Dieß haben wir immer in-der Apofas 
Inpfe bemerkt, fo oft ein erhabener Plan gegen die Feinde 
des Herrn ausgeführt werden follte, fo oft feierte der Himmel, 

Der heilige Seher bemerkt nun wieder das gläferne Meer, 
. Kap. 4. ®. 6. aber er findet jeßt etwas Neues darinnen, 
eö Fam ihm vor, als wenn es mit Feuer vermifcht wäre. 


) 
Rap 15 DB, 1. 297 


Man tefe, was ich an eben gedachter Stelle Über diefes 
Meer gefagt habe; dieß Feuer bedeutet die Eigenfchaft, 
welche num diefe Waffer des Lebens angenommen haben: 
Bei den Gottloſen und Thiersanbetern erregt ed Grimm 
und Wuth gegen alles, was heilig iſt; es erdffner in ihnen 
den Zornquell zum ewigen Verderben, und macht fie ents 
zuͤndbar für den Pfuhl, der mir Feuer und Schwefel brenntz 
bei den Frommen aber wärmen diefe Feuerwaffer, machen 
fruchtbar im guten Werken, ftärfen die Liebe und den Eruft 
zum Kampf durdy Beten und Wachen, Wie diefes ſtarke 
Getränke, diefer Spiritus den menſchlichen Geiſt findet, fo 
wirft es in ihm — den einen beraufcht es bis zur Wurh, 
den audern ftärft e8 zum ewigen Leben. 

An dieſem Meer ftunden num neue Harfenfpielers Diejes 
nigen, welche der erfte Engel mit der Sichel nach) dem vo» 
rigen Kapitel, geernder hatte, bringen hier ihre Lob s uud 
Danfopfer für die Gnade der Ueberwindung; fie haben 
weder das Thier, noch fein Bild, noch die Zahl feines Nas 
mens angebetet, fondern alle Verfuchungen dazu beſi iegt, 
deswegen ſind ſie nun hier in ſtolzer Ruhe und in ewiger 
Sicherheit, dieß bewegt ſie, dem Herrn, der ſie ſo maͤchtig 
errertet, fo väterlich geleitet, und nun zu überfchwenglicher 
Herrlichkeit geführt hat, herrlichen und innigen Dank zu 
fingen; dazu hat man ihnen auch himmlifche Suftrumente, 
Gortesharfen gegeben, welche beffer Elingen, als die vers 
fimmten, zerbrechlichen Werkzeuge, die fie hienieden fo oft 
an die Trauerweiden aufhängen und weinen mußten. | 


5. Und fie fungen das Lied Mofe, des Knechts Gottes, 
und das Lied des Lamms, und fpracdhen: Greg und 
wunderbar find deine Werke, Herr, Gott, Allherrz 
fcher! gerecht und wahrhaftig find deine Wege, König 
der Nationen ! 

4, er follte dih, o Herr nicht fürchten, und deinen“ 
- Namen nicht verherrlihen? — denn du bift einzig 
‚beilig! denn alle Nationen werden Eommen und vor 
dir anbeten, denn deine gerichtliche Ge find 
bekannt gemacht worden, 


298 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


° Hier folge nun der ſummariſche Inhalt deſſen, was die 
Harferifpieler fungen. Das Lied Mofe, deffen hier gedacht 
wird, iſt nicht dasjenige, welches 5, Mof, 32. fteht, fondern 
das, welches gefungen wurde, ald die Kinder Sfrael gluͤck— 
lich und durch) ein Wunder durchs rohe Meer gegangen 
und den Egpptern entronnen waren, es ſteht 2 Mof. 15: 
Diefer Geſang ſchickt fih eben fo für die Sänger am glaͤ— 
fernen Feuermeer, wie für jene am rothen Meer, Die übris 
gen Kobfprüche in diefem sten Vers kommen auch Pf. 111. 
®. 2. 159. DB. 14. und 145. B. 17. von 

Daß die Werke des Herrn groß und wunderbar End, daß 
koͤnnen die mit vollem Recht fagen, die den legten großen 
Kampf durchgefämpft haben; daß er der Allberrfcher, wer 
Alleserhalter fey, das koͤnnen fie aus Erfahrung fingen. — 
Er ift der König der Nationen, das beweifer er in feinem 
Sieg über die legten ungeheuern Mächte des Unglanbens 
und der Finfternißz gerecht find die Wege, die Er Die Men: 
ſchen führe, denn Er belohnt feine Gerreuen, und feinen 
MWiderfachern vergilt Er, fo wie fie es verdient haben; ‚aber 
feine Führungen find auch wahrhaftig, Er bleibt immer dem 
Plan getreu, den Er vom Anfang der Welt an entworfen, 
und von jeher ausgeführt bat. 

Die Worte des vierten Verſes finden fih auch Ser. 10. 
V. 7. wo es heißt; Wer follte dich nicht fürchten, du König 
der Heiden? — denn es kommt dir zu; weil doch unter 
allen Arten der Heiden, und in ihrem ganzen Königreich 
dir niemand gleich ift. Und Pf. 86. V. 8— 10, fagt der 
fonigliche Dichter: Unter dew Göttern ift Dir, o Herr! nie: 
mand glei, da ift nichts, das Deinen Werfen ähnlich ift; 
alle Heiden, Herr! die Du gemacht haft, follen fommen, 
und follen fi vor Deinem Antlitz niederbeugen, und Dei: 
nen Namen ehren; denn Du bift groß, und thuft Wunder: 
werfe, Du allein bift Gott! und der Prophet Jeſaias weiſ— 
fagt endlich auh Kap. 66. V. 25. Und ed foll gefchehen, 
daß von einem Neumond zum andern, und von einem Sab- 
bath zum andern, alles Fleiſch Fommen fol, um anzubeten 
vor meinem Angeficht, fpricht der Herr! 


Kap. 15. B. 8. 6. 299 


Ich habe mehrmals bemerkt, daß die höhe Offenbarung 
die MWeiffagungen des alten Teſtaments gleichfam in einen 
Geſichtspunkt dringt and. bekräftigt; fie.ift die Summe aller 
Meiffagungen der heiligen Echrift, in fo fern fie auf die 
legten Zeiten gehen. 

Wer follte dich nicht fürchten, fagen die Harfenfpieler, 
Du Alleinheiliger! der Du fo maͤchtig bit? — Wer follte 
Did nicht preifen, da Du alles fo herrlich ausführfi? — 
Dein Neich ift nahe; nun iſt es an dem, was die alten 
Propheten fo: lange geweiffagt haben, daß alle Nationen 
Did) erkennen, und Dich anbeten werden, 


5. Und nad) dtefem fahe ih, und der Tempel der Hütte 
des Zeugniffes im Himmel wurde eröffnet, 

6. Und die fließen Engel, welche die fieben Plagen hatten, 
gingen aus dem Tempel heraus; fie waren mit reinem 
glänzenden. -Leinmand bekleidet, und ihre Bruſt mit 
goldenen Gürteln umgürtet. 


Hier fängt num die große Scene an: Erft wird der Tem⸗ 
Rn der Hütten des Zeugniffes, der im Himmel ift, geöffnet; 
diefe ift das Urbild, nah welchem Mofe arbeiten laffen. 
mußte. 2. Moſ. 25. V. 40, Der Tempel, den Sohannes 
im Himmel ſahe, war alfo mehr der Stiftshuͤtte ähnlich, 
ald den Tempel zu Jeruſalem; das ift aber auch natürs 
li), denn noch pilgert das Heerlager des Herrn hienieden 
im der Wüften; wenn einmal das Neich Gottes angegangen, 
oder gar das neue Jeruſalem hernieder gefahren, ift, daun 
gibt. ed einen andern Tempel, oder au gar feinen mehr, 
Kar. 21. V. 22. 

Aus der geöffneten Stifts huͤtte treten nun fieben Engel 
im prächtigen Prieſterſchmuck hervor; denn fie jollen eine 
fehr wichtige und feierliche Verrichtung überneymen; fie fols 
len ‚das geiftlihe Bann- und Fluchwaſſer über diejenigen 
ausgießen, die ſich durch eine beinahe fechstaufendjährige . 
Belehrung nicht haben. unterweifen laſſen wollen, fondern 
dem Geift der Wahrpeit immer entgegen firebten; dieje 
Engel follen nun das fihredliche Gericht der Verſtockung, 


500 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


der göttlichen Verlaffung und der Einweihung zul‘ ewigen 
Sammer ausführen. 

Schrecklich! ſchrecklich find dieſe Gerichte! aber dem un⸗ 
geachtet gerecht: Denn wer doch auch alle Mittel zu feiner 
Seligfeit fennt, und fie doch muthwillig von fi ſtoͤßt — 
oder fogar finnlicy geworden: ift, daß ihn alles anekelt, 
was nur zu Gott uud Ehrifto führt — fagt! was bleibt 
für einen foihen übrig — Wenn Gott alle Mittel anges 
wender hat, den fündigen Menfchen zu retten, wenn er ihm 
Zeit genug gab, ſich zu befinnen und zu befehren, was foll 
er denn noch mehr thun? Endli muß er denn doch eins 
mal fühlen, was es heiße, die Gnade Gottes auf Muthwils 
len ziehen, damit er durch die ſchweren Läuterungsfeuer der 
troftlofen dunfeln Ewigkeit, vielleicht — Gott und ſich 
ſelber Feunen lernen möge, 


7. Und eins von den vier Tebendigen Weſen gab betr ſie⸗ 
ben Engeln ſieben ‚goldene Trinkſchaalen, angefüllt 
mit dem Zorn des in die ewige Ewigkeiten lebenden 
Gottes, 

8, Und der Zempel wurde mit dem Dampf der Herrlichz 
Feit Gottes und feiner Macht angefüllet, und niemand 
konute in den Tempel hineingehen, bis die fieben Plas 
gen der ſieben Engel ausgeführt waren, 


Daß die vier lebendigen Wefen die vier Urfräfte der ges 
fammten moralifhen Natur feyen, hab ich oben in der Ers 
klaͤrung des vierten Kapiteld weitläufrig ausgeführt, Da 
nun bier ein ſchweres Gericht über einen Theil der Menſch—⸗ 
heit, der in der moralifchen oder fittlihen Berfhlimmerung — 
nach unferem Sprachgebraud müßte ich Verfeinerung oder 
Aufklärung fagen — bis and Ziel des vierten Grades ges 
funfen ift, ergehen, diefen verworfenen und unverbefferlichen 
Menfchen den Stab gebrochen werden foll, fo ift es auch 
ſchicklich, daß der vollendende, fliegende Adlerferaph Kap. 4. 
D. 7. die fieben Schaalen gibt, und fie mit dem Zorn 
Gottes anfällt; denn daß diefes vierte Lebendige Wefen hier 
gemeint fey, duͤnkt mir fehr wahrfcheinlich zu ſeyn. 


7 0 


Kap. 16. V. 7. 8. 301 


Das Wort Phiala, welches gewöhnlihd durch Schaale 
überfegt wird, bedeutet eigentlich einen flachen Trinkbecher, 
deffen Rand rüdwärtd gebogen ift, ungefähr fo, wie eine 
umgefehrte Glode: diefe Schaalen find golden, denn fie ger 
hören zum Zempelgeräthe, welches nicht verroften darf, fon- 


dern immerwährend und beftäudig feyn muß. 


Diefe Schaalen füllt der Adlerferaph mir dem Zorn des 
Gottes an, der in die Unendlichkeit nie jtirbt, fondern in 
die ewige Ewigfeiten lebt, wo alfo feine Hoffnung ift, daß 


diefer Zorn je anfpbren werde, fo lang die Urfache währt, 


die ihn erregt. 

Ich werde hoffentlich doch wohl nicht ndrhig haben, meine 
Lefer zu erinnern, daß alle diefe Vorſtellungen vom Zorn 
Gottes uneigentlich verftanden werden muͤſſen; Gott ift un⸗ 
veränderlic” und die ewige Liebe, aber eben diefe görrliche 
Natur wird zur Qual, und in dem Grad zum Zornfeder, 
in welchem ſich ein Weien in eine entgegengefegte Natur 
verwandelt; was den Engeln und Heiligen Element der 
Seligfeit ift, das memliche ift den böjen Wefen Element 
der Qual und ded Jammers. Alle bibliihe Bilder und 
Ausdruͤcke richten fi) nach der Vorjtellungsart der Menfchen. 

Der achte Vers enthält eine fehr fonderbare Bemerkung: 
Der ganze Tempel ift vol Dampf von der Herrlichkeit und 
von der Gewalt des Herrn; denn jeßt zeigen fich dieſe bel— 
den Eigenfchaften in ihrer furchtbaren Größe; fo wie Glanz, 
Glut und Dampf eines im böchften Grad verzehrenden 
Feuers den Zutritt, die Annäherung eines Wefens, das nicht 
fenerbeftändig ift, ohne es zu zerfiören, nicht Zulaffen, fo 
darf ſich auch hier Fein endliches Weſen der erzürnten und 
über die Menfchen höchft ungnädigen Gottheit fo lange nd: 
bern, bis durch die Ausführung der fieben Plagen dieſer 
Zorn geftilt, der Gerechtigkeit Gottes ein Genüge geiches 
ben iſt. 


Wir leben in der Zeit der fieben Zornfchaalen — jet 


ift der Tempel voll Dampf — Herr erbarm Dich unfer! 





© 
ts 


0 - Erklärung” ber Offenbarung Johannis. 


- 


\ 


Das ſechzehnte Kapitel 


L Und ich. hörte eine aroße Stimme aus dem ne au 
den fieben, Engeln ſprechen: Geht bin! gießt die fies 
ben Schaalen des Zurns Gottes, auf die Erde aus. 

2. Und der erfie ging bin und goß ſeine Schaale auf die 

Erde aus; und es entſtund ein ſchlimmes bösartiges 
Geſchwür an den Menſchen, welche das Zeichen des 
Thiers hatten und ſein Bild aubeteten. 

3. Und der zweite goß feine Schaale ins Meer aus, und 


es war. Blut wie, eines Todten, und jede Iebmnpige 
Seele im Meer farb, 


Nun beginnt. das große und Teßte fiebenfahe Gericht 
über die grundverdorbene Chriftenheitz nach Vollendung 
deffelben ift dann Feind mehr übrig, ald dasjenige, welches 
die. babylonifche Hure, und. dann endlich das! Thier uud 
den falihen Propheten wegtilgt; dieß trifft aber mit der 
Bollendung der Plage aus der fiebenten Schaale zufammen, 

Eigentlich fängt die Wirfang der Schaalen mit dem 
Sinten des Thiers aus dem: Meer, und dem Beginn des 
großen Kampfs au, läuft mit diefem gleichzeitig fort, und 
hört: auch mit ihm auf. 

Sohannes hörte eine große Stimme aus dem Tempel, es 
war der ewiglebende erzürnte Gott felbft, ‚der da rief; denn 
nad) dem achten oder „legten Vers des vorigen Kapitels 
fonnte ja niemand in den Tempel gehen , folglich war aud) 
niemand darinnen, als der Herr felbft. Diefe Stimme gab den 
Befehl zur Ausführung der görtlichen Strafgerichte; dem zu: 
folge goß alfo. der erste Engel feine Schaale auf die Erde aus, 

Nach dem, was ich ſchon Hin und wiedersangemerft habe, 
bedeutet die Erde im propherifchen Wort einen Staat, der 
- feine geiftliche, regelmäßige, buͤrgerliche Verfaſſung bar; 
in diefem kann nun das Bild entweder die Menfchen felbit, 


za! Kap. 16. V. 1: bis 33 5053 


oder auch andere Gegenftände vorſtellen, welches dann aus 
der beſtimmteren Auszeihuung des Bildes, oder deffen Ans 
wendung gefolgert werden muß. Hier fteht num aus druͤck⸗ 
lich, daß. die Menſchen, welche das Zeichen des Thiers 
Hätten, und fein Bild anbeteten, von dem Ausgießen der 
erften Schaale böfe Geſchwuͤre befommen hätten, folglich 
trifft diefe Schaale audy allerdings die Menfchen, und es 
kommt nur darauf an, zu wiſſen, was dieſe bösartigen 
Geſchwuͤre find? fo ift bie Hieroglyphe der erften Schaale 
enthüllt, | 

Die fieben Abmikhelen bedeuten unftreitig die legen Ger 
richte Gottes über die abendländifche, over auch über vie 
ganze Chriſtenheit überhaupt ; da nun aus dem vorbergehens 
den und aus dem ganzen Zuſammenhang der hohen Offen» 
barung erhelfet, daß diefe Gerichte fon ihren Anfang ges 
nommen haben, fo ift Har, daß die Schaale des erften 
Engeld den Geift der Revolution enthalte, und Daß dieſer 
fie in die bürgerlihe Verfaffung der europäifchen Chriſten— 
beit im Jahr 1786 ausgegoffen habe!!! — Diejes Bild 
wird ganz vorzüglich treffend, fobald man einen folchen 
vevolutionsfüchtigen Menfchen näher beleuchtet. Das eigents 
liche Thier ift Selbſtherrſchſucht: zu Rom, oder nach. dent 


- Auffteigen aus dem Meer, bediente ed ſich des Aberglaus 


bens zum Mittel, und bei dem Auffteigen aus dem Abe 
grund dient ihm der Unglaube. Die Thiersanbeter find 
alfo entweder wirkliche Glieder der römifchen Kirche, und 
als ſolche allgemein herrſchſuͤchtig, oder fie find ungläubige 


u, Yroteftanten, die ihr Stolz und Eigendünfel nach unges 
bundener Freiheit lechzend, und im ihren eigenen Augen zu 


herrſchen würdig gemacht hatz dieſe find alfo Anbeter des 


nahen Thiers aus dem Abgrund, und fein geiftlihes Mahle 


zeichen, die falfche Aufklärung, tragen fie an Stirn und 
Hand, durch Denken, Reden und Schreiben. Jene Anbeter 
aus der römifchen Kirche find nichtö weniger als Fatholifche 
Chriften,, fondern eben fo gut aufgeflärte Ungläubige wie 
diefe, im Grund alle dazu geeignet, um getreue Anbänger 
des RER aus dem Abgrund zu werden. 


504 Erklärung der Offenbarnug Johannis. 


Es ift erflaunlih, wie mächtig dieſe erfte Zornſchaale 
gewürftshats Da, wo fie die Herzen zum. Empfung des 
Revolutionsgeiſtes vorbereitet fand, da erregte ſich alfofort 
das böfe, eiternde, unheilbare Geſchwuͤr der Revolutions— 
und Empoͤrungsſucht; durch ale die fchredlichen Folgen 
derfelden, die wir erlebt haben, find diefe bedauernswär: 
digſten Menfchen nicht geheile würden, fondern ihr. Gejchwür 
in Herzen eitert beftändig fort, und diefer Eiter vergifter 
dergeftalt alle Säfte des fittlichen Lebens, daß auch fonft 
gute gefittete Menfchen wuͤthend und graufam geworden find, 
und in ihrer Raferei Thaten ausgeübt haben, für denen. 
die Meufchheit zuruͤckbebt. 

Mer kann all den Jammer uͤberſehen, den dieſe 
ſchaale noch bewirken wird. 

Der zweite Engel goß ſeine Schaale ins Meer; — wenn 
man dieſes in Gegenſatz des prophetiſchen Sinnes des Bil« 
des der Erde annimiit, fo muß es ein unsrdentliches Ges 
wirre von mancherlei Nationen, Völkern und Sprachen bes 
deuten. Kap. 17. V. 15. Diefe Auslegung kann man hier 
ſchon gelten laſſen; doc) wird die Hierogiyphe noch deuts 
licher und treffender, wenn man unter dem Bild des Meere 
die Länder in und an dem Meer, welche befonders vom 
Sechandel leben, und deren politifche Verfaſſung auch dar⸗ 
auf vorzuͤglich eingerichtet iſt, mit einem Wort, die See: 
maͤchte verfieht; Stalien wird auch oft durch das Meer 
porgeftellt, weil ed im Meer liegt, daher kann auch diefes 
Dazu. genommen werden, 

Ueber diefe Seemaͤchte und Meeröbewohner goß alfo der 
zweite. Engel feine Zornjchaale aus. 

Ehe ich weiter gehe, muß. ich nod) eine notwendige Er: 
läuterung einſchalten: Allen ſieben Eugeln werden ihre 

Schaalen mir, dem‘ Zorn Gottes angefuͤllt — dieß müffen 
wir fo verfiehens Sie befonmen den Auftrag, unbeding- 
ten Gehorfam gegen Gott, gegen Chriſtum, gegen die 
ordentliche Obrigkeiten, gegen görtliche und menfchliche Ge: 
fege, und Fügung in jede bürgerliche Ordnung und Ber: 
foffung, unter Androhung ſchwerer Strafen, durch die 


Kap. 16. B. 1. bis 3. 505 


cabbhulichen Wege der goͤttlichen Regierung von den Mens 
fhen zu fordern; dieſe Forderung wird hier der Zorn Got— 
tes genannt, und das mit. recht; denn wenn ein erzürnter 
Monarch feinen untreuen und ungehorfamen Unterthanen 
geſchaͤrfte Maudate befannt macht, und ihnen im Zall der 
Beharrung in ihrer Widerſetzlichkeit mit ſchweren Strafen 
droht, ſo kann man ja ſagen, er gieße ſeine Zornſchaale 
uͤber das rebelliſche Volk aus; — beſonders wenn dann 
auch die angedrohte Strafe zugleich mit ausgeführt wird. 
So wie nun die fieben Engel diefen Befehl ausrichten , jo bes 
wirken ihre Schaalen bei den gerreuen Anhängern der Religion 
Gottesfurcht und Anwendung mehreren Ernftes in. dem 
Schaffen ihrer Seligkeit; bei den Aubetern des Thiers aber ents 
ſteht Muth und Empörung; denn ihr ganzer Geift ftrebt 
sach Abſchuͤttelung aller Banden des Gehorſams gegen irgend 
ein Wefen, und jet wird ihnen nun noch gar das Gewiſſen 
mit. firengen Forderungen eines genauen Gehorfams gegen 
Bott und Ehriftum ‚gefhärft — das ift ihnen unerträglid), 
und fo entfteht dann die Revolutionsſucht. Jetzt ijt bes 
greiflich, wie heilige Priefterengel Gottes durdy Ausgießung 
ihrer Schaalen den Gräuel der Revolution unter den Mens 
ſchen weden koͤnnen, ohne ‘daß weder ‚dem. heiligen und 
liebevollen Gott, noch auch feinen Engeln, etwas unan⸗ 
ftändiges zugefchrieben wird. 

Es erhellet aber auch zugleich aus diefer Erläuterung, 
daß die Zornſchaalen um fo viel. heftigere und bittere Wirs 
fung thun müfjen, je firenger, defpotifcher und ungerechter 
die Obrigkeiten herrſchen; diefen find daher dann auch jene 
Schaalen ein fohredliher Kelch des Zorns Gottes, den fie 
bis auf die Hefen austrinfen muͤſſen. Der Ehrijt gehorcht 
immer, fo lang man ihm nichts befieplt, das der Lehre feis 
ner Religion, das ift, den Geboten Gottes und Chrifti 
zuwider läuft, und auch dann greift er nicht zu den Wafs 
fen, fondern leidet, was ihm aufgelegt wird, aber er ger 
horcht nicht, ſondern ftirbt lieber; hingegen der Anbeter des 
Thiers iſt ſchon daruͤber aufgebracht, daß es höhere Stände 


unter den Menfchen gibt, als der feinige, denen er Ehrer⸗ 
Stiumg's fammel. Schriften. IN. Band 20 


506 Erklärung der Offenbarung Johannuis. 


bietung erzeigen und ihnen gehorchen follz daher erklärt 
er alle Menfchen für gleich, aber denen, die unter ihm find, 
ift er ein firenger Defpote. Daß e8 einen Gott gibt, das 
mag feinetwegen feyn, der hindert ihn nicht; aber Ehri- 
fius, ein Menfch wie er, der will die ganze Meufchheit 
beherrſchen, will gar Gott feyn — nein! das kaun er nicht 
ertragen, das empdrt fein Herz — und da er wohl fühlt, 
daß Chriftus denn doch wohl recht haben, auch wohl Bott 
feyn Fonne, und daß es niemand beffer zu feyn verdiene 
als Er, fo möchte er rafend werden, fyeit Gift und Galle 
gegen Chriftum und feine Religion, und wehe denen, die 
fih zu Ihm bekennen, wenn er Gewalt über fie bekommt. 
Dieß ift von jeher der Geift des Drachen, der verbot: 
gene Karakfter des Thiers aus dem Meer, und der offene 
bare Karafter des Ihiers aus dem Abgrund, und derer die 
ihm angehören; fordert nun Gott endlich beſtimmt: Ger 
horfam oder ewige Strafe, fo entftcher nothwendig 
eine Scheidung; dieß Ausfchütten der Zornfchaale verur⸗ 
fahrt und befchleunigt fie, von nun an ruft der Thiersane 
beter zum Feuerfee, und der Ehrift zum Reith Gottes. 
Kap. 12. B. 11. 

Die ſieben Zoruſchaalen enthalten alfo alle einerlef Ma— 
terie, nämlich) den, unbedingten Gehorfam fordernden Zorn 
Gottes; daher thun fie auch bei Guten und Boſen überall 
einerlei Wirkung; in der bürgerlichen Verfaffung auf ver 
Erde erregt die erfte Schaale daB böfe Herzensgefchwür 
der Revolutionsſucht; die zweite, welche nun ins Meer ges 
Hoffen wird, verwandelt dieß Element: in Blut eines Tode 
ten — alles Leben und Bewegen hört anf dem Meer auf, 
das Kommercium zur See, die große Handlung fiodt, die. 
Seemaͤchte Fämpfen auf dem Meer, und färben ed mit 
ihrem Blut, jede fucht die Ulleinherrfchaft des großen Dcer 
ans, und in Oft: und Weftindien, und um die Erde herum, 
wuͤthet der Krieg. Ueberall, auch im Spunern der Seeſtaa⸗— 
ten, würhet die Revolution, und fo erftirbt nad) und nad 
jeder Geift wahrer und müßlicher ee zu — 
und zu Land. 


Dieß alles Hat ſchon wirklich feinen Anfang genommen, 
die zweite Schaale iſt ausgegoffen, und Gott weiß allein, 
wie weit ed noch gehen wird! 


4. Und ber dritte goß feine Echaale aus in die Fluͤſſe 
und in die Waflerquellen, und es ward Blut. 

5. Und ich hörte den Engel der Gemwäffer ſagen: Du 
bift gerecht! der ift, und der war, der Heilige! daß 
du dieſes geurtheilt haft. 

6. Denn fie haben das Blut der Heiligen und der Pros 
pheten vergoffen, und Blut haft du ihnen zu trinken 
gegeben, fie finds werth! 

7. Und ich hörte aus dem Altar fagen: Ja! Herr Gott! 
Alherrfher! wahrhaftig und gerecht find deine Gerichte, 


Mafferquellen, Bäche und Flüffe wäfern Fluren und 
Auen, und machen die Erde fruchtbar, auch löfchen fie 
Menfben und Thieren den Durft. Wenn nun die Erde 
die bürgerliche und politifhe Verfaffung bedeutet, fo müffen 
Bäche und Ströme den Geift der Denkungsart einer Nation 
vorſtellen; denn die Erfenntniffe, wiffenfchaftliche und tech—⸗ 
nologifche, oder mit einem Wort, die gefammte Aufklärung, 
bildet, ändert und modifizirt jede Staatsverfaffung, und 
gibt ihre ihre Richtung; die Brunnen und Wafferquellen 
find daher alle Lehr- und Aufflärungsanftalten eines Volks, 
oder feine gefammte Litteratur, mit allem was dazı gehört. 

Auf diefe gießt der dritte Engel feine Schaale aus, und 
ihre furchtbare Wirfung fing an, ald Robespierre das 
Schreckens⸗ oder Terroriſtenſyſtem gründete: die ganze Dens 

kungsart der republifanifchen Herrfcher und ihrer Millionen 
ward Blut, alle Grundfäße, nach denen fie handelten, und 


alle Quellen, woraus fie fhöpften, wurden zu Blut, und 


die Zornfelter des Allmächtigen, die Guillotine war allen= 
thalben in Thätigkeit. 

Jetzt herrfchen gemäßigtere Gefinnungen,, aber wie lange? 
das weiß Gott; die dritte Schaale ift ausgegoffen, und 
je nachdem es die Politik erfordert, kann man ja wieder 


dazu feine Zuflucht nehmen; mit diefem Schredensfpftem 
f — 


508 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


zwingt das Thier aus der Erde, der falfche Prophet, alles, 
und die in Blur verwandelte Auffläruhg rechtfertigt alles; 
wie weit diefe Verwandlung fi fchon erfirede, oder noch) 
erftrecken werde, das wird die Zeit lehren. 

Aeußerſt merfwärdig ift die. Rechtfertigung der göttlichen 
Gerichte, die hier ein Engel ausfpricht, und eine Stimme 
aus dem Altar befräftiget. Der Engel des Gewäffers preißt 
Gott, und fagt: Gerecht bift Du, der Du bift und warft, 
Du Heiliger, daß Du fo verfährft! — — und warum; 
Sie haben das Blut der Heiligen und Propheten vergofjen, 
jeßt wird wieder das ihrige vergoffen, gerad ſo, wie ſie es 
vxerdient haben. 

Die morgenlaͤndiſchen Voͤlker glaubten, daß jedes Ele⸗ 
‘ment einen Engel zum Vorfteher habe; diefes Volksbegriffs 
bedient ſich hier die. hohe Offenbarung: Der Engel ver 
Waſſer, in deffen Gebiet diefe Zornfchaale ausgegoffen wor: 
den, rechtfertigt ihre Wirkung, die Verwandlung in Blut; 
fo wie aber die Waſſer felbft  finnbildlicy oder prophetifch 
zu verfiehen find, fo auch ihr Engel. — Diefer bedeutet hier 
die jedem wahren Chriften ſich aufdringende Weberzeugung: 
Die Nation, welche von der Zeit der Reformation an, bis 
daher, fo manches Hugenotten Blur vergoffen, fo manchen 
Blutzeugen Jeſu unter den Altar, oder ans gläferne Meer 
gefchickt, und noch vor hundert Jahren viele Taufende aus 
ihrem Vaterland gejagt hat — diefe nämliche Nation trinkt 
jegt Blut wie MWaffer!! und viele Taufende pilgern jeßt im 
Elend, ohne daß man im Stande ift, es fo zu lindern, 
wie vor hundert Jahren. Diefe Schaale wird befonders Die 
roͤmiſchgeſinnten Staaten mit ihrer fürchterlichen Inquiſition 
und alle diejenigen Länder vorzüglich treffen, die durch Vers 
folgung wahrer Chriften, Blutſchulden auf fich geladen haben. 

3a, Herr! — Du Ewiger! Du lebft noch jegt, das ſieht 
man vor Augen, eben fo wie ehmals, — Du Heiligfter! 
der Du Fein Unrecht unvergolten Yäffeft, ja! — Du bift 
gerecht! — und die Seelen unter dem Altar hallen es wie 
ein Echo nah: — Ja, Herr Sort! Allperrfcher! Ja! Deine 
‚Gerichte find wahrhaftig — fie find gerecht. 


Kap. 16. V. 8. 9. 309 


8. Und der vierte goß ſeine Schaale auf die Sonne aus, 
und es wurde ihr gegeben, die Menſchen mit Feuer 
auszudorren; 

9. Und die Menſchen wurden * die große Hitze aus⸗ 
gedbrrt, und fie läſterten den Namen Gottes, welcher 
Macht hatte über dieſe Plagen, und fie änderten ihre 
Geſi innungen nicht Ihm bie Ehre zu geben. 


Wir haben bei andern Gelegenheiten gefunden, daß die 
Sonne die Religionsquelle eines Volks bedeute; ſiehe meine 
Erklärung des 12. und der folgenden Verſe des 6bten Kapi— 
telö; das nämliche bedeutet fie auch hier. Ju der roͤmi— 
fhen — nicht in der Eatholifchen Kirche überhaupt — find 
die Traditionen und die Befchlüffe der Hierarchie die Reli— 
gionsquelle, und in der proteftanrifchen beginnt es nun die 
Moral, Sitten und Tugendlehre, ohne den Einfluß der 
Verföhnungstehre und der Wirkungen des heiligen Geiftes 
zu werden. Ueber diefe Lichtöquellen gießt-nun der vierte 
Engel feine Zornfchaale aus. Das ift: Durch alle die er: 
ſtaunlichen Vorfälle diefer Zeit verbittert und erzürnt, machen 
die augenfcheinlichiten Beweife der Gerechtigkeit Gottes Feis 
nen Eindruck auf die römische Geiftlichkeit; fie follte ja 
billig nüchtern werden und einfehen, daß fie alle diefe Stra— 
fen an ihren Brüdern, die fie fo blutartig verfolgt hat, vers 
dient hatte; allein Feineswegs! — fie beftarft ſie noch mehr 
in ihrem Syſtem; anftatt daß fie ihre Sonne erwärmen, 
erweichen,, und zur Sruchtbarfeit fähig machen follte, doͤrrt 
fie fie aus; denn der Zorn Gottes ift auf fie gegoffen. Wie 
koͤnnte das aber auch möglich feyn, da es allenthalben an 
Lebenswaffern fehlt, alö welche ja alle in Blur verwandelt 
find; — ohne Feuchtigkeit dörrt die Sonne aus, macht 
unfruchtbar und tödtet das Leben, anftatt es anzufachen. 

Die neuen Lehrer nach der Mode in der. proteftantifchen 
Kirche werden "mit der Zeit auch die Wirkung der Zorns 
ſchaale an ihrer Sonne fehr tief und ſchmerzlich empfinden, - 
wenn auch einmal die boͤſen Gefchwüre unter ihren Glaus 
bensgenoſſen Herrfchend, und ihre Waſſer in Blut verwans 


510 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


delt werden follten; — da werden fie dann fehen, daß auch 
‚ihre Sonne ausdoͤrrt, und die Menfchen wuüthend für 
Hige made. 

Das Läftern des Namens Gottes, der Macht über alle diefe 
Plagen hat, ift jeßt fchon bei den Thiersanbetern allgemein: . 
Man fchreibt alle die fchredlichen Schickſale, die die Chriftenheit 
betreffen, nicht der Vorfehung Gottes zu; man glaubt nicht, 
daß fie wohlverdiente Gerichte feyen, fondern man hält fie 
für natürliche Uebel, weldhe fo von felbft aus der einges 
ſchraͤnkten menſchlichen Natur nothwendig und undermeid: 
lich entfpringen müßten; wodurch denn mit der Zeit ein 
größeres Gluͤck für die Menfchheit hervorgebracht würde, 
Ja wohl, das glaub ich auch! — aber auf eine ganz anz 
dere Weiſe, als fie fich vorftellen. Sie ändern alfo ihre 
. Sefinnungen nicht — fie thun nicht Buße, und geben Gott 
nicht die Ehre, daß Er in dem Allem feine allwaltende 
Hand habe, 


.10. Und der Fünfte goß feine Schaale auf den Thron 
des Thiers aus, und fein Königreich wurbe verfin⸗ 
ftert, und fie zerbiffen fic) ihre Zungen für Sammer; 

11, Und fie läfterten den Gott des Himmels wegen ihrer 
Leiden und wegen ihrer Geſchwüre, aber fie änderten 
ihre Gefinnungen nicht über ihre Werke. 


Auch dieſe Zornfchaale haben wir noch vor wenigen Monas 
ten ‚erlebt; der Zorn Gottes ift über den römifchen Thron 
‚ auögegoffen, fein Königreich ift verfinftert, und alle die von 
ihm abhängen, mögen ſich wohl für Sammer in die Zungen 
beißen, und dürfen doc) nichts fagen. Aber Gott läftern ! — 
das dürfen fie — fie fluchen über die Revolution und über 
ihre Gefhwüre der Revolutionsfucht, aber anftatt, daß fie 
in fi gehen und nachdenken follten, daß fie das alles durch 
ihre Greuelthaten verdient hätten; anftatt daß fie fih zu 
dem Gott, der die Himmel beherrſcht, und zu Ehrifto, dem 
Könige der Menfchen, reumüthig wenden, und um Gnade 
flehen follten; ftatt deffen läftern fie beide, Das alles gehet 
ja natürlich zu, und Chriſtus mag ein guter frommer 


Kap. 16. B. 12. bis a Sl 


Schwärmer gewefen feyn, aber mit dem allem hat. Er nichts 
zu fchaffen. Gott erbarme ſich diefed Jammers! 

Hier ftehen wir jegt, meine lieben Lefer! was nun 
folgt, das liegt noch in der nahen Zukunft verborgen; das 
große Thier iſt eben jegt in den Abgrund geftiegen,. bald 
wird es wieder zum Vorfchein fommen, uud dann alles 
wohl vorbereitet finden. 


12, Und der fechste goß feine Schaale auf den großen 
Strom Cuphrat aus, und fein Waffer vertrock— 
nete, damit den Königen vom Anfang der Sonnen 
her der Weg bereitet würde. 


15. Und ich fahe aus dem Maul des Draden, nnd aus 
dem Maul des Thiers, und aus dem Maul des fals 
fhen Propheten, drei unreine Geifter wie Fröfche 

he geben. 

14.68 find nämlich Geifter der Dämonen, die Zeichen 
— thun, auszugehen zu deu Königen der ganzen bes 
wohnten Erde, fie zu verfammeln in den Krieg jenes 
großen Tages Gottes, des Allherrſchers. 


Der große Strom Euphrat entfpringt in Afien iu den 
armenifchen Gebirgen, und fließt gegen Suͤdoſten, bis er fi 
‚endlich im den. Perfiichen Meerbuſen ergießt; er iſt in der 
aſſyriſchen, perfiichen, griedifchen und den roͤmiſchen Mo— 
narchien immer berühmt gewefen, und die heilige Schrift 
gedeuft feiner. von 1 Mof. Kap. 2. V. 14, au, bis hieher 
in der Offenbarung Johannis, gar oftz jest ſteht er unter 
tuͤrkiſcher Gewalt, und feine Ufer find allenthalben mit 
Muhamedanern bewohnt, 

Es iſt wahrfcheinlih, daß hier unter dem Euphrat fos 
wohl jene Gegend felbft, als auch im prophetifchen Siun 
die Gefiunungen, Denkungsart und der Grad der ‚Öeiftess 
kultur der Völfer verftanden werde, melche die Läuder am 


Euphrat bewohnen; wenn alfo der fehste Engel feine Schaale 


ausgießt, welches vermuthlich jetzt ſchon geſchieht, oder Doch 
naͤchſtens gefchehen wird, fo wird die ganze Türkei mit dem 
Revolutionsgeiſt erfült werden, und ebenfalls eine große 


312: Erklärung der Offenbarung Johannis, 


Zerrüttung und Veränderung in diefem Reich „entftehen. 
Das alles, was wir in unfern Tagen von dorther hören 
und erleben, ift Aufferft bedenklich. 

Daß die beiden Schenkel und Füße an Nebufadnezars 
Monarchenbild die beiden römifchen Reiche im Orient und 
Occident bedeuten, ift unftreitig; daß die Türfen das oriens 
talifche eroberten, macht im Schenkel felbft Feine Veraͤn— 
derung, denn dad nämliche Reich dauert doc) -immerfortz 
beide Schenkel werden aber zugleih mit dem ganzen Bild 
durch den großen Stein zertrümmert werden, der hernach 
zum großen Berg, zur Baſi s des herrlichen Reichs Chriſti 
wird. Siehe Dan. 2. 

Hier finden wir nun die weitere Ausfaͤhrung dieſer Weif« 
ſagung Daniels —, wer das lieſet, der merke darauf! 
Matth. 24: V. 15. Durch die fechöte Zornfchaale wird das 
Lebenswaffer der muhamedanifchen Religion auch ausgetrocs 
net, reigeifterei und Revolutionsfucht an deffen Stelle herr: 
ſchend werden, und der ſchreckliche Druc der türfifchen, und 
überhaupt der morgenlandifchen defpotifchen. Regierung wird 
die Gemüther nad) Freiheit lechzend machen. Bielleicht koͤnnte 
man einwenden, dort fey denn Doc Lurus und Aufklärung 
fo weit noch nicht vorgerüct,, daß die Revolutionsſucht das 
ſelbſt Wurzel fchlagen koͤnne; — allein dazu bedarfs eben 
Feiner großen wiffenfchaftlichen Kenntniffe; zur ungebundenen 
Freiheit und Herrfchfucht ift auch der rohefte Barbar geneigt; 
dieß wird alfo die Wirkung der fechsten Zornfchaale nicht 
aufhalten. 

Der Erfolg diefer Zornfchaale ift, daß dadurch den Koͤni⸗ 
gen vom Anfang der Sonne her der Weg bereitet wird, 
Wie das nun wird erfüllt werden, das wird die Zeit lehren ; 
einige Winfe dazu geben die zwei folgenden Verfe, denn da 
heißt ed: Der Drache, das Thier, welches nun aus dem 
Abgrund auffteigt, und das Thier der Erden, hätten drei 
unreine Geifter, den Froͤſchen ähnlich, ausgefandt, um alle 
Könige der bewohnten Erde, das ift, in Aſia, Afrika und 
Europa (in. Amerika find Feine Könige, ob es auch Theil 
nehmen wird, das wird fich zeigen) im ihr Intereſſe zu 


Kap. 16. B. 15. 16°‘ 513 


ziehen; und dieſes wird in einem allgemeinen Bündniß der 
geſammten Menfchheit, im fofern fie in bürgerlicher Verfaſ— 
fung lebt, beftehen, um alles zu einer allgemeinen Weltres 
publif zu bilden, in welder dann der Drache, das Thier 
und der falfche Prophet freie Hand haben würden. Daß 
man dann unter der Hand das Chriftenthum, und nad) und 
nach jede Verehrung ded wahren Gottes von der Erden vers 
tilgen würde, das verfteht fich von felbit, und fo hätte dann 
der alte Drache fein erfted großes Ziel, das er fchon im 
Paradies begonnen, doch erreicht — aber es wird ihm ges 
waltig fehl fchlagen, wie nun der Verfolg zeigen wird. 

Die Frofchgeifter find Wefen, die auf der Erde und im 
Waſſer leben konnen, und dabei gewaltig viel am Maul 
haben, um durdy ihre Koaren die Welt zu verkehren; fie 
fönnen ſich mit Lehren und Aufklären abgeben, denn fie leben 
im Waller: aber fie verftehen ſich auch auf die Politif, und 
koͤnnen Staatöverfaffungen republifanifiren. Unter welcher Ges 
ftalt fie erfcheinen werden, das wird man dann fehen. ie 
find auch Geifter der Dämonen, Weſen aus dem Geifters 
reich, die aber vermutlich durch Menfchen wirken, und 
Thaten ausrichten koͤnnen, die jedermann in Erftaunen feßen 
und ihnen Kredit verfchaffen ; dadurch werden ſich dann Die 
Könige der Erden bewegen laffen, in ein allgemeines Bünds 
niß zu treten, umd fih mit ihren Armeen zu verfammeln; 
wo, und zu welchem Zwed? das wird die Zeit lehren; fo 
viel aber fehen wir, daß ihre allgemeine Niederlage am 
großen und fchredlichen Tage Gottes, des wahren Allherr⸗ 
fbers, geichehen werde, und diefe Niederlage wird total 
und auf ewig enticheidend feyn, wie fi im Verfolg zeigen 
wird. Kap. 19. V. 521. 
45. Siehe! ich komme wie ein Dieb: felig ift, der da 
wacht, und’feine Kleider bewahrt, damit er nicht 

nacdend umher wandelt, und man feine Schande fehe. 
| 16. Und er verfammelte fie an einem Ort, der auf Des 

brätfch Armagedon genannt wird, 

Da haben wir nun den merkwuͤrdigen Zeitpunkt, wo der 

Herr Jeſus Chriſtus, der König aller Könige, endlich eins 


\ 


514 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


mal erfcheinen, und die Geduld und den Glauben ber Heiz 
ligen belohnen und Frönen wird. Das 19te Kapitel befchreibt 
diefe Zukunft herrlich und majeftärifch; und bei feiner Erz 
lärung werden wir Gelegenheit haben, uns umftändlicher mit 
diefer frohen Materie zu unterhalten. | 

Diefer 15te Vers ift äußerft wichtig, und wird nicht ohne 
Urſach hier am rechten Drt eingefchaltetz Denn wenn man 
einmal von: diefer allgemeinen Koalition hören, und das 
Berfammeln zu Armagedon gefchehen wird, dann mag man 
Aufpaffen, Wachen, Beten und fi mit der himmlischen 
Uniform, mit den Kleidern der Gerechtigkeit Jeſu Ehrifti, 
ſchmuͤcken; denn die elenden ftinfenden Lampen der Morals 
tugend bedecken unfre Schande nicht; dann ift der durch ſo 
viele Jahrhunderte erwartete und erflehte Edle, der über Land 
zog, vor der Thür, und zwar fo unvermuthet wie ein 
Dieb, der in der Nacht einbriht, den ——— Haus va⸗ 
ter uͤberfaͤllt und ihn feſſelt. 

Sort! wie wird einem da zu Muthe fein, und die Zeit 
ift fo nahe — fehr wahrfcheinlich find nur noch wenige Fahre 
bis dahin, längftens noch acht und dreißig ; vermuthlich währe 
e8 auch nicht lang mehr, denn um der Auserwählten. willen 
follen ja diefe Tage abgekürzt werden! — welch ein Schreden 
wird da die Alliirten zu Armagedon überfallen, und wie mag 
dann denen zu Muth feyn, die Chriſtum und feine Verſoͤh—⸗ 
nungölehre, fein Evangelium und diefe Offenbarung fo 
lächerlich fanden? — dann wollen wir fehen, wer * 
behaͤlt!!! — 

Der 16te Vers iſt in ein heiliges Dunkel BR wer 
die Könige der Erden mit ihren Armeen verfammelt, das ift 
zweideutig; es kann nach der Meinung bewährter Ausleger 
auf den Engel gedeutet werden, der Die fechöte Schaale aus: 
gießt; es kann aber auch Gott, der Allperrfcher , feyn, mit 
deffen Benennung der 14te Vers ſchließt; im Grund iſts auch 
einerleis Die Zornfchaale ift die wirkende Urfache von Dies 
fem Allem, und Gott der Urheber diefer Schaale. Aber wo 
der Ort fein mag, der hier Armagedon heißt, das follen 
und wollen wir nicht errathen. Wenn das Wort Harmageddon. 


Rate Bır 1a 515 


und der Berg bei Megiddo heißen fol, fo wird wahrſchein⸗ 
li) auf Zah. 12. V. 11. oder auch auf 2. Chron. 35. V. 23. 
gezielt, allein das alles ift ungewiß; wenn einmal die Zeit 
kommt, dann wird auch dieß deutlich, und die Ehre Gottes 
und diefer Weiffagung legitimirt werden, 


17. Und der fiebente goß feine Schaale in die Luft aus; 
und es kam eine große Stimme aus dem Tempel des 
Himmels, vor dem Thron ber, die ſprach: Es ift 
geſchehen! 

18. Und es entſtunden Blitze, und Stimmen, und Dons 
ner; und es entftund ein Erdbeben, fo gruß als noch 
Feind gewefen ift, feitdem Menfhen auf deu, Erden 
waren; fold ein Erdbeben, fo groß! 


Die Zornfchaalen treffen alle vier Elemente s Der erfte Engel 
gießt feine Schaale auf die Erde; der zweite, dritte und fechäte 
leeren fie aufs Maffer aus; der vierte erhigt die Sonne, als 
den Quell des Elementarfeuerd; und der fiebente trifft end» 
lich die Luft. Dem fünften fünnte man auch noch feinen Guß 
zur Erde rechnen, auf welcher der Stuhl des Thiers befinds 
lich ift. Alle Elemente der moralifhen. Natur werden alfo 
dadurch zu Merfzeugen diefes letzten Gerichts über die Chris 
ftenheirz die politifche Verfaffung, naͤmlich die Erde, die 
- Aufklärung oder das Waffer, die Religion, das ift, die 
Sonne, und nun auch noch die Luft, nämlich der aus allen 
obigen Elementen gemifchre Nationalgeift, herrſchender Ges 
ſchmack, Lurus und Mode, mit einem Wort: Die ganze 
Richtung des Denkens, Redens und Handelns; dieß Alles ! 
Alles wird zu Strafwerkzeugen für die Anbeter des Thiers 
und für die grundberdorbene Chriſtenheit, und daher ift aud) 
num nichtd mehr übrig, der Allyerrjcher donnert von feinem 
Thron ber: Nun ift das Gericht vollendet! 

Die ſchrecklichen Wirkungen diefer legten Schaale find 
auch nun entfcheidend: Ale Werkzeuge der ftrafenden Ges 
vechtigkeit zeigen ihre Dereitwilligfeit, dem großen wahren 
Alleinherrfcher zu dienen; Blige, Töne und Donner melden 
fih, und fprecyen : Hei wir find bereit! — 


316 Erklärung der Offenbarung Zohannis, - 


Der erfte Erfolg des Erguff es der ſiebenten Revolutionsſchaale 
iſt ein nie erhoͤrtes, von Menſchen nie erfahrnes Erdbeben. 

Bei diefer Stelle bitte ich meine Lefer, ſich zu erinnern, 
was ich oben in meiner Erklärung des 6ten Kapitels über 
den 12ten bis 17ten Vers gefagt habe; jedes Finalgericht 
über einen Theil der Menfchheit wird vom Geift der Weiſſa— 
gung unter folhen Bildern vorgeftellt, die auch vom legten 
allgemeinen großen Meltgericht gebraucht werden; allein da= 
ran ift es hier noch lange nicht, dieß allgemeine Gericht, 
oder den eigentlichen jüngften Tag, finden wir erft nach den 
taufend Fahren des Reichs Chrifti. Kap. 20. V. 11— 15. 
Dem zu Folge müffen alfo aud) die Bilder, von denen hier 
die Rede ift, abermal nicht wörtlich, fondern prophetiſch vers 
ftanden werden; wiewohl ich deswegen auch nicht fagen will, 
daß ſich die oukere Natur in dieſen Gerichten gar nicht 
melden werde. 

Dieß nie erhoͤrte Erdbeben iſt ſo zu verſtehen: Wenn nun 
endlich nach Ausgießung der ſiebenten Zornſchaale, die Re— 
volutions- und Empoͤrungs-, Freiheits-und Herrſchſuchts⸗ 
wuth allgemein und allwaltend aufs hoͤchſte geſtiegen iſt, ſo 
werden ſich alle Bande der buͤrgerlichen Geſellſchaft aufloͤſen, 
Fein Menſch wird für ſich und die Seinigen und für feine 
Güter und Eigenthum mehr Sicherheit, und daher Feine 
bleibende Stätte mehr finden; und da nirgends die Erde, 
die politifhe Verfaffung, ruhig, fondern überall in dem 
heftigften Beben ift, fo werden die Menfhen für Augft mit 
den Zähnen klappern, und feinen Rath wiſſen, gerad fo, 
wie wir jeßt fchon ein Fleines Vorſpiel an den franzdfifchen 
Emigrationen erleben ; wie aber, wenn einmal die ganze be= 
wohnte Welt in folchen heftigen Erſchuͤtterungen fteht, wo— 
bin fol man dann fliehen ? — Wir wilfen es, meine fie: 
ben! — der Herr wird feine Getreuen dann erretten; Stil: 
lings Heimweh hat die Winke dazu gegeben: Es gibt ein 
Solyma, weldes ein Gofen für uns feyu wird, wo 
uns feine diefer egyptifchen Plagen treffen kaun. 
19. Und. aus der großen Stadt wurden drei Theile, und 

die Städte der Nationen fielen, und die große Bas 


f l 
Rap.’ 16.8. 19. bis 21. 517 


bylon wurde in Erinnerung vor Gott aebracht ‚um 
ihr den Weinbecher feines grimmigen Zorns zu geben. 
20. Und jede Jnſel entflohe, und Feine Berge wurden 
‚mehr gefunden. 
91. Und ein großer Hagel, fo ſchwer wie ein Talent, 
fiel ans dem Himmel auf die Menfchen, und, bie 
Menfchen läfterten Gott wegen der Plage des Hims 
mels, die fo fehr groß war, 


Die ferneren Wirkungen der fiebenten Zornfchaale, die dad 


Erdbeben zur nächften Urfache haben, werden in diefen drei 


Verſen erzähle: Erft wird die große Stadt durd die Erd: 
beben in drei Theile zerträmmertz; die natürlichen Erdbeben 
pflegen wohl ſolche Veränderungen auf der Erdoberfläche zus 
wege zu bringen,. wie man davon die neueften Beifpiele in 
Kalabrien ‚hat. 

Daß die große Stadt, von welcher hier geredet wird, daß 
fie drei Theile geworden ſey, die große Babylon nicht fey, 
. davon bin ich überzeugt, denn diefe wird ja nun auch vor 
Gott in Erinnerung gebracht, und hier durch den Vortrag 
des heiligen Sehers ausdrüdlich unterfchieden: Jeruſalem 
Kann ed aber eben fo wenig ſeyn; denn diefer Ort kann wes 
‚gen der Gebirge, die ihn von Morgen, Mittag und Abend 
umgeben, nie eine große Stadt werden, wenn man fie mit 
andern großen Städten in Bergleihung ſetzt; ich glaube, «6 
ift die Stadt, von welder "Kap. 11. V. 8. fo geheimnißvoll 
geredet wurde; fie gehört unter das Siegel der fieben Dons 
ner, folglich darf man noch nichts darüber beftimmen; wenn 
ſich einmal die zween Zeugen zeigen werden, dann ift das 
+ Siegel erbrochen, und dann werden wir ſehen, wo die große 
re Stadt ift. 


Dann heißt es ferner: Die Städte der Heiden fielen, fie 
| — vom Erdbeben zuſammen: das iſt, nachdem die alls 
gemeine große Hauptfladt der Empörung durch drei Partheien 
zerrüttet worden, fo geht es nun allen ihr untergeordneten 


Städten der vevolutionifirten Nationen nod) viel, ſchlimmer, 
ſie serfallen gan}. 


318 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Daß große Elend, welches durch alle diefe Zornfchaalen, 
und befonders durch dieß unerhörte Erdbeben, verurfacht wird, 
bringt die Himmelösbewohner, vermuthlich die vier und zwan⸗ 
zig Aelteften, dahin, daß fie der großen Babylon vor Gott 
gedenken, weil fie doch im Grund die erfte Haupturfache 
alles dieſes Jammers iſt: Diefe hats verdient, fagen fie, 
daß du fie den Becher deines grimmigen Zorns bis auf die 
Hefen ausfchlürfen läffeft. Es geſchieht aber auch, wie wir 
in den folgenden zweien Kapiteln finden werden. 

Die Zufeln find die Erde im Meer, alfo die politifche Vers 
afung der Seeftaaten, daß diefe dad Erdbeben ganz weg 
jagt ? ift natuͤrlich. 

Die Berge bedeuten in der politifchen Verfaffung die höhes 
ven Stände, und die Thäler die geringern; daß jenes polis 
tifhe Eröbeben die Erde ganz ausebnen, und alle Stände 
gleich machen werde, das verfteht fich von felbft. i 

Endlich Fommt nun noch der große Hagel dazu, in wels 
em jeder Stein oder Hagelfern ein Talent d. i. 125 Pfund 
wiegt; wem diefer auf den Kopf fällt, ver ftärzt hin ohne 
wieder aufzuftehen. Hagelwetter bedeuten in der prophetiz 
fchen Sprache Krieg; wir finden davon ein Beifpiel Kap. 8. 
DB. 7. unter der erften Pofaune, Hier wird vermuthlich daß 
naͤmliche darunter verftanden ; die nunmehr ganz zerrütteten 
Nationen werden fich durch innerliche ‚Kriege felbft ganz aufs 
zeiben, und dann, ohne fich zu befehren, oder das Alles 
als göttliche Gerichte über ihre Greuel anzufehen, in die Aufs 
ferfte und niedrigfte Barbarei wieder zurückfinfen, ed werden 
aber wohl nicht viele alle diefe ſchrecklichſten Landplagen 
überleben. 

Durch diefe Erklärung des Geheimniffes der fieben Zorns 
fchaalen wähne ich Feineswegs die ganze Bedeutung erfchöpft 
zu haben; es Fann wohl feyn, daß fie im Verfolg ihre Wir- 
fungen immer deutliher, und auch wohl ins phoſi ſche uͤber⸗ 
—— — 





Kap. 17. V. 1. bis 3. 519 


/ 


Das fiebenzehnte Kapitel, 


1. Und es Fam einer von den ſieben Engeln, welche bie 
fieben Schaalen hatten, und er redete mit mir und 
fprah: Komm ber! — ich will dir das Gericht über 

die große Hure zeigen, welche auf vielen Waffern fist. 

2. Mit welcher gehuret haben die Könige der Erden, und 
von deren Hurenwein die Erdenbewohner trunken wors 
den find. 

5. Und er führte mic) in der Entzüclung weg in die Wüſte; 
und ich fahe ein Weib auf einem farmofinrothen Thier 
figen, welches mit Namen der Läfterung angefüllt ssar, 
und fieben Köpfe und zehu Hörner hatte, 


- Menn man die Apofalypfe nur fo obenhin und nicht mit 
der gehörigen Aufmerffamfeit Tiest, fo kommt fie einem wie 
ein verworrened Gemifche von feltfamen, aber doch großen 
und majeftärifchen Bildern und Ausdräcen vor; fobald man 
fie aber mit dem prophetiſchen Licht, mit Gott ergebenem 
Sinn, und feiner Erleuchtung offener Seele betrachter, fo 
erfcheint fie in einer ſolchen wohlgewählten Ordnung, daß 
man ſchon daraus ihren göttlichen Urfprung erkennen Fann. 
Mer diefe meine Erklärung derfelben aufmerffam betrachtet, 
der wird das Alles fo finden, und Gott über diefen herrlichen 
- Schluß feines heiligen Worts verherrlichen, 
Die fieden Schaalen find num ausgegoffen, und damit nun 
auch diefes vierte Gericht über die abendländifche Chriften: 
heit vollendet; jet find aber nun noch die vier. Hauptfeinde 
übrig, namlich? Die babylouifche Hure, das Thier aus dem 
Meer und Abgrund, mebft dem Thier aus der Erden oder 
dem falfchen Propheten , und endlich dem Drachen felbft.- 
Das Gericht über diefe viere Läuft, wenigftend zum Theil 
noch, mit den legten Zornfchaalen gleichzeitig fort, allein 


J 


520 Erklärung: der Offenbarung Johannis, 


der heilige Seher kann doch nicht alles zugleich erzählen, da= 
her folgt zwar eins regelmäßig aufs andere, fo wie ed nach— 
einander in Erfüllung geht, aber bei jeder neuen Erzählung 
muß denn doc) der Erzahler oft der Zeit nach wieder zuruͤck— 
gehen, und noch einiges nachholen. Dieß ift nun aud) bei 
diefem 17ten Kapitel der Fall: Zohannes wird in feinem Ges 
ficht jetzt wieder in die fünfte Zornſchaale zurück verfeßt, 
wodurch nämlich der Thron des Thiers verfinftert wird, im 
diefem Zeitpunkt fieht er das Weib auf dem Thier reiten. 

Hier muß ich eine Auferft wichtige Bemerkung machen. 

Gerade jeßt, diefes 1798fte Jahr, ift der Zeitpunkt, in 
welchem Johannes in feiner Entzuͤckung das Gefiht des 17. 
Kapitels ſahe; und es entfteht die höchft merfwärdige Frage: 
Warum und jeßt Lebende der hohe und erhabene Geift der 
MWeiffagung, für allen Zeitgenoffenen der verfloffenen 1700 
Sahre, feit der Publikation diefer Offenbarung, gerade ges 
wiürdiget habe, durch einen Engel eine genaue Erklärung 
dieſes Gefihtd zu geben? — denn vermdge des Tten und 
aller folgenden Verſe dieſes Kapitels, wird dem heiligen 
Seher durch einen Engel alles erklaͤrt! — 

Die Antwort hierauf iſt nach meiner geringer Einſi cht fol⸗ 
gende: Es gab während dieſen Jahrhunderten keinen Zeite 
punkt, in welchem eine ſolche Erklaͤrung fo nöthig war, wie 
eben jet; wir fehen, daß der Unglaube und die bloße Vers 
nunftreligion dergeftalt wächlt, daß fie alles zu verfchlingen 
droht; die fo Aufferft vernünftige und feſtgegruͤndet fcheinende 
Philoſophie vernünftelt uns ‚Chriftum und die Bibel weg, 
und man kann fid) Faum des Zweifels erwehren, ob fie wohl 
nicht recht haben koͤnnte? fogar die rechrfchaffenften Männer 
gehen einen ſolchen Mittehveg zwifchen Neologie und Theo⸗ 
logie, daß einem dabei angſt und bange wird; denn wenn 
auch dieſe recht haben, ſo iſt es mit allen unſern Hoffnungen, 
die wir auf die Bibel gründen, Nichts! Das alte wahre 
Chriſtenthum wird fo allgemein entfchieden für baare Schwär- 
merei erklärt, daß Man von vernünftigen Leuten bedauert, 
und von andern für halb wahnfinnig gefcholten wird, wenn 
man ſich nur,leife Dazu befennt; — und bei dem allem, bei 


Kap. 17.8. 1. bis 3. m. 


allem unferm Sehnen nach —— Licht und nach einer 
naͤhern Offenbarung unſers ſo ſehnlich erwarteten und innigſt 
geliebten Erloͤſers, laͤßt Er ſich weder hoͤren noch ſehen. 
Zwar ſollten wir bei dem Allem bedenken, daß uns Chri⸗ 
ſtus das Alles vorhergeſagt hat: Vor ſeiner Zukunft wuͤrde 
bei vielen der Glaube verloͤſchen, Er werde wenig Glauben 
mehr finden auf Erden, wenn er einft wieder Fame m. f. w. 
Wir follten uns erinnern, daß eben die hohe Glaubensprobe, 
in welcher wir und befinden, dann, wenn wir fie muthig 
beftehen und treu aushalten, und Letzte zu den Erften in 
feinem Neid) machen werde, und bei dem Allem läßt Er fich 
doch im Innern durch feinen Geift an und auch nicht unbes 
zeugt, und er gibt denn doch jedem unter uns fo viele Geiſtes— 
nahrung, als er zum Ausharren bedarf. Indeſſen ift es 
denn doch ein fchwerer Stand, in weldhem wir uns befinden — 
und die fo genaue und pünftliche Erfüllung diefes und zur 
Lehre, zum Troſt und zur freudigen Hoffnung der nahen 
Erlöfung gegebenen 17ten Kapiteld Fann uns überfchwenglich 
ſtaͤrken. Der verflärte Bengel hat vor mehr als fünfzig Jah 
ren durch feine vortreffliche Erklärung diefes Kapiteld uns 
den Weg gebahnt, daß wir nun jeßt die Erfüllung dieſes 
Kapitels hell und klar fehen und verftehen koͤnnen; befonders 
aber leiftet uns fein apofalyptiiches Rechnungsſyſtem bei der 
Einſicht in diefe Erfüllung ſolche Dienfte, daß wir und nicht 
genug darüber freuen und Gott deswegen verherrlichen koͤn⸗ 
nen. Gelobet ſey der Herr in feiner Zukunft!!! 
Einer von den fieben Engeln, die die Zornfchaalen aus⸗ 
gegoffen hatten, vermuthlich eben der Fünfte, nahte fi) dem 
Johannes und fagte zu ihm: Komm! ich will dir die große 
Hure zeigen, die auf vielen Waffern fie! — Der Apoftel 
folgte, und ed war ihm in feiner Entzüdung, ald wenn er 
weit weg in die Wuͤſte geführt würde, Diefe Wüfte waren’ 
damals die Abendländer, in welche auch dad Sonnenweib 
geflohen war. Der Engel befchrieb ihm das Weib noch 
näher, als eine treulofe Ehegattin, die ihren rechten Mann 
verlaffen und mit andern zugehalten hätte, und diefe feyen 


die Könige der Erden, das iſt, der europaiſchen ai 
Stilling's ſammtl. Schriften. IIL. Band. 21 


322. Erklärung der Offenbarung Johannis 


‚gewefen. Die Verftellung einer falfchen abgewichenen Kirche 
unter den Bilde einer treulofen Gattin oder Hure, ift dem 
Geiſt der Weiflagung fehr geläufig, befonders werden auch 
Ezech. 25. die Konigreihe Juda und Sfrael ſo geſchildert. 

Unter diefem Weibe wird alfo eine falfche chriftliche Kirche 
verftanden; daß es die griechische nicht feyn Fann, ift daraus Klar, 
weil ihr Schickſal durch die ſechs erften Pofaunen fchon ent: 
fhieden ift, folglich muß es die romifche feyn; warum fie 
auf vielen Waffern fist, das wird im Verfolg vom Engel 
felbft erklärt: Daß fich die chriftlihen Könige an fie ge: 
bangen, und im geiſtlichen Sinn mit ihr gehuret, das ift, au) - 
die wahre Kirche verlaffen haben, ift richtig und pünktlich 
erfüllt: worden 5 eben fo find auch alle Bewohner der europäis 
ſchen Ehriftenheit von dem Wein ihrer Hurerei, ihres Uber: 
glaubens, fo beraufcht gewefen, daß fie nicht mehr wußten, 
was fie thaten. 

Dieß Weib fieht nun der heilige Seher in einer höchft 
merfwärdigen Stellung — er fieht fie auf dem großen Thier 
figen, das er im 13ten Kapitel fchon umftändlich befchrieben 
hat, auffer daß es da eine fledigte, dem Pardel ähnliche, 
Haut hatte; jet aber ift es karmoſinroth; es hat fich feinem. 
Urbild, dem großen feuerrothen Drachen, ſchon fehr ges 
nähert; das ift, die rdmifche Politik fängt nun au, abgrunds⸗ 
mäßige Grundfäge anzunehmen, die Larve des Aberglaubens 
abzulegen, und drachenmäßig durch den Unglauben zu wirken. 

Dieß Sigen oder Reiten auf dem großen Thier hat Bengel 
fhon vor fünfzig Fahren fo erflärts Die Stadt Rom werde: 
von. der Gewalt des Pabftes befreit werden, Diefer werde 
feine Macht verlieren, und das Alles werde und mäffe feiner 
Zeitrechnung zufolge am Ende diefes Jahrhunderts gefchehen. 
In der Einleitung zu näherer und deutlicherer Aufklärung 
der Offenbarung Johannis, Carlsruhe 1784. bei Maklot, 
wird hinten im Anhang ©. 25. das Jahr 1130 als der Ans. 
fang der 666 Zahrıder Regierung des Thiers beflimmt, wo: 
durch) dann das Zahr 1796) der Termin wird, in weldem 
das Weib auf das ZThier Br und ah in den BURN, 
des — geraͤth. J 


* 


Kap. 17.3 1. big 3 325 


Wie genau alfo diefe Weiffagung eingetroffen, wie wahr 
Bengelö und des ungenannten Verfaſſers des legten Buchs 


" Erklärung fey, das hat der Ausgang in diefem Jahr bewies 
‚fen. Wirklich ift jet das Weib auf das Thier geftiegen, und 


dad Thier in den Zuftand des Nichtfeynd verfegt worden; 
die fünfte Schaale ift über feinen Thron ausgegoffen worden. 
- Liebe Zeitgenoffen alle — wer ihr auch feyn möge! — dieß 
Geficht fah Zohannes vor 1700 Jahren, Bengel erflärte es 
vor fünfzig, und der Ungenannte vor vierzehn Jahren, und 
in allen dreien Zeitpunkten ließe fich doch, wahrlich! aus der 
politifhen Verfaffung Europens von allem dem nicht das Ges 
ringfte folgern, und alle drei haben die Wahrheit gefagt und 
das Ziel getroffen. Sagt nun felbft, ob man nun auch) noch 
an der Gdttlichfeit der Apofalypfe zweifeln Fünne? — und 
wenn man nun das nicht Fann, wer hat dahn recht? — 


- Die Deiften, Illuminaten, Jakobiner, Neologen oder wir 
altglaͤubige Ehriften? — 


Dieß führt und nun zu dem vernünftigen und richtigen 
Schluß: Zft die hohe Offenbarung bis daher pünktlich eine 
getroffen — fo daß man dad Gegentheil unmöglich behaups 
ten kann, fo ift fie von Gott — dann aber ift auch alles 
wahr, was fie fagt; dann ift Chriftus wahrer Gott, und 
die altevangelifche Kehre von der Verſoͤhnung, göttliche Wahrs 
heit, und alle, die anders lehren, find a einem gefährlis 


hen. Srrwege. Fernerz 


ae - « 


Wenn der fel. Bengel, nad) feinem Grflärungs: und apo⸗ 
Falyptifchen Zeitrechnungsfpftem, vor fünfzig Jahren: ſchon 
ein ganz befonders Faktum beftimmte, das unmöglid aus 


der damaligen politifchen Verfaffung herausgefolgert werden 
 Fonnte, und fogar die Zeit ungefähr feftfegte, in welcher es 


gefchehen follte, fo muß jein Erklärungsfoftem in der Haupt⸗ 
ſache und feine Rechnung wahr feyn. Was bleibt uns ‚nun 
anders übrig, als glauben? und wir fünnen nun gewiß feyn, 
daß in der nahen Zufunft auch alles Uebrige eintreffen werde, 
Darum laßt uns ausharren, dulden und hoffen. 

Ueber die Namen der Läfterung , die fieben Köpfe und die 


zehn Hörner leſe man meine Erflärung des 15ten Kapitels. 
21 * 


5% Erklärung ber ‚Offenbarung Johannis. 


. 4. Und das Weib war bekleidet mit Purpur und Kar: 
mofinfarbe, und überguldet mit Gold, und koſt⸗ 
baren Steinen und Perlen, und hatte einen goldenen 
Becher in ihrer Hand, angefüllt mit — Un⸗ 
reinigkeiten ihrer Hurerei. 

5, Und auf ihrer Stirne hatte fie den geſchriebenen Na= 
ment Geheimniß, Babylon die Große, die 
Mutter der Huren und der Öreuel der 
Erden 

6. Und ic) fahe das Weib trunken von dem Blut der 
Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jeſu; und 
ich erftaunte, als ich fie fahe, mit großer Berwunderung. 


Sogar im buchftäblichen Sinn trifft diefe Befchreibung ein: _ 
Die Purpur= und Karmofinfarbe ift vonsjeher die Leibfarbe 
des römischen Hofs gewefen; im prophetifchen Berftand aber, 
wo diefe Farbe Verfolgungswuth, Blutfucht und die Drachen: 
politik bedeutet, ift fie eben fo paffend. Der übrige Schmud 
von Gold, Perlen und Edelfteinen ift ihr Hurenputz, den fie 
von den Königen der Erden zum Lohn befommen hatz und 
der Becher in ihrer Hand, der mit ihrer gottlofen Lockſpeiſe, 
ihrer von Gott und Chrifto ab- und zu ihr hinführenden 
Lehre angefüllt ift, wurde von jeher allen angeboten, und 
wehe dem, der nicht daraus tranf! — und noch weher dem, 
der ihn annahm! Dieß alles ift deutlich, und bedarf feiner 
weiteren Erklärung. 

Die Aufichrift an ihrer Stirn zeigt, wer fie iſt; fie ift 
wohl nicht ſchuld daran, daß fie da ſteht; — aber fo, wie 
man einem Lafterhaften gemeiniglich das Lafter ſchon im Ger 
fit anfieht, und auch wohl von ihm fagt: Dem ftehtö vor 
der Stirn gefchrieben, wes Geiftes Kind er fey, fo aud) 
hier. Das Wort Geheimniß bedeutet, daß diefe neuteftas 
mentifche Babel, die eben fo die Hauptfeindin ded Volks 
Gottes ift, wie das natürliche Babel im alten Bunde war, 
ein Geheimniß enthalten, daß fich erft mit der Zeit enthüllen 
würde. Dieß Geheimniß gehört in die Zeit, in welcher das 
Weib auf dem Thron fit, folglic) in die unfrige; — denn 


Kapı 17. V. 4. bis 8, 325 


‚eben jeßt fieht ed Johannes an ihrer Stirn! — Wenn wir 
nun bedenken, wie ohnmächtig jegt die Stadt Rom iſt, und 
daß dem, wahrlich trunfenen Weibe eine fremde Macht auf 
den Rüceh des Thiers geholfen hat, fo ift der Verfolg in 
der That ein Geheimniß und ein Räthfel, welches wir der 
Vorfehung zur Aufldfung überlaffen wollen. Der Name felbft: 
Babylon die Große, die Mutter aller falfchen Kirchen in der 
Ehriftenbeit, ift für fich felbft Har. 

Die Bluttrunfenheit rührt aus den alten und neuen Zeiten 
her; fchon zu Thyatira, Kap. 2. DB. 20— 23. fing diefe 
Jeſabel ihre Ränfe an auszuäben; von der Zeit an ift fie 
auch nicht nüchtern geworden; freilich hat. fie in den leten 
Sahren bis daher wenig mehr getrunfen,, aber die Bluttruns 
kenheit vergeht fehr fchwer und hält lange an. 

Sohannes erfchrad über dieß Gefiht, er war beftürzt für 
Derwunderung; denn er fahe wohl ein, daß den wahren 
Berehrern Jeſu noch fchwere Zeiten bevorſtunden. 


7, Und der Engel ſprach zu mir: Warum munderft du 
dich? — Ich will dir das Geheimniß des Weibes 
und des Thiers, welches fie trägt, und die fieben Köpfe 

amd die zehn Hörner hat, fagen, 

8. Das Thier, welches du gefehen haft, war, und ift 
nicht, und wird auffteigen aus dem Abgrund, und ins 

Verderben hingehen; und diejenigen, die auf Erden 
wohnen, deren Namen nidyt von Gründung der Welt 
ber ins Buch des Pebens gefchrieben find, werden ſich 
verwundern, wenn fie das Thier fehen, daß es Bar, 
und nicht ift, und da feyn wird, 


N Der Engel fcheint es zu mißbilligen, daß Johannes über 
a das Thier und ſeinen Reiter ſo erſtaunt und beſtuͤrzt iſt; 
darum ſagt er gleichſam: Warum wunderſt du dich denn ſo? — 

das laß du denen uͤber, die nicht von jeher im Lebensbuch 
ſtehen: für die wahren Verehrer Jeſu aber ift dieß Fein Ges 
genftand des Staunens. Zudem wird dir das Geheimniß 
diefes Gefichts nicht mehr fo bewundernswürdig ſeyn, wenn 
ich dir es erklärt habe: Denn du follft nun erfahren, wer 


526 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


das Meib ift, und was das Thier, das fie trägt, mit feinen 
fieben Köpfen und zehn Hörnern bedeute, Hierauf fängt 
nun feine Erklärung an. 

Diefe Erklärung müffen wir fo anfehen, als wenn fie 
jeßt in diefem Jahr von dem Engel zu uns gefprochen würde: 
Denn jebt ift das Thier in dem Zuftand, worinnen es hier 
Johannes fieht, und wenn wir diefe Nede in diefem Licht 
betrachten, fo muͤſſen wir erftaunen, wie genau alles zutrifft. 
Hier hat und Bengel, und nad ihm der ungenannte Vers 
faffer des vorhin angeführten Garlöruher Buchs fo vorgear⸗ 
beitet, daß man ihnen nur zu folgen braucht. 

Nachdem der Engel dem frommen Seher den leifen Ver: 
weis gegeben, und ihm die Erklärung des Geſichts verſpro— 
chen hat, fo wendet Johannes feine Augen vom Thier ab, 
und fieht den Engel an; dieſer beginnt nun die Belehrung 
und ſpricht: Das Thier, das du nun gefehen haft, war, 
und ift jegt nicht, aber ed wird aus dem Abgrund auffteis 
gen, wieder zum Vorſchein kommen, und paabı ends 
lich ins Derderben hingehen. 

Daß unter dem Bild diefes FREE ER Thierd das 
rdmifche Pabſtthum, in fofern es die Alleinherrfchaft über 
die ganze Menfchheit an Gottes ftatt zum Zwed hatte, vers 
fianden werde, ift längft ausgemacht. Bon diefem Thier 
heißt es nun bier, es war — daß dieß vollfommen richtig 
fey , davon find wir alle Zeugen — e8 ift gewefen, es war, 
und jetzt iſt es nicht; der Thron ift leer, und der bes 
Dauernewürdige Greis, der zulett drauf faß, lebt im Elend; 
die Zornfchaale des fünften Engels hat den leeren Thron vers 
bunfelt. Jetzt fängt alfo das merfwärdige Nichtfeyn des 
Thiere aus dem Meer an; aber dieß namliche Thier wird 
nad dem Ablauf der Verfinfterung feines Throns wieder 
erfcheinen; dann aber wird ed mit Abgrundsträften geftärkt 
feyn , und fohredlicher wüthen als jemals, dieß wird aber. 
dann nicht lang währen, denn der Herr wird fommen, und 
ed aufewig dahin ſchleudern, woher es zuleßt heraufgeftiegen ift. 

Während diefem Nichtfeyn des Thiers, in welchem zwar 
feine Larve da ift, fein Lebensgeift aber nicht, weil es nicht: 


Rap 17. V. 4. bis 8. 327 


regiert, und dieſer in den Abgrund geſtiegen iſt, ſitzt das 
Weib auf ihm. Dieß Sitzen ſcheint nicht viel zu bedeuten, 
und es wird auch fernerhin nichts mehr von ihr geſagt, als 
daß ihr endliches ſcöreckliches Gericht gekommen ſey; man 
ſollte alfo daraus ſchließen, daß es jetzt die neue römifche 
Republik nicht weit bringen werde, ſondern daß vielmehr 
ihre gänzlihe Vertilgung von der Erde nahe fey. Diefer 
MWeiffagung zufolge ift ed eben nicht nöthig, daß das Thier 
aus dem Abgrund zu Rom feinen Sit habe, die Regierung 
der fieben Köpfe auf den fieben Bergen wird während dem 
Nichtſeyn des Thiers vollends ausgeführt; es felbft aber wird, 
wenn es aus dem Abgrund wieder fommt, der achte feyn. 
DB. 11. Der bat dann in-Rom feinen Berg mehr, und kann 
daher an einem andern Drtrefidiren, diefe Refidenz ift die große 
Sodoma und Egypten, wo auch unfer Herr gefreuziget ift, 
wo die zwei Zeugen todt auf der Gaſſen liegen, und nad) 
dreien und einem halben Tag wieder aufftehen werden; Kap. 11. 
V. 8. u. f. die nämliche große Stadt, die unter der fiebenten 
Zorufchaale in drei Theile zerfallen wird. Kap: 16. ®. 19. 

Hier ift aber auch nun der Ort, wo ich zeigen muß, was 
es mit dem Auffteigen des Thierd aus dem Abgrund für 
eine Bewandtniß habe: ES ift einmal ein fefter Grundfag, 
daß das Thier eine irdifche Macht ſey, die die Univerfal- 
berrfchaft über die gefammte Menfchheit an Gottes ſtatt zu 
erringen ſucht; — Rom hatte diefen Zweck, als es noch 
heidniſch war, und brachte ihn auch ins Chriftenthum mit; 
während diefer Zeit aber herrfchte das Thier aus dem Meer 
durch den Aberglauben in diefer Stadt, zu dem nänlichen 


; Zweck; — jest hat ſich aber nun eine andere Macht gebil: 


det, welche ebenfalld nad) der allgemeinen Herrfchaft ringt, 
zu diefem Ende aber den Unglauben braucht, und zugleich 
das Chriſtenthum befämpft; diefe Macht nimmt dem Thier 
aus dem Meer feine Larve ab, hebt das Weib auf feinen 
Nüden, und fucht nun die Univerfalmpnarchie an ſich zu 
ziehen; bei allem diefem Anfchein ift aber doc) diefe Macht 
das Thier aus dem Abgrund nicht, fondern fie bahnt ihm 
den Weg; es ift auch möglich, daß dieß Thier in diefer 


528 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


Nation aufſteigt, ſie beherrſcht, und durch ſie ſeine Plane 
ausfuͤhrt; aber das eigentliche Thier aus dem KUREN if 
fie nicht, und zwar aus folgenden Gruͤnden: 


1) Das Thier aus dem Abgrund erfheint erft, wenn das 
Thier aus dem Meer eine Zeitlang im Nichtfeyn geftans 
den hat; jene Macht aber war fchon in Thätigfeit, als 
dad Thier aus dem Meer noch war; und 


2) das eigentliche Thier aus dem Abgrund wird ald eine 
einzelne Perfon 2. Thef. 2. V. 3. bis 19, vorgeftellt. 
(Man lefe diefe merfwürdige Stelle mit Aufmerffamfeit; 
denn und geht fie vorzüglich an, weil.viele von der ges 
genwärtigen Generation feine Ankunft erleben werden.) 


Da heißt dieß Thier der Menfch der Sünden, das Kind 


des Verderbens, der MWiderwärtige, der Gefeglofe, u. ſ. w. 
Auch) in der Weiffagung Danield wird es als das Drs 
ginal, zu welchem Antiohius Epiphanes dad Vorbild 
war, vorgeftellt. Kap. 11. und 12. 


Tolglih ift das Thier aus dem Abgrund eine einzelne 
Perſon, ein großer Regent; — wie er heißen wird, Pabft, 
König, Kaifer oder General, das wiffen wir nicht; genug, er 
wird der Antichrift, gerade das Gegentheil von Ehrifto ſeyn; 
er wird eine Macht fommandiren, die fhon voraus den Geift 


des MWiderchriftenthums und abgrundsmaßige Ränfe und 


Politik in der Uebung hat: vermittelt diefer Macht wird er 
in wenigen Sahren fein Beftes thun, den alten Drachenzwed, 
die Univerfalherrfchaft über die ganze Menfchheit zu erringen, 
und die. hriftlihe Religion zu vertilgen; plößlich wird aber 
alsdann der König aller Könige, der Herr aller Herren er— 
foheinen , und ihn mit allem feinem Heer und feinen Verbüns 
deten ind Verderben flürzen, wie im Verfolg gezeigt wer⸗ 
den wird. 

Dieſes große Genie werden dann diejenigen bewundern 
und verehren, deren Namen nicht von Gruͤndung der Welt 
her im Buch des Lebens ſtehen, die folglich die Wahrheit 
von Jeſu Chriſto verachtet und wicht — genug ge⸗ 
funden haben. 





— eu —— 


— —— 


Kap. 17. 89. bis au 329 


Man huͤte fich für Verführung, er wird ſehr ſcheinbar 
und glänzend auftreten, und große Talente befigen. 


9. Hier ift der Verſtaud, der Weisheit hat, Die fies 
ben Köpfe find fieben Berge, morauf das Weib fist, 
und find auch fieben Könige; 

10. Die fünfe find gefallen, der Eine ift, der Andere 
ift noch nicht gefommen, aber wenn er fommt, fo 

\ muß er eine Eleine Zeit bleiben, 

41. Und das Thier, welches war und nicht ift, ift ſelbſt 
der Achte, und aus den Sieben, und gebt ins Ders 
derben bin, 


Diefe drei Verfe geben den Hauptauffhluß in diefem Ges 
heimniß; daher: heißt ed auch: Hier bedarfs Verftand, der 
mit Weisheit audgeräftet ift, und diefen Verftand hatte 
Bengel; er allein hat aus der Gefchichte. die Sache ins hells 
fie Licht gebracht, fo daß man mit Erftaunen bemerft, wie 
alles fo pünktlich erfüllt if. Siehe feine erklärte Offenbas 
rung dritte Auflage Seite 239. u. f. Noch deutlicher entwis 
delt fich der ungenannte Verfaffer der Einleitung zu naͤherer 
und deutlicher Aufklärung. der Offenbarung Johannis, Karlds 
ruhe bei Maklot, im hiftorifchen Theil ©. 146. u. f. 

Diefen Schriften zufolge find alfo folgende fünf Berge 
von den fieben, auf denen die Stadt Rom liegt, bis in das 
gegenwärtige laufende Jahr die pabftlihen Regierungsfige 
gewefen, auf denen fie abwechjelnd gewirkt und ihre Krafts 
thaten ausgeführt haben. 

1) Der Eoelius, auf welchem das Lateran ſteht; hier fing 
Hildebraud die 666 Regierungsjahre des Thiers aus 
dem Meer an; bier wurden wichtige Bullen ausgefer= 
tigt, und die vier lateranenfifche Koncilien gehalten, 
wodurch die Unabhängigkeit der Päbfte, ihre Univerfals 
monarchie und viele greuliche Irrthuͤmer zu Glaubens» 

lehren gemacht wurden, 

2) Der Berg Vatican, wo die große Peterskirche ſteht, 

and die gewöhnliche Refidenz der Päbfte war; hier 
fing Bonifazius der Achte fein Weſen an zu treiben, 


550 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


und hier iſt erſtaunlich viel geſchehen, das in der Me: 
gierung des Thiers aus dem Meer merfwürdig ift. 

3) Der Berg Aventinus mit feiner Kirche zu St. Sabina; 
hier hatten die Paͤbſte Honorius der Dritte und der Vierte, 
und Klemens der Neunte ihren Sitz; hier fliftete Ho— 
norius der Dritte die vielen Orden, gewiß eine Thierss 
Fopf= würdige Regierungsanftalt; fonderlic wurden aud) 
bier die Dominifaner und Franziskaner beftätigt. 

4 Der Berg Quirinalis Fam Anno 1464 unter Paul dem 
Zweiten dazu; hier ift die päbftliche Sommersefidenz mit. 
der Markuskirche; von hier aus wurde das tridentinifche 

Koncilium dirigirt; auch pflegte da die Inquiſition ihre 
Berfammlungen zu halten, gewiß auch eine Anjtalt, die 
zum Thieröfopf paßt. 

5) Der Berg Exquilinus, mit der Kirche Maria Maggiore; 
auf diefem Berge ift viel merfwürdiges gefchehen, beſon— 
ders ift da auch die wichtige Bulle Unigenitus auögefer: 
tiget worden. 


Diefe fünf Berge, Feiner mehr und Feiner weniger find die 


fünf Köpfe oder fünf Föniglihe Mächte, die jet, da nun das 
Weib auf dem Thier figt, gefallen find. Pünktlich ift das 
alles eingetroffen!!! 
Das Wort König wird Hier bildlich verftahinis es bedeutet 
eine Fönigliche Macht, die befonders einen Hauptzwed, je 
nach den Bedürfniffen ihrer Zeit im Auge hat, und nad) dies 
fer Erflärung find auch die gefallenen fünf Berge und koͤnig— 
lichen Mächte merklich von einander verſchieden; denn: 
Auf dem Eovelius oder Vatican unterjochte der erſte 


Kopf den Kaifer und alle chriftliche Regenten des Occidents. 


Auf dem Vatican hatte der zweite Kopf die Tendenz 
zur Univerfalmonarchie zur Wirkjamkeit gebracht und 
unterhalten. 

Auf dem Aventinus find die geiftlichen Streiter, die 
Heerfchaaren errichtet worden, womit man fi [hüßen, 
und die Monarchie immer mehr erweitern wollte. 

Auf dem Duirinalhatte ed der vierte oder mittelfte Kopf 
mit feiner tödtlichen Wunde und deren Heilung zu thun, 


u zu a cn mn Da in 


WE ET ran 


u ei en er 


weil er den Muthwillen zu weit getrieben hatte: diefer 
Kopf rief das Thier aus der Erden herauf: 

Auf dem Ex quilin uͤbte der fünfte Kopf bid an feinen 
Fall die fünfte Politik aus, um fich zu erhalten, zu ſchuͤtzen, 
und das durch Schlauheit zu erreichen, was ie durch 
Bannftrahlen erreicht worden war. 

Man wiederhole hier, was ich in meiner Erklaͤrung des 
15. Kapitels uͤber die ſieben Berge der Stadt Rom geſagt habe. 

Jetzt ſind nun noch zwei Berge uͤbrig, der Capitolinus 
und der Viminalis, oder auch der Palatinus, wenn er wieder 
bebaut werden ſollte. Auf dem Capitolinus oder Capitolium 
hat jetzt das Weib wieder wie vor Alters feine Regierung errichs 
richtet. Dieß Capitolium ift alfo der fechste Kopf, der fi) 
jet zum Herrfchen anſchickt und vorbereitet, daher jagt auch 
der Engel: 

Sekt, da dad Weib auf dem Thron figt, das ift, von 
1798 au, find fünfe gefallen — der Eine (nämlich der 
fechöte) ift gegenwärtig — und dieſer ift, wie wir nun in der 
Erfüllung fehen, der Gapitolinus. Was nun noch alles aufs 
und im diefem Kopf vorgehen wird, das wird fich zeigen; lang 
wirds aber nicht mit ihm währen, fo wenig, als mit feinem 
Nachfolger. Aeußerſt merkwürdig ift’$, daß die Stadt Rom 
fieben Senatoren angefegt hat — warum nicht fünf oder 
neun, wenn wegen des Votirens die Zahl ungerad feyn 
muß? — fie muß ihr fiebenföpfigtes Thier immer darftellen, 
das ift nun einmal nicht anders — während der Zeit befteht 
das franzöfifche Direktorium aus fünfen, anftatt der fünf ges 
fallenen Köpfe, damit während dem Nichtfeyn des Thiers und 
der Verdunflung feines Throns doch die Zahl immer voll 
bleibt. Wahrlich! es ift erftaunlih!!! 

Bon dem fiebenten Kopf fagt nun der Text ferner: Der 
andere (nämlich der Siebente) ift noch nicht gefommen, aber 
wenn er auch Fommt, fo ift doch feines Bleibens nicht lange, 
er muß auch bald fallen. | 

Ob ein neuer Papft auf diefem Kopf, unter. oder über, 
oder neben dem Weibe regieren? — oder ob das Weib felbft 
auch den fiebenten Kopf brauchen werde? das Finnen wir 
nicht ‚wiffen, wir werden es aber bald erfahren. 


332 Erklarung der Offenbarung Johannis. 


Hierauf Fommt nun das Thier felbft in aller feiner Abs 
grundsmacht aus der Tiefe herauf; jet gibt es wichtige 
Auftritte, wichtigere, ald ed vom Anfang der Welt her geges 
ben hat. Von diefem fagt hier der-Engel: Dieß Thier, wels 
des war — und jeßt im Nichtſeyn fteht, ift dann am 
Schluß felbft der achte König. — Diefer entſteht au 
aus den ſieben; und diefer iſt's, der dann endlich ins 
Berderben geftürzt wird. 

(Der Ausdrud war — ift nicht — wird wieder kommen, 
oder wird ind Verderben hingehen, bedeutet den Gegenfaß 
des Hauptfeindesz; gegen den hohen Charakter Ehrifti oder 
des Jehovah; er war — ift und wird feyn, — ich 
nur im Vorbeigang bemerken wollte). 

Sn dieſer Rede des Engels iſt alles deutlich, —— den 
Worten: Dieſer achte König iſt oder entfleht aus 
den fieben — dieſer Ausdruck iſt geheimnißvoll, und kann 
ſchwerlich anders als durch die Erfüllung ſelbſt erklaͤrt wers 
den; fo viel ift aber gewiß,. daß er auf den Urfprung des 
eigentlichen Thierd aus dem Abgrund, oder des Menfchen 
der Sünden zielt. Ob nun diefer zuerft in Nom auf einem 
der fieben Berge regieren, ein römifcher Herr, und hernach 
der Achte feyn? — oder auf welche Weife diefe Worte erfüllt 
werden follen, das wollen wir der Vorfehung überlaffen. 


12. Und die zehn Hörner, welche du gefehen haft, find 
zehn Könige, welche das Neich nicht empfangen has 
ben, aber wie Könige werden fie eine Stunde lang 
mit dem Thiere Gewalt befommen, 

15. Diefe haben einerlei Gefinnung, und geben ihre Ge⸗ 
walt und Macht dem Thier. 

14. Dieſe werden mit dem Lamm Krieg führen, und 
das Lamm wird ſie überwinden, denn es iſt der Herr 
der Herren, und der König der Könige, und mit ihm 
die Berufenen, die Uuserwählten und die Gläubigen, 


Da von diefen Verfen an nun alles noch zukünftig ift, 
fo muß. ich mit großer Behutfamfeit verfahren, weil diefe 
MWeiffagung , wie dad gewoͤhnlich der Fall ift, auf mehr als 


Kap. 17. V. 12. bis 1% "a 353 


einerlei Weiſe ganz richtig erfüllt werden kann; ich, bitte 
daher auch meine Leſer, nur immer den Zweck aller Weifja: 
gungen im Auge zu behalten: Daß fie nämlic) Zeugnifle der 
Wahrheit der heiligen Schrift, und der darauf gegründeten 
chriftlichen Religion feyn, und und nur Winke auf die Zukunft 
geben follen, damit wir wiffen möchten, wo es hinaus will; 
wenn wir alfo glauben, einen wichtigen Auffchluß über eine 
propherifche Stelle befommen zu haben, jo mäffen wir ihn 
ja nicht für zuverläßig ausgeben — hier haben eben fo viele 
Ausleger der Apokalypſe gefehlt, und dadurd) den Geift der 
MWeiffagung, dem Spott und der Läfterung ausgefegt. Dafür 
wollen wir ung nun hüten, und in der Furcht des Herrn nur 
wahrfcheinliche und vermuthliche Betrachtungen über das ans 
ftellen, was nun von der hohen Offenbarung noch zu erklären: 
übrig ift. 

Die zehn Könige, welche durch die Hörner des Thiers vors 
geftellt werden, brauchen eben nicht Könige zu heißen, gnug, 
wenn fie Regenten, VBorfteher, Gewalthaber fouveräner uns 
abhängiger Mächte find. Bon diefen heißt es: Sie hätten 
dad Reich nicht empfangen. — Dieß bedeutet vermuchlich, 
daß fie nicht durch Erbrecht, oder gefegmäßig, fondern durch 
die Revolution fih auf diefen Poften gefhwungen haben, 
wie wir davon fhon jet mehr als ein Beifpiel an den Mächs 
ten fehen, die mit Frankreich eines Sinnes find. Diefer Könige 
oder Mächte werden zur Zeit des Thiers aus. dem Abgrund 
zehn feyn, und diefe zehn werden eine Stunde lang ald unab= 
bängige Regenten mit dem Thier Gewalt befomnien; hier 
läßt fi) eine natürliche Stunde nicht denken, fondern fie muß 
prophetifch verftanden werden, in diefem Sinn ift alfo eine 
Stunde, eine Zeit von acht Tagen. 

Wenn aljo die zehn Mächte einen Kongreß, eine Seen 
funft veranftalten, auf welchem fie innerhalb acht Tagen dem 
großen Genie, welches dann auf dein Schauplatz erjcheint, 
die Oberherrfchaft auftrügen, den aufferordentlichen Mann 
gleichſam zum Kaiſer machten, ſo waͤre dieſe Weiſſagung puͤnkt⸗ 
lich erfüllt: Denn während den acht Tagen wirkten fie als 
unabhängige Monarchen, und nach denfelben wäre dann ihre 


55%. Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Bewalt und Macht dem Thier aus dem Abgrund übertragen. 

Diefe Vermuthung wird durch den folgenden 15ten Vers 
noch wahrfcheinlicher, wo der Engel fagt: Die zehn Mächte 
oder Gewalthaber vdiefer Mächte wären mit dem Thier eines 
Sinnes; fie hätten alle die nämlichen Regierungsgrundfäße, 
die nämlichen widerchriftliche Religionsgefinnungen, und den 
namlichen Geiſt; daher wird es ihnen dann auch leicht ſeyn, 
in acht Tagen auf ihrem Kongreß einig zu werden, und ihre 
Macht und Gewalt jenem Kraftgenie zu übertragen, 

Dann wird erft recht das Thier in aller feiner Abgrundsfraft 
da fiehen, und dem wahren Verehrer Jeſu und des Geiftes 
der Weiffagung vollfommen kenntlich ſeyn; jetzt ift ihm. Die 
Erringung der Univerfalherrfchaft über die ganze Menfchheit 
eine leichte Sache ; es übt Rache an Nom aus; und vertilgt 
diefe Stadt und das gefammte Papftthum von der Erde, wie 
wir fogleich finden werden; ed macht Plane zur Welteroberung 
u. ſ. w. — alles gelingt — alles gehorcht — nur die wah— 
ren Chriften, die thytatirifch = philadelphifche Gemeinde nicht, 
diefe wollen fich Feine widerchriftlihe Anftalten gefallen laſ— 
fen, und immer Gott mehr gehorchen, als den Menfchen, ihre 
zwei Sachwalter in der Refidenz des Thiers, die zwei Zeus 
gen, Kap. 11. beftehen feft auf der Wahrheit, und dieß Alles 
reizt nun das Thier mit feiner Macht auf, diefe widerfpenftige 
Ehriften von dem Erdboden zu vertilgen. Was nun da ges 
ſchehen, und wie das alles zugehen werde, das fagt und diefe 
erhabene Weiffagung am Ende des I1ten, und in den legten 
Hälften des 16ten und 19ten Kapiteld. Hier erzählt der 
Engel blos ſummariſch: Das Thier und feine Vafallen, bie 
zehn Könige, würden gegen das Lamm Friegen, fie würden 
Ehriftum in feinen getreuen Anhängern befämpfen wollen, aber 
das würde ihnen übel befommen; denn diefer König aller - 
Könige, und Herr aller Herren werde fie überwinden, und 
alle feine Getreuen, welche mit Ihm zu herrfchen beftimmt 
find, würden einen volfommenen Sieg davon tragen, 

Sm 10ten Kapitel, wo diefer vollfommene letzte Sieg aus⸗ 
fünrlich befchrieben wird, werde ich alles über diefen erhabes 





Kap. 16.8. 15. bi 18°. 555 


nen Gegenftand fagen, was ich meinen ſchwachen Einfichten 
nad) fagen kann. 


15. Und er fütal zu mir: Die Gemwäffer, welche du ges 


fehen haft, wo die Hure fist, find Völker und Volks; 
haufen, und Nationen und Spracden. 


16. Und die zehn Hörner, melde du gefehen haft, und 


das Thier, dieſe werden die Hure haffen, fie verwüften 
und blos machen, und ihr vieles Fleifch effen, fie felbft 
aber werden fie mit Feuer verbrennen. 

17. Denn Gott hat ihnen ins Herz gegeben, fein Urtheil 
auszuführen, und nad einmüthigem Sinn zu hans 
deln, und ihr Neich dem Thier zu geben, bi$ die 
Anfprüche Gottes erfüllet feyn würden, 

18, Und das Weib, welches du gefehen haft, ift die große 
Stadt, melde das Königreich über die Könige der 
Erden hat, 


Nachdem der Engel die Gefhichte des Thierd vollendet 


hat, fo. wendet.er fi) nun wieder zu dem Weib, das auf 


ihm teitet, nun auch deſſen Schickſal vollends zu erzählen. 
Der 15te Vers belehrt uns, daß die vielen Waffer, auf ' 
welchem das Thier mit dem Weib feinen Stand hat, nicht 


allein das im Meer liegende Stalien, fondern auch die vielen 
- Mationen, das Gewühle von Menfchen, und die Völfer von 
mancherlei Sprachen, mit einem Wort, die im Meer liegens 
den Abendländer bedeute, über welche das Weib geherrfcht hat. 


Daun heißt es ferner: Das Thier und feine Hörner würs 
den die Hure haffen — dazu Fann es leicht fommen: Die 


Re; Stadt Rom ift von Anfang an bis daher gewohnt, die höchite 
Hauptſtadt der Welt zu feyn, und fie. machte den Päbften 
gunug zu fchaffen, ehe fie fich unter iher Botmäßigfeit brin- 
gen ließ; fie berubigte fich aber doch endlich, weil fie doch 


immer noch die Hauptftadt der Welt blieb. Jetzt aber ift fie 


‚nun wieder von der päbftlichen Herrfchaft frei, fie reitet auf 


dem Thier, und läßt fich theild aus Schwäche, theild aus 


. Dankbarkeit, vieles gefallen — wenn es aber einmal dahin, 


fommt, daß fie auf immer gehorchen fol, und Ser herabge⸗ 


336 Erklarung ber Offenbarung Johannis. 


wuͤrdiget wird, dann wird fie vielleicht ihre letzten Kräfte ans 
ftrengen, und darüber ganz und gar vernichtiget werden; über: 
dem find auch die europäifchen Mächte ohnehin über Rom 
- aufgebracht, weil es fie fo lange tyrannifirt hat. 

Bei diefer Belagerung und Eroberung der Stadt Rom wird 
es aber fcharfer hergehen, als es ſich die Belagerer vorjtell- 
ten, denn geheime, lang zurüdgehaltene göttliche Gerichte 
werden fich. dazu gefellen, und der Ausgang wird vorzüglich) 
ſchrecklich ſeyn, wie und das folgende Kapitel zeigen wird; 
Rom wird wüfte, und ewig nicht wieder gebaut werden, alle 
feine Koftbarfeiten werden weggefchleppt, und die Hure wird 
nadend ausgezogen werden; die Eroberer werden ihr Fleiſch 
effen, das ift, ihr Vermögen wird rein ausgeplündert, und 
dann die Stadt an allen vier Eden angezündet und zu einem 
Afchenhaufen verbrannt werden. Ob die unterirdifche Natur 
auch hiebei mitwirken werde, das wird die Zeit lehren. 
Nun gibt auch der Engel die Quelle an, woher eö eigente 
lich komme, daß alles fo gehen müffe, wie es wirklich geht; 
er fagt: Gott hats ihnen ind Herz gegeben — hier müffen 
wir nicht eine folche göttliche Eingebung verftehen, wie fie 
der heilige Geift in dem Herzen der Frommen bewirkt, fons 
dern die VBorfehung hat von den fernften, verborgenften Aula: 
gen aller Plagen an, den Dingen unvermerft die Richtung ges 
geben, daß fie gerade fo und nicht anders gefommen find; 
fie hat Mittel gnug,«die Sottlofen ohne ihr Wiffen und Wols 
len dahin zu bringen, daß fie ihre Plane ausführen muͤſſen. 

Endlich fagt nun der Engel dem Zohannes ausdrücklich, 
wer die Hure fey, und welche Stadt darunter verftanden werde; 
er redet fo deutlich, ald wenn er das Wort Rom ausgefpro: 
chen hätte; denn er fagt: Es ift die große Stadt, die jetzt, 
als Johaunes in Patmos war — die Welt beherrfcht. Da 
bleibt nun gar Fein Zweifel mehr übrig; und hier kann ich 
nun aud) einen Gedanken nicht bergen, der ſich mir gleichfam 
aufdringt: Sch Fann nicht begreifen, wie es möglich war, 
daß hier viele Ausleger den Sinn der Offenbarung derge⸗ 
ſtalt verfehlen Fonnten, wenn fie behaupteten, diefe Weilfa- 
gung fey ſchon am Judenthum und hernach am heidnifchen 


ap 17. B 13. Biss) 337 


Rom erfüllt worden — und doch fteht Rom noch, und ift noch 
nicht verwüftet! — Weberhaupt ift diefe Erklärung des En 
geld und feine deutliche Beftimmung#wer die Hure fey? der, 
Leitfaden, an welchem man ſich in dieß heilige Labyrinth der 
Apokalypſe Hinein wagen und auch wieder heraus finden kann. 





Stifings fämmtl. Schriften. HT. Band, | 22 


358 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis, 


Das achtzehnte Kapitel. 


1. Und nach dieſem ſahe ich einen andern Engel aus dem 
Himmel herabſteigen, welcher eine große Gewalt hatte, 
und die Erde würde von ſeiner Herrlichkeit erleuchtet. 

3. Und er ſchrie kräftig mit großer Stimme und ſprach: 

Sie iſt gefallen, die große Babylon! und eine Behau⸗ 
ſung der Daͤmonen, ein Gefängniß jedes unreinen Gei⸗ 
ſtes, ein Gefaͤngniß jedes unreinen und feindſeligen Vo⸗ 
gels geworden. | 

5. Denn von dem Zornwein ihrer Hurerei haben alle Nas 
tionen getrunken, und die Könige der Erden haben Hu⸗ 
rerei mit ihr getrieben, und die Kaufleute der Erden find 
durch die Macht ihrer Ueppigkeit reich geworden. 


Nach der Erklärung, welche ein Engel dem Johannes von 
dem Thier und dem Weibe gegeben hatte, wird er nun wies 
der in feiner Entzuͤckung an den vorigen Ort geftellt; und jeßt 
folgt num die Ausführung der Gerichte Gottes, welche zuerft 
das Weib, nämlich die Stadt Rom und die römifhe Kirche, 
treffen, die man von der Farholifhen wohl unterfcheiden muß; 
zu jener gehört nur derjenige, der das Thier und fein Bild 
anbetete und fein Mahlzeichen trug. | 

Er fieht einen andern fehr mächtigen Engel vom Himmel 
herniederfahren; denn der Gegenftand feiner Sendung ift 
auc) fehr wichtig — Augen und Ohren macht er aufmerkfam, 
fein Licht glänzt allenthalben, und feine Stimme donnert durch 
Mark und Bein. Er ruft ein triumphivendes Klaglied über 
das neuteſtamentiſch Babel aus, und bedient fich dabei der 
nämlichen Ausdrüde, welche die Propheten des alten Bundes 
bei den Gerichten des damaligen Babels und Tyrus gebraucht 
hatten, weil beide Städte treffende Vorbilder auf Rom waren. 

Die Bedeutung diefed Bildes ift wohl feine andere, als 


Eu 


folgende: Wenn nun bald das große Geridt über Rom bes 
ginnt ausgeführt zu werden, fo wird der Geift des Herrn 
durch feine Werkzeuge mündlich und fehriftlic mit großer 
Klarheit und ftarfer Stimme, Alle, die Augen und Ohren 
zum Sehen und Hören haben, auf die Weiffagungen des alten 
und neuen Teftaments hinweiſen, fie ihnen erflären und fie 
fo bis zur größten Gewißheit überzeugen, daß fein Wort ewige, 
göttliche Wahrheit fey, und fie ſich alfo feſt auf die noch ums 
erfüllte Verheißungen verlaffen, und in den nahen Drangfalen 
damit trdften koͤnnten. 

Zuerft wiederholt der Engel die Worte: Sie ift gefallen ! 
welche auch fchon beider Reformation einer ausrief. Kap. 14. 
V. 8. Damals that fie zwar einen Fall, aber fie wurde wies 
der heil; hier aber fällt fie ganz und gar, ohne je wieder auf: 


. zuftehen. Sie ift eine Wohnung der Gefpenfter geworden — 


es ſpukt in ihren ausgebrannten Ruinen; dahin find nun alle 
unreine ‚Geifter gebannt, bis fie nach der Auferftehung mit 
dem Leibe vereinigt einen andern Wohnplag befommen wer: 
den ; fie ift nun das Wachthaus aller wilden und feindfeligen 
Rauboögel geworden, und Schuhu's, Eulen, Raben und 


Kraͤhen treiben da ihr Wefen u, fe w. Mit diefer Stelle 


vergleiche man Jeſ. 12. V. 19— 22. und Jer. 50. ®. 58. 
fo wird man die unverfennbare Uebereinftimmung finden, 
Dann zeigt auch der Engel die Urſache des fchredlichen. 


Falls diefes geiftlichen Babel an, wenn er fagt: Denn fie 


bat mit ihren Gott verhaßten falfchen Lehren alle Nationen 
der Chriftenheit verführt, fie von ihrem Haupte ab und zu 
fich bingezogen; die Könige der Ehriftenheit haben es mit 
ihr gehalten, und nicht mit Ehrifto, und die ganze Geiftlich- 
feit mit den Lehrern der Menfchen hat fie zu Kaufleuten ges 


macht, mit Ehren, Würden, Aemtern, Himmel und Hölle ges 


handelt, ſich und diefe Kaufleute reich gemacht, und diefen 
ſchaͤndlichen Gewinn dann in der allerzügellofeften ware | 


tet verpraßt.. x } 

Ein Vorbild diefer ſchteclichen Verwuͤſtung ſieht man jetzt 

ſchon an fo vielen Kirchen und prächtigen Tempeln, Kloͤſtern 

und ten wo Jahrhunderte lang der babylonifche Handel 
2. * 


. 


540 Erklärung der Offenbarung Johannuis. 


getrieben wurde. Die Kinder’ fangen ſchon an gerichtet zu 
Pam es wird auch m am die Mutter fommen. Offen. | 


A,Uud — hörte eine andere Stimme aus dem Himmel 
ſagen: Geht aus von ihr, mein Volk! damit ihr nicht 
Gemeinſchaft haben moget mit ihren Sünden, und anf 
daß ihr von ihren Plagen nichts mit bekommt, 

5. Denn ihre Sünden haben fich bis an den Himmel an= 
einander geküttet, und Gott gedenkt ihrer Ungerech— 
tigfeiten, 

6. Bergeltet ihr fo, wie fie euch vergolten hat, und ver- 
Doppelt es ihr doppelt nad) ihren Werken! in den 
Becher, welchen fie eingefchenft hat, ſchenkt ihr dop⸗ 
pelt ein, 


Diefen Klaggefang über Babylon — drei Stimmen 
vom Himmel aus; die erſte iſt ein ſtarker glaͤnzender Engel, 
vom erſten bis * Vers; vom Aten bis 2oſten redet bloß 
eine Stimme aus dem. Himmel, und vom 2ıften bis 2aſten 
loͤſet dieſe wieder ein ftarfer Engel’ ab. | 

Die andere Stimme aus dem Himmel erinnert die wahren 
Ehriften in Rom und in der römifchen oder auch Fatholifchen 
Kirche, fie follten bei dem anbrechenden Gericht auswandern; 
denn durch laͤngers Bleiben möchten fie ihrer Sünden und 
ihrer Plagen theilhaftig und mit ihr unglüclic) werden ; ihre 
Sünden hingen wie geleimt aneinander, bis an den Him: 
mel hinauf, und Gott muͤſſe nun endlich einmal aller ihrer 
Greuel im Zorn gedenken. 

Auch diefe Stimme bedient ſich der Redensarten der alten 
Propheten; f. Zef. 48. V. 20. Ser. 50. V. 8, vorzüglich 
aber Ser. 51. V. 6., wo faft die nämlichen Worte gefunden 
werden; fie wird ſich dann auch durch eben die Mittel, wie 
bei dem erften Engel, hören laffen, wann es zur Flucht aus 
Babel Zeit jeyn wird; wohl dem, der ihr dann gehorcht! 

Der Befehl des ſechsten Verfes geht auf diejenigen, welche 
old Werkzeuge der Gerechtigkeit Gottes diefer Babel den 
Zornbecher einfchenfenz deun das Volk Gottes fol ja fliehen, 


Kap 18: B. A. bis 9. 341 


wie kann es dann Rache an ihr ausuͤben; — uͤberdem ift 
dad ja auch die Sache der Nachfolger des Lamms nicht. 
Das Thier mit feinen zehn Hörnern taugt am beften zum 
Doppeltsergelten, wenn Strafens und Rachens gilt. -Diefer 
Befehl ift alfo nur anzufehen ald eine göttliche Billigung 
der Strafe felbft, nicht ald Gerechtfame derer, die fie ausüben. 


7.&o fehr fie fich felbft verberrlicht und Ueppigkeit ges 
trieben bat, in eben dem Berhältniß gebt ihr Qual und 
Trauer; denn fie fpricht in ihrem Herzen: Sch habe 
mic als Königin gefegt, und Wittwe bin ich nicht, und 
Trauer werde ich nicht ſehen. 

8. Deswegen werden ihre Plagen in einem Tag Fommen; 
Tod, und Trauer und Hunger, und mit euer wird fie ie 
verbrannt werben; denn ftark ift der Herr, der Gott, 
der fie richtet, 

9, Und die Könige der Erden, die mit ihr Hurerei und 
Ueppigkeit getrieben haben, werden weinen und weh: 
lagen über fie, wenn fie den Rauch ihrer Feuers; 
brunft ſehen. 


Die Stimme aus dem Hinmel fegt nun noch den Maaß⸗ 
ftab der Strafe hinzu: So hoch fie fich felbft erhoben hat, 
fo tief fofl fie erniedrigt werden, fo hoch ihr Luxus und ihre 
Ueppigfeit geftiegen iſt, fo hoch fol nun auch ihre Qual und, 
ihre Traurigfeit fleigen, und ihr genau fo vergolten werden, 
wie fies verdient hat, denn fie feßt ſich mit der größten Ver— 
mefjenheit auf ihren Thron, troßt. Gott und fagt: Ich bin 
die Königin der Welt, ich bin der Statthalter Chrifti, der 
Gott auf Erden; in meinem Schoos ift nur Seligkfeit, und 
auffer mir Feine; ich bin allein die wahre Kirche, nie fehlt 
es mir an einem Bräutigam, bin daher nie Wittwe, fo we— 
nig als Chriftus Wittwer werden kann; Trauer werde ic) 
‚nie haben, denn Rom ift ewig: wie die Welt u. f. w. 
Dieſe Sprache Fennen wir; und das flolze Benehmen, 
welches fie gegen alle, die auffer ihr waren, bezeigte, haben 

wir erfahren ; aber diefer Trotz wird hier ſchrecklich gede— 
muͤthigt; auf einen Tag, zugleich und auf einmal, werden 


ei 


512 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Tod, Trauer, Hungersnoth und Brand fie überfallen, wie 
ein Dieb in der Nacht, und dann wird Stolz und Prahlen 
ein Eude haben; der Herr, der Gott, der fie richtet, ift ftärz 
ker als fie, und läßt fi) nur fo fang ſpotten, als feine Lange 
muth dauert, dann aber ift Er auch fchregflich in feinen Gerichten. 

Es wird zu der Zeit noch mehrere Könige geben, als die 
zehen, die mit dem Thier verbunden find; dieſe letztere gehoͤ⸗ 
ren aber auch nicht zu den gewöhnlichen, denn fie haben ihre 
Reiche nicht auf rechtmäßige Art empfangen, Kap, 17.8. 12. 
Sene alfo, die noch an der römifchen Kirche hangen, werden 
über ihren Sturz weinen und jammern, fo wie Kaifer Fries 
drich der Dritte und Pabſt Nikolaus der Fünfte auch weinten 
und Flagten, als Konftantinopel verloren war, vorher aber 
feinen Finger vegten; jegt Fannd aber nicht mehr helfen, fie 
hätten das Thier auf den. Kopf fchlagen follen, als es eben 
aus dem Ey fchlupfte, jet ift es nun viel zu fpät, und ihnen 
allen über den Kopf gewachien, | 


10. Und. werden ans Furcht über ihre Qual von ferne 
ftehen, und fagen: Weh! meh! die große Stadt! 
Babylon die ftarfe Stadt! denn in einer Stunde 
iſt dein Bericht gekommen. 

‚11. Und die Kaufleute der Erden Elagen und trauren 

über fie, weil ibre Waaren niemand mehr Fauft: 

2. Goldene und filberne Waaren, und Ehelfteine, und 
Derlen, und Baummolle und Purpur, und Seide, 
und Karmofin, und allerhand wohltiechende Hölzer, 
und allerhand helfenbeinerne Geräthe, und allerhand 
Geräthe aus dem Foftbarften Holz, und Erz, uud Eis 
fen und Marmor, 


Da ſtehen fie nun von ferne; ſich nähern und — koͤn⸗ 
nen ſie nicht, denn dazu ſind ſie zu ſchwach, auch iſt es zu ſpaͤt 
dazu; daher bleibt es bei dem bloßen Klagen — die große 
Stadt! die ſtarke Stadt! — gerad, als wenn dem Allmaͤch⸗ 
tigen irgend eine Stadt zu groß oder zu ſtark waͤre, wenn end⸗ 
lich einmal ſeine Langmuth ermuͤdet, und ein ſolches Suͤn⸗ 
denneſt zum Gericht reif iſt. | 


Vorzüglich aber lamentiren die Kaufleute, die ganze paͤbſt— 
liche Klerifey — denn ihr Handel jeder Art hat num ein Ende: 
Für Domperrnfteflen ı und Kanouicate, für Indulgenzen und 
Diſpenſationen zahlt niemand einen Heller; Reliquien, Pal 
lium, Amulette, Aguus Dei u. dergl. find Feine gangbare 
Waare mehr, und alles, was Simonie und geiftlicher Handel 
heißt, hat ein Ende: denn man will und braucht überhaupt 

ſolche Leute nicht ferner. 
Die ganze Elegieifteine Nachahmung der Wehklage Ezechiels 
über Tyrus. ©. feine Weiffagung Kap. 27. Alle hier anges 
führten Waaren mögen wohl finnbildlicy erklärt werden koͤn⸗ 
nen, allein diefe Unterfuchungen würden für meinen Zweck zu 
weitläuftig ſeyn. 


15. und Zimmet und Gewürze, und Rauchpulver und 
Salben und Weihrauch, und Wein und Oel, und 
Spelzmehl und Waizen, und Rindvieh und Schaafe, 
und Pferde und Kutfchen, und Körper und ae 
der Menſchen. 

14. Und das Obft, deiner Seelen Luft ift en, : 
alles Wohlbeleibte und. Prachtpolle hat fih von dir 
-verloren, und dergleichen wirft du nie wieder finden. 

15. Die Kaufleute diefer Dinge, welche durch fie reich ge- 
worden, werden vun ferne ſtehen, aus Furcht für ihrer 
Qual, fie weinen und trauern, 


Es ift merfwärdig, daß Rom und feine Klerifey auch fo 
gar im eigentlichen buchftäblichen Sinn diefe Waaren unges 
fahr alle bei ihren religidfen Gebräuchen und Geremonien in 
Uebung gehabt, und fo damit gehandelt haben. Rauchpul- 
ver, befonders Weihrauch, Wein und Del, Salben (Ehrifam) 


md Mehl find im einer römifchz Eatholifchen Kirche unent⸗ 


behrliche Waaren. Etwas befonders: aber ift es, daß’ hier 
eines Fuhrwerfs gedacht wird, von dem man in allen Mor: 
genlaͤndern nichts wußte, und für welches auch die griechifche 
Sprade fein Wort hatte, audy hier ein lateinifches geborgt 
werden mußte; welches abermäl ein deutlicher Beweis ift, 
aß Rom hier gemeint wird; denn in allen morgenländifchen 


Fo 


544 Erklarung ber Offenbarung Johannis. 


Provinzen gab es keine Kutſcher, wohl aber in Rom und in 
den Abendlaͤndern, beſonders in ſpaͤtern Zeiten. 

Der Handel mit Menſchenkoͤrpern iſt auch merkwuͤrdig, denn 
welch einen eintraͤglichen Handel hat man nicht von Rom 
aus mit Reliquien getrieben? — auch mit Seelen handelte 
man, entweder ſie aus dem Fegfeuer zu kaufen, oder auch 
eine heilig ſprechen zu laſſen; auch mag wohl hin und. wieder 
in Oſt- und Weſtindien der Sklavenhandel mit untergelaufen 
ſeyn, daruͤber aber koͤnnen die Proteſtanten niemand etwas 
vorwerfen, denn ihre Seemaͤchte find in dieſem Stuͤck grau: 
ſamer geweſen, als eine Nation vom Anfang der Welt her. 

Ferner heißt e8: Die Foftbaren Deferte nad) deinen Föft- 
lichen Mahlzeiten find vorbei; Pfirfiche Aprikofen und Obft 
aller Art ift hin — und die Corpulenz deiner Kaufleute, al: 
les Splendide ift auf ewig verfhwunden, | 

Alle diefe Leute, denen bei diefein Gericht ihr einträglicher 
Handel auf ewig ruinirt wird, ftehen auch von ferne. und 
wehflagen, weil fie nicht helfen Fünnen, und nun in den 
bitterften Mangel unwiderbringlich verfegt find. 


16. Und ſagen: Weh! Weh! die große Stadt! die mit 
Neffeltuh, Purpur und Karmofin bekleidet, und 
Aibergoldet war mit Gold, Edelfteinen und Perlen; 
denn in einer Stunde ift ein folcher Reichthum verz 
mwüftet worden, 

17. Und jeder Steuermann, und alles, mas auf deu 

Schiffen Gefchäfte hat, und die Schiffleute und ſo 
viel ihrer auf dem Meer arbeiten, ftehen von ferne. 

18, Und fchreyen, indem fie den Rauch ihres Brands 
ſehen, und ſprechen: Wer ift der großen Stadt gleich ? 


Dei diefer Wehklage erinnern fich die Keitragenden an all 
die Pracht, in welcher diefe Stadt, und alles, was dazu 
gehört, ‚fo lange gelebt und gefchwelgt hat, und erftaunen 
uͤber ihren ſchnellen Fall, der gleichſam in einer Stunde ges 
fommen ift, - 

Auch die Schiffleute, der ganze Seehandel geräth in Als 
larm; hier wird. nun wieder-auf Tyrus angefpielt, als welche 


* 


Po 


Kap. 18,8 19. bis an 348 


in ben alten Zeiten die Hauptftadt des phönizifchen Geeftaats 
war. Rom hat fich mit dem Seehandel wenig beſchaͤftigt, 
daher paßt diefe Stelle im buchftäblichen Verftand weder auf 
die alte, noch auf die neue Verfaffung diefer Stadt; aber im 
geiftlihen Sinn, den die Apofalypfe überall im Auge hat, 
ift auch diefer Theil der Klage fehr treffend; denn die pabfts 
liche Hierarchie hatte ihr befonderes und ganz vorzügliches 
Verkehr mir den Farhelifhen Seeſtaaten; die Gefchichte bes 
lehrt uns, was fie durch die Spanier und Portugiefen in 
Amerika, und durch die Sefuiten in Oft: und Meftindien, 
und befpnders in China und Japan, für große Plane aus: 
zuführen gefucht hat; alle diefe Plane find nun bin, und dies 
jenigen, die dadurch zu gewinnen fuchten, find nun aller 
ihrer Hoffnungen beraubt. Sie fehen den Dampf der großen 
Feuersbrunſt Roms, und fchreien, wer ift der großen Stadt 
gleich? — und doc) fallt fie fo fchredlich auf einmal! 


-19, Und fie wurfen Staub auf ihre Häupter, und fchreyen 
mit Weinen und Trauern, und fagten: Weh! Weh! 
Die große Stadt! in welcher ſich mit ihren Koftbars 
keiten alle diejenigen bereichert haben, die Schiffe auf 
der See haben; denn in einer Stunde ift fie verwü> 
ftet worden. 


20. Heitre dich auf, Himmel und die Heiligen, und bie 
Apoftel, und die Propheten! denn Gott hat euer Ges 
richt an ihr gerichtet. 


21, Und ein ftarker Engel hub einen Stein auf, wie ein 
großer Mühlftein, und warf ihn ins Meer, und 


 fprah: So wird mit Ungeftimm die große Stadt 


Babylon bingefhlendert werden, und man wird 


fie nicht mehr finden konnen. 


Bei dem 19ten Vers hab ich nichts mehr zu erinnern; im 
‘ 20ften muntert die Stimme aus dem Himmel den Himmel 
und feine Bewohner auf, nunmehr froh zu feyn: Denn Gott. 
habe endlich einmal angefangen, feine Gerichte an den Haupt⸗ 
feinden feines Reichs auszuführen; nun werde ed auch bald 


Zr 


346 Erklärung der’ Offenbarung Zohannis, 


zum großen Sieg und zur endlichen Erldſung ihrer — 
ten Bruͤder auf Erden kommen. 

Hierauf folgt nun die dritte Stimme, welche das Klage 
lied endigt: Ein ſtarker Engel hebt einen großen Müplftein 
auf, und wirft ihn mit großer Kraft und Gefchwindigfeit 
ins Meer, um damit den fchleunigen und unwiderbringlichen 
Untergang der Stadt figürlich vorzuftellen, wie er foldyen 
auch durch einen damit verbundenen Ausruf erklärt, — 
aͤhnliches findet man Jer. 51, V. 65. 64. 


22. Und die Stimme der Harfenſpieler und Muſikanten, 
und Flötenbläfer und Poſaunenbläſer wird fernerhin 
nicht mehr in dir gehdret werden; und Fein Künftler 
jeder Kunft foll ferner in dir gefunden werben, und 
die Stimme der Mühlen fol ferner nicht mehr in Dir 
gehört werden. 

25, Und das Licht der Leute foll nicht mehr in dir fchei- 
nen, und Die Stimme des Bräutigams und der Braut 
foll in dir ferner nicht gehärt werden ; weil deine Kanfs 
leute die vornehmften auf der Erde waren, weil durch 
deine Öiftmifcherei alle Nationen verführt worden find. 

34, Und in ihr ift das Blut der Propheten; umd der Heiz 
ligen, und aller derer, die auf der Erden erwürgt 
find, gefunden worden. 


Dieſe Fortſetzung der Elegie durch die dritte Stimme geht 

nun auf die Luſtbarkeiten der Stadt Rom: Keine Stadt in 
der Welt hat groͤßere Virtuoſen in der Muſik gehabt, als 
ſie. — Das Wort, welches ich durch Harfenſpieler uͤberſetzt 
habe, kann auf allerhand Saitenſpiel, Muſikanten, auf 
Saͤnger, und Poſaunenblaͤſer, auf Waldhorniſten gedeutet 
werden; denn unfre Waldhoͤrner kommen den Arietinen der 
Alten ſehr nahe. Aller dieſer Jubel iſt nun verhallt, uͤberall 
herrſcht todte Stille, außer wenn wilde Thiere und Vögel ihre 
furhtbaren Stimmen hören laffen. Auch mit den prächtigen 
Kunſtwerken, befonderd Mahlerei und Bildhauerfunft, hats 
ein Ende; dad Klappern der Mühlen hört auf, weil niemand 
mehr da ift, der Mehl braucht. Die Menge ver Leuchten 


* 


Kap, 18. DB, 22, bis 24, 547 


und Fadeln, die man des Nachts auf den Gaffen fahe, ift 
ausgelöfcht, Irrwiſche und dde glänzende Dünfte, die aus 
dem faulen Sumpfboden auffteigen, mögen wohl ihre Stel: 
len erfegen; das Getöne der Hochzeiten ift-erftorben; denn 
niemand ift mehr da, der heurathet. Und dieß traurige Schids 
fal kommt daher, ‚weil deine Kaufleute, deine Geiftlichkeit 
überall die vornehmften waren, und in der Staatsverfaflung , 
den Fürftenrang erfchlichen haben; und weil man anftatt der 
heilfamen Glaubenslehren des — glaͤnzende Irrthuͤ⸗ 
mer, wodurch die Menſchen vom rechten Weg abgeführt wor— 
den, untergefchoben hat. Vorzüglich aber hat fie ſich ihr 


ſchreckliches Schidfal dadurch zugezogen, daß fie fo viele wahre 


Belenner Jeſu um dieſes Bekenutniſſes willen hingerichtet hat. 
Dieß ganze Kapitel enthält alfo im poetifchen Styl das 


% Gericht über die große Hure; nun folgt im folgenden Kapi— 
tel audy der legte große Sieg über das Thier felbft und feis 


nen falfchen —— — durch die glorwuͤtdigſte Zukunft 
des Herrn. 





548 Erklärung ber Offenbarung Johannis, 


Dad neunzehnte Kapitel, | 


1. Nach diefem hörte ich eine große Stimme einer mans 
nigfaltigen Menge im Himmel ſagen: : Hallelus 
ah! — Das Heil und die Herrlichkeit und bie Araft 

fey unferm Bott! | 


2, Denn feine Gerichte find wahrhaftig und FRE, weil 
Er die große Hure gerichtet hat, welche mit ihrer Hu⸗ 
rerey die Erde zerrüttete, und hat das Blut feiner * 
von ihrer Hand gerochen. 


3. Und fie ſprachen zum zweitenmals Seldkfahi 
und ihr Rand) fteigt auf in die ewigen Gwigfeiten. 


4. Und die vier und zwanzig Xelteften, und die vier leben- 
digen Wefen ftelen nieder, und beteten Gott an, der 
auf dem Thron fist, und fprahen: Amen Hallelujah! 


Hier haben wir num die Aufheiterung des Himmel und 
feine Bewohner, weldye im Loſten Vers des vorigen Kapitels 
anempfohlen wurde: Alle Engelfchaaren jauchzen ein hohes 
Hallelujah, und fchreiben mit Recht Gott Ehre und Herr: 
lichfeit zu; die feligen Menfchen werden erſt im folgenden 
sten Vers zum Hallelujah aufgefordert, Alle Engelchöre 
jauchzen über das Gericht des geiftlichen Babels, weil es die 
Staatöverfaffungen durch feinen verführerifchen Einfluß zer— 
rüttete, und die Knechte des Herin gemordet hat. Gie 
wiederholen ihr großes Hallelujah! — und fügen die Worte 
des Propheten Jeſaiaͤ Kap. 54. V. 10. hinzu: Ihr Raud) 
werde ewig auffteigen wie auf dem todten Meer von Sodom 
und Gomora, damit fih die Nachwelt immer von ihrem 
ſchrecklichen Gericht Überzeugen —— und es beſtaͤndig vor 
Augen habe. 

Nun geben auch die Standmaͤnner der Menſchheit, die 


* 
* 


4 Bi 349 


vier und zwanzig Nelteften und Repräfentanten der ganzen 


Natur ihren Beifall; fie befräftigen jenen Jubel mit einem 
feierlichen Amen Hallelujah! — Sa, in Wahrheit fey 
Gott gelober! — Zugleich beten fie Den an, ‚der auf dem 
Thron ſitzt; denn Er ift ja der Allperrfcher, der gerecht regiert, 
und dem alfo alle Ehre und unfterblicher Dank allein zukommt. 
Set meine lieben Lefer! kommen mir der Morgenröthe 
jenes großen Tages immer näher; denn nachdem die gottlofe 
Ehebrecherin gerichtet ift, erfcheint die Braut des Lamms. 


5. Und eine Stimme ging vom Thron aus, die ſprach: 


Lobt unfern Bott alle feine Knechte, und die ihn fürch- 
ten, Kleine und Große! 

6. Und ich hörte, wie eine Stimme einer großen Menge, 
und wie eine Stimme großer Wafler, und mie eine 
Stimme ftarfer Donner, die ſprach: Hallelujah! — 
denn der Herr, Gott, der Allberrfcher! hat Eöniglich 
regiert, 


m Laßt ung freuten und frohlocken, und Ihm die Herrlich 


feit geben, denn die Hochzeit des Lamms ift kommen, 
und fein Weib hat fich bereitet. 


8. Und es wurde ihr gegeben, daß fie ſich mit reinem, 


glänzendem Neſſeltuch bekleidete: diefes Gewand ift 
die Rechtfertigung der Deiligen. | 


Die Aufforderung zum Beifall gebenden Loben und Jauch⸗ 
zen fommt vom Thron ber, und geht an alle vollendete ſelige 
 Menfchen, vielleicht follen auch die noch nicht vollendeten hie= 

nieden mit einflimmen; der Ausdrud: Kleine und Große, 


ſcheint mir zu beweifen, daß die Menfchen gemeint find, weil 


nur diefe Flein und groß genannt werden fönnen. Im Ihren 


gibt es nur dreierlei Stimmen, nämlidy Den, der darauf fit, 
dann dad Lamm, und endlich die Stimmen der vier lebens 
digen Wefen; von diefen legten Fommt vermuthlich Die Era 


mahnung her, weil es heißt: Lobt unfern Gott! fo würde 


weder Gott noch das Lamm reden. 
Der Aufforderung wird gefolgt, und die Stimme der Lo- 
benden ift fo groß und ftark, wie dad Brüllen eines großen 


350 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis. 


| Waſſerfalls, oder wie das Rollen eines ſtarken Domners: der 


Gedanke an diefe große Menge ift mir fo wohlthätig — die 


Erldfungsanftalten Jeſu Chrifti haben doch ein großes Heer 


meiner Brüder und Schweftern gerettet und telig gemacht. 
Hallelujah! 

Die Stimme der erlösten Menſchheit iſt merkwuͤrdig; denn 
erſtlich bezeugt ſie: Der Herr — Gott — der einzige Allherr⸗ 
ſcher, habe koͤniglich regiert — Er habe nun bewieſen, daß 
er nicht allein noch lebe, ſondern ſich auch wirklich der Ge— 
fchäfte annehme, die Menfchen regiere; denn das habe Er 
im Gericht der größen Hure bewiefen; 1111 Jahre lang habe 
fie allen Muthwillen getrieben, alle Graufamfeiten ausgeübt, 
und ed habe oft gefchienen, als wenn fich Gott der Regie— 
rungsgefchäfte nicht mehr annehme, aber jetzt habe es fich 
recht gezeigt, daß Er doch noch immer ein thätiger, die Menſch⸗ 
heit regierender König fey. 

Hier ift nun der Uebergang zum Jubel- und Hochgefang 
fehr wichtig; vor allen Dingen aber, fährt die große Stimme 
fort, haben wir Urfache zur Freude und zum Jauchzen, und 
dem Herrn Herrlichkeit und Ehre zuzufchreiben: Denn. die 
Hochzeit ded Lamms ift nun da — das große Feft, worauf 
unfer Heiland mit dem Gleichniß der zehn Fungfrauen zielte, 
ift vor der Thür, die Braut hat, ſich geſchmuͤckt, und der 
Bräutigam iſt im Anzug u. ſ. w. 

Dieſer Ausdruck iſt fuͤr uns unausſprechlich erfreulich: der 


Fall unfers Babels ift nahe, und fo bald ihr Gericht vollene 


det iſt, ift auch die große Üüberfchwengliche Hochzeitfeier nicht 
weit mehr, fie wird unmittelbar darauf folgen; wenn die 


Ehebrecherin aus dem Wege ift, dann erfcheint die wahre 


Sattin, die thyatirifch: —— Gemeinde in aller ihrer 
Herrlichkeit. 


Wenn es einmal zum endlichen Fall der rdmiſchen, aus⸗ 


gearteten Kirche gekommen iſt, dann wird der Herr durch 
feine Vorſehung kraͤftige Auſtalten zur Vereinigung aller wah— 
ven Chriſten treffen, fie werden ſich in eine Heerde verfam: 
meln, aneinander anfchließen, wichtige Verbefferungen an: 
ordnen, und danın werden die fünf thörichten Zungfrauen von 











Kap. 19. V. 1. bis & 551 


den fünf Klugen unterfchieden werden — Gott! das ift ein. 
trauriger Gedanke! auch dann noch eine Scheidung! — ins 
deffen, ed iſt nicht anders, die Braut muß rein und ohne 
Macel feyn, da gilt Fein Herr, Herr fagen mehr. Die Zus 
bereitung der Braut erfordert Genauigkeit. 

Der verdborbene üppige Geift unferer.Zeit hat das reine und 
- heilige Bild einer Hochzeit unertraͤglich herabgewürdigt, bes 
eckelt und lächerlich gemacht, und doc) ift es in feinem wah⸗ 
ren Sinn fo ſchoͤn. — Man denkt fich die Freude, wie den froms 
men Duldern in der allgemeinen North zu Muth feyn muß, 
‚wenn nun endlich der fo lang erflehte Seelenfreund, fo wie 
der Bliß vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, auf 
einmal ganz unerwartet da ift — mitten unter ihnen erfcheint, 
und num nicht allein aller Sammer ein Ende hat, fondern 


niun auch einmal die Reihe an ihnen ift, dad Haupt empor 


zu heben; wie wird Er fie halb anlaͤcheln, fich feiner Erlög- 
ten freuen, und ihnen fagen: Jetzt bin ich endlich da, meine 
Kieben! — und wir werden uns in Ewigkeit nicht mehr tren= 
nen — jeßt ift die Freude, der Jubel an euch, und wir 
wollen nun das Reich einehmen, das vom Anfang der Welt 
hey auf ung wartet; gibts ein Bild, welches dieß Frohſeyn 
beffer ausdrücdt, als die Hochzeit zweier Liebenden Seelen, 
die lang getrennt lebten, und nun auf einmal immer vereinigt 
werden folen? O— ihr Zeitgenoffen! übt Glauben an Jeſum 
CHriftum und, Geduld der Heiligen! die Zeit ift nahe, wo 
ihr euch des Glaubens und der Ausharräng unausfprechlich 
freuen werdet. Bereitet euch, ihr Srommen, Getreuen! mit 
großem Ernft, damit ihr nicht blos erfunden werdet, * 
entre Lampen bereit: Denn Er kommt bald. 
Die Braut foll fich aber mit ihren eigenen Lumpen ja nicht 
pußen, die pafjen nicht zur Hochzeit, fondern fie foll nur 
die wahren Mittel gebrauchen, fich von allem Shmud und 
Ungeziefer zu reinigen; das hochzeitliche Kleid ſchickt ihr der 
Bräutigam voraus, fie wird in den feinften, blendend weißen 
Muffelin gekleidet. Das Wort byssus und byssinon, weldjes 
bier in der Grundfprache fteht, bedeutet weder Flache, und 
noch weniger Seide; fondern es ift Baumwolle; diefes feine 


552 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


reine Gewaͤchs, welches in denMorgenländern häufig gezo: 
gen, und anftatt des Leinwands gebraucht wird;  Byssinon 
heißt alſo ein Baumwollengewand, und hier, wo das Wort 
glänzend und rein noch hinzugefeßt wird, bedeutet es das 
feinfte Gewebe aus Baumwolle, welches ich nicht beffer als 
durch Neffeltuh, Muffelin, auszudrücken wußte, weil diefes 
Gewand gerade das ift, was hier gemeint wird, Zu Jo— 
bannis Zeiten war. die eigentliche Seide Außerft felten und 
foftbar, fie heißt im griechifchen Sericon, und fommt nur 
Kap. 18: V. 12. vor; nein! dieß Raupengefpinnft, womit 
die große Ehebrecherin handelte, ſchickt fich für die Braut 
nicht, das reine, fchneeweiße, baumwollene Gewebe, dad 
auch die Priefter ſchmuͤckt, gehört für fie 

Diefer einfache reinliche Brautſchmuck wird aber nun auch 
erklärt; es heißt, dieß Gewand bedeute die Rechtfertigung — 
eigentlich die entfcheidenden Freifprechungsurtheile — der 
Heiligenz ihrer Sünden wird nicht mehr gedacht, fie find 
ewig davon abfoloirt, und dagegen wird ihnen die durd) daB 


Keiden und Sterben Chrifti erworbene Gerechtigkeit zugeeig⸗ 


net, in diefe Roͤcke der Gerechtigkeit werden fie gefleiderz da 
‚wird fich dann aud) der zeigen, der bei diefer Hochzeit kein 
hochzeitliches Kleid anhatte. 

Es ſcheint, als ob bei der Zukunft Chriſti eine große Feier 
ſollte veranſtaltet werden, welche hier unter dem Bilde einer 
Hochzeit vorkommt, worin nun aber dieſe Feier beſtehen 


wird, das wiſſen wir nicht. — —— wer Gaſt dabei iſt, 


und es alſo ſelbſt erfaͤhrt!!! — 


9. Und er ſprach zu mir: Selig ſi * die 
zum Abendmahl der Hochzeit des Lamms berufen 
ſind! Und er ſprach zu mir: Dieſe wahrhaftigen 
Worte ſind von Gott! 


10. Und ich fiel vor feinen Füßen nieder, ihn anzubeten, 
und er ſprach zu mir: Nimm dich in Acht! thue es 
nicht; ich bin dein und deiner Brüder Mitfnecht, 
welche das Zeugniß Jeſu haben, Gott bete an! — 
Das Zeugniß Jefn aber ift der Geift der Weiffagung. 


N a EZ 








Kap. 19. V. 9. 10% 353 


Das große Abendmahl der Hochzeit des Lamms muß aufs 
ferordentlicy wichtig feynt Denn der Engel befiehle dem 
heiligen Seher das Nota bene ja aufzufchreiben, daß diejenis 
gen gluͤckliche, ſelige Menfchen feyen, die zu diefer Feierlich— 
feit eingeladen wurden; und damit er diefe Verficherung nicht 
‚ etwa als eine bloße Vermuthung irgend eines endlichen Wes 
ſens anfehen möchte, fo fügt der Engel hinzu: Diefe wahrhafs 
tigen Worte find Worte Gottes, folglich unträgliche Wahrheit; 

Meine Vermurhung über die Beichaffenheit der Hochzeit 
bed Lamms, die aber auch für nichts mehr als Bermuthung 
gelten fol, ift folgende: 

Sobald der ‚Herr Chriftus auf der Erden erfcheinen wird, 
fo wird Er auf irgend eine Weife alle feine noch lebenden 
Getreuen um ſich her fammeln, und ſich ihnen in aller feiner 
Herrlichkeit zeigen, und feine Gefellihaft, das Heer feiner 
Heiligen, die Er mitgebracht hat, V. 14. wird ſich mit ihnen 
unterhalten; alle Borempfindungen der Seligfeit werden in 
Fülle dürch den Geift des Herrn ausgefpendet werden, und 
wer weiß, welche große Dinge bei diefem Abendmahl vors 
gehen und ausgemacht werden, ehe jeder wieder in feinen Bes 
ruf hienieden zuruͤcktritt. 

' Es fcheint, als wenn dem Seher der Gedanke gefommen 
wäre, diefer Engel möchte wohl der Herr felbft feyn, befons 
derö weil er feine Worte für Worte Gottes ausgegeben habe — 
er wird aber darüber eines andern belehrt, und ihm gefagt, 
daß die Engel nicht dürfen angebetet werden, denn fie feyen 
Mitknechte wahrer Chriften. Merkwuͤrdig ift hier der Aus: 
druck, daß die wahren Ehriften ald folche betrachter werden, 
die das Zeugniß Jeſu haben — das Heißt, die die hiftorifche 
Gecſchichte von Jeſu Ehrifto glauben, und ihr gemaß wandeln. 
Es gab wohl feit der Apoftel Zeiten Feinen Zeitpunkt, in weils 
dem das Glauben an Zefum Ehriftum und feine Wahrheit 
ein fo fiheres Zeichen des Chriſtenthums war, als von uns 
an. bis zu feiner Zukunft — befonders aber wird hier unter 
dem Geift der Weiffagung das verftianden, was in der Bis 
‘bel von ihm geweiſſagt worden, und vorzüglich gehört die 


hohe Offenbarung hieher: Es wird von nun an immer wich: 
Stilling's fümmtt. Schriften. UL. Band, 23 


354 Erklaärung der Dffenbarung Johannis 


tiger, die Weiffagungen von der nahen Zukunft des Herrn 
genau zu-betrachten, ihnen zu glauben, und ihren Vorſchrif⸗ 
ten zu folgen, damit man fich auf diefe Zeit gebührend vor: 
bereiten möge. Das Zeugniß Jeſu ift der Geiſt der MWeif- 
fagung , wer alſo diefen Geift hat, das ift, wer fich aus 
den Weiffagungen, vorzüglich aus der hohen Offenbarung, 
über alles belehrt hat, was und bevorfteht, und was wir zu 
thun haben, der hat das Zeugniß Jeſu, das ift ein Bruder 
der Engel; 


11. Und ich fahe den Himmel geöffnet, und ſiehe! ein 
weiß Pferd, und der darauf faß, beißt Treu und 
Wahrhaftig, errichtet und führt Krieg mit 
Gerechtigkeit. 

12. Seine Augen find eine Feuerflamme, und auf ſeinem 
Haupt viele Koͤnigskronen; er hat einen geſchriebenen 
Namen, den niemand weiß, als er feldft. 

15. Und er ift befleidet mit einem Gewand, das mit Blut 

gefärbt iſt; und fein Name wird genannt das Wort 
Gottes, 


Da find wir nun endlih an den großen Zeitpunkt ber 
Zufunft des Herren, des Königs mit den vielen Kronen, ges 
kommen; jetzt ift alles dazu vorbereitet: Die Ehebrecherin 
iſt gerichtet, die Braut ift bereit, der Nationenhirte,, Kap. 
12.8. 5, ift mindig, und das Thier aus dem Abgrund 
‚tobt dergeftalt, daß.es der Gegenwart des Herrn bedarf, um 
dem Unfug ein Ende zu machen. Wahrlich, ein Zeitpunkt, 
der feines gleichen nicht hatte, fo lang die Welt ſteht. — 
Als Chriftus in den Tagen feines Fleifches auf Erden mans 
delte, da war auch eine merkwürdige Zeit, aber doch nur für 
die wenigen, die glaubten; jeßt werden Ihn alle Augen fehen, 
auch die Augen der viel Taufenden, denen Er lächerlich war, 
jest aber fehr furchtbar ift — nun hört das Glauben auf, 
und das felige und unfelige Schauen geht an; alles Diss 
putiren über die Perfon Ehrifti, feine Gottheit, fein Verſoͤh— 
nungswerf und feine Wahrheit überhaupt, hört nun auf, und 
das Schämen ift nun an denen, ‚die e8 gewiß wußten, daß 








Kap 19. V. 11: bis 13. 355 


Ehriftus blos ein guter Mann, ein frommer Lehrer der Moral, 
aber weiter nichts — daß feine Wunder, feine Auferftehung, 
und überhaupt alles Mebernatürliche bei feiner Sendung bloße 
und baare Schwärmerei geweſen fey; — ja wahrlich! an 
dieſen ift nun dad Schaͤmen, daß fie fo dummſtolz auf ihren 
Funken Vernunft waren, und fic) fo fchredlich getäufcht has 
ben; hingegen der verachtete und verfpottete Thränenfäer geht 
dann muthig und mit aufgeregtem Haupt einher, und bringt 
mit Freuden feine Garbe. 

Johannes fahe den Himmel gedffnet — es war ihm, als 
fähe er eine große weite Deffuung gegen Morgen hin, und 
fiehe da! ein weiß Pferd — und der drauf ſaß — der Edle, 
ber Kap. 6. V. 2. auszog, kommt hier auf feinem weißen 
Pferd wieder; er hat feitdem manchen Sieg erfochten, Darum 
trägt er mum auch viele Kronen — Hallelujah! Er fommt 
endlich einmal wieder, der fo heiß erfehnte und erflehte Treue 
und Wahrhaftige; diefe Titel oder Zunamen befomme Er 
jeßt von den Seinigen; denn Er hat ihnen nun Wort ges 
halten, Er ift ein Mann von Ehre, der niemand täufcht, 
was Er verfpricht, das hält Er gewiß, Er ift der Wahrhaftige! 
. Er richtet nach’ Gerechtigkeit, und führt audy Krieg mit 
Gerechtigkeit; das Erfte har Er bis daher in feinen Geriche 
ten bewiefen, und das Letzte wird Er nun auch jetzt im letzten 
großen Kampf. beweifen; niemand foll das geringfte Unrecht 
geichehen, fondern jedermann foll fo. behandelt werden, daß 
er in feinem Zunerften von der Gerechtigkeit des Richters 
und Siegers überzeugt feyn muß. 

Seine Augen funfeln wie zween Morgenfterne, Kap. 1. 
B. 14, wer da getroft hinein [hauen Fann, der ift gluͤcklich; 
wo der hieroglyphiſche Namenszug fand, den niemand lefen 

Tann als Er felbft, das fagt der Apoftel nicht ; diefer geheime 

Mame ift weder der, von dem der I1te Vers redet, noch der, 

deſſen im 15ten Vers gedacht wird, und eben fo wenig ders 
jeuige, der. nach dem I6ten auf feinem Kleide und auf feiner 
Hüfte geſchrieben ſteht; alle drei Namen und Titel wiffen 
wir, folglich Fann Feiner der Name feyn, den niemand weiß 
als Er ſelbſt. Diefe Hieroglyphe bezieht fih vermuthlich 
23 * 


556 Grflärung der Offenbarung Johannis. 


auf die Ausfuͤhrung eines großen Plans, von dem wir alle 
noch nichts ahnen, und die dann erſt lesbar wird, wenn der 
große Plan zur Ausführung reif ift; 

Daß fein Kleid mit Blut gefärbt ift, hat eine doppelte 
Urſache: Es Fann mit feinem eigenen Blut gefchehen feyn, 
als Er fich für und auf Golgatha opferte, und ed kann auch 
vom Keltertreten herkommen. Gef. 65. Dieß Kapitel ge: 
hört in feiner geheimen Bedeutung ganz hieher. Man wird 
am wenigften irren, wenn man beide Vedentuuge mit einan⸗ 
der vereinigt. | 

Herrlich ift endlich fein Name: Der Logos Gottes! — 
daran kennen wir Ihn, wer Er ift, und Johannes konnte 
Ihn am beften kennen; er, der in feinem Evangelium Kap. 1; 
fo viel fhönes von diefem Logos, der Gott ift, durch den 
alles gemacht worden, und der dann Menfch ward, um die 
Welt mit Gott zu verfühnen, und über ihr ewiges Heil zu 


belehren gefagt hat; — er, der während feines Lebens auf 


Erden fein vertrautefter Freund war, Tonnte ihn auch hier 
am beften kennen. 


14, Und die Kiiegsheere, die im Himmel find, folgten 
ihni auf weißen Pferden, fie waren mit reinem weiſ⸗ 
fen Neſſeltuch bekleidet, 

15. Und aus feinem Munde ging ein fharfes Schlachts 
fchwerdt, daß er damit die Nationen zerfchmettern 
möchte, und Er wird fie mit dem eifernen Eteptet 
meiden, und Er tritt die Kelter des Eiferweins des 
Zorns Gottes des Allberrfchers. 

16, Und Er hat auf dem Kleid und auf feiner Hüfte einen 
gefhriebenen Namen: König der Könige, und Herr 
der Herren, 


Die Himmeldkrieger kommen alle auf weißen Pferden, 
denn fie haben ſchon gefiegt; hier gibts nichts mehr zu kaͤm⸗ 
pfen für fie; fie find nur Triumphsgefaͤhrten des Herrn aller 
Herren, und kommen blos, um das Reich mit ihm einzunehmen, 
Ob nun diefe Begleiter alle, fterblichen Augen fichtbar feyn 





werden? das iſt eine Stage, die wir nicht beantworten fon 





Kap. 19, B. 114. bis 16, 367 


nen; eben ſo wenig laͤßt ſich auch genau beſtimmen, wie der 
Herr bei ſeiner Zukunft auf unſre Sinnen wirken werde? 
Es iſt möglich, daß dieſe Zukunft ſich in einer gewiſſen Herr⸗ 
lichkeit aͤußert, die an einem beſtimmten Ort geſehen werden, 
und mit der man ſich über wichtige Gegenftände unterreden 
kann; es ift ferner moͤglich, das fi) aud die Gegenwart 
des Herrn blos in Kraftthaten, fogenannten Wundern und 
großen Geiftesfräften,, dußern wird; und endlich kann auch 
der Herr perfönlicy wieder auf der Erde leben, wie ehmalß, 
nur daß jeßt feine Herrlichkeit, als die Herrlichkeit des ein- 
gebornen Sohns vom Vater voller Gnade und Wahrheit, auch 
äußerlih um ſich ſtrahlen, und den ganzen Erdkreis erfuͤl— 
len wird, | 

Genug! Er kommt gewiß: — und bald — wie und auf 
welche Art? — das wollen wir nicht erforfchen,, fondern im 
Blauben erwarten, 

Die Begleiter des Herrn find alle in die Gerechtigkeit der 
.. Heiligen gekleidet — fie tragen die himmlische Hofuniform, 

welche auch jeder nothwendig tragen muß, der vor,dem 
Herrn erfcheinen und in feiner Gegenwart leben will. 

Sm 1I5ten Vers wird das wiederholt, was fchon dem 
Ueberwinder zu Thyatira Kap. 2. V. 26. 27. und dem Nas 
tionenhirten Kap. 12. V. 5. verfprochen worden. Des Schlacht⸗ 
ſchwerts aus feinem Munde ift auch ſchon gedacht worden, 
Kap. 1.8. 16. Kap. 2. V. 16. und an andern Diten mehr; 
man lefe, was ich an beiden Drten darüber gefagt habt: 
Meder der Chrift, noch Ehriftus felbft, Fämpft mit dem na= 
türlichen Schwerdt für die Sache des Reichs Gottes, fons 
dern blos mit dem Schwerdt des Geiſtes — fein Sieg ift 
Sieg des Glaubens, und Sieg der Wahrheit über Abers 
‚ glauben, Unglauben und Lügen oder falicher Lehre, Wenn 
anbei wirklicher Krieg, Schlachten und Blutvergießen mit 
unterlaufen, wiewohl auch bei dieſer Zukunft gefchehen 
wird, fo gefchieht das durch die Widerwärtigfeit der Mens 
ſchen, aus den Folgen ihres Verderbens, und ihrer abſcheu⸗ 
lichen Plane, die fie fi) immer nach der Drachenpolitif ent- 
werfen und auszuführen fuchen, und fich dann felbft darüber 


558 Erklarung der Offenbarung Johannis. 


in die Haare gerathen, wie man davon die haͤufigſten und 
ſchrecklichſten Beiſpiele hat. 

Eben ſo verhaͤlt es ſich auch mit dem Hüten durchs ölfetäe 
Scepter nnd Zerfchmeißen wie Töpfe Pf. 2. V. 89. Ic 
habe oben auch darüber fehon meine Meinung gefagts Die 
Nationen find fich felbft untereinander eiferne Ruthen, und 
auch das Zerfchmeißen ift ihre eigene Sache, aber weil es 
unter. der Leitung der Vorfehung gefchieht,- und beſonders 
bei diefer zweiten Zukunft auf eine eflarante Art gefchehen 
wird, fo fchreibt er hier die Offenbarung dem Herin felbft 
zu; und zwar mit Recht, indem ja fein Haar von unferm 
Haupt, ohne feinen Willen, auf die Erde fallen kann. Eis 
gentlich müffen wir uns diefe Sache fo vorftellen ;- Durd) die 
Zukunft des Herrn in feiner Gemeinde, der ſogenannten 
Braut des Lammes, wird die Wahrheit der chriſtlichen Res 
ligion fo unwiderfprechlich und fo klar jedermann in die Augen 
ſtrahlen, daß nur derjenige widerftreben kann, der nun eins 
mal nicht glauben will, und diefer mags daun, aller Ge⸗ 
wißheit ungeachtet, doch noch immer viele geben; diefe vor⸗ 
feslich Ungläubigen werden bier die Nationen genannt, weil 
man deren auch eine große Menge unter allen Nationen des 
Erdboden finden wird, 

Man Fan fich leicht vorftellen, daß diefe feindfelige Menge 
aus allen Nationen, die Chriften, weldye nun unter der Dir 
reftion ihres Dberhaupts die allgemeine Weltmonardie be: 
Fommen haben, und immer mehr befommen werden, nicht 
in Ruhe laffen wärden, wenn jenes eiferne Ecepter nicht 
wäre! — aber das höchftgerheilte Intereſſe viefer Völker, 
ihre Feindfeligkeit,. und ihre ‚beftändigen Kriege gegen einz 
ander, wodurd fie fich fehwächen und aufreibeu, machen 
eben dieß eiferne Scepter aus, womit fie ihr eigenes Schick⸗ 
fal wie irdene Töpfe zerfchmeißt. 

Hier ift aber auch nun der Ort, wo ich mich vollends noch 
über die eigentliche Befchaffenheit des Nationenhirten, defz 
fen Kap. 12%: V. 5. gedacht, und der bis jet vor Gott und 
feinem Thron erzogen worden, erflären muß. Ich habe bei 
Erklärung gedachter Stelle fchon das Wefentlihe darüber 








Kap 19. V. 14. bis 16. 369 


geſagt, doch möchte ich gerne vu ein und anderes sur Ers 
läuterung hinzufügen. 

Die Gemeinde ded Herrn wird durch fo viele Erfahrungen 
und Belehrungen, dann auch durch die mannigfaltigen nuͤtz⸗ 
lichen Erfindungen, und Wachsthum in den Wiffenfchaften, 
gegen die Zeit der Zukunft des Herrn, einen Gemeingeift ers 
rungen haben, der zur Regierung der geſammten Ehriftenheit 
geſchickt iſt; befonders aber wird dieſer Geift auch durch die 
Abfonderung der fünf thörichten Zungfrauen (f. meine Ers 
Härung über den 5ren bis Sten Vers diefes Kapitels) mehr 
concentrirt werden, und einen reinern Brennpunkt auf das 
Einzige Nöthige bekommen. Diefer Gemeingeift ift der Kuabe 
des Sonnenweibes, der nun majoren geworden, und durch den 
der Herr alles ausführen wird; daher es dann auch kommt, 
daß beiden eine und die nämliche Verrichtung zugefchrieben wird. 

Mir ift wahrfcheinlich, daß die Regierung des Reichs Gots 
tes hienieden, als eine reine Theofratie, durch Männer vers 
waltet wird, die bei dem nun gegenwärtigen König aller 
Könige, und Herrn aller Herren, Freunde der innern Zulafs 
fung find, und freien Zutritt zu Ihm haben. Daß jener 
Name, König der Könige und Herr der Herren auf feinem 
Kleid und auf feiner Hüfte gefchrieben ftebt, hat den Grund, 
damit ed da jedermann leſen Fönne, und man alfo willen 
möge, wer Er fey. 

Auch die Zornkelter, deren hier am Schluß des 15ten Vers 
ſes gedacht wird, ift fchon einmal der Gegenftand unferer 
Detrachinng geweien. Kap. 14. V. 19. 20: Da arbeitete der 
Erntes Engel ſchon vor, hier aber macht der. Keltertreter 
ſelbſt den Beſchluß; daß das Bild des Keltertretend aus 
dem Propheten Jeſ. 65. genonimen fey, hab ich fchon bes 
merkt ; aber der Prophet Zoel weiſſagt ausdruͤcklich Kap. 3. 
B. 17. 18. 19, von diefem legten Gericht über die Feinde 
; des Herrn, und bedient ſich des naͤmlichen Bildes. 

Dieß Keltertreten iſt eben fo zu verſtehen, wie das Toͤdten 
mit dem Schwerdt ſeines Mundes, oder auch das Huͤten 
mit dem eiſernen Stabe und zerſchmeißen wie Toͤpfe; der 
Herr zertritt Fein Wuͤrmchen, geſchweige eine Zornkelter voll 


560 Erklärung ber Offenbarung Johaunis. 


Menfchen, aber wenn der fanfte Geiſt Jeſu ChHrifti und der 
Glanz feiner Herrlichkeit den Ehriftushaffern unerträglich if, 
und in den Augen wehe thut, und fie zerfleifchen fidy dann 
unter einander für Muth, Dani tritt Chriftus allerdings bie 
Zornkelter, 

Man denke ſich nur einmal ein n ganzes großes Heer, wels 
ches aus lauter aufs höchfte erbitterten CEhriftushaffern bes 
ſteht, wie foldhes der Fall zu Armagedon feyn wird; und 
nun erfcheint diefer verhaßte, verachtete Chriftus auf eins 
mal ald König der Menfchen, als unüberwindlicher Held, 
ald unbezwingbarer Sieger — gibtd wohl eine Wurh, die 
mit der ihrigen verglichen werden Fann? Wahrlich! die wird 
im Stand feyn, die Blutfluth bis an die Zaͤume der Pferde 
fleigen zu machen, und dann auch für fi und die ihres 
Sinnes find, den Feuer- und Schwefelfee, ihren fünftigen 
Aufenthalt, anzuzündenz denn bis dahin brennt er noch nicht. 


417, Und ich fahe einen Engel in der Sonne ftehen, und 
und er ſchrye mit großer Stimme, und ſprach zu 
allen Bögeln, die in der Mitte des Himmels fliegen, 
kommt! verfammelt eu) zu dem großen Abendmahl 
Gottes, 

18. Daß ihr das Fleiſch der Könige, und das Fleiſch 

der Hauptleute, und das Fleifch der Etarfen, und 

das Fleifch der Pferde, und derer, die drauf ſitzen, 
das Fleiſch aller Freien und Knechte, und der Kleiz 
nen und der Großen effet. 


Diefes fchredliche Bild ift wieder eine Auſpielung auf 
ähnliche Vorftellungen in den Propheten; die Stelle aber, 
worauf bier gezielt wird, fteht Ezechiel 39. V. 17. Es be 
deutet eine große und mörderifche Schlacht, nach welcher die 
Reichname wegen ihrer großen Menge unbegraben liegen blies 
ben, und alfo den fleifchfreffenden Vögeln zur Speife dienen 
follen. Der Himmlifche Ausrufer fteht. deswegen in der. 
Sonne, weil er von da aus die ganze Erde und die ganze 
Luft überfehen , folglich au allen Vögeln rufen Fann. In 
einem höhern Sinn aber bedeuten die Vögel unter dem Him⸗ 





il Ken ar B. 18. ne 561 


mel, die in der Luft fliegen, die Bilder der Jmagination, 

der Phantafie, die Dichter = Genie’3; der Engel in der Sonne 

aber ftellt ven Geift der Religion vor. Zu diefem Verſtand 
will alfo die ganze Hieroglyphe fo viel ſagen: Alle, ihr 

Sänger, ſtimmt an den Siegsgeſang, der Herr hat übers 

wunden; — feiert dad große Abendmahl Gottes! fingt die 

Ueberwindung und den Sieg Über Könige, KHauptleute und 

Starke, über die Roſſe und ihre Reuter, über Freie und 

Knechte, Kleine und Große. 

Eigentlicy bezielt aber doch wohl diefe Stelle die Schlacht 
felbft, das große legte Keltertreten bei Armagedon, Kap 
16.2. 16., wovon ich nun noch etwas mehreres fagen werde, 
19. Und ich fahe das Thier, und die Könige der Erden, 

und. ihre Kriegsheere verfammlet, um mit dem, der 
auf dem Pferd ſaß und feinen Herrſchaaren Krieg 
zu führen. 

90. Und das Thier wurde ergriffen, und mit ihm der 
falfhe Prophet, der die Zeichen vor ihm thät, mit 
denen er die, weldye das Zeichen des Thiers anges, 
nommen, und fein Bild angebetet hatten, verführte, 
Lebendig wurden beide in den Feuerſee geworfen, der 
mit Schwefel brennt, 

21. Und die Uebrigen wurden mit dem Schwerdt deffen, 
der auf dem Pferd ſaß, und das aus feinem Munde 
ging, getddtet, und alle Vögel wurden gefättiget von 
ihrem Fleiſch. 

Nun bricht der große und fchredfliche Tag der endlichen Ent⸗ 


ſcheidung, der Tag, der nie feines gleichen hatte, und auch 


nie haben wird, der von allen Frommen von den Erzpätern 
an, bis daher, fo lang erflehte Tag der Erlöfung an. Hier 
kaͤmpft Licht und Finfterniß auf ewig zum legtenmal, und 
das Licht fiegt auf ewig; der fhwache Verſuch des Satans 
Kap. 20. B. 7—10. hat gegen diefen Kampf wenig zu bedeuten, 
Um diefe drei Verfe fo gut zu erflären, als es bei noch 
nicht erfüllten Weiffagungen möglich ift, muß ich hier alle 
Stellen, die auf diefe letzten entfcheidenden Tage Bezug 
haben, unter einen Gefihtspunft bringen, 


369 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


Das Weiden mit dem eifernen Scepter und Zerſchmeißen 


wie Töpfe, gehört hieher, Kap. 2.8. 27. und Kap. 10.8. 5. 

Denn auch dad, was die fieben Donner fprachen, und 
durch den Engel im I1ten Kapitel verfiegelt wurde; namlich, 
daß die zwei Zeugen , die legten Gefandten des Herin, die 
lesten Propheten Gottes, noch einmal alles anwenden würs 
den, um in der Güte die verdorbene Menfchheit vom Thier 
ab- und zu Ehrifto zu ziehen, oder doch wenigſtens den 
wahren Verehrern Jeſu freie Religionsübung und bürgerliche 
Erijtenz zu verfchaffen, fie beweifen die Gerechtfame ihrer 
Sade, zeigen ihr Ereditiv, fogar wie Mofe und Aaron, 
allein jie werden daß letzte Opfer für die Wahrheit, die legten 
Blutzeugen, und mit ihnen läuft die Periode aus, welde 
die Seelen unter dem Altar noch ruhen ſollten. Sie werden 
in der Refidenz des Thiers aus dem Abgrund hingerichtet, 
aber auch die fetten der Märtyrer find die Erften in der ers 


ſten Auferfiehung, und fie find auch ganz gewiß nicht die 


Geringſten unter den Begleitern des Herrn, die auf weißen 
Pferden fommen, und die Uniform des Himmels tragen. 


Dieſe Geſchichte mit den zwei Zeugen wird fich Furz vor 


der Zufunft des Herrn zutragen, und die Zerrüttung des myſti⸗ 
fhen Sodoms Kap. 11.2.8. und 13. den Anfang zum gros 
Ben Gericht über das Thier und den falfchen Propheten machen. 

Befonders muͤſſen die merfwürdigen Stellen Kap. 16. V. 
36, und V. 21, hier mit in Betracht gezogen werden; denn 
die Erfte zeigt den Ort an, wo die große Schlacht geſchehen 
wird „ namlich zu Armageddon oder Harmageddon, und die 
andere bezeichnet die mörderifche Gewalt der legten Schlacht, 


weldye hier das große Abendmahl der Vögel genannt wird, 


mit einem Hagel, der nod) nie feines gleichen gehabt habe. 
Sch bitte meine Lefer, das was ich am jedem diefer Derter 
über diefe. Stellen gefagt habe, noch einmal nachzulefen und 
wohl zu beherzigen, und dann folgendes noch damit in Vers 
bindung zu bringen, fo glaube ich, fo viel Licht über diefen 
Punkt verbreitet. zu haben, als mir im gegenwärtigen Zeite 
punft möglich iſt. 

Es kann wohl ſeyn, daß fi die beiden fireitenden Haupts 


—A 





"Kap. 198, 19. bis 2) 568 


niächte des Lichts und der Finfterniß gegen die legte Zeit hin 
in die Morgenländern ziehen werden. Vielleicht ſucht die 
Gemeinde des Herrn dort einen ſichern Bergungsplag, oder 
fie kann auch durch die Leitung des Herrn dahin gebracht 
werden; hingegen Fatın die Macht des Thiers dort ihre Pos 
litiſche Abſichten zu erreichen fuchen , und ihr dann jene Ges 
meine im Wege ſeyn; auf diefe Weiſe fonnte ed wohl worte 
lich erfüllt werden, daß die große Niederlage zu Harmageds 
don, das ift, im gelobten- Land, auf dem Berge bei Mes 
giddo gefchähe; aber es iſt unficher, fo etwas pofitiv zu bes 
haupten, weil dad Wort Harmageddon auch die totale Nies 
derlage einer Armee bedeutet, und da diefe große Zernichtung 
der Macht der Finfterniß fo wichtig. ift, fo kann auch jeder, 
Drt, am welchem fie vor fich geht, dadurch diefen Namen 
bekommen. Es ift alfo am beſten, man wartet den Erfolg 
ab und beftimmt nichts. 

Wenn wir alles zufammen nehmen, was auf diefen leiten 
Hauptfchlag zielt , fo deucht mir, folgende Erflärung fey die 
fiherfte : Wenn endlich das Thier aus dem Abgrund, welches 
zu der Zeit wahrfcheinlich ein Höchft feindfeliger Monarch oder _ 
Heerführer feyn wird, nebft feinem Gehülfen, dem falfchen 
Propheten, der alddann auch wohl in eine einzelne Perſon 
concentirt feyn kann, mit feiner Macht an irgend einem Drt 
im Lager fteht, um die Gemeine des Herrn auf einmal aufs 
zureiben: — Wenn alfo diefe tobende Macht durch den leßs 
ten Verfuch der zwei Zeugen mehr erbittert ald zur Erfennts 
niß gekommen ift, fo wird ſich die Herrlichkeit des Herrn 
auf einmal, und auf irgend eine unläugbare Weife zeigen. 
Dadurch wird die feindliche Armee geſchreckt, entweder das 
Schwerdt gegen fich felber kehren, und fie könnten fich felbft 
Unter einander aufreiben, oder eine andere neutrale Macht 
Faun fie, wie ein Gentnerfchwerer Hagel, mit einmal darnies 
derfchmettern, oder ein fchredliches Gewitter kann fie zu 
Grund richten. Genug! diefe Macht wird auf einmal fo zers 
nichtet werden, daß an Feine Erholung mehr zu denken if. 

Wie aber das Gericht über das Thier und feinen falfchen- 
Propheten eigentlich zu erklären fey, das läßt ſich unmoͤglich 


En 


564 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


beftimmens Denn in wie fern der Feuerfee, der mit Schwefel 
. brennt, woͤrtlich oder bildlich verftanden werden müffe, das 
kann Fein Menſch wiffen. So viel ift indeffen gewiß, beide 
Perfonen oder Mächte, je nachdem ihre Eriftenz dann feyn 
wird, werden, fp wie fie da find, lebendig mit dem naͤm⸗ 
lichen Bewußtſeyn in eine unaufhörlihe Qual verfet were 
den, die der gleich ift, welche einer auszuftehen hätte, wenn 
er, ohne fterben zu koͤnnen, in einem ſolchen Zeuerfee ſchwim⸗ 
men müßte, Die eigentlichen genauen Umftände der Aus—⸗ 
führung diefes über alle Vorftellung ſchrecklichen Gerichts 
muß man der Zeit überloflen, man kann und foll ſi ie ja nicht 
vorher wiſſen. 

Der mit ſich ſelbſt — aber ſonſt mit niemand — mitleis 
dige Geiſt unſerer Zeit, griesgramt ſpoͤttelnd uͤber dieſen 
Feuerſee, und ſchilt den Gott der Chriſtenheit deswegen einen 
Tyrannen. O ihr Blinden und Tauben! wißt ihr nicht, 
und wollt ihr nicht wiſſen, daß nicht unſer Gott — die ewige 
Liebe — dieſen Qualort geſchaffen hat? — ſondern ihr 
ſelbſt habt durch eure Greuel dieſe Pfuͤtze eingedaͤmmt, euren 
Unrath dahin gefloͤßt, und durch eure Wuth gegen Chriſtum 
und alles, was heilig iſt, den — angezuͤndet! — wer 
* nun dafuͤr? — 











Das zwanzigfte Kapitel 


1. Und ich fahe einen Engel aus deni Himmel herabſtei— 
gen, der den Schlüffel zum Abgriind, und eine große 
Kette auf feiner Hand hätte, 

2. Und er griff den Drachen, die alte Schlange, melde 
der Teufel und der Satan ift, und band ihn tau— 
fend Jahr. 

5. Und warf ihn in den Abgrund, und fhloß zu, und 
verfiegelte über ihm, damit er fernerhin die Nationen 
nicht verführen mögte, bis die taufend Jahre verfloffen 
wären! nachdem muß er dann einen Eleinen Zeitraum 
durch los werden, 


Set find nun zwar alle Werkzeuge des Erzfeindes geſtuͤtzt 
und auf ewig zu Grund gerichtet, aber er felbft ift nod) ims 
mer frei geblieben; doch nun ift auch die Reihe an ihm, er 
ift die Quelle alles Jammers; er hat zuerft gefündigt, und 
wird zuletzt geſtraft; je größer der Sünder, defto länger 
dauert die Langmuth Gottes, und wer weiß, warum? — 
die Ewigkeit wird und noch große Wunder enthüllen, 

Der gtoße ungeheure fiebenföpfigte Drache, der an Gottes 
ftart die Welt beherrfchen, fich felbft zum Gott machen wollte, 

-muß fih nun da — nicht etwa vom Herrn felbft, denn das 
wäre zu viel Ehre für ihn — fondern von einem Engel, der 
nicht einmal als ftarf befchrieben wird, wie fonft wohl ge= 
fchieht, wie ein armer Sünder binden und ins Gefängniß 
werfen laffenz; von Kämpfen ift gar nicht die Rede mehr, 

nuur vom Binden, Feffeln und in den Abgrund flürzen ſpricht 
man jet mit ihm, er ift nun ganz überwunden, der Schlans 
gentreter hat gefiegt. | 

Es ſcheint, ald wenn man diefem großen und merkwuͤrdi⸗ 
gen Feind, der den Griechen unter dem Namen Diabolos, 


5656 Eklärung der Offenbarung Johannis. 


und den Juden unter der Benennung Satan bekannt iſt, 
noch Raum zur Beſinnung geben wollte, und der Gedanke, 
daß die böfen Geifter ſich unmöglich befehren und wieder zu 
ihrem erften Urfprung neigen koͤnnten, fcheint mir erfchreds 


li, und der Weisheit und Güte Gottes ganz zuwider zu | 


feyn : nach meiner Vorftellung von der Sache ift Satan mit 
feinen Engeln wegen ihrer Empörung aus dem Himmel ver= 
wiefen, alle Kommunifation mit ihnen abgefchnitten wors 
den, und die Meufchheit hat ihr Königreic) empfangen; 
fechs taufend Fahr lang hat er nun Zeit gehabt, ſich zu be: 
finnen, ob er nicht wieder zuräd zum Vater gehen, ſich 
demüthigen und feine Sünden geftehen wolle? allein das 
hat er nicht allein nicht gethan, fondern aud) noch die Menfchs 
heit verführt und zu Fall gebradyt, und bis dahin gegen 
Gott gefämpft; jet wird er nun taufend Jahr lang einges 
-fchloffen , damit er wicht mehr fhaden und fich noch befinnen 
Fonne, wenn aber das auch noch nicht hilft, Dann empfängt 
er auch fein ewiges und fchredliches Urtheil. Um zu fehen, 
ob er fich wirklich gebeffert habe, wird er nach den tacſend 
Jahren eine kleine Zeit losgelaſſen. 

Aber wo iſt denn wohl diefer Abgrund? — Wo fabe ihn 
Sohannes? — Da wo die Heufchredden herfommen. Kap. 9. 
Die Alten dachten fich den Eingang zum Himmel gegen Mor: 
gen, und den Eingang zur Hölle gegen Abend; da war ih: 
nen alfo die Mündung des Abgrundg, 

Wenn nad) unferer gegründeten Vermuthung im Jahr 1856 
diefe Gefangennehmung des Satans geſchehen wird, fo gehen 
dann auch die gefegneten taufend Sahre-an, und im Fahre 
2836 wären fie abgelaufen; währete nun die kleine Zeit der 

Roslaffung des Satans 164 Jahr, fo würden 5000 Jahr 
des neuen Teftaments voll, und die große Woche der Menfch: 
heit von 7000 Jahren wäre. dann regelmäßig abgelaufen. 

Schlüffel und Kette, zu fchließen und zu verfiegeln, find 
lauter Bilder der Sicherheit; während den taufend Fahren 
hat man alfo gar nichtd mehr von ihm. zu befürchten; nad) 
Kap. 12. V. 9 wurde er aus dem Himmel geworfen, nun 
befreit man auch die Erde von ihm; Kirche und Staatöver- 


/ 





"Kap; 20: Ba bis 6. 7 367 


faffung ift während der Zeit * —* Raͤnken und Zeufer 
leien ficher. 


. Und ich fahe Thronen, und. fie festen fi & —77— und 

das Gericht wurde ihnen übergeben; und die Seelen 
derer, Die um des Zeugniffes Jeſu und um des Worts 
Gottes willen mit dem Beil hingerichtet worden, und 
die weder das Thier noch fein Bild angebetet, und 
das Zeichen nicht auf ihre Stirn und Hand angenom⸗ 
men hatten, wurden lebendig, und regierten mit Chris 
fo taufend Jahr, 

5. Die übrigen Todten wurden nicht Tebendia, bis Die 
taufend Sahre vollendet waren. Dieß ift die erſte 

' Auferfiehung. 

6, Eelig und beilin ift der, der Theil hat an der erften 
Anferftehung, über diefen hat der zweite Tod Feine 
Gewalt, oe fie werden Priefter Gottes und Chris 
fti ſeyn, und tauſend Jahr mit ihm regieren, 


Das erſte, was geſchieht, nachdem alle Feinde aus dem 
Wege geſchafft worden, iſt die Auswahl derer, die am Reich 
des Herrn Jeſu Chriſti hier auf Erden Theil nehmen ſollen. 
Zu dem Ende ſieht der Apoſtel Thronen, Regierungsſtuͤhle, 
auf welche ſie ſich ſetzen; es wird hier nicht ausdruͤcklich ges 
ſagt, wer dieſe ſind; allein es laͤßt ſich leicht aus dem Zu⸗ 
ſammenhang ſchließen, daß diejenigen darunter verſtanden 
werden, die auf weißen Pferden mit dem Herrn gekommen 
ſind; dieſes Gericht iſt das juͤngſte Gericht noch nicht, dieß 
folgt nach tauſend Jahren, V. 11. bis 15. bier iſt nur von 
der Auswahl der tauſendjaͤhrigen Reichsgenoſſen die Rede; 
and dieſe Auswahl wird denen anvertraut, die ſchon lange 

droben bei dem Herren gewefen find, und die Marimen des 

Reichs Gottes gelernt haben. 

Die Theilhaber des taufendjährigen Reichs find endlich 

‚diejenigen, welche um Ehrifti und feiner Religion willen ihr 
. Reben aufgeopfert haben; hier befommen nun auch die Blut- 
‚zeugen unter dem Altar, Kap. 6. V. 9. u. f. ihren Gnas 
denlohn; ihre Frift von 1111 Jahren ift abgelaufen, und 


568 Erklaärung der Offenbarung Johannis. 


alle ihre Brüder, die um der Wahrheit willen ihr Blut ver: 
goffen haben, bis auf die zwei Zeugen, gehdren unter dieſe 
glüdfelige Zahl: | 

Es ift Außerft merkwuͤrdig, daß hier ein Wort in der 
Brundfpracdhe fteht, welches mit der Art hauen bedeutet, und 
welches Luther durch enthaupten überfegt hat — allein es 
heißt nicht, mit dem Schwerdt enthaupten, fondern mit der 
Axt todthauenz in der ganzen Bibel kommt das Wort fonft 
nirgends vor, als hier, und diefe Zodesftrafe war aud) von 
jeher nirgend gebräuchlich ald in Nom und in den Abendläns 
dern; auf Fein Werkzeug paßt aber der griechifche Ausdruck 
pepelekismenon beſſer, als auf die franzoͤſiſche Guillotine; 
und ob gleich alle Blutzeugen unter jenem Wort verſtanden 
werden, ſo ſcheint doch der Geiſt der Weiſſagung ſeinen Blick 
vorzuͤglich auf die letzten in unſern Zeiten zu richten. Wahrs 
ich! Wahrlih! uns wirds auch am fauerften, weil; uns ſo 
wenig Glaubensfraft übrig geblieben ift. Die festen follen 
ja auch die Erften. ſeyn. 

Die übrigen Reichsgenoſſen follen dann auch diejenigen feyn, 
die das Thier und fein Bild nicht verehrt, und fein Zeichen 
nicht an Stirn und Hand getragen haben; So viel Werth 
wird auf das treue Anhangen am Herrn in unfern Zeiten ge— 
legt; nicht die Millionen entfchlafener frommer Seelen, die 
von Ehrifti Zeiten her bis an die Herrfchaft des Thiers hin 
gelebt haben, alſo nicht alle Frommen, follen am taufendjähe 
rigen Reich Theil haben; diefe ruhen fanft bis an den jüngs 
ftien Zag, wo fie dann aud ihren Lohn überfchmwenglich bes 
fommen, fondern nur diejenigen, welche für die Sache Chriſti 
gefämpft, ihr Leben aufgeopfert, und an der allgemeinen 
Weltmonarchie des Thiers Feinen Autheil genommen haben, 
diefe follen nun dafür taufend Jahr auf der Erden Theil an 
der allgemeinen Weltmonarchie des Herrn Ehrifti haben; der 
Drache und feine Thiere rutigen nad) diefer Uniderfalherrfchaft, 
und errungen fie nie, aber der Sieger mit den vielen Kronen 
erhält fie, und theilt fie dann mit feinen worzüglichften gez 
treuen Kampfern und Bekennern. Diejenigen, welche nun 
von diefen auserwählten Reichsgenoſſen ſchon vor der Ankunft 








Kap. 230 V. 4. bis 6. 369 


des Herrn geſtorben ſind, ſollen auferweckt und wieder leben⸗ 
dig werden, und die tauſend Jahr uͤber auf Erden mit Chriſto 
regieren. Es wird alſo bald nach der Ankunft des Herrn 
"eine Auferftehung vorgehen, welche bier die Erfte genannt 
wird. Alle Blutzeugen, von Stephanus an bis auf die leiten 
zween Zeugen, werden dann wieder lebendig werden, und auf 
der Erden leben; auf welche Weife dieß nun gefchehen, und 
wie das zugehen wird? das muß die Zeit, die nunmehr fo 
nahe ift, lehren. Ich vermuthe, daß die Menfchen auf die 
nämliche Art mit dieſen Verklärten umgehen werden, als die 
alten Heiligen in der Bibel mit den Engeln umgingen, nur 
daß hier diefer Umgang häufig, täglich und ſtuͤndlich gefchieht. 
Gott, welche herrliche Ausfichten ftellen fich hier dem Gott 
ergebenen Geift vor! — Ach! laßt und treu feyn und aus⸗ 
halten, und wenn ed auch unfer Leben Foften ſollte! An dies 
ſem herrlichen Reich werden alle unfre Zeitgenoffen, die fich 
vom Thier und feiner Aufklärung nicht verführen laffen, und 
ald wahre Ehriften dem Herrn treu bleiben, Theil nehmen; 
wir fönnen alfo den heutigen revolutionsfüchtigen, neumodifchen 
Aufklärern und Aufgeflärten gar wohl die Freude gönnen, 
fih empor zu fehwingen, und über ihre armen Mitbürger zu 
despotifiren, wahrlich! wir verlieren nichts dabei, 
Vermuthlich werden die Getreuen des Herrn, die des Reichs 
würdig erfunden werden, auch noch leben, wenn ber Herr 
kommt, verwandelt, verflärt und unfterblich gemacht werden; 
denn warum follten fie fierben, und alfo das Gluͤck der taufend 
Sabre nicht fo gut genießen, ald ihre verflärten Mitbrüder ? 


- Vielleicht fterben fie auch nach den Gefegen der Natur, wer: 


den aber alöbald nach dem Zode wieder aufgewedt. 

Sch vermuthe, daß viele meiner Lefer fchon oft gedacht ha= 
ben, wie es doch wohl ſeyn möchte, daß Chriftus und feine 
Apoſtel diefes taufendjährigen Reichs nirgend in ihren Schrif: 

‚ten, wenigftens nicht deutlich gedenken, und daher entweder 
an der Aechtheit der ganzen Offenbarung Sohannis zweifeln, 
oder. doch glauben, daß diefes 29ſte Kapitel ganz anders und 
im geheimen Sinn verfianden werden müßte. 

- Diefer Zweifel hat fcheinbare Gründe, und ift fehr zu vers 


Etiflings ſaͤmmtl. Schriften. III. Band. 24 


370 Erklärung der Offenbarung Johannis 


zeihen ; indeffen ift er doch Vorzüglich in unfern Zeiten ſchaͤd⸗ 
lih, und er beraubt den frommen Dulder eines mächtigen 
Troſtgrundes; ich finde mich daher gedrungen, diefen — 
gruͤndlich zu tilgen. 

Chriſtus hatte in den Tagen ſeines irdiſchen Lebens, bei 
ſeinen noch ſchwachen und ſehr ſinnlichen Anhaͤngern zwei 
wichtige Vorurtheile zu bekaͤmpfen; das erſte war, die Grüne 


dung eines irdifchen Reichs, und das zweite die Zeit feiner 


Wiederkunft: Vom erfteri mußte Er fie ab⸗ und auf das 


wahre wefentliche Chriſtenthum führen, als welches der eigent⸗ 


liche Zweck feiner Sendung war; hätte Er ihnen nun Hoff: 
nung zu einem irdifchen Reich gemacht, fo hätte der Gedanke 
ihre ganze Seele erfüllt; Hoheit und Herrfchfucht hätten ihnen 


das Ziel verrüdt, und fie wären nie die ſanftmuͤthigen from⸗ 


men Dulder geworden, die fie in der That wurden, als fie, 
ohne Hoffuung irgend: eines irdifchen Vortheild, der Wahr: 
heit treu bleiben, und alle Verfolgung ftandhaft aushielten. 
Danıt erft Fann ein Vater die wahre Treue und gegründete 


Liebe feiner Kinder prüfen, wenn er ihnen jede Ausficht auf- 


Belohnung verbirgt, und fie dann doch redlich feine Sachen 
beforgen und treulich aushalten. Die allgemeine Hoffnung 


‚auf die ewige ERDE mußte und follte den * Chriſten 


genug ſeyn. 

Nachdem aber die Apoſtel den heiligen Geiſt empfangen 
hatten, fo bekamen fie dunkle Blicke in die Zukunft, und ahnes 
ten fo etwas von diefem herrlichen Reich, indeffen wareıt fie 
nunmehr fo erleuchtet, daß fie wohl einfahen, die Lehre von 
diefer Sache fey den Chriſten zur Heiligung unudthig, daher 
fhwiegen fie au) davon, Bei dem allen mußte aber doc) 
eim Zeugniß davon im Archiv der Kirche aufbewahrt werden, 
damit die Chriften der Tegten Zeit, denen die Erfenntniß von 
dieſem Reich hoͤchſt nöthig ift, um fich darauf anſchicken zu 
koͤnnen, etwas hätten, worauf fie ihre Hoffnung und Erwars 
tung gründen koͤnnten; deswegen wurde nun dem Apoftel 
Johannes die Offenbarung gegeben, und alles in derfelben 
weislich in heilige Hieroglyphen eingehüllt, damit nie mehr 
‚davon verſtanden werden fonnte, als in jedem Zeitpunkt nöthig 


— — 


— — 








Kap. 20:8. 4. bi 6. 571 


war. Jetzt iſt nun die Zeit vorhanden, wo man mit der Sprache 
heraus rücen fann und muß, um Muth zu machen, und den 
Glauben zu ftärfen; die Macht der Finfterniß ringt nach der 
allgemeinen Weltherrfchaft, und es ſcheint ihr zu gelingen; 
dieß fchlägt den Muth und die Hoffuung des Chriften gewal⸗ 
tig nieder; wenn er aber nun weiß, daß jene Macht durch die 
Ankunft des Herrn nun bald ganz und auf ewig bezwungen 
und befiegt werden foll, und daß Ehriftus mit den Seinigen 
jene Weltmonarchie befommen wird, wer wird denn da nicht 
ruhig und muthig zufehen, und alles gehen laffen, wie e8 geht? 
Denn er weiß ja, daß das Ende um fo mehr befchleunigt wird, 
je fohlimmer e8 die Feinde anfangen. 

‚Bei den Zweifeln über die Aechtheit der Offenbarung os 
hannis hatte fogar die Vorfehung ihre weiſe Abfichten; fie 
dienten ebenfalls zur Prüfung des Glaubens: Aber der Bes 
weis ihres göttlichen Urfprungs müßte denn doch bei den 
erleuchteten Ehriften immer in dem Verhältniß wachfen und 
gewiffer werden, im welchem fie immer mehr in Erfüllung 
ging; für uns ift diefe Weiffagung Aufferft wichtig, und je 
mehr fie jest unter der Leitung des heiligen Geiftes erläutert 
wird, defto nüglicher wird es feyn. 

Das zweite Vorurtheil, welches Chriftus und feine Apoſtel 
zu beftreiten hatten, war die allgemeine Idee von der Nähe 
feiner zweiten Zukunft; die erften Ehriften, und fogar die Apo— 
ftel felbft, dachten fich diefe Wiederkunft viel näher, als fie 
nun wirklich erfolgt; wie viele von den erften Chriſten würz 
den wieder abgefallen feyn, wenn fie gewußt hätten, daß es 
» über achtzehn hundert Jahre währen würde, ehe Chriftus 
wieder Fame? Die Vorfehung lenkte es daher fo, daß man 
allgemein den Tag des Herrn immer näher vermuthete, als 
er war, um die Chriften defto wachfamer zu erhalten, 
Endlich muß ich auch noch bemerken, daß ich hier une 
möglich der Meinung des fel, Bengels darinnen beipflichten 
kann, wenn ver 2000 Fahr nad) einander annimmt, oder daß 
fie zum Theil neben einander-fortlaufen folten, wie andere 
vermuthen., Meiner geringen Einficht nach ift hier die Rede 
nur von eintaufend Fahren, in welchen der Satan gefangen 

24 * 


379% Erklärung der Offenbarung Johannis 


ift, und Chriſtus mit feinen Heiligen regiert, oder bie alfge- 
meine Weltherrfchaft verwaltet; zu noch eintaufend Jahren 
gibt mir wenigſtens der Text deinen Wink, 

Wenn alfo die Märtyrer und Bekenner, und alle diejenigen, 
welche während der Herrichaft des Thiers und des falfchen 
Propheten treu bei dem Herrn ausgehalten haben, im Jahr 1836 
(vermuthlich) auferfiehen, und als eine Klaſſe höherer Weſen 
auf Erden leben und regieren werden, fo werden hingegen alle 
übrigen Todten nicht lebendig, bis die taufend Jahre vollen: 
det find, die Frommen tuhen fort in ihren Kammern und Die 
Gottloſen Fämpfen in fchweren Träumen dem Gericht entge: 
gen. Daß nicht alle Todten zugleich auferfiehen werden, bez 
zeugt auch Paulus 1 Kor: 15. V. 22—26. Diefe Stelle ift 
mit derjenigen, die ich hier erfläre, vollfommen uͤbereinſtim⸗ 
mend, Wenn aber Chriftus von der allgemeinen Auferftehung 
tedet, fo meint Er die zweite, welche auf die taufend Fahre folgt. 

Im Hten Verd wird die Verficherung beigefügt, daß diejes 
tigen felig und heilig feyen, welche an der erften Auferftehung 
Theil hatten: Denn über diefe wird der andere Tod Feine 
Macht haben: Ueber diefen zweiten Tod habe ich ſchon ver⸗ 
fchiedenes in der Erklärung des 12ten Verfed des 2ten Ka⸗ 
pitels gefagt, wo den ſmyrniſchen Ueberwindern, namlich den 
Blutzeugen, verfprochen wird, daß der andere Tod fie nicht 
beleidigen würde, diefes wird nun auch hier befräftigtz denn 
jene Blutzeugen gehören ja mit. zu den Theilgenoffen ber 
erften Auferſtehung; im 14ten Vers des gegenwärtigen 2often 
Kapiteld wird gefagt, was der andere’ Tod fey, nämlich der 
Feuerſee; für diefen find alfo die Zheilhaber der Regierung 
des taufendjährigen Reichs ſicher; aus dem Gegenfaß folgt 
aber etwas. fehr Bedenkliches; nämlih: Daß es dann alle 
diejenigen nicht find, die der erſten Auferftehung nicht theile 
haftig werden; die Unterthanen des Reich Chriſti Tonnen 
dureh Uugehorfam und Widerfpenftigfeit diefes fehredlichen 
Gerichts des zweiten Tods noch theilhaftig werden; wer etwa 
noch. mehr auch von den Todten diefer Gefahr auögefegt if, 
das wird fich zeigen; 

Die Ausdruͤcke, daß die Erftauferfiandenen Priefter Got⸗ 











Kap 20.8. 7.0840, 875 


tes uud Chriſti feyen, und taufend Jahr mit Ihm regieren 

würden, zeigen an, daß dieß Reich ein priefterliches Königs 
reich nad) der Weife Melchifedehs feyn, und daß allein die 
Religion, und nicht die Rechtögelehrtheit, die Gefeßgebung 
ausüben werde, Der Widerchrift regiert durch die finnliche 
Vernunft, daher nichts ald Ichheit und Defpotismus, eine 
ewige Anarchie, und Ebbe und Fluth der Revolution; Chris 
ſtus und feine Getreuen aber regieren durch die vom heiligen 
Beift erleuchtete Vernunft, daher allwaltendes Beftreben 
immer aus Gottes s und Menfchenliebe das allgemeine Befte 
zu befdrdern, welches dann nothwendig den Himmel auf 
Erden bewirken muß, | | 


7. Und wenn die taufend Jahre verfloffen find, fo wird 
ber Satan aus feinem Gefaͤngniß (osgelaffen werden, 

8, Und er wird ausgehen, die Nationen zu verführen, 
die in den vier Weltgegenden find; den Gog und 
den Magog, um fie in einen Krieg zu verfammeln, 
deren Zahl wie der Sand des Meeres feyn wird. 

9, Und fie kamen herauf auf die Breite der Erden, und 
umgaben das Deerlager der Heiligen und die geliebte 
Stadt, und es fiel Feuer von Gott: aus dem Himmel 
herab, und verzehrte fie. 

10, Und der Teufel, der fie verführte, wurde in den 
Feuer s und Schwefelfee geworfen, wo auch das Thier 
und der falfihe Prophet ift, und fie werden. Tag 
‚und Nacht in die ewigen Ewigkeiten gequält werben. 


Die Offenbarung fagt uns nichts über die Gefchichte des 

taufendjährigen Reichs — das ift Aber auch Fein Wunder; 
- denn ed wird da feine Kämpfe zwifchen Kicht und Finfterniß 
mehr geben, fondern es wird dann ein immerwährender Friede 
ſeyn; Segen und Gedeipen, Wahsthum in der Heiligung, 
und gerader, ungehinderter Fortgang zur großen Beftimmung 
der Menfchheit wird das Ziel alles Strebens und Wirkeus 
werden. Man lefe nur die herrlichen Weiffagungen der Pros 
pheten von diefem Reich, fo Fann man ſich von feiner Bes 
ſchaffenheit Hinlänglich unterrichten, befonders aber das 6oſte 


574 Erklärung der Offenbarung Gohannis, 


Kapitel des Propheten Zefajä, welches ganz hieher gehdrt; 
wen das nicht flärfen und erquicen Fann, der muß fein 
Gefühl yaben. 

Nach den taufend Fahren aber gibt es noch zwei Vorfälle, 
welche dem Geift der Weiffagung würdig genug find, um fie 
uns zum Voraus befannt zu machen; naͤmlich die gänzliche 
Hinrichtung Satans und dann der eigentliche jüngfte Tag. 

Satan hat fich alfo während den taufend Fahren noch nicht 
eines befjern befonnen , wohl aber darauf gedacht, noch den 
letzten Verſuch gegen den Herrn und fein Reich zu wagen; 
denn nachdem er aus feinem Gefängniß losgelaffen wird, fo 
fchleicht er durch alle vier Welttheile, und macht den Nationen 
begreiflich, daß.es ihnen fchimpflich. fey, der hriftlichen 
Monarchie gleihfam unterthänig zu feyn und fie zu reſpek⸗ 
tiren; er erhißt ihre Leidenschaften und bringt eine große all- 
gemeine Coalition gegen das Reich des Herrn zu Stande. 
Bejonders werden hier zwei Monarchen oder Staaten ges 
nannt, bie dann vielleicht vorzüglich mächtig feyn, und die 
alliirte Armee Fommandiren werden, nämlic) Gog und Magog. 

Hier wird alfo die geheimnißvolle Weiffagung Ezechiels Kap. 
38. und 59. bekräftigt, befeftigt und näher angewendet; da nun 
das Land Magog gegen Mitternacht liegt, fo muß wohl hier das 
ganze nördliche Afien darunter verffanden werden; e8 werden 
alfo zu der Zeit zwei Monarchen im Norden feyn, die alle 
verbündete Nationen gegen den Sig des Reichs Chrifti, 
welcher vermuthlich. Serufalem feyn wird, anführen, aber 
auch dajelbft ihr Ziel finden werden; denn Dad Feuer Gottes 
vom. Himmel, nämlich ein fchrecliches Gewitter, wird fie 
von der Erden vertilgen, Man leſe die oben angeführte 
Weiſſagung des Propheten Ezechield, wo die ganze Nieders 
Inge ausführlich befchrieben wird, 

Daß Jeruſalem und das gelobte Laud der Hauptfiß feyn 
werden, fcheint aus vielen Stellen der heiligen Schrift ges 
wiß zu ſeyn; dieß werden die Nationen umzingeln, Damit ihnen 
niemand entlaufen fünne, aber es wird ihnen übel befommen. 

Nachdem nun dem Dradyen, der alten Schlange, aud) 
diefer letzte Verfucy mißlungen ift, fo wird er nun auch zum 











Kap 2 Bedl Aeiu.,. 375 


Seuerfee verdammt, wo dann dad Thier und der falſche Pros 

phet ſchon taufend Jahr gequält worden find. . 

Diefer Zuftand mag über allen Begriff ſchrecklich feyn, aber 
ihr Betragen ift es auch gewefen,. und fie haben fich diefe 
Jammerwelt felbft geſchaffen, Gott it nicht Schuld an ep 
Plage, 

11. Und ich fahe einen * weißen Thron, und den, 
der darauf ſaß, vor deſſen Angeſicht Erde und Him⸗ 
mel floh, und für ſie wurde kein Platz gefunden. 

12. Und ich ſahe die Todten groß und klein vor dem 
Thron ſtehen, und es wurden Bücher gebffnet, und 
ein ander Buch wurde gebffnet, welches iſt des Les 
bens. Und die Todten wurden aus den Schriften in 
den Büchern nach ihren Werken gerichtet. 


Nachdem nun alle Feinde aus dem Weg geräumt worden, 
fo wird nun auch) das endliche Schickfal der gefammten Menfchs 
heit entſchieden, und der jüngfte Tag bricht an, Der große 
weiße Thron ift der Richterftupl der Welt, wo kein Beftechen, 
fein Heucheln und Täufchen mehr gilt; derjenige, der auf 
dem Thron fißt, iſt Ehriftus. Das Fliehen der Erde und 
des Himmels iſt ein bildlicher Ausdruck, und darf nicht 
eigentlic) verftanden werden; die alte heilige Sage, daß die 
Erde Dur) Feuer gereinigt werden foll, wird bier nicht be= 
rührt, indefjen kann fie doc) mit diefer Stelle verbunden werden. 

Mir konnen die eigentliche Beſchaffenheit der Verwandlung 
der Erde und des Himmels nicht genau beſtimmen, und es iſt im⸗ 
mer am ſicherſten, wenn man die Erfüllung erwartet, Sm Iſten 
Ders des folgenden Kapitels fieht Johannes einen neuen 
Himmel und eine neue Erde, und Petrus war auch fchon. 
mit diefer Jdee befannt. 2. Petr. 3. V. 15. Ob aber unfre 
‚Erde mit ihrem Dunftfreis werde erneuert, verſchoͤnert und 
durch Feuer gereinigt werden, oder ob das alles nur einen 
prophetifhen Sinn habe, und eine neue Religions und 
‚Kirchenverfaffung, und eine gänzliche Veränderung. der bürs 
gerlihen Einrichtungen bedeute, das kann man nicht eher 
willen, Dis mit der Zeit die Erleuchtung mehr Licht gibt, oder 
bis mans erfährt. 


s X 5 


*x 


376 Erklätung ber Offenbarung Johannis. 


An dieſem großen Tage erfolgt nun auch die zweite allge⸗ 
meine Auferftehung ; alle Todten klein und groß werden aufs 
geweckt, und erfcheinen hier vor dem allgemeinen Weltgericht, 
Die bildlichen Ausdruͤcke von den Büchern oder Protokollen 
zeigen, daß hier die ganze Lebensgefchichte eines jeden Mens 
fchen geprüft, und ſcharf, aber ganz gerecht beurtheilt wers 
den foll. Jeder hat fein eigenes Protokoll in feinem Gewiffen, 
amd dieß wird ihm dann aud) fein gerechtes Urtheil fprechen, 
das dann der auf dem Thron beftätigen und ausführen wird. 
Beſonders ift ader hier wohl zu bemerken, daß zweier Ars 
ten von Büchern gedacht wird ; es gibt da Bücher der menfc)s 
lichen Handlungen und ein Bud) des Lebens; wer nad) je 
‚nem gerichtet wird, der kommt viel zu Furz, und das gefchieht 
allen denen, die nicht die Vergebung ihrer Sünden in der 
Erlöfung dur Chriſtum gefuht habenz : diejenigen aber, 
welche nichts von dieſer Anftalt wußten, oder durch ihre 
väterliche Religion davon abgehalten wurden, werden, wenn 
fie fonft gutes Willens waren, Barmherzigkeit finden. 
Jns Buch des Lebens werden alle diejenigen eingetragen, 
bie ernftlich den vechten Weg zur Heiligung fuchten und fans 


den; diefe kommen nicht ind Gericht: das heißt, ihre Suns 


den werden nicht gerechnet, fondern nur der Grad ihrer 
Thätigkeit in der Gottes- und Menfchenliebe, welcher zus 
gleich auch den Grad ihres Glaubens beſtimmt, beftimmt 
aud) den Grad ihrer Seligkeit. | 


15. Und das Meer gab die Todten, bie in ihm maren, 
und der Tod und der Todtenbehälter gaben die Tod; 
ten, die in ihnen waren, und fie wurden gerichtet, 
jeglicher nach feinen Werfen, 

44, Und der Tod und der Todtenbehälter wurden in den 
Fenerfee geworfen, diefer ift der zweite Tod. 

15. Und wenn jemand ind Buch des Lebens nicht einges 
fhrieben gefunden wurde, fo murde er in den Feuer⸗ 
fee geworfen, 


Diefe Verſe, befonders der 15te und 14te, geben einigen 
Aufihluß über ven Zuftand der abgefchiedenen Seelen, vom 





" Kap. 20.8. 13. bis 16. 577 


Tode an bis zur Auferftehung; fie find aber ſchwer zu vers 
ſtehen, wenn man nicht Einficht in die Befchaffenheit des 
Geiſterreichs hat: diefe Einficht aber ift fchwer zu erlangen, 
und nur für denjenigen möglich, der den genauen Mittelweg 
zu treffen und glaubwürdige Erfahrungen zu benugen weiß; 
was mir davon befaunt geworden, das will ich bier treus 
lic) mittheilen. 

Nach dem oberflächlichen und buchftäblichen Verſtand heis 
Ben die Worte des 15ten Verſes fo viel, als; Das Meer 
gab die Todten, die im ihm waren; und diejenigen, welche 
hingerichtet worden, oder fonft auf eine ſolche Weife umges 
fommen find, daß fie nicht begraben worden, vie alfo der 
Tod blos in feiner Macht hat, mußte auch der Tod hergeben, 
‚und der Hades, das ift, die unterirdifchen Gräber, gaben 
auc) die ihrigen her. Allein dadurch wird der tiefe Sinn 
dieſer Worte nicht erfhöpfer — ich werde ihn wohl auch 
nicht erfchöpfen, aber doch mehr Licht hineinbringen, als 

diefe buchftäbliche Erklärung je gewähren kann. 
Daß diefer oberflächliche Sinn nicht der wahre, wenigftens 
nicht der einzige fey, erhellet aus dem folgenden Vers, wo 
es heißt: Der Tod und der Todten oder Seelenbehälter feyen 
„ auch in den feurigen Pfuhl geworfen worden; welches doch 
wohl von einem folchen Tod wie jener Sinn ausdrädt, und 
von den Gräbern nicht verftanden werden kann; ed muß alfo 
etwas DVerborgened und Wichtiges hier zum Grund liegen. 
Man merke folgende Saͤtze: 
Ich theile in .diefer Beziehung die Menfchen in zwei Klaffen: 
1) In ſolche, welche ihren Geift mehr oder weniger kul⸗ 
tiviet haben, und daher in der Smagination, im Dens 
fen und Urtheilen, wenigftens einigermaßen geübt find. 
Diefe will ich venfende Seelen nennen; und 
2) In ſolche, welche blos finnlich find, und blos durch 
finnliche Vorftellungen, ohne weiteres Nachdenken ges 
leitet werden. Diefe find denn finnliche Seelen. | 

Zu der erften Klaffe gehören alle Gelehrten, und überhaupt 
alle nur einigermaffer Eultivirte Leute, und sur äweiten der 
vornehme und geringe Pöbel, 


378 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Diefe beiden Klaffen zerfallen jede wieder in drei Arten: 
Es gibt gottlofe und fromme denfende Seelen. und aud) 
folhe, die weder vollfonmen gottlo8, noch vollfommen 
fromm find, fondern gleihfam zwifchen beiden das Mittel 
halten; diefe will ich gemeine denfende Seelen nennen. 

Eben fo verhält es ſich nun auch mit. den finnlichen Seelen: 
Es gibt gottlofe und fromme, und aud) gemeine finnliche 
Seelen.. Da nun. die Seele nad) dem Tod Feine ſinnliche 
Werkzeuge mehr hat, folglid von der ganzen Schöpfung, fo 
wie fie uns in Die Sinne fällt, nichts mehr empfindet, ſo 
iſt ihr ganzer Wirkungskreis blos auf die Summe der Vor⸗ 
ſtellungen eingeſchraͤnkt, Die. fie im irdischen Leben gefammlet 
hat; aufferdem aber’ empfindet fie dann freilich auch ihres 
‚gleichen, fie kann mit Geiftern umgehen, und wenn fie-Mens 
ſchen antrifft, die ein entwiceltes Ahnungspermdgen haben, 
fo kann fie auch mit diefen Umgang pflegen, auffer diefen 
aber ift fie ganz von aller Gemeinfhaft mit der Sinnenwelt 
abgefondert; fie fündiget auch, wenn fie noch ferner dieſe 
Gemeinschaft ſucht, fo wie fih die Menfchen ſchwer vers 
fündigen, dieihr entwicdeltes Ahnungsvermögen zum vorwißis 
gen Umgang mit Geiftern zu brauchen fuchen, 

Man ficht alſo hieraus, wie fehr der Zuftand der Seelen 
nach dem Zode von dem biefigen verfchieden feyn müffe; hier 
vereinigt gleichfam die gleihfdrmige. finnlihe Empfindung 
und die. Einwirkung der Aufferen Welt alle Menfchen, dort 
aber lebt jeder in der Welt feiner Phantafie, und zwar fo 
lange, bis fein Schieffal vorläufig entfchieden ift. Hier 
kommt die Lebhaftigfeit und. der Grad des Selbitbemußtfeyns 
auf die Lebhaftigkeit der finnlihen Werfzeuge an, dort aber 
auf die Lebhaftigkeit der Jmagination, und auf den Grad 
der Uebung im Denfen, 

Da alle abgeichiedenen Seelen alfofort nad) dem Tode, und 
im erfien Empfinden des Selbftbewußtfeyns im gleichem Zus 
ftand, und aller finnlichen Empfindungen beraubt find, fo 
fommt ihnen ihr Aufenthalt als eine unendliche, leere, dunkle 
Wuͤſte vor, in welcher fie alle Geifter ihres gleichen, oder 
auch Gott, nebft guten und böfen Engeln wahrnehmen. . Dies 





Kap. 20, B-13. bis 13. 379 


ſes iſt nun der eigentliche Hades, der Todtenbehaͤlter, 
oder der Ort des Schweigens. 

Bei allen abgeſchiedenen Seelen verhaͤlt ſi d der Grad des 
Selbſtbewußtſeyns wie die Deutlichkeit der Imagination und 
die Uebung im Denken; folglich ſtehen die denkenden 
Seelen nach ihrem Tode in einem Zuſtand, der einem ſehr 
lebhaften Traum gleich iſt, ſie beſchaͤftigen ſich mit denen 
Ideen, die ihnen hier die liebſten waren, und vergeſellſchaf— 
ten fi) dadurch auch mit denen Geiftern, die ihnen ähnlich), 
mit ihnen gleichgejiunt find; dadurch werden fie dann freis 
lich in ihrer Richtung , die fie hier einmal genommen haben, 
immer mehr befeftigt, Diejenigen, bei welchen das Lafter 
geherrſcht hat, kommen daher in immer größere Verwicke⸗ 
lungen von lafterhaften Geiftern, und die Frommen eilen von 
Engeln umgeben und unterrichtet, dem Urlicht immer näher. 

Diefer geiftige Aufenthalt, oder der Hades, ſteht unter 
‚einem  Fürften der Finfterniß, welcher. mit feinen Helferss 
helfern auf die Seelen wirft, um. fie ſich vollends zu eigen 
zu machen; die Frommen find für ihm ficher, denn diefe 
kommen ſchon im Tode in die Gefellichaft der Engel; die 
Gottloſen find ohnehin ſchon in feiner Gewalt, aber die ges 
meinen denfenden Seelen, die fi in einem. Mittelzuftand 
befinden, find manchmal lange feinen Verfolgungen ausges 
fest, bis er fie entweder in feine Gewalt gebracht hat, oder 
bis fie vollends gebefjert, durch die Engel gerettet werden. 
Diefer böfe Engel ift alfo der Engel des Hades oder Todtens 
behaͤlters, der am jüngften Tag auch in den Feuerfee Fommt. 

Ganz anders verhält es fich aber mit den finnlichen Seelen, 
dieje fiehen im Zuftand des Schlafs und des unzuſammen⸗ 
bängenven dunfeln Traͤumens; find fie gortlos, fo iſt ihr 
Träumen ſchwer; ihre Be Ideen gaufeln ihnen den 
ehemaligen fi finnlihen Genuß unvollftändig und dunfel vor, 
nichts gelingt ihnen, fie lechzen nach jenem Genuß, und er 
zerrinnt ihnen jedesmal unter den Händen; fie befinden ſich 
nicht in einem beftändigen Aufenthalt,  fondern fie träumen 
ſich bald hie, bald dahin, und immer verwirrt und ohne 
Zufammenhang fort. 


380 Erklärung der Offenbarung Johannis 


Die frommen Seelen diefer Art aber genießen eine fanfte 
Ruhe, in einem kaum merkbaren Bewußtfeyn; fie träumen 
von Engeln, die fi ihnen auch nähern, ihnen Kraft zus 
wehen, und fie gegen den böfen Engel des Todes fchügen, 
der auch hier mit feinen Gehülfen noch zu ernten fucht. 
Diefer Zuftand ift alfo der eigentliche Tod, und jener Engel 
ber Thanatos, ber auch am jüngften Tag zum Feuerſee ver⸗ 
dammt wird, 

Die Mittelſeelen dieſer Klaſſe traͤumen von guten und boͤſen 
Engeln, und wohin ſich nach und nach ihre Richtung neigt, 
dahin gerathen ſie; der tiefſte Seelengrund und der reine 
Wille in demfelben beftimmt in jedem Menfchen fein enplis 
des Schickſal. | 

Alle diefe Dinge find intenfive innere Wirkungen, die blos 
in der Imagination der Seelen, aber doch wefentlich vors 
gehen ; auf den äußern Stand der Subftanz der Seelen im 
finnlihen Weltraum hat das Alles gar Feine Beziehung, 
da befindet fich jede abgefchiedene Seele über ihrem Grabe, 
oder vielmehr da, wo der Auferftehungsfeim ihres Körpers 
iſt; von diefer Eriftenz weiß fie aber gar nichts, A empfins 
det nur in der Geifterwelt. 

Daß fich jede Seele, dem Drt im finnlichen Raum nach, 
bei ihrem Körper befindet, gleichſam durch einen magnetifchen 
Zug dahin gezogen wird, ift natürlich: doch gibt es einzelne 
Faͤlle, wo fie eine Schlafwandlerin wird; wenn fie naͤmlich 
im Sterben eine Sehnfucht nad) etwas hatte, die fie nicht 
befriedigen Eonnte, fo nimmt fie diefe Sehnfucht in ihr 
Zraumleben mit, wo.fie dann oft fo flarf wird, daß fie die 
Seele dahin zieht, wo fich der anziehende Gegenftand befindet, 
und wo fie dann oft von denen empfunden wird, Die ein 
entwiceltes Ahnungsvermögen haben, 

Diefes find meine Abe: Schüler» Fdeen von diefer Sache, 
die ich nach und nach aus wahren Factis geſammelt und 
abſtrahirt habe; ſollte mic) jemand darüber zu einem Mates 
rialiften machen wollen, welches doch eine wahre Schwäde 
in der wahren Philofophie verriethe, fo erinnere ich ihn nur 
an die Beſchaffenheit des menfchlichen Körpers, in welchem 





der unfterbliche Geift an ein fehr feines materielle Weſen 
unzertrennlich gebunden ift, und das ihm auch nad dem 
Tode zur Bafid und zum Werkzeug des Vorftellend und Dens 


kens dient. 


Nach diefen Eurzen Bemerkungen wird man nun leicht bes 
greifen, wie am jüngfteh Tag der Tod und der Todtenbe— 
hälter ihre Todten hergeben fünnen, und wie ihre Verdam⸗ 
mung zum) Feuerfee möglich fey. | 

Ob hier auch das Meer einen geiffigen Sinn unterftelle ? 
dad weiß ich nicht — ich vermuthe es aber nicht; denn es 
wird nicht verdammt, wie die andern beiden; daher glaube 
ich, daß der Ausdruck: Das Meer gab die Todten, die in 
ihm waren, eigentlich nur den Zwed habe, uns zu vers 
fihern, daß aud alle diejenigen, welche auf den Meer 
fterben, und von den Fifchen gefreffen werden, - eben fo gut 
auferftehen werden, als diejenigen, ‚welche in die Erde vers 
feharrt oder auf dem Trodenen auf irgend eine Weiſe ums 
Leben gekommen find. 

Schrecklich! ſchrecklich! ift endlich die Ankändigung, daß 
von allen Myriaden Menſchen alle diejenigen, welche nicht 
im Buch des Lebens ſtehen, ebenfalls in den Feuerſee verwies 
fen werden follen. Doch wird es da auch Grade der Qualen 
geben, denn jeder foll nach dem Grade geftraft werden, wie 
ers verdient hatz hieher gehört Matth. 25. V. 34. bis 46. 


582 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Das ein und smanzigfte Kapitel. 


1. Und ich fahe einen Kenen Himmel und eine neue Erde, 
denn der erſte Himmel und die erſte Erde iſt vergan— 
gen, und das Meer ift forthin nicht mehr. 

2. Und die heilige Stadt, das neue Jeruſalem, fahe ich 
von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet 

wie eine Braut, die für ihren Dann geſchmückt if. 

3. Und id) hörte eine große Stimme aus dem Himmel fa: 
gen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menfhen! und Er 
wird bei ihnen wohnen, und fie werden fein Volk, und 
Gott felbft wird bei ihnen ihr Gott ſeyn. 


Nun ift die Kampfperiode verfloffen, der große Gtreit 
Zwifchen Licht und Finfterniß ift entfchieden ; alle Feinde Got: 
tes und Chriſti haben auf ewig ihr Urtheil empfangen; Boͤſes 
und Gutes ift nicht mehr gemifcht,, fondern gänzlich von ein: 
- ander, jedes im feine Quelle verwiefen; und nun befchreibt 
uns nöch der heilige Seher, in herzerhebenden Bildern, die 
Blicke, die er in jene herrliche Welt gethan hat, zu welcher. 
das taufendjährige Neich eine'Vorbereitung iſt. 

Sch habe oben bei Erklärung des I1ten Verſes des vori—⸗ 
den Kapitel einige Bedenklichkeiten geäuffert, wie wohl der 
neue Himmel und die neue Erde zu verftehen fey. Man kann 
mit den Weiffagungen nicht vorfichtig genug ſeyn; denn wir 
fehen hier durch ein Glas ins dunfle Wort, indeffen will ichs 
denn doc) wagen, und meinen Lefern meine Vermuthungen 
mittheilen, fo wie ich fie in der Gegenwart Gottes und in 
Abhängigkeit von Ihm niedergefchrieben habe, 

Während den taufend Fahren wird die Erfenntnig, wahre 
Aufklärung und Erleuchtung zwar immer wachſen, indeffen 
wird denn doch die Befchaffenheit der phyſiſchen Natur, fo= 
wohl unfers Erdförpers,, als auch der Menfchen felbft, noch 











Kap. 21. V. 1. bis 5. a 


immer mancherlet Unvollfommenheiten in unfre Gluͤckſeligkeit 

einmiſchen; Krankheit und Tod find noch nicht verbannt, 
und Verfuchung zur Sünde und Kampf gegen das verdorbene 
Fleiſch und Blut wird noch immer ſtatt finden, mit einem 
Wort, die Folgen des Falls Adams und der Einwirkung 
der Finfterniß find noch nicht ganz gehoben: es gibt ja auch 
noch Millionen böfer Menfchen, die mit Gog und Magog 
gegen das Reich Ehrifti Fämpfen wollen, folglich hat die 
Erlöfungsanftalt noch nicht völlig ihren Zweck erreicht, daher 
ift das taufendjährige Reich blos eine Pflauzfchule zur ſeli— 
gen Ewigkeit, fo wie es jeßt die Brüdergemeine fürs taufends 
jährige Reich ift, und fo wie es ehmals die ifraelitifche Nez 
ligion zum Chriſtenthum war. 

Wenn alfo die babylonifche Ehebrecherin,, das Thier aus 
dem Abgrund mit dem falfchen Propheten, der Drache felbit, 
und nun auch Gog und Magog bezwungen find, und auf 
ewig ihr Urtheil empfangen haben, fo muß nun auch noch 
Sünde und Tod vernichtiget werden, Dieß ift aber nicht 
möglich, fo lang die gegenwärtige Befchaffenheit unfers Erd» 
förpers mit feiner Atmosphäre, unfers eigenen Körpers, und 
überhaupt der gefammten phyſiſchen Natur noch fortdauerr. 
Deswegen wird mun nad) Ablauf der großen Weltwoche— 
von ſechs taufendjährigen Arbeitstagen, und einem taufends 
jährigen Sabbath, eine neue Reformation der Natur, eine 
neue Schöpfung vorgenommen, Der ganze Erdball mit feiz 
nem Dunftkreis wird durch Feuer sausgebrannt, gereinigt, 
geläntert, und befommt eine himmlifche verklärte Geftalt und 
Oberfläche; dadurch wird daunn auch der Dunftfreis rein und 
ätherifch. So wie der menfchlihe Körper nach der Aufers 
ftehung ewig, unvergänglich und herrlich feyn wird, fo wird 
e8 auch der Erdförper in feiner Art ſeyn, und alle feine Pros 
dufte in allen Naturreichen werden nach eben dem Verhält: 

niß auch veredelt erzeugt werden. Dann wird ed auch Feine 
Meere und Seen mehr geben, fondern das feine geiftige Ge: 
waͤſſer wird in Quellen, Baͤchen und Flüffen, auf eine ans 
dere Weife wie jeßt, die paradiefifchen Fluren benetzen. Hier 
fehen wir alfo deutlich und unwiderfprechlic), daß wir Mens 


+ 


584 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


ſchen in Ewigfeit auf unferer vaterländifchen Erde. bleiben, 
und alfo im vollem Sinn des Worts, den Himmel auf der 
Erden befigen werden. So fahe nun Zohannes einen neuen 
Himmel und eine neue Erde ohne Meer, alles neu, ohne 
Anlagen zu fündlichen Reizen, alles vollfommen und in pas 
radiefifcher Schönheit. 

Dann fahe er auch das neue Jeruſalem, die ewige Haupt⸗ 
ftadt des Volks Gottes, vom Himmel herniedergefahrenz 
ihre Befchreibung komme hernach V. 8. bis 27. vollftandig 
vor. Waͤhrend dem tauſendjaͤhrigen Reich gibts auch ein 
neues Jeruſalem, in welchem der Regierungsſitz dieſes Reichs 
ſeyn wird, allein es ift bei aller feiner Größe und Herrlich⸗ 
feit doch noch immer ivdifch und vergänglich; feine 144,000 
Aktivbuͤrger, die ehmaligen Verfiegelten aus den zwölf Stäms 
men Iſraels, multiplizirt mit den zwölf Apofteln des Lamms, 
“Kap. 7. befigen in ihren geiftlihen Nachkommen und rechts 
mäßigen Erben diefe Stadt, aber auch diefe Befizer find noch) 
fterblihe Menfchen. : Jetzt, da nun der ganze Erdförper 
und alle Frommen, alle Bewohner diefer neuen Erde verflärt 
und unvergänglidy geworden, fo ift nun auch eine neue und 
unvergängliche, zum Ganzen paffende Hauptftadt nöthig; und 
diefe ift dad himmlifche Ferufalem — die Stammmutter alles 
deffen, was je im finnlichen und geiftigen Verftande Jeruſa⸗ 
lem geheißen hat. 

Johannes fieht diefe Stadt in aller. ihrer Pracht vom 
Himmel herabfteigen; denn fo lang noch der Kampf auf der 
Erden währte, und fo lang noch Verderben, Stunde und 
Tod da waltete, fo lang Fonnte auch diefe himmlifche Reſi— 
benz bed Königs aller Könige da nicht Play finden; jetzt 
aber iſts nun Zeit, die bisherige Wohnung der feligen Seelen 
kommt wie eine gefhmüdte Braut vom Himmel, und vers 
fügt fih zu ihrem Brautigam auf die felige Erde, wo fie 
num in die unendlichen Ewigfeiten hin, die allgemeine Haupts 
ſtadt der Menfchheit, die Refidenz ihres Königes Zefu Chriſti 
und Gottes bei den Menſchen ſeyn wird, wie ſolches dem 
Apoſtel eine große Stimme aus dem Himmel wirklich ver⸗ 

ſichert, ſo daß wir uns feſt darauf verlaſſen koͤnnen. 








Kap. 21. B. 4. bis 6. 388 


4. Und Er wird alle Thränen von ihren Augen abwifchen, 
und der Tod wird nicht mehr feyn; weder Trauer noch) 
Wehklagen, noch Mühfeligkeit wird mehr feyn, deun 
das Erfte iſt hingefhwunden, | 

5. Und der auf dem Thron faß, ſprach: Siehe ich — 
alles neu! — Und er ſagte zu mir: Schreibe! denn. 
diefe Worte find glaubwürdig und wahrhaftig. - 
6. Und er ſprach zu mir: Es iſt gefchehen! — Ich bin 
das A und das große DO, der Anfang und das Ende! 
ic) werde den Dürftenden aus den Quellen des Lebens; 
waſſers umfonft geben, 


Auf der neuen feligen und ewigen Erde werden nicht allein 
alle hier geweinte Thränen der frommen Dulder abgetrocdner 
werden, fondern fie werden auch nie wieder Anlaß zum Weis 
nen befommen; Feine Trauer irgend einer Art, feine Urfach 
zu irgend einer Klage, und Fein Gedränge von Laft und 
Mühe ift dann mehr möglich, fondern Friede und Freude 
im heiligen Element wird die Seligen durchwehen ; und ihre 
. wichtigen Gefchäfte im Reich Gottes werden weder mit Ges 
fahr noch mit irgend einer Art des Mißbehagens verpaart 
gehen; hier war alles Mühe, Arbeit und Gefahr, aber dieß 
Erſte ift dann auf ewig bingefhwunden, und hat Feine Spur 
von irgend einem Uebel zurücgelaffen. 

Jeſus Chriftus, der auf dem Thron fi igt und alle feine 
Feinde nun überwunden hat, durch den alle Dinge ehmals 


worden, ift auch num wieder das Werkzeug der neuen Schds 
pfung: — Siehe ih made alles neu — Himmel und Erde, 


Meuſchheit, und alles, was dahin gehört, ift num erneuert, 
Suͤnden und Todesfrei, und das Alles ift mein Werk, fagt 
‚Er zu Johannes, und damit wir ja nicht daran zweifeln 
follen, fo fegt er wieder ein Nota bene drauf, und befiehle , 
dieſe Worı ja aufzufchreiben, denn fie feyen gewiß und 
wahrhaftig. 

‚Berner feßt Er hinzu: Es ift gefchehen! alles ift vollbracht, 
was im Rathſchluß Gottes zur Rettung der Menfchen befchlof- 
fen war — das, was errettet werden konnte, iſt gerettet, 

Stillinas ſammti. Schriften. HI. Band. 25 


536 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


und kein Einziger von meinen Auserwaͤhlten zuruͤckgeblieben; 
wer num nach uͤberſchwenglicher Erkenntniß Gottes und feines 
Reichs Verlangen trägt, und wer nach Liebe und Wahrheit 
dürftet, der Fomme nur und trinke fi) an den Lebenswaflern 
fatt; jetzt Foften fie ihn Feine Kaͤmpfe und Aufopferungen; 
feine Leiden und Kampfthränen mehr, denn ich gebe fie ihm 
in aller. Fülle umfonft. Sch bin ja das A und große D, 
dad A und das 3, der Inbegriff aler Erkenntniſſe, der 
wahre Logos Gottes, der Anfang und das Ende alles defz 
fen, was gefchehen ift, und noch gefchieht, und in Ewigs 
feit gefchehen wird. 


7. Wer überwindet, ber wird diefe Dinge erben; und 
ich werde ihm Gott und er wird mir Sohn feyn. 


8. Und der Muthlofen, und Unglaubigen, und Abfchens 


lichen, und Mörder, und Hurer und Giftmifcher, 
und Abgdtter, und aller Lügner Erbtheil wird im 
See feyn, der mit Feuer und Schwefel brennt, wel⸗ 
ches der zweite Tod iſt. 


In dieſen zweien Verſen verſetzt der Hochwundigſte auf 


dem Thron den Johannes wieder zuruͤck in ſein Zeitalter, 


und faͤhrt fort: Wer alſo nun jetzt treulich kaͤmpft und durch 


= meines Geiftes Beiftand alle Schwierigfeiten,, alle feine und 


meine Feinde durch Glauben ) Liebe und Hoffnung überwin 
det, der foll an allen denen Herrlichfeiten, die du gefehen 
haft, und noch fehen wirft, an diefem Erbtheil der Heiligen 
im Licht, Mitgenoffe und Miterbe feynz hingegen alle Muth⸗ 


loſe, die ſich durch jede Schwierigkeit von der Gemeinſchaft 


. meiner Leiden abwendig machen laffen; alle Ungläubige, die 
nichts glauben wollen, als was ihr. Fleiner Vernunftsfunfe 
aufklären Tann, die alfo mich und mein Wort nicht annehmen 


wollen; alle die in greulichen Laftern und geheimen ftinfenden } 


Luͤſten leben; alle Mörder und Feinde der Menſchheit; alle 
Hurer, die das weibliche Geſchlecht mißbrauchen; alle Gift: 
mifcher, welche durch natürliche Mittel oder durch die Wir: 
fungen der Natur ihrem Nebenmenfchen ſchaden; alle Abe 
, götter, die irgend etwas in der Welt mehr lieben und ehren, 











Kap. 9. bis 1. 387 


als mich; alle Luͤgner, die ihre Nebenmenfchen flatt der 
Wahrheit mir Erdichtungen täufben — alle diefe werden im 
Feuerſee ihr Erbtheil finden, und ohne Aufhoͤren des zweiten 
ewigen Todes ſterben muͤſſen. 

Dieſer Probierſtein, meine geliebten Leſer! gilt auch fuͤr 
uns; der Mund der Wahrheit ſpricht dieß gerechte Urtheil 
von ſeinem Thron herab; darnach koͤnnen wir uns nun richten 
und pruͤfen. Die Anlagen zu allen. den Greueln find in ung, 
ed fommt nur darauf an, ob wir fie befämpft und über: 

wunden haben ? 


9, Und es Fam einer von den fi —* Engeln, welche die 
mit den ſieben letzten Plagen angefüllte Schaalen 
hatten, und redete mit mir, und ſprach: Komm her! 
ich will dir die Braut, das Weib des Lamms zeigen. 


10, Und er führte mich in der Entzückung auf einen gro⸗ 
Ben Berg, und er zeigte mir die Stadt, das heilige es 
rufalem, wie fie von Gott zum Himmel hevabftieg, 

‚11. Sie hatte die Herrlichkeit Gottes; ihr Stvahlenglanz 
war gleich dem alleredelften Stein; wie ein Jaſpis⸗ 
flein, der kryſtallenklar iſt. 


Nun feßt der Geiſt der Weiſſagung wieder feine große und 
erhabene Profopopee fort; einer von den fieben Engeln, die 
Zornfchaalen hatten, zeigte dem Seher im 17ten Kap. die 
‚ große Ehebrecherin auf dem Thier; vielleicht eben diefer zeigt 
ihm num aud) das Gegenſtuͤck dazu, nämlich das Weib oder 
die Braut des Lamms, und zwar in Geftalt einer großen, 
über alle Vorftellung prächtigen Stadt. Zu dem Ende führt 
er ihn in feiner Entzuͤckung auf einen großen und hohen Berg; 
denn die Größe der Stadt erforderte eine weite und breite 
Ausſicht, die man nirgend anders als auf einem ſolchen 
Berge haben kann. 
Bis dahin war dieſe Stadt Gottes, dieſes neue Jeruſalem, 
diefe Hütte Gottes bei den Menfchen, nur inwendig herrlich, und 
von auffen vor der Welt verborgen, unanfehnlich und von 
der Sonne verbrannt; fie war (wenn ich mich diefes ſchwachen 
Gleichniſes — darf) eine Raupe, deren herrlich ſchoͤner 
25 * 


588 Erklarung der Offendarung Johannis. 


Schmetterling jest ans feiner Puppe herausfchlupfte, Siehe! 
Er macht alles nen! — .alfo auch feine Stadt Serufalem. 


Die verflärte, unfterbliche Buͤrgerſchaft muß nun auch eine _ 


verklaͤrte, unvergängliche, zu ihr paffende Etadt haben. 
Der erſte Eindruck, den diefe Mutterftadt, diefe Haupt: 


ftadt der feligen Menfchheit, auf den Apoſtel macht, wie 


er fie fo vom Himmel zur Erde herab finfen fieht,, bringt 
ibn zu dem Ausruf — Gie hatte die Herrlichkeit Gottes! 
Ihr Strahlenglanz war durchfcheinend bunt und röthlich, 
wie ein durchfichtiger Fryftallifcher Zafpis. Johannes weiß 
für dieſe prächtige ind mannigfaltig gemifchte Lichtfarben 


fein Bild, ald das fchönfte, was wir in der Natur Fennen, 


nämlich die in ihrem Farbenfeuer ftrahlende Edelfteine. Der 
ganze Glanz alfo, den die Stadt von ſich in die Ferne ftrahlt, 


kommt ihm fo vor wie ein durchfichtiger Jaſpis. An ſich 


iſt dieſer Stein nicht durchſichtig, ſondern nur roͤthlich, und 
auf mancherlei Art mir farbichten Aederchen und Woͤlkchen 
geziert. Welch ein Aublick! diefe Königin mag wohl mit 
größtem Recht Allerdurchlauchtigſte — und Ew. Majeftät 
angeredet werden; fo durchlauchtig und — war 
wohl nie eine. 

Ueber das Herabfahren derfelben von Gott aus dem need 
hab ich oben fon das Nöthige gefagt. 

Nach diefer Befchreibung des Ganzen folgt nun auch die 
Erzählung, wie die Theile befchaffen waren. 


12. Sie hatte eine große und hohe Mauer; fie hatte zwolf 
Thore! und auf den Thoren zwölf En gel, und Namen 
darüber geſchrieben nämlich die der zwölf Stämme 
Sfrael. 

15. Bon Morgen drei Thore, und von Mitternacht drei 


Thore, und von Mittag drei Thore, und von Abend 


drei Thore. 
14, Und die Mauer der Stadt hatte zwolf Grundlagen, und 
auf ihnen zwdlf Namen der zmölf Apoftel des Lamms. 


Die Größe und Höhe der Mauern Fommt unten bei den 
Meffen der Stadt vor; fie hat zwölf Thore, auf deren jedem 





* 
4 








Kap. 21. DB. 15, Dis 18. 5839 


ein Engel Wacht hält, und diefe Thore haben ihre Namen 
von den zwölf Stämmen Sfraeld; da nun die Statt genau 
vieredigt ift, und eben fo genau auch gegen die vier Welts 
gegenden liegt, fo Fommen au jede Geite drei Thore, die 
alle gleich weit von einander entyernt ‚find... So wie nun auch 
jedes Gebäude fein Fundament haben muß, fo haben es 
aud) die Mauern dieſes Jeruſalems, und zwar folgenderges 
falt: diefe Mauern. find vier, und jede Mauer hat drei 
Thore, dadurch wird auch jede in drei gleiche Theile getheilt, 
fo daß alfo auch jedes Thor auf einem befondern Fundament 
ruht; auf jedem Fundament fteht dann auch wieder eine 
Sufchrift, und zwar der Name eines Apofteld; da fand alfo 
auch der fromme Sohannes feinen eigenen Namen, und das wilf 
noch mehr fagen, als im Buch des Lebens angefchrieben ftehen, 

Die Lehre Chriſti und feiner Apoftel, die hriftliche Relis 
gion ift der Grund, das Fundament des himmlifchen Serus 
ſalems; die eigentlichen Aktivbuͤrger und Eigenthümer deffelben 
aber find die 144,000 Verfiegelte, Kap. 7. — man lefe, was 
ich darüber gefagt habe. — Jeder Stamm gibt zu feinem 
Thor 12000 Bürger, unter deren Obdach aber bei der ers 
ſtaunlichen Größe der Stadt, noch viele 100,000 Selige 
Raum genug finden werden. — Am Raum fehlts nicht, meine 
Lieben! Laßt uns nur Ernft anwenden, um hinein zu kom⸗ 
men — die Herrlichkeit, die unfer wartet, ift unausfprechlich, 


18. Und derjenige, der mit mir redete, hatte ein goldenes 
Meßrohr, daß er die Stadt und ihre Xhore, und 
ihre Mauer mefjen möchte, 


16. Und die Stadt liegt viereckigt, und ihre Länge ift fo 
N groß, ale bie Breite; und er maß die Stadt mit dem 
Meßrohr in zwolftauſend Stadien ; a Breite 

und Höhe find nod gleich. 
. 47. Und er. maß ihre Mauer hundert vier und vierzig, 
Ehlen menfhlichen Maaßes, fo wie fie der Engel hat. 
18. Und die Strebepfeiler der Mauer waren Jaſpis, 
und die Stadt reines Gold, gleich reinem Glas, 


Der Engel, der mit dem Apoftel redete, war derjenige, 
der ihm die Stadt zeigte, Vers 9. einer von denen, die die 


590 Erklärung ber Offenbarung Johannis, 


fieben Schaalen hatten; dieſer hatte nun auch eine lange 
goldene Meßruthe, welche fonft gewöhnlich aus Rohr ges 
ſchnitten wurden, als welches leicht und gerade-ift; er hatte 
den Auftrag, die Stadt zu meffen, um damit anzuzeigen, 
daß fie nun in Befig genommen. und unter die Bürger pers 
theilt werden foll. - Bei diefer Meffung aber zeigt fih nun 
eine ganz befondere Bauart, die in der gegenwärtigen Vers 
faſſung der Natur weder ausführbar, noch für und zum 
Mohnen gefchicht feyn würde; denn erftlich ift diefe Stadt fo 

groß, daß fie auch der reichfte und mächtigfte Monarch nicht 
zu bauen im Stand feyn würde, wenn man auch die Gtadien 
ſehr Tlein annimmt, wie z. E. Bengel, weldyer 463 auf eine 
teutfche Meile rechner, fo beträgt dann doch eine Seite der 
Stadt von 12000 Stadien 258% teutfhe Meilen, folglich 
würde dad ganze teutfche Reid) zum Bauplatz viel zu Flein feyn. 

Zweitens ift auch) die Materie, woraus das neue Serufalem 
gebaut ift, fo beichaffen, daß fie aus der ganzen phyſiſchen 
Natur unfers Erdkoͤrpers nicht erhalten werden Fünnte, wos 
her follte man alle die Edelfteine, und in der Größe, woher 
durchfichtiges Gold nehmen? — und wenn mans zu Stand 
braͤchte, fo wäre das alles dann doch am Ende vergänglicher 
Staub. Und endlich drittens: Auch die Höhe der Stadt 
hat 12000 Stadien, das ift, 2573 teutſche Meilen — gegen 


diefe Höhen find auch die allerhöchften Berge Eleine Maul—⸗ 


wurföhligelchen; wer unter und würde im gegenwärtigen 
Zuftand die oberfien Stockwerke diefer Häufer bewohnen 
koͤnnen? aber dereinft nach der Auferftiehung, wenn unfer 
Koͤrper keine Schwerkraft mehr hat, wenn er fi dem Willen 
gemäß, mit der Gefhwindigfeit eines Lichtftrahls bewegen 
faun, wohin er will, dann ift ihm nichts mehr zu hoch und 
zu weit. Der Geift verlieft fich in der Vorſtellung dieſer 
Majeftät, fie geht weit über allen Begriff. 

Eben darum fieg auch das neue Zerufalem vom Himmel 
herab, weil die Erde aud) in ihrer verflärten Geftalt zu arm 
zu einem folchen Bau ift, 

Diefe Stadt ift nun vollfommen vierecigt; Breite, Laͤnge 
und Hoͤhe ſind ſich gleich, und jede betraͤgt 12000 Stadien, 














Kap. 21. ®. 15. bis 18. 391 


oder 257 teutfche Meilen; demnach ift ber ganze Bau ein 
geomerrifcher Kubus oder Würfel, folglich einem einzelnen 
Haus oder Pallaſt ähnlich. Stünde diefer unausfprechlich 
fhone Bau nun auch im gelobten Land, oder vielmehr auf 
dem abendländifchen Afien, fo Fönnte doch defjen oberer Theil 
von allen hohen Bergen Teurfchlands gefehen werden. 
Der arte Vers ift etwas dunkel, Johaunes fagt: Und er 
maß ihre Mauer, 144 Ehlenz eine Lesart, die nicht in allen 
Handfchriften gefunden, aber doch von den mehreften Gelehrs 
‚ten angenommen wird; andere laffen nämlich das Wort Ehlen 
weg; allein: dadurch wird der Verftand weder verändert nod) 
deutlicher , e8 kommt alfo im Grund auf Eins heraus, und 
wenn man nur einigermaffen in Erklärung fchwerer bilblifchen 
Stellen geübt ift, foläßt fich auch diefe leicht deutlich machen, 
‚welches durch folgende Umfchreibung gefchehen kann. 
Der Engel nahm feine goldene Meßruthe, und maß da= 
mit die Höhe und Breite der Mauer an einer Seite der Stadt, 
und fand fie 144 Ehlen, oder menfhliche Maaß, wie fie.der 
Engel hatz das iſt: Der Engel hat eine menfchliche Geftalt, 
aber von erftaunlicher Größe, fo daß feine Ehle, Das iſt, 
die Länge vom Ellenbogen bis an die Fingerfpiten ‚oder des 
Vorderarmd, nach) welchem Maaßſtab in den Morgenländern 
alle Längenmaaßen, folglich auch die Mefruthen, eingetheilt 
waren, 144 mal in der Höhe und Breite. abgemeffen wurde. 
Nun war aber auch die Höhe und. Breite 12000 Stadien, 
welche alfo den 144 Ehlen gleich find, folglich dividire man 
mit 144 in 12000, fo kommt auf eine englifche Ehle oder 
Länge des Vorderarms 85+ Stadien, oder beinahe zwei 


teutſche Meilen; nach menfchlicher Proportion war. alfo Die 


Statur des Engeld vollfommen fünf teutſche Meilen Hoch. 
Da num Johannes diefen Engel nicht als vorzüglich groß 
angibt, fo muß das die gewöhnliche Größe gewefen feyn, in 
— ihm die Engel in dieſer Offenbarung erſchienen. 
‚Man halte diefe Größe nicht für übertrieben, denn die 
himmliſchen Verhältniffe find ja gegen den dunklen Punkt, 
den wir Erde nennen, nicht beftimmt. — Eine folche Größe 
ſchickt Mr zum neuen Jerufglem ſehr gut, Die Engel mögen 


392 Erklarung der Offenbarung Johannis. 


alfo.mit Recht ftarke Helden heißen; hierdurch wird num auch 
Har, warum ‚zuweilen in der heiligen Schrift, und auch 
bier in der Offenbarung, 3. E. Kap. 14. V. 14. eine Er: 
fcheinung dadurch ausgezeichnet wird, daß fie einem Men: 
ſchenſohn ahnlich gewefen? — Dieß will alfo fo viel fagen: 
Sie hatte die gewöhnliche Große eines Menfchen, und zwar 
lange nicht fo groß, wie ein Engel. Daß aber auch die 
Engel in gewöhnlicher Menſchengroͤße erſcheinen koͤnnen, 
wird dadurch gar nicht gelaͤugnet. 


Man Fonnte auch die 144 Ehlen als ven Duabratgehaft 
einer Mauerfeite annehmen, dann kaͤmen aber taufend Sta: 
dien auf eine Ehle. Eben das wäre'auc der Fall, went 
man die 144 vom ganzen Umfreis der Mauer verſtuͤnde; in 
beiden Fällen würde die Statur der Engel noch weit größer; 
die erfte Erflärung ift alfo die wahrſcheinlichſte. 

Die gewöhnlichen Ueberfegungen fagen: Der Bau, bie 
Struktur der Mauer feye Jaſpis gewefen; allein das Wort 
Endomesis heißt doc) eigentlich nie Bau oder Struftur, fons 
dern vielmehr eine Befeftigung oder Verftärferung der Mauer; 
indeſſen kommt darauf nicht viel an; man fieht überhaupt 
wohl, daß der heilige Seher Mühe hatte, um nur Worte 
zu finden, wodurch er feinen Leſern die Herrlichkeit und 
Majeftät dieſes Baues vorftelbar machen Fonnte. 


Das innere der Stadt, welches durch die offenen Thore 
gefehen werden Fonnte, fahe wie reines, aber durchfcheinens 
des Gold aus; gerad fo, als wenn ein kryſtallhelles Glas zus 
gleich die Farbe des reinften Goldes hätte. Es laͤßt ſich 
Doch wahrlich! in der ganzen Natur nichts Schöneres deufen! 


„49. Und die Grundlagen der Stadtmanern waren mit jes 
dem Cdelftein geſchmückt: Die erfte Grundlage war 
Safpis, die zweite Saphir, die dritte Chalce 
don, bie vierte Smaragd. 
20. Die fünfte Sardonir, die fechste Sardi us, die 
ſiebente Chryfolithug, die achte Berpliug, die 


neunte Lopafion, die zehnte Chryfoprafug, 


Die ee Hyacinthus, die zwölfte Amethyftus. 





Kap. 21.8. 19. bis 21. ".: 598 


2. Und die zwolf Thore waren zwölf Perlen; wiederum 

war auch jedes Thor aus einer Perle gemacht, und 
die innere Weite der Stadt lauteres Gold, wie ein 
durchfcheinendes Glas. 

Die zwölf Fundamente der Mauer, auf denen die Namen 
der Apoftel ftunden, beftanden aus Edelfteinen, welche hier 
der Reihe nad) genannt werden. 

Das erfte war ein Zafpis, den ich ſchon oben beſchrieben 
habe. 

Das zweite ein Saphir; bei den Alten hieß unſer gegens 
wärtiger Lapis Lazuli,, oder Lafurftein Saphir; diefer 
ift unvergleichlich ſchͤn blau, aber nicht durchfichtig. 

Das dritte ein Chalcedon; diefer ift blaͤulicht milchweiß 
und, halbdurchfichtig. | 

Das vierte ein Smaragd; diefer ift grasgrün und durchſichtig. 

Das fünfte ein Sarbonyr; dieſer beſteht aus aufeinander 
liegenden dunfelbraunen, fchwarzblauen, milchweißen 
und farniolrothen Schichten oder Blättern. 

Das fechöte ein Sardius; diefer ift der rothe Stein, den 
wir heut zu Tage Karniol heißen, und Petſchafte dars 
aus verfertigen. 

Das fiebente ein Chryſolitus; diefer ift zeifiggrün , halb 

durchſichtig und mit goldnen Puͤnktchen ſchimmernd. 

Das achte ein Beryllus; dieſer iſt meergruͤn oder blaͤu⸗ 
lichgruͤn. 

Das neunte ein Topaſion; dieſer iſt citronengelb und 
durchſichtig. 

Das zehnte ein Chryſopraſus; dieſer iſt hellgruͤn mit gol⸗ 
nen Puͤnktchen und ſchillernd. 

Das eilfte ein Hyazinthus; dieſer iſt der heutige Saphir, 
ſchoͤn himmelblau und durchfi ichtig; und 

Das zwölfte ein Amethyſtus; diefer ift ſchoͤn violet und 
durchſichtig. 

Su dem Amtsſchildlein des Hohenprieſters, 2. Moſ. 28. 
B. 17. u. f. waren acht Steine, die ſich auch hier finden, 
nämlich der Jaſpis, der Sardonyr, der Amethyft, der Hya⸗ 
zinth, der Saphir, der Smaragd, der Topaſe und der 


2 


394 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Sarder. Die übrigen pier dieſes Amtsfchildleind waren nach 
der holländifchen Staatenbibel der Karfunkel oder hochrother 
Rubin, der Diamant, der Agath und der Türkis; ſtatt die: 
fer hat das neue Jeruſalem den Chalcedon, den en 
den Berpll und den Chryfopras. 

Es würde eine fehr vergebliche Mühe ſeyn, wenn man die 
zwölf Edelfteine mit den zwölf Apofteln vergleihen, und 


da phyſiſche und Farakteriftifche Aehnlichkeiten ausfindig machen 


wollte; denn wir wiffen von den Apoſteln viel zu wenig, als 
baß bei einer ſolchen Vergleichung. nur einigermaßen erträg: 
liche Wahrfcheinlichkeiten herauskommen koͤnnten, wir ftaus 
nen vielmehr mit tiefer Ehrfurcht unfere himmliſche Baterftadt 
an, und ringen mit allem Ernft darnach, daß wir dort das 
Bürgerrecht erlangen mögen; wenn wir Dann dereinft einmal 
da find, daun werden wird ja wohl erfahren, was das alles 


‚bedeute. 


Endlich befchreibt dann der Apoftel auch noch die Thore ; 
jedes fcheint aus einer ganzen Perle gemacht zu feyn, das 
iſt: Jedes Thor war ein großes, 'filbergraues, halbdurch⸗ 
fihtiges Stüf mit einem matten Glanz. Da nun alle 
Shore offen, und noch dazu fehr hoch und. weit waren, fo 
konnte Johannes wohl durch fie in die Stadt fehen, und 
über ihre innere Schönheit urtheilen; er wiederholt auch 


‚hier noch) einmal, wasser ſchon im 18ten Vers gefagt hatte, 


die innere Weite und Breite der Stadt fey ihm vorgefommen 
ald hell durchſichtiges, mit Lichtglanz angefülltes Gold. Er 
kanns nichts ausfprechen, wie prächtig es ift, und mahlt 
Daher mit ‚den erhabenften Farben, die wir READER in 
dieſem Leben haben. 

Die Höhe und Weite der Thore wird nicht — 


aber man kann doch wohl denken, daß, nach Verhaͤltniß der 


Hoͤhe und Weite der Mauern, auch die Thore hoch und weit 
ſeyn muͤſſen — wenn man auch nur die Statur eines Engels 
zum Aus- und Eingehen als Maaßſtab annehmen wollte, 
ſo wuͤrde ein ſolches Thor ſchon uͤber fuͤnf teutſche Meilen 
hoch, und wenigſtens zwo teutſche Meilen breit ſeyn; und 
doch waͤr es dann der Symmetrie nach viel zu klein. 


a Zn re Ze 


Kap. 21, B. 29, bis 2.. 296 


| Die Weiffagung des Propheten Ezechield vom 40ſten bis 
. 48ften Kapitel, von dem neuen Serufalem, feinem Tempel, 
und der Austheilung des ganzen Landes, zielt. auf. ‚die 
Errichtung und Einrichtung des taufendjährigen Reichs; das 
ber find auch alle Maaße irdifch und menſchlich; hier aber 
ift vom neuen himmlifchen Zerufalem die Rede, welches erſt 
auf der verflärten Erde nad) dem taufendjährigen Reich und 
juͤngſten Gericht ſtatt finden wird. 

Setzt entſteht aber nun die Frage, in wiefern dieſe Bes 
ſchreibung buchftäblich oder prophetiſch und im geiftlichen 
Sinn zu verftehen fey? — fo viel ift gewiß, daß alle Aus— 
druͤcke auch etwas Geiftliches bedeuten, und mit der fittlichen 
Defchaffenheit des Reichs Gottes in der genaueften Meber- 
einftimmung ftehen; daher. wird oft die Gemeinde des Herrn 
für die Stadt ſelbſt, und diefe wird für je genommen; 
aber fo viel.ift doch auch gewiß, daß unfere verflärten Körs 
per auch einen ihnen angemeffenen, mit ihnen übereinftims 
menden Aufenthalt: haben muͤſſen; — derowegen dürfen wir _ 
fühn den buchftäblichen und geiftlichen Sinn mit einander 
verbinden, und feft glauben, das neue Jeruſalem werde fo 
wie es Johannes bier befchreibt, auch in unfre verflärten 
Sinne fallen, ja, es wird auch buchftäblich fo herrlich 
feyn, wie er es hier gefehen hat; aber wir werden uns ders 
maleins auch jedes erklären, warum es fo und nicht anders 
iſt, wir werden alle große und Fleine Theile diefer herrlichen 
Stadt Gottes wie lebendige Worte Gottes leſen und ver⸗ 
ſtehen koͤnnen. 


22. Und ich ſahe keinen Tempel in ihr; denn der 1, 
ok der Allherrſcher, .ift ihr Tempel, und das 
Lamm, | 


25. Und die Stadt bedarf weder der Sonnen noch des 
Monde, daß fie ihr ſcheinen; denn die Herrlichkeit 
Gottes exleuchtete fie, und ihve Leuchte ift das Lamm. 

24. Und die Nationen werden in ihrem Licht umher wan⸗ 
‚deln, und die Könige der, Erden bringen * Herr⸗ 
lichkeit in ſie. | 


596 Erklärung ber Offenbarung Johannis. 


In unferm gegenwärtigen Zuftand bedürfen wir Kirchen, 
Tempel und Neligionsanftalten, weil wir immerwährende 
Erbauung und Erweckung zur Andacht ndthig haben; dieß 
wird auch im taufendjährigen Reich noch der Fall feyn, weil 
dann die gegenwärtige Natur noch fortdauert; fobald aber 
Suͤude und Tod mit allen ihren Urfachen und Folgen abges 
than, und wir zum Anfchauen Gottes und der himmlifchen 
Natur gelangt find, fo bevarfs Feiner ſolchen Mittel mehr, 
um Gott Fennen zu lernen, das Gemüth zu Ihm zu ers 
heben, und ſich zur Andacht zu erwecken. 

Er felbft, das hechfte Gut, und fein Sohn Jeſus Chris 
ſtus, geben uus dann durch ihre unmittelbare Einwirkung 
auf unfere Exiftenz Kraft, Leben und Seligkeit; danu be: 
darfs Feiner Tempel, Opfer, Predigten und Saframente 
- mehr, weilbuns die Gottheit, Vater und Sopn alles in 
Allem find. . 

Das neue Serufalem bedarf auch feiner Sonne des Tages, 

und Feines Monds des Nachts; denn es gibt da Feine Nacht 
mehr, und die Gottheit, die mit ihrer ganzen Fülle im Sohn 
Gottes wohnt, ftrahlt viel heller ald die Sonne, aus der Mits 
ten, über der Stadt, über diefe und über die ganze verflärte 
Erde hin. Der ganze Erdförper ift dann verflärt, und für 
fich felbft zur Sonne geworden, er leuchtet in eigener Herr⸗ 
lichkeit und bedarf Feiner andern mehr. 

Die eigentlichen Bürger Serufalems find Sfraeliten und 
Ehriften aus den Heiden, die auf diefen Stamm gepropft 
find; mit einem Wort, alle diejenigen, die dem Grade der 
Heiligung nah), fich zu diefer Bürgerfchaft geſchickt gemacht 
haben; die übrigen Frommen aber aus allen Nationen wers 
den die verflärte Erde bewohnen, und die Herrlichkeit Gots 
tes und Chrifti über dem neuen Serufalem wird die Hälfte 
der Erbfugel viel heller erleuchten, als jest durch unfre 
Sonne möglich iſt; fo werden fie dann über die ganze Breite 
der Erde hin in diefem Licht wandeln, und überall felig feyn. 

Die andere Hälfte der Erdfugel aber wird nie diefes Lichts 


theilgaftig, weil die Stadt Gottes nur auf der einen Hälfte- 


ſteht. Vermuthlich werden die Grade der Seligkeit durch 


_ 


— 


"Kap. 21. B. 25: bis 97. 8597 


die ee von diefer Stadt beftimmt; die. Menge derer, 
welche demnach auf der abgefehrten Hälfte wohnen, find 
zwar auch felig, allein fie haben ficy des Auſchaueus Gottes 
doch nicht würdig gemacht. Doch das alles find — 
thungen; die Zeit wirds lehren. 

Dann heißt es ferner: Die Koͤnige der Erden —— ihre 
Herrlichkeit in die Stadt bringen, und ihren Glanz vermehren. 


Hier fonnen die gegenwärtigen irdifchen Könige nicht gemeint 


ſeyn; denn deren größte Herrlichkeit ift Staub und Koth 
gegen diefe; haben fie fich aber zur Bürgerfchaft Jeruſalems 
befähigt, dann werden fie freilich auch ihren Glanz mit: 
bringen, und die Glorie vermehren helfen. Ich glaube aber, 
daß hier unter den Königen die Fuͤrſten der Seligen verz 
ftanden werden; denm’auch diefe ftehen in einer Standes— 
ordnung, fo wie aud) jet alle himmlifchen Heere. -Diefe 


Könige, welche dann auf der ganzen feligen Erde vertheilt 


wohnen, und die himmlische Polizei beforgen, werden von 
Zeit zu Zeit in der Stadt Geſchaͤfte auszurichten haben, und 
dann ihre Herrlichkeit mit in fie hineinbringen. | 

Alles! Alles! was wir hier fagen koͤnnen, ift bloßes Lal—⸗ 
len und Stammeln; wer vermag unausfprechliche Dinge durch 
unfre todte Sprache begreiflich zu machen? aber wahrlich! 
wahrlich! es ift des Kämpfens bis aufs Blut werth; die 
Dffenbarung gibt und darüber genugfame Sicherheit. 


25. Und ihre Thore werden des’ Tages wicht gefchloffen 5 
Nacht wird es dafelbft nicht. 


26. Und man wird die Herrlichkeit und die Ehre der 
Nation in fie bringen, 


27. Und es wird nichts Gemeines, -oder mas Greuel 


thut, oder ein Lügner iſt, in dieſelbe hineingehen, 
ſondern nur diejenigen, die im Lebensbuch des Lamms 
eingeſchrieben ſind. 


Um feindlichen Ueberfalls willen brauchen auch Jeruſalems 


| Perlenthore nicht gefchloffen zu werden; denn alle Feinde find 
beſiegt und gerichtet, und damit fich Feiner hineinfchleichen 


Tonne, der nicht dahin gehört, fo fteht ja der Engelwaͤchter 
über dem Thor, der die Hineingehenden wohl beobachtet. 


398 Grflärung der Offenbarung Johaunis. 


Die Redensart, man würde die Herrlichkeit und die Ehre 
der Nationen hineinbringen, ift von der Refidenz eines Eros 
bererö hergenommen, welcher die Reichthuͤmer und Koftbars 


feiten der erfämpften Städte und Länder als Sieges zeichen 


in derſelben aufſtellt. Hier iſt aber nun von einer andern 
Eroberung die Rede; die Siegeszeichen der Religion Jeſu, 
welche die ſich in ihren beſeligenden Kaͤmpfen zum Gluͤck und 
ewigen Segen der Nationen errungen hat, ſollen zum Preis 
des vielgefrönten Siegers in dieſer Stadt aufbewahrt wer—⸗ 
den. Mehr vermag ich nicht darüber zu fagenz denn wer 
Fann wiffen, wie fich diefe Trophäen unferm verflärten Sinn 
darftellen werden ? 

Unreine, abfcheuliche und Tügenhafte Menfihen fommen 
nicht in diefe Stadt, nicht einmal, um fie zu ſehen; denen 
ift ihr trauriger Aufenthalt fehon im sten Vers augewiefen 
worden. Dieſe Stadt ift heilig, niemand Fann in fie hinein— 


gehen, ald wer ind Lebensbuch des Lammes eingefchrieben 


iſt; — ins Lebensbuch des Lamms — folglich diejenigen, 
die ſich durch ſein Opferblut von ihren Suͤnden haben reini⸗ 
gen laſſen. 


Lieben Leſer! ich bitte euch um Gottes willen, achtet doch 


das Blut der Verſoͤhnung nicht gering! — glaubt doch dem 
Herführerifchen,  neutheologifchen Geifte nicht, welcher uns 


die Verföhnung durchs Blut Ehrifti wegräfonniren will; weil 


fie ſich feiner Meinung nach mit der Vernunft nicht reimt. — 

O ihr hochweiſe Thoren! koͤnnt ihr erklaͤren, wie ed moͤglich 
ift, von unferer Erde die Sterne zu fehen? — wer das 
glaubt erflären zu koͤnnen, der täufcht ih. Wie wenn man 
einem Blindgebornen fagte, ein Sehender Fönnte mit feinen 
Augen Geftalten fühlen, die viel taufend Meilen entfernt 
wären, würde er nicht lachen und fagen: Ihr feyd ein 
Narr! — Das ift Einbildung und Schwärmerei; und find 
wir Menfchen denn nicht in überfinnlichen Dingen alle Blinde 
geborne? — Darum war und die Bibel nöthig; daß fie 
wahr ift, zeigen ihre erfüllten Weiffagungen — fie ift Got: 
tes Wort, und darum glaub ich ihr — fie lehrt die Vers 
föhnung durchs Blur Chriſti ausprüdlih, und zwar 


Da en nn tn en ze m 2 > a la on U Ann U Zu nn nie 


nicht‘ efiva ald einen Nebenartifel unferer Glaubenslehre, 
ſondern ald die Hauptz und wirfende Urfache unferer Heilis 
gung und Seligfeit, ohne welche aud) der vollfommenfte Stois 
zismus, die erhabenfte Tugend nichts gilt; durch welche 
auch Geneca, Epictet, Sokrates u. a. m. eben fo gut felig 
werden mußten, ald wir, und es gewiß auch nach ihrem 
Tode geworden find, als fie dad Geheimniß der Erlöfung 
begriffen und ergriffen. 


400 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Dad zwei und zwanzigfte Kapitel, 


1. Und er zeigte mir einen Strom Lebenswaflers, klar 
wie ein Kriftall, welcher aus dem Thron Gottes und 
des Lamms heraus Fam. 

2. In der Mitte ihres Platzes, und hie und da am Strom 
waren Gehölze des Lebens, die zwölferlei Früchte tus 
gen, in jedem Monat bringen fie eine Frucht; und 
die Blätter diefes Gehölzes find zum Krankendienft 
der Nationen. 

5. Und es wird fernerhin Fein Bann mehr ſeyn: und der 
Thron Gottes und des Lamms wird. in ihr feon ‚und 
feine Kuechte werden Ihm dienen. 


Das Friftallpelle Meer vor dem Chron Gottes und des 
Lamms, Kap. 4. ®. 6. und Kap. 15. ®. 2. war bisher 


eingedämmt gewefen; das ewige Element Fonnte fich nicht 


mit vollem Strom: über die mit Sünde und Tod befledte 
Erde ergießen, aber jeßt ift der Damm weggethan; jetzt 
ift ed zur Quelle geworden, aus welcher die ganze felige 
Erde gewäffert wird; jede nach) Licht und Krafı, nad) Er- 
fenntniß nnd Thaͤtigkeit Dürftende Seele, kann fih nun zur 
vollen Genüge ergquicken; wen nun dürfter, der komme; hier 
find Lebenswaffer genug und umfonft. Ezechiel fahe diefen 
Strom aud) Kap. 47. V. 1—12. ; man lefe mit Bedacht, was 
er von ihm fagt, es dient zur Erläuterung dieſer Stelle; f. 
auch Zachar. 14. V. 8. 

Mitten in der Stadt auf ihren Pläßen, und am Strom 
hin und wieder, auf beiden Seiten, flanden Baumgruppen 
und Haine, alle Pflanzungen vom Baum des Lebens, ver 
im Paradies war; hier ift alfo auch Speife; denn der Menſch 
muß: Speid und Zranf haben, wenn er leben foll; diefe 


Bäume bringen jeden der zwölf Monate ihre Frucht, damit 


es nie an frifhem Obſt mangeln möge; bier ift an feinen 
Mißwachs zu denken, und für dem Verfuhbaum der Ers 
Fenntniß des Guten und Boͤſen ift man ewig ficher; diefes find 
alfo Brodbaume des Lebens, woran man genug hat, um 
ewig zu leben und vollfommen gefund zu bleiben. Der Ges 
nuß des Fleiſches, der blos zu dieſem unvollfommenen Leben 
gehört, wo alles durch den Tod geht, wo die Thiere für 
die Menfchen fterben mußten, damit diefe leben Fonnten, 
hört nun auf. | 
Diejenigen, welche hier nicht zu dem Grad der Heiligung 
gelangt find, daß fie Theil an der Bürgerfchaft Serufalems 
und dem heiligen Lande um die Stadt her, befommen koͤn⸗ 
nen; die alfo in der Ferne die Oberflache der Erde bewohnen; 
auch wohl fromme, tugendhafte Menfchen aus den Heiden 
geweſen find, und die hier unter den Nationen verftanden 
werden, find zwar nicht mehr in einem fündhaften Zuftand, 
aber fie fünnen noch oft Schwäche empfinden, folglich Stärs 
fung bedürfen; diefen dienen nun die Blätter von den Lebende 
bäumen zur Arznei. 
Alles diefes ift Befeftigung und Belräftigung der Weiſſa— 
gung Ezechield in oben angeführter- Stelle; und Chriſtus vers 
heißt auch den Ueberwindern aus der apoftolifchen Gemeinde 
Offeub. Joh. 2. V. 7. Speife von diefen Lebensbäumen. 
Inwiefern nun diefed Alles wiederum ſinnlich und- geiftig 
zu verftehen fey, das läßt fih nur erfahren; man geht am 
ſicherſten, wenn man beides mit einander verbindet. 
Endlich heißt es, ed würde auch in Zukunft niemand mehr 
verbannt, oder deö Landes verwiejen werden; wer einmal 
der Bürgerfchaft Serufalems, oder des Befißes auf der felis 
gen Erden gewürdigt und theilhaftig geworden, der hat in 
Ewigkeit Feine Verbannung, Feine Verweifung mehr zu be= 
fürchten; denn da nunmehr das fittliche Prinzip in jedem 
Seligen über das finnliche herrfcht, welches in gegenwärtigem 
Leben gerade der umgekehrte Fall ift, fo wird niemand mehr 
fündigen, folglich auch jede Strafe aufhören. In dieſer 
Stadt ift nun auch der Thron Gottes und des Lamms; fie 


ift die Refidenz des Allperrfchers und der Gottmenſch Chriſtus 
Stining’s laͤmmtl. Schriften. 1. Band. | 26 


40% Erklärung der Offenbarung Johannis. 


wird der Monarch der verflärten Erde feyn,: und im Namen 
feines Vaters das Reich verwalten; feine Diener, die ſich 
durch feine Gnade dazu geſchickt gemacht haben, werden dann 
Theil am den Regierungsgefchäften nehmen. Man lefe auf: 
merffam, was ich in der Erflärung der vier leßten Briefe an 
die Gemeinden zu Thyatira, Sarded, Philadelphia und Laos 
dicea über die Verheißungen, welche der Herr den Ueberwin— 
dern zufagt,. bemerft habe; denn das alles gehört hieher, ung 
den Dienft der Knechte des Herrn recht zu verfiehen. 


4. Und fie werden ſein Angeficht fehen; und fein Name 
wird auf ihren Stirnen ſeyn. 

5. Nacht wirds dafelbft nicht ſeyn; und fie werden Fei- 
ner Leuchte und des Sonnenlichts bedürfen: denn Gott 
der Herr wird über ihnen leuchten, he fie werden in 
die ewige Ewigkeit vegieren. 

7. Und Er fprach zu mir: Diefe Worte find alaubwür: 
dig und wahrhaftig; und der Herr, der Gott der Pros " 

phetengeifter, hat feinen Engel gefandt, um feinen 

Knechten zu zeigen, was fehnell nad) einander geſche⸗ 

ben fol, 

Das Anfchauen Gottes ift der Genuß des höchften Guts ; 
der Zweck alles Glaubens, aller. Liebe und das Ziel aller Hoff⸗ 
nungen. Dazu gelangen alfo nur diejenigen „ die durch die 
Kraft des Leidens und Sterbens Ehrifti fi bis auf einen 
gewiffen Grad der Heiligung und Vollfommenheit hinaufges 
fhwungen haben, Seelen, die lange den Weg des Lebens 
gewandelt, und in der Gottfeligfeit eine gewiffe Hebung und 
: Fertigkeit erlangt haben, prägen einen Eindrud ins Gefidht, 
der auch bei den roheſten Menſchen Ehrfurcht erwedtz alle 
Züge bekommen eine janfte, liebevolle, ruhige Richtung; und 
dieß ift dann der Name Gottes und Chrifti, der weitgefor: 
derten Dienern des Herrn vor der Stirn gefchrieben fteht. 

Der heilige Seher kanns nicht müde werden, zu wieders. 
holen, daß im neuen SZerufalem feine Nacht feyn werde. 
Denn die Herrlichkeit des Herrn erleuchte fie beftändig, und. 
da diefe nun ewig über der Stadt ruhen wird, fo kauns da 


Kap 22, B. 4. bis 9, 405 


freilich nie auf irgend eine Meife Nacht werden. Won der 
Megierung der Heiligen hab‘ ich fo eben geredet. 

Hier fängt num der Schluß diefer letzten und herrlichſten 
Offenbarung an die Menſchen an; der Engel, der dem Jo— 
hannes bis dahin Alles gezeigt Kühe‘ bezeugt dem Apoftel, 
daß diefe gefammte Offenbarung gewiß oder glaubwürdig und 
wahrhaftig fey; denn eben der Gott, der ehmals die Beifter 
der alte Propheten mit feinem unfehlbaren Licht erleuchtet 
habe, der habe auch jet ihn, den Engel, der da redet, ges 
fandt, um durch den Apoftel Johannes feinen übrigen treuen 
Knechten zu zeigen, was für Schidfale und Vorfälle die 
Kirche Jeſu Ehrifti von jener Zeit an fchnell nad) einander 
bis and Ende werde erfahren müffen. 

Hier wird alfo bezeugt, daß diefe Apokalypſe Fein erdichte- 
tes oder erträumtes menfchliches Hirngefpinnft, fondern eine 
durchaus von Gott eingegebene Schrift fey; und wahrlich I 
es bedarf in unfern Tagen auch nur eines ruhigen, vorurtheils 
freien und ernftlichen Unterfuchens „ fo. muß man überzeugt 
werden, daß diefe Weiffagung bis auf die legten wichtigen 
Ereigniffe, bisher, durch alle Fahrhunderte durch, pünktlich 
erfüllt worden ; daß fie alfo unftreitig nur allein vom Allwiffen: 
den hergefommen fey, und daß folglich num auch die über- 
ſchwenglich großen Verheißungen, die noch zukünftig find, 

ganz zuverläßig werden erfüllt werden. 


- 7. Siebe ich komme fchnell! — Selig ift, wer die Worte 

der Weiſſagung diefes Buchs bewahrt. 

8. Und ih Johannes bins, der das fahe und hörte: 
und. als id) es gefehen und gehört hatte, fiel ich vor 
den Füßen des Engels, der mir diefe Dinge zeigte, 
nieder, um ihn anzubeten. 

9 Und er fprach zu mir: Sieh zu! thue es nicht, ich 
bin dein Mitknecht, und deiner Brüder, der Prophe⸗ 
ten, und derer, die Worte diefes Buchs halten, bete 
Gott an. | 


Das Ende der Offenbarung Johannis ftimmt mit dem An- 
fang ton, und faft mit den nämlichen Ausdruͤcken überein. 
26 * 


404 : Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Selig oder glücklich tft derjenige, der dieß Buch in die 
Hände befommt, und dem es Dann thener und werth ift, 
um fein Leben darnach einzurichten. Kap. 1. V. 3. kommt 
faft das nämliche vor. Sn den damaligen Zeiten, als die 
Buchdruckerkunſt noch nicht erfunden war, war es ein feltener 
Fall, daß jemand die Bibel, oder irgend einen Theil derfels 
ben hatte; denn ein gefchriebenes Eremplar war fehr theuer ; 


folglich kamen aud) die einzelnen Bücher der heiligen Schrift 


felten in die Hände gemeiner Leute, und fie mußten-alle Er— 
Eenntniß von ihren Lehrern befommen, wobei ed dann oft 
armfelig herging; darum preißt hier der Engel den glüdlich, 
der eine Abfchrift von diefem Buch bekommt, fie aber dann 
auch zur Erbauung anivendet, und fi) auf die Zukunft des 
Herin gehörig rüftet und anſchickt: Denn fiehe! ich fomme 
fehnell ! ich fange nun bald ſchon an zu kommen, und bleibe 
am Kommen, bis ic) vollends da bin, fagt Ehriftus durch 
den Engel, oder diefer fpricht es im Namen Chrifti. 

Es ift eine fonderbare Erfcheinung, wie man heut zu Tag 


mit der Apofalypfe umgeht. — Da fleht fie hinten am 


Schluß in jever Bibel, und dad mit Recht, denn fie ift die 
Beftätigung, Bekräftigung und Verfieglung des gefammten 
Worts Gottes; Fein Artikel des chriftlichen Glaubens fehlt, 
jeder ift in den reinften und heiligften Ausdruͤcken, geradezu 
oder mittelbar ausgedrädt und empfohlen ; da fteht fie, und 
fein Menſch bekuͤmmert ſich um ſie, ſo als wenn ſie nicht 
da waͤre. — 

Ja, die Offenbarung Johannis — wer verſteht die? — 
und doch iſt erſtaunlich viel Schoͤnes darin, das jeder verſteht; 
das haͤtte man doch herausleſen und benutzen ſollen, ſo wuͤrde 
man allmaͤhlig weiter gekommen ſeyn. Viele Theologen und 
Geiſtliche thun, als wenn dieß Buch gar nicht in der Bibel 
ftünde — es Fümmert fie gar nicht — und es * doch ſo 
wichtig. 

Um dieſer Weiſſagung Credit zu verſchaffen, wiederholt 
der Apoſtel, was er ſchon im Aufang ein paarmal geſagt 
hatte: Ich Johannes habe das geſehen und gehoͤrt. 


Wenn uun ein anderer Johannes, als der Apoſtel und Lieb⸗ 


j 


Kap. 22.8.7. bis 8. 405 


lingsfünger des Herrn, der Verfaffer diefer Weiffagung wäre, 
hätte er dann fo gefprohden? — Gewiß nicht! — Daun 
hätte er irgend einen Beinamen dazu gefegt, um fi) vom 
Apoftel zu unterfcheiden, aber fo fagt ev; Sch bin Johannes, 
nun wußte jedermann, wer der war. Oder wollte man gar 
behaupten, der wahre Verfaffer hätte fich diefen Namen ges 
geben, um feinem Werk dadurch ein apoftolifches Anfehen zu 
verfchaffen,, ſo wäre dieß ein Betrug, deſſen keine goͤttliche 
Offenbarung bedarf, und in dem Fall waͤre die Apokalypſe 
ein taͤuſchendes Menſchengemaͤchte, und nichts weniger als 
Gottes Wort. Leſe und prüfe doch jeder Kenner der heili— 
gen Schrift, ob es irgend einem Dichter von Anfang der 
Melt an bis daher möglich gewefen, eine folche fehlerfreie 
Zufammenfettung der erhabenften Bilder, im prächtigften 
Styl, und zugleich in einer fo platten hebräifchegriechifchen 
Spradart, fo wie ein gemeiner Jude damals. griechifch 
ſprach, vorzutragen? — wenn man nun och die puͤnktliche 
Erfüllung diefer Weiffagung dazu nimmt, wer kann da an 
ihrer Goͤttlichkeit — aber daun auch — daran zweifeln, daß 
ihr Verfaffer der Apoftel Johannes iſt? — 

Die Worte des Engelds Siehe, ich komme fchnel! — 
brachten den Apoftel wieder auf den Gedanken, daß wohl der 
Herr felbft unter der Hülle des Engels mit ihm fprädhe: 
denn nad) feiner Meinung Fonnte doch der Engel nicht wohl 
fagen: Siehe! ich komme ſchnell! Daher fiel er abermals, 
wie Kap. 19. V. 10. nieder, um anzubeten,. wurde aber 
auc eben fo, wie dort gewarnt, und zur Anbetung Gottes 
verwiefen. Es fcheint, ald wenn der Apoftel in der großen _ 
Fuͤlle von erhabenen Ideen zuweilen vergeſſen habe, daß 
ein Engel diefes prächtige Schaufpiel ihm in der Entzüdung 
vormahle, und daß die Figuren nur vorftellende Bilder und 
Teine wirkliche Perfonen feyen, deren er Feind, auch dann 
nicht einmal, wenn es den Herrn ſelbſt vorſtellte, anbeten 
durfte: Denn es war ja nur ein Bild vom Herru, und 
nicht der Herr ſelbſt. Man leſe, was ich uͤber die Sache 
in der Erklaͤrung des erſten Kapitels geſagt habe. 


406 Erklaͤrung der Offenbarung Johannis 


10. Und er ſprach / zu mir: VBerfiegle nicht die Worte 
der Weiſſagung diefes Buchs ; denn die Zeit ift nahe, 
11, Wer Ungerechtigkeit ausübt, der mag ferner Unges 
vechtigkeit ausüben ; der Unfläthige mag ferner Un: 
fläthigfeit treiben, und der Gerechte übe fernerhin 
Gerechtigkeit, und der Heilige heilige fich ferner, 


12. Siehe ich komme fehnell! und mein Lohn mit mir, 
jeden zu vergelten, fo wie feine Werke feyn werden, 


Diefe Offenbarung follte alien Getreuen des Herrn, von 
ihrer Befanntmachung an bis and Ende, zum Wegweifer 
dienen; dazu mußte fie aber auch nun dienen koͤnnen — fie 
mußte zwar fo verbluͤmt und verdeckt gegeben werden, daß 
nicht jedermann fogleicy die ganze zufünftige Gefchichte des 
Reichs Jeſu hienieden mit aller Gewißheit und Deutlichkeit 
daraus erfennen konnte; denn fonft wäre ja der Plan Gottes 
verrathen und feine Ausführung vereitelt worden; aber für 
erleuchtete Augen mußte fie doch fo verftändlich feyn, daß 
fie die Erfüllung des Geſchehenen und die allgemeinen Winfe 
zur nahen Zufunft daraus erkennen fonnten; und genau fo 
ift auch die ganze Apofalypfe abgefaßt; fo wie fie nun da 
war, follte fie den chriftlichen Gemeinden in die Hände geger 
ben, und nicht etwa bis auf eine gewiffe Zeit verfiegelt, in 
irgend ein Kirchenarchiv zurüc gelegt, oder auch unter nod) 
räthfelhaftere Bilder verfteckt werden; denn die Zeit war da⸗ 
mals fchon nahe, wo man fie brauchen Fonnte, 

Der Aete Vers will fo viel ſagen: Der Herr Chriftus und 
feine Apoftel haben num den Rath Gottes über die Seligkeit 
der Menfchen hinlänglich offenbart; fie haben das Ihrige 
vollfommen gethan; — zwingen Fann und will ©ott nie: 
mand, denn das wäre der göttlichen und menfchlichen Natur 
zuwider; die Sreiheit des Willens erfordert, daß man jeden 
wählen laffe — die ganze heilige Schrift ift num mit diefem 
wichtigen Buch vollendet, gefchloffen und den Menfchen in 
die Hande gegeben worden, fie wiffen die Mittel, wie fie 
erlöst und felig werden fönnen, wer nun nicht hören will, 
der mag dann fühlen; findet einer bei aller beffern Erkenntniß 


Kap. 22. V. 10. bis 16. 407 


doch nody immer Verguuͤgen an der ; Ungerechtigkeit, fo thue 
er dann, was ihn gut daͤucht; glaubt einer fein Gluͤck in 
ftinfenden Lüften zu finden, fo thue er, was er nicht lajjeu 
Faun; oder macht es jemand Freude, der Gerechtigkeit nad)s 
zuringen, auch das fteht ihm frei, und fucht jemand Heilig- 
keit, fo bleibe er dabei — das Ende wird dann überall die 
Laſt tragen; der Herr kommt ſchnell und unverſehens, und 
bringt jedem mit, was er verdient, und fo wie Er einen 
‚trifft, fo bezahlt und belohnt Er ihn. 

Diefe Erklärung des Herrn iſt fuͤr jeden ſehr wichtig, und 
wohl zu beherzigen. 


15. Ih bin das U und das große O, der Erſte und 
der Letzte, der Aufang und das Ende, 

14. Selig find, die feine Befehle befolgen, damit fie 
Gewalt über das Lebensgehölze haben, und durd) die 
Thore in die Stadt gehen mögen. 

15. Draußen find die Hunde, und die Giftmiſcher, und 
die Hurer, und die Mörder, und die Götzendiener, 
und jeder, der die Lügen liebt und thut. 


Hier am Schluß erklärt fih nun Ehriftus wieder eben fo 
zum Anfänger und Vollender aller Dinge, und befonders auch 
dieſes Buchs, wie im Anfang Kap. 1. V. 11. Man bemerfe 
dort meine Aeußerungen über diefe Titel, damit ich hier 

nichts zu wiederholen habe, 

Wer die Gebote Gottes und Chrifti hält, befommt Macht 
über die Lebensbäume — das ift merfwärdig — diejenigen, 
welche die. Gebote Gottes und Chrifti gehalten haben, wers 
den Bürger des himmlifchen Jeruſalems, und zugleich auch) 
Eigenthuͤmer der Früchte des Paradiefes; fie effen nicht allein 
ſelbſt davon, fondern fie koͤnnen dann-auch andere, die es 
werth find, darauf zu Gaſte bitten. Befouders werden das 
‚Diejenigen koͤnnen, die hier fchon fleißig Lebensfrächte mitges 

AVeilt und ausgefpendet haben. 

Draußen, nicht nur außer Serufalem, fondern auch außers 
Halh der verklärten Erde, draußen im Zeuerfee-find die Hunde; 
dieſe * die Greulichen oder Abſcheulichen, Kap. 21. V. 8. 


408 Erklärung der Offenbarung Johannis, 


und 27. und bedeuten vermuthlich. die fchantlofen Unfläther, 
die in widernatärlichen ſtummen Laftern leben; die Webrigen 
find aus oben bemerften und erflärten Stellen ſchon befannt. 

Es ift bedenflih, daß die Ausfchließung derer, die mit 
allen angeführten Laftern befledt find, fo oft wiederholt wird: 
dieß ift ein Beweis, daß dem Herrn viel daran gelegen ift, 
daß wir es wiffen, damit wir und dafür warnen laſſen; es 
mag daher einer fo viel Gutes üben, und fo wohlthätig feyn 
als er will, wenn er zugleich ein Sünder aus einer diefer 
Klaffen ift, fo Hilft ihm alles nichts! Denn in das neue 
bimmlifche Serufalem geht nicht Unreines ein; der wohl« 
thätigfte Menfch ijt aber noh unrein, wenn noch eins jener 
Laſter in ihm lebt. Dieß firenge Gefeß muß aber deswegen 
niemand Fleinmüthig machen; daß wenn jemand fo. unglüd: 
lich gewefen wäre, daß er in der Jugend an irgend eines von 
jenen Laftern gewöhnt worden, fo läßt ſich hernach eine folche 
eingewurzelte Gewohnheit nicht fo leicht wegfämpfen; das 
zum, richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! — aber 
kaͤmpfen — fämpfen muß man bis aufs Blut — rin: 
gen — wachen — und beten — am Ende wird man den 
Feind befiegen, und dann wird mehr Freude im Himmel 
feyn über fol) einen büßenden Sünder, als über neun und 
neunzig Gerechte, die jenes Kampfs nicht nöthig haben. 

Sündhafter Bruder diefes Schlags! höre mich und folge 
mir! Slehe zu den Füßen deffen, der Maria von Magdala 
fo viel vergab, als fie feine Füße mit ihren Thränen negte — 
Er wird aud) dir vergeben. Nimm Zuflucht zu feinem Lei: 
den und Sterben, und thue dann auch an deiner Seite, was 
du kannſt, fo wirft du erretter werden. 


16. Ich Jeſus habe meinen Engel gefandt, Euch, den 
Gemeinden, Diefe Dinge zu bezeugen. ch bin der 
Wurzelzweig und die Öefchlechtsart Davids, der 
glänzende Morgenftern, 

17. Und der Geift und die Braut ſprechen: Komme! — 
und wer es hört, ſoll ſagen: Komme! — und wen 
nur Dürftet, der foll kommen; derjenige, welcher 
will, ſoll Lebeuswaſſer umfonft nehmen. 


Rap. 223. V. 16. bis 19. 409 
Der Herr fett hier das Zeugniß fort, daß er felbft der 


- Verfaffer diefer Offenbarung fey, und daß Er den Engel 


geſchickt habe, um fie durch Johannes den Gemeinden zu 
überliefern. Er unterfchreibt fie hier gleihfam, und beſie— 
gelt ihre Aechtheit mit feinem Namenszug, ald Wurzelzweig 
Davids, und fein unzweifelbarer Nachkomme nad) dem 
Sleifh, und ald der glänzende Morgenftern. Ueber alle 
diefe Titel und Zunamen des Herrn hab ich in Beige Werk 
ſchon das Noͤthige geſagt. 

Dieſe ganze Offenbarung iſt ein Zeugniß der — Jeſu 
Chriſti zu ſeinem herrlichen Reich; alles ſehnt ſich nach die— 
ſem frommen Ziel der ſchweren und vielen Kämpfe. Der 
Geift des Herrn, der in allen feinen Gemeinden walter, der 
allgemeine Geift des Chriftenthums, fehnte fi von jeher 
nad) diefer Zukunft; das einmürhige Flehen aller Ehriften, 
vorzüglich aber der Gemeinde der Verfiegelten, de3 Sonnens 
weibes, war immer: Komm! Komm! Du Längfterwarteter ! — 
Komm und erlöfe uns! — Diefem Sehnen und Flehen ftims 
me doch nun auch) jeder bei, der diefe herrliche Weiffagung 
liest, oder lefen hört — Alles, was Odem hat, rufe laut; 
Komm du vielgefrönter König; wir warten mit Schmerzen 
auf dich. Auch der, welcher nach Labung, nach Gewißheit 
lechzt — wems um Chriftum wahrhaftig zu thun ift, aber 
durch den Geift unferer Zeit beftändig irre gemacht, und mit 
Zweifeln beftürmt wird, der fomme zu diefem Zeugniß! hier 
kann er ohne Mühe umfonft feinen Durft nach Kenntniß von 
Jeſu Chrifto ftillen; die Lehre von der Verſoͤhnung und von 
der Gottheit Chrifti werden in diefer Summe der ganzen Bibel 
auffer allen Zweifel gefeßt; hier wird das alte Teflament 
wichtig! Deun man fieht, wieda neue darauf gebaut wird! 


wen alfo dürfter, der fomme an die Quelle. 


18. Sch bezeuge einem jeden, der die Worte der Weiffas 
gung dieſes Buchs hört, daß, wenn etwa jemand etwas 
Dazu fett, Gott ihm auch zu den Plagen, die in diefem 
Buch gefchrieben find, noch zufegen werde. 
19, Und wenn jemand etwas von den Worten diefes Buchs 
diefer Weiffagung wegließe, fo wird auch Gott feinen 


440 Erklärung der Offenbarung Johannis. 


Antheil am Gehölze des Lebens, und ander heiligen 
Stadt, welche in diefem Buch befchrieben worden, 
— ** 

20. Derjenige, der * bezeugt, ſagt: Ja, ich komme 
ſchnell! — Amen! Komm Herr Jeſus! 


21. Die Gnade des Herrn Jeſus ſey mit Allen! 


Noch immer fpricht hier. der Herr felbft bis zum 2often 
Ders; und diefes muß ung Reſpekt gegen diefes Buch ein— 
flößen; Feiner foll bei den angedrohten fehweren Strafen etz 
was zu diefer Weiffagung hinzufegen, und Feiner fol auch 
etwas davon auöftreichen oder weglaffen; mit einem Wort, fie 
foll gerade fo bleiben, wie fie Johannes erhalten hatte; denn da 
fie fo außerordentlich wichtig ift, fo fommt alles darauf an, 
daß fie unverfälfcht bleibt, und das ift denn auch bis daher 
geſchehen; alle Abfchriften in der ganzen Welt kommen bis 
auf wenig unbedeutende Verfchiedenheiten in den Lesarten - 
" im Wefentlihen ganz überein, wie dieß auch der Fall bei 
allen Fanonifchen Büchern der Bibel if. Ja es ift uns rein 
erhalten worden, dieß föftlihe Buch — aber — man hat 
ed. auch) nach und nad) fo befpdttelt, fo bezweifelt und. fo 
verdächtig gemacht — gerade ſo wie feinen Urheber, den 
Herrn ſelbſt. 

Ich möchte um aller Welt Güter willen — von den 
Kritikern ſeyn, die dieſes wichtige — oder auch irgend ein 
kanoniſches Buch der Bibel verdaͤchtig zu machen ſuchten; 
aber das gehoͤrt fo recht zum armen, blinden und bloßen lao⸗ 
diceifchen Geifte, daß er fich auch mit prächtigen Quellen 
zur Bibelkvitif brüfter, die Doch wahrlic) fo. oft dur) mans 
cherlei Urfachen, und vornemlich durch die philofophifche 
bedauernswürdige Denkart unferer Zeit getrübt find. So ver: 
dorben und partheiifch auch die chriftlichen Gemeinden in den 
erften zwei Jahrhunderten in den Morgenländern nad) und 
nach wurden, fo weiß. doch jeder, daß fie fehr gewiffenhaft 
zu Werk gingen, wenn von der Aechtheit einer apoftolifchen 
Schrift die Rede war; und wär das auch nicht der Fall, fo 
hätten gewiß vie fo fehr erbitterten Partheien der. Chriften 


Kay, 22. V. 20, 21; 411 


fich3 untereinander vorgeworfen, wenn etwa die eine ein Bud) 
für Bibelwürdig erklärt hätte, welches es nicht gewefen 
wäre, oder wenn fie etwas daran verfälfcht hätten, Do 
es lohnt wahrlich der Mühe nicht, ein Wort ferner darüber 
zu verlieren, ed würde auch nicht helfen; denn fo Jange einer 
den Bibelgeift noch nicht herrfchend in feiner Seele empfins 
der, fo lang legisimire ſich auch die Bibel nicht als Wort 
Gottes an feinem Herzen, und fo lang helfen auch alle his 
ftorifche Beweiſe nichts, So bald uns aber der nämliche 
Geift belebt, der die Apokalypſe diktirte, und die gauze heis 
fige Sch. ift ihren Verfaffern infpirirte, fo bedarfs Feines 
Beweiſes mehr; denn alles ligitimirr fih ald Wahrheit, und 
die erleuchtete Vernunft ift eben fo ficher überführt, als 
wenns mathematifche Grundfäge wären, 

Noch einmal bezeugt der Herr; Ja! ich Fomme fchnell! 
verlaßt euch nur feft darauf, daß ich nicht ausbleiben,, fons 
dern, wenus einmal Zeit ift, wie ein Dieb in der Nacht 
‚plöglich da feyn werde. Der fromme Seher Johannes fegt 
nun feinen heißen Wunfch Hinzu, und fagt;z Amen! das 
gefchehe!: Komm Herr Jeſu! und erfülle Deine Verheißungen 
an ung! 

Endlich fihließt er fein wichtiges Buch mit-dem gewöhnlichen 
apoftolifchen Wunfh; Die Gnade des Herrn Jeſus fey mit 
euch allen! — Und ich, der Verfaſſer dieſer Erklärung, 
wünfhe num auch allen meinen Lefern das nämliche von 
ganzem Herzen, 

Jeſus CHriftus ſey unfer Eins und Alles! und feine nahe 
Zukunft das Ziel alles unfers Wollens und Wirkens. Amen! 





412 Nacherinnerung. 


Nacherinnerung. 





Die Auflöfung der apokalyptiſchen Zeitläufte, welche 
in diefen Werk angenoinmen, vom feligen Prälaten 
Bengel erfunden, und von mir beftätigt und noch mehr 
berichtiget worden, gründet fich auf unfre einmal ange: 
nommene und vom Dionysius exiguus in Rom im fech8s 


ten Jahrhundert erft angefangene und berechnete Jahrzahl 


oder Zeitrechnung. Erft zwifchen 550 und 540 fing man 
an, die Zahl der Jahre nach Chrifti Geburt zur Zeitbes 
flimmung zu gebrauchen. In fpätern Zeiten, als mehr 
Licht in die Gefhichte Fam, unterfuchte man die Sache 
genauer, und nun fand man, daß ſich Dionysius um 
etliche Jahre verechnet hatte, einige fanden 32 Jahr, 
andere aber 8 Jahr; der gegenwärtige Pabft, Pius der 
fechste, Tieß diefe Rechnung nody einmal genauer prüfen, 
and da fand fich nun, daß wir nicht 35 und nicht 8, ſon⸗ 
dern 6 Jahr weiter fortgerüct find, als unfre Jahrzahl 
andeutet, wir müßten demnach alfo jest 1805 ſchreiben; 
indeffen ift das auch nicht fo ganz ficher, fo viel ift aber 
gewiß, daß wir in der eigentlichen Zeit noch nicht über 
1807, und nidyt unter 1808 ſtehen. Ich bemerke die: 
fes nur darum, daß man die im vorhergehenden Werk 
bemerkte Epochen nicht fp ganz genau nehmen, oder wenn 
etwa Eins oder anders um ein paar Sahre früher eintritt, 
Deswegen an der ganzen Auflöfung der Zeitläufte nicht 
zweifeln müffe; auch hierin liegt göttliche Weisheit, wir 
follen die Zeitpunfte nicht jo ganz genau wiffen, damit 
wir immer wachend erhalten werden mögen, genug, wenn 
wir nur ungefähr wiffen, wann diefes oder jenes eintref- 
fen wird. 





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Nach welcher Seligkeit die Propheten , welche von ‚der Eud) 


beftimmten Gnade weiflagten, aufs begierigfte geforfcht haben :- 


Sie forfchten: auf was für Zeiten der Geilt Ehrifti, der 


in ihnen war, deute, wenn Er durch fie die Leiden, die der 


Meſſias würde erdutden müffen, und feine datauf folgende Herr: 
Yichkeit vorher und machen ließ. Ihnen war geoffenbaret, daß 
fie nicht fich ferbft, fondern uns mit dem dienten, was eud) 
jegt von denjenigen, welche durch den vom Himmel gefandten 
Geift das Evangelium predigten, an deflen Erkenntniß fich die 
Engel ergötzen, befannt gemacht wird. A Petr. 4. v. 10.41.12. 
Nah Brentano’s Ueberfegung. 


— 


— —— — 





— —— 





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415 

















Das erfte Kapitel. 


Unterfuchung der Frage: ob man mit züberläßiger und 
beſtimmter Gewißheit fagen fünne, daß es des Chriften 
N flicht, oder daß es ihm wenigftens erlaubt fey, in den 
biblifchen Weiffagungen zu forfchen, ihre Zeitbeftims 
mungen zu unterfuchen, und von ihnen auf die Zukunft 

zu fchließen? 





Seit meiner Herausgabe der Siegegefchichte der chriftlichen 
Religion, find mir von verfchiedenen Seiten her, und auf 
verfchiedene Art, Einwendungen gegen dieß Unternehmen ges 
macht worden , deren die Erfte und Vornehmfte darinnen bes 
fteht, daß man nicht befugt ey, in den Weiffagungen zu forfchen, 
und aus ihnen auf die Zufunft zu fchließen, und befonders 
dürfe man nicht die Dunkeln Zeitbeftimmungen enträthfeln wol⸗ 
len, weil die heilige Urkunde, im Fall die Enträthfelung nicht 
eintrifft, dadurch entehrt, und bei dem gemeinen Mann zweis 
felhaft gemacht würde. Daß alfo die oben gleich Anfangs 
vorgelegte Frage durchaus vollkommen entfcheidend, und für 
jeden hriftlichen Lefer befriedigend beantwortet werden muͤſſe, 
ehe ich mich in weitere Unterfuchungen einlaffen fann, das 
verfteht fich von felbft: weil diefe Unterfuchungen, ohne jene 
Ueberzeugung, ſchlechterdings frucht: und zwecklos ſeyn würden. 

Bernünftige Männer unferer Zeit, welche der Bibel die 
Wahrheit, daß fie die Offenbarungen Gottes an die Menfchen 
enthalte, nicht abiprechen, find dem ungeachtet, in Anfehung 
ihrer Weiffagungen fehr bedenklich: entweder laſſen fie fie auf 
ihrem Werth oder Unwerth beruhen, entfcheiden gar nicht daruͤ⸗ 


416 Nachtrag zur Eiegsgefchichte. 


ber, oder fie Halten fie, wenigftens größtentheils, für Sagen 
der Vorzeit, die im dichterifchen Genieſchwung gefchehene, 
oder leicht zu vermuthende Gefchichten, in großen und.erhas 
benen Bildern vorgeftelle hätten; allein ich bitte nur, über 
diefen Außerft wichtigen Gegenftand ruhig, unpartheiifch und 
ohne Vorurtheil nachzudenken, und wohl zu beherzigen: Ob 


die Bibel auch nad) Gotted Wort, die einzige Quelle aller 


überfinnlichen Wahrheiten und Erfenntniß feyn Fünne, wenn 
- Feine Weiffagungen darinnen flatt finden? ‘— will man diefe 
Frage mit Sa beantworten, fo fallt das alte Teftament größ- 
tentheild weg, und im neuen Zeftament geht uns dann aud) 
die Offenbarung Johannis nichts an; folglich bleiben uns 
nur die Evangelien und apoftolifchen Briefe als eigentliches 


Mort Gottes übrig; nun gründen aber Chriſtus und feine 


Apoftel das ganze Erlöfungswerkf, die Zukunft Chrifti ins 
Sleifch, fein Leiden, Sterben, Auferfiehung, Himmelfahrt, 
und feinen Charakter als ewiger Weltregent, auf die Weiſſa— 
gungen des alten Teſtaments — find alfo diefe nicht wahre 
Weiffagungen, nicht wahre Ausfprüde des allwiffenden Got⸗ 
tes, fo ift- der ganze Grund des Chriftenthum falſch, und die 
Evangelien und apoftolifhen Briefe eben fo wenig erwiefes 
ned Wort Gottes als jene — ic) bitte diefen Folgefchluß genau 
und fcharf zu prüfen, fo wird man ihn gewiß richtig finden. 

Eben diefes bedenkliche Werwerfen und Zurücjegen der 
MWeiffagungen ift eine Haupturfache des allgemeinen Abfalls: 
denn wer diefen Sa annimmt, der findet nun aud) die Wahr: 
heit der Erlöfung durch Chriftum, nach dem Sinn des Evan: 
geliums ſchwankend; Chriftus wird ihm eine zweideutige Pers 
fon, weil Er fein Amt und Feine Sendung auf bloße Gedichte 
gründet, folglich bleibt von feiner Lehre nichts: weiter übrig, 
als was die Vernunft für wahr erkennt, nämlich die bloße 
©ittenlehre, welche uns aber ſchon die heidnifchen Weltweifen 
ziemlich vollftändig hinterlaffen haben, und die uns nun unfre 


eigene Philofophie eben fo gut fagt, fo daß uns in dieſem 


Hall Chriſtus immer entbehrlicher wird. 
Sobald wir aber folgenden, von allen wahren Ehriften von 
jeher als göttlihe, himmelfefte Wahrheit, anerfannien Sat 


* a A re u 





Nachtrag zur Siegsgefchichte, 417 


feftfeßen: Daß nämlich die heilige Schrift alten und neuen 
Teftaments, die Gefhichte aller Erlöfungsanftalten Gottes, 
zum Beften des gefallenen menfchlichen Geſchlechts durch es 
fum Ehriftum, bis zur Vollendung diefer Erlöfung ents 
halte, und die Mitrel dazu anweife — fo ift Alles Far, zweck⸗ 
mäßig und Gottgeziemend; dann aber muß auch die Bibel 
mit der Schöpfung und dem Fall des erften Menfchen anfans 
gen, und mit dem endlichen Sieg des Erldfers, und feiner 
Erldsten aufhören; und genau nad) diefem Plan ift auch) die 
heilige Schrift geordnet, und durch Sahrtaufende hin zufams 
mengetragen worden. Da nun aber diefe Erlöfungsgefchichte 
der Menfchheit nicht eher als gefchehen erzählt werden Fann, 
bis Alles vollendet ift, fo mußte fie ja im Anfang faft ganz 
aus Weiffagungen beftehen, und diefe mußten fo lang fortges 
ſetzt werden, bis die legte Erlöfungsanftalt zu Stand gebracht 
war, welches in der Gründung des Chriftenthums geſchahe; 
jeßt war nun noch eine Weiffagung erforderlich, welche den 
Ehriften bis zum glänzenden Ziel Winke geben, ihnen in dem 
dunkelen fchweren Zeiten des legten Kampfs zwifchen Licht 
und Finfterniß zum Leitftern dienen, und ihre Hoffnung aufs 
recht halten follte, und diefe ift nun die Apocalnpfe. Daß 
die Bibel wirklich die Gefchichte aller Erlöfungsanftalten zum 
Beſten des gefallenen menfchlichen Gefchlechts, mit allen dahin 
gehörigen Weiffagungen enthalte, und daß dieß Alles wahre 
göttliche Offenbarung fey, das behauptet fie felbit durchaus, 
und beinahe auf allen Blättern. Daß aber dDiefe Behauptung 
auch unbeftreitbare Wahrheit fey, das läßt fich durch folche 
Erfahrungsfäge beweifen, wogegen Fein gefunder Menfchen: 
verſtand aud) das geringſte einwenden kann: denn alle Weiffa- 
gungen welche von Abraham an bis auf Ehriftum und 
feine Apoftel das Volk Iſrael betreffen, find und werden 
Bor unfern Augen fo pünktlich erfüllt, daß jeder Zweifel gegen 
die biblifchen Weifjagungen dadurch beinahe unbegreiflich wird, 
und was noch nicht erfüllt iſt, kann ja feinen Anlaß zum Zwei⸗ 
feln geben, Leberhaupt find die Zuden in ihrer gegenwärtiz 
gen Lage ſolche unverwerfliche Zeugen der Wahrheit und Gött: 


lichkeit der heiligen Schrift und ihrer Veigeraa daß ſich 
Stilling's fammti. Schriften. ML. Band. 


418 Nachtrag zur Siegsgefchichte. 


jeder unbefangene Wahrheitsfreund vollfommen beruhigen fanın. 

Ob e8 aber feit dem Schluß der biblifchen Bücher noch 
wahre Meiffagungen gebe? — das ift eine Frage, die an 
einem andern Ort umterfucht werden muß; ich begehre e8 
nicht zu läugnen, nur müfen fie dem Glauben ähnlich feyn. 
Röm. 12. v. 7. 9— 

Wenn es alſo nun unwiderſprechlich und gewiß iſt, daß 
ein großer Theil des goͤttlichen Worts aus wahren Weiſſa— 
gungen befteht, die den Propheten vom heiligen Geift einges 
geben worden, fo ift auch ebenfo unmwiderfprechlid und ges 
wiß, daß diefe Weiffagungen von den Menfchen gelefen wers 
den follen; — und wozu kann dieß Lefen anders dienen, als 
den verborgenen Sinn zu forfchen, den der Geift der Weifjas 
gung in erhabene Bilderfpracdhe eingehüllt hat, und einhüllen 
mußte, weil eine umftändliche, ganz deutliche Erzählung der 
zufünftigen Schidfale , in gewiffen Zeitpunkten der Ausfühs 
rung des göttlichen Regierungspland entgegen feyn würde? — 
Wollte man etwa behaupten, der eigentliche Zweck der Weifs 
fagungen gehe dahin, daß erft nach ihrer Erfüllung der Glaube 
dadurch geftärft werden follte, fo gebe ich zwar gerne zu, daß 
fie auch dazu dienen koͤnnen und follen; allein ich bitte dies 
jenigen Freunde, welche die Beantwortung diefer Frage vers 
anlaßt haben, wohl zu beherzigen : 

1) Ob die Zeitgenoffen Noah's nicht auf feine Weiſſagung, 
daß die Erde uͤber 120 Jahr im Waſſer untergehen wuͤrde, 
und auf feinen damit verbundenen Archenbau Ruͤckſicht neh: 
men follten, bis fie die Erfüllung, naͤmlich die Suͤndfluth felbft, 
kommen fehen? — Im Gegentheil, daß fie wirklich darauf 
hätten Rücficht nehmen follen, bezeugt Chriftus felbft, Matth. 
24. v. 37— 39. und Petrus 1 Petr. 3. v. 19. 20. | 

2) Db das ungehorfame Vol Iſrael und Juda auf die 
Weiffagungen feiner Propheten, von Mofe bis auf Chris 
ſtum nicht eher achten follte, bis es in die babylonifce 
Gefangenfchaft geführet und durch die Römer in alle vier 
Winde zerfireuer wurde? — Daß es wirklich nicht darauf. 
achtete, dad wurde eben fo fehr gerügt als beflagt. 

3) Ob die Juden nicht auf die Weiffagungen, welche die 


Nachtrag zur Siegsgefchichte. 419 


Zukunft des Meffias verfündigten, merken, und die vermuth: 
liche Zeit feiner Erfheinung, welde Daniel durdy die fies 
benzig Wochen, und der Erzvater Jakob durd das Ents 
weichen des Scepters von Juda angedeutet hatte, forſchen 
ſollten? Diejenigen, die es thaten, wurden wenigftens als 
fromme Leute gelobt, Luc. 2. v. 25. u. f. und an andern 
Drten mehr. 

Mit einem Wort, Chriftus befiehlt ausdruͤcklich, daß die 
Lefer des Propheten Daniels genau auf feine Weiffagung vom 
Gräuel der Verwüftung an heiliger Stätte, merken follten, 
damit fie auf ihre Rettung bedacht feyn koͤnnten, fobald fie 
dieß Zeichen fehen. Diefe Stelle ift allein Beweifes genug, 
daß man die Weiffagungen nicht bloß nach ihrer Erfüllung, 
als Glaubensftärfung brauchen, fondern daß man fie vorzügs 
lih vor derfelben forfchen folle, um in der Zukunft gotts 
gefällige Maafregeln darnach nehmen zu koͤnuen. 

Und nun frage ich endlich noch obengedachte Freunde, und 
befonderd auch ſolche, die in öffentlichen Schriften gegen 
mich gezeugt haben: 

4) Ob wir denn nun die Offenbarung Sohbannis, 
die Apocalypfe auch fo lang ungeforfcht laffen follen, 
bis die darinnen angebrohten Gerichte unaufhaltbar auf uns 
losftürmen? — Dieß wird man doch wohl nicht bejahen 
wollen. — Aus diefem Allem folgt nun unwiderfprechlich ; 

Daß man mit zuverläßiger und beftimmter 
Gewißheit fagen fünne, es fey nicht allein ers 
laubt, fondern Pflicht des Chriften, die bibli- 
[ben Weiffagunger, und namentlih aud die 
Dffenbarung Gohannis zu lefen, und ihren 
- Sinn zu erforfhen. Wem dennoch diefe Behauptung 
zu unbedingt und zu kuͤhn vorfommt, der wird im Verfolg 
auch die Regeln finden, nach welchen, und die Bedingungen, 
unter welchen dies Forſchen gefchehen muß. 

Gegen diefe meine, gewiß unumftößliche Beantwortung des 
erften Theils der gleich Anfangs vorgelegten Frage, macht 
man zwei befonderd wichtige Einwendungen, deren Vorftels 
lungen auch den rechtfchaffenften Gottesgelehrten und Ehriften 

27° 


420 Nachtrag zur Siegsgefhichte, 


vom Nachforfchen in der Ayocalypfe abſchrecken kͤnnen, and 
ähgefchredft habenz man fagts 

1) Die Offenbarung Johannis fey dunkel und ſchwer zu 
verfichen, daher fey es denn auch gefommen, daß nod) bis 
dahin, Alle die fic) daran gewagt, und fie erflärt Hätten, zu » 
Schauden geworden fenen, und dadurch dann dem Kredit der 
heiligen Urfunde und dem Glauben an fie mehr gefchadet als 
genüßt hätten; es fey daher beffer, man laſſe fie als ein Heis 
ligehum unberuͤhrt ſtehen, bis die Zeit das Geheimniß ent: 
huͤllen würde. 

Hierauf dient zur Antwort: Ja es if wahr! die Apocas 
Inpfe ift dunfel, und fchwer zu verftehen — allein fie konnte 
nicht deutlicher gegeben werden, wenn fie nicht in unfern, 
und fpaterhin fo hHocheultivirten und aufgeklärten Zeiten, 
dem großen Hauptfeind und feinen Anhängern Geheimniffe 
offenbaren follte, die Er ficher hätte mißbrauchen koͤnnen. 
Doc) eine Veranftaltung, die die Weisheit des Allherrfchers 
zugelaffen hat, daß man nämlich die Bibel, und vorzüglich 
ihre MWeiffagungen, voraus aber die Apocalypfe für lächerliche 
alte Fabeln erklärt, verurfacht nun, daß die Feinde des Chri⸗ 
ftenthbums gar nicht darauf achten, ſich dadurch in ihren 
Planen nicht ftören laffen, und alfo ungehindert, und von 
felbft ins Verderben laufen; da denn im Gegentheil die wahs 
ren Chriften defto genauer darauf merken, fich warnen laffen, 
und aus dem Verderben gerettet werden. 

Bei aller Dunkelheit aber, ftrahlte denn doch in allen Zeitz 
läuften fo viel Licht aus der Apocalypfe hervor, als wahre 
und aufmerffame Chriften und fromme Schriftforfcher je⸗ 
desmal brauchten. Dies Licht hätte aber nicht geftrahlt, 
wenn der heilige Geift nicht immer Männer aufgeregt, und 
zum Forfchen in der Apocalypfe, je nach dem Maaß ihrer 
Zeitbedürfniffe erleuchtet hätte. 

Mas aber nun den Einwurf betrifft: daß nämlich Alle, die 
ſich bis daher an die Apofalypfe gewagt hätten, zu Scans 
den geworden wären; fo möchte ich ihn lieber fo ausdrücken : 
Ale, die ſich bisher an die Erflärung der Offenbarung os 
hannis gewagt haben, haben hin und wieder mehr oder wenis 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 421 


ger gröblich geirrt, aber auch mitunter hie und da Geheims 
niffe enthält, deren Wahrheit und Wichtigkeit dann von 
allen wahren Ehriften als ein Heiligthum aufgenommen, 
und in einem feinen guten Herzen aufbewahrt worden fi ind. 
Die doppelte Schlußfolge : 

1) Daß dadurch dem Kredit der heiligen Urkunde, und 
dem Glauben an fie, mehr gefchadet ald genuͤtzt worden, 
und daß es 2) eben deswegen beffer fey, wenn man fie als 
ein Heiligthum unberührt ftehen ließe, bis die Zeit ihre Ges 
heimniſſe enthüllen würde, gebe ich durchaus nicht zus Der 
Kredit der heiligen Urkunde, und der Glaube an fie Faun 
durch folche unvolllommene und irrende DVerfuche eben fo 
wenig vermindert werden, als der JInhalt einer Schrift das 
durch zweifelhaft wird, weil ihre Buchftaben, oder ihre 
Sprache unbekannt find, und alle Verſuche, fie zu überfeßen, 
gewiffe beträchtliche Mängel haben. Der Kredit der Offens 
barung Johannis ift vielmehr feit 60 bis SO Jahren unges 
mein gewachfens weder die zum Theil mißlungene Deutuns 
gen Heinrich Hoachs, des flüchtigen Paters, Johann Chri⸗ 
ſtian Seitzens u. a. m, noch die Angriffe Semlerd und 
feiner Nachfolger, in Anfehung ihrer Bibelwuͤrdigkeit, haben 
ihr gefchadet ; fie fteht noch innmer da in ihrem Glanz und in ihrer 
heiligen Würde, und mancher wahre Chrift blickt jegt oft 
nad) ihrem goldenen Zeiger empor. Daß mancher über dem 
Grübeln inder Apocalypfe zum Narren geworden, dafür;fann die 
heilige Urkunde eben fo wenig, ald ein vortreffliher Wein, 
wenn fein Mißbrauch audy manchen zum Narren macht; und 
was nun den andern Theil der Schlußfolge betrifft, daß 
man den Sinn der Apocalypfe gar nicht forfchen folle, da⸗ 
‚mit man’ihrem Kredit und den Glauben an fie nicht fchas 
den möge, fo möchte ich wiffen, wozu ihr Kredit und der 
Glaube an fie dienen follte, wenn man nicht darin lefen 
und ihren Sinn erforfchen follte? — den Einwurf hingegen, 
man folle warten, bis fie die Zeit enthüllte, hab ich_oben 


ſcchonu beantwortet, und er wird im Verfolg noch mehr ent« 


| wickelt werden. 
' Die Zweite wichtige Einwendung, die man gegen das Bags 


422 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


ſtuͤck, die; Apocalypfe zu erklären, macht, befteht in folgens 
den Begriffen: Da alle bisherige Anwendungen der apocas 
Inptifchen Bilder auf die Geſchichte von der Apoſtel Zeiten 
an bis daher, von einander verſchieden ſind, keiner mit dem 
andern uͤbereinſtimmt, und die Vorherſagungen deſſen, was 
gefchehen follte, ganz und gar nicht eingetroffen find, fo 
folgt daraus, Daß die ganze Erfüllung der erhas 
benen apocalyprifhen Weiffagungen noch Zus 
tünfrigift, und daß man alfo mit ihrer Erfläs 
‚zung fo. lange warten müffe, bis man fieht, daß 
‚die Erfüllung beginnt. 

So ſcheinbar aud) diefe Einwendung ift, und fo wichtig 

fie dem gefunden Menfchenverftand vorfommt, fo unrichtig 
und nachtheilig ift fie dem chriftlichen, gottergebenen Bibel- 
forſcher, und diefes will ich nun gründlich beweiſen; ich will 
unwiderfprechli darthun, daß eben alle jene mißlungene 
Verfuche gerade dad Mittel find, dem richtigen Verſtand 
der Weiffagung immer näher zu kommen: denn fie Zeis 
gen die Klippen an, welde die nachfolgenden 
Bibelforfcher zu vermeiden haben — je näher bie 
Zeit zum Ziel rüdt, defto heller wird dann aud) das Licht 
der Weiffagung. Diefe Behauptung wird durd folgende Bes 
merfungen zur unbeftreitbaren Gewißheit. 
Alle Weiffagungen, die auf das Große und Ganze der 
Erlöfung des menſchlichen Geſchlechts, und auf den endlis 
hen vollftändigen Sieg ded Königs des Lichts über den 
Fuͤrſten der Finfterniß abzielen, werden mehrmald, auf 
mannigfaltige Weife, erft fehr unvollfiändig, 
immer vollffändiger und endlich ganz vollfoms 
men, und zwar fo erfüllt, daß fein Menfch mehr 
daran zweifeln Fann. Beifpiele follen die Wahrheit 
dieſes Satzes ins Licht ftellen. 

Die erfte Weiffagung in der. Bibel ſteht 1. Moſ. 3. v. 
14. 15. Jehovah Elohim ſprach zur Schlange: weil 
du ſolches gethan, das Weib verführt haft, fo folft du vers 


flucht feyn vor allem Vieh und vor allen Thieren ‚auf dem 


Felde. Auf deinem Bauch follft du gehen, und Erde efjen 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 423 


dein Lebenlang. Und ich will Feindſchaft feßen 
zwifchen dir und dem Weibe, und zwiſchen dei: 
nem Samen, und ihrem Samen, derfelbe foll 
dir den Kopf zerfnirfchen, und du wirft ihm die 
Ferſe zerknirſchen. | ' 
Diefer Ausſpruch Gottes ift unausfprechlich groß , wichtig, 
und weit umfaffend; die ganze heilige Schrift ift ein Comes 
mentar darüber, feine Erfüllung fängt im Paradies an, und 
hört erft am Ende des taufendjährigen Neichs, nämlich dann 
auf, wenn die alte Schlange in den Feuerfee geichleudert 
wird. Jeder Menfch fieht die Erfüllung diefes Ausſpruchs, 
und empfindet fie tief, fo oft ihm die furchtbare Schlange 
begegnet. Sa wohl ift Feindfchaft zwifchen der gefammten 
Menfchheit und der Schlange, von der fchredlichen Riefens 
fhlange an, bis auf Nipern, Unken und Blindfchleichen 
herab! — Inſofern fahe alfo jeder Menfh von Anbeginn 
die Erfüllung diefer Weiffagung ein, aber das wechfelfeitige 
Kopf- und Ferfenfuirfhen wurde denn Doch bei weiten 
nicht dadurch erfchöpft, daß die Schlangen zuweilen die Mens 
ſchen in die Beine ftechen,, oder tödtlic) verwunden, und 
hingegen zuweilen auch ein Menfch einer Schlange den Kopf | 
zertritt; denn Jehovah fagt: der MWeibesfame foll dir 
felbft, dir dem Verführer — den Kopf zerfchmettern, 
den Garaus machen, du aber wirft Ihm blos die Ferfe zers 
knirſchen. Ed muß daher noch eine wichtigere und erhabes 
nere Erfüllung gefucht werden, die man auch bald findet, wenn 
man tiefer auf den Grund forfcht: denn die Schlange blos - 
als Thier betrachtet, war ja Feines, Fluchs fähig; Daher 
kaun er nur blos auf den feindfeligen Geift gehen, deſſen 
Symbol, oder Hieroglyphe die Schlange von 1. B. Moſ. 5. 
v. 1. bis Dffenb. Joh. 20. v. 2. ift, eben fo wie das Lamm, 
von Abels Opferlamm, und dem erfien Ofterlamm an, bis 
in Neujerufalem hinein, Symbol und Hieroglyphe des 
Erlöfers if. Wenn man alfo unter dem Bild der Schlange 
den Satan fucht, fo wird die Erfüllung wichtiger: denn 
alsdann verfteht man zunächft unter dem Schlangenfamen 
die gottlofen Menfchen, unter dem Weibesfamen aber die 


424 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Frommen. Daß jene nun immer diefen die Ferfen zerknir⸗ 
fchen und ihren Wandel auf dem Lebenswege erfchweren, ift 
eine alte Erfahrung, und daß auch am Ende noch die gute 
Sache der Frommen triumphiven ‘werde, das laßt fi) mit 
Grund hoffen, Zu fo weit ift alfo diefe Weiffagung fchon 
‚deutlicher und ihre Erfüllung erhabener; allein jet iſt doch 
der Begriff vom Weibsfamen noch dunkel — denn die Gott: 
lofen find ja dem ’Sleifch nach eben fowohl Weibesfamen, 
Evens Kinder als die Frommen, folglich muß in diefem 
Ausdruck — MWeibesfamen — noch ein tiefere Geheimniß 
‚verborgen liegen, welches erft bei der Geburt Chrifti vollig 
enthüllt wurde: indem Chriftus nicht aus Mannes: fondern 
blos aus Weibesfamen durd Einwirkung des heiligen Geiftes 
gezeugt worden ift. "Aber noch eine glorwürdige Erfüllung 
diefer paradiefifchen Weiffagung finden wir, Offenb. Joh. 12. 
der männliche Sohn, den das Sonnenweib gebiert, ift wies 
derum ein wahrer Weibesfame, und ein wahrer Schlangen 
treter, wenn er die Heiden, den eigentlichen Schlangens 
famen, mit dem eifernen Scepter zu Paaren treiben wird. 
Das endliche Kopfzerfnirfchen der alten Schlange fteht Offenb. 
Joh. 20.9, 10. dann erft ift diefe Weiffagung erfüllt. Diefes 
Beifpiel zeigt deutlich, nach welcher Methode diefe Weiffas 
gungen, die ind Große und Ganze gehen, erfüllt werden. 

Ferner gehört auch die merkwürdige Verheißung hieher, 
welche dem Abraham, dem Iſaac und dem Jacob zu 
verſchiedenen malen gegeben worden, namlichr in dir, oder 
in deinem Saamen follen alle Gefchlechte der Erden gefegnet 
werden, Dieſe Verheißung ift fehr merkwürdig. Wir koͤn⸗ 
nen nicht wiffen, was fi) die Erzoäter und ihre Nachkom⸗ 
men dabei gedacht haben, wenigftens war ihnen die Idee 
von einem Meffias oder Fünftigen Erlöfer noch fo dunkel, daß 
fie ihnen fchwerlich bei diefer Verheißung eingefallen ift — 
doc will ich auch nicht in Abrede ſeyn, daß ihnen fo etwas 
geahnet haben Fann. Am wahrfcheinlichften ift, daß fie ſich 
die Sache fo vorſtellten: das mächtige Volk, welches von 
Abraham herfommen follte, würde durch feine beſſere Res 


figion, durch feine Künfte und Wiflenfchaften, mit einem 


. 
— 
Ir 


Nachtrag zur Siegsgefchichte 425 


Wort, durch feine Eultur, durch feine blühende Gewerbe, 
Landwirthſchaft, Fabriken und Handlung, und überhaupt durch 
feinen Wohlftand, allen Völfern der —* zu einem ſegens⸗ 
vollen Muſter dienen. 

Daß dieſe Weiſſagung auch auf dieſe Art zum Theil ers 
fuͤllet worden, kaun uur der Bibelfeind leugnen, der gerne 
das alte iſraelitiſche Volk zum duͤmmſten, abergläubigs 
ſten und feindfeligften unter allen Nationen machen möchte, 
blo8 um das alte Teftament herabzumwürdigen, und dadurch 
unvermerft auch das Neue zu untergraben; und die armen 
Nachbeter affectirem Dann auch diefe große Weisheit, um für 
große, aufgeflärte Männer angefehen zu werden. Die Jjraes 
liten haben unftveitig die Altften Schriftfteller, die Altfte 
Schriftſprache, die aͤltſte gebildete Religion, und ihr Staat 
hatte ſchon die ganze Sphäre der Künfte und des Lurus durchs 
laufen, ald die Griechen erſt anfingen die Kinderfchuhe 
der Menfchheit auszuziehen., Im Gegeutheil laßt fich dem 
vorurtheildfreien Menfchenfreund leicht bis zum höchften Grad 
der Wahrfcheinlichfeir beweifen, daß alle Weisheit, alle Goͤt⸗ 
rerlehren, alle Sitten und Tugendregeln der morgenländifchen 
Völker mehr oder weniger refleftirte und verunftaltete Lichts 
ftraplen der Dffenbarungen Gottes an dad Voll Iſrael 
find. Sufofern wäre alfo die Weiffagung, in dir, oder in 
deinem Samen follen alle Völker auf Erden gefegnet werden — 
einigermaßen erfüllt worden. “ 

Weit nachdruͤcklicher und beftimmter wurde aber diefe Ers 
füllung bei der Gründung der chriftlichen Religion: da wurde 
Abrahams Saame recht zum Segen für viele Völker, und 
zwar auf vielerlei, auch auf irdifche Weiſe: denn wer kann 
leugnen, daß wir alle unfere Künfte, Wiffenfchaften, Kultur, 
Wohlſtand und gemäßigte Regierungsverfaffungen urfprüngs 
lich der chriftlichen Religion zu verdanfen haben? — Keine 
Religion in der Welt, außer der chriftlichen, ift fähig, einen 
Reibnig, Wolf und Kant zu erzeugen; und weder Fichte noch 
Schelling hätten ohne die erhabenfte chriftliche Myſtik ihre 
Syſteme nie denfen koͤnnen. 

Bei dem Allem ift doch der abrahamitifche Segen noch 


426 . Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


lange niht — nicht einmal an uns Chriften — gefchweige 
denn an alle Nationen der Erden — erfüllt worden; dieſe 
herrliche Zeit fteht der Menfchheit noch bevor; faft alle Pro= 
pbeten verfprechen ihren Volk eine glücfelige Wiederkehr, 
eine Sammlung aus allen vier Winden, zu ihrer uralten 
Heimath , ins Land Canaan, und mit diefem merkwürdigen 
Zug fol dann auch eine allgemeine Begluͤckung aller übrigen 
Nationen verpaart gehen. Dann erfi wird man im gaus 
zen Umfang des Wortverftandes fagen fünnen: Nun ift 
Doch wirklich die ganze Meufchheit inAbraham 
und feinem Samen überfhwenglih gefegnet 
worden. | 

Eine der merkwärdigften hieher gehörigen Weiffagungen ift 
diejenige, ‚welche 1. Mof. 49. v. 10. ſteht, und nad) dem 
Grundtert folgendergeftalt überfezt werden muß: Der Res 
gimentöftab (dad Stammrecht) und der Lehrunterricht des Ges 
fees, werden von Ju da nicht weichen, bis der Sdilo 
(der Friedensfürft) wird gefommen feyn, und 
zu Ihm werden fi) die Völker verfammeln. 

Alle Einwendungen, welche in neuern Zeiten gegen dieſe 
Stelle gemadt worden, find von gar feinem Gewicht; Die 
alten Juden deuteten fie einhellig auf ihren Meffiad, den fie 
unter dem Schilo verftanden, und alle chriftlichen Gelehrten, 
einige wenige der Neueren ausgenommen, find der nämlichen 
Meinung. Man lefe auh, was ich über diefe Stelle im 
gten Heft des grauen Manns gefagt habe, Setzt bemerfe 
man bie fiufenweife, Erfüllung diefer Weiffagung. 

Die erfte Idee, welde den Söhnen Jacobs und ihren 
naͤchſten Nachkommen über diefen Ausfpruch des Patriarchen 
ins Gemuͤth Fommen mußte, war natürlicherweife die, daß 
der Stamm Zuda. vor allen andern Stämmen den Vorzug 
haben, in Kriegs: und Friedenszeiten dad Regiment führen, 
und Kirchen» und Schulpolizei verwalten würden, und das 
fo lang, bis der Fame, unter deffen Regierung man eines 
ſolchen Scepters und Unterrichts nicht mehr bedürfte. Diefe 
Deutung war ihnen fo Elar, und zugleich fo verbindlid, daß 
fie den Stamm Juda, oder feinen Stammfürften, ohne Aus 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 427 


ſtand als ihren Anfuͤhrer und Geſetzverweſer anſahen. Als 
nun Moſe auftrat, und das Volk Iſrael aus ſeinen harten 
Bedruͤckungen, aus der egyptiſchen Dienſtbarkeit befreite, ſo 
war er ihnen ſchon ein Schilo, der dem Juda dad Scepter 
enträcte: denn er war aus dem Stamm Levi, dem er aud) 
den Volköunterricht, und das ganze Prieftertyum,- auf Jeho⸗ 
vah's befondern Befehl, übertragen mußte. Daß ſich die 
Sfraeliten zu Mofes Zeiten diefen Ausſpruch in dem Teſta⸗ 
ment ihres Stammvaterd fo erklärt haben, ift wahrfcheinlich. 
Hernach als fie im gelobten Land waren, fo ruhte gleichfam 
die Weiffagung, es wurde fein Gebraud davon gemacht, bis 
ed mit den Königreichen Juda und Sfrael auf die Neige ging, 
die vielen großen und merkwuͤrdigen Propheten aufftanden, 


‚welche dem grundverdorbenen großen Haufen die nahen ſchreck⸗ 


lichen Strafen, und dem befjeren Theil die tröftlichen Vers 
heißungen eined Meſſias, und feines herrlichen Reichs vers 
kuͤndigten, und man aljo eines Schilo fehr bendthigt war. 
Jetzt erinnerte man fih ohne Zweifel wieder an das Teſtament 
des Patriarchen Jakobs, und tröftete fi) damit, daß Juda 
doch unter allen Stämmen Juda bleiben, und fein Stamms 
vecht und Gefeßgebung behalten würde, bis der Friedensfürft 
kaͤme, und die Völker unter feine Fahnen fammelte. 

Von nun an wurde die Zdee von einem Fünftigen Erlöfer, 
und folglich auch feine Erwartung allgemein; — bis daher 
hatten allenfalld die gelehrteften und erleuchteten Sfraeliten 
dunkle Begriffe vom diefer glorwärdigen Perfon gehabt, viels 
leicht fich aud) etwas Erhabeners dabei gedacht, als einen 
irdifchen bloßen Fürften; wenigftens ‚hatten David und Gas 
lomo in ihren Schriften folche große und bedeutende Weis 
fagungen, vom damals noch zukünftigen Meffias und feinem 
Keich hinterlaffen, daß man hätte denken follen, fie hätten 
Alles, was Chriftum betrifft, ganz genau gewußt; aber man 


muß wohl bemerfen, daß die Propheten oft ihre 


eigene Weiffagungen entweder nicht ganz vers 
fanden, und auch wohl nicht einmal wußten, 
daß fie weiffagten, oder auch das, waß fie 
wußten und in Bilder verhüllt, vorgetragen 


* 


428 | Nachtrag zur Siegsgeſchichte 


hatten, nicht enthällen durften; fo erzählt z. B. 
Srenäus, der als Kind den Apoſtel Johannes noch gekannt 
haben kann, ed habe jemand dieſen Apoſtel gefragt, was 
doch) die Zahl 666 zu bedeuten habe? Johannes habe aber 
feinen Auffchluß darüber gegeben, zum Beweis, daß dies das 
mals noch viel zu früh war. 

Die Weiffagung vom Schilo knuͤpfte fich Fury vor, ae 
während der babylonifchen Gefangenſchaft an die Weiffaguns 
gungen der Propheten anz und ald nun auch noch Daniel mit 
feiner 70 Wochen langen Zeitbeftimmung hinzukam, fo war 
nun Materie genug zum Forfchen da; die glaubigen Juden 
zechneten an diefen 70 Wochen, und ER fo viel heraus, 
daß um die Zeit, als Chriftus im Fleiſch erfhien, Er au 
allgemein erwartet wurde, und fo war aud) die Weiffagung 
zweckmaͤßig benußgt worden; aber freilih nur. von der gerins 
geren Zahl derer, die im wahren Sinn auf den Troft Iſraels 
warteten, und daher den Meffias in feiner armen Geftalt 
nicht verfannten. Die vornehmen Sfraeliten, Priefter, Phas 
zifaer, Sadduzäer und Gelehrten werden aber vermuthlic) 
gefagt haben: hr armen Schwärmer! es ift noch nicht an 
vem, Zuda bat nod) einen König, und ein gefeßgebended - 
Sanhedrin — auch kann man ja fo genau nicht wiffen, wie 
die fiebenzig Wochen Daniels verftanden werden muͤſſen, 
und wo fie eigentlich anfangen, und über das Alles Fann ja 
der arme Jeſus unmöglich der Meffias feynz denn 
diefer fommt aus Bethlehem ber, jener aber von Nas 
zareth — der Meffias wird ein glorwärdiger König, 
'ein großer Held feyn, wie paßt dad nun auf euern Jefum 
aus Salilda? uf. w. Bei allen diefen Einwürfen blies 
"ben aber die Gutgefinnten an ihrem gortgefälligen, von "der 
‚Führung feines guten Geiftes abhängigen Bibelforfhen, und 
wurden dadurch unausſprechlich glüdlich, und zu Grundfteis 
nen des neuen geiftlichen Tempels. 

Nachdem nun der Schilo Ehriftus gefommen war, und 
feinen Lauf auf Erden vollendet hatte, fo wid) der Regie: 
rungsſtab und die Gefeßgebung von Juda, diefer Stamm 
wurde in alle vier Winde zerftreut, und die Völker die Heiden 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 429 


fingen an, fich zu Ehrifto zu verfammeln. Allein dem uns 
geachtet ift doch diefe Weiffagung noch nicht erfüllt; Juda 
hat noch immer fein Stammverhältniß, noch immer feine 
Gefeßgebung und Gefegunterrichtz der Schilo ift noch nicht 
als irdifcher allgemeiner Friedensfürft gefommen, und im 
Verhältniß gegen die ganze Menfchheit, haben fich noch wer 
nig Völker Zr Ihm verfammelt; wenn aber nun bald die 
Weiſſagung Jeſaiaͤ 60 in Erfüllung geht, dann erft wird auch 
die vom Schild vollfommen erfüller werben. 

Zunm Beſchluß muß ich doch noch einer Weiffagung gedens 
fen, worüber fo wiel Redens und Schreibens und Zankens 
gewefen, daß fie endlich darüber gar in den Verdacht einer 
Nichtweiffagung gekommen ift. Dies ift die Stelle Jeſaiaͤ 
7,0. 14., mit diefer verhält ſichs folgendergeftalt: der König 
Rezin von Syrien, und Pekah, der König von Iſrael, belas 
gerten Serufalem; der König Ahas von Juda ängftigte ſich 
fehr darüber, er hatte auch wohl Urfach dazu, denn fein 
Wandel war nicht rechtfchaffen vor Gott, indeffen war die 
Zeit noch nicht gefommen und die beiden verbündeten Könige 
waren auch die Werkzeuge nicht, die Jehovah zum Gericht. 
über Juda gebrauchen wollte. Um alfo deu gottlofen Koͤnig Ahas 
wo möglich noch zur Buße und Rückkehr zum Gott feiner Väter 
zu. bewegen, mußte der Prophet zu ihm gehen, und ihm fas 
‚gen: Die zween Könige, die dic) belageru, werden dir nicht 
Ichaden, fondern der König von Affyrien wird zu feiner Zeit 
das Werkzeug feyn, wodurd) der Herr Juda und Serufalem 
ftraf’n wird; zum Beweis, daß ich die Wahrheit fage, fors 
dre dir ein Zeichen von Jehovah deinem Gott, es fey nun 
im Scheol oder in der Höhe! Ahas antwortete dem Prophes 
ten: ich will Fein Zeichen fordern, ich will Jehovah nicht 
verfuchen. Nun fo hört dann, fuhr Zefaias fort: Shr 
Herren vom Haufe Davids! ifts Euch zu wenig, daß Ihr 
die Menfchen des Duldens müde macht, müßt Ihr fo gar 
auch meinen ©ott der Langmuth müde machen? — Geht, 
da habt Ihr nun ein Zeichen: Siehe! das junge Mädchen 
iſt ſchwanger geworden, und wird einen Sohn gebären, defs 
fen Namen fie Immanu⸗El nennen wird; Butter und 


430 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Honig — eigentlih Milchrahm und Honig — ein 
fehr nahrhaftes Effen für Kinder — wird er genießen, bis 
er die Fahre der Unterfcheidung erreicht hat; und noch ebe 
dieß gefchieht, werden die Länder Syrien und Iſrael 
feine Könige mehr haben, u. f. w. 

Ehe ich meine Gedanken und Vermuthung über biefe merfs 
würdige Stelle fagen Fann, muß ich erft die Ueberfegung 
berichtigen: weder im hebräifchen Grundtert, noch im griechis 
ſchen der fiebenzig Dolmetfcher fteht: eine Sungfrau, fon: 
dern die Yungfrau, und dann ift auch dieß Wort Jungfrau 
nicht ſchicklich: denn darunter verfteht man eine mannbare 
Tedige Weiböperfon ; diefer Sinn liegt aber nicht im Text, 
fondern das Wort Almah — eigentlich ngAlmah bedeutet 
ein junges, nod) nicht mannbares Mädchen, folgli ha 
ngAlmah heißt da8 junge Mädchen. Eine Zungfrau, eine 
mannbare Weibsperfon,, wird im Hebräifchen Bethulah ge— 
nannt; dies Wort fteht aber hier nicht, fondern jenes. 

Ferner heißt ed ausdrüdlih, das junge Mädchen hat 
empfangen, nicht, fie wird fchwanger werden; das fols 
gende der Weberfegung Luthers leidet Feine Aenderung. 

Bei den alten Sfraeliten war die Vielweiberei erlaubt: 
wie wenn nun der unordentlihe König Ahas ein junges 
noch nicht mannbares Mädchen zum Weib genommen hatte, 
von der man Feine Schwangerfchaft erwarten Fonnte, ſo 
fonute der Prophet fagen: Siehe! das junge Mädchen — 
das du wohl Fennft, von dem du Feine Schwangerfchaft ers 
warteft, ift aber doch fchwanger geworden — dieß Fonnte 
der Prophet ohne göttliche Offenbarung nicht wiffen, folglich 
war das ſchon eine MWeiffagung. — Dazu fam nun nod) die 
zweite: Sie wird einen Sohn gebären — dieß war für 
einen Menfchen;ein noch undurchdringbarers Geheimniß, und 
zeugte noch deutlicher vom göttlichen Vorherwiffen; und nun 
fam noch gar etwas Willführliches hinzu, denn der Prophet 
fagt ferner: Sie — die Mutter wird feinen Namen 
Emanu:El nennen. Wenn diefe dreifache Weiffagung nun 
beſtimmt erfüllt wurde — und das Eonnte Ahas in Kurzem 
wiffen, fo war er auch gewiß, daß die folgende — naͤmlich: 





“ 


Nachtrag zur Siegsgefchichte, 651 


daß Eyrien und Samaria Feine Könige mehr haben würde, 


wenn der Knabe majoren wäre — richtig erfüllee werden 
würde. Auf diefe Weife hat die ganze Sache einen fehr 
pafienden Sinn, und der König verfiunde, was der Prophet 
wollte. Ob aber nicht Jeſaias felbft eine erhabenere Ahnung 
gehabt, und dabei einen Bli in die Zufunft gethan habe, 


das Fünnen wir nicht wiſſen; das aber wiffen wir, daß der 


Geiſt der Weiffagung die jungfräuliche Mutter unfers Herrn 
unter dem Vorbild diefes jungen Mädchens vorftellen wollte; 
denn Maria war auch noch eine Almah, und als foldye ges 
bar fie den Erlöfer, ohne Zuthun eines Mannes. An Ihr 
wurde alfo diefe Weiffagung vollfommen erfüllt, und bei 
der Geburt ChHrifti und nachher immerfort, diente fie zur 
Glaubens ſtaͤrkung an die Wahrheit feiner Sendung. 

Sch koͤnnte diefer Weiffagungen noch mehrere anführen, allein 
wir haben zu meinem gegenwärtigen Zwed an diefen genug. 
Es ift alfo eine ausgemachte Sache, daß die Weiffaguns 
gen, welde ins Große und Ganze gehen, das ift: 
weldhe das große Erldfungswerf, und den 
Kampf und Sieg des Reichs des Lichts, gegen 
das Reich der Finfterniß betreffen, Anfangs 
fehr unvolllommen, oft bloß metaphorifc, 
oder myftifh, allmälig und ftufenweife immer 
vollftändiger, Elarer, verfiändlicher, und ends 


lich ganz vollfommen und buhftäblich erfüllt 


werden — Wenn alfo nun die Offenbarung Fohannis die 
Weiffagung aller Weiffagung ift, das Refultat von Allen ents 
hält, und mehr als irgend Eine ins Große und Ganze geht, 
fo gilt auch das vorzüglich von ihr, daß fie von der Zerftds. 
sung Jerufalems an, bis daher, mehrmals, Anfangs ſehr 
unvollfiändig,.aber allmälig fiufenweis immer voll: 
fändiger ift erfüllt worden. Daß aber ihre ganz 
vollftändige und eigentlihe Erfüllung noch 


zukünftig fey, in welcher fie von Anfang bis zu 


Ende, in allen ihren Bildern, Flar und deuts 
lich jedem gefunden Menfhenverftand anfchaus 
li werden wird. Das glaube ih), und davon bin ich 


432 x Nachtrag zur Siegsaefhichte, 


feft überzeugt. Allein dieß foll deßwegen niemand von Uns 
terfuchung und Prüfung derjenige n Stufe der Erfüllung 
abhalten, in welder er I in ner Zeit und a: be: 
findet. 

Der felige Herder, und 2. der große und — Bibel: 
forfcher Storr, haben nicht ohne Gründe der Wahrfcheinliche 
feit behauptet, daß die Offenbarung Johaunis 
noch vor der Zerftörung Jeruſalems bekannt gemacht, 
und gefchrieben fey, und Herder will fogar beweifen, daß 
fie durch die Zerfidrung Jeruſalems ganz feye erfüllt worden. 
Wenn nıan aber fein Maranatha mit vorurtheilsfreiem Sinn 
liest, fo findet man zwar vieles, das ungezwungen auf dieſes 
große Gericht angewendet werden kann, aber auch wieder. 
vieles, das gar nicht paßt. Auf den Fall finge alfo die uns 
vollkommenſte Erfüllung mit der Zerftorung Jerufalems an. 

Bleiben wir aber bei der Tradition, daß Johannes feine 


Offenbarung nad) der Zerftdrung Serufalems unter dem Kais 


fer Domitian empfangen habe, wie folches von jeher won der 
Kirche angenommen und geglaubt worden, fo erwarteten die 
erften Chriften die ganze Erfüllung der Aypocalypfe in dem 
Gericht über das heidnifche Rom, worauf dann das verfpros 
chene herrliche Reich des Meffias folgen würde; und wirklich 
läßt fi) auc) die Anwendung der apocalyptifchen Bilder auf 
die Gefhichte des gäanzlichen Umſturzes des heidnifchen 
Roms fchon weit leichter machen, als auf die Zerftdrung 
Serufalemö, aber vdemungeachtet ‚blieben doch. noch fehr 
viele Bilder und Hieroglyphen unerfült, die man dann, um 
ſich zu helfen, myſtiſch erklärte, 

Bei der Belehrung Conſtantins des Großen glaubte man 
nun gewiß, jet werde das herrlichefriedensreich anbrechen, 
allein diefe Erwartung fchlug fehl, und der erleuchtete Bibel: 
forfcher Fonnte nun fchon weiter fehen: ‚denn da fi nun 
allmälig im Dceident neue Staaten, und fogar ein römifches 
* Kaiferthum bildete, und in Rom eine geiftlihe Macht ents 
ftund, fo ließ ſich leicht einfehen, daß noch ein Chronus, ein 
mit vielen großen Vorfällen angefüllter Zeitlauf, zukünftig 
fey, den die wahren Berehrer des Herrn noch würden 








Nachtrag zur Siegsgefchichte. 455 


ausharren und durchkaͤmpfen muͤſſen; und dies iſt denn auch 
bis dahin der Fall geweſen. 

Zur Zeit der Reformation, und bald nachher, mochte man 
auch wohl das Ende naͤher vermuthen als es wirklich war, 
allein niemals, vielleicht ſeit Chriſti Himmelfahrt bis das 
her, war die Erwartung fo geſpannt als von 1750 bis 1750. 
Die vielen Erweckungen allenthalben, und die vielen Männer, 
welche zum Aufivachen aufriefen, vorzüglich Franfe, Zins 
zendorf, Friedrih Rod, Joh. Heinrich Haug, Tuchtfeld, 
Chriſtian Dippel, Pererfen und feine Frau, Peter Poirer, 
Hohmann, Gerhard Ter Stegen u, a. m. verurfachten eine 
folche allgemeine Aufregung, daß hin und wider wilde fanas 
tiſche Ausfchweifungen daher entftunden, woran aber weder 
die Apocalypfe, noch jene Männer, fondern überfpannte hy= 
fterifche Weiber, deren Vifionen und Phantafien man für 
göttlich hielt, und dann der flüchtige Pater, und Zohann 
‚Heinrich Sei fihuld waren, indem die beiden Legtern mit 
beftimmter Gewißheit den Termin der Zufunft des Herrn, 
der Erfte auf 1806, und der kette auf 1756 feſtſetzten; Seitz 
wurde zeitig zu Schanden, und des flüchtigen Paters Vorher— 
fagungen find auch nicht eingetroffen, und die Beftimmung 
feines Termins auf 1806 wird auch vermuthlich unrichtig 
Beer 

Gerade in diefer Zeit, nämlich zwifchen 1740 bis 1750, 
kamen nun die Schriften des feligen Bengeld heraus; die 
zuͤndeten ein neues, noch nie erfchienenes Licht an, und bei 
dieſem wird num die — klarer, verſtaͤndlicher und 
anwendbarer. — 

Jetzt laßt ung, meine Lieben! ganz unpartheiiſch, mit heis 


terem und ruhigem Gemüthe diefe meine bisherige Gedanken 


uͤber die Weiffagungen, gegen die gleich Anfangs vorgelegte 
Frage: ob der Chriſt die bibliſchen Weiſſagun— 
gen forſchen duͤrfe, oder gar ſolle? abwaͤgen, ſo 
wird der Ausſchlag gewiß Ja ausfallen; 

Denn 1) da jene Weiſſagungen als Gottes Wort in der 
Bibel fiehen, fo 10 man fie BER wie ich ſchon —* er⸗ 


wieſen habe. 
Stillings ſaͤmmti. Schriften. IL. Band. 28 


E} 


454 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


2) Daß man den Sinn deſſen, was man liest auch for⸗ 
ſchen muͤſſe, iſt ja wohl eine ausgemachte Sache. 

5) Da der Sinn der Weiſſagungen die Geſchichte der Zus 
kunft enthält, aber, in dunkle Bilder verhuͤllt ift, fo verftehts 
fih8 von ſelbſt, daß der Forfcher auch diefe berrachten, und 
ihre Bedeutung nach der Analogie der ſchon erfüllten Weiſ— 


fagungen, und dem Zufammenhang, in dem fie mit dem Vor— 


hergehenden und Nachfolgenden ftehen, beftimmen müffe. 
Da aber die Zufunft nie ganz deutlich vorher befannt ges 
macht werden fol und darf, fo darf auch der Bibelforfcher 
nie ganz beftimmt und umftändlich wiffen, fagen und 
fehreiben wollen , was von Fahr zu Jahr, von Zeit zu Zeit 
gefchehen foll und wird: denn fo oft er das. thuß, fo oft kann 
man auch mit der zuverläffigften Gewißheit fagen, daß feine 
Erklärung falfch feye, und feine Vorherfagungen nicht ein- 
treffen werden. Es kann nicht genug gefagt werden, daß 
die Weiffagungen nur zu dem Großen und Gans: 
zen der Geſchichte des Reichs Gottes, dem 
gottesfürdhtigen und aufmerffamen Forfder 
Winke geben follen; aber die befonderen, Particularen 
Vorfälle, die Ausführung der Geſchichte, foll er in Abhaͤu⸗ 
gigkeit von der Vorſehung nicht beftimmen wollen, fons 
dern in Geduld erwarten. | 

4) Da nun aud) ausgemacht ift, daß die Weiffagungen, 
welche ind Große und Ganze des Reichs Gottes gehen, von 
ihrem Ausfpruch an, bis zu ihrer Vollendung , fiufenweife 
und immer vollfümmener erfüllt werden, fo ift auch eben 
fo. gewiß, daß diefe WVeranftaltung in der Weisheit der gött- 
lichen Rathfchlüffe ihren Grund haben muͤſſe — und diefer 
ift folgender: Wenn der gottgefällige Bibelfors 
fiber bemerkt, daß die Gefhichte feiner Zeit 
mit der Weiffägung eine Aehnlichkeit Hat, fo 
vergleicht er, forfiht weiter, bemerkt gemiffe 
Erfüllungen, fohließt weiter mit Behutfam: 
feit auf die Zufunft und erwartet nun, was 
gefhiceht, und was nicht geſchieht; dadurd 
wird alfo näher befiimmt, was die Weiffas 


— — 











Nachtrag zur Sie gsgeſchichte. 455 


gung bedeute, und was fie nicht bedeute;. 
wenn nun dies Forfhen und Anwenden der 
Weiffagung’auf die Geſchichte, vom Anfang 
bis zum Ende des Zeitlaufs, den die Weiffas 
gung: bezeichnet, geſchieht, fo wird fie im 
Sortfchritt immer deutlicher, und eben dies 
wird auh immer ndthiger, je näher man dem 
Ziel fommt, weil die Zeitgenoffen vor der 
unmittelbaren und endlihen Erfüllung der 
deutlihern Winke am Mehreften bedürfen. Ic 
bitte diefe meine Bemerkung recht wohl zu beherzigen: denn 
wenn fie richtig ift, fo wie fie es gewiß ift, fo folgt daraus: 
daß Gott diefe finfenweife Erfüllung eben deßwegen verans 
ftaltet habe, damit man einen fichern Llitfaden zur richtis 
gen Erforfhung und. Erflärung der Weiffagungen haben 
möge, und daß es alfo aub Pflicht des Shriften 
fey, fie zu lefen, und in Abhängigfeit-vom 
Herrn ihren richtigen Verſtaud zu ergründen 
Diefes Alles wird aber noch dadurch zur höchften Evidenz 
gebracht, wenn ich nun auch auf Veranlaffung des zweiten 
Theils der Anfangs vorgelegten Frage: ob man nämlich auch 
die prophetiſchen Zeitbeftimmungen unterfus 
hen, und von ihnen auf die Zukunft fchließen dürfen? uns 
widerfprechlich werde Dargethan haben, daß dies aller: 
dings erlaubt feye. 
Wenn in den Weiffagungen von gewöhnlichen Zeiten, ſo 
wie fie und Sonne und Mond bezeichnen, die Rede ift, fo 


wie z. B. die vier hundert Fahre der Fremdlingfchaft der 


Nachkommen Abrahams, oder die fiebenzig Jahre der baby: 
lönifchen Sefangenfchaft, oder die taufend Jahre des Reichs 
Ehrifti auf Erden, fo bedarf es Feines Forfchens : denn die 
Sache ift von felbft klar; wenn aber Daniels Weiffagung 
fiebenzig Wochen, die Apocalypfe zwei und vierzig Monate, 
eine Zeit, zwei Zeiten, und eine halbe Zeit, taufend zweis 
hundert und ſechzig Tage, und dergl. beftimmen, fo zeigt ſich 
gleich) in der Anwendung auf die Gefhichte, daß diefe Zeit: 
beftimmungen nicht unfre gewöhnlichen Jahre, Monate, 
28 * 


456 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Wochen, Tage und Zeiten find, fondern daß fie einen uns 
unbefannten Maaßftab haben, den der Geift der Weiffagung 
eben deßwegen gewählt, damit der Feind den Plan Gottes 
nicht errathen und ihn vereitelm, oder die Ausführung er= 
fchweren koͤnne; dies zu verhindern, wirft nun auch die 


falfche Aufklärung ohne ihr Wiſſen und Wollen fehr Fraftig 4 


dadurdy mit, daß fie alle Weiffagungen und ganz vorzüglich 
die Apocalypfe verwirft; duͤmmer koͤunte ſie's nicht anfans 
gen ; denn eben dadurd) bewirkt fie eigenen Sturz und 
fchreckliches Gerichte. 

Warum find aber denn diefe Zahien und Zeit: 
beftimmungen nicht ganz weggeblieben? — dieß 
wäre ja alsdann am allerficherften gewefen? — 
Ich antworte, weil fie nun einmal da find, und fie Gott 
felbft, der zu Allem, was er thut, feine gegründete Urfachen 
hat, durch den Geift der Weiffagung vor jedermanns Augen | 
hingeftellt hat, fo ift das ein unwiederfprechlicher Beweis, 
daß wir fie auch nach den von Ihm felbfi vorge 
fhriebenen Regeln forſchen ſollen. 

Daß diefe meine Antwort und Behauptung richtig ſey, 
beweißt ferner der Rath, die Billigung, wo nicht gar der 
Befehl Chrifti und feiner Apoftel, auf die Zeidyen 
der Zeit wohl zu merken, ſogar find hin und wieder in 
den Weiffagungen Schlüffel zu den Zahlgeheimniffen verſteckt, 
‚welche ganz unftreitig die Wahren find, weildas, was fie 
auffchließen, ganz richtig erfüllt wird. Im folgenden Haupts 
fiü® werde ich von diefer Sache ausführlic) handeln, und 
meine Behauptungen noch mehr befeftigen. / 

Der vornehmfte und wichtigfte Einwurf, den man meiner 
Behauptung entgegenfegen kann, ift der Ausſpruch Chriſti, 
Matth. 24. v. 36. und Marc. 13. v. 52. daß niemand außer 
dem Vater im Himmel den Tag und die Stunde der Zukunft 
des Herrn wife, fogar daß Ihm, Chriſto felbft, diefe Zeit 
verborgen fey; und Ap. Geſch. 1. v. 7. fagt er zu feinen 
forſchenden Füngern: Es gebührer Euch nicht Zeit und Stunde 
zu wiffen, welche der Vater feiner Macht vorbehalten hat. 

Wenn man diefes da fo im Zufammenhang liest, fo 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 437: 


feheint e& meinen Behauptungen geradezu zu widerfprechen, 
daß dieß aber der Fall Feineswegs fey, das kann ich unwis 
derlegbar beweifen. 

Daß Ehriftus damals, ald Ihn feine Zünger fragten, 
den eigentlichen Zeitpunft feiner Wiederkunft zur Errihtung 
feines Reichs nicht wußte, das bezeugt er felbft; folglich 
Fonnte Er ihn auch Ihnen Damals nicht fagen; daß Er 
aber, nachdem Er ſich zur Rechten feines Vaters geſetzt, 
und dad Buch mit dem fieben Siegeln erbrochen hatte, nicht 
allein diefen Endtermin, fondern alle Zeitbeftimmungen der 
Zufunft genau wußte, das beweißt die ganze Apocalypfe, 
welche ja eine Offenbarung Jeſu Chrifti ift, die dem Jo— 
hanned gegeben wurde, um den Chriften aller Zeiten zu 
‚zeigen, was in der nahen Zukunft gefchehen folle, Folglich 
fallt fchon der erfte Theil diefes Einwurfs weg: nämlich, daß 
niemand als der Vater im Himmel die Zufunfe wiffe und 
wiffen folle — das war nur damals der Fall, ald der Kath 
ſchluß Gottes noch unentfiegelt war. 

Wenn nun aber auch Chriftus zu feinen Juͤngern fagt, 
daß es ihnen nicht gebühre, nicht zukomme, nach der 
Zeit und der Stunde feiner Wiederfunft und der Gründung 
feines Reihs auf Erden zu forfchen, fo hatte das damals 
feine wichtige Urfachen: denn die Zünger hatten noch immer 
die jüdifche Zdee im Kopf, Chriſtus oder der Meſſias würde 
zu Serufalem ein. irdifches Königreich errichten, und von da 
aus alle Nationen beherrfchen — diefe Idee benahm_ihnen 
Chriſtus nie ganz, einmal: weil fie etwas Wahres enthielt, 
und dann auch weil fie Ihn fonft gänzlich verlaffen haben 
würden — hätte Er ihnen nun gefagt, daß es noch über 
achtzehenhundert Jahre währen würde, bis Er wieder fäme, 
fo würde fie. das erftaunlich niedergefchlagen, und vielleicht 
zum gänzlichen Abfall von Ihm bewogen haben. Er ließ 
ſie alſo in der ungewiffen Hoffnung feiner baldigen Wieders 
Tunft, und fogar nad) der Ausgiefung des heiligen Geiftes 
über fie, blieben fie noch immer. in der Erwartung, daß die 
Zufunft des Herrn vielleicht noch bei ihren Leben gefchehen 
koͤnne. Selbſt die Apocalypfe ließ fie in diefer Ungewißheit, 


458 Nachtrag zur Siegsgoſchichte. 


obgleich die erleuchteten Leſer derſelben vielleicht merken moch— 
ten, daß denn doch die Wiederkunft Chriſti fo gar nahe nicht 
fey. Auch hatten die Apoftel fchon gewiffe Auffchlüffe über 
die Zeichen, welche vor diefem wichtigen Zeitpunft hergehen 
follten. Diefe Ungewißheit und nahe Erwartung hatte die 
wichtige Urfache, um dadurch die Chriften zu allen Zeiten 
im Wachen und Beten zu erhalten, und auf feine Zufunft 
immer gefaßt zu feyn. Jetzt aber, da nun der große und 
wichtige Zeitpunkt diefer Zufunft immer näher ruͤckt, und 


vielleicht fehr nahe ift, fo daß er von unferen jungen Zeits 


genofjen noch erlebt werden Fann, und da zugleich durch die 
neue Anfflärung, die ganze Idee yon diefer Wiederfunft, 
und von einem Friedensreich Chrifti auf Erden, als eine 


ſchwaͤrmeriſche Grille verſpottet, und aus dem Lehrſyſtem 


verbannt wird, ſo daß die allgemeine, hoͤchſt gefaͤhrliche 
Sicherheit graͤnzenlos ſteigt, und auch leicht wahre Chriſten 
dadurch verleitet und eingeſchlaͤfert werden koͤnnen; jetzt iſt 
es noͤthig und die hoͤchſte Pflicht, in der alten verachteten 
Bibel und Apocalypfe nach den Zeichen der Zeit zu forſcheu, 
und wer Auffchlüffe darüber befommt, der fol fie feinen Zeitz 
genofjen mittheilen, damit die Getreuen des Herrn nicht uns 
bereitet erfunden, und auch in ihren fehweren Leiden durch 
die nahen frohen Ausfichten getröfter werden mögen, 

Daß wir alfo die Zeichen der Zeit beobachten follen, 
ift gewiß, Chriftus und feine Apoftel fordern und dazu auf, 
Nun find aber die Zeichen der Zeit nichtd anders als gewiſſe 
Thatfachen, Fakta, die in einem gewiffen Zeitpunft dereinft 
gefchehen werden, folglich fol der Bibelforfcher dann, wann 
er diefe Fakta bemerkt, ihren Zeitpunft ind Auge faflen, 
und darauf dann, mit Hülfe der richtigen und wahren Schlüf- 
fel, die Aufldfung und Erflärung der prophetifchen Zeitbes 
flimmungen gründen. — Man fage mir doc in aller Welt, 
wozu das Beobachten der Zeichen der Zeit dienen fol, wenn 
ich nicht daraus auf die Nähe und Ferne, das iſt auf den 
Zeitpunft der Erfüllung irgend einer Weiffagung ſchließen 
fol? — wie forgfältig gab Chriftus feinen Juͤngern, und 
durch fie auch uns, die Zeichen der Zeit an, die nahe vor 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 459. 


der Zerftdrung Jeruſalems, und auch vor feiner MWiederfunft 
bergehen follten ? — wie mannigfaltig und auf maucherlei Weife 
beftimmt , wie ausführlich gibt fie Ehriftus in der Dffenbas 
rung Johannis? — und wie treulich belehrt Paulus: die 
Theſſalonicher, und mit ihnen auch und, auf welche Zeichen 
der Zeit ſie ihr Forfchen nach dem Tage der Zukunft des Herrn 
gründen follte? So gewiß es nun aber auch ift, daß der 
Chriſt die prophetifchen Zeitbeftimmungen forfchen darf, und 
forſchen fol, fo gewiß. ift es au) , daß es mit größter Bes 
hutſamkeit, Befcheidenheit und immer in Abhängigkeit vom 
Herrn und feinen Geift der Weiffagung, nach folgenden 
Regeln gefchehen müffe: u | 
1) Wer die biblifchen Weiffagungen, und befonders die Apo⸗ 
calypfe erklären und ihre prophetifche Zeitbeftimmungen ent= 
räthfeln will, der muß alle Weiffagungen, die vom Paradies 
an, bis zur Offenbarung Johannis hin, Chriftum 
und fein Reich, und die Erlöfung des gefallenen menschlichen 
Geſchlechts bezielen, inne haben, und ihren Sinn mit einem 
hellen Blick durchfchauen konnen, Wen es hier noch fehlt, 
der wage fich nicht an eine Erklärung der Apocalvpfe. 
2) Man hüte fich ja, daß man nicht Tharfachen für Zeis 
chen der Zeit anfieht, die es Feinesweges find — hier haben 
die mehreftien Ausleger gefehlt. Nur dann ift ein Fac— 
tum ein foldes Zeichen, wenn es nicht allegos 
riſch, fondern Elar und deutlich in der Bibel 
als ein ſolches angegeben wird, als 3. DB. von 
der Zerftörung Zerufalems die Wagenburg, der Greuel der 
Verwuͤſtung an heiliger Stätte, allerhand fchredliche Aeuße—⸗ 
rungen phyfifcher Kräfte, Empdrungen, Kriege und Kriegs: - 
geſchrei, und. zu unfern Zeiten ift nun der Abfall ein. 
fo beftimmtes Zeichen der Zeit, daß wir Fühn und getroft die 
Entwicklung der pfophetifchen Zeiten darauf gründen fünnen. 
i 3) Man hüte ſich ja für jedem Syftem, um die Apocas 
lypſe darnach zu erklären, und damit ald mit einem Haupt: 
ſchluͤſſel alle Geheimniffe und Hieroglyphen auffchließen zu 
‚wollen. Hier haben bis daher noch alle Ausleger gefehlt — 
ſelbſt der befie und zuverläffigfte unter allen, der felige Beu⸗ 


440 Nachtrag zur Siegsgefhichte. - 


gel, ift nicht ganz frei von diefem Fehler. Die Syſteme 
find Regeln für den fhwachen menfchlichen Verftand, aber 
der Hoͤchſtvollkommene bedarf ihrer nicht, und alle feine Werke 
find nicht nach) unfern Syſtemen geordnet. In der Erklärung 
des Worts Gottes muß man lediglid dem keutehe folgen, 
den es ſelbſt an die Hand gibt. 

4) Man muß niemals aͤngſtlich am. bloßen Buchſtaben 
hängen; die Bibel trägt dad Wort Gottes in menſchlicher, 
alfo in unvollfommener Sprache vor; daher heißt ed auch: 
der Buchftabe tödtet, aber der Geift macht lebendig; aber 
man darf auch dem Buchftaben Feinen Sinn andichten, der 
gar nicht darinnen liegt, fondern man muß. immer das 
Ganze im Auge haben, und dann eine ungezwungene Er— 
klaͤrung wählen, die zu diefem Ganzen paßt.  Gtellen, 
die man nicht verfteht, laffe man unerflärt, und geftehe 
lieber feine Unwiffenheit, ald daß man ihnen eine falfche 
Deutung gibt. 

5) Endlich fol ſich auch der Ausleger bibliſcher Weiſſa⸗ 
gungen, beſonders der Apocalypſe, ſehr huͤten, daß er, 
wenigſtens nicht oͤffentlich in Schriften, Tage 
und Stunden, Monate und Zahre, in welchen dies oder 
jenes gefchehen fol, oder die Zukunft des Herrn zu erwarten 
fey, genau und mit Gewißheit befiimmen wolle. Wir 
follen die Zeiten nur ungefähr, etwa auf zehn 
bis zwanzig Fahre hin vermuthen: denn Ehriftus 
fagt feinen Süngern und mit ihnen auch) und: Er werde 
Tommen zu einer Stunde, wo mans nicht meine, wo man 
Ihn nicht erwarte; und wie oft wiederholt Er das Gleiche 
niß: Er werde kommen wie ein Dieb in der Nacht. ganz 
unerwartet. — Mie wäre das aber möglich, wenn die pro⸗ 
phetifchen Zeitbeftimmungen vorher auf Tag und Stunde bes 
ſtimmt werden koͤnnten? — 

Man hat mir dagegen eingewendet: Chriftus werde feinen 
Feinden, den Unglaubigen, fo unerwartet fommen, aber ſei⸗ 
nen wahren Derehrern werde der Zeitpunft feiner Wieders 
funft befannt feyn. Hierauf antwortete ich: allerdings wer: 
den Ihn die Unglaubigen ganz und gar nicht erwarten, bins 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 441 


gegen die wahren Chriſten werden wiſſen, daß Er nun 
bald kommen und nicht lange mehr ausbleiben werde; 
dieſe Gewißheit haben ſie aus der gottgefaͤlligen Beobach⸗ 
tung der Zeichen der Zeit und behutſamen Berechnung der 
prophetiſchen Zeitbeſtimmung erlangt, aber deßwegen wiſſen 
ſie denn doch das Jahr nicht genau, vielweniger Tag und 
Stunde. Der Bengel'ſche Termin im Jahr 1856 ift nach 
feiner Berechnung das weitefte Ziel, indeflen ift denn doch 
das Bengel’fche Syſtem nur hoͤchſt wahrfcheinlich, und nur 
infofern ganz gewiß, daß nunmehro die Zufunfe des Herrn 
nahe ift. 

Daß — und inwiefern. man die biblifche Beifagungen, 
und befonders die Apocalypfe, nebft den prophetifchen Zeits 
beftimmungen forfchen ‚dürfe, ‚glaube ih nun hinlänglich 
auseinander gefeßt zu haben. Ich gehe alfo nun zu einer 
andern höchftwichtigen Materie über. 





412 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Das zweite Kapitel - 


Wenn e3 dem Chriften erlaubt, und fogar Pflicht: ift, 
die prophetiſchen Zeitbeftimmungen zu forfchen, fo ents 
fteht die wichtige Frage, welche Auflbſung unter allen 
bisher befannt gewordenen die Nichtigfte und Wahr: 
ſcheinlichſte ſey? 





Die bekannteſten und wichtigſten Aufloͤſungen der prophes 
tiſchen Zeitbeſtimmungen ſind folgende; 

1) Nimmt man alles für natürliche Zeiten an, und vers 
fhiebt dann die ganze Erfüllung der Apocalypfe in die Zus 
Funft, — Freilich! — auf die Weife ift man am gefhwin: 
deiten fertig, aber dann entftehen unauflösbare Schwierig: 
feiten; denn die 42 Gewaltmonate des Thierd find dann 
drei und ein halb Jahr; die eine Zeit, zwo Zeit, und eine 
halbe Zeit des Sonnenweibes find abermal drei und ein halb 
Fahr, und die 1260 Tage des Sonnenweibes find wiederum 
drei und ein halb Jahr, den Monat zu dreißig, und das 
Jahr zu dreihundert und fechzig Tagen gerechnet. Wenn man 
nun auch alle diefe Zeiten nad) einander folgen lafjen wollte, 
fo kaͤmen 10 bis 11 Jahre heraus, in welchen Alles- das 


erfüllet werden müßte, was in der Apocalypfe enthalten if, 


welches aber ſchlechterdings unmoͤglich iſt; da aber nun nad) 
dem Haren Inhalt des Textes diefe Zeiten gewiffermaßen zu: 
gleich miteinander Jaufen, fo wird die Zeit noch viel Fürzer, 
folglicy kann diefe Auflöfung der prophetifchen Zeiten durch: 


aus nicht die Wahre feyn, außer daß gegen das Ende, in 


der pünftlichen und buchftäblichen Erfüllung, aud ein und 
andere Zeitbeftimmung natürlid) feyn Tann, wie 3. B. Die 
viertehalb Jahr der zween Zeugen, die viertehalb Tage ihres 
Todſeyns, und dergl. - 


k aa 
1028 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 445 


2) Werden bie prophetifhen Tage für Jahre genommen, 
und darnach die aporalyptifchen Zeiten beftimmt; dann find 
die 1260 Tage eben fo viele Jahre, und eben fo auch) die 
übrige Zeiten; in diefem Fall werden aber die Perioden zu 
lang, und alle Anwendungen auf die Gefchichte fallen fo 
willführfich aus, daß man ihnen unmdglich beiftimmen Fann, 
Da nun diefe Auslegungsart die Allgemeinfte ift, und man 
fie immer als die einzig Mögliche betrachtete, fo entitund 
eben daher die Vermuthung, daß die Offenbarung Johannis 
gar nicht erklaͤrt werden koͤnne und ſolle. 

3) Endlich trat in den vierziger Jahren des abgefloffenen 
Sahrhunderts der befannte, von Herzen fromme und grunds 
gelehrte Würtembergifche Theologe, Johaun Albrecht Bengel, 
auf, und zeigte einen Schlüffel zur Auflöfung au, wodurch 
nicht allein die Apocalypfe ganz ungezwungen erklärt werden 
fann, fondern die auch noch auf andere Weife erftaunliche 
Aufjchlüffe gibt, In fpätern Zeiten hat auch noch ein vers 
ehrungswuͤrdiger, frommer und gelehrter Mann ein Buch 
herausgegeben, welches in Garlöruhe bei Macklot herausges 
kommen ift, und folgenden Titel hat; Einleitung zu näherer 
und deutlicher Aufklärung der Offenbarung Jeſu Ehrifti, 
oder St. Johannis, nah Chronologie md Ges 
ſchichte, ald Beitrag zum Beweis, daß Bengeld aporas 
Inptifches Syftem das Wahre fey. 1784, in welchen diefes 
Syſtem noch bewundernswärdiger dargeftellt,, und angewens 
der wird, S. die Vorrede zur Siegögefhichte ©. 7. Ob ich 
gleich in diefer Vorrede das Nöthigfte über Bengeld Berech⸗ 
nung gelagt habe, fo ift es doch der Mühe werth, daß ich 
mic) hier noch näher und weitläuftiger darüber erfläre, da⸗ 
mit meine Lefer einen ganz vollftändigen Begriff davon be— 
fommen, und fih in Anfehung ihrer höchften Wahrfcheins 
‚lichkeit vollfommen beruhigen fünnen, | 
Offenb. Joh. 15. v. 5. heißt es; und es wurbe ihm — 
dem Thier aus dem Meer — Gewalt gegeben zwei und 
vierzig Monate lang zu wirken! — Daß diefe zwei 
und vierzig Monate nicht natürliche bürgerliche Monate feyn 
Tonnen, erhellet daraus, weil Alles das, was dem Thier 


PR Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


zugeſchrieben wird, unmoͤglich in viertehalb Jahren geſchehen 
kann, folglich muß dieſe Zeit in prophetiſchem, noch ver— 
borgenen Sinn genommen werden. Wo finder man aber 
nun den Maaßſtab dazu? — Wir wollen ihn fuchen : 

In dem nämlichen 15. Kapitel fteht v. 17. So daß niemand 
Faufen und verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen bed Thiers 
und die Zahl feines Namens hat. — Ferner v. 18: 
Hier ift die Weisheit (Sophia) wer Verſtand — 
Beurtheilungfraft (Noun) hat, der berechne!(pst- 
. phisäto) es heißt nicht, der zähle eine Zahl zu der Andern, 
wie gefchehen muß, wenn man aus einem Namen die Zahl 
herauöbringen will, fondern man foll Rechnen, Cal⸗ 
euliren, — und was denn? die Zahl des Thiers! 
denn es ift eine Menfhenzahl, fo wie fie unter den 
Menfchen gebraucdhlich ift, und feine Zahl it Sed%s 
hundert, Sechzig, Sechs. 

Was iſt aber nun an ſechshundert ſechs und ſechzig zu 
rechnen? die bleiben was ſie ſind — wenn nicht noch etwas 
hinzukommt. Man ſollte denken, das haͤtte man ſchon laͤngſt 
einſehen muͤſſen, allein man kam deßwegen nicht darauf, weil 


man die Zahl des Namens des Thiers mit der Zahl 


Des Thiers 666 für eine und die namliche Zahl hielt, 
und nun glaubte, dad anempfohlene Rechnen fey weiter 
nichts, als in irgend einem Namen, den etwa das Thier 
haben koͤnnte, die Zahl fehshundert ſechs und fechzig zu fins 
ben; und fo fand man dann in dem griechifchen Wort Aureıvog, 
in der Juſchrift an der päbftlihen Krone, Vicarius filii Dei, 
„ In dem Namen Ludovieus, und in andern mehr, die Zahl 


666 ganz richtig — allein dabei Fam nichts heraus, und 


die merkwürdigen Worte: Hier ift die Weisheit, wer 
Berfiand hat, der berechne — wollen wahrlich mehr 
fagen, als addirt die Zahlbuchftaben feines Namens zu: 
fammen. | 

Sch felbft hielt noch immer die Zahl des Namens des 
Thiers, und die Zahl des Thiers für eine und die nämliche 
Zahl; aber erft Fürzlich befam ich den Auffchluß, das dieß 
aus dem Inhalt des Textes nicht nothwendig folge, es ſcheint 











Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 446 


zwar, ald ob das Wort Hier im Anfang des 18ten Verfes 
fi) rücwärts auf die Zahl des Namens des Thierd bezöge, 
allein gewiß ifts nicht, fondern es kann cben fo wohl auf 
den Verfolg deuten, und dieß ift mir jet wahrfcheinlicher;. 
alsdann aber ift uns die Zahl des Namens umbefannt, und 
fie kann fowohl Die Anzahl der Regenten eines Namens in 
einem Staat, 3. B. Carl der 6te, Ludwig der 16te, Heinric) 
der Ate, ald auch die Zahlbuchjtaben im Namen felbit bes 
‚zielen; und endlich ift ed auch noch immer möglich, daß die 
Zahl des Thiers 666, auch die Zahl feines Namens ift, aber 
nothwendig,, fogar wahrfcheinlich, ift es nicht, 

Ich bitte diefe Bemerkung ald eine der Allerwichtigften 
anzufehens denn wenn wir bei der Idee bleiben, 
daß die Zahl des Namens, und die Zahl des 
Thiers eine und die namliche Zahl fey, fo kann 
der Menfh der Sünden wirklich auftreten, ohne 
von und bemerft zu werden, weil wir in feinem 
Namen die Zahl 666 nicht finden; nehmen wir 
aber an, daß die Zahl des Namens auch eine 
Andere feyn koͤnne, fo find wir defto aufmerks 
famer auf die anderen fiheren Merfinale, und 
fo entgeht er und nid. . 

Alfo die Zahl 666 ift ein Gegenftand des Rechnens mit 
Weisheit und Verftand — alfo eine ſchwere Rechnungs— 
» Aufgabe; fie ift einetunter Menfchen gebräuchliche Zahl — 
ald Zahlen find fie das Alle — folglid muß das Object 
etwas unter den Menfchen gebräuchliches feyun; es muß ficy 
aber auch auf die Zeit des Thiers beziehen, in welder 
das, was bisher von ihm erzähle worden, gefchehen fo, 
+ folglich eine unter den Menfchen gewöhnliche Zeitbes 
ſtimmung, folglih das Jahr feyn, fo daß alfo die Zahl 

des Thiers feine Dauer von 666 Jahren bedeutet. RUM, 
Jedermann fieht, daß diefer Ideengang nichts weniger 
als eine Demonftration, fondern nur eine Vermuthung ift, 
mit der man einmal einen Verfuch anftellen kana, ob ſich auch 
etwas damit ausrichten laßt? — Daß die Zahl 666 fo viele 
Fahre der päbftlihen Macht bedeute, das hat Luther ſchon 
geglaubt. 


446 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Da fich mit einer einzigen Zahl nicht rechnen läßt, fondern 
wenigſtens noch) Eine erfordert wird, mit. der fie in Verhälts 


niß gefeßt werden Fan, ſo muß die zweite Zahl aufgeſucht } 


werden; da wir aber nun einftweilen die Zahl 666 als fo 
viele Jahre der Regierung = Währung des Thiers angenoms 
men haben, im dten Vers diefes 15ten Kapitels aber eben 
dieſe Währung auf 24 prophetifche Monate angeſetzt wird, 
fo find 666 unferer irdifchen Jahre (unferer angenommenen 
Hypothefe nach) 42 propherifhen Monaten gleich; ſetzt man 
nun nad) der gewöhnlichen Regel der Verhälmiffe (Negel 
Detri) 42 pröphetifche Monate find 666 Jahre, wie viel 
Ssahre hat dann ein prophetiſches Jahr, 1 Monat, wie 
groß ift eine Woche, ein Tag, eine Stunde w’f. w. nad) 
unferer gewöhnlichen Zeit? fo. findet fi) , daß 

Ein prophetifches Jahr 196 gemeine Jahre, 117 Tage. 
15 Stunden, 

Ein Monat 15 Jahr und 313 Tage. 

Ein Tag 196 Tage und beinahe 8 Stunden. 

Eine Stunde 8 Tage 4 Stunden 20 Minuten, und 

Eine halbe propherifhe Stunde 4 za 2 —— und 
10 Minuten enthaͤlt. 

Da dieſes Verhaͤltuiß der prophetiſchen Zeiten zwifchen der 
natürlichen Zeit, und dem von jeher angenommenen jährigen 
Tag fo ſchoͤn das Mittel hält, fo gibt das (on eine bes 
ruhigende Erwartung. 

Jndeſſen ift dieß zum Auffchluß der prophetifchen Zeiten 
in der Offenbarung Zohannis noch bei weitem nicht genug: 
denn mit diefem Schlüffel Fünnen wir die Friſt (Chronus) der 
Seelen unter dem ‚Altar, die viertehalb MWeibszeiten, die 
wenige Zeit des Drachen, u. f. ws nicht aufichließen; Bengel 
füchte daher weiter und geriet nun auf die Zahl der taufend 
Jahre des Reihe Ehrijti auf Erden, Off. Joh. 20, welche 
ebenfalls natuͤrliche irdifche Fahre find, jetzt fuchte er diefe 
1000 Jahre mit jenen 666. Jahren in ein fruchtbares Ders 
hältniß zu briagen — allein das ift ſchwer; endlich fiel ihm 
"ein, daß ja 9993, taufend gleich feyen, und wenn er nun 
der Zahl 666 — 3 zufegte, fo fey dann die Zahl 6665 











Rachtrag zur Siegsgefchichte. | 447 


zwei Drittel von der Zahl 9992 oder 1000. Beide ſtuͤnden 
alſo nun in einem ordentlichen arithmetiſchen Verhältniß ges 
geneinander,. 

Diefe beiden Zahlen 666% und 9995 brachten ihn nun bald 
auf die, Idee einer Progreffion, deren Glied des Fortſchritts 
oder Differenz 1115 ift, und aus folgenden Zahlen, 1115, 
2222, 355%, 4445, 5558, 666%, 7775, 888%, 9993, und 
11114 befteht. Jetzt wendete er diefe Zahlen vermög der Kirz 
chengefchichte auf die Apocalypfe au, und fand nun, daB 1115 
die halbe Zeit, 222% eine Zeit, 53555 anderthalbe 
Zeit, 444% die zwo Zeiten des Weibes, 5555 die 70 Wo⸗ 
chen Danield, 666% die Zahl des Thiers, 7773 die viertes 
halb Zeiten des Weibes, 8835 die wenige Zeit des 
Drachen, 9993 das taufendjährige Neih, und 11115 die 
Friſt der Eeelen unter dem Altar oder den Chronus bes 
zeichneten. Wenn man meine Siegögefhichte liest, fo wird 
man finden, daß alle diefe Zahlen ganz ungezwungen auf 
die Kirchengefchichte angewendet, die Apocalypfe erklären. 

Sp ſchoͤn und wahr dieſes Alles ift, jo bleibt doc immer, 
bei der Ungewißheit verſchiedener Aufangstermine, wunon 
man daun freilich den wahrſcheinlichſten, und auf die Pros 

phetiſche Zahl paſſenden auswaͤhlt, hin und wieder etwas 
Willkuͤhrliches uͤbrig, welches die Ueberzeugung der voͤlligen 


Gewißheit dieſer apocalyptiſchen Progreſſion, beſonders bei 


unſeren zum. Zweifel geneigten Zeitgenoſſen, betraͤchtlich 
hiudert. Bengel beruhigt ſich alſo bei dieſer wichtigen Ent⸗ 
deckung noch nicht, ſondern er ſuchte ſie zur hoͤchſt moͤg⸗ 
lichen Evidenz zu bringen. 

Wenn man findet, daß — nach der einmal angenomme⸗ 
nen Hypotheſe — 2225 unferer gewöhnlichen Sonnen-Jahre 
eine Zeit (xei008) und. 5 diefer Zeiten, nämlich i1114 Fahre, 
den beſtimmten Zeitlauf, die Frift, oder einen Chronus aus— 
machen follen, fo fallt einem wnatärlicherweife ein, wie denn 
der Geiſt der Weiffagung zu diefen fonderbaren Zahlen komme? 

— es laſſe fich doch nicht denken, daß er fie fo ganz willfürs 
Lich und ohne Grund annehme!!! — Diefer Gedanke hat 
vermuthlich Bengeln bewogen, mit feinen gefundenen prophpr 


448 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


tiſchen Zahlen, mit ſeiner apocalyptiſchen Progreſſion, auch 
aſtronomiſche Verſuche zu wagen, um zu ſehen, wie ſie ſich 
gegen den Lauf der Sonne, des Monds und der Planeten, 
fogar auch der Firfterne und der Kometen verhalten? — und 
fiehe da! — diefe Verfuche fielen unerwartet glädlid aus: 
denn nun zeigte fi), daß die Zeit von 2225 irdifchen Jahren, 
und der Chronus von 11115 diefer Zahre, und befons 
ders eben dieſer Chronus, der aus fünf jener Zeiten 
befteht, der einzige Maaßſtab fey, nad weldhem 


der Lauf aller Planeten und befannten Welt: 


förper, aufs allergenauefte, bis auf Sefun 
den hin, berechnet und beftimmt werden koͤnne. 

Es würde eine vergeblihe Mühe, und auch hier der un: 
rechte Ort dazu feyn, wenn ich meine Leſer mit allen den 
Berechnungen unterhalten wollte, wodurd der große Manır, 
und nach ihm der würdige DVerfaffer des Carlsruher Buchs, 
diefe erftaunliche Entdeckung bis zur mathematifchen Gewiß— 
heit dargeftellt haben :z denn die Wenigften würden doc) die 
ganze Demonftration verftchen, und fie nachrechnen Fonnen, 
oder wollen, Mer dazu Luft hat, ver lefe den Cyelus, 
oder das große Weltjahr von Bengel; oder wer der lateinis 
fhen Sprache nicht mächtig ift, die vortreffliche teutfche 
Meberfegung dieſes merkwürdigen Buchs, von Johann 
Gotthold Böhmer, Ardidiafonus bei der Hauptfirche 
zu St. Petri in Budißin, in welcher der Bengel'ſche Tert 
mit fehr vielen wichtigen Anmerfungen ungemein fchon er— 
läutert, und auch eine vortrefflihe Abhandlung über die 
Göttlichkeit der Apocalypfe vorangefegt ift. Der Titel heißt: 
Dr. Zohann Albrecht Bengels, Herzoglid 
Würtembergifhen Conſiſtorialraths und Abt 
zu Alpirsbach, Cyclus, oder fonderbare Bes 
tradhtung über das große Weltjahr u. f. w. 
Leipzig, verlegts Ulrih Chriſtian Saalbadh, 


1775. Diefes Buch ift für den gemeinen Menfchenverftand 


begreiflicher, ald das oben angeführte Carlsruher Werf, wel: 


ches Lefer vorausfeßt, die mit aftronomifhen und algebrais 


fhen Berechnungen einigermaßen befannt find. 


x 
A a 


— 


2 
R 





Ze 











Nachtrag zur Siegsgefhicte, 449 


Ich begmüge mich hier alfo blos damit, meinen Lefern 
nur die bewundertswürdigen Nefultate diefer Berechnung, 
und fo viel von der Sache mitzutheilen, als zur deutlichen 
Einſicht der Wichtigkeit und Richtigkeit der apocalprifchen 
Progreffion erforderlich ift. 

Die fternfundigen Gelehrten Haben fich Hon jeher alle Mühe 
gegeben, den Lauf der Planeten und der Himmelskörper 
überhaupt, nach dem Maafftab unferer irdifchen Zeitbeftims 
mungen auf das genauefte auszurechnen. Da fih nun alle 
diefe Berechnungen auf Beobachtungen gründen, die man 
mit Ferngläfern und andern mathematifchen Zuftrumenten 
macht, welche aber durch den höchftmdglichen menfchlichen 
Fleiß nie fo genau verfertiget werden fünnen, daß man jenen 
Lauf der Sterne, bis auf die Fleinften Theilchen, unfehlbar 
zu beftimmen vermögend wäre, fo entfteht daher eine Ver: 
ſchiedenheit in den Refultaten der Berechnung bei dem- 
Einen ift die Zeit ded Umlaufs eines Planeten um die Sonne 
um einige Minuten oder Secunden länger, bei dem Andern 
um fo viel Fürzer, und es iſt fchon fehr zu bewundern, daß 
mand bis zu diefem hohen Grad der Vollfommenheit ge: 
bracht hat: 

Set nahm nun Bengel feinen Maaßftab zur Haud, um 
diefen großen Tempel Gottes zu meifen, und zu fehen, was 
dabei heraus Fame? Er brauchte dabei natürlicherweife den 
Kairos,die Zeit von 2223 Jahren, nachher fand er, daß 
dieſe Meßruche etwas zu Furz fey, folglich wählte er den 
Chronus won 11115 Jahren, der fünf diefer Zeiten enthält. 
Hiemit Fam er nun vollfommen za feinen Zweck: denn nun 
fand er, Daß 252 Chroni, oder 1260 Zeiten, oder 
980,000 irdifhe Jahre, die Zahl fey, nah we 
her der allmaͤchtige Schöpfer den Lauf aller 
uns befanuten Sterne aufs Allergenauefte, 
bis auf die allerkleinſten, kaum denkbare Ze i⸗ 
ten hin, beſtimmt hat. 

Man denke dieſer erſtaunlichen Sache nur ruhig, und in 
der Gegenwart Gottes nach. — Es kann ja doch unter allen 
moͤglichen Zahlen nur eine Einzige geben, welche Gott 

Stilling’s ſaͤmmtl. Echriften. IN. Band. 29 


450 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


zur Grundlage aller Seitbeftimmungen im ganzen uns be— 
fannten Weltall gemacht, und darnach die Kreisläufe aller 
Sterne beftimme hat. — Wenn ich eine. Uhr habe, in: wels 
cher in 94 Stunden ein Rad einmal, das andere 6mal, das 
dritte 12mal, das vierte 24mal m. ſ. w. herumlaͤuft, ſo 
ift und bleibt die Zeitzahl,von 24 Stunden der Cyclus, die 
Grundzahl, nach welcher alle Räder berechnet find; eben fo 
find die 252 Chroni, oder 1260 Zeiten, oder 280,000 irdir 
fhe Sahre, der Eyelus, die Örundzahl und das 
beffimmte Jahr des Weltall, in deffen Zeit 
abtheilungen ſich alle Umläufe aller uns be 
fannten Sterne vollfommem bis auf das Blein- 
fe Zeittheilhen auflöfen;z fo. wenig man nun bei 
obiger Uhr eine andere Zahl, als genau 24 annehmen Faun, 
eben fo wenig kann der Cyclus, oder das große Weltjahr, 
um eine einzige Zahl größer oder Kleiner fenn. Nun beher⸗ 
zige man nur einmal folgende Idee: 

Kein Aftronom, vom: Anfang der Welt an, bis daher, 
konnte durch feine Beobachtung, und wenn. fie aud) die aller: 
mühfamfte und genauefte war, dieſen Cyclum, oder diefe 
Srundzahl aller Zeiten entdeden, und Feiner hat fie auch 
entdeckt. Denn da immer Einer vom Andern in der genauen 
Beftimmung der Zeiten des Umlaufd der Sterne unterfchie- 
den war, fo fehlten Alle; der Eine hatte ein paar Minuten 
oder Secunden zu viel, der Andere zu wenig; und wer 
follte und fonnte denfen, daß die h. Schrift,und 
namentlich die Apocalypfe, dies allergrößte, 
wichtigfte und Alles umfaffende phyſiſche Ge 
heimniß in fih verborgen enthielte? — Sa 
wohl! Fonnte es „beißen: Hier ift die Weisheit, wer 
Berftand bat, der berechne — kann nun dieſe ein- 
zige Offenbarung , die von niemand Anders als vom 'allwif- 
fenden Gott allein herkommen kann, nicht fchon für fich allein 
die Göttlichkeit und Bibelwürdigkeit der Apocalypfe beweifen? 
und doc) achtet niemand darauf; Fein einziger Aftronom bes 
dient fich, meines Willens, diefes Beugel'ſchen Eyeli zu feis 


nen Berechnungen, ungeachtet fie dadurch fo fehr erleichtert 


I HZ Er 








Nachtrag zur Stegsgefhichte, 451 


werden, und aufs allergenauefte ausfallen. — Hätte ein 
Aftromom diefe wichtige Eutdeckung gemacht, wahrlich ! 
er hätte feinen Mamen verewigt — und man würde ſich 
ihrer auf allen Sternwarten bedienen, aber — was kann aus 
der Apocalypfe Gutes herfommen? | 
Um aber nım meinen Lefern einen hinlänglich deutlichen 
Begriff von diefem Cyclus und feinem Nuten zu geben, fo 
will ich das, was’ für jedermann verfiändlich ift, davon 
mittheilen: 
Es ift befannt, daß folgende Planeten in einem gewiſſen 
Zeitraum ihren Umlauf um die Sonne vollenden. 
1) Zunächft bei der Sonne der Mercurius. 
2) Meiter entfernt die Venus, nämlich der Morgens und 
Abendftern. Darnad) 
3) Unfre Erde mit dem Mond, fernerhin 
4) Der Mars; noch weiter 
5) Der Jupiter mit feinen Monden, und dann 
6) Der Saturnus mir feinem Ring und Monden, und 
endlich find nun noch, lange nad) Bengels Zeiten, drei Plas 
neten entdeckt worden, nämlich der Uranus, die Ceres und 
die Pallas Dlberfiana. Der Uranus foll fi) aud) genau nach 
dem Bengelfchen Cyclus richten, die beiden Letztern aber find 
fo viel ich weiß, noch nicht genau berechnet. | 
Wenn alfo das Weltall 280,000 irdifche Jahre, oder 1260 
zeiten, oder 252 Chronus — welches alles Eins ift — wäh: 
vet, fo wird nach dem genauften Ablauf diefer Zeit jeder 
Planet eben fo genau wieder auf dem Standpunkt ftehen, 
wo er bei der Schöpfung den erften Augenblic feines Laufs 
anfing. In diefem Zeitraum nun vollendet jeder Planet feis 
nen Lauf um die Sonne, ohne daß es eine Minute mehr oder 
Anger beträgt, folgender. Geftalt: 
| Merfuius . . . 1,162,557mal, 
Venus . . 468, 112mal. 
Die Ede . . . 280,000mal. 
Mars. 2. 2. .143,878mal. 
— 25,616mal. 


Saturnus > + » 9,516mal, 
* 29 * 


45% Nachtrag zur Giegsgefchichte. 


Da die Monden mit ihren Planeten fortlaufen, und auch 
ihre Bewegungen um diefelben regelmäßig verrichten, fo voll- 
führen fie ebenfalls ihren Lauf nad) obigen Verhältniffen ; 
aber auch ihr Umlauf um ihre Planeten richtet fih genau 
nach dem Cyclus. Dies. Alles Hier anzuführen, ift zu meis 
nem Zweck zu weitläuftig; ich will daher nur noch eine 
Methode angeben, nad) welcher man die Zeit des Umlauf 
eines Planeten berechnen fann: 3. B. Ich will wiffen, wie 
viel Sahre, Tage, Stunden, Minuten u. f. w. der Satur⸗ 
nus braudt, bis er er einmal um die Sonne gelaufen ift, 
fo feße ih: 9,516 Umläufe des Saturnus geſche— 
ben in 280,000 Zahren, wie lang braudt er alfo 
zu 1ı Umlauf? Antw. 10,746 Zage 22 Stunden 56 
Minuten 238 Secunden und 8 TZertien, Mäftlin 
hat 3 Minuten 42 Secunden und 46 Tertien weniger, Andere: 
haben etwas mehr, fo daß alfo der Eyclus das Mittel hält, 
folglich die Wahrheit anzeigt. Ferner: 

Jupiter lauft 23,616 mal in 280,000 Sahren um die 
Eonne, wie viel! Zeit braucht er alfo zu einem Umlauf? 
Antw. 4530 Zage 10 Stunden 47 Minuten 55 Secunden. 
Einige haben etwas mehr, Andere wieder etwas weniger. 

Mars macht 148,878 Umläufe in 280,000 Fahren, wie 
lange braucht er zu einem Umlauf? — Antw. 686 Tage 
22 Stunden 10 Minuten 50 Secunden, Der Eine hat bier 
3 bis 9 Minuten mehr, der Andere erlihe Minuten der 
Secunden weniger, 

Da die Erde mit ihren 230,000 Fahren den eigentlichen 
Manfftab der andern Umläufe ausmacht, fo kommt es nun 
darauf an, daß man bejtimme, wie vief Tage, Stunden, 
Minuten, Secunden u. f. w. fie felbft zu ihrem Umlauf um 
die Sonne bedürfe? — Am leichteften fommt man dazu, 
wenn man nun die Fleinften Zeitzahlen der übrigen Planeten 
zum Maafftab nimmt, und dann darnach aud) daß. irdifche 
Jahr berechnet; 3. B. man weiß, wie viele Umläufe jeder 
Planet in 280,000 Jahren vollendet, und wie viel Tage, 
Stunden, Minuten und Secunden jeder Umlauf beträgt; jet 
verwandle man dieſe Zage, Stunden und Minuten eines 
Umlaufs in Seeunden, multiplizire fie mit der Zahl des Umz 








Nachtrag zur Siegegefhihte ASS 


lauf3, und fage dan: 280,000 Fahre haben fo und fo viel 
Secunden, wie viel ein Jahr? — Man thur wohl, wenn 
man diefe Berechnung mit jedem Planeten anftellt, um des 
Refultats defto gewiffer zu werden. E8 ift auch hier wieder 
erftaunlich , wie genau der Bengelfche Eyclus das Jahr bes 
ſtimmt! — denn | 


Caſſini, Blanchin und de la Hire berechnen die Jahreslänge 
auf 565 Tage, 5 Stunden, 49 Min. 


Keppler auf 365 Tage, 5 Stunden, 48 Min. 57 Ger. 
Rivin auf 365 Tage, 5 Stunden, 49 Min. 55 Sec. 
Ozanam auf 565 Tage, 5 Stunden, 49 Min. 16 Sec. 
Garcaͤus auf 365 Tage, 5 Stunden, 49 Min. 17 Ser. 
Ricciolus auf 365 Tage, 5 Stunden, 48 Min. 18 Ser. 


Tycho de Brahe auf 365: Tage, 5 Stunden, 48 Min. 50 Sec. 


Aus diefen Angaben fieht man mit Bewunderung, wie 
weit ed doc) die Aftronomen, und zu welcher Genauigkeit fie 
ed gebracht haben? und doch kommt Feiner mit dem Andern 
vollfommen überein; Ricciolus hat die geringfte Zahl: names 
lih 48 Minuten und 48 Secunden, Garcaus aber hat die 
größte, nämlich 49 Minuten und 17 Secunden, fo daß alfo 
der ganze Unterfchied nur 29 Secunden, folglich nicht einmal 
eine halbe Minute — auf ein ganzes Jahr beträgt. Es ift 
erftaunlich — die größten Sternfundiger haben ed durch ihre — 
immer noch mangelhafte Werkzeuge und fünftliche Berechnuns 
gen, doch dahin gebracht, daß fie die Länge eines Jahrs bis 
auf eine halbe Minute beftimmen fünnen — aber nod 
erftaunlicher ift es doch, daß der Seift der Weif: 
fagung, dem der Weisheit und Verftand hat und. 
rechnen Ffann, in der geheimnißvollen apocas 
lyptiſchen Progreffion, durch den Bengelfhen. 
Cyclus, die allergenauefte Jahreslänge ganz 

beſtimmt anzeigt; fie beträgt nämlich 565 Tage, 
5 Stunden 49 Minuten und 12 Secunden;z kei— 
nen Augenblid mehr, und feinen weniger — 
folglich hat Ricciolus 24 Secunden zu wenig, und Garcäus 
5 Secunden zu viel, alfo geht auch hier wieder unfer Cyclus 
den Mittelweg, folglich den Weg der Wahrheit. 


454 Nachtrag zur Siegsgefchichte. 


Die Venus läuft 455,113 mal in 280,000 Jahren um 
die Sonne, folglich braucht fie zu einem Umlauf 224 Tage, 
17 Stunden 1 Minute und 24 Sekunden. De la Hire hat 
59 Minuten weniger, und Keppler 56 Minuten mehr, fo 
daß alfo der Eyclus wieder das Mittel hält. 


Der Merfurius macht in 230,000 Jahren 1,162,557 Ums 
läufe; ein Umlauf beträgt alfo 87 Zage 25 Stunden 14 
Minuten und 1 Sekunde; Keppler hat 25 Sekunden mehr, 
. Andere wiederum weniger, 


Dieß mag nun zu meinem gegenwärtigen Zweck hinlaͤng⸗ 
lich und genug ſeyn, um unwiderſprechlich zu beweiſen 


1) Daß die Offenbarung Johannis wahrhaftig eine 
göttliche Offenbarung fey: denn niemand ald Gott kann a 
priori den wahren und richtigen Maaßſtab der Zeiten des 
ganzen Weltalls wiffen, und 


2) Daß Bengel wirklich dad apocalyptiſche Rechnungs: 
Raͤthſel gelößt habe, folglich auch feine prophetifche Zahlen 
beftinmung die wahre fey. 

Aus diefem Allem fehen wir nun, daß jeber Planet fein 
eigenes Zeitmaaß, fein ihm eigenthümliches Jahr hatz denn 
dieß wird durch feinen Umlauf um die Sonne beftimmt. 
Geſetzt aber nun, es wohnten vernünftige Gefhöpfe in der 
Some, alfo im Mittelpunkt unferes Weltfyftems, fo fragt 
fih, was di eſe für ein Zeitmaaß haben würden? Ant. Das 
große Weltjahr würde der große Maaßftab ihrer Zeiten 
feyn; denn nad) Ablauf von 280,000 unferer irdifhen Jahre 
würden alle Planeten in einer geraden Linie fo übereinander 
ftehen, daß dem Sonnenbewohner, der gerade unter diefer 
Linie ſtuͤnde, der Merkurius alle übrigen Planeten verbeden 
würde; bie Unterabtheilungen der Zeit beftimmten dann die 
Umläufe der Planeten. 

Wer nun auch gerne wiffen möchte, wie fich die Bewegung 
der Firfterne und der Monden, oder Planeten, Trabanten 
zum Bengelfchen Eyclus verhält, der muß die obenangeführ: 
ten Bücher lefen, und er wird Wunder finden, flaunen — 
und wenn er Gefühl hat, auch anberen. Befonderd muß man 








Nachtrag zur Siegsgefhichte. 455 


die tieffinnigen und Faum zu ergründenden aftronomifchen 
Berechnungen des würdigen Carlsruher Verfaffers bewundern. 

Jetzt hoffe ich ven chriftlichen Lefer überzeugt, und der Bengel: 
ſchen prophetifchen Zeitrechnung Kredit verfchafft zu haben, es 
fommt alfo nur noch darauf an, daß man fie dem Sinn der 
MWeiffagung gemäß anwendet. Wie dieß von Bengel felbft, 
vom Garlöruher Verfafler, und von mir gefchehen fey, das 
zeigen unfre Schriften; — id) meined Orts finde noch im: 
mer feinen Grund, irgend etwas von diefer Anwendung in 
meiner Siegsgeſchichte zu Ändern, ich hab fie nochmals auf: 
merkfam gelefen, und bin immer damit zufrieden. 

Die Anwendung der apofalyptifchen Progreffion — fo will 
ic) um der Kürze willen dad Bengelfche Syftem nennen — 
Faun und darf ſchlechterdings nirgends als in 
der Apocalypfe felbft gebraucht werden: denn bie 
Zahlen des Thierd, die Zeiten des Weibes, die wenige 
Zeit ded Drachen, der Chronus der myftifhen Jeſabel, 
und der Seelen unter dem Altar, die taufend Jahre des 
Reichs Chriſti, und die 1260 Tage des Sonnenweibes, 
füllen die ganze Progreffion aus — denn 

1115 Jahre machen die halbe Zeit des Sonnenweibes aus. 

222% Jahre find die eine Zeit defjelben. 

555% Zahre oder anderthalbe Zeit find zwar in der Apo— 
calypfe nicht genannt, aber fie enthalten den Zeitraum der 
ſechs erfien Siegel — nämlidy von Ehrifti Geburt bis zum 
Sieg der hriftlichen Religion über das Heidenthum. S. ib: 
bons Abnahme und Verfall des Römifchen Reiche. 

4443 Jahre find die zwo Zeiten des Sonnenweibes. 

5553 Jahre find wiederum in der Apocalypfe nicht aus: 
drüclich genannt worden, aber fie finden ſich gar leicht, 
weun man folgende Beobachtung. wohl beherzigt: 

Der Anfang des Auffteigens des Thiers aus dem Meer 
gefhahe im Jahr 1059, ©. Siegsgeſchichte S. 275, hier: 
zu 666 Jahre addirt, macht 1725, das Jahr, in welchem . 
die erfte und entfernte Vorbereitung zum Reiche des Thiers 
. aus dem Abgrund, und zum Fall des Thiers aus dem Meer 
gemacht wurde, Im Jahr 1170 hatte das Thier aus dem 


a 


456 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Meer feine volle Gewalt errungen, hiezu wiederum 666 ad: - 


Dirt, entfleht die Jahrzahl 1856, wo vermuthilc das Thier 
aus dem Abgrund gerichtet wird; der Anfang des Auffteigens 


des Thiers aus dem Meer war alfo 1059, das Ende diefes 


Auffteigens: oder die Erlangung der vollen Gewalt, eine 
halbe Zeit, nämlich 111: Fahr fpäter, und eben fo füllt den 
Zeitraum zwifchen 1725 und 1856 wieder eine halbe Zeit, 
daß tft 111 Jahre aus, in welden das Thier aus dem 
Meer ins Nichtfeyn geräth, dann ins Thier aus dem Ab: 
grund verwandelt, fein letztes Würhen und Toben ausübt, 
und dann gerichtet wird. Die hoͤch ſte Gewalt diefer 
feindfeligen Macht wäre alfo von 1170 bis 1735, 
das ift 555 Jahr; folglich iſt dieß das Glied der 
Progreffion, weldes bisher inden Erflärungen 
der Apocalypfe fehlte, und welches man daher in den 
fiedenzig Wochen Daniels ſuchte; ich werde weiter unten 
meine. Gedanken darüber fagen, Die ganze Währung des 
Thiers, von feinem erften Keim an, wie ed aus dem Schooß 
der Sfabel entfpringt, bis. an feinen endlichen Sturz, find 
alfo eine halbe Zeit im Auffteigen, zwo ynd eine halbe Zeit 
im Genuß der vollen Gewalt, und wieder eine halbe Zeit 
im Abnehmen, legten Würhen und Gericht, alfo 777 Jahr, 


welche auch die vierthalb Zeiten des Sonnenweibes beftim- | 


men, und mit diefen parallel laufen. ©. Siegsgeſchichte 
S. 249. 

6668 Jahre find die Besen des <hiers, und 
die Schlüffel= Zahl des ganzen Geheimniffes. 

777% Sahre machen die viertehalb Zeiten des Weibes, und 
auch die mit ihnen zugleich laufenden Jahre der Währung 
des Thierd aus, wie ich fo eben bemerft habe. 

3888 Fahre bezeichnen die wenigen Zeiten des Drachen von 
feinem Sturz aus dem Himmel, bis zu feinem Br in 
den Abgrund. 

999% Jahre find die taufend Jahre des Reichs Ehdrit 
auf der gegenwärtigen Erden, und endlich 

11114 Jahre beftimmen die Länge des Chronus, oder ber 
Zeit, welche der untreuen Jeſabel zur Buße vergonnt wird; 





Nachtrag zur Siegsgefhichte, 457 


die Dauer des Wartens der Seelen unter dem Altar ift 
ebenfalld ein folcher Chronus, und beide Chroni laufen ges 
nau und zugleich nebeneinander. 

Die Offenbarung Zohannis enthält in erhabenen Sinn 
bildern die weiffagende Gefchichte des neuen Bundes vom 
Ende des erften Zahrhundertd an bis zum vollen Gieg des 
Reichs des: Lichts Über das Neich der Finſterniß; die Zeits 
beftimmungen diefer Gefchichte find räthfelhaft und verbors- 
gen, und erft in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, 
alfo gerade zu der Zeit, in welder die Kenntniß derfelben 
anfing nothwendig zu werden, von Bengel entdeckt worden. 
Daß hier der Geift der Weiffagung die Zeitzahlen des Geifterz 
reichs mit den irdifchen menfchlichen Zeitmaaßen in Berbins 
dung brachte, iſt fehr geziemend: denn beide Geifter: 
reihe find während dem ganzen Kampf, von 
Anfang bis zu Ende, mit denen zu ihnen geh: 
rigen Menfchen, in einer fräftig mitwirkenden 
Vereinigung — welches von Anfang der Welt an, bis 
auf Ehriftum nie der Fall war; und eben darum paßt aud) 
die apocalyptifche Progreffion zu den prophetifchen Zeitbes 
flimmungen des alten Teftamentd ganz und gar nicht, und 
fie. gehört ganz allein und ausfchließlich zum neuen Zeftas 
ment. Bengel hat zwar dad Glied 5555 auf die 70 Wochen 
Danield angewendet, und eben fo viel Jahre laffen fich auch 
bequem in der Zeit, von Erbauung der, Stadt Gerufalem 
nach der babylonifchen Gefangenfchaft an bis auf Chriftum, 
und die endliche Zerfidrung durch die Römer ausfindig mas 
chen, allein mir kommt doch diefe Erklärung aus zweien Ur: 
fachen etwas gezwungen vor : denn, 

1) Sagt der. Engel zu Daniel, fiebenzig Wochen find 


beſtimmt ur f. w,; wollte man hier die apocalyptifche Woche, 


welche ungefähr 33 Jahr beträgt, zum Maafftab nehmen, 
fo betrügen jene 70 Wochen noch Feine 300 Jahr — welder 
Zeitraum viel zu kurz iſt; will man aber obige 5553 Jahre 
durch die Zahl 70 zu Wochen machen, fo fommen auf eine 
Woche fait 3 Jahr, acht iſt aber feine Wochenzapl, ſon⸗ 
dern fieben; und 


458 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


9) Mußte ja die prophetifche Zeitbeftimmung dem from- 
men Forfcher in jenem Zeitraum zwifchen Daniel’ und Chrifto, 
und der legten Zerftörung Serufalems, wenigftens verfiänd- 
liche Winke geben, und nach, oder bei der Erfüllung mußte 
fie ganz klar und einleuchtend feyn. Dieß alles war aber 
der Fall nicht, wenn die wahre Zeit der 70 Wochen erft bei⸗ 
nahe 2000 Jahre faäter entdeckt werden konnte. | 

Ich bleibe alfo ohne Bedenken bei der alten Erklärung, 
durch welche eine Woche zu fieben Jahren angenommen wird, 
fo daß alfo die 70 Wochen 490 Jahre ausmachen; zuvers 
laͤßig haben auch zu jenen Zeiten die frommen Juden fo ge: 
rechnet. -E3 ging ihnen aber vermuthlich eben fo, wie 88 
und auch jegt mit der Apocalypfe geht: fie wußten den Zeite 
punkt, wo die 490 Jahre anfingen, nicht fo genau, und konn⸗ 
‚ten alfo auch Jahr und Zag der Geburt Chriſti und der 
Zerftörung Serufalems nicht fo genau angeben, aber fo viel 
wußten fie doch, als fie nöthig hatten, um das rechte Tempo 
nicht zu verfehlen. 

Alle prophetifche Beisbeftitnmunken des alten Teftaments 
find blos irdiſche Zeitmaaße; alle, auch vie räthfelyaften, 
löfen fih in menfhliche Fahre und Tage auf. Nur der 
Prophet Daniel ahnt von weiten, da, wo er in die entferns 
ten leiten Zeiten hineinblickt, apocalyptifche Zeitbeftimmungen, 
zu deren Enthüllung vieleicht unfre Progreffion vieles beis 
tragen Fan. Uebrigens muß, meines Erachtens, in jedem 
Propheten auch der Schlüffel zu TA Geheimniffen gefucht 
und gefunden werden. 

Die Zeitrechnung, der Gang der Geſchichte der Menſchheit, 
und ihre merkwuͤrdigſten Zeitpunkte von der Schöpfung an 
bis daher, richten fi) auch im Geringften nicht nad) der 
apocalyptifchen Progreffion; weder halbe noch ganze Zeiten, 
weder prophetifhe Monate, Wochen, Zage oder. Fahre, 
oder Chroni fliehen in irgend einer Verbindung oder 
irgend einem Verhältniß mir der Gefchichte der Menſch⸗ 
heit, und ihres WBaterlandes ver Erde, folglich zweifle 
ih auch fehr an der Bengelifchen Behauptung, daß die 
Erde fieben Ehroni, bis zu ihrer endlichen Umwand— 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 459 


lung, am: jüngften Tage in ihrem: gegenwärtigen Zuftand 
dauern, oder daß fie 77777 Jahre fiehen werde, — Wenn 
man die Chronem vom 11115 Jahren in die allgemeine Welt: 
gefchichte, oder auch in die befondere des Volks Gottes bringt 
und fie zum Maaßſtab gebrauchen will, fo paſſen fie nirgends 
bin, und die mittleren Glieder der Progreffion 22223, 3555, 
44445, 55554, und 66665 machen nirgends merkwürdige 
Zeitpunfte aus, wie fommt denn num die Zahl 77777 dazu, 
daß fie die Weltdauer beftimmen fol? — Laßt uns mit der 
herrlichen apocalyptifchen Progreffion nicht weiter gehen „ als 
wozu fie beſtimmt iſt; weder die Apocalypfe noch irgend: eine 
Stelle im der ganzen heiligen Schrift gibt auch nur den ents 
ferntefien Grund zu diefer Vermuthung an die Hand: denn 
dag im 20ften Kapitel der Offenbarung Zohannis von zweir 
mal aufeinander folgenden taufend Fahren die Rede fey, das 
hat — meines Wiffens — fein Menfh von Johannis an 
bis auf Bengel geglaubt und im Text gefunden; und der 
ehrwürdige Mann fand es auch wohl allein deöwegen, um 
die fieben Chronos der Weltdauer herauszubringen. Laßt. 
uns doch unpartheiifch, unbefangen die Stelle betrachten, und 
um recht ficher zu gehen, will ich hier Bengels eigene Ueber: 
fegung gebrauchen: Dffenb. Joh. 20. 0. 1. Und ich fahe 
einen Engel, der aus dem Himmel herabfuhr, der hatte den 
‚Schlüffel des Abgrunds, und eine große Kette auf feiner Haud. 
v. 2. Und er griff den Drachen, die uralte Schlange, 
welche ift der Teufel und Satanas, und band ihn taufend 
Sahr. | 
v. 5. Und warf ihn im den Abgrund, und fchloß zu, und 
verjiegelte über ihm, daß er nicht mehr verführen ſollte die 
Nationen, bis vollendet würden die taufend Jahr, dar: 
nad) muß er los werden eine Kleine Frift. 
09 4 Und ich fahe Thronen, und fie-fagten fich darauf, 
. amd ein Gericht ward ihnen gegeben: und die Seelen deren, 
die mit dem Beil hingerichtet worden waren, um des Zeug: 
niſſes Zefu und um ded Wortes Gottes willen, und die 
nicht angebetet hatten das Thier noch) deffen Bild, und nicht 
. genommen hatten das Mahlzeichen auf ihre Stirn, und auf 


460 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


ihre Hand: und fie wurden lebendig und regierten mit Chris 
fio taufend Jahr. 

v. 5. Die übrigen von den Todten wurden nicht [ebendig, 
bis die taufend Jahre vollendet wurden. Dies ift die 
erfte Auferftehung. 

v. 6. Selig ift der und heilig, der Theil hat an der er= 
ften Auferftehung, über diefe hat der zweite Tod feine Macht, 
ja fie werden Priefter Gottes und Ehrifti feyn, und mit Ihm 
regieren taufend Jahre. 

v. 7. Und wann die taufend Jahr vollendet ſind, wird 
der Satanas los werden aus ſeinem Gefaͤngniß u. ſ. w. 

Dieſe Stelle erklaͤrt Bengel folgender Geſtalt, er nimmt 
an, daß die tauſendjaͤhrige Gefangeuſchaft des Satans, 
welche im Iften. 2ten und Sten Vers befchrieben wird, mit 
1336 angehen und fi) mit 2856 endigen würde; hierauf 
würde der Satan wieder loögelaffen, er verführte dann Gog 
und Magog; diefe würden mit Feuer vom Himmel von der 
Erden vertilgt, Satan felbft in den Feuerofen geftürzt. ©. 
v. 7—10, und nun erfi gingen die taufend Jahre an, in 
welchen die Heiligen mit Chrifto nah dem 4. 5. und 
sten Vers regieren follten, darauf würde dann endlich nach 
dem I1ten bis 15ten Vers — und zwar nad) Ablauf von 
77772 Sahren, von der Schöpfung an gerechnet, der jüngfte 
Tag kommen. 

Jetzt laßt uns, nur einmal ruhig und ohne Vorurtheil dieſe 
- fieben Verfe in ihrem natürlichen Zufammenhang betrad): 


ten! — Erſt fieht Johannes einen Engel den Satan mit. 


einer Kette binden, in den Abgrund flürzen, und ihn da 
einfchließen, dabei wird ihm dann gefagt, daß dieſe 
Gefangenfchaft taufend Fahre währen, und dann Satan eine 
Heine Zeit losgelaffen werden folte. Nachdem der Apoftel 
dieß gehört hat, und Satan nun drunten in Abgrund ift, 
fo fieht er ferner, daß ein Gericht gehalten wird, in welchen 
man den Blutzeugen und treuen Belennern des Herrn das 
hohe Glück zuerkennt, daß fie nun taufend Fahr mit Chrifto 
auf der Erden regieren, und Könige und Priefter feyn follten. 
Die andern Todten aber Alle follten nicht auferftchen, bis die 


Nachtrag zur Siegsgefchichte, 461 


taufend Fahre vorübergegangen wären — und wenn nun die 
taufend Jahre verfloffen wären, fo follte der Satan eine 
feine Zrift Tosgelaffen werden, Gog und Magog verfüh: 
ven, und dann mit diefen gerichtet werden. Darauf follte 
dann das jüngfte Gericht folgen. \ 

Wer von Bengeld Syftem nie etwas gehört hat, der kann 
unmdglidy einen andern Verſtand in diefen Stellen finden. — 

Man bedenke doch, wie fonderbar es heraus fommt, wenn 
ic) nad) den drei erften Verfen, den 7ten, Sten, 9ten und 
10ten, dann wieder den Aten, 5ten und 6ten, und nun ende 
lih vom 11ten bis zum 15ten lefen fol — und das muß 
ich doch, wenn man Bengels Meinung herausbringen will. — 
Mo bleibt da Gewißheit, wenn man die Ordnung des Vors 
tragd ändern darf? — was aber endlich der ganzen Sache 
den Ausfchlag gibt, und beruhigend beweißt, daß hier nur 
von einem taufend, und nicht von zweien die Rede fey, das 
ift die unzweifelbare Verbindung des Schluffes des 6ten Ver: 
fes mit dem Anfang des fiebenten; — es heißt, fie werden 
DPriefter Gottes ‚und Ehrifti feyn, und mit Ihm regie— 
rentaufend Fahr. — V. 7. Und wenn die taufend 
Jahr vollendet find, dann wird Satan wieder los 
werden, u. ſ. w. Gagt, wie ift ed doch möglich, hier zu 
glauben, der Anfang des 7ten Verfes müffe mit dem Schluß 
des dritten, und der Schluß des fechsten mit dem Anfang 
des Akten verbunden werden? — man fucht die Idee, von 
zwei faufend auf einander folgenden Jahren, noch durch zwei 
Gründe zu beftärfen: der Erfte ift folgender: 

Der Prophet Ezechiel befchreibt im 5sften und 3Yften Ka— 
pitel feiner Weiffagung den Sieg des Volks Gottes über 
Gog und Magog; nun fest aber die Apocalypfe diefen Sieg 
nad) den taufend Jahren, ©. Kap. 20; v. 3. 9. Ezechiel 
läßt aber auf diefen Sieg noch die Befchreibung des neuen 
Tempels, des gelobten Landes, und deffen Austheilung uns 
ter die nunmehro wieder verfammelten und befehrten Iſrae— 
liten folgen, — daraus fihließt man nun, daß nad) dem Sieg 
über Gog und Magog erft die taufend Jahre des Reichs 
ChHrifti auf Erden, in welchem die Heiligen mit Ihm regier 


462 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


ren folfen, folgen werden, und daß die taufendjährige Gefan- 
genfchaft des Satans vorhergehen müffe. Das Bindende 
dieſes Beweifes berupt alfo blos darauf, daß Ezechiel das 
Gefiht vom neuen Tempel und neuen Jeruſalem nach der 
Vertilgung Gogs und Magogs befchreibt. — 

Wenn wir nun wieder diefe Stellen ruhig und unpartheiifch 
prüfen, fo finden wir zween Wege, auf deren jedem diefer 
Beweis völlig entkräfter wird: 

1) Ezechiel befchreibt im 536ſten und STften Kapitel die 
Bekehrung des Volks Iſraels, feine Sammlung aus allen 
vier Welttheilen, und ihre Wiederkehr zu ihrem Vaterland ; 
diefes Alles geht nun bekanntlich vor, wenn die Fülle der 
Heiden eingegangen iſt, und das taufenjährige Reich anfängt; 
diefen Zeitraum bejchreibt er nun auch in gemeldeten Kapi- 
teln als eine glücfelige Zeit, dann laßt er die Niederlage 
Gogs und Magogs darauf folgen Kap. 38. und 59., und 
nun fommt dann das Geficht vom neuen Serufalem, Kap. 40. 
bis 48. Der natürliche ungezwungene Verftand der Ezechiel: 
ſchen Weiffagung, fo wie er auch von jeher angenommen 
worden, ift folgenderz der Prophet. befchreibt vom Zoften 
bis 3gften Kapitel fummarifch die endliche Erlöfung feis 
ned Volks, feine Gluͤckſeligkeit im taufendjährigen Reich, und 
dann die endliche totale Niederlage aller Feinde; und nun 
geht er ins Einzelne über und befchreibt nun auch die 
theokratifhe Polizei und Einrichtung während diefen taufend 
Jahren. Daß fich die Weiſſagung nicht an die Zeitfolge in 
der Erfüllung Binde, davon haben wir einen deutlichen Bes 
weis im Söften und Z7ften Kapitels denn im 36ſten wird 
der glückfelige Zuftand des Volks Gottes während den tau— 
fend Jahren erzähle, und nun folgt erft im 37ften die Be 
tehrung Iſraels und feine Sammlung aus allen Heiden, 
weldes Alles doch natürlich vor jener glüdfeli- 
gen Zeit hergeben muß. Will man aber 

Fürs zweite Ezechiels Befchreibung des neuen Zerufalems 
durhaus auf die taufend Zahre folgen laffen, fo kann 
man and) die Erfüllung mit Off. Joh. 21. und 22. verbine 
den, und fie auf den Zuſtand des Reichs Gottes auf der vers 





Nachtrag zur Giegsgefchichte. 465 


klaͤrten neuen Erde, unter dem neuen Himmel, und in dem 
neuen Serufalem anwenden, welcher auf den jüngften Tag 
folgen, und: in die ewige Ewigkeit dauern wird; dann aber 
müffen die prophetifchen Bilder ih einem geflicen und 
binmlifchen Sinn verftanden werden. 

Der zweite Grund, worauf die Meinung von zweien auf⸗ 
einanderfolgenden Jahrtauſenden beruhen ſoll, findet ſich im 
Propheten Habacuc, Kap. 5. v. 2. wo es heißt: Jeho vah, 
dein Werk mitten in den Jahren, ſey das Leben deſſen, 
den du mitten in den Jahren bekannt machen wirſt — 
dieſe Ueberſetzung iſt die richtigſte — und der klare deutliche 
Sinn iſt folgender: Jehovah, dein Hauptgeſchaͤfte ſey, oder 

laß ſeyn, daß du in der Mitte der Jahren den Welt— 

-  Erlöfer ins irdiſche Leben rufft, und Ihn in der, Mitte 
der Jahren befannt machft, hier fol nun der Hauptbeweis 
in den Worten — mitten in den Jahren — oder in der 
Mitte der Jahren, liegen: denn wenn die Weltdauer nur 
7000 Jahre währt, Ehrifius aber gegen das Ende des vier: 
ten Fahrtaufends geboren. worden ift, fo find ja faſt 4000 
Jahr vor feiner Geburt, und etwas äber 3000 nach feiner 
Geburt verfloffen, und fo fällt das irdifche Leben Chriſti 
nicht in die Mitte der Jahren — nimmt man aber 77777 
Sahre zur Weltdauer an, fo fommt man der Wahrheit am 
nächiten. f 

Lieben Freunde! — laßt uns nicht buchſtaͤbein! — wer 
wird deun behaupten wollen, daß die Bäume des Lebens und 
des Erfenntniffes des Guten und des Böfen, geometrifch ge: 

meſſen, und auf Ruthen-und Fuß genau berechnet, mitten 
im Paradies geftanden hatten? — oder wenn einer ſagt: dies 
oder das fol in der Mitte ver Wochentage gefhehen, und 
ich wollte dann behaupten, es müffe gerade Mittwochs Mitz 
tags ausgeführt. werden! — der Prophet will zuverläßig 
weiter nichts fagen, ald: Jehovah werde in den mittlern 
Weltzeiten das Erlöfungswerf ausführen und bekannt ma— 
chen, und das ift auch wirklich gefchehen. Was wiirde ans 
den Weiffagungen werden, wenn man Rufe buchftäblich mit 
ihnen verfahren wollte? r j 


464 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


sch bleibe alfo feft bei der allgemein bekannten, won jeher 
von vielen berühmten und. frommen Männern angenommenen 
See, daß Ehriftus nach feinem Sieg über die Macht der 
Finfterniß, ein. glücfeliges Reich des Friedens hier auf Er= 
den fliften werde, deffen Dauer taufend Jahre feyn wird, 
während welcher Zeit der Satan in dem Abgrund eingefchlof: 
fen ift, hernach aber eine Kleine Frift losgelaffen wird, wo 
er dann das Maaß der Sünden voll macht, und dann auf 
ewig in den Schwefelpfuhl geftärzt wird. Hierauf wird dann 
das allgemeine jüngfte Gericht folgen, Himmel und Erde 
verneuert, und auf diefer verflärten Erde, mit der Hernies 
derkunft des neuen Jeruſalems, das ewige Reich des 
Herrn errichtet werden. 

So einfad und dem buchftäblichen ungezwungenen Der: 
fand gemäß, nehme ich die Sache und wende das theure 
Geſchenk Gottes, die apocalyptifche Progreffion da an, wo: 
hin fie der Geift der Weiffagung angewiefen hat, nämlich 
auf die Apocalypfe, und in derfelben auf den ganzen Zeitlauf 
des Kampfs zwifchen dem Lamm und dem Drachen mit feis 
nen Adjutanten; aufjferdem aber Fann ich fie in den übrigen 
MWeiffagungen der heiligen Schrift nicht brauchen, 

Wenn alſo nun die Bengelfche Beftimmung der Weltdauer 
von 77773 Zahren ungegründet ift, fo entfteht die. Frage: 
ob man denn: feine andern prophetifche Winfe habe, aus des 
nen man die wahrfcheinliche Vermuthung ziehen Fünne, wie 
lang die Welt ſtehen werde? — Ich hab in meinem 
Taſchenbuch für Freunde des Chriſtenthums auf das Fahr 1805, 
Nürnberg bei Raw, dem Publitum zwei Abhandlungen mits 
getheilt, in welchen ich mich über diefen Gegenftand weit: 
laͤuftig erklärt habe. Die Erſte fängt S; 82. an, und heißt: 
Berichtigung zweier foheinbaren Unrichtigkfeiten in der bibli— 
fhen Zeitrehnung, und die Andere finder fih ©. 100. und 
hat den Titel: Bemerkungen über die heilige Siebenzahl. 

Merkwuͤrdig ift es, daß ein gewiffer Freund, Herr Kelber 
zu Haltenbergfterten im Hohenlohifchen, gerade in der Zeit, 
als ic) an obengedachtem Zafchenbuch arbeitete, ohne daß 
Einer von des Audern Vorftelungen über diefen Gegenftand | 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 466 


das Geringſte wußte, ein Tractaͤtchen ſchrieb, welches den 
Titel hats „Vernuͤuftige und Schriftmaͤßige Gedanken über 
die Schoͤpfung, warum ſie in ſechs Tagen vollendet worden, 
und Gott am ſiebenten geruht habe“ — und mir dann dies 
Manuſcript zur Prüfung zuſchickte. Ich las dieſe wenige 
Bogen mit Aufmerkſamkeit, und fand nun mit Verwunderung, 
wie uͤbereinſtimmend dieſer Freund in dieſer Sache, im Gan⸗ 
zen wie in den Theilen, mit mir denkt, außer daß er in der 
bibliſchen Zeitrechnung in etwas von mir abweiche. Ich 
hab nun dies Manuſcript an Freund Raw abgeſchickt, der 
es bereits zum Druck befoͤrdert hat. Um aber doch hier keine 
Luͤcke zu laſſen, will ich unſer Beider Ideen hier mittheilen: 
Bott hat durch die ſechs Schoͤpfungstage, und den fiebens 
ten Ruhetag, ganz zuverläßig ein Zeitmaaß beftimmen wollen, 
und wirklich beſtimmt: denn von Anfang der Welt an hat 
man fieben Tage oder eine Woche, dann den Monat von 
einem Neumond zum andern, und dann das Jahr von zwölf 
ſolcher Monate, zum berechnen der Zeitläufte gebraudht. — 
Späterhin wurde‘ diefe- Zeitbeftimmung noch merkwuͤrdiger, 
als Gott im Levitifchen Gottesdienft den Sabbath zur feiers 
lihen Ruhe und religidfen Uebungen verordnete, immer das 
fiebente Jahr ald ein Sabbath Jahr, und nach fiebenmal 
fieben Jahren das 5ofteald den großen Sabbath, das große 
Jubel- und Erlaß-Jahr feftfegte. Von der Zeit an find auch 
Juden, Ehriften und Muhamedaner, auch die heidnifchen 
eultivirten Nationen, bei diefer Eintheilung in Wochen, 
Monate und Jahre, geblieben, und dadurch ift alfo nun eine 
beſtimmte Zeitrechnung, ‚von der Schöpfung an bis auf 
uunſre Zeiten möglich geworden, welche dann auch in unferer 
- Bibel, und zwar in diefer auch ganz allein richtig enthals 
tn ifke: : 
Durch die Bemühungen gelehrter Bibelforfcher find wir 
nun fo weit gefommen, daß wir wenigftens bis auf zehn oder 
zWwanzig Jahre genau beftimmen koͤnnen, wie lang die Welt 
geftanden habe — Ehriftus wurde 4000 Jahr nach Erſchaf⸗ 
fung der Welt geboren, S. meine oben angeführte Abhands 


lung im Taſchenbuch — jetzt finds nun 1804 oder vielmehr 
Stilling's fimmil. Schriften. II. Band. 50 


465 Nachtrag zur Siegsgefchichte. 


1807 Jahr — denn unfere Jahrzahl ift um brei Zahr zu 
Fein — daß diefe merkwuͤrdige Geburt gefchehen ift, folglich 
ift jeßt die Erde und mit ihr die Menfchheit 5804 oder 5807 
Sabre alt; da aber in den Gefchlechtsregifter der Erzvaͤter 
immer volle Jahre angezeichnet ftehen, da doch gewiß bei der 
Geburt des Einen, einige Monate mehr ald das angezeigte 
Jahr des Vaters, oder auch einige Monate weniger waren, 
fo entfpringt vaher einige Ungewißheit,' die wohl von Adam 
an bis dahin, wo man anfing genauer zu rechnen, 10 bis 
höchftens 20 Jahr betragen kann — indeffen bleiben wir bei 
der nun einmal angenommienen Sahrzahl, aber eben deßwe— 
gen müffen wir nun auch fo vorfichtig feyu, daß wir bie 
fünftigen Vorfälle nicht mit Gewißheit auf Seht, Tag und 
- Stunde beftimmen wollen. ’ 

Eben darum hat der weife Weltregent diefe Ungewißheit 
in die Zeitrechnung verwebt, damit niemand genau die Zeite 
punkte, wann dies oder das gefchehen foll, genau wiffen und 
beftimmen koͤnne. 

Drei wichtige Winfe haben wir, daß auch die fieben 
Schöpfungstage ber Maaßſtab find, der die Weltvauer bee 
fimm: | 

Der erfte ift eine urdlte Sage, die man die Tradition des 
Haufes Eliä nennt, und die von den Juden fehon zu den 
erſten Chriften übergegangen ift, nämlich: daß die Erde mit 
ihren Bewohnern 6000 Jahre im gegenwärtigen Zuftand bleis 
ben, und dann das fiebente Jahrtauſend der große Sabbath 
ſeyn werde. Diefe Vorftellung ift auch von den Zeiten der 
erſten Chriften an, bis daher von fehr frommen und gelehrs 
ten Männern für wahrfcheinlich gehalten worden. 

Der zweite Winf gibt diefer Idee noch ein großes Gewicht 
und einen höhen Grad der Wahrfcheinlichkeit: es ift namlich 
ſehr merkwuͤrdig, daß fich dieſe taufendjährigen Wochentage 
in der heiligen Geſchichte fehr fharf und be 
ffimmt aus zeichnen. — | 

Sm erften Jahrtauſend, von Adam an bis nad) Henochs 
Aufnahme in den Himmel, war die Menfchheit in zwei Klaſ⸗ 
fen, in Kinder Gottes, oder in die Familie Seths, und in 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 467 


Kinder der Menfchen, das ift in die Familie Cains getheilt, 
die Gottfeligkeit der Erften nahm immer mehr ab, uud die 
Gottlofigkeit der Zweiten nahm immer mehr zu. 

Im ‚Anfang des zweiten Fahrtaufends wurde Noah, der 
zweite Stammpvater der Menfchheit, geboren: dieſer ſuchte 
Neligion und Gottesfurcht wieder empor zu Bringen, als 
aber alles fein Bemühen vergeblich war, fo brach gleich Nach: 
mittags an diefem großen Welttage die Suͤndfluth ein; Noah 
mit feiner Familie blieb allein übrig, und fliftete auf der 
wieder erneuerten Erde ein neues Menfchengefchlecht. 

Im Anfang des dritten Jahrtauſends wurde Abraham 
geboren, Mir diefem fing nun eine ganz neue Haushaltung 
Gottes an: denn Er fonderte diefen Glaubenspelden und 
feine gefammte Nahfommenfchaft von der ganzen übrigen 
Menfchheit ab, und bildete ſich daraus ein ganz eigenes 
Bundesvolf, welches der gefammten Menfchheit zum Mufter 
dienen, feine Offenbarungen aufbewahren, und dann den Melts 
Exlöfer der Menfchheit geben follte. Diefe Abrahamiten wur: 
den hernach Sfraeliten genannt; fie erwuchfen bald zu einem 
großen Volk, gelangten durch viele fchwere Wege und Schick—⸗ 
fale in das ihnen verheißene Land, lebten dort lange in eie 
nem theofratifcherepublifanifchen Zuftand, bis fie am Abend 
diefes dritten großen Welttages, gegen das Ende des dritten 
Sahrtaufends, ein mächtiged Königreich errichteten, welches 
unter David und Salomon zur she Stufe des Ruhms 
und des Glüds flieg. 

Mit dem Anfang des vierten Jahttauſends ſtand der Tem⸗ 
pel zu Jeruſalem in aller feiner Herrlichkeit da; von nun 
an wurde diefe Stadt die Nefidenz des Gottes Iſraels, und 
des Königs von Juda. Die Nation verfchlimmerte fich wies 
der, gerieth endlich in die babylonifche Gefangenfchaft, ein 


Heiner Theil des Volks, vorzüglich die Stämme Juda und _ 


Benjamin, kamen wieder in ihr Land, bauten Stadt und 
Tempel wieder, fämpften viele ſchwere Schickfale durch, bis. 
fie endlich von den Römern abhängig wurden. 

Der Anfang des fünften Zahrtaufends ift wegen des ntine 
ı mehr vollendeten Erlöfungs- Werks durch Jeſum Ehriftum, 
30 * 


468 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


durch das endliche Gericht uͤber die juͤdiſche Nation, und 
den herrlichen Anfang der chriſtlichen Religion aͤußerſt merk⸗ 
wuͤrdig. Es bildet ſich nun aus Juden und Heiden ein 
neues Volk Gottes, welches anfänglich viele Truͤbſale erdul: 


det, dann aber in der großen roͤmiſchen Monarchie herrſchend 


wird,, und bei allem überhand nehmenden Verderben, doc) 
immer eine große Anzahl vortrefflicher Menfchen in fich enthält, 

Der Anfang des ſechsten Jahrtauſends ift auch zugleich 
der Urfprung des Thierd aus dem Meer, indem der Bis 
[hoff zu Rom, vorzüglid Gregsr ver fiebente, der um den 
Anfang dieſes Fahrtaufends geboren wurde, eine allge— 
meine weltlihe Monardie errichten, diefe fei- 
nem Thron und feiner Hierarchie unterwerfen, 
und fo an Gottes und Ehrifti ſtatt die ganze 
Menfhheitbeherrfchen wollte, Unter diefer Hertz 
fehaft wuchs das fittlihe Werderben zu einer ungehenern 
Groͤße, bis gerad in der Mitte diefes MWelttages die Res 
fermation neues Licht anzuͤndete und bis daher einen gro- 
Ben Theil Menfchen auf den Weg zum Leben geleitet hat. 
Nun aber fängt der Feind des menfchlichen Geſchlechts an, 
durch eine falfhe Vernunft: Weisheit die Ehriftenheit zum 


Abfall zu verleiten, und fo dem Thier aus dem Ab- 


grumd, das ift, der letzten menfchlichen feindfeligen Macht 
‚den Weg zur allgemeinen Herrfchaft zu bahnen, Wenn wir 
dies Alles nun ind Kurze ziehen, fo erfcheinen die ſechs 


Werktage des MWeltregenten fehr beftimmt und deutlich durch _ 


die Zeitabfchnitte der Jahrtauſende bezeichnet, ohne daß das 
geringſte Willkuͤhrliche dabei Statt findet. 
Am erſten großen Welttag: Kindheit der Menſchhei, 
Offenbarungen Gottes an fie und Erziehung. 

Am zweitens Gerichte Gottes über die verborbene Melt, 
Bildung einer neuen Menfchheit. 

Am drittens Auswahl und Beftimmung eines Oirndemn | 


Volks Gottes, und deffen Bildung zu einer ——— 


Nation. R 


Am vierten: Königreich, Verfall, Gericht und Refitution 


diefer Nation, Geburt des MWelterlöfers in derfelben. 








Nachtrag sur, Siegsgeſchichte. 469 
Am fuͤnftem: Bildung eines neuen Volks Gottes, durch 


den zur Rechten Gottes erhobenen Welt-Erldſer. 


Am fechsten: Kampf des Welt:Erlöfers und feines Volks 

gegen die feindfeligen Mächte der Finfterniß, um den Beſitz 
der allgemeinen Weltmonarchie; vollkommener Gieg 
Sefu Eprifti und feiner Öetreuen. 
- Am fiebenten: Befinehmung der allgemeinen Welt: Mos 
narchie', allgemeines glücfeliges Reich des Friedens nnd 
der Ruhe auf Erden; großer Sabbath der Menſchheit; am 
Abend leiter Verfuch des Satans; fein endliches Gericht; 
juͤngſter Tag. 

Wie ſchoͤn auch dieſe Zeitbeſtimmung mit der — 
tiſchen Progreſſion uͤbereinſtimmt, das wird ſich im folgen⸗ 
den Kapitel zeigen. Was nun endlich 

Den dritten Wink betrifft, fo gibt dieſen der Apoſtel Pes 
trus; und diefer bringt diefe Hypothefe beinahe zur Gewißs 


heit. — In feinem zweiten Brief im dritten Kapitel, fchreibt 


er feinen Zeitgenoffen,<wie ed unmittelbar. vor dem jüngften 
Tage, wenn der Satan nun fein Toben unter den Men: 
fhen aufs Höchfte treibt, auf der Erden ausfehen und 
bergehen werde, fie würden nämlich fagen: wo ift denn 
nun feine Zukunft? — Ihr habt fo lang von einer Zukunft. 
Chrifti gefprochen, und feht, es wird ja nichts daraus u. ſ. w. 
fie denken aber nicht daran, daß es vor der Sündfluth eben 
fo herging, und daß damals die Erde durchs Waſſer, dereinft 
aber durchs Feuer gerichter werden wird. Hier befommt 
nun der Apoftel gleichjam einen prophetifchen Eindrud, ins 
‚ dem er fagt: Aber dies Einzige foll Euch nicht 
‚ verborgen bleiben: daß ein-Tag beidem Herrn 
ift, wie taufend ce und taujend Jahre wie 
ein Tag. 
Wenn man diefe Stelle fo obenhin anfı eh, fo ſcheint ſie 
wuicht mehr ſagen zu wollen, als was auch Moſe im goften 
Palm im Aten Vers ſagt: denn taufend Zahr find vor dir 
‚wie der Tag, der geftern vergangen ift, und wie eine Nachts 
wache — eine Zeit von drei Stunden. — Hier fieht man 
glei, daß der Dichter nur die Ewigkeit Gottes im Auge 


470 tachtrag zur, Siegsgefchichte. 


hat, und daß Feine Zeit, fie fey Furz oder lang, bei Ihm 
ſtatt finde — taufend Fahre feyen Ihm wie Nichts, Bes 
denft man aber, daß diefe Wahrheit den Gläubigen, an 
welche Petrus ſchrieb, unmöglich verborgen feyn Fonnte, ins 
dem fie Juden und Heiden langft befannt warz und daß er 
doch fagt; Aber dies Einzige folleuh nicht vers 
borgen bleiben, daß bei dem Herrn ein Tag 
taufend Fahren, und taufend Jahre einem Tag 
gleich find, fo ift unmwiderfprechlich, daß ihnen der Apo⸗ 
fiel etwas Neues, etwas, daß fie noch nicht wußten, fagen 
wollte — und dies kann nun nad dem klaren Buchftaben 
nichts Anders feyn, als daß taufend Jahr ein großer Welt: 
tag, und ein großer Welttag taufend Fahr feyen, 

Nimmt man diefe drei, nunmehr ausgeführte Winfe zus 
fammen, fo findet man eine beruhigende Glaubensgewißheit, 
daß auch diefe vermuthende Zeitbeflimmung, die mit der 
Bengelfchen apocalyptifchen Progreffion — wie fih nun zeis 
gen wird, — fo fhon zufammentrifft, anzeigt, daß das 
Keich des Herrn und feine Zukunft ſehr nahe, vielleicht 
näher ift, als wir glauben und ahnen, 











) 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 471 


Du dritte Kapitel. 


Prüfung der Behauptung, daß im Jahr 1836 das Thier 
aus dem Abgrund und der falfche Prophet in den Feuers 
ofen, der Satan aber auf tanfend Jahr in den Mb: 
grund eingekerfert werden follen, Chriftus aber Eommen, 
und auf Erden ein taufendjähriges glückfeliges Reich 
des Friedens errichten werde, | 





— 


Es ift wahrlich unendlich viel daran gelegen, daß man 
fih nicht mit falfhen und truͤglichen Hoffnungen täufche, 
fondern daß man einen fichern Grund, völlige Gewißheit des 
Glaubens und Hoffens habe. Da nun die heilige Schrift 
Alten und Neuen Teſtaments, die einzige Quelle aller übers 


natürlichen , überfinnlichen Wahrheiten ift, welche die Vers 


nunft aus ihren phyfifchen Quellen nicht errathen, nicht herause _ 
arübeln Fann, fo kommt bier Alles darauf an, ob wirklich, 
deutlich und beftimmet, in der heiligen Schrift ohne einis 
gen Widerfpruch bejahet werden ? 

Wir wollen alfo fürs Erfte prüfen, was von dem Termin 
1856 zu halten ſey? — Wenn die römifche Hierarchie — 
infofern fie nach der weltlichen allgemeinen Herrfchaft firebt — 
denn diefe Tendenz allein, nicht Pabftthum, 
nicht Katholizismus — beftimmt den Charak— 
ter des Thiers aus dem Meer — wirklich dieſes 
Thier, diefe Monarchie ift, und wenn die Zahl 666, die An⸗ 
zahl feiner Regierungsjahre, feine ganze Währung beflimmt, 
fo ift es unwiderfprechlicy und gewiß, daß das Jahr 1856 der 
fpätfte Termin ift, den man annehmen kann. Da nun aber 
Dffenb. Zoh. 17. v. 18. ausdrädlich gefagt wird, daß das 
babyloniſche Weib die Stadt Rom fey, und daß auch ihre 


472 Nachtrag zur Siegsgeſchichte 


fieben Berge Sinnbilder der fieben Köpfe des Thiers ſeyen, 
auf dem das Weib reitet — ferner — da unter dem Bilde 
eines Weibes, das feinem Manne untrew wird, allemal eine 
abgewichene, untreu gewordene Religions: Gefellfchaft verflanz 
den wird, Ezechiel 25, und auch diefe Babylonierin augens 
fcheinlich ein Gegenbild der Braut des Lamms ift, fo kann 
unmoͤglich das alte heidnifche, fondern es muß das neuere 
hriftlihe, aber von Chriſto abgewichene, Nom, darunter 
verftanden werden. Eigentlich ift die Hure — nicht die 
Fatholifche Religion, nicht der Pabft — fondern die 
grundverdorbene Hierarchie und das Thier, auf 
dem fie reitet, dann die weltliche Herrfchaft über die ganze 
Erde. Endlich, da wir laut meiner Siegsgefhichte deutlich 
fehen , daß ſich die apocalyptifche Progreffion, durch die ganze 
Kirchengeſchichte bis dahin, herrlich legitimirt, und daß fie 
nun aud) fogar durch den Lauf aller Himmelskoͤrper, und 
das Weltall, fo weit wir ed kennen, fanctionivt worden, fo 
wird man von allen Seiten her gedrungen, die Zahl 666, 
diefe Grundzahl jener Progreffion, als die Anzahl der Regie- 
rungsiahre des Thiers aus dem Meer, und des Thiers aus 
dem Abgrund, welches Fein anderes als das Erfte, aber in 
veränderter Lage und Geftalt ift, anzuerkennen. — Folg— 
lich muß auch das Jahr 1856 der außerfie Tere 
min feyn, in welchem Chrifiuß alle feine Feinde. 
befiegt bat, und dann muß fpätftens daß glüds 
felige Reich des Friedens feinen Anfang neh—⸗ 
men. | * 
Nun wollen wir auch unterſuchen, welchen Termin uns die 
ſechstauſendjaͤhrige Werk: oder Wochentage an die Hand geben. 
Es kommt einem, dem erſten Aublik nach, ſonderbar vor, 
daß es 1 Moſ. 1, bei Endigung jedes Schoͤpfungs-Tage⸗ 
werks heißt: Es war Abend geweſen, und es war Morgen 
geworden, der erſte Tag — u. ſ. f. Wenn es hieße: es ward 
Morgen, und es ward Abend, ſo wuͤrde es uns ſo ganz recht 
und natuͤrlich vorkommen, aber jene Ausdruͤcke faſſet man 
nicht ſo leicht, und doch konnte Moſe nicht anders ſchreiben, 
denn es verhielt ſich wirklich ſo — es war ja erſt finſter auf 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 478 


ber Tiefe, dieß war der erfte Abend, nun ſchuf Gott das Licht, 
dieß war der Morgen, folglich war ed Abend gewefen, und 
Morgen geworden, dieß war dann der Anfang des erften 
Tags; da num aber der erfte Tag mit dem Abend angefans 
gen hatte, .fo blieb nun auch diefe Ordnung bei den folgens 
den Tagen; daher Fam es denn auch, daß die Sfraeliten, 
und jegt noch die Juden, am Freitag Abend angefangen ihren 
Sabbath zu feiern, 

Diefe Ordnung, nämlich, daß die Schoͤpfungstage mit dem 
Abend anfingen, hat feinen Einfluß auf die großen tauſend⸗ 
jährigen Welttage : der große Weltregent, der Hüter Iſraels, 
bedarf Feiner Nacht zum Schlafen und Schlummern; wir 
finden auch in der Geſchichte feine Spur, daß ein Theil der 
Sahrtaufende, weder der Anfang noch das Ende, irgend et⸗ 
was gehabt hätte, dad man auf die Nacht beziehen koͤnnte. 
Jedes Zahrtaufend ift alfo ein Tag, den man nad) Gewohns 
heit der Zuden in 12 Stunden, oder auch nach unferm Ges 
brauch in 24 eintheilen kann; im erſten Fall fommen auf 
eine folche große Weltftunde 85 Jahr und 4 Monat, im Ans 
dern 41 Jahr und 8 Monat. Da wir nun jeßt fchon weit 
im fechsten großen Welttage fortgeräct, alfo im Nachmittag 
des Freitags leben, fo fragt fihs: Wie viel Uhr es wohl 
jetzt feyn möge? Antw. Sieben Uhr des Abends und 
neunzehn Minuten, ungefähr. — Nun fängt aber 
der Sabbath Freitags Abends an — und fies 
ben Uhr.ift fhon vorbei!!! — — Kinder! es ift die 
legte Stunde! — Wachet! Wachet! betet! haltet eure Lam⸗ 
pen bereits denn die Zufunftdes Herrn ift nahe. 
Nach der apocalyptifchen Progreffion, welche viefe Zukunft 
längftens auf 1856 beftimmt, ‚würde es dann acht Uhr und 
drei bis vier Minuten ſeyn, folglih hätten wir bis 
dahin noch etwa dreiviertel Stunden Zeit. 
Hieraus fehen wir, daß auch nach der Berechnung der großen 

Weltwoche von fechötaufendjährigen Tagen, der Anfang des 
großen taufendjährigen Sabbaths fehr nahe if. Diefe Bes 
bauptung wird nun noch zur völligen Gewißs 


474 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


heit, wenn wir die Stellen, die hieher — 
damit in Verbindung bringen. 

Wir muͤſſen uns aber vorerſt von der ganzen Rage der 
Sachen einen richtigen Begriff machen, und fie aus dem 
wahren Geſichtspunkt betrachten; 

Aus der ganzen heiligen Schrift erhellet unwiederſprech⸗ 
lich, daß ſich eine gewiſſe feindſelige Macht aus dem Geiſter— 
reich von dem Fall des Menſchen im Paradies an, bis dereinſt 
an den juͤngſten Tag, alle nur erſinnliche Muͤhe gegeben 
habe, noch jeßt gebe, und geben werde, um die gefammte 
Menfchheit unter ihre Gewalt zu bringen; folglich Die allge: 
meine Alleinherrfchaft über die ganze Erde an fich zu reißen. 
Den erften Verſuch machte fie durch die Vielgoͤtterei, oder 
das Heidenthbum, wodurch die Menfchen die Erfenntniß des 
wahren Gottes verloren, und durch den Gdgendienft zu Suͤu⸗ 
den und Laftern hingeriffen wurden. 

Diefem ſetzte der Herr ein Bundesvolk entgegen, welches 
die Erfeuntniß des wahren Gottes und feine Offenbarungen 
aufbewahren, und von welhem Licht und Frömmigkeit aus- 
firaplen, und die. übrige Menfchheit erleuchten und befjern 
ſollte; allein die feindfelige Macht fand auch bei diefem Volk 
. Eingang , fo daß der pöllige Zweck nicht erreicht wurde; in- 
deffen wurde Doc) die Erfenntniß des wahren Gottes, und 
die Sammlung feiner Offenbarungen an die Menfchen erhal: 
gen, und auch fonft noch viel Gutes dadurch geftiftet, 

Da nun eben diefes Bundesvolk ganz ins fittliche. Verders 
ben verfauf, und das Heidenthum allwaltend herrfchend wurde, 
fo wurde der Herr, Menfch, führte das Erlöfungswerk aus, 
amd trat num feine Weltregierung an. Der erfte Verfuch, 
‚den nun die feindfelige Macht wagte, war, daß fie durch das 
mächtige Heidenthum das damals noch kleine Häuflein der 
getreuen Verehrer des Herrn zu vertilgen fuchte, allein dies 
fer Verfuch mißlang ganz: denn eben dadurch wuchs ihre 
Anzahl zu einer fo großen Menge, daß das Heidenthum end= 
lich unterdrücdt, uud das Chriſtenthum herrfehend wurde. E& 
ift bemerfenswerth, daß der göttliche Charakter der chriftlis - 
chen Religion, Liebe, Demuth und Sanftmuth — 





Nachtrag zur Siegsgefchihte, 475 


Leiden und Dulden, gerade die unüberwindlide Kraft 
hat, den Charakter der feindfeligen Macht ded Satans und 
der Finfterniß, nämlid Selbfifuht, Stolz und Haß, 
ohnmächtig zu machen, und gänzlic) zu befiegen; das Ges 
richt über dad Heidenthum befchreibt die Apocalypfe in der 
Erbrechuug der fechd Siegel. 

Sobald die roͤmiſchen Kaifer die hriftliche Religion anges 
nommen hatten, fo fuchte num die Politif der Finfterniß ihren 
Thron in der hriftlichen Kirche felbft aufzurichten „ indem 
fie ipren Biſchoͤffen, Aelteften und VBorftehern ihren 
Charakter der Selbſtſucht, des Stohzes und des 
Haſſes einzuhauchen fuchte; dadurch entftand nun Herrſch⸗ 
ſucht: Einer fuchte fi immer über den Andern zu erheben, 
und die allgemeine Herrfchaft über die Ehriftenheit zu errins 
gen, und fo verfunf das morgenländifche griechifche Kaifers 
thum mit feiner Kirche und Ehriftenthum wieder in eine heids 
nifch = hriftlihe Abgdtterei mit allen ihren — für Religion 
und Sitten — verderblihen Folgen. Diefem feste nun der 
Herr feine 144,000 verfiegelten Getreuen unter dem Bilde 
ded Sounenweibeös entgegen, die nun wieder durch Liebe, 
Demuth und Sanftmurh zu fiegen, und die wahre 
Chriſtus⸗Relig ion zu erhalten und fortzupflanzen fuchten, 

Während dem, daß dad morgenländifche Neich mit feis 
ner Kirche im Außerften Luxus, Aberglauben und fittlichen 
Verderben betäubt, und ohnmächtig darnieder lag, errungen 

die römifchen Bifchöffe allmäplig die allgemeine Herrfchaft 
- über die gefammte Chriftenheit, und die Politif des Reichs 
der Sinfterniß bildete nun das Thier aus dem Meer; 
während diefer Zeit ftiftete Karl der Große das abendläns 
diſche hriftliche Kaiferthum, und das Thier aus dem Meer 
flieg zwei bis dreihundert Fahr nachher auf den Thron, und 
riß aller Kämpfe ungeachtet, die Univerfalmonarchie an fich, 
die es durch Selbftfucht, Stolz und Haß, gegen alle wahre 
Chriſtusverehrer, die ihre Knie nicht vor ihm beugen wolls 
ten, und gegen alle Regenten, die feine Oberherrfchaft nicht 
anerkannten , ausübte, 

Nun erging über das morgenländifche Reich und feine Kirche 


6 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


ein fchredlihes Gericht, welded in der Offenbarung Jo⸗ 
hannis durch die fechs Pofaunen, nach Erbrechung des fi ebens 
ten Siegels, , vorgeftellt wird, 

Waͤhrend allenı diefem Verderben in der Chriſtenheit, er⸗ 
hielt der Herr noch immer eine große Anzahl getreuer Ans 
haͤnger und Verehrer feines Namens in und aufferhalb der 
Zatholifchen Kirhes das Sonnenweib wurde in der Wüften 
ernährt und gepflegt, Bis endlich die Reformation entitand, 
die dem Thier eine tödtliche Wunde beibrachte, die aber wies 
der heil wurde. Nun befam der Herr ein großes Volk, und 
das Evangelium breitete ſich in alle Welttheile aus; viele 
Negenten nahmen die daher entflandene proteftantifche Res 
ligion an, und es hatte nun das Anfehen, ald ob das reine 
und alte Evangelium von Zefu Chrifto über Hierarchie und 
Mberglauben fiegen würde; allein der Satan fand auch uns 
ter den Proteftanten wieder allenthalben Eingang, er fuchte 
auch da wieder der Geiftlichkeit Selbftfucht, Stolz und Haß 
einzufloͤßen; allein da diefe Feine conftitutionsmäßige Gewalt 
hat, fo richtete .er wenig damit aus; befonders weil aud) der 
Herr immer Männer erwedte, die dem Strom Einhalt thaten. 
: "Bisher hatte der Feind beftändig den Aberglauben gebraucht, 
um fowohl im Heidenthum, als auch nachher im Ehriftenthum, 
die Menfchheit durch taufenderlei Srrfale und finnliche Spieles 
seien am Gängelband zu führen, und uneingefchränft zu beherrs 
ſchen; diefe Politif wurde ihm aber, theils durch) die Reformation, 
theils durch unaufhaltbar fortfchreitende Eultur in allen mögli= 
hen Wiffenfchaften und Kenntniffen gewaltig gelähmt, fo daß er 
fie nur noch hie und da, wo Finfterniß das Erdreich, und Duns 
kel die Völker bedeckt, “gebrauchen Fann. Was blieb ihm 
alfo nun noch übrig? — nichts als der Unglaube; 
diefer ift fein lettes Mittel, wenn es ihm auch) damit nit 
gelingt, fo ift er auf ewig überwunden, feine Herrfhaft hat 
auf der Erden ein Ende, und der Sieger mit den pies 
len Kronen muß und wird dann allgemeiner 
Weltmonarch werden. 

Satan nahm nun die abgrundsmäßige Politik an, durd) 
eben die Aufklaͤrung und Vernunftweisheit, denen die Menſch⸗ 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 477 


heit fo viel zu verdanken hat, und worauf fie fo ſtolz ift, 
Ehriftum und feine Religion zu ftürzen: Jetzt trat die alte 
Scylange wieder zu der Eva Vernunft, und ftellte ihr ganz 
züchtiglich und wahrheitliebend vor: Ja! follte es auch wohl 
wahr feyn, daß die Bibel Gotteswort ift? — davon mußt 
du Dich erft überzeugen, ehe du glaubeft — du bift nun nicht 
unmändig mehr; du haft fernerhin Feinen Vormund. mehr 
nöthig, wirf die Feffeln des Aberglaubens ab, die dich hins 
dern, die Vergnügen dieſes Lebens zu genießen, du weißt 
num felbft wie du fie gebrauchen mußt — glaube doc) nicht, 
daß Gott verboten habe, die Früchte dDiefes Baums zu genies 
Ben, da Er ja den Baum mit feinen Früchten gefchaffen har! — 
Dies ließ ſich nun die Eva Vernunft nit zweimal fas 
gen, fie aß begierlih, und gab ihrem Mann, dem Willen, 
aud) davon und er aß — diefer andere Fall zieht nun auch 
den andern Tod nach fih. Durch diefen Kunftgriff ift nun 
der Abfall entftanden, der noch) immer am Steigen ift, und 
bald feine höchfte Höhe erreichen wird; diefer Abfall ift eben 
das merkwürdige Zeichen der Zeit, das uns befonders ans 
geht, und bier Fönnen wir nun fuͤglich die Bibels 
ffellen, die hieher gehören, mit unfern obigen 
Zeitbeffiimmungen in Anfehbung der Nähe des 
großen Sabbath, in Verbindung bringen. 
Es hat verfchiedene berüpmte Männer gegeben, die dies 
fen Abfall ſchon im römifchen Pabſtthum gefucht haben; 
“allein das ift falſch; die roͤmiſch-katholiſche Kirche hat von 
Anfang an bi auf den heutigen Tag Chriftum bekannt, 
uund nie verläugner; der Pabft gründet feine ganze Gewalt 
- auf Ehriftum, und nennt fich feinen Statthalter, und die 
. Gottheit und Aubetungswärdigkeit Chrifti ift in diefer Kirche 
ein heiliger unumftößlicher Glaubensartife. Durch den 
Abfall CApostasia) fann und darf nichts Anders verftans 
den werden, als eine Verläugnung Chrifti und feis 
mes verfühnenden blutigen Opfertodes; wer Chris 
ſtum nicht für den wahren und eingebornen Sohn Gottes, 
der Gott und Menfch in einer Perfon, und anbetenswürdig 
iſt, erkennt, und feine Erlöfung des gefallenen menfchlichen 


478 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


Geſchlechts durch feinen blutigen Opfertod, durch feine Aufer- 
ſtehung, Himmelfahrt und Weltregierung nicht glaubt, ver 
ift ein Apoftat, und fteht auf der Rolle des Abfalls. Daß 
diefer Abfall in unfern Tagen in allen dreien chriftlichen 
Meligionspartheien mit Gwalt überhand nimmt, und befons 
derd im der proteftantifchen Kirche unaufhaltbar einreißt, 
ift eine befannte Thatſache: man nennt den Proteftantis- 
mus eine fortdauernde Reformation, erklärt Chriftum auf 
den Kanzeln für einen bloßen Menfchen, und feine Anbetung 
für Abgdtterei; man erfrecht fih, die Geburt des Sohns 


Gottes auf eine Läfterliche Art zu erflären, und heißt doch 


bei dem allem Evangelifch = Lutherifch, und Evangeliſch-Re 
formirt — man hat Luthers Glaubensfyftem laͤugſt aus den 
Hörfälen und von den Kanzeln verbannt, aber man baut 
ihm in Eisleben ein Monument. — O ja! auch unfre 
Zeitgenoffen bauen den Propheten Gräber, — aber, ihre 
Grundfäge verachten fie — Wehe Ihnen! — ihr Schiefal 
wird noch weit fehreclicher feyn, als das fchredlichfte, das 
je eine Nation betroffen hat!!! — Was foll denn die ewige 
Liebe noch mehr an und thun, ald was fie gethan hat? — 
Sie hat die Quellen der Barmherzigkeit an uns erfchöpft, 
fernerhin ift nichts mehr für uns übrig, als 
das fhredlichfte aller Gerichte, welches die Of— 
fenbarung unter dem Bilde eines Sees, der mit 
Heuer und Schwefel brennt, vorftellt. 
Bellagenswürdige Zeitgenoffen! hat Euch denn eine acht— 
sehnhundertjährige Erfahrung noch nicht belehrt, daß allein 
der wahre evangelifche Glaube an Jeſum Chriftum und 
an Feine Erlöfungs = Anflalten, gründlich gefittete und wahrs 
haft gute Menfchen bildet; und daß bloße Vorſchrif— 
ten der Tugend, und Moralpredigten noch nie, 
auch nur einen einigen Menſchen gebeffert ba: 


— 


ben? Ja wahrlich! der gottesfuͤrchtige Menſchenfreund moͤchte | 
Blut weinen, befonders wenn man bedenkt, wie die uns 


ſchuldige Jugend ſo ſchrecklich irre geführt wird. 
Dies iſt nun der Abfall, der in allen Jahrhunderten ſeit 
den Zeiten der Apoſtel, ſeines Gleichen nicht hatte — der 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 479 


Einzige in feiner Art — die Apoftafle, melde Paulus 
2 Theff. 2. fo beftimmt vorher verfündigt hat; man leſe 
diefes Kapitel mit Aufmerkfamfeit, ed gebört ausſchließlich 
in unfte Zeit. Diefe höchftmerfwärdige Weiffagung Pauli, 
die zu unfern Zeiten fo beftimmt und fo genau erfüllt wird, 
ift ein unwiderfprechlicher Beweis, daß diefer Apoftel 
Worte Gottes gefchrieben habe, und daß nun auch das, 
was mit der Weiffagung vom Abfall in Verbindung ftehr, 
ganz zuverläßig werde erfüllt werden. 

Laßt und das Kapitel aufmerkffam betrachten! — Die 
Chriften zu Theffalonich vermutheten, daß die Zufunfr des 
Herrn nahe ſey; allerlei Sagen, Gefchwäge und fanatifhe . 
Grillen mochten ihnen Anlaß gegeben haben, fich bei dem 
Apoftel Paulus nach der Zeit, wenn der Herr kommen 
werde, zu erfundigen, Hierauf antwortete Er nun in Dies 
fem Kapitel, und verfichert ihnen, daß der Tag des Herm 
noch fo nahe nicht fey, zugleich gibt Er ihuen zwei ſichere 
Kennzeihen an, an welchen fie erkennen fönnten, wann 
der Herr fommen werde, nämlich : 

1) Den Abfall von der chriſtlichen Religion 
und evangelifhen Glaubenslehre, und 

2) Die Erfheinung des Menſchen der Sin 
den, des Kindes des Verderbens, dad ift: ded 
menfhgewordenen Satans. 

Das erfte fichere Kennzeichen, nämlich der Abfall, - ift 

nun unverkennbar da — wer das läugnen wollte, der müßte 
. ja Feine Augen und Feine Ohren haben. Da nun die Of: 
fenbarung des Sohn RER. mit diefem Abfall uns 
mittelbar in Verbindung fteht, v. 5. und mit diefer Offen: 
barung auch zugleich die Zukunft des Herrn angekündigt 
. wird, fo folgt unwiderlegbar, daß die Zeitbeftimmungen der 
Nähe diefer Zukunft, fo wie ich fie oben, nad) Anleitung der 
apokalyptiſchen Progreffion und der großen Weltwoche angege: 
ben habe, gewiffe Wahrheit find; nur das Jahr und 
der Tag kann und darf nicht beffiimmt werden, 

Jetzt meine liebe Lefer! muß ib Euch fehr 

ernftlih bitten, folgendes mit Aufmerffams 


480 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Feit zu lefen und zu beherzigen, denn esift für 
uns in unfern Tagen von der aͤußerſten Wich— 
tigkeit. 

Sucht den Menfchen der Sünden, den Sohn Satans, 
den eigentlichen Antichrift — noch nicht — unter den jeßt 
Vebenden geiftlichen und weltlihen Regenten — denn er 
hat fich noch nicht offenbaret, und dies will ich unwider⸗ 
ſprechlich beweifen. | 

Der Character diefes ſchrecklichen Menſchen ift in der 
Bibel fo genau befchrieben worden, daß wir und unmöglich 
‚an ihm irren fünnen. Die erfte deutliche Weiffagung von 
ihm fängt im Propheten Daniel im I1ten Kapitel v. 36 
an, und hört mit dem Ende des 12ten Kapitels auf; daß 
fie wirklich auf die legten, .das ift auf unfre Zeiten ziele, , 
das ſteht ausdrüdlih Kap. 12. 9. 4. und man fieht aus 
der Befchreibung, die der Apoftel Paulus 2. Thefjal. 2. von 
ihm macht, daß er fich auf diefe Weiffagung Danielö be- 
zieht. Dem zu Folge wird alfo der Menſch der Sünden 
ein König, ein großer Regent feyn, welder unumfchränft 
regiert: denn er wird thun was er will, Die Religon 
feiner Väter, alfo die chriftlihe, wird er verlaffen, fich 
 dffentlich gegen die Verehrung Gottes und Chrifti wird er 
giftige und feindfelige Verordnungen ergehen laffen, die 
chriftlichen Gottesverehrungen verbieten, und die wahren 
Ehriften grimmig verfolgen; um dies Alles ungehindert aus» 
üben zu koͤnnen, wird er au) die höchfte geiftliche Gewalt 
an fich ziehen und niit feiner weltlihen Macht verbinden: 
denn er wird fi) in den Tempel Gottes feßen, und die. 
allgemeine Herrfhaft über die gefammte Menfchheit, theils 
durch Gewalt, und theild durch Politik zu erringen fuchen. 
Er wird den Umgang mit dem weiblichen Gefchlecht meiden, 
vielleicht aber in unnatürlichen Laſtern leben. Er wird gar 
feine Religion haben, fondern ein vollfommener Naturalift, 
Arheift und Freigeift feyn. Die Vernunft wird er für das 
höchfte Wefen erklären, und feine eigene Vernunft 
wird fein Gott feyn, den auch Alle in Ihm anbeten 
und verehren follen; er wird aber auch eine Art von 











l 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 481 


äußeren "Kultus oder Gottesdienft einführen, der aber milis 
tärifch feyn muß; denn der Gott der Veftungen (Mäufim) 
wird der GdKe ſeyn, den er anbetetz denn er wird ein Krieger 
von Profeffion feyn, weil er fich durch Gewalt fchüßen, 
und durch Gewalt ſich Alles unterwerfen will. Darum wird 
in feinen Augen auch nichts einigen Werth haben, als ein 
guter Soldat, und dieſen wird er bereichern. Ueberhaupt 
wird er überall allein Recht haben wollen, und ein Menfch 
feyn, der Gott und Menfchen widerwärtig ift. 

Auf eine Hauptfahe müffen wir aber ganz vorzüglich 
aufmerffam feyn, nämlich auf die drei unverfennbare 
Merkmahle, welche diefen Menfhben der Süns 
den, oder das Thier aus dem Abgrund vollfoms 
men kennrlich machen, und fo lang diefe Zeichen noch 


- fehlen, fo lang ift es gewiß noch nicht aufgefliegen, oder - 


offenbar geworden, 

Das erfte Kennzeichen ift, das Thier aus der Erden, der 
falſche Prophet, der die durch den Abfall vorbereitete, 
arme betrogene Menfchen, dem Menfchen der Sünden zu 
buldigen beredet, ‚und wegen feiner großen Talente, und 
durch feine glänzende und verführerifche Thaten und Politik 
einen unbefchreiblih großen Beifall finder, fo daß ganze 
Schaaren dem Tenfel= Menfchen huldigen werden. Dahin 
werden die beiden Lammshoͤrner Aufklärung und Philiſophie 
führen. Daß diefes Thier aus der Erden auch) ein Regent, 
und zwar ein geiftlicher feyn werde, ift wahrfcheinlich, weil 
er ald ein Propher auftritt. Wer und wo diefer Ads 


 jutant des Satans feyn werde, dad wird uns 
die Zufunftlehren; bisdahbin wollen wir nichts 


‚errathben — genug, wir willen, woran wir ihn erken⸗ 
nen Fünnen. 
Das zweite Kennzeichen ift das Mahlzeichen des 
Thiers an Stirn und Hand. Um das Chriſten⸗ 
thum ganz zu vertilgen, ſo daß auch nicht einmal einer 
ein heimlicher Chrift feyn Tann, muß jeder, zum Beweis 
9 er Chriſtum und ſeine Lehre abgeſchworen hat, ein 
aͤußeres Zeichen an ſich tragen, das ihm dann vorgeſchrie⸗ 
Stilliugs ſämmtl. Schriften. III. Band. si 


482 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


ben werden wird; wer nun dieſes Zeichen nicht annimmt, 
der verliert ſeine ganze buͤrgerliche Exiſtenz und Freiheit, und 
iſt ein Gegenſtand der grimmigſten Verfolgung, wer es 
aberannimmt, und wenn ed auch 6108 aus Surdt 
wäre, der iſt ſchlechterdings und unsermeidlich 
zur ſchrecklichſten Berda mmuiß, zum Feuerſee 
verurtheilt. Dies iſt nun der ſchwerſte Zeitpunkt fuͤr 
die Menfchheit, vom Anfang der Welt bis an ihr Ende, 
wer aber auch da aushält und treu bleibt, der wird auch 
den herrlichen Lohn feiner Treue nicht überfehen, fih nicht 
groß genug vorftellen koͤnnen. 

Das dritte Kennzeichen ift endlich Die Zahl des Thiers, 
welche eben das auzeigen foll, was das Mahlzeichen ans 
zeigt: dieſe Zahl mag nun im Namen des Menfchen der 
Sünden verborgen, oder die Zahl 666 feyn, oder. bie Zahl 
feiner Regierungs= Fahre bedeuten, das Alles ift einerlei, 
und wird fih dann zeigen; genug, wenn diefe Zahl auf ir⸗ 
gend eine Weife dem Chriften aufgedrungen. wird, . fo daß 
fie ein Beweis feiner Verläugnung Chrifti und der chrifts 
lichen Religion feyn fol, fo muß er lieber fein Le 
ben aufopfern,. als fich diefer Zahl bedienen. ö 

So lang wir dieſe drei Kennzeichen bei einem Regenten 
nicht, beifammen finden, fo lang ift auch der Menfch der 
Sünden nicht offenbart, und. es ift.eine fehr ſchwere Sünde, 
einen Fuͤrſten für, diefen gräulichen Menfchen zu halten, 
wenn erd nicht wirklich ift. Wie ‚fein, . wie verſteckt und 
wie ſchlangenartig uͤbrigens dieſer Sohn des Verderbens 
auftreten, wie er als ein großes Genie erſcheinen, und in 
wie fern er Alles oben von ihm geſagt, groͤber oder feiner, 
Öffentlicher oder verſteckter ausführen werde, das wird, die, 
Erfahrung lehren. Freunde! es find nicht viele Jahre: 
mehr bis dahin, wo ihm jeder wahre Chrift, wenn 
er fich anders mit dem Geift der Weiſſagung vertraut ge⸗ 
macht hat, bald genug kennen lernen wird. 

Her wenn er nun wirklich offenbar wird, was hat dann. 
der Ehrift zu thbun? — Antw. zu geboren, zu leis 
den, zu dulden und zu fhweigen, folangeals 











Nachtrag zur Siegsgeſchiche. 485 


f } J 
man ihm nicht etwas zumuthet, das nur im 


geriugſten Verlaͤugnung Chriſti bezeichnet, ſo⸗ 
bald dies der Fall iſt, fo weigert man ſich ſtand—⸗ 
haft, dulder Alles, und ftirbt, wenn man wine 
ausweihen kann 


Hier muß ich nun noch eine fehr ernftlihe Warnung beis 


fügen: Alle heimliche und dffentlihe Anftalten, welche Men⸗ 


fchen auf irgend eine Art-treffew werden, und treffen koͤnnen, 
um diefem Ungeheuer den Weg zu fperren, oder feinen Lauf 
zu hindern, find vergeblich, dem Willen Gottes zuwider, 


‘ "und werden immer: mehr. fchaden als nügen: Der Rath: 


ſchluß Gottes muß ausgeführt werden, Satan und feine 
Diener müffen das Maaß ihrer Suͤudengraͤuel voll‘ machen, 
uund die Auserwählten des Herrn muͤſſen durch diefe Prüfungen 

bewährt, und zu ihrem neuen Beruf im herrlichen Reich des 
Herrn geſchickt gemacht werden. Der Herr wird diefen feinen 


. Testen Feind, überwinden mit dem Schwert feines 


Mundes, und ihn nebft feinem Gehülfen, dem: talfepen 
Propheten, in den Feuerfee ſtuͤrzen. 


Uebrigens ſcheint es mir gewiß zu ſeyn, daß es einen 
Bergungsplag gibt, wohin der Vater der Barmherzigkeit 
‚die Heerde feiner, Getreuen führen, und gegen den ſchreck— 


R lichen Sturm fichern wird. Nur bitte ich ernftlich, dieſen 


Bergungsplat nicht zu ſuchen, bis ihn der Herr auweißt, 
auch nicht von der Stelle zu weichen, bis man hit 
mehr bleiben Fann. Wiele werden aber auch bleiben, 
und den Kampf aushalten muͤſſen, dafür werden fie 


aber dann aud BRRASTUEE NIS und herrlich vo 
lohnt werden 


IR Dies Alles habe ih nun da fo niedergefchrieben, und 
68 gewagt, die nahe Zufunft zu enthüllen. — Diefe Schrift 
wird nun gedrudt, und wird, von vielen meiner Zeitgenofs 
In, und den folgenden Generationen gelefen werden — wie 


wenn ich nun die Weiffagungen und ihre bildliche Vorſtel⸗ | 


lungen unrecht verſtanden, und nicht richtig angewendet 
‚hätte! — kann es mir nicht gehen, wie fo vielen, einer 
31 &* 


0 


‚ 884 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Vorgänger, welche auch glaubten Licht zu haben, und in 
diefem dunkeln Heiligthum forfchen zu Finnen? 

Hier find die Gründe, die meine geängftigte und ſchwer 
beladene Seele beruhigen; die Freunde der neuen Aufklärung 
mögen fie Iefen und beherzigen, und dann dabei denken, 
und über mich urtheilen wie fie wollen, was liegt an mir 
und meinem Ruhm? — wenn ich Ehre bei, den Menfchen 
gefucht hätte, fo würde ich mich anders benommen, und 
eine andere Laufbahn gewählt haben! Der Herr erfülle fei- 
nen Rath, nnd thue Alles, was Ihm wohlgefällt, hernach 
iſt es dann fehr einerlei, was die Welt und 
Nachwelt von mir denkt und urtheiltz der Gott, 
der mich von der Wiege an, bis daher, fo ausgezeichnet zu 
dem. geführet hat, was ich nun bin, und wirft, der wird 
mein tägliches heißes Gebet um Licht und: Weisheit, um 
Bewahrung für allem Irrthum erhdren, damit ich meine 
Zeitgenoffen nicht mit Irrlehren täufchen möge; wenn nur 
dies nicht gefhieht, fo mag Dann aus mir wer 
den, wad mein Gott uͤber mid beſchoſſen hat. 
Nun meine Gründe: | 

Die oben angeführte Weiffagung Daniels ift das Fundas _ 
ment, worauf die ganze Vorftellung vom Menfchen der Sün- 
den beruht... Es kommt alfo Allee darauf an, daß da der 
Prophet nicht blos vom Antiochus Epiphanes rede, fondern 
wirklich den Menfchen der Sünde, der in den leßten Tagen 
Diefer gegenwärtigen Erdperiode fommen werde, im. Aug habe. 

Man hat in den neuern Zeiten den Propheten Daniel vers 
daͤchtig machen wollen; und die gemäßigten unter den Neo: 
logen, die feiner Weiffagung die Bibelwürdigkeit nicht ab» 
fprechen, behaupten denn doch, daß die letzten Kapitel blos 
den Antiohus Epiphanes bezielen; und da fie fo genau 
und fo pänftlih die Gefchichte diefes Tyrannen bezeichnen, 
fo wähnt man gar, fie feyen fpäter berrüglicher Weiſe als 
Prophezeihung hineingeflidt worden — würde dann aber 
der Mund der Wahrheit Jeſus Ehriftus diefebes 
truͤgliche Schrift zum lefen und beherzigen em: 

pfohlen haben, wie Matth. 24.20.15. Marc. 15.20.14. 








Nachtrag zur Siegsgefhichte. N 486 


gefhieht? — und würde Paulus, diefer vom heiligen 
Geiſt erleuchtete Apoftel, deſſen Weiffagung vom großen 
Abfall fo genau eintrifft, die Schilderung vom Menfchen ber 
Sünden aus dem Propheten Daniel genommen haben, wenn 
er nicht kanoniſch wäre? — Und endlih: ift die Weifjas 
gung diefes Apofteld vom Abfall fo genau eingetroffen, ſo 
wird auch diefe eintreffen. Mit einem Wort: 

Iſt die heilige Schrift alten und neuen Teſtaments bie 
Dffenbarung Gottes an die Menfchen , ift die hriftliche Res 
ligion die einzige wahre, und ift meine Führung von Gott, 
fo ift auch das, was ich biöher gefchrieben habe, eine Wahrs 
heit, die fich bei der gegenwärtigen und folgenden Generas 
tion als folche legitimiren wird. Geſetzt aber auch, ber 
Dater der Menfchen erbarmte fich über feine Chrijtenheit, 
"und verfchiebe den Tag feiner Gerichte noch weiter hinaus, 
um und noch länger Raum zur Buße zu geben, nun fo will 
ih mich nicht ärgern, wie weiland der Prophet Jonas, 
fondern ich will den Herm für feine Güte preifen, und mit 
Freuden zu Schanden werden. — Aber fchwerlich! fchwers 
lich! wirds dazu kommen. 

Nach diefer Heinen Entfchuldigung und Rechtfertigung meis 
ner felbft, wage ich. ed nun, meine Unterfuchungen ferner 
fortzufegen: | 

Wenn der Menfch der Sünden offenbar wird, nnd fein 
Wuͤthen und Toben anfängt, fo foll dies Toben eine Zeit, 
ztvo° Zeiten, und eine halbe Zeit währen, Dan. 12. v. 7. 
Hier ift nun merfwärdig, daß vom Geift der Weiffagung noch 
ein wichtiges Zeichen der Zeit angegeben wird; es heißt 
namlich: daß dies Alles, nämlich die Tyranney des Antis 
hriften gefchehen würde, wenn die Zerftreuung des heiligen, 
das ift des jüdischen Volks ein Ende hätte; fo lang alfo 
no die Bekehrung der Zuden, und ihre Sammlung aus 


allen vier Winden nicht veranftaltet wird, fo lang ift auch 


der Miderchrift noch nicht offenbar; folglich iſt auch diefe 
trübfelige Zeit, und die Zukunft des Herrn noch fo gar nahe 
nit. Ein anderes Zeichen ‚gibt uns die Bibel an die Hand, 
wenn dieſe merkwürdige Bekehrung Iſraels vor fich gehen 


486 Nachtrag zur Sieheſchichte 


ſoll, nämlich; wenn. bie Hülle der Heiden eingegangen feyn 
wird — und davon fehen wir fhon wirklich den 
Beginn por Augen: feit 72 Jahren arbeitet die Bruͤ⸗ 
dergemeine an Belehrung der Heiden; die dänifche Miffion 
in Tranquebar in Oftindien, ift noch Alter, und wirket noch 
fort, und vor wenigen Jahren haben fic) große Miffionsans 
ftalten in England, Holland und Oftfriesiand gebildet, die 
alle ſehr thätig an der Fülle der Heiden arbeiten; wenn 
nun alles befehrt ift, was befehrt werden kann, fo wird dann 
auch der belebende Wind des Herrn über das Sfraelitifche 
Knochenfeld wehen, Ezech. 37., alle zwölf Stämme werden 


verfammelt werden, fich zum Herrn befehren, und in ihr 


Sand ziehen ; um diefe Zeit wird fih dann auch der Menfch 
der Sünden einfinden. Wo? — das wollen wir erwarten, 
und nicht Alles fo genau beftlimmen, damit wir nicht für 
unſern Vorwitz geftraft werden, Wir haben alfo nun zwei 
fihere Zeichen, Daß die Entwidlung ber großen Zufunft 
nahe ift; nämlich 

2) Den großen und allgemeinen Abfall und 

9) Ins Große gehende Arbeiten ander Ba 
fehrung der Heiden, 
Die Regierung des. Antichrifts fol eine Zeit, zwo Zeiten, 
und eine halbe Zeit dauern; daß hier Feine propherifchen 
oder aporalyptifchen Zeiten verſtanden werden Fünnen, ſon⸗ 
dern daß dieſe viertehalb Zeiten nur viersehalb Fahre find, 


‚erhellet daraus, weil ein einzelner Menfc Feine 777 Fahre 


segieren Fann. Diefe rrübfelige Zeit ift aber auch bi ſchon 
lang genug. 

Wie nun dieſer Wuͤtherich geſtuͤrzt werden ſen, davon 
finden wir die erſte Spur Dan, 12. v. 1. Die zweite 
2 Theſſal. 2. 9. 8. und die völlige umftändliche Befchrei- 
bung, Off. Joh. 19. v. 11—21, Wenn alfo die viertehalb 


Sahre um find, fo wird Jeſus Chriftus, welchen Daniel, 


Michael und Paulus den Herrn, Sohannes aber den 
König aller Könige, und den Herrn aller Hers 
ven nennt, auf irgend eine unbefchreiblich majeftätifche 
Yır erſcheinen, und den. Widerwärtigen, der Ihn mit einem 


1 
er 








— — U EEE) 


Nachtrag zur Siegsgefchichte. 487 


großen Heer bekämpfen will, mit den Schwert feines Munz 
des tödten, und ihn dann nebft dem falfchen Propheten in 
den Feuerſee ſtuͤrzen. 


Wie dieſe ganze prophetiſche Befehreibung mit ihren Bils 
dern zu verſtehen fey, und erklärt werden müffe, das koͤnnen 
wir nicht wiffen; folgende Bermuthung fcheint mir die wahre 
fheinlichfte zu feyn; wenn der Menſch der Sünden dad Maaß 
voll gemacht hat, fo wird der Herr auf die Art, wie Ihn 
Sohannes gefehen hat, feinen getreuen Verehrern — wo? — 
ob zu Sjerufalem, oder im Bergungsplag, — dies Leite ift 
mir am wahrfcheinlichften — erfcheinen, und dann, nicht 
in diefer Olorie, denn einem folchen gläuzenden himmlifchen 
Heer würde fi Fein Menſch widerfegen und mit ihm Fäms 
pfen wollen, fondern fo wie ein irdifches Kriegsheer vermuthlich 
in Begleisung feiner Getreuen, dem Feind entgegenrüden; 
diefer wird nun glauben, irgend ein irdifcher Fürft zoͤge ges 
gen ihn aus, um mit ihm zu flreiten, kaum aber find ſich 
beide Heere im Geficbt, fo offenbart fih der Herr in feiner 
furchtbaren Herrlichkeit, aus feinem Munde, dpnnert das 
Derdammungsurtheil über die Feinde, und nun vers 
ſchlingt fie die Erde, wie ehemals die Rotte 
Korah, 


Auf diefe oder eine Ähnliche Art laͤßt fich die propherifche 
bildliche Befchreibung denken, indeſſen ift dad Alles nichts 
weiter ald Vermuthung; aber fo viel ift doch gewiß, daß 
bald eine -feindfelige Macht entftehen wird, die nach der 
allgemeinen Alleinherrfchaft trachten, die chriftliche Religion 
zzu vertilgen fuchen, und die treuen Verehrer Ehrifti auf das 
ſchrecklichſte verfolgen wird; und wenn es mit ihr aufs Höchfte 
gekommen iſt, fo wird fie auf eine aͤußerſt auffallende Art 
"gänzlich vom Erdboden vertilget werden, und es werden 


— ſich himmliſche Kräfte äußern, fo wie fie die 


Meuſchen nod nie erfahren Haben, und die von 
einer vorzüglihen Nähe des Herrn untrüglide 
Zeugniff e find, dies ift das Geriugſte, das Sen 
was man mit Gewißheit vermuthen kann. | 


488 Nachtrag zur Siegsgefhichte. 


Auf diefen Sieg Über den Menfchen der Sünden und 
feine Gehülfen, folgt nun die Einferferung des Erzfeindes, 
ded alten Drachen; diefe wird Off. Joh. 20. umftändlic) 
befchrieben. Ueber diefes böfe Weſen ift son jeher fo 
viel und fo lang vernünftelt und gedeutelt worden, bis man 
ed endlich ganz aus der Reihe der erfchaffenen Dinge hin: 
ausgebannet hat. Heut zu Zage foll es alfo gar Feine 
böfe Geifter mehr geben. Wenn aber Gott zugelaffen hat, 
daß Menfchen boͤs geworden find, wie die täglihe Erfah: 
rung lehrt, warum foll ed dann vernunftwidrig feyn, daß 
ed auch im Reich der Geifter eine Klaffe Wefen gibt, die 
von ihrem Schöpfer abgefallen, und böfe geworden find? — 
Genug, die heilige Schrift belehrt und ausdruͤcklich, daß fie 
da find, daß ihrer eine große Menge ift, die unter einem 
Zürften, unter einem Oberhaupt fteht, und fich bemuͤht, die 
Menfchen zu verführen, und fie unter ihre Herrfhaft zu 
bringen, und deswegen, durch fie, gegen Chriftum und feine 
Erlöfungs-Anftalten zu kaͤmpfen. Daß dies auch noch ge: 
genwärtig gefhieht, von jeher gefchehen ift, Ephef. 6. 
v. 10. u. f. und Fünftighin, befonderd durch den Menfchen 
der Sünden und feinen Anhang gefchehen wird, das ift eine 
durchaus unläugbare Sache. An allem Boͤſen, befonderd 
an allen feindfeligen Anftalten, die ins Große und 
Ganze gehen, hat dab Reich des Satans großen und 
wichtigen Antheil. Diefer König der Finfterniß fol nun, 
fobald das Thier aus dem Abgrund, mit dem falfchen Pros 
pheten und feinem Heer von der Erde vertilgt ift, auf raus 
fend Jahre eingeferfert werden; fo lange foll er alfo mit feis 
ner ganzen Macht Feinen Einfluß mehr auf die Erde und 
ihre Bewohner haben. Die Folgen diefes verhinderten Eins 
fluffes werden aufferordeutlich wohlthätig feyn. ik 

Paulus ſagt in, der merfwürdigen Stelle Ephef. 6. v. 12. 
Mir haben da — nämlic) gegen die Politik des Teufel — 
nicht etwa einen Kampf gegen. Sleifch und Blut — das ift: 
gegen Menfchen — fondern gegen Fürften und Mächte, 
gegen die MWeltbeherrfcher der, Sinfterniß biefer 
Erdperioden, gegen die Seiſter der Bosheit, in 





— 


Nachtrag zur, Siegsgeſchichte. 489 


den unteren Euftregionen, fo heißt es eigentlich in 
der Grundſprache. 
Wenn man nun dem klaren — dem deutli⸗ 
chen Sinn dieſer Stelle, dem keine Einzige in der ganzen 
Bibel widerſpricht, nicht Gewalt anthun will — und wenn 
das geſchehen kann und darf, was nuͤtzt ſie uns dann? — 
ſo folgt unwiderſprechlich, daß die boͤſen Geiſter in der Luft, 
im Dunſtkreis ihr Weſen treiben, und wer weiß, in wie fern 
ſie da, auf Zulaſſung Gottes, auch auf die phyſiſche Natur 
Einfluß haben, Krankheiten, Schaden und Ungluͤck bewirken 
Tonnen? — Daß fie auf die Menſchen wirken, die boͤſen Ges 
finnungen in ihnen erhöhen und fatanifiren fünnen, das 
behauptet die Bibel durchgehends; und wenn das nicht wäre, 
wozu wäre dann der Kampf nörhig, den der Apoftel fo ernfts 
li und umftändlich befchreibt und empfiehlt? Er nennt fie 
Fuͤrſten, Mächte, Weltherrfcher (Kosmokrätoras) geiftige 
Mefen der Bosheit, u. f. w. Daraus folgt, daß fie noch 
eine erftaunlich große Macht und großen Einfluß auf unfre 
Erde, und die Menfchheit haben muͤſſen; beſonders ift dies 
in unfern Zeiten der Fall, weil er nah Off. Joh. 12. v. 12. 
jeßt auf der Erden ift, und mit großem Zorn wüthet: denn 
er weiß, daß er nicht viel Zeit mehr hat. 
‘ Der Menfch ift ein freies Weſen, und Gott regiert die 
Menfchheit ihrer Freiheit unbefchadet. Die vielen traurigen 
Erfahrungen und Folgen des Abfalls von Chrifto, die Unzus 
verläßigfeit der Vernunftreligion, und die fchredliche Regie: 
rung des Menfchen der Sünden, wird große Schaaren zur 
Sinnesänderung bringen, und wieder zu Chrifto befehrenz 
wenn nun endlich der Widerchrift mit feinem ganzen Heer 
im Feuerſee, und auf ewig gerichtet ift, fo fallen gewiß bei 
weitem die mehrefte Stimmen der Menfchheit — wenn man 
fie fammeln wollte, und koͤnnte — für Chriftum und fein 
Reich aus; — fo lang aber noch die mehrefte Stimmen für 
den Satan find,.fo lange Fann er auch noch nicht eingeferfert 
werden: denn, ich wiederhole es, Gott läßt dem Menfchen 
feine Freiheit, und darin befteht eben die unendliche Weis— 
heit feiner Regierung, daß Er endlich ihren freien Willen 


490 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


dahin zu leuken weiß, daß fie freiwillig die Herr: 
{haft über die ganze Erde, und über ſich felbft 
JIhm übergeben, und dann erſt ift das tauſend— 
jährige Reich des Friedens auf der —— e in⸗ 
zufuͤhren mdglid, 

Hier kommt ed num auf zwei Hauptftüde an; namlich) 

1) Iſt es ganz zuverläßig und gewiß, daß und ein allge: 
meines Reich des Friedens bevorfteht, in welhem Je—⸗—⸗ 
ſus Chriftus und feine Religion — 
herrſchend ſeyn werden? und 


2) Was kann, uud was darf man ſich für eine Vorſiel⸗ 
lung von dieſem Reich machen? 


In der Apocalypſe wird ſo beſtimmt und fo deutlich ges 

fagt, daß Satan taufend Fahr eingeferfert werden folte — 
daß unmittelbar hernach ein befonders Gericht gehalten, und 
entfchieden werden follte, wer der erſten Auferftehung würdig 
fey? — daß alsdann diefe erfte Auferftehung erfolgen, und 
Die Yuferweckten mit Ehrifto diefe taufend Fahr über regieren 
follten — daß man diefen Ausdruͤcken unmöglid einen ans 
dern Sinn beilegen kann, ald den der Buchftabe an die Hand 
gibt — Chriſtus wird alfo mit den Seligen der erften Aufers 
ſtehung, mit feinen Heiligen auf Erden ein irdifches Reich 
errichten, in welchem Sriede und Gerechtigkeit herrs 
ſchend ſeyn wird. 
Dieſe herzerhebende Erwartung und Hoffnung iſt nicht 
etwa blos in der Apocalypſe gegruͤndet, ſondern der Geiſt 
der Weiſſagung ſtellt ſchon im alten Bunde dieſe gluͤckſelige 
Zeit in den reizendſten Bildern vor; wir wollen einige der 
merkwuͤrdigſten beruͤhren; 

Der 45ſte Pſalm heißt ein Brautlied, und die Bibel Er⸗ 
klaͤrer nach dem Geiſt unſerer Zeit wollen uns auch gern 
uͤberreden, es ſey ein wirkliches Brautlied irgend eines juͤdi⸗ 
ſchen Koͤnigs bei ſeiner Heirath; allein wer es nur unbefan⸗ 
gen und ohne Vorurtheil liest, der wird bald finden, daß 
es einen hoͤhern Sinn hat, und das Verhaͤltniß zwiſchen dem 
Könige des Friedensreichs und feinen Unterthanen, die unter 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 481 


dem Bild ſeiner Gemahlin vorge werden, ſchon und mah⸗ 
leriſch beſchreibt. 

Der 7, 8. 9. und 10te Vers des 47. Pſalms werden erſt 
im. taufendjährigen Reich volllommen wahr werden, Auch bey 
48ſte Pfalm paßt hieher; vorzüglich aber der 7ofte, 
der weder auf David, noch auf Salomo, nod 
auf Ehriftum anders bezogen- werden fann, 
als in feiner Regierung über die ganze Erde, 
im Reich des Friedens. Deögleichen der 87ſte, vors 
züglich aber der 9sſte, der 96ſte, und endlich auch der 
145fte Palm, 

Das Hohe Lied Salomond hat man beinahe zu einem 
Gaſſenhauer herabgewürdigt, aber über hundert Jahre wird 
man anders daruͤber urtheilen. 

Kein Buch in der ganzen heiligen Schrift enthaͤlt aber mehrere 
und herrlichere Ausfluͤſſe des Geiſtes der Weiſſagung, uͤber 
dieſe legten Zeiten, als der Prophet Jeſaia. Schon 
das 2te Kapitel hat Winke, die dahin zielen; aber das Lite 
nebjt feinem Anhang dem 12ten, iſt ſo augenfcheinlich eine 
Beichreibung des Friedend, der Ruhe und des Gluͤcks in 
diefem Reich, daß Feiner daran zweifeln kann, der nur noch 
einige Anlage zum Bibelglauben hat. Auch das Zafte gibe 
Winke auf dies Reich. Das Säfte gehört ganz hieher, des⸗ 
gleichen auch das 5ufte; aber das b6oſte nebft den zwei fols 
genden Kapiteln, enthalten eine folche ‚prächtige Befchreis 


bung dieſes Reichs, daß Herz und Seele dadurch erquickt 


werden. 

Auch Jeremias weifagt ‚von der legten Bekehrung des 
Volks Iſrael, und dem damit verbundenen Reich des Fries 
dens, im often Kapitel; vorzüglich aber gefchieht dies im 
folgenden 51ſten; desgleichen im Saften vom 57ften Vers 
bis zu Ende des Kapitels; und endlich auf eine ausgezeich⸗ 
8 nete herrliche Weiſe im 55ſten. 

Der Prophet Ezechiel gibt von Anfang an, hin und wies 
der Winke von der legten Bekehrung und Sammlung feines 
Volks aus allen Welttheilen; dann auch vom Reich des 
Sriedens in ihrem Land, Im S4ften Kapitel, vom 22ften 


a Nachtrag zur Giegsgefchichte, 


Werd an bid zum Sıften aber fchildert er den Zuſtand dieſes 
Reichs ungemein ſchoͤn und tröftlih; nun folgen dann die 
oben ſchon bemerften zwei merkwürdigen Kapitel, das 36fte 
und S7fte, welche über das Alles Feine Zweifel 
mehr zurädlaffen, und die Hoffnungen des 
Chriften ausnehmend ftärfen. Endlich befchreiben 
dann die neun legten Kapitel vom 4often bis and Ende, die 
gottesdienftlichen Einrichtungen im taufendjährigen Reich und 
die Vertheilung des Landes, auf eine erhabene, aber 
noch zur Zeit verborgene Beife. 

Ich habe oben fchon von der Weiffagung des Propheten 
Danielö geredet: er befchreibt vornemlich den Menfchen der 
Sünden und das Gericht über ihn, welches unmittelbar vor 
dem taufendjährigen Neich hergeben foll, aber er hat auch 
eine Stelle, welche deutlih und beſtimmt dies 
Reich anfündigt, und zwar im 2tem Sapitel, wo er 
Mebucadnezard Zraumbild erklärt: | 
Ich finde in der ganzen Bibel Feine Weiffagung, welche 
deutlicher und beftimmter ift, ald diefe: das vierte oder roͤ⸗ 
mifhe Reich, deſſen Macht, Herrfchaft und Herrlichkeit zu 
Daniels Zeiten, Fein Menfch errathen, vielweniger voraus: 
fehen konnte, daß es in fpätern Zeiten in zwei große Reiche, 
in das morgenländifche und abendlandifche, oder aud) in eine 
geiftliche und weltliche Monarchie zertheilet werden würde, 
wurde durch die zween Füße des Bildes vorgeftellt; — wie 
genau ift dies eingetroffen? fogar die zehn Zehen, Die mit den 
‚zehn Hörnern des Thiers Eind find, verfehlen ihre Bedeus 
tung nicht; und treffender kann die Verfaffung diefer Neiche 
nicht gezeichnet werden, als durch’ vie fonderbare Miſchung 
der beiden Füße, aus Eifen und Thon — Feſtigkeit und 
Zerbrechlichleit — ja wahrlich! das ift ihr wahrer Charaf- 
ter! — der Thon fol der Kütt feyn, der die Eifenftüde 
miteinander verbindet, aber wie wenig er binde und zuſam⸗ 
menhalte, das zeigt die Gefhichte. Aber was wird 
nun aus diefen beiden Reichen, und dem games 
zen Bild? — Ein Stein wird oben auf dem Berge ohne 
menfhlidhe Hälfe, von felbft, Los; wälzt fi 





— — 


———————————— 


I 


Nachtrag zur Siegsgefchichte. 493 


herab, fchlägt das Bild an die Füße, rollt über daB ganze 
Bild hin, und zermalmer es zu Staub, fo daß ihn der 
Wind verweht, und nichts mehr von ihm übrig bleibt. Der 
Stein aber bleibt num liegen, und erwädst, 
zu einem großen Berg, der die ganze Welten 
fülfer. Was nun diefer Stein eigentlich bedeutet, das 
fagt uns der 44fte und 45ſte Vers deutlich und majeftätifcht 
er bedeutet ein Königreich, das Gott vom Himmel aufrich⸗ 
ten, das nimmermehr zerſtoͤrt, nie auf ein anderes Volk 
kommen, und alle Koͤnigreiche der Welt zermalmen wird. 

Aus dieſer Weiſſagung koͤnnen wir noch eine andere nuͤtz⸗ 
liche Folge ziehen; 

Der Stein, der ohne menschliches Zuthun den Berg herz 
abrolft, ift der Grundftein, den die Bauleute verworfen has 
ben, und der nun jeßt auf fie fällt und fie zermalmt; es 
bedeutet die Zufunft des Herrn zum Gericht 
des Antihrifts, und des falſchen Propheten, 
mit ihrer gefammten Macht, und dann zur Ers 
rihtung des taufendjährigen Reihe, 

Diefer Stein trifft zuerft die Beine und wälzt fich dann 
über das umgeftürzte Bild hin und zermalmt es; dies ftellt 
vor, daß der Schlag die beiden Reiche im Orient und Occi⸗ 
dent zuerft treffen, und dann alle Reihe und Pins 
ber, die ehmals zu den vier Monarchien gehört 
haben, fih zu dem Herrn wenden, und no 
feinem Reich unterwerfen werden. 

Der Stein wächst zu einer foldhen Größe, daß er ein 
Berg wird, der die ganze Erde ausfüllt; dies bedeutet, 
daß fihb nah und nach alle Nationen der Erde 
an dDiefen König und fein Reih anſchließen 
werdem 
Dies mag, in Anfehung der Weiffagungen , die auf das 
taufendjährige Reich zielen, genug feyn. Was die zwölf 
Heine Propheten davon bemerken, das mag nun der fleißige 
Bibelforfcher feldft auffuhen. 

Aber es ift auch wohl wahr — kann man ſich feſt da⸗ 
rauf N: daß alle diefe Weiſſagungen nichts anders 


494 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


als das noch zukuͤnftige tauſendjaͤhrige Reich bedeuten? — 
koͤnnen ſie nicht auch eine myſtiſche Vorſtellung 
des geiſtlichen Reichs Gottes ſeyn — 

Liebe Leſer! die Propheten ſagen beſtimmt, daß das ganze 
Iſrael, nicht allein Juda und Benjamin, wie nach der ba⸗ 
bylönifchen Gefangenfchaft — nein! das ganze Sfrael, aus 
allen vier Winden gefammelt, werden fich befehren, in fein 

"Land ziehen, und dort ein beftändiges glücfeliges und nie 
zu befiegendesd Reich aufrichten, und deffen König — Da: 
vid — ſeyn foll, zu diefem Reich follen fih dann 
auch die Heiden fammeln, und mit Zfrael ein 
einziges ewiges Volk Gottes ausmadhen — 
Dies ift Das reine, ungezwungene, unverdrehte Wort Got: 
tes, fo wie es aus der Propheten Mund gegangen iſt; daß 
ünter dem König David Chriſtus verſtanden werde, bedarf 
wohl Feiner Erinnerung; er ift ja Davids Sohn. 

Wenn aber dieſes Alles fo klar und gewiß iſt, fo. ſolte 
man denken, die Lehre vom tauſendjaͤhrigen Reich muͤßte 
auch von allen chriſtlichen Religionspartheien als ſymboliſch 
angenommen worden ſeyn; welches aber der Fall nicht iſt, 
im Gegentheil, man hat fie unter dem Namen Chiliasmus 
verkeßert, und ihre Anhänger, die Chiliaften, hicht. für 
vechtgläubig angefehen. : Der Grund hievon lag von jeher 
in den unrichtigen, und zu finnlichen WVorftellungen „ die 
man fich von diefem Reich machte, als ob da alle mögliche 
finnliche Vergnügen erlaubt feyen. — Die Folgen. davon 
‚ waren , daß man bald bie und da died Neich ſchon anfanz 
gen wollte, woher dann argerliche und traurige Folgen ent: 
fanden, Indeſſen Fein Mißbrauch und auch BEN. * 
ketzerung kann der Wahrheit ſchaden. 

Zum Beſchluß dieſes Kapitels will ich noch m Uns 
leitung. des prophetifchen Worts, einige Vermuthungen von 
der Befchaffenheit diefes Reichs ChHrifti auf Erden mittheilen, 

Nach dem Gericht des Antichrifts mir feinen "ganzen 
Anhang, und der Einferferung des Satans mit feinen 
Engeln, find nun alle Feinde Gottes,“ Chrifti, und der 
wahren Ehriften, vollfommen überwunden; jegt ift nun von 


Nachtrag zur Siegsgefchichte. 495 


der Seite nichtd mehr zu befürchten; allenthalben: ift Friede 
und Ruhe! hierauf folgt nun die erfte Auferftehung , an 
welcher erftlich die Blutzeugen und dann auch Alle, die 
während der letzten großen Verfuchung und heißen Probe, 


unter der Herrfchaft des Menfchen der Sünden treu aus⸗ 


gehalten haben, Theilnehmen, und mit Chrifto re=. 


gieren follen. Sn wie fern die lebenden Menfchen etwas 


von dieſer Auferſtehung gewahr werden, das koͤnnen wir 


nicht wiſſen. Sch vermuthe, daß ihnen die auferſtandenen 
Heiligen zu Zeiten erſcheinen und ihnen mit Rath und That 
beiſtehen werden, vielleicht beſteht eben darinnen 
die Theilnahme ander Regierung. — Der Haupt- 
ſitz dieſes Koͤnigreichs wird zu Jeruſalem ſeyn: dieſe Stadt 
wird dann wieder herrlich gebaut werden, und das bekehrte 
Iſrael wird wieder fein Land.im Segen- bewohnen, doc) 
fo, daß auch die Ehriften aus andern. Nationen unter 
ihnen, mit, gleichen Rechten wohnen. dürfen; aller Natios 
nal = Unterfchied. wird dann aufhören, und alles ein 
wirt und eine Heerde feyn. 

Daß von da an Jeſus Chriſtus, der. Sohn David, der 
ewige unfterbliche König. dieſes Reichs feyn werde, daran 
kann man nicht zweifeln; ob Er aber ſinnlich, jedermann 
zugänglich, und fichtbar, in Serufalem, in feiner verklärs 
ten Menfchheit wohnen, oder. fonft,. ungefähr fo. wie im 
alten Teſtament, durch ein ſichtbares Zeichen feiner Gegen 
wart, durch eine Schechinnah, den Fragenden Ant⸗ 
wort geben werde, das koͤnnen wir nicht wiſſen. Zu feinen 
Juͤngern ſagte Er am letzten Abend : Er werde hiufort nicht 
mehr Wein mit ihnen trinken, bis Dereinft im Reich 
ſeines Vaters. Man mag diefe Stelle! nehmen wie 

man will, fo ſcheint ſie doch einen ſinnlichen Uyıgang ans 
zuzeigen; vielleicht erſcheint Er von Zeit zu Zeit ſeinen 
Geliebten perſoͤnlich, und bricht wieder das Brod, und 
gibt innen den Kelch der Danukſagung — die oben 
angefuͤhrten bedenklichen Worte ſcheinen dahiu zu zielen. 

Die Form der Regierungsverfaffung wird eine Theofratie 
ſeyn, und und zwar von einer ganz beſondern Art: — denn 


496 Nachtrag zus Siegsgeſchichte. 


die Religion wird die etwa entſtehenden Streitigkeiten ſchlich⸗ 
ten, und nicht die Rechtöfunde. In Serufalem wird ein 
hoher Rath, ein Collegium angeordnet werden, deſſen Glie— 
der vom Herrn felbft gewählt und angeftellt werden; dann 
wird es erft recht heißen: von Zion wird das Geſetz aus: 
gehen. Bon diefem Ober: Appellationsgericht werden Könige, 
Fürften und Regenten ihre Streitigkeiten entfcheiden laſſen, 
und fie werden damit zufrieden feyn, und nie MEN? 
Krieg führen. 

Allenthalben wird das Evangelium wieder rein und lau- 
ter geprediget werden, und man wird Feine andere Lehrer 
anordnen ald wahre Chriften und wahrhaft apoftolifhe Maͤn⸗ 
ner; überhaupt wird die Erkenntniß allenthalben fo groß 
werden, als fie noch nie gewefen ift; die Erde wird voll 
werden vom Licht des Herrn und feiner Klarheit, von ei— 
nem Meer zum andern. 

Die Hauptfache dieſer theofratifchen Kegierung aber, 
wird eine ganz vortreffliche und fehr weislich eingerichtete 
Kirhenzucht feyn; diefe ift die wahre Polizei des 
Reichs Gottes; jeder Chrift oder Chriftin, vom Kind 
an bis zum Greifen, wird unter genauer Auffiht und Lei: 
tung fiehen, fo daß niemand einen Schritt unbemerkt thun 
Tann, und bier werden vorzüglich die Genoffen der erfien 
Auferfiehung, die verflärten Heiligen wirkfam feyn, 

Auch) die äußere Natur wird ‚fehr wohlthätig wirken; Die 
Luft wird der Gefundheit zuträglicher werden, als fie jeßt 
ift, wo noch fo viele ſchaͤdliche Ausduͤnſtungen und böfe 
Kräfte in ihr herrſchen; und die Menfchen werden wieder 
fehr alt werden. Die Erde wird fehr fruchtbar feyn, von 
Mißwachs und Theurung wird man nichts mehr hören. 
Es wird Feine Armuth mehr feyn denn man wird Jedem 
Mangel alfofort abhelfen. 

- Die allenthalben herrſchende Gefinnung wird Feine eitele Mo: 
denveränderungen und feinen Lurus mehr dulden, aber ehrbare 
Zierlichfeit und Bequemlichkeit wird in allen Familien und Haus⸗ 
haltungen geliebt und geübt werden. Von raufchenden fihnliz 
chen Vergnägungen , die Leidenfchaften und Reize zur Stunde 
sege machen, wird man nichts mehr. wiffen. Opern und 





Nachtrag zur Siegsgefchichte, 497 


Schaufpiele nad) dem gegenwärtigen Gefchmad wird man 
gar nicht Fennen, aber es ‚wird an weit erhabenern, die 
"Seele zur Andacht flimmenden, und das Herz zu jedem 
guten Eindruc fähig machenden Vergnügen gar nicht fehlen, 
Mir einem Wort? dieſer taufendjährige große Sabbath, 
diefes Reich des Triumphs über alle Feinde 
des Herrn und der Menfchen, wird über alle Bes 
fihreibung herrlich feyn. } 
- Am Abend diefes großen Welttags, diefes Sabbaths ohne 
gleichen, alfo zwifchen 2800 und 2856, wird der Satan 
wieder loögelaffen werden; nun bat er noch 160 bis 200 
Sahr Zeit, fein leßtes Heil zu verfuchen. Set wird er 
die entfernteften Nationen befuchen, und fie zum Krieg gegen 
dad Neih des Herrn und feine Unterthanen aufregen. 
MWahrfcheinlich werden nördliche und nordöftliche Voͤlker una 
ter den Namen Gog und Magog verftanden, ich vermuthe, 
daß es die nordöftlichen und mongulifchen: Tartaren feyn 
werden. — Menfchen, die während einer fo langen glüdfeligen 
Zeit nicht zur Erfenntniß gekommen, und Feiner Kultur fähig 
geworden find, werden den Einblafungen des Satans Ges 
hör geben, und dann wenn bie fiebentaufend Jahre pbllig 
abgelaufen find, fo werden fie mit einer ungeheuern Macht 
das gelobte Laud überziehen, aber auch da alle ihr Grab 
finden; man leſe hierüber Ezechiel 58 und 539., deögleichen 
Off. Job. 20.0. 8 9. 
Dies ift nun auf ewig der letzte Verfuch des Satan 
gegen Chriftum und fein Reich; jet wird er auch auf im⸗ 
mer zum Feuerfee verdammt. . Hierauf erfolgt nun die Erz 
ſcheinung des Weltrichters in den Wolken zum allgemeinen 
% jüngften Gericht. Ale Todten werden nun auferwedt, und 
- ‚aller. Menfchen ewiges Schiefal wird entfchieden. Auch 
mit unferer Erde, vieleicht auch mit dem ganzen Sonnen 
yſtem geht eine Veränderung vor; die Erde wird durchs 

Feuer geläutert und verflärt werden, und diefe neue Erde 


nebſt ihrem neuen Himmel wird dann die ewige Wohnung 
der Seligen feyn, f 


* 





Suning's ſauumti. Schriften. II. Band, 32 


498 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


/ 


Das vierte Kapitel, 


Genauere Unterfuhung der Frage, ob und wie die Apo⸗ 
calypfe in der nahen Zukunft, ganz eigentlidy, umd 
gleihfam buchftäblich, werde erfüllt werden? 





Sch habe zwar im erfteri Kapitel diefes Nachtrags ſchon 
vorläufig und durch Beifpiele gezeigt, daß die Weiſſagun⸗ 

gen, welche ins Große und Ganze des Reichs Gottes gehen, 
oͤfters, immer Elarer, und am Ende ganz vollftändig erfüllt 
würden; ich hab auch da fchon diefen Sat auf die Offen: 
barung Sohannis angewendet, allein ich finde ed doch nöthig 
und nüßlich, hier noch einige nähere und beftimmtere Bes 
tradjtungen darüber anzuftellen. 

Zwei fehr würdige, gelehrte und fromme Theologen, 
welche beide noch leben, behaupten in ihren Schriften, daß 
die Erfüllung der apdcalyptifhen Weifagung noch) ganz zus 
Fünftig und bis dahin wenig oder gar nichtd davon erfüllt 
fey: Wir wollen diefe Behauptung genau prüfen, und da= 
bei uüipartheiifch zu Werk gehen; die Wahrheit ift mir theuer 


und werth, irre ich, fo geftehe ich es gerne und dffentlih, 


und widerrufe meinen Irrthum, damit niemand getaͤuſcht 
werden moͤge. Sch bitte, folgende Saͤtze genauzu 
prüfen und wohl zu beherzigen. 

Es gibt hin und wieder Stellen im prophetifhen Wort, 
die auf allerhand Vorfälle angewendet werden koͤnnen, obs 
gleich ihre völlige und eigentliche Erfüllung mit jenen Vor- 
fällen gar nichts zu thun hat; indeffen da fie auch auf ge: 
genwärtigen Fall paflen, fo bedient man fich ihrer ohne 
Schaden und zur Befräftigung der Sache; man nennt dies 





Tr ——— 


2 E — — - 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 499 


fen Gebrauch biblifcher Sprüche eine Accomodation 
derfelben. 

- Die biblifhen Schriftfteller des neuen Teftaments, befon- 
ders die Eoangeliften, und zu Zeiten auch die Apoftel bes 
dienen fich hin-und wieder diefer Accomodation, und zwar 
mit Nugen? denn das jüdifche Volk hatte eine ganz vorzügs 
liche Ehrfurcht, und das mit Necht, gegen feine heiligen 
Schriften; was daralis bewiefen oder damit befräftiget wers 
den konnte, dad wurde geglaubt: Ich will einige Beifpiele 
einer ſolchen Accomodation anführen: | 

Matthäus wendet diefe Stelle Hofes 11. v. 1. Auf Chri—⸗ 
ftum an; als Joſeph und Maria mit Ihm nach Egypten 
flohen, und dann wieder zutüc berufen wurden, Matth. 2. 
v. 15 bis 15. und doch hat dort der Prophet hur die Abe 
ficht zu äeigen, wie undankbar iind ungehorfam das Wolf 
Iſrael fih gegen feinen Bott und Vater betragen habe. 
Dies Beifpiel zeigt alfo deutlich den Unterfchied zwiſchen 
der eigentlichen Erfüllung einer Weiffagung, und einer Accos 
mobation; bei jener paßt das Ganze auf den vor- 
liegenden Fall, bei diefer aber nur eih Theil. 
Aus allem, was dort Hofen fagt, paßt nichts auf Chris 
ſtum, ald nur blos die Worte: Ich rief meinen Sohn aus 
Egypten. Chriftus war aber Fein ungehorfamer 
Sohn. 

Ein anderes DBeifpiel finden wir bei dem Bethlehemitifchen 
Kindermord, wo der Evangelift den Spruch aus dem Pros 
pheten Jeremia Kap: 51. v. 15. anführt: man hört eine 
Fäglihe Stimme, ein bitteres Weinen auf der Höhe, Rahel 
beweinet ihre Kinder u. f. w. Daß der Geift der Weif- 


ſagung in diefem Kapitel nicht jenen Kindermord, fondern 
die derdinflige noch zukünftige Bekehrung und Ruͤckkehr 


Iſraels in fein Vaterland im Auge. habe, das zeigt der 


ganze Inhalt. Wenn die Noch diefes Volks aufs Höchfte 
geſtiegen it, und Rahel dann alle ihre Kinder be 


weint, und glaubt, es fey aus mit ihnen, dann 
ift eben ihte Rettung Am nächften. 
Noch ein Exempel finden wir Matth. 13. v. 34., wo der 
Ban, 


500 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


Eovangelift die Stelle aus dem 78ſten Pfalm v. 1. und 2; 
auf Chriftnm anwendet, um damit feine Lehrart in Gleiche 
niffen zu befräftigen; Aſſaph fpricht aber da von fi 
felbft, daß er feinen Mund wolle aufthun in Sprüchen, 
und alte Gefchichten erzählen: - Aus dieſen drei Beifpielen 
kann man hinlaͤnglich erfennen, was eine Necomodation tft, 
und wie fie fih von der wahren Erfüllung einer Weiffagung 
unterfcheidet. Man muß aber daraus ja nicht fehließen, daß 
alsdann die Evangeliften geirrt hätten, indem fie die Weif- 
fagung unrichtig erklärten oder anwendeten — keinesweges! 
die Evangeliften waren erleuchtete und bibel 


fundige Männer, fie wußten fehr wohl, daß die Ans - 


führung diefer Sprüche ihre volle Bedeutung nicht erfchöpfte, 
auch) daß fie im Grund auf etwas Anders zielten, fie wollten 
nur mit ihrem — Auf daß erfüllet würde — ſagen: dieſer 
Sprud paßt auch hieher, auch hier wird er erfuͤllet; dage— 
gen führten fie auch Weiffagungen an, die wirklid) nad) dem 
Sinn des Geiftes der Weiffagung durch das erfüllet wurden, 
was fie ald erfüllt anzeigten. 3. B. Matth. 1. ©. 22, 
und 25: Siehe eine Jungfrau wird ſchwanger werden, und 
einen Sohn gebaren, aus Sefaid 7. v. 14. Ferner Matth. 2. 
v. 6: Und du Berhlehem im jüdifchen Lande bift mit nichten 
die Kleinfte, aus Micha 5. v. 1. desgleichen auch Matth. 5. 
v.3: Es’ift eine Stimme eines Predigers’ in der Wuͤſten: 
bereitet dem Herrn den’ Weg u. ſ. w. aus Jeſaiaͤ 40. v. 3. 
Diefe Stellen wurden wirklich da erfüllt, wohin fie der Vers 
faſſer als wirfli erfüllt anweist. Died bemerfe ih nur, 


um den Unterfchied‘ zwifchen einer Accomodation, und wah⸗ 


ren eigentlichen Erfüllung anzuzeigen; wenn man in einer 
geiftlichen Rede einen Spruch aus der Bibel citirt, der das 
beweist, wad er beweifen foll, aber in dem Zufammenhang, 
worinnen er mit dem Vorhergehenden und Nachfolgenden 
fteht, eine andere Bedeutung hat, fo ift das auch e eine Art 
von Accomodation. 

Es gibt aber auch Weiſſagungen, die mehrmals, und auf 
verſchiedene Weiſe erfüllt werden; von dieſen habe ich vors 
züglih im erften Kapitel diefes Nachtrags gehandelt, und 


— 7 N nn Man tn. „ne ge = 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 501 


verſchiedene Beiſpiele davon angeführt: Hierher gehoͤren alle 
Weiſſagungen von endlichen und entſcheidenden Gerichten über 
ein Volk, Staat, oder Königreih; alle Weiffagungen, die 
auf die Erldfung des menfchlihen Geſchlechts durch Chris 
ftum, und auf die Glüdfeligkeit der Erlösten am Ende der 
Tage abzielen; Eur; Alle, die aufs Große und 
Ganze gehen. 

Diefe mannigfaltige Erfüllung hat aber auch ihren Grund, 
ed Fann nicht anders ſeyn; Gott, oder Jeſus Chriftus als 
Meltregent, regiert nach unveränderlichen Gefegem, feine 
Megierungd» Marimen find fih immer gleid. 
Eben fo hat auch das menschliche Verderben immer einerlei 
Hauptquele, Selbftfucht und finnliche Luft, Alle Völker: 
reiche und Staaten gerathen alfo gegen das Ende in ähnliche 
Laſter und in’ einen ähnlichen Verfall, folglih haben auch 
alle göttlichen Finalgerichte etwas Aehnliches miteinander, 
auffer vem Unterfcheidenden der individuellen 
Umftände 

Es ift alfo auch ganz natürlich, daß die Weiffagungen, 
welche folche Gerichte ankündigen, ſich alle ähnlich find, folg: 
lich auch auf alle angewendet werden koͤnnen; fo fand der 
felige Herder eine Aehnlichkeit zwifchen den apocalyptifchen 
MWeiffagungen und’ der legten Zerftorung Serufalems, und 
in feinem Buch Maranatha hat er fie auch darauf angewandt, 
Heinrich Horch fuchte das Hauptmoment der Erfüllung im 
Mohamedanismus und im türkifchen Reich. Zu meiner Ju⸗ 
gend hab ich ein Buch gelefen, welches vor etwas mehr als 
hundert Jahren herausgefommen ift, in welchem der Verfafz 
fer gründlich beweifen wollte, daß Ludwig der 14te König 
non Frankreich der Menſch der Sünden, der Antichrift fey 
denn im Namen Ludovieus liegt die Zahl 666. Er firebte 
nach der allgemeinen Monarchie, er verfolgte die Proteftans _ 
ten oder Hugenotten, u. f. w., allein an die Hauptkennzeis 
hen, an das Mahlzeichen des Thiers, an den falfchen Pros 
pheten, der ihm in die Hand arbeitet, und an die gänzliche 
Verläugnung der. hriftlihen Religion hatte entweder der 
gute Mann nicht gedacht, oder die Weiffagungen unrichtig 


So 


502 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. | 


und gezwungen angewendet. Diefes find nun eigentliche, 
aber falfche Accomodatipnen, welche fehr gefährliche 
Solgen haben fünnen, 3, 3, während dem Anfang 
der franzoͤſiſchen Revolution mußte jeder ‚ der nicht Gefahr 
laufen wollte, ermordet und mißhandelt zu werden, die rothe 
Kappe und die dreifarbige Kogarde tragen. — Diele fahen 
dies für das Mahlzeichen des Thiers an, und nun applicirte 
und accomodirte man, und machte die franzdfifhe Republik 
zum Thier aus dem Abgrund; ich wurde Damals oft gefragt, 
und ich hatte genug zu thun, um zu beweifen, daß eine ganze 
Republik, Fein einzelner Menfch der Sünde, und daß ein 
Zeichen, mit welchem die VBerläugnung Chrifti und feiner 
Religion nicht verbunden wäre, unmoͤglich das Mahlzeichen 
des Thiers ſeyn koͤnnte. Dieſe ——— waren es 
eben, die mich veranlaßten, die Siegsgeſchichte 
zu ſchreiben, 


Dem allein zufolge gibt es wahre: und falfhe Accomoda⸗ 
tionen; jene find folche, Die der allwifjende Geift der Weiſ⸗ 
fagung mit im Auge gehabt hat, Die alfo mit zur Erfüllung 
gehören; die ſe aber werden um der einen oder andern Aehn⸗ 
lichkeit wien, blos von Menfchen erfunden, und find immer 


gefährlich ; theils weil dadurch lieblofe Urtheile über Mens 


ſchen gefällt werden, theils auch, weil fie den wahren Ge: 
ſichtspunkt der Weiffagung verrücen, 


Allein wie finden wir nun die wahren, wie 
vermeiden wir die falfhen Accomodationen, 
und wie treffen wir den eigentlichen a 
punkt der Weiffagungen? 


Eine wahre Accomodation ift, wenn eine Weiſ⸗ 
ſagung auf einen Gegenſtand ſo angewendet wird, daß da⸗ 
durch der Hauptmoment der Erfuͤllung nicht aus den Augen 
geruͤckt wird, und ſich in dem Gegenſtand ſelbſt nichts findet, 
das der Weiſſagung widerſpricht. So haben von jeher viele 
wuͤrdige und erleuchtete Maͤnner das roͤmiſche Pabſtthum fuͤr 
das Thier aus dem Meer erklärt; allein fie haben den Bes 
griff wicht genau genug ausgezeichnet, und, Alles, was nicht 


— — — 


J ——— 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 805 


dahin gehört, nicht rein genug abgeſchieden: Man bemerke 
folgendes wohl; 

Nicht alle Monarchien werden in den Weiſſagungen durch 
reißende und ſchreckliche Thiere vorgeſtellt, ſondern nur die 
vier Hauptreiche, welche 

1) Nach der allgemeinen Weltregierung ſtrebten, und 

2) Die, den wahren Gott verehrende Völker, Sfraeliten 
und Ehriften beherrfchten und verfolgten; folglich die baby⸗— 
lonifche, perfifhe und römifhe Monarchien. 

Das heidnifcherdmifche Reich hatte immer den Plan, die 
ganze Welt zu erobern und zu beherrfchen, und Juden und 
Ehriften zu druͤcken und zu vertilgen; hingegen die chriftlis 
chen römifchen Kaifer Famen weder im Drient noch im Occi⸗ 
dent dazu, ſich die Ausführung eines folchen Plans einfallen 
zu laſſen; fie hatten am Ende genug mit dem Schuß deſſen 
zu thun, was fie wirklich befaßen; daß aber die römifchen 
Biſchoͤffe erft die allgemeine geiftliche Gewalt errungen, und 
vermdg dieſer nun auch die Herrfchaft über die hriftlichen 
Regenten ausübten, das ift unläugbare Thatfache; und daß 
fie auch) fehr viele wahre Chriften unter dem Ketzernamen 
verfolgten und ſchrecklich marterten und martern ließen, das 
Tann Fein Menſch, nicht einmal ein rechtfchaffener Katholif 
läugnen; wenn man nun alfo die Weiffagungen in:der Apo⸗ 
calypfe, Kap. 15. und vorzüglich Kap. 17. Dagegen hält, 
ſo kann man nicht umhin, man muß eine große und bedeus 
tende Aehnlichkeit finden, man fieht augenfcheinlih, daß 


der Geift der Weiffagung auf diefe geiftlihs 


weltlihde Macht gezielt bat, indefien muß man fol: 
gende Hauptpunfte wohl bemerken. 
Der Character ald allgemeiner Bifhof, als Pabſt, trägt 


‚nichts zur Thiers= Eigenfchaft bei; es hat Päbfte geges 


ben, die gewiß nit zum Thier aus dem Meer 
gehören — eben ſo wenig ald der rechtfchaffene fromme 
Katholik zur babylonifchen Hure, und der wahre Chriſt uns 
ter den Proteftanten zum Laodicen unferer Zeit gehört. Nur 
allein die Politik des roͤmiſchen Hofs, die allges 
meine weltliche Herrſchaft mit der allgemeinen geiftlichen 


50% Nachtrag zur Siegsgefhichte 


Macht zu vereinigen, und fo an Gottes Statt die Menfchs 
heit zu regieren, nur dieſe Tendenz ift dad Thier aus 
dem Meer; wer diefe Tendenz nicht hat, fey er Pabft, 
Kardinal oder Bifchof, der gehört auch nicht zu diefem hier. 

Hieraus folgt nun eine fehr wichtige Bemer— 
fung: Wenn in Zukunft eine Macht entfteht, in welcher 
ein Monarch bericht, der die allgemeine Weltherrfchaft an 
fih reißt, auc die geiftliche Macht zu dem Zweck mit der 
weltlichen verbindet, um die chriftliche Religion zu vertils 
gen, — dieſer Zweck mag nun mit Lift oder mit Gewalt 
ausgeführt werden, — fo ift die ſe Macht das näms 
lihe Thier, das ehmals in Rom herrſchte, nur 
Daß es nunnicht mehr das Thier aus dem Meer, 
fondern das Thier aud dem Abgrund ift, weil 
ed dur den Öeift des Abfalls geleitet wird. 
Diefe Macht ift aber feinesweges an Rom, oder an den 
roͤmiſchen Hof, gebunden, fondern jede Andere, Fatholifche 
oder proteflantifche, fobald fie jene Politif annimmt und 
ausführt, fobald ift fie das Thier aus dem Abgrund; und 
eben fo wenig ift dann die babylonifche Hure die verdorbene 
römifche Kirche allein, fondern die ganze, durch den Abfall 
abgewichene Ehriftenheit, gehört dann zu diefer Ehebrecherin. 

Jetzt kommt e8 nun auf die gründliche Erörterung der 
Frage an, ob die Anwendung der MWeiffagung von dem 
Thier aus dem Meer auf die roͤmiſche Politik eine ſchrift— 
mäffige Accomodation, oder eine vollftändige 
Schlußerfüllung ſey? Man kann überhaupt fragen: 
find die Anwendungen der apocalyptifchen Weiffagung auf 
die Kirchengefchichte, fo wie fie von mir in der Giegöges 
ſchichte/ und Bon Andern vor mir gefchehen find, bloße 
Accomodationen, fo daß die wahre Erfüllung 
noch zukünftig iſt, oder ift diefe ſchon ganz 9* zum 
Theil’ vorüber? 

Daß die Weiffagungen, welche mit der — der 
ſechs Siegel verbunden ſind, durch die goͤttlichen Gerichte 
uͤber das Heidenthum, vollſtaͤndig erfuͤllt worden, 
das glaube ich mit Zuverlaͤßigkeit, — da aber in jedem end⸗ 


—* 


m 


Nachtrag zur Siegsgeſchiche. - 505 | 


fichen Gericht über eine Nation, die furchtbaren Reiter des 
Kriegs, des Hungerd und, der verheerenden Seuchen, und 
nicht weniger auch der Ueberwinder auf dem weißen Pferd 
gefchäftigt find, fo wird man ſchon diefe erften apofalyptis 
ſchen Weiffagungen in der nahen Zukunft wieder fehr bequem 
auf.die Zeitgefchichte appliciven koͤnnen; infofern ift alfo dieſe 
MWeiffagung noch immerhin anwendbar. 

Eben fo fcheinen mir auch die prophetifchen Bilder, uns 
ter den ſechs erften Pofaunen, durch das Gericht über das 
morgenländifche Kaiſerthum, und die griechifche Kirche, ganz 
vollender erfüllt zu feyn, — man lefe meine Erflär 
rung in der Siegögefchichte aufmerffam und ohne Vorurtheil, 
ſo wird man mir beiftimmen: denn man findet da nichts 
Gezwungenes, mit den Haaren Herbeigezogened, fondern 
Alles ſchließt fich ungezwungen und fchriftmäßig an einans 
der an, Deswegen fann ich mir.auch nicht wohl vorftellen, 
daß alle diefe mannigfaltigen Bilder noch einmal fo pafjend 
angewendet werden können. Der Inhalt des 10ten und I1ten 
Kapiteld, von der Rede der fieben Donner, vom Tempel⸗ 
meffen und von den zween Zeugen ift durchaus noch zukünftig, 
bald wirdaberauch dies Siegelgebrochen werden. 

Die große und erhabene Hieroglyphe vom Sonnenweibe 
hab ich in der Siegsgeſchichte auf die maͤhriſche Kirche, und 
nunmehrige Bruͤdergemeine angewendet, und ungeachtet alles 
Kopfſchuͤttelns daruͤber — welches nicht immer eine reine 
Quelle hat, bleibe ich auch vier Jahre nach dieſer 
Erklaͤrung in der Siegsgeſchichte, noch immer 
bei meinem Bekenntuiß. Wenn auch diefe Deutung 
eine Accomodation feyn follte, fo ift fie doch wahr und fchrifts 
mäßig. So viel kann ich aber die gute und liebe Matrone 
serfihern, daß fie noch einmal in fchwere Geburtöndthen 
fommen, und für Angft des Herzens laut fchreien wird. 
Die Weiffagung über fie, Off. Joh. 12. wird nun bald 
förmlich und ernftlih in allen Ecken und Enden an ihr er⸗ 
füllt werden; da werden dann auch wohl die Jungs . 
frauen, die fein. Del auf ihren Lampen haben, 
ihren tranrigen Abſchied befommen, 


506 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


Nun folgt im 18. Kapitel die Befchreibung de 8 geheim 
nißvollen Thiers aus dem Meer, und des ans 
dern Thiers aus der Erden; im 17ten lernt man 
erft einigermaßen dies furchtbare Bild Fennen und verftehen, 
man fieht da, daß das chriftlihe Rom und deffen Reich dadurch 
abgebildet wird, allein man fieht auch, daß jet diefe Weif- 
fagung nod) lange nicht, erfchdpft iſt; und es ift fehr wahr: 
fcheinlich, daß in der nahen Zukunft noch ein Thier aus 
dem Meer auffteigen wird, das ind Seyn und Nichtfeyn 
geräth, und dann aus dem Abgrund auffteigt; allein ich 
bitte, fo fehr ich, bitten Tann, behutfam im Urtheilen zu 


ſeyn, dadurch Fann man fic) ſchrecklich verfündigen — wenn . 


' man aud) hier oder da die Eine pder die andere Aehnlichkeit 
mit den prophetifchen Bildern findet, fo muß man nicht alfoe 
fort accomodiren wollen. — Liebe Chriften! feyd ruhig, 
wandelt vor Gott, wachet und betet, ſeyd jeher Obrigkeit 
gehorſam, und wenn Euch etwas befohlen wird, das 
Eurem Gewiſſen zuwider iſt, ſo thut unterthaͤnige und ge⸗ 
ziemende Vorſtellung, und wenn das nicht hilft, ſo wandert 
aus. Der Herr wird mit Euch ſeyn, und koͤnnt Ihr das 
nicht, ſo duldet Alles, Gott wird Euch Kraft geben, aber 
empdrt Euch in keinem Fall! — Chriſten koͤn— 
nen und ſollen nie anders uͤberwinden, als 
Durch Lieben und Leiden, Dulden und Hoffen 

Auf den Gang der Dinge im der Welt Fonnen und follen 
wir anfmerkjam feyn; und wenn wir dann fehen, wie die 
Weiſſagungen ſo puͤnktlich und ſo herrlich erfuͤllt werden, 


ſo preiſen wir Gott in der Stille, befeſtigen uns im Glau⸗ 


ben, und freuen uns der nahen Erlöfung; aber wir ſollen 
nicht öffentlid) davon reden, und noch pielweniger durch 
Schriften das Thier und den Menfchen der Sünden anzeiz 
gen wollen; denn man Fann fich irren, Andere in Irrthum 
verleiten, und fi ohne Noth aus eigener Schuld in ein 
großes Ungluͤck flürzen. Das Kind des Verderbend 
wird fih durch feine unverfennbaren Zeichen 
ſchon kenntlich madhen, und darauf zu merfen, 
if eine Hauptpflicht der Chriſten unfererzeit; 


a > Ami ie 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 507 


eben darum habe ich biefe zeichen fchon im vorhergehenden 
aufs Genauſte beſtimmt, damit man wiſſen moͤge, was in 
der Zeit der Noth zu wiſſen noͤthig iſt; und endlich} wird 
der Herr dann auch zu rechter Zeit einen Mann, oder 
auh Männer erwecken, die feinem getreuen Volk fagen 
werden, was fie thun foflen, 

Der bei weitem größte Theil deffen, was nun vom 14ten 


Kapitel bis zum Beſchluß der Apocalypfe noch geweifjage - 


wird, ift jet noch zufüuftig; wie und was ich davon auf 
unfre gegenwärtige und die naͤchſt verfloffene Zeit applicirt 
und accomodirt habe, das finder man in der Siegögefchichte ; 
bei reiferer Weberlegung finde ich aber, daß noch dad Eine 
und Andere genauer berichtiget und beftimmt werden muß, 
welches dann nun auch in den folgenden Kapiteln unter Got⸗ 
tes Beiftand gefchehen fol, 

Aus diefem Allem folgt nun 

1) Daß der bei weitem größte und wichtigfte Theil der 
apocalyptifchen Weiffagungen noch nicht erfüllt fey, aber 
nunmehr in einem Furzen Zeitraum, und bald 
werde erfüllt werden, 

2 Daß auch Vieles ſchon dur) wahre und richtige 
Accomodationen erfüllet worden, was nun noch 
ſchließlich und volftändig erfüllt werden muß, und 

3) Daß auch ſchon verfchiedenes ſchließlich und vollftändig 


‚ erfüllt worden, weldes demungeachtet in der Zukunft wies 
‚der mit Nugen auf die Zeitumftände angewendet und accos 


modirt werden Fann, 





— 


** 


608 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Das fünfte Kapitel 


Nähere Unterfachung der Frage, wer durch Die drei En⸗ 
gel vorgebildet werde, von denen Off. Joh. 44. v. 6— 
12 geredet wird. 





Nachdem der heilige Seher Johannis im 15ten Kapitel 


die furchtbare Macht befchrieben hat, welche gegen das Reich 


Ehrifti Fampfen würde, fo wird ihm nun auch im 14ten bie 
Heerſchaar des Lamms auf dem Berge Zion gezeigt, er fieht 
Die 144,000 Berfiegelte, und hört dann den Triumph und 
Siegögefang aller himmlifchen Heere. S. Siegsgeſchichte, 
die Erflärung diefes Kapitel. Das Lamm hat gefiegt, 
fiegt, und wird auch über alle Mächte fiegen, 
fie mögen fo furchtbar feyn, wie fie wollen. ' 

Die zwölfmal zwölftaufend, nämlich die 144,000 Berfiee 
gelte, von welchen im 7ten Kapitel geredet wird, machen 
bie Stammgemeinde, die Aetivbürgerfhaft des neuen Fer 
ruſalems aus, an dieſe ſchließen ſich nun alle wahre Chri—⸗ 
ſten an, welche durch das ewige Evangelium von Jeſu 
Chriſto bis ans Ende der Tage werden genommen werden. 

Der Zeitpunkt, in welchem Johannes das Lamm mit ſei⸗ 
ner Schaar auf dem Berg Zion fieht, ſchickt fich fehr gut 
auf die Zeit der Reformation: Die himmlifche Heerfchaar 


‚befingt den Sieg, den das Lamm durch) das ewige Evans 


gelium davon tragen wird; und nun fieht der Apoftel einen 
Engel mitten durch den Himmel fliegen, der ein ewiges 
Evangelium hat, vermög welches Er denen, die auf 
der Erde fißen, und auf Licht und Hülfe harren, dann als 
Ien Nationen, Gefchlechtern, Sprachen und Völkern mit 
flarfer Stimme zuruft: 

Fuͤrchtet Gott, und gebt Ihm Ehre! denn 


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Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 509 


die Stunde feines Gerichts ift gekommen; und 
betet den an, der den Himmel und die Erde, 
und das Meer und die Waſſerquellen gemacht 
hat. 


Ich hab in der Siegsgeſchichte unter diefem Engel den 


feligen Doetor Luther verftanden, und ich finde auch noch 
feinen Grund, von diefer Accomodation abzugehen; indeſſen 
ift mir aber doch während der Zeit ein helleres Licht über 


dieſen Gegenftand aufgegangen, vermög deffen ich nun meis 


nen Lefern jene Idee näher berichtigen und entwideln will, 

So viel ift einmal gewiß, daß dies Geficht des Lammd 
auf dem Berge Zion, feiner Heerfchaar, und der drei aufs 
einander folgenden Engel, den frommen Schriftforſcher, über 
die Gefahren, welche die furchtbaren Thiere drohen, beruhi— 


gen foll; nun ift aber merfwüärdig, daß diefer Troft . 


auf dem ewigen Evangelio beruht, das ein Engel 
bringt — folglih muß in diefem Evangelio die Kraft lie 
gen, jene Mächte zu befiegen — und wie wär das möglich, 
wenn diefe nicht eben darinnen ihre Feindſeligkeit zeigten, 
daß fie die wahre chriftliche Religion befämpften? — Dies 
gefchahe num vorzüglich von den Zeiten des Pabſtes Gregors 


' des 7ten an, bis auf die Zeit der Reformation, und nachher 


noch bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein. — Nun 
entftand die Nichtreligion des Unglaubens , und ihr Gefolge 
war, wahre und falfche Aufklärung, Gleichgiltigkeit Cindiffe- 
rentismus), wahre und falfche Toleranz, Herrfchaft der 
Vernunft über Bibel und Chriftus > Religion, immer fteis 
gender Lurus und Sittenverderbniß; und nun aus dem 


allem der Abfall. War alfo das ewige Evangelium 


eine fiegende Waffe gegen den Aberglauben, fo hat es auch 


die nämliche Kraft gegen den Unglauben; auch diefen kaun | 


— 


und wird es uͤberwinden, und alſo ſeinen Namen ewig, im⸗ 


merwährend herrlich behaupten. 


Luther hat die, beinahe in Vergefienheit gerathene, und 


allein das ewige Evangelium enthaltende, Bibel, durch 
feine Ueberſetzung wieder allgemein gemacht, er iſt alſo un⸗ 
verkennbar dieſer erſte Engel; allein nun muͤſſen wir auch 


510 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Alle, die in ihren Schriften nichtd Anders ald died ewige 
Evangelium, das tft! den wahren Glauben an Zefum Chris 
flum und feine Erlöfungss Anftalten lehren, und auf Sins 
nesänderung und Belehrung dringen, zur fortfchallenden 
Stimme diefes erften Engels erklären — Feiner von ihnen 
kann daher dei Zweite, noch vielideniger der dritte feyn, alfo 
weder Johann Arndt, noch Spener, noch Franke find der 
zweite Engel; fondern nur die noch immerfort ausrufende 
Stimme des Erſten: Denn ber zweite Engel muß auf etwas 
Neues aufmerffam machen: und dies geſchieht auch, denn 
Er ſpricht: 

Sie iſt gefallen! Sie iſt gefallen! Babylon 
Die größe Stadt; denn fie hat mit dem Bein 
ihrer Hurerei getränfet alle Heiden. 

Dei dieſem zweiten Engel bitte ” zwei Hauptftüde wohl 
zu bemerken: 

1) Der Engel ſpricht, ruft Aus, daß es jedermann 
hoͤrt, — denn ſonſt waͤr ja ſein Sprechen unnuͤtz — folg⸗ 
lich muß man in der Geſchichte einen Zeitpunkt angeben koͤn⸗ 
nen, in welchem diefe Stimme fo allgemein und fo laut er: 
fchollen ift, daß fie in.der ganzen Chriſtenheit gehört werden 
fonnte ;.und auch wirklich Bon Allen, die Ohren zum Hören 
hatten, gehört wurde; kann man einen ſolchen Zeitpunft von 
der Reformation an bis daher hicht finden, fo hat der Engel 
aud) noch nicht gerufen, Sch glaube aber, daß wir ihn leicht 
ausfindig machen koͤnnen, wie ſich jeßt gleich Zeigen wird; 
und 2) muß diefe Engelöftimme durchaus, ohne Zwang und 
beffimmt, Rom und feine herrfhfüdhtige Politik 
in Anſpruch nehmen, und ihren Fall ankündigen. Jede 
‘andere, die das nicht ausfchließlidy thut, fid) dad nicht zum , 
Hauptgeihäfte macht, ift die Stimme des zweiten Engels nicht. 

Diefe zwei unbeftreitbare Charaktere diefer Weiffagung fol: 
len uns nun in Aufſuchung der Erfüllung zu Führern dienen. 
Ich habe in der Siegögefchichte den befannten Jakob Böhm, \ 
für diefen Engel erklaͤrt; aber bei reiferem Nachdenken und 
mehreren Licht in diefer Sache, finde ich doch die Accomos 
dation nicht volftäntdig genug : Denn fo mächtig aud) Böhm — 


Nachtrag zur Siegsgefhichte, 651 


vorzüglih in Geheim — gewirkt hat, und jegt noch in 
‚ Rußland, Schweden, Dänemark, Zeutfhland, Holland; 
England, und befonders in Frankreich fortwirkt, fo 
kann ich ihn doc um deöwillen nicht mehr für diefen Engel 
halten, weil doch bei allen feinen Ankündigungen des nahen 
Falls der großen Babel, diefe Ankündigungen nicht Haupte, 
fondern Nebenzwed feiner Schriften find; er lehrt Theo— 
fophie — das ift: die Philofophie des Himmeld und des 
Geifterreichd, und verbindet fie ganz orthodor mit unferm 
ächtevangelifchen Lehrbegriff; dies ift das Thema aller feiner 
Schriften, deren Wirkung auch jenem Zweck entfpricht, aber, 
die Gemüther nicht ganz befonderd und vorzüglich auf den 
Fall Babels aufmerkfam macht, welches durchaus gefchehen 
müßte, wenn der zweite Engel, oder fein Repraͤſentant wäre. 
Mir wollen alfo nur die Gefchichte des fiebenzehnten und 
achtzehnten Jahrhunderts WEDER / und da werden wir 
bald finden, was wir fuchen. ’ 
Gleich nach Jakob Bohms Tod, oder ſchon vor demfelben 
fing der dreißigjährige Krieg an, und im legten Viertel des 
fiebenzehnten Jahrhunderts Ludwig der 14te in Frankreich ; 
während diefem ganzen Zeitraum finde ich feinen Schrifrftels- 
ler, der ſich die Ankündigung des Falls der allgemeinen 
Oberherrſchaft des tömifchen Hofs zum Hauptgeſchaͤft gemacht 
hätte. — Spener, Franke, Gottfried Arnold, die unmittels 
bar auf Franke folgende Halliſche Theologen, und fehr viele 
andere mehr — befonders auch Zinzendorf und feine Gehüls 
fen, hatten Feine andere Abſicht, als das wahre praftifche 
Chriſtenthum, welches allenthalben fehr in Verfall geratheri 
war, wieder bherzuftellen! denn in der Evaugeliſch-Lutheri⸗ 
ſchen Kirche blieb man bei dem nakten ind unfruchtbaren 
hiftorifchen Glauben, und in der Evangelifch: Reförmirten 
Kirche ſpekulirte man über Nebenſachen, predigte den Glaus 
. ben, der durch die Liebe thätig ift, und blieb dann unthäs 
tig; nebenher gab es dann noch Sekten und Schwärnier aller 
Art, die mit dem wahren Chriftentyum allerhand phanta⸗ 
ſtiſche Vorftelungen verbanden, folgli waren jene Männer 
fehr wohlthätige Werkzeuge in der Hand des Herrn, aber 


— 


512 Nachtrag zur Siegsgefhichte.- 


feiner von ihnen wär der Herold, der ben Salt. 
Babels anfündigte. 

Indeſſen gingen in der erften Hälfte des achtzehnten 
Sahrhunderts in Beziehung auf Rom, fehr wichtige Dinge 
port. — alle Fatholifche Mächte fingen an, der Allgewalt 
des Pabſtes Einhalt zu thun, und fich ihrer von Gott vers 
liehenen Rechte zu bedienen; die Bannftrahlen des Vati⸗ 
fans halfen nicht mehr, fie blieben ohne Wirkung, und 
ohne diefe kann der römifche Hof nichts ausrichten; auf 
diefe Weife verloren alfo die Päbfte ein angemaßtes Vor— 
recht nach dem andern; nun trat Juſtinus Febroniuß 
auf, und behauptete in feinen Schriften, daß der Pabft 
allerdings das allgemeine geiftlihe Oberhaupt der Fatholie 
fhen Kirche, aber auch nichts weiter feye, folglich ſich 
auffer feinem eigenen Staat, in die weltlichen Verhältniffe 
anderer Regenten nicht mifchen dürfe u. ſ. w. Dies dffnete 
nun den Fatholifchen Negenten die Augen noch mehr. End: 
ih Fam aud Voltaire mit feinen Helfern hinzu, diefe 
machten nun vollends, nicht blos die Fatholifche, fondern 
alle chriftliche Religionen zu einem vernunftwidrigen. Aber: 
glauben, und legten den Grund zu dem großen Abfall, in . 
welchem wir jeßt leben. j 

Den Hauptftoß befam aber der rdmifhe Stuhl durch 
drei Minifter, welde im Anfang der zweiten Hälfte des 
achtzehnten Jahrhunderts in der Fatholifchen Welt gleich 
ſam das Ruder führten, felbft aber nichts weniger als Fatholifch 
waren, ob fie gleich fo hießen; diefe waren der Marquis 
von Pombal in Liffabon, der Herzog von Choifenil in Ver: 
failles, und der Fürft von Kaunig in Wien: diefe verur⸗ 
ſachten die Aufhebung des Jeſuiterordens, und bewirkten 
dadurch den Fall der paͤbſtlichen Gewalt, der dann durch 
die bekannten raſchen Unternehmungen des Kaiſer Joſephs 
des zweiten noch härter und noch mehr beſchleunigt wurde, 
Mie weit aber die Demüthigung des römifhen Hofs ges 
gangen, und wie tief das allgemeine Oberhaupt der Fathos 
liſchen Chriftenheit gefunfen ift, das haben wir während 
der franzöfifchen Revolution erfahren, 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 515 


Alſo, Babylon iſt gefallen; die Vollendung dieſes 
Falls iſt aber noch zukuͤnftig. 

Wer hat nun dieſen Fall angefündigt? — 

Es iſt aͤußerſt merfwürdig, daß von 1725 bis 1755, alfo 
bis zum Anfang des fiebenjährigen Kriegs, allenthalben, 
in allen proteftantifchen Provinzen Teutſchlands, nicht wenis 
ger auch in Schweden, Dänemark und in Amerika, Erwe⸗ 
ungen entftanden, durch welche viele taufend Menfchen 
zur Sinnesänderung und zum wahren thätigen Chriſtenthum 
geleitet wurden. Die Werkzeuge dazu waren nebft dem oben 
angeführten Grafen von Zinzendorf, Friedrich Rock, Hoch 

mann, die Verfaffer der Berlenburger Bibel, und noch 
\ andere mehr. In dem nämlichen Zeitraum kamen aud) Pes- 
terfend und feiner Frauen Schriften über die Offenbarung 
Sohannis zum Vorfchein. Die Werke der Engländerin Jos 
hanna Leade, "und ihres Landsmanns por Dage wurden ins 
Deutfche überfeßt, auch „der flüchtige Pater‘ ſchlich von Haus 
zu Haus, und wurde allgemein von den Erwecten gelefen; 
allein diefen Büchern ging dann die Berlenburger Dibel in 

acht Foliobänden mit einem guten Beifpiel vor. 

Die Hauptwirkung von diefer Lectüre war freilich pracz 
tifches Chriftenthum, allein die Ahnung vom nahen Fall 
des geiftlichen Babels, und des Aubruchs des taufendjährigen 
Reichs, wurde fo allgemein und fo ſtark, daß hin und 
wieder fehädliche und höchfttraurige Folgen daraus entftan- 
den. ©. meinen Theobald oder die Schwärmer. Bis dahin 
war die Lehre vom taufendjährigen Reich, eben fo wie der 
Begriff von der Wiederbringung aller Dinge, eine Keßerei 
gewefen; auch hatte fich eben niemand darum befümmert. 


N Zinzendorf und die Halliihen Theologen ließen das Alles 


auf feinem Werth und Unwerth beruhen; hingegen die My⸗ 
ftifer, wenigftens zum Theil, und alle, welche die Berlens 
burger Bibel lafen, wurden von der Wahrheit jener foges 
nannten Ketzereien überzeugt; fie ahneten den nahen Fall 
Babels fehr ſtark, und glaubten nun feft an das darauf 
folgende Friedensreich Chriſti; mit dem Allem verbanden fie 


dann auch den Glauben an die Apofataftafis (Wiederbringung 
Stiling’s ſammtl. Schriften, IL Band. 33 


514 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


aller Dinge). Es ift unglaublich, wie groß, weit und tiefs 
wirkend diefe Ahnung und Genfation war. Damals Fam 
eine Zeitfchrift, „die geiftliche Sama‘‘, heraus, welche den 
Dr. Carl in Büdingen zum Redakteur hatte — dies. hat 
man mir in meiner Jugend  gefagt, mit Gewißheit kann 
ich es aber nicht behaupten. — Wenn, man dies Merk, 
welches in drei Dctanbände gefammelt ift, lieöt, ſo wird 
man Vieles finden, welches hieher gehoͤt. 

Sollte der zweite Engel nicht in dieſem Zeit: 
raum von dreißig Jahren den Fall Babels aus— 
gerufen haben? Und iſt es nicht erſtaunlich, daß ges 
rade in diefem Zeitraum, auch in der großen politifchen Welt, 
der Fall des geiftlichen Babels mit Macht bearbeitet wurde, 


ohne daß die Klaffe Menfchen, welde ihn nahe glaubten, 


jenes politifhe Geheimniß nur von ferne ahneten? — Bios 
iene Schriften waren die Veranlaffung dazu, und ihre Vers 
foffer hatten ihre Jdeen aus. der. Bibel, Feinesweges aber 
aus den Kabinetten der Regenten gefammelt, darum bekuͤm⸗ 
merte fi) Feiner. - Bei allem diefem Ahnen Fam indeffen 
doch nichts . Beftimmtes heraus; man hatte hören lauten, 
‚und, wußte nicht wo? — Alle Schriften hatten Wahrheit 
zum Grund, aber der Eine erflärte die Apocalypfe fo, der 
Andere anderd, und der Dritte Fam wieder mit beiden nicht 
überein; jeßt erſchien Bengel mit feiner erklärten Offen: 
barung gerade in der Mitte. jenes Zeitraums, in den vierz 
ziger Sahren, folglich auch genau in dem Zeitpunft,. wo 
alles zu feinem Empfang und zum, Beifall feiner neuen 
Theorie vorbereitet war; diefer rief num den Fall Babels 
aus, und beftimmte fogar 50 Jahr vorher, wann der große 
Kampf beginnen, und der Fall Babylons gefchehen würde. 
Diefer Mann Gottes, der felige Bengel, ift 
alſo wohl zuverläßig der Herold, den derzwei- 
te Engel vorbedeutet hat. ! 


Aber wo finden wir denn nun den dritten Engel? Ich habe in 


der Siegsgeſchichte den ſeligen Auguſt Hermann Franke da— 


fuͤr angeſehen, allein wenn wir Alles reiflich pruͤfen ſo wer⸗ 


den wir doch zwo Bedenklichkeiten dabei finden. — Die 


WERE 


— 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 515 


Erfte verurfaht der Inhalt der Worte — Frels. 
Er ſagt: 

So jemand das Thier und ſein Bild anbetet, und nimmt 
das Mahlzeichen an ſeine Stirn, oder an ſeine Hand, ſo 
wird er auch trinken von dem Wein des Zorns Gottes, der 
unvermiſcht eingeſchenkt iſt in den Becher Seines Grimms, 
und gequaͤlet werden mit Feuer und Schwefel vor den heili— 
gen Engeln und vor dem Lamm; und der Rauch ihrer Qual 
wird in die ewige Ewigkeiten aufſteigen, und diejenigen, die 
das Thier und ſein Bild angebetet, und das Mahlzeichen 
ſeines Nameus angenommen haben, werden weder Tag noch 
Nacht ruhen, | 

Nun ift das doch wohl unwiderſprechlich, daß der Zeuge 


der Wahrheit, der diefe ſchreckliche Drohung verkuͤndigen foll, 


auch wirklich ‚diefe Sprache müffe geführt haben. — Dies - 
finden wir aber weder in Frankens Schriften, noch in feinem 
ganzen Wirfungskreis; er und feine frommen Zeitgenofjen 
machten die wahre praktifche Gottfeligkeit zu ihrem Haupt: 
zweck, wie ich oben fehon bemerkt habe, aber daß fie für der 
Anbetung des. Thiers umd feines Bildes, und für feinen 
Mahlzeihen-fo warnen follten, oder fo gewarnt hätten, daß 
es allgemeine Senfation gemacht hätte, oder daß man es 
als einen Hauptzweck diefes Mannes anfehen koͤnne, das 
finden wir doch nicht. Hiezu kommt nun noch die zweite 
Bedenklichkeit, welche die Sache völlig entfcheidet: Die War: 
nung dieſes Engeld kann nicht eher ftatt finden, bis der 
Menfhder Sünden offeubar, fein Bild zur Verehrung 
aufgeftellt, und fein Mahlzeichen befannt ift: denn wie kann 
man für einer Sache warnen, die man noch gar nicht kennt. — 
Da num bis dahin weder der Menfch der Sünden, noch fein 
Bild, noch fein Mahlzeichen bekannt ift, jo fann auch der 
dritte Engel noch nicht erſcheinen, fondern er 
muß noch zukünftig feyn. ' 
Wenn man, den Ausruf diefes Engeld mit ruhigem und 
aufmerffamem Gemürh betrachtet, fo überfällt.einen Schauer 
und Entjegen — er. ſammelt die fürchterlichiten Bilder des 
ganzen prophetifchen Worts, und donnert fie dann über die 
55 * j 


516 Nachtrag zur Stegsgefchichte, 


Erde Hin — fol eine‘ Stimme hat man bis dahin noch 
nicht gehört; wenigftend war noch Feine fo allgemein, daß 
man fie diefem Engel zufchreiben koͤnnte. Lang kann er 
aber auch nicht ausbleiben, denn das Auffteigen des Thiers 
aus dem Abgrund ift nahe, folglich auch die Offenbarung 
deffen, der vor ihm warnen foll. 

Diefe Warnung wird von großer Wirkung feyn: denn man 
Fann fich leicht vorftellen, daß nun alle wahre Chriften ihre 
Häupter aufheben, dem Menfchen der Sünden recht ins Au⸗ 
geficht fehauen, und fih nun mit Geduld, fefter Standhaf: 
tigkeit und Muth waffnen, und mit Wachen und Beten der 
Hülfe ihres Erlöfers harren werden. Zugleich wird aud) eine 
große Scheidung, eine große Tennenfegerei vor fi gehen: 
Die Abgefallenen werden gar Fein Bedenken tragen, dem 
Menfchen der Sünden zu huldigen, aber ed wird auch viele 
Furchtſame geben, die fich feft vornehmen, innerlich Ehriften 
zu bleiben, ob fie gleich äußerlich dad Thier und fein Bild 
verehren, oder zu verehren fcheinen, und fein Mahlzeichen 
an Stirn und Hand nehmen; fie werden dadurch bürgerliche 
Sreiheit, Gewinn und Gewerbe zu erhalten, und fich gegen - 
Verfolgung zu verwahren fuchen, aber das Schidfal 
auch diefer armen Menfhen wird fbredlid 
ſeynz denn in diefer legten und höchften Probe gilts — 
hier heißt es: Entweder ein Heiliger oder ein Teufel, 
entweder nun bald, in ein paar Sahren, Bürger im Reich 
Gottes, und hernach des neuen Serufalems, oder unaus⸗ 
fprechliche Qual im Feuer= und Schwefelfee in die ewige 
Ewigfeiten. 

In diefer, Feuerprobe wird das reinfte Gold, die Blume 
der Menfchheit ausgefchieden; denn ungeachtet ihrer Fleinen 
Glaubensfraft, und der gegemüberftehenden großen Macht 
der aufgeflärten Finfterniß, des Unglaubens und des Abfalls, 
haben fie Glauben behalten, und find treu geblieben, darum 
follen diefe Letzten nun auch die Erften ſeyn. 

Wie weit jegt der Haß gegen Chriftum und bie, die Ihm 
angehören, bei denen, die die höchfte Stufe des Abfalld er: 
fliegen haben, ſchon gehe, das ift unglaublich, und ich habe 


Ti LT Fi De a 
— —— a ae 
— = Er 
2 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. Fa 517 


davon ſchauervolle Erfahrungen; dann aber, wenn ber größte 
Shriftushaffer, der Sohn Apollions auf dem Thron fißt, 
dann mag der Engel wohl fagen: Hier — in diefem Zeit— 
punft—ift bie Ausharrung der Heiligen, welde 
die Gebote Gottes, und den Ölauben an Jefum 
bewahren — Dff. Joh. 14: v. 12. Denn diefen treuen 
Bekennern der Wahrheit von Jeſu Ehrifto wird auch die 


kurze Zeit von viertehalb Jahren wie eine Ewigkeit vorfoms 


men, darum ift die ausharrende Geduld eben die Hauptfache. 
Was in dem engen Bezirk zu Jerufalem und auf Golgatha 
dem Haupt widerfuhr, das wird num in der ganzen Ehriftens 


‚heit. allen feinen ‚Öliedern widerfahren: des Höhnens, Vers 


achtens, Quälens und Verfolgens wird Fein Ende feyn. Eben 
darum, im Hinblid auf diefen Jammer, erfchallt nun noch 


“eine befondere Stimme aus dem Himmel, welche dem Johan⸗ 


nes zuruft: Schreibe ja auf folgende Worte: Diejenigen 
find glüdfelige Menfchen, welche von nun an fterben, wenns 
nur im Herrn geſchieht: denn fie ruhen aus von ihrem 
Elend, und ihre edle Handlungen bleiben nicht zurüd, 
Kap. 14. v. 15: 

Liebe Lefer! ich warne fo hoch. ich warnen Faun, haltet 
niemand für den Menfchen der Sünden, nichts für fein Bild, 
und nichts für fein Mahlzeichen, bis der dritte Engel fommt, 
der wirds Euch fchon jagen, und dann ift ed auch noch früh 
genug. — Warum wollen wir uns aus blofem Mißverftand 
unndthige. Leiden zuziehen, die vor Gott feinen Werth ha⸗ 
ben? — Wir wollen unfre Kräfte auf den Zeitpunkt aufbes 
wahren, wo es gilt. 





’ \ j 
518 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Das feste Koyikei. 


Einige Bemerkungen über die Weiffagungen som Weibe 
„mit der Sonne bekleidet. Offenb. Joh. 12. 





Es iſt befonders merkwuͤrdig, daß man in der Apocalypfe 
Feine deutliche und beſtimmte Meiffagung von ver. großen 
Sammlung der Sfraeliten aus allen vier MWelttheilen, und 
ihrer allgemeinen Bekehrung zu ihrem Könige David oder 
Ehrifto findet: denn wenn die Verfieglung der 12mal 12000. 
unter dem fechsten Siegel diefe Sanımlung und Bekehrung 
vorftellen follte, fo müßte der’ ganze Inhalt des fiebenten 
Siegels noch zufünftig feyn, und von den ſieben Poſaunen 
waͤre noch nicht eine erfuͤllt; geſetzt auch, es waͤre noch eine 
vollſtaͤndige Erfüllung der apocalyptiſchen Weiſſagung zus 
kuͤnftig, ſo iſt das doch ausgemacht, daß auch ſchon vieles 
peremtoriſch und ſchließlich erfuͤllt iſt. Mir iſt daher ein 
Aufſchluß uͤber dieſen Gegenſtand ſehr augenehm, in wel⸗ 
chem ſich alle Schwierigkeiten leicht heben laſſen. 

Da die Apocalypſe gleichſam der Brennpunkt und die 
Quinteſſenz aller Weiſſagungen iſt, die auf den Zeitraum 
des Neuen Teſtaments und beſonders auf die letzten Zeiten 
zielen; und da die Sammlung und Bekehrung des ganzen 
Iſraels und Juda, nämlich aller zwölf Stämme, von allen 
Propheten oft und vielfältig , nicht zweideutig, fondern be: 
ſtimmt und ausdrüdlid im Namen des Jehovah eidlich 
verfprochen worden, ſo Fann diefe Weiffagung uns 
möglih in der Dffenbarung Johannis ausge: 
laffen worden, fondern fie muß irgendwo vers 
ftedt feyn. Es ift der Mühe werth, daß wir diefe Sache 
veiflich überlegen, und dann auffuchen. 


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Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 2, 


Ich habe in der Siegögefchichte auf dem Wege der Acco⸗ 
modation das Sonnenweib in der mährifchen Brüdergemeine 
gefunden, und darinnen auch Bengeln zum Vorgänger ges 
habt; ich fande ihren erften Urfprung bei den Paulizianern, 
Seite 251 u. f. Diefer Sekte gedenkt Johann Friedrich) 
Roos im arten Band feiner vortrefflichen Kirchenges 
ſchichte, Seite 619 u. f. mit vieler Schonung ; indeſſen ſteht 
fie doch da nicht im beſten Licht; ich ſchoͤpfte meine Nach 
richten aus Gibbons Werk vom Verfall des römifchen Reichs, 
weil diefer Verfaffer ald Nicht-Chriſt, und doch als unpars 
theiifcher Freund der Wahrheit, nad) meiner Ueberzeugung 
richtiger erzahplt, als die Kirchenväter, welche durchgeheuds 
Feinde aller Partheien waren, die nicht mit dem Kanon der Kon: 
cilien übereinftimmten ; und daher manchmal bloße Läfterungen 
als Wahrheit anfahen und fie ihren Schriften einverleibten. 
Melche Gräuel hat man nicht in neuern Zeiten den Pieti— 
fien, Sufpirivten, der Brüdergemeine und andern Gefellfchafe 
ten angedichtet, an welchen doch Fein Wort wahr war? — 
Sch bleibe alfo noch immer bei meiner Erflärung, die ich 
in der Siegsgefchichte vom GSonnenweib geäußert habe, nur 
mit dem Zufag, daß diefe Weiffagung durch jene — 
dation noch bei weitem nicht erſchoͤpft worden iſt. 

Ich bin uͤberzeugt, daß der Geiſt der Weiſſagung, bei 
dieſem ehrwuͤrdigen Bilde des Weibes mit der Sonnen bes 
kleidet, die mährifche Brüderfirche im Aug habe; und daß 
alfo meine Accomodation eine wahre und richtige Anwen 


"dung fey — aber das ift mir feitdem auch klar geworden, 


Daß noch eine eclatante, jedem in die Augen 
firaplende Erfüllung diefer erhabenen Weiſ— 


fagung zufünftig fey. 


Sch bitte mir von meinen Lefern die Erlaubniß aus, 


meine Vorftellung von diefer Sache etwas weitläuftig und 


ausfuͤhrlich auseinander feren zu dürfen, damit mein Vors 


trag defto beftimmter und überzeugender werden möge. 
Ich finde jet eigentlich nur drei Klaffen unter allen Pars 
theien in der Chriftenheit: 
1) Die von Ehrifto Abgefallenen, denen das Evangelium 


* 


520 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


ein abgeſchmacktes Maͤhrchen, und die hriftliche Religion 
bloßer Aberglaube if. — Dad Schickſal dieſer Klaſſe ift 
entfchieden. | | 

2) Die einen Mittelweg Suchenden, wo Feiner iftz bie 
alfo mit Vernunft und Philofophie accordiren, die Bibel 
und das Evangelium annehmen, aber beide nicht nad) bib- 
lifhen, fondern nach philofophifchen Regeln erklären wol- 
len; Jeſum Chriftum über alle Maßen rühmen, erheben 
und äfthetifiven, um dadurch ihre innere ‚Weberzeugung zu 
decken, daß Er nichts weiter ald ein guter, aber bloßer. 
Menfch ſey; fie bedenken aber nicht, daß Er unmöglich) ein 
‚guter Menfch feyn kann, wenn Er nicht wahrer Gott ift: 
denn was ift der Menfch, der fich für Gott ausgibt, und 


ift es niht? — Dad ganze Erlöfungswerk erklären fie 


allegorifch, und wenden es dahin an, daß die Befolgung 
der chriſtlichen Sittenlehre von der Sünde und von der 
Strafe der Sünden erlöfe; fie behaupten, der Menfch habe 
die Kräfte, das Sittengefeg zu erfüllen, . und die Gnaden= 
wirfungen des heiligen Geiftes feyen weiter nichts, als der 
äfthetifche Geift des MWahren, Guten und Schönen in der 
riftlihen Moral. So ſchoͤn, fo vernünftig und fo aunehm⸗ 
lich dies Syſtem auch nun fcheint, fo lehrt doch die Erfah— 
rung, daß noch nie ein Menfch dadurch gründlich gebeffert 
worden ift — feinere Sitten und ein gewiffes Afthetifches 
Gefühl kann wohl bei Menfchen von guter Erziehung da= 
durch bewirkt werden, aber bei dem gemeinen Volf haften 


dergleichen Sophiftereien ganz und gar nicht; daher nimmt: 


auch die Sittenlofigfeit unaufhaltbar zu — es ift ſchrecklich, 
daß man dies nicht bemerken, und wieder zur rechten Quelle 
umfehren will! — allein, da heißt ed: man muß doch mit 
dem Zeitgeift,: mit der Aufklärung und mit der Kiteratur 
fortgehen — und man. bedenkt nicht, daß das nur von 
menfchlichen Wiffenfchaften, nicht aber von der be- 
ffimmten Bedeutung foldher Urkunden gelten 
Tann, welche göttlihe Offenbarung find. — 
Eben durch ſolche willführliche Erklärungen der Bibel und 
Zumiſchung der platonifchen und fcholaftifhen Ppilofoppie, 


u re a rn 
F ar, 


\ 


* ——— * 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 521 
haben Koncilien und Bifchöffe die chriftliche Religion zu 


einem abergläubifhen „Heidenthum gemachtz und eben die 
nämliche Marime löst nun die Bande der chriftlichen Reli-⸗ 


gion ganz auf, und führt endlich zum völligen Atheismus. 


- Diefe zweite Klaffe bahnt dem Abfall den Weg, und ift 


um fo viel gefährlicher, weil das Gift unter 
eine angenehme: Speife gemifht wird, ohne 
daß mand weiß! — Gott erbarme fi) feiner Chriftens 
heit, es ift fchredlih! Und endlich _ | 

5) Die in viele Partheien zerfplitterte Gemeine der wahs 


ren Chriften — wo jede Parthei viele treue Verehrer Jeſu 


Ehrifti, viel. Salz der, Erden, und wahrhaft vortreffliche 
Menfchen enthält, die aber bei allem dem doch immer noch 
Vorurtheile gegen jede andere Parthei Haben, wodurd) dann 
allenthalben die Einigkeit des Geiftes und der Fortſchritt 
in der Heiligung gehindert wird: denn wie läßt fih da an 
Vervollkommnung denken, wo die beiden Bürgertugenden 
des Reichs Gottes, Liebe und Demuth, fehlen? — und wie 
kann man den lieben, den man tadelt, und wie fann man 
bemüthig feyn, wenn man fich für beffer hält als 
Andere? Eben diefe fplitterrichterifche Partheifucht unter 
den wahren Chriften macht die große Verfuchungsftunde 
nothwendig: — würden wir und Alle in Liebe tragen, Eis 
ner den Andern, des Unterfchieds der Meinungen in Neben 
fachen ungeachtet, bruͤderlich anfaffen, und innig überzeugt 
feyn, daß wir auch irren Fünnten, fo-würde und Alle das 
Dand der Volllommenheit umfchlingen, und der. Herr im 
unferer Mitte, würde uns zu ſchuͤtzen wiffen: allein, leider! 
leider! — dazu fommts nicht, bis nie erhörte Zrübfal den 
Eigenfinn und Eigendünfel ausbrennt, und dann aus den 


vielen Häuflein endlich eine Heerde wird — Gott weiß, wie 


ernftlich ich bisher an diefer Vereinigung gearbeitet habe, 
allein es bat wenig geholfen, im Gegentheil, ih muß mich 
für meine gute Abficht noch felbft richten und verurtheilen 
laffen; denn da ich zu Feiner Parthei gehöre und gehören 
will, fo hält mich auch Feine Parthei für ganz richtig im 
Glauben. — Dies kuͤmmert mich nun gar nicht, wenn nur 


622 Nachtrag zur Siegsgefhichte, - 


Einigkeit des Geiftes erreicht, und zu Stand gebracht würde, 
allein daran fehlts, es gelingt nicht. Ich will alfo meine 
Ahnung von der Zukunft, fo wie fie in meiner — 
liegt, meinen Leſern treulich darlegen: 

So wie ſich die Aufklaͤrung und der Fortſchriet in der 
Kultur immer mehr und mehr verfeinert, und immer ver⸗ 
nuͤuftiger zu werden ſcheint, fo entfernt ſich die Vernunft 
auch immer mehr von dem wahren Sinn des Evangelii: 
denn es ift unmöglich, daß fie in fich felbft die Quelle der 
Wahrheit folte finden Fönnen, fondern fie muß in götflichen 
Dingen auch durch das göttliche Wort mit himmliſchem Licht 
durchftrahlet werden; dann erft kann fie von geiftlichen über: 
finnliyen Dingen urtheilen; hierzu kann e8 aber im Gans 
zen nicht Formen, weil die Vernunft einmal auf dem Thron 
figt, und Selbſtherrſcherin feyn will; und feyn foll. 

Der Erfolg von diefem Allem kann nun Fein anderer feyn, 
als daß fi) der aufgeflärte Theil der Chriftenheit immer 
weiter vom wahren inwendigen praftifchen Ehriftenthum ent: 
fernt, ungeachtet es fich ihm zu nähern ſcheint — und eben 
ſo werden auch die wahren Ehriften in allen Partheien immer 
verächtlicher — nach und nad) wird man fie immer uner: 
täglicher finden, man wird fie ald unverbefferlihe Men: 
fhen mit Ungeduld betrachten, und fie haffen, drüden und 
verfolgen. 

Sobald nun der Menfch der Sünden offenbar wird, und 
als ein großer Monarch erfcheint, der mit heißem Eifer die 
Religion der Unvernunft, durch Aberglauben bei dem gemei⸗ 
nen Volk, und durch Unglauben bei ven aufgeklaͤrten Stäns 
den allgemein herrfchend zu machen fücht, fo wird ihm die 
ganze Menge der Aufklärung zufallen, und über Alle, die 
fi) zum Evangelio von Jeſu Chriſto, und zur wahren Bibel: 
religion befennen, wird eine ſchwere Trübfal verhängt wer: 
den: denn man wird bei einer — nad) ihrem Sinn — ſo 
hartnaͤckigen eigenfinnigen und unverbefferlihen Menfchens 
Hafje, endlich alle Geduld verlieren, und fie nicht mehr ſcho— 
nen; wer fi) alfo dadurch, daß er dad Bild des Thiers 
nicht verehrt, und fein Mahlzeichen nicht an Stirn und. 


Nachtrag zur Siegsgefhihte 623 


Hand nimmt, als ein wahrer und treuer Verehrer Je ſu Ehrifti 
auszeichnet, der wird als ehrlos, feiner bürgerlichen Freiheit 
und ded Rechts zu gewinnen und zu erwerben, beraubt, und 
gleichfam vogelfrei gemacht werden, In diefer Probe 
werden fehr viele Herr Herrfager und Split 
terrichter, viele Partheimachher und große Lich— 
ter, die man für heilig hielt, nicht befteben, 
und ihr ſchreckliches Theil im Feuerfee finden; 
dagegen werden viele redliche wahrheitfuchende Zweifler, viele 


in der Aufflärung erzogene gute Seelen, zur wahren Erkennt⸗ 


TE Fr u Sr 





niß Jeſu EHrifti Fommen, wie Brände aus dem Feuer ges 


rettet, und Theilgenoffen des herrlichen Friedenreichd werden. 


Jetzt ift num auch die Reihe am verlornen Sohn Iſrael, 
der ſo viele Jahrhunderte des Vaters Zorn getragen, und 
ſchreckliche Schickſale erduldet hat; und hier iſt der Stands 
punkt, in welchem ſich Ezechiel befand, als er das große 
Knochenfeld fahe, Ezech. 57. Dies Geficht ift aufferordent: 
lid) merfwärdigs Der Prophet fahe in einer Entzüdung ein 
überaus großes Feld, dad voller ausgedorrter Menfchen- 
knochen lag — welch ein treffendes Bild von der jüdifchen 
Nation !’— denn’ fo vielen Wig und fo vielen Gewerbfleiß 
fie auch entwidelt, fo haben die Juden doch gewöhnlich 
todte, eisfalte Herzen, wenn von einem Leben aus Gott die 
Nede ift, daher ift es auch feltener Fall, daß ein befehrter 
Jude Stand hält, und ein wahrer guter Chrift wird. — Ga 
wahrlich, in diefem Sinn find fie verdorrte Gebeine, und und 
Menfchen kommt es unmdglid) vor, daß diefes hartnädige, 
bartfinnige Volk follte Fonnen zu Ehrifto bekehrt werden, 
und doc) wirds gefchehens denn der Herr fragt den Prophe- 
ten: meineft du auch wohl, daß diefe Knochen wieder koͤnn⸗ 
ten lebendig werden? der Prophet antwortet: Herr, das 


weißt du am Beften! — Nun befam er Befehl, Leben in 
dieſe dürren Gebeine zu weiffagen; er weiffagte, und ſiehe! 


fie wurden mit Adern, Fleiſch und Haut überzogen, ein bes 
lebender Wind durchwehte fie, und nun fiand das ganze uns 


® zählbare Heer da, und war bereit, wieder in fein —— 


das ſo ne brach gelegen hatte, zu ziehen. 


524 Nahtrag zur Siegsgeſchichte. 


Indeſſen wird es bei diefer Belebung, bei dieſer neuen 
- Geburt fchwer hergeben: : Die jüdifche Nation wird eine 
fehwere Probe auszuhalten habenz vielleicht wird fie aud) das 
Bild des Thiers verehren, und fein Mahlzeichen an Stirn 
und Hand nehmen follen, dies wird dann auch eine große 
Scheidung verurfachen; viele werden e8 thun, und die Reli⸗ 
gion ihrer Väter verläugnen, viele werden es aber nicht thun, 
und diefe Gemeine Sfraeld wird fich dann an die wahren 
Verehrer Jeſu Chrifti anfchließen wollen, aber nun kommen 
die Geburtswehen diefes neuen Sonnenweibes, fie fteht im 
Sonnenglanz, im Licht der Wahrheit, "fie hat den Mond der 
Dernunft, und der Wandelbarkeit ihrer Schickſale unter den 
Füßen; ihre zwölf Stammfterne ſchimmern um ihr Haupt, 
aber Joſeph gibt fich noch nicht feinen Brüdern zu erkennen, 
fie müffen erfttief empfinden, was ſie an ihrem 
Bruder verfhuldet Haben; fie weinen, fie ringen, 
fie fehnen fih nach Licht, fie fchreien nach Rettung, nad) ih: 
rem Meffias, aber da läßt fi nichts hören und ſehen; die 
Angſt ihres Herzens ift groß, und Alles um fie her ift Nacht; 
jegt.erft wird die Weiffagung deö Propheten Jeremia, Kap. 31: 
v. 15. u. f., welhe Matthäus auf den bethlehemitifchen 
Kindermord accomodirte, peremtorifch erfüllt; jetzt 
beweint Rahel ihre Kinder, aber ihre Traurigkeit foll nun in 
Sreude verwandelt werden. Diefer Sammer wird nun durch 
die Geburtöwehen des Sonnenweibes vorgeftellt; fie ängftet 
fih zur Geburt. Jetzt offenbart fich ihr. auf einmal und 
ganz unerwartet. der Herr: Joſeph gibt ſich feinen 
Brüdern zu erfennen — Sch bin Zefus euer 
Bruder! — Mein Herr und mein Gott! welche Empfins 
dungen werden da entfiehen — ihr gedachtet es böfe mit 
mir zu machen, aber Gott gedachte es. gut zu machen; 
denn (ich mußte diefen Weg der Leiden gehen, um Euch ver⸗ 
lorne Schaafe vom. Haufe Sfrael wieder finden zu Fünnen, 
wie nun jeßt wirklich gefchieht. — Kommt nun her in die 
Arme eures Erbarmers, jetzt hat eure Zrübfal ein Ende, 
und nun follen die Verheißungen eurer, alten Propheten 
pünftlih in Erfüllung gehen, 


a De Zeig Zn ie EEE 


En 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 525 | 


Lieben Brüder und Schweftern! wollen wir dann auch fcheel 
dazu fehen, wenn der Vater den Sohn fo Tiebevoß auf⸗ 
nimmt? — dafuͤr bewahre uns Gott!!! 

Dies iſt nun die Geburt des maͤnnlichen Sohnes, eines 
Kindes, das männlichen Gefchlechts, aber nicht mehr Kind, 
fondern erwachfen iſt; daß die Sammlung der Jiraeliten das 
Zufammenftrömen eines fo großen Heers Auffehen erregen 
und das große furchtbare Thier aufmerkſam machen wird, 
daran ift nicht zu zweifeln, und da nun vollends diefe ganze 
Nation die chriftliche Religion annimmt, deren Vertilgung 
befchloffen ift, fo wird man fie mit Macht angreifen wollen, 
aber der männliche Sohn zieht ſich in feine verborgene Herrz 
lichkeit zuruͤck: denn die Stunde des Gerichts über den Mens 
fchen der Sünde ift noch nicht kommen, die theure Gebähres 
rin aber, an welde ſich nun die ganze Heerde aus dem 
andern Stalle Foh. 10. v. 16., nämlich die aus allen chrifte 
lichen Partheien gefammelte, von allem Heu, Stroh und 
Stoppeln gereinigte, treue Gemeinde des Herrn anfchließen, 
und alles zufammen nun ein Hirt und eine Heerde wird, 


befommt zween Adlers⸗Fluͤgel, mit welchen fie in einen ihr 


angewiefenen Bergungsort, in ein Solyma fliehen wird, bis 
der Zorn’ der großen Verfuhungsftunde und des Gerichts 
über den MWiderchriften vorüber gegangen ift; der Aufenthalt 
in dem Ort der Ruhe wird fo lange währen, als die Ty— 
rannei des Menfchen der Sünden währt. Jetzt fteht erft 
Philadelphia in feinem Strahlenglanz, es ift durch die offene 
Thür in Davidsburg gegangen, und nur der wahre Sohn 
Davids hat den Schlüffel, nur Er Fann da auf- und zus 
ſchließen, da ift alfo die Braut des Lamms ficher bis zur 
Hochzeit. Bei allen diefen merfwirdigen Vorfällen wird 


das Vorbild diefes Sonnenweibes, die Brüdergerheine, fehr 


gefchäftig feyns denn fie Hat ſchon die ganze kirch— 
lihe und Polizei-Einrihtung, die bei einem 
Volk des Herrn, das Fein unreines Glied» mehr 
zwifchen fich Hat, nothwendig, und auch danur 
vollfommen ausführbar ift: ihr männlicher Sohn 
ift num viele Jahrhunderte lang vor dem Thron und dem 


526 Nachtrag zur Giegsgefchichte, 


Angefiht Gottes erzogen worden, jeßt kann er num feine 
Regierung antreten, er beipt — der Wohl 
geborne. 

Zur Zeit diefer a: Truͤbſal werden bie Erweckten 
allenthalben, ſie moͤgen Namen haben, wie ſie wollen, allen 
Zwiſt uͤber Nebendinge fahren laſſen, und ſich mit großem 


Ernſt an Jeſum Chriſtum ihren Heiland und Erloͤſer wen⸗ 


den — da wird man keine Zeit mehr haben uͤber Chriſtum 
fuͤr uns, und in uns zu zanken, ſondern man wird mit gro⸗ 
Ber Sehnſucht und mit Thraͤnen im einfaͤltigen Glauben zu 
Ihm fliehen, Ihn allein und ganz fuchen, und Er wird 
fih dann aud endlich von ihnen finden laffen. Ob die 
Wiederbringung aller Dinge wahr fey, und wie es um den 
Hades fiehe, dad wird die geringfte Sorge feyn, auch um 
die Befchaffenheit des taufendjährigen Reichs wird man ſich 
nicht befümmern, nur Shn, nur Ihn, den Edeln, der 
über Land gezogen ift und nun fo lang verzeucht, ben will 
man haben, ſonſt nichts. 

Der Separatift: wird feined Kirchen- und — 
Ekels vergeſſen, und ſich mit großer und tiefer Beugung 
ſeines Haſſes gegen die Prediger ſchaͤmen: Meilenweit wird 
er laufen, um nur einmal wieder eine Predigt hoͤren, und 
mit einem verſcheuchten Haͤuflein das Brod brechen zu koͤu⸗ 
nen. Der Hunger nad) dem Wort Gottes wird feine Nies 
ven. Angftigen, und er wird froh feyn, wenn er nur hie und 
da dürre Broſamlein ſammeln kann. Mit Ihränen wird 
er den Herrn fuchen, und im tiefen Gefühl feines Elends 


und feiner Unwürdigkeit von ferne ſtehen, und nun nicht 


mehr fagens Ich danke Dir, Gott! daß ich befier bin als 
andere Menfchen, fondern: Gott fey mir Sünder gnädig! 
und dies Gebet wird erhört werden. ER. 
Inſpirirte und Quäder werden nicht mehr über die äuffere 
Schaale der bürgerlichen Drdnung die Schulterm zuden, 


nicht mehr hinfigen, um auf die innern Regungen des Geis 


ſtes zu merken, fondern: das große Maranatha — der 
Herr kommt! — wird ihr ganzes Wefen erfüls 
ben, fie werden alle Kleinlichfeiten der Schaale vergefien, 
‚und nach dem Kern greifen. 





>22 u ee Ze ae ie N un 





Nachttag zus Giegögefhicte: 897 


Die Theofophen werden nicht mehr über Jakob Boͤhms 
Schriften fpeculiren, und die ewige Natur der Gottheit ers 
grübeln, fondern fie werden mit flarrem Bli in den ewis 
gen Oſten fhauen, und fih nach dem Aufgang der fünften 
Quellkraft, nah dem ‚Gott des Lichts und der Wahrheit, 
nach. der offenen Pforte in dem menfchgewordenen Erldfer 
fehnen, Er wird fommen, und fienihtbefhämen. 

. Der. Magier und Geifterfeher wird feine mühfeligen Ars 
beiten aufgeben, und nur den Umgang mit dem König der 
Geifter fuchen, Auch der fromme Alchymiſt wird fein hers 
metifched Ei vergeffen, und nun mit Thränen den wahrer 
Stein der. Weifen fuchen, den er auch durch nichts anders 
als burch Thraͤnen ver Reue und der wahren Sins 
nesäanderung finden kann. N 
Seht, meine Lieben! ſo werden fih dann alle Yartheien 
in dem einzigen Punkt, in dem Einzigen, der in Allen Alles 


iſt, vereinigen; Alles: Andere, was bisher trennte, wird 


fhwinden, und Alle werden fich brüderlich umarmen. 

Ach Gott! wenn wir das nur jetzt ſchon koͤnnten, wie viel 
würden. wir Dadurch gewinnen! — wie vielen Sammer und 
wie viele Noth würden wir und dadurch erfparen! — Laßt 
uns doc ein Beiſpiel an den. Erwecten in England neh— 
men! — Bifhöfliche, Presbyterianer, Methodiften , Quäder 
und Diffenters aller Art, haben fich zu einem Ziel und Zweck 
vereinigt, Jeſus und feine Exlöfung it ihnen Alles; nur 
dies wollen, nur dies lehren und beleben fi. Der Herr 
ſchenke uns diefe Gefinnung, Amen! 





628 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


1} 


Da fiebente Kapitel. 


Einige Berntnthningeni über die Stimmen der fieben Don 
ner Off. Joh. 10. über, das Tempelmeſſen, über das 
zwei und vierzig monatliche Zertreten der heiligen Stadt, 

und über das Weiffagen der zwei Zeugen, Kap, 1 





Diejenigen, welche meine Giegögefchichte befien, ‚Bitte 
ic), die oben angezeigten beiden Kapitel zu Iefen, ehe fie 
das, was num hier folgt, ihrer Beherzigung würdigen; wer 
aber auch jenes Buch nicht hat, der wird doch hier Eins 
und Anders finden, das ihm dienen Fann. 

Der heilige Seher fieht einen ſtarken Engel, mit Majeftät 
befleidet , aus dem Himmel herabfteigen; diefer hat ein Fleis 
ned Büchlein in der Hand, welches Zohannes nachher effen 
muß; und num fohreit er mit flarfer Stimme, wie ein Löwe 
brülft, und indem dies gefchieht, fo grollen auch die 
fieben Donner ihre eigene Stimmen, 

Weil diefer Engel Kap. 10. v. 11. fagt: Johannes müffe 
abermal über Völker, Nationen, Sprachen und viele Könige 
weiffagen, das ift: ihnen ihre Schidfale voraus 
verfündigen, ſo fann die Erfüllung diefes Ges 
fihts nicht wohl noch Fünftig ſeynz denn jegt gibts 
nicht viel mehr zu weiffagen, da wir in den Zeiten der Erz 
füllung leben. Es bleibt alfo bei der Zeitbeftimmung, die 
ich in der. Siegögefchichte angegeben habe, naͤmlich, daß 
der Ausruf diefes Engeld ins achte Jahrhundert gehöre; 
dann bitte ic) auch diejenigen, welche die ganze Erfüllung 
der Apocalypfe noch zukünftig glauben, viefen elften Vers 
wohl zu beherzigen;' denn er fegt vom Ausruf des Engels 
an, bis zum Sturz des Thiers, noch eine 'geraume Zeit, 
feinen vollen Chronus voraus. 


i 
} 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 529 


Zudem der Engel mit einer Löwenftimme redete, fo redes 
ten auch die fieben Donner ihre eigene Stimme, doch kanns 
auch fo gegeben werden: als der Engel ausgefchrien hatte — 
aber es ift merfwürdig, daß es heißt, die fieben Donner haͤt— 
ten ihre eigene Stimme geredet, folglid etwas anders ald 
der Engel, Diefer nämlich fchrie einen Schwur aus, mit 
welchem er feierlich betheuerte, daß nun unter der fiebenten 


Poſaune das ganze Geheimniß Gottes, fo wie ed von feinen 


Knechten, den Propheten, fchon längft vorher verfündigt wors 
den, vollendet werden follte, und daß dies Alles Feinen 
Chronus lang dauern werde, Dies war alfo der In— 
balt der fieben Donnerfiimmen nicht — aber 
welches war der Inhalt, und was fagten fie? 
Sch habe in der Siegsgefchichte die Hypothefe angenommen, 
daß der Inhalt des I1ten Kapitels bis zum 15ten Vers die 
verfiegelten fieben Donnerftimmen enthalte; wir wollen diefe 
Hppothefe genauer unterfuchen, und prüfen, ob nicht mit 
Grund etwas dagegen eingewendet werden koͤnne? 
Daß der Donner und fein Gefährte der Blitz, in der 
heiligen Schrift durchgehends als der Ausführer der göttlis 
lihen Gerichte, aber auch — fo wie das Schwerdt und 
der Scepter in der Hand des Monarchen, als ein Zeichen 
feiner Macht und Herrlichkeit betrachtet werde, das Faun 
nicht bezweifelt werden. Schon den Heiden war diefe Vor— 
ftellung geläufig; denn ihr Zupiter, den fie fich. als den hoͤch⸗ 
ften Gott dachten, hatte Donner und Blig im feiner Gewalt, 
und feine Abbildungen führen Blispfeile in der Hand, Es 
ift befonders merkwürdig, daß es in der Grundfprache heißt: 


Die fieben Donner — dies. beweißt, daß man zu Zohan: _ 


nes Zeiten eine gewiffe Vorftellung von fieben Donnern ges 


habt habe; vielleicht rührte fie aus dem 29ften Pfalmen her, 


welcher eins der’ prächtigften Gedichte in der ganzen Bibel 
und ein rechtes Donnerlied ift, ich will es, weil es Furz ift, 
nach) meiner eigenen Meberfegung hier einruͤcken: , 


N 4 i 


Stillings fänmit. Schriften. im. Band. | 34 


550 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Ein Geſang Davids. 
Gebet Jehovah, Ihr Söhne der Helden! 
Geber Jehovah, Ehre und Stärke! 
‚Gebet Jehovah, Herrlichkeit feines Namens! 
Werft euch in den Staub vor Jehovah, in der Ma⸗ 
jeſtaͤt des Heiligthums! 
Hier fangen nun die ſieben Donner an: 

1) Die Stimme Jehovah's iſt auf dem Waſſer, 
Der Gott der Ehre donnert, 
Jehovah über vielen Waffern. 

2) Die Stimme Jehovah's hat Kraft. 

3) Die Stimme Jehovah's hat Majeftät. 

4) Die Stimme Gehovah’s zerfplittert die Eedern, 
Libanons Cedern zertränmert Jehovah; 

Und. Er macht fie huͤpfen gleich einem Kalbe, 
Den Libanon, und den Schirjon gleich dem Sohn des 
Einhorns, 

5) Die Stimme Jehovahs peitſcht mit flammen⸗ 

dem Feuer. 

6) Die Stimme Jehobahs macht daß die Wuͤſte 

erbebet. 
Jehovah macht zittern die Wuͤſte Kadeſch. | 

7) Die Stimme Jehovah's bringt den Hindinnen 

Geburtswehen, und entblößet den raufchenden Wald. 
So weit die fieben Donner, 
Aber: in feinem Tempel verfündigen alle die Seinigen 
Ehre, 
Jehovah fist auf Wafferfluthen. 
Und Jehovah fißt, ein König in Ewigkeit. 
Jehov ah wird feinem Volk Stärke geben. 
Jeho vah wird fein Volk mit Frieden fegnen. 
Wenn man diefe fieben Donner genau unterfucht, fo fine 
det man alfofort, daß fie als Fönigliche Macht: und Ehren⸗ 
zeichen, aber auch als Strafwerkzeuge dargeftellt find. Es ift 
der Mühe werth, Daß wir dieſen Pfalm etwas näher betrachten. 

David befingt hier eigentlich ein ſchweres Donnerwetter, 


— ee a 





Nachtrag zur Siegsgefchichte. 651 


als das erhabenfte Schaufpiel der Natur, und bedient ſich 
dieſes Gegenftands, um dadurdy die Größe und Majeftät 
feines Gottes recht anfhaulich zu machen. Zuerſt ruft er 
die Mächtigften der Erden auf, und ermahnt fie, ihre Ehre, 
ihre Stärke und ihre Herrlichkeit dent aufzuopfern, vor dem 
fie wie nichts zu achten find, und ſich nur vor Ihm in feis 
nein majeftätifchen Tempel in den Staub zu ſchmiegen. Nun 
fangt die Befchreibung des Gewitterd an, wie es vom Abend, 
vom mitteländifchen Meer her emporfteigt; der Dichter denkt 
fih Gott in das Dunkel der Gewitterwolfe, — Es don 
nert! — nun fpriht er: Die Stimme des Herr auf dem 
Gewaͤſſer — der hochwuͤrdige Gott donnert — Jehovah 
über vielem Gewaͤſſer — David hat hier das Maffer in deu 
Gewitterwolfen im Sinn. Der Gott der Ehren done 
nert, ſagt der Dichter — Er dounert zu feiner Ehre 


Der Erfte ift alfo der Ehrendonner, diefer fol je 


dermann zur Ehrfurcht gegen Gott dem Herrfher Himmels 
und der Erden erweden, | 
. Das Gewitter fomme näher, der Donner grollt fürchters 
lid — nun heiße ed: Die Stimme Jehovah's hat Kraft. — 
Der zweite ift alfo der Donner der Stärfe, 
Jetzt fleigt das Donnerwetter über Jeruſalem heran, es 
donnert und blitzt fchredlih, num fagt der Dichters Die 
Stimme Jehovah's hat Majeftär! 
Derdritteiftalfoder Donnerder Herrlichkeit. 
Nun ift das Gewitter vollig da, es donnert, bligt und 
fchlägt ein in die Bäume des Waldes, jet fingt ers Die 


Stimme Jehovah's zerfplittert die Cedern, Jehovah zer: 


truͤmmert die Gedern Libanons, und Er macht fie hüpfen 
gleich einem Kalbe: — Dies Bild ift unvergleihlid! — 
wenn der Blitz einen Baum aus der Erde heraus fchlägt, 
und in taufend Trümmer zerfplittert, fo huͤpft er freilich wie 
ein Kalb; ferner 

Der. Sibanon und der Schirjon gleich dem Sohn des Ein⸗ 
hons. Sogar die Berge werden durch den ſtarken Donner 
und Blig erſchuͤttert, fo daß fie hüpfen wie das Ba eines 
Nashorns, 

34%: © 


532 Nachtrag zur Siegsgeſchichte 


Der vierte iſt alſo der Gedernbreger,. der 
Gebirge erfhättert. 

Nun folge Blitz auf Blitz, und Schlag auf Schlag, ‚da: 
her fahrt der Dichter fort: Die Stimme Jehovah's peitſcht 
oder haͤut mit flammendem Feuer. 

Der fünfte ift alfo der Bline-Gebähren 

Nun zieht das Gewitter über Zerufalem weg, gegen die 
Müfte zu, deswegen heißt es: Die Stimme Jehovah's macht, 
daß die Wuͤſte bebt ; Jehovah macht zittern die Wüfte Kadeſch. 

Derfehöte ift alfo der Bäandiger der wilden 
Natur | u 

Den Naturforfchern ift befannt, daß die Hirfchfühe und 
Rehe bei fchiveren Gemwittern durch den Donner gefchresft, 
zu früh gebähren; indem alfo der fechöte Donner die Wüfte 
beben macht, fo macht nun der fiebente, daß die wilden 
Thiere in derfelben verwerfen, denn es heißt: Die Stimme 
Sehovah’s macht den Hindinmen Geburtöwehen; indem nun 
auch der Bli die Bäume anzündet, und ganze Streden des 
Maldes verbrennen, wodurch Blößen entftehen, fo druͤckt 
dies David mit den Worten aus: und entblößet ben. raus 
fihenden Wald. 

Der fiebente ift alfo der Berwüfter der wil- 
den Natun 

Mährend dem Gewitter N die Angehörigen des Herrn, 
Priefter und Leviten und treuen Sfraeliten , und verherrlichen 
die Ehre des Gottes der Natur und des Donners, dies fagt 
David mit den Worten: und in feinem Tempel verfündigen 
Alle die Seinigen Ehre. Ä 

Bon dem Gewitterregen raufchen Wafferfluthen in allen . 
Thälern und in allen Gaffen der Stadt, daher fagt nun der 
Dichter: Jehovah figt (in den Wolken) über Wafferfluthen ; 
und nun fchließt David, in Betracht der Stärfe und Majeſtaͤt 
Gottes, den nie irgend etwas überwinden kann, der Alles 
behersfcht, mit den Worten: Jehovah fit, ein König in 
Ewigkeit, und in Anfehung feiner Stärke hofft er, Er werde 
auch dem Volk Sfrael Stärke verleihen zum Sieg über feine. 
Feinde. Und nun endigte David im Anblid des fchonen 


* — — — ß 8 


Nachtrag zur Siegsgeſchichto. 635 


Regenbogens: Jehovah wird fein Wolf mit Srieden fegnen. 
Fohannes fagt im 5ten Vers des Aten Kapitel feiner 
Offenbarung: und von dem Thron gingen Blige, Stimmen 


und Donner hervor, und fieben Feuerflammen brannten vor 


dem Thron, welche die fieben Geifter Gottes find — eben 
diefe fieben Feuerquellen Fünnten auch wohl die Erzeuger der 
fieben Donner ſeyn. Wenn alfo der heilige Seher jagt: 
Die fieben Donner — fo Fann man die fieben Stimmen 
Jehovahs, die David befingt, mit diefen fieben Donnerges 
bährern in eine einzige Vorftelung bringen und mit einans 
der verbinden; aber nun kommt ed darauf an, ob wir jeßt 
fon die Stimmen der fieben Donner entfiegeln kͤnnen 
oder dürfen? — Behutfame Vermuthungen in der Furcht 
Gottes dürfen wir wohl wagen, nur dürfen fie nicht fo be: 
ſchaffen feyn, daß fie der zufünftigen wahren Entfiegelung 
auf irgend eine Art widerfprechen koͤnnen. 

Ich habe in der Siegsgeſchichte die Hypotheſe unterftellt, 
daß der Inhalt des I1ten Kapiteld der Apocalypfe bis zum 
15ten Vers, vielleicht die verfiegelten Donnerftimmen enthals 
ten fonne? Wir wollen diefe Sache mit Befcheidenpeit näher 


prüfen: 


So viel glaube ih mit Grund feftfegen zu Fünnen, daß 
die fieben Donner-Verkuͤndiger, Herolde der Ehre und 
Herrlihfeit Gottes und feiner- Gerichte, und 
auch oft Ausführer der Lestern find. Dies beweißt die 
Natur und Schidlichfeit der Sache, und der oben angeführte 
29ſte Pfalm, 

Eben fo zuverläßig glaube ich auch behaupten zu Fönnen, 
daß in der Zeit, im welcher der Engel fpricht, die Ausführ 


‘ rung der Verfündigung der fieben Donner noch zukünftig 


geweſen feyn müßte — dies beweißt ihre Verſieg— 
lung augenſcheinlich. 

Auch das daͤucht mir gewiß zu fern, daß die Neben der 
fieben Donner die Schiekfale des Reichs Gottes, in Anfes 
hung feiner Beziehung auf das Reich des Satans, betreffen. 

Da nun die Apocalypfe die Schidfale des Reichs Gottes 
nnd feinen Kampf und Sieg mit dem Reich der Finfterniß 


in prophetifchen Bildern verfündigt, die Reden der fieben 


554 | Nachtrag zur Siegsgeſchichte 


Donner aber nicht audgelaffen, fondern verfiegelt worden 
find, fo muͤſſen fie irgendwo in der Offenbarung Johannis 
anzutreffen ſeyn. 

Ueber die Eigenſchaft einer prophetiſchen Verſieglung leſe 
man Siegsgeſchichte Seite 201 u. 202. ich füge hier nur 
noch. das hinzus Daniel befam Befehl, die Schrift, welche 
im 11ten und 12tem Kapitel feiner Weiffagung enthalten ift, 
zu verfiegeln; die verfiegelte Schrift ift alfo wirklich da, 
man hat fie von Danield Zeiten an bis dahin leſen Fonnen, 
und. wirklich gelefen, ‚aber fie war verfiegelt, niemand ver: 
ftand fie, bis. Paulus in feiner Epiftel an die: Theffalonicher 
den Menfchen der Sünde bekannt machte, und Das Giegel 


Daniels abnahm, jeßt verftehen wir fehr wohl, was Daniel — 


verſiegelt hatte. Da nun die Apocalypſe das letzte Buch 
in der Bibel iſt, fo kann in feiner andern Schrift 
ber Yuffchluß, oder die Entfieglung der fieben 
Donnerfiimmen gegeben werden, wo aber nun Die 
verfiegelten fieben Donnerftimmen ftehen, und wo ſich ihre 
Entfieglung befindet, das ift noch die Frage? — Zu dem 
Daniel wurde gefagt; Berfiegele diefe Schrift, naͤmlich das 
Nächftvorgehende und aud das Nächftfolgende, weil es da⸗ 


zu gehört, und zu dem Johannes wurde gefagtz Verfiegele 


was die fieben Donner geredet haben, und dieſes 
fhreibe niht. — Diefe legten Worte koͤnnen uns auf 
die Vermuthung bringen, als ob es Johannes gar nicht 
aufgefchrieben hätte — allein dann hätte ja auch Feine Vers 
fieglung ftatt finden koͤnnen; die Reden der fieben Donner 
find alfo ganz gewiß im Verfolg der Apocalypſe irgendwo 
verſteckt. 

Nach dieſem Befehl der himmliſchen Stimme, ſchwoͤrt nun 
der majeſtaͤtiſche Engel, daß es keinen vollen Chronus mehr 
dauern werde, ſondern in den Tagen der Stimme des fie: 
benten Engelö, wann er die Pofaune blafen werde, dann 
folle das Geheimniß Gottes vollendet werden, 
fo wie Er es feinen eigenen Knedhten, den Pros 
pheten, verfündiget hat. | 

Dies Geheimniß Gottes ift wohl zuverläßig Fein Audes 





ige 0 Du vi ü 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 535 


res, als dasjenige, welches im Verfolg, durch prophetifche 
Bilder, nach dem Schall der fiebenten Pofaune, dem heiligen 
Seher vorgeftellt wird; und ed enthält den Teßten Kampf 
und Sieg Jeſu Ghrifi, gegen und über die legte und größte 
Macht der Finfterniß, welche durch den großen feuerrothen 
Drachen, das Thier aus dem Meer und dem Abgrund, und 
durch den ‚falfchen Propheten, oder das Thier aus der Ers 
den, abgebildet wird; vergleicht man nun damit Alles, was 
ber Geift der Weiſſagung durch die Propheten des alten und 
neuen Teſtaments geredet hat, fo kommt folgende unftreits 
bare Enthällung dieſes Geheimniffes heraus: 

Der größte Theil der Chriftenheit wird in den letzten Zeis 
ten von Chrifto abfallen — dann wird ein vielbedeutender 
Monarch entftehen, der fich laut und öffentlich gegen Chris 
ſtum, feine Religion und wahren Verehrer erfläs 
ren, und fie mit Lift und Gewalt zu vertilgen fuchen wird; 
diefer wird nun einen großen und mächtigen Mann 
zum Gehülfen haben, der mit der allerfeinften, abgrundss 
mäßigen Politik, und mit allen Künften der falfchen Philos 
fophie und Aufklärung ausgerüftet, vermittelft feiner Helferds 
helfer zu verführen, und jenem Monarchen anzumwerben fuchen 
wird, wo und wer ſich nur immer verführen und anwerben 
laßt; und wer ſich nicht dazu verfteht, der wird auf die ſchreck⸗ 
lichfte Weife verfolgt und mißhandelt werden. 

Diefem gräulichen Unfug werden nun zween wichtige 
Männer, die zween Zeugen, Apoc. 11. v. 3. und 
ferner, mit großer Kraft und Macht ausgerüftet, entgegen- 
arbeiten, und den wahren Chriften das Wort reden, während 
all diefem Jammer werden die Juden befehrt, mit den wah— 
ven Chriften vereinigt, und wann die Noth am größten ift, 
fo erſcheint der Konig mit den vielen Kronen; 
dDiefer haucht nun mit einem Feuerſtrahl aus 
feinem Munde die ganze Macht feiner Feinde 
inden Feuerſee, und errichtet dannauf der Er 
den das Reich des Friedens, 

Dies ift meines Erachtens der Furze Begriff der Enthiil- 
lung des Geheimniffes Gottes, welches der Engel beſchwoͤrt; 


556 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


es faͤngt nicht mit dem Blaſen des ſi ebenten Poſaunen⸗En⸗ 
gels an, fondern in den Tagen dieſer Pofaune, mit dem 


Anfang des Abfall, der im achtzehnten Jahrhun— 


dert unverkennbar zu finden ift. | 
Wenn wir die Gefhichte der göttlichen Regierung im 


alten und neuen Teſtament, und bis daher in der Kirchens 


gefhichte betrachten, fo finden wir, daß allemal der Verfall 
eines Volks, eine geraume Zeit vor dem peremtorifchen Ges 
richt, mit ſchweren göttlichen Strafen, welche an Schärfe 
bis zur endlichen Vertilgung immer zunehmen, begleitet werde; 
fie find einem Gewitter gleich, welches erft von Ferne droht, 
dann immer näher kommt, immer ſchwerer und gefährlicher 
wird, bie und da oft als Strafzeug und dann auch vielen 
zum Segen und zur Fruchtbarkeit wirkte. Won diefem Allem 
gibt der 29ſte Pfalm die fhönfte Befchreibung. Diefe gött- 
lichen Gerichte haben den Zweck, die Menfchen zu warnen, 
zu ſtrafen, die Zrägen im Guten zu weden, und bie wah: 
ren Chriften zu mehrerem Ernft und Eifer in der Heiligung 
anzutreiben. 


Diefedem peremtorifchen Termin einesDolfs 
sorlaufenden göttlihden Gerichte find nun die 


Med: und Schredftimmen: der fieben Donner, 
fo. wie fie David in fo eben angeführtem Pſalm, in treffens 
- den Bildern malerifch fchildert, fie gingen zu den Zeiten Eliä, 
. Elifä, Sefais und anderer Propheten, vor der babylonifchen 
Gefangenſchaft her; fie waren die Vorläufer vor dem gänzs 
lichen Fall des jüdifchen Staats und der Zerftdrung Jeru⸗ 
falems durch die Roͤmer, und eben fo vor dem. Gericht über 
das morgenländifche griechifche Reich und feine Kirche; am 


allerfcharfften und firengften werden fie ihre Stimme vor dem 


peremtorifchen Gericht über die ganze Chriftenheit, ich möchte 
fagen , über die ganze Menfchheit hören laſſen; vielleicht 
hat fchon die Eine und die Andere in unfre Ohren gedonnert! 
David fordert. die Verehrer Jehovah's auf, im heiligen 
Schmuck, oder beffer, in der Majeftät des Heiligthums, 
während dem Gewitter Gott zu verherrlichen, Pfalm 29. 


v. 2. und eben da finden wir fie auch wieder v. 9. Eben 


> Dr ee EU Se m U nn 


— — ee nz dr 2) 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 537 


fo Echren auch die wahren Chriften ins geiftliche ‚innere 


Heiligthum ein, wenn das Strafgewitter von Ferne aufs 
fteigt, und ihren Zeitgenoffen droht; bei allen Donnerz und - 
Bligfchlägen, die hie und da Hohe oder Niedere treffen, 
geben fie Gott die Ehre, sühmen feine Macht und Herrlichs 
keit und bleiben vor Ihm, und bei Ihm, in feinem Heilig⸗ 
thum, bis der Sturm voruͤber gegangen iſt. * 

Eben aus dieſem Grunde traͤgt nun auch der Engel, nach⸗ 
dem er den feierlichen Schwur gethan, und dem Johannes 
das Buͤchlein zu eſſen gegeben hat, dieſem ferner auf, den 
Tempel Gottes, den Altar, und die da anbeten, zu mefe 


‚ fen. Hier kann unmöglich von einem eigentlihen Tempel 


zu Serufalem oder anderöwo, die Rede feyn, denn ein 
folcher finder fih von Johannes Zeiten an, bis daher auf 
der ganzen Welt nichtz- fondern dies Bild bedeutet unftreis 
tig eine große Erweckung, durch welche fich viele von der 
verdorbenen herrfchenden Kirche abfondern, und nun fürfih 
einen eigenen Tempel des Herrn ausmachen; denn die Apos 
fiel nennen ja öfters eine Gemeinde Chrifti, einen Tempel 
Gottes. Das Tempels, Altars und Anbeter:Meffen durch 
den Apoftel ift alfo nichts Anders, als der Anbau, die 
Sammlung und Fircliche Einrichtung einer neuen Gemeine, 
eines neuen Volks des Herrn, dad Er fi) aus der grunds 
verdorbenen Maffe der abgewichenen, heidnifch gewordenen 
Kirche gefammelt, herausgemeffen hatz der Vorhof ift dann 
das Außere Firchliche Ceremonienwefen, welches zum Dienft 
Gottes im Geift und in der Wahrheit nicht gehört; dies 
wird den Heiden überlaffen, welche 42 Monden, oder 666 
Jahre lang, die Stadt Gottes, das geiftliche Serufalem 
zerflörten, fo wie das irdifche Serufalem im eigentlichften 
Sinn, während der nämlichen Zeit von Nichtchriſten, * 
Tuͤrken und Arabern zertreten wird. 

Daß dieſe Erklaͤrung eine ſchriftmaͤßige vorlaͤufige Ycco« 
modation fey, das verfteht fich von felbjt; und ich glaube 
gern, daß eine peremtorifche Erfüllung dieſes geheimnißvol⸗ 
len Bildes noch zufünftig ift. Nach jener Accomodas 
tion iſt alfo das geiftliche Thyatira die waldenfifche, albis 


538 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


genfifche und boͤhmiſch⸗maͤhriſche Kirche, welche fich gerade 
um. die Zeit formirte, als das Thier aus dem Meer auf: 

flieg; als die, eigentlichen Nichtehriften das irdifche Jeru— 
falem, und die geiftliche Heiden, auch das geiftliche Jeru— 
falem, nämlich die Chriftenheit zu zertreten anfingen, und 
fi blos mit dem Vorhof der Religion, mit der äußern 
Geremonienfchaale begnügten, der Tempel, den der Apoftel 
mißt, weil auch, nach apoftolifchen Grundfäßen, Gott darins 
nen gedient wird. Dies Alles läuft nun mit der 
Währung des Thiers und feiner Herrſchaft 
parallel; denn es Dauert 666 Jahr, dad. Me 42 
prophetiſche Monate. 

Ich habe in der Siegsgeſchichte, auf AR Mege der 
Nccomodation das im folgenden 12ten Kapitel befchriebene 
Sonnenweib ebenfalls in obgedachter böhmifch-mährifchen 
Kirche gefunden — demnach wäre alfo der Tempel, den 
Sohannes mißt, mit jener erhabenen Gebährerin Eins, und 
das Eine. Bild gibt dem Andern Auffchluß, bis endlich 
Alesim neuen Sernfalem, PERDIARER bed Lamms, 
vbllig entfiegelt wird, 

Jetzt wollen wir nun auch einen Blick in bie Zufunft, 
auf Die peremtorifhe Erfüllung dieſes Tempel— 

meſſens wagen; ich habe oben im 6ten Kapitel diefes Nach: 
trags die peremtorifche Erfüllung der Weiffagung vom 
Sonnenweibe in der zukünftigen Befehrung des Volks Iſrael 
und deſſen Vereinigung mit der wahren chriftlichen Gemeine 
gefunden, — Dahin gehört nun auch jenes Tempelmeffen 
im eigentlichen Sinn; denn wenn der Sündenmenfc feine 
empdrende Regierung beginnt, welche in ihrer höchften Wuth 
vierthalb Jahr, oder 42 Monate, oder 1260 Tage, welches 
Alles eine Zeitlänge ift, nach) unferer irdifchen Zeitrechnung 
währen foll, fo brüllt der erfte der fieben Donner, 
der die Ehre Jehovah's verfündigt, über das 
große Knochenfeld hin, der Geift des Herrn weht 
Leben in das todte Iſrael, und verfammelt ed; die Ehre 
Sehovah's erfordert, daß Er Wort halte, und das beftimmt 
erfülle, was Er durch alle feine heiligen Propheten feinem 





* Eee me ZT ee u oe 
= 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 539 
Wolf verfprochen hat; dann fagt auch diefer Donner zu 


dem Apoftel: mache dich auf, und miß ben Tempel u. f. w. 


denn nun wird zu der Firchlichen Ordnung, zu dem Tempel, 
der durch das ganze taufendjährige Reich ren m 
der Grund gelegt. 

Diefer erfte Donner der Ehre des Herrn, foll * 
nun auch die ganze Chriſtenheit aufmerkſam auf das aufs 
fteigende Gewitter machen, in welchem der Herr kommt; 
ich moͤchte dieſen erſten Donner daher auch Maranatha 
nennen — Maranzatha — der Herr kommt; aber er grollt 
auch dem das Anathema — die Verbannung , den Fluch — 
zu, der den Herrn Jeſum nicht lieb hat — und gerade dann 
ift ed an der Tagesordnung, Ihn von Herzen zu haffen. 

Ferner wird dem Tempelmeſſer geſagt, er folle den Hof, 


der auswärts dem Tempel ift — hbinauswerfen — 


&xßale 250 — darum weil er den Heiden gegeben ift, und 
alfo nicht braucht gemefjen zu werden, weil er nicht unter 
die Heiligen, die wahren Verehrer des Herrn vertheilt werden 
fol. So wahr und gewiß ift es, daß Religion und Gotted- 
dienft vernuͤnftig feyn muͤſſen, fo unftreitig wahr ift ed auch, 
daß in diefem Fall auch die Vernunft durch das himmlifche 
Licht des Worts Gottes erleuchtet werden muß, fo wie der 
Mond von der Sonne erleuchtet wird; gefchieht dies nicht, 
fo entfteht daher die folfche Aufklärung, welches zur Nature 
Religion, und durch dieſe endlich zum Atheismus führt. 
Sp wie nun abergläubifcher Geremoniendienft , wie ich oben 
erinnert habe, bei der Accomodation des Tempelmeffens der 
Vorhof war, fo ift num jegt die falfche Aufklärung des Uns 
glaubens und Ehriftushafles diefer Vorhof. 

Hier macht nun der zweite Donner, welder die 
Stärke des Herrn verfündigt, eine mächtige Scheis. 
dung: der chriftlichen Heiden ihr Theil ift ihre falfche Aufz 
Härung; der Donner brüllt das Gericht der Verſtockung 
über fie aus, und der Zutritt zum Heiligtum der evangelis 


ſchen Wahrheit ift ihnen auf ewig verriegelt; jegt führe der. 


Donner der Stärke des Herrn das Anathema wirklich aus; 
er verbannt alle TIhiers s Unbeter hinaus in ihren Vorhof, 


540 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


und nun fangen fie auch das Zertreten der heiligen Stadt, 
des geiftlichen Jerufalems, der gefammten verdorbenen Chris 
ftenheit an; die Gemeine des Herrn ift aber nun im Tem: 
pel, im innern Heiligthum; fie ift mit der Urquelle des Lichts, . 
mit der Sonne der Gerechtigfeit Jeſu Chriſti bekleidet, und 
hat ven Mond der falfchen Aufklärung, das Licht des bins 
auögeworfenen Vorhofs, unter ihren Füßen; aber fie hat 
fhredlihe Geburtöwehen, fie ängfter fih, daß fie überlaut 
ſchreit — man leſe, was ich hierüber oben im 6ten Kapitel 
gefagt habe — während dem fteht der fiebenföpfige Drache 
draußen in feinem Vorhof, und Iauert auf den Knaben, der 
geboren werden fol. 
Jetzt laͤßt fih nun der dritte Scnueh, der bie Herrs 
lichfeit des Herrn verfündigt, majeftätifch hören; 
im innern Heiligthum gefchieht die Geburt des männlichen 
Sohns, derlang erfehnte Meſſias nimmt fein Volk in Gnaden 
an, Er ift mit Angftwehen aufs Neue ausgeboren worden, 
aber Er. zieht fih num zurück zu Gott und feinem Stuhl; 
der Donner der Herrlichkeit bligt den Drachen aud) aus dem’ 
Borhof hinaus auf die Erde, und num geht das Zertreten 
Serufalems erft recht an. Off. Joh. 12. ©. 7. bis 17. Das 
Sonnenweib aber, nämlich die Gemeine des Herrn, befommt 
Adlersfluͤgel, durch welche fie in ihren Bergungsplaß gebracht’ 
wird, wo fie viertehalb Zeiten, oder 1260 Tag lang, wels 
ches hier Eins ift, ihren fihern Aufenthalt findet, welder 
mit dem Zeitpunkt der größten Wuth des Thiers anfängt, 
und mit der Ankunft des Herrn und feinem vollfommenen 
Sieg über alle feine Feinde aufhört. | 
Gerade in der nämlichen Zeit, der Geburt des männlichen 
Sohns, der Flucht des Weibes, und der Ausftoßung des 
Drachens aus dem Vorhof auf die Erde treten nun Die 
zween Zeugen aufs Kap. 11. v. 3. u. f., auch diefe hat der 
Donner der Herrlichkeit hervor gebligt, fie find auch wahre 
Benehargem, Donnersöfinder, wie Jakobus und 
Sohannes Mare. 5. 9. 17. fie erfcheinen in Trauerkleidern, 
und das mit großem Recht: denn jetzt ift die Menfchheit, 
und vorzüglich die Ehriftenheit, in einer fo ſchrecklichen Lage, 





— ——— 
* 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 641 


in einer ſolchen Kriſe, in welcher ſie noch nie war, ſo lang 


die Welt ſteht; ſie haben den Auftrag, das letzte Zeugniß 
der Wahrheit von Jeſu Chriſto im Angeficht des regierenden 
Menfchen der Sünden, feines falfhen Propheten, und feis 
nes ganzen Reichs abzulegen, damit niemand ſich mit der 
Unwiffenheit entfchuldigen koͤnne; und um ihrem Zeugniß 
Kraft zu geben, und die Menfchen finnlich zu überzeugen, 
daß ihre Worte Wahrheit find, find fie mit aufferordentlichen 
Kräften verfehen; fie find Mofe und Aaron vor. Pharao, 
und Eliad und Elifa zu Ahabs Zeiten ähnlich. Was für 
Männer müffen das feyn? — und welcher Muth und Ents 
fchloffenheit wird zu ihrem Zeugniß erfordert? Aber dafür 
wird auch ihr Lohn unausfprechlich groß feyn — dies fieht 
man fchon daraus, daß fie die Erftlinge der erſten Aufers 


ſtehung find. Kap. 11. ©. 11. 12 


Diefe aufferordentlihen Männer haben nun drei Donner 
in ihrer Gewalts fie gebieten dem vierten, dem 
Gedernbreber, dem fünften, dem Blitze ge baͤh— 
ver, und dem fehsten, dem Bändiger der wil 
den Natur. Durch den Gedernbrecher tödten fie ihre 


Feinde und Beleidiger, der Blisgebährer ftraplt Feuer aus 


ihrem Munde, und der Bandiger der Natur verfchleußt den 
Himmel, daß es nicht regnet, verwandelt das Waſſer in 
Blut, und fchlägt die Erde mit mancherlei — Kapi⸗ 
te. 1.05 & 

Wenn die zween Zeugen ihr Zeugniß germdigt haben, und 
der Zeitpunkt des großen Gerichts über den Menfchen der 
Sünden da ift, fo macht diefer nun fein Maaß dadurd) 
überfließend voll, daß er die heiligen Männer umbringt. 
Es heißt im Tten Verdi: er werde einen Streirmit 
ihnen halten — fie müffen alfo wohl einen großen Anz 
bang — und viele Brände aus dem Feuer gerettet haben, 
aber durh Streiten fiegt der Chrift nie, fondern durch 
Lieben, Dulden und Leiden; die zween Zeugen fterben den» 
Martprers, den Blutzeugentod und werden nicht begraben, 
fondern fie liegen auf der Gaffe der großen Stadt, 
welche. geiſtlich Sodoma und Egypten genaunt wird, 


542 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


wo auch ihr Herr gekreuzigt worden iſt; über 
ihren Tod entfteht ein großer Jubel, es werden Freudens 
fefte angeftellt, man glaubt, man habe überwunden, aber. 
ploͤtzlich, ganz unerwartet fchläget nun der fiebente. 
Donner, der Verwäfter der Natur, in die Stadt, 
die zween Zeugen werden lebendig, fahren gen Himmel, die 
Erde bebt, der zehnte Theil der Stadt wird verfchlungen, 
° fiebentaufend Menfchen werden getoͤdtet, und die übrigen 
geben in ihrem Schreden dent Gott ded Himmels Herrs 
lichkeit, v. 13. Fett ift nun nichts mehr übrig als die Zus 
funft des Herrn, das Gericht über den Menfchen der 
Sünden, feinen falfhen Propheten, und dann die Ge 
fangennehmung des Satans. 

So weit gehen , nach meiner Einficht, die A iegelten 
Stimmen der ſieben Donner; ich habe dem wahrheitliebens 
den Lefer meine Vermuthungen, oder lieber, meine Ahnung 
gen, darüber mitgetheilt, fo wie fie in meiner Seele liegen; 
wer eine willführliche Auslegung, oder Accomodation, darin 
zu finden glaubt, der möchte fich doch wohl irren: denn je 
tiefer man gründet, defto mehr Uebereinftimmung und Zus 
fammenpaffung wird man allenthalben finden; indefjen bes 
feheide ich mich fehr gerne, daß ich auch hier: durch einen 
Spiegel, vder in einem Spiegel, noch ein Raͤthſel fehe, 
der große Zeitpunkt wird mich indeffen fo weit rechtfertigen, 
daß ih durch diefe Erklärung nicht Er 
fondern genügt habe. 

Im achten Vers des 11ten Kapitels liegt noch ein ER 
würdiges Kaͤthſel verſiegelt: die Leichname der zween Zeus 
gen werden. auf der Gaſſen der großen Stadt liegen, 
welche geiſtlich Sodom und Egypten genannt wird, 
und wo ihr Herr gefreuzgigt worden ift. | 

Hier werden vier Charaktere angegeben, an welchen man 
die Stadt, oder den Ort erkennen fol, wo die zween Zeus 
gen den Martertod leiden: 1) es ift eine große Stadt; 
2) fie heißt im geiftlihen Sinn Sodom; weil ſodom i⸗ 
tiſche Gräuel darin vorgehen; 3) auh Egypten, weil 
fie das Volk des Herrn unter tyrannifcher Kuechtfchaft ges 


ee — 


| Nachtrag zur Giegsgefchichte. 545 


halten, und nun auch durch die zween Zeugen egyptifche 
Plagen erfahren hat; und 4) ift es auch der Ort, wo der 
Herr gefreuzige worden iſt. Diefe legte Bezeichnung deutet 
auf Zerufalem, denn da ift ja die Kreuzigung gefchehen; 
allein daß diefer Ort dann eine große Stadt, ein Sodom 
und Egypten feyn koͤnne, das ift gar nicht wahrſcheinlich; 
mir duͤnkt daher, daß auch diefe Stelle geiſtlich rıvevuarızag 
erffärt werben müffe, und daß man die Worte, Orov xal 


wo auch — fo verftehen Fönne; wo auch eben fo wie in 


Serufalem — ihr Herr gefreuzigt worden ift. In diefem 
Sinn wird alfo das geiftliche Ferufalem und Zuda, die ab- 
gefallene Chriftenheit die große Stadt ſeyn; und die Gaffe 
der großen Stadt — (Enri ıns nhereieg — alfo im Singulari, 
nicht auf den Gaſſen, oder auf einer Gaffe, fondern auf 
der Gaſſe der großen Stade liegen die Leichname der zween 
Zeugen), kann man dann die Refidenz des Menfchen der 
Sünden verfiehen. Ja wohl ift der Herr, durch den Abfall, 
durch den vielfältigen Druck feiner wahren Verehrer, und 
nun auch durch die Hinrichtung der zween Zeugen, in diefer 
großen Stadt, im der ausgearteten Chriftenheif, a uch ges 
freuzigt worden. | 

Mo und welches aber num die Gaffe der großen Stadt, 
die Nefidenz des Menfchen der Sünden feyn werde — wo 
man died Sodom und Egypten fuchen müffe — das dürfen 
wir jeßt noch nicht errathen wollen, damit man nicht fein 
Augenmerk auf die unrechte Stadt richte, und darüber den 
wahren Geſichtspunkt verfehle. | | 

Liebe Lefer! ich bitte, ich befchwöre Euch, richter nicht ! — 
Urtheile — Verurtheilt nicht — denn mit dem Gericht, wos 
mit Ihr richtet, werdet Ihr gerichtet, und nad) Eurer Art 
zu urtheilen, werdet Ihr verurtheilt werden. Kein König, 
fein Kaifer, Fein Regent, fey Euch der Menfch der Sünden; 
fein Ort, Feine Stadt, fey Euch) dies geiftlihe Sodom und 
Egypten, bis man Euch Euren Heiland nehmen, 


und Euch zum Mahlzeihen an Stirn und Hand 


zwingen will. Dann iſts auch noch früh genug. 


— ER EN, 





544 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. | 


Das achte Kapitel, 


Einige Bemerkungen über die fieben Schaalen, welche 
init dem Zorn Gottes angefüllt, und in die ganze Nas 


tur ausgegoffen worden; modurd dann das Gericht - 


über die verborbene Chriftenbeit vollends qusgeſuh⸗ 
ret wird. 





Die majeſtaͤtiſche Beſchreibung des letzten ſchrecklichen 
Gerichts uͤber die abendlaͤndiſche Chriſtenheit, enthalten das 
15te und 16te Kapitel der Apocalypſe; man leſe, was ic) 
darüber in der Siegsgefchichte gefagt habe, Die Erbffuung 
der fechd Siegel enthielt das Gericht über das. heidnifche 


Roms; durch das Erbrechen des fiebenten Giegeld Famen 


fieben Engel mit Pofaunen zum Vorſchein; ſechs Pofaunen 
flürzten das morgenländifche Chriftenthum und feine Mo— 
narchie in den Staub; dad Blafen des fiebenten Engels 


tönet lange: der Feind Gottes und der Menfhen erfchöpft 


num die ganze Politik feines Reichs, um feine Oberherrſchaft 
über die Erde und die Menfchheit zu erwerben, zu erhalten 
und zu behaupten; dazu wird ihm auch Zeit gelaffen, damit 
er nicht fagen Fünne, er ſeye übereilt worden, und damit 
auch die armen Menfchen Zeit haben mögen, ſich zu befinnen 
und zu befehren. Wenn aber nun die Liebe, Kangmuth und 
Geduld Gott Alles verfucht hat, um die Chriftenheit zum 
Nachdenken zu bringen, wer fich befehren wollte, bekehrt ift, 
und wenn die Politik der Holen erſchoͤpft ift, fo treten nun 
in den leßten Tagen der fiebenten Pofaune fieben prächtig 
geſchmuͤckte Prieſter-Engelaus der himmliſchen 


Stiftshuͤtte oder Tempel hervor; dieſe haben gol— 
dene Schaalen, welche fie von einem ber vier Seraphim 





— 


en ur > Sn A 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 545 


empfangen, "und alle fieben find mit dem Zorn des Jehos 


vah, des ewiglebenden Gottes angefüllt. Diefe Beichrei- 


bung ift überaus majeftätifch und furchtbar. 

Um den Lefern, welche die Siegsgeſchichte nicht zur Hand 
haben, nicht unverftändlich zu feyn, will ich die dort weit— 
läuftig abgehandelte Accomodation der fieben. Zornfchaalen 
bier kurz wiederholen, und durch einen oder. andern nähern 
Auffchluß noch mehr erläutern. 

Das Gericht über das heidnifhe Rom. wurde unter den 
ſechs erften Siegeln dur Noffe und Reiter, alſo durch 
Bilder des Kriegs vorgeftellt. 

Die Bilder, welche den Umſturz des morgenländifchen 
Reichs beveuteten, waren Engel mit Pofaunen, mit Streite 
hörnern, fo wie fie ebenfalls im Krieg gebraucht werden. 
Diefe Engel Fanien nicht aus dem Tempel, fondern fie 
traten nur vor den Thron Gottes, und empfingen da ihre 
Pofaunen; folglich ift auch hier von Krieg die Rede. 

Die Bilder aber, welche dies letzte Gericht vorftellen, 
find ganz anders, fie find feierlich, priefterlih „ oder relis 
gids — die Engel. find in feinen fchneeweißen Leinwand 
gekleidet, und über die Bruft mit einem goldenen Gürtel 
umgürtet; died war ganz genau die Kleidung der Aronitenz 
fie haben Fein Symbol des Kriegs, fondern der Religion, 
namlich Schaalen, fo wie fie im Tempel bei dem Opfers 
dienft gebräuchlich waren; und endlich famen fie aus dem 
Tempel, aus der Stiftshuͤtte, wo fie freien Zutritt haben, 
weil fie Priefter find. Auch das ift merfwärdig, daß die 
Schechinnah, die Herrlichkeit Gottes im Tem: 
pel iſt; died beweißt, daß fich der Herr jett einmal wies 
der befonders feines Volfs annehmen, und fich ausfchließend 
mit ihm befchäftigen wolle: denn die Stiftshütte ift 
immer, im Himmel wie auf Erden, Symbol 
der Neligion des leiblichen und geiftlihen 


Siraels. 


Aus diefem Allem glaube ich nun mit Grund fchließen 
zu fönnen, daß diefe fieben legten peremtorifchen Gerichte in 
der chriſt lichen Religions-Verfaſſung ihren Ur- 

Stiling’s fämmtt. Schriften. IN. Band, 35 


— 


546 Nachtrag zur. Siegsgefchichte. 


ſprung nehmen, und auc) durch diefelbe ausgeführet werben. 

In diefer Vermuthung werde ich auch noch dadurch bes 
ftärkt, daß das letzte Gericht darin befteht, daß der Herr 
bei feiner Ankunft feinen Feind mit dem Schwert fei« 
ned Mundes überwinden wird: theild die Macht des 
Worts der Wahrheit, theild auch der feurige Strahl der 
Berfluhung aus feinem Munde, wird jenen auf ewig bes 
fiegen. Ueber die eigentliche Befchaffenheit der fieben Zorns 
fhaalen und der dadurch entfiehenden Plagen will ich mich 
nun näher erklären; ich bitte daher, folgendes mit 
angefirengter Aufmerffamfeit zu lefen! 

Ich habe oben im fechsten Kapitel dreier Klaffen gedacht, 
in welche jetzt die europäifche Chriftenheit zertheilt ift: die 
erfte enthält die wirklich Abgefallenen; die zweite die jet 
herrfchenden fogenannten Neologen; und die dritte die in 
viele Partheien vertheilten altgläubigen Chriften. Die zweite 
jest herrfchende Gefinnung in der Religion, iſt: durd bie 
philofoppifche Aufklärung Menfchenfraft und Menfchenwürde 
in jeder Seele zu entwicdeln, um fie dadurch fo zu ſtaͤrken, 
daß fie gute moralifche Menſchen werden; zu dem Ende 
predigt man auch) nur Moral, und dringt auf das Halten 
derſelben, und bedient fi) dabei dann noch der Bibel, theils 
um die fehwachen Gemüther nicht zu ärgern, theild um doch 
den guten frommen Chriftus nicht fo auf einmal vor den 
"Kopf zu ſtoßen, fondern ‚ihn erft nach und nad au die 
Seite zu ſchieben. 

‚Der Erfolg diefer Methode ift fehr natürlich: wenn der 
Menfch nichts mehr von dem grundverborbenen Zuftand 
hört, im den er durch den Fall unferer erſten Eltern geras 
then ift; nichtd mehr von Fluch » und Verdammnißwuͤrdig⸗ 
feit weiß, fondern wenn er öffentlich gelehrt wird, er ſey 
noch fo, wie er aus der Hand des Schöpfers gefommen fey, 
und alle feine Unvollkommenheiten und Unarten feyen nur 
Folgen feiner anerfchaffenen Endlichfeit; dabei fey es auch 
mit den Höllenftrafen ſo ſtreng nicht gemeint u. ſ. w., fo 
muß nothwendig eine innere Beruhigung und Sicherheit, 
und zugleich eine ſelbſtgenuͤgliche Zufriedenheit mit ſich 





ET 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 547 


felbft entftehen: denn man ift wie man feyn foll, wie einen 
der liebe Gott haben will, weil Er uns ja fo erſchaffen 
hat. Nun. kommt aber noch hinzu, daß man den armen 
verführten Menfchen auch noch die ſes Leben zum erften 
Zwed ihres Dafeyns macht, und daß auch hier fchon der 
finnliche — freilich durch Vernunft geleitete — Genuß nicht 
blos erlaubt, fondern Pflicht fey. An eine Vorbereitung 
und Veredlung des Charakters zur Himmels» Bürgerfchaft 
wird zwar auch gleichfam im Vorbeigang gedacht, aber 
man gibt ſchon jene elende todte Moral und die Leitung 
der Vernunft ald die hinlänglichen Mittel dazu anz und 
was ift nun der Erfolg? — Fein anderer, ald gäanzlicher 
Verluſt aller religidöfen Tugenden; Armuth bes 
Geiftes, Gottes: und Menfchenliebe, Glaube, Hoffnung, 
Geduld, Beftändigkeit im Leiden, und Demuth find gar 
nicht mehr zu erwarten, — denn wo follen die Früchte ei— 
ned Geiftes herkommen, an deſſen Exiſtenz man gar nicht 
mehr glaubt? Dagegen bekommt man höchftens etwas Äfthes 
tifches Gefühl, Gefchmeidigkeit im Umgang, fophiftifche 
Kenntniffe, einen gewiffen Hang zur weichlihen Wohlthaͤtig— 
feit gegen Menfchen, die uns nicht beleidigt haben, 
und Räfonnirfucht, oder Neigung zu glänzen, und doc) ift 
died nur der Fall bei gebildeten Ständen, die eine feine Er— 
ziehung haben; der gemeine Mann, der nur blos durch grelle 
Vorftellungen im; Zügel gehalten halten werden Fann, dem 
alfo die bildlihe Befchreibung von Belohnungen und Stra— 
fen nach diefem Leben, und eine firenge Zügelung des Ges 
wiffens, ſchon dazu unumgänglich nöthig find, um. fich 
nur als ein ordentlicher Bürger, Ehmann und Vater aufzus 


führen, wird durch diefe Lehrmethode zum ausgelaffenften 


Böswicht, wo ihn nur die Polizei nicht mehr erreichen kann. 


Bei jenen gebildeten Ständen find rafender, unerfättlicher 


Luxus, Wolluft aller Art, und der unbändigfte, ſich felbft 

alles aufopfernde Egoismus die unvermeidliche 

Folge; daher reißt allenthalben eine Sittenlofige 

Feit ein, die empdrend und gränzenlos iftz jetzt 

iſt die ganze Natur zu arın, ſolche unerfättliche Begierden zu 
s5 * 


518 Nachtrag zur Siegsgeſchichte 


ſtillen — daher ein immerwaͤhrendes Draͤngen, Treiben und 
Anſichreißen irdiſcher Guͤter, auf Koſten des Nebenmenſchen, 
daher bei den geringern Klaſſen lechzende Rachſucht und 
Empoͤrungstrieb gegen die Maͤchtigern, daher alſo endlich 
eine Hölle auf Erden, 

Diefe ungeheuren Ausartungen alle, wie wir fie in mehr 
oder wenigerem Verhältniß heut zu Tage unter uns finden, 
find ganz natürliche Folgen der Aufflärung und. (Gott 
verzeihe mir den Ausdruck, den fie gebrauchen) gereinig- 
ter, oder reiner Chriftus-Religion, die fie nun 
in achtzehnten Jahrhundert glauben erfunden zu haben, und 
fih fo fehr damit brüften, daß fie den für einen Dummkopf 
und verächtlihen Menfchen halten, der noch der altfränfie 
fhen Bibel glaubt; daß nun aus diefer Gemüthöftellung 
almählig und Häufig Naturalidmus, Determinismus, Fatas 
lismus und Atheismus entftehen müffen, das ift — 
und häufig erfahrne Wahrheit; 

Nur um des Kontraftes willen, will ih nun kurz, * 
wahr, das Bild eines altglaͤubigen Bibelchriſten gegenuͤber⸗ 
ſtellen, und dann, lieber Leſer! — dann urtheile!!! 

Der wahre Chriſt weiß und fühlt, daß er von Natur grund⸗ 
verdorben, und nicht der geringften göttlichen und menfchliz 
hen Wohlthat würdig iftz dies macht ihn von Herzen des 
muͤthig, fo daß er ſich nichts anmaßt, fondern immer das 
unterfte Plätschen fucht, und immer Andere höher 4J 
ſchaͤtzt als ſich ſelbſt. N 

Der ‚wahre Chrift fühlt fi arm an allem, was ihm zu 
feiner Veredlung nöthig iftz er fühlt, daß er von Jugend auf 
ſchwerlich gefündigt und den Zorn Gottes verdient hat. — 
Demäthig kommt er alfo, ohne zu vernünfteln, im Glauben 
zum Erlöfer, ringe und fleht fo lange, bis er in feinem Iu- 
nerften Vergebung feiner Sünden, und nun eine gänzliche 
Veränderung feiner Gefinnungen empfindet; jegr ift er fo 
durchdrungen von der Liebe zu Gottiund zu feis 
nem Nebenmenfhen, daß er für beide Alles 
aufopfern könnte, wenns gefordert würde, 

Der wahre Chrift ift alfo von Herzen demüthig, voller 





Nachtrag zur Siegsgefchichte. 549 


unverfälfchter uneigennüßiger Liebe gegen Gott und Mens 
ſchen, die gerade das Gegentheil des Egoismus iſt; die 
weltlichen Güter und den finnlichen Genuß erlaubter Vers 
gnügungen gebraucht er nur mäßig und zur norhdürftigen 
Erholung, und arbeitet nur immer dahin, um etwas übrig 
zu haben, womit er den Armen und Nothleidenden unters 
fügen koͤnne. 

Der wahre Chrift macht hier in diefem Leben Feine Präs 
tenfionen, er duldet, liebt und leidet; er fett alle feine Hoff⸗ 
nungen auf jenes Leben; und hier findet er im innern Umgang 
mit Gott, und in der Empfindung der Nähe des Allgegens 
wärtigen ein folch reines und erhabenes Vergnuͤ— 
gen, wogegen alle finnlidetuftbarfeiten pure 
Kinderei und Puppenfpiele find; in diefer Ge 
müthöverfaffung wird ihm die heutige theologifche Auffläs 
tung rafende Unvernunft, und das wahre, alte evangelifche 
Chriſtenthum die höchfte und weifefte Vernunft, u, ſ. w. 

Nun fage mir, lieber Lefer! wer du auch feyn magft, 
unter welcher Gattung diefer beiden Menfchenklaffen möchteft 
du am liebften leben? — die Antwort fchenfe ich Dir, fie 
verfteht fich von felbft. Doc ich wende mich nun wieder 
zu meinem Zweck: 

Der herrſchende Geiſt unſerer Zeit, fo wie ihn die Phi—⸗ 
lofophie und Neologie ausgehect haben, iſt: unbändiger 
Egoismus, man liebt und fucht nur fich felbft ; unerfättlicher | 
Luxus; die zügellofefte, natürliche und-unnatürliche Wolluft, 
und ein Empordrang, den nur der firengfte Defpotismus 
bandigt, aber num auch dadurch zur teufelifchen Bosheit 
hinauf reizt. Das natürliche Refultat von dem Allem iſt: — 
der Zorn des ewiglebenden Gottes, womit die 
fieben goldene Shaalen der Priefter-Engel an 
gefüllt find Wir — dies feurige Geiſtwaſſer etwas 
naͤher betrachten: | 

Der immer fleigende, ins Unendlich fich ausbreitenbe 
— in Verbindung mit der zuͤgelloſeſten Wolluſt, und 
der über alles ſich erhebenden Selbſtſucht, bilden den menfch- 
lichen Geift zu einem Ungeheuer, das mit lechzendem Hun⸗ 


— 


550 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


ger und Durft alle Güter des Lurus und der Wolluſt an 
fi reißt, fo weit fih nur feine Gewalt erfireden Fannz 
da mögen Ströme Bluts fließen, Wittwen und Waifen vers 
ſchmachten, und die edelften Menfchen in den Koth getreten 
werden, dad thut alles nichts, es iſt taats⸗-Raiſon und 
daher erlaubt. 

Sagt man mir: Ja! dad’ war aber von Anfang ber 
Melt an, bei allen Nationen und Staaten immer ſo — 
das iſt alfo auch jest nichts fo befondersz; fo antworte ich: 
das ift leider! wahr, aber mit dem großen Unterfchied, daß 
unfern chriftlichen Nationen und Staaten der ganze Rath 
Gottes zur Seligkeit durch Chriftum das von Erfhaffung - 
der Welt an verborgene Geheimniß der Erldfung des 
gefallenen menſchlichen Geſchlechts, feit Jahr⸗ 
hunderten befannt gemacht worden, und daß fie es dennoch 
verachten, und fogar den Weltheiland und feine 
Religion infeinen wahren Verehrern von der 
Erde zu vertilgen fuhen. — Dies war nod) bei kei— 
ner Nation der Fall, daher ift auch das Gericht der fieben 
Zornſchaalen das Schredlichfte, das je Über ein Volk ers 
gangen iſt; wir wollen ed num etwas näher betrachten: 

Die Begierden und dad Lechzen nad) finnlihem Genuß 
geht ind unendliche, aber die Güter, wornad) diefe brens. 
nende Sehnfucht ftrebt, find endlich — die Natur und die 
Kunft hat ihre Gränzen. Hiezu kommt noch, daß der 
Reihe, Mächtige und Klägere Alles um fich her an ſich 
reißt, und dem Armen, Schwäcdern und Dümmern auch 
die umentbehrlichften Befriedigungsmittel entzieht; da mun 
diefer eben fo fehr nach finnlihem Genuß lechzt, fo ents 
ſteht in feinem Herzen Wuth und Verzweiflung, ein hoͤl⸗ 
Lifhes Feuer entzündet fich in feiner Bruſt, er 
leider Höllengqual, und wartet mit Sehnfucht auf die. 
erfte und befte Gelegenheit, ſich ſchrecklich zu rächen. Gebt, 
meine lieben Lefer! dies ift nun der Zorn Gottes! — Er 
ift die ewige Liebe, in Ihm geht Feine Veränderung vor; 
‚aber der abgefallene Ehrift, dem es befannt ift, daß Naͤch⸗ 
fiens und fogar Feindesliebe, Verläugnung der Augen⸗ und 





I 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 651 


Sleifchesluft und des hoffartigen Lebens, Pflichten für ihn 
find, die er erfüllen muß, und die nun dad gerade 
Gegentheil feiner tobendenfeidenfhaften find, 
fühle gar wohl in feinem Junerſten, daß er wohl thun und 
glücklich feyn würde, wenn er den Lehren der Religion . 
folgte; aber eben died macht ihn nun rafend; er wüthet im 
feiner Seelen gegen Gott und Chriftum, und will lieber 
ewig verdammt feyn, als feinen Much nicht Fühlen. Diefe 
Gefinnungift nun eben das feurige Geiſtwaſ— 
fer des Zorns Gottes, mit welchem die fieben 
goldene Schaalen angefüllt find; und dad außer 
der abendländifchen Ehriftenheit noch Feine Nation Fennen 
gelernt hat, weil noch Feine, nach dem eigentlichen Verftand 
des Worts, fo wie jene von Chriſto abgefallen ift: denn die 
morgenländifche Ehriftenheit, fo fehr fie auch in Lurus und 
Laftern verfunfen war, glaubte doch noch immer ganz feft 
an Zefum Chriftum, ald den Sohn Gottes und Erldfer 
der Welt, | | 

Wir haben die Wirkung diefes Zorn: und Fluchwaflers 
während der franzdfifchen Revolution fehr deutlich und. leb⸗ 
haft erfahren; und ich bin noch immer der Meinung, die ich 
in der Siegsgeſchichte geäußert habe, daß im Jahr 1789 ° 
oder auch im Anfang der 90ger Jahre, als die Schredends 


‚ zeit. begann, die erfie-Zornfchaale auf die Erde 


ausgegoffen worden ſey — man kann diefe Erklärung 
wenigftens ald eine Arccomodation gelten laffen: denn daß 
es eine peremtorifche Erfüllung ſey, ift mir nunmehro des⸗ 
wegen zweifelhaft geworden, weil die Wirfung der ausge: 
goffenen Schaale in bösartigen Gefhwüren befteht, welche 
diejenigen befommen, die das Mahlzeichen des 
Thiers haben und fein Bild anbeten; da num 


dieſe legteren Kennzeichen noch nicht offenbar find, fo muß 


auch die peremtorifche Erfüllung des Ausgießens der erften 
Schaale noch zukünftig feyn, Indeſſen, die böfen Geſchwuͤre 
find fchen bei den Abgefallenen, den zukünftigen Thierss 
Anbetern, völlig in ihrer Entzundungsperiode, zum Falten 
Brand wird ed dann auch endlich Fommen; deun die Wir⸗ 


552 Nachtrag zur Stegsgefhichte, - 


fung. diefer Echaale dauert bis and Ende, fo wie dies vr 
allen Schaalen der Fall ift. 


Der erfte Engel goß feine Schaale auf die Erde — 


unter dem Bild der Erde wird die Volksmaſſe verftanden, 
welche die eigentlichen Befißer der Erde enthält; fie bedeutet 
aber auch ven Schauplaß der göttlichen Gerichte, die Laͤn⸗ 
der, welche ehmals zum alten heidnifchen römifchen Reich 
‚gehört haben; die Menfchen auf diefer Erde, infofern fie 
durch den Abfall zukünftige Unterthanen des Thiers gemwors 
den find, befommen das Rebellion s und Nevolutionsges 
ſchwuͤr, das dann früher oder fpäter aufbricht, und unfäg- 
lichen Sammer anrichtet. 

Der zweite Engel goß feine Schaale ind Meer aus, 
und ed ward Blut wie eined Zodten, und jede lebendige 
Seele im Meer ftarb. Daß unter dem Meer ein unordentz 


liches oder ordentliches Gemifche von vielen Völkern, Zune 


gen und Sprachen verftanden werde, dies fagt uns ein 
Engel Apoc. 17. v.15. Damit verträgt fih aber aud) die 
Vorftellung fehr gut, wenn man die chriftlichen Seemächte 
mit allen ihren Befigungen und Inſeln, in allen Meeren 
and Welttheilen darunter verfieht. Daß auch hier al 


lenthalben das geiftige Feuerwaffer der erften 


Schanle, der zweiten den Weg bahne, daran 
ift Fein Zweifel; allein ich trage doc) Bedenken, noch 
ferner die Accomodation in der Siegsgeſchichte beizubehal- 
ten, vermög welcher ich die Wirfung der erften Schaale auf 
die Seeftanten fchon für das Ausgießen der zweiten gehal⸗ 
ten habe: denn wir mögen die Wirkungen diefer Schaale 
erklären wie wir wollen, fo ift noch in feinem nur denfbas 


ren Sinn dad Meer zu Blut geworden, und das Streben 


jeder lebendigen Seele hat noch in Feiner möglichen Bor 
ftellungsart feinen Anfang genommen. Aber laßt uns 


ftille, ſchweigend und anbetend aufmerken, das 


Ausgießen der zweiten Zornſchaale als vor— 
läufige Accomodation, möchte wohl nidt —* 
entfernt mehr ſeyn. 

Wenn alfo die zweite Schanle noch nicht vorlaͤufig ausge: 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 553 


goffen ift, fo koͤnnen es die dritte, vierte und fünfte noch‘ 
viel weniger ſeyn; ich bitte alfo, diefes in Beziehung auf 
die Siegsgefchichte wohl zu bemerken. 

Der dritte Engel goß feine Schaale in die Fluͤſſe und 
Quellen, und fie wurden zu Blut. Was mögen hier wohl 
die Flüffe und Waſſerquellen bedeuten? — Aus dem, was 
der Engel der Gewäfler von der Gerechtigkeit der göttlichen 
Gerichte im 5. 6. und 7ten Vers fagt, laßt fi) mit Gewißs 
beit ſchließen, daß hier nicht etwa ein Ort oder Land unter 
dem Bild der Flüffe und Wafferquellen zu verftehen fey, ſon⸗ 
bern die Waller, die man trinkt, womit man den 
Durft fille. Ohne hier der fehließlichen Erfüllung der 
MWeiffagung diefer Zornfchaale zu nahe zu treten — denn wir 
wiffen nicht, in wie fern auch die äuffere Natur mitwirken 
werde — duͤnkt mir doch, man müffe hier unter den Flüfs 
fen und MWafferquellen nicht das wirkliche Trinkwaſſer im 
den Ländern verftehen, wo die mehreften Ehriftenverfolgungen 
ftatt gefunden haben, fondern vielmehr eine Verwandlung 
des geiftlichen Trinfwaflers des Lebens, deſſen Quelle mit 
Feuer vermifcht ift. Apoc. 15. v. 2. in Blut. 

Daß die hriftliche Heildlehre unter dem’ Bild von erquis 
enden Lebenswaffern oft in der heiligen Schrift vorgeftellt 
werde, ift eine befannte Sache; durch das Auögießen der 
zweiten Zornfchaale wird alfo dies Lebenswaſſer in Blut 
verwandelt, das ift: es entfieht eine Religonölehre, 
welche zu bluten gebeut, wenn man fie nidt 
annimmt, und diefes wird befonderd die Länder treffen, 
in welchen das mehrefte Chriftenblut vergoffen worden ift — 
wahrfcheinlih wird diefe Weiffagung dann erfüllt werden, 
wann fich der Menfch der Sünden offenbart, und feine Uns 
religion den Völkern aufdringen will. Wie fchredlich ift das 
Blut der Hugenotten in Frankreich gerächt worden; und mit 
wie vielen blutigen Thränen haben die Emigranten unferer 
Zeit die Blutſchulden ihrer Väter, die fie vor mehr als hun⸗ 
dert Jahren an den Nefügies auf fich geladen haben, * 
ßen muͤſſen? 

Der vierte Engel goß feine Schaale auf die Sonte 


554 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


aus, und es wurde ihr gegeben die Menfchen mit Feuer 
auszudoͤrren; auch diefe Dörrfucht koͤnnen wir. ſchon dem 
Anfang nach, wenn die Herze, Seel: und Geift erguickenden 
Lebenswafler in Blut verwandelt worden find, und der Sons 
nenbrand kommt nun dazu, ſo iſt des Verſcam cann 
kein Ende. 

Die Sonne iſt die Quelle des Lichts und der 
das Licht iſt die Mutter der Erkenntniß und die Waͤrme des 
Lebens. Chriſtus iſt die Sonne des Geiſterreichs, und ſeine 
Religion iſt Licht und Wärme, Wahrheit und Liebe; auf Chris 
ftum felbft wird eben fo wenig eine Zornfchaale ausgegoſſen, 
ald daß der unveränderliche Gott, die ewige Liebe zornig 
werden follte; aber das feurige Zornmwafler, welches die 
Menſchen felbft aus der faulenden Maffe ihrer Philofophie 
heraus veftillirt haben, macht ihnen Chriſtum und feine 
Meligion zum ausdörrenden Feuer; das Licht zeigt ihnen 
alle die Pflichten ver Moral, die fie felbft predigen, und 
Die der Menfch unbedingt erfüllen müßte, aber die Waffer 
bes Lebens fehlen, fie find in Blut verwandelt — daher 
weder Kraft noch Saft zum Leben und Wirken; Die wohls 
thätige Wärme fehlt: denn man hat die erbarmende 
Liebe in dem Berfühnblut des Erlöfers fchon lang durch 
das feurige Geiftwafler in den Herzen der Menfchen ges 
daͤmpft; daher firaft ihnen nun die Sonne ausddrrende 
Zornglut — die ganze Natur fpricht: Verflucht fey num 
derjenige, der die Moral nicht vollfommen ausübt, die ihre 
predigt, habt Ihr das Blut des Verfühners verhöhnt, und 
die wahren Lebenswafler, die Gnadenwirkungen des heiliz 
gen Geiftes, abgedämmt, weil ihr glaubt, alles felbft zu 
fönnen, fo erfüllt auch nun das Alles bis auf den Kleine 
Ben Punkt, oder verfchmachtet in Ewigkeit, in dem Feuers 
fee, den ihr euch felbft bereitet und angezündet habt. 

Dies ift Die vierte Zornfchaale, die auf die Sonne aus⸗ 
gegoffen wird, Das Vorfpiel dazu fahen wir ſchon in uns 
fern Tagen; erſt untergrub man das Anſehen der Bibel, 
indem man den Kanon dieſes und jenes Buchs derſelben 
zweifelhaft und die Vernunft zur Richterin dieſer heiligen Ur⸗ 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 555 


Funden machte; dadurch verlor fie ihr DOberappellationds 
Recht in der Religion; und dieſes wurde num der 
Philofophie zugefprohen und übertragen, das 
mit nun diefe ihre neue Würde mit Anftand möchte bes 
haupten koͤnnen, fo nahm man fie Eoram, um fie recht 
ins Reine zu bringen: Kants großer Geift wurde ihr Nes 
formator, und er fand bald, was ein jeder Schulfnabe 
fchon in feinem Katechismus findet, daß die Vernunft in 
überfinnlichen Dingen nichts wife — dies ift das Nefultat 
feiner Kritik der reinen Vernunft, und die einzige wahre 
Philoſophie, Die ich Fenne. 


Man follte denken, jetzt wäre man alfo nun aufs Reine 
gefommen, und man hätte die Bibel gefchwind wieder auf 
den Thron gefeßt, allein man durfte fich ja Fein Dementi 
geben; — man fuchte und fand nun in der menfchlichen 
Seele eine Sehnfuht nad einem unendlichen 
böhften But, nah Unfterblidhfeit, und ein 
Pflihtgefühl, das Gute zu lieben und zu thun, 
und das Bdfe zu haffen. Diefe Sehnſucht und diefed 
Pflichtgefühl fonderte man von allem Materiellen ab, und 
die leere Form mit ihrer Tendenz nach Gott, Unfterblichkeit 
und Tugend fahe man ald eine wefentliche Eigenfchaft der. 
Seele an, und nannte dies nun die praftifhe Vers 
nunft, welche aljo ohne die Bibel, und irgend 
eine pofitive Offenbarung nöthigzu haben, den 
Menfhen zu feinem Ziel leiten koͤnne. 


Es ift unbegreiflich, wie man fo furzfichtig feyn und nicht 
bemerken Fonnte, daß freilich die leere Form, aber nicht 
die Tendenz nad Gott, Unfterblichfeit und Tugend wer 
fentlich fen. Gerade ald wenn ich fagen wollte, der Geruch 
einer Slafhe, aus welcher ich einen wohlriechenden Spiris 
tus gefchüttet, und fie leer gemacht habe, fey dem Glas 
der Flaſche wefentlich. | 

Diefe ganze Tendenz ift ja Folge einer pofitiven Offenbas 
rung Gottes an die Menfhen — denn die Nationen, wels 
hen nie. ein Schimmer von diefem göttlichen Licht geleuch⸗ 


— 


556 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


tet hat, haben auch dieſe Tendenz nicht; dies iſt unbeſtreit⸗ 
bare Thatſache. 


Aber was iſt denn nun aus dieſer prakliſchen Vernunft 


geworden? — Lieber Himmel! ein Baal, der entweder 


ſchlaͤft, oder über Feld gereist iſt, kurz, ein Gott, der keinen 


Laut von fi gibt — indeffen hinfen ihre Priefter um ihren 
Altar, und rigen — fih nicht felbft — fondern Einer 


den Andern mit Pfriemen, bis dad Blut über die Haut 


tröpfelt; zuweilen ftellen ſich auch wohldie Ober— 
priefter hin und rennen mit den Köpfen gegen: 


einander. Wir haben alfo jet Feine Philofophie mehr, 


feine Regeln mehr, welche die Vernunft auf dem Pfad der 
Wahrheit leiten, fondern jeder ſchmiedet fich felbft fein philo- 
fophifches Syftem, fo wie.es ihm am behaglichften iſt. — 
Wir haben auh Feine Religion mehr, fondern jeder bildet 
fi eine, fo wie fie fi) mit den Gelüften ſeines Herzens 


verträgt — jetzt fagt felbft, ob daraus nit ende, 


lich ein Sonnenbrand entftehen werde, in wek 
bem Leib und Seele verfhmadhten muß? — Bei 
dem Allem fällt e5 aber feinem ein, die Schuld und die Urs 
ſache von .allem diefem Jammer bei ſich felbft zu fuchen, 
fondern fie läftern Gott, und bleiben fo verftodt und fo un: 
verbefferlich als fie find; oder fie werden vielmehr immer 
fhlimmer, und ſchuͤren das Zornfeuer fo lange, bis der Zeuers 
fee fertig ift. 

Der fünfte Engel gießt nun feine Schanle auf den 
Thron des Thiers aus, fein Königreich wird verfinftert, 
und feine Anhänger zerbeißen fich ihre Zungen für Jammer; 

aber an Belehrung ift nicht zu denfen; ihre entfegliche Leis 
den und ihre Gefchwüre fchreiben fie nicht ihnen felbft, fon: 
dern Gott zu, der unfchuldige Menfchen, die ja nicht anders 
handeln Fünnen, als es ihre Natur mit fich bringt, nur zu 
qualen ſuche; fie Täftern alfo den Gott des Himmels. 

Auch died Bild der fünften Schaale mit ihren Wirkungen 
ift fehe begreiflih: Da der Menſch der Sünden oder das 
Thier aus dem Abgrund lauter Unterthanen beherrſcht, die 
alle vom empdrendften Egoismus befeelt find, und deren 


— 





Nachtrag zur Giegsgefhichte. 657 


alfo jeder gern auf dem Thron fizen möchte, bei denen allen 
alfo das Rebellions⸗ und Revolutions-Geſchwuͤr eitert, und 
die nur deöwegen dem Thier huldigen und es anbeten, weil 
ed ihnen an Genie, Macht und Glanz überlegen ift, nicht . 
aber aus wahrer Hochachtung und Liebe; und da nun außer: 
dem die Qualen der vier erften Schaalen immer fort wäh- 
ven, fo wird endlich die ganze innere Verfaffung 
diefes Reichs ohne Beifpiel zur wahren Hök 
lenqual; Feiner fieht ein Ende, Feiner kann ein Nettungss 
mittel entdecken, es ift Alles finfter — nun ringt Alles nach 
Empdrüng, und fo wie fich dies Aufichwellen zeigt, fo ſchnuͤrt 
der Monarch die Bande immer enger, der Zuftand ift ſchreck⸗ 
lich, und doch ohne Mittel zur Rettung. Es fcheint, 
ald wenn auch große, aber fruchtlofe Verſuche gemacht wer: 
den würden, welche den eigentlichen Zeitpunkt diefer Schaale 
bezeichnen, in welchem fie auf den. Thron des Thierd aus: 
geſchuͤttet wird, wodurd man den Menfchen der Sünden 
herunterzuftürzen fuchen wird; allein er wird fich zu erhal- 
ten wiſſen, bis feine Zeit da iſt; indeſſen wird denn doc) 
fein Königreich verfinftert werden und feinen Glanz verlieren. 

Die Schaale des fechstem Engels ift geheimnißvoll, fie 
wird über den Euphrat ausgegojfen, um fein 
Waſſer auszutrodnen, damit den Königen vom Aufs 
gang der Sonne her der Weg bereitet werde. Der Euphrat 
wurde von jeher ald eine Schugwehr gegen die morgenläns 
difhen Könige, und. ihren Ueberfall angefehen, auch follte er 
die weitefte Gränze des Volks Gottes gegen Morgen aus— 
machen. Da nun die Wirkung diefer Schaale darin beftehr, 
daß fie den morgenländifchen Königen den Weg nad) den 
Abendländern eröffnen fol, fo Fann unter dem Bild des 
Euphrats nichts anders verftanden werden, als das Hin: 
derniß, weldes jenen Königen bisher noh im 
Weg ſteht; denn Fein Strom in der Welt ift jegt noch 
ein Hinderniß, dafür hat man Pontond in Menge, um 
‚ganze Armeen überzufegen; dies Bild muß alſo geiſtlich ers 
klaͤrt werden. 

Es wird mir immer wahrſcheinlicher, daß hier der Geiſt 


558 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


der Weiffagung das türfifche Reich und die muhamedanifche 
Religion im Auge habe — vielleiht find die Waſ— 
fer des Euphrats diefe Religion — auch diefe 
Maffer werden nun ausgetrodnet — und dort wirft das 
feurige Geiftwaffer, und erzeugt Rebellions- und Revolu—⸗ 
tions⸗Geſchwuͤre, wozu die dortige Nationen ſchon feit gerau⸗ 
mer Zeit vorbereitet find; vermuthlic wird das türkifche 
Neich, fo weit jemals fein Gebiet ſich erſtreckt hat, in vers 
fchiedene Königreiche zertheilt — vermuthlid in fünfe— 
denn ein Fuß hat ja fünf Zehen — und dann mag auch 
wohl der abendländifche Fuß des Monarchienbildes nur fünf 
Zehen haben: denn die nordifchen Mächte gehören nicht dazu, 
weil ihre Länder nie zur römifchen- Monarchie‘ gehöret ha⸗ 
ben. Jetzt ift nun dem höllifchen Kleeblatt, dem Drachen, 
feinem Sohn, dem Sündenmenfchen, und feinem Gehülfen, 
dem falfchen Propheten, daran gelegen, diefe fünf morgens 
ländifche, neugebadene Regenten anzufödern, und mit fich 
zu vereinigen, damit die Zehen Hörner des Thiers vollftändig 
werden mögen. 

Zu dem Ende fenden fie drei Gefandten aus: Johannes 
fieht aus dem Munde des Drachen, des Thierd und des 
falfchen Propheten, aus jedem einen Frofch herausfriechen; 
diefe drei Amphibien nennt der Geift der Dämonen, alfo 
böfe Geifter, Satang-Engel, welche die Macht haben, durch 
Zeichen und falfche Wunder ihren Worten Kredit zu verfchaf: 
fen; dieſe edelhafte Wefen gehen nun nicht allein zu jenen 
fünf morgenläundifchen Königen, fondern zu allen Regenten, 
an denen ihren Prinzipalen etwas gelegen ift, um fie zum 
allgemeinen Bund einzuladen, und wie man aus dem Zus 
ſammenhang mit Grund fchließen Fann, fo wirds ihnen da= 
mit gelingen; und hieher gehört wohl, was Kap. 17. 9.123,13. 
und 14. ſteht, daß ſich nämlicdy gehen Könige, fünf 3e 
ben des abendländifchen Fußes, und fünf des morgenlaͤndi⸗ 
fhen mit dem Menfchen der Sünden vereinigen, und ihm 
dann bald die allgemeine Monarchie und das General⸗Com⸗ 
mando übertragen werden, Jetzt vereinigen fie Alle ihre 
Kriegsmacht, um dem Chriftenthum im Orient und Decident 


Nachtrag zur Siegsgefchichte. 559 - 


den letzten Herzensftoß zu geben; hier ijt num auch wohl der 
Zeitpunkt, in welchem der wahre Chrift die legte Feuerprobe 
zu beftehen Hat. Wohl dem, deraud da noch aus—⸗ 
hält, und feinem Herrn, der noch immer nichts 
von fih hören und fehen läßt, treu bleibt! 


Johannes fagt, fie hätten ihre Macht an einem Ort vers 
fammelt, der auf hebräifch Armagedon heiße. Das Wahr: 
fcheinlichfte, was wir jetzt noch ber die Bedeutung diejes 
Worts fagen koͤnnen, ift, daß es die gänzliche Niederlage 
der Starken heißen foll; diefe Heberfegung ift am ungezwuns 
genften, zugleich ift ed auch gar wohl möglih, daß hiemit 
auch auf die gänzliche Niederlage des Siſſera B. d. Nicht. 4. 
angefpielet wird, weldye nach Kap. 5. v. 19. an den Waſ⸗ 
fern zu Megiddo gefchahe. Hieraus folgt aber nicht, daß 
die Verfammlung der Völfer der Aliirten des Thiers aus 
dem Abgrund durchaus im gelobten Land auf dem Berge bei 


Megiddo, wie ed auch einige erklären, gefchehen müffe; es 


kann auch ein anderer Drt feyn, der durch diefe Niederlage 
jenen Namen erft befommen wird. 


Sm vorhergehenden I5ten Vers jteht aber etwas fehr merfs 
würdiges: mitten im der Erzählung, in welcher Sohannes 
die Verſammlung der. Könige befchreibt, unterbricht ihn die 


‚ Stimme des Herrn felbft; Er fagt, der Längfterfehnte: 


Siehe! ich fomme wie ein Dieb; felig ift der da 
wacht, und feine Kleider bewahrt, damit er 
nicht nadend umherwandele, und man feine 
Schande ſehe. 

Jetzt alfo, wann das Thier und feine Aliirten ihre ganze 
Macht verfammelt Haben, und es nun zum Aufbruch kom⸗ 
men foll,-fo erfcheint auf einmal ganz unerwartet, wie ein 


Dieb in der Nacht, ein ganz anderer Monarch — eben 
| der verachtete Chriftus, der ihnen nicht mehr 


des Namens werth war, kommt in einem pracht—⸗ 
vollen Aufzug, Kap. 19. und haucht fiemit flams 
mendem Odem vou der Erden weg, allezuſammen 
werden hingefchleudert in den Pfupl, der mit Feuer und 


560 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 


Schwefel brennet, und den fi e fi ſelbſt und ange⸗ 
zuͤndet haben. 

Zu gleicher Zeit gießt nun auch der — Engel 
feine Schaale in die Luft aus, und eine große Stimme aus 


dem Tempel des Himmeld, vom Thron her, ruft: Es ift | 


geſchehen! — ja das glaub ich! jetzt ifts allerdings ges 
fhehen! — 

Die Wirkung diefer fiebenten Schaale ift fchreclich ; Blitze, 
Donner, Erdbeben ohne Gleichen, centnerſchwere Hagel⸗ 
ſteine u. dergl. wuͤthen und toben uͤber die Erde hin; aus 
der großen Stadt werden drei Theile, dieſe iſt alſo Nom 


nicht? denn Ddiefer wird nun auch unter dem Namen Bas 


bylon gedacht und gefagt, daß nun auch) die Reihe an fie 
kommen werde; Serufalem ift fie wohl auch nicht, denn fie 
Tann fchwerlich in der Zeit fehr groß feyn. Doch ih will 
nichts beflimmen; man wirds zeitig genug erfahren, wer 
und wo fie ift. | 

Sn wie’ fern die fiebente Schaale auch auf bie äuffere 
Natur wirken werde, das Fonnen wir nicht wiffen; wenn 
wir aber unter Erdbeben die Erſchuͤtterung der Staatsver⸗ 
faffungen, und unter dem Donner, Blig und Hagel, Krieg 
verftehen, fo Fünnen wir am wenigften fehlen: denn durch 
die totale Niederlage zu Armagedon, wo alle Könige mit 
ihren Armeen von der Erde vertilgt worden find, entfteht 
nun eine allgemeine Anarchie — alle Thromen find 
erledigt — nun denft man fich die grundverdorbene Men 
fhenmaffe! jeder fucht nun im Trüben zu fifchen, und fi) 
empor zu fohwingen. Alles wird fich in Partheien bilden, 
und Ale werden ſich untereinander aufreiben und vertilgen ; 


fo daß wenige mehr übrig bleiben, die dann wie Gefpenfter 


zwifchen den Ruinen blühender Städte und prächtiger Tem⸗ 
pel umberfchleichen, und fühllos im Kummer verſchmachten 
werden, 

Jetzt bitte ich nun, diefe meine Bemerkungen über die 
fieben Zornfchaalen mit dem zu vergleichen, was id) oben 
im 7ten Kapitel von den fieben Donnern gefagt habe, ſo 
wird man finden, daß diefe Stimmen des Herrn vorzüglich 











Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 561 


auf die Sammlung, Bekehrung und Vereinigung Iſraels mit 
der Gemeine der wahren Chriſten, und dann auf ihren Schutz, 
Rettung und Vorbereitung zum herrlichen Friedensreich Bes 
zug haben. Sie bilden ein fegenvolled Gewitter für das 
geiftliche Serufalem, aber die Cedern auf dem Libanon, die 
Berge Libanon und Schirjon, die Wüfte Kadefch, und das 
Wild in der Wüften erfahren auch ihre Schreden, fie fchlas 
gen in die große Reſidenz des Thiers ein, und die fies 
bente Schaale madht mit dem fiebenten Donner 
gemeinfhaftlihbe Sache. Die Zornfchaalen haben 
alfo blos die Gerichte Gottes über die verdorbene Chriftens 
heit, das Thier aus dem Abgrund, und den falfchen Pros 
pheten zum Zweck. 





& 


| 
Stiuling's ſammti. Schriften. TI. Band. - 56 


562 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


” 


Das neunte Kapitel. 


Drei herrlihe Weiffagungen aus den Palmen ‚vom 
naͤchſtkünftigen Neid) des Friedens, aus dem Hebräiz 
ſchen überfetst und mit Unmerkungen bekleidet. 





Zum Beſchluß diefes erſten Nachtrags will ih noch drei 


wichtige Pfalmen Davids, naͤmlich den 100ten, den Adften 


und den 72ften überfegen, und dann durch Furze Anmerkungen 
meine Lefer auf die darinnen enthaltenen Weiſſagungen ei 
merkſam Ben 


* 


“Der 10 Pfalm. 
Ein Pfalm Davids. 


1) Jehovah ſprach zu meinem Herrn: 
See did zu meiner Rechten, 
Bis ich Deine Feinde zu deinem Fußſchemel gemacht 
habe: 
2) Den Scepter deiner Stärke: 
"Wird Jehovah aus Zion fenden. 
Herrfche mitten unter deinen Feinden ! 
3) Am Tage deiner Heeresmacht, 
Wird dir dein Volk freiwillig opfern, 
Sm Schmud der Heiligkeit, 
Aus der Gebärmutter des Morgenroths 
Kommt der Thau deiner jungen — 
4) Jehovah hat gefchworen, 
Es wird Ihn nicht gereuen. 
Du bift ein Priefter in Ewigkeit, 
Nach der Weife Melchiſedecks. 
5) Der Herr zu deiner Rechten 


Nachtrag zur Siegsgefhichte. 565 


Wird am Tage feines Zorns 

Die Könige zu Boden fchlagen. 
6) Er wird Gericht halten 

Ueber mit Leihen erfüllte Nationen. 

Er wird darniederſchlagen 

Das Oberhaupt vieler Länder. 
7) Aus dem Bach im Wege wird Er trinken, 
"Darum wird Er fein Haupt empor heben. 


Diefer Pfalm ift fo ganz und fo eigentlidy Weiffagung, 
daß es auch dem größeften Künftler in der neumodifchen 
Bibelerflärung fehr ſchwer fallen muß, ihn nur auf eine er= 
träglich halbwahrfcheinlihe Art auf irgend jemand im alten 
Teftament anzuwenden: denn geſetzt auch, irgend ein Hof— 
fhmeichler hätte ihn auf den König David gemacht, wie | 
würde der dann dazu gelommen feyn. zu fagen: er (David) fey 
ein immerwährender ewiger Priefter, auf.die Art wie Melchi— 
ſedeck. — Doch ich will mit Unfinn nicht die Zeit verderben, 
Chriſtus felbft hat diefen Pfalm völlig zur Weiffagung fanc: 
tionirt. ©. Matth. 22. v. 44. Marc. 12. v. 80. Luc. 20. 
v. 42. Petrus Ap. Geſch. 2. v. 34. und Paulus deögleichen 
'ı Eor. 15. v. 25. und Hebr. 1. v. 15 


° Daß in diefer dreier Zeugen Munde ale Wahrheit beftehe, 
wird wohl Fein gläubiger: Ehrift läugnen. 

Aber auch der Pfalm felbft fagt folche geheimnißvolle 
Dinge, daß man ihn durchaus als Mort Gottes anfehen 
muß. Man hat ihn zwar auf das Leiden, Sterben, Aufs 
erftehung und Himmelfahrt Chrifti, und dann auf die Fortz 
pflanzung der chriftlichen Religion accomodirt, aber das 
geht im Ganzen durhaus nicht an, fondern feine eis 
gentliche Erfüllung gefhieht, wann der Herr 
mit feinem Gefolge aufweißen Pferden fommt, 
den Menfhen der Sünden, und den falfhen 
Propheten, und ihre Macht, mitdem Schwert 
feines Mundes in den Feuerfee ſtuͤrzt, und fein 
Rei einnimmt; wie ich dies nun deutlich zeigen werde. 

David fagt: J ſprach zu meinem Herrn 

36 * 


564 Nachtrag zur Siegsgefchichte. 


(L’Adon’i) fee dih zu meiner Rechten, bis id 
deine Feinde zu deinem Fußſchemel gemadt 
habe — nämlih, bis fie alle befiegt und Dir dienſtbar 
find. Die Erfüllung diefes Ausſpruchs nahm bei der Hims 


melfahrt Chrifti ihren Anfang, und dauert fort Bis zur. 


Ueberwindung aller feiner Feinde am jüngften Tag, wenn 
auch Gog und Magog befiegt find, und der Drache auch 
in den Feuerſee geworfen wird. Ein Hauptfieg wird aber 
auch nun bald Über dad Thier und den falfchen Propheten, 
vor den taufend Jahren, erhalten werden. Ferner: | 
Den Scepter deiner Stärfe wird Jehovah 
aus Zion fenden, herrſche mitten unter deinen 
Feinden. Bisher hat Chriftus, im geiftlichen oder himms 
lifchen Zion über die Welt, unfichtbarer Weife durch feinen 


Geiſt geherrſcht, jetzt da er nun, das Flammenfchwert in. 
feinem Munde, zu Feld zieht und das Neid) einnimmt, fo 


hit Ihm nun der ewige Vater ſein ſtarkes Scepter, wo—⸗ 
mit Er 1800 Jahr Tang fo trefflich regiert hat, gleichfam 
nach, um es nun hienieden zu brauchen: denn er foll num 
mitten unter feinen DER perf aim die — 
antreten. 

Am Tage deiner Heeresmacht wird dir dein 
Volffreiwillig opfern, im Schmuck der Hei⸗ 
kigkeit aus der Gebährmutter des Morgens 
roths, kommt ber Thau deiner jungen Manns 
ſchaft. Diefer Tag der Heeresmacht des Herrn kann Fein 
andrer feyn, alö der, an dem Er nun bald fommen wird. — 
Sa freilich wird: Ihm dann fein hocherfreutes Volk, die 
Braut des Lamms, im heiligen Schmuc entgegen eilen, 
und Ihm, dem längft Erfehnten , freiwillig und von Her⸗ 
zen, Dank, ewigen Gehorfam und unausfprechliche Liebe 
opfern; ihre ſchoͤnſter Shmud wird das Kleid 
der Gerechtigkeit Chriſti ſeyn. Das Morgentoth 
des fchönen taufendjahrigen Sabbaths, diefes großen Tages 
wird eine Mutter feyn, die Ihm Millionen Kinder gebärt; 
wie Thautropfen der Morgenrdthe werben Ihm neue Ver— 
ehrer berzueilen, und fich an Ihn anfchließen. Es iſt artig, 





name 


ER EEE 


Nachtrag zur Siegsgefihichte, 565 


dag man im Hebräifchen die Worte: im Schmuck der. Hei⸗ 
ligkeit, zu den vorhergehenden freiwillig opfernden, und 
auch zu den folgenden: Kindern des Morgenroths lefen kanut 
man fann ſagen: Ammechä& (ngammechä) nedabdth be- 
jdm chejl6cha behadrei-kodesch — dies heißt woͤrtlich: 
Dein freiwillig opferndes Volk, am Tage deiner Heersmacht, 
im Schmud der Heiligkeit; man kann aber auch die Worte 
behadrei-kodesch zum folgenden nehmen und fo lefen: 
behadrei-kodesch meröchem mischchär lechä tal jal- 
düthecha, und dann heißt est im Schmuck der Heiligkeit, 
aus der Gebärmutter der Morgenrdthe, wie der Thau deiner 
Yugend, oder jungen Leute; diefe letztere Lesart hat der 
Ueberfeger in der Berlenburger Bibel gewählt: Sch hab 
aber meine obige Ueberfezung fo eingerichtet, daß mans neh⸗ 
men Fann wie man will. — Dies ift auch der Sin des 
Geiftes der Weiffagung, weil beides wahr ift. 

Jehovah hat gefhworen, ed wird Ihn nit 


‚gerenen, Du bift ein Priefter in Ewigkeit, nad 


der Weife Melchiſe decks. 

Hier wird num Ehriftus von feinem Vater felbft, durch 
einen feierlichen Eidfchwur zu einem immerwährenden ewis 
gen Priefter : König, auf die Art wie Melchiſedeck eingeſetzt; 
Er fol der Hohepriefter, und auch der König zu Salem, 
oder Serufalem ſeyn; der Name Malchi-zedeck — wie ed 
eigentlich heißt — wird überfeßgt: König der Gerechtigkeit, 
und Melech Schalem, König zu Salem, heißt auch König 
des Friedend und des Friedensreichsz dies alles ift Chris 
fius im vollfommenften Sinn, und fein Vater ſchwoͤrt, 
daß Er es auch ewig bleiben foll. | | 

Nach diefer Huldigung und Einfegung ind Königreich 

folgt nun der Sieg über feine, fo lang mit Langmuth ges 
tragenen Feinde. 
Der Herr zu Deiner Rechten wird am Tage 
feines Zorns die Könige zu Boden fhlagen.- 
Er wird Gericht halten über mit Leichen anges 
jüllte Nationen. Er wird darnieder ſchlagen 
das Dberhaupt vieler Länder, 


566 Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 
Hier redet der Dichter Gott den Vater an: denn dieſem 


figt CHriftus zur Rechten, und jagt: Adonäi ngal jemincha 


der Herr zu. deiner Rechten u, f. w. Der Tag feines Zorns 
ift der, an weldjem die große Niederlage zu Harmagedon 
gefhieht. Dann werden allerdings die zehn Könige zu Bo⸗ 
den geftredt, Nationen voller Todtenförper gerichtet, und 
dann wird aud) endlicd das Oberhaupt vieler Ränder, oder 


eines großen Landes Roosch ngal eretz rabbah, der große 


Antichrift, der Menſch der Sünden, das Thier aus dem 
Abgrund, darnieder gedonnert. | 

Jetzt fage mir einer, ob diefe meine Erflärung etwas 
gezwungenes habe, und ob fie nicht dem Sinn, der im 
Buchflaben liegt, ganz angemefjen fey? wenn das, aber nun 
der Fall ift, fo: bekommt meine Hypotheſe dadurch den 
hoͤchſten Grad der Wahrfcheinlichkeit, und fie wird zur 
Wahrheit: denn die Erklärung, in welder alle 
MWeiffagungen ganz ungezwungen übereinftims 
men, muß wohl die richtige feyn. 

Wenn wir diefen 110ten Pſalm in einen Weberblick brins 

gen, fo. finden wir darinnen die fchönfte Ordnung. 

+ Sm erften und zweiten Vers fest der ewige Water den 
ewigen, menfchgewordenen, durd Leiden und- Sterben vol⸗ 
lendeten Sohn, auf den Thron der Welten; nun fommt 
Er in, Herrlichkeit wieder auf die Erde, und das Sep 
wird ihm. aus Zion zugefandt. / 

Im dritten Vers folgt die Huldigung: feine Getreuen 
empfangen Ihn mit Subel, und von allen Seiten firmen 
Ihm neue: Verehrer zu. 

Im vierten Ders ſetzt Shn der Water der Ewigkeit zu 
einem ewigen Priefter= König über die ganze Erde ein. 

Im fünften und fehöten Vers folgt nun der Sieg zu 
Harmagedon; und nun kommt noch 

Im ſiebenten Vers ein geheimnißvolles Kaͤthſel, es iſt 
naͤmlich die Frage: Wie kommt aber dieſer Gottes⸗ und 
Davids-Sohn zu dieſer Wuͤrde? 

Antw. Aus dem Bach im Wege — Er trin⸗ 
fen, darum wird Erfein Haupt erheben. Das iſt: 





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Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 567 


. Er wird einen ſauern fhweren Weg gehen, und aus dem 
Bad im Wege cbaderech) nicht am Wege trinken muͤſſen. 
Ein Ba, der in einem Wege, auf offener. Straße fließt, 
enthält Graͤuel von Unreinigfeiten, zertretner Korh und. Uns 
flarh aller Welt vermifht fih da mit dem Waffer, und 
von. diefens wurde dem Erldfer im Garten Gethſemane dar⸗ 
gereicht, feiner Seele grauete Dafür bis zum Blutfchweiß — 
Bater ! fagte Er, iſts möglich, fo gehe Diefer Kelch vor. mir 
vorüber, Doch nicht wie ich will, fondern wie Du willft. — 
Er trank ihn, den Kelch des Menfchen : Elends, in Jeru⸗ 
fälem, und auf Golgatha mit langfamen Zügen, fogar den 
Bodenfag aus, und diefer fchauervolle Trank wurde in Ihm 


"zur Quelle von Strömen lebendigen himmlifchen Waffers, zur 


vollfommenen Genefung der geftorbenen und verdorbenen 
menfchlichen Natur, 

Nachdem Er in den. Staub hineingebüct, diefen ſchreck⸗ 
lihen Trunk vollendet hatte, fo erhub Er nun fein Haupt, 
bei feiner Auferftehung und Himmelfahrt bis zur rechten Hand 
Gottes, auf den Thron feines Vaters, 

Auf den Sieg zu Harmagedon folgt der Einzug. in Ges 
sufalem und die Hochzeit des Lamms; hieher ges 
höre nun der Adfte Pfalm. Es kann feyn, daß er bei Sas 


lomo's Bermählung verfertigt worden, aber man merkt bald, 
daß der von Gott begeifterte Dichter weiter gefehen hat, er 


lautet in meiner Weberfegung folgender Geftalt; 


U Dem Meifter auf der Lilienlaute den Korachiten zur 

Leitung. Ein Lied an die Vielgeliebte, | 

2) Mein Herz wallt auf zu einer fchönen Rede, 
Ich trage vor, dem König mein Gedicht, 
Und meine Zung- ift Feder fchneller Schreiber, 

3) Du bift der Schönfte unter Adams Söhnen, 
Ergoffen iſt auf deinen Lippen Gnade. 
Und darum fegnet Gott dic) ewiglich. 

4) Nun gürte auch Dein Binnen, o Held, an deine 

Hüfte! 

In Deiner Majeftär, i in- Deiner Pracht! 


568 Nachtrag zus Siegsgefchichte. 


5) Und veite glüdlich auf dem Wort der Wahrheit, 
Auf fanfrem Recht, in deiner Herrlichkeit. 
Und deine Rechte zeigt Dir fürchterliche Dinge. 
6) Geſchaͤrft find deine Pfeile, Nationen | 
Erliegen unter Dir, fie treffen 
Das Herz der Gegner des Königs. 
7) Dein Thron, o Bott, ift ewig und unendlich ! 
Ein gerades Scepter ift dad Scepter Deines Reichs, 
3) Du liebft Gerechtigkeit, bift Feind dem Böfen, 
Drum hat Di Gott — Dein Gott gefalber | 
Mit Del der Freuden, mehr, ald Deine Mitgenoffen. 
9) Von Myrrhen, Aloe und Caſſia find alle Deine 
‚Kleider, 
- Aus Deiner Burg von Elfenbein, wo fie Dich freuen, 
10) Die Königstöchter find in Deinem Schmud, 
Die-Braut zur Rechten ftrahlt von DOphirgold. 

11) O Tochter, höre, fieh und neige deine Ohren! 
Vergiß dein Volk, und deines Vaters Haus! ’ 
12) Dann wird der König Luft an deiner Schönheit 

- haben, . 
Er ift Dein Herr, Du betſt Ihn beugend an. 
15) Die Zochter Tyrus fuhrt Dein Antlig mit: * 
ſchenken, 
Die Reichſten unterm Volke flehn vor Dir. uud 
14) Der Koͤnigs-Tochter ganze Schönheit ift im Innern, 
Mit goldnen Aeuglein ift ihr Kleid geftict. 
15) So führt man fie zum König in ——— Kleidern, 
Die Jungfrauen folgen hinter ber, 
Die Freundinnen, und gehn mit Ihr hinein, 
16) Man führer fie mit Jubel und mit Sreuden, 
Sie wallen hin ind Koͤniges Palafl. | 
17) Statt deiner Väter wirft du Söhne haben. 
Der ganzen Erde fie zu Fürften fegen. 
18) Sch will gedenken Deines Namens, 
Dom Kind zu Kindes Kind, und Nationen 
Lobpreiſen darum dich in alle Ewigfeit. 


Nachtrag zur Siegsgefhihte. 569 


Aus dem erften Vers diefes fchönen Pfalms fieht man, 
daß die Korachiten, die Shhne Korah, welche Tempelfänger 
waren, dieſes Gedicht fingen follten; um ihren Gefang zu 
dirigiven, wurde dem PVirtuofen auf der Lilienharfe oder 
Laute aufgetragen, mit feinem Juſtrument diefe Direktion 
zu übernehmen. Ich hab das Wort Schoschanim durd) 
Lilienlaute uͤberſetzt; dies Inſtrument foll die Geftalt einer 
Lilie gehabt haben, und mit ſechs Darmfaiten bezogen gewes 
fen feyn; dann wird dies Lied einer koͤniglichen Braut zuge⸗ 
eignet. Nun heißt es: 


Mein Herz wallt auf zu einer ſchoͤnen Rede, 
Ich trage vor dem Koͤnig mein Gedicht | 
Und meine Zung ift Feder fchneller Schreiber. 


Das Herz, die Seele des Dichters wird voll Begeifterung, 
es focht und wallt in feinem Innerſten, er will dem König 
fein Gedicht deflamiren, der Fluß der Rede ift fo überfirds 
mend, daß es nicht fehnell genug gefchrieben werden Fann, 


Du bift der Schönfte unter Adams Söhnen, 
Ergoffen ift auf deinen Lippen Gnade, 
Und darum fegnet Gott dich ewiglich. 


David und fein Sohn Salomo mögen recht ſchoͤne Mäns 
ner gewefen ſeyn, aber die Allerfchönften unter allen Adams⸗ 
fühnen, unter allen Menfchen,, waren fie doch wohl nicht; 
aber von Chriſto kaun man's in jeder Ruͤckſicht ſagen; im 
moralifchen Sinn ift ed im erhabenften Verftand Wahrheit, 
und im phyfifchen glaube ich mit dem feligen Lavater, daß 
der Herr auch in feinem Erdenleben ein fchöner Mann ges 
wejen ift, aber wenn er mit vielen Kronen gefrönt, auf feis 
nem weißen Roß mit der Heerfchaar der Heiligen einherzieht, 
dann erft ift Er im volllommenften Sinn der Schönfte 
unter allen Adam3:Shhnen. 

Gnade fluther auf feinen Lippen; wo Er fich hinwendet 
da ſtroͤmt Liebe, Gnade und Leutfeligfeit aus. Auch dieß 
paßt nicht auf David und Salomo, fie waren vortreffliche 
Regenten aber fireng: Rehabeam, der Sohn Salomo’s, fagte 


N 


x 


* 


570 dachtrag zur Siegsgeſchichte. 


zum Volk Iſrael: Mein Vater hat Euch mit Peitſchen ge⸗— 
zuͤchtigt, u. ſ. w. Das war feine uͤberfließende Gnade; fie 
mußten aber auch ſtreng ſeyn: denn ſie hatten ein großes 
und hartnaͤckiges Volk zu regieren. Aber der große Sohn 
Davids wird, wann Er wieder kommt, Stroͤme der Gnade 
auf feine treugebliebenen Verehrer von feinen Lippen flie⸗ 
Ben laſſen; und eben diefe Huld bringt Ihm goͤttlichen, ewi⸗ 
gen Segen. 


Nun guͤrte auch dein Schwert o Held an deine Hüfte! 
In deiner Majeftät, in deiner Pracht! 


Sonft war das Slammenfchwert in deinem Munde, jetzt 
aber ift Gnade auf deinen Lippen, und das Schwert gehbrt 
an deine Seite, da trägft Du ed als. Monarch und Regent n 
der Macht, in aller deiner Majeftät und Pracht. | 

Nach der Schlacht bei Harmagedon brauhft Du es nun 
nicht mehr, von nun an ruht dein Schwert , und dient nur 
zum Zeichen deiner Majeftät und Deiner — über die 
ganze Erde, | 


Und reite glüdlich auf dem Wort der Mabrheit, 
Auf ſauftem Recht in Deiner Herrlichkeit, 
Und deine Rechte zeigt dir fürchterliche Dinge, 


Hier fehen wir, wie das weiße Roß heißt, auf dem der 
Herr feinen Einzug haltz es heißt: Wort der "Wahrheit 
Debar - Emeth und nganvah - zedek fanfte Gerechtigkeit; 
Sa wahrlich! beide Eigenfchaften werden Ihn auf allen feis 
nen. Regentenwegen leiten. — Wohl ung des feinen Herrn! — 
Er felbft Heißt das Wort Gottes und fein Triumphpferd, 
Wort der Wahrheit und fanfte Gerechtigkeit. Er zieht in 
Herrlichkeit einher; denn diefer Schmuck ift der ang der 
ſich denfen läßt. : 

Durch feine Rechte wird hier der große Kampf — 
den Er mit ſeiner Rechten erſtritten hat: denn die rechte 
Hand iſt cin Bild der Arbeit "und der Staͤrke; der letzte 
Schlag: geſchah mit dem Schwert aus feinem Munde, ins 
deſſen wird doch: allemal Kampf und Sieg, ald das Werk 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 571 


der rechten Haud, oder des rechten Arms betrachtet, und 
die Folgen diefes Siegs find fürchterlich und fchredlich, man 
braucht nur einen Bli auf den Pfuhl zu werfen, a mit 
Feuer und Schwefel brennt. 


Gefchärft find deine Pfeile, Nationen 
Erliegen unter Dir, fie treffen 
Das Herz ber Gegner des Königs. 


Auch diefe Zeilen enthalten noch einen Blick auf die Nies 
berlage bei Harmagedon, fo wie es in einem Triumphges 
fang gewöhnlich iſt; Die Blispfeile, die aus feinem Munde 
fuhren, trafen vecht daS Herz der Feinde, und fie warfen 
die. Deere der Nationen unter feine Füße. 

Jetzt find wir mit den fürchterlichen Dingen fertig, und 
der Dichter richtet nun feinen Bli auf ‘die Fönigliche Hochs 
zeit ohne Gleichen, auf die Hochzeit des Lamm, 

Erft redet er den triumphirenden König aller Könige, Je⸗ 
ſum Ehriftum, ald wahren Gott an, und fagt; 


Dein Thron o Gott ift ewig und unendlich! 

Ein gerades Scepter ift, dad Scepter Deines Reiche. 

Du liebft Gerechtigkeit, bift Feind dem’ Böfen, 
Drum bat dih Gott — Dein Gott gefalbet, 

Mit Del der Freuden, mehr, ald Deine Mitgenofien! 


Daß hier. der. Dichter den König, den er befingt, für den 
wahren Gott erkennt, iſt Klar: ‚denn er redet Ihn ſo an, 
und fagt: Dich, den wahren Gott, hat Dein Gott geſal⸗ 
bet m ſ. w., er fpriche zum Sohn, und fchreibt feinem 
himmliſchen Vater die Salbung zu. 

Der Thron, den nun der Herr im Friedensreich befteigt, 
wird nie mehr wanfen, er befteht ewig; fein Scepter, feine 
Regierung wird den Character der geradeften Aufrichtigfeit 
haben, Gerechtigkeitsliebe und Haß alles Unrecht hat dich 
bisher in. deiner geiftlichen Regierung ausgezeichnet, und 
wird Dich ferner auszeichnen, dafür folft Du auch nun 
vom Vater der Ewigkeit mit ‚Freuden überfchüttet werden, 
mehr als alle Deine Verehrer und Freunde, die mit die 


672 | Narhtrag zur Siegsgefchichte, 


\) 
gekämpft und überwunden haben; dieſen foll ed auch am 
Freudendl nicht fehlen; Du aber haft — und zwar mit 
Recht — den Vorzug für Allen. 

Bei frendigen Feierlichkeiten gehörte das Salben des 
Hauptd mit wohlriechenden Delen zum. Ehrenfhmud, dann 
war es aud) ein Einweihungszeichen der Könige und Pries 
fter. In allen vreien Fällen paßr die Salbung auf die 
opferwüärdigfte Perfon, von welcher hier die Rede ift; eigents 
lich bat aber hier der heilige Sänger die hochzeitliche Freu: 
denfalbung im Auge; nun folgt auch der übrige Schmuck: 


Bon Myrrhen, Aloe und Caffia find alle deine Kleider; 
Aus Deiner Burg von Elfenbein, wo fie Dich freuen. 


Sch habe hier die Drei Gewürze nach der gewöhnlichen 
Bedeutung beibehalten, ob aber die drei hebräifchen Wörter 
Mor, Ahaloth und K&zingoth, gerade unfre Myrrhen, Aloe 
and Coffia find, daran zweifle ich fehr: deun dieſe Specien, 
womit die Kleider des Königs parfümirt find, muͤſſen den 
edelften Geruch) von ber Welt haben; fie find ganz Wohls 
geruch, fie find wie aus Gewürzen gemacht. 

Die Kleider find das Bild des Wirkungskreifes, der Zus 
„genden und edeln Handlungen; mit einem Wort: der Ge⸗ 
sehtigfeit eines Menſchen: wer in aller Welt breis 


zet mehr Wohlgeruch durch die ganze Schöpfung aus, als 


eben Jeſus Chriftus ?— und diefer wuhrhaft Füniglic) = pries 
ferlihde Schmuck kommt aus dem fchneeweißen, himmelreis 
nen elfenbeineruen Pallaſt, feiner bis zur göttlichen Würde 
Hinaufgeadelten Menſchheit, da machen Ihm diefe Kleider 
aud) hohe Seligfeitsfreuden. Vom Brautigam kommt auch 
sun der Dichter zur Braut, und fingt ferner: | 


Die Königstöchter find in Deinem Schmud _ 
Die Braut zur Rechten firahlt von Ophirgold. 


Diefe Königsröchter find wohl die fünf Huge Zungfrauen, 
die wachfam waren und ihre Lampen gefchmädt hatten, 
ed fommen aber auch wohl noch Mehrere hinzu; 
ed ift ſehr merfwärdig, daß es nicht heißt: Die Koͤnigs⸗ 


Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 675 


töchter find in ihrem Schmad, fondern in Deinem 
Schmud — wir Ehriften wiffen fehr gut, warum? unſre 
eigene Kleider find fehr unfläthig und ftinfend, und wer bei 
diefer Hochzeit'erfcheinen will, der muß Kleider aus jenem 
elfenbeinernen Pallaft haben. Aber die Braut ſelbſt ſtrahlt 
von Ophir⸗Gold; das hat fie auch vom Bräutigam 5 
ed ift das reinfte fiebenmalgeläuterte Gold, die legte Feuers 
probe; die ftärffte unter allen, hat es num zum hoͤchſten 
Grad der Reinigkeit gebracht; es ift parvajim Gold mit 
glühend röthlidem Schimmer; dieſe Tinctur 
hat es vom Blut des Lamms. 


O Koͤnigstochter, hoͤre, ſieh, und neige deine Ohren! 
Vergiß dein Volk und deines Vaters Haus! 
Dann wird der König Luft an deiner Schönheit haben, 
Er ift dein Herr, du berft Ihn beugend an. 


Brauch’ doch alle deine Sinnen, du Braut des Lamm! 
fiehe und höre dich um, damit dir dad Heimweh nach allen’ 
irdifchen Dingen vergehen möges Denn das, waß bier 
Deiner wartet, ift gewiß der Mühe wertb — 
denn wenn dein Sinn ganz himmlifch geworden iſt, dann 
erft gefällt Du dem Könige vecht, dann liebt Er dich über - 
Alles, und dann erft bekommt Er Gefhmad an Dir und 
deiner Schönheit — Er hat aber aud) das größte Recht, 
zu fordern, daß Du Ihm Alles aufopferft, denn er ift Dein 
Her, Er bat Di mit’ feinem Blut aus der Sclaverei 


losgefauft, und es ift deine Pflicht, Ihn dafür im Staube 
anzubeten, X 


Die Tochter Tyrus ſucht Dein Antlitz mit Geſchenken, 
Die Reichſten unterm Volke flehn vor Dir. 


Zu Davids und Salomons Zeiten war Tyrus in Anſe⸗ 
bung der Kultur, der Künfte und des Lurus, in Bezug auf 
das Land Canaan, was jet Paris oder London für uns 
in Teutfchland ift. Wenn alfo der Dichter hier fagt: Die 
Pringeffin von Tyrus würde der Töniglichen Braut Gefchenfe 
bringen, fo foll das die Hoheit und den Vorzug der Letztern 


674 Nachtrag zur Siegsgefchichte. 


anzeigen. Db aber unter der Tochter Tyrus nicht auch noch 
eine religidfe Gefellichaft, eine Kirche verftanden ‚werde, die 
fih nun noch an die wahre Gemeine des Herrn” auſchließt, 
das ſteht dahin, mir iſt es wahrſcheinlich. 

Die Reichſten unterm Volk, die Dich vorhin nicht im 
Wege anſahn — denen die Pietiſten, Herrnhuter, Feinen 
u. d. g. ein veraͤchtlich Voͤlkchen waren, die kommen num 
und bitten die Königin um Gnade. 


De Königstochter ganze Schönheit ift im Innern, 
Mit goldnen Aeuglein iſt Ihr Kleid geſtickt. 


Ja wohl ift die Schönheit des wahren Chriften und * 
ganzen Gemeine des Herrn im Inuern; dies bedarf Feiner 
Erläuterung. Ihr Kleid ift das reinfte weiße Byssinon, 
Neſſeltuch — dies Brautkleid hat fie vom Herrn, ihrem Braͤu⸗ 
tigam, auch dad Parvajim Gold aus Ophir zum Stiden; 
aber dies Sticken hat fie wohl ſelbſt gethan: denn Die 
Onadengaben des heiligen Geiſtes müffen aud) 
von und benußt werden. Das ganze’ Kleid ift mit 
geftidten Aeuglein überfäer, sun Beweis ihrer Treue im 
Wachen. 


So führt man fie zum König in "geflichten Kleidern, 
Die Jungfraun folgen hinter her 
Die Freundinnen, und gehn mit Ihr hinein. 


Sie koͤmmt nun mit ihrem Gefolge, die Geliebte des Herrn; 
fie gehen zufammen zum Hochzeitsmahl. — O felig ift der, 
welcher gewü rdigt wird, in diefer Geſellſchaft zu ſeyn! 

Man fuͤhrt ſie mit Jubel und mit Freuden, 

Sie wallen hin ins Koͤniges Pallaſt. 

Laßt uns kaͤmpfen, Bruͤder und Schweſtern! bis aufs 
Blut, es iſt wohl der Muͤhe werth. Nun wendet ſich der 
heilige Saͤnger noch einmal an die Braut ſelbſt, und redet 
fie an; 


Statt deiner Väter wirft Du Söhne haben, 
Der ganzen Erde fie zu Fuͤrſten fegen. 





Nachtrag zur Siegsgefchichte, 675 ° 


Vorhin wurde fie erinnert, fie follte num, ihres Volks und 
ihres Vaters Haus vergefien, jest wird ihr verheißen, daß 
‚ fie dafür Söhne genug haben fol, fie folen ja fommen wie 
der Thau aus der Morgenröthe, und diefe Söhue werden 
Dann die Fürften der Erden werden. Wohl dem, der unter 
einem folchen Regiment fteht! — Nun fchließt det Dichter 
mit den Worten : 


Sch will gedenken deines Namens 
Bon Kind zu Kindeskind, und Nationen 
Lobpreifen darum Di) in alle Ewigkeit! 


Dadurch, daß der heilige Sänger, in diefem Gedicht den 
Ruhm des göttlichen Königs befungen hat, wird allenthal- 
ben, wo man diefen Pſalm mit Andacht liedt, der Herr 
verherrlicht, und im. Sriedensreich ſelbſt wird man: diefe 
herrlichen Gedichte erft recht verftehn. 

Nach diefer Hochzeit. geht nun die Regierung des Königs 
an; diefe befingt David im. folgenden Pfalm: 


Der 72 Pfalm, | 
Dem Salome. | 


1) Gott.übergibt dem König dein Gericht! 

Und deinen Ricpterftuhl dem Königsfohne! 

2) Denn mit Gerechtigkeit wird Er dein Volk regieren, 
Und deine Elenden mit Recht. * 

5) Die Berge bringen Frieden deinem Volk, 

Und auch die Hügel mit Gerechtigkeit. 

4) Den Elenden des Volks wird Er zum Rechte helfen, 
Erldſen wird Er dann des Armen Söhne, | | 
Den Unterdrücten niedertreten. 

5) ©o lang die Sonne währt, wird man dich TEN 
So lang der Mond befteht von Kind zu Kindes Kind, 

6) Wie Regen tröpfelt Er auf die gemähte ht 

Wie Regenguͤſſe auf die Erde hin. 

7) In feinen Tagen blühet der Gerechte, 
Und Friedensfüle bis Fein Mond mehr ift. 


676 Nachtrag zur Siegsgefchichte, 


8) Er Herrfchet dann von einem Meer zum andern, 
Und von dem Strom bid an der Erde Gränzen. 
9) Die Wilden fommen Ihm die Knie zu beugen, 
Und feine Feinde leden Staub vor Ihm. 
10): Die Könige von Zarfhifh und den Inſeln bringen 
Gaben, 
Geſchenke Ihm die Könige von Echeba und von Sebn, 
11) Anbeten werden Ihn die Erden: Fürften Alle, 
Ihm alle Nationen dienftbar feyn. 
12) Den Armen, der da fchreit, den rettet Er, 
Den Dürftigen, der feinen Helfer hat. 
13) Verſchonen wird er die, bie Mangel leiden, 
Erlöfen die verlaß'nen Seelen. | 
14) Aus Trug und Macht wird Er fie Iöfen, 
Und Toftbar wird ihr Blut in feinen Augen feyn. 
15) Er lebt, wird ewig leben, 
Man wird Ihm von dem Gold aus Scheba bringen. 
Und beten wird man ftetö für Ihn, | | 
Sa fegnen alle Zage. 
16) Von fparfam auf die Erd gefireuten Saamen 
MWallt auf der Berge Gipfeln das Getreide , 
Mie Eedern Libanons im Wind. Ä 
Und in den Städten bluͤht's wie Kraut im Felde, 
17) Sein Name währt in Ewigkeit; 
So lang die Sonne währt, wird fortgepflanzt fein 
Ruhm, | 
Sn Ihm wird man fih fegnen. 
Glücfelig werden Ihn die Völker Alle preifen. 
18) Sehovah ſey gelobt, o Gott! Iſraels Gott! 
: Der einzig Wunder wirft, 
19) Und Lob dem Namen feiner Majeſtaͤt, in n Ewigkeit! 
Es werde voll die ganze Welt von feiner Herrlichkeit, 
Amen! Amen! 
Die Gefänge Davids des Sohns Iſai haben ein Ende. 








Nachtrag zur Siegsgeſchichte. 677 ı 


Diefer Pſalm ift durchaus verfiändlich, doch will ich noch 
Eins und Anderes zur-Erläuterung und Erbauung hinzufeßen : 


Die Ueberfchrift heißt: Lischlomoh, dem Salome. — 
An diefen König hat fein Vater David dies fein leßtes Ges 
Dicht gerichtet, und ihm es zugeeignet. Er hat es alfo in 
feinem hohen Alter verfertigt, nachdem er den Salomo zu 
feinem Nachfolger ernannt harte. Man muß aber ja nicht 
glauben, daß. David hier nichts weiter als feines Gohns 
Salomo's gefegnete und glüdliche Regierung im Aug habe, 
in dem Fall hätte ers nicht fonderlich getroffen: denn diefer 
fo weife und fromme König verfiel gegen. das Ende fo fehr, . 
daß er feinen Weibern zu gefallen den Gögen opferte. Da: 
vid ging vielmehr von der großen Idee aus, von welcher 
wir. 2. Sam. 7. 9. 18. 19. und 1 Chron. 18. v. 16. 17. 
Nachricht finden; nämlich ed werde aus feinen Nachkommen 
ein König entftehen, der Gotr und Menfch zugleith, 
und von dem fein Sohn Salomo ein Vorbild feyn werde, 
diefer werde erft ven rechten Tempel bauen, ewig leben und 
ewig regieren. Daß er dem Salomo dies Lied dictirte, 
hatte den Zweck, ihm dadurch auch zugleich ein Mufter zu 
zeigen, und Winfe auf die große Zufunft zu geben. Sa— 
lomo heißt Friedensreih, Friedrich, ein Mann des Friedens; 
man kann es aber auch durch Vollender Überfegen; das Erfte 
war Salomo, er hatte Frieden bis in fein Alter, wo er 
zwar auch nicht Friegte, aber doch MWiderfacher befam; er 
war aljo Fein guter Vollender ; aber fein großer Nachfomme, 
Jeſus Chriſtus, der iſt der rechte Salomo in jedem Sinn 
des Worts, denn Er wird alles herrlich vollenden, und im 
rechten wahren Friedensreich ewig vegieren. Der wird 
aud den Tempel Ezechiels bauen, 


V. 5. heißt e8: Die Berge bringen Frieden dei: 
nem Volf, und auch die Hügel, mit Gerechtig— 
keit. Das ift: Man hat von den Gebirgen her weder Raͤu— 
ber noch Kriegs-Ueberfaͤlle zu befürchten, fondern in den 
entlegenften, einfamften Berggegenden wird man fo ficher 


ſeyn wie zu Haufe., Die Gerechtigkeit und der Friede werden 
Siiling’s ſammtt. Schriften. III. Band. 37 


4 


all N 
Be. Hactrag. zur Siegögefihichte 


wie Thau und Nebel * den REDEN und Hügeln 
triefen. 


V. 6. Wie Kegen troͤpfelt Er auf die gemaͤhte Sur, 
Wie Regengüffe auf die Erde hin. Ä 


Welch ein Bild! — Wenn der Landmaun ſeine Wieſe ge⸗ 
maͤht hat, ſo wuͤnſcht er nichts mehr als einen fruchtbaren 
Regen, damit das Gras bald wieder wachſen moͤge; ſo 
wohlthaͤtig wie ein ſolcher Regen, wird dieſer König ſeyn — 
Er wird allen guten und frommen Wuͤnſchen entſprechen. 

Das Wort Geez, welches ich durch gemaͤhte Flur über: 
fegt habe, heißt auch ein Fell, das von einem Thier abge: 
zogen worden ift. Diefe legtere Bedeutung hat Luther ges 
wählt, und hat dabei vielleicht Gideons bethautes und nicht 


bethautes Fell im Auge gehabt, allein meine Ueberſetzung, 


. welche auch. viele Gelehrte vorziehen, gefällt mir beffer. 


Wie wohlthätige Regengäffe auf die dürre Erde find. die 
Verordnungen diefes Königs. So lang. Sonn und Mond 
währt, das ift: Durch alle Aeonen durch, wird Er regieren, 


Sein Reich wird fi) von einem Meer zum andern, 
‚ Und vom Strom bis aus Ende der Erden erfireden, 


David Fannte Fein anderes Meer, als dad mittelländifche, 
das rothe Meer, und den perfianifchen Meerbufen; das 
ſchwarze und das caspifche Meer konute ihm auch befannt 
feyn; überhaupt aber folgt aus dem Ausdrud, bis am die 
Grängen, oder ans Ende der Erden, daß er den ganzen 
bewohnten Erdkreis darunter verftand, ob er ſich unter dem 
Strom den GZordan oder den Euphrat dachte, das weiß 
man nicht; ich vwermuthe aber das Lektere, denn Davids 
Monarchie erftreckte fich weit über den Jordan hinaus, man 
refpectirte ihn -bis an den- Euphrat, und eben fo den Sa: 
lomo auch). Der Zriedenskönig fol alfo vom Euphrat an 
bis an. dad Ende der Erden regieren, das ift: Ex a 
allgemeiner Monarch werden. 


V. 9. Die Wilden fommen Ihm die Knie zu Seugen, 
Und feine Beinde lecken Staub vor Ihm. 





Nachtrag zur Siegsgeſchichte. —6 


Die Koͤnige von Tarſchiſch und den Sufeln han 
Gaben, 
Geſchenke Ihm die Könige von Scheba und von Sa 


Das Wort Tzijim hab id durd) Wilde uͤberſetzt; dies 
Wort gefiel mir beſſer als: die Bewohner der Wüften; denn 
es zielt auf weit entfernte Nationen, die auf Schiffen herz 
zufommen. Alfo, die Wilden in entfernten MWelttheilen 
werden fommen, um Ihm zu huldigen; dazu legen jeßt die 
Miffionsanftalten den Grund — der Herr fegne fie! — 

Der König hat Feine Feinde mehr, fie leden den Staub 
zu feinen Füßen, und diefe find noch gluͤcklich, denen zu 
Harmagedon gehts noch (Hlimmer. 

Nach Tarſchiſch handelten die benachbarten Phoͤnizier, 

die dies Land Espanna, die Kaninchen-Jnuſul hießen; 
weil fie eine ungeheuere Menge diefer Thiere da antrafen; 
Spanien war alfo wohl Tarſchiſch, folglich) werden aud) 
die Könige von Spanien und Portugal, und die Könige 
der Inſeln, von England, Dänemark und Schweden Ges 
ſchenke bringen — ich bin überzeugt, daß fie es von Her: 
zen gern thun werden, lieber als jedem: Andern. 

Scheba oder Seba ift wahrfcheinlih das heutige Königs 
reich Demen, oder das glücjelige Arabien, Seba mag 
auch ein mittägiged Königreich feyn. Arabien war reich . 
an Gold und Gewürze, dies Land foll auch dem Friedens 
koͤnig tributbar feyn; überhaupt alle Könige der Erden find 
feine Bafallen, ! 

Der Ausdrud DB, 15, Er lebt, wird ewig leben, ift, 
wie mir daͤucht am fchiclichiten für das hebräifche Vichi — 
dies Tann heißen: Er hat gelebt, Er lebt, und wird leben. 
Dies Tann auf Salomo unmöglich angewendet werden. 

Der I6te Vers ift gar ſchoͤn: 


Don fparfam auf die Erd geftreuten Saamen, 
Wallt auf der Berge Gipfeln das Getreide, 

Wie Cedern Libanons im Wind, 

Und in den Städten blühts wie Kraut im Felde. 


Die Bbeteit wird im Reich des Friedens ſo groß 
37* 


* N 


580 | Nachtrag zur Siegegefhihte. 


ſeyn, daß wenn man aud) nur wenig Saamen auf bie 
Gipfel der Berge fäet, wo die Natur nur mager produgirt, 
fo fol doc) da Getreide wachfen wie ein Wald; die Frucht 
ſoll wallen wie der Wald auf dem Libanon; und in den 
Städten foll Alles grünen und blühen, 

Man verfiehe diefe Stelle phyſi iſch, oder moraliſch, oder 
beides zugleich, man wird in keinem Fall irren — Es 
wird eine gluͤckſelige Zeit ſeyn. 

Doch ich eile fuͤr dießmal zum Schluß; ich hab mich 
noch einmal ins dunkle Heiligthum der Apocalypſe gewagt, 
um da in Demuth und Einfalt des Herzeus zu forſchen. 
So viel ſagt mir wenigſtens mein Gewiſſen, daß meine 
Gedanken nirgends Schaden, hin und wieder aber Nutzen 
ſtiften koͤnnen, und geſchieht nur dies, ſo iſt mein Zweck 
erreicht. | 


- Berborgne Zeit! wann wirft du einmal fommen, 
Daß ich mit allen auserwählten Frommen 
Den Heiland ſeh? — ich mache mich bereit; 
Weil ich nicht weiß, obs heute möcht gefchehen, - 
Daß ich dem König muß entgegen gehen. 
Wann bringfi Du mir die Ewigkeit, 
Verborgne Zeit? 


Hall. Gef. Bud) No. 1285. 
Berborgner Gott! u. ſ. w. 











PT Jung Stilling, Johann 
2370 Heinrich 

J7 Saämmtliche Schriften 
1839: :% 

Bd.3 


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