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Full text of "Sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. 3., Auf's neue durchgesehene und verm. Aufl., besorgt durch Franz Muncker"

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Botthold Ephraim Kelfings 


fämtliche Schriften. 


Siebenker Band, 





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Gokkhold Ephraim Leſſings 


ſämkliche Sıhriften. 


Berausgegeben von 


Rarl Tachmann. 


Driffe, aufs neue durchgeſehene und vermehrte Auflage, 


beſorgk durch 


Franı Muncker. 


Siebenter Band. 


— — = 


Sfuffnart. 
6.2. Göſchen'ſche Perlagshandlung. 
1891. 











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Porrede. 


Der fiebente Band bringt zunächft den Abſchluß der Berliner Aufjäße 
Leſſings aus dem Jahre 1755, dann die Arbeiten, welche der darauf folgenden 
Leipziger Periode feines Lebens ihr Entitehen verdanfen, aljo die legten Recen— 
fionen für die „Berliniſche privilegirte Zeitung“, mehrere Vorreden zu Über: 
fegungen und zu verichiednen Sammlungen der Gleim’schen Grenadierlieder, 
Aufſätze für die „Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften und der freyen Künste“, 
die Ausgabe der Sinngedichte Logaus und die Abhandlungen über die Fabel. 
Handichriften Leifings ftanden mir dabei nirgends zu Gebote; dagegen konnte 
ich alle für die Terteskritif irgendwie beachtenswerten Drude benügen. Wo die 
Göſchen'ſche Sammlung Leſſingiſcher Driginalaudgaben, deren 
Reichhaltigfeit gerade diefem Bande zu gute fam, mich im Stiche ließ, durfte 
ich mich der Unterftügung der fgl. Hof- und Staat3bibliothefin Mün- 
hen, der föniglihen Biblivothef in Berlin, der großherzoglid 
ſächſiſchen Bibliothef in Weimar, der herzoglich braunſchwei— 
giihen Bibliothek in Wolfenbüttel und der Hamburger Stadt- 
bibliothek erfreuen, wofür ich auch an dieſer Stelle geziemend danfe. Ebenjo 
Ihulde ih Herrn Dr. Georg Witkowski in Leipzig Dank für die genaue 
Abſchrift der auf Leſſing bezüglihen Einträge in die Meßkataloge des vorigen 
Sahrhundert3. 

Bei der Aufnahme neuer Auffäße, die in den früheren Ausgaben Leſſingiſcher 
Schriften fehlen, ging ich möglichit vorfihtig zu Werke. So wagte ich die bis— 
her befannten Recenfionen Leſſings in der „Berliniſchen privilegirten Zeitung“ 
von 1755 nur um drei zu vermehren. Für die Echtheit der einen von biejen, 
der Anzeige einer deutjchen Überfegung von Giceros „Cato major“ (im 97. Stüd) 
jpricht nach meiner Meinung deutlich die ganze Denk: und Ausdrucdsweije, die 
fi darin befundet, die Verehrung, die der Sritifer für die alten Klaſſiker über: 
haupt und insbejondere für das Ciceronianische Werk hegt, die geiftreiche und 
ſcharf beitimmte Kontrajtierung von Antif und Modern, überhaupt die pointierte 
Sprache des ganzen Aufjages, einzelne Sagwendungen, die Leifing auch jonft 
liebt, endlich der Umftand, daß die Überfegung bei Chr. Fr. Voß in Berlin 


VI Porrede. 





erichienen ijt und daß der Necenjent, der fie augenscheinlich genau mit dem 
Original verglichen hat, auf Verlangen (doch wohl des Überſetzers und des Ver- 
legers, der fich zu diefem Behufe am eriten eben an feinen Redakteur gewandt - 
haben dürfte) einen ziemlich beträchtlichen Druckfehler verbeffert. Die Anzeige 
der Sammlung einiger Predigten von Johann Andrea® Cramer (im 73. Stüc) 
trägt gleichfalls, wenn auch nicht jo ftarf wie die eben befprochene, das Gepräge 
des Lejjingifchen Stils. Sie aufzunehmen, bejtimmte mich aber vor allem ein 
‚Brief Gellert3 an Cramer vom 11. August 1755, den der Sohn des leßteren im 
fünften Bande feine Buches „Klopſtock. Er; und über ihn“ (©. 286 f.) mit- 
teilt: „Der dritte Band Deiner Predigten ſoll die eriten beyden übertreffen? 
Da wirft Du viel zu thun haben. Sch wünsche es beynahe nicht; und doch kann 
ichs von Dir Hoffen, wenn e3 zu wünſchen ift. Der andre Band ift noch nicht 
ganz fertig. Leſſing in Berlin Hat den erjten, jo viel ich mich beiinne, oder 
die Pſalmen, (wenigftend hat er von beyden zugleich! geredt,) am beredtiten und 
wahrhafteften recenſirt. Er lobte Dich meifterlih, und er hat eher das Pri— 
vilegium dazu, als andre.” GStammt, wie e3 diejer Brief Höchft wahrjcheinlich 
macht, die Beſprechung des eriten Teild der Cramer'ſchen Predigten von Lejfing, 
jo ift ihm wohl auch die farbloje Anzeige de zweiten Teil (im 117. Stüd) 
zuzufchreiben. Sm übrigen enthält der Jahrgang 1755 der „Berlinifchen Zeitung“ 
noch manche Necenfion, die von Leſſing herrühren fönnte, und die ich trogdem 
nicht aufzunehmen wagte, weil fie eben jo gut von einem andern Mitarbeiter 
verfaßt jein fann. Bei den früheren Sahrgängen lag die Sache anderd. Was 
in ihnen eine dem Stile Leſſings entiprechende Diktion aufwies, durfte, jo fern 
ſonſt nichts gegen Leſſings Autorjchaft zeugte, unbedenklich ihm zuerfannt werden; 
denn als er jeine Fritifch-journaliftiihe TIhätigfeit in Berlin begann, und noch 
einige Jahre darnach, war er der einzige in Deutichland, welcher jo, wie er 
jchrieb, zu fchreiben verftand. Allmählich Iernten aber auch andere feinen Stil 
nahahmen, wie fie nach und nach jeine Anfichten mit zu vertreten begannen. 
Deshalb trug ich ſchon bei den Necenfionen aus der zweiten Hälfte des Jahres 1754 
Bedenken, die bisher allgemein anerfannten noch jonderlich zu vermehren, und bei 
den Beiprechungen aus dem Jahr 1755, als Leifing fich bereits mit dem Ge— 
danfen trug, feine Stellung an der "Berliniihen —— aufzugeben, verfuhr 
ich noch behutſamer. 

Keinen Zweifel konnte die Aufnahme der kurzen Anmerkungen in der 
Überjegung von Hutcheſons „Sittenlehre der Vernunft“ erweden; dagegen er- 
forderten die beiden Zufäße zu den erften Sammlungen Gleim'ſcher Kriegs: und 
Siegeslieder wieder die ftrengfte Prüfung. Sch Habe im erjten Bande diefer Aus— 
gabe (S. 49) aus jenen Sammlungen das „Sinngedicht auf Se. Preußiſche 
Majeſtät“ abgedruckt, von welchem jeitdem Redlich nachgewieſen hat, daß es nicht 
von Leſſing, Tondern wahricheinlih von Johann Dieterich Leyding herrührt. 





1 In der Recenfion ift zwar nicht jpeciell die Pialmenbearbeitung Cramers beiproden, 
wohl aber im allgemeinen jein dichterifches Verdienft gepriefen. Bei der Unbeftimmtheit der An— 
gaben Gellert3 im einzelnen ift diefer Umſtand jedoch von feinem Belang. 


Porrede. VII 





Redlichs weitere Vermutung aber, daß mit jenen eriten Sammlungen Gleim’jcher 
Kriegslieder Leifing überhaupt nichts zu thun gehabt habe, ift vorderhand 
durch feinen mwiljenschaftlihen Grund geftüßt und dürfte, ſelbſt wenn man davon 
abjehen will, daß die eine diefer Sammlungen bei Leſſings früherem Verleger 
Mezler erjchien, einem unbefangenen Betrachter der „Nachricht“ und der „Nach: 
Schrift an den Leſer“, die ich jet mitteile, jchwerlich einleuchten. Man müßte denn 
annehmen, es habe fich einer der wenigen Vertrauten Gleims, der mit Leſſing 
die Arbeit an den „Grenadierliedern” von Vers zu Vers belaufchen durfte, ein 
Plagiat der plumpften Art an Leffingiichen Gedanken und Ausdrüden ungeitraft 
erlaubt — eine Annahme, zu der ich mich ohne ganz beftimmte, zwingende Be— 
weife nicht bringen fan. Und nur jemand, der ebenjo wie Leſſing und Kleiſt 
die Entjtehung der „Grenadierlieder” Schritt für Schritt verfolgte, Fonnte jene 
beiden Sammlungen herausgeben; denn fie enthalten nicht nur wiederholt Tertes- 
fafjungen, die ihnen eine Mitteljtellung zwijchen den Einzeldruden und der voll 
ftändigen Sammlung anweijen, alio von Gleim ſelbſt dem Herausgeber mit: 
geteilt ſein mußten, jondern auch ein außerdem niemals gedructes zweites Sieges— 
lied auf die Schlacht bei Liſſa, von dem bisher nur wenige Zeilen aus der Hand— 
Schrift befannt geworden waren, das aljo wieder nur ein vertrauter Freund des 
Dichters Fennen konnte. Ob an der Herausgabe nicht vielleicht Kleiſt den größeren 
Anteil Hatte, ift eine Frage, die ich dahin gejtellt fein lafje; daß aber bei der 
Abfaſſung der „Nachricht” und der „Nahichrift an den Lejer” Leſſing die Hand 
mit im Spiele hatte, halte ich für unbeftreitbar. Das jpäter unterdrüdte zweite 
Siegeslied auf die Schlacht bei Lifja veröffentliche ich gleichzeitig an anderm Orte, 

Auch die Auffäge in der „Bibliothek der jchönen Wiſſenſchaften und der 
freyen Künſte“ Habe ich reichlicher mitgeteilt, al8 man vielleicht nach den Zwei— 
feln anderer Herausgeber erwarten jollte. Danzeld ausführliche Darlegung in 
Pruß’ „Literarhiftoriihem Taſchenbuch“, Jahrgang VI, ©. 259—308 (Hans 
nover 1848) ift von Redlich im zwölften Teil der Hempel’schen Ausgabe mehr: 
fach beftritten und berichtigt worden. Beide erkannten (im Einklang mit allen 
übrigen Forichern) die Aufjfäge über Gleims „Grenadierlieder” und Fabeln und 
über Lieberkühns Überjegung der Idyllen des Theokrit als Leſſingiſch an. Außer: 
dem nahm Danzel die kurzen Notizen über eine VBerdeutichung des Destouches 
und Negnard jowie über Schönaichs „Heinrich der Vogler” in Anjpruch für 
Leſſing, an den ſchon Lachmann bei diejen Fleineren Aufjägen gedacht hatte, 
lehnte aber die Vermutung Lachmanns, daß vielleicht auch die Anzeige einer eng— 
liſchen Überfegung von Rabeners Satiren von Leſſing jtamme, entichieden ab. 
Redlich machte dagegen gerade für dieſe leßtere Beſprechung Leſſings Autorichaft 
wahricheinlih, wollte aber als DVerfaffer der Beiträge über Destouches und 
Negnard fowie über Schönaich lieber Nicolai anjehen. Dafür jchrieb er den 
Schluß eines größeren Aufjages über die Angriffe Wielands auf Uz, gegen deſſen 
Echtheit ſich Danzel verwahrt hatte, Leifing zu, auf Gründe hin, die mir ftich- 
haltig fjcheinen. Weniger jagt mir feine Ablehnung der beiden Notizen über 
Destouches und Negnard und über Schönaich zu. Sie beruht auf einem bloßen 


VIII Borrede, 








Geſchmacksurteil, das wifjenichaftlich nicht als ein Beweis gelten fann und Die 
Gründe, welche Lachmann und Danzel beftimmten, diefe Notizen für Leffingiich 
u halten, nicht wirklih zu entfräften vermag. Da der Streit hierüber ohne 
neues Beweismaterial nicht ficher entichteden werden kann, fchien es mir geraten, 
die beiden fraglichen Beiträge in meine Ausgabe aufzunehmen, damit der Leſer 
fich ſelbſt ein Urteil über ihre Echtheit bilden könne. 

Sn anderer Weile hat Nedlich feine £ritifch prüfende Sorgfalt der Aus— 
gabe des Logau angedeihen laffen. In den Leſſingiſchen Originaldrucd derjelben 
‚hatten fich namentlich viele faliche Zahlen bei den Gitaten des Wörterbuch ein— 
geichlichen, die er faft ausnahmslos genau berichtigt hat. Einen einzigen Irr— 
tum (bei dem Gitat zu „Mißſchwören“ erinnere ih mich in Redlichs Ausgabe 
gefunden zu haben, als ich mich, zunächit unabhängig von ihr, der gleichen Arbeit 
unterzog und deren Ergebniife dann mit den jeinigen verglich. | 

Die Abhandlungen über die Fabel find jüngſt von Franz Proſch (Wien 1890) 
fritiich herausgegeben und eingehend erläutert worden. Obgleich jein Lesarten— 


verzeichnis an mehreren Kleinen Ungenauigkeiten leidet, fonnte ich die im ganzen  - 


treffliche Arbeit wohl nützen. Sch verdanfe ihr unter anderm die Berichtigung 
meiner Angaben im erjten Bande diefer Ausgabe (S. 194) über das Erſcheinen 
der beiden eriten Drude der „Fabeln. Nebit Abhandlungen”; meinen Srrtum 
hatten die gerade an diejer Stelle unbeitimmten Aufzeichnungen der Meßfataloge 
verichuldet. Proſchs Annahme jedoch, daß Leifing für den Phädrus die Aus- 
gabe von David Hoogftraten (Amfterdam 1701) benützt Habe, fcheint mir bei den 
mannigfachen Abweichungen, die Leſſings Citate aus dem Phädrus von dem 
Tert Hoogitratens darbieten, nicht richtig; ich wagte deshalb auch nicht, die Ver— 
änderungen vorzunehmen, die jich aus jener Annahme ergeben würden. 

Aus der Ausgabe der Sinngedihte Logaus und aus dem Fabelnbuche 
hat Leſſing jelbit größere Abjchnitte bei den Beiprechungen beider Werfe in den 
„Litteraturbriefen” citiert. Einige dieſer Gitate werde ich beim Abdruck der 
„Litteraturbriefe” (im folgenden Band dieſer Ausgabe) des Zuſammenhangs 
halber wieder vollſtändig mitteilen müſſen; bei anderen werde ich mich wohl mit 
dem Hinweis auf den Abdruck in dieſem ſiebenten Bande begnügen dürfen. Im 
letzteren Fall habe ich ſchon jetzt unter dem Texte alle Veränderungen genau 
verzeichnet, die an Leſſings Worten in den verſchiednen kritiſch beachtenswerten 
Ausgaben der „Litteraturbriefe“ vorgenommen wurden. Im erſteren Fall habe 
ich vorläufig von dieſen Lesarten nur die inhaltlich oder ſprachlich wichtigeren 
vollſtändig mitgeteilt, die unbedeutenderen aber auf die Anmerlungen zum Ab— 
druck der „Litteraturbriefe“ ſelbſt verſchoben. 


München, am 17. September 1891. 
Franz Muncker. 
































41. 


Inhalt 


- (Die mit * bezeichneten Auffäse fehlen in allen früheren Ausgaben.) 


Aus: Berlinijche privilegirte Zeitung. 1755. 


. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 


. Stüd. 


. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 
. Std. 
. Stüd. 


. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 


. Stüd. 
. Stüd. 
. Stüd. 


Stüd. 


Hanſſen, Die Glaubenslehren der Chriiten - - » » 2... 
Le Gendre, Les Moeurs et Coutumes des Francois . . . . 
Lobeken, Verfuch eines vernunftmäßigen Beweiſes von der Gött- 

BE Be ea a en ee. 
[Zachariä)] Gediht dem Gedächtniffe des Herrn von Hagedorn 

a BU ER ZEN 
Antwort auf die Frage: wer ift der groſſe Duns? ...... 
[U] Lyrifche und andere Gedichte. Neue Auflage - » .» .. - 
Dusch, Vermiihte Werke in verichiednen Arten der Dichtkunit . 
Begebenheiten eines fich jelbjt Unbekannten, überjegt . - . . . 
Lüderwaldt, Unterfuhung von der Berufung und Seeligfeit 

BEER RE HERE 
Bertram] Briefe: Buchten Eheil. „in: 
[Schönaich] Verſuche in der tragiihen Dichtkunſt. . . . . . 
Crebillon, Les heureux Orphelins . . 2. ....... 
Pr&montval, Du Hazard sous l’Empire de la Providence . 
[Mendelsjohn] Bhilofophiiche Geiprähe. - - » » .... 
FRIVeTrY] Bann et Contest u Ne at 
Wohlmeinender Unterricht für alle diejenigen, welche Zeitungen 

a 666 
[Sulzer] Gedanken von dem vorzüglichen Werth der Epiſchen 

eDunte Ben Darm Bobuiers . >. een 
[Rihardjon] Geihichte des Herrn Carl Grandijon, überjegt. 

JJJ66 


ES N we En I, 


17 





X Inhalf. 
Seite 
44. Stück. Burigny, Leben des Grotiuß, überiekt . ... . — 
45. Stück. Die Geſchichte und Briefe des Abelards und der Eloiſe, überſetzt 23 
4, Stüd. [Müller] Berfuh n Big zn 24° 
50. Stüd. Leßing, Theatraliiche Bibliothef. Zweytes Stüd . . . . . 24 
53. Stüd. Leßing, Schriften, fünfter und jechiter Theil...» »... 26 
54. Stüd. [Smollet] Begebenheiten des Roderich Random, überjegt [von 
Bil]. -Zmepter Che » 2 330.2 ee 27 
55. Stüd. Hübner, Kurze Fragen aus der neuen und alten Geographie 27 
58. Stück. Neuere Geichichte der Chinefer, Japaner, Indianer, Verfianer, 
Türken und Aufjen 2c., überjegt [von Zahariä]. Erjter Theil 28 
59. Stüd, Zimmermann, Das Leben des Herrn von Haller —— 
62: Stück N EA Ra u a 30 
64. Stüd. [Bodmer] Edward Grandiſons Gejhichte in Görlig . . . . 31 
71. Stüd. Hager, Kleine Geographie vor die Anfänger -. ».»..... 32 
*73. Stüd. Cramer, Sammlung einiger Predigten. Erſter Theil 32 
74. Stück Fäftner Vermiſchte Schriften. : nn 22 12 2352 33 
75. Stüd.: Le Theatre :Bavarois. Tome E., 35 
76. Stück. Sittlihe Neigungen dev Tugend und des Vergnügens [heraus- 
gegeben von Zindner]. I Bandes I Theil... .... 35 
79. Stüd.. Die Hofmeifterin, eriter Theil. 2 2.2. 72.02. „Ize 36 
82. Stüf. Rousseau, Discours sur l’origine et les fondemens de Kine 
galit6 parmi les hommes‘ + +... 4 1 Se sr 37 
85. Stüd. Jortin, Anmerkungen über die Kirchenhiitorie, überſetzt von 
an LE Re 111818 38 
86. Stück. Die Schwachheit des menschlichen Herzens bey den Anfällen 
ber Siehe: u. 39 
87. Stüd. Meletaon, MWohlangerichtete und neuerfundene Tugendichule 40 
91. Stüd.. Dad Pfandipiel, überfebt 4 0% mu ea 40 
33. Stück. Lejenswürdige Gej ihichte des durchlauchtigen und tapfern Brin- 
sen Seltnba hl Na are 41 
94. Stück. Der erlauchte Bauer oder Lebensgeſchichte und Begebenheiten 
Daniel Moginies;: überfekt -: 5: 2: 1. Er 42 
9. Stüd. Das Kartenblatt, überfeßt . . - . - - ED ee 43 
96.: Stück Die Poeſie und Germanie ze 44 
Stüd Cicero; Cato der eee ſſ — 
98. Stück. Sammlung einiger ausgeſuchten Stücke der Geſellſchaft der 
freyen Künſte zu Leipzig [herausgegeben von Gottſchedſ. 
Smenter SCHE: 0:2. 20% sans als Si 46 
99. Stüd. Ford, Abhandlung von der Sinde der Verleumdung und des 
Afterredeng, überjegt von NReihard - » - - » 22.2.2. 48 
100. Stüd. Daß Luther die Lehre vom Seelenjchlaf geglaubt Habe . . . 49 
201. ee 


Inhalt. XI 











Seite 
103. Stüd. [Beausobre] Le Pyrrhonisme raisonable. ....... 50 
106. Stüd. [Mendelsjohn] Ueber die Empfindungen. -» » »... 52 
108. Stüd. Bertling, Evangeliihe Andachten. Eriter Theil. . - - » 54 
110. Stüd. Der Freund [herausgegeben von Gronegf] ...:. +...» 54 


112. Stüd. Serujfalem, Beantwortung der Frage, ob die Ehe mit der 
Schweiter Tochter, nach den göttlichen Gejegen zuläſſig jey. 


Mit Anmerkungen erläutert von Gühling -. - » » ... - 55 
114. Stüd. Heumann, Erklärung des neuen Teſtaments. Siebender 

BE 56 
115. Stück. Munthe, Observationes Philologicae in sacros novi Testa- 

rer ee en 57 
*117. Stüd. Cramer, Sammlung einiger Predigten. Zweyter Theil . . 58 
120. Stüd. Der Eheftand, eine Erzehlung, überjegt. Erfter Theil . . . 59 
121. Stüd. Steele, Der Schwäßer, überjeßt. Eriter Band . .. . - 60 
122. Stüd. [Büdke] Briefe an Freunde - - : 2». 2... 000 61 


123. Stück. [Wieland] Ankündigung einer. Dunciade für die Deutſchen. 62 


Franz Hutcheſons Sittenlehre der Bernunft, 
aus dem Englijchen überjegt. 


De 64 
Rt 64 
ee een 65 
a ee 65 


Des Herrn Jacob Thomſon ſämtliche Trauer- 
jpiele. Aus dem Englifchen überjegt. Mit einer Vorrede 
von Gotthold Ephraim Leßing. 1756. 
a 66 
Eine ernithbafte Ermunterung an alle Chriſten zu 
einem frommen und heiligen Leben. Bon William 
Law. A. M. Aus dem Englijchen überjegt. 1756. 
ar ee 72 
Hrn. Samuel Richardſons Sittenlehre für die 
Jugend in den auserlejeniten Aeſopiſchen Kabeln. 1757. 
Nee entalten. 73 
Aus: Bibliothef der jhönen Wiſſenſchaften und 
der freyen Künite. 
MERER Wannen amenteh Biüd. 1672... u a 76 


Destouhes und NRegnard, Sämmtliche theatraliihe Werke, 
ee a NR 76 


XI Inhalt. 





Utz, Schreiben des Verfaſſers der lyriſchen Gedichte an einen Freund 
Sm Lager bey Prag rn DR ae ae 
Zweyten Bandes zmeyties Sri Bra NE u. 


TIheofrit, Moſchus und Bion, Idyllen, aus dem Griechiichen. 


überjeßt [vom Licherfühu] Sur na 
[Schönaich] Heinrich der Vogler, oder, bie gedämpften Hunnen . 
Rabener, Satirical Lettres, translated from the German . . . 
Dritten Bandes zweytes St. 
[Gleim] Lieder, Fabeln. und NRomanzen. -. » ».: 22. 2... 


Sin Schlahtgejang und zwey Siegeslieder von 
einem Preuſſiſchen Grenadier. 1758. 
FRAGTE 0 u ee a en 


Kriegs» und Sieges-Lieder der Breufjen von 


einem Preuſſiſchen Grenadier. Nebit einem 
Anhang einiger an des Königs von Preuſſen Majeftät 
gerichteter Gedichte. 1758. 
Nachſchrift an den Xeler u... 2 ae 


a ſiſche Kriegslieder in den Feldzügen 1756 
und 1757 von einem Grenadier. 


Mit Melodieen. 1758. 
Voöorberihheeeeee 


Aus: Berliniſche privilegirte Zeitung. 1758. 
3. Stück. [&leim] Siegeslied der Preuſſen nad) der Schlacht bey Roßbach 
0. Stüd. [Gleim] Siegeslied der Preuſſen, nah der Schlacht bey Liſſa 


Friedrichs von Logau Sinngedidhte. Zwölf Bücher. 
Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters 
herausgegeben von C. W. Namler 
und G. E. Lejfing. 1759. 
Be a I U ee de 
BARRSEDIL LEN RN REINE I TTS — 
Erſtes Di Te ae 
Smweyles: Buch.» 2.30 a ee 
Drittes Die. a2. 
Beth BU 3 
Fünfffeeee az 
BR BB a ey 
SERIE ADB N. N ae ae 


Seite 
76 
& 


114 


115 


117 


121 
122 


Inhalt. XII 


Seite 
2 nr ER 2 NA DEE 246 
Eu ee 263 
a Pe EN 279 
EL et rs ran lea. 297 
ZRRIRIE et re a 315 
N RE N 333 
I U a Re a ee 352 
Vorbericht von der Sprade des Logau .» » » 2 2220. 352 
[Alphabetiſches Verzeichnis ungewöhnlicher Wörter] . . : » » - - 359 
Gotthold Ephraim Lejjings Fabeln. Drey Bücher. 
Nebit Abhandlungen mit diefer Dichtungsart 
verwandten Inhalts. 1759. 
a en Dali ee 415 
ka ku 418 
OR DEE BETEN Deu model ae 418 
SabeL, was überhaupt heiße... u. ne. 418 
Einthetiung der Fabel in einfache und zufammengefegte. 418 
Die Erflärung des de la Motte wird unterfuht -. -» » ... 420 
Die Fabel ift nicht bloß eine allegorijche Handlung, jondern die 
- Erzehlung einer jolhen Handlung. -. »: 2» 2: 22.2... 420 
a en ei ee 421 
Die einfache Fabel ift nicht allegoriih - - - - nr... 423 
Blos die zufammengejeßte Fabel it 8...» . 2 2220. 424 
Warum das Wort Allegorie gänzlich aus der Erklärung der Fabel 
ET eu a ee Bee aaa 425 
Die Lehre der Fabel muß eine moraliche Lehre jeyn. . . . - 426 
Unterfuhung der Erklärung des Niher -. . . 222.20. 427 
Wie fern die Fabel ein Gedicht zu nennen » : 2 22.220. 427 
Die moraliihe Lehre der Fabel ift nicht immer eine eigentliche 
J 6 428 
Ein bloſſes Bild macht feine Fabel aussss.. 428 
BE ie DOEDRRE een. 429 
Worinn die Einheit einer aejopifchen Handlung beftehe - . . . 430 
Breitingers Erklärung wird geprüft. » «2. 2... 431 


Er hat die Erklärung des de laMotte überjeßt und gewäflert 432 
Die Lehre muß in die Fabel weder verſteckt noch verkleidet 


NEE NEE SEHEN FE ee le ee 432 
Bon der Erklärung des Batteur. ». .. een e 0. 433 
Seine Erklärung der Handlung ift für die aejopiiche Fabel zu 

BE ae ee 434 


Er Hat fie mit der Handlung der Epopee verwirnt . ..... 438 


XIV 


Inhalt. 





Worinn die Fabel von der Barabel unterihieden - » -». . . 
Der einzelne Fall der Fabel muß nothwendig als wirklich vor- 

geftellt werben ns ee en 
Srempel von Fabeln, die wider diefe Regel verftoßen 
Philoſophiſche Gründe diefer Regen 
Die Lehre des Ariftoteles von dem Exrempel . ...... 
Worauf ſich feine Eintheilung des erdichteten Exempels gründet 
Er Schreibt der hiſtoriſchen Wahrheit zuviel u.» ». 2»... 
Genetiihe Erklärung: Der Fabel 3: u See 


I. Bon dem Gebraude der Thiere in der Fabel ..... 


Liſt des Batteur, feine Urſache davon angeben zu dürfen . . 
Breitinger nimmt die Erreichung des Wunderbaren dafür an 


Die Einführung der Thiere in der Fabel ijt nicht wunderbar . 


Die wahre Urſache derjelben ift die allgemein befannte Bejtandt- 

heit der.thierifchen Charaktere...» „a sorne 
Wider den Berfaffer der critiihden Briefe - -. - : ».. 2... 
Warum der Fabulift feine Perſonen weit jeltner aus dem Pflanzen 

reihe und Steinreiche, und aus den Werfen der Kunſt nimmt 
Nutzen des Gebrauchs der Thiere in der zufammengejeßten Fabel 
Mugen defjelben in Anjehung der nicht zu erregenden Leidenschaften 


INT, Bon der Eintheilung der Fabel 1.2... 209 70755 


Sn einfahe und zujammengejehte . „ vr zz 
Sn direete und Indirecttn u. Ren 
Bon der Einteilung des Aphthonius -. ». ». -». 2: 2... 
Warım Batteur diefe Eintheilung angenommen » » »... 
Wolfs Verbefferung der Aphthonianifchen Eintheilung . . . - 
Was wider diefe Verbefjerung zu erinnern ! .» 2». 2.2... 
Die Eintheilung der Fabel wird aus der verichiednen Möglichkeit 

des einzeln Falles. in der Fabel Hergeholt ». -». » »... » 
Fernere Eintheilung der fittlihen Fabeln in mythiſche und 

byperphnitie.s... „ann 
Beiondere Arten der vermifchten Fabel...» . 2... 
Beurtheilung der Breitingerfhen Eintheilung - -» » - 2... 
Wie weit inden hyperphyſiſchen Fabel die Natur der Thiere 

zu erhöhen 2. ara a ns ke 
Bon der Ausdehnung der aefopifchen Fabel zu der Länge des 

epiichen Gedicht, wider den Verfaſſer der critiſchen Briefe . 
Idee von einem aefopiihen Heldengdidte - -» -» » 2... 


IV BoD Bortrage der Sabeln 2 Al 


Bon dem Vortrage ded Aefopus :... 2.2 2 22 2 20. 
DRTE TORTE. REIT 


Seite 
440 


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465 


Inhalt. XV 





Seite 
La Fontaine mißbraucht eine Autorität des Quintilians. 468 
De la Motte führet den la Fontaine verftümmelt an . . 469 
Die Alten handeln von den Fabeln in ihren Ahetorifen, wir in 
Eu 469 
Wodurch dieſe Veränderung veranlaßt worden . » -» .».... 469 
Die Zierathen, welche Batteur den Fabeln ertheilt wiſſen will, 
Breiten: mit Dein Melen ber Babel, 2. 2.20. 0% 470 
Warum der Verfafler den projaischen Vortrag gewehlet . . . . 471 
Fehler des Phädrus, jo oft er von den griechischen Fabeln 
N NEE 473 


V. Bon einem bejondern Nußen der Fabelinden Schulen 475 
Die rhetorijchen Uebungen mit der Fabel werden gemißbilliget . 475 
Bon dem hevriſtiſchen Nugen der Fabel, in Abficht auf die 


A 475 
Ze Babe teruunen werde. 2.2. nn 477 
Wie der Jugend die Erfindung zu erleihtern - - » 22.2... 477 


Exempel an verjchiednen eignen Fabeln des Berfaffer® . . . . 477 








Se, We En 
— 








Aus: 


Berliniſche privilegirke Zeitung. 


1755. 


Die Glaubenslehren der Chriften,? oder die einzige 
wahre Religion nah ihrem gedoppelten Endzwede alſo 5 
abgehandelt, daß die Freunde derjelben in ihrem Glau— 
ben gejtärft und befejtiget, die Feinde derjelben aber in 
ihrem Unglauben befhämt und zerjtreuet werden, von 
Peter Hanjjen. Roſtock und Leipzig, verlegtS Johann 
Chrijtian Koppe 1755. In 4to. 4 Alphb. 5 Bogen. Das 10 
jtärfjte innere Kennzeichen, woran man die einige wahre Religion er- 
fennen kann, ijt ohne Zweifel diefes, daß jie eine vollfommene Richt: 
ſchnur des fittlichen Lebens der Menjchen lehren und zugleich einen über- 
zeugenden Unterricht ertheilen muß, wie man, in Anfehung der Ab- 
weichungen von derjelben, Gnade und Vergebung erlangen fünne. Da 15 
num aber die chriftliche Religion die einzige it, der man dieſe Eigen- 
Ihaft zugejtehen muß, jo wird man auch zugejtehen müſſen, daß ihre 
Wahrheit von diejer Seite, über alle Einwürfe hinweg gejegt jy. Man 
wird diefen Schluß jchwerlih in irgend einem Werfe jo deutlich umd 
gründlich auseinander gejegt finden, als in dem gegenwärtigen des Herren 20 
Conſiſtorialraths Hanſſen, welches man eine chriftliche Sittenlehre von 
einer ganz bejondern Art nennen fann, indem fie die Wahrheit des 
Chriſtenthums nicht voraus jeget, jondern durch fich jelbit zu erweiſen 
ſucht. Er hat fie in drey Bücher abgetheilet, deren erites von dem 
Berhältnig zwiſchen Gott und den Menichen in dem Stande der Voll- 25 
! (Berlin, bei Chriftian Friedrich Voß. 156 Stüde zu je 2 Blättern 4%.) 

? [1. Stüd, Donnerftag, den 2 Januarius 1755. Dasjelbe wird auch durch eine Ode Leſſings er— 


öffnet; vgl. Bb. I, S. 148.] 
Leſſing, fämtlihe Schriften. VII. 1 





or 


2 Aus: Berlinifche privilegirke Zeitung. 1755. 





fommenbeit, das zweyte von eben diefem Berhältnifje in dem Stande der 
Unvollfommenheit, jo wie das dritte in dem Stande der Befjerung, oder 
der Bollfommenheit in Chrifto, handelt. Man kann ich die vornehmiten 
Hauptitüce derjelben Leicht vorftellen, und die Verdienſte des Verfaſſers 


überheben uns einer weitläuftigen Verfiherung, daß fie jämtlich der 


Wahrheit und Erbauung gemäß abgefaßt find. Kojtet in den Voſſiſchen 


Buchläden hier und in Potsdam 1 Rthlr. 12 Gr. 


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30 


Les Moeurs et Coutumes des Francois," dans les premiers tems de 
la Monarchie par Mr. PAbbé le Gendre, Chanoine de VEglise de Paris, 
precedes des Moeurs des anciens Germains, traduits du Latin de ©. Tacite, 
et d’une Preface, contenant quelques remarques relatives aux usages an- 
ciens ou modernes de ces deux Peuples. « Paris chez Briassons. in 12mo. 
20 Bogen. Das Verf des Abt le Gendre ift nicht neu, fondern 
bereit 1721 gedrudt worden. Es enthält viel artige Nachrichten von 
den Sitten und Gebräucen, welche unter den FSranzofen von Zeit zu 
Zeit geherrſcht haben, und durch welche fie zu derjenigen Artigfeit hin— 
aufgejtiegen find, die jegt jo viele an ihnen bewundern. Dieje neue 
Ausgabe enthält ziemlich entbehrliche VBermehrungen; eine Meberjegung 


nehmlich von des Tacitus kleinem Werfe von den Sitten der 


alten Deutſchen, und eine Vorrede, in welcher dieje mit den Sitten 
der alten Gallier und den neuern Sitten beyder Völfer verglichen werden. 
Da die Öallier unwiderſprechlich deutjchen Urjprungs find, jo hat dieje 
Bergleichung nicht viel Mühe koſten können. Unterdefjen ijt fie doch in 
einem Tone abgefaßt, welcher einen Deutjchen beluftigen fanı. 8. €. 
„Wir Franzoſen, fagt der Schriftfteller, find in dem Anfange eines 


„Treffens jchreklih. Wir find gewohnt dem Feinde den Sieg zu ent- 


„reifen; denn wenn wir ihm denjelben lange jtreitig machen follen, fo 
„laufen wir Gefahr ihn zu verlieren. Unterdejjen haben wir doch 
„auch bey manchen Gelegenheiten eben joviel Standhaftigfeit, als Hibe 
„gezeigt. Wir haben das feindliche Feuer ruhig ausgehalten; wir haben 
„gelafjen den günftigen Augenblid zum Angriffe erwartet; wir 20.” — — 
Kurz, das franzöfiihe Wir, läßt in dem Munde eines Schriftitellers, 
der vielleicht nicht das Herze hat, einen Hund tod zu machen, wortreflich 
tapfer. Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 16 Gr. 


ı [2. Stüd. Sonnabend, den 4 Januarius 1755.) 





E 
4 





Aus: Berliniſche privilegirte Zeitung. 1755. 3 





Verſuch! eines vernunftmäßigen Beweiſes von der 
Göttlichkeit der Religion JEju aus der Niedrigfeit ihres 
Stifters, zu Beſchämung des Unglaubens und zur Ehre 
des Gefreuzigten in zweyen Theilen herausgegeben von 
Chriſtoph August Lobeken, evangelijhen Prediger zu Lö— 
bit. Leipzig bey Gasp. Fritfhens Wittwe 1755. In Son. 
1 Alphb. 4 Bogen. Es iſt fein Zweifel, daß man nicht auf allen 
Seiten, von welchen fich die chriftliche Religion betrachten läßt, Merk— 
male ihrer Göttlichkeit entdeden könne. Dieje aufzufuchen und in ihr 
gehöriges Licht zu ftellen, ijt eine der würdigſten Bejchäftigungen eines 
Geijtlichen, welcher nothwendiger Weije fein einziges Mittel, Ueber: 
zeugung zu wirken, gering ſchätzen muß. Beſonders kann ſolche Arbeit 
alsdenn von bejondern Nuten jeyn, wenn gleich die allerangefochtenjten 
Umstände zu den Quellen der Beweife genommen und aljo die Waffen 
der Feinde der Religion gegen ſie ſelbſt gefehret werden. Ob diejes 
der Berfajjer gegenwärtigen Verſuchs mit der Niedrigfeit JEſu glücklich 
geleiltet habe, werden die Lejer am beiten beurtheilen fünnen. Sein 
Buch beitehet aus zwey Haupttheilen. In dem erjten wird aus der 
Niedrigfeit JEſu erwiejen, daß er mit einer faljchen Religion weder 
habe betriegen wollen, noch fünnen. In dem zweyten wird aus eben 
diefem Grunde dargethan, daß die Religion, welche JEſus gelehret, wirk- 
lich eine göttliche und die einzige ſey, nach deren Gejeßen wir Gott an— 
ſtändig verehren ſollen. Jeder Theil bejtehet wieder aus fünf bejondern 
Abjchnitten, in welchen alles, dahin gehörige deutlich und überzeugend 
abgehandelt wird. Kojtet in den ale Buchläden bier und in Pots— 
dam 8 Gr. 


Gedicht! dem Gedächtniſſe des Herrn von Hagedorn 
gewidmet. Braunjhweig, bey Schröders Erben. In 4to. 
21/s Bogen. Man wird e3 bereit3 aus andern öffentlichen Blättern 
wijjen, daß der Herr Zachariä der Verfaſſer diejes Gedichts ift. Wir 
wiederholen feinen Namen hier um defto lieber, weil er uns der for- 
mellen Lobjprüche überhebt, die das Publicum in Anſehung der vorzüg- 
lichen Gejchieklichfeit diejes Dichter3 nichts neues lehren würden. Hat 


ı (3. Stüd. Dienftag, ven 7 SJanuarius 1755.] 
? [4. Stüd. Donnerftag, den 9 Januarius 1755,] 





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St 


4 Rus: Berlinifche privilegirke Zeitung. 1755. 





man ihn in jeinen jcherzhaften Epopeen, als in jeiner Sphäre bewun— 
dert, jo wird man ihn auch hier nicht aufjer derjelben finden; jo wenig 
auch die Gabe jcherzhafter Einfälle und die Gabe zärtlicher Empfin- 
dungen, mit einander gemein zu haben fcheinen. Auch in das Lob des— 
jenigen unjterblichen Dichters wollen wir uns nicht einlafjen, deſſen Tod 
Herr Zahariä, und mit ihm Germanien, beweinet. Er war zugleich 


der rechtichaffenite und großmüthigite Mann, und wenigjtens hiervon einen 


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30 


fleinen Beweis einzurüden, fünnen wir und unmöglich enthalten. Auf 
der 15 Seite läßt Herr Zach ariä die Dichtkunſt ſagen: 

Ihr ſahet ihn ſo oft in dem geheimern Leben, 

Verdienſten ihren Rang, ſein Lob der Tugend geben; 

Ihr ſaht ihn immer groß, und freundſchaftlich und frey, 

Der wahren Weisheit Freund und Feind der Heucheley. 

Mich dünkt, ich höre noch die edle Menſchenliebe, 

Die ſanft, voll Wohlthun ſpricht; die jeder Großmuth Triebe 

Für dich, o Fuchs, erregt; und aus der Dürftigkeit 

Mit brittſchem Edelmuth verkannten Witz befreyt. 
Zu dieſen letzten Zeilen macht der Verfaſſer folgende Anmerkung: „Herr 
„Gottlieb Fuchs, der ſeit einigen Jahren Prediger in Sachſen iſt, 
„und ſich unter dem Namen des Bauernſohnes durch verſchiedene glück— 
„liche Gedichte bekannt gemacht hat; kam ohne Geld und Gönner nach 
„Leipzig, ſeine Studien daſelbſt fortzuſetzen. Er fiel allda einem un— 
„ſerer größten Dunſe in die Hände, der durch ſeine marktſchreyeriſche 
„Art, mit ſeinen Verdienſten um Deutſchland zu prahlen, und durch die 
„Leinen niedrigen Mittel jemanden zu feiner Barthey zu ziehen, genug 
„bezeichnet it. Diefer Mann, der wohl eher verjucht hatte, mit einem 
„alten Rode Leute zu bejtechen, für ihn zu jchreiben, diefer Mann war 
„Hein genug, Herr Fuchſen monatlich eine jolche Kleinigkeit zu geben, 
„die man ſich ſchämt hier auszudrücden, und die er kaum dem geringjten 
„Bettler hätte geben können. So bald er indefjen erfuhr, daß Herr 
„Suche in die Befanntichaft mit einigen andern rechtſchaffenen Leuten 
„gekommen war, die er nicht zu ſeiner Parthey zehlen konnte, ſo war 
„er noch niederträchtiger, und nahm Herr Fuchſen die Kleinigkeit, die 
„er ihm bisher gegeben. Herr Fuchs wurde ſogleich von denjenigen mehr 
„als ſchadlos gehalten, durch die er um dieſes erniedrigende Allmoſen 
„gekommen war. Der' ſeel. Herr von Hagedorn, dem dieſe Geſchichte 


Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 


5 
„bekannt wurde, brachte durch feine edelmüthige Vorſprache bey vielen 
„Standesperjonen, Hamburgern, einigen Engelländern, und bejonders bey 
„dem Collegio Carolino zu Braunfchweig eine jo anjehnliche Summe 
„zulammen, daß Herr Fuchs künftig vor dem Mangel gefichert, jeinen 
„Studien auf eine anjtändige Art obliegen konnte.” — — Denjenigen 
Fremdlingen in dem Reiche des Wibes, welche vielleicht fragen ſollten: wer 
ift der grofje Duns? wollen wir nächſtens dieje Frage beantworten. — — 
Koftet in den Voffischen Buchläden hier und in Potsdam 3 Gr. 


Antwort! auf die Frage: wer ift der grojje Duns? 
Der Mann in — —, welden Gott 
Nicht ſchuf zum Dichter und Kunftrichter, 
Der, dümmer als ein Hottentot, 

Sagt, er ud S*** wären Dichter; 
Der Philip Zejen unjrer Zeit; 

Der Büttel der Sprachreinigfeit 

In Ober: und in Niederjachien, 

Der alle Worte Lands vermweilt, 

Die nicht auf Deutichem Boden wachſen; 
Der groffe Mann, der ftarf von Leib 
Ein kleines artigs freundlich Weib 
Kalt, wie er denft und jchreibt, umarmt, 
Das aber jeiner ſich erbarmt, 

Und gleicher Meinung ijt und bleibt, 
Und wider ihn nicht denkt, nicht jchreibt, 
Weil e3 den Zank der Ehe jcheut, 

Und lieber aus Gefälligfeit 

Sih an des Manns Gedanken bindet; 
Der Mann der unter uns 

Biel groſſe Geijter findet, 

Der iſt der grofie Dung! 


Lyriſche und andere Gedichte? Neue und um Die 
Helfte vermehrte Auflage Mit allergnädigiten Frey— 





1 5. Stüd. Sonnabend, den 11 Januarius 1755.] 
2 [9. Stüd. Dienftag, den 21 Januarius 1755.] 


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6 Aus: Berliniſche privilegirke Beifung. 1755. 








heiten. Anſpach, zu finden bey Jacob Ehriftoph Poſch 1755. 
In 800. 12 Bogen. Die erjte Ausgabe diefer Gedichte ift bereits 
vor fünf Jahren erjchienen, und von Kennern wohl aufgenommen worden. 
Man erkannte ihren Verfaſſer, welches der Herr Regierungsfecretär U 
in Anfpach ift, jogleich für einen wahren Schüler des Horaz, der von 
dem Feuer feines Muſters befeelt werde, und etwas mehr gelernt habe, 
al3 ihm bier eine Gedanke und da eine Wendung, nicht ſowohl abzu- 


‚borgen, als abzujtehlen. Die Bermehrungen, welche er jetzo hinzugethan, 


find fo beträchtlich, daß er die Oden in vier Bücher hat abtheilen fünnen. 
Die eriten zwey enthalten die bereits gedrudten Stüde; aber jo, wie 
jte fich der verbejjernden Hand eines Berfafjers, der aller Welt eher, 
als fich ein Genüge thun fann, entreiffen dürfen. Er hat überall ver- 
ändert und auch Fast überall glüdlich verändert. Wir jagen fait, und 
hoffen, daß er es denjenigen nicht übel ausdeuten wird, die jich, viel- 
feicht aus einer Art von Präpdilection hier und da feiner erjtern Ge— 
danken gegen die leßtern annehmen. Unter den neuen Dden, welche das 
dritte und vierte Buch ausmachen, wird man verjchiedne von dem er— 
habenſten Inhalte finden, und einen philofophifchen Kopf wird die, welche 
er Theodicee überjchrieben hat, nicht ander als entzüden fünnen. 
Sie find überhaupt alle vortreflich, obgleich nicht alle von einerley Fluge. 
Und auch dieſes hat er mit dem Horaz gemein, welcher jich oft in die 
niedre Sphäre des Scherzes und angenehmer Empfindungen herab läßt, 
und auch da die geringsten Gegenftände zu veredeln weiß. Nur an den 
ihmusigen Bildern hat unfer deutjcher Horaz eine gleiche Kunft zu 
zeigen, verweigert. Die Anftändigfeit ift das ftrenge Gejeb, welches feine 
Mufe auch in den Entzüdkungen des Weines und der Liebe nie ver- 
feßet. — — Die übrigen Bermehrungen bejtehen in dem Sieg des 
Liebesgottes, welches jcherzhafte Heldengedihte man auch bereits 
fennet, und in einigen poetischen proſaiſchen Briefen, welche Theils freund» 
ſchaftlichen, Theils critifchen Inhalts find. Der vierte iſt bejonders merk— 
wirdig. Koftet in den Voffischen Buchläden hier und in Potsdam 16 Gr. 


Vermiſchte Werke! in verfhiednen Arten der Didt- 
funft von Johann Jakob Duſch. Jena, bey ©. Heinrid 
Cuno 1754. In groß 8vo. 1 Alphb. 14 Bogen. Das meijte 





ı rı2. Stüd, Dienftag, den 28 Januarius 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 7 
von diejen gefammelten Gedichten fennet die Welt bereits, und Herr 
Duſch geniefjfet nicht .erit feit geftern den Ruhm eines jchönen Geiftes, 
dem es in mehr als einer Art der Poeſie gelungen ift. Er behält fait 
durchgängig noch den Reim bey, und nur in einigen Oden hat er, voll 
Zuverſicht auf andre wejentliche Schönheiten, ihn aufgegeben. Eine andre 
Neuerung, die fich einzig von ihm herjchreibt, und von der wir nicht 
wiffen, ob jie ihm jemand nachgemact hat, wird man auch jchon an 
ihm gewohnt jeyn. Er hat nehmlich dem ziemlich einfürmigen Sylben— 
maaſſe der Alerandriner eine nicht unangenehme Veränderung zu geben 
geglaubt, wenn er auch in der Mitte des Abjchnitts eine Abwechjelung 
von männlichen und weiblichen Füffen brächte; und wir müfjen gejtehen, 
daß die Wirkung davon oft jehr glüdlich ift. — — Die ganzen Werfe 
beitehen aus jechs Abtheilungen. Die erjte enthält das aus acht Ges 
jängen bejtehende Lehrgedicht die Wiſſenſchaften; die zweyte das 
Toppe ein jcherzhaft Heldengedichte in jieben Büchern; die dritte 
Moraliiche Gedichte. Die vierte Oden und Elegien; die fünfte zwey 
Schäferjpiele, nehmlih die unfhuldigen Diebe, und den Tauſch; 
die jechite endlich ift ein bloffer Anhang von zwey neuen Oden. Der 
Raum vergönnt e3 nicht, von diejer letztern Art ein ganzes Stüd her— 


zujegen, welches doch gejchehen müßte, wenn die Lejer ihr Urtheil dars : 


nad einrichten jollten. Eine einzelne Stelle kann fie nur bewegen, das 
Bud jelbit nachzujehen, welches fie jchwerlich ohne Vergnügen wieder 
aus den Händen legen werden. Hier it eine; der Dichter bekömmt von 
jeinem Schußgeijte den Befehl: 
Du, finge janftere Töne, von bejjern zärtlichen Kriegen, 
Die nicht die Mutter verflucht. 
Bleib dort im friedfamen Thal, das, zu weit menjchlichern Siegen, 
Die Braut und ihr Jüngling bejucht! 
Greif in die mächtige Leyer, die, von der Sapho geipielet, 
Sanft, wie ein Seufzer, erflang, 
Wenn flüchtig ihre Bufen fi) hob, und Küffe, nur eben gefühlet, 
Die bebende Lippe bejang ! 
Dann jchleicht ein blühendes Mädchen, das ich von ihren Gejpielen, 
Sm Hain hin, tiefer verlohr, | 
Still zu den Sänger und laufcht, und fühlet ſich, und im fühlen 
Schwillt janft ihr Bufen empor. 


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Aus: Berlinifche privilegirie Zeilung. 1755. 





Dann kommt fie mit glühenden Wangen, belebt von Unſchuld und Feuer, 
Wenn fie im Schlunmer dich fieht, | 
Und krönt mit Veilchen und Rofen geſchäftig die glückliche Leyer 
Und küßt dich eilig und flieht. 
Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 1Rthlr. 4 Gr. 


Begebenheiten! eines ſich ſelbſt Unbefannten Aus 


dem Englijhen überjest. Franffurt und Leipzig 1755. 


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Sn 8vo. 1. Alphb. 4 Bogen. — — Wenn doch diejer fich ſelbſt 
Unbefannte die Gütigfeit gehabt hätte, und auch der Welt unbekannt 
geblieben wäre. — — Er wird aufjer dem Haufe jeiner eltern, die 
er gar nicht Fennet, erzogen. Es fehlet ihm in den erjten Jahren an 
nichts, und er findet jich jo gar, ohne fein Zuthun, in ein ziemlich ein- 
trägliches Amt gejeßt. Doch durch eine lüderliche Lebensart, und be- 
fonders dadurch, daß er Komödiant wird, verjcherzt er die Liebe feiner 


5 unbelannten Berforger. Er wird ich jelbit überlaſſen, und aus einen 


Unglüde in das andere verjchlagen. Er ſchweift bald als ein Bedienter, 
bald als jein eigner Herr in London herum, und jpielt jo wohl unter 
der einen, als unter der andern Geſtalt den verliebten Ritter. Er lernt 
feine Schweiter kennen, ohne zu wifjen, daß es feine Schweiter ijt, und 
hätte fich bald auf gar feine brüderliche Art in fie verliebt. Doch alles 
geht noch gut.ab, und jeine unbekannte Schweiter wird die unvermuthete 
Gelegenheit, daß er von jeinem jterbenden Vater, eben jo wohl als fie, 
erfannt und wieder angenommen wird. — — Das iſt das Gerippe des 
Romans, um welches der Seribent einige elende Lumpen aus dem ärger- 
lihen Leben der engliichen Buhljchweitern geworfen hat, um ihm un— 
gefehr eine Geftalt zu geben. — — Sit es erlaubt, weil Rich ardſon 
und Fielding ein gutes Vorurtheil für die engliihen Romane erweckt 
haben, daß man uns allen Schund aus diefer Sprache aufzudringen jucht ? 
Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 14 Gr. 


Joh. Balth. Lüdermwaldts,? Predigers zu Glentorf 
ohnweit Helmſtädt, ausführliche Unterſuchung von der 
Berufung und Seeligkeit der Heiden. Erſter und anderer 
Theil. Wolfenbüttel, bey Joh. Chriſtoph Meißnern 1754. 


1 f13. Stück. Donnerſtag, den 30 Januarius 1755.] 
2 [16. Stück. Donnerſtag, den 6 Februarius 1755.) 





Aus: Berlinifche privilegirte Beitung. 1755. 9 


Sn 800. 3 Alphb. 11 Bogen. Die zuverfichtliche Entjcheidung der 
Naturalijten, die fromme Grauſamkeit gewifjer Ortbhodoren, die über: 
triebne Gelindigfeit anderer, die eben fo wohl Orthodoren ſeyn wollen, 
haben die Materie von der Seeligfeit der Heiden für einen Theologen 
ohne Zweifel zu einer von den verworrenjten gemacht. Man muß es 
daher dem Herrn Prediger Lüderwaldt Dank wiſſen, daß er ihr eine 
jo ausführliche Abhandlung gewidmet hat, tworinne er fich unter gewifjen 
Einichränfungen für die bejaende Meinung erklärt. Er hat fie in ſechs 
Hauptitüce abgetheilt. In dem erjten und zweyten handelt er vor- 
läufig von einigen Glaubenslehren, al3 von dem Verderbniß des Men- 
ſchen, von der Nothiwendigfeit des Verdienſts Ehrijti, von der Schwäche 
der Vernunft und der Wahrheit der Offenbarung ꝛc. um zu zeigen, daß 
bey ihm feine unlautere Erfenntniß derjelben Statt habe, aus welcher 
vielleicht jein Urtheil für die Heiden geflojien jeyn könnte. In dem 
dritten und vierten Hauptitüde entwirft er eine furze Gejchichte der 
Offenbarung und Berufung, nach den mwejentlichjten hierher gehörigen 
Stüden. Das fünfte Hauptſtück enthält die Abhandlung jelbit, und be- 
jtehet aus drey Abjchnitten, in deren eritem die GSeeligfeit der Heiden 
aus Gründen der Vernunft, der Schrift und Aehnlichfeit des Glaubens, 
erwiejen, in den zweyten wider die Einmwürfe vertheidigt und in dem 
dritten durch die verfchiednen Meinungen "alter und neuer Gottesgelehrten 
erläutert wird. Man fann leicht muthmajjen, daß der Herr Berfafjer 
allezeit eine Geeligfeit um Chrijti Willen verjtehe, die er den frommen 
Heiden hoffen läßt. Das ſechſte Hauptitüc endlich bejchäftiget fich mit 
einer Folge aus der vorgetragenen Lehre und erweijet, daß die Zahl 
der Seeligen nicht jo geringe jeyn werde, als man ſich wohl aus faljchen 
Begriffen von der Güte und Gerechtigkeit Gottes vorjtellt. Koſtet in den 
Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 1 Rthlr. 


Briefe! Zweyter Theil. Gotha bey Johann Paul 
Mevius 1755. In 800. 8 Bogen. Der erite Theil diejer Briefe 
it bereit3 zu Anfange des vorigen Jahres herausgefommen. Ihr Ber- 
faſſer iſt der Ueberjeger von des Lenglet du Fresnoy Anweilung zur 
Erlernung der Hiftorie, Herr Bertram. Er ſchreibt an Freunde und 
Freundinnen. Sein Ausdruck ift rein, aber nicht epiltolariich; jeine 





ı 22, Stück. Donnerftag, den 20 Februarius 1755.] 


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10 Hus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 





Gedanken find nicht jchlecht, aber auch nicht befonders; der Inhalt ge= 
hört weder unter den ernithaften noch unter den jcherzhaften, denn er 
trägt ernjthafte Dinge ziemlich Iuftig, und ſcherzhafte Dinge ziemlich ernit- 
haft vor. Hier und da macht er einige Anmerkungen aus der neuern 
Litteratur. Zum Erempel auf der letztern Seite diejes Theils im 32 Briefe 
verfichert er, daß man in dem zweyten und dritten Theile de3 Amilee 
beynahe die ganze Holbergijche unterirdifche Reifebejchreibung finde, ohne 


ein einzig mal die Urkunde angezeigt zu jehen. Er jet hinzu: „it etwa 


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„der Wit der. Sranzojen erichöpft, daß fie ſich jeko des von ihnen fo 
„verachteten deutichen Witzes anmaſſen?“ — — Holberg war fein 
Deutjcher; oder iſt der deutjche und dänische Wit einerley? — — Koſtet 
in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 4 Gr. 


Verſuche! in der tragiſchen Dichtkunſt, beſtehend in 
vier Trauerſpielen, nämlich Zayde, Mariamne, Thus— 
nelde und Zarine. Breslau verl. Carl Gottfr. Meyer 1754. 
In gr. 8vo. 16 Bogen. Wenn wir ſagen, daß der Herr Baron 
von Schönaich, der Seribent des Hermanns, Verfaſſer von dieſen 
Verſuchen iſt, ſo werden wir hoffentlich auf einmal das vollſtändigſte 
Urtheil davon gefällt haben, das man davon fällen kann. Es folgt nicht 
nothwendig, daß ein guter Heldendichter auch ein guter tragiſcher Dichter 
ſeyn müſſe; aber das folgt nothwendig, daß der, welcher ſchlechte Epopeen 
ſchreibt, auch nicht anders als ſchlechte Trauerſpiele ſchreiben werde. 
Der Herr Baron hat es der Welt ſchon gewieſen, daß er ſo ziemlich 
die mechaniſchen Regeln alle beobachten, und, Trotz dieſer Beobachtung, 
dennoch Gedichte, die nichts taugen, machen könne; und wir ſind viel zu 
billig, als daß wir ihm dieſes Lob nicht auch hier ertheilen ſollten. Wir 
erinnern uns ſeiner und ſeines Lehrmeiſters allezeit mit Dankbarkeit, 
ſo oft wir die Anmerkung eines franzöſiſchen Kunſtrichters, daß etwas 
ganz anders die Kunſt, und etwas ganz anders das Raffinement der 
Kunſt ſey, mit Beyſpielen beſtärken wollen. Den Mangel dieſes Raffine— 
ments könnte man dem Herrn Baron ganz gern vergeben; allein er hat 
noch einen andern Fehler, den ihm geſittete Leſer unmöglich verzeihen 
können, und von dem wir gar nicht einſehen, wie er dazu gekommen 
iſt. Er iſt ein Cavalier, dem es an Kenntniß der groſſen Welt und der 





1 [23. Stück. Sonnabend, den 22 Februarius 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirfe Zeitung. 1755. 11 





feinen Sprache, die darinne üblich ift, nicht fehlen follte: wie fümmt 
e3 aber gleichwohl, daß er feine tragischen Perſonen jo friechend, jo 
pöbelhaft, jo edel jprechen läßt? Seine PBrinzeffinnen, z. E., haben 
Liebiten, (S. 3) find verliebt, (©. 13) find brünftig, (S. 11) 


ſind geil (S. 59). Seine Helden fchimpfen einander Hunde (©. 10) 


und Buben (©. 43). Wenn fie überlegen, jo fommt ihnen was ein 
(S, 12) und wenn fie jagen follen, ich meinte, oder ich glaubte; jo 
jagen fie ih dachte (©. 3). Einer jpricht zu dem andern du läugit 
(S. 14) und erboßt fid, (S. 105) wenn er ergrimmen follte Ein 
Gemahl hat eine Frau, (S. 42) und wohl noch darzu eine ſchwangre 
Frau, (©. 126) und eine Gemahlin hat einen Mann (©. 66). Die 
Feldherrn geben dem Feinde Schlappen (S. 112). Die Diener find 
geſchwind wieder Wind (©. 58). Die Könige heifjen die Königinnen 
mein Lit, (S. 81) mein Leben (©. 82). Wer etivas zeigen will, 
ruft Schau! und wer fi verwundern will, fchreyt Ey! ꝛc. Koſtet in 
den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 8 Gr. 


Les heureux Orphelins,! Histoire imitee de U Anglois par Mr. de 
Orebillon F. IV. Parties à Bruselles 1755 et se vend a Dresde chez 
J. ©. Walther. In 12mo. 1Alphb. 12 Bogen. Die englifche Ur— 
ſchrift dieſes Romans heißt The Fortunate Foundlings, und ift in jehr 
furzer Zeit dreymal gedrudt worden. Allein diefer geichwinde Abgang 
it ein jehr zweydeutiger Beweis von feiner Güte, die man weit fichrer 
daraus jchlieffen wird, daß der jüngere Herr Crebillon fich die Mühe 
genommen hat, ihn umzuarbeiten. Wie viel Veränderungen er bey diejer 


Umarbeitung müfje erlitten haben, werden auch diejenigen leicht wahr: 


nehmen können, welche ihn in der Örundiprache nicht gelefen haben, 
wenn fie nur jonjt das englifche Genie ein wenig fennen. Er hat nicht 
allein ein vollfommen franzöfiiches Anjehen befommen, jondern er ift 
auch jo glüclich crebillonifirt worden, daß man ohne Mühe entdedt, er 
müſſe zu der Familie der Egaremens de l’esprit et du coeur, der Briefe 
der Ninon ꝛc. gehören. Diefe FamilienGleichheit beitehet in den jo- 
phiſtiſch metaphyſiſchen Zergliederungen der Liebe und aller damit ver: 
wandten Leidenjchaften, in welchen der jüngere Erebillon ein jo 
grofjer Meiſter it, daß man glauben follte, nur er allein müſſe das 





 [24. Stück. Dienftag, den 25 Februarius 1755.] 


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12 Aus: Berlinifche privilegirke Beifung. 1755. 





menschliche Herz von diejer Seite fennen, welches in feinen Schilderungen 
zu einem weit gröffern Labyrinthe wird, als e3 vielleicht in der That 
it. Die erſten vier Theile diefer glücklichen Findlinge enthalten 
noch jehr wenig, was zu ihrer eigendlichen Gejchichte gehört, wozu in 


5 dem erjten nur gleichham der Grund gelegt wird. Die andern drey find 


völlig mit einer fremden Gejchichte erfüllt, von der man e3 erwarten 
muß, ob fie mit dem Ganzen glüdlich genug wird verbunden jeyn. Vor 
jebo ijt man zufrieden, daß fie den Lejern wichtig und reigend genug 
jcheint, die vornehmjten Helden ohne Mißvergnügen deswegen aus dem 


10 Geſichte zu verlieren. Kojtet in den Boffischen Buchläden hier und in 


20 


30 


Potsdam 21 Gr. 


Du Hazard! sous ’Empire de la Providence, pour servir de pre- 
servatif contre la Doctrine du Fatalisme moderne par Mr. de Pre- 
montval. ü Berlin aux depens de J. C. Klüter 1755. In Svo. 10 Bo— 
gen. Der Herr von Bremontval, deſſen Tiefjinnigfeit die Welt nun 
Ihon aus mehr al3 einer Schrift fennet, fängt in der gegenwärtigen an, 
einen grofjen Theil derjenigen Zweifel aufzulöjfen, die er felbjt wider 
die Freyheit vorgetragen hat. Wenn die nachdrüdliche Art, mit welcher 
er ſie vortrug, einigen chriftlichphilofophiihen Zärtlingen verdächtig 
Icheinen fonnte, jo wird eben diefe nachdrüdliche Art, mit welcher er fie 
nicht bloß zu verffeiltern, jondern aus dem Grunde zu heben jucht, ihr 
Gewiffen mit einem Manne wieder ausſöhnen können, deſſen lautere 
Abjichten ihm weder eine Stelle unter den Zweiflern noch unter den 
Fataliften verdienen. Um zu zeigen, was für einen Einfluß die recht: 
veritandene Lehre vom Ohngefehr bejonder3 auf die Lehre von der Gitt- 
Tichfeit unfrer Handlungen haben fünne, mußte der Herr von Pre— 
montval nothwendig erjt zeigen, daß es ein Ohngefehr gebe. Und 
diefes thut er in der gegenwärtigen Abhandlung, die jest gleichſam nur 
der Helfte ihres Titel3 Genüge thut. Er beweijet die Würklichkeit des 
Ohngefehrs mit Vorausſetzung einer höchſt gütigen und höchſt meijen 
Borjehung, ja er bemweijet jie durch diefe Borausjegung ſelbſt, und er- 
härtet, daß im Grunde alle Bhilofophen fie zugeben müfjen, jo jehr fie 
fih auch entweder bloß wider den Namen, oder gar wider die Idee 
dejjelben jträuben. Die Wirkungen diefes Ohngefehrs, bejonders nad 


ı (25. Stüd. Donnerftag, den 27 Februarius 1755.] 





Aus: Berlinilche privilegiete Zeifung. 1755. 13 


den Einjchränfungen einer ewigen Weisheit, wird er in verjchiednen an— 
dern Abhandlungen betrachten, welche in jeinen jchon angezeigten Pro- 
testations et Declarations philosophiques erjcheinen jollen. Da jeine 
Ihärfiten Angriffe, wie man leicht jehen kann, wider die Leibnigifche 
- Bhilofophie gehen müſſen, jo hat er fiir gut befunden, jeine Arbeit allen 
Weltweifen Deutjchlands zuzueignen, deren Eifer um die Ehre eines der 
größten Geifter ihres Vaterlandes, ihm nur allzumohl befannt iſt. Wir 
find gewiß, daß fie dieſen jeinen vorläufigen Höflichfeiten allen den 
Werth, der ihnen gebühret, beyzulegen, und ihn jelbit von denjenigen 
Gegnern ihres Helden zu unterfcheiden wifjen werden, welche mehr die 
Eiferfucht, als die Wahrheit dazu gemacht hat. Wenn ſie in etwanigen 
Streitigfeiten die Meinungen des Heren von Premontvals auch nicht 
annehmen jollten, beyher aber nur von ihm die Kunſt, ſich in den tief- 
innigjten Materien eben jo deutlich al3 angenehm auszudrüden, lernen 
fönnten ; jo würde der Nuten für fie doch Schon unendlich groß ſeyn. 
Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 10 Gr. 


Philoſophiſche Gefpräde.! Berlin bey Ehr. Fr. Voß 
1755. In 8vo. 7 Bogen. Diejes fleine Werf, welches aus vier Ge- 
jprächen über metaphyſiſche Wahrheiten bejteht, enthält jo viel Neues 


und Gründliches, daß man leicht jieht, es müfje die Frucht eines Mannes : 


von mehrerın Nachdenken, al3 Begierde zu jchreiben, jeyn. Vielleicht 
würde ein andrer jo viel Bücher daraus gemacht haben, als hier Ge— 
Ipräde find. Wir wollen den Inhalt eines jeden anzeigen. In dem 
eritern wird erwiejen, daß Leibnitz nicht der eigendliche Erfinder der 
vorherbeitimmten Harmonie jey; daß Spinofa fie achtzehn Jahr vor 
ihm gelehrt, und daß der eritere dabey weiter nichts gethan, als daß 
er ihr den Namen gegeben, und fie feinen Syitem auf das genaueſte 
einzuverleiben gewußt habe. Spinoja leugnet ausdrüdlich in feiner 
Sittenlehre, daß Seele und Körper wechſelsweiſe in einander wirken 
fönnten; er behauptet ferner, daß die Veränderungen des Körpers und 
ihre Folge aufeinander, gar wohl aus jeiner blojjen Structur nach den 
Gejegen der Bewegung entjtehen könnten; und endlich lehret er, daß die 
Ordnung und Verknüpfung der Begriffe mit der Ordnung und Ver— 
früpfung der Dinge einerley jey, oder, welches auf eines herauskömmt, 





ı (26. Stüd, Sonnabend, den 1 Merz 1755.] 


10 


15 


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14 Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 





daß alles in der Seele eben jo auf einander folge, als e3 in dem Zu— 
jammenhange der Dinge auf einander folgt. Was fehlt dieſen Sätzen, 
die vorherbejtimmte Harmonie zu jeyn, mehr als der Name? Das 
zweyte Geſpräch macht Anfangs einige Anmerkungen über den jeigen 
5 Verfall der Metaphyfil, über dag Berdienjt der Deutjchen um diefelbe, 
und über das Schickſal des Spinoja, welcher bejtimmt war, den Ueber- 
gang von der Carteſianiſchen bis zur Leibnizifchen Weltweisheit, mit 
feinem Schaden zu erleichtern. Hierauf wird ein jehr füihner, aber wie 
e3 und jcheint, auch jehr glüdlicher Gedanke vorgetragen, welcher den 
10 Gefichtspunft betrift, aus welchem man Spinofens Lehrgebäude be- 
trachten muß, wenn es mit der Bernunft und Religion bejtehen’ jolle. 
Der Berfafjer meint nehmlih, man müſſe es alddann nicht auf die aufjer 
uns fichtbare, jondern auf diejenige Welt anwenden, welche, mit Leib— 
nizen zu reden, vor dem Rathſchluſſe Gottes, als ein möglicher Zus 
15 ſammenhang verjchiedner Dinge in dem göttlichen Verſtande eriftirt hat. 
Das dritte Geſpräch enthält Zweifel wider die Leibniziſche Auflöjung 
der Schwierigkeit, warum Gott die Welt nicht eher erjchaffen habe, und 
wider die Zehre von der beiten Welt. Wir wollen es dem Lejer überlajjen, 
fie in der Schrift ſelbſt nachzufehen, und hier nur anmerfen, daß fie aus 
20 der Leibniziſchen Weltweisheit jelbjt genommen find, dergleichen wider 
diejelbe nur jehr jelten gemacht werden. Das vierte Geſpräch endlich 
gehet größten Theil wider den Herrn von Bremontval; es unter- 
jucht einen Gedanken, durch welchen dieſer Weltweije von ſich jelbjt auf 
den Sat des nicht zu Unterfcheidenden gefommen zu jeyn verjichert; es 
25 rettet die Leibnizianer wegen des ihnen von eben demjelben aufgedrungenen 
Ohngefehrs, nach welchem ihr Gott zu wirken genöthiget jeyn joll; und 
bejtärft den Unterfcheid zwischen nothwendigen und zufälligen Wahrheiten, 
welchen gleichfall3 der Herr von Bremontval, in dem Anhange zu 
jeinen Gedanken über die Freyheit, gänzlich aufheben wollen. — — 
30 Mehr wollen wir von einigen Bogen nicht jagen, welche Liebhaber der 
höhern Weltweisheit fchwerlich werden ungeleſen lajjen. SKojtet in den 
Voßiſchen Buchläden hier und in Potsdam 5 Gr. | 


Fables et Contes.* a Paris chez Duchesne 1754. in 12mo. 10 Bo— 
gen. Aus der Aufjchrift diefes Werks wird man es jchwerlich ſchlieſſen 


1 [28, Stüd. Donnerftag, den 6 Merz 1755.] 





F 


Aus: Berliniſche privilegirke Zeilung. 1755. 15 





können, wie viel Antheil die Ehre des deutſchen Witzes daran nimt. 
Wir müſſen alſo nur gleich ſagen, daß ſein Verfaſſer, welcher ſich zwar 
nicht genennet hat, von dem wir aber wiſſen, daß es der Herr Rivery, 
Mitglied der Akademie zu Amiens, iſt, den größten Theil ſeiner Fabeln 
und Erzehlungen einem unſerer Dichter ſchuldig ſey, dem noch niemand 
den Ruhm eines deutſchen la Fontaine abgeſprochen hat. Der Hr. Pro— 
feffor Gellert hat ſchon mehr als einmal den Verdruß gehabt, fich in 
unglüclichen Ueberjegungen verftellet zu jehen; und es muß ihm daher 
nothiwendig angenehm ſeyn, endlich in die Hände eines Gelehrten zu 
fallen, der alle Geſchicklichkeit befißt, ihm ungleich mehr Gerechtigkeit 
wiederfahren zu lafjen. Wir wollen damit nicht jagen, daß wir in den 
freyen Ueberjegungen des Herrn Rivery alle Schönheiten des Driginals 
wiedergefunden hätten; wir müßten von der Unmöglichkeit folcher Ueber- 
jeßungen gar nicht3 wiffen wenn es ung auch nur eingefommen wäre, 
fie darinne zu ſuchen. Wir haben uns begnügt, deren jo viele zu finden, 
als nöthig find, es den Herren Franzoſen wahrjcheinlich zu machen, daß 
von Rechts wegen noch weit mehrere darinne ſeyn müßten, wenn fie 
die Begierde für überflüffig halten follten, einen Gellert in feiner 
Sprache leſen zu fünnen. Doc nicht um diefen ſchönen Geijt allein, 
jondern um die ganze deutjche Nation hat fih Herr Rivery verdient 
gemacht. Er hat nehmlich eine Einleitung voran geſchickt, in welcher er 
von unjerer Litteratur überhaupt Nachricht ertheilt. Das, was er da- 
von jagt, zeigt von eben jo vieler Einficht als Billigkeit; und wenn es 
ihm gelingen jollte, die Beyftimmung feiner Landsleute zu erhalten, fo 


‚werden e3 die Deutjchen wieder vergejjen künnen, daß ein Bouhours : 


einmal eine abgejchmadte Frage gethan hat. Seine Nachricht ift zwar 
die volljtändigite gar nicht; allein wir müfjen auch geftehen, daß mir 
dieje Unvolljtändigfeit faft eben fo gern, al8 ungern bemerkt haben. Sie 
wird allenfalls zu einer jehr nüßlichen Ergänzung Gelegenheit geben, 
wenn man etwa in der Borjtellung des Herrn Rivery die deutjchen 
Mufen für fo gar wichtig doch noch nicht anſehen follte, die Aufmerf- 
jamfeit der Ausländer zu verlangen. Er fennet von unfern Neuern, 
aufjer dem Herrn Gellert, faſt niemanden als einen Günther, 
einen Hagedorn, einen Haller, und einen Rabner. Es werden 


10 


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20 


30 


leicht die vornehmiten jeyn; das ift wahr. Allein die einzigen, die den 35 


Ichönen Wiſſenſchaften bey ung Ehre machen, find es ohne Zweifel nicht. 


16 Aus: Berliniſche privilegirte Beifung. 1755. 





Wir haben noh Schlegel, Kramers, Gleime, Klopitode, 
Kleifte, Uße, Zahariäs, Käftners, Bodmers und Wie— 
lande, welche alle auch aufjer ihrem Vaterlande den erhaltnen Ruhm 
behaupten fünnen. 


5 Wohlmeinender Unterridt! für ‘alle diejenigen, 
welche Zeitungen lejen, worinnen jo wohl von dem nüß- 
fihen Gebraucde der gelehrten und politifhen Zeitungen, 
al3 auch von ihrem Borzuge, deneinige vor andern haben, 
befheidentlih gehandelt wird; nebjteinem Anhange eini- 

10 ger fremden Wörter, die in den Zeitungen häufig vor— 
fommen. Leipzig bey Chr. Fr. Geßner 1755. In 8vo. 22 Bo- 
gen. Wenn diejes Buch, welches eigentlich zu nichts, al3 zum Nutzen der 
Beitungslefer und zur Aufnahme der Zeitung ſelbſt bejtimt ift, nicht 
verdienet, in den Zeitungen befannt gemacht und angepriejen zu werden, 

15 jo verdient es gewiß fein Buch in der Welt. Unjern Blättern fol man 
wenigitens den Vorwurf nicht machen, daß fie die Dankbarkeit jo weit 
aus den Augen gejebt und ein jträfliches Stillfchweigen davon beobachtet 
hätten. Sie ſollen vielmehr ihren Lejern melden, daß dieſer wohl— 
meinender Unterricht halb ein neues und halb ein neuaufgewärmtes 

20 Buch ist, welches aus drey Hauptabtheilungen beiteht. Die erjte handelt 
von den Zeitungen überhaupt, und unterſucht in 9 Kapiteln mit einer 
ziemlich philofophifchen Gründlichkeit, wa man unter einer Zeitung ver— 
itehe, woher die Beitungen ihren Urjprung haben, was für Saden in 
den Beitungen vorkommen, welcher vorzügliche Werth ihnen beyzulegen, 

25 wie die Berfaffer der Zeitung, beſonders der politischen, bejchaffen jeyn 
follen, was fie für eine Schreibart und für einen Endzwed haben müſſen, 
und endlich auch was fie für Xefer verlangen. Die zweyte Abtheilung 
handelt von dem Nutzen der Zeitungen, von ihrem Nuben überhaupt, 
von ihrem Nuten an Höfen, von ihrem Nuten auf Univerfitäten, von 

30 ihrem Nuten in der Staat3funde, von ihrem Nutzen im geiltlichen Stande, 
von ihrem Nugen im Kriege, von ihrem Nuten bey der Kaufmannichaft, 
von ihrem Nuten im Hausftande, von ihrem Nuten auf Reifen, von 
ihrem Nuten in Gejellichaften, von ihrem Nuten in Unglüdsfällen. 
Kurz es ist jonnenflar, daß die Zeitungen das nüßlichjte Injtitutum find, 


1 [29. Stüd. Sonnabend, den 8 Merz 1755.] 


7 u 
— 


Aus: Berliniſche privilegirte Beifung. 1755. 17 





zu welchem die Erfindung der Buchdruderey jemals Anlaß gegeben hat. 
Das Publicum kann Jeicht einfehen, daß man diefes ohne Abficht auf 
irgend einen Nußen jagt, denn von dem Nuten, den ihre Verleger dar: 
aus ziehen, jteht fein Wort in dem ganzen Werkchen. Die dritte Ab- 
theilung endlich handelt von der Art, wie man den Nuten, welchen die 
Beitungen bringen, durch eine vernünftige Lefung derjelben erhalten foll; 
aber mit diejer, wie wir frey geftehen müfjen, find wir gar nicht zu 
frieden. Der Berfafjer will die Welt bereden, daß Zeitungsleſer gewiffe 
Naturgaben, gewifje Kenntnifje in der Genealogie, in der Wappenkunit, 
in der Weltbejchreibung, in der Gefchichte, und wer weis noch worinne 
haben müßten. Allein mit jeiner Erlaubniß, das ift grundfalih. Wer ein 
wenig Neugierde bejigt und das wenige Geld daran wenden will und kann, 
it ein vollfommmer Zeitungslefer; welches hiermit zur Nachricht dienet! 
Am Ende hat der Verfaſſer eine Nachricht von den in Deutjchland be- 
fanntejten Zeitungen beygefügt; allein an diefer Nachricht ift auch vieles 
auszujegen. Bejonders tadeln wir diejes daran, daß er unfere Zeitung 
nicht gleich obenan gejegt hat. Wir hätten ihn noch ganz anders [oben 
wollen! Koſtet in den Voßiſchen Buchläden hier und in Potsdam 8 Gr. 


Gedanfen!vondem vorzüglihen Werth der Epifden 
Gedichte des Herrn Bodmers von J. ©. ©. Berlin 1754. 
In 8vo. 2 Bogen. Diejer Eleine Aufſatz betrachtet die Gedichte des 
Herrn Bodmers von einer Seite, von welcher jehr jelten. Gedichte be- 
trachtet werden, und eben jo jelten betrachtet werden fünnen, weil ihre 
Berfafjer feine gröffere Abficht damit gehabt haben, als ihre Kunft zu 
zeigen. Dieje Seite ift diejenige, welche der rechtichafne Mann weit eher 
al3 der Kunftrichter wahrnimt, und die dem Kunftrichter nur alsdenn 
nicht unbemerkt entwijcht, wenn er, wie der Verfaſſer diefer Gedanken, 
gegen das moralijc Schöne eben jo fühlbar ist, al3 gegen das poetijche. 
Die Kunjt des Dichters alfo bey Seite gejeßt, welches hier um fo viel 


leichter hat gejchehen fünnen, je entjchiedner der Werth derjelben ben : 


Kennern bereits ift; wird gezeigt, daß die Bodmerjchen Epopeen, nad) 
ihrer Anlage, nach ihrem Inhalte und ihrer Abficht, einen ſehr groffen 
Vorzug vor den unfterblichiten Werfen des Alterthums verdienen. Ihre 
Abficht erjtrect fich viel weiter, als auf die Beſſerung der bürgerlichen 


' 136. Stüd. Dienftag, den 25 Merz 1755.) 
Leifing, ſämtliche Schriften. VIL. 2 





10 


r 


20 


25 


5 


10 


15 


20 


19) 
— 


30 


18 Rus: Berliniſche privilegirke Zeikung. 1755. 





Tugenden, welches das höchſte iſt, was man einem Homer und Virgil 
beymeſſen kann. Sie gehen auf die innere Beſſerung des Menſchen, von 
welcher ſein Schickſal jenſeit des Lebens abhängt; und die Hauptlehre, 
auf welche der Dichter ſich alles beziehen läßt, iſt dieſe, daß die Gottes— 
furcht, oder die in dem Herzen würkende Religion unſer höchſtes Gut 
ſey, und daß der Mangel derſelben, und die daher entſtehenden Laſter 
uns nothwendig unglücklich machen. Dieſem Augenmerke gemäß wird 
kaum ein merkwürdiger Umſtand des menſchlichen Lebens, von dem Ein— 
tritte in daſſelbe, bis auf den Abſchied daraus, zu finden ſeyn, davon 
man nicht an den Helden dieſer Gedichte, die wahre Gemüthsverfaſſung 
und das allein gute und würdige Betragen, auf die einnehmendſte Art, 
vorgeſtellet ſieht; keine Tugend, die nicht! in ihrer vollkommnen Liebens— 
würdigkeit, und kein Laſter, das nicht in ſeiner wahren Häßlichkeit und 
unglücklichen Folgen geſchildert wird. Wie dieſes alles die Bodmerſchen 
Gedichte für eine jede Art von Leſern zu den nützlichſten Schriften machen 
muß, ſo findet der Herr S. auch noch eine andere Eigenſchaft an ihnen, 
die ſie vornehmlich bequem macht, der Jugend eine hiſtoriſche Kenntniß 
faſt von allem, was der Umfang der Wiſſenſchaften merkwürdiges in 
ſich faßt, auf die beſte Weiſe gelegentlich beyzubringen. Denn Herr 
Bodmer ſcheint auch darinne ein neuer Homer zu ſeyn, daß die ganze 
Willenichaft feines Weltalter3 entweder darinne liegt, oder doch nicht 
undeutlich daraus gejchlojen werden fann. ꝛc. Kojtet in den Voſſiſchen 
Buchladen hier und in Potsdam 2 Gr. | 


Geschichte? des Herrn Carl Grandifon, in Briefen 


5entworfen von dem Berfaffer der Bamela und Clariffa. 


Aus dem Englijhen überjesßt. V. Band. Leipzig in der 
Weidemanniſchen Handlung 1755. In Svo. Diejer Band des, 
ohne Zweifel lehrreichſten Werks in feiner Art, ijt ungemein rührend. 
Die Gejchichte deſſelben betrift die Wiederherjtellung der Gräfin Cle⸗ 
mentina, die man in den vorigen Bänden hat kennen lernen. Wenn es 
auch wahr wäre, daß ihr Charakter überhaupt ein wenig unnatürlich ſeyn 
ſollte, ſo iſt er doch in ſeinen Theilen mit jo viel Kunſt und Wahrheit 
geſchildert, daß er unter diejenigen Phantaſiebilder gehöret, die man den 





1 die man nicht [1755] 
2 [37. Stüd. Donnerftag, den 27 Merz 1755.] 


Pal BEE ah nn nun Mn Can a a an I 


Aus: Berlinifche privilegirke Zeitung. 1755. 19 





fteifen und trodnen Nachſchilderungen der Natur mit allem Rechte vor: 
zieht. Der Handel mit diejer liebenswürdigen Enthuſiaſtin ſchließt ſich 
dem Wunjche der Lejer für ein anders Frauenzimmer, welches gleich 
Anfangs eine jo vorzügliche Rolle fpielte, daß die Rolle der Clementine 
nicht als nur eine zweyte jeyn konnte, vollfommen gemäß. So begierig 
als man auf diefen Band geweſen ijt, eben jo begierig und noch be= 
gieriger wird man auf die beyden rüdjtändigen werden. Kojtet in den 
Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 12 Gr. 


Lieder,! Erzählungen, Sinngedichte und ernithafte 
Stüde. Leipzig in Lankiſchens Handlung 1755. In Svo. 
6 Bogen. Diefe Sammlung bejtehet aus 45 Kleinen Boefien, von welchen 
nur die drey letztern etwas ernithaftern Inhalts find. Die meisten der- 
jelben find jehr artig, nur daß die Verfification oft härter ift, als fie in 
jolhen Spielen des Witzes feyn follte. Zur Probe kann folgendes dienen. 

An den Tod. 
Tod, was willit du mit mir machen? 
Küſſen kann ich wohl und Lachen, 
Mädchens Lieben, und beym Wein 
Auch ein fräftig Trinklied ſchreyn. 
Tändelnd um die Schönen fpringen, 
Spröder Mädchen Kuß erzwingen, 
Lachen, wenn fie e8 gethan, 
Das ijt alles was ich kann. 
Aber ſich jo hinzulegen 
Ohne Arm und Bein zu regen, 
Stumm und beyde Augen zur: 
Tod! das kann ich nicht wie du. 
Leichenweibern ftille halten, 
Niemals athmen, jtet3 erfalten, 
Bleicher jehn als dein Geficht, 
Glaub mirs Tod! das kann ich nicht. 
Das Spielglüd. 
Man jagt, wer glücklich fpielt, der full unglücklich freyn. 
Allein ich wollte doch in beyden glüclich ſeyn; 


* (38. Stüd, Sonnabend, den 29 Merz 1755.] 





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20 Aus: Berlinifche privilegirte Bereifung. 1755. 








Denn wenn mir jtet3 im Spiel jo gut die Karten fielen, 
Mer wehrte mir es denn, um eine Frau zu jpielen? 
Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 4 Gr. 


De secta Elpisticorum! variorum opuscula, junctim cum suis edidit, 

5 praefatione atque indicibus instruwit necessarüs Joannes Christianus Leusch- 
nerus A. M. Scholae Hirschbergensis Prorector. Lipsiae ex officina Langen- 
heimiana 1755. In 4to. 9 Bogen. Die Elpiftifer follen eine philo- 
ſophiſche Secte geweſen jeyn, von welcher man durchaus nichts wiſſen 
würde, wenn uns das einzige Zeugniß des Plutarchs fehlte. Und 
10 auch diefes ift von der Art, daß e3 wenig wahres lehren, aber deſto 
mehr Gelegenheit zum Streiten geben fanı. Der Herr D. Heumann 
war der erite, welcher in jeinen Actis Philosophorum jeine Gedanfen 
etwas umftändlicher darüber entdedte, und aus den Elpiftifern die 
Chrijten machte. Der Herr Paſtor Bruder wehlte eine andre Meinung, 

15 und machte Stoifer daraus, welches der Herr D Jöcher hernach bis 
auf die Cyniker ausdehnte, und die Stoifer nur in jo weit Elpiftifer 
genennt willen wollte, als man ſie für Nachfolger der Cynifer halten 
fünne. Die Auffäge diefer drey Gelehrten nun, hat der Herr Prorector 
Leuſchner zu jammeln für gut gefunden, und eine eigne Abhandlung 
20 gleiches Inhalts beygefügt, worinn er fich für die Heumannifche Meinung 
erffärt. Er giebt ſich beſonders Mühe, die Einwürfe welhe Bruder 
und Jöcher darwider gemacht haben, zu heben; allein wir glauben 
nicht, daß er es überall mit gleichem Glüde gethan hat. Auf die 
Schwierigkeit unter andern, daß die chriftliche Religion von der Be— 
25 ichaffenheit gar nicht gewefen, daß fie vom Plutarch für eine philo- 
ſophiſche Secte hätte fünnen gehalten werden, antwortet er jehr obenhin; 
und gleichwohl kann fie durch einen Umstand auf einen noch weit höhern 
Grad getrieben werden, der hier vielleicht nicht aus der Acht hätte follen 
gelafjen werden. Man weis nehmlich, was der jüngre Blinius, welder 

30 ein Beitgenofje des Plutarchs war, nad) verjchiedenen pflichtmäßigen 
Unterfuchungen, von den Chriſten urtheilte. Er macht fie zu einfältigen 
und abergläubijchen Leuten. Fit es alfo wahrjcheinlich, daß Plutarch, 
welcher wie gejagt zu eben den Zeiten lebte, da fcharffichtige Männer 
nicht3 als Einfalt und Aberglaube an den Ehriften finden fonnten, daß, 


ı [41. Stüd. Sonnabend, den 5 April 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirfe Beitung. 1755, 21 








ſage ich, Plutarch, welcher offenbar die Gelegenheit nicht gehabt hatte, 
ſie näher als Plinius kennen zu lernen, ſie für Philoſophen ſollte ge— 
halten haben? Und er hätte ſie, ohne Zweifel, ſehr nahe kennen müſſen, 
wenn er hätte wiſſen wollen, daß ſich alle ihre Lehrſätze auf Glaube 
und Hofnung gründeten. Der Gedanke überhaupt, die Elpiſtiker 
deswegen zu Chriſten zu machen, weil die Chriſten nach dem Wort— 
verſtande Elpiſtiker ſeyn müſſen, ſieht mehr einer homiletiſchen Nutz— 
anwendung ähnlich, als einer eritiſchen Wahrſcheinlichkeit. Wenn wir, 
zum Exempel, nur aus einer einzigen Stelle wüßten, daß es Zetetiker 
in der Welt gegeben habe, ſo wollte ich es nach der Heumanniſch— 
Leuſchneriſchen Art ſehr wahrſcheinlich machen, daß dieſe Zetetiker 
Chriſten geweſen wären, weil den Chriſten das Forſchen anbefohlen 
wird. Es klingt daher in einer Predigt ganz gut, wenn man ſagt, die 
wahren Chriſten müſſen Zetetiker, oder müſſen Elpiſtiker ſeyn; 
aber dieſes umdrehen und ſagen die Elpiſtiker waren Chriſten, mag 
im Grunde wohl eben ſo gut geſagt ſeyn, als wenn man die Zetetiker 
zu Chriſten machte, nur daß dieſes, wegen der Menge von Zeugniſſen, 
ſogleich kann wiederlegt werden, und jenes nicht. So wenig wir aber 
für die Heumanniſche Meinung ſind, eben ſo wenig ſind wir auch für 
die Bruckerſche oder Jöcherſche; denn dieſe beyde Männer haben 
offenbar nicht unterſucht, was für eine Secte die Secte der Elpiſtiker 
geweſen, ſondern nur welche von den alten Secten man die Elpiſtiſche 
nennen könnte. Sie haben alſo beyde vorausgeſetzt, daß die Elpiſtiker 
keine beſondre Secte geweſen, und daß dieſes Wort blos ein Beyname 
einer andern Secte ſey: und dieſes hätten ſie ganz gewiß nicht voraus— 
ſetzen ſollen. Denn wenn Plutarch die Stoiker oder Cyniker da— 
mit gemeint hätte, warum hätte er denn ſo bekannten Philoſophen einen 
ſo unbekannten Namen gegeben? — — Wer waren denn nun aber die 
Elpiſtiker? — — Wir könnten vielleicht auch eine Muthmaſſung vor— 
tragen; aber wir wollen lieber gleich ſagen: wir wiſſen es nicht. So 
viel wiſſen wir, daß es Heumann, Brucker, Jöcher und Leuſch— 
ner auch nicht gewußt haben. — — Sonſt hat der letztere obiger 
Sammlung auch noch eine andre Unterſuchung beygefügt, die aber gar 
keine Verwandtſchaft mit den Elpiſtikern hat. Sie betrift das Zeugniß 
des Procopius von den Tingitaniſchen Seulen, und rettet be— 
ſonders das darinne vorkommende Navn wider die Veränderung des 


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22 Aus: Berlinifche privilegirte Bereifung. 1755. 


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Hn. le Clerc. — — Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in 
Potsdam 4 Gr. 


Leben des Örotiuß,! nebſt der Hiftorie jeiner Schrif— 
ten und der Staatsgeſchäfte, welche er geführt hat; durd 
Herrn von Burigny befhrieben, mit Anmerfungen. Aus 
dem Franzöſiſchen überjegt. Leipzig in Lankiſchens Hand— 


lung 1755. In 8vo. 1Alphb. 12 Bogen. Das Werk des Herrn 


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[9] 


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von Burigndn fann denjenigen ganz nüßlich jeyn, welche gern einen fo 
grofien Mann, als Grotius war, näher fennen möchten, und weder 
die eignen Schriften defjelben, noch andre Quellen zu Rathe ziehen 
fünnen. Eine deutjche Ueberjfegung würde daher nicht ganz vergebens 
gewejen jeyn, wenn fie nur in befjere Hände gefallen wäre; denn fo, 
wie wir fie jet lefen, findet man faſt auf allen Geiten die gröbiten 
Spuren, daß ihr Urheber weder Franzöſiſch noch Lateinisch, weder eines 
noch feines, muß verjtanden haben. Wer wird es zum Erempel errathen 
fünnen, was der Hof der Gerechtigkeit ift, wenn er nicht mehr 
Franzöſiſch veriteht, als der Ueberjeger? Und wenn diejer von dem 
Grotiu3 jagt: er befhäftigte ſich dazumal am meijten mit- 


dem Barreau; jo follte man fait wetten, daß das gute Barreau 


hier für einen Schriftiteller angejehen worden. Ein alter griechiicher 
Dieter der aus Soli gebürtig war, wird auf der 30 Seite zu einem 
franzöfifchen Edelmanne gemacht, der Aratus de Sole heißt. Auf 
eben diejer Seite werden Fragmenta Prognosticorum überjegt durch Frag— 
mente der Weifjager; und man hätte doch wohl willen jollen, daß 
Prognostes und Prognosticon nicht einerley wären, wenn man es auch 
nicht gewußt hätte, was diefe Fragmente enthielten. Auffer unzählig folchen 
unverantwortlichen Fehlern, hat der Ueberjeger auch ſonſt Nachläffigkeiten 
gezeigt, die jeine Arbeit faft ganz und gar unbrauchbar machen. Unter an- 
dern hat er die Rückweiſungen in dem Buche fait immer franzöfiich gelafjen, 
und nicht einmal die Seiten nach feiner Meberjegung verändert. Wenn man 
alfo mwifjen will was voyes plus haut pag. 25. not. (a) heißt, jo muß 
man nicht allein Franzöſiſch können, fondern man muß auch das franzöjiiche 
Driginal befigen; das ift, man muß die Ueberjegung völlig entbehren 
fönnen. Koftet in den Voffischen Buchläden hier und in Potsdam 12 Gr. 


1 [44. Stüd. Sonnabend, den 12 April 1755.] 








Aus: Berlinifche privilegirte Bereifung. 1755. 93 





Die! Gefhihte und Briefe des Abelards und der 
Eloife, in welden ihr Unglüd und die verdrießliden 
Folgen ihrer Liebe befhrieben find, nebſt einem Gedichte 
Eloijfe an Abelard von Alerander Pope. Aus dem Eng— 
liſchen überjegt. Berlin und Potsdam bey Chr. Fried. 
Voß 1755. In 800. 17 Bogen. Abälard war einer von den be= 
rühmteften Scholaftiichen Lehrern des zwölften Jahrhunderts. ES Fehlt 
aber nicht viel, daß er nicht jeßt weit befannter wegen jeiner Liebs— 
händel, al3 wegen feiner Gelehrſamkeit jeyn ſollte — — Sp ungewiß 
it es, wodurch man feinen Namen am jicherjten verewigen fann! Ob 
fichrer durch Berdienjte, oder durch Ausschweifungen? — Die Heldin 
des Abälards hieß Helvife und war ein junges Frauenzimmer, das 
man jeiner privat Unterweifung anvertrauet hatte, dem er aber nichts 
geichwinder und gründlicher lernte al3 die Liebe. Die Berjtümmlung, 
welche dieſe unverlangte Anführung dem guten Abälard endlich koſtete, 
war bey ihr nicht Fräftig genug, alle die wollüftigen Ideen in ihrer 
Seele zu verlöfchen, die fie mit dem Andenken ihres Lehrmeijters auch 
noch da verband, als fie, ihrem Stande gemäß, an nichts als den Himmel 
hätte denfen jollen. Aus dem Klofter noch ſchrieb fie an ihren unbrauch— 
baren Geliebten Briefe, worinne man eine jo erjtaunliche VBermifchung 
von Gottjeligfeit und Luftbegierde, von heiliger und profaner Zärtlich- 
feit antrift, daß man jchwerlich ein lebhafter Gemählde der menſch— 
fihen Natur in ihren Widerfprüchen irgendwo antreffen wird. Dieje 
Briefe nebjt den Antworten des Abälard befinden ſich in den Werken 
des legtern, und find Anfangs von einer franzöfiichen Feder und her— 
nad von einem Engländer fo umschrieben worden, daß fie nirgends 
wider die Anftändigfeit unfrer Zeiten verftoffen. Nach der letztern Um— 
ihreibung ift gegenwärtige Ueberſetzung von einem Manne veranftaltet 
worden, auf deſſen Gejchiefichfeit und Fleiß man fich auch in wichtigern 
Proben zu verlaffen gelernt hat. Die vorgefegte Gefchichte dient ſtatt 
einer Einleitung, und ijt größten Theils aus den dahin gehörigen Ar- 
tifefn des Bayliſchen Wörterbuch® gezogen. Das beygefügte Gedichte 
vom Alerander Bope it allezeit für ein Meiſterſtück in feiner Art 
erfannt worden, und erjcheinet hier in einer andern Ueberfegung, als 


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in der, in welcher es bereit3 vor einigen Jahren in einer Monatsjchrift 35 





ı [45, Stüd. Dienftag, den 15 April 1755.] 


24 Aus: Berlinifche privilegiete Bereifung. 1755. 





erfchien. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 6 Gr. 


Berfuh in Gedichten.! Leipzig bey Johann Wendler 
1755. In 8vo. 4 Bogen. Wenn diefe Gedichte Verfuche find, fo 
find es doch gewiß nicht die erjten Berjuche eines Berfafjers, mit welchen 
5 nur derjenige das Publicum zu bejchenfen das Herz hat, welcher an den 
Eritlingen feiner Mufe alle jeine Kräfte verſchwendet zu haben, fühlet. 
Sie beftehen größten Theils aus Oden und Liedern, voller Empfindungen 
der Freundichaft und Liebe. Der Ausdruck des Dichter ijt edel, und 
jeine Bilder find angenehm. Zur Probe, wie anjtändig und fein er auch 
10 in jeinen ſatyriſchen Scherzen ſey, wollen wir die eriten Strophen eines 
Liedes herjegen, welches wir ung an einem andern Orte bereits gelefen 
zu haben erinnern. Es heißt gute Werfe: 
Trax wird gewarnt, nicht zu verjchiwenden, 
Doch er verthut mit vollen Händen, 
15 Bis er jih arm verthut. 
Was hätt ich, fragt er, jparen follen? 
Ich habe nicht mehr jorgen wollen! 
Das macht er gut! 
Amynt Spricht, eh es Mädchen wagen, 
20 Und ihrem Zwang und Stolz entjagen, 
Bergeht mir Zeit und Muth. 
Nein, junge Wittwen find mir lieber, 
Bey denen ijt das jchon vorüber. 
Das macht er gut. 
25 Daß unfre Dichter denfen lernen 
Und weit vom Bathos fich entfernen, 
Bringt Stentorn fait in Wuth. 
Die Nachwelt, ſchreyt er, wird einft leſen, 
Daß ich daran nicht ſchuld geweſen! 
30 Das macht er gut. 
Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 3 ©r. 


Gotth. Ephr. Leßings? Theatraliſche Bibliothek. 
Zweytes Stück. Berlin bey Chr. Fried. Voß 1755. In spe. 


1 [49, Stüd. Dienftag, den 24 April 1755.] 
? (50. Stüd. Sonnabend, den 26 April 1755.] 





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Rus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 25 


18 Bogen. Die Einrichtung dieſes Werks haben wir bey dem erſten 
Stücke bereits angezeigt. Zu Folge derſelben fährt der Verfaſſer fort, 
Abhandlungen zu liefern, welche Theils in die Geſchichte des Theaters, 
Theils in die Critik der theatraliſchen Dichtkunſt und der vornehmſten 
dramatiſchen Werke alter und neuer Zeit einſchlagen. Der erſte Auf— 
ſatz in dieſem zweyten Stücke handelt von den lateiniſchen Trauerſpielen, 
die man unter dem Namen des Seneca kennet, aus welchen vors erſte 
der raſende Herkules und Thyeſt weitläuftig bekannt gemacht werden. 
Nach einem kurzen Inhalte des erſtern, lieſet man einen Auszug, in 
welchen eine Ueberſetzung der ſchönſten Stellen eingeflochten wird. Hier— 
auf folgt eine Beurtheilung deſſelben und eine Vergleichung mit dem 
raſenden Herkules des Euripides; ferner werden einige unbillige Ur— 
theile des Pater Brumoy von dieſem Stücke widerlegt, und die neuern 
Tragödienſchreiber angeführt, welche eben denſelben Stof bearbeitet haben. 
Endlich wird ein Vorſchlag für einen heutigen Dichter hinzugefügt, und 
gezeigt, wie man ein Stück nach dem neuern Geſchmacke daraus machen 
könne, was man dabey von dem Euripides und was man von dem 
Römer beybehalten müſſe. Bey dieſer Gelegenheit wird die Moral dieſes 
Trauerſpiels unterſucht, ſo wohl die, welche nach den beyden alten Muſtern 
darinn liegt, als auch die, welche in die vorgeſchlagene Nachahmung ge— 
bracht werden kann, und ohne Zweifel eine von den erhabenſten ſeyn 
würde, die ſich jemals ein Dichter auf der Bühne zu lehren unterſtanden 
hat. Beyläufig wird auch noch ein Verſuch über ein Stück des latei— 
niſchen Dichters gewagt, in welchem die Namen der redenden Perſonen 
in Unordnung gerathen ſind. Faſt auf gleiche Weiſe verfährt der Ver— 
faſſer mit dem Thyeſt. Nach einem ähnlichen Auszuge, und einer ähn— 
lichen Beurtheilung, wird von andern alten Trauerſpielen dieſes Inhalts 
gehandelt, und aus innern Gleichheiten wahrſcheinlich erwieſen, daß der 
rajende Herkules und Thyeit einen Berfaffer haben müſſen. Die neuern 
Tragödien von der jchredlichiten Rache, die jemals unter Brüdern ver- 
übet worden, werden dabey nicht vergefjen, und bejonders wird der Atreus 
umd Thyeſt des ältern Herren Erebillon näher betrachtet, und gezeigt 
wie unendlich weit er unter dem Schredlichen feines lateinischen Muſters 
geblieben ſey. Auch die übrigen Lateinischen Trauerjpiele will der Ver— 


faffer in den folgenden Stüden auf gleiche Art durchgehen, und eine > 


ähnliche Methode auch bey den Muftern der Griechen beobachten. Der 


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26 Rus: Berliniſche privilegirte Beilung. 1755. 








zweyte Aufſatz enthält die Geſchichte des italiänischen Theaters von dem 
Herrn Ludewig Riecoboni, welder eine Nachricht von ihrem Ber- 
faffer vorgejegt worden. Der dritte liefert einen beurtheilenden Auszug 
aus den zwey erjten regelmäßigen Tragödien der Staliäner, der So— 

5 phonisbe des Triſſino und der Rojfemonde des Ruccelai. Der vierte 
endlich giebt einen gleichen Auszug aus der Calandra des Bibiena, 
der eriten italiänischen Komödie, welche nach den Regeln der Kunſt ab- 

- gefaffet worden. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Pots— 
dam 8 Gr. . 


10 G. Ephr. Leßings Schriften,! fünfter und fedfter 
Theil. Berlin bey Chr. Fr. Boß 1755. In 12mo. 1Alphb. 
2 Bogen. Der Berfaffer hat diefe Theile ohne Vorrede in die Welt 
geichiet. ES wird daher fein Wunder jeyn, wenn wir in der Geſchwin— 
digkeit nicht viel mehr davon werden jagen fünnen, als er jelbjt hat jagen 
15 wollen. Sie enthalten beyde Schaufpiele; und zwar jeder Theil ein 
grofjes Stüd in fünf Aufzügen, und ein Feines in einem Aufzuge. Das 
grofje Stück im fünften Theile heißt der Freygeiſt. Diejen Charakter 
auf die Bühne zu bringen, kann jo leicht nicht gewejen jeyn, und es 
wird auf das Urtheil der Kenner ankommen, ob die Schwierigkeiten glüd- . 
20 fich genug überwunden worden. Wer nicht zu lachen genug darinn findet, 
mag ji an dem darauf folgenden Nacjpiele der Schab erhohlen. 
Wir wollen nicht entdeden, was e3 für eine Bewandtniß mit dieſem 
Schatze habe, damit gewiſſe Kunftrichter dejto zuverjichtlicher jagen fünnen, 
das Komiſche deſſelben falle nicht felten in das Poſſenhafte. Der jechite 
25 Theil fängt mit einem bürgerlichen Trauerjpiele an, welches Miß 
Sara Sampſon heißt. — Ein bürgerliches Trauerjpiel! Mein Gott! 
Findet man in Gottfcheds ceritiicher Dichtkunft ein Wort von fo einem 
Dinge? Diejer berühmte Lehrer hat nun länger als zwanzig Jahr 
jeinen lieben Deutschland die drey Einheiten vorgeprediget, und dennoch 
20 wagt man e8 auch hier, die Einheit des Orts recht mit Willen zu 
übertreten. Was foll daraus werden? — Das Feine Stüd, welches 
den fechiten Theil befchließt, heißt der Mifogyn. Der Verfaffer hätte 
wohl fünnen jagen der Weiberfeind. Denn it es nicht abgejchmadt 
jeinen Sohn Theophilus zu nennen, wenn man ihn Gottlieb 








ı (55. Stüd. Sonnabend, den 3 May 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirte Beitung. 1755. 27 





nennen kann? Koftet in den Voſſiſchen Buchläden bier und in Pots— 
dam 16 Gr. 


Begebenheiten! des Roderih Random. Aus der drit- 
ten englifhen Ausgabe überſetzt. Zweyter Theil. Ham— 
burg bey Chr. Wilhelm Brandt 1755. 1 Alphb. 6 Bogen. 
Auch diefer Theil ift voller wunderlichen Auftritte aus dem Leben eines 
Herumfchweifers, der ohne Charakter, ohne Sitten und ohne Abfichten 
vorgeftellet wird. Die längfte Rolle die er darinne fpielt, ift die Rolle 
eines Stutzers der in dem Glanze geborgter Kleider nad einer Frau 
ausgeht, und durch fein äufferliches Anfehen eine alte wollüftige Wittwe 
oder eine unbedachtfame Erbin ins Garn zu loden ſucht. An Erfindungs- 
fraft mag e3 dem Verfaſſer nicht gefehlt haben; denn auf einer Seite 
von ihm kömmt oft mehr Gejchichte vor, al3 bey andern feiner Lands— 
fente auf hundert Seiten. Und doch iſt er ihnen deswegen jo wenig vor— 
zuziehen, daß man vielmehr fein Buch unter die faſt unnützen Bücher 
in ihrer Art rechnen muß, welche zwar das Gedächtniß mit mannig- 
faltigen Begebenheiten überhäuffen und müßige Lejer auf einige Stunden 
beichäftigen, dem Geiſte aber weder zu nüßlichen Betrachtungen, noch 
dem Herze zu guten Entjchliefjungen Gelegenheit geben. Kojtet in den 
Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 10 Gr. 


Johann Hübner? furze Fragen aus der neuen und 
alten Geographie, bi3 auf gegenwärtige Zeit jorgfältig 
fortgejeßt, auch mit neuen Zuſätzen vermehrt und durd- 
gehends nah dem neueſten Zujtand der politijhen Welt 
verbeffert, nebit einer nüßlihen Einleitung vor die Ans 
fänger und VBorrede von den beiten Landcharten. Regen— 
jpurg und Wien, im Berlag E. F. Baders 1755. 2 Alphb. 
11 Bogen. Diejes unzählichmal aufgelegte geographiihe Schulbuch 
erfcheint nunmehr in einer andern Geftalt. Man hat nehmlich anjtatt 
des Duodezformat3, welches durch die ziemliche Die unförmlich ward, 
das Octavformat erwehlt; und diefes ift, ohne Zweifel, die am meijten 
in die Augen fallende Veränderung, die man damit vorgenommen bat. 
Wir wollen dadurd aber nicht zu verſtehen geben, als ob die übrigen 





ı [ö4. Stüd. Dienftag, den 6 May 1755.] 
2 (55. Stüd, Donnerftag, den 8 Mat 1755.] 


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28 Aus: Berlinifche privilegirke Beifung. 1755. 





Veränderungen nicht auch merklich genug wären. Sie find es allerdings, 
und beſonders wird man von vielen Orten eine richtigere Lage bejtimmt, 
und von diefem und jenem Lande eine bejjere und anjebt gebräuchliche 
Eintheilung gemacht finden. So ift, zum Erempel, das Reich Ungarn 
auf die Art des Szazfy, welches die neuefte und jebt allein wahre 
Art iſt, abgetheilet worden. Die Bejchreibung von Schweden ift nad 
Tunelds jchwediicher Öeographie vielfältig verbefiert worden; umd bey 


Amerika bat man fich des Brittiihen Reich in Amerifa und der Be— 


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ichreibung der Länder und Völker diejes Welttheil3 mit Nuben bedient. 
Db aber die Drudjehler jorgfältiger, al3 bey den vorhergehenden Aus— 
gaben, vermieden worden, werden diejenigen ſelbſt am beiten jehen 
können, die einen fleijjigen Gebrauch davon zu machen belieben wollen. 
Kostet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 16 Gr. 


Neuere Gefhichte!der EChinejer, Japaner, Indianer, 
Perjianer, Türfen und Ruſſen ze. Als eine Fortjeßung 
von Rollin3 älterer Geſchichte. Aus dem Franzöſiſchen 
überſetzt und mit einigen Anmerfungen verjehen. Erfter 
Theil. Berlin bey Ehr. Friedr. Voß 1755. In Son. 1 Alphb. 
8 Bogen. Wir haben bereit3, bey Gelegenheit der franzöfiichen Ur— 
Ichrift, den Plan diejes Werks angezeigt. Es iſt eben derjelbe, welchen 
ih Rollin in den erftern Theilen feiner ältern Geſchichte gemacht zu 
haben jchien, wo er fih auf eine Fleine Anzahl merfwürdiger Begeben- 
heiten einjchränft, und ohne fich bey bloß hiſtoriſchen Umftänden auf 


‚zubalten, zu wichtigern Unterfuchungen des Wachsthums der Künjte, der 


Merkwürdigkeiten der Natur, der vornehmiten Geſetze und Gebräuche ꝛc. 
fortgehet. Eben fo verfährt der Verfaſſer diefer neuern Gejchichte, bey 
welchem man etwas mehr al3 eine forteilende Sammlung von Belage- 
rungen, Schlachten, Revolutionen und Kriegen juchen muß. Cr jebt 
eritlich alles, was den Urfprung und das Wachsthum jeder Nation be= 
trift, auseinander. Hierauf zeigt er die Epochen, die merkfwürdigiten 
Umftände ihrer erjten Einrichtung, die Ordnung ihrer Doynaftien, und 
macht die berühmteften Fürften derſelben befannt. Er bemerft ferner 
mit ziemlicher Genauigkeit die Lage, die Gröfje, die Grenzen jedes Reichs, 
die vornehmſten Städte derjelben, die größten Merkwürdigkeiten und die 





1 158. Stüd. Donnerftag, den 15 May 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 29 





Dentmale der Kunft, nebjt dem, was die Natur bejonders darinn her- 
vorbringt. Endlich lehrt er das Genie jedes Volks, feine Regierungs- 
form, feinen Gottesdienft, feine Sitten und Gebräuche kennen. Nach 
diefer Einrichtung findet man in diefem erjten Theile die Gejchichte deu 
Chineſer abgehandelt, eines Volks, welches unter allen in neuern Zeiten 
befannt geworden Völkern ohne Zweifel die meiſte Aufmerkjamfeit ver: 
dienet. Die deutfche Ueberjegung hat den Herrn Zachariä in Braun- 
ichweig zum Verfaſſer, welcher jchon in eignen Werfen gezeigt hat, daß 
er weit mehr als Ueberjegen könne." Es wäre überhaupt ein Glüd, 
wenn alle diejenigen das Ueberjegen wollten bleiben laſſen, welche nichts 
al3 Ueberjegen fünnen, und wenn ſich nur jolche Gelehrte von Zeit zu 
zu Zeit damit befchäftigen wollten, denen man den Vorwurf nicht machen 
kann, daß fie nichts befjers anzufangen wühten. Der Anmerkungen, 
welche Herr Zahariä hinzugethan, find zwar wenige; man wird jie 
aber allezeit an dem rechten Orte angebracht finden: eine Geſchicklich— 
feit, welche die wenigſten unſerer Notenjchreiber beſitzen. Koſtet in den 
Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 12 Gr. 


Das Leben de3 Herrn von Haller,? von D. Johann 
Georg Zimmermann, Stadtphyficus in Brugg. Zürich bey 
Heidegger und Compagnie 1755. In Svo. 1 Alphb. 7 Bo- 
gen. Der Herr von Haller gehört unter die glücdlichen Gelehrten, 
welche jchon bey ihrem Leben eines ausgebreitetern Ruhms geniefjen, als 
nur wenige erſt nach ihrem Tode theilhaft werden. Diejes Vorzugs hat er 
ſich unwiderfprechlich durcch überwiegende Berdienfte würdig gemacht, die ihn 
auch noch bey der jpätejten Nachwelt eben jo groß erhalten werden, als 
er jest in unpartheyiſchen Augen ſcheinen muß. Sein Leben bejchreiben 
beißt nicht, einen blofjen Dichter, oder einen bloſſen Bergliedrer, oder 
einen blofjen Kräuterfundigen, fondern einen Mann zum Mufter aufitellen, 

— — — — — whose Mind 

Contains a world, and seems for all things fram'd. 
Man ift daher dem Herrn D. Zimmermann alle Erfenntlichkeit ſchul— 
dig, daß er uns die nähere Nachrichten nicht vorenthalten wollen, die er, 
als ein vertrauter Schüler des Herren von Haller, am zuverläffigiten 





1 können. [1755] 
2 159. Stüd. Sonnabend, den 17 May 1755.] 


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30 Aug: Berlinifche privilegirie Beifung. 1755, 





von ihm haben fonnte. Alle die, welche überzeugt find, daß die Ehre 
de3 deutschen Namens am meiſten auf der Ehre der deutichen Geister 
beruhe, werden ihn mit Vergnügen Iefen, und nur diejenigen werden 
eine höhnifche Mine machen, welchen alle Ehrenbezeigungen unnüß ver- 
5 fehwendet zu ſeyn jcheinen, die ihnen nicht wiederfahren. Ein Auszug 
aus diefer Lebensbefchreibung würde ung Leichter fallen, als er dem Lefer 
vielleicht in der Kürze, welche wir dabey beobachten müßten, angenehm 
ſeyn würde. Der Herr D. Bimmermann ift feiner von den trodnen 
Biographen, die ihr Augenmerk auf nicht? höhers als auf kleine chrono— 
10 logiſche Umstände richten, und uns einen Gelehrten genugjam befannt 
zu machen glauben, wenn jie die Jahre feiner Geburth, feiner Beför— 
derungen, jeiner ehelichen Berbindungen und dergleichen angeben. Er 
folgt jeinem Helden nicht nur duch alle die merfwürdigiten Verände— 
rungen feines Lebens, jondern auch durch alle die Wifjenichaften, in 
15 denen er fich gezeigt, und durch alle die Anftalten, die er zur Auf: 
nahme derjelben an mehr als einem Drte gemacht hat. Dabey erhebt 
er fich zwar über den Ton eines Falten Gejchichtichreibers; allein von 
der Hige eines ſchwärmeriſchen Panegyriſten bleibt er doch noch weit 
genug entfernt, al3 daß man bey feiner Erzehlung freundichaftliche Ver- 
20 blendungen bejorgen dürfte. Kojtet in den Voſſiſchen Buchlävden hier 
und in Potsdam auf Drudpapier 16 Gr. und auf Schreibpapier 1 Nthlr. 


La Oille.‘ Melange ou Assemblage de divers mets pour tous: les 
gouts par un vieuz Cuisinier Gaulois, d Constantinople Van de Vere 
chret. 1755, de V’Hegire 1233 in 12. 14 Bogen. Ein ziemlich lächer— 

25 ficher Titel zu einem ganz ernithaften Buche. Dieje Potage nehmlich, 
oder dieſer Miſchmaſch von verjchiednen Gerichten, die ein alter Gallifcher 
Koch für jedes Geſchmack zugerichtet haben will, bejtehet aus vierhundert 
furzen moralifchen Betrachtungen über verjchiedne Gegenftände. Es ift 
eine Art von Marimenbuche, die aber fein Rochefoucault gejchrieben 

30 hat, jondern ein guter ehrlicher Sprachmeilter, welcher in feine Themata 
doc noch Menſchenverſtand hat bringen wollen. Aus ein Baar Eleinen 
Proben mag man von dem Refte urtheilen, welcher nichts beſſer umd 
nicht Schlechter it. „Der Zorn. Der Born kann bey dir wol auf 
„einige Stunden gleichjam durchziehen, aber eine ganze Nacht muß er ſich 





1 [62, Stüd. Sonnabend, den 24 Way 1755,] 


Aus: Berlinifche privilegiete Reifung. 1755. 31 


— — — — — — — — 





„nicht aufhalten. Ein fortgeſetzter Zorn kehret ſich in Haß, und aus 
„Haß wird Bosheit. Kein Zorn iſt zu entſchuldigen, welcher zwey Sonnen 
„geſehen hat. Sicherheit. So oft dir das Fleiſch ſeine Lüſte vor— 
„ſtellt, ſo denke an die Gefahr, die dabey iſt. Wenn dich die Welt mit 
„eiteln Hoffnungen erfüllt, ſo erfülle dich ſelbſt mit wirklicher und ge— 
„gründeter Furcht! Wo du ſieheſt, daß der Teufel gleichſam Eßig hinzu 
„thut, da thue du Oel hinzu! Das wahre Geheimniß in Sicherheit 
„zu ſeyn, iſt, ſich nie in Sicherheit zu ſeyn dünken.“ Koſtet in den 
Voßiſchen Buchläden bier und in Potsdam 12 Gr. 


Edward Grandijons Geſchichte! in Görlitz. Berlin 
bey Ehr. Fried. Voß 1755. In 8vo. 8 Bogen Wir wollen 
es nur gleich jagen, daß diefe Schrift etwas ganz anders enthält, als 
der Titel zu veriprechen fcheinet. Der Name Grandiſon wird am eine 
Geichichte denken laſſen, in welcher die Kunft ihre größte Stärke an- 
gewandt hat, das menschliche Herz auf allen Seiten zu rühren, um es 
durch diefe Rührungen zu bejjern. Wenn mun der Lejer jo etwas er- 
wartet, wider Vermuthen aber eine kleine Gejchichte des Geſchmacks unter 
den Deutjchen findet, jo wird er jih zwar Anfangs getäufcht glauben, 
allein am Ende wird er diefe Täujchung doch ganz gerne zufrieden jeyn. 
Wir haben diejes zu vermuthen, um jo vielmehr Grund, je lebhafter wir 
überzeugt find, daß die jegt herrjchenden Streitigfeiten in dem Reiche des 
deutichen Witzes nirgends jo kurz, jo deutlich, jo bejcheiden, als in diejen 
wenigen Bogen, vorgetragen worden. Die Verfafjer jind dabey in ihrer 
Unpartheylichfeit jo weit gegangen, daß jie einem Gottjched und einem 
Schönaich weit mehr Einficht beylegen, weit mehr Gründe in den 
Mund geben, als fie jemals gezeigt haben, und fie ihre jchlechte Sache 
weit beſſer vertheidigen laſſen, al3 es von ihnen ſelbſt zu erwarten jteht. 
Ein wie viel leichter Spiel würden fie ihren Widerlegungen und ihrer 
Satyre haben machen fünnen, wenn fie die Einfalt des einen in allem 
ihren dictatorifchen Stolze, und die PVofjenreifjerey des andern in aller 
ihrer wendifchen Grobheit aufgeführet hätten. Doc fie wollten ihre 


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Lejer mehr überzeugen, als betäuben; und der Beytritt eines einzigen, 


den fie durch Gründe erzwingen, wird ihnen angenehmer jeyn, als das 
jauchzende Gejchrey ganzer Klaſſen, wo e3 gutberzige Knaben aus Furcht 





1 [64 Stüd. Donnerjtag, den 29 May 1755.] 


32 Aus: Berlinifche privilegirke Beilung. 1755. 





der Ruthe befennen müfjfen, daß Gottjched ein grofier Mann und 
Schönaich ein deutſcher Virgil ſey. Koſtet in den Voſſiſchen Buch— 
läden hier und in Potsdam 3 Gr. 


M. Johann George Hagers,! Rector zu Chemnis, 
fleine Geographie vor die Anfänger. Chemnitz bey Joh. 
Chrijtophb und Johann David Stöfjel 1755. Fin 8po. 
2 Alphb. 6 Bogen. Da die ausführliche Geographie des Herrn 

Hagers, welche vor einigen Jahren in drey Octavbänden herausfam, 

jo vielen Beyfall gefunden, daß fie nicht allein in verjchiedne öffentliche 
10 Schulen eingeführet, jondern auch in nicht langer Zeit mehr als einmal 
der Preſſe übergeben worden: jo iſt zu hoffen, daß auch diejer Auszug 
jeine Gönner finden werde. Er iſt für die Anfänger ungleich brauch— 
barer, al3 das groſſe Werf, und man darf nicht glauben, daß es eben 
jo gar leicht gewejen iſt, ihn zu verfertigen. Eine vieljährige Erfahrung 
it ihrem Berfafjer dabey zu jtatten gekommen, durch die er einjehen 
lernen, was eigentlich jungen Leuten in diefem Studio unumgänglich zu 
wifjen nöthig jey, wenn fie in der Folge etwas mehrers darinne thun 
wollen. Er bat dabey überall feine erjte Lehrart gebraudt, und bie 
gleich Anfangs beliebte Einrichtung beybehalten, damit, wenn man ein- 
20 mal in diefer kleinen Geographie einen tüchtigen Grund gelegt, man 

hernach durch die gröfjere mit leichter Mühe dejto mehr darauf bayen 

fünne. Kostet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 16 Gr. 


ib] 


ei 
Ot 


Sammlung einiger Predigten? von Johann Andreas 
Cramer, Königl. Dän. Hofprediger. Erſter Theil. Kopen— 
>5 hagen verlegts Franz Chr. Mumme 1755. In 8vo. 1Alphb. 
8 Bogen. Wem der Verfaſſer dieſer Predigten als einer unſerer 
größten Dichter, wem er als der Ueberſetzer des Chryſoſtomus be— 
kannt iſt, der wird ſich gewiß auch einen ſehr vorzüglich geiſtlichen 
Redner an ihm verſprechen. Denn iſt es wohl glaublich, daß ein Mann, 
30 welcher, dem Zwange des Sylbenmaaſſes und des Reimes zum Trotze, 
überall lehrreich, rührend, feurig und erhaben iſt, alles dieſes zu ſeyn 
aufhören ſollte, wenn er jener Feſſeln entbunden iſt? Mit dieſem Vor— 
urtheile, ohne Zweifel, wird man gegenwärtige Sammlung zu leſen an— 





ı (71. Stück. Sonnabend, den 14 Junius 1755.] 
2 [73. Stüd, Donnerjtag, den 19 Junius 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 33 


fangen, und fie durchgelejen haben, ohne es falich zu finden. Sie be- 
jtehet aus achtzehen Predigten, die er zu verjchiednen Zeiten gehalten, 
und die uns alle in eben demjelben Zuſtande mitgetheilet werden, wie 
er jie gehalten hat. Die erſte handelt von den herrlichen Vorzügen 
der Gotteshäufer; die zweyte, von der Dankbarkeit gegen die Gütig- 
feit Gottes; die dritte, von der Vorbereitung zum Tode; die vierte, 
von der eingejchräntten Mittheilung der bejondern und nähern Dffen- 
bahrung Gottes; die fünfte, von der Strafbarfeit der Klagen wider 
Gott; die jechfte, von der Unempfindlichkeit gegen die Neligion; die 
jiebende, von dem unfchäßbaren Werthe des durch EChriftum uns er- 
worbnen Friedens; die achte, von der wahren Glückſeligkeit als einer 
gewijjen Folge der thätigen Liebe gegen Jeſum; die neunte, von der 
Erhöhung der Gläubigen durch die Erhöhung Jeſu; die zehnte, von 
der Schuldigfeit der Menjchen, Gott in allen ihren Handlungen zu ver- 
herrlichen ; die eilfte, von der Wundergabe der Apoitel, fremde Sprachen 
zu reden, al3 einem unumjtößlichen Beweiſe der chrijtlichen Religion; 
die zwölfte, von dem Verhalten der guten Schaafe Jeſu Chrifti; die 
dreyzehnte, von der Unbegreiflichfeit Gottes; die vierzehnte, 
wider den Menjchenhaß; die funfzehnte, von dem Unterjchiede der 
gegenwärtigen und der zufünftigen Welt im Abjicht auf die Gläubigen; 
die jehzehnte, wider die Selbitrache; die jiebenzehnte, von der 
Beitändigfeit im Taufbunde; und die ahtzehnte, über die Gewißheit 
der Gläubigen von ihrer künftigen Seligkeit. Koftet in den Voſſiſchen 
Buchläden hier und in Potsdam 16 Gr. 


Bermifhte Schriften! von Abraham Gotthelf Käjtner. 
Altenburg in der Richteriſchen Budhhandlung 1755. In 
8vo. 18 Bogen. Selten werden fich der Gelehrte und der Philoſoph, 
noch jeltner der Philoſoph und der Meßkünſtler, am aller jeltenjten der 
Meßkünſtler und der ſchöne Geift in einer Perſon beyjammen finden. 


10 


15 


20 


25 


Alle vier Titel aber zu vereinen, kümmt nur dem wahrhaften Genie 30 


zu, das fich für die menschliche Erfenntniß überhaupt, und nicht blos 
für einzle Theile defjelben,? gejchaffen zu jeyn fühle. Der Herr Pro— 
feffor Käſtner — Doch die formellen Lobjprücde find edelhaft, und 
ohne Zweifel haben die meiften unſrer Leſer ſchon längjt von jelbjt die 





ı [74. Stüd. Sonnabend, den 21 Junius 1755.] ? [wohl verbrudt für] derielben, 
Zeffing, fümtlihe Schriften. VIL 3 


34 Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 





Anmerkung gemacht, daß fi) auch noch mehrere, al3 ihrer vier, in die 
Berdienfte dieſes Mannes ganz reichlich theilen fünnten. Gegenwärtige 
vermiſchte Schriften allein könnten auch dem beiten unſrer wigigen Köpfe 
einen Namen machen, deſſen er ſich nicht zu jchämen hätte, und den er, 
5 mehr erjchlichen al3 verdient zu haben, fich nicht vorwerfen dürfte. Mehr 
wollen wir nicht davon jagen, jondern nur noc iiberhaupt melden, daß 
fie aus profaishen Abhandlungen, aus Lehrgedichten, aus Oden, aus 
Elegien, aus Fabeln, aus Sinngedichten, aus PBarodien, aus Yateinifchen 
Gedichten, und aus Briefen bejtehen. Daß man fie lefen wird; daß 
10 man fie, auch ohne Anpreifung, häufig lefen wird; ijt gewiß. Die wenigen 
Sinngedichte alfo, die wir daraus herfegen wollen, follen mehr zu unferm 
eignen Bergnügen, als zu einer unnöthigen Probe, angeführt jeyn. 
Charafter de3 Herrn de la Mettrie nad dem Entwurfe 
des Herrn von Maupertuiß. 
15 Ein gutes Herz, verwirrte Bhantafie, 
Das heißt auf Deutjch: ein Narr war la Mettrie. 
Un einen Freymäurer. 
Der Brüderjchaft Geheimniß zu ergründen, 
Plagt ih, Neran, mein fühner Borwib nicht; 
20 Bon einem nur wünjcht ich mir Unterricht: 
Was it an dir Ehrwürdiges zu finden? 
Das ANDERER an den Herrn Baron von Kroneck nad 


Neapolis. 
Mein Kroneck, Maros Geiſt ſchwebt noch um ſeine Gruft, 
25 Wenn du dort Lorbeern brichſt, jo hör auch, was er ruft: 


Zu Ehren hat mir ſonſt ein Martial gelodert, 
Bon dir, o Deutjcher, wird ein Schönaich jebt gefodert. 
Eines Sachſen Wunſch auf Carl den KU. 
Held, der uns jo gepreßt, dein eifriges Beitreben 
30 War: jpät im eiteln Hauch der legten Welt zu leben: 
Doch wird mein Wunjch erfüllt (die Rache giebt ihn ein) 
So joll einft dein Homer ein zweyter Schönaich feyn. 
Wir müfjen erinnern, daß in den zwey lebten Sinnjchriften, an— 
ftatt des Namens Schüönaich, welches ein gewifjer Poet in der Nieder- 
35 laufiß iſt, bloß ein leerer Pla gelafjen worden, ihn nach Belieben mit 
einem von den zweyjplbigen Namen unjerer Heldendichter zu füllen. 


Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 35 








— — — — — 


Unſer Belieben fiel auf genannten Herrn Baron von Schönaich, von 


deſſen neueſten Schriften wir nächſtens reden wollen. Koſtet in den 


Voſſiſchen Buchläden bier und in Potsdam 12 Gr. 


Le Theatre Bavarois!' ou Recueil des plus celebres Pieces du 
Theatre representees à Munic. Tome I. & Augsbourg chez Merz et Maier 
1755. In Svo. Diefe Bayriſche Schaubühne ift nicht als eine 
Sammlung franzöfiicher Komödien und Tragddien, welche eine Gejell- 
Ihaft Schaufpieler in München aufgeführt hat. In diefem erjten Theile 
fommen zwölf Stück vor, worunter fein einziges ift, welches nicht fchon 
befannt wäre. Es wäre ſehr gut, wenn auch fein einziges darunter 
wäre, welches nicht befannt zu jeyn verdiente, La Grange Ehancel, 
Campiſtron und dergleichen Leute, erhalten zu viel Ehre, wenn fie 
mit einem Racine und Boltaire in Gejellichaft verjeßt werden. 
Auffer dem Hadrianus und dem Amafis jener beyden Stümper, 
und der Athalie und Alzire diejer beyden Meifter, fommen darinne 
vor: Cenie, das rührende Luftipiel der Frau von Graffigny; la 
Coquette fixde, in drey Aufzügen; le Comte de Neuilli, eine heroifche 
Komödie des Herrn von Boiſſy; des Moliere Comtesse d’Escar- 
pagnas; l’Amour secret de3 jüngern Boijjon; le Babillard, des Herrn 
von Boiſſy; ebendefjelben Verfafjerd Amours anonymes; und des Haus 
teroche Nachipiel le Cocher. Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier 
und in Botsdam 1 Rthlr. 16 Gr. 


Sittlihe Reigungen? der Tugend und des Ber- 
guügens I Bandes I Theil. Königsberg und Leipzig bey 


Joh. Fried. Beterfen 1755. In 8Svo. 14 Bogen. Man wird 


e3 gleich dem Titel ohngefehr anjehen, daß dieſes der Anfang einer 
neuen periodischen Schrift ift, welche durch abwechjelnde projaiiche und 


poetiſche Aufjäge dem Lejer jo nützlich al3 angenehm zu machen, fich 


verjchiedne Berfaffer verbunden haben. Ein jehr günftiges Vorurtheil 


dafür zu erweden, dürfen wir nur jagen, daß der Herr Magijter Lind— 


ner die Aufficht darüber führt. Der Berfaffer der Daphne hat ſich 
unter den jinnreichen Schriftitellern einen viel zu rühmlichen Platz er- 
worben, al3 daß man von jeinen Geſchmacke und feiner Beurtheilungs- 





1 [75. Stüd. Dienftag, den 24 Junius 1755.] 


2 [76, Stüd. Donnerftag, den 26 Junius 1756.) 


10 


15 


20 


30 


36 Aus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 








fraft die Einrüdung ſolcher Stüde befürchten dürfte, mit welchen fich 
jeine eignen Auffäße in Gejellichaft zu jeyn ſchämen müßten. In diefem 
eriten Theile nehmen fich vornehmlich Siegfried oder der Herrnhuter, 
und die Gejchichte der Benigne Tavernier aus. Das erite ijt ein jaty- 
5 rifches Heldengedicht auf jenen gräflihen Schwärmer, wenn er nicht noch 
etwas üblers ijt, al3 ein Schwärmer. Es fommen bier nur die erften 
fünf Geſänge vor, welche ungemein viel artige Stellen und eine Menge 
ernjthafter und richtiger Gedanken haben, die dem Gedichte mit unfern 
bisherigen komiſchen Heldengedichten wenig ähnliches lafjen. Die Ge- 
10 jchichte der Tavernier ijt in Briefen abgefaßt, und jehr rührend. Auſſer 
diieſen, findet man Betrachtungen über die wahre Ehre; eine Beurthei- 
fung der Adermannijchen Gejellichaft, welcher in dem, was fie von den 
Gliedern derjelben gutes jagt, diejenigen, die fie zu jehen Gelegenheit 
gehabt, mit Vergnügen Beyfall geben werden; verſchiedne Oden umd 
15 andre Gedichte aus Eleinern Gattungen. Bon den lebtern wollen mir 
folgendes zur Probe herjeßen: 
Der tödtlide Ruß. 
Mein Schäfer jpricht, ich ſoll ihn küſſen, 
Jedoch ich müßte thöricht jeyn, 
© Die Mutter jchärfte mir ja ein, 
' Ich jollte feinen Schäfer küſſen, 
Sonſt würd ich plößlich jterben müjjen. 
Bu fterben wäre noch zu früh, 
Kein, Schäfer, nein, ich küß dich nie; 
25 Doch aber möcht ich noch wohl wifjen, 
Wer dir verbothen mich zu Füffen? 
Kostet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 6 Gr. 


| Die Hofmeifterin,! erfter Theil. Bernburg bey Chrift. 
Gott}. Cörnern 1755. In 8vo. Diejes iſt die Fortjegung der- 
30 jenigen Wochenschrift, welche in den Jahren 53 und 54 zu Leipzig unter 
dem Titel, der Hofmeister, erjchien, und bis zu drey Bänden an- 
wuchs. Mehr wiſſen wir nicht von ihm, denn,. Gott jey Dank, wir 
haben ihn nicht gelefen. Er kann gut, er kann ſehr gut feyn. Wenn 
er es aber ijt, jo betauern wir ihn herzlich, daß er jein Lehramt einer 





ı (79. Stüd, Donnerſtag, den 3 Julius 1755.] 


Rus: Berlinifche privilegirte Reifung. 1755, 37 


alten Blaudertajche abtreten müjjen, deren vornehmſte Abjicht, ohne Zwei— 
fel, gewejen ijt, fich auf ihre alten Tage die Stelle einer Ausgeberin 
auf den Gütern des Wendifchen Sängers zu erloben. — — Kann man 
fih es einbilden! Sie wollte, wie fie jelber jagt, in ihren Blättern, 
dem Hermann des Baron Schönaichs eben diejelben Dienjte leiſten, 
die Addifon ehedem dem Milton leiftete. „Nicht, als wenn ich mich, 
„fährt fie fort, mit dem Addifon, oder den Hermann mit dem verlohrnen 
„Baradieje vergliche. Sch muß mich gegen den Zufchauer verjteden; hin— 
„gegen wird niemand ohne PBartheylichkeit, die englifche Epopee unſrer 
„deutschen vorziehen.“ Hierauf macht fie in dem jechiten, zwölften, zwan— 
zigjten und fünf und vierzigjten Stüde einen Auszug aus dem Hermann, 
der mit jo vielen abgejchmadten und jämmerlichen Lobjprüchen durch- 
flochten ift, daß wir fat gezwungen auf den Einfall gerathen jind, der 
Barın Schönaich müſſe ihn felbit gemacht haben. Wenn das ift, 
jo hat alles feine Richtigkeit! — — Sollen wir auch von den übrigen 
Stücken der Hofmeilterin etwas jagen? Wir fünnen e8 kurz fallen; es 
it unglaublich, daß ein Schriftjteller oder eine Schriftitellerin, die auf 
eine ſolche Art den Geſchmack der Leſer verbejjern will, auf eine glüd- 
lichere die Sitten derjelben verbefjern werde. Koſtet in den Voſſiſchen 
Bucläden hier und in Potsdam 1 Rthlr. 


Discours ' sur Vorigine et les fondemens de linegalite parmi les hom- 
mes, par Jean Jaques Rousseau, Citoyen de Geneve. ad Amsterdam chez 
Marc Michel Rey 1755. In 8Svo. 1 Alphb. Diejes ift eine ganz 
neue Schrift desjenigen Gelehrten, welcher Philofoph genug war, den 
Künften und Wiſſenſchaften feinen gröſſern Einfluß auf die Sitten der 
Menjchen einzuräumen, als jie wirklich haben, und darüber eine Strei- 
tigfeit erregte, die jehr Iehrreich hätte werden fünnen, wenn fich in Frank— 
reich nicht fait eben jo Kleine Geifter damit abgegeben hätten, als in 
Deutjchland, wo ein gewiſſer Schulmeifter feine gutherzige Knaben da— 
von declamiren ließ. Man hat e8 abermals einer Aufgabe der Akademie 
von Dijon zu danken, daß uns Herr Rouffeau feine Meinung von 
dem Urjprung und den Urjachen der Ungleichheit unter den Menjchen 
mittheilet; und wir können feinen fürzern Begrif davon macen, als 
wenn wir jagen, daß diefe Ausführung der eritern, welche der afade- 





ı [82, Stüd. Donnerftag, den 10 Julius 1756.] 


10 


15 


20 


25 


30 


38 Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 


mischen Krönung vollfommen würdig gewejen war, in mehrern und weſent— 
fichern Stüden, als in der Art des VBortrages, Ähnlich gerathen jey. Die 
jest unter den Menjchen übliche Ungleichheit jcheinet nehmlich, an ihm 
feinen gröffern Gönner gefunden zu haben, al3 die Gelehrjamfeit an ihm 
5 fand, in jo fern fie den Menſchen tugendhafter wollte gemacht haben. 
Er ift noch überall der kühne Weltweije, welcher feine Vorurtheile, wenn 
fie auch noch jo allgemein gebilliget wären, anfiehet, ſondern graden 
Weges auf die Wahrheit zugehet, ohne fih um die Scheinwahrheiten, 
die er ihr bey jedem Tritte aufopfern muß, zu befümmern. Sein Herz 
10 hat dabey an allen jeinen jpeculativischen Betrachtungen Antheil genom— 
men, und er jpricht folglih aus einem ganz andern Tone, als ein feiler 
Sophijt zu jprechen pflegt, welchen Eigennuß oder Brahlerey zum Lehrer 
der Weisheit gemacht haben. Da diefe Eigenschaften alles was er fchreibt, 
auch da noch, lefenswürdig machen müſſen, wenn man jeiner Meinung 
15 nicht beytreten kann; jo wird es hoffentlich dem deutſchen Publico an— 
genehm jeyn, wenn wir ihm eine Ueberjegung diefes neuen Rouſſeauiſchen 
Werks voraus anfündigen. Es iſt ein Mann von Einficht und Geſchmack, 
welcher fie unternommen hat, und wir find gewiß, daß er beydes bey 
einer Arbeit zeigen wird, bey welcher die meilten nur Kenntniß der 
20 Sprachen zu zeigen gewohnt find. Sie wird in den Voſſiſchen Buchläden 
an das Licht treten, wo jebt die franzöfiiche Urjchrift für 22 Gr. zu 
haben ift. 


Unmerfungen! über die Kirdhenhiftorie von Johann 
Jortin. Erfter Theil. Aus dem Engliſchen überjegt von 
>35 J. P. E Bremen bey Gerhard Wilh. Rump 1755. In 8vo. 
1 Alphb. 5 Bogen. Bon diefen Anmerkungen find in der Grunde 
ſprache drey Theile heraus, welche feit 1751 nah und nad an das 
Licht getreten find. Die Gelegenheit dazu gaben. dem Verfaffer einige 
heilige Reden, die er, der befannten Boylifchen Stiftung gemäß, zur 
30 Bertheidigung der riftlichen Religion gehalten hatte. Eine derſelben 
handelte von den Weiffagungen, und eine andre von den Wundern. Da 
er nun nicht Willens war, fie al3 Predigten druden zu lafjen, jo zog 

er nur die Materialien heraus, und ſchlug alle dabey gemachte critifche 
Anmerkungen dazu, die er auf der Kanzel nicht hatte anbringen können. 


1 (85, Stück. Donnerftag, den 17 Julius 1755.] 


Rus: Berliniſche privilegirke Zeilung. 1755. 39 


Ob nun aljo gleich in diefem erjten Theile die Weiljagungen und ihr 
Nuten in Abficht auf die chrijtliche Religion, das vornehmjte Augen 
merk unſers Schriftitellers jeyn ſollen; jo darf man es fich doch gar nicht 
befremden laffen, ihn auf allen Seiten ausjchweifen zu jehen. Genug, 
daß jeine Ausschweifungen durchgängig gelehrt, ſcharfſinnig und neu 
find; und wer jo ausjchweift, verdient ohne Zweifel mehr Lob, al3 der 
genauefte Beobachter der Methode, der auch den fchönften Blumen ent- 
jagt, wenn er fie einige Schritte auffer dem Wege breden muß. So 
handelt er, zum Erempel, gleich Anfangs von der Bequemlichkeit der 
Zeit, in welcher Chriſtus in die Welt gefommen, und bey Gelegenheit 
der Weilfagung Ehrijti von der Zerftörung Jeruſalems, kömmt er auf 
hundert Dinge, auf die ein weniger belefener Mann nicht würde ges 
fommen jeyn. Er handelt von den Schriften des Joſephus; beweijet 
aus den innerlichen Kennzeichen der Bücher des N. Tejtaments, daß fie 
authentiſch find; betrachtet die Weiffagungen der heidnischen Welt, und 
ihre Drafel; redet von den Borbildern auf Chriſtum, von den drey 
Secten unter den Juden, von Birgils vierten Hirtenliede, von verjchiednen 
den alten Kirchenvätern untergefchobnen Schriften; verbeſſert alte Schrift: 
jteller, bald den Juvenal, bald den Herodotus, bald den Eufebius ꝛc. 


Da diejer Ort aber zu feinen bejondern Auszügen gejchiet ift, jo müſſen 2 


wir uns begnügen ein jo beſonders Buch blos angezeigt zu haben. Lieb— 
haber jolcher Unterfuchungen werden es gewiß ſelbſt lefen, und dem Ueber— 
jeßer für jeine glückliche Mühe verbunden jeyn. Koftet in den Voſſiſchen 
Buchläden hier und in Potsdam 8 Gr. 


Die Shwahheit! des menſchlichen Herzens bey den: 


Anfällen der Liebe Frankfurt und Leipzig verlegt3 
G. PB. Monath 1755. In 800. 17 Bogen. Es fcheinet als ob 
man ung dieſen weniger al3 mittelmäffigen Roman als ein deutjches 
Driginal aufdringen wolle. Die Borrede ift in diefem Jahre unter: 


ichrieben und auf dem Titel wird feines Ueberjegers gedacht. Aber gleich- : 


wohl darf man nur wenige Seiten lefen, wenn man die fremde aus den 
deutjchen Worten hervorblidende Grundiprache erfennen will. Die Ans 
lage iſt franzöſiſch, ſo wie die Denkungsart und der Ausdruck. Der Held 
heißt der Ritter von Belincourt, und die Thaten ſeiner Ritterſchaft 


vos. eua. Sonnabend, den 19 Julius 1755.] 


10 


D 


IV 
or 


40 Aus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755, 





lafjen fich aus der Aufjchrift errathen. So wenig erbaulich fie aber auch 
immer find, jo verfichert man uns doch, daß fie zur Beförderung der 
Tugend aufgezeichnet worden. — Wenn die Romanenfchreiber, welche feine 
Richardſons find, doch nur immer auf die Tugend Verzicht thun 
5 wollten! Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Botsdam 6 Gr. 


Wohlangerichtete und neuerfundene Tugendjchule,! 
in welcher jo wohl junge 2eute, als erwachſene Bersonen, 
nit nur zu ihrer gar wohl erlaubten Gemüths Ergößung 
die auf eine anmutbige Art vorgetragnen Hiftorien zu 

10 gebrauden, jondern bejonders die beygejegten Sinn- 
reihen Anmerfungen und gründlih daraus gezogene 
Lehren erbaulih anzuwenden hinlänglide Gelegenheit 
haben. Mit beygefügten vielen Kupfern. Herausgegeben 
von Meletaon. Zwey Theile Breslau bey D. Pietid 

135 Buch. 1755. in Spo. Der erjte Theil von 18, der zwehte 
von 20 Bogen. Meletaons Tugendjchule iſt ein jchon Yängit befanntes 
Buch, und diefe neue Auflage bezeigt, daß es noch immer jeine Lieb- 
baber finden müfje. Vielleicht auch, daß es deren noch mehrere finden 
würde, wenn man ihm mit einigen Berbejjerungen zu Hülfe gefommen 

20 wäre, deren es in Anjehung feiner guten Abſicht noch jo ziemlich werth 
wäre. Denn jo wie e& jebt tft, jtehen auf dem Titel zwey Hauptlügen, 
und die Art, mit welcher die Hiltorien erzehlt werden, ijt eben jo wenig 
angenehm, als die beygejeßten Anmerkungen finnreich, oder die 
daraus gezogne Lehren gründlich find. Sonſt find die Gefchichten 

25 ſelbſt eben nicht allzufchlecht gewwehlt, und Leute die zum HBeitvertreibe 
leſen, müſſen wohl oft jchlechtere zu leſen fich gefallen laſſen. Koftet in 
den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 16 Gr. 


Das Pfandfpiel,? oder artige und aufgemwedte Ge— 
ſchichten, aus dem FSranzöfifhen. Frankfurt und Leipzig 
30 in der Lantifhen Buhhandlung 1755. In 8Svo. 22 Bogen. 
Diefer Roman, oder vielmehr diefe Sammlung Eleiner Romane, ſoll von 
einem Frauenzimmer überjegt jeyn. — Es wäre zu wünjchen, daß ſich 
dieſes Gefchlecht iiberhaupt dergleichen Beichäftigungen anmafjen und das 


1 (87. Stüd. Dienftag, den 22 Julius 1755.] 
? (91. Stüd. Donnerftag, den 31 Julius 1755.] 





Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 41 





männliche dadurch jtillfehweigend zu ernjthaftern verweilen wollte. — — 
Seine Einrichtung kann man ohngefehr aus dem Titel errathen. Es 
werden einer Gejellichaft in der Provinz die Abende allzulang; man 
verjucht fie durch verjchiedne Spiele zu verfürzen, und fällt endlich dar: 
auf, die bey der blinden Kuh gegebenen Pfänder durch Erzählungen ein- 
föjen zu laffen, deren Begebenheiten die gepfändeten Perſonen entweder 
ſelbſt betroffen, oder an welchen fie doch einigen Antheil gehabt. Die 
Ueberjegerin wünjcht, daß anjtatt der Tchläfrigen Wettergefpräce oder 
der gedanfenlojen Karten, eine ähnliche Zeitverfürzung auch unter ung 
Mode werden möchte. Wir wünjchen es gleichfalls; aber dabey zu wün— 
ſchen, daß alsdenn auch jede Gefellichaft ihre Erzählungen möge drucden 
lajjen, davor wollen wir uns fein in Acht nehmen. — Es kommen in 
allen 27 Eleine Erzehlungen in dieſem Pfandſpiele vor, welche an zwey 
verjchiednen Abenden erzehlet worden, und mit deren Lejung man auch 
eben jo viele ziemlich vergnügt zubringen fann. An dem erjten wurden 
erzehlt 1. die Gejchichte der Frau von G. 2. Die Gi. des Mahlers. 
3. Die Gſ. des Weyhwaſſerreichers. 4. Die Gſ. des Oberften und der 
dr. ©. V. 5. Die Gſ. des Bettler3 von Lothringen. 6. Die Gi. der 
Fräulein v. R. 7. Die ©. des Eſſighändlers. 8. Die Gſ. der Fräu- 
fein von ©. und des Grafen von Bl. 9. Die Gf. des gepeitjchten 
Triftans. 10. Die Gſ. der Marguifin von Keiton. 11. Die Gf. der 
falihen Meinung. 12. Die Gſ. vom Steine der Weifen. 13. Die Gſ. 
der buhleriſchen Wittwe. 14. Die Gſ. des Hahnreys in der Einbildung, 
und 15. die Gſ. der gewinnjüchtigen Frau. An dem andern Abende, 


1. die verjchwiegne Alte. 2. die Buppe. 3. Die Lächerliche Begegnung. 2: 


4. Der vornehme Wafjerträger. 5. Die Wittwe von Mante. 6. Der 
zauberijche Lehrjunge. 7. Wer zu viel unternimmt gelangt jelten zum 
Zweck. 8. Der Bogel der Wahrheit. 9. Die Reife nah Chaudray. 
10. Das Rebhun. 11. Ein Vorhaben vernichtet das andre. 12. Die 
ungefähre Befreyung. Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in 
Potsdam 8 Gr. 


Lejenswürdige Gejhichte! des dDurdlaudtigen und 
tapfern Bringen Celindo oder Tugend und Klugheit als 
die ſicherſten und treuften Führer der Unschuld und Red- 


1 (93, Stück. Dienftag, den 5 Auguft 1755.] 


— 


5 


20 


we 


Ot 


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30 





49 Aus: Berlinifche privilegirie Beifung. 1755. 
lichkeit. Frankf. und Leipzig 1755. In 8vo. 1 Alphb. 18 Bo— 
gen. Dieſer Roman ift nun wohl ganz gewiß ein deutjches Ori— 
ginal. Der Verfaſſer, welcher alles auf das wahrjcheinfichjte machen will, 
giebt fich für des Prinzen Gelindo Geheimfecretär aus. Ein vortref- 
licher Geheimfecretär, welcher feine Seele mehr zu feinem Vertrauten 
nacht, als das PBublicum. — — Der Prinz Celindo wird gebohren; 
wird nach Lockens Unterricht auferzogen; muß oft mit blofjem Kopfe, 


und-oft in fo dinnen Schuhen gehen, daß das Wafler, welches ihn ab- 


bärten fol, hereindringen kann; reijet auf die Afademie; wird Volontär 
in dem Dejterreihifchen Suecejjiongfriege; bejiehet freimde Länder; läßt 
ih unter Wegens von allen Leuten, die er fennen lernt, ihre Aben- 
theuer erzehlen; gehet jelbjt nach welchen aus, und glaubt fie in Oſt— 
indien zu finden; er findet fie auch; wird auf der Küſte Coromandel 
zum Sklaven gemacht; muß des Königs von Tanſchaur Vieh hüten; 
wird von einer königl. Prinzeſſin, Namens Puſci-Putan, die ſich in ihn 
verliebt, befreyet; fümmt wieder nach Europa; fauft fih in Frankreich 
ein Landhaus, und begiebt fi) zur Ruhe. — — Das ift der Inhalt 
diefer leſenswürdigen Gejchichte, welche in den Voſſiſchen Buchläden bier 
und in Potsdam für 14 Gr. zu haben ift. 


Der erlaudte Bauer! oder Lebensgeſchichte und Be: 
gebenheiten Daniel Moginies 2. enthaltend verjdiedne 
geheime Nachrichten von den legten Beränderungen in 
VBerjien und Indoſtan und von der Regierung des Tha— 
mas KRonli Kan. Bon ihm jelbit an jeinen Bruder und 
Erben Franz gejhrieben. Aus dem Franzöſiſchen. Ber— 
lin bey Ambr. Haude und Spener 1755. In 8vo. 17 Bogen. 
Daniel Moginie war au Chezales, einem Dorfe im Canton Bern, 
gebürtig. Die Begierde fich hervorzuthun, von der Einbildung eines uhr- 
alten Adels unterjtügt, trieb ihn aus jeinem Vaterlande. Er gerieth 
unter verjchiedenen Abenthenern nad) Berjien, wo ihm die dafigen Un— 
ruhen Gelegenheit genug gaben, Klugheit und Tapferkeit zu zeigen. Er 
zeigte fie auch wirklich mit fo vielem Glüd, daß er bis zur Würde eines 
Omrah vom erjten Range jtieg. Er ftarb 1749 im 39 Jahre feines 
Alters, als Commandant der andern Mogoliihen Garde, Oberaufjeher 


ı (94. Stüd, Donnerftag, den 7 Auguft 1755.) 








Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 43 
über den Käyſerlichen Ballaft, und Gouverneur von Palngeab. So 
klingt die Gejchichte, die er in feiner legten Krankheit, als eine Unter: 
vedung mit feinem abwejenden Bruder, ſelbſt foll aufgefegt haben. Ob 
fie wahr ſey, fünnen wir nicht jagen. Es wird den meisten Lejern auch 
wenig daran liegen; genug, fie iſt wahrjcheinlich, und wenn die ein— 
gejtreueten Historischen Nachrichten nur wahr wären, jo fünnte man die 
Erdihtung der Hauptfabel fchon noch überjehen. Die deutjche Ueber— 
ſetzung jcheint überhaupt ganz gut zu jeyn. Koſtet in den Boffiichen 
Buchläden hier und in Potsdam 6 Gr. 


Das Rartenblatt;! in zwey Theilen. Aus dem Eng— 
liſchen überjeßt. Leipzig in Gleditfhens Buchhandlung 
1755. in 8Svo. 2 Alphb. Man hat e3 fchon längſt gewußt, daß 
e3 eine jchlechte Genever Uhr jeyn kann, obgleich London by ete. drauf 
gejtochen ift. Aber das jcheint man nicht wiffen zu wollen, daß die 
Worte: aus dem Englifhen überjegt, wenn fie auch feine Un: 
wahrheit enthalten, in Anjehung der Güte des Werks, noch eine weit 
geringere Gewährleiftung find. Wir find die gutherzigen Deutjchen; das 
it ganz gewiß. Das Gute der Ausländer gefällt ung; und zur Danf- 
barfeit laſſen wir uns auch das elendefte, was fie haben, gefallen. — — 
Das Kartenblatt! Ganz gewiß ein Tittel von der neueften Erfindung 
für einen Roman; beſonders wenn das Kartenblatt ſelbſt eine jo Kleine 
Rolle darinne jpielt, daß es zu weiter nichts gebraucht wird, als Hand: 
briefchen zu fchreiben, deren Inhalt eben nicht der Flügite Bediente eben 
jo gut ausgerichtet hätte. Mit gleichem Rechte könnte diefer Roman das 
Glas Waffer heiffen; denn e3 werden eben jo viel Gläſer Waffer auf 
die Ohnmachten darinn getrunfen, al3 Briefe auf Kartenblätter gefchrieben. 
— Der Held iſt ein gewifjer Arhibald Evelyn, ein junger Herr den 
feine Aeltern reifen lafjen, und der auf jeinen Reifen unbefonnene Streiche 
angiebt. Es ijt nicht zu leugnen, daß der Berfaffer nicht ein Haufen 
Ichnurriges Zeug dabey anbringen follte. Der Humor wird auch in den 
ichlechtejten englifchen Büchern dieſer Art nicht ganz und gar fehlen; 
eben jo wenig, als man eine dergleichen franzöſiſche Schartefe finden 
wird, die gänzlich ohne gout gejchrieben wäre. Allein jollten wir nicht 
die Scribenten aus beyden Nationen mit Verachtung anfehen, die weiter 





1 195, Stüd. Sonnabend, den 9 Auguft 1755 ] 


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44 Aus: Berlinifche privilegirke Beifung. 1755. 





nicht3, als Humor, oder weiter nichts als Gout haben? Koſtet in den 
Boffischen Buchläden hier und in Potsdam 18 Gr. 


Die Poeſie und Germanien.! Ein Gedidt. Berlin 
1755. In 4to. auf 2!/e Bogen. Da die elende Bande jener reim— 
5 reichen Antipoden des Wibes und der Vernunft an Pasquillen auf. alle 
diejenigen jo fruchtbar ilt, die ihren Drachen nicht anbeten; jo kann es 
nicht3 unerwartete jeyn, wenn man noch bier und da einen Daniel 
Kiüchelchen von Pech und Haaren machen und es ihm in den Rachen 
werfen fieht, in Hoffnung daß er davon beriten werde. — — Germanien 
10 freuet fi über das Glüd, welches die Mufen in ihrem Reiche machen, 
die fich mit den Grazien um ihren Thron verfammelt haben. Bejonders 
frenet fie fich, die VBoefie unter ihren Söhnen in einem Glanze ſchimmern 
zu jehen, der die Aufmerkſamkeit ihrer Nachbarn endlich zu erregen mehr 
als Hinlänglich jey. Der Poeſie ſelbſt aber fcheinen diefe Lobſprüche zu 
15 gütig und zu früh ertheilt zu jeyn. Sie Elagt über die ſklaviſche Nach— 
ahmungsfucht der Deutjchen; und diejes find ihre Klagen: 
„Kaum fängt ein Haller an, groß, jtarf und jchwer zu dichten, 
„So eilt der Thor fein Lied nach jeinem Schwung zu richten; 
„Ahmt nur die Fehler nach; iſt niedrig, dunkel, ſchwer, 
20 „Bon harten Worten voll, und von Gedanken Ieer. 
„Läßt uns ein muntrer Geift des Tejers Laut erklingen, 
„Sp fängt halb Deutichland an Geſchwätz und Tand zu fingen; 
„Jedwede Preſſe ſchwitzt von zu viel Lieb und Wein, 
„And für des Heiden Ruhm vergißt man Chriſt zu ſeyn. 
25 „Erzehlt ein Gellert uns, und jehn wir mit Vergnügen, 
„Den ihm nur eignen Scherz um jeine Leyer fliegen: 
„Sp tändelt jeder Thor, fein Brief und fein Gedicht 
„Ericheint, daß nicht darinn ein falfcher Gellert ſpricht.“ ze. 
Koch mehr aber Haget fie über ihn, den man in folgender Bejchreibung 
30 erfennen wird: | 
— mi or ein blinder Ariſtarch 
„Der Reime Batriot, der Broja Patriarch. 
„Vergebens zeichnen ihn des strengen Satyrs Schläge, 
„Er achtet Striemen nicht und bleibt auf jeinen Wege; 








1 [96. Stüd. Dienftag, den 12 Auguft 1755.] 


em 


Aus: Berlinilche privilegirte Zeikung. 1755. 45 

„Und tadelt allezeit, jo bald ein groſſes Lied 

„Nicht an dem Boden Friecht umd feiner Zucht entflieht.” 
Hierauf nun wird fie von Germanien getröftet, welche ihre würdigern 
Söhne gegen die Anhänger ihres Widerfachers aufitellet; und folgender 
Maaſſen jchließt: > 

„— — — Nur erft nad vielen Jahren 

„Ward Miltons Werth beftimmt; umfonjt raſt Lauder nun. 

„Will wider Klopſtock nicht der deutihe Lauder ruhn; 

„So raj’ er! Ihn verfolgt durch alle meine Lande 

„Des strengen Satyrs Spott, und Yauders ganze Schande!” 10 

Amen! — — Wir glauben, daß wir von diefem vortreflichen 

Gedichte genug angeführt haben, die Lejer auf das Ganze begierig zu 
machen. Der Dichter Hat fich nicht nennen wollen; wie aber wenn er 
fi) auf der jechzehnten Seite eben dadurch genennt hätte, daß er ſich 
nicht genennt hat? Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und. in 15 
Potsdam 3 Gr. Auf gröffer Papier 4 Gr. 


Des Marcus Tullius Cicero,! Cato der ältere, oder 
Unterredungvom hohen Alter. Aus dem Lateinijchen mit 
Anmerfungen überjegt. Berlin und Potsdam bey Chr. 
Fr. Voß 1755. In 800. 6 Bogen. So reich unjere Zeiten an Ueber- 20 
jeßungen find, jo find doch Ueberjegungen Hafjiiher Schriftiteller noch 
immer jehr jeltne Erjcheinungen. Die Urſache ift Har. Das Franzöfiiche 
und Engliſche haben das Lateinische und Griechijche verdrungen; Schul- 
gelehrjamkeit heit Pedanterey und Schäßung der Alten Umverjtand in 
den Neuern. — Das Heine Werk des Cicero von dem hohen Alter 25 
iſt ein unfchägbares Stüd. Der Ton defjelben ijt ein ganz andrer, als 
der, welcher in unfern neumodijchen moraliſchen Aufjägen herrſcht. Hier 
überall Bernünftley, dort überall Vernunft; hier Flitterwiß, dort Scharf- 
finn; bier Gegenfäge, dort Wahrheiten; hier mit Farben überhäufte 
Schilderungen aus dem eignen Gehirne, dort practiiche Anwendungen 30 
der wahren Geſchichte. Bon dieſem Unterfchiede werden ſich auch aus 
gegenwärtiger Ueberjegung diejenigen überzeugen Fünnen, welche die Un— 
wifjenheit der Grundſprache von der nähern Bekanntſchaft mit den grofjen 
Geiftern des Alterthums ausschliefjet. Sie ift nicht das Werf eines 


1 (97. Stüd. Donnerftag, den 14 Auguft 1755.) 





46 Rus: Berlinifche privilegirte Zeikung. 1755. 





Schülers, welcher den Tert ungefehr in der Klaſſe einigemal hat erponiren 
hören; fondern eines Mannes, welcher eben jo viel Fritifche Einficht als 
Empfindung des Schönen dabey gezeigt hat. Sie ift nicht weniger zier- 
Yich al3 getreu, und erlaubt fich nur da einige Freyheit, wo ſie deut- 

5 Sicher ſeyn will, als das Original jelbit zu jeyn jcheinet. Dergleichen 
Stellen wird man bey der Vergleichung verfchiedne antreffen, wo die 
Ueberfegung, ohne aus ihren Schranken zu gehen, zugleich die richtigite 
Umſchreibung ift. 8. €. gleich in den erjten Hauptſtücke, wo die Beriode: 
Sed de caeteris diximus multa ete. die allernadhläffigjte und dem Cicero 

10 unanftändigite Verbindung macht, wenn man fie anders überjeßt, als e3 
unſer Verfafjer gethan hat. Ein Drudfehler it auf der 28 Geite ein- 
geichlichen, welchen wir auf Berlangen anzeigen, damit man ihn nicht 
für etwas anders als einen Drudfehler halte. Es muß nehmlich in 
der Note anjtatt senatus, seneetus gelejen, in der lebten Zeile das 

15 Wort jo ausgelöicht und nach den Worten zu Rom folgendes gejegt 
werden: mit einem dieſem ähnlichen und von einem gleiden 
Stamme herzuleitenden Worte, senatus genannt. Koſtet 
in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 2 Gr. 


Sammlung! einiger ausgeſuchten Stüde der Gejell- 

20 Schaft der freyen Künfte zu Leipzig. Zweyter Theil. Leip— 
zig verlegtS Bernd. Chr. Breitfopf 1755. In Son. 1 Alphb. 

9 Bogen E3 find folgende Aufjäße darinnen enthalten, deren ver- 
Ichiednen, bejonder3 denjenigen, welche die Namen Hommel, Wern3- 
dorf, Käftner und Titius ꝛc. an der Stirne führen, fein Unpar- 
25 theyischer ihren Werth abjprechen wird. 1. D. Hommels Abhandlung 
vom Urſprung des niedern Adels in Deutjchland. 2. Die genaue Ver— 
wandtichaft der Deutfchen Sprache mit der Nordiihen von M. Wellern. 

3. Sinav und Teuvor, ein ruffisches Trauerjpiel aus der franzöfiichen 
Ueberjegung überjeßt von Kölnern. 4. Yaurentii, Leben Herzogs 
30 Bhilipps zu Eleve. 5. M. Seyfert von der Unbeftändigfeit des guten 
Geſchmacks bey den Völkern. (Diefer Magijter weis es ganz zuverläflig, 
daß die Deutjchen den guten Geſchmack bereit3 gehabt haben. — Und 
wenn? Als der Gottſchediſche noch überall herrſchte. Daß er ji 
aber auch ſchon wieder verliere. — Und warum? Weil der Gott— 





1 (98. Stüd. Sonnabend, ven 16 Auguft 1755.] 


Rus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 47 
ſchediſche nicht mehr überall herriche.) 6. M. Pantkens Scäfer- 
ijpiel der beite Bater. (Die darinn redenden Schäfer find, die 
Nedlichkeit, die Dankbarkeit, die Zärtlichkeit, die Unſchuld, die Munter- 
feit, der Gehorjam, Warum nicht auch die heilige Einfalt, der mweib- 
lihe Reim, der männliche Reim, der Abjchnitt, und der Unſinn?) 
7. Des Baron von Schönaichs Verſuch über den Gebraud der Schilde. 
(Zum richtigen Verſtändniß diefer Abhandlung, welche auf eine jo luſtige 
als gründliche Art zu erörtern fucht, daß man die Schilde im Kriege 
wieder einführen folle, damit nicht jo manches ehrliches Mutterfind von 
den Kugeln erjchofjen werde, muß man folgendes wiljen: daß der Ver— 
faffer ſelbſt einige Monate Lieutenant unter den Küraſſirern gewejen, 
und alfo weis, was im Kriege vorgeht; daß er feinen Abjchied genommen, 
um auf jeinem Ritterfiße ruhig nachdenken zu fünnen, wie die Gefahr 
in demjelben am beiten zu verringern jey; daß er Willens ift, die Kunſt 
fich feit zu machen, zu erfinden, und den Vorſchlag von dem wiederein- 
zuführenden Gebrauche der Schilde der Welt nur ad interim gethan hat. 
Wenn jie ihn annimt, jo möchte die Welt jo bald feine Verſe mehr von 
dem Verfaſſer zu Iejen befommen. Man hat als Soldat feine Zeit dazu.) 
8. Wellers Beweis, daß die Deutjchen von den Sceythen nicht abjtammen. 
9. Reichels Ode, das Lob der Gottheit. 10. Gottſcheds Unter- 
juchung woher der Name jus feudale fomme. 11. Wernsdorf3 Unter: 


fuchung ob Bonifacius das Chriftenthbum um Leipzig gepflanzt habe. 


12. Ein Leichengedichte. 13. D. Hoffmanns Nachricht von der Herr: 
ſchaft Wiehe. 14. Reifjteing Gedanken zur Aufnahme der Zeichen: 
kunſt. 15. Ueber die Eigenliebe. 16. Gottſcheds Abhandlung von 
der PBeutingeriichen Charte. 17. M. Titius erneuertes hundertjähri- 
ges Andenken der Magdeburgifchen Verſuche. 18. Verſe vom Baron 
von Schönaidh. 19. Engelhardt deutjche Benennungen der in 
Kriegsjachen vorkommenden Sachen und Aemter. 20. Neichel3 Erweis, 
daß eim geiftlicher Nedner in der Schreibart fein Neuling jeyn folle. 
21. Eine Ode von Casparjon. 22. Sonnenfalb von einigen merf- 
würdigen Schriften B. Ningwalds. 23. Eines abwejenden Mitgliedes 
Bemerfung einiger Urjachen, warum das Heldengediht, Meſſias, nicht 
allgemeinen Beyfall erhalten bat. (So lautet die Auffchrift; im der 
Abhandlung jelbjt aber wird erwiefen, daß der Meſſias gar feinen 
Befall verdiene! Diejes abwejende Mitglied muß ein einfichtsvoller 


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30 


35 


48 Aus: Berlinifche privilegiete Zeikung. 1755. 








Mann jeyn.) 24. Eine Zabel. 25. Gottſcheds Unterfuhung ob 
Deutfchland oder Welſchland zuerjt griechiiche Schriften habe druden 
fünnen. 26. Lob der Boten von C. Fr. B. (Eine Spottrede hat. 
der Berfafler darüber gejchrieben.) 27. M. Kriegel von dem nordi- 

5 fchen Subelfejte der Alten. 28. Verhunzung einer Dde des Horaz vom 
Baron von Schönaid. 29. Käſtners Lebensbeichreibung Herrn 
Gottlob Mylius. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden bier und in rn 
dam 18 Gr. 


Stephan FZo0rd8,! PBredigers in London, erbaulide 
10 Abhandlung von der Sünde der Berleumdung und des 
Afterredens zum Drude befördert durh D. Iſaac Watts, 
und aus dem Engländiihen überjeßt von Elias Caspar 
Reihard, Lehrer an dem Barolino zu Braunſchweig. 
Braunfhmweig und Hildesheim bey Schröders Erben 1755. 
15 Sn 8vo. 20 Bogen Wenn ein Spötter jagen wollte, daß diejer 
Zractat vornehmlich dem Frauenzimmer jehr nützlich jeyn könne; fo 
würde er vielleicht eben dadurch wider den Inhalt dejjelben fündigen. 
Bir wollen alſo aufrichtiger zu Werke gehen, und ihn allen Menfchen, 
weß Standes, Gejchlehts und Alters fie auch find, mit der gewiſſen 
20 Berfichrung anpreifen, daß fie jehr heilig jeyn müßten, wenn fie durch 
Hülfe dejjelben gar feine Ader zum Afterreden bey fich entdeden follten. 
Der Berfafjer bringt, was er davon zu jagen bat, unter jieben Haupt- 
tüden, wovon die eriten zwey bloß als Einleitungen zu betrachten 
find, in welchen er von der Lauterfeit feiner eignen Abfichten handelt. 
25 In dem dritten fümmt er zur Sacde jelbit, und zeigt, was das 
eigentlich für eine Sünde jey, die er bier abmahle, bejtrafe und 
verdamme. In dem vierten erweilet er die Gröſſe und Abjcheulich- 
feit derjelben. In dem fünften handelt er von den Stuffen und 
Graden der Berleumdung. In dem ſechſten werden verjchiedne Fra— 
30 gen, Zweifel und Einwürfe beantwortet, und in dem fiebenden 
endlich fommen Ermahnungen und Anweifungen vor, wodurch die Lejer 
ermuntert und behutjam gemacht werden fünnen, diefe Sünde zu 
vermeiden. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 

6 Gr. 


ı [99, Stüd. Dienftag, den 19 Auguft 1755.] 








Aus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 49 





Daß! Luther die Lehre vom Seelenjhlaf geglaubt 
habe, in einem Sendjhreiben an den ungenannten Herrn 
Berfafjer der Abhandlung vom Schlafe der Seelen nad 
dem Tode, welche zu Halberitadt herausgefommen, un— 
widerjprehlih erwiejen von R. Franffurt und Leipzig 
1755. In Svo. 2 Bogen. E3 find dieſe Blätter eine weitere Aus— 
führung desjenigen, was der Verfafjer bereits in dem 3ljten Stüde der 
Erweiterungen über diefen Punkt gejagt hat. Er führet eine ziemliche 
Menge Stellen aus Lutherd Schriften an, in welchen allen der Seelen- 
ichlaf, den Worten nad), zu liegen jcheinet. Die meijten find aus dej- 
jelben Auslegung de3 eriten Buchs Moje genommen, welche für eines 
von feinen vollfommenjten Werfen gehalten wird. Was die Gegner auf 
alle diefe Stellen antworten werden, it leicht zu errathben. Sie werden 
jagen, daß Luther mit dem Worte Schlaf gar die Begriffe nicht verbinde, 
welche Herr R. damit verbindet. Wenn Luther jage, daß die Seele 
nach dem Tode jchlafe, jo denfe er nichts mehr dabey, als was alle 
Leute denfen, wenn fie den Tod des Schlafes Bruder nennen. 
Schlafen jey ihm bier nicht mehr als ruhen; und daß die Seele 
nach dem Tode ruhe, leugneten auch die nicht, welche ihr Wachen be— 
baupteten 2c. Ueberhaupt ijt mit Luthers Anjehen bey der ganzen 
Streitigfeit nicht3 zu gewinnen. Wenn beyde Theile für ihre alles ent- 
jcheidenwollende Orthodorie ein Flein wenig mehr Einficht in die Pſycho— 
logie eintaufchen wollten; jo würden beyde Theile auf einmal zum Still- 
jchweigen gebracht jeyn. Wollen fie aber ja zanfen, jo werden fie wohl 
thun, wenn fie wenigſtens bona fide zanfen, ohne auf der einen Seite 
mit päbjtiichen Sauerteige, noch auf der andern mit jeelenverderblichen 
Neuerungen um fich zu werfen. Auch Herr R. iſt nicht von allen Winfel- 
zügen frey; und wenigjtens ijt diejes ein jehr jtarfer, wenn er jagt, 
daß die Lehre vom Seelenwachen mit der Lehre vom Fegefeuer auf einem 
Grunde beruhe. Wenn er glaubt, daß die Seele im Paradieſe jeyn und 
dennoch jchlafen könne, (S. 13.) jo fünnte fie ja wohl auch im Fegefeuer 
jeyn, und dennoch jchlafen. Würde alfo das Fegefeuer nicht eben jo wohl 
mit dem Seelenjchlafe beitehen, als es mit dem Seelenwachen bejteht ? 
Man gebe Acht, ob diejes nicht alles auf ein Wortgezänfe hinauslaufen 


10 


15 


20 


25 


muß. Ein recht eigentliches Wortgezänfe aber ift es, welches er über 35 





1 [100. Stück. Donnerftag, den 21 Auguft 1755.] 
Zeffing, fämtlide Schriften. VII. 4 


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25 


30 


50 Aus: Berliniſche privilegirke Beilung. 1755. 








den Namen Pſychopannychiten erregt, den man a Seelenfchläfern 
bisher gegeben hat. Er fagt dieſes Wort bedeute eigentlih Seelen- 
wacher. Allein mit feiner Erlaubniß; es kann eigentlich feines von 
beyden bedeuten; denn rravvvyeos zeigt nur etwas an, was die ganze 
Nacht durch gejchieht, und fowohl derjenige, welcher die ganze Nacht 
durch fchläft, als der, welcher die ganze Nacht dur wacht, fanıı szav- 
vvxıog genannt werden. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und 
in Potsdam 1 Gr. 


Virginia! ein Trauerspiel von 3. ©. Patzke. Franf- 
furt und Leipzig verlegt3 oh. Chriſt. Kleyb 1755. In Son. 
5 Bogen. Man fann jedes deutjche Trauerjpiel von zwey Seiten be— 
trachten; als ein Trauerjpiel, und als ein deutſches Trauerjpiel. Als 
dieſes kann e3 oft einen ſehr grofjen relativiichen Werth haben, den es 
als jenes nicht hat. Es ijt ganz etwas anders über die Gottſcheds, 
Schönaichs, Grimms, Krieger3, DQuiftorp3 und Pietſchels 
erhaben jeyn, und ganz etwas ander unter den Corneillen einen 
Nang verdienen. Doch find zwiſchen diefen beyden äufjerjten Grenzen 
noch Stellen genug, die ein gute3 Genie mit Ruhm füllen fanı. Man 
würde unbillig jeyn, wenn man dem Herrn Patzke eine derjelben ab— 
Iprechen wollte. Es ijt fein erjtes dramatiiches Stüd. Und das erite 
dramatiihe Stüfd von Corneille? Oder das erite Trauerjpiel von 
Racinen? Hätte man, nach diefem zu urtheilen, wohl dem einen, 
oder dem andern die Höhe zugetrauet, die fie in der Folge wirklich er— 
reihten? — — Roitet in den all en — hier und in Pots— 
dam 5 Gr. 


Le Pyrrhonisme raisonable.” Nouvelle Edition revuö et augmentee 
avec quelques autres Pieces. ü Berlin chez Etienne de Bourdeaux 1755. 
In 12mo. Auf 284 Seiten. Diejed Werk des Herrn von Beaujobre 
beitehet aus 169 Baragraphen, in welchen allen auf ein vernünftiges 
Zweifeln gedrungen, und die Nothwendigkeit dejjelben durch eine Menge 
Beyjpiele von der Ungewißheit der menjchlichen Erfenntnis erhärtet wird. 
Dieje Beyjpiele find größten Theils eigne Einwürfe wider verjchiedne 





ı [101, Stüd. Sonnabend, den 23 Auguft 1755.] 
? [103. Stüd. Donnerftag, den 28 Auguft 1755.] 








Aus: Berlinifiche privilegirte Zeitung. 1755. 51 


Wahrheiten aus dem ganzen Umfange der Weltweisheit, und nicht jelten 
wider Örundwahrheiten, die von allen Schulen einmüthig angenommen 
werden. Es ijt feine merkliche Ordnung dabey beobachtet; denn Ord— 
nung würde bier viel zu dogmatijch gelajien haben. Der Ausdrud iſt 
der Sache angemefjen, kurz und feurig; aber auch oft epigrammatijc). 
Wenn man an den meilten Orten den Verfaffer bewundern wird, welchem 
nicht3 in der neuern Philoſophie fremd iſt, welcher ſelbſt denft und in 
manche Blöffen unſrer Spitematifer glücdlich trift; jo wird man auch 
diejenigen Stellen, ohne fein Nachtheil, bemerfen fünnen, wo man ihn 
allzuwigig und allzufeurig nad) eingebildeten Blöſſen jtofjen ſiehet. Unter 
dieje Stellen jcheinen ung unter andern der 97 und 98 Paragraph zu 
gehören, und wir glauben gewiß, daß Leibnitz den Tadel des Ver— 
fajjers für einen Lobjprucd würde genommen haben. Denn find nicht 
alle mathematische Wahrheiten identische Sätze? Und was kann ein 
Leibnitz mehr verlangen, al3 die metaphyſiſchen Wahrheiten jo gewiß 
zu machen, als die mathematischen? Dergleichen Einwürfe jcheinen eher 
von einem Mijologen al3 von einem Zweifler zu fommen. Zwar 
wer weis, ob wir jemals andere, als mijologische Zweifler gehabt haben? 
Es giebt Mifjologen, läßt Plato den Socrates irgendwo jagen, jo 
wie e8 Mijanthropen giebt. Die Mijanthropie und Mifologie fommen 
aus einer Quelle. Denn woher entjteht die Mijanthropie? Ein Menſch, 
der einen andern, ohne genugſame Unterfuchung, für aufrichtig und ges 
treu gehalten hat, jiehet, daß er es nicht ift. Er wird hintergangen, 
und abermals hintergangen. Endlich wird er ummwillig, daß er fich von 
denen betrogen findet, die er jeine beiten Freunde zu jeyn glaubte. Dieje 
waren falſch, jchließt er, alſo find alle Menſchen falſch. Folglich, da er 
nur einige haſſen jollte, haft er fie alle. Wie fih nun der Mifan- 
throp gegen die Menjchen verhält, jo verhält fich der Miſolog gegen 
die Gründe. Er hat diefen oder jenen mehr getrauet, als er ihnen 
hätte trauen jollen; er wird es gewahr, und nimt fich vor, gar feinen 
mehr zu trauen. Das war nicht wahr; drum ijt nichts ‚wahr. — — 
Die dem Werfe beygefügten Stüde jind ein Brief über die Glückſelig— 
feit der Menjchen, und die Rede, welche der. Berfafjer bey jeiner Auf: 
nahme in die Königl. Akademie gehalten hat. Beyde wird man mit 
feinem gemeinen Vergnügen leſen. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden 
hier und in Potsdam 10 Gr. 


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25 


35 


52 Rus: Berlinifche privilegirte Zeitung. 1755. 








Ueber die Empfindungen.! Berlin bey Chr. Fried. 

Voß 1755. In 800. 14 Bogen. Der Berfaffer diefer Schrift ift 
eben der, welchem wir die philoſophiſchen Geſpräche jhuldig find. Sie 
find durchgängig mit Beyfall aufgenommen worden. Wir wünfchten aber 
ſehr, daß man diejen Beyfall mehr auf den Inhalt, als auf die Art 
des Vortrags hätte gründen wollen. Waren denn abjtracte Gedanken 
in einer fehönen Einfleidung eine jo gar neue Erjcheinung unter ung, 
dab man bey der Anmuth der Tehtern die Gründlichkeit der erjtern 
überjehen durfte? Wären fie in den barbarijchiten Ausdrüden einer 
10 lateiniſch jcheinenden Sprache vorgetragen worden, jo würde man fie 
untersucht und beitritten haben. Warum unterblieb beydes, da fie 
deutsch, da fie ichön abgefaßt waren? it der Deutjche, wenn er ein 
gründlicher Kopf ift, jo gar düfter und allen Grazien jo gar feind; 
oder ift der Deutfche, wenn er ein ſchöner Geilt it, jo gar jeicht, 
15 daß jener nicht will, und diejer nicht kann? Unglück alsdenn für 
den, der beydes zugleih, ein gründlicher Kopf und jchöner Geift, ift! 
Er wird fich theilen müffen, um immer von feinen competenten 
Richtern gelefen zu werden. Er wird es, wenn er denfen will, ver— 
geſſen müſſen, daß er jchön ſchreiben kann; und wenn er ſchön jchreiben 
20 will, vergefjen müfjen, daß er denken fan. — — Dieje Betrachtung 
jollte uns faft bewegen, von der Einkleidung des gegenwärtigen Werks 
gar nichts zu jagen. Kaum diejes; daß es aus Briefen beitehe, in 
welchen überall der einmal angenommene Charakter des Schreibenden 
behauptet und die ganze Materie jo funftreich vertheilet worden, daß man. 

25 ſehr unaufmerffam feyn müßte, wenn fich nicht am Ende, ohne das 
Trodne der Methode empfunden zu haben, ein ganzes Syſtem in dem 
Kopfe zufammen finden jollte. Ein Syſtem der Empfindungen aber, 
wird denjenigen gewiß eine jehr angenehme Neuigfeit jeyn, welchen es 
nicht ganz unbefannt ijt, wie finjter und leer e3 in dieſem Felde der 
30 Pſychologie, der Bemühungen einiger neuen Schriftiteller ohngeachtet, 
noch bisher geweſen. Man hat es ohngefehr gewußt, daß alle angenehme 
und unangenehme Empfindungen aus dunfeln Begriffen entjtehen; aber 
warum fie nur aus diefen entjtehen, davon hat man nirgends den Grund 
angegeben. Wolf felbjt weis weiter nicht3 zu jagen, als diejes: weil 
35 ſie feine deutliche Begriffe vorausjegen. Man hat e3 ohngefehr . 


1 [106, Stück. Donnerftag, den 4 September 1755.] 


Qu 








Aus: Berlinifche privilegirte Zeikung. 1755. 53 








daß jich alles Bergnügen auf die Vorjtellung einer Vollkommenheit gründe; 
man bat es ohngefehr gewußt, daß Vollkommenheit die Uebereinſtimmung 
des Mannigfaltigen jey: allein man hat diefe Nebereinjtimmung mit der 
Einheit im Mannigfaltigen verwechjelt; man hat Schönheit und Boll- 
fommenbeit vermengt, und die Leichtigkeit, womit wir uns das Mannig- 
faltige in jenem vorjtellen, auch bis auf die finnlichen Lüfte ausdehnen 
wollen. Alles diejes aber ſetzt unſer Verfaſſer auf das deutlichite aus— 
einander. Er zeigt, daß das Vergnügen, welches aus der Schönheit 
entjpringet, auf der Einſchränkung unſrer Seelenfräfte beruhe, und alſo 
Gott nicht beygelegt werden fünne; daß ihm aber dasjenige, welches aus 
der Vollkommenheit entjtehet, und fich bey uns auf die pofitive Kraft 
unjrer Seele gründet, im höchiten Grade zufomme. Bon den finnlichen 
Lüften beweijet er, daß fie der Seele eine dunkle Vorftellung von der 
Bollfommenheit des Körpers gewähren; und da im der organischen Natur 
alle Begebenheiten, die mit einander verknüpft find, wechſelsweiſe eine 
aus der andern entjtehen fünnen, jo erflärt er daher den Urſprung des 
angenehmen Affect3, und zeiget, wie der Körper durch die finnliche Luft, 
den Abgang an Bergnügen erjege, den er durch die Verdunflung der 
Begriffe anrichtet. — — Alles dieſes ift nur ein Heiner Bli in die 
neue Theorie unjers Berfaflers, welcher zugleich bey aller Gelegenheit 
jeine philoſophiſche Einficht in diejenigen Künste und Wifjenjchaften zeigt, 
die unjre angenehme Empfindungen zum Gegenjtande haben; in die 
Dichtkunft, in die Mahlrey, in die Mufik, in die mufifalische Mahlrey 
des Farbenclaviers, bis ſogar in die noch unerfundenen Harmonien der- 
jenigen Sinne, welchen noch feine befondern Künſte vorgejeget find. Eines 
aber müſſen wir hauptjächlich nicht vergefjen; daß nehmlich der Verfafjer 
die Lehre vom Selbitmorde mit eingeflochten, und dieje ſchwierige Materie 
auf eine Art abgehandelt habe, wie fie gewiß noch nie abgehandelt worden. 
Er bemweijet nicht nur, daß den Gläubigen die Religion, und den Un— 


10 


15 


" 


20 


25 


gläubigen ſein eignes Syitem der Zernichtung nach dem Tode von dem 30 


Selbjitmorde abhalten müfje; jondern beweiſet auch, und diefes war ohne 
Zweifel das wichtigſte, daß ihn jo gar der Weltweife jich unterfagen 
müjje, welcher den Tod nicht al3 eine Zernichtung, jondern als einen 
Uebergang in eine andere und vielleicht glüclichere Art von Fortdauer 


betrachtet. Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 35 


8 Gr. 


10 


20 


30 


54 | Aus: Berlinifche privilegirte Zeikung. 1755. 





D. August Bertling3! Evangeliſche Andachten, welde 
ehemals in Ööffenlider Gemeine über die Sonn- und Feft- 
evangelia angeftellt, nunmehr aber zum allgemeinen Ge— 
brauch dem Druck überlaſſen worden Erſter Theil. Dan— 
zig 1755. In Verlag Joh Hein. Rudigers Man muß 
der Vorrede des Herrn Doctor jelbit nachlefen, wie wınderbar es 
die Vorſehung geſchickt, daß er fich endlich zur Ausgabe diefer Pre- 


digten entſchloſſen. Er will durchaus nicht, daß man fie für Reden 


halten joll, und behauptet jo gar, daß predigen und reden zwey 
ganz widerjprechende Dinge wären. Er weis es den alten Kirchenlehrern 
jehr wenig Dank, welche die Beredſamkeit zu erſt auf die Kanzel gebracht, 
und möchte lieber den einfältigen Bortrag der Apoftel zu einer Zeit 
wieder einführen, in welcher es weniger darauf ankömmt die Religion 
unter dem gedanflofen Pöbel auszubreiten, als die Wahrheit derjelben 
in dem Berjtande denfender Köpfe zu befeitigen. — — Der Jahrgang 
des Heren Doctor Bertlings geht bis auf den dritten Pfingjttag. Be— 
ſondere darin ausgeführte Materien find, z. E. die Lehre von der gött— 
lichen VBorjehung von ©. 294—335; die Lehre vom Abendmahle ©. 813 
und folg.; die Lehre von der Auferjtehung Chriſti ©. 875 und folg.; 
die Lehre vom Glauben ©. 847 und folg., und verjchiedene andre. Diejer 
erite Theil beträgt nicht mehr als 6 und ein halb Alphabet. Eine 
PBoitille von 13 Alphabet kann nicht ander als viel Erbauliches ent- 
halten! Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 1 Rthlr. 
20 Gr. | 


Anſpach.? Allhier wird noch jeßt in der Poſchiſchen Buchhand: 
fung ein moralifches Wochenblatt ausgegeben, welches den Titel der 
Freund führe. Schon vorige Oftermefje ift der zweyte Band davon 
fertig geworden, der, jo wohl wie der erite, aus ſechs und zwanzig 
Stüden, jedes von einem ganzen Bogen in Detav bejtehet. Man muß 
ihren Berfaffern das Recht wiederfahren laſſen, daß fie fich von allen, 
welche jebt in Deutſchland eben diefelbe Bahn mit ihnen laufen, jehr 
vorzüglich unterjcheiden. Ihre Moral iſt lauter und feine von den ab- 
getrojchenen; ihr Wi ift an Einfleidungen reich; ihre Satyre anjtändig 
und ihr Ausdrud, in der Proſe jo wohl als in der Poeſie, ungeziwungen 


1 [108. Stüd, Dienftag, den 9 September 1755.] 
? [110. Stüd. Sonnabend, den 13 September 1755.] 








Aus: Berlinifche privilegirke Reifung. 1755. 55 





ihön. Ihre edle Denfungsart beurtheile man aus folgenden Zeilen, 


mit welchen fie das zwey und funfzigite Stück ſchlieſſen. 


Du, die der Reimer flieht, die der Pedant entehrt, 

Du, Wahrheit! biſt allein, die Weiſe jchreiben lehrt, 

Ein Mann, der niedrig denkt, ſchreibt allzeit matt und jchlect. 
Ehrt ihn gleich jeine Zeit; die Nachwelt ijt gerecht. 

D Tugend, lehre mich erſt leben, und dann jchreiben, 

Beym Ernſt noch angenehm, beym Scherz noch edel bleiben. 
Nubt meine Schrift der Welt, nugt fie dem Baterland; 

Dann ſey mein Name gleich der Nachwelt unbekannt. 10 
Dann mag das blöde Volk den EChörilus erhöhen: 

Sch will ihn ohne Zorn und ohne Mißgunſt jehen. 

Nur der verdienet Ruhm, der feinen Ruhm begehrt. 

Nicht Wiſſenſchaft, nicht Wit, das Herz macht unſern Werth. 


or 


Sseder Theil Eojtet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 15 


1 Rtble. 2 Gr. 


3 8. ©. Jeruſalems Beantwortung der Frage, ob 
die Ehe mit der Schweiter Tochter, nah den göttliden 


Gejegen zuläffig ſey. Mit Anmerfungen erläutert von 


M. ©. Fr. Gühling, Ardhiadiac. zu Chemnig. Chemnitz 20 


in der Stöjjelihen Buhhandlung 1755. In 8vo. 8 Bogen. 
Es ijt befannt, daß der Herr Abt Jerujalem diefe Frage vor einiger 


Zeit bejaet hat. Die Schrift, welche er darüber abfaßte, handelte mit 


vieler Gründlichfeit und Ordnung folgende Punkte ab. Eritlih: Ob 


die Lev. XVIII und XX verbothene Ehen gegen das Recht der Natur, 
oder ein mwillführliches Gejeg Gottes find? Zweytens: Wenn diejes 
Geſetz nur ein willführliches göttliches Geſetz iſt, ob es dann jetzo gegen 
uns, al3 Chriſten, jeine völlige Verbindlichkeit noch habe? Drittens: 


1) 
a 


Wenn es diefe Verbindlichkeit noch hat, ob diejelbe fich dann nur über 


die ausdrücklich benannte Perſonen, oder über alle fich ähnliche Grade 30 
eritrede? Viertens: Wenn fie fich über die ähnlichen Grade erjtredt, 
ob die gemeldete Ehe mit der Schweiter Tochter unter die ähnlichen 
Grade wirklich mit gehöre. Und wenn auch diejes nicht ift, ob dann 
nicht wenigjtens der Wohlſtand der chriftlichen Religion dadurch beleidiget 





ı [112. Stüd. Donmerftag, den 18 September 1755.] 


55 Aus: Berliniſche privilegirte Zeikung. 1755. 





werde. Alle diefe Stüde waren von dem Herrn Abt in ein Licht gejebt, 
in welches man alle dergleichen ftreitige Punkte gejeßt zu wifjen wünſchen 
möchte, weil alsdann gewiß nicht wenig Ehen mit mehr Beruhigung 
der Gewiſſen und mit weniger Anftoß vollzogen werden fünnten. Dem 
5 ohngeachtet hat der Herr Abt den wenigſten Beyfall bey den Gliedern 
ſeines Standes erhalten, und auch jein jegiger Herausgeber, der Herr 
Arhidiaconus Gühling, iſt aus der Zahl derjenigen, welche ihn be- 
Ichuldigen, daß er mehr nachgegeben habe, al3 ein treuer Wächter iiber 
die göttlichen Gejege hätte nachgeben follen. Diejes num ift es, mas 
10 Herr Gühling in feinen Anmerkungen zu erhärten jucht, welche jeden 
Paragraphen der Jeruſalemſchen Abhandlung, mit Eleinrer Schrift bey- 
gefügt find, damit man Gründe und Gegengründe deito bequemer gegen 
einander aufwägen könne. Wir glauben aber ſchwerlich daß fich viel 
Lejer für die eine oder für die andre Geite eher bejtimmen möchten, 
15 als bis fie von einem äufferlichen Umſtande dazu angetrieben werden, 
da es noch immer Zeit genug für fie ſeyn wird, ſich bey diejer Streitig- 
feit, nach Maaßgebung ihres heimlihen Wunſches, auf etwas gewiſſes 
zu jegen. Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 6 Gr. 


Diejes Jahr! ift auch der fiebende Theil von des Herrn D. 

20 Chriſtoph Aug. Heumanns Erflärung des neuen Tejta- 
ments fertig worden. (Hannover in der Förſterſchen Buchhandlung. 
8vo. 1 Alphb. 17 Bogen.) Er enthält die Epiltel an die Römer, 
welche nach der befannten Art des Herrn Verfaſſers jo betrachtet und 
erläutert wird, daß man eine Menge andrer und auch der beiten Aus— 
leger dabey entbehren fann. In einer vorgejchicdten Einleitung zergliedert 
er den Brief überhaupt, und antwortet auf einige Fragen, die dabey 
vorfallen fünnen; 3. E. warum Paulus an die Chrijten zu Rom nicht 
einen Jateinifchen jondern einen griedhijchen Brief gejchrieben habe? 
Hierauf nimt er den Tert Vers vor Vers jelbit vor, und bringt haupt- 
30 jächlich das daben an, was er zur Rettung jeiner Ueberſetzung für dien- 
ih hält. Stellen wo er ſich ein wenig gezwungen zu haben jcheint, die 
gute Lutheriſche Ueberſetzung gleichfam zu überjteigern, um wenigjtens 
dem Anjehen nach etwas Neues zu jagen, wird man auch bier nicht 
vermifjen. Wenn, 3. E. im 2. Hauptitüde V. 5. Luther die Worte 


ı fıl4. Stüd. Dienftag, den 23 September 1755.] 


IS) 
Si 





Rus: Berlinifche privilegirke Beifung. 1755. 57 


Onoavgılaıs oeavroy ooyyv duch du häufeſt dir ſelbſt den Zorn 
überjegt bat; jo glaubt Herr D. Heumann, daß das Onoavgılcsın 
nicht genau genug ausgedrudt tworden, und redet, ich weis nicht von 
was für einem Schaße des Zornes Gottes, welcher eben fo reichlich über 
die Gottlojen fich ergieffe, al3 der Seegen Gottes über die Frommen. 
Gleichwohl aber iſt es gewiß, daß dieſes griechijche Zeitwort jehr oft 
nur jchlechterdingd vermehren heißt, ohne daß allezeit die bier an— 
jtöjfigen Nebenbegriffe, zurüdlegen, aufjummen lajfen, bey 
einem etwas am Brete haben, welde der Schaß des Zornes 
Gottes erweckt, damit verbunden find. Doch dergleichen Dinge find 
Kleinigkeiten, welche den hohen Werth der Heumannifchen Arbeit eigent- 
lich um nichts verringern. Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden bier und 
in Potsdam 18 Gr. 


Caspari Friderici Munthe,! Professoris gr. I. in Unmiversitate reg. 
Hafniensi, Observationes Philologicae in sacros novi Testamenti libros, 
ex Diodoro. Siculo collectae, una cum indice vocum Diodorearum, quibus 
Lexica locupletari et suppleri possunt. Hafniae et Lipsiae, sumtibus Peltii 
1755. In &o. 1 Alpbb. 12 Bogen. Die Arbeit des Raphelius 
über den Zenophon und Polybius, aus welchen er die Wörter und Nedens- 
arten, die mit den Wörtern und Redensarten des N. Tejtaments über: 
einfommen, zufammentrug und fie zur vichtigern Erklärung der legtern 
anwandte, ermunterte unſern Berfaffer zu einem ähnlichen Fleiffe. Er 
wehlte ſich in diefer Abficht den Herodotus; doch hier fam ihm eben 
diefer Raphelius zuvor. Weil er num nicht, etwas ſchon gethanes thun 
wollte, ob er gleich wohl jahe, daß ihm noch eine reiche Nachlefe übrig 
gelafjen worden; jo machte er fih an den Diodorus Siculus. Diefer 
Geichichtfchreiber , wie befannt, lebte nicht lange nach den Zeiten der 
Apoſtel, jo daß feine Schreibart, der Wahricheinlichfeit nach, von der 
Schreibart der Apoftel weniger unterfchieden jeyn fann, als die Schreib- 
art entfernterer Schriftjteller. Er ſchreibt übrigens ſehr einfältig, und 
befümmert fich mehr um den Nuten, den feine Leſer aus der Gejchichte 
ziehen fünnen, als um einen fchönen und fünftlihen Vortrag, dem er 
die allerungefuchtejten und gemeinsten Ausdrücke vorziehbt. Da nun diejes 
auch der Charakter der Apvitel, als Scribenten betrachtet, it, jo kann 


ı [115. Stüd. Donnerftag, den 25 Eeptember 1755.] 





oa 


10 


15 


20 


25 


30 


58 Aus: Berlinifche privilegirte Zeilung. 1755, 





man ficher vermuthen, daß man zur wörtlichen Erklärung des N. Teſta— 
ment3 aus den Diodorus mehr Hülfsmittel entlehnen fünne, als aus 
jedem andern Griechen. Die Ausführung des Herrn Profeſſor Munthe 
zeigt e3 auch in der That, welches jeder, dem dieje Art der Auslegungs- 

5 kunst nicht fremd iſt, eingejtehen wird. Er gehet die Bücher des N. 
Teftaments und ihre Abjchnitte nach der Reihe durch, und bringt überall 
jeine Diodoriſchen Parallelen an, die faſt nie diejenigen gemeinen Worte 

- betreffen, welche fein Scribent vermeiden kann, und die folglich alle mit 
einander gemein haben. Am Ende hat er noch ein alphabetifches Ver- 

10 zeichniß jolcher griechiichen Wörter beygefügt, die in den Lexicis, und 
befonders in des Stephanus feinem, entweder gar übergangen oder 
wenigjtens nicht hinlänglich bejtimmt worden. Koſtet in den Boffiichen 
Buchläden hier und in Potsdam 18 Gr. 


Sammlung! einiger Predigten von Johann Andreas 

15 Cramer, Königl. Dän. Hofprediger. Zwenter Theil. Ko: 
penhagen, verlegts Franz Chr. Mumme 1755. In Son. 

ı Alphb. 11 Bogen. In Ddiefem zweyten Theile fommen achtzehn _ 
Predigten vor, welche insgefamt, jowohl wie die Predigten des eriten 
Theil3, eines Mannes werth find, welcher mit den jchönen Wiſſen— 
20 Schaften eben jo bekannt, als mit der Weltweisheit und Theologie ift. 
Hier ift ihr Inhalt. 1. Von den göttlichen Abjichten der verjchiednen 
Austheilung feiner mannichfaltigen Gaben und Kräfte unter den Menfchen. 

2. Die Auferjtehung JEſu Chrifti, ermwiejen aus der Befehrung des 
Apoitels Bauli. 3. Bon dem Unterjchiede des Geſetzes und des Evangelii. 

25 4. Von dem Nuben des Geſetzes. 5. Wider das Laſter der Unreinigfeit. 
6. Bon der Nachahmung der Engel. 7. Von der Treue Gottes. 8. Von 
dem rechtjchafnen Verhalten des Chrijten gegen die guten Eigenjchaften 
und Tugenden jeines Nächſten. 9. Von dem nöthigen Wachsthume in 
der Erfenntniß der Religion. 10. Bon der Berbindung der Ehriften, 
30 Gott zu loben. 11. Von der Offenbarung der menfchlichen Gedanken 
und Handlungen am Tage des allgemeinen Gerichts durch Ehriftunt. 
12. Von der Hoheit des göttlichen Friedens der Gläubigen. 13. Bon 
der Erleuchtung der Welt durch Ehriftum. 14. Von der Enthaltfamfeit 
der Ehriften. 15. Bon den Leiden JEſu Chrifti am Delberge. 16. Von 


sfr, Stüd, Dienftag, den 30. September 1755.] 








Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 59 





den ſchrecklichen Folgen des Geiges. 17. Von der Nuchlofigkeit als einer 
Folge von den Laftern der Grofjen. 18. Von der Gabe Gottes in öffent- 
fihen allgemeinen Trübjalen. Kojtet in den Voſſiſchen Buchläden bier 
und in Potsdam 16 Gr. 


Der Eheitand,! eine Erzehlung, welde eine Menge 
wichtiger Begebenheiten in fih hält. Ausdem Engliſchen 
überjegt. Eriter Theil. Leipzig in der Weidemannifden 
Handlung 1755. In 8vo. 2 Alphb. E3 war in England vor 
einigen Jahren eine Barlamentsafte publicirt, in welcher die Heyrathen 
derjenigen Berjonen, die unter ein und zwanzig Jahren find, und fich 
ohne Einwilligung ihrer eltern, Verwandten oder Vormünder ehelich 
verbinden, für null und nichtig erklärt wurden. Dieſes Geſetz jahe die 
Engliihe Jugend al3 eine unüberlegte Kränfung ihrer Freyheit an, 
und es fanden ſich jogleih aus ihren Mitteln Federn, die es zu be— 
jtreiten unternahmen; ein Schijal, welchem wenig Barlementsaften ent— 
gehen. Bornehmlich ward gegenmwärtiger Roman in diejer Abficht ver- 
fertiget, der, wenn man aufrichtig urtheilen will, nichts anders al3 ein 
übelzufammenhängender Zuſammenhang ſolcher Begebenheiten iſt, in 
welchen allen diejenigen Ehen, die junge Leute, ohne vorhergegangenes 
Gutbefinden ihrer Aeltern jtiften, jehr glücklich, und diejenigen, in melde 
fie fich auf Anrathen der Ihrigen einlaffen müffen, ſehr unglücklich aus— 
ichlagen. Diejer Moral alfo wegen, wenn man anders eine folche Lehre 
eine Moral nennen kann, hat er den Titel der Ehejtand befommen, 
auf welchem fich noch die ziemlich pafienden Zeilen des Ovidius befinden: 

— — — taedae quoque jure coissent, 

Sed vetuere patres: quod non potuere vetare, 

Ex aequo captis ardebant mentibus ambo. 

Ohne Zweifel wird man nunmehr fragen: warum man denn aber einen 
jolchen einzig und allein auf den engliichen Horizont eingerichteten Roman 


10 


15 


” 


20 


überjeßt habe? Wahrjcheinlicher Weile hat den Ueberjeger die luſtige 30 


Laune verführt, mit welcher der Engländer den komischen Theil feiner 
Erdihtungen zu erzehlen weiß. Er it in vielen Stellen ein ziemlich 
glücklicher Nahahmer des Herrn Fieldings; und wenn er bey den 
rührenden Scenen nur eben jo glücklich den Herrn Rihardion hätte 





ı [120. Stüd. Dienftag, den 7 October 1755.] 


60 Aus: Berlinifche privilegirte Beifung. 1755. 


10 


15 


20 


30 





nahahmen können, jo würde man jeine unrechten politiichen Abfichten 
noch eher überjehen fünnen. Er iſt voll drolligter Gedanken, voll un- 
erwarteter Lächerlicher Gleichniſſe; kurz, er ift an allen dem reich, was 
die Engländer unter ihrem Worte Humor begreiffen: allein fo bald er 
ernjthaft und edel jeyn will, jo bald wird er jeicht und affectirt. Zur 
Probe jeiner pofjirlihen Schreibart kann folgende Stelle dienen: „Aber 
„wie gejchwinde verändert ſich doch das Glück! Es ift wie ein Floh, 
„der von einem Orte zum andern hüpft, fich im Blute fättiget und feiſt 
„wird, und zuleßt unter dem Daum eines Kammermädchens fein Leben 
„einbüßt; es gleicht einem Bilze der des Morgens früh auffchießt, und 
„zu Mittage in Königsarm verjpeifet wird; es ift gleih — — ja 
„gewiß, es iſt ein Ding von jehr Feiner Dauer, wie man denn in 
„furzem erjehen wird 20.” Das Wirthshaus, welches von dem UWeber- 
jeger hier Königsarm gemennt wird, hat im Driginal ganz gewiß 
Kings-arms geheifjen, welches er zum königl. Wappen und nicht 
im Königsarm hätte überjegen follen. Koſtet in den Voſſiſchen Buchläden 
bier und in Potsdam 16 Gr. 


Der Schwähßer,! eine Sittenfhrift aus dem Eng- 
lifhen des Herrn Rihard Steele Erfter Band. Leipzig 
in Yanfifhens Buhhandlung 1755. In gr. Svo. 2 Alphb. 
3 Bogen. Dieje Sittenfchrift, wie befannt, kömmt in der Zeitordnung 
noch vor dem Zuſchauer zu ftehen, und wenn fie ihm auch nach dem 
innerlichen Werthe vorzuziehen jeyn follte, jo hat man es wohl dem 
Rihard Steele am wenigiten zu danken. Er bediente fich der Bey- 
träge der jinnreichiten Köpfe feiner Zeit und befonders de3 Hrn. Am— 
brojius Philipps, fo daß der Vorwurf, den man ihm machte, als 
ob er fich meijtentheil3 nur mit fremden Federn ſchmücke, jo ungegründet 
eben nicht war. Doc was verjchlägt der Welt diejes jegt? Genug fie 
bat ein ſchönes Werk, und es kann ihr gleich viel jeyn, ob fie es von 
dem Rihard Steele ſelbſt, oder nur durch feine Vermittlung erhalten 
hat. Die gegenwärtige deutjche Ueberfegung ift nach der neueften eng- 
liſchen Ausgabe veranftaltet, die 1749 in vier Duodezbänden unter dem 
Zitel the Lucubrations of Isaac Bickerstaff herausgefommen ift. Man 
weis die Kleinen Händel, welche den Herrn Steele zur Annehmung des 





ı [121. Stüd. Donnerftag, den 9 October 1755.] 


Aus: Berlinifche privilegirte Beitung. 1755. 61 





Namens Biderstaf veranlaßt haben. Zwey von diefen Duodezbänden 
machen diejen erſten Band aus, und der zweyte joll fünftige Oftern nach- 
folgen. Die Ueberjegung jelbit jcheinet von einem Manne gemacht zu 
jeyn, der beyder Sprachen fundig tft, und ob fie gleich gewiſſe Schün- 
heiten, wo der Wit entweder in einer unüberjeglichen Anjpielung oder 
in einem eigenthümlichen Ausdrude der englischen Sprache liegt, weniger 
als das Driginal hat, jo iſt es doch augenscheinlich, daß fie weit treuer 
gerathen ſey, als die franzöfiiche Ueberjegung des Herrn la Chapelle, 
die nicht weiter al3 auf die erjten jechzig Stüde geht. Da fie aber 
dem ohngeachtet durch die hinzugefügten Noten einen befondern Werth 10 
erhalten, fo muß man dem deutjchen Ueberjeger verbunden jeyn, daß er 
fich diejelben, zur Bequemlichkeit feiner Leſer, zugeeignet hat. Kojtet in 
den Voſſiſchen Buchläden hier und in Botsdam 1 Rthlr. 8 Gr. 


or 


Briefe an Freunde! Littera non erubeseit. Cie. Danzig 
bey ©. Ch. Schufter. 20 Bogen In 8vo. Wir haben zwar, 15 
jeit einiger Zeit, verjchiedene gute Muſter des epijtolarifchen Styls er- 
halten; doc find derjelben noch lange nicht jo viele, daß man über die 
Bermehrung derjelben ungehalten werden dürfte. Die Klagen find über- 
haupt thörigt, die man über den Anwachs diejer oder jener Art von 
Schriften führet. Man fage nicht: ſchon wieder anafreontifche Lieder! 20 
jchon wieder Predigten! Sondern wenn man ja etwas jagen will, jo 
jage man: jchon wieder ſchlechte anafreontifche Lieder! jchon wieder 
Ihlechte Predigten! Nur das Schlechte wird durch die Menge noch 
ichlechter, und des Guten kann nie zuviel jeyn. Eben diejes wird auch 
bey den Briefen gelten, deren wenigſtens fiebenerley in dem jebigen 25 
Mekcatalogo zu finden find. Doch auch alsdenn noch, wenn fchon die 
meilten von ihnen nicht die beiten jeyn follten, wird man noch Urjache 
haben, gütig von ihnen zu urtheilen. Denn find fie nicht wenigjtens 
Beweiſe, daß die Bemühung, gute Briefe zu fchreiben, allgemeiner 
wird? — — Die gegenwärtige Briefe an Freunde find etwas mehr 30 
als dergleichen Beweiſe, und der größte Theil derjelben kann al3 glüd- 
fihe Mufter angepriefen werden, bis wir noch glüclichere befommen 
werden. Sie empfehlen ſich durch eine reine und fimple Schreibart, und 
durch feine und natürliche Wendungen. Wenn die ungenannten Freunde 





122. Stüd, Sonnabend, den 11 October 1755.] 


62 Aus: Berlinifche privilegirke Zeikung. 1755. 





des Verfaſſers der Welt durch etwas anders befannt würden, als da— 
durch daß fie jeine Freunde find; wenn es Berjonen wären, von welchen 
man auch Kleinigkeiten zu wifjen begierig iſt, jo würden die Briefe ſelbſt 
dabey unendlich gewinnen.. Diefen Vorzug haben zum Erempel die Briefe 
5der Sevigne, die man ganz gewiß mit ungleich wenigern Vergnügen 
fefen würde, wenn ihre Correfpondenten nicht die feinften und angefehen- 
ſten Berfonen eines blühenden Hofes gewejen wären. Koftet in den Voj- 
ſiſchen Buchläden hier und in Potsdam 8 Gr. e 


Ankündigung! einer Dunciade für die Deutjden. 

10 Nebſt dem verbeſſerten Hermann. Sero sapiunt Phryges. Frank— 
furt und Leipzig 1755. In 8vo. auf 6'1/; Bogen. Die Welt 
icheint zu verlangen, daß die Streitigkeiten im Reiche des Wibes nur 
immer mit den Waffen der lachenden Satyre geführet würden. Wenn 
fie es aber mehr als einmal geduldet hat, daß man ich auch der ſchimpf— 

15 lihen Waffen der Schmähjucht und Poſſenreiſſerey dabey bedienen dürfen ; 
jo wird fie e3 hoffentlich nicht übel deuten, wenn fie nunmehr einen 
Patrioten zu jchärfern greifen jiehet, die der Ernit eben fo mweit über 
die Satyre erhebt, al3 die Niederträchtigfeit jene unter die Satyre er- 
niedriget hatte. Und aus dieſem Grunde verjprechen wir der gegen- 
20 wärtigen Ankündigung einer Dunciade für die Deutichen am Ende, wenn 
man alle Umfjtände wird überlegt haben, eine gütigere Aufnahme, als 
fie einigen zu ſehr nachjehenden Weiſen, wegen der durchgehends darinn 
herrichenden Strenge, bey dem erjten Anblide verdient zu haben jcheinen 
möchte. Es iſt wahr; „die Erjcheinung, wie unjer Verfaſſer jagt, it 
25 „unglaublich, daß eine ganze Nation, in deren Schooß die Wifjenjchaften 
„und die Freyheit zu denken blühen jollten, die fait von allen Seiten 
„mit gejitteten und geijtreichen Nationen umgeben tjt, die ſich eines Leibnitz 
„rühmen kann, — — fich von einem Fleinen Haufen Idioten ohne Talente, 
„ohne Einsichten, ohne Geſchmack, jo jehr hat betriegen laſſen fünnen, 
730 „daß fie den willführlichen und verdorbenen Geſchmack diefer Leute, die 
„in Frankreich oder England nicht einmal unter den Dunſen einigen 
„Rang befommen hätten, blindlings angenommen und zur Regel gemacht; 
„daß ſie diefe Schwachen und unfähigen Köpfe für groſſe Geilter, und 
„ihre blöden, unförmlichen, und vernunftlofen Werke für ausgemachte 





ı [123. Stüd, Dienſtag, den 14 Detober 1755.] 


Aus: Berlinilche privilegirte Reifung. 1755. 63 








„Meifterjtücde gehalten, fleiljig gelejen, gelobt und nachgeahmet; daß fie 
„dieſen Leuten ein Anjehen, eine Dictatur zugejtanden, die ihnen Macht 
„gegeben, eine ganze Reihe von Jahren, dem Sens-commun Hohn zu 
„Iprechen, die Jugend zu verführen, und den Geſchmack an geiftlofen 


„unwißigen und unnüslichen Schriften, die weder den Verjtand aufklären, | 


„noch das Herz rühren, noch die Sitten bilden, fajt allgemein zu machen.“ 
— — 63 iſt wahr, diefe Erjcheinung iſt unglaublich; aber wie wenn 
fie ſich auch niemals ereignet hätte? Wie, wenn es nicht wahr wäre, 
daß Gottjched und feine Anhänger jemals in einem fo allgemeinen 
Anſehen geitanden hätten? Wie wenn man dem gröffern Theile der 
Nation, welcher ein zeitiges Stillichweigen beobachtet hat, und fich des— 
wegen öffentlich wider niemanden erklären wollte, weil er ſich noch für 
niemanden erflären konnte, mit folchen allgemeinen Beichuldigungen Un— 
recht thäte? Alles diejes könnte leicht jeyn; gleichwohl aber befennen 
wir ganz gern, daß man auch auf der andern Seite Grund habe, au 
dem Dajeyn eines Dinges zu zweifeln, das fich noch durch feine Wirkungen 
gezeigt hat. Wir wollen alfo nur wünjchen, daß diefe Wirkungen nun 
wenigjtens nicht länger ausbleiben mögen; und wenn wir uns in unfern 
Bermuthungen nicht triegen, jo werden fie fich vielleicht, über lang oder 
furz, am derjenigen zweyten Klaſſe äufjern, von welcher auf der 12ten 
Seite ziemlich verächtlich geiprochen wird. — — Mehr wollen wir hier 
von einer Schrift nicht jagen, der es ohnedem an Lejern nicht fehlen wird. 
Koftet in den Voſſiſchen Buchläden hier umd in Potsdam 6 Gr. ! 





IIn der Berlinifhen Zeitung vom 18. Oktober 1755, in der Anzeige des dritten Stückes von 
Leſſings Theatralifcher Bibliothek, findet ſich folgende Außerung: „Bir wünſchen, daß der Herr 
Verfaſſer eine periodiihe Schrift noch lange fortfegen möge, die fo viel zur Aufnahme des Ge— 
ſchmacks beytragen muß. Wir wünſchen diefes um fo viel mehr, da ihm die jegige Veränderung 
feines AufentHaltS vielleicht Hinderniffe in den Weg legen könnte 2c.”] 


— 


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20 


64 Franz Bufihelons Silfenlehre der Pernunff. 





Franz Hukcheſons 
der Rechte Dockors und der Weltweisheit Profeſſors 


wı Glasgom 


Sikkenlehre der Bernunft, 
aus dem Engliſchen überfeßt, 
Erfier Band. 


Mit Königl. Pohln. und Churfl. Sächl, allergn, Privilegiv. 


Teipzig, bey Johann Wendler, 1756, 
[Seite 372, Anmerfung.]? 


Man jehe den Arijtoteles im lezten Abſchnitte des dritten Buchs 
jeiner Sittenlehre ; und den Antonin im zehnten Abjchnitt des zweyten 
Buchs jeiner Betrachtungen über ich jelbit. Wir wollen den Lejern 
diefe leßtere Stelle, nah Hoffmanns deutſcher Ueberſetzung, 
mittheilen: Wenn Theophrajt eine Vergleichung zwiſchen den Sünden 
anjtellt, giebt er den Ausjchlag als ein weiſer Mann, indem er jagt: 
daß die Sünden, die aus der Luft entitehen, gröfjer find, als die, jo 
aus dem Born herfommen. Denn der Bornige jceheint, feiner Bernunft, 
wider Willen, und mit einem heimlichen Berdrus, entgegen zu handeln; 
da hingegen der, jo den Lüften nachhängt, und von der Wolluft fich über— 
winden läſſt, weit unmäjfiger und weibiſcher in feinen Fehlern wird. 
Dahero gejteht er mit Recht, und der Weisheit zu Ehren, daß eine 





1 [4 unpaginierte Blätter und 522 Seiten 8°; laut dem Meßkatalog zur Oſtermeſſe 1756 erſchienen.] 
2 [Zu der Behauptung, es bemweife eine edlere Stärfe der Tugend, wenn jemand fich durch Furcht 
oder Zorn nicht zu einem Unrecht verleiten ließe, als wenn er finnliche Begierden überwinde, bie 
ihn zur Sünde reizten. Das englifche Driginal bat in der Ausgabe, nach der Leffing überjegte 
(Zondon 1755 in 40 mit einer Borrede von William Leechman, unterzeichnet vom 24. Dezember 1754), 
nur (S. 246): „See Aristot. Ethic. Nicom, 1, III. c. ult. and Antonin. 1, II. c. 10.* Auch jonjt 
gab Leffing öfters Citate, auf die das englifche Original nur furz hinwies, ausführlihd nad dem 
Wortlaut des Grundtertes oder einer Ältern deutjchen Überfegung an, jo ©. 282 ff. mehrere Berje 
aus Lucrez und Birgil, ©. 352 und 375 verſchiedne Bibelftellen, ohne jedoch bier, wie in der oben 
mitgeteilten Anmerkung, einen Zwiſchenſatz eigner Prägung einzufchieben.] 





Franz Bufchelons Siffenlehre der Vernunft. 65 


— — — 





Sünde, mit Luſt begangen, gröſſer und ſtrafbarer ſey, als die, ſo mit 
Schmerzen oder Traurigkeit vergeſellſchaftet iſt. Gewis, ein Zorniger 
giebt zu verſtehen, daß er beleidiget worden, und daß der erlittene Schmerz 
ihm die Gemüthsbewegung abzwingt. Hingegen neigt ſich der Wollüſtige, 
von freyen Stücken, zur Ungerechtigkeit, um ſeine Begierden zu ver- 5 
gnügen. 





Franz Butcheſons 
der Rechte Dorckors und der Welkweisheit Profeſſors 
zı Glasgow 


Sittenlehre Der Vernunfk, 10 
aus dem Englilhen überfeht. 
* BAmeyfler Band. 


mit Rönigl. Pohln. und Churfl. Sächſ. allergn. Privilegio, 
Leipzig, bey Iohann Wendler, 1756.* 


[Seite 714, Anmerfung.]? 15 


Durch äufferliche Rechte fcheint der Verfaſſer jolche zu verjtehn, 
die nicht in der Natur gegründet, aber durch eine lange Gewohnheit 
dazu geworden find; oder durch gewiſſe Formeln, die nach der einmal 
eingeführten Gewohnheit, ein Recht gründen fünnen, ihre Stärke er- 
halten. Der Ueb. 20 





1 [Titelblatt und Seite 529—1019 in 8%; laut dem Meßkatalog zur Oſtermeſſe 1756 erjchienen.] 

2 [Zu dem Sas, ein Anlaß zum Ausbruch von Streitigkeiten fei e3, wenn von zwei Parteien „jede 
auf ihre vollkommne oder Aufferlihden Rechte dringt, die mit einigen Schwierigkeiten verfnüpft find“ 
(S. 142 des Originals „on their perfect or external rights“).] 





Leſſing, fämtlihe Schriften. VII. 5 


66 Pers Beren Jacob Thomfon ſämkliche Trauerlpiele. 





Peg 


Berrn Jacob Thomfon 
ſämkliche 


Trauerſpiele. 


J. Sophonisbe. III. Eduard und Eleonora. 
I. Agamemnon. IV. Tanıred und Sigismunda. 
V. Corivlan. 


Aus dem Enalilhen überleßt, 


Mit einer Borrede von 
10 Gokkhold Ephraim Teking. 
Leipzig, 
In der Weidemannifihen Bandlung, 1756.! 


Borrede, 


Das Vergnügen, diefe Heberjegung der Thomſonſchen Trauer: 
15 fpiele der Welt, als Vorredner, anpreifen zu können, habe ich dem 
gütigen Zutrauen eines Freundes zu danken. 

Es wäre zu früh, wenn ih mich fchon jelbit ausschreiben wollte, 
und bey dieſer Gelegenheit, anderwärts*) zujammengetragne Nac)- 
richten, von dem Leben und den Werfen diejes englijchen Dichters, 

20 nochmals an den Mann zu bringen ſuchte. ES wäre aber auch wider 
die Klugheit eines eben nicht zu reichen Schriftitellers, wenn ich mir 
hier eine Materie wegnehmen, oder wenigitens verjtümmeln wollte, Die 


*) Sn dem Ijten Stüce der theatraliichen Biblioth. 





1 [14 Seiten Titel und Vorrede und 440 Seiten 8%; laut dem Meßfatalog zur Oſtermeſſe 1756 er— 
ſchienen. Nah dem Gothaer „TheatersKalender, auf das Jahr 1780”, ©. 131 f. war die Über⸗ 
ſetzung ſelbſt von einer gelehrten Geſellſchaft in Stralſund veranſtaltet worden, die noch 1780 unter 
dem Namen der engliſchen Geſellſchaft daſelbſt beſtand.] 





Des Beren Jarob Chomſon ſämtliche Trauerfpiele. 67 








ich, nach aller möglichen Ausdehnung, zu einer Fortſetzung jener Nach— 
richten beſtimmt habe. 

Man erwarte hier alſo keine kritiſche Zergliedrung irgend eines 
von dieſen Meiſterſtücken, an die ich den Leſer, ſelbſt zu kommen, nicht 
lange aufhalten will. Nur das außerordentliche Vergnügen, mit welchem 
ich ſie geleſen habe, und noch oft leſen werde, will und kann ich nicht 
verſchweigen. Mäßigung genug, wenn es mich nicht ſchwatzhaft macht! 

Auch die, unter den deutjchen Kennern der ächten Dichtkunft, 
welche unjern Thomjon in jeiner Sprache nicht veritehen, willen es 
ſchon aus der wohlgemeinten Ueberjeßung des jel. Brodes, daß 
fein Weltalter in feinem Lande, einen mehr mahleriſchen Dichter auf: 
zumeijen habe, als ihn. Die ganze fichtbare Natur it jein Gemählde, 
in welchem man alle heutere, fröhliche, ernite und jchredliche Scenen 
des veränderlichen Jahres, eine aus der andern entjtehen, und in die 
andre zerfließen ſieht. 

Nun iſt aber das wahre poetiiche Genie fich überall ähnlih. Ein 
Sturm ift ihm ein Sturm; er mag in der großen, oder in der Kleinen 
Welt entjtehen; es mag ihn dort das aufgehabene Gleichgewicht der 
Luft, oder hier die geitörte Harmonie der Leidenjchaften verurſachen. 
Vermittelit einerley ſcharfen Aufmerkſamkeit, vermittelit einerley feurigen 
Einbildungsfraft, wird der Dichter, der diefen Namen verdient, dort ein 
jtilles Thal, und hier die ruhige Sanftmuth; dort eine nach Regen 
lächzende Saat, und hier die wartende Hoffnung; dort die auf reiner 
Waſſerfläche ietzt fich jpiegelnde, ießt durch neidiſche Wolfen verdunfelte 
Sonne, und hier die jympathetiiche Liebe und den mißgünftigen Hab; 
dort die Schatten der Mitternacht, und hier die zitternde Furcht; dort 
die Ihwindelnde Höhe über jchredliche Meerjtrudel herhangender Feljen, 
und hier die blinde fich herabjtürzende Verzweiflung, allemal gleich 
wahr und gleich glüdlich ſchildern. 

Diejes Vorurtheil Hatte ich für den tragiihen Thomſon, nod 
ehe ich ihn kannte. Set aber iſt es fein bloßes Vorurtheil mehr; 
fondern ich rede nach Empfindung, wenn ich ihn, auch in diejer Sphäre, 
für einen von den größten Geijtern halte. Denn wodurd jonjt find 
dieje, was fie find, als durch die Kenntniß des menschlichen Herzens, 
und duch die magische Kunft, jede Leidenjchaft vor unjern Augen ent- 
jtehen, wachjen und ausbrechen zu laſſen? Diejes ijt die Kunjt, dieſes 


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68 Pers Beren Jacob Thomlon ſämkliche Trauerlpiele. 





ift die Kenntniß, die Thomjon in möglichiter Vollkommenheit beſitzt, 
und die fein Arijtoteles, fein Corneille lehrt, ob fie gleich dem 
Gorneille jelbjt nicht fehlte. Alle ihre übrigen Regeln können, aufs 
höchite, nichts als ein ſchulmäßiges Gewäſche hervorbringen. Die Hand» 
(ung iſt heroiſch, ſie iſt einfach, fte tft ganz, fie ftreitet weder mit der 
Einheit der Zeit, noch mit der Einheit des Orts; jede der Perſonen 
hat ihren bejondern Charakter; jede Ipricht ihrem bejondern Charafter 


gemäß; es mangelt weder an der Nüglichkeit der Moral, no an dem 


10 


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— 


19) 


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35 


Wohlklange des Ausdrucks. Aber du, der du dieſe Wunder geleiſtet, 
darfſt du dich nunmehr rühmen ein Trauerſpiel gemacht zu haben? 
Ja; aber nicht anders, als ſich der, der eine menſchliche Bildſeule ge— 
macht hat, rühmen kann, einen Menſchen gemacht zu haben. Seine 
Bildſeule iſt ein Menſch, und es fehlt ihr nur eine Kleinigkeit; die Seele. 

Ich will bey dieſem Gleichniſſe bleiben, um meine wahre Meinung 
von den Regeln zu erklären. So wie ich unendlich lieber den aller— 
ungeſtalteſten Menſchen, mit krummen Beinen, mit Buckeln hinten und 
vorne, erſchaffen, als die ſchönſte Bildſeule eines Praxiteles ge— 
macht haben wollte: ſo wollte ich auch unendlich lieber der Urheber 
des Kaufmanns von London, als des ſterbenden Cato ſeyn, 
geſetzt auch, daß dieſer alle die mechaniſchen Richtigkeiten hat, deren— 
wegen man ihn zum Muſter für die Deutſchen hat machen wollen. 
Denn warum? Bey einer einzigen Vorſtellung des erſtern find, auch 
von den Unempfindlichiten, mehr Thränen vergofien worden, als bey 
allen möglichen Vorftellungen des andern, auch von den Empfindlidhiten, 
nicht können vergoſſen werden. Und nur diefe Thränen des Mitleidg, 
und der fich fühlenden Menjchlichkeit, find die Abficht des Trauerfpiels, 
oder es kann gar feine haben. 

Hiermit aber will ich den Nußen der Regeln nicht ganz leugnen, 
Denn wenn es wahr it, daß auf ihnen die richtigen Verhältniſſe der 
Theile beruhen, daß das Ganze durch fie Ordnung und Symmetrie 
befömmt; wie es denn wahr iftz ſollte ich wohl lieber mein menſch— 
liches Ungeheuer, als einen lebendigen Herkules, das Mufter männ- 
liher Schönheit, erjchaffen haben wollen? 

Ih age einen lebendigen Herkules, und nicht einen leben- 
digen Adonis. Denn wie die gedoppelte Anmerkung ihre Richtigkeit 
hat, daß Körper von einer allzumweichlichen Schönheit jelten viel innere 


Des Beren Jacob Thomfon Jämtliche Trauerfpiele. 69 








Kräfte beiigen, und daß hingegen Körper, die an diejen einen Weber: 
fluß haben, in ihrer äußern Proportion etwas gelitten zu haben ſcheinen: 
jo wollte ich lieber die nicht zu regelmäßigen Horazier des Peter 
Corneille, als das regelmäßigite Stüd feines Bruders, gemacht 
haben. Diejer machte lauter Adonis, lauter Stüde, die den ſchönſten 5 
regelmäßigiten Plan haben; jener aber vernachläßigte den Plan zwar 
auch nicht, allein er wagte e3 ohne Bedenken, ihn bey Gelegenheit 
wejentlihern Vollkommenheiten aufzuopfern. Seine Werfe find jchöne 
Herkules, die oft viel zu jchmächtige Beine, einen viel zu Kleinen 
Kopf haben, als es das Verhältniß mit der breiten Bruft erforderte. 10 

Ich weis, was man hier denken wird: „Er will einen Engländer 
„anpreifen, drum muß er wohl von den Regeln weniger vortheilhaft 
„Iprechen.” Man irrt ſich vor Ddiejesmal. Thomſon ift jo regel: 
mäßig, als jtark; und wem diejes unter uns etwas neues zu hören 
it, der mag es einer bekannten antibrittiichen Barthey von Kunjt- 15 
richtern danken, die uns nur allzugern bereden möchte, daß es, unter 
allen engliſchen Tragddienjchreibern, der einzige Addiſon einmal, 
regelmäßig zu jeyn, verjucht, bey feiner Nation aber feinen Beyfall 
damit gefunden habe. 

Und gleichwohl ift e8 gewiß, daß auch Thomjon nicht allein, 20 
wie ich es nennen möchte, franzöſiſch, ſondern griechiſch regel: 
mäßig it. Ich will nur vornehmlich zwey von feinen Stüden nennen. 
Seine Sophonisbe ift von einer Simplicität, mit der fich jelten, 
oder nie, ein franzöfiicher Dichter begnügt hat. Mean jehe die So— 
phonisbe des Mairet und des großen Gorneille. Mit welder 25 
Menge von Epifoden, deren feine in der Gejchichte einigen Grund hat, 
haben fie ihre Handlung überladen! Der einzige Trijjino, deſſen 
Sophonisbe, als in Stalien, nad langen barbarijchen Jahrhun— 
derten, die Wiſſenſchaften wieder aufgingen, das erſte Trauerjpiel war, 
it mit dem Engländer in diefem Punkte, welchen er den Griechen, den 30 
einzigen Muſtern damals, abgelernt hatte, zu vergleichen. 

Und was joll ich von feinem Eduard und Eleonora jagen? 
Diejes ganze Stück ift nichts als eine Nachahmung der Alcejte des 
Euripides; aber eine Nachahmung, die mehr als das jehönjte ur- 
prüngliche Stück irgend eines Verfaſſers bewundert zu werden verdient. 35 
Ich kann es noch nicht begreifen, durch welchen glüdlichen Zufall, 


Ye Des Berrn Jarob Chomſon ſämkliche Crauerſpiele. 





Thomjon in der neuern Gejchichte die einzige Begebenheit finden 
mußte, die mit jener griechischen Fabel, einer ähnlichen Bearbeitung 
fähig war, ohne das geringite von ihrer Unglaublichfeit zu haben. Ich 
weis zwar, daß man an ihrer hiftorichen Wahrheit zweifelt, doch dieſes 
thut zur Sache nichts; genug daß fie unter den wirklichen Begeben- 
heiten Statt finden könnte, welches fi) von der, die den Stoff der 
griehiihen Tragödie ausmacht, nicht jagen läßt. Es iſt unmöglich, 
daß Nacine, welder die Alcejte des Euripides gleichfalls mo— 


derniſiren wollen, glüdlicher, als Thomjon, damit hätte jeyn können. 


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35 


Doch genug von dem Dichter jelbit. Jh fomme auf die gegen- 
wärtige Ueberjegung, von welcher ich nur diejes zu jagen weis. Sie 
hat verjchtenne Urheber, die aber über die beite Art zu überfegen, ſich 
jehr wohl verglichen zu haben jcheinen. Wenn fie fich über die beite 
Art der Rechtichreibung eben jo wohl verglichen gehabt hätten, jo 
würde ich den Lejer, im Namen des Verlegers, nicht erjuchen dürfen, 
den kleinen Webelftand zu entjchuldigen, eine gedoppelte Art derjelben 
in einem Bande gebraucht zu jehen. 

Eines wollte ih, daß fie bey ihrer Heberjegung nicht weggelafien 
hätten; nehmlich die zu jedem Stüde gehörigen Prologen und Epilogen. 
Sie find zwar nicht alle vom Thomjon jelbit; fie enthalten aber alle 
jehr viel artiges, und die Epilogen, die von ihm felbit find, eifern 
größten Theils wider den gewöhnlichen burlesfen Ton der englichen 
Epilogen bey Trauerfpielen. 

Den einzigen Prologen des Coriolans, desjenigen Stüds, 
welches exit nad) dem Tode des Verfaſſers gejpielt ward, kann ich mid) 
nicht enthalten bier ganz zu überjegen. Er jchildert den moraliichen 
Charakter des Dichters, welchen näher zu fennen, dem Lejer nicht gleich- 
gültig jeyn fann. Er hat den Heren Lyttleton zum Verfaſſer, und 
der Schauspieler, welcher ihn herjagte, war Herr Duin. Diefes iſt er: 

„Ich komme nicht hierher, eure Billigkeit in Beurtheilung eines 
„Werks anzuflehen, deſſen Verfaſſer, leider, nicht mehr ift. Er bedarf 
„feines Borjprechers; ihr werdet von jelbjt die gütigen Sachwalter des 
„Beritorbnen jeyn. Seine Liebe war auf feine Parthey, auf feine 
„Sekte eingeichränft; fie erjtreckte fich über das ganze menschliche Ge- 
„ſchlecht. Er liebte jeine Freunde — verzeiht der herabrollenden Thräne. 
„Ach! ich fühle es; hier bin ich fein Schaufpieler — Er liebte feine 





Pers Berrn Jarob Chomſon ſämkliche Trauerfpiele, 71 





„Freunde mit einer joldhen Inbrunſt des Herzens, jo rein von allem 
„Eigennuge, jo fern von aller Kunft, mit einer jo großmüthigen Frey- 
„beit, mit einem jo jtandhaften Eifer, daß es mit Worten nicht aus: 
„zudrüden ift. Unſre Thränen mögen davon jprechen. O unverfäljchte 
„Wahrheit, o unbeflecdte Treue, o männlich reizende und edel einfältige 
„Sitten, o theilnehmende Liebe an der Wohlfahrt des Nächiten, wo 
„werdet ihr eine andre Bruft, wie die feirtige, finden? So war der 
„Menſch — den Dichter fennt ihr nur allzuwohl. Oft hat er eure 
„Herzen mit ſüſſem Weh erfüllt, oft habt ihr ihn, in diefem vollen 
„Haufe, mit verdientem Beyfalle, die reinften Gejege der jhönen Tugend 
„bredigen hören. Denn feine feufche Mufe brauchte ihre himmlische 
„xeyer zu nichts, als zu Einflößung der edeliten Gelinnungen. Kein 
„einziger unfittlicher, verderbter Gedanke, Feine einzige Linie, die er 
„‚terbend, ausitreichen zu können, hätte wünjchen dürfen! O möchte eure 
„günftige Beurtheilung dieſen Abend noch einen andern Lorbeer hin- 
„zuthun, jein Grab damit zu jhmüden! est, über Lob und Tadel 
„erhaben, vernimmt er die Schwache Stimme des menschlichen Ruhms 
„nicht mehr; wenn ihr aber denen, die er auf Erden am meiften liebte, 
„denen, welchen jeine fromme Borjorge nunmehr entzogen ift, mit 
„welchen jeine freygebige Hand und jein gutwilliges Herz, das wenige, 
„was ihm das Glüd zukommen ließ, theilte, wenn ihre diefen Freunden 
„durch eure Gütigfeit dasjenige verichafft, was fie nicht mehr von ihm 


„empfangen können, jo wird auch noch ießt, in jenen jeligen Wohnungen, 


„ſeine unfterbliche Seele Bergnügen über diefe Großmuth empfinden.“ 
Die legten Zeilen zu verjtehen, muß man fi aus dem Leben 

des Dichters erinnern, daß die von der Vorftellung ihm zufommenden 

Einkünfte feinen Schweitern in Schottland gegeben wurden. 





or 


10 


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72 Taw, Eine ernfihafle Ermunferung an alle Chriſten. 





Eine ernſthafke Ermunkexung 
an alle Chriſten. 


zu einem frommen und Heiligen Leben. 
Bon William Law. A. M. 
5 Aus dem Engliſchen überleht. 
| Leipzig, 
In der Weidemannilihen Bandlung, 1756. ! 


Vorberichk. 


Von dem Verfaſſer dieſes Werks weis der Ueberſetzer deſſelben 

10 weiter nichts, als daß er ein Prediger in Irrland irgendwo geweſen, 

und ſich auch noch durch andre Schriften bekannt gemacht hat. Er hat 

von der chriſtlichen Vollkommenheit, Anmerkungen über 

die bekannte Fabel von den Bienen, von der Unzuläßigkeit 

der Schaubühne geſchrieben, und ſich auch ſonſt in den Toland— 
15 ſchen und andern Streitigkeiten bekannt gemacht. 

Die gegenwärtige Ermunterung hat er zu Londen 1729, ohne 
Borrede, ans Licht geitellet. Man will fie aljo auch im Deutjchen mit 
einem Stüde unvermehrt laffen, welches der Verfaffer für unnöthig 
erkannt bat. Jeder Lejer mag e8 nad feinen eignen Empfindungen 

20 bejtimmen, was fie für einen Rang unter den geijtlihen Büchern ver- 
dienet. Sie weitläuftig anpreijen, würde eben das jagen, als ob man 
an jeiner andächtigen Aufmerkſamkeit im voraus zweifeln wollte. 





1 [8 unpaginierte Blätter Titel, Borberiht und Inhalt und 608 Seiten 8%; laut dem Meßkatalog 
zur Dftermefje 1756 erihienen. Karl ©. Leifing, ©. E. Leſſings Leben (Berlin 1793), erzählt, Zeifing 
babe nur vier bis fünf Bogen dieſes Buches, den Reit aber Chriftian Felix Weiße überjegt. Dazu 
bemerkt Lachmann: „Die Erzählung in Leſſings Leben I, ©. 198 kann Zweifel erregen, ob diejer 
Vorbericht von ihm ift. Inzwiſchen Hat nad den alten weidmannifhen Handlungsbüchern Leifing 
das Honorar für das ganze Werk erhalten, Weiße nichts. Dieje Notiz verdankt der Herausgeber 
Herrn ©. Hirzel.” Nah Redlichs Vermutung bezieht fich jene Angabe Karl Lefjings jedoch auf die 
Überfegung der „Andaht3sUebungen” der Fran Rowe, während die Schrift Laws wohl ganz von 
G. €. Leſſing felbft übertragen worden ift. Auch zeigt die Sprache in den ſpätern Abſchnitten der 
Berdeutfhung gegenüber der Ausdrucksweiſe im Anfang des Buches feine merklichen Unterſchiede. 
Eigne Anmerkungen des Überjegers find nirgends beigefügt. Vgl. aud Br. V, ©. 373, Anne] 


Brn. Samuel Richardfons Sitfenlehre für die Jugend. 73 








Bın. Samuel Rühardfons 


Perfallers der Pamela, der Clariſſa und des Grandilons 


Sittenlehre für die Jugend 


in den auserleſenſten Helopilihen Fabeln 


mit dienlüchen Betrachkungen zur Beförderung der Religion und 5 
der allgemeinen Menſchenliebe vorgeftellet. 


Mit Kupfern. 
Mit Kön. Poln. und Churfürſtl. Sächf. Privileg. 
Leipzig, in der Weidmannilihen Bandlung, 1757.' 


Borrede des Ueberſehers. 10 


Aejopus, die wahren oder fabelhaften Umftände feines Lebens, 
die Einrihtung und Nüslichkeit feiner Fabeln, die lange Neihe feiner 
Nahahmer 2c. würden für einen VBorredner, der ein Vergnügen daran 
fände, die allerbefannteiten Dinge zu jagen, ein jehr ergiebiges Thema 
jeyn. In der Hoffnung aber, dab niemand bier juchen werde, was 15 
man überall finden kann, glauben wir dem Leſer blos anzeigen zu 
dürfen, wie der berühmte Name eines Rihardion für ein Bud 
fomme, das gänzlich dem Gebrauche und dem Unterrichte der Kinder 
bejtimmt ift. 

Roger Leitrange ift bey den Engländern der berühmteite 20 
Compilator Aeſopiſcher Fabeln. Er hat deren einen ganzen Folianten 
herausgegeben, fünfhundert an der Zahl; und in der Folge, auf Ans 
halten des Verlegers, noch einen zweyten Band hinzugefügt. Seine 
Schreibart wird von feinen Landsleuten für eine der reinjten und meifter- 





1 [4 unpaginierte Blätter Titel und Vorrede, 368 Seiten und 4 Blätter Regifter 89; laut dem Meß— 
fatalog zur Dftermefje 1757 erfhienen. Eine „Zwehte Auflage” erihien im gleihen Umfange zu 
Leipzig 1761, ebenjo eine „Dritte Auflage” zu „Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich. 1773”; 
eine vierte 1783; eine „Sechfte Auflage”, jedoch ohne Leſſings Vorrede, zu München 1806. Da ver- 
mutlich Leffing die Korrektur der fpätern Auflagen nicht ſelbſt überwachte, wurde dem folgenden 
Abdrud die Ausgabe von 1757 zu Grunde gelegt.] 


10 


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— 


[9] 


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35 


74 Brn. Samuel Richardſons Sitkenlehre für die Jugend. 





hafteften gehalten; und jeine Weiſe zu erzehlen für leicht, munter und 
voller Laune. Auch in dem Hauptwerfe läßt man ihm die Geredhtig- 
feit wiederfahren, daß feine Anwendungen und Sittenlehren paflend, 
nicht abgedroichen, nachdrücklich und gemeinnüßig find. | 

Doch fanden fich Leute — und wo findet ein guter Schriftiteller 
dergleichen Leute nicht? — welche einen bejjern Geihmad zu haben 
glaubten, weil fie einen andern hatten, als das zufriedne Bublicum. 
Ein gewiller ©. Eroral, um feinen eignen Geburthen Platz zu jchaffen, 


befam den liebreichen Einfall, die Fabeln des Leftrange, weil er fie 


nicht jo grade zu für elend ausgeben wollte, als gefährlich zu ver- 
ſchreyen. Ihr Verfaſſer, verficherte er, habe fich nicht als ein recht— 
Ihaffner! Britte, jondern als ein Feind der Freyheit, und ein ge- 
dungner Sachwalter des Pabſtthums und der uneingeſchränkten Gewalt 
in diefem Werfe erwieſen, welches doch für eine freygebohrne Jugend 
geſchrieben ſeyn follte. 

Dieſem Vorwurfe nun, ob er gleich der gegründeſte nicht iſt, 
find wir die gegenwärtige Arbeit des Herrn Richardſons ſchuldig. 
Er wollte ihm, mit der gewifjenhafteiten Genauigfeit, abhelfen, und 
daher theils diejenigen Fabeln, welchen Leſtrange, nicht ohne Ge— 
waltjamtfeit, eine politiiche Deutung gegeben, auf allgemeinere Lehren 
wieder zurück bringen, theils diejenigen, welche feine andre, als politische 
Anwendung litten, mit aller möglichen LZauterfeit der Abfichten? bes _ 
arbeiten. ; 

Sp weit ging des Herrn Richardſons erites Vorhaben. Bey 
der Ausführung aber fand er, daß es nicht undienlich jey, fich weitere 
Grenzen zu jeßen. Er ließ einen guten Theil weg, alles uehmlich, 
was mehr ein lächerlihes Mährhen, als eine lehrreihe Fabel war; 
er gab vielen, auch von den nieht politiſchen, einen beſſern Sinn; 
er verfürzte; er änderte; er jeßte hinzu; furz, aus der Adoption, ward 
eine eigne Geburt. 

Und hiervon wird ſich auch ein deutſcher Lejer überzeugen können, 
wenn er ſich erinnern will, daß ein großer Theil der Fabeln des 
Leſtrange, bereit3 vor vielen Jahren, in unſre Sprache überſetzt 
worden. Man jtelle die Vergleihung an, und fie wird gewiß zum 
Vortheile der gegenwärtigen ausfallen. 


1 rehhtichaffener [1761. 1773] 2 Abficht [1761. 1773] 





et. 
J 
4 


Brn. Samuel Richardſons Sittenlehre für die Augend. 75 





Wer wird fi auch einkommen lafjen, etwas für mittelmäßig zu 
halten, wobey der unfterbliche Berfafler der Bamela, der Clariſſa, 
des Grandijons die Hand angelegt? Denn wer fann es beiler 
willen, was zur Bildung der Herzen, zur Einflöllung der Menjchen- 
liebe, zur Beförderung jeder Tugend, das zuträglidhite iſt, als er? 5 
Oder wer kann es beijer willen, als er, wie viel die Wahrheit über 
menschliche Gemüther vermag, wenn jie fich, die bezaubernden Neize 
einer gefälligen Erdichtung zu borgen, herabläßt? 

Es ift durchaus unnöthig, ſich in eine weitläuftigere Anpreifung 
einzulafjen. Noch weniger wollen wir einen Bellegarde, deſſen 10 
Fabeln jebt am meijten in den Händen der Kinder find, mit einem 
Richardſon zu vergleihen wagen; denn der Engländer würde fich, 
nach der Art der alten römischen Tribune, mit Recht beichweren fönnen, 
se in ordinem cogi. 

Man bat bey der Ueberjegung nichts weggelafjen, als das Leben 15 
des Hejopus. In Anfehung des Neußerlichen aber, hat fie vor dem 
engliichen Originale, jo wohl was die Kupfer als den Drud anbelangt, 
einen großen Vorzug befommen. Einem Buche für Kinder, haben 
die Verleger geglaubt, müſſe nichts fehlen, was Kinder reizen könne. 
Leipzig, den 17 März 1757. 20 


5 


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76 Aus: Biblivfhek der ſchönen Millenfchaften und der freyen Künffte, 





| Aus: 
Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchafken 
und der Freyen Rünſte.“ 


Die Nicolaijhe Buchhandlung? hat des Hrn. Nericauft 
Destouhes und Franz Regnards ſämmtliche theatraliiche Werke, 
jene in vier Theilen, und diefe in zwey Theilen, deutfch geliefert. Ob 
gleich die Werfe des Geiſtes am beiten in der Sprache gelejen werden, 
in der fie gejchrieben find, jo haben doch Ueberſetzungen, bey denen, 
welche entweder der Sprache der Urfunde nicht mächtig find, oder fich 
durch die Koftbarfeit ausländiſcher Ausgaben abjchredfen laſſen, immer 


ihren Werth. Die Ueberjeßungen fremder dramatifher Stüde, follten 


wenigjtend den Nuten haben, eine gewiſſe Gattung von Original 
ftüden von unſerer Bühne zu vertreiben, in melden man nad den 
Regeln jähnen? muß, und die wohl noch dazu ihre erträgliche "Stellen 
eben den Ausländern zu danfen haben, denen fich ihre unwiſſende Ver— 
fafjer gern gleich jegen möchten. Sollten gegenwärtige Ueberjegungen 
auch nur Gelegenheit geben, einige Meijterjtüde von Destoudes, 
welche bey uns noch beynahe ganz unbekannt find, 3. B. den ver- 
hbeyratheten Bhilofophen und den jungen Menſchen, derdie 
Probe aushält, nebit Regnards Menehmen und Spieler 
auf unjere Schaupläße zu bringen, fo würden wu der Ueberſetzer 
al3 der Verleger viel Dank verdienen. 


Eben da wir diejes jchreiben,* erhalten wir einige Blätter, die 
Herr Utz jelbit zu jeiner Vertheidigung drucken laſſen. Sie führen den 
Zitel: Schreiben des Verfafjers der lyriſchen Gedichte an 


1 [Zeipzig, verlegts Johann Gottfried Dyd. Die drei erften Bände, auf die fich Leffings litterariſcher 
Anteil befhränft, erichienen 1757 und 1758 in je zwei Stüden, Band I zu 3 unpaginierten Blättern 
und 434 Seiten, Band II zu 5 Blättern und 440 Seiten, Band III zu 3 Blättern und 408 Seiten 80; 
dazu fam ein Anhang zu dem erjten und ziwehten Bande von XXIV und 190 Seiten und 11 Blättern 
Regifter. Eine zweite Auflage diefer Bände, deren Drud aber Leffing nicht ſelbſt überwachte, er- 
Ihien zu Leipzig 1760—1762 in 8.] 

? [Erjten Bandes zweytes Stüd, 1757. ©. 403. Ziveite Auflage 1761.] 3 gähnen [1761] 

* [Erften Bandes zweytes Stüd. 1757. ©. 421—426. Ziveite Auflage 1761.] 





— —— 


Aus: Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften und der freyen Rünſte. 77 








einen Freund. Der Berfafler wagt es in diefem poetischen Schreiben 
an den Herrn G** einen abermaligen Traum zu erzählen, der an fich 
ganz fimpel ift, aber jehr wichtige und mwohlgejagte Wahrheiten enthält. 
Er erkennt es, daß er durch feinen erjten Traum in ein Wefpenneft ge- 
jtört habe, und ift nur froh, daß Weipen feine Löwen find, 

Sonft würde längſt jein blutiges Gebein 

In Staub zermalmt, wo nicht verichlungen jeyn. 
Noch aber, den bejjern Muſen jey Dank! lebt er 

— — und träumt’, und jah die Pierinnen, 

Den Phöbus auch: ihm folgten die Göttinnen, 

Auf einen Berg, der jchatticht fich erhob: 

Calliope jang! unfers Helden Lob, 

Sie fang entzücdt, ihr kriegriſch Auge brannte; 

Ein Jüngling fam, den Phöbus faum erfannte, 

Er ging zum Gott mit wilden Ungejtüm, 

Nicht mehr als Freund; und redete vor ihm! 

Wie lang verderbt, mit liederlichen Scherzen, 

Dein Dichtervolf, die Sitten und die Herzen? 

Berruchter Schwarm von Sardanapals Art! 

Auch der trank Wein und falbte feinen Bart. 

D Schande! Soll von unerlaubten Dingen, 

Bon Lieb und Wein der Deutjche jauchzend fingen? 

Der ſchnöde Wis, der ftrafbar füße Ton 

Gefällt im Gleim und im Anafreon ? 

Sit Hagedorn in aller Schönen Händen? 

Und alter Staub ſoll Epopeen jchänden, 

Die Iehrreich find? D Tugend, fleuch bethränt, 

Bon einem Bolf, das ach! beym Noah gähnt! 
Sp klagte der Jüngling, jeufzte, fchimpfte, drohte; Apollo aber ſchwieg 
und wäre fortgegangen, wenn nicht Erato dem hönifchen Kläger geant- 
wortet hätte: 

Welch ſchwacher Geift, hört ich die Mufe? jagen, 

Will vom Parnaß die Gratien verjagen ? 

Sit niemand weis, als wer nur immer weint, 

Ein finjtrer Kopf, dem Schwermuth Tugend fcheint? 


1 fand [1761] ? Mufen [1757. 1761] Mufe [Originalausgabe des „Schreibens“ von 114] 





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78 Aus: Biblivfhek der ſchönen Willenfchaffen und der freyen Rünſte. 





Männer von den ungejcholtenjten Sitten, fährt fie fort, haben wie 
der Tejer gejungen, ohne deswegen wie der Tejer zu leben. Die 
Menge erbärmlicher Lieder von Lieb! und Wein, die Deutjchland jest? 
hat, find nicht ſowohl böje, als jchlecht, und verdienen daher mehr 
5 des Kenners Spott, als des Zeloten Fluch. Warum jollte fi der 
Weiſe alle finnlihe Luft verfagen? Warum follte er nicht ein Mäd- 
hen artig finden, den edlen Wein trinken, und trinfend in fröh— 
fiche Lieder ausbrechen dürfen? Wenn er font Gott in feinem Amte 
dient und unbefledt lebt, jo ilt jeine Wolluft mehr Tugend, als des 
10 Schwärmers Fromme Milzjuht. Bon einem Teichten Scerze, von 
einem jchalfhaften Bilde, auf ein verruchtes Herz fchließen, ift die grau— 
ſamſte Unbilligfeit; bejonder wenn. der Dichter nicht immer in lydiſch 
weichen Tönen fingt, jondern eben fo oft Mäßigung und Unfchuld, 
Geduld und Zufriedenheit, als Chloen und den Wein erhebt. — Die 
15 Muſe macht von den Gedichten, in welchen man nur Scherz zu finden 
glaubt, und wider Vermuthen verſteckten Ernſt antrift, ein vortreff- 
fihes Bild: 
Der Süngling geht in diefen Myrthenſträuchen, 
Dem Dichter nach, der Freude nachzufchleichen: 
20 Er ſucht nur Luft, und höret überall 
Der Weisheit Ruf, nicht bloß die Nachtigall: 
Sp wandelt ißt, wenn in dem lauen Lenzen, 
Arkadiens beblühmte Fluren glänzen, 
Ein junger Hirt mit jeiner Schäferinn 
25 Und Arm in Arm, durch Auen fröhlich hin. 
Das muntre Baar jcherzt, lacht und will nur küſſen! 
Wenn plöglich fi vor feinen leichten Füßen, 
Im Ichönften Thal, ein marmorn Grab erhebt, 
| Der Daphne Grab, die gejtern noch gelebt. 
30 Der Schäfer ſtarrt, tiefjinnig jteht die Schöne; 
Ihr helles Aug umwölket eine Thräne; 
Sie feufzt gerührt: it ung der Tod jo nah? 
Der Jugend ſelbſt? Und in Arkadia? 
Die Muje rücdt dem Jünglinge weiter vor, daß er, und die Seinigen, 
35 nur lehren wolle, und nicht zu gefallen wiſſe. 


1 Liebe [1761] 2 ist [1761] 





Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaffen und der freyen Künſte. 79 





Ihr ſuchet Lob und lobet, die euch loben; 

Auf andre wird die Geifel aufgehoben. 

Man Tießt euch nicht! ihr werdet böß und jagt, 

Daß niemand mehr nach guten Sitten fragt. 

Doch Gellert wird gelejen und verehrt, 5 

Obgleich fein Lied die reinſte Tugend lehrt. 

Die Jugend lernt fein reizend. Lehrgedicht. 

Ihr lehret auch; doch reizend ehrt ihr nicht. 
Hierauf ſucht ihm Erato ein Vorurtheil zu benehmen, das bey vielen 
gutherzigen Gemüthern zur Wahrheit geworden ift. 10 

Der Stoff allein macht feine Meiſterſtücke: 

Der Bildung Kunft! vergnüget kluge Blicke. 

Wär jeder groß, der uns die Tugend preift, 

So wär Hann Sachs der Deutjchen größter Geift. 

Ein Jupiter ift prächtig anzufchauen, 15 

Den Bhidias in Marmor ausgehauen: 

Der Donnergott, noch jchredlih auch im Stein, 

Nimmt jedes Herz mit heilgem Schauer ei. 

Doch zweifle nicht, daß, außer unter Wenden, 

Ein Liebesgott, von eines Mirons Händen, 20 

Den Kennern auch, und mehr gefallen kann, 

Als Jupiter von Meifter Zimmermann. 

Hier Fonnte jich der Jüngling nicht mehr halten: 

Die jtolze Stirn umwölfte Grimm und Falten: 

Er jtund und ſchwur dem heidniichen Parnaß, 25 

Den Muſen felbit, auf ewig feinen Haß. 

Er gieng erzürnt: ich ſah ihm nach und lachte, 

So dreift und laut, daß ich vom Schlaf erwachte. 
Diejes ijt der Traum, und nun macht Herr Uß eine kurze Anwendung 
auf ji. „Wenn ein Dichter, jagt er, in einer Anmerkung, an feinem 30 
„poetischen Charakter angegriffen wird: jo kann er fchweigen, und der 
„Belt das Urtheil überlaffen, ob feine Verje gut oder fchlecht find. 
„Wenn hingegen fein moralijcher Charakter angegriffen wird; jo muß er 
„lich vertheidigen. Kann er gleichgültig bleiben, wenn ein parthepifcher 
„Haß die entferntejten Gelegenheiten, feine Sitten verdächtig zu machen, 35 
1 Der Bildungskfunft [1757. 1761] 








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„berbeyzieht; die verehrungsmwirdigiten Gottesgelehrten, wenn es möglich 
„wäre, zu Werkzeugen feiner Rachbegierde zu machen, und ich unter 
„der Dede der Religion zu verbergen juht? Ein fanatiicher Eifer ift 
„anitekend. Weil die Deutjchen jeit einigen Jahren in der Liebe zur 
„Iherzenden Dichtkunſt ausgejchweift haben, jollen fie nun in dem Haße 
„wider diejelbe ausjchweifen. Cine ruhige Weisheit lehret auch Hier 
„den anjtändigen Mittelweg finden, den die blinde Leidenschaft allezeit 
„verfehlt. ”“ — Wir wollen noch eine andere Anmerfung herjegen, in 


welcher Herr U beweifet, daß der heilige Wieland felbft zuweilen 


ichalkhaft ſchildert. „In den Briefen von Berjtorbenen an hinterlaßne 
„Freunde ©. 21 malet die jelige Lucinda ihre noch lebende Freundin 
„Narciſſa alio: 
Jetzo fibet Narciſſa, von blumichten Büſchen verborgen, 
Auf der Bank von Violen, und ohne den Zaubergürtel, 
Schön wie Armida, von tauſend Amoretten umgeben: 
Wolluſttrunken, den Arm um ihren weißen Nacken umſchlingend, 
Klebt Jocaſto an ihren ſchwellenden Lippen: die Büſche 
Rauſchen von lüſternen Seufzern umher, die ſchwimmenden Augen 
Sehn nur Entzückung um ſich. — 
„Ein Gemälde, welches mit einer Scene zwiſchen Lesbien und Selimor, 
„im dritten Buche des Siegs des Liebesgottes, viel Aehnlichkeit hat.“ — 
In den letzten Zeilen leget Herr Utz ſein nochmaliges Bekenntniß von 
der Poeſie derjenigen Herren ab, die er durch ſein Urtheil ſo ſehr wider 
ſich erbittert hat. 
Die ſchreiben ſchön, die gleich den Alten ſchreiben: 
Sollt ihr Geſchmack nicht unſer Vorbild bleiben? 
Wer ihn verläßt, verläßt auch die Natur, 
Verläßt mit ihm der wahren Weisheit Spur. 
Wie traurig iſts, daß Deutſche dich verlaſſen, 
Und, o Natur, der Regeln Herrſchaft haſſen. 
Schmink iſt ihr Reiz, ihr Witz iſt Künſteley: 
Sie fallen ab, ich bleibe dir getreu. 
Ich ſchwör es dir bey Hagedorns Altären! 
Er iſt entrückt zu glänzend höhern Sphären: 
Doch Deutſchland brennt, auf ewigem Altar, 
Dem Weihrauch an, der Deutſchlands Zierde war. 


Aus: Bibliothek der ſchönen Wilfenfihaften und der freyen Künſte. 81 








Auf jeinem Pfad joll meine Muſe wandeln, 

Und follte mich der gröbjte Spott mishandeln! 

Ich ſchweige nun und flieh aus einem Streit, 

Wo Thorheit ſchmäht und faljcher Eifer fchreit. 
Kann ein Mann, der den billigen Theil des Bublicums völlig auf feiner 
Seite hat, einen beſſern Entichluß faffen ? 


Sm Lager bey PBrag.! Unter dem Artikel von Berlin haben 
wir, auf der vorhergehenden 404 Seite, zwei Siegeslieder eines preußi— 
ſchen Officiers angeführt; und unter diefem wollen wir dem Lejer zwey? 
ähnliche aber weit bejjere Geſänge mittheilen, die einen gemeinen Sol- 
daten zum Berfafjer haben. Der erjte, welcher uns nur gejchrieben zu 
Händen gefommen, ijt bey Eröffnung des dießjährigen Feldzuges, von 
ihm gejfungen worden, und heißt ein Schlachtgeſang. Der zwente ift 
ein Siege3lied nad der Schladht bey Prag (den 6ten May 1757) 
und man hat ihn auf einem Bogen in Quart abgedrudt, dejjen Titel 
den oben vorgejegten Ort angiebt. Sie fünnten beyde weder poetifcher 
noch Eriegrifcher? jeyn; voll der erhabenften Gedanken, in dem einfäl- 
tigften Ausdrude. In der gewijjen Ueberzeugung, daß fie gefallen müfjen, 
und daß fich unjre auswärtige Lejer nicht an Dinge jtoßen werden, die 
der Berfaffer als ein Mann jagt, der die Gerechtigkeit der Waffen feines 
Königes vorausjegen muß, rüden wir fie hiermit ganz ein: 

I Schladtgejang. 

Auf, Brüder, Friedrich unjer Held, 
Der Feind von fauler Friſt, 
Ruft uns nun wieder in das Feld, 
Wo Ruhm zu holen ift. 

Was joll, o Tolpatih und Pandur, 
Was joll die träge Raſt? 
Auf und erfahre, daß du nur 
Den Tod verfpätet haft. 

Aus deinem Schedel trinfen wir 
Bald deinen ſüßen Wein 





1 [Erjten Bandes zweytes Stüd. 1757. ©. 426—429. Zweite Auflage 1761.] 2 zween [1761] 
2 friegerifcher [1761] 
Leſſing, fämtlide Schriften. VII. 6 


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Aus: Biblivfhek der ſchönen Wiſſenſchafken und der freyen Rünffe, 








Du Ungar! Unjer Feldpanier 
Sol ſolche Flaſche jeyn. 

Dein ſtarkes Heer ift unjer Spott, 
Sit unjer Waffenjpiel; 
Denn was kann wider unfern Gott 
Th’ md BIN 

Was helfen Waffen und Geſchütz 
Im ungerechten Krieg ? 
Gott donnerte bey Lobeſitz, 
Und unfer war der Sieg. 

Und böt uns in der achten Schlacht 
Franzos und Ruſſe Truß, 
So lachten wir do ihrer Macht, 
Denn Gott iſt unſer Schub. 


I. Siegeslied. 


Victoria, mit uns ift Gott, 
Der stolze Feind liegt da! 
Er liegt, gerecht ift unfer Gott, 
Er liegt, Victoria! 
Zwar unfer Bater ift nicht mehr, 
Jedoch er jtarb ein Held, 


Und ſieht nun unfer Siegesheer, 


Bom hohen Sternenzelt. 

Er ging voran der edle Greif, 
Bol Gott und Vaterland! | 
Sein alter Kopf war faum jo weiß, 
Als tapfer jeine Hand. 

Mit muntrer jugendlicher Rraft 
Ergriff jie eine Fahn, 

Und hielt jie hoch an ihrem Schaft, 
Daß wir fie alle Jahn. 

Und jagte: Kinder, Berg hinan, 

Auf Schanzen und Geſchütz! 


ı [Statt diejer Zeile 1761 nur:] * * * 


Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Künſte. 83 





Wir folgten alle, Mann vor Mann, 
Geſchwinder, wie der Blitz. 

Ach, aber unjer Vater fiel, 
Die Fahne fiel auf ihn. 
D, welch glorreiches Lebensziel, 
Glückſeliger Schwerin! 

Bielleicht hat Friedrich dich bemweint, 
Indem er uns gebot; 
Wir aber jtürzten in den Feind, 
Zu rächen deinen Tod. 

Du, Heinrich, warejt ein Soldat, 
Du fochteit königlich! 
Wir jahen alle, That vor That, 
Du junger Löw auf dich! 

Der Bommer und der Märfer jtritt, 
Mit rechtem Chrijtenmuth. 
Sein Schwerd ward roth, auf jeden Schritt 
Floß ſchwarz Bandurenblut. 

Aus ſieben Schanzen jagten wir 
Die Mützen von dem Bär; 
Da, Friedrich, ging dein Grenadier 
Auf Leichen hoch einher! 

Dacht in dem mörderiſchen Kampf, 
Gott, Vaterland und dich; 
Erblickte ſchwarz von Rauch und Dampf, 
Dich, ſeinen Friederich; 

Und zitterte, ward feuerroth 
Im kriegriſchen Geſicht; 
(Er zitterte vor deinem Tod, 
Vor ſeinem aber nicht.) 

Verachtete die Kugelſaat, 
Der Stücke Donnerton, 
Stritt wüthender, that Heldenthat, 
Biß deine Feinde flohn. 

Nun dankt er Gott für ſeine Macht 
Und ſingt: Victoria! 


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84 Aus: Biblivfhek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen Rünſte. 





Und alle8 Blut aus diefer Schlacht 
Fließt nah Th***1 
Und weigert ſie auf dieſen Tag 
Den Frieden vorzuziehn; 
5 So ſtürme, Friedrich, erſt ihr Prag, 
Und dann führ uns nach Wien! 


Die Adyllen Theokriks, Moſchus und Bions, aus dem 
Griechiſchen überlegt. 
Berlin bey Gottlieb Auguſt Fange. 1757. in 8. 10 Bogen.? 


10 Eine Ueberjegung aus dem Griechiſchen! Eine Ueberſetzung eines 
griechiichen Dichters! ine poetijche Ueberjegung eines griechiichen Dich— 
ters! — Mehr Gutes könnten wir unfern Leſern ſchwerlich auf einmal 


anfündigen. Allein wir müſſen fie, leider! erjuchen, ihre Freude noch 
einige Augenblide zurück zu halten; und wenn fie es alsdenn noch für 
15 gut befinden, ihren Zandsleuten zu diefem deutfchen Theofrit Glück zu 
wünſchen; jo — Doc das follte uns fehr wundern. 
Der Ueberjeger hat eine Einleitung vorgejeßt, die aus neun Ab- 
Ichnitten bejteht. Er handelt darinn von dem Leben der drey griechiichen 
Dichter, von den Idyllen überhaupt, von dem eigentlichen Gegenjtande 
20 der Idyllen, von der Schreibart der Idylle, von dem Sylbenmaße der 
Idylle, von dem Charakter der drey Dichter, von den Kleinen Gedichten 
derjelben, von den Bilderverfen, die man bey den meiften Ausgaben der— 
jelben findet, und endlich von feiner gegenwärtigen Ueberjegung ſelbſt. 
Unter diefen Ueberjchriften könnte viel brauchbares, ſchönes und neues 
25 Stehen; wir haben aber in der That nicht3 gefunden, was des Auszeich- 
nens werth jey, und wollen alfo fogleich zu der Ueberſetzung ſelbſt 
fommen, von der wir nur noch das im voraus erinnern müſſen, daß fie 
größten Theils in Herametern abgefaßt ift. Wir werden uns aber nur 
bey dem Theofrit aufhalten können. 
30 Iſtes Idyll. Wollen wir wohl unterfuchen, ob der Gaul nicht 
gleich über die Schwelle gejtolpert iſt? Hier ift der Anfang. 





1 [Statt diejer Zeile 1761 nur * ** * 
2? IZweyhten Bandes zweytes Stüd. 1758. ©. 366—396. Zweite Auflage 1762.] 





Rus: Bibliothek der Thönen Willenfchaften und der freyen Rünſte. 85 





Thyrjis. 

Lieblic ift das Murmeln und jene Fichte,- mein Hirte, 

Die zu den Quellen rauſcht! Auch Tieblich find die Gejänge 

Deiner Flöte. Der nächſte Lohn nach dem Ban gebührt dir! 

Wenn er den jtößigen Bod empfängt, jo empfängft du die Ziege. 5 

Wird die Ziege jein Lohn, jo befümmft du die jaugende Ziege; 

Angenehm it ihr Fleiſch, bis der wartende Hirte fie melfet. 

Der Biegenbirte. 

Lieblicher ijt dein Geſang, o Schäfer, als riejelndes Waſſer, 

Das von obern Feljen widerjchallend hinabrinnt. 10 

Nehmen die Mujen zum Lohn ein noc nicht weidendes Länmchen, 

Sp gebührt dir ein fettes Lamm. Wenn ihnen gefällt 

Sich ein Lamım zu wählen, jo wird ein Schaf dein Gejchenfe. 

Gleich in der erjten Zeile, ift aus dem Worte Murmeln, welches 

ſich nur von den Quellen jagen läßt, und aus dem und, deutlich zu 15 
erjehen, daß der Ueberjeger die wahre Conſtruction verfehlt hat. Theo- 
frit jagt: 

Adv rı vo wıyvgioua a & nurvs, dırole, ınva, 

A norı raus nayarcı, uekıoderau. | 
D.i. Süß ift das Flijtern, das von der Fichte, hier an den 20 
Quellen, lieblich ertönet. Dieje Ueberjegung rechtfertiget der 
alte Scholiaft, der die Stelle jo umfchreibt: 7dv uev To ung nuurvog 
WLIVQLOUR ErEivng UNS TaQa Tas unyaıs kuyvgws adovong. Der 
Dichter jagt nicht? von murmelnden Quellen; er läßt bloß die Fichte 
lieblich fliſtern, und zwar an den Quellen, und nicht zu den Quellen. 25 
Der deutjche Ueberjeger, den wir der Kürze halber Herr Lbk. nennen 
wollen, hat jich ohne Zweifel von einer jchlechten Lateinischen Ueberjegung 
verführen Lajjen, welche die legtern Worte durch quae ad fontes suaviter 
canit. giebt. Wenn zoogS (doriſch zore) mit dem Dativo, zu bedeuten 
fönnte, jo müßte es eben dieje BON auch im 107 Berje diejes 30 
eriten Idylls haben. 

de zalov Boußsvvrı rrorı Guaveooı ushıoocat. 
D. i. Hier, wo die Bienen lieblih um ihre Körbe jummen. 
(Auch in diefer Zeile hat Herr Lbk. die Partikel rcorı verfehlt, und fie 
zwar nicht durch zu, aber eben jo unglüdlih durch aus überjegt: 35 
Lieblihd murmeln aus weidenen Körben die ſchwärmenden 


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86 Nus: Bibliofhek der ſchönen Wiſſenſchafken und der freyen Rünſte. 





Bienen) Wir gehen weiter. Wenn Ban den ftößigen Bod 
empfängt Warum ftößig? Theofrit jagt bloß ze0a0v roayov und 
der Scholiaft jagt ausdrüdlih, daß zegaos und zegaopogog einerley 
jey. Stößig heißt zogvrrılos (Id. V. dv. 147.) — So befümmift! 
du die jaugende Ziege. Xıuagos heißt eine jährige Ziege, umd 
nicht eine faugende; 7) &rıavoaıa auf, 7 Evog Xeıuwvog ovoa, jagt der 
Scholiaft. Hr. Lbk. hat den Unterjchied zwifchen Egupog und Xuuagog 
nicht gewußt; jenes würde man allenfall® durch eine jaugende Ziege 
überjegen fünnen. Hier aber ift das ſaugende wegen des folgenden um 
jo viel anftößiger: angenehm ijt ihr (der faugenden Ziege) Fleifch, 
bis der wartende Hirte,jie melfet. Alſo melft man die faugen- 
den Ziegen, oder melft fie doch jo gleich, als fie zu ſaugen aufgehört 
haben? Die Ungereimtheit ijt auf Theofrit3 Rechnung nicht zu jchreiben. 
Koch bemerfe man den Ausdrud wartende Hirt. Wie deutlih und 
beitimmt Hr. Lbk. überall it! Heißt der wartende Hirt, der jor- 
gende, der pflegende Hirt, oder der Hirt, der die Beit zu melfen nicht 
erwarten kann? — ALS riefelndes Wafjer daS von obern 
Seljen widerschallend hinabrinnt Was für elende holferichte 
anderthalb Zeilen, für die malende Harmonie der Griechijchen. 

— — — n To zaTaysg 

Tnv' ano cas nergas zaraksıderaı VWoIEr vVÖWe. 

Im Griechischen, faſt lauter reine Tieblihe Daktyli; im Deutjchen fast 
lauter jchwerfällige unangenehme Spondäi. Das von  obern | Fel- 
ſen wieder | 7Tyv’ ano | as nel rgas zara| Asıßeraı | dwo- 
Hev  (*). Und nun wird man auch die Feinheit einjehen, mit der 
Theofrit jedem von den wetteifernden Hirten eine eigne Bergleihung in 
den Mund Legt. Thyrjis jagt: gleich dem ſüſſen Seufeln der fanft 
flilternden Fichte; und der Ziegenhirte erwiedert: Tieblicher als das 

(*) Es iſt freylich von einem jchlechten Meberjeger zu viel verlangt, daß 
er una auch nicht einmal um den Wohlflang feines Originals bringen jol. Wir 
wirden alfo dem Herrn Lbk. diefe Nimrodſche Zeile nicht aufgemußt haben, 
(wie wir ihm denn, von Grund des Herzens gern, alle übrige von gleichem 
Sclage überjehen) wenn er fich nicht in dem fünften Abjchnitte feiner Einleitung 
das Anjehen geben wollte, als habe er über den deutjchen Herameter mehr als 
andre nachgedacht, und daher etwas davon jagen fünne, was vor ihm noch 
niemand gejagt habe. 





1 betommijt [1762] 


Rus: Biblivfhek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Rünfte. 87 





riefelnde Waffer, das hoch vom Felfen herabfließt. Wo aber bleibt dieje 
Feinheit, wenn man, mit dem Hr. Lbk. die Quellen jogleich zur Fichte 
murmeln läßt? — Nehmen die Mujen zum Lohn ein nod 
nit weidendes Lämmchen; (av odıda jagt Theokrit) So ge— 
bührt dir ein fettes Lamm (aova oazırav Aa). Wie ver- 5 
fehrt! Sieht denn Hr. Lok. nicht, daß der Ziegenhirt dem Thyrſis 
gleichfall3 weiter nichts, als za devregsı« rwov Movoov zuerfennen 
will, jo wie Thyrfis ihm za devrsgsıa rov TTavog zuerkannt hatte? 
Und wenn diefes ift, müfjen denn nicht olıdes mehr feyn als omzıraı 
aovss(*)? Sind aber noch nicht weidende Lämmchen mehr, als fette 10 
Lämmer? Wählen die Mujen ein Lamm, ſo wird ein Schaf 
dein Geſchenke. Immer verkehrter! Ein Schaf ift ja wohl beſſer 
als ein Lamm? Und alfo würde Thyrfis noch immer einen größern Preis 
erhalten, als die Muſen; ift daS aber Theokrits Meinung ? 

So ſehen die erjten eilf Zeilen der gegenwärtigen Ueberjegung 15 
aus. Es würde Sclavenarbeit jeyn, alles folgende auf gleiche Weife 
durchzugehen. Wir wollen alfo nur bier und da einen Stein anzeigen, 
der feiner Unwifjenheit zum Anstoß geworden. — Theofrit läßt (v. 23. 24) 
den HBiegenhirten jagen: 

al de x’ asıong 20 
5 noza vov Aıßvade norı Noov doags Egıodov. 
d. i. Wenn du jo fingft, wie du einst mit dem lybiſchen 
Chromis um die Wette ſangſt; cav de dong Weorse Noag note 
egılwv 77005 Tov Xooww Tov Außvadyev, Tovresi Tov ano ıng 
Außvns, erklärt es der Scholiaft. Hr. Lbk. aber überjegt: 25 
— — Und ſingſt du mir Lieder 
Wie du einſt im Wettſtreit den Chromis lybiſch beſungen. 

Man jagt Egulsw. rrgog rıva, mit einem ſtreiten; aber wo 

bat Hr. Lbk. &dsıv rgog rıva, einen bejingen, gefunden? Und 


(*) Was onzıraı dovss find, zu erflären, jeßt der Scholiaft hinzu: ovs 30 
&tı yakazros dgouevovs, dı vousıs Twv unteowv ywoıLorres, ldın B00x0v0r, zu 
Ev idıo Onzo zieıovow. Der Verſtand erfordert! nothwendig, daß man anjtatt 
ousc, ovz leje. Denn wenn fie der Milch noch bedürfen, jo iſt e8 ja wohl billig, 
fie bey den Müttern zu laffen? Gleichwohl finde ich in allen Ausgaben des 
Scholiaſten ovs. 35 


1 erfodert [1762] 


88 Aus: Bibliokhek der ſchönen wiſſenſchaften und der freyen Künffe. 








wie hat es ihm einfommen können Zıßvade zu einem Abverbio zu 
machen? — Bey der 69 Zeile fann man fi unmöglich des Lachen 
enthalten: Ovd’ Alwas oxomıav, überjegt Hr. Lbk. nod in der 
Höhle de3 Aetna. >xorma heißt ein erhabner Drt, von welchem 
man fich umſehen kann; und alſo hätte überjeßt werden müſſen: noch 
auf der Höhe, oder Spitze, des Netna. Wie hat Hr. hf. 
aber die Spite für eine Höhle anjehen fünnen? Diejes beantwortet die 
lateiniſche Weberjegung, oder das Lericon, wo er bei oxorııa das la— 
teinijche specula gefunden, welches er in feiner überjegerifchen Eilfertig- 
10 feit für spelunca genommen. — Die 105te Zeile, 
Ov keyeraı av ‚Kungıv 6 Bwxrokog, Egrıe nor Idar. 
überjegt Hr. Lbk. | | 
Und der Hirte fagte zur Venus, begieb dich nach Zda. 
0 BwxoLos keyerar, der Hirte fagte; das iſt allerliebit! Und nach 
15 Ida; als ob Ida eine Stadt wäre! Solche grobe Fehler! Und gleich- 
wohl bat uns der alte Scholiaft wegen des wahren Berjtandes diejer 
Zeile, nicht einen Augenbli in Zweifel gelafjen; ov, jagt er, avrı rov 
Ortov. Asırısı de TO zaraıoyvvaı. Orov 0 BovroAos Ayyıons mw 
Agoodırnv zaraoyvvaı heyeraı. Wo, wiemanjagt, der Hirte 
20 die Venus — Die Beicheidenheit befiehlt dem Theofrit, die Rede un— 
vollendet zu laſſen. Anſtatt 
Und der Hirte jagte zur Venus, begieb dich nach Soda, 
Eil zum Andijes. | 
hätte Hr. Lbk. alfo ungefehr jagen jollen: Geh nur auf deinen 
25 Ida, wo dich einst der Hirt — du weiſt [bon — geh nur 
zu deinem Andijes. 

Aus der II. Idyll, die gleichfalls von Fehlern wimmelt, wollen 
wir nur die allergröbiten anzeigen. Aus dem Vogel Ivy& macht Herr 
Lbk. durch das ganze Idyll, einen bezaubernden Tranf. Driroa 

30 find ihm bloße Säfte; und er weis nicht, daß überhaupt alles darunter 
verstanden wird, wodurd man Liebe zu erweden denkt. Auch die Lor— 
beern, welche Simätha verbrennt, auch das Wachs, das fie am Feuer 
zerläßt, find pılroa. — Sn der 48jten Zeile jagt der griechifche Dichter: 

Irrouaves pvrov Esı mag AQRa0ı — 
35 und Herr Lbk. überjeßt es: 
Bey den Arfadiern ward Hippomanes vormals gebohren. 


11 








Aus: Bibliofhek der ſchönen Willenfihaften und der freyen Rünfte. 89 


Es iſt zwar nicht ganz ausgemacht was Irrrrouaves heißt; ob es 
eine Pflanze, oder, nad) dem Servius, virus ex equarum inguinibus 
defluens, quo tempore praecipites in Veneris libidinem et furorem 
feruntur, bedeute. Aber zu einer Berjon hat es doch noch niemand, als 
Herr Lbok. gemadt. Theofrit nimmt es offenbar für eine Pflanze, ob 
wir gleich gar wohl wifjen, daß pvrov £sı, fo viel als pverau heißen 
kann. Es muß in dem Kopfe unſers Ueberjegerd ohne Zweifel ein wenig 
verwirrt ausjehen, denn allem Anſehen nach bat er für Lrrouaves, 
Inrousvng gelefen, der durch den Wettlauf mit der Atalanta befannt 
it, und deſſen unfer Dichter in dem 3ten Idyll 3. 40. gedenkt. — In 
der 88ſten Zeile läßt Theofrit die Simätha Flagen: 

Koı usv X0wS uev Ouo1og Eywero rrohhkarı Faryıp. 
Oaros ist ein gelblichtes Holz, und eben dafjelbe, welches die Griechen 
ſonſt zovoo£vAov nennen; &sı SvAor Tı 0 zalsıraı OrvFagLovV, 
nyovv 0xvYdırov EvAov, jagt der Scholiaft. Wenn man aber in de3 
Herren Lbk. Ueberjegung liejet: 

Oft glich ein bleiches Geficht dem todtenfarbigen Thapjus; 
ſollte man nicht fajt vermuthen, er habe Thapſus für etwas ganz anders 
als für ein Holz angejehen; bejonders da er ihm das weibliche Gejchlecht 
nicht läßt, das es im Griechischen hat? — Der Fehler in der 146 Beile 
ift unwiderjprechlicher; er macht nämlich au8 & Mekıkovs (der Mutter 
der Meliro; man merke wohl, daß Medıfovg der Genitivus ift) eine 
Mannsperjon, die er Melirus nennt. 

II. Idyll. „Die Scholaftifer, jagt Herr Lbk. in dem Inhalte, 
„haben allerhand witige Muthmaßungen über die Perſon diejes Gedichts 
„geäußert.“ — Die Scholaftifer? Welche? Die Scotijten oder Thomijten? 
Dder meint der gelehrte Ueberjeger etwa die Scholiajten? — die er 
nicht gelejen hat. — In der 3ljten Zeile macht Herr Lbk. aus der 
Aygoıo, einen Adermanı, Namens Agräos. In der 4diten Zeile 
it ein gleicher Fehler, wo er aus der klugen Alphejiböüa einen weijen 
Alphejibäus macht. Was für eine Luft mag er wohl an folchen Ber- 
wandlungen haben ? 

In dem IV. Idyll wollen wir nur einen einzigen Fehler an— 
merfen. Nur einen einzigen, der aber gut und gern jein Dubend Fleinere 


werth ift. Den Fluß Alpheus, der jedem befannt jeyn muß, dem 3: 


die olympijchen Spiele nicht etwas ganz unerhörtes find, macht er zu 


10 


20 


30 


Ot 


10 


15 


30 


35 


90 Aus: Biblivthek der ſchönen Wiſſenſchafken und der freyen Rünſte. 





einer Stadt Alphe, und überſetzt die 6te Zeile «&ywv vır Erz’ Alpeov 
»4gro Mılwv, durch: ihn nahm ja Milo mit fih nad Alphe. 

V. Idyll. In der 14 Zeile hat Herr Lbk. aus Aaxuv 6 Ka- 
Aaıdıdos zwey verſchiedne Verfonen gemacht. In der 117 Zeile ift die 
ganze Ironie verlohren gegangen; anjtatt du wendeſt lächelnd den 
Nacken, hätte es heißen follen: du wundeſt dich vortrefffih! In der 
126ften überjeßt er or 009009 am dämmernden Abend; umd 
doc) hieß 00.9005 die Morgendemmerung. 

VI. Idyll. Eines von den vortrefflichiten Bildern im Theofrit 
hat Herr Lbk. Schändlich verdorben; denn in der 14ten Zeile hat er das 
EE ahog Eoxousvas auf den Hund gezogen, da e3 doch auf das Mägd- 
chen geht, das der Hund Anfangs nur im Waller fieht, und es anbellt. 
Auf ihn zurücd, will der Dichter jagen, ſonſt möchte er dem Mägdchen 
in die Beine fahren, wenn es nun aus dem Meere hervorgeht; das ift, 
wenn er nicht mehr ihr bloßes Bild im Waſſer, fondern fie jelbit am 
Ufer erblidt. Herr Lbk. jagt dafür: 

Ruf ihn, font faßt er dem Mägdchen ins Knie; er jteigt aus dem Meere, 
Ruf ihn! 

— Sn der 39 Beile jollte es anftatt: negt ih mir dreymal 
die Schöße heißen: jpudte ich mir dreymal in den Schooß. Man kann 
bey dem negt ih mir die Schöße, an ganz etwas anders denfen. 

Aus dem VII Idyll mögen ſich unſre Lejer nur mit einem Fehler 
begnügen. In der 31ſten Zeile macht Lbk. das Erndtenfeit OaAvore 
zu einer Stadt, und überjebt & Ö’ 0dos ads Oakvoras, duch: die 
ilt der Weg, er gebt nad Thalyſien. 

Desgleichen aus dem VIII. Id yll. 3. 86. überjegt ChE. wızvlav 
alya, dur eine Ziege mit fprofjenden Hörnern. Er- hätte 
jegen jollen, mit verftümmelten Hörnern; wirvlav alya Ynow dxegwv, 
jagt der Scholiaft. Den 7Ojten Vers müſſen wir doch auch noch an- 
merfen. | 

Ira veusodE, veusotE Ta 0 oVIara nAroate Taoat, 

5 To uev woveg EXwvri, To 0 £& TaLaows Anodwuut- 
D. i. Weidet, weidet und fülletdie Euter, damitein Theil 
ven Lämmern werde, und ein Theil die Veihen fülle. Oder 
wie es Dan. Heinjins überjeßt: | 


1 66, [1758. 1762] 





| Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaffen und der freyen Rünfte. 91 





Paseite, pascite vos, atque ubera tendite cuncta, 
Altera pars calathis, pars altera restet ut agnis. 
Herr Lok. aber überjeßt: 
Daß die Lämmer nicht darben, fo pflüc ich in Körben euch Kräuter. 


Wir haben jchon vermuthet, ob er bier nicht vielleicht einer bejondern 


Lesart gefolgt jey; aber welcher? und wo findet man fie? 

IX. Idyll. Hier fommen wieder ein Baar Zeilen vor, die Herr 
LEHE. unmöglich nach dem Griechifchen kann überjegt haben. Daphnis 
jagt: den brennenden Sommer aber achte ich eben jo wenig, als ein 
Berliebter die Reden des Vaters oder der Mutter: 

Tov de HegovS Yovyovros &/0 To00ov ueLedaıvo 

00009 EEWVrı TTATQ0S UVIWV al UATIOS adroveıv. 
Wenn er nur wenigitens die Ueberſetzung des Heinſius zu Rathe ge- 
zogen hätte: 

Torridaque aestatis vix tantum frigora curo, 

Quam patris praecepta sui, vel matris, amator. 
Doch er hat lieber etwas hinſchreiben wollen, was fein Menfch, auch er 
jelbjt nicht einmal, verjtehen kann. 

Aber den brennenden Sommer bedenf ich fo ämfig, al3 Kinder, 

Die mit begierigem Ohr die [ehrenden Meltern erwarten. 

In dem X. Idyll ift gleich das erite Wort ein Fehler; Eoyarıra 
Povzare, heißt niht ämjiger Schnitter, und kann es auch wegen 
des folgenden nicht heißen, two von diefem ämſigen Schnitter gejagt wird, 
daß er zurüd bleibe. Es follte dafür heißen gedungner Schnitter. — 
In der 19ten Zeile verwechjelt der Ueberjeger den Plutus mit dem Pluto. 
Wo hat er gelejen, daß man den Pluto blind vorjtelle? — In der 
27ſten Zeile jagt der Dichter: 

— — >voav xalsovrı Tv TTaVTeg 

logvav, akıozavsov &/0 de uovog uelıykwgor. 
D. i. Ulle nennen dich die Schlanfe, von der Sonne ver- 
brannte Syrerinn; und nur ih nenne dich die honig— 
braune Wie giebt das jein Ueberjeger ? 
— — Die jhlanfe Syrerinn nennet dich jeder, 
Bon der Sonne gefärbt! Ich aber gleiche dem Honig! 
XI. Idyll. Theofrit läßt den Eyflops 3. 54 feufzen: 


’O ——— 2 > > q > >, 
2 U0L OT 0VR ETEXev U a uarno Poayyı EXovTa, 


10 


25 


30 


35 


93 Aus: Bibliothek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen Rünſte. 





2 zaredvv ori Tıv, 201 Tav YE90 Tev EyıkLaoa, 
At un ro soua Ans. 

D. i. DO daß meine Mutter mid nidt milfiefern und Floß— 
federn gebahr, damit ih in das Waſſer zu dir herab 
5 fünnte, und wenigjtens deine Hand füßte, wenn du den 

Mund mir weigerft. Dieß iſt der Verſtand; und der Ueberſetzer, 

der ein Dichter feyn wollte, müßte die Worte noch weit forgfältiger 

wählen, und zierlicher jeben. Thut das Herr Lbk7? 
— Ach, Feine ſchuppichte Mutter, 
10 Veh mir, gebahr mich wie rudernde Fiſche, herunter zu ſchwimmen, 
Und dir die Hände zu küſſen, wenn du die Lippen nicht reichteit. 
Was joll die Schuppichte Mutter? Was würde es helfen, wenn jie 
ihn auch jo gebohren hätte, wie Filche gebähren? — Doch wir wollen 
una nicht mehr bey Stellen aufhalten, die nur schlecht überjeßt find; 
15 wir können die nicht einmal alle bemerfen, die falſch überjegt jind. Dar— 
unter gehöret die 75ſte Zeile. 
Tav stagsoı0av aueiys Tı TOov Yevyovia dıWzxoıg; Ä 

Aber, will der Cyklope jagen, warum verliere ich meine Zeit bey der 

Ipröden Galatee? Warum verfolge ich die einzige, die mid) flieht, da mir 

20 jo viel andere Mägdchen lächeln? Und diejes drückt er durch ein Schäfer: 
ſprichwort aus: melfe, dievordir steht, was verfolgeſt du den 
fliehbenden? Der Scholiaft erklärt e8 77» ayarıwoav yılzı. Aber wo 
ijt diefe feine Anfpielung, wo iſt diefer Sinn in Lbk. Ueberjegung ? 

Melke dieß Schaf! Was eiljt du nach dich fliehenden Schatten! 

25 XI. Idyll. Was mag wohl, o faturnifher Vater, heißen? 

Vielleicht ein Vater, der wie Saturnus feine Kinder frißt? Vielleicht 

ein Vater, deſſen Güter die Söhne bey feinen Lebzeiten unter jich theilen? 

Nichts weniger als das. Der finnreiche Herr Lbk. überjeßt 3. 17 zzareo 
Kooviön, (W Zev yevoıro vis Tov Koovov) durch jaturnifder 

30 Bater. — Daß die 13 und 14. Zeile falſch überjest iſt, wollen wir 
nicht einmal berühren; denn Herr CHE. fünnte uns einwenden, der 
wahre Sinn ſey im Deutjchen gar nicht auszudrüden. Heinjius bat 
ihn wenigſtens im Lateinischen ausgedrüdt: 

| Atque aliquis, geminum, dicat, par vixit amantum, 

35 Hic Lacedaemoniis Espnilus dietus in oris, 

Alter erat tellus quem Thessala dicat Aiten. 


— Wie Herr Lbk. aber die vier legten Zeilen diejes Idylls verhunzt 
hat, iſt gar nicht zu bejchreiben. Der Dichter bricht in das Lob der 
Megarenfer aus, wegen ihrer bejondern Gaftfreundichaft gegen den 
attifchen Diokles. „Noch jest verfammeln ſich im Frühlinge die Knaben 
„um fein Grab, und jtreiten um dem Preis des Kuſſes. Wer Lippen 
„auf Lippen am füßejten drüdet, der fehret mit Kränzen beladen zu 
„leiner Mutter. O jelig, wen fein gut Geſchicke über dieje Küſſe der 
„Knaben zum Richter bejtimmt! Sehnlich wird er den ſchönen Gany— 
„medes flehen, daß jein Mund dem Lhdifchen Steine gleiche, auf dem 
„der Künjtler die Güte des Goldes erforfchet.” — Das ift der Sinn; 10 
nun urtheile man, wie weit Herr Lbk. davon abweichet: 

Selig lebe der erjte, der blühende Knaben gefüßt hat, 

Denn vom reizenden Ganymedes verfündigt die Vorwelt, 

Slatten Steinen gleiche jein Mund, worauf man das Gold prüft. 
Er lerne nur das leichtere Griechiiche des Scholiaften verjtehen, wenn 15 
ihm der Tert zu fchwer ift: 'Ovrws 0 z01LnS Evyeraı ro Tavv- 
umdsı iva Errirndeıov Ey To Soua eos ro dızalev 1a pılm- 
uara, ovVrwS, WE n Avdıa Ardog dızıualsı rov XQvoovV, Lure 
xaAos, Eıre zaı un etc. Hier ift zum Ueberfluſſe auch noch die Ueber- 
jegung des Heinſius: 20 

Hoc nimium felix, qui basia dividit illa: 

Os sibi, Dii, quoties Ganymeden postulat ante 

Indieis in morem lapidis: quo nescius olim, 

‚Aurifaber purum falso discriminat aurum. 

XII. Idyll. Haben Sie denn niemals, mein Herr Lbk. etwas 2 
von den Symplegaden gehört? Haben Sie niemals, — ich verlange 
eben nicht bey dem Dvidius, oder Balerius Flaccus, fondern 
etiva in einer Acerra philologica, in dem mythologiſchen Wörterbuche 
eines Klieters, oder in ſonſt jo einem andern Werkchen — gelejen, 
daß die Argonauten durch dieje fich trennende und wieder zufammen- 30 
jtoßende Klippen ihren Lauf nehmen müfjen? (medios inter juga con- 
eita cursus rumpere. V. Fla.) Und daß dieje Klippen, feit der glüd- 
lichen Durchfahrt immotae perstant, ventisque resistunt? Ovid. Dieſe 
feine Schulgelehrjamfeit hätten Sie freylich haben müſſen, wenn Sie 
folgende Zeilen des Theokrits gehörig hätten verjtehen und überjegen 35 
wollen: 


en 
eb | 


94 Nus: Biblivfhek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen Künfte, 





Ivv Ö' avıp xarepaıwev Yaag Evedgov € AYyw, 
Arcıs Kvaveav 0v% Yıbaro ovvdgouadwv vavs, 

Akka dıskaife (Bayvv Ö' Eioedoaus Daoın) 

Autos ws, usya Amrum ap 0V Tore Yoıyadaz Ezav. 

5 „Mit ihm, will der Dichter jagen, jtieg zugleich Hylas in die feſte Arge, 
„die zwijchen den zujammenjtoßenden Cyaneifchen Klippen nicht verun- 
„glücte, jondern, wie auf Adlers Flügeln, durch den gräulichen Schlund 
„rich, biS zu dem tiefen Phaſis drang, und die irrenden Klippen un— 
„beweglich, feit an der Tiefe des Abgrunds zurüde ließ.” — Nun will 

10 ih Sie, mein Herr Lieberkühn, erponiren Lafjen: 

— Mit ihm jtieg der reizende Hylas ind Argo, 
Wohl mit Rudern verjehen, doc landete niemals das Kriegsſchiff 
An die Cyaniſche Inſeln, es jegelte furchtſam vorüber, 
Und begab ſich, wie raufchende Adler zum tiefen Phaſis 

15 Durch hochthürmende Wogen, aus welchen Felſen hervorftehn. 

Es landete niemals? Das hatten ſich auch die Argonauten niemals 
einfommen lafjen. Es jegelte vorüber? 3 jegelte zwiichen ihnen 
duch. Aus weldem Felſen hervorftehn? ap ov heißt nicht 
aus welchem, fondern, ſeit welder Zeit. 

20 XIV. Idyll. Innodıiwxrag überjeßt Herr Lbk. in der 12ten 
Zeile, duch Fuhrmann. Wenn er aber des Aemilius Portus do— 
riihes Wörterbuch nachgeichlagen hätte, jo würde er die Anmerkung ge- 
funden haben: Lex. Graecol. vertunt auriga, nullius tamen auctoris 
auctoritate res confirmatur. — Dod ic eile zu einem Fehler, aus 

25 welchem e3 auf die aller unmwiderjprechlichite Weije erhellt, daß Herr 
Lbk. den Theofrit nicht aus dem Griechiſchen, jondern aus der 
lateinischen Ueberjegung verdeutjcht hat, und daß er auch diefe lateiniſche 
Ueberjegung nicht einmal verjtanden. Der Dichter jagt zu Ende diejer 
Idyll vortrefflidh: 

30 — — NO x00Tapwv TtEhouEOI« 

Jlavrss ynoaksoı, za ErtLOXEQLW E&8 yEevvv Egruet 

Asvraıvov 0 X90v05. — — 
D. i. wie es nach der wörtlichen lateiniſchen Weberjegung heißt: A tem- 
poribus fieri incipimus senes, atque inde ordine in genas serpit aetas, 

35 quae canos facit. Wir jhämen ung recht, daß wir hier einem Manne, 
wie unjer Ueberjeger jeyn will, noch jagen müſſen, daß tempora nicht 


Aus: Biblivfhek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Rünſte. 95 








immer die Zeiten bedeute, daß es auch die Schläfe heißen fünne. 
Wenn eben diefe Zweydeutigkeit auch bey dem griechiſchen Worte Statt 
fände, fo wollten wir gern nichts jagen; allein z00rapoı heißen einzig 
und allein das lebte, und der Sinn des Dichters iſt diefer: „Um die 
„Schläfe zeigt ſich das Alter zuerft, und dann jchleicht es die Wangen 
„herunter.“ Wer kann fich alfo des bitterjten Spottes enthalten, wenn 
Lbk. dafür jagt: 
Denn die Zeit macht uns alle zu Alten! Dann irrt auf den Wangen 
Die begreißende Stund’. 
Was iſt offenbarer, al3 daß er hier auch nicht einmal einen Bli in 
das Griechiſche kann gethan haben ? 

XV. Idyll. Die 8 und 9 Zeile ift jchlecht überjegt; desgleichen 
auch die 48ſte — Warum überjegt er in der 6Vjten Zeile avi durch 
Saal? Er glaubt vielleicht, daß e3 lange genug, Hof geheißen habe ? 
— Warum madht er in der 67iten Zeile aus der Eutychis, eine 
Mannsperjon, Namens? Eutyhides? Der Scoliajt jagt: Eixog rw 
Evrvyıda Topyovs Eıvaı Hegaraıvear. 

XVI Idyll. Zaovog avdgos aoıdar überjegt Herr Lbk. (3. 57) 
die Lieder Jaons. Wer iſt der Jaon? Er hätte jagen follen, des 
Joniſchen Sängers; und num verjteht man es, daß Homer darunter 
gemeinet wird. 

XVHO. Idyll. Avne vAnrouog überjeßt Herr Lbk. 3. 9 durch 
Waidmann. Aber diejes heißt ein Jäger, und das Griechische bedeutet 
einen Holzfäller. — Wie jeltfam trennet! er die 12 und 13 Beile! 

Oioı Osot Tov agızov Eruunoav BaoıLnwv, 

Ex nartsgwv. 

D. i. Mit welden die Götter den vortreffliditen der Kö— 
nige, von jeinen Aeltern an, ausgejhmüdt Theofrit will 
aljo jagen, daß die Götter zu der Größe und Güte des Ptolemäus jchon 
in jeinen eltern den Grund gelegt. Wie elend aber jagt Xbf. dafür: 
Womit die Götter den herrlichſten König vor Köngen bezeichnen ? 
Bon den Vätern zuerft! 
Eritlich heißen hier sraregss nicht Väter, jondern Aeltern. Denn der 
Dichter fteigt nicht höher, al3 bis auf den Vater und die Mutter feines 
Helden hinaus. Bweytens kann man das von den Vätern zuerit! 


1 trennt [1762] 





10 


15 


20 


30 


35 


96 Aus: Biblivfhek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen Künfte. 





nicht anders verſtehen, als ob Theofrit jagen wolle: Ich will alfo den 
Anfang zu feinem Lobe mit jeinen Vätern machen. Und das ift, wie wir 
gejfehen haben, jeine Meynung doch nicht. — ITTegoaıcı Pagvs 9eos 
arokounras, giebt unſer Verdeutſcher (8. 19) durch 
5 Der den Berjern jo ſchädliche Gott mit gejprenfelten Helme. 
Arokounens heißt Elug, verſchlagen. Doch Hr. Lbk. jcheint hier 
einer andern Lesart gefolgt zu ſeyn; welches wir nicht tadeln würden, 
wenn er nur diefe andre! Lesart richtig überjegt hätte. Er muß näm- 
(ich für atolouneng, atokowıreng gefunden haben; ob ich gleich die 
10 Ausgabe nicht gejehen habe, wo man dieje Lesart in den Tert genommen 
hätte. Doc auch alsdenn würde arokouırong niht mit gejprenfel- 
tem Helme, jondern mit der bunten Binde bedeuten; denn daß 
wıroa eine Binde, ein Gürtel heiße, hätte er aus der 54 Zeile des 
27ſten Idylls jeines Dichters lernen fünnen. — Koovidas iſt ihm in 
15 der 24jten Zeile Saturn. Und Keovog wird ihm aljo wohl Juri — 
— Die 3aſte und folgende Zeilen überſetzt Lbk. 
Und wie unter den klügſten der Frauen ſich Berenice, 
Ihrer Aeltern beſtändiger Ruhm, am erhabenſten zeigte; 
Alſo legteſt du, werthe Dione, Beherrſcherinn Cyperns, 
20 In den duftenden Schooß ihm deine liebkoſenden Arme. 
Und ſie ſagen: noch habe kein Mägdchen dem Ehmann gefallen, 
Wie Ptolemäus voll Inbrunſt ſich ſeinem Gemale gewidmet. 
So wie zu Anfange dieſes Idylls, Lbk. den Theokrit fragen läßt: 
Was beſing ich zuerſt, wo tauſend Gaben mir winken? 
25 ſo möcht ich bey dieſer Stelle fragen: 
Was bemerk ich zuerſt, wo tauſend Fehler mir winken? 

Alles iſt falſch! Nirgends ein Funken Verſtand! Der Grieche 
ſagt ohngefehr: „Und o wie ſtrahlet unter den edelſten Frauen die edlere 
„Berenice, der Stolz ihrer Aeltern! Ihr hat den duftenden Schooß 

30 „Dionens erhabene Tochter, Cyperns Beherrſcherinn, mit zarten Händen 
„geſtrichen. Daher ſagt man auch, daß nie eine Gattinn ihrem Gemahl 
„ſo liebenswürdig geſchienen, als dem Ptolemäus die ſeine.“ — Findet 
man auch nur die geringſte Spur von dieſen Gedanken, von dieſer 
ſchmeichelnden Erdichtung in den Lbkſchen Verſen? Er macht die Dione 

35 zur Venus, die Mutter zur Tochter; er macht den Schooß der Berenice, 


1 andere [1762] 








Rus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Rünſte. 97 


zum Schooße des Ptolemäus; er macht — kurz er macht alle Fehler, 
die ein nachläßiger Ueberſetzer machen kann. Der kinderleichte Scholiaſt 
hätte fie ihm alle können vermeiden helfen: 7 Apgodırn pnow avıng 
&ıs rov zoAnov arsuafaro Tag YEıgaS, Tovresıv Errapgodırov 
Erroınosv dvrnv, do za 7yanaro vo vov avdgog — Wie mandes 5 
fünnten wir nicht noch bey der dritten, fünf und zwanzigiten, fünf und 
funfzigiten, drey und jechzigiten, neun und neunzigjten, hundert und drey 
und drepffigiten Zeile erinnern! Doch wir müffen mit diefer verdrüß- 
lichen Arbeit zu Ende eilen. 
XVII. Idyll. Die 17te Zeile iſt abermals ohne Berjtand überjegt: 10 
Glücklicher Bräutigam, dir hat, da du nad Sparta gekommen, 
Jemand glücklich genießt: Wo viele Große dir beyſtehn. 
Theofrit will jagen: du mußt zu einer jehr glüdlichen Stunde nad) 
Sparta gefommen ſeyn, wo du jo viel edle Nebenbuhler fandejt, und 
doch zum Zwecke kamſt; orroı W "Akoı agızees, WS avvoaıo. Das wg 15 
avvoaıo gehört, dem Verſtande nach, zu dem vorhergehenden Errersrager. 
Grotius bat es jehr wohl überjegt: 

Sponse, tibi quis in hanc venienti sternuit urbem, 

Totque inter proceres felix dedit omen amoris. 

Und wie jämmerlich it die 20ſte und folgende Zeilen gerathen. 20 

D was großes wird fie dir gebähren, gebiert fie ihr ähnlich ! 

Sind wir alle nicht gleih an Jahren, wir giengen zufammen, 

Wie der Jünglinge Schönjte gejalbt bey den Bädern Eurotens, 
Biermal jechzig Mägdchen, erlejner weiblicher Jugend. 

Reine von allen hat Mängel, vergleicht ihr fie jelber Helenen. 25 

Welche Worte, wenn fie auch ein Sturmwind zujfammen gejagt 

hätte, fünnten weniger Verſtand haben? Da Hr. Lbk. doch einmal fein 
Griechiſch verjteht, jo wollen wir ihn nur bitten, wenigjtens das Latei- 
niſche des Grotius dagegen zu halten. 
Pignora magna dabit, referent si pignora matrem. 30 
Namque eadem nobis aetas et more virili 
Cursus ad Eurotan unetis fuit omnibus idem: 
Viginti novies sumus aevi flore puellae, 
Nec tamen est, Helenae quae sese conferat, ulla. 
Sit es nicht, als wenn ſich Herr Lbk. mit Fleiß vorgenommen hätte, 35 


von allen das Gegentheil zu jagen? 
Leſſing, ſämtliche Echriften. VII. 7 — 


"98 Rus: Biblivfhek der ſchönen Willenfchaffen und der freyen Rünſte. 





Das XIX. Idyll wollen wir ganz übergehen; e3 ijt nur acht 
Beilen lang, und Herr Lbk. hat es gar in Reime überjegt. 
XX. Idyll. Was foll in der 3ten und Aten Zeile heißen: 
— — Ich lernte nicht küſſen, 
5 Wie die Hirten es thun, ich weis ſie artig zu nehmen. 
Was weis ſie denn zu nehmen? Wenn L2bek. noch ungefehr gejagt 
hätte: Sch habe nicht gelernt bäurijch zu füffen, wohl aber 
bürgerliche Lippen zu drüden, fo hätte er doch wenigſtens nicht 
den Sinn feines Dichters verfehlt. — Aus der 31ſten und 32ften Zeile 
10 ift es abermals Har, daß er bloß aus der lateinischen Ueberſetzung ver- 
deutjcht hat. Warum hätte er ſonſt von vielen Mägdchen aus der Stadt 
geiprochen, da in dem Griechiſchen nur von einer einzigen die Rede ijt? 
Die gewöhnliche Lateinijche Ueberjegung hat den Pluralem; Herr Lbk. 
alfo auch. Die 29ſte Zeile müfjen wir noch mit nehmen: 
15 Krv aviy Aalcew, nv dwvaxı, nv srAayıavÄa. 
Mer fieht nicht, daß avfos, dwvaf und nAayıavkog bier drey — 
Inſtrumente find? Herr Lbk. aber macht das letzte Wort zu einem 
Verbo und überjegt: 
— — Auch wenn ich dad Haberrohr blaje, 
20 Oder die Flöte jpiele, jo oft ich fie jeitwert3 begreife. 
Die Anmerkung die Aem. Bortus bey dem Worte suiayıavlog mad, 
ift artig: unde gallicum nomen derivatum lagiolet, quasi dicas pla- 
giaulet. Sie iſt artig, jagen wir; aber nicht richtig, denn rAayıavlos 
war eine Art von Querflöte. | 
25 XXI Idyll. Warum hat Herr Lbk. die 36 und die 37ſte Zeile 
nicht mit überjegt? Vielleicht, weil er fie nicht verjtanden? Als ob er 
jonjt alles, was er überjeßt hat, verjtanden hätte! Wenn er fie noch will 
veritehen lernen, jo wollen wir ihn auf Joſ. Scaligers Emendationes 
ad Theocriti ete. Idyllia verweilen. — | 
30 XXI Idyll. Die 43 und 4djte Zeile, 
"Avdea T evmdn, havımıs yıla Eoya uskıooaıs, 
"000° Eagog Anyovros Errıßgveı av Asıumvag. 
überjegt Herr Lbk. 
Duftende Blumen, der haarigten Bienen erquidende Wolluft, 
35 Die, wenn der Frühling ſich neigt, auf Wiejen in Schwärmen dahin ziehn. 
Was iit offenbarer, als daß er bier abermals nicht aus dem Griechiſchen 





Aus: Biblivfhek der ſchönen Willenlihaften und der freyen Rünlfe. 99 
überjegt hat? Denn ſonſt würde er ja wohl gejehen haben, daß o00« 
auf av dew und nicht auf wedrooaı gehe. — Theofrit jagt von dem 
Fechter Amycus vortrefflih, daß er ein eifernes Fleijch gehabt, ayvon— 
Aaros oi@ K0o400008, d. i. ein Fleifh, wie der gehämmerte 
Koloſſus. Und das überfeßt Herr Lbk. 

Fleiſch wie Eifen, als hätten ihn Hammer Kolofjus gezimmert. 
Wer kann ſich rühmen diejes zu verjtehen? Die Hammer Koloſſus! 
die Hammer zimmern! Welcher Unfinn. — Ferner jagt Theofrit 
von eben demfjelben Amycus, daß ihm eine Löwenhaut, von dem Halje 
über den Rüden herabgehangen, welche mit den Klauen oben zujammen 
gebunden gewejen; degua Asovros aynuusvov Ex nodewvov. Herr 
Lbk.aber macht die Klauen der Löwenhaut zu den Füßen des Amycus, 
und überjeßt: 

Ueber den ganzen Rüden und Hals, zu den Füßen herunter 

Hing ihm ein Löwenfell. 

— Ehe der Kampf zwilchen dem Bollur und Amycus angeht, rufen 
fi beyde von ihren Landsleuten Zufchauer; Amycus bläſ't auf einer 
tiefen Mufchel jeine Bebryfer zufammen, und Bollux läßt, durch feinen 
Bruder Caſtor, alle Helden aus dem magnefischen Schiffe herbeyholen. 
Diejes ijt der Sinn der 78 und 79ften Zeile; Herr Lbk. aber macht 
aus dem magnejiichen Schiffe, eine magnefiihe Schlacht, und ziehet beyde 
Beilen in dieje eine: 

Wie zur magnefiichen Schlacht die Helden Caſtor hervorrief. 

— Und wie faljch ift noch die achte, die hundert und neun und fiebzigite, 
und die zweyhundert und achtzehnte Zeile diefes Idylls überjegt! 

XXI. Idyll. Da Herr Lbk. hier einmal aus dem Knaben ein 
Mädchen! gemacht; jo follte es auch in der 6ten Zeile nicht heißen, er 
lermt, jondern fie lermt. Aber wie elend ift diefes lermt! — In 
der I6ten Zeile jagt er abermals gleich das Gegentheil von dem, was 
Theofrit jagt: 

Aoı0J10v ovx Yvaıze Ta ovupoga vas Kv$egsuas. 

Wir wollen ung jet dabey nicht aufhalten, was die Kunftrichter wegen 
des Wort ovuyoga erinnern; denn fo viel ift gewiß, Herr Lbk. hat 
nicht3 davon gewußt, jondern iſt den Lateinischen Ueberjegern gefolgt, 
welche anjtatt ovumpoga, daxgva leſen, und die ganze Zeile durch 
ı Mägdchen [1762] 





Si 


10 


20 


30 


35 


100 Aus: Bibliothek der Ihönen Willenfchaften und der freyen Rünſte. 





tandem non continuit lacrymas Veneris geben. Aber heißt denn nun 
dieſes auf deutſch: 
Endlich weint er nicht mehr die Thränen der Venus? — 
Auch die gleich darauf folgenden Worte αν Erkaue, hätten ihm 
feinen Irrthum zeigen können. 
XXIV. Idyll. Die Fabel von der Geburt des Herkules und 
Sphifles muß dem Herrn Lbk. ganz unbefannt jeyn. Wann er von 


dieſem Beyfpiele der Superfetation, wie es Bayle nennt, jemals das 


10 


30 


35 


geringjte gehört hätte, jo würde er, gleich die eriten Heilen: 

"Hoax)sa Öeraunvov Eovra 700%. & Midearıg 

Alkxunva, za vurrı vewregov Ipızına 

Ayporegovs Movodod etc. 
ichwerlich jo überjegt haben: 

Kaum war Herkul zehn Monat gebohren, jo wuſch ihn Alkmene, 

Mit dem jungen Bruder Sphikles nächtlih im Fluſſe ꝛc. 
Nvzrı vewrsgov gehört hier zufammen, und ilt als ein Beywort des 
Iphikles anzujehen, den der Dichter um eine Nacht jünger, als den 
Herkules maht. Daß vvzre hier nicht nächtlich heißen fünne, erhellt 
auch weiter aus dem vorhergehenden 720%’ (soxa) und dem za. Doc 
wer wird das läugnen wollen? Was alle Welt weis, weis Herr Lbf. 
nicht; er weiß aber auch vieles dafür, was jonjt niemand in der Welt 
weis. 8. E. daß Alkmene ihre beyden Söhne im Fluſſe gewaſchen. 
Man muß Scharffichtige Augen haben, wenn man diefes im Fluſſe bey 
dem Theofrit finden will. — Der Fehler, den er in der 3ljten Beile 
gemacht hat, fließt aus eben derjelben Quelle Er muß nicht gewußt 
haben, wie das Beywort oWeyovos, der ſpät oder ſchwer erzeugte, 
dem Herkules zufomme; und überjegt daher seo nauda oWıyovov 
duch um den jüngſten der Knaben. Allein der jüngjte der Knaben 
wirde ja Iphikles und nicht Herkules jeyn. — Noch einen Fehler müfjen 
wir mitnehmen, der abermals ein offenbarer Beweis iſt, daß Herr Lbk. 
aus dem Lateinischen überjeßt, und das Latein nicht einmal veritanden 
bat. Theofrit jagt von dem Amphitryo: 

— 00° & £vvag aloXyp xarepaıwve 7UINOAS. 

Acıdahsov Ö’ WgunoEe uer@ Epos; 006 ol vnsgQdE 

Khivrngog zedgıwg rregı a0oakı) alev Ego. 
Herr Lbk. überjegt es: 








Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Rünſte. 101 





— Er ftieg herunter vom Bette, gehorchte der Gattinn, 

Eilte zum jehöngejchmiedeten Degen. Er hing ihm zum Haupte 

Seines cedernen Bettes jtet8 von der Keule herunter. 
ITsgı naooakop, von der Keule? nraooakog heißt ein Nagel, ein 
Hafen, an den man etwas aufhängen fann. Wie kömmt aber Herr Lbk. 
auf die Keule? Es heißt in der lateinischen Ueberjegung a clavo sus- 
pensus erat; und er hat fich eingebildet, clavus und clava jey einerley. 
Vielleicht hat er auch noch oben drein geglaubt, daß die Keule des Her- 
kules ein Erbſtück von feinem Stiefvater Amphitryo gemwejen. 

Die Zeit wird uns bey diefer Arbeit jo lang, daß wir über die 
noch rücjtändigen Idyllen gejchwinder hingehen, und aus jedem nur einen 
Fehler, jo wie er und am eriten in die Augen fällt, anzeigen wollen. 
In dem XXViten macht Herr Lbk. 3. 21 Anrollwvogs vouıoıo Legov 
ayvov zu einem Prädicate des Delbaums, und jagt: 

— Wo dem Winter trogende Fichten 
Wachen, und grüner Delbaum, des Phöbus, den Hirten verehren, 
Unverletzliches Heiligthum ꝛc. 
anſtatt, daß er hätte ſagen ſollen: und dort, wo die Fichten und 
der Oelbaum wachſen, erblickſt du des ſchäfriſchen Apollo 
unverletzliches Heiligthum. Denn das paıverae aus der 19ten 
Zeile muß ſowohl zu isgov ayvov als zu ug genommen werden. 

XXVI Idyll. Die 13te Zeile, wo Aotonoe, bey Erblidung des 

Pentheus in die heilige Wuth geräth: 

vv Ö° Eragase nrooıw uavındaos 00yı@ Bazyov. 
überjegt Herr Lbk. 

— Gie zerjtörte die Feite des taumelnden Weingotts. 
Doch ooyıa heißen hier weder die Feite, noch die aus der Küſte ge— 
nommene l29@ errovaueva, 3. 7. ob wir gleichwohl wiffen, daß jie 
beydes bedeuten können; jondern es find die Geremonien, die wütenden 


Tänze, die heiligen Convulfionen darunter zu verjtehen, mit welchen : 


dieje Fejte begangen wurden. Auch hätte er zaparın nicht dur zer— 
ftören, jondern durch erregen überjegen, und ovv room nicht aus— 
laſſen jollen. Der wörtliche Verſtand würde alsdenn jeyn: jie erregte 
mit den Füßen die Orgia des rajenden Bacdhus. Und um 


diejes ein wenig poetiſcher auszudrüden, und zugleich das folgende Sa— 3; 


zuıvag Errıovoe mit einzuflechten, wirden wir ungefähr gejagt haben: 


10 


20 


IV 
17 


St 


102 Aus: Biblivfhek der Schönen Wilfenfichaffen und der freyen Rünffe. 





Ihn ward Avbtonoe zuerft gewahr, und jchrie fürdterlid 
auf, und begann mit fohnellen Füßen die orgiſchen Tänze 
des rajfenden Bacchus zu toben. | 
XXVII. Idyll. Als Daphnis mit den Händen zu frey wird, 
5 Yäßt Theofrit das Mädchen! ausrufen: 
Nagxw vaı rov IIava. Trenv sıakıv ESele yeıoa. 
Grotius überjeßt es jehr wohl: 
Obtestor per Pana: manum jam tolle; fatisco.' 
Aber wie Schlecht und falfch drückt e8 Herr Lbk. aus: 

10 Pan, ach Hilft du mir nicht! D zieh die Hand doch zurücke. 
Nagxcr ruft das griechische Mädchen !; wo die Schäferinn eines gallifchen 
Hirtendichter vielleicht je me päme gerufen hätte. 

XXVIII. Idyll. Die Ueberfchrift dieſes Idylls hat Herr Lbk. 
ganz falſch überjegt. "Hiaxarn heißt fein Spinnroden, denn es iſt 

15 von Wolle und nicht von Flachſe die Rede; und an dem Rocken jpinnt 
man nur das leßtere. Der Kleine Scholiaft des Homer jagt, 7Aaxarn 
ſey: zo rwv yvvazov Egyaksıov, 1 7regLell000v0L TO £gLov; d. i. 
ein Werkzeug der Weiber, um welches fie die Wolle winden, oder, mit 
welchem fie die Wolle drehen. Es könnte alſo jowohl ein Spinnrad, 

20 al3 die Spindel bedeuten. 

XXIX. Idyll. Theofrit oder die Perſon, die in diefem Idyll 

ipricht, klagt über die Flatterhaftigfeit jeines Geliebten 3. 16. 17. 
Kaı unv oev To xzahov rıs idwv deF0S aiveoaı, 

To 0° Evdvs nAsov 7 Tglsrng Eyevsv Yıkos. | 

D. i. Wer nur dein reizendes Gefiht einmal [obt, dem 

wirft du jogleih ein mehr als dreyjähriger Freund Du 

hälſt, will er jagen, gleich jeden, der dir eine flüchtige Schmeicheley jagt, 
fo werth, und noch werther, als einen, der drey Jahre dein Freund ge- 
wejen. Herr Lbk. aber jagt dafür: | 

30 Lobt nur jemand dein blühend Geficht, jo liebſt du ihn Länger 

Als drey Jahr, der heißt denn dein Liebiter. | 
Der Dichter will nichtsweniger als diejes jagen; er hält jeinen Geliebten 
gar nicht für fähig, eine einzige Perſon länger als drey Jahr zu lieben. 
Es entjchuldiget den Herrn Lbk. aber nicht, daß auch andre Ausleger 
35 dieſe Stelle, mit ihm, eben jo falich verjtanden haben. 


1Mägdchen [1762] 


IV 
ot 











Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfichaffen und der freyen Rünfte. 103 





XXX. Idyll. Theofrit fagt nicht, 3. 6 daß der Schmerz 
den Liebesgöttern Flügel gegeben. Sie werden ja immer mit 
Flügeln vorgeitellt. 3. 26. 27. 

Sch wollte nicht den Jüngling 

Den jchönen Jüngling jtoßen. 
Hat man jemals gehört, daß man von einem wilden Hauer jagt, er 
ſtößt? — Daß Herr Lbk. in der lebten Zeile die Berbejjerung des 
Longepierre, aus welcher einzig ein ſchicklicher Verſtand kömmt, nicht 
gewußt und gebraucht hat, dürfen wir ihm wohl für feinen Fehler an— 
rechnen. 

So weit wären wir nun, und jo weit wollen wir uns auch ge= 
fommen zu jeyn, begnügen. Es wären zwar noch die Sinnjchriften des 
Theofrit3 umd die Föyllen des Bion und Moſchus übrig, aber 
jollte Herr Lbk. wohl, erit gegen das Ende, feiner Arbeit gewachſner! und 
jorgfältiger geworden jeyn? Es iſt nicht zu vermuthen, und wir werden 
alfo ohne Gefahr dag Urtheil von diefer Lieberkühnſchen Ueberjegung 
fällen fünnen, daß jie zu weiter nichts taugt, al3 bey einem gejchieten 
Manne das Mitleiden rege zu machen, uns eine beßre zu liefern. 


Bey? Haude und Spener, wird verkauft: Heinrich der 
Bogler, oder, die gedämpften Hunnen; Berjucd eines Hel— 
dengedicht3 von dem Berfafjer des Herrmanns 24 Bogen 
in Quarto. Man muß e3 dem Verfafjer des Hermanns nachjagen, daß 
diefer Verſuch ein Meifterjftüd in feiner Art iſt. Alle Welt weiß es, 
daß diejer Dichter ein Meiſter ift, Helden abgeſchmackt denfen zu Lafjen, 
und den Lejern lange Weile zu machen. Man wird von uns wohl feinen 
Auszug aus dieſem Werfe verlangen, denn derjenige muß gewiß jehr 
viel verbrochen haben, der verdammt ift, mehr als zwey Zeilen darinn 
zu leſen. Wer aber doc nähere Nachricht davon haben will, der fann 


10 


20 


25 


fie in dem Neuejten aus der anmuthigen Gelehrjamfeit 30 


finden, wo er auch etwas finden wird, das an allen andern Orten ver- 
geblich gejucht werden würde, nämlich ein Lob dieſes Verſuches eines 
Heldengedidt3. 


1 gewachlener [1762] 
IZweyten Bandes zweytes Stüd, 1758, ©. 422 f. Zweite Auflage 1762.] 





104 Aus: Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften und der freyen Rünſte. 





London." Bon hier aus haben wir eine Neuigfeit mitzutheilen, 
die jedem, dem die Ehre des deutſchen Witzes nicht gleichgültig ift, an- 
genehm jeyn muß. Die fatyrifchen Briefe unfer3 Herrn Rabeners. 
find in die engländiiche Sprache überjegt worden, und man iſt be- 

5 jchäftiget auch feinen übrigen Schriften diefen verdienten Vorzug wieder: 
fahren zu lafjen. Hier iſt der Titel: Satirical Lettres, translated from 
the German of @. W. Rabener, First Secretary to the Treasury at 
‚Dresden. London printed for A. Linde 1757 in zwey jaubern Bänden 
in Octav, deren erjter 317 und der andre 325 Seiten hat. Der Herr 

10 Rabener iſt, wie befannt, Ober-Steuer-Secretär, es iſt ihm aljo in 
der Engl. Auffchrift ein falfcher Titel beygelegt worden. Doch diefer 
fleine Fehler würde am erjten zu überjehen feyn, wann nicht in dem 
Werke jelbit, mehrere und beträchtlichere zu finden wären. 3. €. das 
Er ficht (auf der 19 Geite des deutjchen Originals erjter Ausgabe) 

15 iſt überjegt worden, he is something of a valetudinarian; welches, wenn 
wir e3 wieder ins Deutjche überjegen wollten, heißen wiirde: Er iſt 
ein wenig fränflid. Ohne Zweifel hat der englijche* Ueberjeger 
anftatt er fiht, er ſiecht gelefen. Beſonders hat er das Komiſche 
von verjchiednen? deutjchen Ausdrücken nicht genug eingejehen. Wenn 

20 Herr Rabener (©. 14) jagt: Und jo gar, weldes Ew. Erxcel- 
lenz nit ungnädig vermerfen werden, fromm und hrijt- 
lich, jo überjeßt er jchleht weg: and which, I hope, will not be 
disagreeable.. Wir wollen noch einige dergleichen Stellen anführen, jo 
wie jie uns bey einer jehr flüchtigen Durchblätterung in die Augen ges 

25 fallen ſind. ©. 14. Inzwiſchen fann ih ihnen doch nach— 
rühmen, daß fie Leute find, welche mit fi handeln laſſen: 
however all must give them this commendation, that they are very 
pliant and submissive. Ebend. In Wünſchen ift er unerfhöpflid: 
he is inexhaustible in projeets. ©. 22. Weil er ein wenig kau— 

30 melfe: as he is subjeet to vertigos; der gute Kandidat war etwas ganz 
andern, als dem Schwindel unterworfen. ©. 35. Bedaure, daß du 
nicht im Stande wäreſt: seem concernd, that you are not dressed. 
©. 39. Aber auf diefe Art fahref ihr dahin, wie das Dieh: 
but this, says thy Pastor, is acting like brute beasts. S. 41. Mit 





1 [Bivepten Bandes zweytes Stüd. 1758. ©. 434—436. Zweite Auflage 1762.] ? engländijche 
[1762] 3 perfchtedenen [1762] 


Aus: Bibliothek der ſchönen Wilfenfchaffen und der Freyen Rünfte. 105 
den Jahren Ändert ſichs wohl: all things don't suit all years. 
S. 44. Für arme Leute Kinder mag es halbwege ſeyn: it 
will do very well for the poor people. ©. 46. Es wird fi wohl 
geben: it will be very becoming etc. Diejer und dergleichen Unrich— 
tigfeiten aber ohngeachtet, glauben wir doch, daß die Ueberjegung ihr 
Glück machen wird. An einem Rabener muß man jehr viel vers 
derben, wenn er gar nicht mehr gefallen fol. Noch ift in dem Eng- 
fändifchen eine Heine Verjegung der Briefe vorgenommen worden, die 
aber wenig jagen will; der zweyte Band enthält nämlich das, was in 
der deutichen erjten Ausgabe von S. 181—392 jteht, dag übrige, der 10 
Anfang und das Ende, machen den erjten aus. Ohne Zweifel hat man 
diefe Verjegung machen müſſen, um zwey gleich ſtarke Bände zu be- 
fommen. 


Sr 


Lieder, Fabeln und Romanzen, von J. W. ©. 

Leipzig bey David Wverfen, 16 Bogen in Belan. ! 15 

Wir ergreifen die Gelegenheit, um bey einer neuen Auflage diejer 
Gedichte Nachricht von denjelben zu geben. Ihr BVerfafjer, der jchon 
längſt die Ehre des deutjchen Parnaſſes geweſen ift, hat ſich zwar nicht 
genennet, ijt aber dennoch befannt genug. Und wie könnte man einen 
Gleim verfennen? — — 20 

Wir fangen von den Fabeln an, welche den größten Theil diejer 
Sammlung einnehmen: 

Das erite Buch enthält fünf und zwanzig neuerfundene Fabelı. 
Hingegen gehören von den fünf umd zwanzigen des zweyten Buchs 
nur die drey eriten dem Verfaſſer; die übrigen hat er nad) dem bey 25 
gefügten Verzeichnifje aus alten und neuen Dichtern genommen. Bor 
einem ieden Theile jtehet eine poetische Zueignungsschrift an des Prinzen 
Friedrihs von Preuſſen Königl. Hoheit, in welchen viel jchönes 
enthalten ift. Won dem großen preußiihen Monarchen beißt es in der 
gueignungsichrift des eriten Buchs: 30 

. . . Dft erholt Er ſich ein wenig 
Bom Ungemach der Monarchie; 


1 (Dritten Bandes zweytes Stüd. 1758. ©, 321—330. Zweite Auflage 1762. Die NRecenfion, ur— 
ſprünglich von Mofes Menvdelsjohn verfaßt und deshalb auch mit feiner Chiffre E. unterzeichnet, 
wurde von Leifing manchfach erweitert und umgearbeitet.) 


106 Aus: Bibliothek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen KRünſte. 





Denn hat das jtille Sans-Souci 
Den PBhilofophen, nicht den König. 
* * 


Da denkt Er denn in ſeiner großen Seele 
Gedanken, wie die Marc Aurele, 
5 Und lieſt. 
O Prinz, o wag es doch einmal, 
Und trag in ſeinen Bücherſaal 
Dieß Fabelbuch, dein Spiel. 
(Der Held, der ietzt auf einem ganz andern Wege der Unſterblichkeit ent— 
10 gegen zu eilen genöthigt iſt, mag ſich unter dem freudigen Zuruf der 
Völker ſehr oft nach der philoſophiſchen Muße auf dem ſtillen Sans-Souci 
zurück ſehnen!) Unter den eigenen Erdichtungen unſers Verfafjers ver: 
dienen die zehnte, zwölfte und drey und zwanzigite des eriten Buchs, wie 
auch die zwo eriten des zweyten Buchs allen andern vorgezogen zu werden; 
15 und auch diefe find nicht von kleinen Fehlern frey, indem man öfters die 
Wahrheit, Einheit und Moralität der äjopiichen Fabel vermißt. Hin— 
gegen befist unfer Dichter die Gabe zu erzehlen in einem fehr vor- 
züglihen Grade, und diejes iſt bey dem Fabeldichter wenigjtens ein 
eben jo großes Verdienſt, al3 die Gabe zu erfinden. La Motte wird 
20 mit allem feinen Erfindungen jelten gelejen, und La Fontaine hat 
ſich durch feine meisterhafte Art zu erzehlen einen vorzügliden Plat 
unter den Dichtern erworben, die die Heiten Ludewigs des Bier- 
zehnten, oder vielmehr die Zeiten dieſer großen Dichter verherr- 
fihen. Unſerm Dichter ift bejonders eine glüdliche Kürze eigen, die 
25 faft niemals in das Trodene verfällt, und dem Vortrage eine be- 
jondere Naivite und Lebhaftigfeit verjchaft, ohne ihn in das Poſſen— 
bafte und Niedrige finfen zu laffen. Die dreyzehnte Fabel des zweyten 
Buchs iſt meilterlih erzehlt, und übertrifft den La Fontaine, aus 
dem fie genommen iſt. Wir wollen das Mufter mit der Nachahmung 
30 vergleichen. Die hundert und neunzehnte Fabel T. J. des La Fon— 
taine iſt: 
Le Cheval et lY’Ane. 
En ce monde il se! faut l’un l’autre secourir. 
Si ton voisin vient à mourir, 





1 se [fehlt 1758. 1762] 


Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Rünfte. 107 





Unjer 


Der Eingang unſers deutjchen Dichters iſt vortrefflih. Der Vorwurf 


C'est sur toi que le fardeau tombe. 

Un Ane accompagnoit un Cheval peu courtois, 
Celui-ci ne portant, que son! simple harnois, 
Et le pauvre Baudet si charge qu’il succombe. 
I pria le Cheval de l’aider quelque peu; 
Autrement il mourroit avant qu’ ätre A la ville. 
La Priere, dit-il, n’en est pas incivile: 

Moiti6 de ce fardeau ne vous sera”? que jeu. 

Le Cheval refusa, fit une petarade, 

Tant qu'il vit sous le faix mourir son cammarade, 
Et reconut, qu’il avoit tort. 

Du Baudet en cette avanture, 

On lui fit porter la voiture, 

Et la peau par dessus encor. 

deutjcher Dichter unter eben dem Titel: 

Einjt trug auf feinem jchmalen Rücken 

Ein Ejel eine jchwere Lat, 

Die fähig war, ihn todt zu drüden. 

Ein ledig Pferd gieng neben ihm. Du haſt 


Auf deinem Rüden nichts, ſprach das geplagte Thier, 
Hilf, Liebes Pferdgen, hilf! ich bitte dich, hilf mir. 


Was helfen! jagt der grobe Saul, 


Du bijt der rechte Gaſt, du bijt ein wenig faul, 


Trag zul === 3 fterbe, liebes Pferd⸗⸗— 
Die Laſt erdrüdt mid, rette mich! 

Die Hälfte wär ein Spiel für did! 

Ich kann nicht, ſprach das Pferd. 

Kurz: Unter dem zu jchweren Sad 

Erlag der Ejel. Sad und Bad 

Schmiß man dem Rappen auf; 

Des Ejeld Haut noch oben drauf. 


wird mit vieler Deutlichfeit aus einander gejegt, und die Handlung in 


ieder Zeile immer mehr und mehr vorbereitet. 


Ein ledig Pferd 


10 


15 


25 


gieng neben ihm, ift fürzer und weit jchöner, als accompagnoit un 35 





1 son [fehlt 1758. 1762] ? fera [1762] 


108 Aus: Bibliothek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen Rünſte. 





cheval peu courtois, Celui-ci ne portant, que son simple harnois. Peu 
courtois jteht hier fehr am unrechten Orte. Der Leſer begreift noch 
nicht, wodurd fi das Pferd diefen Tadel zugezogen hat. Weit befjer 
it: Was helfen! jagt der grobe Gaul. Ne portant, que son 
simple harnois, ijt lange nicht jo gut, als „Ein ledig Pferd“. Die 
Unterredung des Ejel3 mit dem Gaul wird von dem franzöfiichen Dichter 
bloß erzehlt; der deutjche hingegen läßt die Handlung vor unjern Augen 


. vorgehen. Die demüthige Bitte des geplagten Thiers machet mit der 


10 


20 


25 


beleidigenden Antwort des ftolzen Gauls einen vollflommenen Contraſt 
aus. Man glaubt einen unerbittlihen Bachter mit dem Fröhner reden 
zu hören: 

Was helfen! jagt der — — 

Du biſt der rechte Gaft, du bit ein wenig faul. 

Trag zu! — Ich jterbe ꝛc. 
Wie ſchwach Flingt das Franzöſiſche: La Priere, dit-il, n’en est pas 
ineivile. So gar die franzöfiichen Eſel wollen nicht gern unhöflich heißen. 
En cette Avanture ijt eine bloße cheville. 

Die fehr malerische Bejchreibung des Zilchreigers im La Fon— 

taine: 

Un jour sur ses longs pieds alloit, je ne scai ou, 

Le Heron au long bec, emanche d’un long cou, 

Il eötoyoit une riviere, u. ſ. w. 
St im Deutjchen glüclich gegeben: 

Am Ufer eines Bachs, auf einer Wieje, gieng 

Ein Reiger ernithaft hin, auf fangen dürren Beinen, 

Mit langem Hals, woran ein langer Schnabel hieng, u. j. w. 
Die Worte, auf einer Wieſe, ſcheinen überflüßig. 

Die jechzehnte Fabel, „Der Ejel in der Löwenhaut“, 

gleichfalls aus dem La Fontaine, iſt um ein merfliches verjchönert. 


30 Man kann dieſes auch von der zwanzigſten aus Gay’s Fables behaupten. 


35 


— Wir wollen einen Theil der engländiichen Fabel jammt der — 
Nachahmung herſetzen. 
Fable XLIII. 
The Couneil of the Horses. 
Upon a time a neighing steed, 
Who graz’d among a num’rous breed, 








With mutiny had fir’d the train, 
And spread dissention through the plain. 
On matters that concern’d the state 
The Couneil met in grand debate. 
A colt, whose eye-balls flam’d with ire 
Elate with strength and youthful fire, 
In haste stept forth before the rest, 
And thus the listning throng addrest. 
Good gods! how abject is our race, 
Condemn’d! to slav'ry and disgrace! 
Shall we our servitude retain, 
Because our Sires have born the chain? 
Consider, friends, your strength and might, 
"Tis conquest to assert your right. 
How cumbrous is the gilded coach! 
The pride of man is our reproach. 
Were we design’d for daily toil, 
To drag the plough-share through the soil; 
To sweat in harnefs through the road, 
To groan beneath the carrier’s load? 
How feeble are the two legg’d Kind! 
What force is in our nerves combin'd! 
Shall then our nobler jaws submit 
To foam and champ the galling bit ? 
Shall haughty man my back bestride? 
Shall the sharp Spur provoke my side? 
Forbid it Heav'ns! Rejeet the rein, 
Your shame, your infamy disdain. 
Let him the Lion first controul, 
And still the tyger’s famish’d growl: 
Let us, like them, our freedom claim, 
And make him tremble at our name. 
A general nod approv’d the Cause, 
And all the circle neigh’d applause etc. 





1 contemn’d [1758,. 1762] 


Aus: Biblivfhek der ſchönen Wilfenfchaften und der freyen Rünlte. 109 


10 


30 


110 Aus: Biblivfhek der ſchönen Willfenfihaffen und der freyen Rünſte. 





Der deutjche Dichter hat die Reden des Aufwieglers verlängert, 
aber auch zugleich verjchönert. Wir wollen ihn hören: 
Ha! ſprach ein junger Hengit, wir Sclaven find es werth, 


10 


20 


25 


30 


35 


Daß wir im Joche find. Wo lebt ein edles Pferd, 
Das frey ſeyn will? D wie glüdjelig war 

In jener Beit der Väter Schaar! 

Die waren Helden, edel, frey 

Und tapfer. In die Sclaveren 

Bog feiner feinen Naden, 

Engländer nicht, auch nicht Polacken. 

Der weite Wald 

War ihr geraumer Aufenthalt, 

Auch ſcheuten fie fein offnes Feld, 

Sie graſten in der ganzen Welt 

Nach Freyem Willen. Ach! und wir, 

Sind Sclaven, gehn im Joch, arbeiten wie der Stier. 
Dem Schwachen Menjchen find wir Starfen unterthan, 
Dem Menjchen! — — Brüder, ſeht es an, 

Das unvollflommne Thier! 

Was it 8? Was find wir? 

Solch ein Geſchöpf beitimmte die Natur 

Uns prächtigen Gejchöpfen nicht zum Herrn; 

Pfui, auf zwey Beinen nur! 

Niecht er den Streit von fern? 

Bebt unter ihm die Erde, wenn er ftampft? 
Sieht man, daß feine Naſe dampft? 

Sit er großmiüthiger als wir? 

St er ein fchöner Thier? 

Hat er die Mähne, die ung ziert? 

Und doch it er, ihr Brüder, ad! 

Der Herr, der uns regiert. 

Wir tragen ihn, wir fürchten feine Macht, 

Wir führen jeinen Krieg, und liefern jeine Schlacht! 
Er jiegt, und höret Lobgejang; 

Die Schlacht indeß, Die er gewann, 

War unjer Werf, wir hatten es gethan. 








Aus: Bibliothek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Rünfte 111 








Mas aber ift der Dank? 

Wir dienen ihm zur Pracht 

Bor jeinem Siegeswagen; 

Und ach! vielleicht nach dreyen Tagen 

Spannt er den Rappen, der ihn trug, 

Bor einen Pflug. 

Entreißet, Brüder, euch, der niedern, Sclaverey, 

Entreißet euch dem Zoch, und werdet wieder frey. 

Vielleicht ift es, wenn wir 

Bufammen halten! Was meynt ihr ? 10 

Er jchwieg. Ein wieherndes Gejchrey, 

Ein wilder Lerm entjtand, und ieder fiel ihm bey, u. ſ. w. 

Der Eingang des Engländers iſt etwas langweilig. Wir würden 
lieber mit dem Deutichen gleich zur Sache ſchreiten: 

Ha! ſprach ein junger Hengit, u. ſ. m. 15 
wenn wir nur durch ein einziges Wort unterrichtet worden wären, wen 
der junge Hengit anredet. 

Gay läßt ihn jagen: 
Shall we our servitude retain 
Because our Sires have borne the chain? 20 
Bey dem Deutjchen thut er gerade das Gegentheil. Er bejchreibet den 
Heldenmuth, die Tapferkeit und die Frepheit feiner Vorfahren, und diejes 
mit Recht. Das Gejchleht der Pferde iſt doch unjtreitig einjt frey ges 
wejen, und was ift natürlicher, als daß fich ein junger Held, durch die 
Heldentugenden feiner Vorfahren, zu großen Thaten anjpornen läßt. 2 
Der Stolz des aufrührifchen Gauls ift im Deutjchen unverbejjer- 
lih ausgedrüdt: 
Dem Menichen! — — 
Das unvollkommne Thier! 
Was iſt 8? Was jind wir? 30 
Pfui, auf zwey Beinen nur! 
Die folgenden Fragen: 
Niecht er den Streit von fern? 
Bebt unter ihm die Erde, wenn er jtampft ? 
Sieht man, daß jeine Naſe dampft? u. j. w. 35 
beziehen fich auf die Bejchreibung von den Tugenden des Pferdes, die 


ne 


or 


119 - Mus: Bibliokhek der ſchönen Wiſſenſchaften und der freyen Rünſte. 








wir im Hiob leſen, und ſind hier dem Eigendünkel des jungen Hengſtes 
ſehr angemeſſen. Wie lebhaft wird der Undank des Menſchen gegen die 
— Thiere am Ende der Rede beſchrieben! 

Was aber iſt der Dank? 

5 Wir dienen ihm zur Pracht 
Vor ſeinem Siegeswagen, 
Und ach! vielleicht nach dreyen Tagen, 
Spannt er den Rappen, der ihn trug, 
Vor einen Pflug. 
10 Kurz! man wird in der Rede des deutſchen Rebellen weit mehr Ordnung, 
mehr Lebhaftigkeit und auch mehr Gründlichkeit antreffen, als in der 
Rede des Engländers. Man wird dieſen Unterſchied auch in der Ant— 
wort des alten Schimmels bemerken, welche wir der Kürze halber über— 
gehen. Nur den Schluß führen wir aus beyden — noch an; der 
15 engländiſche Dichter ſagt: 
The tumult ceas’d. The colt submitted, 
And, like his ancestors, was bitted. 
Der deutſche mit einer ihm eigenen Qujtigfeit: 

Niemals befänftigte der Redner Cicero 

20 Die aufgebrachten Römer jo, 
ALS dieſer Neftor feine Brüder. 
Denn er voran, und hinter ihm die Schaar 
Der muthigen Rebellen alle, 
Nebſt dem, der ihr Worthalter war, 

25 Begaben aljobald fich wieder nach dem Stalle. 

Es iſt im übrigen zu bedauern, daß der Verfaffer, wie er fi in 
einer angehängten Nachricht beflagt, dem Schickſale der beiten Köpfe in 
Deutjchland nicht hat entgehen fünnen. Sie werden mehrentheil3 mit 
einer Menge von mechanijchen Gejchäften belastet, die in ziemlicher Ent- 

30 fernung von den Werfen der Mufen jtehen, und mwenn das Genie ſich 
gleich durcharbeitet, und zu gewiljen glüclichen Stunden aus dem Felde 
der Mühjeligfeit in das Feld der Schönheit hinüber jchweift, jo fehlt es 
ihm doch an der zwoten Muße, die zur Ausbefferung und Wegihaffung 
der Kleinen Fehler erfordert wird. Er dichtet, weil ihn das Dichten be- 

35 Iuftiget; die Ausbefjerung aber ift eine Arbeit, und kann nur von dem— 
jenigen unternommen werden, der zur Veränderung arbeitet. 





Aus: Biblivfhek der ſchönen Willenfchaften und der freyen Künlte. 113 








Nach denen überaus fchönen Proben, die wir von unjerm Dichter 
angeführt, wird es unjtreitig den Umſtänden, in welchen der Verfaſſer 
febt, zuzufchreiben jeyn, daß er fich ſelbſt jo ungleich ift, und in andern 
Stellen eine ziemliche Nachläßigkeit verräth. Die vierte Fabel, die 
Milhfrau aus dem Fontaine, ijt weit unter dem Original, und 
wimmelt von müſſigen Ausdrüdungen. Die vier und zwanzigite, der 
Fuchs und der Rabe, die La Fontaine fo meifterlich erzehlt, hat 
in der Nahahmung vieles verlohren. (Man ſehe in Gellerts Vorrede 
zu jeinen Fabeln und Erzehlungen, wie Ihön dieſe Fabel von einem 
alten ſchwäbiſchen Dichter ift befungen worden.) Wir zweifeln nicht, daß 
e3 der Herr Verfaſſer jelbit eingefehen habe; aber wir verwundern ung, 
daß er nicht, jtatt der fünf und zwanzig Fabeln im zweyten Buche, Lieber 
ungefähr achtzehn vortrefflich erzehlte Fabeln hat liefern wollen. ! 





ı [Den Schluß des Aufjages bildet eine farbloje Beiprehung der Romanzen und Lieder Gleims; 
Leſſing bat daran feinen Anteil.] 


Leſſing, jämtlide Schriften... VIL 8 


5 


10 


14 


Ein Schlarhfgefang und zwey Siegeslieder, 








Ein Schlachkgeſang 
und zwey Siegeslieder 


non einem Preulfilihen Grenadier. 
1758. 


Vachrichk. 


Man theilet hier dem Leſer einen? Schlachtgeſang und zwey 
Siegeslieder mit, die einen gemeinen Soldaten unter der Preuſſiſchen 
Armee zum Verfaſſer haben. Sie fünten beyde weder poetijcher noch 
friegrifcher jeyn, und find voll der erhabenften Gedanken, in dem ein- 


10 fältigften Ausdrude. In der gewiſſen Ueberzeugung, daß fie gefallen 


rt 
N 


19] 


werden, und daß fich der Lejer nicht an Dinge jtojjen werde, die der 
Berfaller als ein Mann jagt, der die Gerechtigkeit der Waffen jeines 
Königes vorausfeget, hoffet man eine gute Aufnahme. Solten nod) 
mehrere Gejänge von dieſem Verfaſſer befannt werden, jo wird man 
jolche ebenfalls mittheilen. 





1 [Seit dem Ende des Jahres 1757 erichien, vermutlich von Leifing oder gemeinfam von Lejfing und 
Kleift herausgegeben, eine „Sammlung auserlejener Oden Gedichte und Lieder, welche bei Gelegen— 
beit des gegenwärtigen Krieges berausgefommen Erjte8 Bändgen Zweite Auflage. Berlin 1758.” 
(nad Angabe der Mepfataloge von Johann Benediet Mezler in Stuttgart verlegt). Dieje Samm— 
lung, deren erjte Ausgabe nicht aufzutreiben war, erſchien urſprünglich in drei Heften nad ein— 
ander, zuerjt im Dezember 1757 vier unpaginierte Blätter in 8° mit Gedichten (vorwiegend Sinn 
gedichten) von verſchiednen Verfaſſern, dann gleichfalls noch im Dezember 1757, mit dem oben ab= 
gedrudten neuen Titelblatt und der aus Leſſings Worten in der „Bibliothek der jhönen Wiſſen— 
Ihaften und der freyen Künſte“ (vgl. oben ©. 81) zufammengefegten, daher fiberlich von Leſſing 
ſelbſt abgefaßten „Nachricht” drei Grenadierlieder von Gleim (Schlachtgeſang, Siegeslievd nad der 
Schlacht bei Prag, Siegeslied nah ver Schlacht bei Roßbach; 32 numerierte Seiten), endlich, wahr- 
icheinlich erjt im Februar oder März 1758, vier weitere Grenadierliever Gleims (Siegeslied nad 
der Schlacht bei Lowofig, zwei Siegeslieder nah der Schlacht bei Lifja, Siegeslied nad der Wieder- 
eroberung der Stadt Breslau) und die Überfegung einer Ode Boltaires an Friedrich IL, obne 
neues Titelblatt, auch mit fortlaufender Paginierung (S. 33—94), aber mit neuer Sierleijte am 
Kopf der erjten Seite. Papier, Format und Drud iſt durchaus gleichmäßig. Vgl. au Br. I, 
©. 49, Anm. 4.] 2 ein [1758] 


Kriegs- und Sieges-Lieder der Preulfen. ; 115 


Kriegs- und Sieges-Lieder der Preuſſen 
von einem Preuſſiſchen Grenadier. 
VNebſt einem Anhang 


einiger an des Königs von Preullen Majeltät gerichtefer Gedichte. 
Berlin, 1758.' 


.- 
wt 


Barhfihriff an den Teler. 


Es ijt etwas Befanntes, daß ſich unter den Preußiſchen gemeinen 
Soldaten Leute befinden, die man wahren Helden an die Seite jeßen 
fan; aber daß man unter denjelbigen Dichter antrift, die eg mit den 
berühmtejten Poeten aufnehmen können, das wird jo befannt nicht jeyn. 10 
Der Verfaſſer obiger Lieder iſt würklich weiter nichts, als ein gemeiner 
Grenadier, aber ein Preußiſcher. Manche Lejer diefer Lieder werden 
es vielleicht noch nicht glauben, doc die Anzahl der Unglaubigen würde 
noch ungleich gröjjer jeyn, wenn man nicht in unſern Tagen jo viel 
Preußiſche Dejerteurs zu jehen und zu kennen Gelegenheit gehabt hätte, 15 
welche etwas mehrer von ſich hoffen laſſen, als man jonjt gemeinig- 
lih von Grenadiers Wiß zu erwarten pflegt. Die ganze Welt, es 





* [16 unpaginierte Blätter in 8%, denen fich 20 weitere Blätter als Fortjegung anſchließen, beide 
Hefte zu Berlin 1760 nadgebrudt; vgl. Bd. I, ©. 49, Anm. 4. Auch diefe Sammlungen können 
nur bon einem der vertrauteften Freunde Gleims herrühren; vermutlich mar wieder Leffing oder 
Kleift mit Lejfing zufammen der Herausgeber. Die „Nahihrift an den Lefer“ führt ebenfalls Ge- 
danken jener Anzeige aus der „Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften“ ſowie des Lejfingifhen Auf- 
fages in ber Berlinifchen privilegierten Zeitung vom 7. Januar 1758 (vgl. unten S. 121) weiter aus, 
it alſo wahrjheinlih aud von Leffing oder wenigſtens unter feiner Beihilfe verfaßt. Sie folgt 
unmittelbar auf die vier Gremabierlieder des erften Heftes (die drei im Dezember 1757 zufammen- 
gedrudten Grenabierlieder und das Lied auf die Wiedereroberung Breslaus), geht alfo dem „Anz 
bang einiger anderer an Se. Preußiſche Majeft. gerichteter Gedichte” voraus. Sie muß im Ja- 
nuar 1758 gejchrieben fein, da fie die Lieder auf die Schlabten von Lomwofig und Liffa, die erft 
während diejes Monats vollendet wurden und zu Anfang Februars fih im Drud befanden, ſchon 
ankindigt.] 


116 Rriegs- und Sieges-Lieder der Preulfen. 





mögen Freunde oder Feinde von Preußen jeyn, iſt hierinn überein- 
ftimmend, daß in Preußifchen Landen nicht nur die beite Kriegs-Schule 
anzutreffen ift, jondern auch, daß der Soldat darinnen zugleich Sitten 
und wohlanjtändige Lebensart lernt, dergeitalt, daß man einen Preu⸗ 
ßiſchen Soldaten ſogleich von allen andern unterſcheidet. Dieſes wird 
den Leſer präpariren, daß er unſern poetiſchen Grenadier nicht als 
etwas Unmögliches, doch als eine jeltene Erſcheinung in dem Reich der 
Wiſſenſchaften anjehen wird. Seine Gedichte find zugleich kriegeriſch 
und poetijch, fie find erhaben, und doch nicht verftiegen, fie find prächtig, _ 
10 und doch in den gemeinjten Ausprüden verfaflet, fie werden aljo ohne 
allen. Zweifel den Beyfall des gelehrten und ungelehrten Leſers er- 
halten. Dieſem fünnen wir die angenehme Nachricht ertheilen, daß er 
in Kurzem die beyden Siegeslieder nah der Schlacht bey LYobofi und 
Lila von eben diefem Verfaſſer in die Hände befommen joll. 


or 





Preuffilche Rriegslieder von einem Grenadier. 


Preulflihe Rriegslieder 


in den Feldzügen 1756 und 1757 


von einem Örenadier. 


Mit Melodieen. 
Berlin, bey Ahriltian Friedrich Voß.“ 


Borbericht. 


Die Welt kennet bereits einen Theil von diejen Liedern; und die 
feinern Xejer haben jo viel Geſchmack daran gefunden, daß ihnen eine 
vollitändige und verbejlerte Sammlung derjelben, ein angenehmes Ge- 
ſchenk jeyn muß. 

Der Verfafjer ift ein gemeiner Soldat, dem eben jo viel Helden- 
muth als poetijches Genie zu Theil geworden. Mehr aber unter den 
Waffen, als in der Schule erzogen, jcheinet er fich eher eine eigene 
Gattung von Ode gemacht, als in dem Geiſte irgend einer jchon be- 
fannten gedichtet zu haben. 

Wenigſtens, wenn er fich ein deutjcher Horaz zu werden wünjchet, 
fann er nur den Ruhm des Römer, als ein lyriſcher Dichter über- 
haupt, im Sinne gehabt? haben. Denn die charakteriftiichen Schön- 
heiten des Horaz, jegen den feinften Hofmann voraus; und wie weit 
it diefer von einem ungefünftelten Krieger unterjchieden ! 





’ [S unpaginierte Blätter, 134 Seiten und ein Blatt Inhaltsverzeichnis 8°, mit einem Titellupfer und 
einer Bignette von J. W. Meil. Der Drud war mit Ausnahme der Notenbeilagen im Juli 1758 
vollendet. Am 6. Auguft 1758 ſandte Leffing an Gleim Eremplare, in denen jedoch auf diefen Noten— 
beilagen noch die Geitenangaben fehlten, zu welchem Gedichte die jeweiligen Melodien gebörten 
(= 1758a); am 11. Auguft jhidte er die vollitändig fertigen Eremplare, mit den Seitenangaben 
auf den Melodien (= 1758b). Ein neuer Drud der Kriegslieder erfchien zur Oſtermeſſe 1759, in 
Rechtſchreibung und Interpunttion bie und da von dem vorigen verfchieden, fonjt in allem, auch im 
Format, Drudjchrift und Seitenzahl mit ibm übereinftimmend, ebenfalld obne Jahreszahl (= 1759); 
doch ift bier mit befonderem Titelblatt und jelbftändiger Seitenzählung (52 Seiten) das Gedicht an 
die Kriegedmufe nad dem Siege bei Zornborf beigefügt. Dem folgenden Abdrucke liegt 1759 zu 
Grunde. Bon den fpäteren Ausgaben der Gleim’ihen Kriegslieder enthält die von Frankfurt und 
Zeipzig 1770 Leifings Vorbericht nicht, und die von Berlin 1778 tft veranftaltet, ohne daß Leifing den 
Drud überwachen konnte, alfo Eritifch für jeinen Vorbericht ohne Wert.) 2 gehabt [fehlt 17781 


91 


10 


15 


20 


F 


© 


118 Vreulſiſche Rriegslieder von einen Grenadier. 





Auch mit dem Pindar hat er weiter nichts gemein, als das 
anhaltende Feuer, und die Yrrspßara der Wortfügung. 

Bon dem einzigen Tyrtäus könnte er die heroiſchen Gefinnungen, 
den Geitz nach Gefahren, den Stolz für das Vaterland zu jterben, er- 
lernt! haben, wenn fie einem Preuſſen nicht eben jo natürlich wären, 
als einem Spartaner. 

Und diejer Heroismus iſt die ganze Begeifterung unjers Dichters. 


Es ift aber eine jehr gehorſame Begeifterung, die fich nicht durch 


10 


20 


30 


wilde Sprünge und Ausichweifungen zeigt, jondern die wahre Ord— 
nung der Begebenheiten zu der Ordnung ihrer Empfindungen und 
Bilder macht. 

Alle feine Bilder find erhaben, und alle jein Erhabnes iſt naiv. 
Bon dem poetischen Bompe weis er nichts; und prahlen und ſchimmern 
ſcheint er, weder als Dichter noch als Soldat zu wollen. 

Sein Flug aber hält nie? einerley Höhe. Eben. der Adler, der 
vor in die Sonne ſah, läßt fih nun tief herab, auf der Erde jein 
Futter zu ſuchen; und das ohne Bejchädigung feiner Würde. Antäus, 
um neue Kräfte zu ſammeln ’ mußte mit dem Fuſſe den Boden be— 
rühren können. 

Sein Ton überhaupt, iſt ernfthaft. Nur da blieb er nicht ernit- 
haft — wo es niemand bleiben fann. Denn was erwedt das Lachen 
unfehlbarer, als groſſe mächtige Anftalten mit einer Eleinen, kleinen 
Wirkung? Ich rede von den drolligten Gemählden des — 
Liedes. 

Seine Sprache iſt älter, als die Sprache der jetztlebenden gröſſern 
Welt und ihrer Schriftſteller. Denn der Landmann, der Bürger, der 
Soldat und alle die niedrigern Stände, die wir das Volk nennen, 
bleiben in den Feinheiten der Rede immer, wenigſtens ein halb Jahr 
hundert, zurüd. 

Auch jeine Art zu veimen, und jede Zeile mit einer männlichen 
Sylbe zu ſchlieſſen, ift alt. In feinen Liedern aber erhält fie noch 
diefen Vorzug, daß man in dem durchgängig männlichen Reime, etwas 
dem furzen Abjegen der kriegeriſchen Trommete ähnliches zu hören 
glaubet. 

| Nach dieſen Eigenſchaften alſo, wenn ich unſern Grenadier ja mit 


1 erlerniet [1778] 2 nicht [1778] 3 fammlen [1778] 





Preuſſiſche Kriegslieder von einem Grenadier. 119 





Dichtern aus dem Alterthume vergleichen jollte, jo müßten es unjere 
Barden jeyn. 

Vos quoque, qui fortes animas belloque peremtas 

Laudibus in longum vates dimittitis aevum, 

Plurima securi fudistis carmina Bardi.” 

Carl der groſſe hatte ihre Lieder, jo viel es damals noch möglich 
war, gejammelt," und jie waren die unjchägbarite Zierde feines Bücher: 
jaals. Aber woran dachte diefer groſſe Beförderer der Gelehrjamfeit, 
als er alle jeine Bücher, und alfo auch dieſe Lieder, nach jeinem Tode 
an den Meijtbiethenden zu verkaufen befahl? Konnte ein römischer Kayjer 
der Armuth Fein ander VBermächtniß hinterlaſſen?“* — O wenn fie 
noch vorhanden wären! Welcher Deutiche würde fich nicht, noch zu weit 
mehrerm darum veritehen, als Hickes?*** 

Ueber die Gejänge der nordiſchern Skalden jcheinet ein günftiger 
Geſchick gewacht zu haben. Doc die Sfalden waren die Brüder der 
Barden; und was von jenen wahr ift, muß auch von diejen gelten. 
Beyde folgten ihren Herzogen und Königen in den Krieg, und waren 
Augenzeugen von den Thaten ihres Volks. Selbſt aus der Schlacht 
blieben jie nicht; die tapferjten und ältejten Krieger ſchloſſen einen? 
Kreis um fie, und waren verbunden fie überall hinzubegleiten, wo fie 
den wiürdigiten Stoff ihrer Fünftigen Lieder vermutheten. Sie waren 
Dichter und Gejchichtichreiber zugleich; wahre Dichter, feurige Gejchicht- 
jchreiber. Welcher Held von ihnen bemerkt zu werden das Glüd hatte, 
deſſen Name war unfterblich; jo unſterblich, als die Schande des 
Feindes, den ſie fliehen jahen. 

Hat man jich nun in den koſtbaren Ueberbleibjeln diejer uralten 
nordiichen Heldendichter, wie ſie uns einige däniſche Gelehrte auf: 

* Lucanus. 

** Eginhartus in vita Caroli M. cap. 33. Similiter et de libris — 
statuit, ut ab his, qui eos habere vellent, justo pretio redimerentur, pretium- 
que in pauperes erogaretur. 

** (Greorg. Hickesius in Grammatica Franco-Theodisca ce. 1. O utinam 
Jam extaret augusta Caroli M. Bibliotheca, in qua delicias has suas reposuit 


Imperator! O quam lubens, quam jucundus ad extremos Caroli imperii fines 
profieiscerer, ad legenda antiqua illa, aut barbara carmina! 


ı gejammlet, [1778] ? ein [1758. 1759, 1778] 


20 


30 


120 Preuffifche Kriegslieder von einem Grenadier. 





behalten haben,“ umgejehen, und fich mit ihrem Geifte und ihren Ab- 

fihten befannt gemacht; bat man zugleich das jüngere Gejchlecht von 

Barden aus dem jchwäbischen Zeitalter, feiner Aufmerkſamkeit werth 

geichägt, und ihre naive Sprache, ihre urjprünglich deutiche Denfungsart 
5 ftudirt: jo iſt man einigermafjen fähig über unjern neuen preuffischen 

Barden zu urtheilen. Andere Beurtheiler, bejonders wenn fie von 

derjenigen Klafje find, welchen die franzöfiiche Poeſie alles in allem ! 

iſt, wollte ich wohl für ihn verbeten haben. 

Noch bejite ich ein ganz Fleines Lied von ihm, welches in der 

10 Sammlung feinen Bla& finden konnte; ich werde wohl thun, wenn ic) 

diefen kurzen Borbericht damit bereichere. Er jchrieb mir aus dem 

Lager vor Prag: „Die Banduren lägen nahe an den Werken der Stadt, 

„in den Hölen der Weinberge; als er einen gejehen, babe er nad 

„ihn? hingeſungen:“ 
15 Was liegjt du, nadender Pandur! 

Necht wie ein Hund im Loch? 
Und weiſeſt deine Zähne nur? 
Und bellſt? So beilie Doch! 

Es könnte ein Herausfordrungslied ? zum Zweyfampf mit einem Pan— 

20 duren heillen. 
Ich hoffe übrigens, daß er noch nicht das legte Siegeslied joll ge- 
jungen haben. Zwar falle er bald oder jpät; jeine Grabjchrift ift fertig: 
Em 0’ 8/0 Hegarıwv uev Evvakıoıo avaxros 
Kaı Movoswv E9aTov IW_E0V ErlIS@uEvoS. 


* Andreas Vellejus und Petrus Septimus. 


ID 
ot 





t in allen [1758] 2 ihm [1778] 3 Herausforderungslied [1778] 





121 


Aus: 


Berliniſche privilegirte Zeitung. 
1758. ' 


Berlin.” Daß es unter den gemeinen Soldaten unfers unfterb- 
lichen Friedrichs, Helden die Menge giebt, ijt längjt befannt. Nun 
aber bat fich unter ihnen auch ein Sänger gefunden, der in dem wahren 
Thone der alten Barden, die Begebenheiten und Siege bejingt, deren 
thätiger Augenzeuge er gewejen. Er ijt nur ein Grenadier, aber voll- 
fommen würdig, als ein zweyter Tyrtäus, vor den neuern befjern 


5 


Spartanern, mit der friegerifchen Laute einher zu ziehen. Kennern iſt 10 


bereit3 jein Lied, welches er bey Eröfnung des Feldzuges vorigen Jahres, 
und ein anderes, das er nach dem Siege bey Prag gejungen, befannt, 
und fie haben die erhabne Einfalt derjelben nicht genug bewundern fünnen. 
Diejen Charakter hat er auch in einem neuern und längern Liede nicht 


verleugnet, welches er über den Roßbachſchen Sieg angejtimmet. &3 ijt 15 


bier, in Berlin, auf drey Bogen in Quart, unter der Aufichrift gedrudt: 
Siegeslied der Preuſſen nad der Schladt bey Roßbach. 
Wer gegen die Ehre feines Königs und feiner Nation nicht ganz gleich- 
gültig it, wird es gewiß mit Entzüden lefen. Nur muß er nicht zur 


Unzeit den Runftrichter dabey jpielen wollen, und jich bey anfcheinenden 20 


Fehlern verweilen, die da, wo fie jtehen, Schönheiten find. — Wie er: 
haben ijt die Stelle, wo unfer Heldenbarde von der Nacht, die vor 
dem groſſen Tage vorhergegangen, jagt: 
Vom Sternenvollen Himmel jahn 
Schwerin und Winterfeld, 
Bewundernd den gemachten Plan, 
Gedankenvoll den Held. 
Gott aber wog, bey Sternen-Klang, 
Der beyden Heere Krieg; 


1 (Berlin, bei Chriſtian Friedrid Voß. 156 Stüde zu je 2 Blättern 4”.] 
2 [Bte8 Stüd. Sonnabend, den 7 Ianuarius 1758,] 


10 


15 


20 


25 


3 


Sr 


122 Aus: Berlinifche privilegirie Zeitung. 1758. 





Er wog, und Preuſſens Schaale janf, 
Und Oeſtreichs Schaale ftieg. 
Wie launiſch Hingegen find die Bejchreibungen, die er von der Flucht 
der jo genannten Reichötruppen macht: 3. E. von dem Schwaben: 
Der Schwabe, der mit einem Sprung, 
Mit Berganitehndem Haar, 
Bon Roßbach bis nach Amelung, 
In jeiner Heimat, war. 
Ferner von dem Baderborner: 
Dem Paderborner, welcher Gott 
Hochprieß, und feinen Sporn, 
Und doch von kaltem Schreden todt 
Anfam zu Baderborn. 
Genug zur Probe! — Das PBublicum muß es übrigens dem Grenadier 
nicht übel deuten, daß es jetzt nicht lieber ein Lied auf den Gieg bey 
Liſſa zu leſen befümmt. Er wird auch diefen Sieg gewiß nicht ver- 
ichweigen. Aber weſſen Mufe ijt vermögend, mit dem Könige, der jeden 
Tag mit Liederwürdigen Thaten bezeichnet, Schritt zu halten? Koftet in 
den Voſſiſchen Buchhandlungen hier und in Potsdam 3 Gr. 


Siegeslied der Preuſſen, nach der Schlacht bey Liſſa, 
den 5 Decembr. 1757, Berlin 1758, in Quarto auf 3 Bo= 
gen. Hier it es, wo wir unjern neuen Barden, den liederreichen 
Örenadier, erwartet haben. Wir zweifelten in der That, ob es ihm mög— 
fi jeyn würde, jeine Yaute in einem noch höhern Tone zu jtimmen, und 
jeine vorigen Triumphlieder eben jo weit zu übertreffen, als diejer lebte 
Sieg unſers glorreichen Königs alle vorher erfochtene übertroffen. Doch 
er hat unfern Zweifel beſchämt, und wir wollen in Zukunft jeiner Mufe 
nie weniger zutrauen, als den Waffen des Heeres, unter welchem, auch 
nur ein gemeiner Soldat zu jeyn, Feine geringe Ehre it. Gleich Anfangs 
vedet er jeinen Gejang an, und jchreibet ihm alle die Würde und Erhaben- 
heit vor, in welcher er erichallen müfje. Hierauf führt er Gott redend ein, 
und man urtbeile ob jemal3 ein Dichter Gott würdiger hat reden laſſen. 

Ein Starker, ein Allmäctiger 
Gewann für ihn die Schlacht. 


1 1 [30te8 Stüd. Sonnabend, den 11 März 1758.] 








Aus: Berlinifche privilegirfe Beilung. 1758. 123 








Als Rächer will ich, ſprach der Herr, 
Zertreten ihre Macht. 


Mein Donner joll auf ihren Kopf 
Hart treffen; frejiend Schwerd 

Soll ihn zerjpalten, daß der Zopf 
Des Haars zurüde fährt. 


or 


Vernichten will ich ihren Bund: 
Würgengel jteig herauf! 
Nimm, Hölle, nimm in deinen Schlund 
Die Schaaren Todten auf! 10 


Warum verfhmähn, in jtolzer Pracht, 
Der Erde Fürften mid)? 

Berlafjen fich auf ihre Macht, 
Stehn wider Friederich ? 


Sind jeiner grofjen Seele feind, 15 
Die ich in ihn gelegt? 

Und machen, daß der Menjchenfreund 
Sezwungen Waffen trägt? 


Sp trag er meine Rache dann 
Und jtrafe fie! — So ſprach 20 
Der Herr; jein Himmel hört es an, 
Sein Donner jprad) es nad. 
Hierauf folgt eine nähere Beichreibung der Schlacht, und die hiftorischen 
Umftände, die er mit einftreuet, find der ſtrengſten Wahrheit gemäß. 
Auch hierinn betritt der Grenadier den Weg der alten Skalden, die 25 
es fir zuträglicher hielten, daß die Nachwelt einjt ihre Lieder mehr wie 
glaubwiürdige Ehronifen, al3 wie jchöne Erdichtungen ſänge. Wir wollen 
uns aber jest in feine weitläuftigere Anpreifung einlaffen, jondern nur 
noch melden, daß auch das allererite von feinen Siegsliedern, auf den 
Sieg bey Loweſitz, mit zugleih im Druck erjchienen it. Es er= 30 
jcheint ein wenig jpät, aber doch nicht jo jpät, daß es interejjant zu 
ſeyn, aufgehört habe. Die Anordnung, die der König zur Schlacht macht, 
wird unter andern vortreflich beichrieben. _ 


124 Aus: Berlinilihe privilegirte Zeitung. 1758. 





Dort jpricht er, jtehe Reuterey! 
Hier Fußvolk! — Alles steht! 
So ſtand, als Gott der Herr erichuf, 
Das Heer der Sterne da! 
Gehorſam jtand es jeinem Auf 
In groffer Ordnung da. 
Beyde Lieder find in den Voſſiſchen Buchhandlungen, hier und in Pots— 
dam, das erite fir 3 Gr. und dag andre für 2 Gr. zur haben. 





Friedrichs von Logau 


Sinngevinhfe 
Zwölf Bücher. 


Mit Anmerkungen über die Sprache des Pichters 


herausgegeben 


von 


C. W. Ramler um ©. €. Telfing. 
Mit allergnädigffen Privilegien. 


Leipzig 1759. 


In der Weidmannilchen Buchhandlung. 


[Die Ausgabe der Sinngedichte Logaus, in 8%, mit einem Titelfupfer und einer Xitel- 
vignette von J. W. Meil geziert, enthält XIV Seiten Titel und Vorrede, 414 Seiten Sinngevichte, 
12 unpaginierte Blätter Regifter und 104 Seiten Wörterbud. Sie erihien im Mai 1759, Erft 
1791 fam im nämlichen Verlag eine zweite Auflage beraus, „aufs neue überarbeitet, mit drey 
Büchern vermehrt, und mit Anmerkungen begleitet von Karl Wilhelm Ramler”, zwei Teile zu 
738 Seiten 8°, dazu XIV Seiten Vorrede, welche jedoch in mehreren Eremplaren fehlen. Ramler 
änderte im Anfang der Vorrede, in der kurzen Biographie Logaus, wenig an dem Älteren Texte; 
den Schluß vderjelben (von Seite 130 unferer Ausgabe an) bildete er großenteild neu. Die Aus— 
wahl der Sinngedichte vermehrte er beträchtlih; überdies arbeitete er Logaus Verſe noch ein— 
mal nach feinen dichterifchen Grundfägen rüdfichtslos um. Das Wörterbub ließ er weg und gab 
dafür erflärende Anmerkungen unter dem Terte bei. Über feinen und Leffings Anteil an ver Aus- 
gabe von 1759 ſprach er fich in der Vorrede nach dem kurzen Lebensabrifjfe Logaus folgendermaßen 
aus: „Sp weit gebt die Nachricht meines Freundes, des feligen Leſſings, mit dem ich dieſen Dichter 
im Jahr 1759 herausgab. Wir theilten uns in diefe Arbeit auf folgende Weife. Er überließ mir 
ganz allein die Wahl und Ausfeilung der Stüde; er ſelbſt jegte das eben angeführte Leben des 
Dichters auf, und fügte ein Wörterbuch über diefen alten Schlefifhen Dichter hinzu, welches unter 
feinen eigenen Schriften einen Pla verdient, welches ich aber hier ausgelafjen, und an deſſen Statt 
jedes alte Wort, das: in den Sinngedichten vorfümmt, in einer Anmerkung erklärt babe.” Bgl. 
dazu auch Karl Schüddekopf, Karl Wilhelm Ramler bis zu feiner Verbindung mit Leifing, Wolfen- 
büttel 1886, ©. 54. Ramlers Änderungen in der Ausgabe von 1791 find für die Kritik des Leffingiichen 
Tertes ganz wertlos, mußten deshalb Hier unbeachtet bleiben. Doch wurde feine Auswahl der 
Sinngedichte, obwohl fie nicht Lejfings Werk ift, mit abgedruckt, da fich Leſſings Nachweiſe im 
Wörterbuch beftändig auf fie beziehen. Verſchiedne größere Citate aus der Vorrede, der Auswahl 
von Sinngedichten und dem Wörterbuche (mit einigen wenigen Veränderungen des Tertes) gab 
Leifing im 43. und 44, Litteraturbriefe; val. Band VIII dieſer Ausgabe.] 














Borrede. 


Friedrih von Logau, der gegen die Mitte des vorigen 
Jahrhunderts, unter dem Namen Salomon von Golau, deutjcher 
Sinngedichte drey Taufend herausgegeben hat, it mit allem Rechte für 
einen von unfern beiten Opitziſchen Dichtern zu halten; und dennoch 
zweifeln wir jehr, ob er vielen von unjern Lejern weiter als dem Namen 
nach befannt jeyn wird. 

Wir fönnen uns dieſes Zweifels wegen auf — Umſtände 
berufen. Ein ganzes Jahrhundert, und drüber, haben ſich die Lieb— 
haber mit einer einzigen Auflage dieſes Dichters beholfen; in wie vieler 
Händen kann er alſo noch ſeyn? Und wenn ſelbſt Wernike keinen 
kennen will, der es gewagt habe, in einer von den lebendigen Sprachen 
ein ganzes Buch voll Sinngedichte zu ſchreiben; wenn er dem Urtheile 
ſeines Lehrers, des berühmten Morhofs, daß insbeſondere die Deutſche 
Sprache, ihrer vielen Umſchweife wegen, zu dieſer Gattung von Ge— 
dichten nicht bequem zu ſeyn ſcheine, kein Beyſpiel entgegen zu ſtellen 
weis: jo kann er unſern Logau, ſeinen beſten, ſeinen einzigen Vor— 
gänger, wohl ſchwerlich gekannt haben. Iſt er aber ſchon damals in 
ſolcher Vergeſſenheit geweſen, wer hätte ihn in dem nachfolgenden Zeit— 
alter wohl daraus geriſſen? Ein Meiſter, oder ein John gewiß 
nicht, die ihn zwar nennen, die auch Beyſpiele aus ihm anführen, aber 
ſo unglückliche Beyſpiele, daß ſie unmöglich einem Leſer können Luſt 
gemacht haben, ſich näher nach ihm zu erkundigen. 

Wir könnten eine lange Reihe von Kunſtrichtern, von Lehrern 
der Poeſie, von Sammlern der gelehrten Geſchichte anführen, die alle 
ſeiner entweder gar nicht, oder mit merklichen Fehlern gedenken. Allein 
wozu ſollten uns die! Beweiſe dienen, daß Logau unbekannt geweſen 


I diefe [43. Litteraturbrief; vgl. Band VIII] 





10 


15 


20 


128 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 


Ot 


iſt? Ein jeder Leſer, der ihn nicht kennt, glaubt uns dieſes auch ohne 
Beweis. | 

Was man mit befjerm Rechte von uns erwarten dürfte, wäre 
eine umftändliche Lebensbejchreibung diejes würdigen Mannes. Und 
wie jehr würden wir ung freuen, wenn wir diefer Erwartung ein 
Senügen leijten könnten! So aber find alle unjere Nachforjchungen 
nur ſchlecht belohnt worden; und wir haben wenig mehr als folgendes 


von ihm entdeden können. 


10 


20 


— 
or 


30 


35 


Das Gejchleht derer von Logau, oder Logaw, it eines 
von den ältejten adlichen Gejchlechtern Schlefiens. Ihr Stammhaus, 
Altendorf, liegt in dem Fürftentbum Schweidnig. Chr. Gry- 
phius jagt, es ſey aus Böhmiſchen oder Schlejtihen Geihichtichreibern 
zu erweilen, daß ſchon in dem jechzehnten Jahrhunderte Freyherren 
von Logau, unter den Kayjern Carl dem fünften, und Ferdinand 
dem erjten, anjehnliche Kriegesbedienungen bekleidet hätten. Auch blühte 
unter der Regierung des eritern George von Logau auf Schlau- 
piß, einer der beiten lateiniſchen Dichter feiner Zeit, dem wir die erjte 
Ausgabe des Gratius und Nemeſianus zu danken haben. Des- 
gleichen bejaß um eben diefe Zeit Caspar von Logau, den Lucä 
und andere mit nur gedachtem George verjchiedentlich verwechieln, 
den bifchöflichen Stul zu Breßlau. 

Unſer FSriedrih von Logau, ward, zu Folge jeiner Grab» 
ichrift, die uns Cunrad aufbehalten hat, im Monat Junius des 
Jahres 1604 gebohren. Seine Xeltern und den Drt jeiner Geburt 
finden wir nirgends benannt; auch nirgends einige Nachricht von jeiner 
Erziehung, wo er jtudiret, ob er gereifet u. |. w. Wir finden feiner 
nicht eher als in Dienften des Herzogs zu Liegnig und Brieg, Yude- 
wigs des Vierten, gedacht. 

Man beliebe ſich aus der Gejchichte zu erinnern, daß Johann 
Shriftian, Herzog von Brieg, drey Söhne hinterließ, die nach feinem 
1639 erfolgten Tode das Herzogthum gemeinfchaftlich beſaßen, doch fo, 
daß jeder von ihnen feine eigenen Räthe hatte. Unter den Räthen des 
zweyten, des gedachten Ludewigs, befand fi unjer von Logan. 
Als aber 1653 ihres Vaters Bruder, George Rudolph, jtarb, und 
die Fürftenthümer Liegnig und Wohlau an jie fielen, fanden ſie das 
Sahr darauf für gut, ſich dur) das %008 aus einander zu jeßen. 





Porrede. 129 


Yudewig befam Liegnig, wohin er nunmehr jeinen Sit verlegte, 
und jeinen Yogau als Ganzeleyrath mit jich nahm. 

Die Liebe zur Poeſie muß ſich zeitig bey ihm geäußert haben. 
Er jagt ung in einem von feinen Sinngedichten jelbit, daß er in jeiner 
Jugend verliebte Gedichte geichrieben habe, die ihm in den Unruhen 
des Krieges von Händen gekommen wären. Nach der Zeit erlaubten 
ihm jeine Geichäffte allzufurze Erhohlungen, als daß er ſich in größern 
SHedichten, als das Kleine Epigramma it, hätte verfuchen können. 
Unterdeiien bat er es im diefer geringern Gattung jo weit gebracht, 
als man es nur immer bringen fann, und es it umvideriprechlich, 
daß wir in ihm allein einen Martial, einen Catull und Diony- 
ſius Cato beißen. 

Er gab anfangs nur eine Sammlung von zwey hundert Sinn 
gedichten ans Licht, die, wie er jelbjt jagt, wohl aufgenommen worden. 
ir Haben fie nirgends auftreiben können, und wer weiß, ob fie gar 
mehr in der Welt it? Die vollitändige Sammlung, die den ſchon 
erwähnten Titel: Salomons von Golau deutiher Sinne 
gedichte drey Taujend führet, it zu Breplau, in Verlag Caſpar 
Kloßmanns, gedruckt, und macht einen Detavband von ohngefähr 
drey Alphabeten aus. Das Jahr des Druds finden wir nirgends 
darinn ausdrüdlich angezeigt. ES muß aber das Jahr 1654 gewejen 
jeyn, welches jich aus verſchiednen Sinngedichten Tchließen läßt, und 
von den Bücherfennern bejtätiget wird. Da unterdejlen Sinapius 
jagt, daß Logau jeine Sinngedichte im Jahr 1638 herausgegeben 
babe, jo wird man diejes nicht umwahrjcheinlich von der eriten kleinen 
Sammlung veritehen können. 

Er war ein Mitglied der Fruchtbringenden Gejellfchaft, in die er 
1648, unter dem Namen des VBerfleinernden aufgenommen ward. 
Wenn der Sprofjende, im jeiner Bejchreibung diejer Gejellichaft, 
ihn unter diejenigen Glieder nicht vechnet, die ſich Durch Schriften ge— 
zeiget haben, jo iſt dieſes wohl ein abermaliger Beweis, dal Das 
Bublicum jeine Sinngedichte jehr bald vergefien bat. 

Er jtarb zu Liegnitz, den fünften Julius im ‚Jahr 1655, und 
hinterließ aus einer zweyten Ehe einen einzigen Sohn. Es war diejes 
der Freyherr Balthajar Friedrich von Yogau, der freund des 
Herren von Lohenſtein, und der Mäcen des jüngern Gryphius. 

Leſſing, fümtlide Schriften. VII, y 


10 


30 


35 


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10 


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— 


2* 
+) 


130 Friedrichs non Togau Sinngedichte. 

Wir wollen nunmehr von unfrer neuen Ausgabe das Nöthige 
jagen. Die ganze Anzahl der Sinmgedichte unjers Yogau beläuft fich, 
außer einigen eingeichobenen größern Poeſien, auf drey taufend, fünf— 
hundert und drey und funfzig, indem zu dem zweyten und dritten 
Taujend noch Zugaben und Anhänge gefommen find. it es wahr: 
Iheinlich, ijt es möglich, daß fie alle qut jeyn können? Unſere wahre 
Meynung zu jagen, dieſe ungeheuere Menge ift vielleicht eine von den 


vornehmſten Urjachen, warum der ganze Dichter vernachläßiget worden 


it. Denn es konnte leicht kommen, daß die Neugierde das Bud 
jiebenmal aufſchlug, und jiebenmal etwas ſehr mittelmäßiges fand. 

Wir liegen es aljo unjere erjte Sorge ſeyn, ihn dieſes nad) 
theiligen Reichthums zu entladen. Wir haben ihn fait auf fein Drit- 
theil herabgeſetzt; und das it unter allen Nationen, immer ein jehr 
vortrefflicher Dichter, von deſſen Gedichten ein Drittheil gut it. Deß— 
wegen wollen wir aber nicht jagen, daß alle beybehaltenen Stücde, 
Meijterjtücde find; genug, daß in dem unbeträchtlichiten noch ſtets etwas 
zu finden jeyn wird, warım es unferer Wahl werth gewejen. Sit 
es nicht allezeit Wiß, jo iſt es doch allezeit ein guter und großer Sinn, 
ein poetiiches Bild, ein jtarfer Ausdruck, eine nawe Wendung, und 
vergleichen. Auch wird das jchlechtejte noch immer dazu dienen, dem 
Lejer zu zeigen, wie wenig er den Verluft der übrigen Stüde zu be 
tauern bat. 

Es iſt uns ein Exemplar unjers Dichters zu Händen gefommen, 
das fih aus der Stollifchen Bibliothef herjchreibt, und in welchen 
biev und da eine unnatürliche, harte Wortfügung mit der Fever ge 
ändert worden war. Der Zug der Schrift wäre alt genug, es für 
die eigene Hand des Heren von Yogau zu halten. Doc dazu ge 
hören jtärfere Beweiſe, und wir wollen es alſo nicht behaupten. Unter: 
deſſen haben wir doch für gut befunden, einige von dieſen Aende— 
rungen anzunehmen, und einige, ihnen zu Folge, jelbit zu wagen. 
Der Leer jtößt nirgends jo ungern an, als in einem Sinngedichte, 
welches allzu kurz ift, al® daß man die Unebenheiten darinn über: 
jehen könnte. 

Wir find uns bewußt, dab wir durch diefe wenigen und geringen 
Veränderungen den alten Dichter nicht im geringjten moderner gemacht 
haben ; wir find ihm nur da ein wenig zu Hülfe gefonmen, wo wir 





Porrede. 131 


ihn allzuweit unter jeiner eignen veinen Yeichtigkeit fanden; und haben 
es alsdann in dem Geifte feiner eignen Sprache zu thun gejucht. 

Wie groß unfere Hochachtung für dieje feine alte Sprache ift, wird 
man aus unjern Anmerkungen darüber, die wir in Gejtalt eines Wör- 
terbuchs dem Werke beygefügt haben, deutlich genug erkennen. Aehn- 
liche Wörterbücher über alle unjere guten Schriftiteller, würden, ohne 
Zweifel, der erite nähere Schritt zu einem allgemeinen Wörterbuche 
unſrer Sprache jeyn. Wir haben die Bahn hierinn, wo nicht brechen, 
doch wenigitens zeigen wollen. 

Endlich können wir unjern Lejern auch nicht verbergen, daß be— 
veits vor mehr als funfzig Jahren ein Ungenannter eine ähnliche Arbeit 
mit unjerm Logau unternommen gehabt. Er hat nehmlich (1702) 
©. v. G. auferwedte Gedichte herausgegeben. Diejer Titel ift 
der legte unmwiderjprechlichite Beweis, daß dieſe Sinngedichte damals 
ihon begraben gewejen find. Allein diefer Ungenannte war viel- 
leicht Schuld, daß unjer Kogau noch tiefer in die Vergeſſenheit gerieth, 
und nunmehr mit Necht zu einer neuen Begrabung verdammt werden 
fonnte. Derjenige Theil jeiner Gedichte, welchen man, ohne Wahl, 
auferwect bat, ift nicht allein mit unendlich ſchlechten und pöbelhaften 
Stüden vermiſcht worden; jondern die Logauiſchen jelbit find der— 
gejtalt verlängert, verkürzt, verändert worden, daß Nachdrud, Feinheit, 
Wis, alle Sprachrichtigfeit, ein jeder guter poetiſcher Name, eine jede 
gute Eigenjchaft des Dichters, ja oft der Menſchenverſtand jelber ver: 
loren gegangen ift. Wir führen feine Erempel an, um unjern Yejern 
den Efel zu erjparen. 

Werden die Yiebhaber der Poeſie an unjerm alten Dichter, einigen 
Geſchmack finden: jo freuen wir uns, daß dadurch die Beſchuldigung 
immer mehr entkräftet werden wird, als ob wir Neuern allbereits von 
der Bahn des Natürlichihönen abgewichen wären, und nichts mehr 
empfinden fönnten, als was auf einer gewiljen Seite übertrieben ift. 

Berlin | 
den Zten May Die Herausgeber. 
1759. 


10 


20 


30 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


Sinngedichke. 
Erſtes Buch. 


(1) 

Bon meinen Burhe. 
Daß mein Buch, jagt mir mein Muth, 
och ganz böje, noch ganz gut. 
Kommen drüber arge Fliegen, 
Bleibt gewiß Gejundes Tiegen, 
Und da3 Faule findet man; 
Kommen aber Bienen dran, 
Wird das Faule leicht vermieden, 
Und Gejundes abgejchieden. 


(2) 
Der May. 


Diefer Monath it ein Kuß, den der Hinmel giebt der Erde, 
Daß fie jeßo feine Braut, künftig eine Mutter werde. 


(3) 
Steuer. 
Wo Venus weiland jaß und den Adonis küßte, 


Wuchs Gras und Blum hervor, war gleich die Gegend wüſte. 


Mo Bachus weiland gieng, da wuchjen lauter Neben, 
Und jeder dürre Strauch mußt eitel Trauben geben. 
Kanns nicht die Steuer auh? Ein wohlverſteurter Grund 
Soll geben dejto mehr, je mehr er wüſte jtund. 

Wer weiß ob jenes war; wer weiß ob dieß kann jeyn? 
Dort glaube wer da will; hier giebts der Augenjchein. 


(4) 
Meber das Fieber einer fürſtlichen Perfon. 
Unſre Fürſtinn lieget frank. Venus hat ihr dieß bejtellt, 
Die, jo lange jene bla, jih für Schön nun wieder hält. 


iu 





Erſtes Buch. 


(5) 
Schlachken. 
Es bleibt in keiner Schlacht itzt vierzigtauſend Mann. 
Was Hannibal gekonnt, iſt keiner, der es kann? 
Es iſt ja unſer Mars zum Schießen abgericht? 
O, ſchießen kann er zwar — ſtehn aber will er nicht. 


(6) 
Grabſchrift eines lieben Ehegenoſſen. 


Leſer, ſteh! Erbarme dich dieſes bittern Falles! 
Außer Gott, war in der Welt, was hier liegt, mir Alles. 


(7) 
Boffnung. 
Auf was Gutes, ijt gut warten; 
Und der Tag kömmt nie zu jpat, 


Der was Gutes in fich hat. 
Schnelles Glück hält ſchnelle Fahrten. 


(8) 
Spanien. 
Spanien liegt, wie ein Säugling, an der Oft und Weitenbruft 
Indiens; wie viele Länder hätten zu der Speife Luft! 


(9) 
Junger Rath. 


Bey Hofe gilt der junge Rath, als wie ein junger Wein; 
Wiewohl er Darmgicht gerne bringt, doch geht er Tieblich ein. 


(10) 

Auf den Thraiv. 
Thrajo rühmte feine Wunden, 
Die er im Geficht empfunden, 
Als er rüjtig, wie ein Held, 

Eich vor jeinen Feind gejtellt. 
Ey! jagt’ einer, daß dir nicht 
Diejes mehr jchimpft dein Geficht, 
So enthalt dich, wenn du fliehit, 
Daß du nicht zurücde fiehjt! 


33 


34 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 


(11) 
Eine Schönhäßliche. 
Sch fenn ein Frauenbild, dag wäre völlig jchön, 
Nur daß der Schönheit Stück' in falſcher Ordnung jtehn. 


(12) 
Frey leben, auf leben. 
Wer andern lebt, lebt recht; wer ihme Lebt, lebt qut: 
Weil jener andern wohl, ihm übel der nicht thut. 
Wohl diefem, dem zugleich die Freyheit ijt gegeben, 
Bald recht, bald gut, warn, wie und wem er will, zu leben! 


(13) 
Auf emen glücklichen Schelm. 
Dir jey, ſagſt du, bald gewährt, 
Was du kannſt und magſt verlangen: 
Schade, daß du nie begehrt, 
Daß du möchtſt — am Galgen bangen! 


(14) 
Bon Jobs Weibe. 
Wie fam es, daß, da Job ſonſt alles eingebüßet, 
Was ihm ergeblich war, er nicht jein Weib gemifjet? 
Es jteht nicht deutlich da, warum fie übrig blieb; 
Allein ich jchließe fait — er hatte ie nicht Lieb. 


(15) 

Die unarkige Zeit. 
Die Alten konnten fröhlich fingen 
Bon tapfern deutſchen Heldendingen, 
Die ihre Väter ausgeübet. 
Wo Gott, nad) uns, ja Kinder giebet, 
Die werden unſrer Zeit Beginnen 
Beheulen, nicht bejingen können. 


(16) 
Auf einen Ehrasizigen. 
Alle Menjchen gönnen dir, daß du mögeſt Cäjar werden; 
Doch mit drey und zwanzig Wunden niederliegend auf der Erden. 





Erſtes Bud. 135 


(17) 
Auf den Glorilus. 


Ihr rühmt die fühne Fauft? Ey rühmt den jchnellen Fuß, 
Der mir, jagt Glorilus, die Fauſt erhalten muß. 


(18) 
Tod umd Schlaf. 


Tod iſt ein langer Schlaf; Schlaf ijt ein furzer Tod: 
Die Noth die lindert der, und jener tilgt die Noth. 


(19) 
Kine Beldenthat. 


O That, die nie die Welt, dieweil fie fteht, gejehen! 

O That, die, weil die Welt wird jtehn, nie wird gejchehen! 
D That, die Welt in Erz und Zedern billig jchreibt, 
Und, wie jie immer fann, dem Alter einverleibt! 

O That, vor der hinfort die allerfühniten Helden, 

Was ihre Fauſt gethan, ſich ſchämen zu vermelden! 

Bor der Achilles jtarrt, vor der auch Hektor jtußt, 

Und Herkules nicht mehr auf jeine Keule trugt! 

Hört! jeht! und fteigt empor! Macht alle Löcher weiter! 
Dort ziehen Helden her, dort jagen dreyßig Reiter, 

Die greifen fühnlih an — ein wüſtes Gärtnerhaus, 
Und jchmeißen Ofen ein, und fchlagen Feniter aus. 


(20) 
Lebensbedürfniß. 
Was thut und duldet nicht der Menſch um gut Gemach, 
Wiewohl er mehr nicht darf, als Waſſer, Brodt, Kleid, Dach! 
ED... 
Krieg und Wein. 


Soldaten und der Wein, wo die zu Gaſte kommen, 

Da it Gewalt und Recht dem Wirthe bald benommen. 
Der Wirth wirft diefen zwar zum Haufe leicht hinaus, 
Jen' aber räumen weg den Wirth und auch fein Haus. 


(22) 
Trauen. 


Einem trauen, it genug; 
Keinem trauen, it nicht flug: 


136 Friedrichs von Logan Sinngedichte. 


Doch iſts bejier, feinem trauen, 
Als auf gar zu viele bauen. 


(23) 
Witkwenſchafk. 


Als Pallas ward von Troja weggenommen, 
Iſt Troja bald in ſein Verderben kommen: 
Ein Haus, woraus ein redlich Weib verſchieden, 
Bleibt von dem Glücke mehrentheils vermieden. 


(24) 
Dahl eines Freundes. 
Der ſey dir nicht erfieit, 
Wer Freund ihm jelbit nicht ift: 
Wer Freund ihm jelbjit nur it, 
Der jey dir nicht erfieft. 


(25) 
Berleumder. 


Wer ſchmäht, und Schmähung hört, dem jey zur Straf erfohren, 
Daß der werd an der Zung, und der gehenft an Obren. 


(26) 
Steuer. 


Nie weile man den Salomo jonjt achtet, 
Sp hat er doc nicht alles vecht betrachtet, 
Weil er der Dinge Zahl, die nimmer jatt, 
Die Steuer nicht noch beygejeßet hat. 


7) 
Geſtorbene Redlichkeik. 


Man lobt die Redlichkeit, ſieht aber keine nicht. — 
Die Todten iſt man auch zu loben noch verpflicht. 


(28) 
Uebereilkes Freyen. 
Leicht iſt Liebe zu bekommen; 
Leicht iſt auch ein Weib genommen: 
Die bekommen bald zur Stund', 
Das genommen ohne Grund, 





Erſtes Bud. 157 


Heißt zur Neue die befommen, 
Heißt zur Strafe das genommen. 


(29) 
Pas Land in der Stadt. 


Wer nach dem Lande jebt will auf dem Lande fragen, 
Der irrt. Mars hat das Land längſt in die Stadt getragen. 


(30) 
Iohannes der Täufer. 


Nicht vecht! nicht recht! würd’ immer ſchreyn 
Johannes, follt er wieder jeyn. 

Doch käm er, rieth ich, daß er dächte, 

Wie viel er Köpf in Vorrath brächte. 


(31) 
Bilder. 
Wo Bilder in der Kirch ein Aergerniß gebären, 
So muß man Klirchengehn auch Schönen Weibern wehren. 


(32) 
Arien und Bunger. 


Krieg und Hunger, Kriegs Genof, 
Sind zwey ungezogne Brüder, 

Die durch ihres Fußes Stoß 
Treten, was nur jtehet, nieder. 
Jener führet diefen an; 

Wenn mit Morden, Rauben, Brennen, 
Sener jchon genug gethan, 

Lernt man dieſen erit recht fennen ; 
Denn er iſt jo rajend Fühn, 

Sp ergrimmt und jo vermejjen, 
Daß er, wenn jonjt alles bin, 
Auch den Bruder pflegt zu freijen. 


(33) 
Auf den Kindus. 


Lindus ward einjt im Gelag oft mit Worten angejtochen, 
Gleichwohl aber hat er ſich noch mit Wort noch That gerochen: 
Sondern gieng zur Stub hinaus, kam bald wiederum herein, 
Sprach: ich hielt nur Rath mit mir, ob ich wollte böſe ſeyn. 


38 | Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


(34) 
Mäßigkeit. 
Mein Tiſch der darf mich nicht um Ueberſatz verklagen: 
Der Gurgel eß ich nicht, ich efje nur dem Magen. 


(35) 
Glücke wäget die Freunde. 


Böſes Glück hat diefe Güte, 

Daß die ungewiffen Sachen 

Uns gewifje Freunde machen; 
Daß man fich vor denen hüte, 
Die nicht die find, die fie jcheinen, 
Sondern unfer Gut qut meinen. 


(36) 
Soldakenzuchk. 


Peſcennius, ein römſcher Kaiſer, 

Der Kriegszucht ernſter Unterweiſer, 
Der hat, als etwan neun Soldaten 
Den Bauern einen Hahn verthaten, 
Die That an ihnen viele Wochen 

Bey Waſſer und bey Brodt gerochen. 
Itzt ſchadets nicht, ob Ein Soldate 
Neun Bauern gleich ſied oder brate; 
Eh als er trocknes Brodt ſollt' eſſen, 
Möcht er ein ganzes Dorf voll freſſen. 


(37) 
Die Vernunfk. 
Gott gab uns die Vernunft, dadurch uns zu regieren; 
Wir brauchen die Vernunft, dadurch uns zu verführen. 
Du, Menſch, bekamſt Vernunft, lebſt viehiſch gegen dich; 
Das Vieh hat nicht Vernunft, lebt menſchlich gegen ſich. 


(38) 
| Meid, 
Tugend ijt des Neides Mutter: Um der lieben Mutter wegen, 
Sie zu haben, laſſe Feiner ihm das Kind in Weg was Tegen. 


Erſtes Bud. 139 











(39) 
Dachaeben. 


Wer halbes Recht hat eingeräumet, der räume lieber ganzes ein: 
Wer jchon des Halben Herr geworden, der will es auch des Ganzen ſeyn. 


(40) 
Huf den Warcus. 


Marcus macht ein Teitament, tröſt jein Weib mit legtem Willen ; 
Sie macht auch ein Tejtament, ihren erjtlich zu erfüllen. 


(41) 
Märhtige Diener. 
Den großen Elephanten führt oft ein Heiner Mohr: 
Und großen Herren fchreibet jehr oft ein Bauer vor. 


(42) 
Vom Curkius. 


Curtius und ſeine Frau leben wie die Kinder: 
Spielen, wie die Kinder thun, kratzen ſich nicht minder. 


(45) 
Die Gichk. 


Die Gicht verbeut dir Wein zu trinfen, 
Sonjt mußt du liegen oder hinken. 
Mich dünkt, es it ein groß Verdruß, 
Wenn übers Maul regiert der Fuß. 


(44) 
Beute. 


Was man dem Feind entwandt, daß heiße, meynſt du, Beute? 
Nein; was der Bauer hat, und was die Edelleute, 

Was man auf Straßen ftiehlt, was man aus Kirchen raubt, 
Das heißet Beut, und ift bey Freund und Feind erlaubt. 


(45) 

Die Sünde, 
Menſchlich iſt es, Sünde treiben; 
Teufliſch ijts, in Sünde bleiben; 
Chriſtlich ift es, Sünde haſſen; 
Göttlich ift es, Sind’ erlaffen. 


140 


Friedrichs von Togan Sinnaedichke. 
(46) 
Auf die Albella. 
Albella, wäreſt du gleich nur ein Falter Stein, 
Wird’ ein Pygmalion dein Buhler dennoch jeyn. 


Du lebſt, und bilt jo klar; was ſollt' es Wunder jeyn, 
Wenn ein Pygmalion durch Dich wird jelbit ein Stein? 


(47) 

Zagheit. 
Wäre Schild und Harniſch gut 
Vor die Zagheit, Furcht und Schrecken; 
Könnt' ein Spieß und eiſern Hut 
Tapferkeit und Muth erwecken: 
Ey, was hätten die für Zeit, 
Die dergleichen Waffen ſchlügen! 
Würd ihr Gold doch, glaub ich, weit 
Alles Eiſen überwiegen! 


(48) 
Dienltfertiakeit. 

Sch kann nicht jedem thun, was er von mir begehrt; 
Auch mir wird jelber nicht jtet3 was ich will gewährt. 
(49) 

Poefengöfter. 


Poeten die jollen die Götter nicht nennen, 

Die Chriften verlachen, nur Heiden befennen, 
Wird ihnen nur Venus und Bachus geichenfet, 
sch wette, daß feiner der andern gedenfet. 


(50) 
Grablihrift einer ſchwangern Frau. 


Hier Tiegt ein Grab im Grab, und in des Grabes Grab 
Was Welt noch nie gejehn, ihm auch nicht Namen gab. 
Das Grab begrub zuvor, eh Grab begraben war; — 
Zwey Gräber find nur Eins, und Eine Leich ein Baar. 


(51) 
Trunkenheit. 
Wen ſein Schickſal heißt ertrinken, 
Darf drum nicht ins Waſſer ſinken: 





Erites Bud. 141 


Alldieweil ein deutſcher Mann 
Auch im Glaſ' erſaufen kann. 


(52) 

An einen kriegriſchen Beld. 
Als aus deiner Sinnen Stärfe 
Jupiter nahm ein Gemerke, 

Daß du durch jo fühnes Streiten 
Würdeſt in den Himmel jchreiten, 
Spradh er: „Uns die Ehre bleibe! 
„Dannenher ich einverleibe 

„Dielen Held, nach Himmelsrechte, 
„su der Götter alt Gejchlechte; 
„Denn er möcht aus eignen Thaten, 
„Für ſich jelbjt hieher gerathen. 


(53) 
Ein Verkriebener vedef nach Teinem Tode. 
Was mir nie war vergönnt bey meinem meijten Leben, 
Das hat mir nun der Tod nach meinem Sinn gegeben; 
Ich meyn ein eignes Haus, woraus mich feine Noth, 
Kein Teufel, fein Tyrann mehr treibt, und auch fein Tod. 
(54) 
Ein babyloniliher Gebrauch. 
Zu Babel wurden jchöne Töchter auf freyem Marfte feil gejtellt; 
Die Ungejtalten aber nahmen zur Mitgift das gelöjte Geld. 
Sollt' ein jo jonderbarer Handel auch unter und im Schwange gehn, 
So wär er gut für folche Freyer, die nur auf ſchnöde Münze fehn. 
Ich aber jtimmte diefem Brauche in einer andern Abficht bey, 
Und meynte, daß allhier das Geben weit jeliger al3 Nehmen jey. 


(55) 
Das frunkene Peuffchland. 


Weit bejjer jtands um Deutichlands Wohl, 
Da Deutichland nur war gerne voll, 

Als num e3 triegen, buhlen, beuten, 
Gelernet hat von fremden Leuten. 


(56) 
Bofltellungen. 


E3 jtedet Ja im linken, im rechten Baden Nein; 
Ja, nein: dieß pflegt bey Hofe allzeit vermifcht zu ſeyn. 


142 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


(57) 
Auf den Aulus. 
Aulus rühmt ſich weit und ferne, 
Allen Leuten dien er gerne; 
sa er dient, doch nimmt er Lohn, 
Gröfjer als fein Dienit, davon. 


(66) 
Der Feind nichk zu verachten. 


Mit dem Feinde ſoll man fechten, vor dem Fechten ihn nicht jchmähn ; 
Biel’, die ſchmähten ungefochten, hat man fechtend Laufen jehn. 


(59) 
Retchthum. 

Wer auf übrig Neichthum tracht, 
Der wird weiter nichts erjtreben, 
Als, daß noch bey feinen Leben 
Er ihm jelbit ein täglich Sterbeı, 
Und hernachmals feinen Erben 
Ein erwünjcht Gelächter madt. 


(60) 
Kin Ehrgeiziger, 
Wer viel Aemter will genießen, 
Muß in fich viel Gaben wiſſen; 
Dder muß auf Vortheil geben; 
Oder muß fie nicht verjtehen. 


AU) 
Bon den Skeinen der Pyrrha und des Deukalions. 
Die Pyrrha und ihr Mann gejtreut, was waren das für Steine? 
Den Kiejeljtein warf fie, und er den Sanditein, wie ich meyne; 
Denn diefer dient mehr zum Gebrauch, und jener mehr zum Scheine. 


(62) 
Kunſt verſtummk. 
Daß anitzt die Pierinnen, 
Mars, vor dir nicht reden können, 
Freu dich nicht! Es iſt ihr Wille, 
Ungehindert in der Stille, 





Erites Bud. 143 


Mit dem Recht fich zu beratben 
Auf ein Urtheil deiner Thaten. 


(63) 
Sparlame Zeit. 
Der Mangel diejer Zeit hat Sparjamfeit erdacdt;. 
Man taufet itzt auch bald, jobald man Hochzeit macht. 
(64) 
Gokkes und des Teufels Worte. 
Es hat Gott duch fein Wort dieß runde Haus gebauet, 
Und was man drinnen merkt, und was man draußen jchauet: 
Der Teufel hat ein Wort, wodurch er Vorſatz bat, 
Zu tilgen, was Gott ſchuf; und diejes heißt Soldat. 
(65) 
An die Annia. 
Mich dünket, Annia it niemals jung gewesen. 
Sc habe nichts davon gehört, gejehn, gelejen. 
(66) 
Rleimmüthtaketit. 
Hoch fümmt jchwerlich der, der doch 
Wenig achtet, wenn er hoch. 
(67) 
Die Liebe. 
Wo Liebe zeucht ing Haus, 
Da zeucht die Klugheit aus. 
(68) 
Auf den Bornufus. 
Hornutus las, was Gott Job habe weggenommen, 
Sey doppelt ihm hernach zu Haufe wiederfommen: 
Wie gut, ſprach er, war dieß, daß Gott jein Weib nicht nahm, 
Auf daß Job ihrer zwey für eine nicht befam! 
(69) 
Auf den Kunimumdus. 


Kunimundus giebt ſich an, 
Manche Stunde feinen Mann 


144 





Friedrichs von Logau Sinngedichte. 


Zu bejtehen. — Das ift viel! — 
D es iſt bedinget worden, 

Daß er weder jelbjt ermorden, 
Koch ermordet werden will. 


(70) 
Wahrheit. 
Fromme Leute Hagen fehr, daß die Wahrheit jey verloren. 
Suche, wer fie fuchen will, aber nicht in hohen Obren. 


(71) | 
Des Krieges Raublurht. 
Als Venus wollte Mars in ihre Liebe bringen, 
Hat fie ihn blank und bloß amt beiten Fünnen zwingen. 
Denn wär fie, wie fie pflegt, im theuern Schmud geblieben, 
Hätt er fie dürfen mehr berauben, als belieben. 


272) 
Spieler. 
Spielen joll Ergetzen jeyn? 
Diejes jeh ich noch nicht ein. 
Glaubt ein Spieler, welcher viel 
Eingebüßt, es jey ein Spiel? 


(75) 
Borige und ikiae Kriege. 
Was taugt der alte Krieg? Der neue Srieg ijt bejier; 
Denn jener war ein Feind der Menjchen, der der Schlöfjer: 


Der erite machte leer der Menfchen Leib vom Blut, 
Und diefer fegt nur aus der Kaſten altes Gut. 


(74) 
Ja. 


Biel Sprachen reden fünnen jteht einem Hofmann an — 
Wer, was der Ejel redet, der ijt am beiten dran. 


(75) 
Auf die Jungfer Dubiola. 


Dubioſa iſt jehr Schön, reich, geichiett und fonft von Gaben, 
Nur der Juden Hoher Priejter fünnte fie nicht ehlich haben. 





Erſtes Bud. 


(76) 
Ein ehrliches Weib, 
Die Ehre ziert das Weib, ein ehrlich Weib den Mann: 
Wer diefen Schmuck bekömmt, jeh feinen andern an. 


(77) 
Auverlicht. 
Hat Gott mich ohne mich gebracht in diefes Leben, 


Wird Gott das, was mir fehlt, mic ohne mich auch geben. 


(78) 
Plauderer. 


Wer immer ſagt und ſagt, und iſt doch ſchlecht belehrt, 
Sagt oft was nicht geſchehn, und keiner ſonſt gehört. 


(79) 

Ein Proceh. 
Ein Kläger kam und ſprach: Herr Richter, ich bekenne, 
Beklagter ſoll mir thun, ſo viel als ich benenne. 
Der Richter ſprach: So ſchau, und giebs, Beklagter, hin; 
So biſt du los der Schuld, wie ich des Richtens bin. 
Beklagter ſprach: Ich kann zwar keine Schuld geſtehen, 
Doch geb ich Halbes hin, dem Zanken zu entgehen. 
Wer beſſer richten kann, der richte drüber frey, 
Wer unter dreyen bier der Allerklügſte ſey. 


(80) 
Pie Zeil verkreiben. 


Laßt das Klagen unterbleiben, 
Daß der Tod uns übereile: 
Jeder jucht ja kurze Weile; 
Jeder will die Zeit vertreiben. 


(81) 
Die Tugend. 
Wo Tugend Glück beherrfcht, und Weisheit Unglücksfälle, 
Hat Hochmuth fein Gehör, hat Unmuth feine Stelle. 
(82) 
Ride zu viel, 
Ein rajches Pferd nur immer jagen, 


Ein faubres Kleid nur immer tragen, 
Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 10 


— 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


Den nützen Freund nur immer plagen, 
Hat niemals langen Nutz getragen. 


(83) 
Das unkreue Permögen. 


Wie fchelmisch it das Geld! Ein jeder finnt auf Geld, 
Das dem doch, der es hat, nach Leib umd Seele jtellt. 


(84) 
Aunltvichter. 

Biel Helden hat es ißt, jo hats auch viel Boeten. 
Daß jene nun die Zeit nicht wie der Tod mag tüdten, 
Dazu find diefe gut; doch pflegen insgemein, 
Wo viel Poeten find, viel Dichter auch zu ſeyn. 

(85) 

Gemeine Werke. 


Kluge Leute thun zwar auch was die albernen beginnen, 
Brauchen aber andre Art, andern Zweck, und andre Sinnen. 


(86) 
Gewohnheit und Rede. 


Gewohnheit und Gebrauch zwingt oft und jehr das Recht: 
Hier ijt der Mann ein Herr des Weibes, dort ein Knecht. 


(87) 
Reime. 
Werden meine Neime nicht wohl in fremden Ohren Elingen, 
Sp bedenken Fremde nur, e3 geſcheh auch ihren Dingen. 


Worte haben, wie die Menjchen, ihr gewiſſes Vaterland, 
Selten da vor allen andern, wo fie lang und wohl befannt. 





Zweykes Bud). 147 


Sinngedichke. 
Zweyles Buch. 


(1) 
Pon meinem Buchoe. 
Kündig ifts, daß in der Welt 
Sich zum Guten Böjes finde. 


Wäre nur mein Buch geitellt, 
Dat beym Böjen Gutes ftünde! 


(2) 
Boheit hat Gefahr. 
Auf schlechter ebner Bahn iſt gut und ficher wallen: 
Wer hoch geſeſſen hat, hat niedrig nicht zu fallen. 


(3) 
Koblurpt. 
Der um Lobes Willen thut 
Das, was löblich iſt und gut, 
Thut ihm ſelbſten, was er thut, 
Thut es nicht, dieweil es qut. 


(4) 
Tapdler. 


Wem niemand nicht gefällt, wer alles tadelt allen, 
Wer tadelt diefen nicht, und wen kann der gefallen ? 


(5) 
Nuhen von großer Berren Freundſchaft. 
Gut trinken und gut efjen, 
Des Unrechts ganz vergejien, 
Sich jelbjten nimmer fchonen, 
Nie denken ans Belohnen: 


Dieß find die eignen Gaben, 
Die Herrenfreunde haben. 


148 Friedrichs von Logan Sinngedichke. 


(6) 
Drohungen, 
Ein Fluß verräth duch Raufchen ſich, daß er jehr tief nicht lauft; - 
Ein Bote, daß er müde ſey, wenn er jehr jchwist und jchnauft: 
Wer allzufehr mit Worten pocht, giebt deutlich an den Tag, 
Daß jeine Lunge ziemlich viel, das Herze nicht3 vermag. 


(7) 

Wem, der Posten Pferd. 
Ihrer viel find zwar beflifien, 
Sih am Helifon zu wiſſen; 

Ob fie num gleich ziehn und ziehn, 
Kommen fie doch langſam Hin: 
Denn ihr beites Pferd ijt heuer 
Biel zu jeltfam und zu theuer. 


(8) 
Kine gleiche Beyrakh. 
Cacus hat ein Weib genommen, die iſt ihm in allem gleich: 
Häßlich, böſe, faul und diebiſch, geil, verſoffen und nicht reich. 


(9) 
An ekliche Loblpreiher eines verſtorbenen Belden. 


Ihr Klugen, deren Fauſt die Feder ämſig führet 

Zu Hagen deſſen Tod, der an die Wolfen rühret 

Durch Thaten ohne Gleich, durch Thaten, die der Welt 

Des Himmels kurze Gunſt hat einzig vorgejtellt, 

Zum Eigenthum zwar nicht, zum Wunder aber allen, 

Sp weit der Titan leucht; der Muth mag euch entfallen, 

Daß dieß, wo Götterlob genug zu jchaffen hat, 

Die Feder enden joll und ein papiernes Blatt. 

Laßt ab! Hier wird dem Fleiß gar wenig Frucht gegönnet; 
Klagt nichts jo ſehr, al3 dieß, daß ihr nicht klagen könnet. 


(10) 
Meinfreundichaft, 
Die Freundichaft, die der Wein gemacht, 
Wirkt, wie der Wein, nur Eine Nadt. 





ameytes Bud). S 149 


(11) 
Der Benker und die Gicht. 


Der Henker und die Gicht verfchaffen gleiche Bein, 
Nur er macht Kleine lang, fie lange Leute Klein. 


(12) 
Aufrichtiakeit. 
Sa joll Fa, und Nein ſoll Nein, 
Nein nicht Ja, Ja Nein nicht ſeyn; 
Welcher anders reden kann, 
Sit noch Chriſt, noch Biedermann. 


(13) 
Wanderlihaft der Teute und der Güter, 


Man jagt, man Tiefet viel, wie daß, vor langen Jahren, 

Zu Beiten ein ganz Volk aus jeinem Sit gefahren 

Und neues Land gejucht. Hinfüro wird man jagen 

Was anders: wie man ſah gar oft in unjern Tagen, 

Bom Land’ Holz, Stein, Zinn, Bley, Gold, Silber, Kupfer, Eifen, 
Fleisch, Brod, Trank, und was nicht? — bin in die Städte reifen. 


(14) 
Saumlal. 
Anfang hat das Lob vom Ende: 
Drum macht der, daß man ihn ſchände, 
Der in allen ſeinen Sachen 
Nimmer kann ein Ende machen. 


(15) 
Hausxregimenk. 
Ein jeder iſt Monarch in ſeines Hauſes Pfälen; 
Es ſey denn, daß ſein Weib ſich neben ihm will zählen. 


(16) 
Wellchland. 


Das weliche Land heißt recht ein Paradies der Welt: 
Weil jeder, der drein fümmt, jo leicht in Sinden fällt. 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(17) 
Huf den Barpax. 


Harpar stahl hier ohne Scham, 
Lief in Krieg, entlief dem Strange; 
Wär auch da vielleicht nicht lange, 
Thät es nicht jein guter Nam. 


(18) 
Puht zu muthig, wicht zu furchklam. 
Joch Frech wagen, 
Joch weich zagen, 
Hat jemals gar viel Nu getragen. 
Wohl bedacht, 
Friſch vollbracht, 
Hat oft gewonnen Spiel gemacht. 


(19) 

Anzeigungen des Dieges. 
Seyd Iuftig, ihr Krieger, ihr werdet nun jiegen ! 
Die Kriegesverfaflung wird dießmal nicht trügen. 
Die Waffen, um euere Lenden gebunden, 
Sind neulich aus Häuten der Bauern gefunden; 
Die Mittel zu Stiefeln, Zeug, Sattel, Piſtolen, 
Sind ritterlicd neben der Straße gejtohlen; 
Die Gelder, zur Pflegung vom Lande gezwungen, 
Sind rüftig durch Gurgel und Magen gedrungen ; 
Die Pferde, vom nützlichen Pfluge gerifjen, 
Des Brodtes die lebten und blutigen Bifjen, 
Die führen und füllen viel Taufend der Wagen, 
Die Huren und Buben zu Felde mit tragen. 
Daß Reiter nun wieder ein wenig beritten, 
Sind Mern und Sehnen dem Lande verjchnitten ; 
Ein Fürſtenthum it in die Schanze gegeben, 
Die Handvoll von Reitern in Sattel zu heben. 


(20) 
Adel. 


Hoher Stamm und alte Väter 
Machen wohl ein groß Geſchrey: 
Moſes aber iſt Berräther, 

Daß der Urſprung Erde jey. 





Zweykes Bud). 151 


(21) 
‚Ein anadleliger Dimmer. 
Fürften werfen oft auf Einen alle Sad und alle Gunſt; 
Fehlt nun der, jo find verloren alle Mittel, alle Kunſt. 
Alles kann verrathen Einer, Einer kann nicht allem rathen; 
Gut ift, was viel Augen lobten, Teicht it, was viel Hände thaten. 


(22 
Au den wohlthätigen Gott, 
D Gott, wo nehm ich Danf, der ich jo viel genommen 
Bon Wohlthat, die mir ift zu Haufe häufig kommen 
Durch deine Gütigfeit? Thuſt dur nicht noch mehr Wohl, 
So weiß ich feinen Rath, wie ich recht danken joll. 
(23) 
Beufige Weltkunft, 
Anders jeyn, und anders fcheinen; 
Anders reden, anders meynen; 
Alles oben, alles tragen; 
Allen heucheln, jtet3 behagen; 
Allem Winde Segel gebe; 
Böſen, Guten dienjtbar leben; 
Alles Thun und alles Dichten 
Bloß auf eignen Nutzen richten: 
Wer fich deſſen will befleißen, 
Kann politisch heuer heißen. 
(24) 
Das Belle in der Welt. 
Das Beſte, was ein Mensch in diefer Welt eritrebet, 
Sit, daß er endlich jtirbt, und daß man ihn begräbet. 
Die Welt jey, wie fie will; jie hab auch, was fie will: 
Wär Sterben nicht dabey, jo gälte fie nicht viel. 
(25) 
Auferfkehung der Todten, 
Wer nicht glaubt das Auferjtehn, dem ijt ferner wohl erlaubt, 
Daß er glaube, was er will, wenn er auch gleich gar nichts glaubt. 
(26) 
Grablihrift der Frömmigkeit. 
Frommes liegt ind Grabes Nacht; 
Böſes hat es umgebracht. 


152 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


Frevel erbte feine Habe, 
Tanzt dafür ihm auf dent Grabe. 


(27) 
Das menſchliche Alter. 
Ein Kind weiß nichts von ſich; ein Knabe denfet nicht; 
Ein Süngling wünſchet jtets; ein Mann hat immer Pflicht; 
Ein Alter hat Verdruß; ein Greis wird wieder Kind: 
Schau, lieber Menſch, was dieß für Herrlichfeiten find! 


(28) 
Per Tod. 


Wer jich nicht zu jterben ſcheut, und fich auch nicht ſchämt zu leben, 
Diejer jorgt nicht, wie und wann er der Welt joll Abjichied geben. 


(29) 
Böflichkeit. 
Die Höflichkeit iſt Gold: man hält fie werth und theuer; 
Doch hält fie nicht den Strich, taugt weniger ins Feuer. 


(30) 
Stärke und Emigkeit. - 


Tapferfeit von außen, Einigfeit von innen, 
Macht, daß Feiner ihnen mag was abgewinnen. 


(31). 
Reiche Verwüſtung. 

Da diefes Land war reich vor Jahren, 
Da glaubten wir, daß Bettler waren. 
Nun dieſes Land, durch langes Kriegen, 
Bleibt menjchenleer und wüſte Liegen, 
St Steuer gar nicht zu bereden, 

Man jey nun arın von fo viel Schäden. 


(32) 
Rufrichkigkeit. 
Wer wenig irren will, er thu gleich, was er thu, 
Der jchweife nicht weit um, er geh gerade zu. 


en, 





Bwentes Buch. 153 


(33) 
Bofe-Hedächtnip. 
Was man an den Höfen fehlet, 
Das wird lange da gezäblet: 


Morgen denft man kaum daran, 
Was man heute wohl gethan. 


(34) 
lAnheillame Krankheit. 


Mancer Schad ijt nicht zu heilen durch die Kräuter aller Welt: 
Hanf bat viel verzweifelt Böſes gut gemacht und abgeitellt. 


(35) 
Ein Alter. 
Ein alter Mann wird zwar veracht, 
Der aber doch der Jungen lacht, 


Die ihnen jelbit ein Lied erdichten, 
Das man dann auch auf fie wird richten. 


(36) 
Glück und Deid, 


Die das Glücke jtürzen will, hat es gerne vor erhoben; 
Die der Neider ſchwärzen will, pflegt er gerne vor zu loben. 


(37) 
Auf die Portia. 
Bortia jchont ihrer Augen; einen Kleinen schlechten Mann 


Siehet fie nur über Achjel, fieht fie mit Verachtung an. 
Kleine Schrift verirt die Augen, daß man übler jehen kann. 


(38) 
Wohlkhak. 
Die Wohlthat übel angewandt, 
Wird Uebelthat gar wohl genannt. 
(39) 
Wiſſenſchaft. 


Dem Fleiße will ich ſeyn, als wie ein Knecht, verhaft, 
Damit ich möge ſeyn ein Herr der Wiſſenſchaft. 


154 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 


(40) 
Vergebliche Arbeit. 


Weiß die Haut des Mohren wajcen, 
Trinken aus geleerten Flafchen, 

In den Siebe Waſſer bringen, 
Einem Tauben Lieder fingen, 

Auf den Sand Balläfte bauen, 
Weibern auf die Tücken fchauen, 
Wind, Luft, Lieb’ und Rauch verhalten, 
Jünger machen einen Alten, 

Einen dürren Wetzſtein mäjten, 
Diten jegen zu den Weiten, 

Allen Leuten wohl behagen, 

Allen, was gefällig, jagen; 

er fich das will unterjtehen, 

Muß mit Schimpf zurüde gehen. 


(41) 
Der Tugend Lohn. 


Durch Ehr und reichen Lohn kann Tapferkeit erwachen; 
Doch Ehr und reicher Lohn kann Tapferkeit nicht machen. 


(42) 
Die beſte Arzeney. 


Freude, Mäßigkeit und Ruh 
Schleußt dem Arzt die Thüre zu. 


(43) 
Auf den Beil, 


Veit Hat ein wohlberathnes Haus, und in dem Haufe jiehet man 
In großer Meng ein jedes Ding, was man — im Finftern jehen fanı. 


(44) 
Die menlchliche Unbeſtändigkeit. 


Sein' Eigenſchaft und Art bekam ein jedes Thier, 

Und wie ſie einmal war, ſo bleibt ſie für und für. 

Der Löwe bleibt beherzt; der Haſe bleibet ſcheu; 

Der Fuchs bleibt immer ſchlau; der Hund bleibt immer treu: 
Der Menſch nur wandelt ſich, vermummt ſich immerdar, 

Iſt dieſe Stunde nicht der, der er jene war. 





Zweykes Bud. 15 


ı Qt 


Mas dient ihm denn Vernunft? Sie hilft ihm fait allein, 
Daß er kann mit. Vernunft vecht unvernünftig ſeyn. 


(45) 

Der Aerzte Glück. 
Ein Arzt ist gar ein glücklich Manı: 
Was er bewehrtes wo gethan, 
Zeigt der Genefte jedem an: | 
Sein Irrthum wird nicht viel erzählet; 
Denn hat er irgendwo gefehlet, 
So wirds in Erde tief verhehlet. 


(46) 
Leber den Tod eines lieben Freundes. 


Mein ander Sch iſt todt! D ich, fein ander Er, 
sch wünjchte, daß ih Er, er aber Ich noch wär. 


(47) 

Geld. 
Wozu it Geld doch gu? 
Wers nicht hat, hat nicht Muth; 
Wers hat, hat Sorglichfeit; 
Wers hat gehabt, hat Leid. 


(48) 
Redhtshändel. 
Wer ih einläßt in Proceſſe, wer fich einläßt in ein Spiel, 
Jeder muß hier etwas fegen, wenn er was gewinnen will; 
Doch geichieht es auch, daß mancher nichts gewinnt, und jet doch viel. 


(49) 
Triegereyen. 


Krummes mag man wohl verjtehen, 
Krummes aber nicht begehen. 


(50) 
Eine reiche Beyvath. 
Wer in Ehitand treten will, nimmt ihm meijtens vor 
Drein zu treten, ob er kann, durch das goldne Thor. 


156 Friedrichs von Togau Sinnugedichtke. 








(51) 

Die graue Treue. 
Da man, Jchon zur Zeit der Alten, 
Reine Treu für grau gehalten: 
Wunderts euch in unfern Tagen, 
Daß fie Schon ins Grab getragen? 
Daß nicht Erben nach ihr blieben, 
Drüber iſt fich zu betrüben. 


(52) 

Auf den Xychnobius. 
Lychnobius zählet viel Jahre, viel Wochen, 
Joch Lebt er die Woche nicht einigen Tag; 
Er jäufet bey Nachte, fo viel er vermag, 
Und ſtecket des Tages im Bette verfrochen. 


(53) 
Schalksnarren. 


Ein Herr, der Narren hält, der thut gar weislich dran; — 
Weil, was kein Weiſer darf, ein Narr ihm ſagen kann. 


(54) 
Auf den Bibulus. 


Es torfelt Bibulus, it ſtündlich tofl und voll: — 
Der Weg zur Höll ift breit: er weiß, er trifft ihn wohl. 


(55) 
- Bofdiener, 
Ich weiß nicht, ob ein Hund viel gilt, 
Der allen jchmeichelt, feinem billt? 
Ein Diener, der die Auflicht führet, 
Und Augen nur, nicht Zunge rühret, 
Thut nicht, was feiner Pflicht gebühret. 


(96) 
Geiltlicher und welflicher Glaube. 


Man merkt, wie gegen Gott der Glaube jey beitellt, 
Nur daraus, wie man Glaub und Treu dem Nächiten hält. 





Zweykes Bud. 157 


(57) 
Selbfierkenntniß. 


Willit du fremde Fehler zählen; heb an deinen an zu zählen; 
Sit mir recht, dir wird die Weile zu den fremden Fehlern fehlen. 


(58) 
Weltgunf. 


Die Weltgunit ijt ein Meer: 
Darein verjinft, was ſchwer; 
Was leicht iſt, ſchwimmt daher. 


(59) 
Die Zeiten. 


Wer jagt mir, ob wir jelbit jo grundverböſte Zeiten 
Berböjern, oder ob die Zeiten uns verleiten ? 

Der Tag, daran ein Dieb dem Henker wird befohlen, 
Hätt ihn wohl nicht gehenkt, hätt er nur nicht gejtohlen. 


(60) 
Pie Gnade, 


Das Warm ift Menjchen mehr, als Kaltes, angeboren; 
Den Füriten jey die Güt mehr als die Schärf erfohren. 


(61) 
Die viehiſche Welt. 


Ein rinderner Verſtand, und fälberne Geberden, 

Dabey ein wölfiih Sinn, find bräuchlich itzt auf Erden. 

Das Rind verjteht fich nicht, ald3 nur auf Stroh und Gras: 

Ein Menjch Läuft, vennt und ſchwitzt bloß um den vollen Fraß. 
Ein Kalb jcherzt, gaufelt, fpringt, eh e3 das Meſſer fühlet: 

Ein Menjc denkt nie an den, der ftündlich auf ihn zielet. 

Der Wolf nimmt, was ihm fümmt, it feind dem Wild und Vieh: 
Was Menich und menschlich ift, it frey vor Menfchen nie. 


(62) 
Dank wird bald krank. 
Dankbarkeit, du theure Tugend, 
Alterſt bald in deiner Jugend: 


Drum macht deine kurze Frift, 
Daß du immer jeltiam bift. 


158 Friedrichs von LTogau Sinngedichte. 
(63) 
WW eiberverheiß. 


Wer einen Aal beym Schwanz und Weiber faßt bey Worten, 
Wie feit er immer hält, hält nichts an beyden Orten. 


(64) 
Verdacht. 


Argwohn iſt ein ſcheuslich Kind: wenn es in die Welt nur blickt, 
Solls nicht ſchaden, iſt es werth, daß man es alsbald erſtickt. 


(65) 
Freunde. 


Freunde muß man jich erwählen 
Nur nach wägen, nicht nach zählen. 


(66) 
Auf die Rala. 
Einen Troſtſpruch aus der Bibel hatte Raſa ihr erwilchet, 
Dat man ewig dort mit Abram, Iſaak und Jakob tijchet ; 
Freuet fih auf beßre Speifen, al3 man bier erjagt und filchet. 


(67) 
Liebhaber. 


Die Liebe treibt ins Elend aus, 
Die, welche fie belohnet. 

Denn der ift nie bey ſich zu Haus, 
Der in der Liebiten mwohnet. 


(68) 
Der verforhtene Krieg. 


Mars braucht feinen Advocaten, 
Der ihm ausführt feine Thaten. 
Keinem hat er was genonmen, 
Wo er nichts bey ihm befommen; 
Keinem bat er was geitohlen, 
Denn er nahm es unverhohlen ; 
Keinen hat er je gejchlagen, 

Der fich ließ bey Zeiten jagen; 
Was er von der Straße Klaubet, 
Iſt gefunden, nicht geraubet; 





Bweytes Bud, 159 


Haus, Hof, Scheun und Schopf geleeret, 
Heißt ein Stüde Brodt begehret; 

Stadt, Land, Menſch und Vieh vernichten, 
Heißt des Herren Dienjt verrichten; 
Huren, ſaufen, jpielen, fluchen, 

Heißt dem Muth Erfriichung fuchen ; 
Endlih dann zum Teufel fahren, 

Heißt — den Engeln Müh erjparen. 


(69) 
Aerzte und Räthe. 


Ein Arzt hilft krankem Leib’, ein Weiſer franfer Beit. 
Der exit’ ift noch zur Hand, der ander iſt gar weit. 


(70) 

Geſchminkke Weiber, 
Damen, die fich gerne ſchminken, 
Laſſen ſich wohl jelbit bedünken, 
Daß Natur an ihren Gaben 
Müſſe was verſehen haben. 

Drum wer wählen will, der ſchaue, 
Daß er nicht der Farbe traue! 


(71) 
Der Hunger. 
Mir iſt ein Gaſt bekannt, der dringt durch freches Plagen, 
Daß ihn ſein frommer Wirth ſoll aus dem Hauſe jagen: 
Wenn dieſer es nicht thut, wird der nicht eh geſtillt, 
Als bis man Gaſt und Wirth in Eine Grube füllt. 


(72) 
Kalter find zu ſtrafen, Perfonen Ind zu ſchonen. 
Nicht die Perſonen auszurichten, 


Die Lafter aber zu vernichten, 
Hat jeder mögen Neime dichten. 


(75) 
Auf den Ruhmreich. 


Ruhmreich ift ein Taufendfünftler; was er will muß ihm gelingen; 
Kann er eines, glaub ich alles: über feinen Schatten jpringen ? 
Oder, ift ihm dieſes lieber: pfeifen und zugleich auch fingen ? 


160 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


(74) 
Huf den Seneriv, 


Senecio hat eine Seuche, daran er jterben muß; 
Es iſt, wie ich berichtet worden, ein neunzigjährig Fluß. 


(75) 
Beufige Sitten, 
Wozu ſoll doch jein Kind ein Vater auferziehen 
Bey jo beiwandter Zeit? Er darf fih nur bemühen, 
Daß feine Scheu fein Sohn und fein Gewiljen hat, 
So iſt Schon alles gut, jo wird zu allem Rath. 


(76) 
Bon der deuffihen Poeſie. 


Was ift ein deutfher Reim? Deutjch kann ja jedermann. — 
Drum ift mir Lieb, daß ich auch kann, was jeder fanı. 


(77) 
Klugheit und Thorheik. 
Jeder hat zu Hausgenoſſen, zwey ſich gar nicht gleiche Gäſte: 
Einen Doctor, einen Narren; Dieſe ſpeiſet er aufs beſte. 
Braucht er nun nicht gute Vorſicht, hält er nicht den Narren ein, 
Wird er öfter als der Doctor an der Thür und Fenſter ſeyn. 


(78) | 
‚Fleiß bringt Schweiß, Schweiß bringt Preis. 
Sedermann hat gerne Preis; 
Niemand macht ihm gerne Schweiß. 
Wer der Arbeit Marf will nießen, 
Muß ihr Bein zu brechen willen. 


(79) 
Geſchminkte Freundſchafk. 


Hände küſſen, Hüte rücken, 
Kniee beugen, Häupter bücken, 
Worte färben, Rede ſchmücken, 
Meynſt du, daß dieß Gaukeley, 
Oder ächte Freundſchaft ſey? 





Zweykes Bud). 161 


(30) 
Lachende Erben. 


Die Römer brauchten Weiber, die weineten für Geld. 
Obs nicht mit manchem Erben ſich eben jo verhält? 


(S1) 
Gold und Kuft, 
Der Menſch liebt Gold jo jehr, 
Und darf der Luft doch mehr. 
Ein Dieb, der dieß bedenkt, 
Wird jelten aufgehentt. 


(82) 
Auf den Crallus. 


Craſſus hat gar böjen Ruf: aus dem böjen Ruf zu kommen, 
Hat er ärgers Bubenjtüd, als das erjte, vorgenommen. 


(83 
Bofkünfte, 
Künſte, die bey Hof im Brauch, 
Faßt ich, dünkt mich, Teichtlich auch; 
Wollt’ erjt eine mir nur ein, 
Nehmlich: unverschämt zu ſeyn. 


(34) 

Ein auter Roch, ein aufer Rath. 
Bey Hofe iſt ein guter Koch der allerbeite Rath, 
Er weiß, was jeinem Herren jchmedt, und was er gerne hat. 
Er trägt verdedtes Eſſen auf, und Efjen nur zur Schau; 
Geußt Söder auf und Senf daran, die dienlich für den Grau; 
Aufs Bittre ftreut er Zuder ber, das Magre würzt er wohl; 
Dem Herren werden Ohren fatt, und ihm der Beutel voll; 
Die Kammer gebt zur Küche zu, die Wirthichaft in das Faß; 
Die Kanzeley hält Fajtenzeit; der lechzend’ Unterſaß 
Mag laufen, fanın er fißen nicht: die ganze Policey 
Wird Heucheley, Betriegerey und Küchenmeifterey. 


(85) 
Der Ruchlofen Freudenlied. 


Weil das Leben bey uns bleibt, brauchen wir das Leben; 
Kommen wir in Himmel nicht, fommen wir daneben. 
Leſſing, fämtlihe Schriften. VII. 11 





Friedrichs non Togau Sinngedichte. 


(86) 
Axrmuth und Blindheit. 


Ein blinder Mann ift arm, und blind ein armer Mann: 
Weil diefer feinen fieht, der feinen jehen kann. 


(87) 
Auf den Bloſcus. 


Seh ich recht, jo jcheint es mir, 
Bloſeus jey ein Wundertbier. 
Augen hat er, feine Stirne, 
Einen Kopf, und fein Gebirne, 
Einen Mund, und feine Zunge, 
Menig Herzens, viel von Lunge. 
Kannſt du beſſer jehn, jo ſchan, 
Ob er Ochs iſt, oder Sau. 


(88) 
An den Leſer. 


Sind dir, Leer, meine Sachen mißgefällig wo gewejen, 
Kannſt du fie am beiten jtrafen, mit dem ſauern Nimmerlejen. 











Priffes Bud. 163 


Sinngedichke. 
Dritkes Buch. 


(1) 
Bon meinen KLelern. 
Sp mirs gehet, wie ich will, 
Wünſch ich Leer nicht zu viel: 
Denn viel Lejer find viel Richter, 
Bielen aber taugt fein Dichter. 


(2) 
Gott und Krieg. 


Was nicht ift, dem ruft Gott zum Seyn und zum Beſtehn; 
Was it, dem ruft der Krieg zum Nichtjfeyn, zum Vergehn. 


(3) 
Sparlamkeit. 
Wenn die Jugend eigen wüßte, 
Was das Alter haben müßte; 
Sparte fie die meisten Lifte. 


(4) 
Der Tod. 


Ich fürchte nicht den Tod, der mich zu nehmen kömmt; 
Sch fürchte mehr den Tod, der mir die Meinen nimmt. 


(5) 
Auf den Eeler. 
Geler lief jüngſt aus der Schlacht, 
Denn es fam ihm jchnell zu Sinne, 
Daß er, würd er umgebracht, 
Nachmals nicht mehr Fechten fünne. 


(6) 
Wallerfuht. 


Waſſerſucht ift jchwer zu heilen. Manchmal kömmt fie Jungfern an; 
Dieje trägt man auf den Armen, bis ſie jelber laufen Kann. 


164 Friedrichs von Logau Sinngedichte. 





(7) 
Mittel zum Reichthum. 
Wer reich zu werden jucht, muß Beit und Ort betrachten, 
Und lernen Geld und Gut bald viel, bald wenig achten. 


(8) 
Verleumder. 


Ich kenn ein hölliſch Volk, die Brüder der Erinnen, 

Ein Volk von ſüßer Zung und von vergiften Sinnen, 

Das zwiſchen Mund und Herz, das zwiſchen Wort und That, 
Solch einen engen Raum, wie Oſt von Weſten, hat. 

Es lobt mich ins Geſicht, es ſchändet mich im Rücken, 

Es will durch meine Schmach ſein eigen Laſter ſchmücken, 

Es ſehnet ſich empor, verachtet alle Welt, 

Und hat genug an dem, daß es ihm ſelbſt gefällt. 

Was iſt mit dem zu thun? Sonſt will ich nichts ihm fluchen, 
Als daß ſein falſches Maul mag einen Stand ſich ſuchen, 
Wo ſonſt aus hohler Tief ein fauler Athem zeucht, 

Der auf die Ferſen zielt und in die Naſe kreucht. 


(9) 
Vereinigung zwiſchen Jupiker und Mars. 
Es that mir jüngſt ein Freund vom Helikon zu wiſſen, 
Daß Jupiter mit Mars wollt' einen Frieden ſchließen, 
Wenn Mars hinfort nicht mehr bey ſeinen Lebenstagen, 
Nach Himmel und nach dem, was himmliſch iſt, will fragen: 
Will Jupiter dahin ſich bindlich dann erklären, 
Dem Mars, noch nebſt der Welt, die Hölle zu gewähren. 
(10) 
Regimentswekker. 
Prineipes sunt Dii, non quidem altitonantes, sed imitonantes. 
Wer nicht glaubt, daß Obrigfeiten 
Billig find und heißen Götter, 
Der hab. Acht bey diefen Zeiten, 
Was fie machen für ein Wetter. 


(11) 
Rureuzʒ. 


So böſ' iſt ſchwerlich was, es iſt zu etwas gut: 
Das Kreuze plagt den Leib, und beſſert doch den Muth. 





Priffes Bud). 165 


(12) 
Geduld. 
Leichter träget, was er träget, 
Mer Geduld zur Birde leget. 
(13) 
Don den Canus. 


Canus baut ein neues Haus; baut ihm auch ein Grab. Mich deucht, 
Daß er an das Weichen denkt, aber doch nicht gerne weicht. 


(14) 
Kiebesarzeney. 


Mäpig und geichäfftig leben, 
Heißt der Liebe Gift eingeben. 


(15) 
Die hoffärtige und überlichtige Welt. 
Die Welt acht unfrer nichts; wir achten ihrer viel. 
Ein Narr liebt den, der ihn nicht wieder Tieben will. 


(16) 
Der Spiegel. 


Der Spiegel ijt ein Maler, im Malen ganz vollfommen ; 
Der aber jein Gemälde jtet3 mit fich weggenommen. 


(17) 

Liſtige Anfıhläae. 
Weißt du, was ein Anschlag heißt? — 
„Wenn man tweislich jich befleißt, 
„Seinem Feind, ch ers wird innen, 
„Schand und Schaden anzujpinnen —“ 
Nein; es iſt was befires noch, 
Gilt auch noch einmal jo hoch: 
Stehlen heißt es Küh und Pferde, 
Daß es niemand innen werde. 


(18) 
Lingua praecurrit mentem. 


Wenn für den Mann das Weib in einer Handlung pricht, 
Sagt, übereilet da den Sinn die Zunge nicht? 


166 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 








(19) 
Redlicher Leute Schelten gilt vor lofer Leute Toben, 
Wenn mir ein Böfer qut, ein Guter böje will, 
So acht ich Gutes nichts, Hingegen Böſes viel. 
(20) 
Roplichkeit, 
Weil die Ehr und Redlichkeit 
MWeicht und fleucht aus unjrer Zeit, 
Weiß ich nicht, was drinnen jehr 
Frommer Mann mehr nübe wär. 


(21) 
Schlaf. 
Es ſitzt der Schlaf am Zoll, hat einen guten Handel; 
Sein iſt der halbe Theil von unſerm ganzen Wandel. 
(22 
Träume. 
Aus Nichts hat der ihm was gemacht, 
Der Träume, welhe Nichts find, acht. 


(23) 
Glückſeligkeik. 
Was macht die Menſchen arg? Was hat viel Volk empöret? 
Was hat manch Land geſchwächt? Was hat manch Reich zerſtöret? 
Das, was die ganze Welt doch itzt und alle Zeit 
Von Herzen wünſcht und ſucht: des Glückes Seligkeit. 


(24) 

Eheltand des Hexzens und der Zunge. 
Das Herz und Zung ijt wie vermählt, 
Die zeugen Kinder ungezäblt; 

Wenn beide nun nicht eines find, 
Wird jedes Wort ein Hurenkind. 


(25) 
Der geſegnekte Krieg. 


Mars it nicht ganz verflucht; Mars ift nicht ganz zu ächten, 
Wie manchem dünft. Er ift der Same der Gerechten; 





Prittes Bud, | 167 








Nach Brodte geht er nicht. Er kann nad) Brodte reiten, 
Und muß wohl noch dazu das Fleisch das Brodt begleiten. 


(26) 
Allengefallenheit. 
Daß er gefalle jedermann 
Geht jchwerlich, glaub ich, jedem au, 
Als den, bey dem hat gleichen Preis 
Gott, Teufel, Necht, Krumm, Schwarz und Weiß. 


(27) 
Weiber. 


Wer ohne Weiber könnte jeyn, wär’ frey von vielerley Bejchwerden ; 
Wer ohne Weiber wollte jeyn, wär’ aber nicht viel nütz auf Erden. 


(28) 
Regimentsprrfländige. 
Es ift ein Volk, das heißt Statiſten, 


Sit von Verſtand und fcharfen Lijten, 
Doc meynen viel, es jeyn nicht Chriſten. 


(29) 
Fremdes Guf. 


So iſts mit uns bewandt: 
Was in der fremden Hand, 
Das will ung mehr vergnügen; 
Und unjerd will nicht tügen. 
Was uns das Glücke giebt, 
Hat andern auch beliebt. 


(30) 
Aıyahl der Freunde, 


Wer viel Freunde rühmt zu haben, muß gar wenig Sinnen zählen 
Einen Freund zu finden, pflegen alle Sinnen oft zu fehlen. 


(31) 
Auf die Ella. 
Dieb und jenes jchneidt man auf von der Hochzeit erjten Nacht; 
Mich, jagt Elfa, jchredt e3 nicht, werde brünftig nur gemacht, 
Unter Augen dem zu gehn, was zulegt mir fommen joll; 
Wer, was ihm verordnet ift, fliehen will, der thut nicht wohl. 


168 Friedrichs von Logau Sinngedichte. 


(32) 
Lügen und Ligen Tagen. 


Ein Frommer hütet ſich, daß er nicht Teichtlich lüge; 
Ein Weijer, daß er jih mit Lügen nicht betriege. 


(33) 
Dis Mars Treue, 


Niemand wag es, und verneine, 

Daß es Mar3 nicht treulich meyne, 

Weil er niemals Winters halben 

Weichet, wie die falſchen Schwalben, 
Sondern bleibt auf unſrer Erde, 

Weil noch währt Geld, Brodt, Küh, Pferde. 


34) 

Thätiakeit. 
Wer nimmer nichts verjucht, der weiß nicht, was er kann. 
Die Hebung wirft uns aus; VBerfuch der führt ung au. 


(35) 
Frommer Berr, ſchlimme Piemer. 
Iſt gleich ein Herr gerecht, 
Iſt aber arg jein Knecht; 
Sp wird der Herr doch ungerecht, 
Dieweil er hägt den argen Knecht. 


(36) 

Tobſprecher. 
Meiſtens lobt man alle Fürſten, wie ſie leben, weil ſie leben. 
Sind es dann nicht Heucheleyen? Nein, es iſt gar recht und eben, 
Daß man ihre Laſter theils nicht verhaßter etwan macht, 
Daß man ſie erinnert theils wo ſie ſonſt nicht drauf gedacht. 
Auf die Weiſe kann man Pillen, die ſonſt allzubitter ſchmecken, 
Scheinlich machen und vergolden, und die Pflicht ins Lob verſtecken. 


(37) 
Redlichkeit. 


Wer gar zu bieder iſt, bleibt zwar ein redlich Mann, 
Bleibt aber, wo er iſt, kömmt ſelten höher an. 





Drittes Bud, 169 


(38) 
Beylpiele. 
Willit du Fürften Regeln geben, 
Gieb der andern Fürften Leben. 
Heb fie über Böj’ empor, 
Zeuch nicht ihnen Bere vor. 


(39) 
Gewinn und Belik. 
Wer den Beutel hat verloren, mag den Weg zurüde mejjen: 
Schwer ijt neuer zu erwerben; alter iſt nicht zu vergefien. 


(40) 
Mann und Weib, 
Die Weiber find die Monden, die Männer find die Sonne; 
Bon diejen haben jene Nub, Ehre, Wärme, Wonne. 


Die Sonn beherrſcht den Tag, der Mond beherricht die Nacht; 
Bey Nachte hat das Weib, der Mann bey Tage Macht. 


(41) | 
Ein hökernes Pferd. 
In der Argiver langem Weiberfriege, 
Half Leglich noch ein hölzern Pferd zum Siege. 
Was gilts, ob Krieg itzt auch nicht währen werde, 
Bis font fein Pferd mehr bleibt, als Kinderpferde ? 


(42) 
Vom Kividus. 


Lividus iſt tödtlich Frank. Will er leben, joll er baden — 
Aus den Thränen, die er goß über eines andern Schaden. 


| (43) 
Gerechtigkeit des Peides. 


Keine Straf ijt ausgejeket 

Auf des Neides Gift; 

Denn er it zu aller Zeit 

Selbit jo voll Gerechtigkeit, 

Daß er glücklich trifft, 

Und ſich durch fich ſelbſt verleßet. 


170 Friedrichs von Logau Sinngedichte. 





(44) 
Güter des Gemükhs. 


Wer ihm Güter handeln will, der erhandle jolchen Grund, 
Den fein Brand, fein Raub verderbt, weil er im Semüthe ſtund. 


(45) 
Huf den Fugipes. 
Fugipes ſollt itzo treten 
In die Schlacht; da wollt' er beten, 
Sprach: Mein Gott, ach mache mir, 
Wie dort David rühmt von dir, 
Hirſchenfüß; ja, führ mich ehe 
Weit von hinnen in die Höhe! 
(46) 
Der Bauch hat nicht Phren. 
Der Bauch) hat fein Gehöre? Das ift zu viel gejprocden. 
Lucinens Bauch hat Ohren; erwarte nur zehn Wochen. 


(47) 
Bofedonner. 


Der Donner, den der Hofehimmel jchict, 
Trifft, ehe man es merft, daß er geblidt. 


(48) 
Ein Perleumder. 


Falſus it ein guter Nedner, jedes Wort ift eine Blume 
Bon Berleumdung andrer Leute, und von jtolzem Eigenruhme. 


(49) 
Feſtemacher. 
Fürs Vaterland ſein Blut vergießen, 
Hat man ſich ſonſt mit Ruhm befliſſen. 


Das Blut dem Vaterlande ſparen, 
Iſt itzt ein Ruhm in unſern Jahren. 


(50) 
XKob. 


Ein jonders Lob ift dieß, daß einer Lobens werth, 
Auf bloßes Lob nicht jieht, und Lobens nicht begehrt. 


Prittes Bud). 171 





(51) 
Auf die Virnula. 
Es achtet Birnula nichts in der Welt jo ſehr, 
Wie billig, al3 die Zucht und angeborne Ehr: 
Damit fie nicht mit Macht ihr etwan werd entnommen, 
So hat fie nächit ein Freund von ihr gejchenft befommten. 


(52) 
Auf den Veik. 


Beit, man nennt dich einen Ochjen; dieß gefällt div jchwerlich halb. 
Ochſe kannſt du künftig heißen; bleib nur io noch ein Kalb. 


(53 
Die engliſche Tracht. 

Die Jungfern, die das geile Rund, 
Das zu der Wolluft legt den Grund, 
Ans Licht jo ſchamlos ftellen aus, 
Die find ein rechtes Ballenhaus, 

Wo jtet3 der Ballen liegen viel, 
Und warten, ob man jpielen will. 


(54) 
Sich hüten. 
Soll der Menſch ihm ſelbſt verhüten, was ihn kann Gefahr erregen, 
Muß er jih bloß auf das Hüten, ſonſt auf fein Gejchäffte legen. 


(55) 
Der Weg zu Gunlten. 
Willſt du, daß man dich bey uns wohl verehr, und dein gedenfe? 
Stelle Gaftereyen an, ſprich ftet3 ja, und gieb Gefchenfe. 


(56) 
Vorwih. 
Du, der du um mich dich kümmerſt, ſäumſt zu kümmern dich um dich: 
Kümmre dich um dich zum erſten; bleibt dir Zeit, alsdann um mich. 


(57) 
Auf den Morus. 
Morus fam nah Hofe jchmaujen. 
Ohne Wiſſen, ohne Graujen 
Fraß er viel von einem Naben, 
Den jie ihm zum Poſſen gaben. 


172 Friedrichs von LTogau Sinngedichke. 


Beſſer, daß ich dich verzehre, 

AS daß ich dein Grabmahl wäre: 
Sprad er. Daß es was bedeute, 
Sagen aber alle Leute. 


(58) 
Auf die Piarifta. 


Pigritta brauchet gerne Ruh; wie jo? Sie hat vernommen, 
Der Menſch jey nur in diefe Welt wie in ein Gaſthaus kommen. 


(50 
Der Aramohn. 


Diejes kann man zwar wohl thun, daß man Teichtlih niemand traue: 
Nur daß nicht, daß man nicht trau, Teichtlich jemand an uns fchaue. 


(60) 
Auf den Deit. 


Einem andern abgeliebet, 

Einem andern abgediebet, 

Einem andern abgelogen, 

Einem andern abbetrogen, 

Einem andern abgeeidet, 

Einem andern abgefreidet, 

Weib, Geld, Gut, Vieh, Hülle, Fülle, 
Und was jonft erwarb jein Wille, 

Dieje jeine ſchöne Habe 

Nennet Beit des Herren Gabe, 

Will von ſolchem Gottbejcheren 

Sich mit Gott und Ehren nähren. 


| (61) 

Der alten Deulſchen Schrift. 
Der Deutſchen ihr Bapier 
War ihres Feindes Leder; 
Der Degen ivar die Feder, 
Mit Blute jchrieb man bier. 


(62) 
Don einem Spiegel. 
Heimlichkeiten großer Leute ſoll man, wie ſichs ziemt, verjchweigen: 


Deiner Schönheit ſchön Geheimniß will der Spiegel auch nicht zeigen; 
Daß er jey bey Hof geweſen, Formiruta, dünft mich eigen. | 





Prittes Bud). 173 





(63) 
Soldatenfreypeit. 
Läßt man euch denn, ihr Soldaten, 
Frey dahingehn alle Thaten ? 
Sündern, die da fterben follen, 
Thut man, was fie haben wollen. 


(64) 
Auf ven Möchus. 


Möchus iſt ein milder Mann außer Hauf’, und farg im Bette: 
Seine Frau lernt diefe Kunſt, treibt fie mit ihm in die Wette. 


(65) 
Der Sacer Gewohnheit. 


Eh Jungfer mocht und Junggefelle fich weiland bey den Sacern paaren, 
Mußt' eines vor des andern Stärke durch einen jondern Kampf erfahren ; 
Wer überwand, war Herr im Haufe. Bey uns begehren, nicht aus Stärke, 
Die Weiber Vorzug, Herrichaft, Ehre; nein, jondern weil fie Schwache Werte. 


(66) 
IDunderwerk. 


Ein Soldat fann durch Verzehren 
Sich ernähren! 

Und ein Landmann durch Erwerben 
Muß verderben! 


(67) 
Bon dem Dummofus und Bibofus. 
Da Nummojus jterben fjollte, lief er auf den Oberföller ; 
Da Bibojus jterben jollte, lief er in den tiefen Seller ; 
Doch den Schwarzen Knochenmann hielt nicht auf noch Hoch noc Tief, 
Daß er beiden nicht hinnach, big er fie erhafchte, Tief. 


(68) 
Reime, 


sch pflege viel zu reimen; doch hab ich nie getraut, 

Was bejjers je zu reimen, al3 Bräutigam auf Braut, 

AUS Leihen in das Grab, als guten Wein in Magen, 

As Gold in meinen Sad, ald Leben und Behagen, 

Als Seligfeit auf Tod; — — Was darf ich mehrers jagen ? 


174 Friedrichs von Logan Sinngedichke. 


(69) 
Rath. 


Da, wo man Nath nicht hört, wo Rath nicht Folge hat, 
Allda ist gar fein Rath der allerbeite Rath. 


(70) 
Auf den Paul. 
Paul it fleißig, mich zu fragen; 
Ich verdrüßig, was zu jagen: 
Denn mit allen meinem Sagen 
Stillt fih nimmer doch fein Fragen. 


(71) 
Ehewunſch. 


Spanne meinen ſchwachen Mann, ſpann ihn aus, o Himmel, doch! 
Seufzet Moeris; und ihr Mann: Himmel, ach, zerbrich mein Joch! 


(72) | 
Wer NMühliches mit Luſtigem vermengt, der kriffks. 
Wer Nutz und wer Ergeztz recht ſcheidet und recht mengt, 
Verdienet, daß man ihn mit Lob und Ruhm beſchenkt. 
Lobt Paſſerillen, lobt! Zum Nutz iſt ihr der Mann, 
Der Nachbar zum Ergeb, und wer nur immer kann. 


(73) 
Wein. 


Willſt du eine Luſt dir kaufen, kauf ein Faß voll guten Wein, 
Bitt ein Dutzend gute Brüder: Ach, was werden Narren ſeyn! 


(74) 
FJürſprecher. 
Männer, die durch Reden reich 
Werden, ſind den Vögeln gleich; 
Tragen ſich zu ihrer Ruh 
Ein Gebäud im Munde zu. 


(75) 
Fxreundſchaftk. 


Wo Nutz ſich nicht erzeigt, wo kein Gewinn ſich weiſt, 
Iſt Freundſchaft nicht daheim, iſt über Land gereiſt. 





Pritfes Bud. 175 


(76) 
Eine ausgeübte Sache. 
Bon Sachen, die nicht vor find wo ſchon ausgeübet, 
Nimmt keine Simon an, wie viel man ihm gleich giebet. 
Mich dünkt, (es iſt nicht weit, bis daß er Hochzeit mache,) 
Die Braut die bring ihm auch ein’ ausgeübte Sache. 


(77) 
Höflichkeit. 
Was Höflichkeit verſprochen, 
Darauf iſt nicht zu pochen; 
Sie machet keine Pflicht; 
Ihr Band das bindet nicht. 
(78) 
Schönheik. 
Schönheit iſt ein Vogelleim, jeder hänget gerne dran, 
Wer nur fleuget, wer nur ſchleicht, wer nur manchmal kriechen kann. 


(79) 
Der Mittelſtand. 
Wer ruhig ſitzen will, der ſitze nicht beym Giebel; 
Wo Schwindel folgt und Fall, daſelbſten ſitzt ſichs übel. 
(80) 
Unkerſchied zwiſchen Jungfrau, und junge Frau. 


Es wird, was junge Frau und Jungfrau, leicht erkannt; 
Denn dieſes Wort iſt ganz, und jenes iſt getrannt. 
(81) 
Auf die Venerilla. 
Benerilla haſſet Scherz, 
Was fie meynt, das ift ihr Herz. 
Wer an ihr was juchen will, 
Such und jäume nicht zu viel. 
Wer nichts jagt und viel doch thut, 
Sit für Venerilla gut. 


(82) 
Alte und Kohle. 


Ah und Kohle find Geſchwiſter; Holz ift Mutter; Vater Feuer; 
Ach iſt Schweiter, Kohle Bruder; beide find es Ungeheuer: 


176 Friedrichs von Logan Sinngedichke. 





Denn der Bater wie die Mutter iſt alsbald durchaus verloren, 
Wenn der Sohn und feine Schweiter werden zu der Welt geboren. 
Doch zur Nache kömmt der Wirbel, treibt die Tochter jchnell davon, 
Und des Baters Bruder kömmt und vernichtet auch den Sohn. 


(83) 
Verſtand und Zuſtand. 


Verſtand, den jeder hat, hält jeder lieb und werth; 
Der Zuſtand, den er hat, wird anders ſtets begehrt, 
Da jener, wie mich dünkt, doch mehr als der, verkehrt. 


(84) 
Galgenſtrafe. 


Iſts recht, daß man die Münze mit Münze wieder zahl', 
Stiehlt den mit Recht ein Rabe, der wie ein Rabe ſtahl. 


(85) 
An einen Sternfreund. 


Sieh nicht am Himmel erſt, wie vielen Jammer 
Mars ſtiften wird. Sieh nur — in deine Kammer. 


(86) 
Fürſtenliebe. 


Große Herren lieben die, denen ſie viel Wohlthat gaben, 
Lieben ſelten die um ſie ſich gleich wohl verdienet haben: 
Wollen, daß man ihre Güte ſolle ſtets mit Pflicht empfinden, 
Wollen ſich für fremdes Gute ſelbſt hingegen nicht verbinden. 


(87) 
Hausſtand. 


Viel erdulden, nichts verfechten; 
Schaden leiden, doch nicht rechten; 
Andre füllen, ſich entleeren; 
Lohnen, doch den Dienſt entbehren; 
Immer geben, nimmer nehmen; 
Nimmer lachen, immer grämen; 
Herrſchen, gleichwohl dienen müſſen; 
Viel verwenden, nichts genießen; 
Wenig haben, ofte geben; 

Selbſten fallen, andre heben; 





Prittes Bud). 177 


Kommt man bey jo viel Gejchäften 

Dann von Gut, Blut, Mark und Kräften, 
Wie der alte Hund den Knittel, 

Dulden den Rebellentitel; 

Das iſt unſer Hausſtand heute. 

Lobt ihn doch, ihr lieben Leute! 


(88) 
Beginnen. 


Fang alles an mit Wohlbedacht; führ alles mit Beſtand: 
Was drüber dir begegnen mag, da nimm Geduld zur Hand. 





(89) 
Schulden. 


Wer Schuld mit Schulden zahlt, thut ſelten alles gut; 
Dem letzten, der ihm leiht, dem zahlt er mit dem Hut. 


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(90) 
Biobs Weib. 


Als der Satan gieng von Hiob, iſt fein Anwald dennoch blieben, 
Hiobs Weib; er hätte nimmer einen beſſern aufgetrieben. 


(91) 
Auf Aungfer NMackklieb. 
Eupinuda Hagt gar ſchön 
Ueber Bater Adams Fall: a 
„Welch ein Sammer überall! ca 
„Niemand darf mehr nadend gehn!” 


(92) A 
Religion. I: 
Daß man mag in Haß und Neid wider feinen Nächiten leben, 2 
Soll uns die Religion einen ſchönen Mantel geben ? Be 
Ehr mir Gott Religion, die zwar rein und heilig gläubet, en 
Immer aber Haß und Neid wider ihren Nächiten treibet! 4 
(93) : 

Die Runſt. 


Wo hat die Kunſt ihr Haus? Das Haus der Kunſt ift rund; 
Steht allenthalben fo, daß Sonne drüber ſtund. 


Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 12 


Ak 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


(94) 
- Bon memem Bude. 


Will der mein Buch nicht Tieben, 
Der Beſſeres geſchrieben; 

Will der mein Buch vernichten, 
Der Mehrers konnte dichten: 

So laß ich es geſchehen! 

Doch wird man auch wohl ſehen, 
Daß mancher etwas Aergers 
Geſchrieben, mancher Kärgers. 





vVierkes Bud). 179 


Sinngedichke. 
Vierkes Bud, 


(1) 
Reimdichterey. 
Wenn ich Reime two gejchrieben, 
Schrieb ich mir fie, mich zu üben. 
Wenn fie andern wo belieben, 
Sind fie andern auch geichrieben. 


(2) 
Auf die Plaulilla. 
Plauſilla trägt ſich hoch, dieweil jie etivas jchön. 
Wie würde fie jo hoch, wär fie nur ehrlich, gehn! 


(3) 
Auf den Klepax. 
Klepax legt ſich nie ungejtohlen nieder; 
Was er Reichen ftiehlt, giebt er Armen wieder. 
Gott wird reichen Lohn ihm Hingegen geben, 
Daß er hoch erhöht wird in Ketten ſchweben. 


(4) 
Gezwungene Soldaten. 
Mer jeufzend zeucht in Krieg, it fein gar gut Soldat: 
Was dünkt dich nun von dem, den man gezwungen bat? 
(5) 


- Auf die Corinna. 
Corinna hat den Mann zwey Jahr lang nicht gejeben; 
Und brachte doch ein Kind? — Durch Wechjel ifts gejchehen. 
(6) 
Treinkkunft. 


Wer einen guten Trunf vermag, hat der denn einen Ruhm? 
Ja, wenn er trinkt, dab doch Vernunft behält das Meifterthunt. 


150 Friedrichs von Logan Sinngedichte. 





Bey Hofe nützt ein solcher Kopf, der alſo trinken kann, 
Daß er entdeckt, ſich felbiten nicht, vielmehr den fremden Mann. 


(7) 
Die Welt und der Kalten Noah. 


Des Noah Wunderfhiff it ähnlich unſre Welt, 
Weil fie mehr wilde Thier als Menjchen in fich hält. 


(8) 
Jungfernkhränen. 
Ein Waſſer iſt mir kund, das den, der drein nur blickt, 
Mehr als der ſtärkſte Wein in Unvernunft verzückt: 
Der Liebſten Thränen ſinds, die oft den klügſten Mann 
Bethören, daß er Schwarz von Weiß nicht ſondern kann. 


(9) 
Hofhunde. 
Heuchler und Hunde belecken die Teller; 
Jene ſind Schmeichler und dieſe ſind Beller; 
Dieſe bewahren, bey denen ſie zehren; 
Jene verzehren die, welche ſie nähren. 


(10) 
Das Schwerdt. 


Ohn Urſach jollen wir nie zuden unjern Degen, 
Ohn Ehre follen wir ihn drauf nie niederlegen. 


(11) 
Auf den Stävus. 


Scävus wird mit Ewigkeit immer in die Wette leben: 
Tugend wird das Alter nicht, Bosheit wird ihm jolches geben. 


(12) 
Rechtserlernung. 

Wenn einer will das Necht jtudiren, 
Muß er fünf Jahre dran verlieren: 
Das Recht, das Krieg itzt eingeführet, 
Wird in fünf Tagen ausftudiret. 






Vierkes Bud). 181 


(15) 
"Auf einen Börnerfräger. 


Der Lieb ift nichts zu ſchwer, pflegt Corniger zu jagen: 
Drum ift ihm auc nicht Schwer aus Liebe Hörner tragen. 


(14) 
Dir Mann des Weibes Baupt. 
Der Mann it jeines Weibes Haupt. 
Wer weiß ob Virna ſolches glaubt ? 
Sie ſpricht: Was jolln zwey Häupter mir? 
Ich wär ja jonjt ein Wunderthier. 


(15) 
Degen und Schild. 
Welch Waffen hat mehr Nub, der Degen oder Schild? — 
Frag erit, ob Schügen mehr, ob mehr Verlegen gilt? — 
Berlegen dämpft den Feind, und Schügen fichert mich. — 
Sit Feind gedämpft, wer ijt dann ſicherer als ich? 


(16) 
Die Worte aelten, wie Geld. 
Worte gelten in der Welt 
Biel und wenig, wie das Geld: 


Was vor Zeiten Schelmisch hieß, 
Heißet ehrlich, bringt Genieß. 


(17) 
Auf die Flora. 
Flora wünſchet, daß ihr Mann fich mit einer andern paare. 
Diejes thut nicht jedes Weib. — Stille nur! fie meynt die Baare. 
(18) 
Gelundheit. 
Wer am Leibe von Gebrechen, im Gemüth won Lüften Frey, 
Diefer kann ſich billig rühmen, daß er ein Gejunder jey. 
(19) 
Keuſchheik. 


Keuſchheit iſt ein Balſam, Weiber ſind ein Glas: 
Jener iſt ſehr köſtlich, gar gebrechlich das. 


182 Friedrichs von Logan Sinngedichke. 





(20) 
Von dem Gilvus. 


Albinus ſaß voll Muth mit Singen und mit Lachen; 
Da Gilvus diejes jah, ſprach er: du haft gut machen, 
Du nimmst das dritte Weib; die erjte die mir lebt, 
Die hat auch noch nicht Luft, daß man fie mir begräbt. 


(21) 
Gewillenhafter Krieg. 
Mars ift ein Gewifjensmann, 
Nimmt fich jehr der Menjchheit an: 
Schlägt er Menſchen häufig nieder, 
Zeugt er Menjchen häufig wieder. 


(22) 
Auf den Furous. 


Furvus denkt fich groß zu bauen; legt den Grund von folchen Stüden, 
Die’er andern durch Berleumden weggezogen hinterm Rücken. 


(23) 
Einfalt und Kill. 
Da Lamm und Fuchs nad Hofe kam, 
Geſchah es, daß man beide nahm; 
Den Fuchs, der nachmals oben jaß, 
Das Lamm, davon ein jeder fraß. 


(24) 

Fröhluher Tod. 
Es ijt ein fröhlich Ding um aller Menfchen Sterben: 
E3 freuen fich darauf die gerne reichen Erben, 
Die Prieſter freuen fih, das Opfer zu genießen, 
Die Würmer freuen fih an einem guten Bifjen, 
Die Engel freuen ſich, die Seelen heimzuführen, 
Der Teufel frenet fih, im Fall fie ihm gebühren. 


(25) 
Dom Morus. 


Morus war in hohen Ehren, wagte was er hatt’ auf Ehr. 
Als er alles nun verprachtet, al3 er nichts ſonſt hatte mehr, 
Wollt’ er Ehre ſelbſt verpfänden: hatte nirgend fein Gehör. 





vierkes Bud). 185 








(26) 
Auf den Buadreuncus. 


Quadruneus jticht jehr oft gelehrte Männer aut. 
Schon hieraus hör ich e8, daß er gewiß nichts kann. 


27) 
Winde. 


Der centnerjchweren Bürde 

Bon Hoheit und von Würde 
Wird ämfig nachgetrachtet. 

Die Laft wird nicht geachtet. — 
D! drunter nicht zu jchwißen, 
Kur weich daranf zu jigen, 

Zu jorgen nicht, zu prangen, 
Daranf its angefangen! 


(28) 
Auf die Prilca. 
Priſea pflegt, nad) alter Art, jtillen Mundes jtetS zu jeyn, 
Saget nur: ich weiß es nicht; faget: ja, und faget: mein. 
Weißt du, was dahinter jtedet? Weil fie zu verhandeln jtehet, 
Fürchtet jte, daß nicht dem Kleeblatt ihrer Zähn ein Blatt entgehet. 


(29) 
Auf den Grittus, 


Grittus jollte Hochzeit machen, und es fam was anders drein; 
Denn er ud ihm unverjehens, vathet was? — Gevattern ein. 


(30) 
Wer auf viel zu ſehen, kanns leicht verliehen. 
Portia giebt Antwort drum, 
Daß fie aus dem Mann nichts macht: 


„Seht man exit mit vielen um, 
„Giebt man nicht auf Eines Acht.“ 


(31) 
Täglicher Tod. 
Weil ihr Prieſter, daß man täglich fterben jolle, Lehren gebet, 
Sterb ich täglid, jagte Mopſus, alldieweil mein Weib mir [ebet. 


184 Friedrichs von Logan Sinngedichte, 


U 
Die Paltphar. 
Freundinn des Ochſen, Baliphae, höre, 
Wie man dir böslich ſtahl weiland die Ehre! 
Ueblich iſts heute noch: artige Kinder 
Wählen zu Männern, bald Eſel, bald Ninder. 


(33) 
Ein unbeſcheidnes Weib. 


In des Unglücks Rock hat ſich der gekleidet, 
Der ihm nahm ein Weib, das Vernunft nicht leidet. 


(34) 
Aungferlchaft. 


Sungferichaft die it ein Garten, Jungfern find die Blumen drinnen; 
Manche giebt für Bienen Honig, manche giebet Gift für Spinnen. 


(35) 
Auf den Udus. 


Als Udus Morgens früh wollt’ aus nach Weine geben, 
Da fand er diefen Spruch an feiner Thüre ftehen : 
Es steht dieß Haus in Gottes Hand, | 
Verſoffen iſts und nicht verbrannt. 


(36) 
Die Ichamhaftige Zeit. 
Sie ſey jonft wie jie will die Zeit, 
So Liebt fie doch Verſchämlichkeit: 
Sie kann die Wahrheit nadt nicht leiden, 
Drum ift fie ämfig, fie zu kleiden. 


(37) 
Auf den Brennus. | 
Brennus dienet feinem Herrn, bat ihm jelditen zu befehlen; 
Und man will ihm feinen Herrn dennoch zu den Narren zählen. 
.. (88) 
Weiberhüter. 


Ohne Noth wird die bewacht, 
Die auf Unzucht nie gedacht. 


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Pirrtes Bud. 185 


Kur vergebens wird bewacht, 
Die auf Unzucht hat gedacht. 
(39) 
Aerzte und Poeten. 

Dich, Apollo, ruft der Arzt, dich, Apollo, vuft der Dichter; 
Wem du vor erjcheinen follft, darf e8 einen rechten Richter. — 
D der Arzt it auch ein Dichter, macht die Krankheit oftmals arg, 
Daß der Kranke, der genejen, ſey zum Schenken minder Farg. 
Was er gröblich oft verjah, that allein der Krankheit Stärke, 
Wo er aber gar nicht half, that er wahre Wunderwerfe. 
Hat, Apollo, diefer Dichter dich gerufen, fomme bald. 
Jener bat nichts zu verfäumen, Krankheit aber braucht Gewalt. 


(40) 
Auf den DParill. 
In Klugheit ift er Narr, in Narrheit ijt er Hug: 
Ein Kluger und ein Narr hat am Varill genug. 
(41) 
Die Tügen. 
Daß mehr als Hurerey 
Das Lügen Sünde ſey, 
Sit wahr; denn diefes fuhr 
Stet3 wider die Natur, 
Und das pflegt insgemein 
Naturgemäß zu feyn. 
(42) 
Verſtändiger Krieg. 
Um klug und wirthlich Volk scheint Mars fich zu bemühen: 
Er wirbt die Jungen ist in Schulen und bey Kühen. 
(43) 
Auf den Brutus. 
Brutus zog mit vollem Beutel, daß ex Wiſſenſchaften lerne; 
Kam auch wieder; und was wußt er? — daß fein Geld blieb in der Ferne. 
(44) 
Berleumder. 
Die Mücden fingen erſt, bevor fie einen jtechen ; 
Berleumder Täjtern drauf, indem fie Lieblich Iprechen. 


186 Friedrichs von Logau Sinngedichte. 





(45) 
Auf die männliche Virola. 
Wie daß Viroſa denn noch feinen haben kann? — 
Ein Mann bedarf ein Weib; ein Mann darf feinen Mann. 


(46) 
Achkmonakhliche Geburt. 


Sm achten Monden bracht ein Kind Sirona; und die Leute zählen? 
Weil Buch fie ſelbſt gehalten hat, jo frag auch fie; ihr wird nichts fehlen. 


(47) 
Auf den Trullus. 
Trullus zeucht ſich aus dem Kriege, will nicht länger Wache ſtehn; 
Nimmt ein Weib; wird, will ich glauben, Wacheſtehen nicht entgehn. 


(48) 
Huf den Pirus. 


Picus nahm die dritte Frau, immer eine von den Alten: 
Wollte, meyn ich, ein Spital, jchwerlich einen Ehitand halten. 


(49) 
Auf den Futlus. 


Futlus joll mit jeinem Feinde, wie man jagt, den Degen mejjen; 
Spricht, er hätte diefe Kunst vor gelernt und igt vergefjen. 


(50) 

Ein Troll. 
Eine Fürſtinn jtarbe noch in bejter Jugend, 
Bar am Stande Fürjtinn, FZürjtinn auh an Tugend. 
Jeder der fie fannte, obs gleich nicht gegolten, 
Hat des Todes Raubjucht dennoch jehr geicholten. 
Einer klagte weinend, daß er fait zerflojle: 
Ach fie it gefallen, Babylon, die große! 


(51) 

Ein Rath wie der Heid zu ſchlagen. 
Man hat den Feind aufs Haupt gefchlagen; 
Doch Fuß hat Haupt hinweg getragen: 

Man schlag ihn, vath ich, auf den Fuß, 
Damit er liegen bleiben muß. 


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Bieries Bud). 187 





(52) 
Huf den Banus. 
Vanus wird zu jchön geitraft, der e3 doc) zu grob verjchuldet: 
Seine Straf it eine Fran, zwar voll Runzeln, doch verqufdet. 


(53) 
Des Bardus Traum. 


Bardus träumt, er wär ein Pfarr, 
Wachend war er ſonſt ein Narr; 

Ob ihm träumt, er wär ein Narr, 
Wird er wachend doc fein Pfarr. 


(54) 
Auf die Caſca. 


Caſea iſt jo teufliſch böſſ, und ihr Mann fpricht doch: mein Schaß ? 
Wiffe nur, der Teufel hat gern bey alten Schätzen Platz. 


(55) 
Dans und Grete. 


Hanſen dienet feine Magd, 
Außer feiner alten Öreten; 
Weil es feine mit ihm wagt, 
Die fich ſcheut vor Kindesnöthen. 


(56) 

An das Frauenvolk. 
Lieben Weiber, laßt mir zu, daß ich jag, ihr feid wie Nüſſe; 
Diejen ijt in zarte Haut eingehüllt des Kernes Süße, 
Drauf folgt ein gar harter Schild, und zulebt die bittre Schal; 
So jeid ihr, ihr Weiber, auc meistens, doch nicht allzumal: 
Weil ihr Jungfern jeid und bleibt, jeid ihr gar von finden Sitten; 
Wenn ihr Weiber worden jeid, muß man jchlagen oder bitten, 
Daß die Herrichaft Männern bleibt; wenn fih Schmuß und Alter weift, 
D wie bitter wird es dem, der mit euch fich ſchwärzt und beißt. 


(57) 
Die Thais. 


Thais jagt, daß ihres Liebjten Bildniß fie im Herzen trage; 
Unterm Herzen, will ich glauben; denn jo jagt gemeine Sage. 


188 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(58) 
Weiberſchmuck. 


Der Schmuck der zarten Frauen ſteht nicht im Haare Flechten. — 
Drum laſſen fie jie fliegen zur linken und zur rechten. 


(59) 
Auf den Porus. 
Porus ſetzt für gute Freunde mancherley Gejundheit ein, 
Bald in Biere, bald in Weine, bad in ftarfem Brantemein. 


Als ex jeine nun verloren, fiel er in die tiefiten Sorgen; 
Keiner wollt ihm eine jchenfen, noch verkaufen, noch auch borgen. 


(60) 
Auf Simpeln. 


Simpel it des Weibes Weib, 
Sie ilt ihres Mannes Mann: 
Zweifelt nun wohl jemand dran, 
Daß zwey machen Einen Leib? 


(61) 
Bofleufe. 
Der zu Haufe jog die Klauen, will bey Hofe weidfich praſſen; 
Die noch wieder hungern werden, muß man fich nur füllen laſſen. 
| (62) 
Framolenfolae. 
Narrenfappen jamt den Schellen, wenn ich ein Franzoje wär, 
Wollt’ ich tragen; denn die Deutſchen giengen jtrads wie ich einher. 
(68) 
Die tapfere Wahrheit. 


Ein tapfrer Heldenmuth ijt beſſer nicht zu kennen, 


Als wenn man fich nicht ſcheut, Schwarz ſchwarz, weiß weiß zu nennen, 


Und feinen Umfchweif braucht und feinen Mantel nimmt, 
Und allem gegengebt, was nicht mit Wahrheit ſtimmt. 
(64) 
Bofdiener. 


Des Füriten Diener find aljo, wie fie der Herr will haben; 
Sie arten fich nach feiner Art, find Affen jeiner Gaben. 





Biertes Bud. 189 





(65) 
Bon dem Pravus. 
Es jchrieb ihm Pravus an jein Haus: 
Hier geb nichts Böſes ein und aus. 
Ich weiß nicht, joll fein Wunsch bejtehn, 
Wo Pravus aus und ein wird gehn? 


(66) | 
Auf den Spurcus. 


Spureus fchenfet guten Freunden; merkts ihr Freunde! wie ein Schwein, 
Dem man giebt um Spedes willen, jollt ihr wieder nutzbar ſeyn! 


(67) 
Auf den Guraes. 
Gurges, dein beweglich Gut ſah man Längst fich wegbewegen ; 
Was noch unbeweglich war, wird fich ehſtens gleichfalls vegen. 
Diejes macht der ftarfe Wein, deſſen Geift fich drinn befindet, 
Daß fich alles jo bewegt, regt, und endlich gar verfchtuindet. 


(68) 
Huf den Lügner Lullus. 
Wie gut wär Lullus doch zu einem Brillenglas ! 
Er macht das Kleine groß, aus Nichtes macht er Was. 
(69) 
Unverhofft, kömmk oft. 


Es kömmt oft über Nacht was ſonſt kaum kam aufs Jahr; 
Es brachte heut ein Kind, die geſtern Braut noch war. 


(70) 
Auf den Thralo. 
Thraſo denft, die Welt erjchalle weit und breit von feinen Thaten, 
Da fie hier doch feinem fundig. Soll ich helfen? ſoll ich vathen? 
Tapfrer Thrafo, geh zur Oder, fchreib darein dein Thun und Wefen, 
Dann wird man in wenig Tagen jolches in der Oſtſee leſen. 


(71) 
Auf den Terhnicus. 


Technicus kann alle Sachen 
Andre ehren, jelber machen: 


190 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Neiten kann er, Fechten, tanzen; 
Bauen fann er Städt und Schanzen; 
Stadt und Land kann er regieren; 
Necht und Sachen kann er führen; 
Alle Krankheit kann er brechen; 
Schön und zierlich kann er fprechen ; 
Alle Sterne kann er nennen; 
Brauen kann er, baden, brennen; 
Pflanzen kann er, ſäen, pflügen, 

Und zuletzt — erſchrecklich lügen. 


(72) 
Auf den Filz. 
Haft du einen Rauſch gehabt? Geh zu Filzen nur zu Gaſte; 
Denn auf einen ſtarken Raufch nübet eine ſtrenge Faſte. 


(73) 
Auf den Cornulus. 
Mit zweyen Weibern hat fih Cornulus vermählet. 
Die eine tröjtet ihn, wenn ihn die andre quälet; 
Die ein’ erweilt ihm Haß, die andre Lieb und Huld; 
Die erſte nenn ich nicht, die andre heißt Geduld. 


(74) 
Don dem Stella. 


Stella ijt ein Handelsmann; Glüde lacht ihm ohne Wanken, 
Kein Verluſt betrifft ihn je; denn er handelt — in Gedanfen. 


(75) 
Auf den Prädo. 
Prädo läßt ſich Lieber henken, 
Eh er will an Wirthichaft denken; 
Weil ihm dort ein Stündlein jchwer, 
Hier, das ganze Leben wär. 


. (76) 
Auf den Fönimimus. 


Aller Unfall, der da kömmt, bringt den Föminin zum Weinen ; 
Dieſes macht, daß man ihn hält nur für Eine, nicht für Einen. 





—— ————— 9 Be 


Pierfes Bud. 191 





(77) 
Fellemarher. 
Waffenweich und ebrenfeite 
War im Kriege vor das Beite; 
Ehrenweich und waffenfeite 
Sit im Kriege. jebt das Beſte. 
(78) 
Die Verwüſtung Trojens. 
Eine Stutt und Hengſt haben Troja umgekehrt: 
Nehmlich Helena, und der Griechen hölzern Pferd. 


(79) 
Auf den Phorbas. 
Phorbas gieng zu jeinem Lieb. Als er kam zu deren Thür, 
Bittert er als wie ein Laub, wußte gleichwohl nicht wofür ; 
Hielt fich font für einen Mann; bis er, als er dachte nad: 
„En mein Herze gab ich ihr, und fie gab mir ihres,“ ſprach. 


(80) 
Pilus und Bila. 
Niſus buhlte ſtark um Niſa: Diejes gab ihr viel Bejchwerden ; 
Wollt' ihn nicht; fie freyt ihn aber, feiner dadurch los zu werden. 
(81) 
Auf den Erilpus. 


Da Eriipus annoch unbekannt, hielt man ihn böje nicht, noch gut; 
Nun er befannt, weiß jedermann, den Schelm bededt der breite Hut. 


(82) 
Erbfihaft. 
Bor, wenn naher Freund gejtorben, 
Erbten wir wa3 er erworben. 


Wer da wolle fterbe heuer, 
Man erbt nichts, als jeine Steuer. 


(83) 
Ein vernänftia Weib. 


Ver nach einem Engel freyt, trifft oft einen Teufel an. 
Alles trifft, wer mur Vernunft an der Seite haben fan; 


192 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 





Denn Bernunft ſchmückt trefflich jchön, denn Vernunft macht alles gut; 
Und ein Engel wird das Weib, wenn fie wie ein Engel thut. 


N. 
Auf den Beit, 
Yung, war Beit ein Biedermann; alt, it Beit in Schelmenorden. 
Nie des Lebens, jo der Ehr iſt er überdrüßig worden. 


(85) 
Gerüchke. 


Man ſaget ſelten was, es iſt doch etwas dran; 
An dem iſt aber nichts, daß Mops ein ehrlich Mann. 


(86) 

Auf den Curioſus. 
Curioſus grämt fich jehr, was ein andrer hat zu lebe; 
Curioſus grämt fich jehr, wa3 ein andrer hat zu geben; 
Euriofus grämt fich jehr, was ein andrer führt für Lehre; 
Curioſus grämt ſich jehr, was ein andrer hat für Ehre. 
Euriojus grämt jich nicht, hat nicht wohl das Brodt zu leben; 
Curioſus grämt fich nicht, hat viel Schuld, und nichts zu geben; 
Curioſus grämt ſich nicht, glaubt von Gott gar feiner Lehre; 
Curioſus grämt fich nicht, hat viel Schmach und wenig Ehre. 
Eignen Kummer ſchickt er fort, fann ihn nicht im Haufe leiden; 
Fremden Kummer hält er an, kann ihn feine Stunde meiden. 


(87) | 
Auf den Gulo. 
Gulo hat Gedärm im Kopf und Gehirn im Bauche; 
Denn zu jorgen für den Bauch hat er ſtets im Brauche. 
(88) 
Auf die Rubida, 
Nubida ijt voller Scham, niemand wird fie barfuß finden ; 
Doch der Mode kömmt es zu, daß die Bruft ift ohne Binden. 
6609) 
Mars ein Roßkäuſcher. 


Kömmt etwa Mars ein Pferd zu faufen, 
Sp fragt er bald: kanns aucd wohl laufen? — 





Vierkes Bud. 193 


Will Mars ein Wetterennen wagen? — 
Nein, nach: fih her die Feinde jagen. 
(90) 
Auf den Glicus. 
Glieus möchte gerne wiljen, ob jein Weib ihm treu; 
Solches aber zu erfahren trägt er gleichwohl Scheu. 
(91) 
Auf den Koridon. 


Koridon war der Betrübtite 
Unter allen Bauerfnechten; 

Denn der Teufel holt das Liebite, 
Sprad er: Nija jtarb mir nächten. 
(92) 

Auf den Ignavus. 

Ignavus ijt ein wirthlih Mann, er jieht der Arbeit fleißig zu: 
Und wenn er hievon müde wird, jo braucht er gerne feine Ruh. 
(93) 

Scherz und Schimpf. 

Flut, die nicht erſäuft, nur badet; 
Schimpf und Scherz, der keinem ſchadet; 
Glut, die wärmt, und nicht verbrennet; 
Zucht, die rühret, und nicht nennet; 
Wer nicht dieſe mag erdulden, 

Giebt Verdacht von ſondern Schulden. 


(94) 
Menſchliche Erfindungen. 
Sehr ſelten wird geſagt, was vor nicht auch geſagt. 
Man ſagt, wie vor, auch noch: Veit ſchläft bey ſeiner Magd. 
(95) 
Das Jahr. 
Das Jahr ijt wie ein ſchwangres Weib, gebieret uns viel Tage, 
Zwar Männlein, doch der Weiblein mehr; zwar Freude, doch mehr Plage. 
(96) 
Zeiklich Gut. 
Was iſt doch Ehre, Macht, Pracht, Schönheit, Luft und Geld? 
Ein gläjernes Gepräng und Dodenwerf der Welt. 


Leſſing, fämtlihe Schriften. VII. 13 


194 Friedriche von Iogau Sinngedichke. 


(97) 
Richker. 
Jeder Richter heißt gerecht, und auch ungerecht hinwieder: 
Dem gerecht, der obgeſiegt, ungerecht dem, der liegt nieder. 


(98) 
Frühlina und Berbfi. 


Der Frühling it zwar Schön, doch wenn der Herbit nicht wär, 
Wär zwar das Auge jatt, der Magen aber leer. 


Faulbeit. 


Ein Ballon fleucht ungejchlagen nimmer, ob er gleich voll Wind: 
Manche find zu faul zu Ehren, ob fie gleich begabet jmd. 


(100) 
Huf den Pfeus. 


Oſcus ift an Gelde reich, darf um gar nichts jorgen; 
Außer wo er guten Rath und Berjtand joll borgen. 


(101) 
Vom Mihbrauch der Singekunſt. 


Was denkſt du, lieber Gott? wenn itzo deine Chriſten 

In deinem Hauſe dir nach ihres Ohres Lüſten 

Beſtellen Sang und Klang? Die krauſe Melodey 

Wird angeſtimmt zum Tanz, zur ſüßen Buhlerey. 

Der Andacht acht man nicht. Der geilen Brunft Gefieder 
Erwächſt, und jteigt empor durch unſre frechen Lieder. 

Der ftille Geift erfigt; wir hören viel Gejchrey, 

Die Einfalt weiß nicht recht, obs ſüß, obs jauer jey; 

Obs Thier, obs — * en ſind, die ohne Sinn ſo klingen; 
Ob einer ſeufzen ſoll, ob einer ſo ſoll ſpringen. 

Man wiehert den Diskant, man brüllet den Tenor, 
Man billt den Eontrapunft, man heult den Alt hervor, 
Man brummt den tiefen Baß; und joll e3 Tieblich Elingen, 
So klingt e8 ohne Wort, wird feine Meynung bringen. 
Man weiß nicht ob e8 Danf, man weiß nicht ob es Preis, 
Man weiß nicht obs Gebet, und was es jonjten heiß. 
Was denkſt du, lieber Gott? wenn wir jo jehr ung regen, 
Und jagen doch gar kaum was uns iſt angelegen ? 





Bierfes Buch. 


Wir höhnen dich ja nur, wenn wir jo zu dir jchrenn, 
Und was es jey, doch nicht verjtanden wollen jeyn. 
(102) 
Auf die Gliſſa. 
Gliſſa liefet gern in Büchern; Arnd, ihr liegt dein Paradies 
Stets zur Hand, doch vor den Augen deine Bibel, Amadis. 
(103) 
Roſtenordnung. 
Die Satzung, nach Gebühr zu zehren, 
Kann itzo keinen mehr beſchweren: 
Man hört nicht, daß der viel verthat, 
Dem man benimmt, was er nur hat. 
(104) 
Auf den Rappinus. 
Nappinus ſchenkt dem Herren was er ihm vor enttwandt, 


Er nimmt e3 mit der linken, giebt3 mit der rechten Hand; 
Drum wird er treuer Diener, nicht Schlimmer Dieb genannt. 


(105) 
Auf den Coquinus. 


Freunde, nicht von gutem Sinn, Freunde nur von gutem Magen 
Braucht Coquinus; denn er weiß weiter nichts als aufzutragen. 


(106) 

Soldatenwunfd. 
Die Krieger rufen, fie zu holen, den Teufel fleifjig an: 
Es fehlen ihnen Pferd’ und Ochfen, fie brauchen Vorgejpann. 

(107) 
Don meinen Reimen. 

Hat jemanden wo mein Neim innerlich getroffen, 
Daß er zürnt und grimmig ift: ey fo will ich hoffen, 


Er wird fih, und nimmer mich, jchelten für Verräther; 
Weil er jelbiten Kläger ift, wie er jelbiten Thäter. 


196 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 





Sinngedichke. 
Fünftes Buch. 


(1) 
Bon meinen Reimen. 
Leſer, daß du nicht gedenfit, daß ich in der Reimenjchmiede 
Immer etwan Tag vor Tag, ſonſt in gar nichts mich ermüde! 
Wiſſe, daß mich mein Beruf eingeipannt in andre Schranken. 
Was du hier am Tage fiehit, das find meiſtens Nachtgedanfen. 


(2) 
Ein Weltverfländiner. 
Tapfre Männer jollen haben was vom Fuchſe, was vom Leuen; 
Daß Betrieger fie nicht fangen, daß ſie Frevler etwas jcheuen. 


(3) 
Fürfenbefehle. 
Sachen, die bequemli find, wollen Herren jelbjt befehlen, 
Sachen, die gefährlich jind, follen Diener jelbit erwählen; 
Nicht umſonſt: ihr Abjehn ijt, daß fie mögen Mittel finden, 
Diener ihnen, aber nicht jich den Dienern, zu verbinden. 


(4) 
Der Siena. 
Wer durch das Eijen fiegt, hat ritterlich gefiegt; 
Betrieglich hat gekriegt, wer durch das Gold gekriegt. 


(5) 
Die Bofkallandra. 
Was Kaffandra prophezeihte, 
Ward gehört und nicht geglaubt: 
Salichheit iſt bey Hof erlaubt, 
Wahrheit treibt man auf die Seite. 





Fünftes Bud). 197 


(6) 
Zweifelhafte Reufchheit. 
Ein Biederweib im Angeficht, ein Schandfad in der Haut 
Iſt manche; Geiles Liegt bedeckt, und Frommes wird gejchaut. 
(7) 
Menſchliche Chorhkit. 
Defters denk ich bey mir nach was die Menjchen doch für Thoren, 
Die da wiſſen, durch den Tod wird die ganze Welt verloren, 


Wagen dennoch alles drauf, wagen wohl fich jelber dran, 
Und warum? — Daß jeder nur deito mehr verlieren kann. 


(8) 
Spöfter. 
Mer andrer Leute hönifch lacht, 


Der habe nur ein wenig Acht, 
Was hinter ihm ein andrer madt. 


(9) 

An die Schweden. 
Alles Unjchlitt von dem Bieh, das ihr raubtet durch das Land, 
Aſche von gefammtem Ort, den ihr jegtet in den Brand, 
Gäb an Seife nicht genug; auch die Oder reichte nicht, 
Abzuwaſchen innern led, drüber das Gewiſſen richt! 
Fühlt es jelbiten was es iſt, ich verjchweig es itzt mit Fleiß: 
Meil Gott, was ihr ihm und uns mitgejpielet, jelber weiß. 


(10) 
Menſchliche AIerthümer. 
Daß ich irre bleibt gewiß, alldieweil ein Menſch ich bin; 
Wer nun mehr ist als ein Menfch, mag mich durch die Hechel zieht; 
Sonft weil’ ich ihn von mir weg, weif’ ihn auf jich felber bin. 
(11) 
Auf den Edo. 


Edo jammelt allen Schab, was er zu und ein kann tragen, 
Unter ein gedoppelt Schloß: unter Bauch und inner Magen. 


(12) 
Süßbilkres. 


In einem Weiberrocke, 
In einem Bienenſtocke, 


198 Friedrichs von Iogau Sinngedichke. 





Stedt Schaden und Genuß, 
Ergegen und Verdruß. 


(13) 
Perdorbene Raufmannſchaft. 


Bey dem Bäder kaufen Korn, bey dem Schmiede kaufen Kohlen, 
Bey dem Schneider faufen Zwirn, hilft dem Händler auf die Solen. 


(14) 
Träume, 


Die Träume find wohl werth, daß man fie manchmal achte: 
Die Frau im Traume ward, ward Mutter, da fie machte. 


(15) 
Auf den Runcus. 


Runcus it ein Edelmann, 

Nimmt fih nur des Aders an, 
Will ſich ſonſt auf nichts befleiffen, 
Bill ein Edelbauer heifjen. 


(16) 
Diebesſtrick. 
Der Strick, daran ein Dieb erhieng, hilft für des Hauptes Weh, 
Gebunden um den kranken Kopf. — O um den Hals viel eh! 


(17) 
Verleumder. 
Wer Verleumdung hört, iſt ein Feuereiſen, 
Wer Verleumdung bringt, iſt ein Feuerſtein: 
Dieſer würde nichts ſchaffen oder ſeyn, 
Wollt ihm jener nicht hülflich ſich erweiſen. 


(18) 
Auf die Parna. 
Bon Troſt jtedt Varna voll. Ihr Mann ijt jüngjt geitorben, 
Da jpricht fie: Ob er todt, doch iſt er nicht verdorben. 
Der meine Wohlfahrt war, der ift gar wohl gefahren; 
Drum mag auch ich mich nun mit neuer Wohlfahrt paaren. 





Fünftes Bud. 199 


: (19) 
Die Pflfer, oder das Baltildhe Meer. 
Alle Flüffe gehn ins Meer, 
Alle kommen auch dortber. 
In die Oſtſee gehet zwar 
Unfre Oder, das ijt wahr: 
Aber thut auch ihre Flut 
Unfrer Oder viel zu Gut? 
Dftjee! unfern Schmud und Gold 
Haft dur von uns weggerollt: 
Aber was du wiederbracdt, 
Werde dir dereinjt gedacht! 
(20) 
Die FHallıhheit. 
Höflichkeit verlor den Rod, Falſchheit hat ihn angezogen; 
Hat darinnen viel geäfft, hat manch Biederherz betrogen. 


(21) 
Auf die Pivula. 
Nivula ijt wie der Schnee, 
Der faum it fiel aus der Höh; 
Wie aud ihre Nedlichkeit 
Iſt wie Schnee zur Märzenzeit, 
Der, wie nen er ijt geadht, 
Immer trübes Waller madt. 
(22) 
Gerechkigkeik. 
In einer hat das Schwerdt, in andrer hat die Schalen 
Gerechtigkeit; denn ſo ſieht man ſie meiſtens malen. 
Wie ſo? Weil ſich zur Wag ein Schwacher gerne kehrt, 
Ein Starker aber nicht; denn der faßt gern das Schwerdt. 
(23) 
Erbarmung und Barmherzigkeit. 
Eines andern Bein empfinden, heißet nicht barmherzig jeyn; 
Recht barmherzig ſeyn will heißen: wenden eines andern Pein. 


(24) 
Ein Kriegeshund vedef von ſich ſelbſt. 


Hunde, die das Vieh behüten, 
Hunde, die am Bande wüten, 


200 


Friedrichs von Logau Sinngedichke. 


Hunde, die nach Wilde jagen, 
Hunde, welche jtehn, und tragen, 
Hunde, die zu Tische Jchmeichelt, 
Humde, die die Frauen jtreicheli, 
Glaubt, daß alle die zufammen 
Aus gemeinem Blute ſtammen. 
Aber ich bin von den Hunden, 
Die im Kriege fich gefunden; 
Bleibe nur wo Helden bleiben, 
Wenn fie Küh und Pferde treiben, 
Habe Bündniß mit den Dieben, 
Trag am Nauben ein Belieben, 
Pflege, bin ich in Duartieren, 
Gänſ' und Hühner zuzuführen; 
Kann die ſchlauen Bauern riechen, 
Wo fie ih ins Holz verfriechen ; 
Wenn fie nach den Pferden kommen, 
Die mein Herr wo weggenommen, 
Kann ich fie von dannen heben, 
Daß ſie Hut und Schuh verjeßen; 
Kann durch Schaden, kann durch Zehren 
Helfen Haus und Hof verzehren. 
Gavalliere kann ich leiden, 
Dauern müſſen mich vermeiden. 
Drum bin ich in meinem Orden 
Hundecavallier geworden. 


(25) 
Auf den Schliffel. 

Schliffel hat zwar eine Seele; aber was iſt jolche nütze? — 
Salz iſt fie, daß nicht fein Leib lebend wird zu fauler Pfütze. 
(26) 

Auf den Beit. 

Ey, ſiehſt du nicht wie Veit vor Weibern ſich veritede? — 

Sa! — Aber wo denn Hin? — Ey unter ihre Dede. 
(27) 
Düuherheit. 
Schiffer, die am Ruder jigen, kehren da den Rücken hin, 
Wo fie dennoch hin gedenken und mit allen Kräften ziehn: 


Menſchen leben ohne Rüdjicht, an den Tod wird nie gedacht, 
Nennen gleichwohl ihrem Tode ſtündlich zu mit ganzer Macht. 





Fünftes Bud). 201 


(28) 
Preis der Tugend. 
Der Tugend theure Waare ‚wer fie fir jhäßbar bält, 
Der faufe fie um Mühe, bier gilt fein ander Geld. 
(29) 
Die höchſte Weisheit. 
Gott, und fih, im Grunde fennen, 
Iſt der höchſte Witz zu nennen. 


Bielen iſt viel Witz gegeben, 
Diejer jelten noch daneben. 


(30) 
Lebensregel. 


Sey, wer du biſt; laß jeden auch vor dir ſeyn, wer er iſt; 
Nicht, was du nicht kannſt, was du kannſt, ſey dir zu ſeyn erkieſt. 


(31) 
Boffmung und Furchk. 
Furcht und Hoffnung find Gejpielen: 
Dieſe wird geliebt von vielen, 
Und wer diej’ ihm bat genommen, 
Dem pflegt jene jelbft zu kommen. 


(32) 
Em xedlicher Mann. 
Sein Ruhm der kann beſtehn, und fein Gericht it ächt, 
Wer diejes jagt, was wahr, und diefes thut, was vect. 
(33) 
Aleider. 
Pferde fennt man an den Haaren: 
Kleider fünnen offenbaren, 


Wie des Menjchen Sinn beitellt, 
Und wie weit er Farbe hält. 


(34) 
Arzeneykunſt. 


Wer die Krankheit will verjagen muß den Kranken nur vertreiben; 
Wo fein Raum und Ort vorhanden, wird auch nichts mehr ſeyn und bleiben. 


202 Friedrüuchs von Logau Dinngedichte. 
(35) 
Auteitt bey hohen Bäuptern. 


Ohne Gaben joll man nie vor den großen Herren ſtehen; 
Ohne Danfen ſoll man nie weg von großen Herren geben. 


(36) 
Kin Räthlel und Teine Löſung. 
Die Mutter frißt das Rind: 
Daß dieſer Stamm vergeh, 
Sp frißt ihn Erd und Wind. — 
Es regnet in den Schnee. 


(37) 
Der läumige Wars. 
Der Krieg geht langſam fort! — Die Pferde find dahin; 
Drum muß er fein Geräth anist mit Ochſen ziehn. 


(38) 
Reich und grob. 
Wo der Geldjad iſt daheim, ift die Kunst verreijet; 
Selten daß fih Wiſſenſchaft bey viel Reichthum weifet. 
Ob nun gleich ein goldnes Tuch kann den Ejel deden, 
Sieht man ihn doch immerzu noch die Ohren reden. 


(39) 

Der Neidiſche. 
Wie ich eſſen joll und trinfen, wie ich mich befleiden joll, 
Wie ich ſonſt mein Thun fol richten, find die Leute fummersvoll. 
Wenn ich nicht zu trinken, ejjen, noch mich zu befleiden hätte, 
Sonjten auch gar viel nicht gälte, gilt es eine jtarfe Wette, 
Ob nur einer findlich wäre, der nur einmal ſorgt' um mid). 
Immer dünfet mich, ſie kümmern nicht aus Gunſt, aus Neide jich. 


(40) 
Der Mittelweg. 

Su Gefahr und großer Noth 
Bringt der Mittelweg den Tod. 
. (41) 

Witkwen. 


Wer ſich an ein Schienbein ſtößet, der hat große kurze Schmerzen: 
Wittwen, welchen Männer ſterben, fühlen gleiches in dem Herzen. 





Fünftes Bud. 203 


(42) 
Kohn für Dienſt. 


Treuer Dienft heiſcht jeinen Lohn, 
Sagt er gleich fein Wort davon. 


(43) 
Auf den Timax. 
Timar war bey vielen Schlachten, dennoch it er jtet3 genejen; — 
Fit zum Treffen immer letzter, erjter in der Flucht geweſen. 
(44) 
Tühtiae Waaren. 
Die Waaren, welche ganz voran 
In einem Laden Liegen, 
Die kauft nicht gern ein kluger Mann, 
Sie pflegen nicht zu tügen: 
Die Jungfern, welche zu dem Freyn 
Die Freyer gleihjam laden, 
Wo dieje nicht verlegen jeyn, 
So haben jte doch Schaden. 


(45) 
Fallıhheit. 


Mohren haben weiße Zähne, find ſonſt Schwarz fait aller Orten: 
Falſche Leute bleiben Schwarze, find jie gleich von weißen Worten. 


(46) 

Bürherlefen. 
Wie die Honigmacherinnen 
Ihren ſüßen Nektarjaft 
Bielen Blumen abgewinnen: 
So wächſt unſre Wiſſenſchaft, 
Durch ein unverſäumtes Leſen, 
In ein gleichſam göttlich Weſen. 


(47) 
Auf den Gulamus. 
Weil Gulanus von dem Tode fort und fort Gedanken hat, 
Ißt und trinkt er jeden Abend ſich jehr jatt und überjatt; 
Denn er meynet, jede Mahlzeit werde fein Valetſchmaus jeyn: 
Schafft in jein ſonſt leeres Schiffchen drum vorher den Ballaft ein. 


204 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


(48) 
Vom Geraſt. 


Geraſt legt zur Geſellſchaft ſich Schelm’ und Diebe bey; — 
Damit man ſehen möge, wie viel Er beſſer ſey. 


(49) 

Des Krieges Ungelegenheiken. 
Krieg iſt die allerſchärfſte Zucht, 
Womit uns Gott zu Hauſe ſucht; 
Denn unter ſeinen ſauern Nöthen 
Iſt noch die ſüßſte Noth, das Tödten. 


(50) 
Kenne dich. 


Kannjt du dem, der vor dir geht, jeine Mängel bald erbliden, 
Wird dir auch die deinen jehn, wer dir nachjieht, auf dem Rüden. 


(51) 
Fürktlühe perſönliche Zuſammenkunfk. 
Fürſten ſollen ſich nicht kennen 
Durch das Sehen, nur durchs Nennen: 
Was das Ohr erſt groß gemacht, 
Hat das Auge drauf verlacht. 


(52) 
Lebenslaft. 


Canus iſt zwar lebensjatt; eh der Magen fich joll ſchließen, 
Will er gleichwohl zum Confekt etwas Jahre noch genießen. 


(53) 
Auf den Barpax. 


Harpar haßte Müßiggehn; wollt! ihm niemand was befehlen, 
So erbrad er Thür und Thor, Lad und Kiſte, was zu jtehlen. 


(54) 
Porten und Maler. 
Man pfleget mehr was Maler malen, 
Als was Boeten, zu bezahlen; 
Da doch die Farben werden blind, 
Neim’ aber unvergänglich find. 





Fünftes Bud. 


(55) 
Freye Zunge. 
Wo das Reden nichts verfängt, hat das Schweigen befre Statt; 
Beſſer, daß man nichts gejagt, als gejagt vergebens hat. 


(56) 
Bofleute. 
Bey Hofe haben die den allergrößten Sold, 
Die gar nicht3 weiter thun, als freſſen und als jaufen. 


Fürwahr! wer Seele joll und Körper ſoll verkaufen, 
Dem ijt fein Silber nicht genug und auch fein Gold. 


(57) 
Auf den Trepiceordus. 


Trepicordus joll ſich raufen; will nicht fommen; denn er will 
Nicht verrüden, will vollenden fein von Gott gejegtes Ziel. 


(58) 
Weiber. 
Die nicht Weiber haben, 
Wünjchen ihre Gaben; 
Die fie nun genofjen, 
Werden drob verdrojjen. 


(59) 
Aenderung des Anlıhlages. 


Zu Waſſer muß nach Haufe, wer nicht zu Lande kann; 
Wem Ein Rath nicht gelinget, greif einen andern an. 


(60) 
Des Wars Preihslerkunf. 
Daß aus einem Bauern ikt 
Mars bald einen Herren jchnigt, 


Wundert euch? Wird nicht gebrochen 
Manche Pfeif aus Ejelsfnochen ? 


(61) 
Deutlchland wider Deuklſchland. 


Das Eijen zeugt ihm ſelbſt den Roſt, der es hernach verzehret ; 
Wir Deutjchen haben jelbft gezeugt die, die uns itzt verheeret. 


206 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


(62) 
Lebenslauf. 

Es mühet jih der Menfch, damit er was eriverbe, 
Und was er dann erwirbt, fol ihn, daß er nicht jterbe; 
Und wann er num nicht ſtirbt, jo ſoll er darum leben, 
Damit er fan, was er erwirbt, zur Steuer geben. 
Und alſo Hilft ihm nicht$ das Mühen und Erwerben, 
Und alles was er giebt, als — eher nur zu Sterben. 


(63) 
Fromm und unfromm. 


Heuchler wächſt in Einer Erde Yeichtlich nicht und Biedermann; 
Denn wo jener hebt zu grünen, hebet der zu dorren an. 


(64) 
Drey ſchädliche Pine. 
Spiel, Unzucht, und der Wein, 
Läßt reich, ſtark, alt nicht ſeyn. 


(65) 
Sieg. 
Wenn man Feinden obgeſiegt, ſoll man Feinde ſo beſiegen, 
Daß ſie klagen, daß ſie nicht eher ſollen unterliegen. 
(66) 
Die lachende Wahrheit. 
Siedend Wafjer kann man stillen, 
Wenn man faltes dran will füllen. 


Glimpf kann auch durch frommes Lachen 
Bittre Wahrheit ſüße machen. 


(67) 
Bofaunft. 
Die Kinder lieben den, der nachgiebt ihrem Mutbe, 
Die Kinder hafjen den, der ihnen zeigt dag Gute. 
Es iſt die Hofegunft als wie die Gunst der Kinder: 
Die Heucheley hat Preis, die Wahrheit Haß nicht minder. 


(68) 
Das Unxecht der Zeit. 


Was frag ich nach der Zeit? Wenn der mir nur will wohl, 
Der alles jchafft was war, was it, was werden joll. 








Finftes Bud. 207 


(69) 
Die einfältige Redlichkeit. 
Andre mögen jchlau und wißig, 
Sch will lieber redlich heißen. 
Kann ich, will ich mich befleißen 
Mehr auf glimpflich, als auf jpißig. 
(70) 
Liebe und Wolluſt. 
Wo die Lieb und Wolluft buhlen, zeugen fie zuerit Vergnügen; 
Aber bald wird Stiefgeſchwiſter, Schmerz und Reu, ſich drunter fügen. 
i (71) 
Reihthum. 
Reichthum joll man zwar nicht lieben, mag ihn, wenn er kömmt, doch faſſen; 
Mag ihn in jein Haus zwar nehmen, aber nicht ing Herze lafjen; 
Mag ibn, hat man ihn, behalten; darf ihn nicht von jich verjagen ; 
Mag ihn wohl in jein Behältniß, ſich nur nicht in feines, tragen. 
(72) 
Auf den Levulus. 
Levulus hat feinen Kopf, fein Geficht fteht auf der Bruft: 
Was er denft und was er thut, it nur alles Bauchestuit. 
(73) 
Das Verhängniß. 
Willſt du dein Verhängniß trogen: ey jo wolle, was es will. 
Ungeduld, Schreyn, Heulen, Schelten, ändert wahrlich nicht fein Ziel; 
Macht vielmehr was arg ift, Ärger, macht aus vielem allzuviel. 
(74) 
Der Rei. 
Diejes oder Jenes Neiden 
Will ich, kann ich bejjer Leiden, 


Als daß da und dort wo einer 
Spree: Gott erbarm fich feiner! 


75) 
MWinferlaner. 
Weiland hielten unter Häuten Krieger jeden Winter aus; 


Itzund muß in Schnee der Bauer, und der Krieger nimmt fein Haus. 


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Friedrichs von Logau Sinngedichke. 


(76) 
Fin langlamer Tod. 
Der ärgite Tod ift der, der gar zu langjam tödtet; 
Die ärgite Noth ift die, die gar zu lange nöthet. 
(77) 
Boffart. 


Hoffart heget nicht Vernunft. Wer aus Hoffart uns veract, 
Defien lacht man, wie es Braud, daß man eines Narren ladıt. 


(78) 
Vertriebene. 


Wer Tugend hat und Kunft, wird nimmermehr vertrieben; 
Sit, wo er it, als wär er jtet3 zu Haufe blieben. 


(79) 
Falſchheit. 
Die alte Welt hat ihren Witz in Fabeln uns berichtet. — 
D! was die neue Welt uns fagt ijt ebenfalls erdichtet. 


(80) 
Geſchwiſter. 


Wie kömmt es, daß Geſchwiſter ſo ſelten einig lebt? — 
Weil jedes gern alleine für ſich die Erbſchaft hebt. 


(81) 
Das befie Band milhen Pbern und Untern. 


Wann Willigkeit im Leiten und Billigfeit im Heißen 
Sich wo zufammenfügen: wer will dieß Band zerreißen ? 


(82) 
Bofwerkzeun. 


Mäntel zum bededen, 
Larven zum veriteden, 
Pinſel zum vergolden, 
Blajen zum bejolden, 
Polſter einzumiegen, 
Brillen zum betriegen, 
Fechel Wind zu machen, 
Mehr noch ſolche Sachen 





Fünfftes Bud). 209 








Sind bey Hof in Haufen; 
Niemand darf fie faufen. 


(83) 
Auf den Parrus. 
Barcus bat jonjt feine Tugend, aber gajtfrey will er jeyn: 
Läßt, damit er die erlange, feinen in fein Haus hinein. 


(84) 
Auf den Päfus. 


Pätus ijt gar milder Art; hat er was, jo giebt er auch: 
Einen Theil für mande Hur, andern Theil für feinen Baud. 


(85) 
Die Zukunft Chriſti. 
Ehrijtus hat durch erſtes Kommen 
Uns des Teufel3 Reich entnommen; 


Kömmt er nun nicht ehjtens wieder, 
Kriegt der Teufel Meiftes wieder. 


(86) 
Arbeit und Fleiß. 


Die Welt ift wie ein Kram, hat Waaren ganze Haufen; 
Um Arbeit jtehn fie feil, und find duch Fleiß zu faufen. 


(87) 
Auf einen Freſſer. 
Edo lobt und hält für Gut, 
Wenn ein Menjch jtet3 etwas thut: 
Nichts thut er; doch thut er das, 
Daß er ift, wenn er faum aß. 


(88) 
Piana und Pione. 


Der Diana follte rufen Elſa, rufte der Dione; 
Sollt' ins Klofter, lag in Wochen vor mit einem jungen Sohne. 


(89) 
Mein. 
Der Wein iſt unjer noch, wann ihn das Faß beichleußt; 


Sein aber find wir dann, warn ihn der Mund geneußt. 
Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 14 


210 Friedriche von Togau Sinngedichte, 





(90) 
Auf den Phanus. 
Phanus will mit Chriſtus ärmlich in der Kripp im Stalle Tiegen, 
Wollte nur ein Stern erjcheinen, der es alfo fünnte fügen, 
Daß die Weijen zu ihm fämen, legten ihre Schäße aus, 
Und von Ochjen immer wäre und von Ejeln voll fein Haus. 


(91) 
Lügen, 
Willſt du lügen, leug von Fern; 
Wer zeucht hin und fraget gern? 


(92) 
- Ein jedes Werk fordert einen ganzen Menſchen. 
Der irgend was beginnt und täglich will beginnen, 
Der bleibe ganz dabey mit Leib und auch mit Sinnen. 
Sm Kriege kann man dieß: man wagt Fleiß, Schweiß, Rath, That, 
Man waget Seel und Leib zu ftehlen was man bat. 


(93) 
Auf den Cornutus. 
Cornutus und fein Freund beitehn auf Einem Willen: 
Mer jagt denn, daß fie nicht der Freundichaft Plicht erfüllen? 
Ob jener liebt fein Weib, liebt diefer die nicht minder, 
Ob jener etwan denkt, denkt diefer auch auf Kinder. 


(94) 
An den Balo. 


Naſo, dir ijt deine Naſe jtatt der Sonnenuhr bereit, 
Wanıı der Schatten weiſt gerade auf das Maul, iſts Ejjenzzeit. 


(95)  - 
Auf den Thraſo. 

Thraſo wagt fih in den Krieg: 

Seine Mutter will nicht weinen; 

Denn mit feinen jchnellen Beinen 

Stund ihm zu manch fchöner Sieg. 


(96) 
Schönheit. 
Trau der Farbe nicht zu viel! Was Natur jo jchön gebildt, 
Drunter hat fich Geilheit, Stolz, Thorheit, Faulheit oft verhüllt. 





Fünftes Buch. — 








(97) 

Eines Fürlten Amk. 
Ein Fürſt iſt zwar ein Herr; doch herrſcht er fromm und recht, 
So ijt er feinem Volk als wie ein treuer Knecht. 
Er wacht, damit jein Volk fein ficher jchlafen kann; 
Er stellt fih vor den Riß, nimmt allen Anlauf an, 
St Nagel an der Wand, daran ein jeder henkt 
Mas ihn bejchwert und drüdt, was peinigt und was kränkt. 
An Ehren ift er Herr, an Treuen ift er Knecht. 
Ein Herr ders anders meynt, der meynt es jchwerlich recht. 


(98) 
Wolluſt. 


Wer der Wolluſt ſich verleihet, wird er nicht ums Hauptgut kommen, 
Hat er Krankheit doch am Ende ſtatt der Zinſen eingenommen. 


(99) 
Gewiſſen. 


Was niemand wiſſen ſoll, ſoll niemand auch begehen. 
Ein jeder muß ihm ſelbſt ſtatt tauſend Zeugen ſtehen. 


(100) 
Poeferey. 


Es bringt Poeterey zwar nicht viel Brodt ins Haus; 
Was aber drinnen tft, wirft fie auch nicht hinaus. 


(101) 
Eifrige Geiſtliche. 
Wie ein Ottomanniſch Kaiſer wollen Geiſtliche regieren, 
. Der, den Zepter ihm zu ſichern, läßt die Brüder ſtranguliren; 
Alſo fie in Glaubensfachen, wollen herrichen, und die Brüder 
Lieber von dem Brodte räumen, wenn fie ihrem Wahn zuwider. 


(102) 

Aegypfifihe Pienfibarkeit. 
Jakobs Stamm klagt alter Zeit 
Ueber jchwere Dienftbarfeit. 
Steht es da denn fo gar übel, 
Wo man Fleiich hat, Knoblauch, Zwiebel? 
Unſre Leut in diefer Zeit 
Hielten es für Herrlichkeit. 


212 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(103) 
Geizige Huren. 
Wer Hund' und Huren will zu Freunden haben, 
Der muß ſich rüſten mit Geſchenk und Gaben. 


(104) 


Tiſchfreundſchaftk. 
Vermeynſt du wohl, daß der ein treues Herze ſey, 
Den dir zum Freunde macht dein’ öftre Gaſterey? 
Dein’ Austern liebt er nur, dein Wildbret, deinen Fiſch; 
Auch mein Freund würd er bald, bejäß ich deinen Tiich. 


(105) 
Auf den Beil. 


Fünf Sinnen hat zwar Veit, doch find ihm drey entlaufen ; 
Zwey ſuchen drey: was gilt3? er bringt fie nicht zu Haufen. 


(106) 
Eigenlob. 


Doppelter, nicht einzler Mund 
Zeugt und macht die Wahrheit kund; 
Drum gilt der nicht allzuviel, 
Der ſich ſelbſt nur loben will. 


(107) 
Regierungskunft vder Welkkunſt. 


Die Weltkunſt iſt ein Meer: es ſey Port oder Höhe, 
Es iſt kein Ort, wo nicht ein Fahrzeug untergehe. 
Der eine ſegelt fort, wo jener fährt in Sand; 

Wer fremd iſt irret hier, hier irret wer bekannt. 


(108) 
Auf den Schmeckel. 


Schmedel fünnte wohl fein Laufen 
Großen Herren hoch verkaufen, 
Könnte jich fein’ Fuß jo vegen, 
Wie jein Zahn ſich kann bewegen. 


(109) 
Geizhals. 


Den Geizhal3 und ein fettes Schwein 
Sieht man im Tod erjt nüglich jeyn. 





Fünfter Bub. 213 





(110) 
Auf den unbelländigen Poloulus. 


Für dein Herz und für den Mond, Volvulus, dient gar fein Kleid; 
Beides bleibt nie, wie es war, wandelt fich zu aller Zeit. 


(111) 
Barhfolge. 


Ob zwar Maler ihre Farben bey dem Krämer nehmen, 
Dürfen fie fich ihrer Bilder darum doch nicht ſchämen. 
Wer von andern was gelernt, bring, es jteht ihm frey, 
Doch mit andrer Weil’ und Art, folches andern bey. 


(112) 
Pon meinem Bude. 


Sit in meinem Buche was, das mir gaben andre Leute, 

Sit das meifte doch wohl Mein, und nicht alles fremde Beute. 
Sedem, der das Geine fennet, geb ich willig Seine hin. 

Weiß wohl, daß ich über manches dennoch Eigner bleib und bin. 
Zwar ich geb auch gerne zu, daß das Meine Böſes heiſſe; 

Gar genug, wenn fremdes Gut recht zu brauchen ich mich fleiffe. 


— 
f FE. 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Sinngedichke. 
Sechſtes Buch. 
(1) 


Rurxzweilen. 
Andre mögen Gläſer ſtürzen; andre mögen Hund’ anbeten; 
Andre mögen näjchig geilen, da bey Grethen, dort bey Käthenz- 
Mögen Glück auf Blätter bauen, mögen jtündlich Kleider wandeln, 
Mögen bey der Sonnenthüre Stein, Bein, Glas und Fäden handeln, 
Mögen fich Teibeigen geben ihrer Lüfte tollen Grillen: 
Meine Luft joll immer bleiben mich mit Dichterey zu ftillen. 


| (2) 
Jahreszeiten. 


Im Lenzen prangt die Welt mit zarter Jungferfchaft; 
Sm Sommer it fie Frau, mit Schwangerjeyn verhaft; 
Wird Mutter in dem Herbit, giebt reiche Frucht heraus; 
Sit gute Wirthinn, hält, im Winter, jparfam Haus. 


(3) 
Bon der Phyllis. 


Eines Morgens ſchaut ich gehen 
Phyllis vor den Rojenjtraud, 
Da fie, nad) gewohntem Braud, 
Seine Zierden jahe stehen. 
Damals konnt ich nicht vergleichen 
Welches unter ihnen wohl, 

Weil fie beid’ an Schönheit voll, 
Bon dem Siege follte weichen. 
Db die Phyllis angenommen 
Bon den Nojen ihre Bier, 

Oder ob vielleiht von ihr 
Solche ſolchen Schein bekommen, 
War gar übel zu entjcheiden; 
Denn ich hatt in ihren Glanz 
Mich vertiefet gar und ganz, 
Mußte nur die Augen meiden. 





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Sechſtes Bud. 215 





Endlich hab ich doch erfahren, 
ALS der Sonne goldnes Rad 
Traf den leßten Tagesgrad, 

Daß die Rojen Diebe waren. 
Weil fie Phyllis wollten! gleichen, 
Und mit ihrer Wangen Schein 
Ganz von Einer Farbe jeyn, 
Mußten fie gar bald verbleichen. 


08) 
Ein Brief. 
Dein Brief begrüßte mich, mein Brief begrüßt dich wieder. 
Nun wiſſen wir, von uns liegt feiner todt danieder. 


(5) 
Ein junges Mädchen und ein alter Greis. 


Ein guter Morgen ward gebracht zu einer guten Nacht, 
Die aber feine gute Nacht hat gutem Morgen bradt. 


(6) 
An eine fürſtliche Perſon. 

Fürftinn! Ihr geht, wie es bilfig, inner Gold und Seiden ber; 

Dennoch jeh ich, als die Kleider, nichts an Euch, das ſchlechter wär. 


(7) 
Rürkkunfl vom Freunde, Ankunft zur Freundinn. 
Da, wo ich io war, da war mir herzlich wohl, 
Wohl wird mir wieder jeyn, wohin ich kommen fol; 
Gunſt ohne Falſch war hier, dort ift Lieb ohne Lift; 
Hier ward ich ſehr geehrt, dort werd ich ſchön gefüßt; 
Beym Freunde war ich jeßt, zur Freundinn komm ich nun; 
Hier that der Tag mir Guts, dort wird die Nacht es thun. 


(8) 
Bittere Liebe. 
Lieben ijt ein ſüßes Leiden, 
Wenns nicht bitter wird durch Scheiden. 
Bittres will ich dennoch leiden; 
Daß ih Süßes nicht darf meiden. 


! wollen [1759] twollten [1791; jo hat auch die Originalausgabe Logaus von 1654: „Weil fie hatten 
wollen gleichen”] 





216 Friedriche von Iogau Sinngedichke. 








(9) 
Die deuffche Sprache. 


St die deutiche Sprache rauh? Wie, daß jo fein Volk ſonſt nicht 
Von dem liebſten Thun der Welt, von der Liebe lieblich ſpricht? 


(10) 
Auf die Pulchra. 
Dreyerley vergöttert dich: Daß du biſt jo wunderſchön; 
Und jo wunderkeuſch; und daß beide Ding beyjammen jtehn. 


(11) 
Gaſterey. 

Gemäßigte Trachten, 
Vermiedene Prachten, 
Bekannte Geſellen, 
Geräumige Stellen, 
Vertrauliche Schwänke, 
Beliebtes Getränke, 
Sind Stücke, die Gäſte 
Befinden fürs beſte. 


(12) 
VHunger und Tiebe, 


Der Hunger und die Liebe find beide jcharfer Sinnen; 
Sie finden leichtlih Mittel ihr FZutter zu gewinnen. 


(13) 

Die Lorkfinke. 
Nicht zu weit von meinem Gingen 
Liegen Ne und falſche Schlingen. 
Die vor mir bier hat gelogen, 
Hat mich, wie ich euch, betrogen. 
Sch, die ich gefangen fiße, 
Bin nur meinem Herren nüße. 
Die da will, die mag verfliegen, 
Die nicht will, die laß ich friegen. 
Wenn nur ich die Koſt eriwerbe, 
Gilt mir3 gleich viel, wer verderbe. 


(14) 
Auf die Anna, 


Bey einem Kranken wachen bis Morgens drey bis vier, 
Sagt Anna, muß ich Tafjen, es geht nicht mehr mit mir; 





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Bey einer Hochzeit tanzen bis Morgens drey bis vier, 
Kann Anna noch wohl jchaffen, da geht es noch mit ihr. 


(15) 

Schädliche Liebe. 
Lieben läßt nicht lange Leben, 
Lange leben läßt nicht Tieben. 
Wer dem Leben ijt ergeben, 
Muß das Lieben jparfam üben. 
Wen das Lieben will bebagen, 
Muß des Lebens fich entjagen. 


(16) 
Pergängliche Gefellfchaft. 
Ein guter Freund, ein reiner Wein, und auch ein klares Glas 
Die waren neulich um mich ber; wie lujtig war mir das! 
Hör aber was darauf gejchieht: das Klare Glas zerbricht, 
Der reine Wein verraucht, der Freund fällt ſchmerzlich in die Gicht. 


(17) 
An einen Bräufigam. 


Wenn du die Braut ins Bette ruft, jo wehrt fie fich beym Bitten; 
Nicht bitte! denn fie hat ſchon felbit viel vom Verzug erlitten. 


(18) 
Auf die Floja. 


Floja wär ein ſchönes Weib, könnte Floja ſich nur ſchämen; 
Denn fie würde von der Scham eine jchöne Röthe nehmen. 


(19) 
Der Frühling. 


Da der Himmel gütig Lachet, 

Da die Erd ihr Brautkleid machet, 
Da fih Feld und Wieſe malen, 
Da der Bäume Häupter jtralen, 
Da die Brunnen Silber gießen, 
Da mit Funkeln Bäche fließen, 
Da die Vögel Lieder fingen, 

Und die Fiſche Sprünge jpringen, 
Da vor Freuden alles wiebelt, 

Da mit Gleichem Gleiches. liebelt: 


218 Friedriche von Togau Sinngedichke. 





D jo muß vor trübem Kränfen 
Bloß der Menſch die Stirne jenfen, 
Weil bey ſolchen Frühlingslüſten 
Mars erneuert jein Verwüſten, 
Mars, der dieß fir Luſt erfennet, 
Wenn er raubet, jchändet, brennet. 


(20) 
Wunſch an eine Dame. 


Gott geb dir alles Gute, und mich dir noch dazu: 
Dann hab ich alles wieder, und habe mehr als du. 


(21) 
Rüſſe. 
Amor ſaß jüngſthin betrübet, 
Weil ſein Bogen mißgeübet, 
So doch ſelten ſich begiebet. 
Sahe drauf zwey Mündlein ringen, 
Hörte ſüße Küſſe klingen: 
Da hub Amor an zu ſpringen. 


(22) 
Gewiſſen. 


Wo du Luſt zur Wolluſt fühleſt, kannſt du ſie am beſten büßen, 
Wenn du dir ein Mädchen zulegſt, ein ſchön Mädchen, — das Gewiſſen. 


(23) 
Don der HAriltea. 


Ariſtea, du biſt Schön. Allen Leuten macht dich hold 
Bier am Leibe, Zucht im Sinn, und im Beutel eignes Gold. 


(24) 
Au die Kunflaöttinnen. 


Shr, ihr füßen Zudermädchen, ihr, ihr zarten Pindustöchter, 

Seid nicht wie die andern Jungfern, die da treiben ein Gelächter, 
Wenn ein haarbereifter Buhler, wenn ein gichtgefränfter Freyer 
Shnen anzeigt jeine Flammen, ihnen anftimmt feine Leyer. 

Ihr, ihr Schönen, ihr, ihr Lieben, habet Luft an reifen Sinnen, 
Wollt am erſten die beglüden, wollt am liebſten Liebgewinnen, 
Die durch vieler Jahre Wiffen, die durch vieler Jahr Erfahren 
Innerlich fich ſchön und munter, jich am Geifte neu bewahren. 





Sechſtes Bud). 219 





(25) 
Ungleiche Ehe. | 
Der junge Schnee der Haut kam zu dem Schnee der Haare, 
Auf daß mit jenem der auf eine Zeit ſich paare. 
Das Paaren gieng wohl an; doc ward man zeitig innen, 
Der Hautjchnee der war Glut, der Haarjchnee mußte rinnen. 


(26) 
An einen Freund, 
Weil du mich, Freund, bejchenfjt mit dir, 
So dank ich billig dir mit mir; 
Nimm hin deßwegen mich für dich: 
Ich jey dir Du, jey du mir Ich. 
(27) 
Bon des Marcus Wörhlern. | 
Send luſtig, ſeyd luſtig, ſprach Marcus, ihr Kinder! 
Ich Alter bin luſtig, ſeyd ihr es nicht minder. 


Ey, Vater, ey wiſſet, das beite Gelächter 
Sit, daß Ihr uns Männer gebt: jagten die Töchter. | 


(28) 
Die Liebe brennt. 
Die Fiſche lieben auch. Mag Wafjerliebe brennen ? 
Kein Fiſch bin ich, und fie find ftumm: wer will3 befennen ? 


(29) 
An die Benus. 
Die Sonne geht zu Bette, die halbe Welt ift blind: 
D Venus, num wird jehend dein fonft jo blindes Kind! 
(30) | 
| Ein Ruf. 
Die ſüße Näfcherey, ein lieblich Mündleinkuß 
Macht zwar niemanden fett, jtillt aber viel Verdruß. 
(31) 
Don einer Biene. 


Phyllis fchlief: ein Bienlein Fam, 
Saß auf ihren Mund, und nahm 


220 Friedrichs von Togau Sinugedichke. 





Honig, oder was es war, 
Koridon, dir zur Gefahr! 

Denn fie fam von ihr auf dich, 
Gab dir einen bittern Stich. 

Ey wie reht! Du, fauler Mann, 
Sollteit thun, was ſie gethan. 


(32) 
Das Weib ſchweige. 


MWeiberlippen find gejchaffen 
Mehr zum Küffen, als zum Slaffen. 


(33) 
Die Welkfreundſchafk. 


Sch will nicht Damon feyn, die Welt darf auch nicht werden 
Mein Pothias, wir find von zweyerley Geberden: 

Mein Sinn fteht aufgericht, die Welt geht krumm gebüdt; 
Mein Sinn ift ungefärbt, die Welt ift glatt geſchmückt; 
Mein Mund hat Eine Zung, ich kann nicht Warme hauchen 
Und Raltes auch zugleich, die Welt pflegt Ja zu brauchen 
Wie Nein, und Nein wie Ja; denn ihre Zunge bricht 

Die fchöne zwischen Mund und Herz gepflogne Pflicht. 


(34) 
Frauenminge. 


FSrauenminze heilt viel Leid, 
Wer fie braucht mit Maaß und Beit. 


65) 
Die Liebe. 
Liebe darf nicht malen lernen, weil ſie nicht die Farben kennt, 
Weil ſie Blaues oft für Rothes und für Weißes Schwarzes nennt. 


(36) 
Urſprung der Bienen. 


Jungfern, habt ihr nicht vernommen, 
Wo die Bienen hergekommen? 

Oder habt ihr nicht erfahren, 

Was der Benus widerfahren, 

Da fie den Adonis liebte, 

Der fie labt' und auch betrübte? 





Sechſtes Bud. 221 





Dann im Schatten fühler Myrthen 
Sie ſich famen zu bewirtben ; 
Folgte nichts als Tieblich Liebeln; 
Folgte nichts als tückiſch Bübeln; 
Wollten ohne ſüßes Küſſen 
Nimmer keine Zeit vermiſſen; 
Küßten eine lange Länge, 

Küßten eine große Menge, 

Küßten immer in die Wette, 

Eines war des Andern Klette. 

Bis es Venus ſo verfügte, 

Die dieß Thun ſehr wohl vergnügte, 
Daß die Geiſter, die ſie hauchten, 
Immer blieben, nie verrauchten; 
Daß die Küſſe Flügel nahmen, 

Hin und her mit Heeren kamen, 
Füllten alles Leer der Lüfte, 

Wieſe, Thal, Berg, Wald, Feld, Klüfte, 
Paarten ſich zum Küſſen immer, 
Hielten ohne ſich ſich nimmer, 
Saßen auf die Menſchentöchter, 
Machten manches Mundgelächter, 
Wenn ſie ſie mit Küſſen grüßten, 
Wenn ſie ſie mit Grüßen küßten. 

Aber Neid hat ſcheel geſehen; 
Und Verhängniß ließ geſchehen, 
Daß ein ſchäumend wilder Eber 
Ward Adonis Todtengräber. 

Venus, voller Zorn und Wüten, 
Hat gar ſchwerlich dieß erlitten. 
Als ſie mehr nicht konnte ſchaffen, 
Gieng ſie, ließ zuſammenraffen 
Aller dieſer Küſſe Schaaren, 

Wo ſie zu bekommen waren, 
Machte draus die Honigleute, 
Daß ſie gäben ſüße Beute, 
Daß ſie aber auch darneben 
Einen ſcharfen Stachel gäben, 
So wie ſie das Küſſen büßen 
Und mit Leid erſetzen müſſen. 

Sag ich dieſes einem Tauben, 
Wollt ihr Jungfern dieß nicht glauben: 
Wünſch ich euch, für ſolche Tücke, 


222 Friedriche von Togau Sinngedichke. 





Daß euch Küffen nie erquide! 
Glaubt ihr aber, o fo ſchauet, 
Daß ihr nicht dem Stachel trauet! 


(37) 
Iugend und Alter. 


Jugend Tiebt und wird geliebt, Alter Tiebt und wird verladt. 
Liebe nimmt fo leichte nicht Liebe, die nicht Liebe macht. 


(38) 
Auf die Blandula. 


Blandula, du Jungfer Mutter, kannſt jo Schöne Kinder bringen? 
Lieber treib3 als ein Gewerbe, mancher wird dir was verdingen. 


(39) 
Gaſtzahl. 
Mit ſieben Gäſten 
Gehts faſt am beſten. 
Der achte Gaſt 
Wird eine Laſt. 


(40) 
Der Liebe Märkyrerkhum. 
Buhler find zwar Märtyrer oft jo gut als einer, 
Martern aber fich nur jelbit; darum preiſt fie feiner. 


(41) 
Bändekuß. 
Sungfern, euch die Hände küſſen, 
Pflegt euch heimlich zu verdrießen; 
Weil man läppijch zugewandt, 
Was dem Munde joll, der Hand. 


(42) 
Röſtliches Waller. | 
Waſſer, die die Alchymiften brennen, find gar hoch geacht; 
Höher Thränen, die die Bräute gießen in der erjten Nacht. 
(43) 
Auf die Nivula. 


Nivula brennt ihrer viel: 
Seder der fie fieht, der will 





Sehlles Bud). 223 





Dieß und das an fie verwagen. 
Was für Nuben wird e3 tragen? 
Was fie gab, das bleibt ihr doch; 
Wer es hatte, fucht es noch. 


(44) 
Ein Kup. 
Giebt Clara einen Kuß, joll3 viel gegeben ſeyn. 
So oft fie einen giebt, jo nimmt fie einen ein. 


(45) 
Wittwer und Wiltwen. 
Wär Freyen Dienftbarfeit, wär nicht was Freyes dran, 
So gienge feine Frau, fein Mann mehr dieſe Bahn. 


Sie gehen aber drauf oft mehr als zween Gänge. 
Wär gar nichts Gutes dran, man miede ja die Menge. 


(46) 
An die Rhodia. 
Rhodia, geh nicht ins Feld! Werden Bienen deiner innen, 
Wird fi dein Geficht und Mund ihrer nicht erwehren können; 


Werden laſſen Roſ' und Klee, werden alle Blumen Iafjen, 
Werden deinen Honig nur, werden deinen Zuder faſſen. 


(47) 

Geliebfe Sachen. 
Springet in der Schale Wein, 
Spielen Fuge Saiten rein, 
Fallen ſüße Küſſe drein, 
Kann man herzlich luſtig jeyn. 


(48) 
Fran. 


Wie willſt du weiße Lilien zu rothen Roſen machen ? 
Küß eine weiße Galathee: fie wird erröthend lachen. 


(49) 
Ein honigſüßer Schlaf. 


Ein Honig ift der Schlaf: als Chloe diefen aß, 
Geſchahs daß was, (ich glaub, e8 war ein Bienlein,) ſaß 


224 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Auf ihrer Schönen Haut. Sie hats nicht achten wollen; 
Doch wie man nunmehr merkt, jo iſt fie jehr gejchwollen. 


(50) 

Farbe der Schamhaftigkeif. 
Karmeſinroth hält man werth, 
Reines Weiß wird fehr begehrt, 
Purpur hat gar hohen Ruhm, 
Gold wünjht man zum Eigenthum: 
Billiger wird hoch geacht 
Farbe, die die Tugend madt. 


(51) 
Kin Briefkuß,. 
Phyllis ſchickte Thyrſis zu durch ein Brieflein einen Kuß: 
Unterwegen3 ward er falt, bracht’ ihm jo nicht viel Genuß. 
Drum fo ſchrieb er: wenn fie wollte, follte fie zwar jchriftlich grüßen, 
Immer aber jelber fommen, warn fie wollt’, und mündlich küſſen. 


(52) 
Bon der Galakhea. 


Als man, zarte Öalathea, einen alten Greis dir gab, 
Sprach die Stadt: man legt den Todten in ein alabajtern Grab. 


(53) 
Kin khieriſcher Menſch. 


Lupula will keinen lieben, 

Der Vernunft zu ſehr will üben; 

Weil ihr beſſer der gefällt, 

Der ſich etwas thieriſch ſtellt: 

Wer da kann wie Tauben herzen, 

Wer da kann wie Spatzen ſcherzen, 
Wer wie Hähne buhlen kann, 

Iſt für ſie der rechte Mann. 


64) 
Wilkwenkroſt. 


Meinen Mann hat Gott genommen, den er gab, wie ihm beliebt; 
Ey! ich will ihn wieder nehmen, wenn er mir noch Einen giebt. 





Sechſtes Buch. 225 





(55) 
Pie Liebe und der Tod. 


Tod und Liebe wechjeln öfters ihr Geſchoß: 
Jenes geht auf Junge, dieß auf Alte los. 


(56) 

Auf die Pubivfa. 
Dubioja gieng zur Beicht 
Traurig, und mit Recht vielleicht 
Als der Pfarr fragt’ ohngefehr, 
Ob fie eine Jungfer wär”, 
Sprad fie: ja, ich armes Kind! 
Aber wie fie heuer find. 


(57) 
Rülfen. 


Bienen küſſen jchöne! Blumen, und die Blumen bleiben ſchön: 
Schöne Jungfern, laßt euch küſſen, Schönheit wird euch nicht vergehn. 


(58) 
Auf die Cerinna. 
Cerinna it jo zart, jo jauber, wie weißes Wachs gezieret. — 
In diefes Wach hat jüngit ein Künftler ein jchönes Kind boffiret. 


(59) 
Pie Liebe. 


Kenne mir den weiten Mantel, drunter alles fich verjtedet. — 
Liebe iſts, die alle Mängel gern verhüllt und fleißig Ddedet. 


(60) 
An der Perfon eines Witlmers. 


Bringt Lieben etwan Luft, bringt Luft von Liebe jagen: 
Bringt beides dennoch mir nichts, als nur Bitterfeit. 

Was andern Herzen? Wonn, ift mir nur Herzens Leid; 
Denn meine Lieb ift längit ins Grab hinein getragen. 
Wiewohl wer recht geliebt, pflegt nicht? darnach zu fragen; 
Er liebet fort und fort, und hat erjt ausgeliebt, 

Wenn ihm fein Ende jelbjt des Liebens Ende giebt. 

Die Liebe war nicht jtark, die fich verzehrt von Tagen. 


1 ihönen [1759] 
Lefjing, ſämtliche Schriften. VII. 15 





226 Friedrüche von LTogau Sinngedichke. 





Sch Tiebe weil ich bin. Die nicht mehr it, zu lieben, 
Erfodert ihre Treu; ihr Werth ift ewig werth, 

Daß mehr al3 nur von ihr mein Mund fein Wort begehrt, 
Mein Sinn jonjt feine Luft; hieran will ich mich üben. 
Geht diefes Lieben gleich bey andern bitter ein, 

Soll mir um Liebe doch lieb auch das Bittre jeyn. 


(61) 

Bon vier Birkinnen. 
Chloris, Doris, Jris, Ciris, liebten Einen Hirten alle; 
Ihm zu weijen mit dem Werke, daß er jeder mwohlgefalle, 
Krönte Chloris ihn mit Blumen; Doris bracht ihm Honigfchnitte ; 
Iris grüßet’ ihn mit Lächeln; Ciris faßt' ihn in die Mitte, 
Küßte feinen Mundrubin. Ihm behagte nur das Küfien, 
Und er überließ der Ciris Krone, Honig, und das Grüßen. 


(62) 
Vergnüglichkeik. 
Wer ihm immer läßt begnügen, 
Den kann Glück nie recht betriegen; 
Alles falle, wie es will: 
Das Vergnügen iſt ſein Ziel. 


(63) 
Ein geraubker Ruß. 
Was meynt ihr? Ein geſtohlner Kuß ſey minder angenehme? — 
Der Kuß wird ſüßer, wenn man ſchaut, wie Sie ſo ſchön ſich ſchäme; 
Und was man leichtlich haben kann, iſt ſelten gar bequeme. 


(64) 
Zuchkhüker. 


Ein Hüter, der die Weiber vor Schand in Obſicht nahm, 
War feiner nimmer treuer als tugendhafte Scham. 


(65) 
Iungfrauen. 


Ihr Sungfern hört mir zu! doch fafjet die Geberden, 

Und fangt durch meinen Ruhm nicht jtolzer an zu werden. 
Die Jungfern find ein Volk, das unter und gejtellt 

AS Engel in der Zeit, als Wunder in der Welt. 





Schltes Bud. 227 


Ich wüßte nicht, wer der, und wannen er entſproſſen, 

Und was für wilde Milch fein erjter Mund genojjen, 

Der bier nur ernfthaft ſieht, der hier nicht fröhlich lacht, 
Wenn ihm des Himmels Gunſt die Augen würdig macht 
Zu Schauen diefen Glanz, zu merfen diefe Sonnen, 
Wodurch der Menjchheit Werth den höchſten Stand gewonnen, 
Und jo erleuchtet iſt. Er iſt nicht werth jo gar, 

Daß feine Mutter jelbjt je eine Jungfrau war, 

Der fein’ Geberde nicht zur Ehrerbietung neiget, 

Sein Haupt aufs tiefite büct, den Fuß in Demuth. beuget, 
Und giebt ſich pflichtbar hin für einen eignen Knecht, 

Für ein fo liebes Volk und himmliſches Gejchlecht. 

Jedoch merkt gleichwohl auch, ihr Lieblichen Jungfrauen, 
Sch meyne die, wo mehr auf That als Wort zu bauen, 
Und, haltet mirs zu Gut, ich meyn auch meiftens die, 

Wo Winter nicht verbeut, daß Frühling nicht mehr blüh. 


(66) 
Bon der Paulina. 


Eines Tages jprach ein Buhler um die Gunſt Baulinen an: 
Weil fie, jprad) fie, meines Mannes, jo befrage meinen Mann. 


(67) 
Poeferey. 
Wer durch Dichten Ruhm will haben, fann ihn nießen: 
Wer durch Dichten Luft will haben, kann fie büßen: 


Wer da denfet reich zu werden durch das Dichten, . 
Der erdichtet was ihm fümmet gar mit nichten. 


(68) 
Ueber das Bildnik des nackten Cupido, welchen feine Mutter 
züchkigk. 
Was hat doch der liebliche Knabe verſchuldet, 
Weßhalb er die Streiche der Mutter erduldet? 
Er hat ſich geſäumt, daß dem Eheſtandsorden 
Chlorinde zu langſam iſt einverleibt worden. 


(69) 
Bon einer Fliege. 


Eine Fliege war jo kühn, 
Setzte ſich vermejjen hin 


228 Friedrichs von Togau Sinngedichke, 





Auf des ſüßen Miündleins Roth; 
Chloris jchlug, und ſchlug fie todt. 
Slorus ſprach: o wenn nur ich 
Dürfte dieß erfühnen mid): 

Dieſer Schlag, hielt ich dafür, 
Diente mehr, al3 fchadte mir. 


(70) 
Rüllen, 


Wer küſſen will, füß auf den Mund, das andre giebt nur halb Genießen. 
Geſichte nicht, nicht Hals, Hand, Brust; der Mund allein kann wieder küſſen. 


(71) 
An eine Fürſtinn. 
Die Welt hat den Geruch, wir haben bier die Blum: 
Das Land hat, Fürftinn, Euch; die Welt hat Euern Ruhm. 


(72) 
Luſtſchmerzen. 

Feuer glänzet, mehr als Gold; 

Doch verbrennt es ſehr: 

Thut uns gleich die Wolluſt hold, 

Doch verletzt ſie mehr. 


(73) 
Von meinen Sinngedichken. 
Was mein Sinn bisher gezeugt, und an Tag die Feder legte, 
Steht dahin, ob mans verwarf, oder ob es jemand pflegte. 
Taugt jemanden dieſe Zucht, kann ſich noch Geſchwiſter finden. 
Daß ſie werden ſchöner ſeyn, will ich mich doch nicht verbinden. 





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Siebendes Bud. 





Sinngedichke. 
Siebendes Buch. 


(1) 
Bon meinen Reimen. 
Meine Reime riechen nicht 
Koch nad) Dele, noch nad) Wein: 
Beides kann gar jchwerlich jeyn; 
Senes, wegen Amtespflicht, 
Diejes, wegen jchlimmer Gicht. 


(2) 
Berrengemwillen. 


Ochſen jpannt man nicht an Fäden, denn fie würden jtrads zerrifjen; 
So auch läßt fich fchwerlich binden, wer Gewalt hat, ans Gewijien. 


(3) 
Grrerhligkeit zum Saufen. 


Stände joll man unterjcheiden; jaufen joll nicht jedermann. 
Bauern jtrafe man ums Saufen; Saufen fteht den Edeln an. 


(4) 
Beldentod. 
&3 ritten ihrer zwey nad Roſſen, 
Darüber ward der ein’ erjchojien; 


Der andre jagte mit Betrüben: 
D welch ein ehrlich Kerl iſt blieben! 


(5) 
Auf den Qapito. 
Capito hat Kopf3 genug; wenig aber hat er Sinn. 
Wie ein Mohnkopf, lauter Schlaf, fonjten hat er nichts darinn. 


(6) 
Täglicher Wunſch. 
Von außen guter Fried und gute Ruh von innen, 
In wohl geſundem Leib auch wohl geſunde Sinnen, 


230 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Des Himmel Freude dort, der Erde Segen hier: 
Dieß it mein Morgenwunfch, nichts weiter wünjch ich mir. 


(7) 


Gegenwärkiger und vergangener Zuſtand. 


Glücke fennt man nicht, wenn man drinn geboren; 
Glücke fennt man erit, wenn man e3 verloren. 


(8) 
Boffolge. 
Sobald der Herr mir lacht, ſo lacht mir jedermann; 
Sieht er mir ſauer zu, ſieht jeder ſo mich an. 
Die Puppen machens ſo, die fremde Fauſt regiert, 
Sie ſtellen ſich nach dem, nach dem ſie einer führt. 


(9) 
Schläge. 

Eine Glock und eine Nuß, und ein Eſel, und ein Knecht 
Thun nicht Leichtlich ohne Schlag, was fie jollen, jemals recht; 
Jene ſchweiget, die bleibt hart, jener fteht, und diejer liegt. 
Wird das Eijen und das Holz ihnen richtig angefügt: 

Klinget jene, diefe bricht, jener geht, und dieſer eilt. 
Drum wa3 jedem zugehört, ſey auch jedem zugetheilt. 


(10) 
Sache nicht Worte. 


Wo die Hand vonnöthen iſt, ſchafft man wenig mit der Zunge; 
Wo das Herze hingehört, da verrichtet nichts die Lunge. 


(11) 
Verachkung der Schmach. 
Manchen Frevel acht man nicht, manches Unrecht wird verlacht. 
Selten rächt man einen Fleck, den uns Ochs und Eſel macht. 


(12) 
Auf die Gellula. 
Die Gellula hält viel von Thaten und von Werfen; 
Im Glauben juchet fie den Nächiten ſtets zu jtärfen; 
Bon Zeichen hält fie nichts, vom Wejen hält fie mehr; 
Fit vielfach eine Frau, und geht im Kranz einher. 





Sirbendes Bud). Be 231 








Ob Pabſt, ob Luther ihr, ob ihr Calvin gefalle, 
Sit unklar; ift mir vecht, gefallen fie ihr alle. 


(13) 
Ehrgeiz. 
E3 it fein Regiment jo gut, das allen Leuten tüget: 
Das macht, Negieren jelbit, und nicht Negieret jeyn, vergnüget. 


(14) 
Bon dem Beif, 
Kömmt gleich manches neues Jahr, dennoch klaget Veit, ihm bleibe 
Fort und fort manch altes Jahr, — nehmlich bey dem alten Weibe. 


(15) 
Reichthum. 
Eines Ungerechten Erb, oder jelbit ein jolher Mann, 
Oder beides auch zugleich it, wer Reichthum jammeln kann. 


(16) 
Auf den Poleinummus. 
Was man guten Freunden, jchenfet, ift verwahret, nicht verſchenket: 
Alſo jaget Pojeinummus, wenn er was zu heben denfet. 
Aber joll er etwas geben, o jo rühmt er hoch das Sparen; 
Daß man nicht aufs Alter etwan Noth und Armuth dürf' erfahren. 


(17) 
Mars von Phnaefähr Fromm. 
War etwan Mars wo fromm, fo fehrt es ihm zu Gute; 
Es iſt gewiß geichehn aus unbedachtem Mutbe. 


(18) 
Feile Gerechtigkeit, 
Sind des Richters Ohren zu, mache du die Hand nur auf. 
Recht hat ibt, wie alles Ding, einen gleichen hohen Kauf. 


(19) 
Der Zeiten Sıhaulpiel. 
Sch denfe noch des Spiel3 bey meinen jungen Jahren, 
Worinn ich König war, wenn andre Knechte waren; 
Sobald das Spiel fich jchloß, fiel meine Hoheit hin, 
Und ich ward wieder der, der ich noch ito bin. 


232 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 








Der heutige Gebrauch trägt gleichlam ein Ergeben, 
Die Bauern diefer Zeit den Fürften beyzujeben. 
Schimpf aber ijt niht Ernit, und das Saturnusfeſt 
St Einmal nur des Jahrs zu Rom im Brauch gemeit. 


(20) 
Der enthärte Samlon. 


Samſon ſchlief bey Delila, und verjchlief fi) Haar und Stärke. 
Solcher Schlaf bringt auch noch heut ſolche Beut und ſolch Gemerfe. 


(21) 

Auf den Schwollius. 
Der Praler Schwollius will gar nicht wohnen enge, 
Geräumig iſt fein Haus, gewajchen alle Gänge. 
Kein Wunder! As ein Kind Liebt’ er ſchon fol ein Haus; 
Drum fam er bald hervor aus Kerfer, Nacht und raus, 
Wo er gefangen lag, and Tageslicht gefrochen, 
War feine Mutter gleich erjt Frau von dreyzehn Wochen. 


(22) 
Der Raiſerliche Dienſt. 
Was iſt es für ein Ding, der kaiſerliche Dienſt? 
Der Bauern ihr Verderb, der Krieger ihr Gewinnſt. 
Der Bauer thut den Dienſt, der Krieger ſpricht davon; 
Doch ſtraft man jenen noch, und dieſem giebt man Lohn. 


(23) 
Auf den Buadratus, 


Quadratus ift der Welt viel nüß, er giebt viel Sal 
Wär übel, wenn er ftürb, im Sommer zu entrathen! 


(24) 
Bofverdienf. 
Halt du bey Hofe was gethan, 
Was niemand dir verdanken kann; 
So geh bey Zeiten ſelbſt davon, 
Der Haß ilt ſonſt gewiß dein Lohn. 


(95) 
Auf den Bullakus. 


Bullatus Sprach, gefragt: woher er edel wär? 
Mein Adel kömmt vom Haupt und nicht vom Bauche ber. 


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Siebendes Bud. 233 





(26) 
Auf die Glauca. 
E3 jtritten ihrer zwey, ob Glauca jchön, ob häßlich? — 
Gemalet ift fie Schön; natürlich it fie gräßlic. 


(27) 
Auf die Claja. 
Gott nahm, jagt Elaja, meinen Mann; 


Der Herr hat alles wohl gethan, 
Der einen friichen geben kann! 


(28) 
Ein vnerlorner Freund. 


Mein Freund ward nächſt nach Hof in Ehrendienit erfohren; 
Die Ehre gönnt’ ich ihm, doch gieng der Freund verloren. 


(29) 
MWeltbeherricher. 
Gott, Fleiß und die Gelegenheit 
Beherrihen Menjchen, Welt und Zeit. 
Gott ift in Nöthen anzuflehn; 
Gelegenheit nicht zu verſehn; 
Der Fleiß muß fort und fort gejchehn. 


(30) 
Eine Bure. 


Wem die Hur ins Herze fümmt, wird fie auch in Beutel fommen; 
Mag dann zählen, was die Nacht ihm gejchenft, der Tag genommen! 


(31) 
Redlichkeik. 


Die Redlichkeit verlacht, was ihr Verfolger ſpricht; 
Ein Biedermann ſteht ſtets; nicht lang ein Böſewicht. 


(32) 
Die kauſend goldenen Jahre. 


Tauſend goldne Jahre werden von Propheten itzt verſprochen. 
Wie es ſcheinet, ſind ſie nahe; denn dergleichen Gold zu kochen, 
Hat der Krieg bereits zu Kohlen Städt und Dörfer abgebrochen. 


234 Friedrichs von LTogau Sinngedichte. 





(33) 
Fürflendiener. 
Wenn Diener löblich rathen, 
So finds der Herren Thaten; 
Wenn Herren gröblich fehlen, 
Iſts Dienern zuzuzählen. 
(34) 
Auf den unverfhämten Qalous. 


Calvus bat fo großen Schedel, und hat dennoch fein Gehirn; 
Boller Stirn iſt auch fein Schedel, und doch hat er feine Stirn. 


(35) 
Auf den Pälus. 
Pätus bat mich jüngst zu Gaſt; und ich gieng nicht. Ich war fatt 
Noch von dem, womit er mich längſt vorhin kaſteyet hat. 


(36) 
Reilen. 
Weiland ward fürs Baterland Gut und Blut gelafjen; 
Gut und Blut wird ist verthan, Vaterland zu hafjen. 


Man verreifet großes Geld; was man heimbringt, wendet man 
Alte deutsche Redlichkeit hämiſch zu beſchimpfen an. 


(37) 
Erdengöfter. 
Dbrigfeiten heißen Götter, jollen Menjchen Wohlfahrt geben, 
Wollen aber meiitens jelber von den Menjchen Wohlfahrt heben. 
(38) 
Das Belle der Welt, 


Weißt du, was in diefer Welt 
Mir am meilten wohlgefällt? — 
Daß die Zeit fich jelbit verzehret, - 
Und die Welt nicht ewig mwähret. 


(89) 
Waaren der Wolluſt. 


Wer fih um der Wolluft Waaren als ein Kaufmann will bemühn, 
Wird, wie wigig er gleich handelt, Reue, ftatt Gewinnes ziehn. 


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Siebendes Bud), 
(40) 
Sey wer du warelt. 
Wer eine Tugend einmal übt, 
Eh er fie leichtlich übergiebt, 
So geb er eher bin fein Leben; 
Sonjt muß er fich der Ehr’ begeben. 


(41) 
Hofgunſt. 
Hofgunſt brennt wie Stroh, giebt geſchwinde Flammen; 
Fällt geſchwind in Aſch, wie das Stroh, zuſammen. 


(42) 
Hülfe. 


Eigner Fleiß und fremde Hülfe födern einen Mann. 
Wenn man einem vor ſoll ſpannen, ſpann er ſelber an. 


(43) 
Hemftakett. 
Man kann in Ruhn 

Doch etwas thun. 


Man kann im Thun 
Doch gleichwohl ruhn. 


(44) 
Bon dem Targus. 


Largus wünſchet feinem Feinde, daß er ein Ducaten ſey 
In den Händen eines Filzes; denn da würd er nimmer frey. 


(45) 
Wohlfeiler Frauenffand. 
Was man mit Wenigem erlangt, dafelbit ift Viel 
Kicht nöthig. Eine Magd, die gerne Frau feyn will, 
Die wird zur Hure nur, alsdann iſt Kirchenfahrt, 
Und aller Hochzeitpracht erhalten und erjpart. 


(46) 
Bofmaler., 


Bey Hofe hats viel Maler; die wijjen abzumalen 
Gemeiniglih mit Kohlen; fie fodern fein Bezahlen; 


— 


236 Friedriche von Togau Sinngedichte. 





Sie thun es ungeheißen, jie thuns von freyen Stüden; 
So darf man auch nicht fißen, fie könnens hinterm Rüden. 


(47) 
Mühßiggang. 
Jedes Haus hat ſeinen Ort, der gewidmet iſt zur Ruh. 
Knecht und Mägde haben Luſt, Herr und Frau hat Fug dazu. 


(48) 
Mittel u verarmen. 


Ich möchte willen, wie e3 käme, 

Daß unſer Hab und Gut zunähme? 
Was wir aus Pflicht nicht geben müfjen, 
Soll Höflichkeit zufammen fchießen. 

Sit für den Mund was übrig blieben, 
So bleibt es doch nicht vor den Dieben. 
Was ſelbſt die Todten ſchuldig waren 
Das büßen wir mit unjern Haaren. 
Was wir gehabt, und nicht mehr haben, 
Davon erheifht man Schoß und Gaben. 
Sch möchte willen, wie es käme, 

Daß unfer Hab und Gut zunähme? 


(49) 
Bon der Alodia. 


Clodia taugt nicht zum fieden; ob fie etwan taugt zum braten? — 
D, man laß fie roh den Würmern; bejjer weiß ich nicht3 zu rathen. 


(50) | 
Arieg und Friede. 
Die Welt hat Krieg geführt weit über zwanzig Jahr; 
Nunmehr joll Friede jeyn, joll werden wie e3 war. 
Sie hat gekriegt um das, o lachenswerthe That! 
Was fie, eh fie gefriegt, zuvor bejejjen hat. 


(51) 
Geſchminkte Weiber willige Weiber. 
Wiewohl e3 noch nicht Brauch, daß Wittwen, daß Jungfrauen 
Sich auszubieten gehn, fich juchen anzutrauen: 
So fragt, will gleich der Mund fich noch in etwas jchämen, 
Doch Schmuck und Schminke dreift: Ey will mich niemand nehmen ? 





Siebendes Bud). 237 








(52) 
Birken. 


Was iſt das für ein Hirt, der durch Gewalt und Liſt 
Zum Theil die Schafe ſchindt, zum Theil die Schafe frißt? 


(53) 
Auf den Pralin. 


Wie dein Kopf, Gelegenheit, 
Sit, Pralin, dein Ehrenfleid. 


(54) 
Gerlinde. 


Sein Gefinde ſoll man jpeifen, darf e3 aber doch nicht mäjten, 
Soll es brauchen uns zu helfen, ſoll es brauchen nicht zu Gäjten. 


(55) 

Gewalt iſt nicht Tapferkeit. 
Wenn ihrer Drey gleih Einen jchlagen, 
So hat Gejchlagner nichts zu klagen; 
Denn ungejchlagen bleibt itt feiner, 
Und Dreye jchlagen mehr als Einer. 


(56) 
Sichere Armuth; elender Reichthum, 
Ein Armer hat es gut; er fürchtet jelten jehr, 
(Dieweil er nicht3 mehr hat) daß er verliere mehr. 
Ein Reicher hat e3 arg; iſt feine Zeit nicht frey, 
Daß er nicht morgen ſchon der allerärnfte ſey. 


(57) 
Koben. 
Thorheit ijt es, alles loben; Bosheit iſt es, gar nichts preifen: 
Mich wird Thorheit ſchwerlich treffen; Bosheit wird fich eher mweifen. 


(58) 
Die Steuer. 


Daß mein Buch die theure Gabe 
Allen zu gefallen habe, 

Glaub ich nicht. Doch glaub ich, allen 
Werde folgendes gefallen: 


238 Friedrichs non Togau Sinngedichke. 





„D es müfje hölliſch Feuer 
„Freſſen die verfluchte Steuer!” 


(59) 
Ein Indianiſcher Brauch. 
Wenn ein Indianer freyet, ſchenket er die erſte Nacht 
Einem Prieſter, der zum Segen einen guten Anfang macht. 
Blondus freyet eine Jungfer: ob er nun gleich dort nicht wohnt, 
Hat ſie dennoch ihm ein Pfaffe eingeweihet unbelohnt. 


(60) 
Bon der Hulda. 


Was man liebt, da braucht man wenig, daß mans lange braud’: 
Hulda jchonet man zum Nehmen, liebt man fie gleich auch. 


(61) 
Bunder der Boffart, 


Was veizet und zur Hoffart an? — der Leute Heucheley, 
Die alles preijen, was wir thun, es jey gleich wie es fey. 


(62) 
Büchermenge. 
Des Bücherſchreibens iſt kein Ende, ein jeder ſchreibt mit Haufen! — 
Kein Menſch wird weiter Bücher ſchreiben, wenn nur kein Menſch wird kaufen. 


(63) 
| Ein redliher Mann. 
Für einen guten Mann find alle Zeiten gut, 
Weil niemal3 Böjes er und Böſes ihm nichts thut; 
Er führt durch beides Glück nur immer Einen Muth. 


(64) 
Menſchenſinnen. 
Köpfe haben Dünkel, 
Herzen haben Winkel: 
Prüfe, was du ſieheſt, 
Merke, was du flieheſt! 


665) 
Auf den Thraſo. 


Thraſo geht, wie Herkules, mit der Löwenhaut bedeckt; 
Sags nur nicht, ein Haſenbalg iſt zum Futter unterſteckt. 





| Siebendes But. 





(66) 
Wunderwerk der Welt. 


Man jagt, und hat gejagt von großen Wunderwerfen, 
Die wohl zu merken find, und waren wohl zu merken; 
Noch ist ein größers kaum, als daß ein frommer Mann 
Bey diefer böfen Zeit, fromm jeyn und bleiben kann. 


(67) 
Bofdiener. 
Jeder will bey Hofe dienen; dienen will er immer, 
Nicht beym Sorgen, nicht beym Dulden; nur im Tafelzimmer. 


(68) 
Ib. 


Eines Narren Brobe, 

Die beiteht im Lobe. 

Seine Kunſt zu weijen, 
Schleußt ihn auf das Preiſen. 


(69) 
Auf den Skichus. 
Stihus bat ein böjes Weib, will fich gern vertragen, 
Meynt, ihr Grimm werd endlich ſich müden von dem Plagen; 
Da ihn jonit ein neues Weib werd’ aufs neue nagen. 


(70) 

Das Berz auf der Zunge. 
Wer: Herz auf feiner Zunge führt, 
Der muß, wenn er die Zunge rührt, 
Sich der Bedachtfamfeit befleißen, 
Sonjt möcht er ihm das Herz abbeißen. 


(71) 
Kriegesſchäden. 
Hat Land durch dieſen Krieg, hat Stadt mehr ausgeſtanden? 
Schau wo der beſte Tiſch und größte Schmuck vorhanden. 


(72) 
Boffnung. 
Wer nicht? hat, dem ijt noch Rath, 
Wenn er nur noch Hoffnung hat. 


240 Friedriche non Togau Sinngedichke. 





(73) 
Erkennkniß Seiner. 
Der Schatten pflegt zu ftehen nad) dem die Sonne jteht; 
Sobald fie Scheint, ift niemand der ohne Schatten geht. 
Auch iſt auf Erden niemand von aller Thorheit frey; | 
Ein Menjch von Haren Sinnen, der merkt wie groß fie jey. 


(74) 
Durch Mühen, nicht durch Schmeicheln. 
Nedlich will ich Lieber ſchwitzen, 
Als die Heuchlerbanf bejiten. 
Beſſer harte Fäufte ftreden, 
Als von frendem Schweiße leden. 
Beſſer was mit Noth erwerben, 
AS gut Teben, furchtiam sterben. 


(75) 
Auf den Piner. 
Piger kann nicht müßig gehen; — 
Müßig aber fann er jtehen. 


(76) 
Deuerung gefährlich. 
Das Böſe, wohl gejtellt, laß jtehen, wie es ſteht; 
Es iſt noch ungewiß, obs gut mit Neuem gebt. 


(77) 
Freygebige Berrendiener, 


Wenn Diener Herren fchenfen, 
Sp mögen Herren denken, 
Daß fih, was auf fie fleußt, 
Bon ihnen vor ergeußt. | 


(78) 
Augen, DPhren, Mund. | 
Dhr und Auge find die Fenjter, und der Mund die Thür ins Haus: 
Sind fie alle wohl verwahret, geht nicht Böſes ein und aus. 


%,..(99) 
Berdärhtige Sarhen. 


Ein verjöhnter Feind, 
Ein erfaufter Freund 






Siebendes Bud. 








Sind zu einer Brüde 
Ungeſchickte Stüde. 


(80) 
Serlenwanderung. 
Daß eine fremde Seel in fremden Körper frieche, 
Das glaube wer es will; es find nicht Bibeliprüche. 
- Dieß aber ijt gewiß, daß igt ein fremder Leib 
Dit fähret auf und in ein fremdes Pferd, Kleid, Weib. 


« (81) 
Auf die Priſca. 
Deine Schönheit liegt am Laden, gar nicht, Prifca, in der Kite; 
Was man fieht, das ijt das Beſte, mit dem Innern ſteht e3 wüſte. 


a Ve U — 


| (82) 

Gewandelle Freundſchafk. 
Wer die Freundſchaft brechen kann, 
Fieng fie nie von Herzen an: 

Der ward falich ein Freund genennt, 
Wer jih von dem Freunde trennt. 


(83) 
Das Glük ein gemein Weib. 


Das Glüd ift wie ein Weib, die feinen völlig Tiebet, 
Indem ſie ſich itzt dem, it jenem übergiebet. 





. (84) 

E | Bürher. 

Es iſt mir meine Luft, bey Todten ſtets zu leben; 

Zu ſeyn mit denen, die nicht find, rund um umgeben; 

Zu fragen, die ganz taub; zu hören, die nichts jagen; 

“ Und die nichts haben, doch viel pflegen aufzutragen, 

Bor andern vorzuziehn. Sch bin auf die befliffen, 

Die mir viel Gutes thun, und doch von mir nichts willen. 
Ich halte diefe hoch, die nie mich angejehn; 

Die manchmal mich im Ernſt verhöhnen, jchelten, ſchmähn, 
Sind meine beiten Freund’; anjtatt fie hinzugeben, 

So gäb ich alle Welt dahin, und auch das Leben. 


Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 16 





242 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(85) 
Auf den Curvus. 


Curvus iſt den Laftern gram, nicht aus Tugend, nur aus Neid; 
Daß er ihnen nicht mehr dient, jchafft nicht Wille, fondern Zeit. 


(86) 
Hoffarkh. 
Ich nehm ein Quintlein Glück, und kaufe Hofegunſt: 
Ob dir es ſo beliebt, nimm einen Centner Kunſt: 
Die leichte Münze gilt, die ſchwer iſt hier umſonſt. 


(87) 
Derliebte. 


So viel Händel, jo viel Wunder, als verliebte Leute machen, 
Wozu dient es? wohin zielt es? — Denfe nad, jo wirjt du lachen. 


(88) 
Austeiff der Zunge. 
Die Zunge wohnt mit Fleiß in weißem Beingehäge, 
Denn dieß ift ihre Gränz, in der fie fich bewege. 
Wächſt aber wo die Zung, und jteiget übern Zaum, 
Derjelben traue du, ich will ihr nimmer traun. 


(89) 
Der Liebe Blindheit. 


Ein Wollſack und ein Kohlenſack, da die beyſammen jtunden, 
Da ſchoß Eupido, und der Pfeil ward in dem ſchwarzen funden. 
Die Lieb ift an die Farbe nicht, dieweil fie blind, gebunden. 


(90) 
Männermangel. 


Daß mehr Weiber find als Männer, macht des Krieges Raferey; 
Doch mich dünket, Weiber jtunden durch die Buhlichaft Kriege bey. 


(91) 
Ein fauler Rnechk. 


Wenn jelten jtiehlt ein Dieb, und nie ein Knecht was thut, 
So halt ich den für böſ', und jenen mehr für gut. 


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Siebendes Bud. 


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(92) 
Auf den Paaus. 


Vagus Tiebet Weiber, Wittiven, Jungfern, Mägde, was es giebt; 
Ehriftenlieb ijt jo geartet, denkt er, daß jie alles liebt. 


(93) 
Freunde. 


Freunde die dad Glücke macht find fein rechtes Meiſterſtücke, 
Wenn fie nicht zuvor bejchaut und bewährt das Ungelüde. 


(94) 
Auf die Stulfina. 


Alle jehen ernithaft aus: dennoch will Stultina lahen? — 
Weil fie weiße Zähne hat, jucht fie fich beliebt zu machen. 


(95) 
Die Freyheit. 


Wo dieſes Freyheit ift, zu thun nach aller Luft, 
So find ein freyes Volk die Säu in ihrem Wuft. 


(96) 
Fremde Sıhukherren. 
Der, der uns für Ketzer hält, jollt’ ung friegen für den Glauben? 
Freyheit jollten jchügen die, die ung Freyheit helfen rauben? 
Ausgang wird zu glauben dir Freyheit was du mwillit erlauben. 


(97) 
Luft und Unluf. 
Ihrer zwey find, die fich haſſen, 
Und einander doch nicht lafjen: 
Wo die Wollujt fehret ein, 
Wird nicht weit die Umluft jeyn. 


(98) 
Der ralende David. * 


Wer bey Achis denft zu leben, wer bey Welt denkt fortzufommen, 
Muß bald haben Narrenfappe, Doctorshut bald angenommen. 


* 1, Sam. XXI, 13. 


244 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(99) 
Der Soldaten aufes Werk. 


Buße zeucht dem Kriege nach; wo das Heer nur bingetreten, 
Thun die. Leute nichts als weinen, nichts als faſten, feyern, beten. 


(100) 
Auf den Simon. 


Simon wünſchet, daß fein Weib 
Eine Mojcovitinn wäre, 

Wenn er ihr gleich bläut den Leib, 
Daß fie fich doch nicht bejchwere; 
Aber weil jie deutſch gefinnt, 
Schaut fie, wie fie ſich erwehret, 
Wie fie Oberhand gewinnt, 

Und mit ihm die Stube fehret. 


(101) 
Trunkenheif, 


Es ſäuft jich voll, für ich, fein unvernünftig Thier. — 
D, hätten jie Vernunft, fie tränfen auch, wie wir. 


(102) 
Stadfleufe und Dorfleufe. 
Wer find Bürger? Nur Verzehrer. 
Wer jind Bauern? Ihr’ Ernährer. 
Jene machen Koth aus Brodte, 
Dieſe machen Brodt aus Rothe. 
Wie daß denn der Bürger Orden 
Höher al$ der Bauern worden? 


(103) 
Auf den Faulinus. 

Faulinus it ein Mann, er ijt ein rüftig Mann; 
Die Arbeit hat er lieb, — wenn andre fie gethan. 
(104) 

Schnecken. 


Bruder, komm und iß mit mir; Haus und Wirth ſoll vor dir ſtehen. 
Doch iß nur den Wirth, das Haus möchte nicht zu Halſe gehen. 








Stebendes Bud. 





(105) 
Weintrauben. 
Bruder, fomm auf einen Trunk; doch im ſüßen Bacchusnaß 
Thu mir nicht allein Bejcheid, thu mir auch Beicheid im Faß. 
(106) 
Friedenshinderniß. 

Ey, es wird bald Friede ſeyn! Freue dich, du deuticher Mann! 
Mißvertraun und Eigennutz, ein Baar Wörtlein, jtehn nur an. 
(107) 

Tadler. 

Wer mich tadelt läſſet merken, daß was Gutes an mir ſey; 
Sonſt wär nichts ihm dran gelegen, dürfte keiner Tadeley. 
(108) 

Von meinen Reimen. 


Nicht einmal in ſeinem Buche guter Freunde zu gedenken? — 
Weiß ich doch noch ſelbſt nicht eigen, welchen Ruhm man mir wird ſchenken. 








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246 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Sinngedichke. 
Achkes Buch. 


(1) 
An den Leſer. 
D Leer, dir ſteht Frey zu richten über mid, 
‚Und andern jtehet frey zu richten über dich. 
Wie du dein Urtheil nun von andern dir begehreit, 
Sp Siehe daß du mir mein Urtheil auch gewährelt. 


(2) 
Die Ehre. 
Die Ehre fennet feinen Obern; wer ihr zum Nachtheil was gebeut, 
Den fürchte nicht, wenn dich dein Leben zum Schuß der Ehre nicht gereut. 
(3) 
Buverfiht auf Menſchen. 
Wer jein Glück auf Menjchen baut, hat es ganz vergejien, 
Daß in kurzem diefen Grund Wurm und Schlange freijen. 
(4) 
Bon dem Probus. 
Probus thu gleich was er thu; nimmer taugt doch, was er thut. 
Sit er denn fo böfer Art? — Nein, jein Richter ift nicht gut. 
(5) 
Eitelkeik. 


Nimm weg die Eitelkeit von allen unſern Werken, | 
Was wird dir übrig jeyn und gültig zu vermerken? 


+6) 
Auf den Morus. 


Morus hat viel Geld und Gut? Muß dabey doch hungrig falten? — 
En! der Teufel, und nicht Er, hat die Schlüffel zu den Kaften. 





Achkes Buch. 247 








(7) 
Leben und To», 
Der Tag hat große Müh, die Nacht hat ſüße Ruh: 
Das Leben bringt ung Müh, der Tod die Ruhe zu. 


(8) 
Goldkunft. 
Aus dem Falten Nordenloche kam der Handgriff Gold zu kochen, 
Da die Künftler für ihr Kupfer kamen deutſches Gold zu fuchen: 
Deutjches Blut, mit deutjcher Aſche wohl vermifchet, konnte machen, 
Daß zu Gold den Künstlern wurden Glaube, Treu und alle Sachen. 


(9) 
Gemeinfchaft bringt Verachtung, Tonderlich Fürften. 
Wo viel Gemeinschaft ist, ift Anfehn nicht gemein; 
Wo nicht mehr Anfehn ift, wird fchwerlich Folge ſeyn; 
Wo Folge fich verliert, kann Ordnung nicht beftehen; 
Wo Drdnung nicht beiteht, muß Wohlfahrt untergehen. 


(10) 
Ein unruhiges Gemükh. | 
Ein Mühlftein und ein Menfchenherz wird ſtets herumgetrieben ; 
Wo beides nicht? zu reiben hat, wird beides ſelbſt zerrieben. 


(11) 

Chriſtliche Liebe, 
Ptochus lag in taufend Nöthen, 
Die ihn drängten bis aufs Tödten. 
Sollte Chrijtenliebe haben, 

Sich zu retten, fich zu laben: 
Ließ fie Hin und wieder fuchen, 
Weil fie ſich ist jehr verkrochen ; 
Ließ fie ſuchen bey Gerichten, 
Fand fie aber da mit nichten; 
Mußte hören, daß man jagte: 
Was das jey, wonach er fragte? 


(12) 
Auf den Bonvrafus. 


Obs recht, obs ehrlich jey, was Honoratus thut, 
Daran gedenft er nicht. Ihm dünfet alles gut, 


248 Friedriche von Togau Sinngedichke. 





Was qut zum Schmaufen it. Was joll man von ihm jagen? 
Er hat das Recht im Maul, er hat die Ehr im Magen. 


(13) 
Auf den Stilpe. 
Sn deines Weibes Almanach Steht, Stilpo, allewege: 
Trüb, Ungejtüm, PBlagregen, Sturm, Wind, Hagel, Donnerjchläge. 


(14) 
Eheſtand. 
Wer im Sommer Blumen ſammelt, ſammelt aber ſonſt nichts ein, 
Ey wovon will der im Winter ruhig, ſatt und muthig ſeyn? 
Wer beym Freyen bloß auf Zierden, Prangen, Stolz und Großthun denkt, 
Was wird der für Tröſtung finden, wenn ihn großer Unfall kränkt. 


(15) 

Hoffnung und Geduld. 
Hoffnung iſt ein feſter Stab 
Und Geduld ein Reiſekleid, 
Da man mit durch Welt und Grab 
Wandert in die Ewigkeit. 


(16) 
Iſts nicht auf, ſo wirds auf. 
Böſe Leute mögen trogen, fromme Chriſten jtille leben: 
Schafeswolle fümmt in Himmel, Wolfesloden nur daneben. 


(17) 
Das Mittel. 
Wenn das Beite nicht zu haben, nehme man für gut das Gute; 
Auch für lieb, iſts nicht ein tapfrer, dennoch mit dem frohen Muthe. 
Wem die Flügel nicht gewachſen, kann die Wolken nicht erreichen; 
Wem des Adlers Augen fehlen, muß der Sonne Stralen weichen. 


(18) 
Schein der Freyheit. 


Die Frepheit it ein Strid, womit man Freyheit fängt; 
Se mehr man fie bedrücdt, je mehr man ihrer denft. 


—69 
Dankbarkeit genen die Schweden. 


Was werden doch für Dank die Schweden um ihre Kriege haben? — 
Wir wünſchen, daß Gott ihnen gebe, jo viel als fie ung gaben! 





Achkes Buch. 249 





(20) 
Bofleufe. 


Leute, die bey Hofe dienen, dünfen fich, als andre, mehr; 
Mic bedünfet, der, der dienet, weiche dem, der frey ift, jehr. 


(21) 
Bon dem Criſpus. 
Erifpus ift gereist, ift munter, ift gelehrt; — und wird veracht? — 
Ey! der neue Mufterjchneider hat ihm noch fein Kleid gemacht. 


(22) 
Erinnerungen. 


Große Herren wollen niemals gern Erinnerung ertragen: 
Wie dem Bileam, muß ihnen oft ein Ejel Wahrheit jagen. 


(23) 
Auf den Pſeudo. 


Pieudo leugt jo ungemein, 

Daß ih ihm nicht glauben kann, 
Beigt er, wenn er leugt, gleich an, 
Daß es nichts als Lügen ſeyn. 


(24) 
Auf den Dulpinus. 
Dein Herz iſt ein Eajtell, hat gar viel Außenwerke, 
Bulpinus; wer drein fümmt, hat nicht gemeine Stärke; 
Wer drein noch fommen wär ijt feiner, wie ich merfe. 


(25) 
Die Furcht. 
Der Tod, vor dem der Menjch jo fleucht und jo erjchridt, 
Währt an ihm ſelbſt jo lang, al3 lang ein Auge blidt. 
Des Todes Furcht ift Tod, mehr als der Tod; der Tod 
Verkürzt, was ihn vergällt, die Furcht, die ſchlimmſte Noth. 


(26) 
Der Köhlerglaube. 


Was die Kirche glauben heißt, joll man glauben ohne Wanken? — 
Alſo darf man weder Geift, weder Sinnen, noch Gedanken. 


250 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 








(27) 
Wiedervergelkung. 

Für Güt nichts Gutes geben, iſt keine gute That; 
Für Böſes Böſes geben, iſt ein verkehrter Rath; 
Für Gutes Böſes geben, iſt ſchändliches Beginnen; 
Für Gutes Gutes geben, gebühret frommen Sinnen; 
Für Böſes Gutes geben iſt recht und wohl gethan, 
Denn daran wird erkennet ein ächter Chriſtenmann. 


(28) 
Tebenslak. 


Biel bedenken, wenig reden, und nicht leichtlich jchreiben, 
Kan viel Händel, viel Beichwerden, viel Gefahr vertreiben. 


(29) 
Fürftengelthenke. 
Fürſtengaben find wie Bäche, ftürzen immer gegen Thal; 
Treffen jo nur, wie jie treffen, ohngefähr und ohne Wahl. 


(30) 

Band und Finger, ein Porbild brüderlicher Einigkeik. 
Jeder Finger an der Hand 
Hat jein Maaß und jeinen Stand. 
sseder hilft dem andern ein, 
Keiner will fein eigen jeyn. 
Brüder, die des Blutes Pflicht 
Hat in Einen Bund gericht, 
Sagt, was wollen die fich zeihn, 
Wenn fie eigennüßig jeyn? 
Wenn fie das gemeine Heil 
Meſſen nach dem eignen Theil? 
Wenn nur jeder darauf denkt, 
Was den andern Bruder kränkt? 
Wenn der andre fteigen will 
Hin auf den, der niederfiel? 
Wetten will ich, al ihr Thun 
Wird auf Misgriff nur beruhn. 


(31) 
Verſtand. 
Witz, der nur auf Vortheil gehet, iſt nicht Witz, er iſt nur Tücke. 
Rechter Witz übt nur was redlich, weiß von keinem krummen Stüde. 





Achkes Bud. — — 251 
(32) 
Friedenskrien. 


Wer durh Waffen überwunden, 


Hat noch lange nicht gefiegt: 
Sriedemachen hat erfunden, 
Daß der Sieger unterliegt. 


(33) 
Abwerhfelung. 
Andern gehet auf die Sonne, wenn fie ung geht nieder. 
Wenn fie andern niedergehet, fümmt fie zu uns wieder. 


Was und Gott nicht heute jchenkte, kann er morgen fchiden, 
Kann uns, was er heute jchickte, morgen auch entrüden. 


(34) 
Bofaunf. 

Kein Begehrtes je verwiedern, 
Kein Berwiedertes begehren, 
Hiedurch pflegt die Gunft der Niedern 
Bey den Hohen fortzumähren. 

(35) 

Herr und Rnechk. 


Wer andern dient, iſt Herr, ſo fern er fromm ſich hält: 
Wer andrer Herr iſt, dient, wenn er ſich ſündlich ſtellt. 


(36) 
Die Gerechkigkeik. 
Daß Gerechtigkeit beſtehe, muß man Köpfe dazu haben, 
Theils die kluge Leute führen, theils der Henker giebt den Raben. 
(37) 
Beuchler. 
Wer nicht höret, hat nicht Heuchler: wer die Heuchler denkt zu haſſen, 
Mag zwar ihnen Thor und Thüre, nur nicht Ohren offen laſſen. 
(38) 
Von einer Wiktkwe. 


Eine Wittwe gieng zur Trau; nahm itzt ihren vierten Mann. 
Als die Zeit zum Schlafengehn auch nun endlich kam heran, 


252 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 





Sprach fie: ach ich armes Kind! hätt ich dieſes eh bedacht, 
Niemand, niemand hätte mich mehr zu diefem Schritt gebradt! 
Doch fie gieng, war gar getrojt; und das Kind, das fie gebar 
Kaum in zwanzig Wochen drauf, wies wie jie vergeßlich war. 


(39) 
Kine Galterey. 
Man fud mich jüngst zu Gaſte: der Magen gieng mit mir; 
Doch war er mir nicht nüße, den Milz bedurft ich bier. 


(40) 
Die Gicht. 
Wer jih üben will im Fühlen, 
Mag mit Gicht ein wenig fpielen. 


(41) 
Angezogene Schrift. 
Wenn der Hausherr, wann die Diebe kommen wollten, eigen wüßte; 
Würd er wachen: ſagt ein Prieſter, als der Biſchof ihn begrüßte. 


(42) 
Freyheit, 


er feinem Willen lebt, Lebt ohne Zweifel wohl; 
Doch dann erit, wenn er will nicht anders, als er foll. 


Ä (43) 
Meberfluß. 


Der Ueberfluß hat feinen Feind, der ärger ilt, als er: 
In kurzem führt er über fich den Mangel felber ber. 


(44) 
Abfall. 


Es iſt ein Wunderding: wer zehn, wer zwanzig „Jahr, 
Und länger, nicht gewußt, was rechter Glaube war, 

Wenn der vom erjten tritt, und nimmt den andern an, 
Daß der bald alles weiß, und andre lehren Fann! 

Mich dünkt, Gunst, Ehre, Macht, Gemach und gute Biljen 
Die Stärften ihm das Hirn; — nicht aber das Gewifjen. 


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Achkes Bud. 253 








(45) 
Auf den Mdus. 
Udus jäuft den ganzen Tag. Wird er drüber two bejprochen, 
Spricht er: einen halben Tag hab ich mich am Durjt gerochen, 
Und’ den andern halben Tag jauf ich darum wieder an, 
Weil mich leicht der böſe Durſt tückiſch überfallen kann. 


(46) 
Aungfern. 


Gute Bißlein bleiben jelten in der Schüfjel liegen: 
Sungfern bleiben jelten jißen, wenn fie nur was tügen. 


(47) 
Die Armuth. 


Die Armuth iſt mit dem infonderheit begabt, 
Das fie, wohin fie fümmt, hat, was fie hat gehabt. 


(48) 
Iungfraufihaft. 
Ein glühend Eifen in der Hand, 
Ein unverleßter Jungfernitand, 
Iſt Leichtlich nicht zu tragen allen: 
Man Läfjet beides gerne fallen. 


(49) 
Ergehlichkeik. 
Ey wie Schad iſts um die Zeit, die mit Reimen ich verſpiele! — 
Uebler aber reimte ſichs, wenn mit Nichtsthun ſie verfiele. 


Eine Ruh für Leib und Sinn läßt man einem jeden zu. 
Jeder ruhe, wie er will; ich beruh in dieſer Ruh. 


(50) 
Die lateinifıhe Sprache. 


Latein hat feinen Sit nody Land, wie andre Zungen. — 
Ihm ijt die Bürgerfchaft durch alle Welt gelungen. 


(51) 
Lohn und Strafe. 
Beſſer, Gutes nicht belohnen, 
Als des Böfen wo verfchonen. 


254 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(52) 
Lob und Schande, 


Men nicht zum Guten zeucht das Breifen, 
Treibt nicht vom Böjen das Verweiſen. 


(53) 
Auf den frunkenen Bett, 


Man warf den Veit die Trepp hinab: Veit ſchickte fich darein, 
Sprach: Hätt es nicht ein Menſch gethan, jo hätts gethan der Wein. 


(54) 

Beufe aus dem deufldhen Kriege, 
Was gab der deutſche Krieg für Beute? 
Biel Grafen, Herren, Edelleute. 

Das deutiche Blut ijt edler worden 
Durch den geſchwächten Bauerorden. 


. (55) 
Kin Fürſtenrakh. 
Wer ijt, der jeinen Rath dem Herren redlich giebt? 
Der, den jein Fürſt? — Nein der, der feinen Fürſten liebt. 


(56) 
Worte, 
Man giebt den Weibern Schuld, daß ihre Worte Leichter, 
Als leichte Blätter find: daß ihre Sinnen jeichter, 
Als Regenbäche find. — D Männer könnens auch! 
Biel Worte, wenig Herz iſt ihr gemeiner Braud). 


(57) 
Das Glück. 


Unglüd berrichet fo die Welt, daß man aud fein Toben, 
Daß es noch nicht ärger ift, muß mit Danke Toben. 


=. 1608) 

Pergellen. 
Schweigen ift nicht jedem leicht. Doch iſts Teichter noch, verjchweigen 
ALS vergefien ſolche Dinge, die uns zu Gemüthe jteigen. 


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Achkes Buch. 25 


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(59) 
Auf die Giloula. 
Man vergleicht dich einer Lilge, Gilvula: Ich laß es jeyn! — 
Nur die gelbe, nicht die weiße, bilde dir bierunter ein. 
(60) 
Auf die Ardella. 


Alles was Ardella thut, thut fie, weil es Ruhm gemwähret; 
Doch je mehr fie Rühmens macht, deſto mehr fie Ruhm entbehret. 


(61) 
Bergnüglichkeit. 


Seines Lebens und der Welt kann am beiten der genießen, 
Der das Große diefer Welt nicht mag fennen, nicht mag wijjen. 


(62) 
Ein Toblprecher. 
Wer andre loben will, muß jelbiten löblich ſeyn, 
Sonjt trifft das Loben leicht mit Schänden überein. 
(69). 
Amt einer Ehefrau. 
Herrſchen nicht, und auch nicht dienen, freundlich, hülflich, tröftlich ſeyn, 
Diejes ziemet fich den Weibern, ijt ihr Amt und Ruhm allein. 


(64) 
Bildniſſe. 
Große Herren geben Bildniß wohlgeprägt nach allem Leben, 
Wenn ſie ihre Hofemägde manchmal ihren Dienern geben. 


(65) 
Auf die Anna. 

Anna bat die Jungferichaft für den Eheftand erfieit, 
Weil fie feiner, auch gejchenft, anzunehmen Willens ift. 
(66) 

Die deukſche Sprache. 


Kann die deutſche Sprache ſchnauben, ſchnarchen, poltern, donnern, krachen: 
Kann fie doch auch jpielen, fcherzen, liebeln, güteln, fürmeln, lachen. 


256 Fripdrichs von Logan Sinngedichke. 








(67) 
Liebe zur Runſt. 


Wer Luſt zu lernen hat dem mangelt immer was: 
Itzt will er wiſſen dieß, itzt will er wiſſen das. 


(68) 
Ein böſer Zahler. 
Der mir funfzig Gülden ſoll, waget zwanzig Gülden dran, 


Daß er meine Zahlung nur länger noch verzögern kann. 
Seht doch, wie er auf Gewinn fich verjteht, der jchlaue Mann! 


(69) 
Nehmen. 
Wenn das Weib ihr einen Mann, wenn der Mann ein Weib ihm nahm, 
Weil ſie beide Nehmer ſind, wer denn iſts, der was bekam? 
Ey das Weib! denn die empfänget, träget Bürden ohne Scheu, 
Leget ab, und kommet wieder, holet mehr, und trägt aufs neu. 


(70) 
Auf die Blinca. 


Blinca kann die Malerfunit, hat fich jelbit gemalet; 
Und ihr Bild das bleibt ihr doch, obs gleich mancher zahlet. 


(71) 
Auf den Pravus. 
Sicher wäre zwar bey Juden Pravus, denn er iſt ein Schwein; 
Weil er aber auch ein Ochje, wird er doch nicht ficher ſeyn. 


(72) 
Pie zilerne und goldene Beil. 
Die Zeit ift eifern bey dem Volke, die Zeit ift golden bey Gerichten: 
Das was der fchwere Pflug erpflüget, geht alles auf Gehorjamspflichten. 


(73) 
Auf den Runcus, einen beliebten Hofmann. 


Runcus iſt recht edigt grob: 
Hat doch Tauter Lieb und Lob. 
Recht! es müfjen ſtarke Gaben 
Keine Schwache Liebe haben. 





Achkes Buch. 257 


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(74) 
- Ein verdärhtiger Richter, 


St ein Eſel zu erjtreiten: ey jo juche dir zur Hand 
Einen Richter, der nicht jelber diejem Ejel anverwandt. 


(75) 
Schminke. 
Wenn ſich Weiber ſchminken, 
Sit e8 als ein Winfen, 
Daß man aufgenommen, 
Wolle man ja fommen. 


(76) 
Bon dem Qajus. 
Cajus hat ein zierlich Weib. Schade nur, es geht die Sage, 
Daß fie jede Woch im Jahr feyre fieben Feyertage! 


(77) 
Kiebhabende, 


Ein Kranker hat nicht Wis, der feine Krankheit liebt: 
Ein Buhler raſet jo, der fich der Lieb ergiebt. 


(78) 
Hüter. 


Dat man ohne Sorge lebe, jorgt man ſtets um Gut und Geld, 
Das doch den, der es erjorget, immerdar in Sorgen hält. 


(79) 
Amt der Bbrigkeit. 
Wie kömmt e3, da ſie ſäugen follen, 
Daß Obrigfeiten faugen wollen? ; 


(80) 
Born. 


Wo Zorn nimmt Ueberhand, da jteigt ein Nebel auf, 
Der den Berjtand verblendt und wehrt ihm feinen Lauf. 


(81) 
Bon dem Machiavell. 


Mancher fchilt auf diefen Mann, folget ihm doch heimlich nad: 
Giebt ihm um die Lehre nicht, giebt ihm um die Deffnung ass 


Leſſing, fümtlihe Schriften, VII. 


358 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(82) 
Kunſt und Geſchicke. | 
Wiſſenſchaft und Höflichkeit paaren ſich nicht immer: 
Defters ift ein hölzern Haus, wo ein goldnes Zimmer. 


(83) 
Ein Bofmann. 
Mer redlich ift im Herzen und mit dem Munde frey, 
Der wiſſe, daß bey Hofe er nicht behäglich jey. 
Wie man ihm vorgejaget, jo jagt der Papagey: 
Mer gelten will bey Hofe, der trete diejem bey. 


(84) 
Die Poexfen. 
Ueber feinen Schatten ſpringen, 
Kann dem Leichtiten nicht gelingen: 
Dichtern aber kanns gelingen, 
Ueber ihren Tod zu jpringen. 


(85) 
Auf die Danula. 
Vanula will einen Schönen, Edeln, Tapfern, Klugen, Reichen, 
Wohlgereiiten, Wohlbeiprachten, Wohlgewachsnen ohne Gleichen: 
Nun der Wunsch kömmt zum Gewähren, fällt viel ab von diefem Willen, 
Und den Mangel aller Stüde muß allein — die Thorheit füllen. 


(86) 
Kin reicher Geikhals. 


Berres iſt ein laſtbar Efel, nicht ein reicher Mann; 
Denn nur bloß zum ‚Sädetragen nahm das Glück ihn an. 


(87) 
Der wohlkhäkige Goft. 


Gott macht Gutes, Böſes wir: 
Er braut Wein, wir aber Bier. 


(88) 
Die gaſtfreyen Sıhlefter. 
Weiland waren wir befannt, daß wir rühmlich gafjtfrey waren; 


Wie denn? daß wir diefen Ruhm und Gebrauch ibt fchimpflich Jparen? — 
Säfte haben Haus und Wirth ganz vertilgt bey diefen Jahren. 





Achkes Bud. 259 





(89) 
Auf den Fungus. 


Fungus Maul it eine Mühle, die gar gäng in ihrem Lauf; 
Mahlet Wit kaum eine Handvoll, jchüttet Wort ein Malter auf. 


(90) 
Auf die Jungfer Tuſthold. 


Laternen trägt man auf den Öafjen, im Haufe braucht man fie nicht fehr: 
Bey Leuten iſt Luftolda züchtig, im Winfel fragt fie nicht? nach Ehr. 


(91) 
Braut und Bräufigan, 
Fir die Jungferichaft der Braut gab ein Bräutgam feine: 
Sie, wie er drauf inne ward, hatte jelber Feine. 
Daß er nicht im Handel möcht übervortheilt jeyn, 
Gab fie ihm die Mutterfchaft morgens oben drein. 


(92) 
Bon der Caſca. 


Wie daß ihr doch, daß Caſca ftarb, die Schuld dem Arzte gebt! 
Sie hat ſich durch jo lange Zeit zu Tode jelbjt gelebt. 


(93) 
Die Saat der Wahrheit. 


Wer bey Hofe Wahrheit fäet, erndtet meistens Misgunft ein: 
Wächſt ihm etwas zu von Gnade, wirft der Schmeichler Feuer drein. 


(94) 
Menſchenliebe. 


Gott ſollſt du mehr als dich, wie dich, den Nächſten lieben; 
Wenn Eine Liebe bleibt, ſo ſind ſie beide blieben: 

Denn Gott und Nächſten knüpft ein unauflöslich Band; 
Wer ſich hier trennen will, der hat ſich dort getrannt. 


(95) 
Die Begierden. 


Solche Räthe, die fich Eleiden in des Fürften Kleid und Zierden, 
Leiden jelten andre Räthe. — Welche jind es? — Die Begierden. 


260 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 





(96) 
Friede und Krieg. | 
Ein Krieg iſt köſtlich gut, der auf den Frieden dringt; 
Ein Fried ift Schändlich arg, der neues Kriegen bringt. 


(97) 
Hofregel. 
Non mihi sit servus medicus, propheta, sacerdos, 


Fürſten wollen feinen Diener, der da will, daß Tranf und Ejjen 
Sehy nad Ordnung und Vermögen eingetheilt und abgemefjen. 

Fürſten wollen feinen Diener, der da will zuvor verfünden, 

Was auf ihr verfehrtes Wefen fir Berderben ſich wird finden. 

Fürſten wollen feinen Diener, der da will, daß ihr Gewifjen 

Sich von allen Uebelthaten fehren ſoll zu ernitem Büßen. 


(98) 
Auf den Rlepax. 


Klepar, der fo manches Thier in den Magen hat begraben, 
Hat nun auch ein warmes Grab inner einem frommen Naben. 


(99) 
Doppelter Samlon. 


Weil Onander Ejelsbaden einen mehr als Samjon trägt, 
Hört man, daß zwey taufend Maden er bey Einem Käfe jchlägt. 


(100) 


Der weichende Krieg. 
Marz macht es gar zu arg, Mars tobt it gar zu fehr. 
Der Teufel, wenn er weicht, jtinkt, jagt man, dejto mehr. 


(101) 
Auf die Virna eine gemeine Wikkwe. 


Birna, der der Mann gejtorben, klaget ibt, fie jey Niemandes; 
Falls mit ihr gedienet wäre, will fie jeyn des ganzen Landes, 


(102) 
Wiedergebrachte Jungferſchafk. 
Der die Jungferfchaft benommen, 
Kann fie wiederum befommten, 
Wenn es ihr vielleicht gelingt, 
Daß fie eine Tochter bringt. 





Adıtes Bud). 261 








| (103) 
David duch Michal verborgen. 
Die Michal legt ein Bild ins Bett, an Davids Statt, 
Und dann zu feinem Haupt ein Fell von einer Biegen: 
Will mander, wie ein Bild, im Bette jtille Liegen, 
Giebt man ihm insgemein ein Fell das Hörner hat. 


(104) 
Wein. 


Guter Wein verderbt den Beutel, böfer jchadet jehr dem Magen; 
Beſſer aber ijts, den Beutel al3 den guten Magen plagen. 


(105) 
Nürnbergiſche Unterhandlung. 
Was zu Nürnberg wird gehandelt 
Wird gewiß was Gutes ſeyn; 
Denn gut Ding darf gute Weile. 
Wo e3 ſich zum ärgſten twandelt, 
Und mit Hoffnung nicht trifft ein, 
Gebe niemand Schuld der Eile. 


(106) 
MWeisheitliebende. 


Die in Sachen, die, wer weiß wo und was find, wigig find, 
Dieje find in denen Sachen, die vor Augen, oft ein Kind. 


(107) 
Auf den Arkas. 


Arkas ruft viel Hochzeitgäfte. — Woher hat er Geld genommen? — 
O! es jollen nicht die Gäfte, die Gejchenfe jollen kommen. 


(108) 
Dühls neues unter der Sonne. * 
Wie jebt die Zeiten find, jo waren vor die Beiten: 
Denn Salomon jah auch auf Pferden Knechte reiten, 
Hingegen Fürftenvolf zu Fuß wie Knechte geben. 
Die Grube fehlt nur noch. — Auch die wird man bald jehen. 


* Pred. Sal. X, 7, 8. Ich jahe Knechte auf Roſſen, und Fürften zu Fuße 
gehn, wie Knechte. Aber wer eine Grube macht, wird jelbft drein fallen, u. f. mw. 


262 Friedrichs von LTogau Sinngedichke. | 





(109) 
Die Perleumdung. 
Wenn und die Verleumdung jchlägt, 
Heilen gleich zulegt die Wunden, 
Wird, wie viel man Pflaſter legt, 
Immer doch die Narbe funden. 
(110) 
Die guke Sache, 
Sit jede Sache falich, die etiwan übel gieng: 
Sit Chriſtus Sache falich, die ihn ans Kreuze hieng. 
(111) 
Belchenkungen. 


Wer durch Gaben bey dem Richter denkt zu helfen jeinen Sachen, 
Suche lieber durd das Schenken aus dem Feinde Freund zu machen. 


(112) 
Auf den Mopſus. 
Mopjus hat ein grob Berjtändniß, meynt es jey ihm trefflih nüß; 
Denn was tölpijch dauert lange; ſtumpf wird leichtlic), was zu jpik. 
| (113) 
Auf den Pepos. 


Nepos geht in großem Kummer, aber nur bis an das Knie; 
Weiter läßt er ihn nicht dringen, bis zum Herzen fümmt er nie. 


(114) 
on meinen Reimen. 
Sind meine Reime richtig? 
Sind meine Worte wichtig? — 
Nur daß nicht beide nichtig; 
Sonſt find fie gar nicht tüchtig. 








Beunfes Bud. 263 


Sinngedichke. 
Neuntkes Buch. 
(1) 


Von memen Reimen. 


Ich weiß wohl, daß man glaubt, daß einer gerne thu, 
Das was er gerne jaat; allein es trifft nicht zu. 

Die Welt it umgewandt: ich fenne manden Mann, 

An Worten it er Mönd, an Thaten iſt er Hahn. 

Mein Reim ift manchmal frech, die Sinnen find es nicht: 
Der eine Zeug ijt Gott, der andre das Gerücht. 

Ich höhne Lafter aus, ich jchimpfe böje Zeit, 

Denn die macht großes Werk von großer Ueppigfeit. 


(2) 
Bilder. 


Bey Bildern niederfnien, das gelte wo es gilt, 
Sp gilt es da und dort doch vor ein Frauenbild. 


(3) 
Edelltein und Perlen. 


Was macht die edlen Stein und Karen Perlen werth? 
Ihr Werth nicht, fondern das, daß man fie jo begehrt. 


(4) 
Schönheik. 
Die Schönheit iſt der Schirm, dahinter Falſchheit ſteckt; 
Iſt Liebe gar zu blind, wird Falſchheit nicht entdeckt. 


| (5) 

Artheil des Mopſus. 
Egla war von blöden Augen, Phyllis war von ftumpfen Ohren, 
Niſa war von fchwerer Zunge, jede war aljo geboren. 
Soniten hatte Bier und Zucht unter ihnen gleichen Krieg, 
Sonſten hatte Bier und Zucht unter ihnen gleichen Sieg. 
Mopjus ſollt' ein Urtheil fällen ihrer drey Gebrechen wegen, 
Sprad: ijt Fühlen nur bey allen, ift am andern nichts gelegen. 


264 Friedrichs non Togau Sinngedichte. 





(6) 
Fiſche ſind nicht Fleiſch. 
Seinen Weg hat alles Fleiſch in der erſten Welt verderbt: 
Drum hat durch den Sündenfluß Gott gar recht das Fleiſch geſterbt; 
Nur die Fiſche blieben leben. Müſſen alſo billig ſchließen, 
Wer im Faſten Fiſche ſpeiſet, könne ja nicht Fleiſch genießen. 


(7) 
Hofwerkh. 
Bey Hof iſt mehr ein Pferd, 
Als oft ein Diener werth: 


Manch Diener kömmt gelaufen; 
Die Pferde muß man kaufen. 


(8) 
Auf den Simon. 


Simon iſt im Feld ein Mann: wie daß er im Haufe nicht 
Einen Rock bezwingen fann, wie er einen Harnifch bricht? 


(9) 
Auf die Gallicana. 


Du bift der Baum im Baradiefe: wer deine Frucht geichmedt, 
Hat nicht allein fich jelbjt verderbet, hat andre auch befledt. 


(10) 
Auf den Pſeudo. 


Wenn die Wahrheit fonjt nur wollte, könnte Pjeudo fie wohl freyn; 
Denn fie ift ihm zugejippet gar mit feinem Stammesreihn. 


(11) 
Großer Berren Unrechk. 


Das Unrecht pflegen Große mit Unrecht zu erjeßen, 
Weil jie dazu noch haſſen die, die fie vor verlegen. 


(12) 
Vermummte Tugend. 


Manches Laſter thut jo viel, al3 die Tugend manchmal thut. 
Wer die Münze nicht recht kennt, dem iſt jeder Grojchen gut. 





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Deunfes Buch. N 265 





(13) 
Erinnerungen. 


Zu Citronen darf man Zuder: weifen mag man, nicht verweilen; 
Und bey Fürften ſoll man Böjes dulden, aber Gutes preifen. 


(14) 
Lügen. 
Wer jein Kleid mit Lügen fliet, der befindet doch, 
Ob er immer flidt und flickt, da und dort ein Loch. 


(15) 
Auf den Ronchus. 


Ronchus it alleine ug; Klugheit bleibt ihm auch alleine: 
Denn es jucht und holt bey ihm nun und nimmer feiner feine. 


(16) 

Auf die Pudibunda. 
Pudibunda, wie fie jpricht, 
Ehret hoch des Tages Licht. 
Mer mit ihres Leibes Gaben 
Koch vor Nacht fich will erlaben, 
Muß ſich mühen, daß er madt, 
Wenn es Mittag, Mitternacht. 
Kann er ſonſt nicht Rath erfinden, 
Muß er ihr das Haupt verbinden. 
Manchem fümmt es, ders geneußt, 
Daß fie ſelbſt die Augen jchleußt. 


(ar) 
Auf ven Alkus. 


Altus iſt ein tapfrer Mann, deſſen Gleichen man faum fände; 
Tapfrer wär er, wenn er nicht, daß er tapfer, ſelbſt gejtände. 


(18) 
Berrendiener. 


Fürjten werden unverhohlen, 

Mehr als Niedere, ‚beitohlen. 

Großes Brodt giebt große Biſſen, 
Und von viel ijt viel zu mifjen. 
Großes Holz giebt große Späne; 
Ochs west mehr als Schaf die Zähne. 


266 Friedrichs von Togau Sinngedichke, 





(19) 
Die Pothwendigkeit. 


Noth iſt unjer jechiter Sinn, hat im Augenblid erfunden, 
Wo zuvor die andern fünf in Gedanken jtille ftunden. 


(20) 
Huf den Claudius. 


Claudius iſt lauter Maul, Claudius iſt lauter Zahn; 
Alle Sachen ſchwatzt er aus, jedem henft er etwas an. 


(21) 
Auf die Flora. 


Flora bat zwar wohl die Blüth ihrer Jungferſchaft verloren: 
Was its mehr? Wird nicht die Frucht, Spricht fie, vor der Blüth erforen ? 


(22) 

Die Rache. 
Zugedachte Rach ift ſüße, fie erwedet Freud in Leid; 
Ausgeübte Nach iſt bitter, macht aus Freude Traurigkeit. 


(23) 
Diebſtal. 


Daß man Einen Dieb beſchenkt, 
Daß man einen andern henkt, 

Iſt gelegen an der Art, 

Drinn ein jeder Meiſter ward. 


(24) 
Auf die Pua. 
Pua pflegt von frommen Sinnen, Zucht und Keujchheit viel zu jagen; 
Niemand hat um guten Willen fie nur jemals wollen fragen. 


(25) 
Fliegen. 
Einem träumt’ er könnte fliegen. Morgens ſtieg er auf die Bank, 
Stredte von fich beide Hände, flog jo breit er war und lang. 
Wahrlich er wär tief geflogen, hätt der Boden nicht gethan, 
Der empfieng aus Maul und Nafe fein Geblüt und manchen Zahn. 





Deuntes Bud). 267 


Wer fich jelbiten liebt und acht, laſſe Hurenliebe fahren; 
Huren geben immerdar für gut Geld gar faule Waaren. 


(27) 

Vernünftige Unvernunft. 
Menjchen find Thiere, vernünftige Thiere; 
Uber nicht alle, jo viel ich verjpühre: 
Hohe find Löwen, und wollen jich füllen, 
Machen Gejege nad Kräften und Willen ; 
Edle find Hunde, verpflichtet den Lüſten; 
Krieger find Wölfe, zum rauben und wüſten; 
Bürger find Füchſe, zum jchmeicheln und jchmiegen, 
Bortheln, berüden, finanzen und lügen; 
Buhler find Affen, zu tollen Geberden; 
Bauern find Ejel, zu lauter Bejchwerden. 


(28) 
Fürllenregiment und Pöbelregiment. 
Bey gutem Fürjtenregiment ift mehr der Bürger frey, 
Als bey des leichten Pöbelvolks verwirrter Bolicey, 
Die jtet3 nach blindem Willen geht, übt freche Tyranney. 


(29) 
Spielende Würde. 


Mancher kann durch Fleiß und Schweiß dennoch nicht zu Ehren kommen ; 
Mancher wird in Schimpf und Scherz auf die Oberbanf genommen. 


(30) 
Eine Bure zum Weibe nehmen. 


Vagus nimmt ihm itt zu eigen, was vor fein und andrer war; 
Wer Gemeines Eigen machet jtiftet Hader und Gefahr. 


(31) 
Degen und Feder. 


Kühne Fauft und blanfer Degen 
Können Würd und Ruhm erregen; 
Ruhm und Würde muß fich legen, 
Stübet Feder nicht den Degen. 


268 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(32) 
Erfahrung. 
Wer hinterm Dfen ber will von der Kälte jchliejjen, 
Mer aus dem Keller will viel von der Hibe wiljen, 
Mer eines Dinges Art nie recht erfahren bat, 
Will aber ordnen dran, will geben Rath und That, 
Dem fünmt die Schande früh, die Reue viel zu jpat. 


(33) 
Auf die Alba. 


Du, Alba, biit fo zart, jo Far, fo rein, jo weiß; 
Doch deine Weiße flekt, und darf jehr großen Fleiß. 


(34) 
Lang und kurz. 
Langer höhnte Kleinern; diefem jagte Kleiner: 
Da ich ward gezeuget war dabey nur Einer. 


(35) 
Auf den Mokhus. 


Nothus ift mit Rath gezeugt, ift gezeugt nicht ohngefähr; 
Ihrer neune waren da, gaben Rath und Beyjchub ber. 


(86) 
Auf den Mdamus. 


Erſter Adam fonnte nennen jedes Ding nad) Eigenſchaft; 
Dieſer nennet ſeine Söhne, Söhne die von Andrer Kraft. 


(37) 
Menſchliche Chorheit. 
Jedem klebet Thorheit an; 


Diefer ift am beiten dran, 
Der fein furz fie faſſen kann. 


(38) 
Der Poetenbrunnen. 


Poeten jagen viel von ihrem Brunngewäſſer: 
Das Waſſer ift der Wein, der Brunnen find die Fäſſer. 





Beunfes Bud). 969 





— — — nn 


(39) 
Auf den Pätus. 


Pätus ließ ihm neulich taufen einen lieben jungen Erben; 
Diejen wollt’ er in der Kindheit handeln lernen und erwerben: 
Aufzubringen erite Schanze, (heilig Geld muß wohl gerathen!) 
"Bat er funfzig, ihm Gevattern, feinem Rinde, treue Pathen. 


(40) 
Streithändel. 


Händel jind wie Fijcherreufen: Teichtlic fümmt man drein, 
Leichtlich ich heraus zu wideln kann jo bald nicht feyn. 


(41) 
Verleumder. 
Mein Urtheil, das mir fällt, 
Das koſtet nimmer Geld; 
Weil ſolches, unbehellt, 
Mein Richter mir beſtellt. 


(42) 
Geſundheit. 
Wird ein kranker Menſch geſund, iſt Geſundheit Gottes Gabe, 
Und dem Arzte kömmt nur zu, daß er für die Müh was habe. 


(43) 
Ein Frommer Edelmann. 


Mag denn auch ein Rittergmann 
Redlich, Fromm und ehrbar jeyn? 
Dünft mich doch, e3 steht jchlecht an, 
Giebt auch einen feigen Schein. 

Ein Bericht ijt noth, ob der, 

Der zum Rittergmann gemadt, 
Bloß gehört ins Teufel Heer? 
Dann iſt alles ausgemacht. 


(44) 
Auf den Pranus, 


Was Pravus Iehrt, das lernt er nicht, lebt arg, und lehret gut; 
Ruft Hin, wohin er ſelbſt nicht fümmt, thut was die Glocke thut. 


270 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(45) 
Meine Berren. 


Bu dienen zweyen Herren tjt ſchwer; ich diene dreyen, 

Und darf mich doch bey feinem der Redlichkeit verzeyhen. 

Gott dien ich mit dem Herzen nad) meinem beiten Können, 
Dem Fürjten mit dem Kopfe nach meinen beiten Sinnen, 
Dem Nächſten mit den Händen durh Hülf aus gutem Willen. 
Kann hoffentlich bey allen jo meine Pflicht erfüllen. 


(46) 
Tugend und Tafter. 


Wenn gar fein Lafter wär, wär feine Tugend nicht; 
Denn tugendhaft ift der, der wider Lajter ficht. 


(47) 
Perachlung der Welt. 


Hin über das Gewölke jteiget der Neiger, daß er nicht beregne: 
Wer Dunjt der Eitelfeit nicht liebet, macht, daß fein Unfall ihm begegne. 


(48) 
Rathfchläge. 


Einem Fürjten iſt gut rathen, der des Nathes Schluß und Rath 
Für ſich jelbiten fann ermeſſen, ob er Grund und Glauben bat. 


(49) 
Das Bausleben. 


Sit Glücke was und wo, jo halt ich mir für Glüde, 
Daß ich mein eigen bin; daß ich fein dienftbar Ohr 

Um wegverfaufte Pflicht darf reden hoch empor 

Und horchen auf Befehl. Daß mich der Neid berüde, 
Dep bin ich ſorgenlos; Die ſchmale Stürzebrüde, 
Worauf man zeucht nach Gunft, die bringt mir nicht Gefahr. 
sch Itehe wo ich jteh, und bleibe wo ich war. 

Der Ehre jcheinlih Gift, des Hofes Meiſterſtücke 

Was gehen die mich an? Gut, daß mir dad Vergnügen 
Für große Würde gilt. Mir ijt mehr janft und wohl, 
Als dem der Wanit zerjchwillt, dieweil er Hoffartvoll. 
Wer fich nicht biegen kann, bleibt, wann er fället, liegen. 
Nah Burpur tracht ich nicht; ich nehme gern dafür, 
Wenn ich Gott leben kann, dem Nächſten, und auch mir. 


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WENDEN. N 





Beunfes Buch. 271 





(50) 
Kin böfes Weib. 


Ein böjes Weib ijt eine Waar, die jagen wird und jagte, 
Was für ein Narr der Käufer war, der fie zu nehmen wagte. 


(51) 
- Religion. 
Was geht es Menjchen an, was mein Gewifjen gläubet, 
Wenn ſonſt nur chrijtlich Ding mein Lauf mit ihnen treibet? 
Gott gläub ich, was ich gläub; ich gläub es Menfchen nicht. 
Was richtet denn der Menſch, was Gott alleine richt ? 


(52) 
Berleumdung. 


Wenn man eine Wunde haut, fieht man eher Blut als Wunde: 
Ungunjt merft man bald bey Hof, aber nicht aus was für Grunde. 


(53) 
Plauderey. 
Wo fein Brunn, da fanns nicht fließen: 
Wer viel redet, muß viel wiſſen. 
Beit jagt viel, weiß nichts; er flide, 
Dünft mich, Lügen vor die Lüde. 


(54) 
Auf den Siccus. 


Siccus ijt ein Todtengräber, der das Geld mit Erde dedt, 
Und fein Sohn ein Taufendfünftler, der die Todten auferweckt. 


(55) 
MWeibsvolk. 


Daß ein ganzes Meer der Luft von den Weibern auf ung rinnt, 
Glaub ich gern; doch glaub ich auch, daß viel Wunder drinnen find. 


(56) 
Gelehrte Schriften. 
Wer verlachet dich, Papier ? 
Paart ſich Fuge Hand mit dir, 
Wird der Marmor nicht beitehn, 
‚Werden Zedern eh vergehn, 


272 Friedrichs von Iogau Sinngedichte, 





Hat das Eijen nicht Beitand, 
Dauert nicht der Diamant; 
Eher wirft du nicht gefällt, 

Bis mit dir verbrennt die Welt. 


(57) 
Mäßigkeit. 
Wer mäßig leben kann und wer ihm läßt genügen, 
Wird leichtlih, wird man fehn, zu feinem Schmeichler tügen. 


(58) 
Jungfrauen. 


Venus war gefährlich krank: ſchickte hin den kleinen Schützen, 
Daß er ſollte Jungfernhaut mit dem goldnen Pfeile ritzen, 
Weil ſie Jungfernblut bedurfte. Zwar der Knabe ſchoß gewiß, 
Gleichwohl merkt er, wo er hintraf, daß kein Blut ſich ſehen ließ; 
Flog betrübt zur Mutter hin, wollte drüber ſich beſchweren; 
Bis er hörte, daß durch Krieg auch die Jungfern feſte wären. 
Go) 
Auf die Florida. 
Florida, dieweil fie Schön, meynet fie, ein einzler Mann 
Sey nicht ihrer Schönheit werth; beut der ganzen Welt jih an. 
(60) 
| Auf den Criſpus. 
Criſpus meynt, wer in der Jugend ausgenarrt, ſey klug bey Jahren; 
Criſpus, meyn ich, jey noch) immer jung an Wiß und alt an Haaren. 


(61) 
Xuſtfreunde. 


Den beweinen wir am meiſten, wenn er ſich von dannen macht, 
Der am meiſten, weil er lebte, mitgeſcherzt und mitgelacht. 


(62) 
Auf die Thais. 
Thais wünscht geftrect zu jeyn unter Erde von drey Ellen. — 
Was für Erd? Ein Menſch, ein Mann Yäßt fi auch für Erde zählen. 
(68) 
Bücher. 


Böſe Bücher tügen auch, guten zu der Gegenprobe: 
Finſtres macht, daß Jedermann deſto mehr das Lichte lobe. 





Demmtes Bud. 273 


(64) 
Des Frauenzimmers Pogelfang. 


Der Herd, drauf Frauenvolf ihr Vogelwildbret fangen, 
Sit ihr gerader Leib, Stirn, Augen, Mund und Wangen ; 
Die Loder find die Wort’; und Küffen, ſüßes Bliden, 
Sind Körnung; Arme find das Nebe zum Berüden. 


(65) 
Allgemeine Arzeney. 


Mojes gab jo viel Gejege niemals als die Aerzte geben 

Dem der gern gejund will bleiben und auch gern will lange leben. 
Schweiß und Maß in deinem Thun, und die Gottesfurcht daben, 
Die erhalten lange friich: halte dich an dieje drey. 


(66) 
Das Glürk. 


Das Glüd erhebt und ftürzt die Bürger diefer Welt. — 
D Glüde thut es nicht! Nach dem fich jeder ftellt, 

Nach dem jtellt fich das Glück. Ein Sinn dem jtet3 gefällt, 
Was Gott gefällt, jteht ftets; weil Zuverficht ihn hält. 


(67) 
Pie Liebe. 


Wer in der Liebe Lebt, iſt bey Vernunft doch toll; 
Wer in der Liebe Lebt, ijt nüchtern dennoch voll. 


(68) 
Brauf und Bräutigam. 


Unter andern ift auch dieß, das von Gottes Zorn uns Iehret, 

Wenn man etwan nicht gar viel Braut und Bräutgams Stimme höret! 
An Berjonen mangelts nicht, an der Stimme mangelts ikt, 

Weil da3 Brautvolf unfrer Zeit gerne till im Winkel fitt. 


(69) 
Samſon. 

Der ſich des Löwen konnt' erwehren, 
Läßt durch ein Weib ſich kahl beſcheeren? 
(70) 

Auf ein Zweifelkind. 


Du ſeyſt dem Bater gleich? Der Vater faget: nein! — 
Die Mutter jaget: ja! Der Mutter ftimm ich ein. 
Leſſing, ſämtliche Schriften. VII, 18 


274 Friedriche von LTogau Sinngedichke. 





(71) 
Galgenſtrafen. 


Am Galgen und am Strang erworgen, iſt nicht ehrlich. — 
O ehrlich oder nicht; allein es iſt gefährlich! 


(72) 
Der Plaukiniſche Tellerlecker. 


Meine Mutter war der Hunger; ſeit ſie mich aus ſich geboren, 
Hat ſie ſich bey keinem Tage noch zur Zeit aus mir verloren. 
Zwar zehn Monath trug ſie mich und zehn Jahre trag ich ſie, 
Keines hat für dieſe Laſt anderm noch gedanket ie. 

Ich war klein, da ſie mich trug; ſie iſt mächtig groß zu tragen; 
Drum entſtunden ihr gar kleine, mir gar große Kindesplagen. 
Sch auch fühle fort und fort große Schmerzen, große Wehn, 
Auch vermerf ich, fie wird nicht jo geſchwinde von mir gehn. 


(73) 
Verſuchen. 
Wer hoch zu ſteigen denket, geſetzt er kömmt nicht auf die Spitze, 
Kömmt doch durch Steigen weiter, als blieb er ſtill auf ſeinem Sitze. 


(74) 
Glauben. 


| Luthriſch, päbjtiich, und calvinijch, diefe Glauben alle drey 
Sind vorhanden; doch it Zweifel wo das Chriſtenthum denn jey? 


(75) 
Beruf. 
Die Berfon, die ich ift führe auf dem Schauplaß diefer Welt, 
Will ih nah Vermögen führen, weil jie mir jo zugejtellt, 
Denn ich hab fie nie gejucht; wird was ander mir gegeben, 
Will ich nach des Schöpfers Auf, nicht nach meinen Lüften, leben. 


(76) 
Bleihheit. 
Der iſt nicht alleine bleich, 
Wer nicht ſatt ift und nicht reich; 
Großes Gut und jtetes Praſſen 
Macht vielmehr die Leute blafjen. 





Beuntes Bud. 275 





(77) 
Freund und Feind. 


Ein Freund, der nie mir hilft, ein Feind, der nicht3 mir thut, 
Sind beid’ aus einer Zunft; fie find gleich ſchlimm, gleich gut. 


(78) 
Gnädig und geſtrenge. 
Fürſten nennet man genädig, Räthe nennet man gejtrenge; 
Jene meynen, daß nur dieje, ihrer feiner, Leute dränge. 


(79) 
Jungfernmord. 
Geſtern war ein Freudenfeſt; drauf ward in der ſpäten Nacht, 
Eh es jemand hat geſehn, eine Jungfer umgebracht. 
Einer iſt, der ſie vermuthlich (alle ſagens) hat ertödtet, 
Denn ſo oft er ſie berühret, hat die Leiche ſich erröthet. 


(80) 
Eine Graskrone. 
Der ſein Vaterland errettet dieſen krönte Rom mit Gras. 
Blieb' uns doch ſo viel von Grünem, daß man wo zum Kranze was 
Nur für die zuſammenläſe, die das deutſche Vaterland 
(ießen fie gleich nichts darinnen) dennoch ließen, daß es ſtand. 


(81) 
Hofdiener. 

Treue Diener ſind bey Hofe nach dem Tode bald vergeſſen. — 
O ſie werden ſchlecht geachtet, wenn ſie gleich noch da geſeſſen. 
(82) 

Auf den Qarus, 

Cacus war ein junger Schelm, ift ein alter frommer Mann; 
Daß er anders ift, als war, macht, daß er itzt nimmer kann. 
(83) 

Meßhkunſt. 


Länge, Breite, Höhe, Tiefe vieler Dinge kann man meſſen: 
Andre forſchen, iſt zu wichtig; ſelbſt ſich prüfen, bleibt vergeſſen. 


276 Friedriche von Togau Sinngedichke. 





(84) 
Bluksverwandke. 


Iſt Gold das andre Blut: hat manchen Blutsfreund der, 
Dem nur der Beutel voll, und keinen, dem er leer. 


(85) 
Huf den Canus. 


Canus hat ein junges Menjchlein voller Gfut und Geift genommen: 
Zu der Hochzeit wird mand Schwager, drauf der Tod zu Gaſte fommen. 


(86) 

Theure Ruf. 
Deutſchland gab fünf Millionen, 
Schweden reichlich zu belohnen, 
Daß fie uns zu Bettlern madten; 
Weil fie hoch ſolch Mühen achten. 
Kun fie ji) zur Ruh begeben, 
Und von unferm Gute leben, 
Muß man doch bey vielenmalen 
Höher noch die Ruh bezahlen. 


(87) 
Lügen. 
Ob Lügen find der Wahrheit gleich, find fie darum ihr Kind? — 
Die Kinder find oft einem gleich, von dem fie doch nicht find. 
(88) 
. Bom Bardus. 
Wenn Bardus fpricht: Glück zu! fo ift er nicht geliebt; 
Sprit er: Gehab dich wohl! jo iſt fein Menjch betrübt. 
——— 
Huf den Trullus. 
Daß die Seele feines Weibes einen Widerhafen habe, 
Meynet Trullus, denn fie wäre, glaubt er, font vorlängit im Grabe. 
| (90) 
Die chriſtliche Liebe. 


Weiland war die Lieb ein Feuer, Wärmen war ihr nüber Brauch; 
Kun fie überall erlojchen, beißt fie nur, al$ wie der Rauch. 





Beunfes Bud. 277 








(91) 
Spielkarten. 


Karten, die bey Tage ftreiten, liegen Nachts beyfammen ftilfe; 
Weiber, die mit Männern zanfen, jtillt bey Nacht Ein guter Wille. 


(92) 
. Auf den Gumperfus. 


Gumpertus nimmt ein ſchönes Menfch, und ift gewaltig froh. 
D Tieber Gümpel, freu dich ſacht! Es ift gedrojchen Stroh. 


(93) 
Ein Bofmann. 
Wer bey Hofe lange will 
Stehen ohne Wanfen, 
Muß des Unrecht3 Leiden viel, 
Und ſich jtet3 bedanken. 


(94) 
Erde und Waller. 


Waſſers ift mehr als des Landes, wie die Künftler ausgemeffen ; 
Und man merft3 auch an den Deutjchen, die mehr trinken als fie efjen. 


(95) 
Geſundheit. 
Geſundheit kehrt bey Armen mehr als bey Reichen ein. 
Wie ſo? Sie haſſet Praſſen und kann nicht müßig ſeyn. 


(96) 
Schönheik. 
Wenn ſchöne Weiber bitten, ſo heißt es doch befehlen; 
Dann bitten ſchöne Weiber, wenn ſie das Schweigen wählen. 


(97) 
Von dem Magnus. 

Magnus hat mehr Herz im Leibe, al3 er. Geld im Beutel hat: 
Gar genug! Ein kühner Muth findt zu Neichthum Teichtlich Rath. 
(98) 

Bernunft und Begierden, 


Die Beſatzung in dem Haupte, die Beſatzung in dem Bauche, 
(Die Vernunft und die Degierden) haben immer Krieg im Brauche. 


978 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(99) 
Auf die Dlalca. 
Dlajca it zwar nicht mehr Sungfer, träget gleichwohl einen Kranz; - 
Ey fie pralet: brach die Jungfer, ift die Frau hingegen ganz. 
(100) 
Auf die Yaja. 
Caja, du berühmtes Wunder, bift du doch wie Alabafter ! 
Schade, daß du jedem dienejt, wie ein ſchlechter Stein im Pflafter ! 
(101) | 
Kin Umland, oder eine Magd. 
Ein Umstand macht, daß Beit jein Weib nicht völlig Tiebt, 
Und daß er was der Frau gehört, der Magd vergiebt. 
(102) 
Ein Gebraud. 


An manchen Orten ijt jo Brauch, die Weiber müfjen jährlich Findern; 
Sind gleich die Männer nicht daheim, jo muß doch diejes gar nichts hindern. 


(103) 
Schönheik. 
Die Schönheit iſt der Schönen Feind 
Wo frommer Sinn ſie nicht vereint. 
(104) 
Auf den Mulkius. 
Mutius ift eine Biene, fleucht herum auf allem Süßen, 
Sit nicht ſtolz was nur begegnet, zu beherzen, zu befüfjen. 
5.1405) 
Auf den Altulus. 
Daß Altutus weiſer jey, glaub ich gern, als ich; 
Daß ich frömmer ſey als er, drauf befleiß ich mid). 
(106) 
Bon meinem Buche. 
Sind in meinem Buche Pofjen, 
Die dich, Lejer, wo verdrofjen ? 
Ey, vergönne mir zu jchreiben, 
Was du dir vergönnit zu treiben! 








Behntes Bud. “ Er 279 





Sinngedichke. 
Zehnkes Buch. 
(1) 


Von meinen Reimen. 
Sind meine Reime gleich nicht alle gut und richtig, 
So find die Leſer auch nicht alle gleich und tüchtig. 


(2) 
Auf den Fuſcus. 
Fuſecus Lachet feiner Sachen, 
Lachet nicht, wenn andre lachen: 
Drum macht Er, nicht feine Sachen, 
Daß die andern mit ihm lachen. 


(3) 
Böles. 
Böſes joll man bald vergefjen, doch vergißt ſichs ſchwerlich bald; 
Gutes ftirbet in der Jugend, Böſes wird hingegen alt. 


(4) 
Boflıhminke. 
Biel küſſen, wenig herzen, 
Arg meynen, höflich jcherzen, 
Dieß iſt des Hofes Spiel, 
Man jpielt e8 täglich viel. 


(5) 
Worte. 
Das hat der Menjch voraus vor allen andern Thieren, 
Daß er, wovon er will, kann Wort und Reden führen. 
Fürwahr wir brauchen ist rechtichaffen diefe Gabe, 
E3 jcheint, daß unjer Thun ſonſt nichts als Worte habe. 


(6) 
Unbeſtändige Arbeit. 


Wer nimmer nicht? vollbringt, und fängt doch vieles an, 
Wird in Gedanken reich, im Werk ein armer Mann. 


280 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





(7) 
Auf den Banus. 
Vagus hat ſich, Glück zu fangen, immer hin und her gewagt, 
Ungewiß ob ihn das Glüd, oder er das Glücke jagt. 


(8) 

Fürftenfreundichaft. 
Weil Fürſten Menjchen find, und weil der Menjchheit Beſtes 
Die wahre Freundichaft it, (wovon man nicht viel Feites 
Bey hohen Häuptern jpürt;) jo iſts natürlich Ding, 
Daß auch ein Füritenfinn nach diefem Gute hieng; 
Am Wählen fehlt e8 nur. Sie pflegen die zu kieſen, 
Die mit getheilter Zung und frummem Knie jich wieſen. 
Bey welchem freyes Wahr, der Freundichaft Seele, wohnt, 
Der bleibt vor ihrer Gunst gar ficher und verjchont. 


(9) 
Der Welt Süßbikkres. 
Welt giebt ihren Hochzeitgäften eritlich gerne guten Wein; 
Und ſchenkt ihnen ſauern Lauer, wenn fie Schon bethört find, ein. 


(10) 
Boflpeile. 
Bey Fürftentafeln geht was auf, und wie der Bettel weiit, 
So werden Zungen immer mehr, als Herzen, da gejpeift. 


(11) 
Bauern. 
Die Bauern find fo liſtig, und find gleichtwohl jo grob ? — 
Sie finnen nur auf Eines, und halten auch darob. 


(12) 
Grabſchrifk eines Beutels. 


Hier liegt ein Beutel, der ift todt, die Seel iſt ihm entwichen ; 
Das Leben wird, thu Geld darein, bald wieder in ihn friechen. 


(18) 
Ein altes Weih. 


Alte Weiber find die Sträuche drauf vor Zeiten Roſen jtunden: 
Ob die Roſen find verblichen, werden doch die Dörner Funden. 





Behntes Bud. 





(14) 
Auf den Fallmundus. 


Fallmundus Teuget, was er jagt, und jtets, und aller Orten; 
Das macht er will fein Sklave ſeyn von feinen eignen Worten. 


(15) 
Auf den Benophilus. 
Der Hering iſt Denophilus, das Meer das ift der Wein; 
Denn jener kann nicht einen Tag von diefem troden jeyn. 


(16) 
Venus in der Mulſchel. 


Venus ward aus einer Mufchel, wie man jchreibt, geboren: 
Drum hat Frauenzimmer Berlen ſich zum Schmud erfohren. 


(17) 
Bon der Bella und Barna. 
Bella ijt ein ſchwarz Magnet, der das Eijen an fich zeucht; 
Barna iſt ein weiß Magnet, der das Eiſen immer fleucht: 
Bella liebt nicht, wird geliebt; Varna liebt, wird nicht geliebt; 
Jene giebt nicht, wenn fie nimmt, diefe nimmt nicht, wenn fie giebt. 


(18) 
Bofleute, 
Mancher it bey Hof ein Herr, taugte Bauern nicht zum Scholzen; 
Wer dajelbit die Pferde pußt, ift der ftolzefte von Stolzen. 


(19) 
Genießleute des Friedens. 
Wer hilft, num Friede wird, bey jolcherley Verwüſten 
Sich wohl am eriten auf? — Die Henfer und Juriften. 


(20) 
Auf den Bonorafus. 


Honoratus jteiget hoch, ohne Grund, nur wie ein Rauch; 
Denn je höher diejer jteigt, dejto mehr verſchwindt er auch. 


(21) 
Wilfenichaft aus dem Bernhardus. 
Theils juht man Wiſſenſchaft nur bloß zu jchlechtem Wiſſen; 
Und diejes dient dahin den Vorwitz nur zu büßeı. 


282 Friedricd;s von Togau Sinngedichte. 





Theil3 jucht man Wiſſenſchaft, damit man fey geehrt; 

Und diejes thun nur die, die Eitelfeit bethört. ; 

Theils ſucht man Wifjenjchaft, damit man was verdiene, 
Und diefes fchlägt nur aus zu ſchändlichem Gewinne. 

Theils ſucht man Wifjenjchaft dem Nächſten zum Genieß; 
Und diejes ijt ein Werf, das wahre Lieb uns hieß. 

Theils ſucht man Wiſſenſchaft, für feinen Geiſt zu forgen; 
Und dieß dient, daß man nicht darf fremde Weisheit borgen. 


(22) 
Auf den Pſeudo. 


Mir jagt Pfeudo halb fi zu, einem andern auch) jo viel, 
Und das Herz behält er ihm. — Nehm ihn gar, wer immer will. 


(23) 
Auf den Chryſophilus. 


Sehr reich bift du und auch fehr karg, Chryſophilus? Mich dünkt, 
Daß Gold, wenn es gefangen liegt, nicht mehr als Eijen bringt. 


(24) 
Berheihungen. 


Wer mit viel Verheißen zahlet, 
Zahlt mit Gelde, das man malet. 


(25) 
HNachdrückliche Worte. 


Daß der Sinn es redlich meyne, haben wir nur Ein Öemerfe, 
Wenn nicht Worte bleiben Worte, jondern Worte werden Werke. 


(26) 
Man wags. 


Wer nichts auf Glüde wagt, jtellt alles nur auf Rath, 
Irrt oft jo ſehr als der gewaget alles hat. 


(27) 
Auf den Friedenshaller DPeit. 


Beit trägt zum Frieden Haß, zum Kriege trägt er Liebe; 
Das macht, der Friede henkt, der Krieg bejchenft die Diebe. 





Zehnkes Bud). 283 








(28) 

An die Frauen. 
Krieg hat der Männer Zahl gemindert, 
Und Menſchenwachsthum jehr verhindert: 
Ihr Weiber jollt, hier Rath zu jchaffen, 
Die Sinnen recht zufammenraffen, 
Und euch fein rund und furz erklären, 
Ob ihr ſtets Zwilling' wollt gebären, 
Sonjt oder Männern nicht verargen, 
Daß fie nicht nur mit Einer fargen. 


(29) 
Per Ausgang. 


Wohl beratben, gut gerathen, bringt dem Nathe Ehr und Huld; 
Wohl berathen, mißgerathen, jebt den Rath doch außer Schuld. 


(30) 
Ropfſtrafe. 
Die Haare ſind ein Wald, der einen Berg bedeckt, 
Die Sinnen ſind das Wild, das drunter ſich verſteckt; 


Die wüten manchmal ſo, daß dann ein Jäger kömmt, 
Der Wild, der Berg und Wald auf Einen Streich hinnimmt. 


(31) 
Auf den Naſaktus. 


Naſatus ift ein großer Herr, jchidt ins Quartier und meldt fih an: 
Lafay, Trompeter ijt es nicht; wer denn? die Naje fümmt voran. 


(32) 
Dichter. 


Dichter pflegen arm zu jeyn? — Arm find die mit nichten, 
Die fich jelber Geld und Gut, Ruhm und Hoheit dichten. 


(33) 
Pon dem Cornus. 
Cornus will bey Hofe dienen: — Hat er etwann jfondre Gaben? — 


Solde nur, wie die beiten, welche Händ und Füße haben. — 
Gar genug! der ift der Beſte. Sieht man dort auf was von innen, 
Sit es nur allein der Magen; denn man achtet feine Sinnen. 


284 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(34) 
Fall im Biedern, falfıher im Böhern. 


Wer im Geringen bübelt, wo man nicht viel gewinnt, 
Wird mehr in Sachen vortheln, die mehr genießlich find. 


(35) 
Das neue Jahr. 
Abermals ein neues Jahr! Immer noch die alte Noth! — 
D das Alte kömmt von uns, und dag Neue kömmt von Gott. 
Gottes Güt ift immer neu, immer alt ift unſre Schul. 
Neue Neu verleihb ung Herr und beweiſ' uns alte Huld. 


(36) 
Bofnarren. 
Daß gern ein Fürftenhof an Narren fruchtbar ſey, 
Bleibt wahr; doch find dajelbit von jolchen meiſtens zwey: 
Der eine, den der Fürſt nach Willen jtet3 verirt, 
Der andre, der nach Lujt am Seil den Fürjten führt. 


(37) 
Huf die Lupa. 

Lupa jcheinet immer luſtig, geht in fteter Mummerey: 
Denn wer ihr Geſicht fieht, glaubet, daß es eine Larve jey. 
(38) 

Feile Eher. 


Weiland mußte man um Ehre wachen, bluten, ſchwitzen, ſchnaufen; 
Nunmehr ift fie zahmer worden, läßet fih um Münze kaufen. 


(39) 
Wahrheit und Lügen. 
Die Wahrheit it ein Del, die Lügen Wafjer; jchwinmt 
Doch endlich oben auf, wie viel man Waſſer nimmt. . 
(40) 
Gold aus der neuen Welt, 


Wie jo viel de3 goldnen Staubes hat die neue Welt gejtreuet ! 
Wie jo wenig ift erjchienen, deß die alte Welt fich freuet! 

Denn das Gold der neuen Welt macht, daß alte Welt jehr narrt, 
Ja es macht, daß alte Welt ganz in ihrem Blute ſtarrt: 





Zehnkes Buch. e 985 





Denn auf Bracten, denn auf Kriegen, pflegt man allen Schag zu wagen; 
Arme Ehrijten zu verforgen will die ganze Welt nicht3 tragen. 


(41) 
Bon mir Telbf. 


Dem Bejten gleich zu gehn das bild ich mir nicht ein; 
Hoff aber beſſer doch als Böſe noch zu ſeyn. 


(42) 
Eine Rede. 


Gute Reden find wie Jungfern, die man nach der Größe nicht, 
Die nach Schönheit, nach Geſchicke, nach Berjtand man gerne richt. 


(43) 
Auf den Päfus. 


Pätus, du und auch dein Weib lebet jtet3 in Einem Willen: 
Jedes will das andre jehn eheitens fein Grab erfüllen. 


(44) 
Unkerſchied. 


Was Einem Recht iſt, Freund, iſt nicht dem andern Recht; 
Sonſt wär des Herren Frau auch für des Herren Knecht. 


(45) 
Auf die bekreidete Lucida. 


Lucida, du ſchöner Schwan, dran zu tadeln feine Feder, — 
Wenn du nur nicht, wie der Schwan, drunter deckteſt ſchwarzes Leder! 


(46) 
Kiebesarbeit. 
Die bey der Lieb in Arbeit jtehn, 
Die wird man fait beitändig jehn 
Der andern Arbeit mühig gehn. 


(47) 
Bofedienſt. 


Nicht denke, daß du was verdienen ſollteſt können: 
Bey Hofe lohnt man nicht, was kömmt, das kömmt durch Gönnen. 


286 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(48) 
Lob und Eher. 


Wer Ruhm und Ehr erlangen will, das lederhafte Gut, 
Hat Sonst fein anders Mittel nicht, als nur Gehirn und Blut. 


(49) 
Unſchuld. 


Wer nicht ſelbſten kann betriegen, 
Wird gemeiniglich betrogen; 

Wer nicht andre kann belügen, 
Wird gemeiniglich belogen. 


(50) 
Steuerfihäßung. 
Sn unſerm Land ijt alles, ja auch das Nichts geſchätzt; 
Wir find den Alchymiſten an Kunſt weit vorgejegt! 


Sie machen Geld aus Kupfer; wir geben Geld jo gar 
Bon dem, was gar fein Weſen und faum ein Name war. 


(51) 
An einen Tyrannen. 
Friß die Schafe jelbit: (eine gute Liſt!) 
So erfährst du nicht daß der Wolf fie frißt. 


(52) 
Auf den Jaſtus. 
Du, Faſtus, macht dich groß, ein jeder ſchätzt dich Hein: — 
Die Elle, die dich mißt, wird, glaub ich, deine jeyn. 


(53) 
Das Dorf. 


Mein Gut befucht ich nächſt: das Feld war voller Segen; 
Sonſt war mir nicht fo gut als in der Stadt gelegen. 
Mein Tisch der war ein Brett. Mein Bette konnte gehen (*). 
Sch hatte frommen Trank(**). Zur Speije hatt ich jtehen 
Ein Rind, ein folches Kind, worüber, wanns geboren, 

Die Mutter fröhlich fingt (***). Ich hatte mir erfohren 

Den Platz, der zur Muſik den erjten Grund ung giebet(f). 
Und dennoch war mir wohl, und alles fiel geliebet, 


(* Ein Wagen. (**) Wafler. (+++) Ein Ey. (FT) Die Tenne. 





Rehntes Bud. 287 





Weil Ruh mir wohlgefiel. Das Zanken der PBarteyen, 

Der Ueberlauf.de3 Volks, des Hofes Schwelgereyen, 
Berleumdung, Neid und Haß, Drud, Heucheley und Höhnen, 
Die ausgejchmücten Wort und fälſchliches Beichönen 

Die hatten hier nicht Statt. Hier war ich ganz mein eigen, 
Und fonnt all meine Müh zu meinem Beften neigen. 

D Feld! o werthes Feld! Sch will, ich muß befennen, 

Die Höfe find die Höll, der Himmel du, zu nennen! 


(54) 
Fremde Bülfe. 


Man jollt’ uns Hülfe thbun: Da nahm man ein Gebiß, 
Das man in unjer Maul uns zu bejchreiten jtieß; 
Man ritt uns hin und ber, man ließ uns feine Ruh, 
Und rief dabey, man ritt ung unſrer Wohlfahrt zu. 
Die Wohlfahrt, die e8 war, war aber jo bewandt, 
Daß, eh man fie gefühlt, man uns zu Lager rannt'. 


(55) 
Arztwaller. 


Herzte bauen ihre Mühlen an die Menjchenflüfje ; 
Selten giebt es Wafjermühlen, die man jo genieße. 


(56) 
Geizige Geiſtliche. 
WViel dienen dem Altar, 
Wahr ifts, und bleibt auch wahr; 
Doc dünkt mich gleichwohl auch, 
Altar jey manchmal Bauch. 


(57) 
Auf den Darius. 


Barius thu was er thu, dennoch fann er nichts vollenden; 
Eh er erites hat gethan, hat er anders jchon in Händen. 


(58) 
Berehrungen, 


Nicht gar nichts, und nicht alles, und auch von Allen nicht 
Soll Gab und Ehrung nehmen der, den man drum bejpricht. 





288 Friedrichs von Logan Sinngedichke. 


(59) 
Bofproceß. | 
Bey Hof tft der am beiten in feiner Sache dran, 


Der, eh er wird verflaget, Elagt lieber andre an; 
Wer hier am erjten flaget, der trägt die Siegesfahn. 


(60) 
Die Weiber. 


Will man Weiber Gänſe nennen, da die Weiber doch nicht fliegen, 
Mag man e8: theild weil ſie ſchnattern, theils in Gänſefedern liegen. 


(61) 
Die Mode. 
Was ift die Mode für ein Ding? Wer fennt fie von Geficht? 
sch weiß nicht wer ſie fennen fann: ſie iſt ja angericht 
Nie morgen wie fie heute war. Sie fennt fich jelber nicht. 


(62) 
Das karge Aller. 

Alter Hilft für Thorheit nicht: Alte jollen morgen ſterben; 
Wollen dennoch heute noch, das vergraben, dieß erwerben. 
(63) 

Die Welt. 

Alles, alles überall 
In der Welt, ijt nichts. wie Schall: 
Denn all ihre Prachten 
Sind, wie wir fie achten. 
Be: 
Wer kennt fein Glücke? 
So du willſt glüdlich jeyn, jo bitte, daß dir giebt 
Gott jelten was du willft und dir zu ſehr beliebt. 
(65) 
Der Sonnen und des Menſchen Untergang. 
Untergehn und nicht vergehn 
Sit der Sonnen Eigenschaft: 


Durch des Schöpfer Will und Kraft 
Stirbt der Menſch zum Auferftehn. 


2 —— 
F — ——— a ee 








Zehnkes Buch. 289 





(66) 
- Die jeßige Weltkunft. 
Die Weltkunft ift ein Herr, das Chriftenthbum ihr Knecht: 
Der Nutz ſitzt auf dem Thron, im Kerker ſteckt das Recht. 


(67) 
Auferwerkung vom Tode. 


Kann Fröfche, Fliegen, Schwalben, Würmer, Schneden, 
Die Kaltes jterbte, Warmes wieder weden: 

So fann auch der, der alles dieß kann machen, 

Noch wohl jo viel, daß Todte wieder wachen. 


(68) 

Der jekige Friede, 
Dreyßig Jahr und drüber noch hat gewährt das deutjche Kriegen: 
Währt der Friede dreyßig Jahr, läßt ihm jeder wohl genügen. 


(69) 
Feinde der Traurigkeit, 
Sugend ijt des Trauerns Feind, ſchickt dawider in das Feld 
Buhlichaft, Wein, Mufik, und Spiel, und den General, — das Geld. 


(70) 
Beſchenkungen. 


Wer mit Gaben kämpfen will, und verlanget Sieg und Glücke, 
Schieße nicht mit kleinem Loth, ſchieß aus einem groben Stücke. 


(71) 
Weisheit der Alten. 


Nimmt der Leib erſt ab, nimmt Verſtand recht zu: 
Seele, jcheint es, hat mehr vor Leibe Ruh. 


(72) 
Gemähigke Strafen. 
Strafe joll ſeyn wie Salat, 
Der mehr Del als Eſſig hat. 


(73) 
Unverſchämk. 


Dieß ſind Laſter aller Laſter: ſich vor keinem Laſter ſcheuen, 


Sich der Laſter ſelbſt berühmen, und die Laſter nicht bereuen. 
Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 19 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(74) 
Verſuchen. 
Seine Schwachheit giebt an Tag, 
Wer verſucht und nicht vermag. 
Wer ein Ding verſuchen will, 
Prüfe ſich erſt in der Still. 


(75) 
Poefen. 
Der Dichter find genug: was jollen fie für Sachen 
Denn num durch ihren Geift berühmt und ewig machen? 


Was gut ijt das iſt rar bey Dichtern und bey Sachen. — 
- Die Böjen mögen fich auch über Böjes machen. 


(76) 
Binterliſt. 
Falſchheit ſtreicht ſich zierlich an, iſt auf Mäntel gar befliſſen: 
Wer nur will, der kennt ſie bald; denn ſie hinkt auf beiden Füßen. 


(77) 
Mehlihau. 
Mehrentheilz, weil Krieg noch währte, fiel ein Mehlthau alle Fahr 
In die zarte Jungfernblüte, der der Würmer viel gebar. 


(78) 
Auf die Clelia. 


Wahrheit kann nicht jeder hören. Clelia kann feine jehen: 
Um den Spiegel, der ihr mweijet daß fie ſchwarz ſey, iſts gefchehen. 


(79) | 
Auf den Thrax. 


Für Lauten und für Biolinen hat Thrar den Bohlihen Bod erfohren, 
Denn jene fonnten ihm nicht füllen die hohen, weiten, tiefen Ohren. 


(80) 
Schminke. 


Wollt ihr euch, ihr Jungfern, Schminken? Nehmet diefes zum Bericht; 
Wählet Dele zu den Farben; Wafjerfarben halten nicht. 





Zehnkes Bud. 


(81) 
Der Niſa Eheltand. 


Nifa nahm ihr einen Mann; — nein, man jagt, fie felber melde, 
Sie bejäße feinen Mann, fondern einen Sad mit Gelbe. 


(82) 
Pukfreunde bey Bofe. 
Werther hat fich der gemacht, 
Der zur Küch ein Rind gebracht, 
Als der einen Fugen Rath 
Da und dort. gegeben bat. 


(83) 
Fromm und klug. 


Ein Frommer und ein Kluger die find nicht immer Einer: — 
Biel befjer daß der Klugen, als daß der Frommen feiner. 


(84) 
Auf den Stilpo. 
Stilpo, du geſchwinder Kopf, hurtig weißt du einen Rath, 
Wie es hätte follen ſeyn, wenn ein Ding gefehlet hat. 
Weißt du, wie man diefe nennt, die nicht früh Hug, ſondern jpat? 


(85) 
Der Erde und des Wallers Bülfe. 


Die Erde ſpeiſt das Waſſer, das Wafler tränft die Erde: 
Damit der Menfch gejpeifet, getränft von beiden werde, 


(86) 
Göttliche Perordnung. 
Wer die Uhr gleich nicht verfteht, 
Merfet dennoch wie fie geht: 
Gottes Rath, den wir nicht fennen, 
Iſt doch immer gut zu nennen. 


(87) 
Berzeihung. 


Wie du giebit, giebt man dir. Gieb mir geneigten Blick: 
- Vielleicht verfieht man dir auch ein verjehnes Stück. 


292 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(88) 


Wiſſenſchaft. 


Viel wiſſen iſt wohl ſchön; doch, wer zu viel will wiſſen, 


Muß Ruh und gut Gemach, wohl Gut und Blut vermiſſen. 


(89) 
Jäger. 
Ihr Götter der Wälder, ihr Schüßen, ihr Jäger, 
Die Fürjten und Herren find gütige Pfleger 
Für eure Altäre, verehren jo ſehr 
Die Ballas, den Phöbus, den Conſus nicht mehr. 


(90) 
Kriegen. 
Schlechte Kunſt ift Krieg erweden; 


Schwere Laſt iſt Krieg eritreden; 
Große Kunst it Krieg eriteden. 


(91) 
Rathlıhläge. 


Wer des Freundes treuen Rath nach dem Ausgang achten will, 
Trete felber, wenn er kann, hart an da3 entfernte Biel, 
Wiß ihm felber einen Rath; darf des Freundes dann nicht viel. 


(92) 
Verwüſtete Güter. 


Seinen Beutel baue vor, wer ein wüftes Gut will pflügen: 
Wird das Gut erbauet jeyn, wird der Beutel wüſte liegen, 
Wird fi kaum ums jechite Jahr wieder aus den Falten fügen. 


(93) 
Bon der NMachtkigall. 


Bon Ferne bijt du viel, und in der Nähe nichts; 
Ein Wunder des Gehörs, ein Spotten des Geſichts: 
Du bift die Welt; auch fie iſt in der Nähe nicht3. 
(94) 
Auf einen Helopus. 


Es glänzet dein Verſtand, Aeſopus, weit und ferne; 
Ey Schade nur! ihn faßt jo ſchmutzige Laterne. 





Behntes Bud. 293 








(95) 
Chorheit. 


Es iſt zwar jelten flug wer nichts verjteht und kann; 
Doc minder wer fich jelbjt und feinen Wit zeucht an. 


(96) 
Fürften und Fellungen, 


Eine Feſtung und ein Fürjt jehn fih an für eine Sache, 
Die da jtet3 darf Vorrath, Geld, Mannjchaft und beitellte Wache. 


(97) 
Gukes. 


Was iſt das, was die Welt nennt mit dem Namen gut? 
Faſt immer iſt es das, was jeder will und thut. 


(98) 
Auf den Puplirius, 
Duplicius ift zwar ein Mann gar tüchtig unter Leute, 
Nur Schade! feine rechte Hand fteht an der linken Seite. 
(99) 
Das Waller. SE 
Ob das Wafler, fragt man oft, die die Wafjer trinken, nähret? 
Nährt es nicht, jo iſts doch gut, daß es auch wie Wein nicht zehret. 
(100) 
Der Bamenstag. 


Einen ſchlechten Namen hat, dejjen Name durch das Jahr 
Einen Tag, und fonjten nie, fundig und geehret war. 


(101) 
- Reichthum. 
Wer zu ſehr das Rothe liebt, kann das Gelbe felten haben; 
Wer ſich ſchämt, der wird nicht reich: Reichthum fodert freche Gaben. 
(102) 
Auf den Bibulus. 


Wie führet Bibulus die Sorge für fein Haus? — 
Der Magen nimmet ein, die Blaſe giebet aus. 


294 


Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





(103) 
Pie Arbeit. 


Arbeit ift der Sünde Fluch. Sollte Biger: viel ſich mühen, 
Wird er auf ſich viel Verdacht eines großen Sünders ziehen. 


(104) 
Der Apfelbif. 


Adam mußt in Apfel beißen, konnt es nicht verbefjern: — 
Weil man noch zu jeinen Beiten nichts gehabt von Mefjern. 


(105) 
Auf die Pura. 
Pura hält an ihrem Gott immer treu und feit; 
Sit hingegen, wo fie kann, ihres Nächiten Belt. 


(106) 
Auf den Tonaus. 


Longus iſt der andre Bias: was er bey und an fich träget, 
Diejes iſts was ihn ernähret und in weiche Betten leget. 


(107) 

Geſpräch eines Pfarrers und Rüſters. 
Ein Küfter ſprach: Herr Pfarr, fie bringen eine Leiche. 
Der Prieiter ſprach: Wohl gut! Sit aber eine reiche? 
Der Küster ſprach: D nein! Der Briejter ſprach: des Armen 
Deß hätte fich der Tod- noch mögen wohl erbarmen. 
Der Küster jprah: D ja! — Der Briefter ſprach: wir leben, 
Dem Tode feinen Zoll, früh oder jpät, zu geben. 


(108) 
Berleumdung. 


Wer mid) haſſet, wer mich ſchimpft, deſſen Bosheit giebt a an #0: 
Daß ihm meine Redlichfeit wo zuwider laufen mag. 


(109) 
Barren und Kluge. 


Narren herrfchen über Kluge? — Ihre Händel, ihre Saden, 
Die die Narren arg verwirren, müffen Kluge richtig machen. 





Zehnbes Buch. 295 


— —— — — — — 








(110) 
Tanges Teben. 


Langes Leben ift ein Segen, feinen Kindern giebt ihn Gott; 
Jeder wünſchet ihn zu haben: und er ift doch voller Spott. 


(111) 
Freundſchaft. 


Alten Freund für neuen wandeln, 
Heißt, für Früchte Blumen handeln. 
(112) 
Auf den Gulo. 
Gulo führt durch feine Gurgel täglich große Speifewagen, 
Daß man meynt die Landesftraße geh vielleicht durch feinen Magen. 
(113) 
Auf den Planus. 
Planus it jo hoch gewachſen, daß er bis zur Sonne geht. 
Für die Erd iſts gar verderblich, weil er ihr im Lichte Steht. 
(114) 
Ein Sperling. 

Der Sperling der ift unter Bögeln was unter Menjchen ift der Bauer: 
Sit ungeſchickt, ift jchlecht gezieret, hat Weizen lieb, it gar ein Lauer. 
(115) 

Auf den Herius. 

Wo wohnt Aerius? Wie ift fein Haus beitellt? — 

Sein Haus hat feine Thür, es ijt die ganze Welt. 

(116) 

Weibereifer. 

Weiber ſind zum Zürnen hurtig; und ihr Zorn iſt nicht zu ſagen, 

Wenn der Mann aus ihrer Küche Feuer will in fremde tragen. 
(117) 
Eheſtand. 


Das Weib iſt ihres Mannes Herz, der Mann des Weibes Haupt: 
Daß eines einem andern lebt, iſt keinem nicht erlaubt. 


: 296 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(118) 

Auläßiger Wurher. 

Ein Wucher bringet nicht Gefährde, — 
Den Wirthe treiben mit der Erde. 
(119) 

Geborgte Haare. | 
Frankreich träget zwar die Schuld daß es manchem nimmt fein Haar; 
Weiſet aber wie man braucht das was eines andern war. 

(120) 
An den Leſer. 


Lejer, wie gefall ih dir? — 
Leſer, wie gefällt du mir? 








Eilftes Buch. 297 





Sinngedichkhke. 
Eilftes Bud. 


(1) 
Von meinen Gedichten. 


Sch ſchreibe kurze Sinngedichte; um dadurch minder ſchlimm die Böen 
Zu machen, und zu höhern Pflichten mich deſto eher abzulöfen. 


(2) 
Gewaffneker Friede. 
Krieg hat den Harnijch mweggelegt, der Friede zeucht ihn. an: 
Wir willen was der Krieg verübt, wer weiß was Friede kann? 


(3) | 
Auf den Gengmundus. 


Gengmundus Lobt fich jelbit, es lobt ihn auch die Welt: 
Wenn er das Wort führt, Er; Sie, wenn er inne hält. 


(4) 
Seelenhandel. 


Jedes Land hat ſein Gewerb, ſein Geſuch und ſeinen Wandel: 
Die die gegen Norden ſind machte reich der Seelenhandel. 


(5) 
Zweyfüßige Eſel. 
Daß ein Eſel hat geſpracht, warum wundert man ſich doch? 
Geh aufs Dorf, geh auf den Markt: — o ſie reden heute noch. 


(6) 
Nuf die Hmea. 
Amea iſt jo wunderhübſch, daß Schwangere fich jegnen: 
E3 geht nicht ab ohn Mißgeburt, fobald fie ihr begegnen. 


(7) 
Bahlungsftilten. 
Es ijt zwar eine Friſt zu zahlen ausgefchrieben, 
Mit Undanf aber ift zu zahlen frey geblieben. 


298 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





(8) 
Auf den Juſtus. 


Juſtus lernet die Gejege: nun er alle kann, ' 
Meynt er, feined unter ihnen geh ihn jelber an. 


(9) 
Verleumder. 


Wer mit Weiberſchwerdtern haut, ſchadet nicht des Leibes Leben, 
Kann hingegen ſchnöden Tod unſrer Ehr und Leumuth geben. 


(10), 
Baben und Gehabk. 


Haben ift ein reiher Mann, und Gehabt ein armer Mann; 
Daß aus Haben wird Gehabt, ift oft Haben Schuld daran. 


(11)e7. 
Daz.begrabene Deutlihland. 


Wir mußten alle Bölfer zu Todtengräbern haben, 

Bevor fie Deutjchland konnten recht in fich felbit vergraben. 
Seht find fie doppelt forgfam den Körper zu verwahren; 
Damit nicht neue Geilter in ſolchen etwan fahren, | 
Und das erweckte Deutjchland nicht wiederum, wie billig, 
Auch jeine Todtengräber jey zu bejtatten willig. 


(12) 
Auf den Hlaftor. 


Alaſtor brüllet wie ein Leu. — Sit gröffer als ein Leu, — 
Er iſt ein Hirſch! Wie jehr er tobt, fo trägt er doch auch Scheu. 


= 48) 
Bofglieder. 
Was dient bey Hof am meilten ? 
Der Kopf? — Nicht ganz: die Zunge. 
Was dient bey Hof am treuften ? 
Das Herz? — O nein: die Lunge. 


= (A407 
Auf den Baldus. 


Baldus führet alle Sachen, die er führet, aufs Verſchieben; 
Will fie bey dem Weltgerichte dann auf einen Tag ausüben. 


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Eilfles Buch. —— 299 





(15) 

Abgedankte Soldaten. 
Was werden die Krieger, gewöhnet zum Wachen, 
Nun Friede gejchloffen, ins Künftige machen? 
Sie werden, des Wachens nicht müßig zu gehen, 
Sehn wie e8 zu Nachte bey Schläfern wird ftehen. 


(16) 
Auf den Beil. 


Beit gieng mit einem Herren ſchwanger, eh der ward reif, da fam fein End: 
Sch weiß nicht ob er diefen Erben auch hat bedacht im Teftament. 


(17) 
Die Merzfe.. 
Ihr Aerzte jeyd wie Götter, jagt heimlich zu dem Kranken: 
Du mußt zur Erde werden! und er muß noch wohl danken. 


(18) 
Tugemd. 
Tugend ift nicht allen nüße: wenn fih Thais ſchämen will 
Hat fie noch von guten Nächten, noch von gutem Lohne viel. 


(19) 
Die Furchk. 
Die Furcht jagt nur ſehr felten wahr, 
Leugt meiftens, wo nicht immerdar. 


(20) 
Poelerey. 


Was nützt Poeterey? Sie ſtiehlt die Zeit zu ſehr. 
O! ſchnöde Sorg und Pracht und Herrlichkeit noch mehr. 


(21) 
Lulidiener, 


Schlafen, ejjen, trinfen, jpielen, tanzen und fpazieren, 

Sonſt um nichts, als nur um diejes, Fleiß und Sorge führen, 
Die bey Hofe dieß verrichten rühmen Dienst und Treu; 

Geben nicht, fie nehmen Dienfte, jag ich, ohne Scheu. 


300 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(22) 
Ellen und Trinken. 


Wenn der Brauch, wie zuzutrinfen, alfo wäre zuzuefjen, 
Meyn ich daß man mehrern Leichen würde müfjen Särge mejjen. 


(23) 
Fremde Rleider. 
Fremde leider jchimpfen ung: weil fie aber jo gemein, 


Sit alleine der ein Narr, ders nicht will mit andern jeyn. 
Frommer Sinn in fremder Tracht bringet alles wieder ein. 


(24) 
Gewalk. 


Unbedacht iſt bey Gewalt: Wer Gewalt hat, ſcheint zu denken, 
Nachwelt werd ihm alles Frech gar vergeſſen, oder ſchenken. 


(25) 
Einfältige Jungfrauen. 
Jungfern, wenn ſie mannbar ſind, wollen dennoch gar nicht wiſſen, 
Was ein Mann ſey für ein Ding, wie ein Mann ſey zu genießen: 
Weil ſie aber meiſtens doch lieber jung' als alte nehmen, 
Fehlt es nicht, ſie haben Wind, was dabey ſey für Bequemen. 


(26) 
Verdächkige Dienſte. | 
Geht Freundſchaft und Gevatterſchaft hinein ins Amtmanns Haus, 
Sp geht gewiß des Herren Nutz zur Hinterthür hinaus. 


(27) 
Finfternik. 
Die Finſterniß ift gut, weil fie viel Sünden ftillet; 
Die Finfterniß ift arg, weil fie viel Sünden hüllet: 
Ein jedes Ding iſt gut, bös iſt ein jedes Ding, 
Nicht am fich jelbit, nach dem ein jeder es begieng. 


(28) 
Die Mittel zur Geſundheik. 


Hunger haben, müde jeyn, 
Würzt die Speife, ſchläfert ein. 





Eilftes Buch. 301 


(29) 
Bimmel und Erde, 
Der Mann joll jeyn der Himmel, das Weib will jeyn die Erde: 
Daß Erde von dem Himmel umfangen immer werde, 


Daß Erde von dem Himmel fich jtet3 erwärmet wiſſe, 
Daß Erde von dem Himmel den Einfluß jtet3 genieße. 


(30) 
Auf den Piger. 


Immer ift der Tag zu lang, immer dir zu furz die Nacht, 
Piger; weil mit Nichtsthun Tag, Naht mit Schlaf wird zugebradt. 


h (31) 
Ein Glaube und kein Glaube. 


Deutjchland joll von dreyen Glauben nunmehr nur behalten Einen; 
Chriſtus meynt, wenn Er wird kommen, dürft Er alsdann finden feinen. 


(32) 
Belonnenheit. 


Willſt du einen Wächter haben, der vor Schaden wacht? 
Nimm dir einen an zum Diener Namens Wohlbedadt. 


(33) 
Freundſchaft. 


Freundſchaft iſt ein theurer Schatz: immer hört man von ihm ſagen, 
Selten rühmt ſich einer recht, daß er ihn davon getragen. 


(34) 
Der Tod. 
Der Tod iſt unjer Bater, von dem uns neu empfängt 
Das Erdgrab, unfre Mutter, und uns in ihr vermengt; 


Wenn nun der Tag erjcheinet und die bejtimmte Zeit, 
Gebiert uns diefe Mutter zur Welt der Ewigfeit. 


(35) 
Prodenklicher und unordentlicher Perderb. 


Unordnung warf ung hin, und Ordnung läßt uns liegen: 
Das Steuern thut uns dieß, und jenes that das Kriegen. 


302 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 





(36) 
Auf den Nepos. 
Nepos richtet nach der Sonn allen Rath und alle That: 


Wenn es früh, jo wird er jung, und geht unter, wenn es ſpat; 
Denn er denfet nur auf das, was er heute darf und hat. 


(37) 
Auf eine wollüfiige Perfon. 


Wärjt du nicht ein Menjch geworden, Lieber, wozu wärjt du tüchtig? — 
Nur zur Sau: die lebt zum Freſſen, und iſt unnüß ſonſt und nichtig. 


(38) 
Bofgunft. 
Wer treu bey Hofe dient, verdient doch lauter Haß. 
Wie jo? Wem man viel joll, vor diefem wird man blaß. 


(39) 
Leid und Freude, 


Sit ein Böſer wo geitorben: 
Traure, denn er it verdorben. 

Sit ein Srommer wo verjchieden: 
Freu dich! denn er ift im Frieden. , 


(40) 
Thorheik. 
Unter Thieren iſt kein Narr. Affen treiben Gaukeleyn; 


Über dieß iſt Ernſt und Art, iſt nur Thorheit nach dem Schein. 
Bleibt dabey, daß nur der Menſch bey Vernunft ein Thor kann ſeyn. 


.. (41) 
Kleider. 


Was iſts, was uns bededt, und gleichwohl auch entdedt ? 
Das Kleid bededt den Mann und weit was in ihm jtedt. 


(42) 
Das Ber. 
Gott giebt uns, an Leib und Seele, jo viel Schäße, jo viel Gaben, 
Wil für Gaben, will für Schäge, bloß nur unſre Herzen haben: 
Wir zwar nehmen Schäß und Gaben, laſſen aber Schäß und Gaben 
(Nicht der Schä und Gaben Geber) unfre ganzen Herzen haben. 





Eilftes Buch. 303 








(43) 
Das Kreuz. 


Gottes Kelch iſt bitter trinken, fonderlich der letzte Grund; 
Böſen ijt das lehte Saufen, Frommen erjter Trunk vergunnt. 


(44) 
Mütterliche Tiebe, 
Die Mutter trug im Leibe das Kind drey Biertheil Jahr; 
Die Mutter trug auf Armen das Kind weils ſchwach noch war; 
Die Mutter trägt im Herzen die Kinder immerdar. 


(45) | 
Gegenwärkige und verlorene Tugend, 
Tapfre Leute fieht der Neid gern begraben, 
Ausgegraben, wenn fie nicht mehr zu haben. 
(46) 
Geld, 


Der Menjchen Geift und Blut ift io Gut und Geld: 
Wer dieß nicht hat, der ift ein Todter in der Welt. 


(47) 
Chriſtliche Liebe, 
Liebe faufte neulich Tuch, ihren Mantel zu eritreden: 
Weil fie, was durch dreyßig Jahr Krieg verübt, foll alles deden. 


(48) 
Bundesfreue. 


Hunde leden fremden Schaden: Menfchen find viel minder treu! 
Seder muß ihm felber rathen, Fremde tragen Teichtlich Scheu. 


(49) 
Zuwachs der Diebe. 


Diebe, die der Krieg gejät, läßt der Friede reichlich finden, 
Und der Henfer mäht fie ab; wird in Hanf die Garben binden. 


(50) 
Auf den Bigriranus. 


Kein Menſch kann zweyen Herren dienen. Hiezu weiß Nigricanıs Rath, 
Der feinen Gott auf feiner Zunge, den Teufel in dem Herzen bat. 


— — 


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304 Friedrichs von LIogau Sinngedichke. 





(51) 
Bofleben, 


Bon dem Leben an den Höfen hab ich manchmal viel gelefen: — 
D das Leſen ift mir bejjer, al3 das Selber da geweſen. 


(52) 
BZornurxkheil. 


Wo der Zorn der Richter iſt, hat Gerechter ſchon verſpielt: 
Weil der Horn nicht auf das Recht, jondern auf die Race zielt. 


(53) 
Rathen. 


Wer andern Rath ertheilt giebt wider ſich den Rath: 
Denn Horn erfolgt für Dank, wenn Rath gefehlet hat. 


(54) 
Poxten. 


Es helfen große Herren Poeten zwar zum Leben, 
Die aber fünnen jenen, daß fie nicht fterben, geben. 


(55) 
Begierden. 


Begierden find ein hartes Pferd, das jeinen Reiter reitet, 
Wenn nicht Vernunft fein Maul verjteht und recht den Bügel leitet. 


(56) 
Die Wahrheit. 


Bey Hofe jagt man nicht von Wahrheit allzuviel: 
Es will nicht, wer da darf; es darf nicht, wer da will. 


(57) 
Wohlkhak. 


Die Wohlthat und das Gute, das wir dem andern ſchenken, 
Iſt ſattſam uns vergolten, wenn andre dran gedenken. 


(58) 
Verheißungen. 


Dein Ja ſoll ſeyn ein Pfand, bey dem ſich ſicher weiß, 
Wer ſein Vertrauen dir geliehn auf dein Verheiß. 








Eilfkes Buch. 305 





(59) 
Todesfurchk. 


Wer Sterben ängſtlich fürchtet, der höre meinen Rath: 
Er lebe wohl. Was bleibet, wovor er Grauſen hat? 


(60) 

Reime aus dem Skegereif. 
Auf Einem Fuße ftehn und hundert Verje jchmieden, 
Das hab ich nie gefonnt, und bins auch wohl zufrieden, 
Daß ich es noch nicht kann. Ein Pilz wächſt Eine Nacht, 
Die andre fällt er Hin, drum wird er jchlecht geacht. 
Des Bachus ſüßer Saft, worauf Poeten pocen, 
Muß erjt durch Sonn und Zeit zahm werden und wohl kochen. 
Das Waller, das mit Macht aus allen Riten quillt, 
Hat jeinen Nuß zwar auch, nur daß es wenig gilt. 


(61) 
Ehre, 


Wenn Ehr und Eigennuß in einer Sache ftreiten, 
Sp fiehe daß du ſtehſt der Ehr an ihrer Seiten. 


(62) 
Perleumdung. 
Daß ein Frommer dich geſchmähet, trau nicht Leichtlich auf Bericht; 
Daß ein Böfer dich gefchmähet, wundre dich darüber nicht. 
(63) 
Reichthum. 
Viel haben nicht; nicht viel bedürfen machet reich: 
Wenn ihr nicht habt, was ihr nicht dürft, was fehlet euch? 
(64) 
Beucheley. 


Die Redlichkeit iſt Gold, die Heucheley iſt Erde: 
Zu ſuchen die aus der, darf Kunſt und hat Beſchwerde. 


(65) 
Bücherſtube. 
Dieſes iſt ein Todtengrab, und die Todten reden gar: 


Zeigen was entfernet iſt, ſagen was geſchehen war. 
Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 20 


306 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(66) 
Ein Rath. 


Kennt ein Rath nicht feinen Fürjten, und der Fürjt nicht feinen Rath: 
Räth ſichs übel, folgt fich$ übel, und der Rath kömmt nicht zur That. 


(67) 
Stlllamkeit. 
Se heller Feuer brennt, je minder Feuer raucht: 


Se mehr bey einem Witz, je mehr er Glimpf gebraucht. 
(68) 
Ein menſchlich Bieh. 


Mancher weiß nicht durch Vernunft rühmlich ſich zu weiſen; 
Sudt darum durch Unvernunft fich uns anzupreifen. 


(69) 
KLobgeiz. 


Wer hungrig ift auf Lob, ift gern an Tugend leer. 
Die Tugend hat genug, darf Lob nur ohngefähr. 


(70) 
Ein verfoffen Weib. 


Ein Weib, das gerne trinkt, jpeyt unverjehend aus 
Ihr Ehr und gut Gerücht, und endlich Hab und Haus. 


(71) 
Gelehrte Teufe. 


Die Gelehrten find nicht gerne von den Alten und den Rothen; 
Denn fie find zu allen Zeiten untermijchet mit den Todten. 


(72) 
Auf den Biger. 


Niger chiekte feine Ohren auf den Markt, da fauften jie 
Einen Titel: Einen ärgern Schelm, als Nigern, jah man nie. 


2: A790) 
Eine ſchöne Frau. 


Meiitens find nur ſchöne Weiber nütze bey der Nacht; 
Shre Werfe find bey Tage Müßiggang und Pracht. 





Gilftes Bud). > 307 





(74) 
Die Rinderkrankheif, der Froſch. 

Udus wird gewiß den Froſch unter feiner Zunge haben, 
Den er immer fort und fort muß mit etwas Naſſem laben. 
(75) 

Auf ven Maanulus. 


Die Tadel unfrer Zeit wird Magnulus genannt? — 
D fie ift nur von Beh, und hat noch nie gebrannt. 


(76) 
Die Stadt. 


Der Sad, worein der Krieg, was er gejtohlen hat, 
Hat alles eingepadt, wo war er? — In der Stadt. 


(77) 
Treue Bofdiener. 


Wer den Herren um hilft jtoßen, diefer iſt ein treuer Diener; 
Wer den Herren auf hilft heben, diejer gilt nicht einen Wiener. 


(78) 
Auf die Bulpia. 
Bulpia weint um den Mann, weinet Tag und weinet Nacht; 
Nur daß ihrer Seufzer Wind bald die Thränen troden madt. 


(79) 
Ungeſchickke Diener. 
Bauern, wenn die Mefjer fehlen, ſtecken Holz in ihre Scheiden: 
Herren mögen dumme Köpfe gern in Ehrenänter Heiden. 
(80) 
Leumuth. 


Ehre — nicht großen Riß, ſo bekömmt ſie ſolch ein Loch, 
Das man, wenn man immer ſtopft, nimmer kann verſtopfen doch. 


(81) 
Ein Geiziger. 


Wenn ein Geiziger geftorben, hebt fein Schaß erſt an zu leben: 
Seder will bey diefem Rinde willig einen Pathen geben. 





308 Friedrichs von Logau Sinngedichte, 


(82) 
Gefahr. 
Gefahr der Ehre gleicht: 
Folgt dem, der vor ihr mweicht. 
(83) 
. Auf den Kurcus. 


Lureus ſpricht: Es iſt nicht löblich einen loben ins Gefichte. 
Recht; viel minder it es löblich, daß man einen hinten richte, 


(84) 
Auf den Bardus und Mopſus. 
Mopſus hat gar nichts verftanden, ob er gleich jehr viel gehört; 
Bardus hat gar wohl jtudiret, dennoch ift er nicht gelehrt. 


(85) 

Vergebliche Sorge, 
Sorgen, und doch nichts erjorgen, 
Heißt, was nicht zu zahlen, borgen. 

(86) 
Auf den Puplus. 


Duplus iſt ein Spiegelmann: was man fieht das hat fein Seyn, 
Sieht zwar wie ein Biedermann, aber hat nur bloß den Schein. 


(87) 

Alexander der Große. 
Den Alerander hieß man groß? 
Er war ein großer — Erdenfloß. 

(88) 
Auf den Tefcus. 


Du bijt ein feines Kind, hängft an Erynnis Bruft; 
Des Neides blaue Milch ijt, Tetrus, deine Luft. 


(89) 
Freundeshülfe. 


Danke Gott, wer Hände hat, daß er felbft fich kann verforgen. 
Der, der ſelbſt nicht Hände hat, kann fie wahrlich nirgends borgen. 





Eilftes Bud). — —— 309 








(90) 
Sterben. 


Ob Sterben graufam ift, jo bild ich mir doch ein, 
Daß lieblichers nichts ift, als das Geſtorben jeyn. 


(91) 

Geiz. 
Wer Gold, ihm nicht zum Brauch, der Welt zum Dienfte, nüßet, 
Hat das, was der hat, der im Stollen Gold befiget. 


(92) 
Undank. 


Dem, der Haß und Undank leidet, einem ſolchen trau ich zu, 
Daß er redlich ſich verhalte und mit Treu das Seine thu. 


(93) 
Fürſtliche Kleidung. (*) 
Gerechtigkeit, das Kleid, und Necht, den Fürftenhut, 
Wer dieje beide trägt, derfelbe Fürſt jteht aut. 


(94) 
Menſchliche Unvollkommenpeit. 


Daß wir unvollfommen find wenn wir dieß erkennen, 
Kann man dieß Erkenntniß ſchon eine Behrung nennen. 


(95) 
Einfälkiges Gebet. 


Die Einfalt im Gebet ift großer Witz vor Gott; 
Genug wer ihm vertraut und nennet bloß die Noth. 


(96) 
Gingeborne Diener. 


Wahr its, daß von fremden Bäumen man doch Früchte baben kann: 
Wer die Früchte ſamt den Bäumen eigen hat, ift bejjer dran. 


(97) 
Die Gelegenheit. 


Der Will ijt zwar ein Neijfemann, der da und dort hin will: 
Spannt ihm Gelegenheit nicht vor, jo kömmt er nicht ans Ziel. 


(*) Hiob XXVIIL, 14. 


310 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(98) 
Leichtgläubigkeit, 
Wer gar nichts glaubt, glaubt allzuwenig; wer alles glaubt, glaubt 
gar zu viel; 
Behutſamkeit hilft allen Dingen: im Mittel ift das befte Ziel. 
(99) 
Balz und Rxreuz. 


Das Kreuz und auch das Salz find beide gleich und gut: 
Das faule Fleiſch dämpft dieß, und das den wilden Muth. 


(100) 
Auf den Morus. 


Morus ift zwar wohl fein Narr, nur daß Manchem Wunder nahm, 
Daß er alles ftieß heraus, was ihm in die Baden fam. 


(101) 
Zuſtand. 
Beßres Glücke könnt ich leiden; kömmt es nicht? ich bin vergnügt; 
Wenn ſichs nur mit mir nicht ärger, als ich itzt es habe, fügt. 
(102) 
Auf den Teporinus. 
Leporinus jagt mit Hunden, Vetter Haſen nachzuſetzen: 
Kennten ihn die Hunde beſſer, würden ſie ihn ſelber hetzen. 
(103) 
Auf den Flavian. 
Ein Spiegel iſt dein Herz, du guter Flavian: 
Es nimmt die Bildungen von jeder Schönheit an. 
(104) 
Auf den FJirmus. 


Firmus iſt ein treuer Buhler, iſt wie die Magneten, 
Die ſich nie von einem Sterne zu dem andern drehten. 


(105) 
Kine reiche Alte, 


Reich und häßlich Tiebt man halb: — 
Sit Aarons goldnes Kalb. 





Gilftes Bud. 311 








— — — — — 


(106) 
Auf den Siccus. 


Siceus ift ein frommer Mann; und e3 ift die Sage, 
Daß er (wenn er nicht mehr hat) faſte manche Tage. 


(107) 
Auf den Barriberfus. 


Gut macht Muth. Wenn Narribertus nur zwey Thaler bey fich hat 
Weiß er durch das Thor zu gehen feinen Raum und feinen Rath. 


(108) 
Ein ungelaken Gaflgebof. 
Kein Wunder ifts, daß fich daſelbſt ein Efel findt, 
Wo Wirth, wo Koft, wo Saft nicht recht gejalzen find. 
(109) 
Waſchhaft. 
Ein Plaudrer ſtiftet Haß, pflegt Freundſchaft zu verſtören. 
Wer nichts verſchweigen kann, ſoll billig auch nichts hören. 
(110) 
Ein Menſch des andern Wolf. 
Meine Dienſte: ſagt die Welt. — Deine Dienſte ſind ſo gut, 
Liebe Welt, als wie der Dienſt, den der Wolf den Lämmern thut. 
(111) 
Leib und Seele. 
Sit die Seele Wirth, und der Leib ihr Haus: 
Wie daß diejes denn jenen oft jagt aus? 
(112) 
Ein geſchminkker Freund. 


Ptohus rufet feinen Freund in der Noth um Beyſchub an: 
Diejer ſchickt ihm Hülfe zu, ſpannet aber Krebſe dran. 


(113) 
Trunkenbolde. 


Die, die immer gerne trinken, müfjen nicht ſehr weit gedenken: 
Wenn fie jebt getrunfen haben, joll man ihnen wieder fchenfen. 


312 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





(114) 
Auf den Rnoſpus. 
Knoſpus hat zwey taujend Gilden auf ſein Lernen angewandt. 
Wer dafür ihm funfzehn zahlet, zahlet mit gar reicher Hand. 
(115) 
Soldaken. 


Brodt und Waſſer giebt man Sündern, die am Galgen ſollen büßen: 
Waren Krieger denn noch ärger? denn ſie mußten es oft miſſen. 


(116) 
Ein Freum. 


Weißt dur, wer ein guter Freund wirklich ift und billig heißt? — 
Der fi, wenn du ihm nicht fiehit, deinen Namen Freund ermeift. 


(117) 
Kin ausgeklärtes Gemüt. 


Befjer als durch Aderlafjen reiniget man jein Geblüte, 
Wenn man jchwere Sorgen meidet und fich freuet im Gemüthe. 


(118) 


Rakhſchläge. 


Dieſes iſt der beſte Rath, den man kann zu Werke ſetzen: 
Weisheit, die nicht wirken kann, iſt für Thorheit nur zu ſchätzen. 


(119) 
Gerechkigkeik. 


Das Recht ſchleußt für die Armen ſich in ein eiſern Thor: 
Schlag an mit goldnem Hammer, ſo kömmſt du hurtig vor. 


(120) 
Die Wahrheit. 
Weil die Wahrheit harte Elinget und zu reden ſchwer kömmt an, 
Schont jie mancher, der fich fürchtet, fie verleg’ ihm einen Zahn. 
(121) 


Frauenzimmer. 


Wer will der Weiber Tüd erfunden und entdeden ? 
‚Sie find geſchmückt jo jchön! gehn in jo langen Röden! 





Gilftes Bud. 313 





(122) 
Auf den Panus, der mit großer Mühe nichts that. 


: Herr Vanus ijt ein Mann der nimmermehr kann ruhn: 
Er müht fich, daß er jchwigt, im leeren Garnichtsthun. 


(123) 
Dax Urkheil des Paris. 
Daß Paris nicht recht klug im Urtheln ſey gewejen, 
Meynt jeder, der von ihm gehöret und gelejen: 


Mich dünfet immer noch, ihm fiele mancher bey, 
Stünd ihm nur Helena dafür, wie jenem, frey. 


(124) 
Menſchen ſind Menſchen. 


Trägt der Diener Menſchenhaut, trägt der Herr ein Menſchenhemde: 
Herren iſt das Fehlen auch, wie den Dienern, ſelten fremde. 


(125) 
Wolluſt und Schmerz. 


Das Letzte von der Hitze giebt Anfang auf den Froſt, 
Den Anfang auf das Trauern das Letzte von der Luſt. 


(126) 
Anſehen. 
Das Anſehn wird erhalten, wenn jeder ſich erweiſt 
So wie ſein Stand es fodert, und ihm ſein Amt es heißt. 
Wenn Kaufleut Edelleute und Pfaffen Krieger ſpielen, 
Wird Anſehn keinem kommen, weil ſie den Zweck verzielen. 


(127) 
Weiber ſind Menſchen. 
Ob Weiber Menſchen ſind? — Sie haben ja Vernunft, 
Sie lieben fort und fort; denn wilder Thiere Zunft 
Hegt nur zu mancher Beit der ſüßen Liebe Brunft. 


(128) 


Bofwik. 
Wer nicht bey den jchlauen Höfen jedem Kopfe weiß zu kommen, 
Der hat felber nicht nach Hofe was von Kopfe mitgenommen. 
Wer da bey den jchlauen Höfen jedem Kopfe weiß zu kommen, 
Der hat nur den Kopf nach Hofe, das Gewiſſen nicht, genommen. 


314 Friedrichs von Iogau Sinngedichke. 





(129) 
Das fromme Alter. 


Wenn die Wolluft uns verläßt, dann fümmt uns die Andacht an: 
Himmel hat den alten nur, Welt hat vor den jungen Mann. 


(130) 
Reformafion. 
Immer dünft mich, wer nicht hat, der mag glauben was er will; 
Denn um feine Seligfeit müht fich feiner Teichtlich viel. 
(131) 
Das neue Jahr. 
Db das Jahr gleich alle Fahre fich gewohnt ijt zu verjüngen, 
Dennoch kann der Jahre Jugend Menſchen nichts als Alter bringen. 
(132) 
Merkzeichen des Gemülhs. 
Was an dem Manne jey, weiſt feiner Augen Schein, 
Sein Amt, ein Beutel Geld, und dann ein Becher Wein. 
(133) 
Von meinen Reimen, 


Wo ih Reime jchreiben joll die gefällig allen bleiben, 
Leg ich meine Feder weg und begehre nicht3 zu jchreiben. 








Bwölftes Bud. 315 





Sinngedichke. 
Zwölftes Buch. 


(1) 
Bon meinen Reimen, 
Ihr Reime, die ihr Hinten jteht, habt einen guten Muth! 
Kein Menjch fümmt zu euch legten her, wenn nicht die erften gut. 
Sind aber nur die erjten gut, jo geht ihr euern Schritt, 
Ob ihr gleich nicht den Rang befommt, doch unter andern mit. 


(2) 
Menſchlicher Buftand. 
Der Mensch bringt nichts davon, wie lang er immer Iebt, 
Als daß man ihn vergißt, gleichwie man ihn begräbt. 
(3) 
Ein ehrliches Leben und Teliger Tod. 


Wer ehrlich hat gelebt und jelig ift gejtorben, 
Hat einen Himmel hier und einen dort erworben. 


(4) 
Boheit und Demuth. 
Man fieht nicht leicht, daß Demuth der Ehre Schritt begleite, 
Bielmehr, wenn. diefe fteiget, weicht jene von der Seite. 
(5) 
Bald verlagen und bald geben. 


Wer bald mir was verfagt, der giebt mir dennoch was; 
Wer bald giebt, was er giebt, der giebt mir zweymal das. 


(6) 
Ehre und Boffart, 


Mancher meynet Ehr und Würde jcheine nicht an ihm hervor, 
Wenn fie nicht fteh ausgejtellet auf der Hoffart Berg empor. 


316 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(7) 
Auf den Purus. 


- Durus hört manch jpigig Wort, wird dadurch doch nicht bewogen; 
Hat den Ohren, wie man meynt, einen Harnifch angezogen. 


(8) 
Werke des Krieges und des Friedens. 


Krieg der macht’ aus Bauern Herren: Ey es war ein guter Handel! 
Sriede macht aus Herren Bauern: Ey es iſt ein Schlimmer Wandel! 


(9) 
| Beſcheidenheik. 
Wodurch wird Würd und Glück erhalten lange Zeit? 
Ich meyne: durch nichts mehr, als durch Beſcheidenheit. 


(10) 
Rathlıhläge. 
Die Bögel fängt man fo, wie man nad) ihnen jtellt: 
Der Ausschlag Fällt nach dem, nach dem der Anfchlag Fällt. 


(11) 
An ven Micus. 


Mirus, daß die Kunftgöttinnen alles Wiffen dir gewähret, 
Sit zu wenig: du haft völlig die Vollkommenheit geleeret! 


(12) 
Auf den Hermes. 


Hermes ift der befte Nedner, weit und breit und um und um; 
Ein Gebrechen iſt bedenklich: manchmal iſt er ſilberſtumm. 


(13) 
Grabfihrift. 


Ein Todter Tieget hier, der, wie er war ſein Tod, 
So war er auch fein Grab, und feines Grabes Spott. 


(14) 
Böllerey und Plauderey. 


Wer viel redet muß viel trinken; trinft der Redner aber viel, 
Kann er nur jehr felten reden was er will, und wenn er will. 





awölftes Bud. 317 


(15) 
Auf die Submilla, 


Submifja. jucht ein jchnödes Geld durch gar ein jchändlich Leben; 
Meynt, jey es jchändlich gleich verdient, ſeys ehrlich doch gegeben. 


(16) 
Auf den Prantes. 


Drances wünſchet feinem Weibe langes Leben: (denn ihr Geld, 
Das fie gab, verdient es billig;) — doch er meynt, in jener Welt. 


(17) 
Bom Prpheus und der Kuridiee. 


Niemand um ein todtes Weib fährt zur Hol in unjern Jahren; 
Aber um ein lebend Weib will zur Hölle mancher fahren. 


(18) 
An den Plufus, 
Du haft viel Preis, und glaubft dieß jey der Ehre Sohn; 
D nein! der Heucheley: man preifet dich ums Lohn. 


(19) 
Zärklichkeik. 
Wer gar fein Ungemach begehret auszuſtehen, 
Muß in der Welt nicht ſeyn, muß aus der Menſchheit gehen. 


(20) 
Auf den Gnilcus. 


Gniſeus thut niemanden nichts, dennoch ift ihm niemand gut. 
Eben darum, weil er nie feinem etwas Gutes thut. 


(21) 
Auf den Glaukus. 


Um einen Sad voll Geld nahm Glaufus, wie ich meyne, 
Sein ausgefleifchtes Weib, den alten Sad voll Beine. 


(22) 
Stehlen. 


Stehlen darf nicht viel Verlag, und hat dennoch viel Genieß; | 
Trägt es fonjt auch nichts mehr ein, ift doch Holz und Hanf gewiß. 


318 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





(23) 
Das andere Weib. | 
Die andre Frau pflegt lieber als erite Frau zu jeyn. — 
Das madt, es it die erjte nichtS mehr, als Aſch und Bein. 
(24) 
Auf den Fürſprecher Lallus. 
Wenn Lallus etwan Sachen bat, iſt allen Richtern bange; 
Sie füdern ihn: Ums Recht? o nein, — er redet graujam lange. 
(25) 
AFxxundſchafk und Gold, 

Gold und Freunde find gleich köſtlich: jederley von dieſer Waar 
Sucht man mühjam, findt man jparfam, hat man immer mit Gefahr. 
(26) 

Das Leben, 


Lebeten wir bier ſtets nach unjerm Willen, 
Würde Lebensluft nimmermehr fich jtillen. 


(27) 
erfand und Unverſtand. 


Ein fälſchlicher Verdacht, ein blinder Unverjtand, 
Wo die Regenten find, da räume du das Land. 


(28) 
Auf den Marcus. 
Man nahm dir, Marcus, alles Gut: wie bift denn du noch ſelbſt genejen? 
Man hätte dich wohl auch geraubt, wär nur an dir was Guts geweſen. 
(29) | 
Auf einen Todlgefoffenen. 
Der vom Weine gejtern todt, ift vom Tode heute todt: . 
Daß ihm Wein ins Handwerk fiel, hielt der Tod für einen Spott. 
(30), 
NArmukh. 


Ob die Armuth gleich nichts hat, giebt ſie dennoch reiche Gaben: 
Durch ſie kann man Sicherheit und ein gut Gewiſſen haben. 





Bwölftes Buch. — 319 








(31) 
Blendung kömmk vor Schändung. 


Wer kürzlich werden ſoll geſtürzet und geſchändet, 
Wird meiſtentheils vorher bethöret und geblendet. 


(32) 
Der Bauch. 


Der Bauch der iſt der Beutel, drein legt man alles Gut; 
Man thut nur ihm zum Beſten das meiſte was man thut. 


(33) 

Die Melt. 
Die Welt iſt wie das Meer: ihr Leben ift gar bitter; 
Der Teufel machet Sturm, die Sünden Ungewitter; 
Die Kirch ijt hier das Schiff und Chriftus Steuermann, 
Das Segel ijt die Reu, das Kreuz des Schiffes Fahn, 
Der Wind ift Gottes Geiſt, der Anker das Vertrauen, 
Wodurch man hier kann ftehn, und dort im Port fih ſchauen. 


(34) 
Auf den @ofta. 
Die Seel ift Herr, der Leib ift Knecht: Befenn es, Cotta, frey, 
Daß bey dir gar (wie iſt der Herr?) der Knecht ein Schelme jey. 
(35) 
Auf den Cornius. 
Cornius hat auf dem Haupt einen unbenannten Schaden: 
Weiland in Ceraftia war manch Mann damit beladen. 
(36) 
Der Liebe Wahrung. 
Ein Buhler, daß er Lieb entzünde, 
Nimmt Gold zum Holz, nimmt Lob zum Winde. 
(37) 
Krieg wiſchen Bier und Port. 


Hier und Dort find Brüder zivar, 
Doh ein ganz verfehrtes Paar: 
Hier führt wider Dort viel Krieg, 
Doch behauptet Dort den Sieg. 


320 Friedrichs von Logau Sinngedichte, 





Jeder muß in diefen Zug: 

Wer dem Dort dient, der it flug; 
Dort belohnt mit lauter Gott, 
Hier bezahlt mit lauter Tod. 


(38) 
Gelehrk. 


Wenn einer meynt er lerne noch, ſo kömmt ſein Witz empor; 
Wenn einer meynt er ſey gelehrt, ſo wird er itzt ein Thor. 


(39) 
Pie Elemente. 


Wie viel find Element? — Man jagt von vieren, auch von zweyen. — 
Kein, fünfe: denn das Gold will aud ſich mit darunter reihen. 


(40) 
Das Glück, ein Weib, 


Man malt das Glüde wie ein Weib num fchon ſeit langer Zeit: 
Weil jie beitändig, wie ein Weib, in Unbejtändigfeit. 


(41) 
Auf ven Myorxus. 


Morus fennet Kräuter, Steine, Erz und Vögel, Fiſch und Thiere; 
Kennt den Hafen doch nicht eigen, den er tränft mit Wein und Biere. 


(42) 
Die Geltalf, 


Wer, Flora, dein Gefichte nennt, der hat ein ſchönes Gut genannt, 
Das aber, wenn ein Fieber fümmt, in einem Nu ift weggebrannt. 


(43) 
Ich bin wer ich bin, fo bin ich des Beren, Lukh. 


Begehrt mich Gott nicht reich, und fonft von hohen Gaben, 
So jey ich wie ich bin, er muß mich dennoch haben. 


(44) 
Feile Hemter. 


Wer die Aemter fauft um Geld, diefem ift ja nicht benommen, 
Dad er Recht zu Markte führ’, feinem Schaden nachzufommen. 


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Zwölftes Bud. 321 





(45) 
Die Tugend. 


Tugend, rufet Echo wieder, wer im Walde Tugend ruft. 
Tugend ift beym meiſten Volfe nichts als Schall und Wind und Luft. 


(46) 
Das Eilen. 


Das Eifen dürft ich mehr, das Gold viel minder preifen: 
Ohn Eifen fümmt nicht Gold, Gold bleibt auch nicht ohn Eifen. 


(47) 
Auf den Säufer Bonofus. 


Bonofus ift ein Fleiſcher: das Glas, daraus er tranf, 
Dran hübe ſich ein andrer, der nicht ein Fleischer, krank. 


(48) 
Selbfibefrug. 


Man jagte: Du Betrieger! — Das wollte Franz nicht leiden; 
Man ſagte: Deiner jelbiten! — Deß mußt er jich bejcheiden. 


(49) 
Unverſchämk. 
Wer ſich gern ſieht aller Orten, wer ſich nirgends nimmer ſchämt, 
Kann dem Glück ſich leicht bequemen, wenn Glück ihm ſich nicht bequemt. 


(50) 
Bon dem Milo. 
Mein Glüd, jpricht Milo, thut mir nichts von dieſem allen, 
Was ich mit gutem Fug verlange, zu Gefallen. 
Glück ſpricht: Wenn du begehrit was gröffer nicht als du, 
Was in dir Raum nur hat, weil’ ich dirs gerne zu. 


(51) 

Mikaunk. 
Mißgunſt ſey ſonſt wie fie will, dennoch iſt ihr Eigenthum, 
Dad fie immer mehr verflärt al3 verdunfelt unjern Ruhm. 


(52) 
Der Spiegel des Gerüchte. 


Was der Spiegel dem Gefichte, 
Sit den Sinnen das Gerüchte. 
Leſſing, fämtlihe Schriften. VII. 21 


322 Friedrichs won Togau Sinngedichte. 





(53) 
Bier [md wir, dorf bleiben wir. 
Sch bin, ich bleibe nicht in Diejer fchnöden Welt: 
Und weil das Bleiben mir mehr al3 das Seyn gefällt, 


Sp lieb ih Sterben mehr als Leben; denn alsdann 
Hör ich zu jeyn erſt auf, und fang zu bleiben an. 


(54) 

Zweyerley Badht und zweyerley Tag. 
Zwey Nächte hat der Menſch, der Menjch hat auch zwey Tage, 
Drauf er fich freue theils, theils drüber fich beflage: 
Der Mutter Leib ift Nacht, das Grab ift wieder Nacht; 
Geburt giebt Einen Tag, wie Tod den andern madt. 
Die erite Nacht und Tag ift voller Noth und Leiden; 
Der Tag nad lebter Nacht bleibt voller Heil und Freuden. 


(55) 
Zeikliche Güter, 


Weltlih Gut wird von fich jelbit, oder wird von ung verzehret, 
Dder wird durch Lift, durch Macht, andern zu, ung weg gefehret. 


(56) 
Der Spiegel. 


Der Spiegel kann zwar weifen, doch reden kann er nicht; 
Sonst hätt er mancher Stolzen den Irrthum jchon bericht. 


(57) 
Borfchub und Bülfe, 

Wer dem Nächten meynt zu helfen, und will vor Warum? erſt fragen, 
Dem geht Hülfe nicht von Herzen, will nur auf den Ruhm was wagen. 
(58) 

Glück und Rechk. 

Denen die da ſchliefen, iſt viel Glück entzogen, 

Denen die da wachen, iſt das Recht gewogen. 

(59) 
Borgen, 


Bey wem bleibt Kummer gerne und will am Tiebjten ruhn ? 
Bey denen, die ihn warten und die ihm gütlich thun. 


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Zwölfkes Bud. 323 








(60) 
Bäufer. 


Gottes Werk hat immer Tadel: Wem der Tag zu furz zum Trinfen, 
Diefem will auch zum Ernüchtern gar zu kurz die Nacht bedünfen. 


(61) 
Kleider. 


Kleider machen Leute: trifft es richtig ein, 
Werdet ihr, ihr Schneider, Gottes Fuſcher jeyn. 


; (62) 
Auf die Bella und den Jungus. 


Sungus Weib iſt lauter Winter, Sommer ift er felbjt; wer weiß, 
Ob Eis Hite dämpfen werde, oder ob die Hit das Eis? 


(63) 
Rrippenteifer. 
Es ijt ein Volk, das jeine Pferd’ an fremde Krippen bindet, 
Das fi bey fremdem Feuer wärmt, zu fremdem Teller findet: 
Berhöhn e3 nicht! es iſt das Volk, das uns im Werfe weijet, 
Daß hier der Menjch noch nicht daheim, und nur vorüber reijet. 


(64) 
Per Bei. 


Der Neid it gar ein Wundergaft: denn fehret er wo ein, 
Wird ihm das allerbeite Ding zur allerärgiten Bein. 


(65) 
Schmeichler. 


Wer will alle Mücken können aus der Speiſekammer treiben? 
Heuchler werden nie vergehen, weil noch werden Höfe bleiben. 


(66) 
Krieg zwiſchen Bolland und England. 
Ihr blanken Heringsheere, o jagt von Herzen Danf 
Für Engelands und Hollands erneuten Waffenzank! 
Weil beide ſelbſt fich freien, kann feines euch verfchlingen, 
Noch euch aus eignem Salze hin in ein fremdes bringen. 


324 Friedrichs von Iogau Sinngedirhte. 





(67) 
Auf den Rkriol. 
Unter Augen, hinterm Rüden, lobt mich, ſchimpft mich, Atriol. - 
Was zu thun? An ihm und andern will ich mich dermaßen rächen, 
Daß er hinterm Rücken lügen, vor den Augen Wahrheit jprechen, 
Daß mir jelbit das Lob verbleiben, ihm der Schimpf verbleiben foll. 


(68) 

Das Gegenmwärfige, Dergangene und Bukünffige. 
Was it, wie lange währts? Was war, was hilft mich wohl? 
Was werden wird, wer weiß ob3 mir, obs andern foll? 

Was bier ift, war, und wird, ift, war, und wird ein Schein; 
Was dort ift, war, und wird, ift, war, wird ewig jeyn. 


(69) 
Undankbarkeik. 


Der uns giebt die ganze Welt, der uns will den Himmel geben, 
Fodert nichts dafür als Dank; kann ihn aber auch nicht heben. 


(70) 
Wir wollen was wir nichk ſollen. 


Wir dringen auf den Zaum, und wo wir ſollen gehn, 
Da laufen wir; wir gehn da, wo wir ſollen ſtehn. 


(71) 
Wohlthätiakeit. | 
Wer Wohlthat giebt, ſolls bald vergejjen; wer Wohlthat nimmt, folls 
nie vergejjen: 
Sonſt it um Undanf der zu ftrafen, und jenem Hoffart beyzumeſſen. 


(72) 
Auf den Trullus. 
Trullus hat ein ſchönes Weib: wenn fie an der Thüre fteht, 
Sieht man nicht daß leicht ein Hund ſich bey ihr ins Haus vergeht. 
=.143) 
Auf den Säufer Thrax. 


Thrar ift der andre Mond: ſteht aber immer jtille, 
Und nimmt fein Bierthel an; bleibt immer in der Fülle. 





Bwölftes Bud). 





(74) 
. Muf den Taraus. 


Andre ziehen an das Recht, Largus zeucht den Richter an: 
Parten, denen er bedient, finden daß er gut gethan. 


(75) 
Buren ımd Soldaten. 


Soldaten und die Huren die dienten beid’ ins Feld: 
Denn jene leerten immer, die mehrten unfre Welt. 


(76) 

Büren, 
Sch höre manchmal viel; 
Doch glaub ich was ich will. 
Wer willig ijt zum Hören, 
Kann Thorheit ſelbſt bethören. 
Ein unverdroßnes Ohr 
Loft manche Liſt hervor. 


(77) 
Tag und Nachk. 


Der Tag der iſt der Mann, jein Weib das iſt die Nacht; 
Bon denen wird die Beit ſtets zur Geburt gebradt. 


(78) 
Geiziges Reichthum, 


Wer Geld nicht braucht, doch hat, warum hat der denn Geld? 
Damit er etwas hat, das ihn in Marter hält. 


(79) 
Don meinen Reimen. 
Ich jchreibe Sinngedichte; die dürfen nicht viel Weile, 
Mein andres Thun ift pflichtig,) find Töchter freyer Eile. 


(80) 
Gefährlichkeit. 


Kohlen faßt man, daß die Hand ſicher bleiben joll, mit Zangen: 
Was gefährlich ift, hat man mit Bedenken anzufangen. 


325 


326 Friedrichs non Logau Sinngedichke. 





(81) 
Fremde Diener. — 


Fürſten bauen oft aufs Fremde, eigner Grund wird oft verſchmäht: 
Werden endlich inne werden, daß ihr Bau nicht Ihnen ſteht. 


(82) 
Gewalk für Recht, 


Gewohnheit wird Gebot duch Brauch und lange Zeit: 
Krieg hat durch dreyßig Jahr Gewalt in Recht gefrept. 


(83) 
Das Zeikrad. 


Die Zeiten find als wie ein Rad, fie reißen mit ji) um 
Wer ſich dran henfet, machen ihn verdreht, verkehrt, Frumm, dumm. 


(84) 
Verſchwiegenheik. 
Wer ſelber ſchweigen kann 
Dem ſchweiget jedermann. 


(85) 
An den Tod. 


D Tod, du ſchwarzer Tod, du Schauer unſrer Sinnen! — 
Thu ich. dir auch zu viel? — Ja wohl! Du kannſt gewinnen 
Ein englifches Geficht: denn du bijts, der erfreut; 

Du bijts, der uns entzeucht dem Leben toller Zeit; 

Du biſts, der uns den Hut der goldnen Freyheit jchenfet; 
Du biits, der uns ergebt, (Zwar unsre Freunde Fränfet!) 
Du biſts, der unfern Stul hin zu den Sternen trägt; 
Der aller Frevler Troß zu unjern Füßen legt; 

Du biſts, der unſre Klag in lauter Jauchzen Tehret; 

Du biſts, der uns für Zeit die Ewigfeit gewähret; 

Du giebit uns, wenn du nimmst; dein jo gefürdter Stich 
Bereitet ung durch dich ein Leben ohne dich. 


(86) 
Wiſſenſchaft. 
Wen Vernunft gelehrt gemacht 
Wird viel höher oft geacht, 
Als den oft des Buches Blatt 
An Vernunft verwirret hat. 





Zwölftes Bud). 327 





(87) 
Hold, 

Der gelbe Kern der Erde, das Gold, hat alle Kraft. 
Bor ihm iſt alles Schale: Wis, Tugend, Wiſſenſchaft. 
(88) 

Auf den Pertummus. 


Macht dein Maler dich nicht Ähnlich beſſer als du jelber dir: 
Ey jo biſt du nimmer Einer, bift ein Andrer für und für. 


(89) 
Unglück. 


Bey einer guten Zeit denk an die böſe Stunde, 
Die ſich der guten Zeit gern auf dem Rücken funde. 


(90) 
Galterey. 
Dieſes Mahl gefällt mir wohl, dran fich friſcht und ſpeiſt 
Nicht nur unſer Aug und Leib, fondern auch der Geift. 


(91) 
Ruhm. 
Es iſt fein größrer Ruhm, als Schmach und Tadel leiden — 
Um jeine Bosheit nicht; aus böjer Leute Neiden. 


(92) 
Leben und Sterben, 


Wer noch kann und will nicht leben, 
Diejer fehlt jo gut und eben, 

Als wer, wenn der Tod erjcheinet, 
Bor dem lebten Gange weinet. 


(93) 
Eigenwille. 
Hunde, die an Ketten liegen, Menſchen, die nach Willen leben, 
Sind bedenklich: beide pflegen leichtlich Schaden anzugeben. 
(94) 
Gleißnerey. 


Bey krummen Geſellen 
Iſt nöthig das Stellen; 


328 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Iſt übel zu deuten 
Bey Biedermannsleuten. 


(95) 
Theilung wüſter Güter, 


Da wir mehr nichts Ganzes haben, follen wir uns dennoch theilen: 
Wollen lieber neue ſchneiden, als die alten Wunden heilen. 


(96) 
Gewalkſame Bekehrung. 
Wenn durh Tödten, durch Verjagen Chrijtus reformiren tollen, 
Hätt ans Kreuz Er alle Juden, Sie niht Ihn, erhöhen follen. 
(97) 
| Vom Plufus und Pfordhus. 
Am Meberfluß iſt Plutus, am Mangel Ptochus krank; — 
Ein jeder kann vom andern verdienen Doctorsdanf. 
(98) 
Bhrenbläfer. 
Fürften, die von Ohrenbläfern fich die Ohren Lafjen füllen, 
Können nicht in Freyheit leben, dienen jtet3 dem Widerwillen. 
Ä (99) 
Auf den Gulo. 


Gulo iſt — nichts als Maul, was er iſt, und um und an: 
Denn ſein Thun iſt nichts als Dienſt nur für ſeinen Gott, den Zahn. 


(100) 
Sittkſamkeik. 
Allzulanger Glimpf 
Bringet endlich Schimpf. 
(101) 
Das Alte und das Peur. | 
Immer fragten wir nad) Neuem, weil fich Krieg bey uns enthalten: 
Kun der Krieg von ung entwichen, fragen wir ſtets nach dem Alten. 
- (102) 
Lebekunft, 


Wer langes Leben wünjcht, der jchlafe nicht zu viel; 
Denn lange lebt nicht der, wer lange Schlafen will. 


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Bmölffes Bud). 329 








(103) 
Die Welt. 


Was ift die Welt? — Dieß ift fie gar, 
Was fie wird jeyn, und Anfangs war. 


(104) 

Der Schleſiſche Parnaß. 
Dein Zabothus, Schlefien, ward er nicht vor wenig Jahren 
Was den Griechen ihr Parnaß, Helifon und Pindus waren ? 
Ward dein Opitz nicht Apoll? Und die andern Eugen Sinnen 
Deiner Kinder, find fie nicht was dort find die Caſtalinnen? 
Ja, dieß jey dein Ruhm, dein Stolz! Glaube, was die Griechen dichten, 
Wer da will; von uns fann felbjt Ort und Tag und Jeder richten. 


(105) 
Selbſtgunſt. 


Selbſtlieb handelt immer recht: denn ihr giebet Recht und Rath 
Rath und Richter an die Hand, den der Menſch im Spiegel hat. 


(106) 
Thorheit und Balsltarrigkeit. 


Närriih Hirn und harter Nade dienen manchem Eugen Mann; 
Denn fie machen durch ihr Wüten, daß er was erwerben kann. 


(107) 
Tugend und Kalter. 


Tugend läßt ſich nicht begraben, auch die Laſter fterben nicht; 
Dieje leben durch die Schande, jene durch ein gut Gerücht. 


(108) 
Sündenſcheu. 


Wer Sünde weiß zu ſcheuen, 
Der darf ſie nicht bereuen. 


(109) 
Geſundheikspflege. 


Läßt der Arzt erſt ſeinen Kranken eſſen, trinken, was er will, 
Iſt der Arzt der Meynung: Kranker ſey nun nah an ſeinem Ziel. 


330 Friedrichs von Togau Sinngedichte, 





(110) 
Walhhaftigkeit. 


Weiberworte, böſe Münze: wird man ihr das Kupfer nehmen, 
Wird das Silber fih verfriehen und das Kupfer wird fich jchämen. 


(111) 
Wahr um Red. 


Die Wahrheit und das Recht die werden immer bleiben. — 
Sie pflegen durch den Brauch jich nicht Leicht abzureiben. 


(112) 
Die enkſchiedene Sktreikigkeit. 


Stadt und Land hat viel geſtritten, 
Wer im Kriege mehr gelitten. 
Aber nun kömmt an den Tag, 
Was die ſtolze Stadt vermag, 

Und wer hier die Haut gefunden, 
Die dem Lande weggeſchunden. 


| (113) 
Kin Weiler unter Barren, 


Wer unter Narren wohnt, wie viel auch deren jeyn, 
Iſt unter ihnen doch al3 wär er gar allein. 


(114) 
Flüchkige Zeit. 

Wer die Zeit verklagen will, daß fie gar zu früh verraucht, 
Der verflage fich nur ſelbſt, daß er fie nicht früher braudt. 
(115) 

Das Glücke. 


St unſer Glücke ſchwer, drückt, beugt und macht ung müde: 
Geduld! wir jchlugens jelbit in unjrer eignen Schmiede. 


(116) | 
Gokkesdienſt iſt ohne Zwang. 


Wer kann doc durch Gewalt den Sinn zum Glauben zwingen? 
Berleugnen kann wohl Zwang, nicht aber Glauben bringen. 





Bwölftes Bud. 331 





(117) 
Stillltand, 
Sit gleich mancher nicht der Klügſte, dennoch kann ihm etwas gelten, 
Daß ihn ja für feinen Narren Kluge pflegen auszuſchelten. 


(118) 
Bikige Rathlıhläge. 

Rath, der gar zu jpisig, pflegt fi umzuſetzen; 
Rath, der nicht zu ſpitzig, läßt fich Leichte wegen. 
(119) 

Menſchlicher Wandel. 


Unſers Lebens ganzer Wandel jteht im Lernen und Vergeſſen: 
Nur wird Lernen und Vergeſſen falſch getheilt und abgemejjen ; 
Was vergejjen werden follte, pflegen wir jehr gut zu wiljen, 
Was gelernet werden jollte, wollen wir am liebjten mifjen. 


(120) 
Auf den Tukas. 


Lukas iſt ein Licht des Landes; aber feinen Schein nimmt er 
Nicht von feinem eignen Feuer, nur von feinen Vätern her. 


(121) 
Knechte und Berren. 
Manche jind geborne Knechte, die nur folgen fremden Augen; 
Manche jind geborne Herren, die fich ſelbſt zu leiten taugen. 
2480) 
Auf die Pefuria, 


Beturia jchimpft alte Leute: Wer ihr drum etwan wünſchen will, 
Daß jie der Tod mög ehftens holen, der ſaget wahrlich viel zu viel: 
Wie kann fie durch ein altes Leben denn treffen auf ein junges Ziel? 


(123) 


Auf den Druda. 


Was kann man, Druda, thun, das jemals dir gefällt? — 
Du bift doch noch fein Land, vielmweniger die Welt. 


(124) 
Fromm Teyn ums Lohn, 


Umſonſt ift feiner gerne fromm; wenn Tugend nur was trägt, 
So wird fie, weil fie Früchte bringt, geachtet und gepflegt. 


332 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





(125) 
Bunger und Durſt. 
Durſt und Hunger find die Mahner, die man nimmer fann beitillen; 


Morgen fommen fie doch wieder, fann man fie gleich heute füllen. 
(126) 
länehrbare Chat. 


Prava ftund im Hurenbuche, bejjert aber ernftlich ſich: 
Ward drauf ausgelöfcht im Buche; dennoch aber bleibt der Strid. 


(127) 
Ligen. 
Wer ihm des Lügen nur zum Nuten, zum Schaden feinem, hat ge= 
pflogen, 
Was meynit du wohl von einem jolhen? — Ich meyne doch, er hat 
gelogen. 
(128) 


Waller und Wein. 


Es kann, wer Wafjer trinkt, fein gut Gedichte fchreiben; 

Wer Wein trinkt, friegt die Gicht und muß erſchrecklich ſchreyn. 
Sit diefes wahr: jo mag das Dichten unterbleiben, 

Eh ih im Gichten will jo jtarf geübet ſeyn. 


(129) 
An mein Bud). 


Geh hin, mein Bud, in alle Welt; jteh aus was dir kömmt zu. 
Man beiße dich, man reife dich: nur daß man mir nichts thu. 








Bugabe, 333 








Bugabe. 
(1) 


Pon meiner Bugabe. 


War meine Waare nicht recht gut, jo geb ich etwas zu, 
Damit was nicht die Güte thät, vielleicht die Menge thu. 


(2) 
Die aufgewerkte Chimära. 


Epigramma est brevis satira; satira est longum epigramma. 

Ihr helikoniſch Volk, euch ift zu viel geſchehen! 
Man hat euch nie geglaubt, dieweil man nie gejehen 
Was ihr uns vorgefagt: Wie Lycus armes Land 
Chimära einst erſchreckt, verwüftet und verbrannt. 
Bon fornen war fie Löw, war Zieg am Bauch und Rüden, 
Und hinten war fie Drad. Tod war in ihren Bliden, 
Ihr Maul war voller Glut, ihr Leib war voller Gift, 
Bis daß Mlcidens Keul auf ihr Gehirne trifft; 
Trifft aber nur jo jtarf, daß fie betäubt entjchlafen, 
Und igund, aufgeweckt durch unsre deutsche Waffen, 
Tobt mitten unter uns, an Form und Namen alt, 
An Kräften aber neu, und ärger an Gewalt. 

Es iſt der tolle Krieg, der wild fich ſelbſt verzehret, 
Der um und um gejtürzt das Land, das ihn ernähret; 
Es iſt der dumme Krieg, der fonjten nichts erfiegt, 
AUS daß er jagen mag: wir haben doch gefriegt! 

Im Anfang war er Löw, verübte fühne Thaten, 
Hielt höher auf die Fauft, als tückiſches Verrathen; 
Und Deutichland war noch deutfch: man fchlug noch ernftlich drauf, 
Sah auf des Krieges End, und nicht auf fernern Lauf. 

Da nun der füße Brauch, zu machen fette Beute 
Aus allem was Gott jelbit gehabt und alle Leute, 
Anjtatt des Soldes fam, jo wuchs dem Krieg ein Baud, 
Draus, wie von einer Zieg, ein jchädlich dürrer Rauch 
Für Kraut und Bäume fuhr: Die Nahrung ward vertrieben, 
Der Ochſen jaure Müh ift unvergolten blieben; 
Ein andrer nahm Beſitz: es hieß, der Wirth vom Haus’ 


334 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Lab alles was er hat und zieh auf ewig aus. 

Und nun war man bedacht den Krieg weit hin zu fpielen; 
Nicht auf den Feind jo wohl, als auf den Freund zu zielen, 
Der noch in gutem Land in jeinem Schatten jaß, 

Und fein genüglic) Brodt mit ſüßem Frieden aß. 

Zu diefem drang man ein, jtund Titan gleich erhöhet 

Wo flammenathmend jonjt der heiße Löwe jtehet, 

Noch mußt es Winter feyn, noch) nahm man da Duartier, 
Und alles was man fand war jchuldige Gebühr. 

Gleichwie der Scharfe Zahn der Ziegen auch die Rinden 

(An Blättern nicht vergnügt) von Bäumen pflegt zu jchinden: 
So war e3 nicht genug zu freſſen unjer Gut, 

Man gönnt’ uns in dem Leib auch faum das lebte Blut. 

Hieraus erwächſt der Drach, das Ende wird zur Schlange: 

Der Krieg, der alle Welt bisher macht ängitlich bange, 
Wird ärger noch al3 arg, kreucht gar ins Teufeld Art, 
Wird rajend, wenn ein Menjch noch wo gefunden ward, 
Der Gott, der Ehre, Zucht und Recht wünſcht nachzuftreben; 
Will gar nicht daß ein Menſch auf Erden mehr joll Teben, 
Der nicht ein Kriegesfnecht, und ihm fich ähnlich macht, 
Und was nur menschlich iſt verwirft, verbannt, verladht. 
Sein Gift jchont feinen Stand, Amt, Würde, Freundichaft, Ehre; 
Was Lebt, lebt darum noch, damit er e3 zerftüre: 

Bis daß nicht übrig ift, und niemand etwas hat, 

Drauf wendt er alle Macht, drauf Schärft er allen Rath. 
Sein Gift ift fo vergift, daß er fich ſelbſt vergiftet, 

Und ihm fein eignes End aus eignem Raſen jtiftet. 

So wie der Skorpion ih ſelbſt zu jtechen pflegt, 

Wenn Feuer um ihn her wird etwan angelegt; 

Und wie es Schlangen geht, daß ihnen ihre Jungen, 

(Zu einem jchönen Lohn für die ererbten Zungen,) 
Herreißen ihren Bauch: fo auch des Krieges Frucht 

Der Mutter Henfer jey. — Was dieſ' umfonst verfucht, 
Führt Alexikakos (*) Mlcides aus der Höhe, 

Bor dem der ganzen Welt durch Krieg entitandnes Wehe 
Erbarmen hat erlangt, mit Ehren endlich aus, 

Und bindet dieſen Wurm ins heiße tiefe Haus. 

Da, da ſeys ihm vergönnt zu fechten und zu ſchmeißen, 
Den Hauswirth abzuthun, das Haus in Grund zu reißen; 
Dann raub und plünder' er, dann wehr er ſeinen Mann, 
Zu weiſen, was ſein Löw und Zieg und Drache kann. 


(*) Der Wender des Böſen. 





Augabe, 335 





(3) 
Amadisjungfern. 
Pfui euch, die ihr euch rühmt der geilen Bubhlerlügen 
Des frehen Amadis, die dahin deutlich tigen 
Wo Circe machte Säu, wo Mejjalina gieng 
Und für den fchnöden Sieg der Wette Lohn empfieng! 
Die Zunge jchärft er zwar, allein er jtümpft die Sinnen, 
Lehrt was ihr thun jollt, will euch Beyfall abgewinnen 
Durch das, was nie gejchehn, durch das, was, wenns gejchehn, 
Die Ehre ganz verdammt, die Tugend nicht mag jehn. 
Nicht mir den weiſen Mund, den Amadis gelehret! 
Ob Zunge läufet gut, wird Sinn doch jo verjehret, 
Daß manche Mutter wird, eh als fie Braut ſeyn mag, 
Mag Braut bey Nachte jeyn, und Jungfer auf den Tag. 
Die lernt die Neubegier vom Meijter in den Lüſten, 
Für dejjen Schüler ih mir wünjche zuzurüften 
Ein Schiff nach Tomos hin, auf daß der Liebe Schweiß 
Zu löſchen Mittel jey durch ein erfriihlih Eis. 
Wie Najons Schikjal war, der, nach gejchriebner Liebe, 
Bom Bontus Klagebrief’ und Trauerbücher jchriebe, 
Und wohl gewünfchet hätt’, daß er der Liebe Luft 
Nie andere gelehrt und jelber nie gewußt. 
Ihr Jungfern, glaubt es nur, jo frech das Wort zu führen, 
Das will dem züchtigen Gejchlechte nicht gebühren. 
Schon lange hat es Recht und Brauc) jo eingericht, 
Daß immer jemand ift, der eure Worte jpricht, 
Wo Nutz und Noth es heiſcht. D wie erfchradt ihr Väter! 
D wie befahrte Rom ein großes Unfallswetter, 
Als weiland vor Gericht ein freches Weib auftrat, 
Selbit Sach und Klage führt” und um die Rechte bat! 
Man fragte drüber Rath, ſchlug auf Sibyllens Bücher, 
Und bat die Götter drum, daß diefe That ſey ficher 
Dem allgemeinen Heil: So ſeltſam war dieß Ding, 
Weit mehr als da ein Ochs einft an zu reden fieng. 
Iſt Scham und Ehr in euch, jo fpricht das Stillefchtweigen 
Genug von euch für euch; fo kann die Herzen neigen 
Zu euerm Schug und Gunſt ein fittfam Angeficht, 
Da3 jedem! von fich ſelbſt zu Huld und Dienst verpflicht. 
Des edeln Goldes Preis darf feinem Advocaten 
Auf feine theure Zung, in feilen Mund gerathen; 
Es lobt ſich durch den Glanz, es lobt ſich durch die Kraft, 
An welcher Erde, Luft, Glut, Flut nichts thut und fchafft. 





1 jedem [1759, ebenfo Logaus Originalausgabe] jeden Mann [1791] 


336 Friedrichs von Togau Sinngedichte, 





Die Damajcener Ro’, wenn fie aus grünem Bette 
Am frühen Morgen ftralt, und fpielet in die Wette, 
Leufothoe, mit dir: iſt ſelbſt ihr’ eigne Pracht, 
Die feine Zunge mehr noch minder zierlich macht. 
Solls erit die Zunge thun, die Jungfern werth zu macen, 
So iſts gar jchlecht beitellt, jo find der Tugend Sachen 
Aufs Schlüpfrige gejegt, und ihre Würde jteht, 
Nach dem die Zunge jchwer, nach dem fie fertig geht; 
Solls viel Geſchwätze thun, jo fteigen Bapageyen 
Im PBreife doppelt hoch, jo giebt der Schwalbe Schreyen 
Ihr einen hoben Werth, und ein gemeiner Hähr 
Gilt einer Jungfer gleich, wie ſchön fie immer wär. 

Fürwahr, ihr redet oft viel, prächtig, frey und lange. 
Thuts euern Ohren wohl, thuts fremden doch jehr bange; 
Und ift es ausgeredt, wird billig noch gefragt: 
Iſts aus? Was will fie denn? Was hat fie denn gejagt? 
Die Ahone lachet oft, und ſauer fieht die Tiber, 
Die Elbe rümpfet fi, die Augen gehen über 
Dem armen Prifcian, wenn euer ftrenger Mund 
So martert, früppelt, würgt, wa3 feine je verjtund. 

Ein Bad, ein Regenbad, vom Himmel her geitärfet, 
Wenn er den Ueberfluß und fein Vermögen merfet, 
Läuft über Damm und Rand, fchießt über Schuß und Wehr, 
Bricht da und dort heraus, ergeußt fich Hin und her, 
Miſcht, was er in fich hat, treibt, was er führt, zu Haufen, 
Daß Fiſch, Froſch, Holz und Schlamm Hin miteinander laufen, 
Bis daß die Wolfe weicht, die ihm gab furze Kraft, 
Dann bleibt das eine da, das andre dort verhaft. 
Ihr Damen, jo ſeyd ihr: Die kraufen Complimenten, 
Die euch das leichte Volk der freyen Liebsftudenten 
In eure Sinnen geußt, die ſchwellen euern Muth, 
Weil euch das Heucheln wohl, das Loben janfte thut. 
Sie werfen fih euch hin zu euern zarten Füßen, 
Sie wollen fonjt von nichts als nur von Knechtſchaft willen; 
Sie küſſen eure Hand, fie füffen wohl den Grund, 
Den euer Fuß betrat, wo euer Schatten jtund. | 
Sie jtellen auf ein Wort von euch ihr Seyn und Weſen, 
Auf einen Blick von euch ihr Wohlſeyn und Genejen ; 
Ihr jeyd der Seele Seel, und außer euch find fie 
Als wären fie nicht mehr, und vor gewejen nie. 
Die Sonne jelbjt hat jo zu ftralen nie begonnen, 
AS eurer Augen Licht, das göttliche Paar Sonnen. 
Der Wangen Lilien mit Roſen untermengt 





I W, a En 
ern ea 


Bugabe. 


Sit ihre Frühlingsluft, daran ihr Herze hängt. 
Der theure Mundrubin, wem diejer fümmt zu küſſen, 
Der mag fich einen Gott und feinen Menfchen wiſſen, 
Sich diünfen mehr als Mars, auch als Adonis mehr, 
Die Benus Mund gefüßt, der vor berühmt war jehr, 
Eh Ihr famt auf die Welt, doch jest, num eurer funfelt, 
Wie vor der Sonn ihr Stern am Himmel, fich verdunfelt. 
So ſauſt der Buhler Wind um euer offne8 Ohr, 
Schwellt die Gedanken auf; die fuchen denn ein Thor 
Um nächſten wo e3 it: dann gebt ihr euch zu merken, 
Wollt das gegönnte Lob nicht mindern, fondern ftärfen, 
Sagt her, jo viel ihr wißt, gebt was ihr bey euch fühlt, 
Meynt, daß jelbit Pitho(*) nie die Rede jchöner hielt. 
Es gilt euch aber gleich geichieft und ungefchidet, 
Gereimt und ungereimt, gejtidet und geflicket, 
Gemengt und abgetheilt, halb oder ausgeführt: 
Es iſt euch gar genug, wenns nur heißt diſcurirt. 
Biel Plaudern hat noch nie viel Nutzen heim getragen; 
Biel Schweigen hat noch nie viel Schaden zu beflagen. 
Ein mwohlgeihloßner Mund verwahrt ein weijes Herz, 
Ein ungebundnes Maul bringt ihm und andern Schmerz. 
Shr irrt, wenn euch bedünft, ihr wäret angenehmer 
Wenn ihr viel Worte macht. Ich halt e8 viel bequemer 
Zu aller Menſchen Gunft, wenn ihr nur jo viel jagt, 
Daß der euch fromm bemerkt, der euch um etwas fragt. 
Man rühmet Jungfern nicht, die allzuviel gereijet; 


Ein Weib, das mehr weiß als ein Weib, wird nicht gepreifet. 


Die Jungfern, die jo wohl im Lieben find geübt, 


Die übt man zwar noch mehr, nur daß man fie nicht liebt. 


Wenn man den Zeitverdruß mit Schachbrett, Rartenpielen 
Bey ſolchen Leuten jtillt, die nicht nach Golde zielen 
Und nad) Gewinn, wie da, fo bald die Luft geftillt, 
Das Spiel im Winkel Liegt, nichts Knecht noch König gilt: 
Sp geht3 mit euch: Des Schlaf3 ſich etwan zu erwehren, 
Den Unmuth abzuthun, die Weile zu verzehren, 
Hört mancher, was ihr jagt, jagt, was ihr gerne hört; 
Bald wird er eurer fatt, ihr aber jeyd bethört. 
.(4) 

Waffenanſtand. 
Von Anſtand und von Fried und vielen ſchönen Dingen 
Will Fama dieſer Zeit ein neues Liedlein ſingen; 


(*) Die Göttinn der Beredſamkeit. 
Leſſing, fämtlihe Schriften. VIL 22 


337 


338 Friedriche von Logau Sinngedichke. 








Doch weiß ich nicht obs neu: der Anjtand iſt gar alt, 
Der Fried iſt auch vorlängjt gar recht, gar wohl beitallt. 
Was darf ein Anjtand jeyn, wo man noch nie gejtritten ? 

. Man führt die Waffen ja, nach diejes Krieges Sitten, 
Gleichwie in einem Spiel, nur bloß zum Scherz und Schein, 
Und daß fie Roft nicht frißt. Was darf ein Anjtand jeyn, 
Wo niemand uns befriegt, und wo fein Feind erjcheinet, 
Der zu befriegen fteht; wo mans nicht böfer meynet, 

Als daß man unjer Land, nach draus gejchöpften Nub, 
Alsdann dem lieben Gott empfiehlt in feinen Schuß? 

Was darf ein Anjtand jeyn, wo man die Sriegesfinder 
Gar gut und glimpflich meynt, und bloß die feiiten Rinder, 
Samt ihrer jungen Zucht, und etwan Pferd und Schwein, 
Schaf, Huhn, Hahn, Ente, Gans läßt feine Feinde ſeyn? 

Der Fried ift lange jchon in unfre Gränze kommen, 

Da jene viel zwar ung, wir ihnen nichts, genommen, 
Indem wir uns bemüht, (0 eine feine Kunft!) 

Zu brechen ihren Troß duch unsre gute Gunft. 

Es iſt ja Fried und Ruh im Lande ganz die Fülle: 
Das Feld hält Sabbattag, der Ader Tieget jtille, 
Und feufzet nicht wie vor, als ihm viel Wunden jchlug 
Des Bauer frecher Arm und ein tyranniih Pflug. 
Es iſt ja Friede da: man darf forthin nicht jorgen, 
Wie jeder Hab und Gut vor Dieben hält verborgen 
In fiherem Gemad. Es bleibt ja Gold und Geld 
Sn feitem Haufe jo, wie durch das offne Feld. 

Hierum fingt Fama falih von Anſtand und von Friede; 
Ihr Sinn fey diefer denn: daß, weil die Welt ſchon müde 
Der alten Deutichen Treu, man mit Betrieglidfeit 
Stet3 Frieden haben wol’, und Krieg mit Redlichkeit. 


(5) 

Sıhußrede einer Jungfrau über die gänge Zunge, 
Jüngſt jagt ein alter Greis: „Se mehr die Jungfern fchweigen, 
„se mehr wird, ohne Wort, ihr Preis gen Himmel jteigen. 
„Die jtille fromme Zucht, die Eingezogenbeit, 

„Die Rede, welche jchweigt, erwirbt Gefälligfeit.”. 
Schweig, alter Bater, jchweig von jo verroften Sprüchen: 
Sonit lohnt man dich dafür mit Alamodeflüchen ! 

Du haft den Amadis, woraus man difcurirt, 

Nie oder nicht genug. gelefen und ftudirt. 

Die Ethik deiner Zeit ift lange ſchon vermodert. 

Bon braven Damen wird anigo mehr gefodert. 





Augabe, we 339 


Nein, ja, ich weiß es nicht, das war nur damal3 guug, 
Als AJungfern, was die Kuh bergab, und was der Pflug 
Ermwarb, berzähleten; die Junker giengen jeichte, 

Sie waren nicht weit ber, und zu erreichen leichte; 

Giengs wo recht höflich zu, jo Hang ein Reiterlied, 

Der grüne Tannenbaum, und danır, der Lindenfhmidt. 
Itzt iſt die Heldenzeit, itzt herrſchen ſolche Sinnen, 

Die nicht im Graſe gehn; die zu den hohen Zinnen 

Der Ehr geſtiegen ſind; in denen Muth und Geiſt 

Den Mund von nichts als Krieg, Sieg, Mannheit reden heißt, 
Und dann von Courtoiſie und ſüßem Careſſiren 
Der Damen, die e3 werth, und die jie obligiren 

Zu dienftlihem Faveur durch Schönen Unterhalt 

Und lieblihen Diſcours, die nicht jo kahl und Falt 

An Worten wie ums Maul, die nicht, wie ſtumme Göben, 
Nur in die Kirche find, nicht an den Tiich, zu jeßen, 

Und die man billig heißt ein hölzern Frauenbild, 

Das nur zum Schauen taugt und nicht zum Brauchen gilt. 
Hier hört Don Florifel der Helena Befehlen; 

Das Fräulein Sydera fann auf die Dienite zählen 

Des Don Rogeliv; und Driana hat 

Den tapfern Amadis und alle jeine That 

Zu vollem Brauch und Pflicht. Die nur mit ftummen Sitten 
Und ſiegelfeſtem Mund ihr Angeficht uns bieten 

Wie Larven ohne Hirn, die taugen nicht bieher, 

Und ihres Bette Hälft bleibt billig kalt und Leer. 

Die Zunge muß es thun, fie muß die ſüßen Trauben, 

Die auf den Lippen jtehn, verbieten und erlauben, 

Nach dem es jeder werth. Soll ein ergeglih Kuß 

Seyn bejjer angebracht, als auf des Pabſtes Fuß: 

So giebt ein Tieblih Wort dem Liebjten ein Gemerke, 
Sein Thun jey wohl gethan, gefällig feine Werfe. 

Den andern jchleußt fie zu die Korallinenpfort 

Durch ein entjeglih Pfui und durch ein bittres Wort. 

Die Zunge muß es thun, daß Cavalliere lernen 

Gejcheuter Damen Witz, und niemals fich entfernen 

Bon ihrer Seite weg, das muß die Zunge thun. 

Die macht den Helden Luft, fich heilfam auszuruhn; 

Giebt ihnen neue Kraft, indem fie von den Laſten 

Der Waffen und der Wut des Blutvergießens raſten; 
Macht, daß ein fühnes Herz fih Thaten unterjtund, 

Die bis zum Himmel gehn, um aus der Damen Mund 
Ein angenehmes Wort zu hören; kalte Sinnen 


340 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Befeurt fie, weiß die Kunſt Feldſchlachten zu gewinnen, 
Die ſonſt Tyrtäus trieb, der durch den Schlachtgejang 
Sein Heer erhitte, daß es in die Feinde drang. 

Die Zunge muß e3 thun und durch die Panzer dringen, 
Und in idaliſche Geſetz und Rechte zwingen 

Ein martialiih Herz; fie Schafft, daß der ſich bückt 
Bor einer Dame, dem, jo bald jein Auge blidt, 

Sonſt taufend avallier” Gehör und Folge geben 

Und fegen, wenn er will, in Tod ihr frijches Leben. 
Die Zunge muß es thun, und hat es jchon gethan, 
Daß eine Dame mehr als Schwerdt und Zepter kann. 
Die Zunge hats gethan, daß niedriges ©eblüte 

Auf hohen Stülen fit, und gehet in der Mitte, 

Und fährt mit ſechſen her. Die Zunge hats gethan, 
Daß einer Dame Wort fann was fonjt niemand fann, 
Daß fie fich edel kann, ſchön, reich und ehrlich machen, 
Db fie es vor nicht war, daß fie in allen Sachen 
Recht hat und Recht behält, wiewohl fie Unrecht thut, 
Und löblich all ihr Thun, und herrlich heißt, und gut. 


(6) 
Geraubt iſt erlaubt, 


Die Welt iſt voller Raub: ſie raubet Gott die Ehre 

Und giebt ſie ihr nur ſelbſt; ſie raubt ſein Wort und Lehre, 
Sein Ordnung und Befehl, und ſetzt an deſſen Statt 

Was ihr gefüllter Wanſt zur Zeit geträumet hat. 

Drauf raubt der Teufel nun das Glück und allen Segen, 

Und iſt geſchäfftig nichts als Unmuth zu erregen: 

Er raubet Fried und Ruh, er raubt die gute Zeit, 

Er raubet Scham und Zucht, er raubt die Seligkeit. 

Dem Menſchen raubt der Menſch was ihm das Glück gegeben 

An Leumuth, Ehre, Gut, Geſundheit, Wohlfahrt, Leben. 

Der Oberſtand raubt hin den letzten Biſſen Brodt, 

Und läßt gemeiner Schaar nichts als die leere Noth. 

Der Unterthan raubt weg Gehorſam, Pflicht und Treue, 

Die Furcht vor aller Straf und vor den Laſtern Scheue. 

Die Liebe, die ein Chriſt zum Chriſten billig trägt, 

Die iſt durchaus entraubt, die iſt ſeitab gelegt. 

Was macht denn der Soldat? (das Volk vom Wildgeſchlechte, 

Das man forthin nicht mehr zu Menſchen zählen möchte;) 

Er hätte gar vorlängſt, wärs ihm nur halb erlaubt, 

Den Himmel und Gott ſelbſt geplündert und beraubt.. 


Zugabe. 341 





Was Räuber hat die Welt! Doch mag ein jeder glauben, 
Daß den, der ſo geraubt, man wieder wird berauben: 
Ich wett, ob er ihm ſchon geraubt hätt' alle Welt, 
Daß er davon doch nichts als Höll und Tod behält. 


(7) 
Schuhrede einer Jungfrau über die ſpielenden Augen. 
Ihr Schweitern, lacht ihr nicht der alberflugen Herren, 
Die Damen unſrer Art in blinde Kappen jperren, 
Und e3 für ſchön anjehn, wenn unsre jchönfte Bier, 
Der jchönen Augen Licht nur jelten zu der Thür 
Hinaus blidt? Denft doch nach! Durch finjtres Sauerjehen 
Iſt Liebe nie geftift und nie fein Bund gejchehen. 
Sind wir dem Hinmel gleich: jo muß der Aeuglein Schein, 
Gleichwie das Firmament, frey zu bejchauen jeyn 
Bon jedem der da will. Was dienen uns die Stralen 
Der Sonne bey der Naht? Wer lobt des Künftlers Malen, 
Wovor ein Umhang ſchwebt? Soll die, die lebt und lacht, 
Ihr ſelbſt, noch vor der Zeit, des Todes ſchwarze Nacht 
In ihr Gefichte ziehn? Kann denn Natur auch leiden, 
Daß man jo jchänden fol, und foll zu brauchen meiden, 
Was ſie zu brauchen gab? Wer munter um fich jchaut, 
Der giebet an den Tag, daß er ihm jelber traut, 
Und gut Gewiſſen hat, das fich vor nichts entjeßet, 
Und nicht zu fliehen denkt, dieweil es nichts verleget. 
Ein Auge, das nicht kann ein fremdes Auge fehn, 
Weiß, was gejchehen war, weiß, was noch ſoll gejchehn 
Das nicht zu rühmen it. — Soll dieſes etwan gelten, 
Der Damen bejte Kunſt zu tilgen und zu jchelten ? 
Die Kunſt, wodurch fie fich behutfam und mit Lift 
Einjpielen, und ein Herz bezaubern, das ſonſt Frift 
Koch hatte? Das jey fern! Der Augen Elare Blide 
Sind unsre jtärfite Kraft, find unfre Band und Stride; 
Hiedurch Fällt uns ind Garn ein Wild das uns gefällt, 
Und das vor unſrer Gunſt ſich allzuflüchtig ſtellt. 
Itzt deden wir fie zu, itzt laſſen wir fie ſchießen, 
Nach dem wir diefen ſchnell und jenen langſam wiſſen; 
Hier brauchen wir den Sporn, dort brauchen wir den Zaum. 
Wir halten jenen an, und geben diefem Raum. 
Im Fall ſich einer jcheut, will uns und ihm nicht trauen, 
So öffnen wir das Licht durch freundlich Gegenſchauen, 
Erleuchten feinen Sinn, befeuern feinen Muth: 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Der Bagheit faltes Eis zerichmilzt und er fühlt Glut. 

Wer eifrig feiner Brunft halb wütend nach will henfen, 

Muß plößlich jeinen Muth zur Ehrerbietung lenken, 

Wenn unjer Auge fih mit Wolfen überzeucht, 

Und für den goldnen Stral ein finjtrer Unmuth leucht. 

Doch laſſen wir nicht gar in Falter Nacht ihn zagen, 

Wir bliden einsmals auf und laſſens wieder tagen; 

So daß, ob das Geficht ein kurzes Schreden giebt, 

Er dennoch Anlaß nimmt, daß er fich mehr verliebt. 
Manch Schiffer hat gezürnt, wenn trübe Wolfendeden 

Ihm haben Eynofur und Helice verjteden 

Und alfo feinen Lauf in Irrthum wollen ziehn, 

Daß er nicht konnte da wohin er wollte hin: . 

Ihr tapfern Cavallier’, die ihr in Lieb und Waffen 

Zu leben euch begehrt und auch darinn zu jchlafen, 

Auf, unterjtügt die Sad, und jtürmt eh alle Welt, 

Eh diefer Buhlerfund der braven Damen fällt, 

Dieß Kunstwerk, euch zum Troft mit Augen frey zu funfeln, 

Um eurer Liebe Fahrt nicht irrſam zu verdunfeln. 

Sie find ja darum da, damit ihr willen könnt, 

Wo, wie, wenn euer Schiff in fihern Hafen ländt. 

Wem ift die Fadel gut, die fi nur ſelbſt verbrennet 

In einer tiefen Gruft? bey der fein Wandrer fennet 

Weg, Steig, Berg oder Thal? Was nübet ein Geficht, 

Das fich nicht auf fich ſelbſt verlaſſen, dem auch nicht 

Ein andrer trauen darf? Nicht uns find wir geboren, 

Auch nicht zur Einfamfeit. Nein, nein, wir jind erforen, 

Gejellichaft einzugehn. Drum ſchaut nur friſch umber, 

Ihr Augen, jchaut, ob nicht an warme Geite der 

Bald kömmt, der und geweiht und dem wir zugehören. 

Laßt euch das alte Lied vom Schämen nicht bethören: 

Ein gar zu blödes Aug, (wie diejes oft gejchehn,) 

Hat das, was ihm gejollt, verfäumt, verſchämt, verjehn. 


(8) 
Abfıhied von einem verfiorbenen Ehegatten. 


Treued Herz, du zeuchit von binnen, 
Freud und Ruhe zu gewinnen, 

Die der Himmel denen giebt, 

Die ihn, jo wie du, geliebt. 

Mir und andern deinen Lieben 

St an deiner Stelle blieben, 





Bugabe. 343 








Bey der ſchon gehäuften Noth, 

Herzens Leid um deinen Tod. — 

Doch wie lange? — Bald ergebet 

Uns, die hier die Zeit verletzet, 

Ewigfeit, die ohne Ziel 

Uns aufs neue trauen will. 

Eh ich kann dein Lob vergefjen, 

Wird man meinen Sarg mir meffen. 

Würdig bijt du, daß dein Ruhm 

Bleibt, weil bleibt das Menſchenthum. 
Habe Dank für deine Liebe, 

Die bejtändig war, wenns trübe, 

Sp wie wenn es belle war, 

So in Glüd, als in Gefahr! 

Habe Dank für deine Treue, 

Die ſtets bliebe friſch und neue! 

Habe Dank fürs werthe Pfand 

Das du läßt in meiner Hand! 

Habe Dank für Müh und Sorgen, 

Die bis Abends, an vom Morgen, 

Deine weiſe Redlichkeit 

Pfloge mir zur Nutzbarkeit! 

Habe Dank, daß deine Tugend, 

Habe Dank, daß deine Jugend, 

Obwohl eine kurze Zeit, 

Mir gab ſo viel Gnüglichkeit! 

Fahr im Friede! Gott wills haben. 

Aber laſſe deine Gaben 

Deme, das zum Troſte mir 

Uebrig blieben iſt von dir. 

Fahr im Fried'! ich kanns nicht wenden, 

Bin zu ſchwach des Herren Händen. 

Du zeuchſt weg, wo ich itzt bin; 

Doch wo du biſt, komm ich hin. 


(9) 
An mein väkerliches Guk, welches ich drey Jahr nicht geſehen. 


Glück zu, du ödes Feld! Glück zu, ihr wüſten Auen! 
Die ich, wenn ich euch ſeh, mit Thränen muß bethauen, 
Weil ihr nicht mehr ſeyd ihr: ſo gar hat euern Stand 
Der freche Mordgott Mars von Grund aus umgewandt. 
Seyd aber doch gegrüßt! ſeyd dennoch vorgeſetzet 


344 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Dem allen, was die Stadt für Schön und föjtlich ſchätzet! 
Ihr wart mir lieb, ihr jeyd, ihr bleibt mir lieb und werth; 
Sch bin, ob ihr verkehrt, doch darum nicht verfehrt, 

Sch bin noch der ih war. Seyd ihr gleich jehr vernichtet, 
So bleib ich dennoch euch zu voller Gunjt verpflichtet, 

So lang ih Ich ſeyn kann; und wird mein Seyn vergehn, 
Mag meine Muſe denn an meiner Stelle jtehn. 

Gehab dich wohl, o Stadt! die du in deinen Binnen 
Zwar meinen Leib gehabt, nicht aber meine Sinnen; 
Gehab dich wohl! Mein Leib iſt nun vom Kerfer los; 
Sch darf nun nicht mehr jeyn wo mich zu jeyn verdroß. 

Sch habe dich, du mich, du ſüße Vatererde! 

Mein Feuer glänzt nunmehr auf meinem eignen Herde. 
Ich geh, ich ſteh, ich fig, ich jchlaf, ih wach umſonſt; 
Was nr dort theuer war, das kann ich hier aus Gunft 
Des Herren der Natur um Habedanf genießen 

Und um gefunden Schweiß; darf nichts hingegen willen 
Bon Bortheil und Betrug, von Hinterlift und Neid, 

Und allem dem, wodurch man ji ſchickt in die Beit. 

Sch eß' ein felig Brodt, mit Schweiß zwar eingeteiget, 
Doch das durchs Beders Kunſt und Hefen hoch nicht fteiget, 
Das zwar Gefichte nicht, den Magen aber füllt, 

Und dient mehr, weil es nährt, als weil es Heller gilt. 
Mein Trinken ift nicht falſch: ich darf mir nicht gedenken, 
E3 ſey gebrauen zwier, vom Brauer und vom Schenken; 
Mir jchmedt der are Saft, mir jchmedt das reine Naß, 
Das ohne Keller frifch, das gut bleibt ohne Faß, 

Um das die Nymphen nicht erit mit der Geres kämpfen, 
Mer Meiſter drüber ſey; das nichts bedarf zum dämpfen, 
Weil feinen Schwefelraudh und feinen Einjchlag hat; 
Das feil ſteht ohne Geld, das feine frevle That 

Den jemals hat gelehrt, der ihm daran ließ gnügen. 

Der Krämer nützer Schwur und ihr genießlich Lügen 

Hat nimmer Erndt um mich: der vielgeplagte Lein 

Der muß, der kann mir auch anjtatt der Seide ſeyn. 
Bewegung ijt mein Arzt. Die fräuterreichen Wälder 
Sind Apotheks genug; Gold tragen mir die Felder. 

Was mangelt mir denn noch! Wer Gott zum Freunde hat, 
Und hat ein eignes Feld, fragt wenig nach der Stadt, 
Der vortheilhaften Stadt, wo, Nahrung zu gewinnen, 
Faſt jeder muß auf Liſt, auf Tüd, auf Ränke finnen. 

Drum lebe wohl, o Stadt! Wenn ich dich habe, Feld, 
So hab ih Haus und Koit, Kleid, Ruh, Gefundheit, Geld. 





Zugabe. 345 


— — — —— — — — — 





(10) 


Meber die deulſchen Gedichte Berrn Wenzel Schärfers. 


Kein Kraut dient für das Tödten. — 
Nein, ſagen die Poeten: 
Ein Blatt von unſerm Kranze, 
Der friſchen Lorbeerpflanze, 
Erwärmt von unſrer Stirne, 
Begeiſtert vom Gehirne, 
Giebt Balſam zum Geneſen, 
Und trotzet das Verweſen. 

Nicht anders. — Ihr Poeten, 
Der Tod kann keinen tödten, 
Den ihr und eure Sinnen 
Nicht laſſen wollt von hinnen. 
Die alten kühnen Degen 
Gehn noch auf unſern Wegen, 
Die ihrer Druden Lieder 
Nicht ließen ſinken nieder. 
Was wüßten wir von Helden 
Und ihrer Thurſt zu melden, 
Wenn nicht Poetengeiſter, 
Des ſchwarzen Grabes Meiſter, 
Die Sterblichkeit verbürget, 
Daß ſie ſie nicht gewürget? 
Was wär von tapfern Thaten, 
Was wär von klugem Rathen 
Der Nachwelt kundig blieben, 
Wenn dieſe nicht geſchrieben? 
Es macht poetiſch Dichten, 
Daß alles bleibt im Lichten: 
Sonſt fiel in lauter Nächte 
Was Herz und Witz vollbrächte. 

Es ſind zwar ihrer viele, 
Die nach dem fernen Ziele, 
Die nach den Ewigkeiten 
Uns gleiche Fahrt bereiten: 
Doch dünkt mich, daß Poeten 
Noch mehr als andre röthen, 
Was Todtenaſche blaſſet. 

Ihr Thun iſt ſo gefaſſet, 
Daß ihre ſüßen Sachen 
Viel Buhler ihnen machen, 


aa 


Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Daß ihre Hierlichfeiten 
Die Sinnen mädtig leiten: 
Sie zudern alle Worte, 
Es blüht an jedem Orte, 
Sie ſchreiben nicht, fie malen. 
Die ungezählten Zahlen 
Der andern Künftlichfeiten 
Die taugen alle Zeiten 
Und Bölfer, alle Sinnen 
Und Herzen zu gewinnen; 
Drum bat der Tod nicht Beute 
An Werfen diejfer Leute. 

Wie dein Poete jinget 
Und mit dem Alter dinget 
Did, Brieg, und die darinnen, 
Vom Sterben zu gewinnen, 
Das zeugen feine Lieder: 
Was ſonſt noch Hin und wieder 
Er künſtlich artig jpielet, 
Daß Luft und Nu man fühlet, 
Dieß kann genüglich zeigen, 
Wie hoch Poeten jteigen. 

Brieg, ehre dieß Bemühen, 
Willſt du nach dir noch blühen. 
Zwar können ihr Gerüchte 
Durch eigenes Gewichte 
Berewigen die Dichter: 
Doch durch bewährte Richter, 
Die ihnen hold und günftig, 
Wird erit ihr Trieb recht brünitig, 
Sich jelber und die Ihren 
Gar himmelan zu führen. 


(11) 
An einen guten Freund, 
über den Ab[ıhied [einer Tiebfien. 

Freund, da jeder ſich idt freut, daß auf der erfrornen Erde 
Auch des langen Krieges Eis endlich einmal fchmelzen werde, 
Und der nächſte Frühlingstag wird ein Tag des Friedens jeyn: 
O fo jeh ich dein Geficht trübe, blaß und naß allein? 

Wollte Gott! noch dir noch mir wär die Urach aljo fündig; 
Mir zwar ift fie nur im Sinn, aber dir, dir iſt fie fündig 


Bugabe, 347 





Wo du hin gebit, fiehit und ſtehſt; was du denfeft, was du thuft, 
Drüber mangelt leider! dir deine Friedensfrühlingsluft. — 

Deine Friedensfrühlingsluft hat des Krieges rauhes Stürmen 

Dit geblajen, nie gejtürzt: aber ach! des Grab Gewürmen 
Opfert jie der Tod zuleßt, ohngeacht das halbe Theil 

Deiner dran verbunden hieng, auch wohl gar Dein fterblich Heil. 

Weder Schatz, wie groß er jey, it uns Männern fo erfprießlich, 
Weder Freund, wie gut er ſey, ilt uns Männern jo geniehlich, 

AS der uns in Armen jchlief: denn die angetraute Treu 
Herrichet über Leid und Zeit, wird durch Altjeyn immer neu. 

Wem iſt mehr als mir bewußt, wie die Jugend eurer Liebe 
Erjtfich wuchs, und weiter wuchs? Aller Grund, worauf fie bliebe, 
Bar die Treu und Redlichkeit; alle8 andre dauert nicht. 

Was fich auf vergänglic Ding ftüget, das verfällt und bricht; 
Was die Tugend baut, das ſteht. Denf ich weiter noch zurüde 
An die num verrauchte Zeit, an mein mir begrabnes Glide, 
D fo denf ich auch zugleich an der Freundichaft Schweiterjchaft, 
Drinnen dein und meine Luft unverbrüchlich war verhaft; 

Wie fich dein und meine Lieb unter fich fo Lieblich Yiebten, 
Und des Blutes nahe Pflicht durch vertraute Sinnen übten. 
Ob der Tod mein erjte Treu gleich verbarg in friihen Sand, 
Dennoch hat das liebe Menſch ein vertrautes Freundichaftsband 
Auf die Meinen unverfälicht immer fort und fort eritredet, 
Bis nun auc des Todes Neid ihr das lette Ziel geftedet. 

Sey gefichert, treuer Freund, daß dein’ Augen nicht allein 
Sondern mir und meinem Haus’ in Gejellichaft wäßrig feyn. 

Wer das allgemeine Falſch, das die Welt für Witz verhandelt, 
Kennt und haft, dem wird fein Herz auf betrübten Muth gewandelt, 
Wenn ein redlich frommer Chrijt hin fich fichert in das Grab: 
Arges wird dadurch verjtärkt, Frommes nimmt hingegen ab. 

Kun was hilft8? Es muß fo ſeyn. In der Welt von Kindes Beinen 
Hat man, daß der Mensch verjtarb, hören Hagen, jehen weinen; 
Kun fie auf der Grube geht, wird es wohl nicht anders feyn: 

Auf ihr gehet Jedermann und zuleßt fie jelber ein. 

Ey gar gut! Was dünft und wohl, wenn wir ftet3 hier jollten leben, 

Sollten ftetS der Teufeley diefer Welt ſeyn untergeben ? 

Nähmen wir wohl eine Welt, und beftünden noch einmal 

Was bisher uns dreyßig Jahr zugezählt an Noth und Duaal? 
In der Welt jey was da will, find ich doch nichts befjers drinnen, 
Als daß frommes Biedervolf einjt ein ruhig Grab gewinnen. 

Weiche Gott, geliebter Freund! Ihm, der dir die Kinder nahm? — 
Uber der auch wußte, daß bald nachher die Mutter Fam. 

Auch den Sohn, der ehe ftarb als er anfieng bier zu eben, 


348 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Der, mit finjtrer Nacht umringt, ſich bereits ins Grab begeben 
Eh er fi ans Licht begab ? — Diefem jagte Gott: Geh vor, 
Sage deine Mutter an oben in der Engel Chor! 
Kun er auch die Mutter nimmt? — D nun wird auch hier fich zeigen, 
Daß zu deinem Beiten ſich jeine weiſen Schlüffe neigen. 

Deine Friedenzfrühlingsluft hat des Todes Tuch verhüllt. 
Aber find wir wohl gewiß, daß fich aller Unfall jtilkt? 
Daß fich, wenn der Friede nun mit dem Frühling eingetroffen, 
Aller Zorn des Unglüds legt? — D wer darf doch hierauf hoffen ? 
Welt wird immer bleiben Welt, ift des Böſen jo gewohnt, 
Daß fie den, der nicht wie fie rajen will, mit Spott belohnt. 

Giebt der Herr den Frieden gleich: dennoch will mich immer dünfen, 
Wie ich jehe feinen Arm ausgejtredet, und zu winfen; 
Weil wir gegen jeine Gnad alles Dankes uns verzeihn. 
Willen wir, wo künftig Brodt wird für ung zu jammeln jeyn, 
Weil der Himmel fat ein Fahr jo gar reichlich weinen wollen? 
Willen wir, wie Menſch und Vieh fih wird länger fichern jollen 
Bor der Seuchen jchnellem Gift? O wer weiß was jonjt nicht noch 
Uns der Unfall fchnigen kann für ein unerwartet Joch? 
Weil der Teufel nun forthin wird vom Kriegen müſſig werden, 
Wird er ſonſt gar wirthlich feyn, uns zu fochen viel Bejchwerden. 
Was die Welt am höchſten jchäßt: daß man Hab und Gut erwirbt, 
Lieber, wem ift diefes gut? D durch welchen man verdirbt, 
Diejen lohnt man noch damit. Wie die Honigmeijterinnen, 
Wie das Wollenträgervolf, ihnen felber nicht gewinnen, 
Was fie jammeln, fo auch wir: geben was der Stirne Schweiß, 
Schweiß wie Wafjer ausgepreßt, alles unfern Räubern preis. 

Drum fo bleibt es feit gejtellt: Wen der Tod hinweg genommen, 
Diefer ift mit nichten todt, diefer ift zum Leben kommen; 
Denn bier ift der fichre Port aller Unvergänglichkeit, 
Denn bier ift die feite Burg aller jtolzen Sicherheit. 


(12) 
An die Fichte auf meinem Gufe, 


So oft ich zählen fann, daß ich, du edle Fichte, 

Des Sommers meinen Gang zu deinem Schatten richte, 

So oft auch beicht ic) mir die Schuld, die mich bejchwert, 

Daß ich dich nicht nach Pflicht und nach Verdienſt geehrt. — 
Du mußt der Attes jeyn, den Jupiter beneidet, 

Den Rhea lieb gehabt; fie hat dich jo verkleidet, 

Sie hat dich, wo du ftehit, jo hoch und frey gejeßt, 

So daß fih nah und fern an dir ihr Aug ergeßt. 





Zugabe. 349 





Da wo das jchöne Kind von Bratislav (*) geboren 
Der alte Guttalus (**) zu feiner Braut erfohren; 

Da wo Zabothus (***) fühlt, ob Juno geußt, ob jtürmt; 
Wo Roydevall(f) jein Haus in Wolfen aufgethirmt ; 

Da wo des Chzehus Stamm(Ff) mit Bergen fich gegürtet; 
Da wo Lyäus ung mit jüßem Wein bewirthet, 

Mit reinem Golde Dis(Frr), dahin ift für dein Haupt 
Dein fraujes Haupt ein Baß und offner Weg erlaubt, 

Auf Ordnung und Befehl der Mutter aller Götter. 

Dein Fuß iſt jo gejest, daß Aeol und fein Wetter 

Un dir zu Schanden wird: ein harter Feljenftein 

Muß dir in feinen Leib zu bauen zinsbar jeyn. 

Auch iſt dir Ban geneigt, und unter deinen Weiten 
Hat er das liebe Volf der Nymphen oft zu Gäjten. 
Kein’ unter ihnen ift, die jemals um dich war, 

Die heimlich nicht gedacht: o wären wir ein Baar! 

Dir aber liebet nicht das unbefreyte Freyen, 

Und deiner ſelbſt zu jeyn.mwillft du dich nicht verzeihen. 
Du haft genug an dem, daß der dein Thun gefällt, 
Die dih da wo du ſtehſt mit Ehren hingeitellt. 

Zu mehren deren Preis, die deine Kräfte mehret, 

Steht einzig nur dein Sinn. Drum ijt dir auch verehret 
Zum Zeichen deiner Treu das immergrüne Kleid, 

Das feinen Schmud behält, das nur umſonſt bedräut 
Mit Eife Boreas, und Sirius mit Brande: 

Du bilt fein Mondenjohn, der nichts weiß von Bejtande. 

Um dich ift freyer Tag, du jcheuejt nicht das Licht 
Der Sonne, du ſtehſt da vor Jedermanns Geſicht: 

Kein Berg ijt der dich birgt, fein Wald der dich veritedet, 
Und dein gerader Leib bleibt immer aufgeredet, 

Kennt feine Krümme nicht. — Mars hat dir oft geflucht, 
Wann du von fernen haft dem Mann, der dich bejucht, 
Sein Häuflein nugbar Vieh vor diebjchen Hinterlijten 
Wo gänzlich nicht bewahrt, doch vielmal3 helfen friiten. 
Zwar halt du müfjen jehn, wie die verfaufte Schaar 

Hat ganz zu nichts gemacht, was vormals herrlich war; 
Das haft du zwar gejehn, und drüber viel geweinet, 
Daß noch der Thränen Gold an deinem Rod erjcheinet; 
Jedoch was einſt geſchah kann nicht jeyn nicht geichehn: 
Wann du nur ferner nicht fiehit, was du ſonſt gejehn, 


(*) Breslau. (FF) Die Oder. (FF) Der Zobtenberg. (7) Rüben 
zalberg. (tr) Böhmen. (trr) Ungarn. 


350 Friedrichs von Logau Sinngedichke. 





So ſey das Alte gern in dejjen Schooß vergraben, 

Der drüber feinen Kerb wohl halten wird und haben. 
Indeſſen bin ich froh, vergönnt mir nur die Zeit, 

Daß ich dich preifen mag; daß ich durch dich mein Leid, 

Das allgemeine Leid ein wenig mag verjchieben: 

(Vertrieben wird es nicht.) Denn will mid Unmuth üben 

In jeinem engen reif’, jo nehm ih ihm den Zaum, 

Und fuche mir für mic und mein Öemüthe Raum. 

Sch pflege mich dir bey in freyes Blau zu paareır, 

Und lafje meinen Sinn hin mit den Augen fahren, 

Die purjchen weit und breit, erforjchen dieß und das, 

Und haben ihre Luſt an Himmel, Waſſer, Gras, 

An Wald und Berg und Thal, an Feldern und an Auen, 

Und allem was Natur jo fünitlich fonnte bauen; 

Dann bin ich nicht daheim und die Melancdholey 

Muß warten, bis ich ſonſt zu Hauf’, und müßig jey. 
Auch wann der heiße Hund, der dürre Flammen jprühet, 

Macht daß die goldne Glut der Sonne ftärfer glühet, 

Auch dann fomm ich zu dir: da hab ich was ich will, 

Da lab ich mich bey dir durch ein erquiclich Spiel, 

Das jtet3 um deinen Raum Aſträus Kinder (*) fpielen. 

Wann Geres jehnlich wünscht fich wieder abzufühlen 

Durch ein gedeylih Naß, und Jupiter verzeucht, 

So feh ih bald bey dir was den Silenus (**) deucht, 

Ob ihm fein Haupt verhüllt mit einer feuchten Hauben, 

Und. ob er mir vorher zu fagen woll erlauben: 

Ein Regen zeucht herauf! Wenn dann die feuchte Schaar 

Der Wolfen rüdt ins Feld, und, mehr als nöthig war, 

Den naſſen Zug erjtredt, fo giebit du mir zu fennen, 

Ob, oder auch wie bald ihr’ Ordnung ſich wird trennen 

Durch Titans heißen Stral: jo klärlich ftellft du dar 

Theils was noch fern und weit, theil® was noch gar nicht war. 
Und darum wärſt du werth, hoch auf Barnafjens Höhen, 

Und da wo Daphne jteht, zu wurzeln und zu stehen, 

Auf daß der Muſen Reyh um dich häg ihren Tanz, 

Und dich ihr Fürſt gebrauch als feinen Lorbeerfranz. 

Indem du aber dir läßt meinen Grund gefallen: 

Ey jo gefällt mir auch, daß eben diejer allen 

Bon dir bleibt vorgejeßt. Im Fall ich was vermag 

An Helifonergunft, jo joll fein neidiſch Tag 

Bezwingen deinen Ruhm; du ſollſt betagten Eichen 


(*) Argeites, Zephyrus, Notus, Boreas. (**) Bobtenberg. 





Rugabe. 351 





Und ihrem feiten Stark mit nichten dürfen weichen. 

Der Lorbeerbäume Friſch, der Zedern Ewigkeit, 

Und was noch mehr macht jtumpf den argen Zahn der Zeit, 
Soll nicht dein Meiiter jeyn. O daß dich nicht verleße 

Des Jupiters Geſchütz! O daß nicht an dich ſetze 

Noch Mulcibers Gewalt und Grimm, noch Aeols Trubß, 
Noch ſonſt ein freches Beil! Es leiſte dir den Schub 

Die, die dich jo geliebt; die, die dich hergeitellet, 

Die halte deinen Fuß, daß ſolcher nimmer fället, 

Daß du, weil diefer Grund fteht, bleibeit für und für 

Sein Wächter, jein Prophet, jein Nuß, fein Spiel und Bier. 


(13) 
An den Tefer. 


Deine Arbeit, lieber Lejer, und mein Buch, find hier gejchlofjen. 
Mir genügt, wo dir nicht! gnüget, wenn dich auch nur nichts verdroffen. 


ENDE! 





1 (Hierauf folgen 12 unpaginierte Blätter, die das „Regifter der Sinngedichte”, nah den Anfangs 
worten alphabetifh geordnet, enthalten.] 


352 Friedrichs von Iogau Sinngedichke. 








Wörkerbuch. 


Borberüuhl von der Sprache des Logan. 


Die Sprache unſers Dichters ift, überhaupt zu reden, die Sprache 
des Opitz und der beiten feiner Zeitverwandten und Landeslente. Und 
5 wenn Tiherningen hierinn die erjte Stelle nah Opitzen gebühret, 
jo gebühret die erſte Stelle nah Tiherningen unjerm Logan. 
Das Sinngedicht konnte ihm die bejte Gelegenheit geben, die 
Schidlichfeit zu zeigen, welche die deutſche Sprache zu allen Gattungen 
von Materie, unter der Bearbeitung eines Kopfes erhält, der fich jelbft 
10 in alle Gattungen von Materie zu finden weiß. Seine Worte find 
überall der Sache angemeſſen: nachdrüclich und förnicht, wenn er lehrt; 
pathetiih und vollflingend, wenn er jtraft; janft, einjchmeichelnd, ans 
genehm tändelnd, wenn er von Liebe ſpricht; komiſch und naiv, wenn er 
jpottet; poſſierlich und launiſch, wenn er bloß Lachen zu erregen jucht. 
15 Der Sprachenmengerey, die zu jeiner Zeit ſchon ſtark eingerifien 
war,* und die er nicht unrecht von den vielen fremden Völkern, welche 
der Krieg damals auf deutichen Boden brachte, herleitet,** machte er 
° fich nicht ſchuldig; und was er mit einem deutjchen Worte ausdrüden 
konnte, das drückte er mit feinem lateinischen und franzöſiſchen aus, 
20 welche leßtere Sprache auch feine Zeitverwandten bereits für unent- 
behrlich hielten. *** Er hat verfchiedene aus andern Sprachen entlehnte 
Kunftwörter nicht unglücklich überſetzt. Sp nennt er 3. €. 


* Sinngedicht 257 und 398. 
** Sinngedicht 257. i 
25 Die Mufen wirkten zwar, durch kluge Dichterfinnen, 
Daß Deutjchland ſollte Deutſch, und artlich reden fönnen, 
Mars aber Schafft e8 ab, und hat es jo geichict, 
Daß Deutichland ift blut arm, drum geht eS jo geflidt. 
*** Sinngedicht 1594. 
30 Mer niht Franzöfiich kann, 
Sit fein gerühmter Mann zc. 






RE N RE NN nn 
r Sb dig Alsdh, Ib a % 5 3 


Vorbericht von der Sprache des Logan. 353 





Nomen adjectivum et substantivum, das zujeglide und 
eigenftändige Wort* 
Accentus, Beylaut** 
Inventarium, Fundregiiter a. *** 
Doch war er auch Fein übertriebener Puriſt, er jpottet über die zu weit- 5 
gehenden Neuerungen des Zejen,T ob er gleich mit ihm in Einem Jahre 
(1648) in die fruchtbringende Geſellſchaft aufgenommen ward. 
Es bedarf aber nur einer ganz geringen Aufmerfjanteit, zu er: 
fennen, wie jehr die Sprache unferer neueften und beiten Schriftiteller, 
von diejer alten, lautern und reichen Sprache der guten Dichter aus 10 
der Mitte des vorigen Jahrhunderts, unterjchieden it. Der fremden 
Wendungen und Wortfügungen, welche die erjtern aus dem Franzöfiichen 
und Englifhen, nach dem dieje oder jene eines jeden Lieblingsiprache 
it, häufig herüber nehmen, nicht zu gedenken; jo haben fie feine geringe 
Anzahl guter, brauchbarer Wörter veralten laſſen. 15 
Und auf dieje veralteten Wörter haben wir geglaubt, daß wir 
unſer Augenmerk vornehmlich richten müßten. Wir haben alle jorg- 
fältig gejammelt, jo viele derjelben bey unjerm Dichter vorkommen; 
und haben dabey nicht allein auf den Leſer, der fie veritehen muß, 
jondern auch auf diejenigen von unjern Rednern und Dichtern gejehen, 20 
welche Anjehen genug hätten, die beiten derjelben wieder einzuführen. 
Wir brauchen denjelben! nicht zu jagen, daß fie der Sprache — 
* In der Ueberſchrift des 488ten Sinngedichtes. 
** In der Vorrede zu dem erſten Tauſend feiner Sinngedichte, wo er jagt, 
daß er fich bey proſaiſchem Gebrauche der unbejtimmten einſylbichten Wörter, 25 
nah dem Beylaute, jo wie diefer im Reden und Lejen jedesmal falle, ge— 
richtet habe. Deögleihen Sinngedicht 1526. 
Deutjcher Reimkunft meiltes Werk, jteht im Beylaut, oder Schalle; 
Ob der Sylben Ausſpruch furz, lang, und wo er hin verfalle. 
*** Sinngedicht 2363. | 30 
Cynthia will ihren Mann, wenn jie ftirbt, der. Chloris geben; 
Chloris will die Erbichaft nicht weiter und zuvor erheben, 
Bis ein Fundregiiter da, (Seht mir an den Hugen Rath!) 
Bis zuvor fie jey gewiß, was für Kraft die Erbichaft hat. 
Mehrere glücklich überjegte Kunftwörter wird man in dem — ſelbſt 35 
antreffen. 
F Sinngedicht 1747. 


1 ihnen [44. Litteraturbrief; vgl. Band VII] . 
Leſſing, jämtlihe Schriften. VII. 23 





354 Friedrichs von Logau Sinngedichfe, 





einen weit größern Dienft thun würden, als durch die Prägung ganz 
neuer Wörter, von welchen es ungewiß ift, ob ihr Stempel ihnen den 
rechten Zauf jo bald geben möchte. Noch weniger brauchen wir fie zu 
erinnern, wie ein veraltetes Wort auch dem edeljten Lejer, durch das, 
5 was Horaz callidam juneturam nennt, annehmlich zu machen ift. 
Ferner haben wir unjern Fleiß auf die Provinzialipradde des 
Dichters gerichtet. Die Schleſiſche Mundart ift deswegen einer kritiſchen 
Aufmerkſamkeit, vor allen andern Mundarten, würdig, weil wir in ihr 
die eriten guten Dichter befommen haben. Die Vortheile, welche dieſe 
10 Männer an eigenen Wörtern, VBerbindungsarten und Wendungen darinn 
baben,! verdienen, wo nicht für allgemeine Vortheile der Sprache an- 
genommen, Doc wenigitens gekannt und geprüft zu werden. 
Bon diefen Bortheilen, jo fern wir dergleichen bey unjerm Logau 
bemerkt, wollen wir diejenigen, die in dem Wörterbuche ſelbſt Feine 
15 fügliche Stelle finden können, unter folgende allgemeine Anmerkungen 
bringen. 
I; 
Logau läßt vielfältig die Geſchlechtswörter weg. 2. €. 
Man hat den Feind aufs Haupt gejichlagen, 
20 Doh Fuß bat Haupt hinweggetragen.* 
Er thut dieſes 1. bey denjenigen Hauptwörtern, welche Abſtracta aus— 
drüden, und gewijjermaßen zu Gejchlehtsnamen werden; allwo es zu 
einer bejondern Schönheit wird: 
Aber Neid hat: jcheel gejehen ; 
25 Und Verhängniß ließ geichehen, 
Daß ein jehäumend wilder Eber 
Ward Adonis Todtengräber.** 
Hier werden der Neid und das Verhängniß, durch die Weglafjung des 
Artikels, zu Perſonen gemacht, welches weit ftärfer und poetifcher ift, 
30 als wenn es hieße: „Der Neid hat fcheel gejehen; Das Verhängniß 
ließ geſchehen.“ Eben jo aud (IV. 11.) 
Scävus wird mit Ewigkeit immer in die Wette leben ꝛc. 
Hier wird die Ewigkeit zu einem lebendigen Weſen. 


* (IV.51) * (VI 36) 





! darinn gefunden baben, [44. Litteraturbrief] 





Vorbericht von der Sprache des Togau. 355 





2. Thut er es bey denjenigen Hauptwörtern, welchen der un— 
bejtimmte Artikel ein, eine zufömmt, den man in der vielfaden 
Zahl ohnedem ſchon wegzulaſſen genöthigt it. 3. €. (VII. 71.) 

Hat Land durch diefen Krieg, hat Stadt mehr ausgeſtanden? 
Nicht die Stadt, eine gewiſſe Stadt, jondern unbeitimmt; Städte. 5 
Ferner (X. 87.) 

Sieb mir geneigten Blid. 
Anftatt: einen geneigten Blid, oder, geneigte Blide. Man jehe, welche 
gute Wirkung diejes in den Kriegesliedern des Preußiſchen 
Grenadiers hervorbringt. 10 . 

„Wie Eriegriihe Trompete laut 

„Erichalle, mein Gejang !“ 
anjtatt: laut wie eine Trompete, oder wie Trompeten. 

„Drum jinget herrlichen Geſang 2c.” 
anftatt: einen herrlichen Gejang, oder, herrliche Gefänge. 15 

„Er faßte weifen Schluß,“ 
anjtatt: er faßte einen weiſen Schluß. 

II. 

Logau läßt die Endung der Beymwörter, nidt allein 
in dem ungewiſſen, jondern aud in dem männlichen Ge- 20 
Ihledhte weg. Er jagt: „ein groß Verdruß, ein gut Soldat, * 
ein jtätig Gaul,** ein friehend Erdegeift u. ſ. w. 


III. 
Logau braudt jehr häufig das Beywort in dem uns 
gewiſſen Gejfhlehte als ein Hauptwort. 23. €. 25 


Seither ift unjer Frey in Dienftbarfeit verfehret, *** 
für: unjere Freybeit. 

Nachwelt werd ihm alles Frech gar vergefjen oder ſchenken; *5* 
für: alle Frechheit. 

— —— Ein joldhes Klug, 30 

Dafür ein keuſcher Sinn Entjeg und Grauen trug,+ 
für: eine jolde Klugheit. 

Bey welchem freyes Wahr, der — Seele wohnt; 47 
für: freye Wahrheit. 

* (IV.4) Sinngedicht 91. *** Sinngedicht 157.  **** (XI. 24.) 35 

T Sinngediht 1259. Tr (X. 8.) — 


356 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Canus geht gar krumm gebüdt, 
Weil ihn Arm und Alt jo drüdt;* 
für: Armuth und Alter. 
Und ernähren fremdes Faul,** 
"5 für: fremde Faulheit, 
IV. 
Logau läßt von den Zeitwörtern die jelbititändigen 
Fürwörter da weg, wo jie zur Deutlihfeit nichts mehr 
beytragen, underhält dadurch mehr Nahdrud und Feuer, 
10 3. ©. 
Mich, jagt Elfa, ſchreckt es nicht, werde brünftig nur gemacht, 
Unter Augen dem zu gehn ꝛc. *** 
für: ich werde nur brünftig gemadht. 
Picus nahm die dritte Frau, immer eine von den Alten: 
15 Wollte, meyn ih, ein Spital, ſchwerlich einen Ehſtand hal 
ten. KERR 
für: er wollte ein Spital halten. 
Nifus buhlte ſtark um Nifa: Diejes gab ihr viel Bejchwerden ; 
Wollt' ihn nicht; fie freyt ihn aber, jeiner dadurch los zu 

20 | werden. 

für: fie wollt’ ihn nicht. 
Wenn im Schatten Fühler Myrthen 
Sie fi famen zu bewirthen: 
Folgte nichts als lieblih Liebeln, 
95 Folgte nichts als tückiſch Bübeln; 
Wollten ohne ſüßes Küſſen 
Nimmer feine Zeit vermifjen. TT 
für: jie wollten feine Zeit vermiffen. 
V. 

90 Logau trennet von den zujammengejegten Zeitwör— 
tern die Vorwörter aud da, wo wir fie nicht zu trennen 
pflegen, und jeget zwiſchen beyde irgend ein ander 
Nedetheilden, um die Worte für das Sylbenmaaß be: 
quemer zu machen. Wenn wir uns diejer Freyheit nicht mehr be 

35 © *Sinnged. 1820. ° ** Erſte Zugabe, Sinngediht 201. *** (III. 31.) 
**** (IV, 48) + (IV. 80) ++ (VI 36.) Ze. 





Vorbericht von der Sprache des Togan. 357 








dienen, jo werden wir wenigjtens Urſache finden, ihn darum zu bes 
neiden. 3. €. 

Ey, ich wills ihm ein no‘) treiben; diejes Ding muß jeyn gerochen ;* 
für: ich wills ihm noch eintreiben. 

Lieb und Geiz find joldhe Brillen, welche dem, der auf fie ftellt,** 
für: der fie aufitellt x. Itzo müfjen wir uns dur die Um— 
kehrung helfen: er jtellt es auf, er trieb es ein; und in der 
unbejtimmten Weije durch das Wörtchen zu: einzutreiben, auf- 
zuftellen; und in zwey vergangenen Zeiten durch die Sylbe ge: 
er hat eingetrieben, er hatte aufgejtellt. Alles gute Mittel; die wir 
aber zuweilen nicht ohne Zwang und Weitjchweifigkeit gebrauchen können. 

EU: 

Logau jeßet die Endiylbe Iey, die wir it nur bey 
den theilenden Zahlwörtern dulden wollen, auch zu 
fait allen Arten von Fürwörtern, und erlangt dadurd, 
(wie man es nun nennen will) ein Nebenwort, oder ein 
unabänderlihes Beywortvon beſonderm Nachdrucke. 2. €. 

Zu etwas Großen noc wird Sordalus wohl werden, 

Denn jeinerley Geburt ift nicht gemein auf Erden 20. *** 
Wie weitſchweifig müfjen wir ist dafür jagen: „denn eine Geburt, wie 
„eine war 20.” 

Du Schelme, du Bauer! So zierliche Titel 

Berehrten die Krieger den Bauern ins Mittel. 

Kun Krieger getreten in Zippelpelzorden 

Sind diejerley Titel Beſitzer fie worden. **** 
Diejerley, jagt bier nicht jo viel, als diejer; es jcheinet auch nicht 
jo viel zu jagen, als dergleichen, jondern es begreift beydes: 
Diejer und dergleidhen Titel. Weberdem da wir dieſes ley 
bey den uneigentlichen Fürwörtern jehr wohl leiden; denn wir jagen 
ohne Tadel, mancdherley, ſolcherley, feinerley, vielerley, 
allerley: warum jollte es nicht auch an die eigentlichen Fürwörter 
gejegt werden. fönnen? Die Schleſiſche Mundart kömmt hier mit der 
Schweizerijchen überein, welches man aus folgender Stelle, die Friſch 
aus Geilers von Kayjersberg Poſtille anführet, erjehen wird. 


| * Sinngediht 1041. ** Sinngedicht 1317. *** Sinngedicht 779. 
**** Sinngedicht 1586. 


10 


15 


20 


25 


35 


358 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Sie erläutert. zugleih den Gebrauch diejer Fürwörter in ley vortreff 
ih. „Ein Sun tft nit anders, dann ein Ding das da lebet von einem 
„lebendigen jeinerley. ch hätte einen Sun, der wär meinerley, 
„ejusdem speciei. Ich fann die Species nicht baß teutichen. Würme, 
5 „die du in dir haft, find nicht Deinerley.“ 
VI. 
Logau conjtruirt die Zahlwörter gern mit der Zeug: 
endung. 8 ©. 
Für ein einzles, das man thut, 
10 Sp es tft zu nennen. gut, 
Kann man zehen böjer Stüde, 
Rechnen ab, und ziehn zurüde. * 
Nicht: zehn böſe Stüde. Man wird fich diefer Zeugendung jehr wohl 
bedienen fönnen, jo oft das Hauptwort mit einem Selbitlauter anfängt, 
15 und man den Hiatus vermeiden will. 
VII. 

Logan läßt von ſehr vielen Wörtern die — 
ſylbe ge weg, wodurch ſie an ihrem Nachdrucke nichts 
verlieren, oft aber an dem Wohlklange gewinnen. Er 

20 ſagt z. E. 
Die weitgereiſte Würze — ** 
wofür wir Gewürze fagen und e3 in ein Neutrum verwandeln; wie: 
wohl wir auch die erjte Art, bejonders im höhern Styl, beybehalten, 
Gott jey Dank für meinen Schmad ꝛc. *** 
25 für Geſchmack; deßgleichen auch Rud für ie RER 

Mer der Arbeit Mark will nießen 2.7 
für genießen. So aud Hirn für Gehirn, " weliies noch üblich 
it) linde für gelinde, Sang für Gefang,Tr bradt für ge— 
bracht ꝛc. Mit der Anfangsiylbe be verfährt er oft auf lee Weiſe. 

30 3. E. ſonders für beſonders: 

Ein ſonders Lob iſt dieß, daß einer Lobens werth ꝛc. FrF 
müht für bemüht,4744 hauſen für behauſen, mir liebet 
für mir beliebet ıc. 

* Sinngedicht 2470. ** Sinngedicht 403. *x* Sinngedicht 1725. 


35 Fer Sinngedicht 1727 und 2148. +(U.78) +FrAV.101) +rr (II. 50). 
+rFF &T. 130.) | 





Wörkerbuch. 359 





Und ſo viel von den allgemeinen Anmerkungen über die Pro— 
vinzialſprache unſers Dichters; einzelne wird man in dem nachſtehenden 
kleinen Wörterbuche häufig antreffen. Man wird aber wohl ſehen, daß 
unſere Abſicht weder hier noch dort geweſen iſt, alle Eigenthümlichkeiten 
der Schleſiſchen Mundart damit zu erſchöpfen. Sie kommen bey un 5 
ſerm Dichter nicht alle vor, und von denen, welche vorkommen, haben 
wir, wie ſchon gedacht, nur diejenigen ausgejucht, von welchen er einigen 
Nutzen gezogen, und von welchen auch noch unsre heutigen Schriftiteller 
vielleicht einigen Bortheil ziehen könnten. 


* * * 
A. 10 
Abgleichen; einen oder etwas abgleichen, referre. Sinng. 13. 


Kinder — — — 
Die des Vaters tapfern Sinn 
Und der Mutter ſchönes Kinn 
Lieblich werden abegleichen. 15 
Ablangsrund, wofür wir itzt länglichrund, oval, ſagen. 
Sinng. 2410. wo der Dichter von der Figur der Erde redet, wie ſie 
damals geglaubt wurde: 
Iſt der Erdkreis, wie man meynt, ablangsrund als wie ein Ey ꝛc. 
Allengefallenheit ein ziemlich unbehülfliches und von dem 20 
Dichter ohne Zweifel gemachtes Wort, für: das Beſtreben allen zu ge— 
fallen. Vielleicht könnten es noch die Gottesgelehrten brauchen, die 
aoeoxsıa des H. Paulus auszudrüden. 
Alter Zeit an jtatt in alten Zeiten, vor Alters. (V. 102.) 
Jakobs Stamm Flagt alter Zeit 25 
Ueber ſchwere Dienftbarfeit. 
Flemming jagt: 
„Die Freude mitte nehmen 
„So ſich giebet diefer Zeit ac.” 
Nach eben der Art jagen wir noch: jtehendes Fußes, gerades Weges ıc. 30 
Angehen, einen; in dem eigentlichiten Verſtande, füranfallen. 
Sinnged. 725. 


360 FJriedrichs von Togau Sinngedichke. 








Er jteht viel feiter noch als feite Zedern jtehn, 
Die Regen, Thau, Reif, Schnee, Froſt, Hitze wird angehn. 

Angeſichts braucht Logau als ein Nebenwort nicht unglücklich, 
vielleicht weil ihn augenblidlih, in einem Augenblid, welches 

5 er dafür hätte jegen müſſen, zu proſaiſch dünkte. Sinng. 176. 
Wer Erde liebt, liebt das, was endlich angefichts, 
Kann Gott gebeut, zerftäubt — — 

Angler für Engländer. Sinng. 2512. Man hat geglaubt, 

das Wort Engliſch jey das einzige Adjectivum patronymicum, welches 

10 wider die Sprachähnlichfeit eingeführt worden wäre, und hat es daher 
allemal in Engländijch verwandeln wollen: Angliſch aber, oder wie 
wir es nunmehr ausjprechen, Engliſch, kömmt von unjerm alten 
Worte Angler eben jo natürlih her, als Franzöfiich von Franzose, 

Holländiſch von Holländer, Italieniſch von Staliener u. f. w. Im Fall 

15 der Zweydeutigfeit könnte man es freyli wohl in Engländiſch ver- 
wandeln, wie man die Franzojen aus eben der Urſache zuweilen in 
die Franzöfiihe Nation zu verwandeln pflegt. 

Anjprengen einen, für anfallen; eine Redensart, die von den 
Ritterübungen hergenommen ift. Sinng. 2790. 

20 Eijen jhüßet zwar den Mann, 
Wenn Gewalt ihn fprenget an ac. 

Anſtand, Waffenanftand; beides it unjerm Dichter ſo 

viel als das jetzt gebräuchlichere, aber gewiß nicht beſſere Waffen— 
ſtilleſtand (XIII. 4). Sn der Metapher wenigſtens wird An— 
25 jtand ſich weit jchiellicher jagen laſſen, als Waffenitilleftand. 

3. €. 
Anitand kann zwar — auch mit der Krankheit ſeyn, 

Aber Friede will fie nie mit ihm gehen ein. 

- Für Auffhub ift es noch überall in den Redensarten ohne An- 
30 jtand, Anjtand nehmen, im Gebraude. 

Arzung. Wir haben diefes Wort mit Unrecht untergehen laſſen, 
denn wir haben fein anderes an ſeiner Stelle. Heilung kann nur 
von äußerlihen Schäden gejagt werden; und die Curirung, Die 

Geſundmachung — melde Wörter! Die Hebung, die Vertreibung 
35 einer Krankheit alfo, in jo ferne fie das Werk des Arztes ift, wie foll 
man fie beſſer nennen, als Arzung? Erfte Zugabe 24. 





Wörkerbuch. 361 








Aufgehebe, das; ein Kunſtwort der Klopffechter, worunter ſie 
alle die Ceremonien und Fechterſtreiche verſtehen, mit welchen ſie ihren 
Kampf beginnen. Dieſe Bedeutung muß man wiſſen, um das 2624te 
Sinngedicht unſers Logaus über die Gicht zu verſtehen: 

Was man auch der Gicht immer Schuld gleich gebe, 5 

Iſt ſie fechtriſch doch, macht manch Aufgehebe. 
Und eben daher kömmt auch der ſprichwörtliche Ausdruck: viel Auf— 
hebens machen; den man eigentlich nur von unnöthigen, pralerhaften 
Borbereitungen brauden jollte. Weil man aber nach und nad) 
diefe wahre Ableitung vergejien, und vielleiht geglaubt, das Wort 10 
aufheben jey nach dem lateinifchen extollere (laudibus) gemacht 
worden, (gleichwie man erheben für loben, wirklich darnach gemacht 
hat) jo hat man hernach den Begriff eines übermäßigen Lobes, einer 
PBralerey überhaupt damit verbunden. 

Augſt für Auguft. Zweyte Zugabe 216, wo der Dichter von 15 

einem Fuchsjchwänzer jagt: 
— — — GSpridt wo jein großer Mann: 
Mir iſt gewaltig warm: jo trodnet er die Stirne, 
Eröffnet jein Gewand, entdedet jein Gebirne; 
Obſchon für grimmen Froſt des Daches Nagel jpringt. 20 
Spricht jener: Mir ift kalt; obgleich die Tropfen zwingt 
Die Hi aus feiner Haut, jo wird er dennocd zittern, 
Und ließ ihm auch im Augſt jein Kleid mit Füchjen füttern. 

Ausgleidher. So nennt Logan den Tod; weil er allen Unter: 

Ihied unter den Menjchen aufhebt. Sinnged. 1806. 25 


B 


Baar, 1. für bloß, leer. Sinng. 1721. 

— — iſt an Ehr und Namen baar. 
2. für barfuß, unbeſchlagen. Sinng. 1513. 

Poliche Pferde gehen baar, pohliche Leute gehn bejchlagen ꝛc. 30 
| Bach, eine. Logau macht diejes Wort durchgängig weiblichen 
Geſchlechts. Sinng. 1267. 

Der Zorn iſt eine volle Bad). 

Auch Opitz, Tiherning, Flemming jagen die Bad. 
0 Bankart, Banffind; ein außer der Ehe erzeugtes Kind. 35 


362 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Man jehe, wie Logau Sinng. 975. die verjchiedenen FOREN 
jolcher unehelichen Kinder ordnet: 
Ein wohlbenamtes Bolf find gleihwohl Hurenfinder! 
Bey Bauern heißt man fie zwar jo nichts deito minder; 
5 Bey Bürgern beſſer noch, Bankart; und im Gejchlechte 
Der Edeln, Baftarte; und Beyſchlag auch Unädte 
Bey Fürft und Königen. 
Allein es iſt falſch, daß jonit fein Unterjchied unter dieſen Wörtern 
ſeyn ſollte. Bankart heißt jedes Kind, das außer dem Chebette, 

10 welchem hier die Bank entgegen gefeßt wird, erzeugt worden. Bajtart 
aber hat den Nebenbegriff, daß die Mutter von weit geringerm Stande, 
als der Vater, gewejen jey; ja diejer Nebenbegriff iſt bey den mittlern 
Schriftitellern oft der Hauptbegriff, ohne daß dabey zugleich auf eine 
unehliche Geburt jollte gejehen werden. Beyſchlag klingt ziemlich 

15 na der Stuttery. Unächte Kinder glaubt man ist weit feiner 
natürliche Kinder nennen zu fönnen; welche Benennung, nad) Logaus 
Zeiten, aus der franzöfiihen in die deutſche Sprache gefommen ift. 
Sin dem fo genannten Heldenbuche fümmt ein altes Wort vor, welches 
hieher gehört, und der Wiedereinführung vollflommen würdig ift: Kebs— 

20 find. (Auf dem 49ten Blatte der Ausgabe von 1560.) 

„Sie ſagten jeltzam Märe | 
„Vol auf den werden Mann, 
„ie er ein Kebsfind were 

| „Und möcht fein Erbe han.” 

25 Barmherzigkeit und Erbarmung untericheibet Logau in 
der Aufjchrift des 23ten Sinngedichts im V Bude. Erbarmung ift 
ihm das bloße unangenehme Gefühl, welches wir bey der Bein 
eines andern empfinden: Barmherzigkeit aber ift ihm weit mehr, 
nehmlich die thätige Bemühung, eines andern Bein zu wenden. 

30 Bedurft, Xebensbedurft, Sinng. 507. wofür wir jeßt 
Lebensnothourft jagen. 

Befahren, fih: für befürchten. Sinne. 38. iſt noch an vielen 
Orten im Gebrauche. Herr Bodmer hat das Hauptwort hievon: 
„Ich entdedte ihm meiner Seele Befahren;“ 

35 anftatt, die Bejorgniffe meiner Seele, Ueberhaupt findet man in den 

Schriften diefes Dichters und feiner übrigen Landesleute viele dergleichen 


ST SUOREIERINRE = nr 363 








nahdrüdliche Wörter, von autem altem Schrot und Korne, die den 
meiften Provinzen Deutichlands fremde geworden find und fich in der 
Schweiz am längjten erhalten haben. 
Begüniten. Sinnged. 2477. wofür wir it, etwas nn 
Elingender, begünftigen jagen. 5 
Belieb, das. Sinne. 545. 
Die Bibel, Gottes Wort, ift mein Belieb im Leben ıc. 
Belieben (I. 71.) ſcheint unjerm Dichter die Bedeutung des 
Worts lieben zu veritärken. Eben jo jagt er (IX. 104.) beherzen 
und befüjjen. Much finden wir diefes Wort mit beladen ver: 10 
bunden: belieben und beladen. 
Be moll überjegt Logau: Das Linde Be. Sinng. 1366. 
Ein Kunftwort, welches eingeführt zu werden verdienet, weil wir ung 
ſonſt mit dem fremden behelfen müßten. 
Bequemen, das; für die Bequemlichkeit. (XI. 25.) An einem 15 
andern Drte finden wir das Luſtbequemen. 
Beiheinen etwas, ihm einen Schein, einen Anftrich geben. 
Zweyte Zugabe 72. 
Wenn böje Weiber ihre Tüde wolln! beicheinen, 
Sp willen fie fein bejjers Mittel, als das Weinen. 20 
Beſinnen, diejes Zeitwort, welches jonft nur ein Reciprocum ift, 
braucht Logau als ein bloßes Activum ; da ihm denn etwas bejinnen 
jo viel iſt, als ſeinen Scharffinn an etwas zeigen, worauf finnen und 
es durch das Sinnen herausbringen. excogitare. Anhang 254. 
O Xieber, wie viel iſts, das ich pflag zu befinnen? 25 
Geh, zähle mir die Stern, und menjchliches Beginnen! 
An diefem Orte heißt es ihm fo viel als Sinngedichte machen. Wir 
finden dieſes Wort in eben diejer thätigen Bedeutung auch beym Flemming: 
„Die Gejellichaft ſprach ihm zu: 
„Damon, was bejinneft du?“ 30 
Beſitzen, fi) worauf jegen. (VII. 74.) 
Nedlich will ich lieber jchwigen 
Als die Heuchlerbanf bejigen. 
Bejonnenheit; das Gegentheil von dem gebräuchlichern Un— 
bejonnenheit. Anh. 174. 35 


! wollen [1759] wolln [Originalausgabe der Sinngedichte Logaus von 1654] 





364 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Beitand, der für Beſtändigkeit. (III. 88.) und Sinng. 211. 
Hoffnung kriegt die Kron, 
Und Beitand den rechten Lohn. | 
Beſtehen; 1. MS ein, Neutrum, für ſtehen bleiben; fteden 
+5 bleiben. Sinng. 946. 
— — im Rüden 
-Befkund der heiße Pfeil ꝛc. 
a Als ein Activum. Etwas beitehen heißt alsdann fo viel als 
einem Dinge Stand halten, es ausjtehen. Im Heldenbuche lejen wir 
10 e8 jehr oft; und auch in der Geſchichte des Ritters Don Duirotte 
von Mancha kömmt der Ausdruck ein Abentheuer beitehen, 
häufig vor. : Zogau jagt: (XII. 11.) 2 
0, Nähmen wir wohl eine Welt und beftünden Be einmal 
Was bisher uns dreyßig Jahr zugezählt an Noth und Qual? 
15 Und Opig: 

„Sie wiſſ ſen allen Fall des Lebens zu beftehen.“ 
Beſtillen, für ftillen; das Be verftärkt die Bedeutung, wie 
wir unter Belieben angemerfet haben. Sinng. 2135. 

Dur und Hunger find die Mahner, die man nimmer kann 

20 beitillen: 
Morgen kommen fie doch wieder, kann man fie gleich heute 
füllen. 
Beyihub, Hülfe, Vorſchub. —G1) | 
| Ptochus rufet feinen Freund in der Noth um Beyicuß., an ꝛc. 
25 Bieder, vechtichaffen, nützlich, tapfer. Wir laſſen dieſes alte, 
der deutſchen Nedlichkeit jo angemefjene Wort muthwillig untergehen. 
Friſch führt! den Baflionsgefang: O Menſch, bewein dein Sünde 
groß 2. an, worinn es noch vorkomme. Wir wollen nachfolgendes 
Sinngediht unfers Logaus in diefer Abjicht anführen (III. 37.) 
30 Mer gar zu bieder ijt, bleibt zwar ein redlich Mann, 

Bleibt aber, wo er iſt, kömmt jelten höher an. 

Biedermann ift zum Theil noch üblih. Bey ihm aber findet 
man noch andere dergleichen nachdrüdliche Compoſita; als? Bieder- 
mweib (V. 6.) 





“1 führet [44. Litteraturbrief] 2 (Im 44. Litteraturbrief Heißt e3 Hoi hier an bis ©. 365, 
3. 7 fürzer:] ald Biederweib, Biederherz, Biederwefen, Biederjinnen. Und meld 





Wörkerbuch. 365 





Ein Biederweib im Angeſicht, ein Schandſack in der Haut 

Iſt manche — 
desgleichen Biederherz, (V. 20.) Biederweſen, Sinng. 761. 
Biederſinnen, Sinng. 2210. 

Werther Freund, du lieber Alter, alt von alten Biederſinnen, 5 

Alt von Jahren, Witz und Ehre — 

Und welch ein vortreffliches Wort iſt nicht das, welches in dem alten 
Lobliede auf den wendiſchen König Anthyrus vorkömmt:!“ 

„Sein Sinn war abgericht auf Biederlob und Ehre?“ 
Biederlob iſt hier das Lob, welches man als ein Biedermann von 10 
einem Biedermanne erhält.“ In den Fabeln des von Riedenburg 
finden wir auch das Hauptwort hievon, Biederfeit. 

An Eren und an Biderkeit. 
Bilderbogen. So nennt Logau den Thierfreis. Erſte Zu— 
gabe 201. | CR 
Bindlid. 1. Als ein Beywort, jo viel als verbindlich, ver- 
bunden: Sinng. 2448. einer Frau bindlid werden. 2. Als 
ein Nebenwort, jo viel als striete: (III. 9.) ſich bindlich wozu 
erklären. 
Blaſſen; pallere, pallescere. als ein Activum. (XIII. 10.) 20 
— — —  röthen | 
Was Todtenaſche blaſſet. 
2. als ein Neutrum (IX. 76.) 
Der iſt nicht alleine bleich, 
Wer nicht ſatt iſt und nicht reich; 25 
Großes Gut und jtetes Praſſen 
Macht vielmehr die Leute blafjen. 
Blick, für Augenblid. Sinne. 365. 
— — Du adteit Gott jo £lein, 
Und fannit doch ohne Gott nicht einen Blick nur feyn. 30 
Blicklich, als ein Nebenwort; für, alle Augenblide. Anh. 138. 
— — — blicklich Kleider wandeln. 
Und Flemming: 
„Ber bezahlt euch Leib und Leben, 
„Die ihr blilih Hin müßt geben ?“ . 85 


I vorkommt [44. Litteraturbrief] 2 [Der folgende Sat fehlt im 44. Litteraturbrief] 





366 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Blitzlich, geichwinde wie der Blit. Sinnged. 1131. 
Menſch, vertraue keinen Stunden, weil fie nimmer ftille ftunden ; 
Du läufſt mit, und haft dich bliglich deinem End entgegen funden. 

Blößlich für bloß. Sinng. 1498. 

5 Der auf Tugend nichts nicht wagt, will auf Glüde blößlich 

barren ac. 
Bruch, braccae, Hojen (Blattd. Broofe) Sinng. 1573. 
Trogt mancher noch jo hoch 
So trifft er endlid doch 
10 Für feine Füße Schud, 
Für feinen Siter Brud. 

Brunft. Sinng. 2164. 

— — Denn milder Thiere Zunft | 
Hegt nur zu mancher Zeit der ſüßen Liebe Brunft. 

15 Und diejes iſt auch das wahre eigentlihe Wort, den Trieb gewiſſer 
wilden Thiere zur Vermiſchung anzuzeigen ; derjenigen nehmlich, welche 
dabey brüllen oder brummen. Unwifjenheit und Nachläßigkeit haben 
diejeg Wort in Brunſt verwandelt, welches von brennen gemacht 
it; und haben dadurch Anlaß gegeben, mit diefem legtern jehönen und 

20 edeln Worte einen unzüchtigen und edeln Begriff zu verbinden. Noch 
it es Zeit, Diefe nachtheilige Vermifhung wieder abzuſchaffen. Brunft 
heißt fervor, ardor, und bedeutet jo wenig etwas übels,! daß es die 
üble? Bedeutung nicht anders als dur ein Beywort erhalten kann. 
So jagt z. E. unſer Logau: arge Brunjt, geile Brunft x. 

25 Brünftig aber, entbrünften und andere dergleichen abgeleitete 
Wörter brauden Opitz, Morhof xc.? in der beiten Bedeutung von 
der Welt. Friich in feinem Wörterbuche fchreibt zwar: „Brunft jagt 
„man nicht wohl von Wölfen, Luchjen und dergleichen, wie einige Jäger 
„thun; ſondern beſſer Brunſt.“ Allein man lafje ſich nicht irre machen ; 

30 denn Friſch hat hier offenbar unrecht; weil die Jäger von Wölfen 
und Luchſen* weder Brunft noch Brunft jagen, jondern beyde rollen 
oder ranzen lajien. ©. Döbels erfahrnen? Jäger. 

Brunſt; anftatt Brand, Verbrennung, Feuersbrunit. Sinng. 

91. hat zur Ueberfchrift: die legte Brunſt der Welt, und heißt: 





1 jibeles, [44. Litteraturbrief] 2 übele [44. Litteraturbrief] 3 20. [fehlt im 44. Litteraturs 
brief] 4 Lüchſen [44, Litteraturbrief] 5 erfahrner [44. Litteraturbrief] 





Wörterbud. 367 











Unjre Welt ijt jchlägefaul, 
Sept jich wie ein ftätig Gaul. 
Will fie Gott zu Stande bringen, 
Muß er fie mit Feuer zwingen. 
Jene Welt ertranf duch Flut, 
Dieje Welt erfodert Glut. 

Und Opitz jagt: 


or 


„— — Jo viel Shrifen — — 
„Die feine Macht der Zeit, kein Wetter, feine Brunſt 
„gu dämpfen bat vermodt. — —“ 10 


Bübeln. 1. betriegen, Unterjchleif machen. (X. 34.) 
Wer im Geringen bübelt ıc. 
2. wollüjtig ſcherzen; wovon fich die gröbere Bedeutung noch in dem 
Ausdrude Huren und buben findet. (VI. 36.) 
Wenn im Schatten kühler Myrthen 15 
Sie ſich kamen zu bewirthen, 
Folgte nichts als lieblich Liebeln, 
Folgte nichts als tückiſch Bibeln. 
| Buhlen. Bon diefem Zeitworte macht Logau die leidende Weife: 
gebuhlt werden. Sinnged. 1136. 20 
Denn der Buhler buhlt dem Buhler, buhlt und wird gebuhlt 
nicht minder. 

Büttner oder Bütner für Böttcher. Sinng. 1530. das 
alte Wort heißt Buittin, ein hölzern Gefäß; Plattdeutſch: eine 
Bütte. 25 

c. 
Cärl; ſo ſchreibt Logau wofür wir itzt Kerl ſchreiben. Sinng. 


672. Das ä hätten wir billig beybehalten ſollen, weil das alte gothiſche 
Wort Karle heißt. 


D. 30 
Dannen braucht Logau öfters für, von dannen. 3. ©. 
Sinng. 895. 
Alle Flüſſe gehn ins Meer, 
Alle kommen dannen her. 
So wie in den alten Fabeln: 35 


368 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Dannan schied er mit Bitterkeit. — 
Der Tiep sich balde dannan stal. 
Degen. Logau braucht dieſes Wort in der alten Bedeutung, 
für einen tapfern Kriegsmann, für einen Helden. (XIII. 10.) 
5 — — — Hr Boeten, 
Der Tod kann keinen nöthen, 
Den ihr und eure Sinnen 
Nicht laſſen wollt von hinnen. 
Die alten kühnen Degen: 
10 Gehn noch auf unjern Wegen, 
Die ihrer Druden Lieder 
Kicht ließen finfen nieder. 
Diefe Bedeutung war aljo zu feiner Zeit noch befannt. Bey viel 
ſpätern Schriftitellern wird man fie jchwerlich finden. Denn ohngefähr 
15 dreyßig Jahr darauf mußte fie Sandrart bereits jeinen Lefern in 
einer Anmerkung erklären. (©. der deutjchen Afademie zweyten Haupt: 
theils erjte Abth. ©. 42.) 
Demmen. Diejes Zeitwort braucht Soda dem erſten Anjehen 
nach, in zwey ganz verjchiedenen Bedeutungen. Einmal heißt e3 ihm 
20 ſo viel als verdunfeln, demmericht machen. Sinng. 1667. 
Gottes Wort leucht helle, 
Gottes Wort lauft jchnelle: 
Wer denn will es demmen? 
Wer denn will es hemmen? 
25 Ein andermal bedeutet es ſchlemmen, praffen. Anh. 228. 
In vollem Sauje leben, nur jchlemmen, demmen, zehren, ! 
Iſt hofemäßig. Sorgen, woher es zu gewehren, 
Damit find ihre Köpfe mit nichten zu bejchweren. er 
Friſch hat die erjtere? Bedeutung gar nicht, und aus. der zweyten 
30 macht er ein bejonderes Wort, das er vor fich, und nicht unter Dem- 
merung anführet.? Es find aber ‘beide Bedeutungen jo verwandt, daß 
auch mit der zweyten eigentlich der Begriff in* der Demmerung 
zu verbinden ift.? Der Spate in feinem Sprachſchatze jagt jehr wohl: 
Demmen proprie est, noctes conviviis vigilatas ducere, in tene- 





1 zehren 2c. [44. Litteraturbrief; die beiden folgenden Berje fehlen] 2 erfte [44. Litteraturbrief] 
3 anführt. [44, Litteraturbrief] 4 in [fehlt im 44. Litteraturbrief] 5 iit [fehlt 1759] 


a 7, 1 Ve 





Wörkerbuch. 369 





bris perpotare. Statim autem ad quamcunque intemperantiam et 
helluationem transferri coepit. 

Denken. Logau macht hievon ein unperjönliches Zeitwort: es 
denft mich), memini. Sinng. 84. 

Es denkt mich noch ein Spiel bey meinen jungen Jahren. 5 
Wir erinnern, im VBorbeygehen, daß man einen Unterjchied machen 
fönnte unter denken, cogitare, und unter gedenfen, recordari. 
Doch der Unterfchied ift ſchon gemacht, wird nur nicht allemal beob- 
achtet. 

Deube, die; für Diebftahl. Sinng. 2808. 10 

— — Seine Deube bleibt verhohlen. 
Drang, der; für Drangjal. Sinng. 2835. 
Der Drang, den Krieg uns that ıc. 
Einem allen Drang anthun jagt man noch hin und wieder in 
der gemeinen Rede. 15 

Druden, die; wofür wir ist Druiden jagen. Man jehe die 
oben unter Degen angezogene Stelle. 

Dupelmann; ein von unjerm Dichter ohne Zweifel gemachtes 
Wort, durch welches man das Englifche double-dealer jehr eigentlich 
ausdrücen könnte, wenn man es, nach unferm jegigen Dialekte, in 20 
Doppelmann verwandelte. Sinng. 1103. 

Die fich ließen jehreiben ein 
In den Biedermannesbund, 
Da fein Dupelmann nie ftund. 
Er jcheint es in dem 1226ten Sinngedichte ausdrüdlich erklären zu 25 
wollen : 
Duplus hat nicht duple Stärke, da er doch hat duples Herze: 
Denn er führet duple Sinnen ; jagt im Ernfte, meynt im Scherze. 
Jetzt ſagen wir dafür Zweyzüngler, Doppelzüngler. 

Durchſchnitt. Mit diefem Worte hat ſchon unjer Logau das 30 
undeutjhe Profil überjegt; und zwar eben da, wo wir es jelten oder 
gar nicht brauchen. Denn wir jagen es zwar von Gebäuden ohne 
Bedenken, aber nicht von einem Gefichte, welches der Maler bloß von 
der Seite genommen bat. Erfte Zugabe 183. 

Große Herren, wenn fie blind, daß fie Maler gerne zahlen, 35 
Pflegen nad) dem Durchſchnitt fie, oder ſchlafend fie zu malen. 


Leſſing, ſämtliche Schriften. VII. 24 


370 Friedrichs won Togau Sinngedichke. 





E. 

Eifere, der, die, das; ſo viel als ſcharf, beißend. Unſer Dichter 
ſagt Sinng. 1534. eifere Lauge. Der häufige Gebrauch der un— 
eigentlichen Bedeutung des Hauptwortes hievon, nehmlich des Wortes 

5 Eifer, zelus, iſt ohne Zweifel an dem Untergange dieſes Beywortes 
Schuld. 

Eignen, für geziemen. Sinng. 777. 

Mit Verluſt des guten Namen einen guten Freund erkaufen, 
Eignet nicht den weiſen Leuten. 

10 Er ſagt auch auf die unperſönliche Weiſe: es eignet ſich, für es 
geziemt fih. Sinnged. 1771. So jagt man auch noch im gericht- 
lihen Styl: wie es einem treuen Anwalde ꝛc. eignet und gebühret. 

Eitel, al ein Nebenwort für nihts, als (. 3) 

Emje ſchreibt Logau anjtatt Ameije. Sinng. 761. 

15 Wohl indeſſen dem, der dort lacht, und ſchaut die Emjenhaufen, 

Drinnen um das eitle Nichts Friechen, jteigen, dringen, laufen 
Unbedachte Menjchenihwärme ! 
Wie von dem alten Worte Erbeis, Erbje; jo ift von dem ältern 
Emeis, Emje entjtanden. Man hat auch vor Zeiten Ambeiz ge 

20 jchrieben, und daher ift Ameife gefommen. Emſe wäre noch immer 
ein jehr bequemes Wort für die deutiche Projodie. 

Ent; mit diefer Sylbe fängt Logau verjchiedene Wörter an, Die 
ih jonjt mit em anfangen. Er jagt 3. E. entpor anftatt empor. 
Sinng. 1257. Desgleichen entfinden anftatt empfinden. Sinn- 

25 ged. 1390. 

Als bald ein neues Kind 
Die erſte Luft entfindt, 
So hebt e8 an zu weinen. 

Enthalten, fih; anjtatt ji aufhalten. (XII. 101.) 

30 Immer fragten wir nach Neuem, weil fich Krieg bey uns ent- 

halten ac. 

Entjungferung, die. Sinnged. 1672. und entjungfern. 
2586. 

Blumona ward entjungfert: da ſolches war gejchehen, 

35 Verſchwur fie Haut und Haare, ſie hätt es nicht gejehen. 

Entſchließen, für ausſchließen. Sinng. 610. 








usa Lang ki ig ae na LE Ze 


—— 
BER 


Wörferbud. 371 





Wer vom Herzen Gott entichleußt 2c. 
Entwerden, für Entlommen, davon fliehen. Sinng. 1209. 
— — RRer entwerden fann iſt frob. 
Er, das; und das Sie. Man jehe in welchem sensu nupto 
Logau beides braudt. Sinng. 2776. Auf den Mollis. 5 
Dein Weib ijt dir fein Weib, und du bift ihr fein Mann: 
Wie daß das Er nicht ihr, Sie dir gewachſen an? 
Erarnen; jo viel als erwerben. Sinng. 966. 
Sp wirft du dorten Glanz, und Segen bier erarnen. 
Das Heldenbucd hat an einem andern Orte von Chrifto: 10 
„— — der mid hat 
„Hoch an dem Kreuz erarnet.“ 
Erdegeijt, ein poetifches Wort, für einen Geijt der am Irdiſchen 
klebt. Sinng. 3. 
Billig! denn jo hohe Sinnen 15 
Müfjen andern Dank gewinnen, 
Als ein Friehend Erdegeift. 
Erdijch, wofür wir igt irdiih jagen. Sinng. 2212. 
Erfunden. (XI. 121.) 
Wer will der Weiber Tüd erfunden und entdeden? ꝛc. 20 
Erlujten. Anhang 76. 
In der Jugend zum erlujten, in dem Alter zum erlaben 
Sind die Weiber — 
Ernüchtern; nüchtern werden. (XII. 60.) 
Gottes Werf hat immer Tadel. Wem der Tag zu furz zum 25 
Trinken, 
Diejen will auch zum Ernüchtern gar zu kurz die Nacht bevünfen. 
Erjteden braudt Logau für: mahen daß etwas erftidt. 
Sinng. 1275. Liebe erjteden; und (X. 90.) Krieg erfteden. 
Erjtreden; als ein Nctivum für erweitern, ausdehnen, machen 30 
daß fih ein Ding weiter erjtredt. Bey Gerichten kömmt es in dieſer 
thätigen Bedeutung noch überall vor. Man jagt z. E. Man will zwar 
dieß Gejeß auch dahin erjtreden; allein 2c. Und unjer Logau jagt: 
(XI. 47.) 
Liebe Faufte neulih Tuch, ihren Mantel zu erjtreden, 35 
Weil fie, was durch dreyßig Jahr Krieg verübt, joll alles deden. 


372 Friedrichs von Togaun Sinngedichte, 





Einer unſrer lyriſchen Dichter hat dieje veraltete Bedeutung ſehr ſchön 
wieder erneuert, wenn er in feiner Ode an das Glüd jagt: 
„Denn fein Ruhm, — — 
„Wenn fein Gold mein Lebensziel eritredet, 
5 „Denn ich nicht vergnügter Fülle: 
„as vermiß ich, wenn ich dich vermiſſe?“ 
Siehe auch Streden. 
Erwarmen, auf etwas; auf etwas higig werden. Sinng. 803. 
— — Die manchmal jo erwarmen 
10 Auf unjer Gut und Blut. — 
Ermwinden, fih; jo viel als fich unterjtehen, fich unterwinden. 
Anh. 62. 
— —  menn wir Diener ung erwinden. 


A: 
15 Feber jchreibt Logan anjtatt Fieber. Sinng. 2589. und ander: 
werts, doch nicht überall. 
Feuerſpiegel nennt Logau, was wir ist Brennfpiegel nennen. 
Anh. 159. 
Ä Seulen oder faulen; für müßig fißen, faullenzen. Sinng. 1933. 
20 Feyern von etwas; jo viel als, (wie er ih Sinng. 1170. 
auspdrüdt) von etwas müßig werden, damit aufhören. Sinng. 114. 
Allein es fümmt dazu, daß endlich jelbit jein Fuß, 
Hoch in der Luft, vom Treten feyern muß. 
Sie jind feyrig, jagt man noch an einigen Orten von den Hand: 
25 werfögejellen, die feine Arbeit bey Meiftern haben. Luther gebraucht 
einmal den Ausdrud: ih willihn nit viel darum feyern; 
welches vollfommen das jagt, was der Franzoje durch faiter quelqu’un 
ausdrüdt. 
Silzigfeit, bi Ichändliche, ſchmutzige Kargheit. Sinng, 2127. 
30 Findlich, was zu finden tft. (V. 39.) 
| Db nur einer findlich wäre ıc. 
Flammenjhüse; jo nennt unjer Dichter den Amor. Sinng. 
2448, | 
Freund, der Heine Flammenſchütze hat das dritte Freudenfeuer 
33 Angeflammt in deinem Herzen. 





Wörkerbuch. 373 





Flitte, die. Sinng. 644. 

Des Nero Meiſtern nahm die Flitte 

Sein Leben hin, wie ſein Geblüte ac. 
Flitte bedeutet ein Inftrument, womit die Ader gelaffen wird. Einige 
wollen, daß es aus dem Griechijchen Phlebotomum zufammen gezogen 
jeyn joll. Uns deucht es das Urwort von Flitze zu jeyn, welches einen 
Pfeil bedeutet, und wovon das Wort Fligbogen noch in vielen 
Provinzen im Gebrauchet ift. Hebrigens ift dieſes weder die Lanzette, 
no der Schnäpper; fondern es ift das alte deutiche Laßeiſen, 
ehe es durch Anbringung einer Schnellfeder verbefjert und dadurch zu 
dem jo genannten Schnäpper gemacht wurde. ©. Heifters Chirurgie, 
©. 380. 

Flucht. Sinng. 2162. hat Logau den Pluralis von diejem 
Worte, der jonjt jelten oder gar nicht, vorföümmt; die Flüchte, 

— — treibt die Tochter in die Flüchte. 

Freunden, fich zu einem; jo viel als fich mit einem befreunden. 
Sinng. 74. 

Frevelih. So macht Logau diejes Wort; jo muß e3 gemacht 
werden: und das ißt gebräuchliche freventlich taugt eigentlich gar 
nichts. Frevel und frevelich aber heißt bey unſern alten Schrift: 
ſtellern alles, was in der Hiße einer gewaltfamen Leidenjchaft gejagt 
oder gethan wird. Sinng. 1715. 

Gewalt iſt wie ein Kind: wo nicht Verſtand fie leitet, 

So jtürzet fie ſich ſelbſt, weil fie zu frevlich ſchreitet. 
Frevlerplan, der; ein altes poetifches Wort für, die Bahn 

der Frevler. Sinng. 761. 

Will nicht wider Necht und Zucht, treten auf den Frevlerplan. 
Frommen, einem; einem nügen. Anh. 52. und öfter. 
Froſch, der; heißt bey den deutjchen Wundärzten die mit Ma— 

terie angefüllte Geſchwulſt, die, öfter bey Kindern, als bey Erwachjenen, 
unter dem vorderiten Theile der Zunge, bey den Frofchadern entitehet. 
Lateiniſch ranula. Logau nennt fie daher in der Ueberjchrift des 74iten 
Sinngedichts unfers eilften Buches, eine Kinderfrankheit. 
Udus wird gewiß den Froſch unter feiner Zunge haben, 
Den er immer fort und fort muß mit etwas naſſem laben. 


1 im Gebrauch [44. Litteraturbrief] 





10 


20 


25 


30 


35 





374 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 


Führen, eine Berfon; eine Berjon jpielen. (IX. 75.) 
Die Perſon die ich ißt führe auf dem Schauplaß diejer Welt ıc. 
Fürlieb. (VIII. 17.) So jagt Zogau allezeit, wofür wir itzt 
faft durchgehends vorlieb jagen, wider unjere eigene angenommen 
5 Negel: daß nehmlich Für allemal pro bedeuten ſolle. 
Fußgicht, die; das Podagra. Anh. 90. 
Wer zum Tiſchtrunk Fiſchtrunk nimmt, 
Selten dem die Fußgicht kömmt. 
Sp auch Darmgicht, ileus. (I. 9.) 


10 G. 


Gach; praeceps, properus. Auch dieſes den alten ſchwäbiſchen 
Dichtern ſehr übliche, und uns nur noch in dem zuſammengeſetzten 
Jachzorn überbliebene Wort, kömmt zweymal bey unſerm Logau vor. 
2 Zugabe 9. 

15 Die Magd, die jtieg aufs Heu, der Knecht, der jtieg ihr nad); 

Sie ward gar jehr erhißt, zur Rache ward ihr gadı. 
Doch nicht allein das Wort, die ganze Nevdensart iſt hier alt, und eben 
diejelbe, wie fie bey dem von Riedenburg (Fab. 69.) vorkümmt, 
wo es von dem tückiſchen Hunde heißt: 

20 Wenne er gebeis, so wart im gach 

Ze flucht. 
Praeceps se in fugam dabat. 
In der zweyten Stelle des Logau befümmt gach noch die Neben- 
bedeutung der Unbedachtſamkeit, al3 welche mit der Eilfertigfeit und 

25 Hiße verbunden tft. Anhang 165. Ä 

Die Deutjchen find nicht männiſch mehr, thun Kindern alles nach, 
Die, wenn fie etwas neues jehn, thun töblich, Dumm und gad). 

Gaden, der, heißt bey unjerm Dichter jo viel al3 der Laden, 
dag Gewölbe des Reuhnanns. 1 Zugabe 168. 

30 Diefe Waar ift nicht die beite die im Gaden vornen leit x. 
Aeltere und andere doch in der Hauptjache übereinfommende Beveu- 
tungen findet man bey dem Schilter, Wachter x. 

Gebette, das; Brautgebette. Sinng. 1943. Ein Bette 
fann ein bloßes — Stück, ein Oberbette, oder Unterbette ſeyn; 





11. Zugabe 165. [1759] 





Wörterbuch. 375 





ein Gebette aber bedeutet alle dieje einzelnen Stüde, die ein voll 
jtändiges Bette ausmachen, zulammengenommen. 
Gebruch; Mangel, von dem Zeitworte gebrechen, mangeln. 
Sinng. 2141. | 
Cominäus ift, ihr Fürjten, euer Katechismusbuch: 5 
An dem Grunde wohl zu herrichen, iſt bey ihm fait fein Gebruch. 
Gedenkkunſt, die; jo nennt Logau die Kunjt das Gedächtniß 
zu ſtärken, und ihm dur natürliche oder künſtliche Mittel zu Hülfe 
zu fommen; dergleichen Lullus, Kirherus und andere gejchrieben. 
Sinng. 2717. 10 
Gedieg, ein Hauptwort, wovon wir noch das Beywort ge= 
diegen behalten haben. Sinng. 1678. 
Geld» Luft: und EChrengeiz macht daß die ganze Welt 
Sp arm ift am Gedieg, und nichts von Heil behält. 
Geding, das. Daß diejes Wort auch jo viel heiße als Hoff- 15 
nung, Vertrauen, zeigt Wachter, und führt unter andern einen alten 
Kirchengeſang an, wo es in diejer Bedeutung vorfomme. In den oben 
angeführten Fabeln des von Riedenburg heißt es: (Fab. 32.) 
Guot gedinge sullen haben 
Jung, alt — — — 20 
Guot gedinge machet das, 
Das der geniset der siech was. 
In folgender Stelle unjers Dichters jcheint dieſe Bedeutung gleichfalls 
Statt finden zu können. Sinnged. 1103. 
Ach es wolle diefem Ringe 25 
Seyn verpflichtet das Gedinge, 
Daß er jteh zu fiherm Bande 
Eurem Glüd und Segensitande. 
Doch wollen wir nicht leugnen, daß der weitläuftige sensus forensis 
diefes Worts nicht auch noch eine andere Erklärung darbieten könnte, 30 
e3 kann bier nehmlich jo viel heißen als: das Gelübde. 
Gehöne, das; jo viel als Gejpötte. 1 Zugabe 51. 
An der hohen Häupter Seite, ftehen graue Häupter jchön: 
Dennoch find ist hohen Häuptern graue Häupter ein Gehön. 
Gelojen; jo viel als lo8 werden. Sinng. 1237. und an 35 
derwerts. 


376 Friedrichs von Togau Sinngedichte, 





Man fleigt ſich ist den Bart vom Maule zu gelojen ꝛc. 
Gemahlinn, die. Diejes Wort war jhon zu unſers Dichters 
Zeiten im Gebrauch; und auch damals jchon maaßten es fi) geringere. 
Leute an. Sinng. 2442. 
5 Bitus nennt jein Weib Gemahlinn. Billig! weil fie fich fo malt, 
Daß um Weißes und um Nothes jährlich fie viel Thaler zahlt. 
Gemein und gemeinlich als ein Nebenwort, für meijtentheils, 
insgemein; kömmt jehr oft vor; als Sinnged. 1154. 
Was Velops, Attalus und Kröjus ſchwangre Kajten 
10 Bon Golde, Geld und Gut vor Zeiten in ſich faßten 
Nützt nur jo viel, daß der, der gar zu viel drauf denkt, 
Den Leib gemein an Baum, die Seel an Nagel henft. 
und Sinng. 1136. 
Buhler find gemeinlich Blinde ac. 
15 Gemerfe, für Merfmaal, Merkzeihen. (X. 25.) 
Daß der Sinn es redlich meyne, haben wir nur Ein Ge 
merfe ꝛc. 
Genoß, der; socius. (I. 32.) 
Krieg und Hunger, Kriegs Genoß ꝛc. 

20 Gerne. Durch Vorjegung diefes Nebenworts macht Logau ein 
zufammengejegtes Hauptwort, welches alsdann eben das eitle und frucht- 
[oje Beftreben ausdrüdt, das die Engländer durch das angehängte 
would-be ausdrüden: 3. €. a Merchant-would-be, a Politik- 
would-be. Auf diefe Weife jagt er nicht allein ein Gernegroß, wel 

25 ches noch üblich it: Anhang 212. 

Bardus ftrebt nach großem Namen, ift von allen Gaben bloß: 
Diejes fann man ihm wohl gönnen, daß er heiße Gernegroß. 
Sondern er jagt au ein Gerneflug: Sinng. 257. wo von der 
thörigten Pralerey, fremde Wörter in die deutiche Sprache zu mengen, 

30 die Rede ift, 

— — — das andre wird genommen 

Sp gut es wird gezeugt und auf die Welt it kommen 
Durch einen Gerneflug, der, wenn der Geift ihn rührt, 
Itzt diefes Pralewort, ist jenes raus gebiert. 

35 Sieben; jo viel als das gemeine giebjen, oder das platt- 
deutiche gappen. 1 Zugabe 201. 





Wörkerbuch. 377 





Die für Drang, Zwang, Bein und Schmach 
Endlih mehr kaum konnten gieben. 
Ticherning jagt dafür geufzen. Siehe deſſen Frühling deuticher Ge- 
dichte ©. 8. 
— — „das herzenswehe Seufzen 5 
„Macht mich jo laß und matt, daß ich auch faum kann geufzen.* 

Gnadjelig;eingnadjeliger Diener ift unſerm Dichter der, 
den der Herr mit feinem ganzen Bertrauen begnadiget hat. (II. 21.) 

Grasfrone. Diejes Wort ift die Heberjchrift des SOten Sinn- 
gedichts im IX Buche, und fängt an: 10 
| Der jein Vaterland errettet, diefen Frönte Nom mit Gras. 
Allein der Dichter muß fich hier geirrt haben. Wir wenigitens können 
uns feines Scribenten erinnern, der uns berichtete, daß man jemals 
in Nom dieſe oder eine andere große That mit einer dergleichen Krone 
belohnt habe. BVielleicht hat er die coronam civicam in Gedanken 15 
gehabt, die aber nicht dem Erretter des VBaterlandes, jondern dem 
Bürger, der einen Nebenbürger errettet hatte, von dieſem erretteten 
Bürger geſchenkt wurde. Sie war auch nicht von Gras, jondern von 
Eichenlaube. Morhof überjegt (Gedichte S. 399.) dieſe coronam 
eivicam nicht übel durh Bürgerfran;. 20 

Grau, der; der Edel. (II. 84.) 

Greiner. Greinen beißt jo viel al3 winjeln, Klagen, weinen, 
jammern; und einer, der dieſes oft und ohne Urjache thut, ein Greiner. 
Sinnged. 1622. 

Bor Zeiten ftunden Junge den Alten höflich auf; 25 
Abt heißt es: Junger fiße, und alter Greiner lauf! 
Greis; als ein Beywort, für grau. Sinng. 785. 
Ein Künftler, glaub ich, ift, ver Schwarzes färbe weiß: 
Das Alter fann die Kunjt, färbt Schwarze Haare greis. 

Großmuth, der; jagt Logau nach der Analogie der Wörter 30 
Muth, Sohmuth. Sinng. 1171. 

Grün; für friſch, gefund. Sinng. 2784. 

Ein grüner Mann, ein rothes Weib, die farben wohl zufammen, 
Sie find geſchickt im Waſſerbau zu ziehen wohl die Rammen. 
Gumpen; muthwillig jpringen, büpfen, tanzen. Sinng. 453. 35 

Ein Kalb jcherzt, gumpt und jpringt ac. 


378 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





Wachter führt bey diefem Worte weiter nichts an, als das griechiiche 
zoursceıw, Strepitum edere jactu pedum, (von welcher Bedeutung, 
nehmlih in Anjehung des jactu pedum, er uns noch dazu den Währ- 
mann jchuldig geblieben ift,) und jegt hinzu: forte aliqua affinitate, 
5 Es iſt zu verwundern, daß ihm nicht vielmehr das italiänifche gamba 
und gambata, welches man von dem lateinijchen gamba, und diejes 
von dem griechiſchen zaurın herleitet, beygefallen. Auch die Franzojen 
haben daher ihre gambade und ihr regimber gemacht, welches mit 
diefem gumpen jehr viele Nehnlichkeit hat. 
10 Gunſt; den ungewöhnlichen Pluralis von diefem Hauptworte 
bat Zogau in der Heberfchrift: ver Weg zu Gunften. (IH. 55.) 
Güteln; diejes Zeitwort kömmt im VIII Buche, im 66ten 
Sinngedichte vor: 
Kann die deutſche Sprache jchnauben, ſchnarchen, poltern, don— 
15 nern, krachen? 
Kann fie doch auch jpielen, ſcherzen, liebeln, güteln, fürmeln, 
lachen. 
Wie betteln von Bitte gemacht worden, jo jeheint güteln von gut, 
oder vielmehr von Güte entjtanden zu jeyn. Friſch hat das ähn- 
20 liche Zeitwort gußeln, welches er aber von guden berleitet, und 
durch aspicere aliquem more mendicorum eleemosynam expectan- 
tium, erfläret. 


BD. 
Hahnen, einen; einen zu Hahnrey mahen. Sinnged. 179. 
25 Die neue Welt ift Fromm, und frömmer als die alte. 


Sie darf nur acht Gebot, die fie im Leben halte; 
Denn Ehbruch, Diebitahl bleibt; man hahnet mur die 
Leute 
Und macht, was uns gefällt, nad) Krieges Art, zur Beute. 
30 Diejes Zeitwort würde man mit gutem. Grunde Frijchen entgegen jtellen 
fönnen, welcher Hahnrey für fein Compofitum will gelten lafjen, ſon— 
dern es von dem italienijchen Cornaro herleitet. 
Halt, für Hinterhalt. Sinnged. 1257. wo der Dichter von 
den Wangen ſchöner Mädchen ungemein anakreontiſch jagt: 
35 — — — hier ift das flache Rund 
Drum Zephyrus ſpielt her, darauf Cupido jtund, 





Wörkerbuch. 379 





Und ſich um einen Weg für ſeinen Pfeil umſahe, 
Und dachte, wie ein Wild für feine Küch er fahe 
Mit feinem Purpurzeug. Hier lag er oft im Halt, 
Mit Roſen wohl verhägt, wenn er die Jagd beftallt. 
Hauptgut, jagt unjer Dichter jehr oft, und jehr wohl anjtatt 5 
des undeutihen Capital; als Sinng. 1326. 
Noch Hauptgut, noch die Zinjen darf ist ein Schuldner gelten. 
Tiherning (Frühl. ©. 69.) jagt Hauptgeld: 
„Das Hauptgeld bleibet jtehn, ihr jtreicht die Zinjen ein.“ 
Haufinnen, die; jo nennet man in Schlefien Miethsleute von 10 
der niedrigern Gattung. Sinng. 952. 
Wenn, Jungfern, eure Flöh, die ihr habt zu Haufinnen, 
Was fie gehört, gejehn, vermelden jollten können, | 
Wie mancher fragte fie, der Luſt zu freyen bat, 
Eh als den beiten Freund, um einen treuen Rath. 15 
Und Sinng. 2050. 
Sedermann hat zu Haufinnen ac. 
Hebelbaum jagt Logau, wofür wir itt Hebebaum jagen. 
- Sinng. 279. 
Runeus iſt gewaltig jtark, gäbe Bauern großen Nusß, 20 
Könnten ihn zum Hebelbaum brauchen für das größte Klub. 
Hergejippt; für entiprofjen, erzeugt. Sinng. 2379. 
Fürjtinn von den Obotriten, einer deutjchen Heldenart 
Hergelippt ac. 
Desgleichen hat er auch zugejippt, für verwandt. (IX. 10.) 25 
Herzlich, welches ist nur jo viel als jehr bedeutet, nimmt 
Logau in feiner urjprünglichen Bedeutung für von Herzen, mit 
dem Herzen; nad der Analogie des Wortes mündlid: 
Herzlich haſſen, mündlich lieben. 
Hinſichern, ſich. (XIH. 11.) 30 
Wenn ein redlich frommer Chrift hin fich fichert in das Grab. 
Ein Wort welches Logau ohne Zweifel gemacht hat, und welches an 
dieſem Drte ungemein nachdrüdlich ift, indem es jo viel jagen will, 
als: der Ehrijt, der ikt in der Welt nirgends ſicher ift, 
begiebt jih in jein Grab hin, um dajelbit gewiß fiber 35 
zu jeyn. Einige Neuere haben dergleichen Wörter ohne Unterjchied 


380 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





getadelt, andere haben dergleichen bis zum Efel gemacht. Dichter von 
gutem Geſchmacke halten das Mittel, und gebrauchen jolche Ausdrücke 
dejto jeltener,! je glänzender fie find. Ein Poet muß jehr arm jeyn, 
der jeine Sprache nur durch ein einziges Mittel aufzujtügen? weiß. 

5 Hochträchtig braucht Logau für hoffärtig; jo wie man das 

Gegentheil niederträdhtig nennt. Sinnged. 117. | 
er will Bertunda ſtolz, hochträchtig auch wohl nennen? 
Beym eriten Anblide fönnte man e8 für hochſchwanger nehmen; 
und es kann leicht jeyn, daß unfer Dichter, der gar fein Feind von 

10 Wortjpielen it, auf dieſen Nebenbegriff mit gezielet hat; denn das 
angeführte Gedicht heißt weiter: 

Er giebt genug an Tag, er müß fie recht nicht Fennen. 
Heißt diejes denn wohl ſtolz? Sie bleibet unten an, 
Und duldet über ihr jo leichtlich jedermann. 

15 Uebrigens kann diefes hochträchtig, in jo fern es der Gegenjaß von 
niederträchtig ift, einen analogiſchen Grund für die Ableitung von 
Hoffart mit abgeben, daß folches nehmlich nicht von HofArt, jondern 
von hoch Fahrt gemacht und zufammengezogen jey. Auch jcheint 
Logau an einem andern Orte, wo er ausprüdlih Hochfahrt jchreibt, 

20 Sinng. 1354. auf diefe Etymologie zu zielen; welche dadurch außer 
allen Zweifel gejegt it, daß wir in unfern älteften Dichtern überall 
Hochfahrt leſen. 

Höchlich, für hoch. Sinng. 90. 
Wer höchlich fallen ſoll, den muß man hoch erheben. 
>35 Sich höchlich verwundern iſt noch im Gebrauche. 
Honigthum; der Liebe Honigthum iſt die Ueberſchrift des 
1174 Sinngedichts, welches wir unter Koſen anführen werden; und 
ein Wort, welches unſer Dichter zum Scherze gemacht hat, * der 
Aehnlichkeit des Wortes Märtyrerthum u. a. m. 
30 Huſche, die. Auch die Nachrichter haben ihre Kunſtwörter und 
dieſes ift eines davon. Sinng. 2269. | 
Galvus, der ganz kahl am Kopfe, meynt man, werd ang Holz 
| noch kleben; 
Sorgt drum jelbiten, wie der Henker ihm wird doch Die 
5 Huſche geben. 


1 Seltner, [44. Litteraturbrief] 2 aufzuftugen [44. Litteraturbrief] 








Wörkerbuch. 381 





Unſere Wörterbücher erklären Huſche durch Ohrfeige. Daß es aber 
hier etwas anders, und zwar ſo etwas bedeute, was an den Haaren 
oder mit den Haaren geſchieht, giebt der Augenſchein. Denn warum 
dürfte Calvus ſonſt bejorgt jeyn, wie ihm, als einem Kablkopfe, der 
- Henker die Hujche geben werde? Man jagt noch in der Sprade des 5 
Volks: jih huſchen, einander bey den Köpfen friegen. Auch braucht 
man in eben diejer Sprache das Wort huſch als eine Interjection 
der Gefchwindigkeit: huſch! da war er weg. An diejer Stelle be- 
deutet Huſche alſo den legten Stoß, den der Uebelthäter befömmt, und 
wobey ihn der Henker vielleicht beym Schopfe ergreift. Der Begriff 10 
der Gejchwindigfeit, welchen das Zwijchenwort huſch hat, macht, daß 
eine Huſche auch im verjchiedenen Provinzen einen überhingehenden 
Plagregen bedeutet. Man erlaube uns aus diejer legten Bedeutung 
beyläufig eine Stelle aus dem Nabelais zu erflären. Diejer poſſier— 
lihe Schriftiteller braucht in feinem Gargantua zu verjchiedenen Malen 15 
das Wort Housee. Er jagt z. €. tumbant par une hous6e de pluie. 
Seine Ausleger wollen, housde jey jo viel als hor&e, und diejes jo 
viel al3 pluviosa tempestas ad horam durans vel eirciter. Dieje 
Erklärung ift offenbar gezwungen, und fie würden fie jchwerlich gewagt 
haben, wenn ihnen unjer deutjches Hufche befannt gewejen wäre, 20 
Daß aber Rabelais etwas deutjch verjtanden habe, und in feinen 
Schriften hin und wieder deutſche Wörter affektire, ift eine befannte Sache. 


2. 


Ihrzen; mit einem in der zweyten Berfon des Pluralis reden. 
Es ift diejes die Ueberichrift des 196 Sinngedihts im Anhange, 
worinn unjer Dichter diefe unnatürliche Art zu reden verwirft. Was 
würde er von ung, feinen Nachlommen, jagen, die wir aus dem Ihr 
gar Sie gemacht haben? 
Iſts deutjcher Art gemäß mit Worten jo zu jpielen? 
Wir heißen Einen Ihr, und reden wie mit vielen. 30 
Ein Glück für unjere Boefie, daß fie das natürliche Du überall behalten 
hat! So wie man ihrzen jagt, jagt man auch duzen, erzen, jiezen ac. 
Inner jagt Logau öfters für in, innerhalb. (VIII. 98.) Er hat 
jein Grab inner einem frommen Naben. (VI. 6.) Sie geht inner 
Gold und Seide her. Desgleichen (V. 11.) inner dem Magen. 35 


” 


25 


382 Friedriihs von LTogau Sinngedichte. 





Inſelt jehreibt Logau, der Ausſprache ſeines Landes gemäß, 
wofür wir ist Inſchlitt und Unſchlitt jchreiben. Sinng. 1338. 


R. 
Kat für Koth. Sinng. 2723. 
5 Die Lieb ift wie der Schwalbenfat, 


Berblendet wen fie troffen hat. 
Kerb, der; für das Kerbholz. (XIII. 12.) der drüber feinen 
Kerb wohl halten wird. 
Kiefeln, jo viel als zanfen, feifen. Sinng. 1534. 
10 Mit der ih Schätzchen und Herzchen mich heiße; 
Kieffel und beiße. 
Von dem alten Kieb, ira, jurgium. 
Kieslingitein für Kiejelitein. Sinng. 1003. 
Kindeln, fih wie ein Kind aufführen. Sinng. 1082. 
15 — —  Verdruß zu mindern 
Kindeln Männer oft mit Kindern. 
Auch das Hauptwort Kindeley für Kinderey, Tändeley, kömmt bey 
unjerm Dichter vor. Sinnged. 1150. 
Was in meiner Jugend Mayen 
20 Von der Venus Kindeleyen 
Sch gezeichnet auf Papier. 
Kindern, beißt nicht: ſich Eindish aufführen, jondern Kinder 
zur Welt bringen. (IX. 102.) 
An manchen Orten its jo Brauch, die Weiber müſſen jähr- 
25 lich kindern. 
So jagt au Ticherning entkindert, für der Kinder beraubt: (Frühl. 
©. 54.) 
„Steigt dieſes, Herr, zu Herzen 
„Daß ihr entfindert jeyd? 
30 „Ihr jeid auch frey von Schmerzen: 
„Bo Kinder find, iſt Leid.” 
Klapf, der: von Elopfen; jo viel al$ Schlag; wie denn 
auch die Alten Donnerflapf für Donnerichlag fagten. Sinng. 808. 
— — jo wird ein jeder Stein, 
35 Womit man nah uns wirft, ein Klapf am Himmel jeyn. 





Wörkerbuch. 383 





Knebelhaut. Logau ſagt; Sinng. 2024. 
Veit trägt eine Flegelkapp über einer Knebelhaut ꝛc. 

um zu ſagen, daß Veit der unhöflichſte und ungeſchliffenſte Menſch von 
der Welt ſey. Knebel und Flegel iſt hier eines; beides bedeutet 

- einen bäuriſchen Menſchen: appellamus, jagt der Spate, hominem 5 
agrestem einen Knebel. Knebel aber ift jo viel als Knüppel: auch 
ein Klotz bedeutet in der gemeinen Sprache nichts beſſers. Mit diejer 
Bedeutung jtimmen die übrigen Wörter diefer Art jehr natürlich zu— 
jammen: als, die Knebel der Finger, Einen knebeln, ein Sinebel- 
bart, ein Knebelipieß; daß man aljo Unrecht thun würde, wenn man 10 
jolhe von Knabe herleiten und mit einem ä jchreiben wollte, wie 
wir irgendwo gefunden haben. 

Knechterey, jagt Logau, und will damit nicht jo wohl die 
Knechtſchaft ausdrüden, als vielmehr etwas, das ſich für feinen freyen 
Mann, jondern für einen Sklaven jhidt. Sinng. 883. 15 

Diener tragen ingemein ihrer Herren Liverey: 

Solls denn jeyn, daß Frankreich Herr, Deutjchland aber 
Diener jey? 

Freyes Deutjchland, ſchäm dich doch dieſer ſchnöden Knechterey. 

Kojen. Sinng. 1174, 20 

Die Buhler find Bienen, die Jungfern find Rofen, 

Gedanken find Honig, zum Schmeicheln und Kojen. 
Diejes Zeitwort, welches jo viel als reden, ſchwatzen, bedeutet, ift 
ziemlich var geworden. Der Ueberjeger des Don-Quixotte hat e3 
jehr wohl gefannt, und ihm im zweyten Theile der Gefchichte diejes 25 
Nitters S. 459. eine jehr glücliche Stelle gegeben. Der lächerliche 
Sancho jagt daſelbſt von den jo genannten fieben Ziegen am Himmel: 
Ich Eojete mit diejen Ziegen drei bis vier Stunden. Das 
zujammengejegte Zeitwort liebfojen wird noch überall gebraudt. 
Bey diejem legtern merken wir an, daß Logau dafür liebefojen 30 
Ichreibt. Sinng. 726. 

Kuchel für Küche, hin und wieder, als Sg. 403. 

Die edle Poeſie ermuntert Sinn und Geift, 

Daß er greift an mit Luft was ſchwer und wichtig heißt. 

Ob nöthig iſt das Brodt, jo läßt man gleichwohl gelten 35 

Die weitgereijte Würz, und fonjten was da jelten 


384 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





In unſre Kuchel kömmt; man gönnet auch der Luft, 
Bedarf es nicht Natur, zu Zeiten eine Koft. 
Kuchel ift eigentlich Dejterreichiih und nicht Schleſiſch; man fagte 
e8 aber zu Logaus Zeiten in Schlefien, um mit der Hofiprache 
5 zu reden, 

Kürmeln, kömmt bey unferm Dichter jo wohl, als bey andern 
vor, und bedeutet jo viel als: lallen, ſchmeichelnd ftammeln. Unſere 
Wörterbücher haben dieſes Wort gar nicht, und von feiner Ableitung 
it nichtS zuverläßiges zu jagen. Sinng. 798. 

10 — — Dir zeugen Kind auf Kind, 
Ein Denkmaal hinter uns daß wir gewejen find. 
But! Gut! Was fann uns ſonſt aus Wermut Zuder machen, 

Als wenn das liebe Kind mit Kürmeln und mit Lachen 

An unjer Haupt fi drüdt, uns lieber Vater nennt, 
15 Und macht daß man in ihm fih wie im Spiegel fennt. 
Imgleichen: Sinng. 908. 
— — vom Jüßen Namen Sohne 
Ein Fürmelnd Exemplar — 
Eben jo ſpricht Opitz von einem neugebornen Kinde: 
20 „Das es Fürmeln wird und lachen 

„erden lauter Verſe jeyn.” 

Lohenſtein braudt es jo gar von dem freundlichen, verliebten Murren 
der Löwen. (Arminius 1 Theiles zweytes Bud ©. 84.) 


T 


25 Längen, für in die Länge dauern. Sinnged. 2756. 
Erdenbau kann übel Längen, 
Drein fih Wind und Wafjer mengen. 
Hievon fümmt das alte Beywort gelängt ber, welches wir in des 
Adam Dlearius perjianiihbem Baumgarten finden: „Die 
30 „ausgelängte Nacht laufen fie, und jprechen früh Morgens 20.” 
Lappe, ein; heißt ein feiger, weibiicher, nichtswürdiger Menſch, 
wie das Beywort läppiſch, welches von diefem Hauptworte abjtammt, 
zu erfennen giebt. Und wer wird für feiger, weibiſcher und nichts- 
würdiger gehalten, als ein Verjchnittener? Für diefen braucht es Logau 
35 Sinng. 2499. 











en en TE A na Ei in nel lin inne) il 





Be Pi tr er RR, EEE RR 
—— a Er ae Abe — N a J 
si ei 3 —* 


Wörkerbuch. 385 








Sonſt möcht es ſeyn vergönnte Sache, 

Daß man den Hahn zum Lappen mache. 
Das Wort Laffe, welches noch gebräuchlich iſt, bedeutet gleichfalls 
einen läppifchen, einen Eindifchen Kerl. Da ferner Yappen und 
Lumpen einerley find, jo heißen, im verblümten VBerjtande, nichts— 
würdige Leute auh Lumpen, Lumpengejinde, Lumpenhunde. 

Laß, ſchwäbiſch Laß, der. Man wird das 227te Sinn: 
gedicht des Anhangs nicht veritehen, wenn man fich nicht erinnert, 
daß ein ſchwäbiſcher Laß fo viel iſt, als ein Hoſenlatz. 

Lauer, der; kömmt von dem lateinifchen lora her, welches den 10 
jauern Nachwein bedeutet, der aus den Hülfen und Kernen der bereits 
geprekten Trauben durch zugegofjenes Waſſer gemacht wird. (X. 9.) 

Welt giebt ihren Hochzeitgäften erftlich gerne guten Wein; 
Und ſchenkt ihnen fauern Lauer, wenn fie ſchon bethört find, ein. 

In einem andern Verftande bedeutet ein Lauer einen Schelm. 15 

Sinng. 497. 


ot 


Schlaf und Tod der macht Vergleich 

Zwiſchen Arm und zwiichen Reich, 

Zwilchen Fürft und zwiſchen Bauer. 

Zwijchen Biedermann und Lauer. 20 
Die Lateiner nennen dieſen Lauer, mit einem ähnlichen Worte, vappam, 
und wir könnten ihn alfo auch zur Noth von dem jchlechten Weine, 
Lauer herleiten. Wir glauben ihm aber einen weit natürlichern Ur— 
jprung zu geben, wenn wir ihn von dem einheimifchen Worte lauern 
ableiten, da denn ein Lauer jo viel bedeuten wird, als: ein Schleicher, 25 
ein tücdiicher Dieb. Man jehe auch das 114te Sinngedicht des Xten 
Buchs. 

Lebensfadenreißerinnen, ein poetiſches, von unſerm Logau 
zum Scherz gemachtes Wort, ohngefähr wie des La-Fontaine soeurs 
filandieres. Sinng. 2448. 30 

Waren alle drey nicht Gräen, waren fie nicht Gorgoninnen, 
Waren fie nicht alle dreye Lebensfadenreißerinnen, 
War es doch zum minditen Eine, 

Lieb, das; für die Geliebte. Ein Schmeichelwort der Lieb- 
haber, wofür einige ist Liebchen jagen; iſt bey allen Zeitverwandten 35 
unjers Dichters im Gebrauch. Sinng. 2637. 

Leſſing, fümtlihe Schriften. VII. 25 








386 Friedrichs von Togau Sinngedichte, 


Paulus ijt ein Freund der Welt, aber nur der Eleinen Welt, 
Wenn er fein geliebtes Lieb feit umarmt beſchloſſen hält. 
So jagt au Flemming: 
„Nein Lieb gedenket weg; was wünſch ich ihr für Glucke?⸗ 
5 Eben fo ſagten auch unſere Alten vor vierhundert Jahren: 
Minne, Got musse mich an dir rechen. 
d. i. Mein Lieb oder mein Liebehen, Gott müfje mich an dir rächen. 

Liebeln; ein nicht unebenes VBerbum diminutivum von 

lieben. Unfer Dichter jagt von der Zeit des Frühlings: (VI. 19.) 
10 Da vor Freuden alles wiebelt, 
; Da mit Gleichem Gleiches liebelt ac. 

Lieben, einem. Es liebt mir, jagt Logau, anſtatt, es ge— 
fällt mir. (XII. 12.) Das ganze Wort heißt: es geliebt mir; 
allein die Sylbe ge wird, wie befannt, oft weggeworfen. Opiß jagt: 

15 „— — ſehr ſchöne Schrift auf Steinen 
„Die mir ſo ſehr geliebt.“ 
Und an einem andern Orte: 
„Geliebet dir ein Berg?“ 
Luntenrecht, iſt eine ſcherzhafte Benennung unſers Dichters, 
20 worunter er eben das verſteht, was unſer heutiger witziger Pöbel, mit 
einem weithergeſuchten Wortſpiele, das Jus canonicum nennt. 
Sinnged. 2515. 
Luntenrecht hält rechtes Recht nur für Lumpenrecht. 
Wo Gewalt zum Herren wird, iſt Gerechtigkeit ein Knecht. 


25 | m. 
Männiſch für männlid. Anh. 165. 
Die Deutjchen find nicht männiſch mehr ꝛc. 
Magd und Knabe in der evdeln Bedeutung des puella und 
puer der Lateiner. Sinng. 568. Ueber ein Brautbette. 
30 In die Luft liegt bier begraben 
Cine Magd mit ihrem Knaben; 
Die einander ganz ergeben, 
Diefer Welt wie nicht mehr leben, 
Die mit Armen umgewunden, 
35 Wie in einen Sarg gebunden ꝛc. 





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Sa ae Je Sala a: a Pr Ku 26 Zu 2 Be ae 2 A a * —— 


Wörkerbuch. 387 





Auch das Diminutivum davon, Mägdchen, oder Mädchen, kömmt 
bey unſerm Logau in der edeln, anakreontiſchen Bedeutung vor, welche 
uns vornehmlich ein neuerer Dichter jo angenehm und geläufig ge- 
macht bat. (VI. 22. 24.) 

Manne, die; als der Bluralis von Mann, für Männer. 

Anh. 96. 

Weibern find Gebrechen 

Sonjten nicht zu rechen, 

Außer wenn fie fehlen, 

Und die Manne zählen. 
Wenn wir alfo ißt jagen 3. E. zehntaufend Mann: ſo iſt viel- 
leicht Diejes Mann nicht jo wohl der Singularis, als vielmehr diejer 
alte Bluralis, und es ſollte eigentlih zehbntaujend Manne heißen. 
Zwar wird das Zeitwort in der einfachen Zahl dazu gejeßet, 3. €. (I. 5.) 

Es bleibt in feiner Schlacht igt vierzig taufend Mann. 

Doch auf dieſe Einwendung würde ſich aucd antworten lafjen. 

Maultaſche. Sinng. 1097. 

Eine Maultaſch ift ein Ding, zwar nicht Ichädlich an dem Leben, 

Außer, daß fie dem Gehör Abbruch will und Nachtheil geben. 
Maultaſche it das, was man ſonſt Maulſchelle, Obrfeige 
nennt. In einigen Brovinzen jpricht man Maultatſche; aus diefem 
Datſche hat man, vielleicht durch den Gleichlaut verführt, Taſche 
gemacht, da es doch, allem Anſehen nad, jo viel al$ Tate bedeutet. 
Soll das Wort aber von Tajche, Beutel, herkommen: jo müßte 
man jagen, eine Maultajche jey ein Schlag, der mache, daß das Maul 
wie eine Tajche herunterhienge. Frifch führt bey diefem Worte eine 
Brincejlinn aus Tyrol an, die wegen ihrer herunterhangenden Lippen, 
die Maultaſche genannt worden ift. 

Marzipan. Logau leitet diejes fremde Wort von Mars, tis, 
und panis her; ohne Zweifel, weil ihm dieje Ableitung zu einem epi— 
grammatiihen Spiele den Stoff geben zu können ſchien. Sinnged. 
1645. 

Heißt Marzipan Soldaten Brodt? So ejjens nur die Großen; 
Der arme Knecht der mag fih nur am Pompernickel ftoßen. 
Die wahre Ableitung aber ift von massa oder maza und panis, und 
wenn ja einige Gelehrten Martios panes daraus gemacht haben, jo 


10 


15 


30 


388 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





haben fie doch nur geglaubt, daß fie von ihrem erjten Erfinder, nicht 
aber von dem Gotte Mars jo genennet worden. 
Meinen; lieben, wohlwollen. 3. €. (I. 35.) 
Die nicht die find, die fie jcheinen, 
5 Sondern unſer Gut gut meinen. 

Imgleichen (XIII. 4.) 
— — Ro man die Kriegesfinder 
Gar gut und glimpflich meint ıc. 

Diejeg meinen fümmt von dem alten Worte minnen, lieben, ber; 
10 man ſollte es aljo mit einem i jchreiben, wenn man ja das andere 
meynen (putare) zum Unterſchiede mit einem y jchreiben wollte. 

Menſch. Wenn man diejes Wort in ein Neutrum verwandelt, 
jo bedeutet es eine Weibsperjon, itzt zwar eine von der niedrigiten und 
jchlechtejten Gattung, bey unjern alten und guten Schriftitellern aber 

15 ganz und gar nicht. Unſer Zogau jagt: (XI. 11.) 
Dennod hat das liebe Menjch ein vertrautes Freundichaftsband 
Auf die Meinen unverfälicht immer fort und fort erftredet. 
So jagt auch Flemming an einem Orte: 
„Sie, das geliebte Menjch, wird ſelbſt aus ihr entrüdt.” 
20 Eben jo haben die Engelländer das Wort Wench ikt in Verachtung 
gerathen lafjen, da es vor Zeiten gleichfall3 in dem beiten Verſtande 
gebraucht ward. Shakeſpear z. E. läßt den Othello jeine Desdemona 
in dem zärtlichiten Affefte excellent Wench nennen. Eine Anmerkung 
in der Ausgabe, die wir vor uns haben, erinnert dabey: The word 
25 Wench heretofore signified a young Woman, often an amiable 
Woman, so that some have thought it a corruption only from 
the word Venus. Allein Wench und Menſch find ihrem Klange 
und ihrer Bedeutung nach viel zu genau verwandt, als daß fie nicht 
einerley Urfprung haben follten. Das Diminutivum Menſchlein 
30 braucht unfer Dichter in eben der Bedeutung für Mädchen. (IX. 85.) 
Canus hat ein junges Menfchlein voller Glut und Geift ge 
nommen 2c. 
Menſchenthum, das; fir das menſchliche Geſchlecht. (XILL. 8.) 
Würdig bit du, daß dein Ruhm 
“5 : Bleibt, weil bleibt das Menjchenthum. 
Milz. Logau jagt ver Milz. (VIII. 39.) 





Wörkerbuch. 389 





Mißbehagen, iſt der Gegenſatz von wohlbehagen. 

Mißſchwören, für falſch ſchwören, iſt die Ueberſchrift des 
703 Sinngedichts. 

Mördlich, jo wie von Wort, wörtlich. Sinng. 852, 

Es trachten ihrer viel ung mördlih umzubringen. 
Ft jagen wir mörderijch, nicht von Mord, jondern von Mörder; 
jo wie wir kriegeriſch, verrätheriih, räuberiſch, ehebrecherifch ꝛc. nicht 
von Krieg, Verrath, Raub, Ehebruch, jondern von den Hauptwörtern 
der zweyten Generation, von Krieger, Verräther, Räuber, Ehebrecher 
ableiten. 

Mondenjohn, fo nennt Logau einen wandelbaren, veränder- 
lihen Menjchen. (XI. 12.) 

Muptbeil, das; von Muhs, Gemüje. E83 heißt im juri- 
jtiichen Verjtande die Hälfte des Vorraths an Speiſen, (cibarlis 
domesticis) der bey Lebzeiten des Mannes vorhanden gemwejen, und 
am dreykigiten Tage, zu welcher Zeit man igt gewöhnlich zu inven- 
tiren pflegt, noch vorhanden iſt. Die eine Hälfte davon gehört der 
Wittwe, und die andere den Erben. Logau jpielt mit diefem Worte, 
indem er es gleichjam von müſſen herleitet, und Sinng. 416 jagt: 

Das Muptheil heißt man dieß, was nach des Mannes Sterben 
Die Frau von Nittersart muß theilen mit den Erben. 

Ein Mußtheil machet draus, aus allem was man hat, 
Wo er es nicht nimmt gar, ein räubrijcher Soldat. 


DB. 


Nackt und nadend. Logau jagt beides. Sinng. 609. 
Der nadt fam in die Welt, der nadend ijt getauft. 
Nächſt. Logau macht aus diefem Vorworte ein Nebenwort, und 
braucht es anjtatt jüngst, vor einiger Zeit. Sinng. 1038. 
Nächſt jagt ein alter Greis ꝛc. 
Smgleichen: (X. 53.) 
Mein Gut bejucht ich nächſt ac. 
Narren, für fich närrifch betragen. Sinng. 2562. 
Denn das Gold der neuen Welt macht, daß alte Welt jehr narrt. 
Den Narren ftehen heißt Sinng. 1498. verjpotten, mit jpöttijcher 
Mine verlachen, naso suspendere adunco. 


or 


10 


15 


20 


(83) 


10 


15 


20 


25 


30 


390 Friedrichs von Iogau Sinngedichke. 





Noch, noch; jagt unjer Dichter (I. 1. II. 12.) für weder, 
noch. Die Fälle find unzählig, wo das Sylbenmaaß dem gewöhn— 
lihen weder durchaus zumider ift; und warum jollten wir es nicht 
auch noch heute! in jenes bequemere noch verändern dürfen? ‚Wenig: 
ſtens Elingt e8 nicht übel: (II. 18.) 

Koch frech wagen, 
Noch weich zagen 2c.? 


Gleihwohl aber hat er fi noch mit Wort noch That — 
Sinnged. 1404. 

Alte Jungfern ſind ein Stock da noch Wachs noch Sonia innen. 

Köthen von Noth, wie von Tod tödten; fo viel als quälen, 

plagen (V. 76.) 

Der ärgite Tod tft der, der gar zu langjam tödtet; 

Die ärgſte Noth ift die, die gar zu langſam nöthet. 
An einem andern Orte Sinng. 2513. jcheinet dieſes nöthen jo viel 


als nöthigen, hinwegnöthigen zu bedeuten. 


Nicht anders. Ahr Boeten, 
Der Tod kann feinen nöthen, 
Den ihr und eure Sinnen 

Nicht laſſen wollt von binnen. 

Nuſeln oder nuſcheln, ein nievriges Wort, welches eigentlich 
Durch die Nafe reden bedeutet. Logau jagt Sinnged. 1170. von 
dem kindiſchen Alter der Welt: 

— — meil mın die Welt, wie ein Findijceh Be Greis, 
Beißig, garſtig, ſatſam wird, bloß auch nur zu nuſeln weiß. 
omnia trepide gelideque ministrat. 


B. 


Dder. Die Schwierigkeit, dieſes Bindewort in das gemeine 
jambiſche Sylbenmaaß zu bringen, hat die Dichter oft genöthiget, ihm, 
wenn e3 in einer Frage vorfömmt, die Partifel wie vorzujegen. Logau 
aber jagt anjtatt diefes wie oder, ſonſt oder. (X. 28.) 

Drtgedähtniß, nennt Logau nicht übel dasjenige Fünftliche 
Gedächtniß, welches fich durch gewiffe topijche Fächer zu helfen jucht; 


1 heut [44. Litteraturbrief] 2 [Die beiden folgenden Beifpiele fehlen im 44. Litteraturbrief] 








Wörkerbuch. 391 





und weil von dergleichen Fächern bey den Lehrern dieſer Kunſt keine 
geringe Anzahl vorkömmt, ſo iſt unſers Dichters nachfolgende An— 
merkung ſehr richtig: Sinng. 1729. 

Wer Gedächtnißkunſt denket zu ſtudieren, 

Dünkt mich muß voran gut Gedächtniß führen. 


P. 

Parten, vom lateiniſchen partes. Nach der einfachen Zahl 
kömmt e3 in dem Worte Gegenpart, Widerpart vor. (XI. 74.) 

Andre ziehen an das Necht, Largus zeucht den Nichter an: 

Barten, denen er bedient, finden, daß er gut gethan. 

Philojophey. Durch diefe Endung ey glaubte man vor 

diejem den griechiichen Wörtern das Necht der deutjchen Bürgerjchaft 
zu geben; weil ungleich mehr deutſche Hauptwörter ſich auf ey als 
auf ie enden. Die neuere Endung ie iſt aus der franzöfiichen Endung 
jolder Wörter entjtanden. Bhantajey, Melodey ift daher rich- 
tiger und beſſer, als Bhantafie, Melodie Nur bey Philo— 
ſophie und Harmonie würde uns die alte Endung allzuungewöhn- 
lich vorkommen. Logau jagt Philoſophey in folgender Stelle, wo 
er jeine Liebe zur Poeſie rechtfertiget. Sinng. 403. 

— — Man lafje mir die Luit, 

Die, wo fie wenig bringt, noch weniger doch koſt. 

Sie wird mir nützer jeyn, als Mägden zu gefallen; 

ALS in der geilen Brunft dev Ueppigfeiten wallen, 

ALS eingefchrieben jeyn in freveln NRaubebund, 

Der durch gebrauchten Troß der Welt hilft auf den Grund; 

ALS daß mein Sinn im Wein, und Wein jehwimmt in dem 

Sinne; 

ALS daß der Spieler Dank, der fchlecht ift, ich gewinne; 

Als daß ich mich befleiß auf Hundsphilojophey, 

Und treib als eine Kunft ein bäurijch Feldgejchrey. 

Plotz, als ein Nebenwort, für plöglid. Sinng. 118. 
; — — fomm zu mir ploß und flugs. 
Flug ift die Zeugendung von Flug, als ein Nebenwort gebraudt, 
und bedeutet jo viel als im Fluge. 
. Böfel, für Pöbel: Sinng. 777. und öfter. 


ou 


10 


15 


20 


25 


35 


392 | Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





PBompernidel; jo jchreibt unſer Logau dieſes ftreitige Wort. 
Sinng. 1645. 
| Pompſack; der Spate erfläret dieſes Wort dur) homo ridi- 
cule gloriosus. Eigentlich aber bedeutet es einen altmodijchen Staats- 
5 rod; und alsdann, im figürlichen Verjtande, einen, der in einem folchen 
Rode auf eine tölpiiche- Weije prangt. Bomphofen ift das ähnliche 
Compoſitum. Anhang 120. 
Der Pompſack konnte nimmer nie fich ſchicken in die Mode, 
Por; diejes Simpler, von welchem wir Porkirche, Porwiſch, 
10 empor haben, kömmt bey unjerm Dichter al3 ein Hauptwort vor und 
bedeutet jo viel als die Höhe. Zweyte Zugabe 97. 
Wer bey Hof am minditen mwäget 
Steigt am meiiten in die Bor, 
Dem wird Gnade beygeleget, 
15 Der ſonſt leichte wie ein Rohr. 
Prachten, von Pracht, jo viel als prangen, prädtig jeyn. 
Sinng. 2090. 
— — GStärf und Muth ift auch ein Ding, 
Das, wie jehr es vor geprachtet, endlich Doch auf Krüden gieng. 
20 Burj, die, Diejes alte Wort fömmt in jeiner älteiten Bes 
deutung bey unjerm Dichter vor. Sinnged. 1646. 
Wer Durft und Hunger hat pflegt viel nicht zu verzehren; 
Denn dieje beide Purſch ift gerne nur im Xeeren. 
D. i. dieſes Baar. Die alten Wörterbücher überjegen es contu- 
25 bernium, manipulus. | 
Purſchen; ift das Zeitwort vom vorhergehenden, und bedeutet 
ſich gejellen, in Gejelljchaft jtehen, wandern ze. Sinng. 687. 
Wie das Kind im janften Wiegen, 
So beruh ih im Vergnügen; 
30 Purſche jonjt mit Nedlichkeit, 
Hinzubringen meine Zeit. 
Wenn ich werde jeyn begraben, 
Werd ich bejjers Glüde haben. 
D. i. ich gefelle mich übrigens der Nedlichkeit zu. Imgleichen (XIII. 12.) 
35 Ich laſſe meinen Sinn hin mit den Augen fahren, 
Die purſchen weit und breit, erforjchen dieß und Das, 





Wörkerbuch. 393 





Und haben ihre Luſt an Himmel, Waſſer, Gras ꝛc. 
D. i. der Sinn und die Augen, beide jtreichen in Gejellfehaft herum. 


R. 

Raitung, die; heißt jo viel als Rechnung, computatio: von 
raiten, rechnen. Das 1214te Sinngedicht führt die Heberfchrift: 5 
Raitungen. 

Die Einnahm ift das Weib; die Ausgab ift der Mann; 

Wenn beide treffen ein, ift Nechnung bald gethan: 

Wiewohl es beſſer ift, es jey ein Ueberſchuß; 

Nur daß fein Reſt verbleibt, denn diejer giebt Verdruß. 10 
Auh Tiherning jagt: 

„Beil daß der höchite Vogt wird Rechenſchaft begehren, 

„Denn ihm die ganze Welt die Raitung joll gewähren.“ 

Ramme, die; heißt die Majchine, Pfäle in die Erde zu treiben ; 
üt bejier als Rammel. Sinngedicht 2784. 15 

Sie find geſchickt im Wafjerbau zu ziehen wohl die Rammen. 

Ranjtadt. Sinng. 2063. 

Eine Ranjtadt ift die Welt, drinnen faſt ein jedes Haus 

Heimlich doch, wo wißlich nicht, hat und heget einen Claus. 
Claus war der befannte Hofnarr bey Friedrih dem Dritten, 20 
Churfürjten von Sachſen. Er war aus Nanijtett, oder Marfran- 
jtett gebürtig. Vielleiht alludirt Logau mit dem Namen Nanjtadt 
zugleich auf das alte Wort ranten, oder ranzen; englijch to rant. 

Reden, einen; einen auf die Folter jpannen; daher das niedrige 
Wort Rader. Engliih to racke. Sinnged. 460. 25 

Man redet ſonſt den Dieb, der andern wollte jtehlen 2c. 

Reihen, für herkommen, entipringen. Sinngedidt 13. 

Kinder werden dannen reichen 2c. 
Itzt brauchen wir diefes Wort mehrentheils nur von dem reichen 
an einen Drt hin, und nicht mehr von dem reichen von einem 30 
Drte her. 

Reichthum. Logau jagt das Reichthum, jo wie das Eigenthum, 
das Fürſtenthum ze. Auch Opitz jagt jo. Unter unjern neuern Schrift- 
ftellern finden wir e8 gleichfalls. (Siehe Don-Quixottens 2 Theil 
XX Gap.) 35 


394 Friedrichs von Togau Sinngedichte. 





NReifemann, für Wandersmann. (XI. 97.) 
Reiſig, für reitermäßig, wie ein Ritter. Sinng. 2758. 
Denn ich kann nicht reiſig fommen auf dem blanfen Dichter- 
pferde; 
5 Gicht die. hat mich ausgeftiefelt, daß ich itzo jpornlos werde. 
Röthen, für roth machen: (XIII. 10.) 
Doch dünkt mich daß Poeten 
Noch mehr als andre röthen, 
Was Todtenajche blaſſet. 
10 Rüger, delator. Sinng. 911. 
| Einen Lügner, einen Trieger, 
Einen Schmeichler, einen Rüger ac. 
Rund, 1. für beftimmt, ohne Umfchweif, ohne Zurüdhaltung. 
Sinng. 966. 
15 Und bitten um Verzeihn, und beichten rund und frey ıc. 
(X. 28.) | 
Und euch fein rund und furz erklären ıc. 
2. für ſchlüpfrich, wankelmüthig. Sinng. 17. 
Sp lebt ihr beide nun, lebt eines in der Liebe, 
20 - Lebt eines in dem Sinn; damit euch nicht betrübe 
Des Glüdes runde Macht; denn feine Tüd und Neid 
Hat feinen andern Feind als Lieb und Einigkeit. 
Desgleihen Sinng. 523. 
Ich bin von Herzen Feind den runden Samarittern, 
25 Die iBund warm, it kalt ıc. 
Und zweyte Zugabe Seite 212. 
Gut Gewiſſen wanfet nie, 
Beuget auch Fein knechtiſch Knie 
Bor der runden Menjchengunit. 
30 Number, für herum. Ein PBrovinzialwort. Sinnged. 57. 
Daß die Erde rumber gebt, | 
Steht zu glauben ac. 


>». 
Sachen, die; menstruum, menses. In diejer Bedeutung liegt ' 
35 der ganze Einfall des 153ten Sinngedihts 





Wörkerbuch. 395 





Wer itzund berathen will die vergangnen Sachen, 
Der wird junge Weiber auch aus den alten machen. 
Sark; jo jchreibt Logau was wir ißt — ſchreiben. 
Sinng. 368. 
Beſſer iſts in Sark begraben, 5 
Als den Bauch zum Faſſe haben ꝛc. 
Tſcherning ſchreibt es Sarch. (Frühling ©. 41.) Die Logauiſche 
Schreibart würde der Ableitung des Wachters zu ftatten kommen, 
wenn dieje nur nicht jonit allzuungewiß wäre. Er meynet nehmlich, 
Sarg jey das verkürzte Iagxopayos; und dieſemnach würde es einzig 10 
und allein ein Behältniß für todte Körper bedeuten müſſen. Allein e3 
fann aus unzähligen Stellen bewiejen werden, daß es ein Behältnif 
überhaupt, ein Wafjerbehältniß, einen Trog, ein Behältnif für Gößen- 
bilder, oder Heilige 2c. bedeute. In diejer legten Bedeutung, die jonft 
duch Schrein ausgedrückt wird, kömmt es unter andern in dem Helden- 15 
buche vor: (Blatt 22.) 
„Mein Göttern iren Sarf.” 
Man wird daher weit richtiger in diefem Worte Sarf oder Sarg die 
gewöhnliche Profthejis des S annehmen und es folchergeftalt zu dem 
alten Arke zurüdbringen können. Arke aber ift ein urjprünglich deutjches 20 
Wort, welches man nicht nöthig hat von arca oder dogxew herzuleiten. 
Satjam; verdrießlich, aller Dinge jatt. Sinngedicht 1170. 
— — — mie ein kindiſch alter Greis 
Beißig, garitig, jatfam wird — — 
Saumjal; jo überjchreibt Logau ein Sinngedicht, (II. 14.) 25 
worinn er von einem Menjchen redet, 
Der in allen feinen Sachen 
Nimmer fann ein Ende machen. 
Es kann aber nicht jo wohl die jaumfelige, die zaudernde Perſon, als 
vielmehr das Zaudern jelbit, die Zauderhaftigfeit bedeuten, jo wie Trüb- 30 
jal, Irrſal, nicht die Perſon jondern die Sache bedeutet. 
Schaffen; jo viel als befehlen, gebieten. Sinngedicht 403. 
Weil Recht ein Knecht ist ift, dem Frevel hat zu jchaffen ꝛc. 
Desgleihen Sinng. 1395. 
Diener, denen Fürſten jchaffen ac. 35 
In der vergangenen Zeit heißt es geſchafft: 


396 Friedrichs von Logau Sinngedichte. 





Den Laftern ift gejchafft, zu halten Feyertag. Sinng. 859. 
Da hingegen gejchaffen creatus heißt. 
Schanze in der Bedeutung des holländifchen Kans, Anlaß, 
Gelegenheit, Glüd. Unjer Dichter jagt: (IX. 39.) 
5 Aufzubringen erſte Schanze ꝛc. 
für das erſte Kapital einen Handel damit anzufangen. Einem etwas 
zuſchanzen, in die Schanze ſchlagen oder geben, (II. 19.) 
auf jene Schanze achten x. Lauter Redensarten, die aus dieſem 
alten Schanze zu erklären find, und mit den Schanzen der Krieges: 
10 Baukunſt nichts als den Klang gemein haben. 
Sheinlih; was einen guten Schein hat. (IX. 49.) 
Der Ehre jheinlih Gift. 
Er jagt auch Scheinlichfeit, in eben diefem Verjtande. Sinng. 1834. 
Scheinlichkeit. 
15 Mancher trägt ein Ehrenkleid, hüllet drunter einen Tropf; 
Mancher trägt auf altem Rumpf dennoch einen Kinderkopf. 
Scheltbar. Sinng. 101. 

Wahrheit ftedt in dir, o Wein! 
Wie will der dern jcheltbar jeyn, 

20 Der, die Wahrheit zu ergründen, 
Sich beym Bachus viel läßt finden? 

Schild. Einer Jungfer in Schild reiten, jagt Logau, 
Sinng. 2501. mit einer leichtfertigen Zweydeutigkeit, anjtatt ihr eine 
Grobheit erweijen. Eine ähnliche Nedensart: einem in den Schild 

25 reden, erkläret Friſch. 
Schimpf, in der alten Bedeutung für Scherz; kömmt hin und 
wieder vor. 3. ©. (VII. 19. IX. 29.) 
Schimpf aber ift nit Ernit ꝛc. 
Mander wird in Schimpf und Scherz ꝛc. 
30 Schlägefaul; jo faul, daß Schläge nichts mehr verfangen. 
Sinnged. 9. | 
Unſre Welt ift jchlägefaul; 
Setzt ſich, wie ein jtätig Gaul. 

Schlaffen, für jehlaff jeyn. Sinng. 403. 

Weil Recht ein Knecht itzt ift, dem Frevel hat zu jchaffen, 
Weil eignen Willens Zaum pflegt frey verhenkt zu jchlaffen zc. 





Wörkerbuch. 397 





Schlechthich, für ſchlecht. Zweyte Zugabe 102. 
So hat ſein Anſehn er nicht ſchlechtlichen gekränkt. 
Das angehängte en iſt die Füllpartidel der alten Sprache. 
Schmätriden und Schmager. Beides jagt Yogau für 
Kuß, Küßchen. Sinnged. 685. und 2460. 5 
Schmeißen für Schmeißfliegen. Erjte Zugabe 137. 
Lara hat ein jchönes Fleifh, eines von dem weißen; 
Doch man jaget, daß ihr drauf ofte figen Schmeißen. 
Schnallen, mit den Fingern, jo viel als jchnipjen, von 
Schnall, ein Schnipden. Sinng. 966. 10 
Der Donner Sinai wird faum jo hoch geacht, 
Als wann ein tönend Erz vom Hammerjchlage jchallet, 
Und ein gebrechlih Menſch mit feinen Fingern jchnallet. 
Schnalzen iſt mit dem vorhergehenden ſchnallen verwandt, 
und bedeutet gleichfalls mit den Fingern, oder auch mit der Zunge, 15 
einen Laut mahen. Sinnged. 1107. 
Schnalzet und ledet mit lujtigen Zungen. 
Schnöde Sinng. 2570. 
Weiber die man wader nennt find gemeinlih ſchnöde. 
Bey Luthern bedeutet das Wort ſchnöde allezeit jo viel als ver- 20 
achtet, verworfen, ſchändlich; z. E Ein Menſch der ein 
Greuel und ſchnöde ift ꝛc. (Hiob XV. 15.) Ab Herr Siehe 
doch, wie Ihnöde ih worden bin. (Klageliever I. 11.) et 
aber, und auch bereit3 in der gegenwärtigen Stelle unjers Dichters, 
jcheinet e8 nicht jo wohl eine paſſive als active Bedeutung zu haben, 25 
jo daß ein ſchnöder Menſch, nicht ein Menſch heißet, der verachtet 
wird, jondern der andern verächtlich begegnet. 
Schönen; 1. für jhön ſeyn: Sinng. 1505. 
Fürjtinn, euer reines Schön hat ein Fieber ist verhöhnet ; 
Aber Schönes ruhet nur, daß es nachmals ſchöner jchönet.- 30 
2. für ſchön machen: Zweyte Zugabe. Seite 218. 
Ein Maler ift er auch, der alle Later jchönet 
Zu einer Selena — — 
Shönhäßlid; eines von den Wörtern, die, dem erjten An: 
jcheine nah, einen Widerſpruch in ich —— Das eilfte Sinn- 35 
gedicht des eriten Buchs erklärt es. 


398 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Schooßfall heißt das echt, vermöge dejjen eine Mutter von 
ihren Kindern erben kann; oder auch, diefe Erbichaft jelbit. Mit der 
Zweydeutigkeit dieſes Worts hat unjer Dichter in dem 2473 Sinn: 
gedichte gejpielt. 

5 Huldiberta hat fein Kind, weniger noch Kindesfinder; 
Mandher Schooßfall, wie man jagt, Fällt ihr dennoch zu 
nichts minder. 

Schüren; ein Kunftwort der Böttcher, wenn fie das brennende 
Veh in den Fäſſern hin und her rütteln. Sinng. 1530. 

10 Daß er Fafje nicht nur bindet, jondern daß er fie auch ſchürt. 

Schweſterſchaft (XII. 11.) 

D jo denk ich auch zugleich an der Freundſchaft Sch weiter: 
ſchaft x. 
heißt an diefem Orte jo viel als: an die blutsverwande Freundjchaft. 
15 Schweiterfchaft ift ein Wort, das mit dem Worte Brüderjchaft von 
gleichem Gepräge ift, und eben jo wenig unterzugehen verdient, als 
dieſes. | 

Schwindeltumm, für Ihwindlidt. Sinng. 2915. Könnte 
man nicht dieſe beiden Wörter jo unterjcheiven, daß das erjte einen 

20 Menjchen bedeutete, dem wirklich jchwindelt, und das andere einen 
jolchen, dem leicht jchwindeln fann? Oder könnten fie nicht wenigſtens 
die verjchiedenen Grade des Schwindels bezeichnen ? 

Schwitzig. Sinnged. 454. 

Da geht e8 jchwißig her ꝛc. 
25 D. i. e8 koſtet vielen Schweiß. 
Seitab, für bey Seite. Zweyte Zugabe ©. 217. 
Zu Zeiten pflegt er den mit fich jeitab zu ziehn, 
Dem feines Meifters Ruhm in fihers Ohr er lege. 
Dieſes Nebenwort wäre bey den Schaufpielen nicht unbequem anitatt 
30 des A part zu brauchen; bejonders da, wo man es in ein Hauptwort 
verwandelt. Alſo ließe fih das erjte Seitab, das zweyte 
Seitab, bey jedem Seitab, fjchidlicher jagen, als: dag erite 
bey Seite x. | 

Selbander; fo wie man aud jagt jelbdritter, jelb- 

35 vierter ꝛc. Es ift diefes eine Art perjönlicher Fürmwörter, die nur 
in einigen Provinzen gewöhnlich, unfern neuern guten Schrifttellern 





Wörkerbuch. 399 





aber faſt gar nicht üblich iſt. Sind ſie hierinn nicht vielleicht zu ekel? 
Wenigſtens werden ſie geſtehen müſſen, daß ihnen dieſe Fürwörter 
mehr als Ein unnützes Wort erſparen könnten, wenn ſie den Begriff 
auszudrücken haben, daß ſich die Perſon, von welcher die Rede iſt, 
nicht allein, ſondern mit einem, zweyen oder mehrern in Geſellſchaft 5 
befunden. Sie fünnen es an folgenden Beyfpielen unjers Dichters 
verfuden. Sinng. 1372. 
Bulpiana ift jelbander — Was doch igt für Fälle find! — 
Bey zehn Jahren. Meide Sorgen! denn ihr Mann der ijt 
ein Kind. 10 
Sinnged. 1407. Eine Braut zu ihren Gäſten. 
Ihr Gäft, ihr ſeid mir lieb, bis daß die Nacht bricht ein; 
Da darf ich feinen Gaſt, jelbander will ich jeyn. 
Zu diejen Fürmwörtern gehöret auch ſelbſelbſt, und iſt, der Ord— 
nung nad, das erite. Es bedeutet nehmlich die Perſon, von welcher 15 
die Rede it, ganz allein, ohne die Gejellichaft einer andern. Sinng. 
2346. 
Silberjtumm; ein Scherzwort, für, einen den das Silber 
ſtumm gemacht hat, der fich bejtechen lafjen, zu ſchweigen. (XII. 12.) 
Hermes iſt der bejte Redner weit und breit, und um und um, 20 
Ein Gebrechen ijt bedenklich: manchmal ift er ſilberſtumm. 
Sinn, der; Sinnen, die; für, das Genie, die Gemüthsgaben, 
der Geift, der gute Kopf. So werden diefe Wörter, bejonders das in 
der vielfachen Zahl, von unjerm Dichter und von feinen Zeitverwandten 
gebraucht. Man jehe Erempel davon unter Degen und Erdegeift; 3 
imgleichen (VI. 24.) 
Ihr, ihr Schönen, ihr, ihr Lieben, habet Luft an reifen Sinnen. 
(XII. 104.) 
— — — Und die andern Elugen Sinnen 
Deiner Kinder, find fie nicht was dort find die Kaftalinnen? 30 
Sitzer, der; eben derjelbe Theil des Körpers, den Logau ſonſt 
Hinterftin und des Magens Hinterthür nennt. Sinnged. 1728, 
Was ijt ein göldner Kopf ohn einen bleyern Sitzer? 
Sinnged. 1135. 
Der Ofen wärmt die Stube, thut ſolches unbereut, 35 
Ob gleich ein alte Mutter die Hinterftirn ihm beut. 


400 Friedrichs von Togau Sinngedichke. 





Sinnged. 1581. 
Galvus jah zum Fenfter aus, Lippus hielt die Nafe für, 
Denn er meynte Calvus Kopf jey de3 Magens Hinterthür, 
Söder, it der Pluralis von Sod, Brühe. Sod fümmt her 
5 von fieven. (II. 84.) 
Geußt Söder auf, und Senf daran ıc. 
Sönnen, in die Sonne legen, an der Sonne wärmen, —— 
Man ſagt es im gemeinen Leben von Betten; Logau ſagt es ſpöttiſch 
von den bloßen Brüſten, die er deßwegen — Brüſte nennt: 
10 Erſte Zugabe 168. 
Sorglichkeit. Iſt mehr als Sorgſamkeit, und weniger als 
Aengſtlichkeit. (II. 47.) 
Städter, für Einwohner in den Städten; iſt noch in gemeinen 
Reden gebräuchlich Sinnged. 205. 
Der Krieger Art und Werk bisher war rauben, ſtehlen; 
Der Städter Art und Werk, erkaufen und verhehlen. 
Stänfen, für Geſtank erregen, ſtänkern. Sinnged. 2763. 
Veturia ruft ihrer Jugend mit Seufzen, wenn fie an fie denft; 
Sie aber fleucht je mehr zurüde, weil jen’ im Seufzen etwas 
20 ſtänkt. 
Stänker, in der niedrigen Sprache jo viel als Zänker. 
Sinnged. 911. 
Sterben, als ein Nctivum, für fterben machen, tödten; an 
vielen Orten 3. €. (X. 67.) Imgleichen Sinng. 2361. 


25 Der Tod der alles fterbt, den fterbt ein gut Gerüchte, 
Das ftirbt, wenn gleich die Welt muß fterben, doch mit 
nichte ac. 


Aus diefer Stelle fieht man zugleih, daß man das jte ben, wenn es 
ein Activum gewejen, anders flectivt habe, al3 das Neutrum jterben. 
30 Jenes heißt in der zweyten und dritten Perſon der gegenwärtigen und 
der jüngftvergangenen Zeit, du ſterbſt, er fterbt, er jterbte; 
diefes hingegen heißt: Du ftirbft, er ftirbt, er ftarb. Eben fo 
unterfcheidet unjer Dichter das Zeitwort verderben: Erverderbt, 
er verderbte, heißt: er machte etwas zu Schanden; er verdirbt, 
35 er verdarb, heißt: er ward felbjt zu Schanden. Wir haben mehr 
dergleichen Wörter: 3. E. das Wort ſchmelzen. Das Metal ſchmilzt, 





Wörkerbuch. 401 





und ſchmolz; der Gießer ſchmelzt, und ſchmelzte. Der Henker 
erwürgt, der Gehenkte erworgt: (IX. 71.) 
Am Galgen und am Strang erworgen, iſt nicht ehrlich ꝛc. 
Man ſehe auch das Wort erſtecken. 
Stöckelfiſch für Stockfiſch. Sinng. 96. 5 

Ey man muß dem Hofeleben 

Vor den andern Vorzug geben: 

Denn bey großer Herren Tiſche 

Sind ſtets Haſ' und Stöckelfiſche. 


Strecken, ausdehnen. Anhang 117. 10 
Könnte man das Leben ſtrecken, wie man kann das Leder 
dehnen ꝛc. 


Siehe erſtrecken. 
Stümpfen, für ſtumpf machen (XRIII. 3.) 
Stürzebrücke; (IX. 49.) gebt beſſer in den Vers, und iſt auch 15 
ſtärker, als Fallbrüde. 
Suhne, die; für Verſöhnung. Sinnged. 1049. 
Wann Mann und Weib ſich zankt, iſt Suhne recht beſtellt ꝛc. 


T. 


Tage» und Nacht-gleiche; jo überſchreibt Logau das 2248te 20 
Sinngedidt. Die Nahtgleiche wäre font ſchon hinlänglich, das 
Aequinoctium auszudrüden. 

Taugen. Unjer Logau jchreibt anjtatt taugt, durchgängig 
taug. Sinng. 2522. 

Gewohnheit ift die größte Frau, beherrichet alle Welt; 95 
Gar wenig gilt, gar wenig taug, was fie nicht ächte hält. 
Desgleihen Sinng. 2542. und 2550. 
Die Wahrheit taug nur auf das Dorf, die grobe Bäuerinn; 
Wo man franzöftiihhöflich ift, da taug fie gar nicht hin. 
Eben jo an Dpiß, jo wol in Verſen als in Proſe. 3. €. 30 
— — Hier taug fein Midas nicht, 
„Der Gielsohren bat, und Ejelsurtheil jpricht.“ 

Tejtamenterinn, die; für, das Frauenzimmer, welches ein 
Teitament macht. Sinng. 720. Tejtirerinn, welches man ges 
meiniglich dafür braucht, ift nicht jo deutſch. 35 

Leſſing, ſämtliche Schriften. VIL 26 


402 Friedrichs von Logau Sinngedichte, 





Thurjt, oder Durſt, die; jo viel als, Kühnheit, Muth ein 
Abentheuer zu beſtehen. Auch diejes alte Wort braucht unjer Logau, 
wenn er von den fühnen Thaten der alten deutichen Helden jpricht: 
(XIII. 10.) 

5 Was wüßten wir von Helden, 
Und ihrer Thurſt zu melden ꝛc. 
Thurſt kömmt her von dem alten Zeitworte törren, torren, torsten; 
dürfen, und hat viel Aehnlichkeit mit dem griechifchen 000006, 
audacia. Man jehe das Zeitwort in den Fabeln des von Riedenburg: 
10 ($ab. 67.) 
Vor im getorst kein tier gestan. 
Und Fab. 70. 
Ratent und koment uiber ein, 
Wel under uns diu si allein, 
15 Diu das getuwirre wol bestan 
Das si der katzen henken an 
Welle die schallen — — 
Luther gebraucht das Wort dürftiglid (1 Moſ. XXXIV. 25.) 
in eben diefem Verſtande. 
20 Diſchen, für zu Tiſche figen. (II. 66.) 

Töblich, oder, wie es bey andern gejchrieben wird, töbelicht; 
von töbeln, und diefes von toben. Töbeln erklärt der Spate 
durch feroculum esse, hilarem insaniam insanire etc. die Stelle, 
wo töblich bey unjerm Dichter vorfömmt, ift unter gach bereits an- 

25 geführet. | 
Torkeln für taumeln (II. 54.) und Sinnged. 2568. 
Der Säufer auf den Beinen, der Buhler an den Sinnen, 
Sieht Wunder, wer drauf fiehet, wie beide torfeln fünnen. 
Totterjchreibt Logan, wofür wir Dotter fehreiben. Sinng. 
30 2410. | | 
| Treuen jagt Logau durchgängig für trauen, copuliren. 
Sinng. 769. 
Ewigkeit die ohne Ziel 
Uns aufs neue treuen will. 
35 Trillen für plagen. Anh. 51. 
Die Steuer trillt uns noch. 





Wörkerbuch. 403 





Drillen iſt eigentlich ein militariſches Wort, und bedeutet jo 
viel als das heutige ererciren. Daher Trillhaus, Trill— 
meijter ı. 
Trompter für Trompeter. Sinng. 1369. 
Troßer, der; iſt poetiſcher als der troßige. 5 
Tummelbaftig, wovon man die Endiylbe ig beifer wegläßt; 
wird von Pferden gejagt, als welche man tummelt. Sinng. 826. 
Ein janftes Thier gehört auf einen engen Steg, 
Ein tummelhaftig Gaul auf einen breiten Weg. 


M. 10 
Uebergeben, anftatt verlafjen oder aufgeben. Sinnged. 774. 
Gott hat neben fich gejeget 
Auch den Nächſten; wird verleßet 
Dur den Dienjt, der ihn gleich liebet, 
Und den Nächiten übergiebet. 15 
Meberjtändig; wird von Früchten gejagt, die man allzulange 
auf dem Baume gelafjen, und die endlich von jelbit abfallen. Sinnged. 
2278. 
Ein alt Weib fiel die Stiegen ab. Kein Wunder bildt euch ein: 
Die Früchte fallen von fich ſelbſt, die überſtändig ſeyn. 20 
Veberweiben, ſich, würde eigentlich heißen, der Weiber auf 
einmal mehr nehmen, als man beftreiten fann. Bey unſerm Dichter 
aber kann es nur heißen; zur Unzeit ein Weib nehmen, oder fo viel 
Weiber nach einander nehmen, daß man der legten nicht mehr ge- 
wachen if. Sinng. 1893. 25 
Rufus hat fich überweibt; hätte jollen denken dran, 
Daß man mehr nicht Schlachten ſoll, als man füglich jalzen 
fann. 
Unartig, nennt Logau jedes Ding, das aus feiner Art jchlägt. 
So ift ihm 3. E. ein unartiger Sommer, Sinnged. 234. ein 30 
Sommer, der jehr heiße Tage und jehr kalte Nächte hat. Itzt brauchen 
wir unartig nur für ungefittet, ungezogen. 
Unfromm. (V. 63.) Sagt unjerm Dichter etwas weniger als 
böje; denn er jegt Fromm und unfromm einander entgegen ‚ wie 
Biedermann und Heudler. — | 35 


404 Friedrichs von Togau Sinugedichke. 





Unverfreyt, für unverehlicht, unvermifcht. Sinng. 588. Un- 
verfreyter Wein. 
Den Ehſtand lob ich zwar, nicht aber lob ih Wein, 
Der da mit Waſſer will zu Zeiten ehlich jeyn. 
5 Unzahl, die; jo viel als unzählbare Menge. Sinng. 2754. 
wo der Dichter eine durchlauchtige Perſon anredet: 
Die Menge macht mich arm: ih kann nicht Zierden haben, 
Zu Streichen zierli aus die Unzahl Eurer Gaben. . 


V. 


10 Verbriefter Adel; ein Adel, den man nicht durch Ahnen be— 
weiſt, ſondern durch den Adelbrief; iſt die Ueberſchrift des 2154ten 
Sinngedichts; ein zum Scherz gemachter Ausdruck, nach der Analogie 
der Wörter verfhanzt, verzäuntxc. Eben jo nennt er von dem 
angehängten Siegel oder Bulle an dergleichen Adelbriefen, die neuen 

15 Edelleute bullenedel, Unjer Logau, der von altem Adel war, 
jpottet an vielen Stellen mit Bitterfeit über neugemachte Edelleute. 
Tſcherning fpottet eben jo bitter über einen alten Edelmann, den 
er Lagopus nennt. (Frühl. ©. 95.) 

Berbringen, jagt unjer Dichter allezeit anjtatt vollbringen. 

20 Sinng. 69. | 

| Die Finken, die im Lenz nicht fingen, 

Die bringen auf den Herbit dann ein: 

Der muß dann alt erit raſend feyn, 

Der jung es fonnte nicht verbringen. 

25 Bollbringen, vollenden, vollführen find wohl unftreitig gute 
Wörter, und einer jehr guten Ableitung fähig; da hingegen ver— 
bringen zweydeutig ift: denn e3 bedeutet auch das Gegentheil von 
zufammenbringen, nehmlich verjchwenden. 

Berbürgen, etwas; cavere de aliqua re. Diejes gerichtliche 

30 Wort hat unſer Dichter jehr wohl gebraudt. Die Poeten, jagt er 
(XIII. 10.) haben den alten Helden 

Die Sterblichkeit verbürget, 
Daß fie fie nicht gewürget. 
D. i. fie haben für die Sterblichkeit gut gejagt, daß diefe ihnen nicht 

35 Schaden ſolle. Weil man aber öfter etwas, das gejchehen fol, als etwas, 





Wörkerbuch. 405 





das nicht geſchehen ſoll, verbürget, ſo würde man kürzer ſagen 
können: Die Dichter verbürgen den Helden die Unſterblichkeit; fie 
find Bürge dafür, daß dieje ihnen werden joll. 
Vergehen, fih; braucht Logau in der eigentlichiten Bedeutung 
für, fi) verirren. (XII. 72.) 
Trullus hat ein ſchönes Weib. Wenn fie an der Thüre fteht, 
Sieht man nicht, daß leicht ein Hund fich bey ihr ins Haus 
vergeht. 
| Vergnüglichkeit und Gnüglidhfeit (XIII. 8.) nennt Zogau 
was jonjt auch Begnügjamfeit heißet; (VI. 62. VIII. 61.) die 
Tugend, mit jeinen Umſtänden zufrieden zu jeyn, auzagxeıa. 
Berfünden, für verfündigen, fund thun. (VIII. 97.) 
Berlajt, als das alte Präteritum von verlieren; daher auch 
Verluft. Sinng. 1589. 
Da ſieh nun Deutjchland, was der Krieg verderbt hat und 
verlaſt, 
Daß Friede dieſes wiederbringt, verbeſſert und verfaſt. 
Verleiben. Sinng. 2661. 
Wiewohl ſich Mann und Frau in Einen Leib verleiben ꝛc. 
Bon diefem verleiben ift einverleiben, gemacht worden, wo— 
für man vor Alters einleiben jagte. Man jehe des Herren Haltaus 
Glofjarium unter diefem Worte. 
Verprachten; kömmt von dem oben angeführten Zeitworte prach— 
ten ber, und heißt jo viel als, mit Brangen durchbringen: (IV. 25.) 
Morus war in hohen Ehren, wagte was er hatt’, auf Ehr. 
Als er alles nun verpradtet x. 
Daß in der alten Ausgabe verpradhert fteht, muß man fich nicht 
irren lafjen; es ift ein offenbarer Drudfehler. Sein Vermögen dur 
Prachern oder Betteln duchbringen, (welches verprachern be 
deuten müßte,) giebt bier gar feinen Verſtand. 
Berraiten, von dem obigen raiten; heißt jo viel als be— 
rechnen, Rechnung wovon ablegen. Sinnged. 2702. 
Die Vormundſchaft der Untern verwalten Obrigfeiten, 
Die müſſen fie dort oben zu feiner Zeit verraiten. 


10 


15 


25 


Verſchildwacht. Unjer Dichter jagt jehr ſchön von einem 35 


guten Gewiſſen. Zweyte Zugabe 9. 


406 Friedrichs von Iogau Sinngedichke. 





Gut Gewiljen traut auf Gott, 
Tritt vor Augen aller Noth, 
Sit verichildwacht allezeit 
Mit der freyen Nedlichkeit. 
5 Verſchlunden für verihlingen; von Schlund. GSinnged. 
1150. 
— — doch es wird nicht Funden 
Was die Wölfe vor verſchlunden. 
Verſprechen, in der alten Bedeutung, ſo viel als ſchelten, 
10 ——— Sinng. 1846. 
Wer von Fürſten reden will, will er Gutes reden nicht, 
Hüt er ſich, daß auch ſein Maul Erdegötter nicht verſpricht. 
Verthun, ſo viel als unterbringen, ausleyhen, austhun. 
Sinng. 412. | 
15.2... Was iſts worüber mehr die Sungfern jo entbrennen, 
ALS wenn man fie pflegt alt und ungeftalt zu nennen? 
Denn Jugend dient zur Zucht, und Schönheit zum verthun; 
Sind dieje beide weg, jo läßt man fie wohl ruhn. 
Schön müfjen fie jeyn, will der Dichter jagen, wenn fie bald Männer 
20 befommen wollen; und jung müfjen fie jeyn, um Mütter werden zu 
fönnen. 
Vertr eulich; Sinnged. 798. — wir itzt vertraulich oder 
vertraut ſagen. 
Vervielen; Sinngedicht 618. und vielen; Sinnged,. 
25 1103. beißt jo * als a a wofür wir it —— 
ſagen: 
Daß er mit gevielten Zweigen 
Möge bis zun Sternen ſteigen. 
Wir ſollten das Wort vervielen nicht untergehen laſſen. Ver— 
30 mehren, vervielen, vervielfältigen, find drey Wörter, welche 
dienen, das verjchiedene Zunehmen der Dinge an Größe, Anzahl und 
Eigenfchaften genauer zu bejtimmen. 3. E. Das Waſſer vermehrt 
ih; alle Blumen vervielen fih; einige Blumen vervielfältigen ſich. 
Berweiben, fih; zum Weibe werden, weibijch werden. Siehe 
35 Weibling. 
Verzeihen, fih; anftatt Verzicht thun. Sinngedicht 634, 





Wörkerbuch. 407 





Wer viel Geld hat auszuleihen, 
Muß der Freundſchaft ſich verzeihen. 
Denn der Tag zum Wiedergeben 
Pflegt die Freundſchaft aufzuheben. 
Vierung des Zirkels; jo überſetzt Logau ſehr wohl Quadra- 5 
turam circuli. Sinng. 1343. 
Daß im Zirkel eine Vierung ſey zu finden, iſt wohl klar: 
Aber daß auf runder Erde fein Beſtand, bleibt dennoch wahr. 
Indeſſen jollte man aus diefem Sinngedichte faſt ſchließen, daß Der 
Dichter einen jehr jchlechten Begriff von der Duadratur des Zirkels 10 
gehabt, und vielleicht weiter nichts, al3 ein Viered darunter verjtanden 
babe, das man innerhalb eines Zirfels beſchreiben kann. In diefem 
Argwohne wird man um jo viel mehr bejtärkt, wenn man findet, daß 
die deutſchen Meßkünftler damaliger Zeit, das Quadrat überhaupt, 
nicht ein Biered, jondern eine Bierung genannt haben, wie unter 15 
andern aus George Vieſchers Additamento operis Coleri @conomici 
(gedrudt zu Nürnberg 1623) zu erjehen. 
Bor; als ein Nebenwort, anjtatt vormals, zuvor, vorher. (IV. 82. 
104. IX. 11.) fümmt häufig vor, jo wohl bey unjerm Dichter, als 
bey jeinen Zeitverwandten. Auch haben es die nach folgenden Dichter 20 
nicht ganz untergehen laſſen. 


m. 


Wächſig, crescens. Sinng. 794. 
— — — Nun und zu aller Zeit 
Sey wächſig diefer Stamm, bis zu der Ewigfeit. 25 
Ein halbwüchſiger Hafe, heißt in dem komiſchen Heldengedichte 
Phaeton, ein Hafe in feinem beften Wachsthum. 
Waffen für Wappen. Beide Wörter find eines, nur daß wir 
fie ißt, befannter maaßen unterjcheiden. Logau that es noch nicht; 
er jagt in der zweyten Zugabe (Seite 215.) 30 
— — — en Mann 
Der Reinkens Hintertheil im Waffen führen kann. 
Wallen, gehen (II. 2.) Daher das alte Waller, Pilgrim. 
Wandel, der; jo viel als Veränderung, Taufch. (XII. 8.) 
Wandeln; für ändern, verwandeln. Sinng. 56. 90. 802. 35 


408 Friedriche non Togau Sinngedichke. 





Die Krankheit wandelt fih, wenn Neuliht mit dem alten 
Am Monden Wechjel hält — . 
Deögleichen Sinnged. 2192. 
Wandelt Glüde denn die Leute, 
5 Daß fie morgen nicht wie heute? 
Glücke hat es nie gethan, 
Wann fih wandelt jelbjt der Mann. 
Wannen, für von wannen (VI. 65.) 
Ich wüßte nicht wer der und wannen er entiprofjen ꝛc. 
10 Siehe Dannen. 
Was, für wie viel; wenn man fich über eine große Menge 
verwundert. Sinng. 1081. 
| Lieber Gott, was haft du Affen! 
Deßgleichen (XII. 6.) 
15 Mas Räuber hat die Welt! 
Wegelagerer, für Auflaurer, Nachfteller. Sinngedicht 580. 
Des menihlihen Lebens Wegelagerer. 
Ehre, Geiz, Leid, Wein und Liebe 
Sind des Menjchen Lebensdiebe. 
20 MWeiben, fo viel als heyrathen, fich beweiben. Sinnged. 1534. 
Willſt du nicht weiben? 
Siehe Ueberweiben. 
MWeibling, vir uxorius, oder, wie e3 unjere Borfahren gleich- 
falls nannten, ein Siemann. Weibling ift bey unſerm Dichter 
25 die Meberichrift von folgendem Epigramm: 
Wiewohl fih Mann und Weib in Einen Leib verleiben, 
Sp darf fih doh der Mann degwegen nicht verweiben. 
Wer, für jemand; kömmt hin und wieder vor, als Sinnged. 548. 
Will Kicchenbilder wer zum Nergerniß anziehn? 
30 Den ärgern Bilder nicht, die Augen ärgern ihn. 
MWiebeln, für wimmeln; niederdeutjch, Fribbeln und wib- 
bein. (VI. 19.) 
Da vor Freuden alles wiebelt ac. 
Wiederfäufler, jcheint bey unferm Dichter nicht jo — 
35 einen, der etwas mit der Bedingung es wiederkaufen zu können, ver— 
kauft hat, als bloß einen zu bedeuten, der ſeine Waaren aus der 





Wörkerbuch. 409 





zweyten Hand nimmt, der von einem Käufer wieder kaufet. Sinnged. 
2370. 
Bubalus treibt ſtark Gewerbe mit viel pohlſcher Ochſen Haufen: 
Neulich wollt' ein Wiederkäufler ihn mit ſamt den Ochſen kaufen. 
Wiederlegen, für erwiedern, wieder erlegen. Sinnged. 1965. 5 
Die Wohlthat und das Gute, das wir dem Andern ſchenken, 
St wiederlegt genüglich, wenn andre dran gedenfen. 
Daher Wiederlage im gerichtlichen Styl. 

MWiederzing nennt unfer Dichter jehr wohl, was fonft Zinſen— 
zins beißet; anatocismus. Sinngedicht 1568. 10 

Windey, heißet das unfruchtbare Ey, welches eine Henne legt, 
ohne daß fie von dem Hahne getreten worden. Anh. 256. 

Ein Windey legt die Henne die feinen Hahn nicht hat ıc. 
Das Wort jceheinet nach Maaßgebung des Griechiichen gemacht zu jeyn: 
Ovgıvov, vrınveuıov, Lepvorov WoV. 15 

Windlicht, jo viel als Fadel: Zweyte Zugabe 65. 

Wenn die Fröſch im Finftern quaren, zünde nur ein Wind- 
licht an; 
Ey wie werden fie bald ſchweigen ꝛc. 

Wirr; einen wirr und irre mahen jagt Logau. Sinnged. 20 
2448. 

Wirthlid. (IV. 42. 92.) Dieſes Wort ift von dem Worte 
wirthſchaftlhich wohl zu unterfcheiden: Wirthlich geht die Berfon, 
den Wirth an; wirthſchaftlich geht die Sache, die Wirthſchaft an. 
Alſo jagt man: wirthichaftlihe Gebäude, und wirthliche Leute. 25 

Witz. Diejes Wort ift unjerm Dichter fajt durchgängig weib- 
lihen Geſchlechts; als Sinngediht 1549. Deßgleihen Sinn: 
gedicht 1684. Ein einziges mal jagt er: Der Wit. Sinnged. 2630. 

Der Monden jtellt jih vor die Sonne und macht fie finfter 
eine Zeit: 30 

Der Wiß, der Gottes Kath will dämpfen, erjtredet ſich noch 
lang, noch weit. 

Witzel, jagt Logau wofür wir ist Wißling jagen. Sinn— 
ged. 911. 

Einen Doctor, einen Simpel, £ 35 
Einen Witel, einen Gümpel ıc. 


410 Friedrichs von Logau Sinngedichte. 





Depgleichen, erſte Zugabe 100. 
Wenn ich meinen Sinngedichten, fie zu jchreiben, Ende gebe, 
Mach ich Anfang, daß fich Witzel, fie zu tadeln, bald erhebe. 
Wigigfeit. Sinnged. 727. 
5 Kühnheit und Vermeſſenheit 
Bringt es öfters noch jo weit 
Als Bedacht und Witzigkeit ac. 
Wohlbeſpracht, ſo viel als beredt, oder vielmehr in vielen 
Sprachen erfahren. (VIII. 85.) 
10 Wohlbewußt, der; mens conscia recti, das gute nn 
Sinnged. 1966. 
Bey dem Aergſten Bejtes hoffen geht wohl feinem an, 
Der ich feines Wohlbewußtes nicht getröften Fann. 
Wohlfeilfeit. Sinng. 265. 
15 Wütig; vol Wut, wütend. Sinng. 846. 
Die Kinder Gottes find, find, wie ihr Vater, gütig; 
. Die. Satans Kinder find, find, wie ihr Bater, wütig. 
Wütigfeit. Sinng. 1093. 
Wann fih mit Gewalt Umverftand verfreyt, 
20 Wird geboren draus tolle Wütigfeit. 
Wunder, für Meerwunder, Wunderthiere; ift noch gebräuchlich, 
und dient unferm Dichter zu einem Wortipiele. (IX. 55.) 


2. 
Zanfeijen für Zänferinn. Sinng. 1404. 

25 Zeihen, fich; ift das Gegentheil von ſich verzeihen, Ver— 
zicht thun; (Siehe oben unter dem Worte verzeihen) auch iſt es 
das Gegentheil von verzeihen, vergeben. Es heißt alfo im eriten 
Verftande etwas begehren, etwas haben wollen. (VIII. 30.) 

Sagt, was wollen die fi) zeihn, 
30 Wenn ſie eigennützig ſeyn? 
Wenn ſie das gemeine Heil 
Meſſen nach dem eignen Theil? u. ſ. w. 
Eben jo jagt Opitz im Lobe des Kriegesgottes: (w. 575.) 
„— — . Was zeiht Achilles ſich, 
35 „Sich Neftor, feinen Hals zu jegen in den Stich, 





Wörkerbuch. 411 





„Ulyſſes gleichfalls auch? Achilles mag regieren 
„Sein Land Theſſalien ꝛec.“ 
und im zweyten Verſtande heißt es: Schuld geben; wie Luther es 
ſchon gebraucht hat: Wer kann mich einer Sünde zeihen? 
Zeitfolge. Dieſes Wort iſt die Ueberſchrift des 2429ten Sinn 5 
gedichts; und bedeutet ſo viel als, die Kunſt ſich in die Zeit zu ſchicken. 
Wer lieblich ſingen will, muß fallen bald, bald ſteigen; 
Wer ruhig leben will, muß reden itzt, itzt ſchweigen. 
Aus der erſten Zeile ſollte man faſt ſchließen, daß dieſes Wort zu 
Logaus Zeiten ein muſikaliſches Kunſtwort müſſe geweſen ſeyn. 10 
Zucht. 1. verecundia, pudor. Sinnged. 1257. 
— — — Wiewohls der Brauch verbeut, 
Und deutſche Zucht nicht will, die auch den Argwohn jcheut. 
Daher kömmt züchtig, bejcheiden; in Zühten und in Ehren; und 
das Zeitwort züchten, welches wir in folgender Rede des Sancho 15 
Panßa ſehr deutlich erfläret finden: „Ih will es Euch aufrichtig 
„ſagen, ein Stüd ſchwarz Brodt, und Zwiebeln dazu, ſchmecket mir in 
„meinem Winkel, wo ich für mic) bin, und nicht jo züchten darf, 
„eben jo gut, als ein Truthahn in Gefellfchaft vornehmer Leute, wo 
„ich ganz langjam efjen, und nur kleine Schlückchen thun, mir auch 20 
„aller Augenblide das Maul und die Finger abwifchen muß, und 
„weder hujten, niejen, noch gähnen darf, jo ſehr mir es auch ankömmt.“ 
Don DQuirotte. 2 Bud XI Cap. 
2. proles, prosapia; in der Stelle die unter verthun angeführet 
worden. 25 
Zungenhonig, ein poetiſcher Ausdrud; bedeutet jo viel als, 
ihmeichelhafte, Tiebfofende Reden. Sinnged. 774. Zungenhonig, 


Herzensgift. 















Gokkhold Ephraim Leſſings 
Jabeln. a 
Prey Bürher. | 6 
ebſt Abhandlungen 5 
mil diefer Dichkungsark verwandfen Inhalte. 








Berlin, 


bey Chrifian Friedrich Voß 1759, 




















[Die „Fabeln. Drey Bücher. Nebit Abhandlungen“, bereits im Mepfatalog zu Ditern 1759 
angekündigt, erfchienen zur Michaelißmefje 1759, mit einem Titelbild und einer Titelvignette von 
J. W. Meil geziert, in 8%, außer dem Titelblatt XII und 250 Seiten ftarf (= 1759a). In dem— 
felben Umfange, mit dem gleihen Titel und derjelben Yahreszahl 1759, erſchien 1760 ein zweiter, 
ziemlich unveränderter Drud (= 1759b), Korrefter als diefer, doch gleihfall® arm an weſent— 
lihen Veränderungen war die „Zweyte Auflage”, die in der gleichen Ausftattung zu Berlin bei 
Voß 1777 erihien (Titelblatt, XII und 254 Seiten 80) und auf dem Tert von 1759 beruht. Gie 
liegt dem folgenden Abdrud zu Grunde. Die dritte und vierte Auflage der Fabeln (1801 und 1819) 
find gleich der Ausgabe im achtzehnten Teile der ſämtlichen Schriften (1793) kritiſch mertlos, ihre 
Lesarten deshalb im Folgenden nicht verzeichnet. Dagegen jchien e8 angemefjen, die (meiftens 
geringen) Veränderungen fogleich Hier mit anzugeben, melde Leifing in den zahlreihen, dem 
70, Litteräturbrief eingefügten Citaten aus feinem Fabelbudhe vornahm; vgl. Band VIII diefer 
Ausgabe] 




















Borrede. 


Ich warf, vor Jahr und Tag, einen kritiſchen Blid auf meine 
Schriften. Ich hatte ihrer lange genug vergejien, um fie völlig als 
fremde Geburten betrachten zu können. Ich fand, daß man noch lange 
nicht jo viel Böjes davon gejagt habe, als man wohl jagen fönnte, 5 
und beſchloß, in dem erſten Unmwillen, fie ganz zu verwerfen. 

Biel Heberwindung hätte mich die Ausführung diefes Entjchlufjes 
gewiß nicht gefojtet. Ich hatte meine Schriften nie der Mühe werth 
geachtet, fie gegen irgend jemanden zu vertheidigen; jo ein leichtes und 
gutes Spiel mir auch oft der allzuelende Angriff diefer und jener 10 
würde gemacht haben. Dazu fam noch das Gefühl, daß ich igt meine 
jugendlichen Bergehungen durch beſſere Dinge gut machen, und endlich 
wohl gar in Bergefjenheit bringen könnte. 

Doch indem fielen mir jo viel freundfchaftliche Leler ein. — Soll 
ich Telbjt Gelegenheit geben, daß man ihnen vorwerfen kann, ihren 15 
Beyfall an etwas ganz Unwürdiges verjchwendet zu haben? Ihre 
nachjichtsvolle Aufmunterung erwartet von mir ein anderes Betragen. 
Sie erwartet, und fie verdienet, daß ich mich beitrebe, fie, wenigjteng 
nad der Hand, Recht haben zu laſſen; daß ich jo viel Gutes nun- 
mehr wirfli in meine Schriften jo glücdlich hineinlege, daß fie es in 20 
voraus darinn bemerkt zu haben jcheinen können. — Und jo nahm 
ih mir vor, was ich erft verwerffen wollte, lieber jo viel als mög- 
lih zu verbefjern. — Welche Arbeit! — 

Ich hatte mich bey feiner Gattung von Gedichten länger ver: 
mweilet, al3 bey der Fabel. E3 gefiel mir auf diefem gemeinjchaft- 25 
lihen Raine der Poeſie und Moral. Ich hatte die alten und neuen 
Fabuliften jo ziemlich alle, und die beten von ihnen mehr als einmal 
gelejen. Ich hatte über die Theorie der Fabel nachgedacht. Ich hatte 


10 


15 


20 


25 


416 Gofihold Ephraim Teffings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





mich oft gewundert, daß die gerade! auf die Wahrheit führende Bahn 
des Aejopus, von den Neuern, für die blumenreichern? Abwege der 


ſchwatzhaften Gabe zu erzehlen, jo jehr verlafien werde. ch hatte eine 


Menge Berfuche in der einfältigen Art des alten Phrygiers gemadt. 
— Kurz, ich glaubte mich in diefem Fache jo reich, daß ich, vors erfte 
meinen Fabeln, mit leichter Mühe, eine neue Geſtalt geben könnte. 

Ich griff zum Werke, — Wie jehr ich mich aber wegen der 
leichten Mühe geirret hatte, das weis ich jelbft am beiten. Anmer- 
tungen, die man während dem Studieren macht, und nur aus Miß- 
trauen in jein Gedächtniß auf das Papier wirft; Gedanken, die man 
ih nur zu Haben begnügt, ohne ihnen durch den Ausdrud die nöthige 
Präcijion zu geben; Verfuhen, die man nur zu feiner Uebung waget, 
— — fehlet noch jehr viel zu einem Bude. Was nun endlich für 
eines daraus geworden; — bier tft es! 

Man wird.nicht mehr als jechje von meinen alten Fabeln darinn 
finden; die ſechs proſaiſchen nehmlich, die mir der Erhaltung am wenig- 
jten unmwerth ſchienen. Die übrigen gereimten mögen auf eine andere 
Stelle warten. Wenn es nicht gar zu jonderbar gelafjen hätte, jo 
würde ich fie in Proſa aufgelöjet haben. 

Ohne übrigens eigentlich den Gefichtspunct, aus welchem ih am 
liebjten betrachtet zu jeyn wünſchte, vorzufchreiben, erjuche ich bloß 
meinen Leſer, die Kabeln nicht ohne die Abhandlungen zu be 
urtheilen. Denn ob ich gleich weder dieje jenen, noch jene diejen zum 
beiten gejchrieben habe; jo entlehnen doch beyde, al3 Dinge, die zu 
Einer Zeit in Einem Kopfe entiprungen, allzuviel von einander, als 
daß fie einzeln und abgejondert noch eben diejelben bleiben fünnten. 
Sollte er auch ſchon dabey entdeden, daß meine Kegeln mit meiner 
Ausübung nicht allezeit übereinjtimmen: was iſt es mehr? Er weiß 
von jelbit, daß das Genie jeinen Eigenfinn hat; daß es den Regeln 


30 jelten mit Vorſatz folget; und daß dieſe feine wollüftigen Auswüchſe 


zwar beſchneiden, aber nit hemmen jollen. Er prüfe alfo in 
den Fabeln jeinen Gejhmad, und in den Abhandlungen meine 
Gründe. — 

Ich wäre Willens, mit allen übrigen Abtheilungen meiner Schriften, 


35 nach und nach, auf gleiche Weife zu verfahren. An Vorrat) würde e8 





1 grade [1759] 2 blumenreichen [70, Litteraturbrief] i 






4 nd EU „4 a ee .r..— ae a se BZ — 


ara a fen Br el 


Porrede. 417 








mir auch nicht fehlen, den unnügen Abgang dabey zu erjegen. Aber 
an Zeit, an Ruhe — — Nichts weiter! Dieſes Aber gehöret in 
feine Vorrede; und das Bublicum danfet es jelten einem Schriftiteller, 
wenn er es auch in ſolchen Dingen zu feinem Vertrauten zu machen 
gedenkt. — So lange der Birtuoje Anjchläge faſſet, Ideen jammlet, 5 
wählet, oronet, in Plane vertheilet: jo lange genießt er die fich jelbit 
belohnenden Wollüfte der Empfängniß. Aber jo bald er einen Schritt 
weiter gehet, und Hand anleget, jeine Schöpfung auch aufjer ſich dar— 
zuftellen: jogleich fangen die Schmerzen der Geburt an, welchen er 
jih jelten ohne alle Aufmunterung unterziehet. — 10 

Eine Vorrede jollte nichts enthalten, als die Geichichte des Buchs. 
Die Gejchichte des meinigen war bald erzehlt, und ich müßte bier 
ſchlieſſen. Allein, da ich die Gelegenheit mit meinen Leſern zu jprechen, 
jo jelten ergreiffe, jo erlaube man mir, fie einmal zu mißbrauchen. — 
Ah bin gezwungen mich über einen bekannten Seribenten zu beklagen. 15 
Herr Duſch hat mich durch feine bevollmädtigten* Freunde, jeit ge— 
raumer Zeit, auf eine jehr nichtswürdige Art mißhandeln laſſen. Ich 
meine mich, den Menjchen; denn daß es feiner fiegreichen Critik ge- 
fallen bat, mich, den Schriftjteller, in die Pfanne zu hauen, das würde 
ich mit feinem Worte rügen. Die Urſache feiner Erbitterung find ver= 20 
ſchiedene Gritifen, die man in der Bibliothefderjhönen Wiſſen— 
haften, und in den Briefen die neueſte Litteratur be— 
treffend, über jeine Werke gemacht hat, und Er auf meine Rechnung 
jchreibet. Sch habe ihn jchon öffentlich von dem Gegentheile verfichern 
laſſen; die Verfaſſer der Bibliothek find auch nunmehr genuglam bes 25 
fannt; und wenn dieje, wie er jelbit behauptet, zugleich die Verfaſſer 
der Briefe find: jo kann ich gar nicht begreiffen, warum er feinen 
Zorn an mir ausläßt. Bielleicht aber muß ein ehrlicher Mann, wie 
Er, wenn e3 ihn nicht tödten ſoll, fich feiner Galle gegen einen Un— 
ſchuldigen entladen; und in diefem Falle ftehe ich jeiner Kunftrichterey, 30 
und dem Aberwige jeiner Freunde und feiner Freundinnen, gar gern 
noch ferner zu Dienjten, und wiederrufe meine Klage. ? 





1 jeine bevollmächtigte [1759] 2 (Hierauf folgen zunächſt die Fabeln in drei Büchern; vgl. 
Band I diefer Ausgabe, Seite 193—230.] 





Leſſing, ſämtliche Schriften. VII, 27 


418 Gokkhold Ephraim Telfing® Jabeln. Vebſt Abhandlungen. 





Abhandlungen. 


1. 
Bon dem Weſen der Fabel. 


Jede Erdichtung, womit der Poet eine gewiſſe Abficht verbindet, 
5 heißt feine Fabel. So heißt die Erdichtung, welche er Durch die Epopee, 
dureh das Drama herrichen läßt, die Fabel jeiner Epopee, die Fabel 
jeine® Drama. 
Bon diefen Fabeln iſt hier die Nede nicht. Mein Gegenstand 
it die Jogenannte Aeſopiſche Fabel. Auch dieje it eine Erdichtung ; 
10 eine Erdichtung, die auf einen gewiſſen Zweck abzielet. | 
Man erlaube mir, gleich Anfangs einen Sprung in die Mitte 
meiner Materie zu thun, um eine Anmerkung daraus herzubohlen, auf 
die fich eine gewiſſe Eintheilung der Aeſopiſchen Fabel gründet, deren 
ich in der Folge zu oft gedenken werde, und die mir jo befannt nicht 
15 fcheinet, daß ich fie, auf gut Glüd, bey meinen Leſern vorausjegen dürfte. 
Aejopus machte die meilten jeiner Fabeln bey wirklichen Vor— 
fällen. Seine Nachfolger haben ſich dergleichen Vorfälle meiſtens er- 
dichtet, oder auch wohl an ganz und gar feinen Vorfall, jondern bloß 
an diefe oder jene allgemeine Wahrheit, bey Verfertigung der ihrigen, 
20 gedacht. Diefe begnügten fich folglich, die allgemeine Wahrheit, durch 
die erdichtete Gejchichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn jener 
noch über diejes, die Aehnlichkeit ſeiner erdichteten Geſchichte mit dem 
gegenwärtigen wirklichen Vorfalle faßlih machen, und zeigen mußte, 
daß aus beyden, jo wohl aus der erdichteten Gejchichte ala dem wirk— 
25 lichen Vorfalle, ſich eben diejelbe Wahrheit bereit ergebe, oder gewiß 
ergeben werde. | 
Und hieraus entjpringt die Eintheilung in einfahe und zu— 
jammengejegte Fabeln. | 





I. Bon dem Welen der Fabel. 419 





Einfach iſt die Fabel, wenn ich aus der erdichteten Begebenheit 
derjelben, bloß irgend eine allgemeine Wahrheit folgern laſſe. — „Man 
„machte der Löwin den Vorwurf, daß fie nur ein Junges zur Welt 
„brächte. Ya, ſprach fie, nur eines; aber einen Löwen *” — Die 
Wahrheit, welche in diejer Fabel liegt, orı ro zakov Ovx Ev uAndeı, 
all aosrn, leuchtet jogleich in die Augen; und die Fabel ijt ein- 
fach, wenn ich e8 bey dem Ausdrude diejes allgemeinen Sabes be— 
wenden lajie. 

Zuſammengeſetzt hingegen ijt die Fabel, wenn die Wahrheit, 
die fie uns anjchauend zu erkennen giebt, auf einen wirklich geſchehenen, 
oder doch, als wirklich gejchehen, angenommenen Fall, weiter an 


10 


gewendet wird. — „Ich made, ſprach ein höhniſcher Reimer zu dem 


„Dichter, in einem Jahre fieben Trauerjpiele; aber du? In fieben 
„Jahren eines! Recht; nur eines! verjeßte der Dichter; aber eine 
„Athalie!“ — Man mache diejes zur Anwendung der vorigen Fabel, 
und die Fabel wird zuſammengeſetzt. Denn fie bejteht! nunmehr 
gleihjam aus zwey Fabeln, aus zwey einzeln Fällen, in welchen 
beyden ich die Wahrheit eben dejjelben Lehrſatzes bejtätiget finde. 
Dieſe Eintheilung aber — kaum brauche ich es zu erinnern — 

beruhet nicht auf einer wejentlihen Verſchiedenheit der Fabeln jelbit; 
fondern bloß auf der verjchiedenen? Bearbeitung derjelben. Und aus 
dem Exempel ſchon hat man es erjehen, daß eben diejelbe Fabel bald 
einfab, bald zufammengejegt jeyn kann. Bey dem Phädrus 
it die Fabel von dem freijjenden Berge, eine einfache Fabel. 

— — — BHoe seriptum est tibi, 

Qui magna cum ıninaris. extricas nihil. 


20 


Ein jeder, ohne Unterjchied, der große und fürchterliche Anftalten einer 


Nichtswürdigkeit wegen macht; der jehr weit aushohlt, um einen jehr 
Heinen Sprung zu thun; jeder Prahler, jeder vielverjprechende Thor, 
von allen möglichen Arten, fiehet hier jein Bild! Bey unjferm Hage— 
dorn aber, wird eben diejelbe Fabel zu einer zufammengejegten 
Fabel, indem er einen gebährenden jchlechten Poeten zu dem bejondern 
Gegenbilde des kreiſſenden Berges madt. 


* Fabul. Aesop. 216. Edit. Hauptmannianae. 





1 bejtehet [1759] 2 verſchiednen [1759] 


30 


420 Goffhold Ephraim Telfinge Fabeln, Bebft Abhandlungen. 





Ihr Götter rettet! Menjchen flieht! 
Ein ſchwangrer Berg beginnt zu kreiſſen, 
Und wird igt, eh man ſichs verfieht, 
Mit Sand und Schollen um fich ſchmeiſſen ꝛc. 
5 Suffenus ſchwitzt und lermt und ſchäumt: 
Nichts kann den hohen Eifer zähmen; 
Er jtampft, er knirſcht; warum? er reimt, 
Und will ist den Homer beſchämen ꝛc. 
Allein gebt Acht, was kömmt heraus? 
10 Hier ein Sonnet, dort eine Maus. | 

Diefe Eintheilung alſo, von welcher die Lehrbücher der Dicht: 
kunſt ein tiefes Stillichweigen beobachten, ohngeachtet ihres mannich- 
faltigen Nugens in der richtigern Beltimmung verjchiedener Regeln: 
diefe Eintheilung, jage ich, vorausgejegt; will ich mich auf den Weg 

15 machen. Es ijt fein unbetretener Weg. Ich ſehe eine Menge Fuß- 
tapfen vor mir, die ich zum Theil unterjuchen muß, wenn ich überall 
fichere Tritte zu thun gedenfe. Und in diefer Abſicht will ich jogleich 
die vornehmften Erklärungen prüfen, welche meine Vorgänger von der 

; Fabel gegeben haben. 

BO’ De la Motte, 

Diefer Mann, welcher nicht jowohl ein großes poetiiches Genie, 
als ein guter, aufgeflärter Kopf war, der fich an mancherley wagen, 
und überall erträglich zu ‚bleiben hoffen durfte, erklärt die Fabel 
durch eine unter die Allegorie einer Handlung verftedte 

25 Lehre”. 

ALS fich der Sohn des ſtolzen Tarquinius bey den Gabiern 
nunmehr fejt gejebt hatte, jchicdte er heimlich einen Bothen an jeinen 
Bater, und ließ ihn fragen, was er weiter thun jolle? Der König, 
als der Bothe zu ihm kam, befand fich eben auf dem Felde, hub feinen 

30 Stab auf, jchlug den höchſten Mahnftängeln die Häupter ab, und ſprach 
zu dem Bothen: Geh, und erzehle meinem Sohne, was ich itzt gethan 
habe! Der Sohn verftand den ftummen Befehl des Vaters, und ließ 


* La Fable est une instruction deguisee sous l’allegorie d’une action. 
Discours sur la fable. 





I. Ban dem Welen der Fabel. 421 





die Vornehmſten der Gabier hinrichten *. — Hier ift eine allegorijche 
Handlung; — hier ift eine unter die Allegorie diefer Handlung ver: 
jtectte Lehre: aber ijt hier eine Fabel? Kann man jagen, daß Tar- 
quinius jeine Meinung dem Sohne duch eine Fabel habe wiſſen 
lajjien? Gewiß nicht! 

Sener Bater, der jeinen uneinigen Söhnen die Vortheile der 
Eintracht an einem Bündel Ruthen zeigte, das fich nicht anders al 
ſtückweiſe zerbrechen lafje, machte der eine Fabel **? 

Aber wenn eben derjelbe Vater feinen uneinigen Söhnen erzehlt 
hätte, wie glücdlich drey Stiere, jo lange fie einig waren, den Löwen 
von fich abhielten, und wie bald fie des Löwen Raub wurden, als 
Zwietracht unter fie kam, und jeder fich jeine eigene Weide juchte***: 
alsdenn hätte doch der Vater jeinen Söhnen ihr Beites in einer Fabel 
gezeigt? Die Sache iſt Klar. 

Folglich iſt es eben jo Klar, daß die Fabel nicht bloß eine alle- 
gorische Handlung, jondern die Erzehlung einer ſolchen Handlung 
jeyn kann. Und diejes iſt das erjte, was ich wider die Erklärung des 
de la Motte zu erinnern habe. 

Aber was will er mit feiner Allegorie? — Ein fo fremdes 
Wort, womit nur wenige einen bejtimmten Begriff verbinden, follte 
überhaupt aus einer guten Erklärung verbannt ſeyn. — Und wie, wenn 
es hier gar nicht einmal an feiner Stelle jtünde? Wenn es nicht wahr 
wäre, daß die Handlung der Fabel an fich jelbit allegorijch jey? Und 
wenn ſie es höchſtens unter gewiſſen Umſtänden nur werden könnte? 

Duintilian lehret: AAAnyogıa, quam Inversionem inter- 
pretamur, aliud verbis, aliud sensu ostendit, ac etiam interim 
contrariumy. Die Allegorie jagt das nicht, was fie nach den 
Worten zu jagen jcheinet, jondern etwas anders. Die neuern Lehrer 
der Rhetorik erinnern, daß diefes etwas andere auf etwas anderes 
ähnliches einzujchränfen jey, weil ſonſt auch jede Jronie eihe Alle- 
gorie jeyn würdet. Die legtern Worte des Duintilians, ac 


* Florus. lib. I. cap. 7. 

** Fabul. Aesop. 171. 
*** Tab. Aesop. 297. 

f Quinetilianus lib. VIII. cap. 6. 
fr Allegoria dieitur, quia «4lo uev dyooeveı, d4ko de vosı. Et istud 


10 


15 


20 


25 


422  Gofthold® Ephraim Telfings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





etiam .interim contrarium, find ihnen — zwar offenbar zuwider: 
aber es mag ſeyn. 
Die Allegorie ſagt alſo nicht, was ſie den Worten nach zu 
jagen ſcheinet, ſondern etwas ähnliches. Und die Handlung der 
5 Fabel, wenn fie allegorifch ſeyn joll, muß das auch nicht jagen, was 
fie zu jagen fcheinet, Jondern nur etwas ähnliches? 
Wir wollen jehen! — „Der Schwächere wird gemeinig- 
„ih ein Raub des Mächtigern.“ Das tft ein allgemeiner 
Sat, bey welchem ich mir eine Reihe von Dingen gedenfe, deren eines 
10 immer ſtärker ift als das andere; die fi aljo, nach der Folge 
ihrer verſchiednen Stärke, unter einander aufreiben fönnen. Cine 
Reihe von Dingen! Wer wird lange und gern den öden Begriff 
eines Dinges denken, ohne auf diejes oder jenes befondere Ding 
zu fallen, deſſen Eigenjchaften ihm ein deutliches Bild gewähren? 
15 Sch will alfo auch hier, anftatt diefer Reihe von unbejtimmten 
Dingen, eine Neihe beftimmter, wirklicher Dinge annehmen. Ich 
fönnte mir in der Gejchichte eine Reihe von Staaten oder Königen 
juchen; aber wie viele find in der Gejchichte jo bewandert, daß fie, 
jo bald ich meine Staaten oder Könige nur nennte, fich der Verhält- 
20 niffe, in welchen fie gegen einander an Größe und Macht gejtanden, 
erinnern fönnten?! Ich würde meinen Sab nur wenigen faßlicher 
gemacht haben; und ich möchte ihn gern allen jo faßlich, als mög- 
ih, machen. Sch falle auf die Thiere; und warum jollte ich nicht 
eine Reihe von Thieren wählen dürfen; bejonder3 wenn e3 all 
25 gemein befannte Thiere wären? Ein Auerhahn — ein Marder — 
ein Fuchs — ein Wolf — Wir kennen diefe Thiere; wir dürfen fie 
nur nennen hören, um fogleich zu willen, welches das jtärfere oder 
das jchwächere ift. Nunmehr? heißt mein Sag: der Marder frißt 
den Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der Wolf. Er 
30 frißt? "Er frißt vielleicht auch nicht. Das ift mir noch nit gewiß 
genug. Ich ſage alſo: er fra. Und fiehe, mein Satz ift zur Fabel 
geworden! | 


d44o restringi debet ad aliud simile, alias etiam omnis Ironia Allegoria esset. 
Vossius Inst. Orat. lib. IV. 





1 fönnen? [1759] 2 Nunmehro [1759 b] 





I. Bon dem Welen der Fabel. 423 





Ein Marder fraß den Auerhabn ; 

Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn *. 

Was kann ich nun jagen, daß in diefer Fabel für eine Allegorie 
liege? Der Auerhahn, der Schwächſte; der Marder, der Schwache; 
der Fuchs, der Starke; der Wolf der Stärkite. Was hat der Auer: 
bahn mit dem Schwächſten, der Marder mit dem Schwachen, u. ſ. w. 
bier ähnliches? Aehnliches! Gleichet hier bloß der Fuchs dem 
Starken, und der Wolf dem Stärkiten; oder ift jener hier der Starke, 
jo wie diefer der Stärkjte? Er iſt es. — Kurz; es heißt die Worte 
auf eine Findijche Art mißbrauchen, wenn man jagt, daß das Be- 
Jondere mit jeinem Allgemeinen, das Einzelne mit feiner Art, 
die Art mit ihrem Geſchlechte eine Aehnlichkeit habe. Sit 
dDiejer Windhund, einem Windhunde überhaupt, und ein Wind- 
hund überhaupt, einem Hunde ähnlich? Eine lächerliche Frage! 
— Findet fih nun aber unter den bejtimmten Subjecten der Fabel, 
und den allgemeinen Subjecten ihres Saßes feine Aehnlichkeit, 
jo kann auch feine Allegorie unter ihnen Statt haben. Und das 
Nehmliche läßt fi) auf die nehmliche Art von den beyderfeitigen 
Prädicaten erweilen. 

Vielleicht aber meinet jemand, daß die Allegorie hier nicht auf 
der Nehnlichkeit zwifchen den beftimmten Subjecten oder Prädicaten 
der Fabel und den allgemeinen Subjecten oder Prädicaten des 
Satzes, jondern auf der Nehnlichkeit der Arten, wie ich ebendiejelbe 
Wahrheit, ist durch die Bilder der Fabel, und itt vermitteljt der 
Worte des Satzes erkenne, berube. Doch das ift jo viel, als nichts. 


Denn käme hier die Art der Erfenntniß in Betrachtung, und wollte 


man bloß wegen der anfchauenden Erfenntniß, die ich vermittelft der 
Handlung der Fabel von diefer oder jener Wahrheit erhalte, die Hand- 
lung allegorifch nennen: jo würde in allen Fabeln ebendiefelbe Allegorie 
jeyn, welches doch niemand jagen will, der mit diefem Worte nur 
einigen Begriff verbindet. 

Ich befürchte, daß ich von einer jo Klaren Sache viel zu viel 
Worte made. Ich falle daher alles zufammen und jage: die Fabel, 
als eine einfache Fabel, kann unmöglich allegorifch jeyn. 


5 


10 


15 


20 . 


25 


Man erinnere fich aber meiner obigen Anmerkung, nach welcher 35 


* pon Hagedorn; Fabeln und Erzehlungen, erites Buch. ©. 77, 


10 


15 


20 


25 





424 Goflfhold Ephraim Teffings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 


eine jede einfache Fabel auch eine zujammengejeßte werden 
fann. Wie warn fie alsdenn allegoriih würde? Und fo ift es. 
Denn in der zujammengejegten Zabel wird ein Bejonderes gegen das 
andre gehalten; zwiſchen zwey oder mehr Bejondern, die unter eben 
demjelben Allgemeinen begriffen find, ift die Aehnlichkeit unwider- 
iprechlich, und die Allegorie kann folglich Statt finden. Nur muß man 
nicht jagen, daß die Allegorie zwiſchen der Fabel und dem moralijchen 
Satze ſich befinde. Sie befindet ſich zwiihen der Fabel und dem wirk- 
lichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat, in jo fern ſich 
aus beyden ebendiejelbe Wahrheit ergiebt. — Die befannte Fabel vom 
Pferde, das jih von dem Manne den Zaum anlegen ließ, und ihn 
auf jeinen Rüden nahm, damit er ihm nur in feiner Rache, die es 
an dem Hirſche nehmen wollte, behülflich wäre: dieſe Fabel jage ich, 
it fo fern nicht allegorifh, als ich mit dem Phädrus* bloß die 
allgemeine Wahrheit daraus ziehe: 
Impune potius laedi, quam dedi alteri. 

Bey der Gelegenheit nur, bey welcher fie ihr Erfinder Stefihorus 
erzehlte, ward fie e8. Er erzehlte fie nemlich, als die Himerenfer 
den Phalaris zum oberiten Befehlshaber ihrer Kriegsvölfer gemacht 
hatten, und ihm noc dazu eine Leibwache geben wollten. „O ihr 
„Himerenſer, rief er, die ihr ſo feſt entſchloſſen ſeyd, euch an euren 
„Feinden zu Tächen; nehmet euch wohl in Acht, oder es wird euch wie 
„dieſem Pferde ergehen! Den Zaum habt ihr euch bereits anlegen 
„laſſen, indem ihr den Phalaris zu eurem Heerführer mit unum— 
„ſchränkter Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine Leibwache 
„geben, wollt ihr ihn aufſitzen lafjen, jo it e8 vollends um eure 
„Freyheit gethan.” ** — Alles wird hier allegorifch! Aber einzig und 


allein dadurch, daß das Pferd, hier nicht auf jeden Beleidigten, jondern 


30 


35 


auf die beleidigten Himerenfer; der Hirſch nicht auf jeden Beleidiger, 
jondern auf die Feinde der Himerenſer; der Mann nicht. auf jeden 
liſtigen Unterdrüder, fondern auf den Bhalaris; die Anlegung des 
Zaums nicht auf jeden erjten Eingriff in die Nechte der Freybeit, 
jondern auf die Ernennung des Phalaris zum unumfchränften Heer 
führer; und das Auffigen endlich, nicht auf jeden legten tödlichen Stoß, 


*-Lib, ‘IV. fab. 3, 


. ** Aristoteles Rhetor. lib. II. cav. 20. 


_ 


— ) 





I. Bon dem Werfen der Fabel. 425 





welcher der Freyheit beygebracht wird, jondern auf die dem Bhalaris 
zu bewilligende Leibwache, gezogen und angewandt wird. 

Was folgt nun aus alle dem? Diejes: da die Fabel nur als- 
denn allegorijch wird, wenn ich dem erdichteten einzeln Falle, den fie 
enthält, einen andern ähnlichen Fall, der ſich wirklich zugetragen hat, 
entgegen jtelle; da fie es nicht an und für fich jelbit ift, in jo fern 
fie eine allgemeine moraliſche Lehre enthält: jo gehöret das Wort 
Allegorie gar nicht in die Erklärung derjelben. — Diejes ift das 
zweyte, was ich gegen die Erklärung des de la Motte zu erinnern habe. 

Und man glaube ja nicht, daß ich es bloß als ein müfliges, über- 
flüſſiges Wort daraus verdrengen will. Es ijt hier, wo es jteht, ein 
höchſt Ichädliches Wort, dem wir vielleicht eine Menge jchlechter Fabeln 
zu danken haben. Man begnüge fich nur, die Fabel, in Anjehung des 
allgemeinen Lehrjaßes, bloß allegorijch zu maden; und man fann 
fiber glauben, eine jhlechte Fabel gemacht zu haben. Sit aber eine 
jchlechte Fabel eine Fabel? — Ein Erempel wird die Sache in ihr 
völliges Licht jegen. Ich wehle ein altes, um ohne Mißgunſt Recht 
haben zu fönnen. Die Fabel nehmlic von dem Mann und dem 
Satyr. „Der Mann bläjet in feine falte Hand, um feine Hand zu 
„wärmen; und bläjet in jeinen heiſſen Brey, um feinen Brey zu fühlen. 
„Bas? jagt der Satyr; du bläſeſt aus einem Munde Warm und 
„Kalt? Geh, mit dir mag ih nichts zu thun haben!*“ — Diefe 
Fabel ſoll lehren, orı deu pevysıy nuas rag pıhıas, Wv aupıpokog 
&sıv 7 dıadeoıs; die Freundſchaft aller Zweyzüngler, aller Doppel- 
leute, aller Falfchen zu fliehen. Lehrt fie das? Ich bin nicht der erite 
der es leugnet, und die Fabel für jchlecht ausgiebt. Richer** jagt, 
fie jündige wider die Nichtigkeit der Allegorie; ihre Moral jey weiter 
nichts als eine Anjpielung, und gründe fich auf eine. bloße Zweydeutig- 
keit. Nicher hat richtig empfunden, aber feine Empfindung faljch aus- 
gedrüdt. Der Fehler liegt nicht jowohl darinn, daß die Allegorie nicht 
richtig genug ift, jondern darinn, daß es weiter nichts als eine Allegorie 
it. Anjtatt daß die Handlung des Mannes, die dem Satyr fo 


* Fab. Aesop. 126. . 
** — — contre la justesse de l’allegorie. — — Sa morale n’est qu’upe 
allusion, et n’est fond&e que sur un jeu de mots öquivoque. Fables nowvelles, 
Preface, p. 10. 


10 


15 


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35 


5 


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35 





496 Gokthold Ephraim Tellings Fabeln. Vebſt Abhandlungen. | 


anftößig jeheinet, unter dem allgemeinen Subjecte des Lehrſatzes wirk- 
(ih begriffen ſeyn follte, ijt fie ihm bloß ähnlid. Der Mann 
follte fih eines wirflihen Widerſpruchs ſchuldig machen; und der 
Widerſpruch ift nur anfheinend. Die Lehre warnet uns vor Leuten, 
die von ebenderſelben Sache ja und nein jagen, die eben: 
daſſelbe Ding loben und tadeln: und die Fabel zeiget uns einen 
Mann, der feinen Athem gegen verjchiedene Dinge verſchieden 
braucht; der auf ganz etwas anders itzt jeinen Athem warm haucht, 
und auf ganz etwas anders ihn ist kalt bläfet. 

Endlich, was läßt fich nicht alles allegorijiren! Man nenne 
mir das abgeihmadte Mährchen, in welches ich durch die Allegorie 
nicht einen moralifchen Sinn jollte legen können! — „Die Mitknechte 
„des Aeſopus gelüftet nach den trefflichen Feigen ihres Herrn. Sie 
„eilen fie auf, und als es zur Nachfrage kömmt, ſoll es der gute 
„Aeſop gethan haben. Sich zu rechtfertigen, trinket Aeſop in groſſer 
„Menge laues Waſſer; und feine Mitfnechte müfjen ein gleiches thun. 
„Das laue Wafjer hat feine Wirkung, und die Näfcher find entdedt.“ 
— — Was lehrt ung diejes Hiftörchen? Eigentlich wohl weiter nichts, 
als daß laues Wafjer, in groffer Menge getrunken, zu einem Brech— 
mittel werde? Und doch machte jener perſiſche Dichter* einen weit 
edlern Gebrauch davon. „Wenn man euch,” ſpricht .er, „an jenem 
„großen Tage des Gerichts, von diefem warmen und fiedenden Waller 
„wird zu trinken geben: alsdenn! wird alles an den Tag fommen, 
„was ihr mit jo vieler Sorgfalt vor den Augen der Welt verborgen 
„gehalten; und der Heuchler, den hier jeine Verſtellung zu einem ehr- 
„würdigen Manne gemacht hatte, wird mit Schande und Verwirrung 
„Uüberhäuft daftehen!“ — Bortrefflich ! 

Sch habe nun noch eine Kleinigkeit an der Erklärung des de la 
Motte auszufegen. Das Wort Lehre (instruction) ift zu unbeſtimmt 
und allgemein. Sit jeder Zug aus der Mythologie, der auf eine 


* Herbelot Bibl. Orient. p. 516. Lorsque l’on vous donnera à boire 
de cette eau chaude et brulante, dans la question du Jugement dernier, tout 
ce que vous avez caché avec tant de soin, paroitra aux yeux de tout le monde, 
et celui qui aura acquis de l’estime par son hypocrisie et par son deguisement, 
sera pour lors couvert de honte et de confusion. 





1 alödann [1759] 





I. Bon dem Werfen der Fabel. 427 





phyfiihe Wahrheit anfpielet, oder in den ein tieffinniger Baco wohl 
gar eine tranjcendentalifche Lehre zu legen weis, eine Fabel? 
Oder wenn der ſeltſame Holberg erzehlet: „Die Mutter des Teufels 
„übergab ihm einsmals vier Ziegen, um fie in ihrer Abwejenheit zu 
„bewachen. Aber dieſe machten ihm jo viel zu thun, daß er fie mit 5. 
„aller jeiner Kunft und Gejchieflichfeit nicht in der Zucht halten konnte. * 
„Diesfalls ſagte er zu ſeiner Mutter nach ihrer Zurückkunft: Liebe 
„Mutter, hier ſind Eure Ziegen! Ich will lieber eine ganze Compagnie 
„Reuter bewachen, als eine einzige Ziege.” — Hat.Holberg eine 
Fabel erzehlet? Wenigjtens ift eine Lehre in diefem Dinge. Denn er 10 
jeßet jelbjt mit ausdrüdlichen Worten dazu: „Dieje Fabel zeiget, daß 
„feine Kreatur weniger in der Zucht zu halten ift, als eine Ziege. *“ 
— Eine wichtige Wahrheit! Niemand hat die Fabel jhändlicher ge— 
mißhandelt, als diefer Holberg! — Und es mißhandelt fie jeder, 
der eine andere als moralijche Lehre darinn vorzutragen, fich 15 
einfallen läßt. 


Rider. 

Richer ift ein andrer franzöfiicher Fabulift, der ein wenig beſſer 
erzehlet al3 de la Motte, in Anjehung der Erfindung aber, weit, 
unter ihm ſtehet. Auch dieſer hat uns feine Gedanken über dieſe 20 
Dihtungsart nicht vorenthalten wollen, und erklärt die Fabel dur 
ein fleines Gedicht, das irgend eine unter einem alle- 
goriihen Bilde verjtedte Regel enthalte**. 

Richer hat die Erklärung des de la Motte offenbar vor Augen 
gehabt. Und vielleicht hat er fie gar verbejlern wollen. Aber das ift 25 
ihm jehr Schlecht gelungen. 

Ein Eleines Gedicht? (Poeme) — Wenn Rider das Wefen 
eines Gedichts in die bloſſe Fiction jeßet: jo bin ich es zufrieden, 
daß er die Fabel ein Gedicht nennet. Wenn er aber auch die poetijche 
Sprade und ein gewiſſes Sylbenmaaß, als nothwendige Eigenjchaften 30 
eines Gedichtes betrachtet: jo kann ich jeiner Meinung nicht jeyn. — 
Sch werde mich weiter unten hierüber ausführlicher erklären. 


* Moraliihe Fabeln des Baron von Holbergs ©. 103. 
** La Fable est un petit Poeme qui contient un precepte cach& sous 
une image allegorique. Fables nouvelles Preface p. 9. 35 


5 


10 


15 


428 Gokthold Ephraim Teffings Jabeln. Bebft Abhandlungen. 





Eine Regel? (Precepte) — Diejes Wort iſt nichts bejtimmter, 
als das Wort Lehre des de la Motte. Alle Künfte, alle, Wiljen- 
ichaften haben Negeln, haben Vorſchriften. Die Fabel aber itehet einzig 
und allein der Moral zu. Von einer andern Seite hingegen betrachtet, 
itt Regel oder Vorſchrift bier jo gar noch ſchlechter als Lehre; 
weil man unter Regel und Vorſchrift eigentlich nur ſolche Sätze ver- 
jtehet, die unmittelbar auf die Beitimmung unjers Thuns und 
Laſſens gehen. Bon diefer Art aber find nicht alle moraliihe Lehr: 
fäße der Fabel. Ein groſſer Theil derjelben find Erfahrungsjäge, die 
uns nicht ſowohl von’ dem, was gejchehen jollte, als vielmehr von dem, 
was wirklich gefchiehet, unterrichten. St die Sentenz: 

In principatu commutando civium 

Nil praeter domini nomen mutant pauperes; 
eine Negel, eine Vorſchrift? Und gleichwohl ift ſie das Nejultat einer 
von den ſchönſten Fabeln des Phädrus*. ES tft zwar wahr, aus 
jedem jolchen Erfahrungsjage können leicht eigentliche VBorichriften und 


‚ Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Sabe liegt, 


20 


“ das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was müßte das für 


eine Fabel feyn, in welcher ich den Sag mit allen feinen Folgerungen , 
auf einmal, anfchauend erkennen jollte? ; 

Unter einem allegorifhen Bilde? — Ueber das Alle⸗ 
goriſche habe ich mich bereits erkläret. Aber Bild! (Image) Unmög- 
lich kann Richer diejes Wort mit Bedacht gewehlt haben. Hat er es 


- vielleicht nur ergriffen, um von! de la Motte lieber auf Gerathe- 


30 


wohl -abzugehen, als nad ihm Recht zu haben? — Ein Bild heißt 
überhaupt jede finnliche Vorftellung eines Dinges nad einer einzigen 
ihm zufommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere, oder gar 
alle mögliche Veränderungen, deren das Ding fähig ift, jondern allein 
die, in der es fich in einem und ebendemjelben Augenblicke befindet. 
Sn einem Bilde kann ich zwar alfo wohl eine moraliihe Wahrheit 
erkennen, aber es ift darum noch feine Fabel. Der mitten im Wafjer 
dürftende Tantalus ift ein Bild, und ein Bild, das mir die Mög- 
(ichfeit zeiget, man fönne auch bey dem größten Ueberfluſſe darben. 


* Libri I. Fab. 15. 





1 vom [1759} 





I. Bon dem Welen der Fabel. 429 








Aber iſt dieſes Bild deswegen eine Fabel? Sp auch folgendes Fleine 
Gedicht : 
Cursu veloci pendens in novacula, 
Calvus, comosa fronte, nudo corpore, 
Quem si oceuparis, teneas; elapsum semel 
Non ipse possit Jupiter reprehendere; 
ÖOccasionem rerum significat brevem. 
Effeetus impediret ne segnis mora, 
Finxere antiqui talem effigiem temporis. 
Wer wird dieje Zeilen für eine Fabel erkennen, ob fie ſchon Phädrus 
als eine jolche unter jeinen Fabeln mit unterlaufen läßt?* Ein jedes 
Gleihniß, ein jedes Emblema würde eine Fabel jeyn, wenn fie 
nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und zwar zu Einem Zwede 
übereinftimmenden Bildern ; wenn fie, mit einem Worte, nicht das not h— 
wendig erforderte, was wir duch das Wort Handlung ausdrüden. 
Eine Handlung nenne ih, eine Folge von Berände- 
rungen, die zujammen Ein Ganzes ausmaden. 


ei 


10 


15 


Diefe Einheit des Ganzen beruhet auf der ——— 


a ftimmung aller Theile zu einem Endzwede. 

| Der Endzwed der Fabel, das, wofür die Fabel erfunden, wird, 
iſt der moraliſche Lehrſatz. 

Folglich hat die Fabel eine Handlung, wenn das, was ſie 
erzehlt, eine Folge von Veränderungen iſt, und jede dieſer Perände- 


rungen etwas dazu beyträgt, die einzeln Begriffe, aus welchen der mora⸗ 


liſche Lehrſatz beſtehet, anſchauend erkennen zu laſſen. 
Was die Fabel erzehlt, muß eine Folge von Verände— 
rungen ſeyn. Eine Veränderung, oder auch mehrere Veränderungen, 
die nur neben einander beſtehen, und nicht auf einander folgen, 
wollen zur Fabel nicht zureichen. Und ich kann es für eine untrieg— 
liche Probe ausgeben, daß eine Fabel ſchlecht iſt, daß ſie den Namen 
der Fabel gar nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung ſich 
ganz mahlen läßt. Sie enthält alsdenn ein bloſſes Bild, und der 
Mahler hat feine Fabel, ſondern ein Emblema gemahlt. — „Ein 
„Sicher, indem er fein Netz aus dem Meere zog, blieb der gröffern 
„Fiſche, die fih darinn gefangen hatten, zwar er die kleinſten 
* Lib. V. Fab. 8. 


20 


25 


30 


35 


430  Goffhold Ephraim Telfings Jabeln. Vebſt Abhandlungen. 





„aber jchlupften durch das Neß dur, und gelangten glüdlich wieder 
„ins Waſſer.“ — Dieje Erzehlung befindet fih unter den Aeſopiſchen 
Fabeln*, aber fie iſt feine Fabel; wenigitens eine jehr mittelmäffige. 
Sie hat feine Handlung, fie enthält ein blofjes einzelnes Factum, das 

5 fih ganz mahlen läßt; und wenn ich dieſes einzelne Factum, diejes 
Zurücbleiben der gröſſern und diefes Durchſchlupfen der Kleinen Fiſche, 
auch mit noch jo viel andern Umſtänden erweiterte, jo würde doch in 
ihm allein, und nicht in den andern Umftänden zugleich mit, der 
moraliſche Lehrjaß Liegen. 

10 Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzehlt, eine Folge 
von Veränderungen iſt; alle diefe Veränderungen müſſen zuſammen 
nur einen einzigen anfchauenden Begriff in mir erweden. Erwecken 
fie deren mehrere, liegt mehr als ein moraliicher Lehrſatz in der ver- 
meinten Fabel, jo fehlt der Handlung ihre Einheit, jo fehlt ihr das, 

15 was fie eigentlich zur Handlung macht, und Tann, richtig zu ſprechen, 
feine Handlung, jondern muß eine Begebenbeit heiljen. — Ein 
Erempel: 

 Lucernam fur accendit ex ara Jovis, 
Ipsumque compilavit ad lumen suum; 
20 Onustus qui sacrilegio cum discederet, 
Repente vocem sancta misit Religio: 
Malorum quamvis ista fuerint munera, 
Mihique invisa, ut non offendar subripi; 
Tamen, sceleste, spiritu culpam lues, 
25: Olim cum adscriptus venerit poenae dies. 
Sed ne ignis noster facinori praeluceat, 
Per quem verendos excolit pietas Deos, 
Veto esse tale luminis commereium. . 
Ita hodie, nec lucernam de flamma Deüm 
30 Nec de lucerna fas est accendi sacrum. _ 
Was hat man hier gelefen? Ein Hiftörchen; aber feine Fabel. Ein 
Hiftörhen trägt fich zu; eine Fabel wird erdichtet. Von der Fabel 
aljo muß fich ein Grund angeben lafjen, warum fie erdichtet worden; 
da ich den Grund, warum fich jenes zugetragen, weder zu wiſſen noch) 
35 anzugeben gehalten bin. Was wäre nun der Grund, warum dieſe 
* Fab. Aesop. 154. 


I. Bon dem Weſen der Fabel. 431 








Fabel erdichtet worden, wenn es anders eine Fabel wäre? Recht billig 
zu urtheilen, könnte es fein andrer als dieſer jeyn: der Dichter habe 
einen wahrjcheinlichen Anlaß zu dem doppelten Verbote, weder von 
dem heiligen Feuer ein gemeines Licht, no von einem 
gemeinen Lichte das heilige Feuer anzuzünden, erzehlen 5 
wollen. Aber wäre das eine moralijche Abficht, dergleichen der 
Fabulijt doch nothwendig haben joll? Zur Noth könnte zwar Diejes 
einzelne Verbot zu einem Bilde des allgemeinen Verbots dienen, daß 
das Heilige mit dem Unbeiligen, das Gute mit dem 
Böjen in feiner Gemeinschaft ſtehen ſoll. Aber was tragen 10 
alsdenn die übrigen Theile der Erzehlung zu diefem Bilde bey? Zu 
diejem gar nichts; jondern ein jeder ift vielmehr das Bild, der ein- 
zelne Fall einer ganz andern allgemeinen Wahrheit. Der Dichter hat 
e3 jelbjt empfunden, und hat ſich aus der Verlegenheit, welche Lehre 
er allein daraus ziehen jolle, nicht bejjer zu reifen gewußt, al3 wenn 15 
er deren jo viele Daraus zöge, als fich nur immer ziehen liefen. Denn 
er jchließt: 
Quot res contineat hoc argumentum utiles, 
Non explicabit alius, quam qui repperit. 
Significat primo, saepe, quos ipse alueris, | 20 
Tibi inveniri maxime contrarios. 
Secundo ostendit, scelera non ira Deüm, 
Fatorum dicto sed puniri tempore. 
Novissime interdieit, ne cum malefico 
Usum bonus eonsociet ullius rei. 25 
Eine elende Fabel, wenn niemand anders als ihr Erfinder es erklären 
ann, wie viel nützliche Dinge fie enthalte! Wir hätten an einem 
genug! — Kaum jollte man es glauben, daß einer von den Alten, 
einer von diejen grojjen Meiftern in der Einfalt ihrer Plane, ung 
diejes Hiftörchen für eine Fabel* verkaufen können. 30 


Breitinger. 


Ich würde von diefem groſſen Kunftrichter nur wenig gelernt 
haben, wenn er in meinen Gedanten noch überall Recht hätte. — 


* Phaedrus libr. IV. Fab. 10. 


432  Goffhold Ephraim Leſſings Fabeln. Bebft Abhandlungen. | 





Gr giebt uns aber eine doppelte Erklärung von der Fabel*. Die 
eine bat er von dem de la Motte entlehnet;! und die andere ift 
ihm ganz eigen. 

Nach jener verjteht er unter der Fabel, eine unter der wohl: 

5 gerathenen Allegorie einer ähnlichen Handlung ver- 
£leidete Lehre und Unterweifung. — Der Elare, überjegte 
de la Motte! Und der ein wenig gewäfjerte: könnte man noch da- 
zujeßen. Denn was follen die Beywörter: wohlgerathene Alle 
gorie; ähnliche Handlung? Sie find höchſt überflüffig. 

10 Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung auf ihn ver: 
jparet. Richer jagt: die Lehre jolle unter dem allegorifchen Bilde 
verſteckt (cache) ſeyn. Verſteckt! welch ein unschiefliches Wort! In 
maͤnchem Räthſel find Wahrheiten, in den Pythagoriſchen Denk— 
ſprüchen ſind moraliſche Lehren verſteckt; aber in keiner Fabel. Die 

15 Klarheit, die Lebhaftigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Theilen 
einer guten Fabel auf einmal hervor jtrahlet, hätte durch ein ander 
Wort, als durch das ganz widerjprechende verſteckt, ausgedrüdt zu 
werden verdienet. Sein Vorgänger de la Motte hatte fih um ein 
aut Theil feiner erklärt; er jagt do nur, verkleidet (deguise). 

20 Aber auch verfleidet ift noch viel zu unrichtig, weil auch ver— 
- £leidet den Nebenbegriff einer mühjamen Erkennung mit fi führet. 
Und e8 muß gar feine Mühe foften, die Lehre in der Fabel zu er- 
fennen; e3 müßte vielmehr, wenn ich fo reden darf, Mühe und Zwang 
foften, fie darinn nicht zu erkennen. Aufs höchſte würde fich diejes 

25 verfleidet nur in Anjehung der zufammengejegten Fabel ent- 
ihuldigen laſſen. In Anfehung der einfachen ift es durchaus nicht 
zu dulden. Von zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch 
den andern ausgedrüdt, einer in den andern verkleidet werden: 
aber wie man das Allgemeine in das Bejondere verkleiden könne, 

30 daS begreife ich ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt 
ein ähnliches Wort bier brauchen, jo müßte es anftatt verkleiden 
wenigjtens einkleiden heijjen. 

Von einem deutjchen Kunftrichter hätte ich überhaupt dergleichen 


* Der Seien Diehtkunft, erften Bandes fiebender Abſchnitt, ©. 194. 





1 entlehnt;g11750 b] 


* 





dakllaıie 2 al ind m 


1 Bon dent Welen der Fabel. 433 





figürliche Wörter in einer Erklärung nicht erwartet. Ein Breitinger 
hätte es den jehön vernünftelnden Franzojen überlaſſen jollen, jich damit 
aus dem Handel zu wideln; und ihm würde es jehr wohl angejtanden 
haben, wenn er uns mit den trodnen Worten der Schule belehrt hätte, 
daß die moraliiche Lehre in die Handlung weder verjtedt noch ver— 
fleidet, jondern durch fie der anſchauenden Erfenntniß fähig 
gemacht werde. Ihm würde es erlaubt geweſen jeyn, uns von der 
Natur diefer auch der rohejten Seele zufommenden Erfenntniß, von der 
mit ihr verknüpften jchnellen Ueberzeugung, von ihrem daraus ent- 
jpringenden mächtigen Einfluffe auf den Willen, das Nöthige zu lehren. 
Eine Materie, die durch den ganzen jpeculativiichen Theil der Dicht: 
funft von dem größten Nugen ift, und von unferm Weltweij en 
ihon gnugſam erläutert war*! — Was Breitinger aber damals 
unterlafien, das ift mir, igt nachzuhohlen, nicht mehr erlaubt. Die 
philoſophiſche Sprache ift jeit dem unter. uns jo befannt geworden, 
daß ich mich der Wörter anfhauen, anfhauender Erfenntniß, 
aleih von Anfange als ſolcher Wörter ohne Bedenken habe bedienen 
dürfen, mit welchen nur wenige nicht einerley Begriff verbinden. 


10,” 


15 


Ich käme zu der zweyten Erklärung, die ung Breitinger von — 


der Fabel giebt. Doch ich bedenke, daß ich diefe bequemer an einem 
andern Orte werde unterjuchen können. — Ich verlajje ihn alfo. 


Batteux, 

Batteur erkläret die Fabel furz weg duch die Erzehlung 
einer allegoriſchen Handlung** Weil er es zum Wejen der 
Allegorie macht, daß fie eine Lehre oder Wahrheit verberge, fo hat er 
ohne Zweifel geglaubt, des moraliichen Sabes, der in der Fabel zum 
Grunde liegt, in ihrer Erklärung gar nicht, erwähnen zu dürfen. Man 
jiehet jogleih, was von meinen bisherigen Anmerkungen, auch wider 

* Ich kaun meine Verwunderung nicht bergen, daß Herr Breitinger 
dad, was Wolf jchon damals von der Fabel — hatte, auch nicht im ge— 
ringſten gekannt zu haben ſcheinet. Wolfii Philosoppiae practicae universalis 
Pars posterior $. 302—323. Dieſer Theil erſchien 1739, und die Breitingerjche! 

Dichtkunſt erit das Jahr darauf. 


** Principes de Litterature, Tome Ir. I. Partie p. W. L’Apologue est 
le recit d’une action allegorique etc. 


4 





i Breitingerifche [1759b] - 
Leſſing, fämtlihe Schriften. VIL 28 


20 


25 


80 


434 Golkhold Ephraim Iellings Fabeln. Vebſt Abhandlungen. 





diefe Erklärung anzuwenden iſt. Ich will mich daher nicht wiederhohlen, 
jondern bloß die fernere Erklärung, welche Batteur von der Hand: 


‚lung giebt, unterjuchen. 


10 


15 


20 


30 


35 


„Eine Handlung, jagt Batteur, it eine Unternehmung, die 
„mit Wahl und Abficht gejchiehet. — Die Handlung jeßet, auffer dem 
„Leben und der Wirkſamkeit, auh Wahl und Endzwed voraus, und 
„kömmt nur vernünftigen Weſen zu.” 

Wenn diefe Erklärung ihre Nichtigkeit hat, jo mögen wir nur 
neun Zehntheile von allen eriftirenden Fabeln ausftreihen. Aejopus 
jelbjt wird alsdann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben, welche 
die Brobe halten. — „Zwey Hähne fämpfen mit einander. Der Be 
„ſiegte verkriecht fih. Der Sieger fliegt auf das Dach, ſchlägt ſtolz 
„mit den Flügeln und krähet. Blöglich jchießt ein Adler auf den 
„Sieger herab, und zerfleiicht ihn *.“” — Sch habe das allezeit für eine 
jehr glücliche Fabel gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteur, 
die Handlung. Denn wo tjt hier eine Unternehmung, die mit Wahl 
und Abſicht geihähe? — „Der Hirich betrachtet ſich in einer ſpiegeln— 
„pen Quelle; er jehämt fich feiner dürren Läufte; und freuet fich feines 
„ſtolzen Geweihes. Aber nicht lange! Hinter ihm ertönet! die Jagd; 
„ſeine dürren Läufte bringen ihn glüdlih ins Gehölze; da verjtridt 
„ihn fein ftolzes Geweih; er wird erreicht **.” — Auch hier jehe ich 
feine Unternehmung, feine Abfiht. Die Jagd ift zwar eine Unter: 
nehmung, und der fliehende Hirſch hat die Abficht ſich zu retten; aber 
beyde Umftände gehören eigentlich nicht zur Fabel, weil man fie, ohne 
Nachteil derjelben, weglafien und verändern fann. Und dennoch fehlt 
e3 ihr nicht an Handlung. Denn die Handlung liegt in dem falſch 
befundenen Urtheile des Hirfehes. Der Hirſch urtbeilet fall; 
und lernet gleich darauf aus der Erfahrung, daß er falſch geurtheilet 
habe. Hier it aljo eine Folge von Veränderungen, die einen einzigen 
anfchauenden Begriff in mir erweden. — Und das iſt meine obige 
Erklärung der Handlung, von der ich glaube, daß fie auf alle gute 


Fabeln pafjen wird. 


Giebt es aber doch wohl Kunftrichter, welche einen noch engern, 


* Aesop. Fab. 145. 
** Fab. Aesop. 181. 


1 ertönte [1759. 1777] 








EEE RE EERFRT 


I. Bon dem Welen der Fabel. 435 


und zwar jo materiellen Begriff mit dem Worte Handlung verbinden, 
daß fie nirgends Handlung jehen, als wo die Körper jo thätig find, 
daß fie eine gewijje Veränderung des Raumes erfordern. Sie finden 
in feinem QTrauerjpiele Handlung, als wo der Liebhaber zu Füllen 
fällt, die Prinzeſſin ohnmächtig wird, die Helden ſich balgen; und in 
feiner Fabel, als wo der Fuchs ſpringt, der Wolf zerreifjet, 
und der Froſch die Maus fich an das Bein bindet. ES hat ihnen 
nie beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von Leidenschaften, 


. jede Folge von verjchiedenen Gedanken, wo eine die andere aufhebt, 


eine Handlung jey; vielleicht weil fie viel zu mechanisch denken und 
fühlen, als daß fie fi) irgend einer Thätigfeit dabey bewußt wären. — 
Ernjthafter fie zu widerlegen, würde eine unnüge Mühe ſeyn. Es iſt aber 
nur Schade, daß fie fich einigermaßen mit dem Batteur jehügen, wenig- 
jtens behaupten fünnen, ihre Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln 
abjtrahiret zu haben. Denn wirklih, auf welche Fabel die Erklärung 
des Batteur pajjet, pafjet auch ihre, jo abgejchmadt fie immer ift. 

Batteur, wie ich wohl darauf wetten wollte, hat bey feiner 
Erklärung nur die erjte Fabel des Phädrus vor Augen gehabt; 


die er, mehr als einmal, une des plus belles et des plus celebres 


de Y’antiquit& nennet. Es ijt wahr, in dieſer ift die Handlung ein 
Unternehmen, das mit Wahl und Abficht geichiehet. Der Wolf nimmt 
ih vor, das Schaf zu zerreilien, fauce improba incitatus; er will 
e3 aber nicht jo plump zu, er will es mit einem Scheine des Nechts 
thun, und aljo jurgii causam intulit. — Ich ſpreche diefer Fabel 
ihr Lob nicht ab; fie iſt jo vollfommen, als fie nur jeyn kann. Allein 
fie ijt nicht deswegen volllommen, weil ihre Handlung ein Unternehmen 
it, das mit Wahl und Abjicht geichiehet ; Jondern weil fie ihrer Moral, 
die von einem ſolchen Unternehmen jpricht, ein völliges Genüge thut. 
Die Moral iſt *: og neoHsoıS adızeıy, rag avroms 0v dixaokoyıc 
toyvaı. Wer den Borjaß hat, einen Unjchuldigen zu unterdrüden, 
der wird es zwar wer EvAoyov arrıag zu thun ſuchen; er wird einen 
jcheinbaren Borwand wählen; aber fi im geringjten nicht von 
jeinem einmal gefaßten Entſchluſſe abbringen lajjen, wenn jein Vor: 
wand gleich völlig zu Schanden gemacht wird. Dieje Moral redet von 


einem VBorjase (dessein); fie redet von gewiſſen, vor andern vor- 


* Fab. Aesop. 230. 


10 


20 


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35 


ur 


10 


r 


436 Gofthold Ephraim Leſſings Fabeln. Vebſt Abhandlungen. 





züglih gewählten Mitteln, diefen Vorjag zu vollfithren (choix): 
und folglih muß auch in der Fabel etwas jeyn, was diefem Vorjage, 


dieſen gewählten Mitteln entjpricht; es muß in der Fabel fih ein 


Unternehmen finden, das mit Wahl und Abſicht geichiehet. Bloß da— 
duch wird fie zu einer vollfommenen Zabel; welches fie nicht ſeyn 
würde, wenn fie den geringiten Zug mehr over weniger enthielte, als 
den Lehrjaß anſchauend zu machen nöthig ift. Batteur bemerft alle 
ihre Kleinen Schönheiten des Ausdruds und ftellet fie von dieſer Seite 
in ein jehr vortheilhaftes Licht; nur ihre wejentliche VBortrefflichfeit läßt 
er unerörtert, und verleitet jeine Lejer jogar, fie zu verfennen. Er 
jagt nehmlich, die Moral die aus diefer Fabel fließe, jey: que le plus 
foible - est souvent opprim& par le plus fort. Wie jeiht! Wie 
falſch! Wenn fie weiter nichts als diejes lehren jollte, jo hätte wahr: 
(ih der Dichter die fietae causae des Wolfs jehr vergebens, jehr für 
die lange Weile erfunden; feine Fabel jagte mehr, als er damit hätte 


‚ Jagen wollen, und wäre, mit einem Worte, ſchlecht. 


20 


30 


os 
t 


19] 


Sch will mich nicht in mehrere Erempel zeritreuen. Man unter: 
juche es nur jelbjt, und man wird durchgängig finden, daß es bloß 
von der Beichaffenheit des Lehrjages abhängt, ob die Fabel eine folche 
Handlung, wie fie Batteur ohne Ausnahme fodert, haben muß oder 
entbehren kann. Der Lehrjag der igt erwehnten Fabel des Phädrus, 
machte fie, wie wir gejehen, nothwendig ; aber thun es deswegen alle 

Lehrſätze? Sind alle Lehrjäße von dieſer Art? Oder haben allein 

die, welche es find, das Necht, in eine Fabel eingekleivet zu werden? 

Iſt z. E. der Erfahrungsfag: ⁊ 
Laudatis utiliora quae contemseris — 
Saepe inveniri 

nicht werth, in einem einzeln Falle, welcher die Stelle einer Demon- 

jtration vertreten fann, erkannt zu werden? Und wenn er es tft, was 

für ein Unternehmen, was für eine Abficht, was für eine Wahl liegt 

darinn, welche der Dichter auch in der Fabel auszudrüden gehalten wäre? 

Sp viel ift wahr: wenn aus einem Erfahrungsfage unmittele 
bar eine Pflicht, etwas zu thun oder zu laſſen, folget; jo thut der 
Dichter beffer, wenn er die Pflicht, als wenn er den bloſſen Erfahrungs 
ſatz in feiner Fabel ausdrüdt. — „Groß jeyn, ift nicht immer ein 
„Glück“ — Dieſen Erfahrungsiaß in eine ſchöne Kabel zu bringen, 





I. Pon dem Welen der Fabel. 437 
möchte Faum möglich jeyn. Die obige Fabel von dem Fijcher, welcher 
nur der größten Fiſche habhaft bleibet, indem die kleinern glüdlich 
durch das Net durchichlupfen, ift, in mehr als einer Betrachtung, ein 
jehr mißlungener Verſuch. Aber wer heit auch dem Dichter, die Wahr: 
heit von diejer jchielenden und unfruchtbaren Seite nehmen? Wenn 
groß jeyn nicht immer ein Glück ift, jo ift es oft ein Unglüd; und 
wehe dem, der wider feinen Willen groß ward, den das Glück ohne 
jein Zuthun erhob, um ihn ohne fein Verfchulden deſto elender zu 
machen! Die großen Fiſche mußten groß werden; es ftand nicht bey 
ihnen, Hein zu bleiben. Ich danke dem Dichter für fein Bild, in 10 
welchem eben jo viele ihr Unglück, als ihr Glüd erkennen. Er joll 
niemanden mit jeinen Umjtänden unzufrieden machen; und bier macht 
er doch, daß es die Großen mit den ihrigen jeyn müſſen. Nicht das 
Groß Seyn, jondern die eitele Begierde groß zu werden (zevodokıer), 
jollte er uns als eine Quelle des Unglüds zeigen. Und das that jener 15 
Alte*, der die Fabel von den Mäufen und Wiefeln erzehlte. „Die 
„Mäuſe glaubten, daß fie nur deswegen in ihrem Kriege mit den 
„Wieſeln jo unglücdlic wären, weil fie feine Heerführer hätten, und 
„beichlofien dergleichen zu wählen. Wie vang nicht diefe und jene 
„ehrgeigige Maus, es zu werden! Und wie theuer fam ihr am Ende 20 
„dieſer Borzug zu ftehen! Die Eiteln banden fich Hörner auf, 

— — — ut conspicuum in praelio 

Haberent signum, quod sequerentur milites, 
„und dieje Hörner, als ihr Heer dennoch wieder geichlagen ward, 
„hinderten fie, fich in ihre engen Löcher zu retten. 25 
| Haesere in portis, suntque capti ab hostibus 

Quos immolatos vietor avidis dentibus 

Capacis alvi mersit tartareo specu. 
Dieje Fabel iſt ungleich ſchöner. Wodurch ift fie es aber anders ge- 
worden, als dadurch, daß der Dichter die Moral bejtimmter und frucht- 30 
barer angenommen hat? Er hat das Beitreben nad einer eiteln 
Größe, und nicht die Größe überhaupt, zu feinem Gegenftande ge- 
wählet; und nur durch diefes Beftreben, durch dieje eitle Größe, 
it natürlicher Weife auch in feine Fabel das Leben gekommen, das 
uns jo jehr in ihr gefällt. 35 

* Fab. Aesop. 243. Phaedrus libr. IV. Fab. 5. 


51 


10 


15 


438 Goffhold Ephraim Teffings Jabeln. Bebft Abhandlungen. 











Ueberhaupt hat Batteur die Handlung der Aeſopiſchen Fabel, 
mit der Handlung der Epopee und de3 Drama viel zu ſehr verwirrt. 
Die Handlung der beyden letztern muß außer der Abſicht, welche der 


Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr ſelbſt zukommende Ab⸗ 


ſicht haben. Die Handlung der erſtern! braucht dieſe innere Abſicht 
nicht, und ſie iſt vollkommen genug, wenn nur der Dichter ſeine Ab— 
ſicht damit erreichet. Der heroiſche und dramatiſche Dichter machen 
die Erregung der Leidenſchaften zu ihrem vornehmſten Endzwecke. Er 
kann ſie aber nicht anders erregen, als durch nachgeahmte Leiden— 
ſchaften; und nachahmen kann er die Leidenſchaften nicht anders, als 
wenn er ihnen gewiſſe Ziele ſetzet, welchen ſie ſich zu nähern, oder 
von welchen ſie ſich zu entfernen ſtreben. Er muß alſo in die Hand— 
lung ſelbſt Abſichten legen, und dieſe Abſichten unter eine Hauptabſicht 
ſo zu bringen wiſſen, daß verſchiedene Leidenſchaften neben einander 
beſtehen können. Der Fabuliſte hingegen hat mit unſern Leidenſchaften 
nichts zu thun, ſondern allein mit unſerer Erkenntniß. Er will uns 


von irgend einer einzeln moraliſchen Wahrheit‘ lebendig⸗ überzeugen. 


63 
2 0) 
7 
_ 


30 


Das ijt feine Abficht, und dieſe Jucht er, nad) Maafgebung der Wahr: 
heit, durch die ſinnliche Vorftellung einer Handlung bald mit, bald 
ohne Abfichten, zu erhalten. So bald er fie erhalten hat, ift es ihm 
aleich viel, ob die von ihm erdichtete Handlung ihre innere Endſchaft 
erreicht hat, oder nicht. Er läßt feine Berfonen oft mitten auf dem 
Wege jtehen, und denfet im geringsten? nicht daran, unferer Neugierde 
ihretwegen ein Genüge zu thun. „Der Wolf bejchuldiget den Fuchs 
„eines Diebftahls. Der Fuchs leugnet die That. Der Affe joll Richter 
„ſeyn. Kläger und Beklagter bringen ihre Gründe und Gegengründe 
„vor. Endlich jchreitet der Affe zum Urtheil *: 

Tu non videris perdidisse, quod petis; 

Te ceredo surripuisse, quod pulchre negas.- 
Die Fabel ift aus; denn in dem Urtheil des Affen lieget die Moral, 
die der Fabulift zum Augenmerke gehabt hat. Iſt aber das Unter— 
nehmen aus, das uns der Anfang derſelben verſpricht? Man bringe 
dieſe Geſchichte in Gedanken auf die komiſche Bühne, und man wird 


* Phaedrus libr. I. Fab. 10. 





ı der eriten [70. Litteraturbrief] 2 in geringjten [1759. 1777] 








I. Bon dem Welen der Fabel. 439 


jogleich jehen, daß fie durch einen finmreichen Einfall abgeihnitten, 
aber nicht geendigt iſt. Der Zufchauer ift nicht zufrieden, wenn er 
voraus fiehet, daß die Streitigfeit hinter der Scene wieder von vorne 
angehen muß. — „Ein armer geplagter Greis ward unmwillig, warf 
„eine Laſt von dem Rüden, und rief den Tod. Der Tod erfcheinet. 
„Der Greis erichridt und fühlt betroffen, daß elend leben doch beſſer 
„als gar nicht leben ift. Nun, was ſoll ih? fragt der Tod. Ad, 
„lieber Tod, mir meine Laft wieder aufhelfen*.“ — Der Fabulift ift 
glücklich, und zu unſerm Vergnügen an feinem Ziele. Aber auch die 
Geihichte? Wie ging es dem Greife? Ließ ihn der Tod leben, oder 
nahm er ihn mit? Um alle jolche Fragen befümmert fich der Fabulift 
nicht ; der dramatiiche Dichter aber muß ihnen vorbauen. 

Und jo wird man hundert Beyjpiele finden, daß wir uns zu 
einer Handlung für die Fabel mit weit wenigerm begnügen, al3 zu 
einer Handlung für das Heldengedichte oder das Drama. Will man 
daher eine allgemeine Erklärung von der Handlung geben, jo kann 
man unmöglich die Erklärung des Batteux dafür brauchen, ſondern 
muß fie nothwendig jo weitläuftig machen, als ich es oben gethan 
habe. — Aber der Sprachgebrauch? wird man einwerffen. Sch geitehe 
08; dem Sprachgebrauche nach, heißt gemeiniglich das eine Hand- 
lung, was einem gewiſſen Vorſatze zu Folge unternommen wird; dem 
Sprachgebraudhe nah, muß diefer Vorſatz ganz erreicht jeyn, wenn 
man joll jagen können, daß die Handlung zu Ende ſey. Allein was 
folgt hieraus? Diejes: wem der Sprachgebrauch jo gar heilig ift, 
daß er ihn auf Feine Weije zu verlegen wagt, der enthalte fich des 
Wortes Handlung, injofern e8 eine wejentliche Eigenichaft der 
Fabel ausdrüden joll, ganz und gar. — 

Und, alles wohl überlegt, dem Rathe werde ich jelbit folgen. 
Ich will nicht jagen, die moralijche Lehre werde in der Fabel durch 
eine Handlung ausgedrüdt; jondern ich will lieber ein Wort von einem 
weitern Umfange juchen und jagen, der allgemeine Sat werde durch 
die Zabel auf einen einzeln Fall zurüdgeführet. Diejer 
einzelne Fall wird allezeit das jeyn, was ich oben unter dem Worte 
Handlung verjtanden habe; das aber, was Batteur darunter ver- 
jtehet, wird er nur dann und wann jeyn. Er wird allezeit eine 

* Fab. Aesop. 20. ‘ » 


10 


15 


20 


25 


35 





440 Goffhold Ephraim Teffings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 


Folge von Veränderungen jeyn, die durch die Abficht, die der Fabulift 
damit verbindet, zu einem Ganzen werden. Sind fie es auch aufier 
dieſer Abſicht; deſto beſſer! Eine Folge von Veränderungen — daß 
8 aber Veränderungen freyer, moralifher Weſen ſeyn müſſen, 

5 verjtehet fich von jelbit. Denn fie jollen einen Fall ausmachen, der 
unter einem Allgemeinen, das ſich nur von moraliſchen Wejen jagen 
läßt, mit begriffen ijt. Und darinn bat Batteur freylich Recht, daß 
das, was er die Handlung der Fabel nennet, bloß vernünftigen Wejen 
zufomme. Nur kömmt es ihnen nicht deswegen zu, weil e3 ein Unter 

10 nehmen mit Abficht ift, ſondern weil es Freyheit vdralisfekt. Denn 
die Freyheit handelt zwar allezeit aus Gründen," aber nicht allezeit 
aus Abfichten. — — 

Sind es meine Leſer nun bald müde, mich nichts als widerlegen 
zu hören? Ich wenigitens bin es. De la Motte, Richer, Brei- 

15 tinger, Batteur, find Kunftrichter von allerley Art; mittelmäßige, 
gute, vortrefflihe. Man it in Gefahr fich auf dem Wege zur Wahr: 
heit zu verirren, wenn man ſich um gar feine Vorgänger befümmert; 
und man verjäumet ſich ohne Noth, wenn man fih um alle befüme 
mern will. 

20 Wie weit bin id? Huy, daß mir meine Lejer alles, was ich 
mir jo mühlam erjtritten habe, von jelbjt gejchenft hätten! — In der 
Fabel wird nit eine jede Wahrheit, jondern ein allgemeiner 
moraliiher Saß, nicht unter Die Allegorie einer Handlung? 
jondern auf einen einzeln Fall, nicht verjtedt oder verkleidet, 

25 jondern jo zurüdgeführet, daß ih, nit bloß einige Aehnlich— 
feiten mit dem moraliſchen Sage in ihm entdede, jondern 
diejen ganz anjchauend darinn erfenne. 

Und das iſt das Wejen der Fabel? Das it es, ganz er— 

Ihöpft? — Ich wollte es gern meine Leſer bereden, wenn ich es nur 
30 erſt jelbjt glaubte. — Ich leje bey dem Ariftoteles*: „Eine obrig- 
 „Leitlihe Berfon dur das Looß ernennen, iſt eben als wenn ein 

„Schiffsherr, der einen Steuermann braucht, es auf das Looß an- 

„kommen ließe, welcher von jeinen Matrojen es jeyn jollte, anitatt 


* Aristoteles Rhetor. libr. II. cap. 20. 





I au3 Grunde, [1759] ? nicht unter die allgemeine Handlung, [70. Litteraturbrief] 





I. Bon dem Werfen der Fabel, 441 
„daß er den allergejchidteften dazu unter ihnen mit Fleiß ausjuchte.” — 
Hier’ find zwey bejondere Fälle, die unter eine allgemeine moralijche 
Wahrheit gehören. Der eine ift der fich eben igt äufjernde; der andere 
iſt der erdichtete. Iſt diefer erdichtete, eine Fabel? Niemand wird ihn 
dafür gelten lajjen. — Aber wenn es bey dem Mrijtoteles fo hieße: 
„Ihr wollt euren Magiftrat duch das Looß ernennen? Ich Torge, 
„es wird euch gehen wie jenem Schiffsheren, der, als es ihm an einem 
„Steuermanne fehlte 20.” Das verjpricht doch eine Fabel? Und war: 
um? Welche Beränderung it damit vorgegangen? Man betrachte 
alles genau, und man wird feine finden als diefe: Dort ward der 
Schiffsherr duch ein als wenn eingeführt, er ward bloß als mög- 
lich betrachtet; und bier hat er die Wirklichfeit erhalten; es ift 
bier ein gewiſſer, es iſt jener Schiffsherr. 

Das trift den Punct! Der einzelne Fall, aus welchem die 
Fabel beitehet, muß als wirklich_vorgeitellet werden. Begnüge ich mic) 
an der Möglichkeit defjelben, jo ijt es ein Beyipiel, eine Barabel. 
— 63 verlohnt ſich der Mühe diejen wichtigen Unterjchied, aus welchem 
man allein jo viel zweydeutigen Fabeln das Urtheil jprechen muß, an 
einigen Erempeln zu zeigen. — Unter den Aefopiichen Fabeln des 
Planudes liefet man auch folgendes: „Der Biber ift ein vierfüffiges 
„hier, das meiltens im Waſſer wohnet, und dejjen Geilen in der 
„Medicin von groſſem Nutzen find. Wenn nun dieſes Thier von den 
„Menſchen verfolgt wird, und ihnen nicht mehr entkommen kann; was 
„thut es? Es beißt jich jelbjt die Geilen ab, und wirft fie feinen Ver: 
„tolgern zu. Denn es weis gar wohl, daß man ihm nur dieferwegen 
„nachitellet, und es jein Leben und jeine Freyheit wohlfeiler nicht er- 
„raufen kann*.“ — Fit das eine Fabel? ES liegt wenigjtens eine 
vortrefflihe Moral darinn. Und dennoch wird fich niemand bedenken, 
ihr den Namen einer Fabel abzufprechen. Nur über die Urjache, warum 
er ihr abzujprechen jey, werden fich vielleicht die meijten bedenken, und 
uns doch endlich eine falſche angeben. Es ijt nichts als eine Natur- 
gejchichte: würde man vielleicht mit dem Verfaſſer der Critiſchen 
Briefe** jagen. Aber gleichwohl, würde ich mit eben dieſem Ber: 
fafjer antworten, handelt hier der Biber nicht aus blojjem Inſtinkt, 


* Fabul. Aesop. 33. 
** Critiſche Briefe. Zürich 1746. ©. 168. - 


10 


15 


20 


25 


30 


449 Gokkhold Ephraim Leſſings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





er handelt aus freyer Wahl und nach reifer Weberlegung; denn er 
weis es, warum er verfolgt wird (yırmazwv 0v yagın dıwzerat). 


Dieſe Erhebung des Inſtinkts zur Vernunft, wenn ich ihm glauben 


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19) 


30 


joll, macht es ja eben, daß eine Begegniß aus dem Neiche der Thiere 
zu einer Fabel wird. Warum wird fie es denn hier nicht? Ich jage: 
fie wird es deswegen nicht, weil ihr die Wirkflichfeit fehlet. Die 
Wirklichkeit fömmt nur dem Einzeln, dem Individuo zu; und es läßt 
fich feine Wirklichkeit ohne die Jndividualität gedenken. Was alſo hier 
von dem ganzen Gejchlechte der Biber gejagt wird, hätte müſſen nur 
von einem einzigen Biber gejagt werden; und alsdenn wäre e8 eine 
Fabel geworden. — Ein ander Erempel: „Die Affen, jagt man, bringen 
„zwey unge zur Welt, wovon fie das eine jehr heftig lieben und mit 
„aller möglichen Sorgfalt pflegen, das andere hingegen haſſen und ver- 
„ſäumen. Durch ein jonderbares Geſchick aber gejchieht es, daß Die 
„Mutter das Geliebte unter bäuffigen Liebfofungen erdrüdt, indem 
„das Verachtete glüclich aufwächjet*.” Auch dieſes iſt aus eben Dei 
Urfache, weil das, was nur von einem Individuo gejagt werden jollte, 
von einer ganzen Art gejagt wird, feine Fabel. Als daher Leſtrange 
eine Fabel daraus machen wollte, mußte er ihm diefe Allgemeinheit 
nehmen, und die Individualität dafür ertheilen**. „Eine Aeffin, er 
„zehlt er, hatte zwey Junge; in das eine war fie närrifch verliebt, 
„an dem andern aber war ihr jehr wenig gelegen. Einsmals überfiel 
„ſie ein plötzlicher Schreden. Geſchwind raft fie ihren Liebling auf, 
„nimmt ihn in die Arme, eilt davon, ftürzt aber, und jchlägt mit ihm 
„gegen einen Stein, daß ihm das Gehirn aus dem zerjchmetterten 
„Schedel jpringt, Das andere Junge, um das fie fi im geringiten 
„nicht bekümmert hatte, war ihr von jelbit auf den Rücken gejprungen, . 
„hatte fich an ihre Schultern angeflammert, und kam glüdlich davon.“ 
— Hier ift alles bejtimmt; und was dort nur eine Barabel war, 
ift hier zur Fabel geworden. — Das ſchon mehr als einmal- an- 
geführte Beyipiel von dem Fiſcher, hat den nehmlichen Fehler, denn 
jelten hat eine jchlechte Fabel einen Fehler allein. Der Fall ereignet 
ſich allezeit, jo oft das Net gezogen wird, daß die Fiſche welche Fleiner 
ind, als die Gitter des Neges, durchſchlupfen und die gröffern bangen 
* Fab. Aesop. 268. 
** In feinen Fabel, jo wie fie Richardjon adoptirt hat, die 187te. 





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I. Bon dem Welm der Fabel. 443 


- bleiben. Vor fich felbit iſt diefer Fall alfo fein individueller Fall, 


jondern hätte e8 durch andere mit ihm verbundene Nebenumjtände erſt 
werden müſſen. 
Die Sache hat aljo ihre Nichtigkeit: der bejondere Fall, aus 


welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vorgeftellt werden; e 
- muß das jeyn, was wir in dem jtrengiten Berjtande einen einzeln 


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Fall nennen. Aber warım? Wie jteht es um die philojophifche Ur- 
jahe? Warum begnügt fi) das Exempel der practijchen Sittenlehre, 
wie man die Fabel nennen fan, nicht mit der blofjen Möglichkeit, 


mit der fich die Exempel andrer Wifjenfchaften begnügen? — Wie 


viel lieſſe fih hiervon plaudern, wenn ich bey meinen Leſern gar feine 


richtige pſych logiſche Begriffe vorausſetzen wollte. Ich habe mich oben 
ſchon geweigert, die Lehre von der anſchauenden Erkenntniß aus unſerm 


Weltweiſen abzuſchreiben. Und ich will auch hier nicht mehr davon 
beybringen, als unumgänglich nöthig iſt, die Folge meiner Gedanken 
zu zeigen. 

Die anſchauende Erkenntniß iſt vor ſich ſelbſt klar. Die ſym— 


boliſche ee ihre Klarheit von der anjchauenden. 


Das Allgemeine eriftivet nur in dem Bejondern, und kann nur 
in dem Bejondern anfchauend erkannt werden. 

Einem allgemeinen ſymboliſchen Schluije folglich alle die Klar: 
heit zu geben, deren er fähig it, das it, ihn jo viel als möglich zu 
erläutern; müſſen wir ihn auf das Bejondere veduciren, um ihn in 
diefem anſchauend zu erfennen. 

Ein Bejonderes, in jo fern wir das Allgemeine in ihm anjchauend 
erfennen, heißt ein Exempel. 

Die allgemeinen ſymboliſchen Schlüffe werden alſo durch Erempel 
erläutert. Alle Wiſſenſchaften beftehen aus dergleichen jymbolifchen 
Schlüſſen; alle Wiljenjchaften bedürfen daher der Erempel. 

Doc die Sittenlehre muß mehr thun, als ihre allgemeinen Schlüfje 


bloß erläutern; und die Klarheit ift nicht der einzige Vorzug der an— 


jchauenden Ertenntnif, 

Weil wir durch dieje einen Sat geſchwinder überjehen, und jo in 
einer fürzern Zeit mehr Bewegungsgründe in ihm entdeden können, als 
wenn er jymboliich ausgedrückt ift: jo hat die anfchauende Erfenntniß 
auch einen weit gröſſern Einfluß in den Willen, als die jymbolifche. 


10 


20 


25 


30 


35 


444 Gofthold Ephraim Telfings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





Die Grade diejes Einfluffes richten ſich nad) den Graden ihrer 
Lebhaftigkeit; und die Grade ihrer Lebhaftigfeit, nach den Graden der 
nähern und mehrern Beltimmungen, in die das Beſondere geſetzt wird, 
Se näher das Bejondere bejtimmt wird, je mehr ſich darinn unter: 
5 jcheiden läßt, deſto gröfler ijt die Lebhaftigfeit der anjchauenden Er- 
fenntniß. 

Die Möglichkeit ift eine Art des Allgemeinen; denn alles was 
möglich iſt, ift auf verſchiedene Art möglich. 

Ein Bejonderes aljo, bloß als möglich betrachtet, ijt gewiſſer— 

10 maaßen noch etwas Allgemeines, und hindert, als diejes, die Yebhaftig- 
feit der anfchauenden Erfenntnip. 

Folglih muß es als wirklich betrachtet werden und die Indivi— 
dualität erhalten, unter der es allein wirklich jeyn kann, wenn die 
anſchauende Erfenntniß den höchſten Grad ihrer Lebhaftigfeit erreichen, 

15 und jo mächtig, al3 möglich, auf den Willen wirken joll. 

Das Mehrere aber, das die Sittenlehre, aufjer der Erläuterung, 
ihren allgemeinen Schlüffen ſchuldig ift, beſtehet eben in dieſer ihnen 
zu ertheilenden Fähigkeit auf den Willen zu wirken, die fie durch die 
anfchauende Erfenntniß in dem Wirklichen erhalten, da andere Wiljen- 

20 jchaften, denen es um die bloße Erläuterung zu thun ift, ſich mit einer 
‚geringen Lebhaftigfeit der anſchauenden Erkenntniß, deren das Be— 
jondere, als bloß möglich betrachtet, fähig it, begnügen. 

Hier bin ich alfo! Die Fabel erfordert deswegen einen wirklichen 
Fall, weil man in einem wirklichen Falle mehr Bewegungsgründe und 

25 deutlicher unterjcheiden kann, als in einem möglichen; weil das Wirk— 
liche eine lebhaftere Meberzeugung mit fic) führet, als das bloß Mögliche. 

Aristoteles fcheinet diefe Kraft des Wirklihen zwar gekannt 
zu haben; weil er fie aber aus einer unrechten Quelle herleitet, jo 
konnte es nicht fehlen, er mußte eine falfhe Anwendung davon machen. 

30 Es wird nicht undienlich ſeyn, feine ganze Lehre von dem Exempel 
(rsgı nagadsıyuaros) hier zu überjehen*. Erſt von feiner Eintheilung 
des Erempels: Hapadsıyuarow Ö' Eiön dvo Esıw, jagt er, Ev uev 
yao Esı nagadsıyuaros Eidos, To Jeyeıv TTOGAYUATa TIGOYE/EVNUEVT, 
&v de, To avra roısıv. Tovrov Ö' iv uev nagaßoin: &v de Aoyou: 

35 dıov di duowreıoı zaı kıßvroı. Die Eintheilung überhaupt iſt richtig ; 

* Aristoteles Rhetor. lib. II. cap. 20. x 





a 3 3 ee PN 


7 it er — 


I. Pon dem Weſen der Fabel. 445 


von einem Commentator aber würde ich verlangen, daß er ung den 
Grund von der Unterabtheilung der erdichteten Erempel bey- 
brächte, und uns lehrte, warum es deren nur zweyerley Arten gäbe, 
und mehrere nicht geben fünne. Er würde diefen Grund, wie ich es 
oben gethan habe, leicht aus den Beyipielen jelbjt abjtrahiren können, 
die Ariftoteles davon giebt. Die Barabel nehmlih führt er duch 
ein worssg £ı rıg ein; und die Fabeln erzehlt er als etwas wirklich 
Sejchehenes. Der Commentator müßte aljo diefe Stelle jo umjchreiben: 
Die Erempel werden entweder aus der Gejhichte genommen, oder in 
Ermangehung ' derjelben erdichtet. Bey jedem gejchehenen Dinge läßt 
fih die innere Möglichkeit von feiner Wirklichkeit unterjcheiden, ob— 
aleich nicht trennen, wenn es ein gejchehenes Ding bleiben joll. Die 
Kraft, die e8 als ein Erempel haben joll, liegt alfo entweder in 
jeiner bloſſen Möglichkeit, oder zugleich in feiner Wirklichkeit. Soll 
fie bloß in jener liegen, jo brauchen wir, in feiner Ermangelung !, 
auch nur ein bloß mögliches Ding zu erdichten; ſoll fie aber in dieſer 
liegen, jo müſſen wir auch unjere Erdichtung von der Möglichkeit zur 
Wirklichkeit erheben. In dem eriten Falle erdichten wir eine Barabel, 
und in dem andern eine Fabel. — (Was für eine weitere Ein- 
theilung der Fabel hieraus folge, wird fich in der dritten Abhand- 
lung zeigen). 

Und jo weit ift wider die Lehre des Griechen eigentlich nichts zu 
erinnern. Aber nunmehr fümmt ev auf den Werth diejer verjchiedenen 
Arten von Erempeln, und jagt: Eroı Ö’ oı Aoyoı Önunyogixoı: a0 
EZ0vOtv AYaFoV TOVTO, Ori TTORYUATa (Ev EVQEIV OU0L“ YEysvnusva, 


.zaherov, Aoyovg de 6aov. Hoımoaı yag der WorTEQ zaı sragaßokas, 


av Tıs Övyntaı To Ou0L0v 0QgV, OTTO ÖRov Ezıv Ex PıkoooyLas. 
Pe usv 0vv nogıacdaı Ta dıa rwv Jkoyav:! XEnoLUwWreg« dE 


‚908 ro Bovksvoaodaı, T@ dıa Taov rroaYuarov:! Ou0L« YaQ, WS 


erı ro rohv, ca uelkovra To yeyovooı. Ich will mich ist nur 
an den legten Ausſpruch diefer Stelle halten. Ariftoteles jagt, die 
biftoriichen Erempel? hätten deswegen eine größere Kraft zu über: 
zeugen, als die Fabeln, weil das Vergangene gemeiniglich dem Zus 
fünftigen ähnlich jey. Und hierinn, glaube ich, hat fih? Ariftoteles 
geirret. Bon der Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht jelbit erfahren 


I Ermanglung [1759] 2 Erempeln [1759] 3 fih [fehlt im 70. Litteraturbrief] 





10 


25 


30 


35 


446 Goffihold Ephraim Tellings Jabeln. Bebf Abhandlungen. 





habe, kann ich nicht anders als aus Gründen der Wahrfcheinlichkeit 
überzeugt werden. Ich glaube bloß deswegen, daß ein Ding gefchehen, 


und daß es jo und jo gejchehen ift, weil es höchft wahrſcheinlich ift, 


10 


15 


20 


DD 
L 


9) 


30 


und höchſt unwahrscheinlich jeyn würde, wenn es nicht, oder wenn es 
anders gejchehen wäre. Da aljo einzig und allein die innere Wahr: 
jheinlichfeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Falles glauben macht, 
und dieje innere Wahrjcheinlichkeit fich eben jo wohl in einem erdichteten 
Falle finden Tann: was fann die Wirklichkeit des erftern für eine größere 
Kraft auf meine Ueberzeugung haben, al3 die Wirklichkeit des andern? 
sa noch mehr. Da das hiftoriihe! Wahre nicht immer auch wahr- 
ſcheinlich iſt; da Arijtoteles jelbit die Sentenz des Agatho billiget: 
Tax‘ av vıg Eixog avro rovr' Eivaı Aeyor: 
Beoroıcı nolla Tvyyavsıy Ovx Eixora: 

da er bier jelbit? jagt, daß das Vergangene nur gemeiniglid (em 
ro noAv)? dem Zufünftigen: ähnlich jey; der Dichter aber die freye 
Gewalt hat, hierinn von der Natur abzugeben, und alles, was er für 
wahr ausgiebt, auch wahrjcheinlich zu machen: jo jollte ich meinen, wäre 
es wohl Klar, daß den Fabeln,* überhaupt zu reden, in Anjehung der 
Veberzeugungskraft, der Borzug vor den hiſtoriſchen Exempeln gebühre ıc. 

Und nunmehr glaube ich meine Meinung von dem Wejen der 
Fabel genugſam verbreitet? zu haben. Ich fafje daher alles zufammen 
und fage: Wenn wir einen allgemeinen moraliſchen Sag 
auf einen bejondern Fall zurüdführen, diejem beſon— 
dern Falle die Wirklichkeit ertheilen, und eine Geſchichte 
daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Saßans 
ſchauend erkennt: jo heißt diefe Erdichtung eine Fabel. 

Das ijt meine Erklärung, und ich hoffe, daß man fie, bey der 
Anwendung, eben jo richtig als fruchtbar finden wird. 


II. A 
Bon dem Gebrauche der Chiere in der Fabel. 


Der größte Theil der Fabeln hat Thiere, und® wohl noch ges 
ringere Geſchöpfe, zu handelnden Perſonen. — Was iſt hiervon zu 





hiſtoriſch [n0. Litteraturbrief] 2 pie Sentenz — bier ſelbſt [fehlt im 70. Litteraturbrief)] 
s (Er To nokv) [fehlt im 70. Litteraturbrief] 4 der Fabel, [70. Litteraturbrief] 5 por= 
bereitet [1777] 6 oder [70. Litteraturbrief] 





— — Ad ne E Se 2 — —— Luc N Paladı = v * 7 —— Be 





II. Bon dem Gebrauche der Chiere in der Fabel, 447 


halten? Hit es eine wejentliche Eigenjchaft der Fabel, daß die Thiere 
darinn zu moralijchen Wejen erhoben werden? it es ein Handgriff, 
der dem Dichter die Erreichung jeiner Abficht verkürzt und erleichtert? 
Sit e8 ein Gebrauch, der eigentlich feinen ernftlichen Nutzen hat, den 
man aber, zu Ehren des erjten Erfinders, beybehält, weil er wenigitens 
ſchnackiſch iſt — quod risum movet? Oder was iſt es? 
Batteur bat diefe Fragen entweder gar nicht vorausgejehen, 
oder er war liltig genug, daß er ihnen damit zu entlommen glaubte, 
wenn er den Gebrauch der Thiere feiner Erklärung jogleih mit an- 
flidte. Die Fabel, jagt er, ift die Erzehlung einer allegorijchen 
Handlung, die gemeiniglidh ven Thieren beygelegt wird. — 
Vollkommen A la Francoise! Oder, wie der Hahn über die Kohlen! — 
Warum, möchten wir gerne wiſſen, warum wird fie gemeiniglich den 
Thieren beygelegt? D, was ein langjamer Deutjcher nicht alles fragt! 
Ueberhaupt ijt unter allen Kunſtrichtern Breitinger der einzige, 
der diefen Punkt berührt hat. Er verdient es alſo um jo viel mehr, 
daß wir ihn hören. „Weil Aeſopus, jagt er, die Fabel zum Unter: 
„richte des gemeinen bürgerlichen Lebens angewendet, jo waren jeine 
„Lehren meijtens ganz befannte Säge und Lebensregeln, und aljo 
„mußte er auch zu den allegoriichen Vorftellungen derjelben ganz ge: 
„wohnte Handlungen und Beyjpiele aus dem gemeinen Leben der 
Menſchen entlehnen: Da nun aber die täglichen Gejchäfte und Hand— 
„lungen der Menjchen nichts ungemeines oder merfwürdig reigendes 
„an fich haben, jo mußte man nothwendig auf ein neues Mittel be- 
„dacht jeyn, auch der allegorijchen Erzehlung eine anzügliche Kraft und 
„ein reigendes Anjehen mitzutheilen, um ihr alfo dadurch einen fichern 
„Eingang in das menjchliche Herz aufzujchliegen. Nachdem man nun 
„wahrgenommen, daß allein das Seltene, Neue und Wunderbare, eine 
„ſolche erwedende und angenehm entzücdende Kraft auf das menschliche 
„Gemüth mit jich führet, jo war man bedacht, die Erzehlung durch 
„die Neuheit und Seltjamfeit der VBorjtellungen wunderbar zu machen, 
uund aljo dem Körper der Fabel eine ungemeine und reizende Schön- 
beit beyzulegen. Die Erzehlung bejtehet aus zween wejentlichen Haupt- 
„umftänden, dem Umſtande der Berjon, und der Sache oder Handlung ; 
„ohne dieje kann feine Erzehlung Plat haben. Alfo muß das Wunder: 
„bare, welches in der Erzehlung berrichen joll, ſich entweder auf die 


[srl 


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448 Gofthold Ephraim Teflings Fabeln. Bebf Abhandlungen. 





„Handlung jelbit, oder auf die Perſonen, denen jelbige zugejchrieben 
„wird, beziehen. Das Wunderbare, das in den täglichen Gejchäften 


„und Handlungen der Menjchen vorkömmt, bejtehet vornehmlich in dem 


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„Unvermutheten, jowohl in Abſicht auf die Vermeſſenheit im Unter: 
„langen, als die Boßheit oder Thorheit im Ausführen, zuweilen auch 
„in einem ganz unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber der- 
„gleichen wunderbare Handlungen in dent gemeinen Leben der Menjchen 
„etwas ungewohntes und jeltenes jind; da hingegen die meijten ge= 
„roöhnlichen Handlungen gar nichts ungemeines oder merfwürdiges an 
„ſich haben; jo jah man ſich gemüßiget, damit die Erzehlung als der 
„Körper der Fabel, nicht verächtlich würde, derjelben durch die Ver— 
„änderung und Verwandlung der Perſonen, einen angenehmen Schein 
„des Wunderbaren mitzutheilen. - Da nun die Menjchen, bey aller ihrer 
„Berfchiedenheit, dennoch überhaupt betrachtet in einer wejentlichen 
„Sleichheit und Berwandtichaft ftehen, jo beſann man ſich, Weſen von 
„einer höhern Natur, die man wirklich zu jeyn glaubte, als Götter 
„und Genios, oder ſolche die man durch die Freyheit der Dichter zu 
„Weſen erſchuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele, das Glüd, 
„die Gelegenheit 2c. in die Erzehlung einzuführen; vornehmlich aber 
„nahm man fich die Freyheit heraus, die Thiere, die Bilanzen, und 
„noch geringere Wefen, nehmlich die leblojen Gejchöpfe, zu der höhern 
„Natur der vernünftigen Weſen zu erheben, indem man ihnen menjch- 
„liche Vernunft und Rede mittheilte, damit fie alfo fähig würden, ung 
„ihren Zuftand und ihre Begegnifje in einer ung vernehmlichen Sprache 
„zu erklären, und dur ihr Exempel von ähnlichen moralifchen Hand» 


„lungen unſre Lehrer abzugeben 20.” — 


Breitinger aljo behauptet, daß die Erreihung des Wunder- 
baren die Urjache jey, warum man in der Fabel die Thiere, und 
andere niedrigere Geſchöpfe, reden und vernunftmäßig handeln laſſe. 
Und eben weil er diejes für die Urſache hält, glaubt er, daß die Fabel 
überhaupt, in ihrem Wejen und Urjiprunge betrachtet, nichts anders, 
al3 ein lehrreiches Wunderbare jey. Dieje feine zweyte Erflärung 
it e3, welche ich hier, verfprochnermaaßen, unterfuchen muß. 

Es wird aber bey diefer Unterfuchung vornehmlich darauf an— 
fommen, ob die Einführung der Thiere in der Fabel wirklich wunder: 
bar it. Fit fie es, jo hat Breitinger viel gewonnen; iſt fie es 





II. Bon dem Gebrauche der Chiere in der Fabel. 449 





aber nicht, jo liegt auch fein ganzes Fabeliyitem, mit einmal, über 
dem Haufen. 

Wunderbar joll diefe Einführung ſeyn? Das Wunderbare, ‚jagt 
eben diefer Kunftrichter, legt den Schein der Wahrheit und Möglich: 
feit ab. Dieje anjcheinende Unmöglichkeit alſo gehöret zu dem Wejen 
des Wunderbaren; und wie joll ich nunmehr jenen Gebrauch der Alten, 
den fie jelbjt jchon zu einer Kegel gemacht hatten, damit vergleichen ? 
Die Alten nehmlich fingen ihre Fabeln am liebjten mit dem Daoı, 
und dem darauf folgenden Klagefalle an. Die griechiſchen Rhetores 
nennen dieſes kurz, die Fabel in dem Stlagefalle (raus aurıarızaıs) 
vortragen; und Theon, wenn er in jeinen Borübungen* hierauf 
kömmt, führet eine Stelle des Arijtoteles an, wo der Bhilojoph 
dieſen Gebrauch billiget, und es zwar deswegen für rvathjamer erfläret, 
fih bey Einführung einer Fabel lieber auf das Alterthum zu berufen, 
als in der eigenen Berfon zu jprechen, vamit man den Anjchein, 
als erzehble man etwas unmöglidhes, vermindere. (iv« 
zragauvInowvra To doxsıvy advvara Aeyeıv). War alſo das der 
Alten ihre Denkungsart, wollten fie den Schein der Unmöglichkeit in 


der Fabel jo viel al3 möglich vermindert wifjen: jo mußten fie noth- 


A Din Ah a en 


wendig weit davon entfernt jeyn, in der Fabel etwas Wunderbares 
zu juchen, oder zur Abficht zu haben; denn das Wunderbare muß fich 
auf dieſen Schein der Ummöglichfeit gründen. 

Weiter! Das Wunderbare, jagt Breitinger an mehr als einem 
Orte, jey der höchite Grad des Neuen. Dieſe Neuheit aber muß das 
Wunderbare, wenn es jeine gehörige Wirkung auf uns thun fol, nicht 
allein bloß in Anjehung feiner jelbit, jondern auch in Anſehung unfrer 
VBorftellungen haben. Nur das ijt wunderbar, was fich jehr jelten in 
der Neihe der natürlichen Dinge eräugnet. Und nur das Wunder: 
bare behält jeinen Eindrud auf uns, deſſen Vorſtellung in der Reihe 
unſrer Boritellungen eben jo jelten vorkömmt. Auf einen fleißigen 
Bibellefer wird das größte Wunder, das in der Schrift aufgezeichnet 
it, den Eindrucd bey weiten! nicht mehr machen, den es das eritemal 
auf ihn gemacht hat. Er lieſet es endlich mit eben jo wenigem Er: 
jtaunen, daß die Sonne einmal jtille geitanden, als er jie täglich auf 

* Tach der Ausgabe des Camerarius ©. 28. 


t bey weiten [1759] 
Leſſing, fämtlihe Schriften. VII 29 





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450  Gofihold Ephraim Leſſings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





und niedergehen ſieht. Das Wunder bleibt immer dafjelbe; aber nicht 
unjere Gemüthsverfaflung, wenn wir es zu oft denfen. — Folglich 


würde auch die Einführung der Thiere uns höchjtens nur in den erjten 


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Fabeln wunderbar vorkommen; fänden wir aber, daß die Thiere faft 
in allen Fabeln jprächen und urtheilten, jo würde dieſe Sonderbarfeit, 
jo groß fie auch an und vor fich jelbft wäre, doch gar bald nichts 
Sonderbares mehr für ung haben. 

Aber wozu alle dieſe Umfchweife? Was fih auf einmal ums 
reillen läßt, braucht man das erſt zu erihüttern? — Darum kurz: 
daß die Thiere, und andere niedrigere! Gejchöpfe, Sprache und Ver— 
nunft haben, wird in der Fabel vorausgejeßt; eS wird angenommen; 
und foll nichts weniger als wunderbar jeyn. — Wenn ich in der 
Schrift lefe*: „Da that? der Herr der Ejelin den Mund auf und fie 
„ſprach zu Bileam ꝛc.“ jo leje ich etwas wunderbares. Aber wenn ich 


5 bey dem Aeſopus leje**: Daoıy, ore pywvnevra 7v ca [wa, ınv 


oliv 71008 tov dsonornv Eisew: „Damals, als die Thiere noch redeten, 
„ol das Schaf zu jeinem Hirten gejagt haben:“ jo ijt es ja wohl 
offenbar, daß mir der Fabulift nichts wunderbares erzehlen will; jon- 
dern vielmehr etwas, das zu der Zeit, die er mit Erlaubniß jeines 
Lejers annimmt, dem gemeinen Laufe der Natur volllommen gemäß war. 

Und das it jo begreifflich, jollte ich meinen, daß ich mic ſchämen 
muß, noch ein Wort hinzuzuthun. Ich komme vielmehr jogleich auf 
die wahre Urjache, — die ich wenigitens für die wahre halte, — warum 
der Fabuliit die Thiere oft zu feiner Abficht bequemer findet, als Die 
Menſchen. — Sch ſetze fie in die allgemein befannte Bejtandt- 
heit ver Charaktere. — Gejegt au, es wäre noch jo leicht, in 
der Gejchichte ein Exempel zu finden, im welchem jich dieje oder jene 
moraliiche Wahrheit anjchauend erkennen lieſſe. Wird fie fich deswegen 
von jedem, ohne Ausnahme, darinn erkennen lafien? Auch von dem, 
der mit den Charakteren der dabey interefjirten Perſonen nicht ver- 
traut tft? Unmöglich! Und wie viel Perſonen find wohl in der Ge 
jhichte jo allgemein befannt, daß man fie nur nennen dürfte, um jo- 
gleich bey einem jeden den Begriff von der ihnen zufommenden Den— 


*4B. Moj. XXII. 28. 
** Fab. Aesop. 316. 





‚ I niebrigern [1759] 2 {hät [1759] 





a. Pon dem Gebrauche der Chiere in der Fabel. 451 


— — —— — — — — — 


kungsart und andern Eigenſchaften zu erwecken? Die umſtändliche 
Charakteriſirung daher zu vermeiden, bey welcher es doch noch immer 
zweifelhaft iſt, ob ſie bey allen die nehmlichen Ideen hervorbringt, 
war man gezwungen, ſich lieber in die kleine Sphäre derjenigen Weſen 
einzuſchränken, von denen man es zuverläßig weis, daß auch bey den 
Unmwifjenditen ihren Benennungen dieſe und feine andere Idee ent- 
jpricht. Und weil von diefen Wejen die wenigiten, ihrer Natur nad 
geſchickt waren, die Nollen freyer Weſen über fich zu nehmen, jo er- 
weiterte man lieber die Schranken ihrer Natur, und machte fie, unter 
gewiſſen wahrjcheinlichen Vorausſetzungen, dazu gejchidt. 

Man hört: Britannicus und Nero. Wie viele willen, was 
fie hören? Wer war diefer? Wer jener? In welchen Berhältnifje 
jtehen fie gegen einander? — Aber man hört: der Wolf und das 
Lamm; jogleich weis jeder, was er höret, und weis, wie ſich das 
eine zu dem andern verhält. Dieje Wörter, welche jtrads ihre gewiſſen 
Bilder in uns erweden, befördern die anſchauende Erfenntniß, die duch 
jene Namen, bey welchen auch die, denen fie nicht unbekannt find, gewiß 
nicht alle vollfommen eben dafjelbe denken, verhindert wird. Wenn da— 
- ber der Fabuliſt feine vernünftigen Jndividua auftreiben kann, die fich 
durch ihre bloße Benennungen in unjere Einbildungsfraft jchildern, 
ſo iſt es ihm erlaubt, und er hat Fug und Necht, dergleichen unter 
den Thieren oder unter noch geringern Gejchöpfen zu juchen. Man 
jeße, in der Fabel von dem Wolfe und dem Lamme, anjtatt des Wolfes 
den Nero, anftatt des Lamımes den Britannicus, und die Fabel 
hat auf einmal alles verloren, was fie zu einer Fabel für das ganze 
menschliche Gejchlecht macht. Aber man ſetze anjtatt des Lammes und 


des Wolfes, den Rieſen und den Zwerg, und fie verlieret jchon 


weniger; denn auch der Rieje und der Zwerg find Individua, deren 
Charakter, ohne weitere Hinzuthuung, ziemlich aus der Benennung er: 
hellet. Oder man verwandle fie lieber gar in folgende menjchliche 
Fabel: „Ein Briejter fam zu dem armen Manne des Propheten * und 
„agte: DBringe dein weiljes Lamm vor den Altar, denn die Götter 
„ordern ein Opfer. Der Arme erwiederte: mein Nachbar hat eine 
„zahlreiche Heerde, und ich habe nur das einzige Lamm. Du haft 


wel 


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„aber den Göttern ein Gelübde gethan, — dieſer, weil ſie deine 35 


*2B. Samuelis XII. 


452  Goffhold Ephraim Leſſings Jabeln. Bebf Abhandlungen. 





„Felder gejegnet. — Ich habe Fein Feld; war die Antwort. — Nun 
„ſo war es damals, al3 fie deinen Sohn von feiner Krankheit genejen 


„lieſſen — D, fagte der Arme, die Götter haben ihn jelbft zum Opfer 


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„hingenommen. Gottlofer! zürnte der Prieſter; du läfterft! und riß 
„das Lamm aus feinem Schooße 20.” — — Und wenn in diejer Ber: 
wandlung die Fabel noch weniger verloren hat, jo fümmt es bloß da— 
her, weil man mit dem Worte Prieſter den Charakter der Hab» 
jüchtigfeit, leider, noch weit gejchwinder verbindet, als den Charakter 
der Blutdürftigfeit mit dem Worte Niefe; und Dur den armen 
Mann des Propheten die Idee der unterdrüdten Unſchuld noch 
leichter erregt wird, als duch den Zwerg. — Der beite Abdruck 
diefer Fabel, in welchem fie ohne Zweifel am allerwenigiten verloren 
hat, ift die Fabel von der Kate und dem Hahne* Doch weil man 
auch hier fich das VBerhältniß der Katze gegen den Hahn micht jo ges 
ſchwind denkt, als dort das Berhältniß des Wolfes zum Lamme, 
jo find diefe noch immer die allerbequemiten Weſen, die der Fabuliſt 
zu feiner Abſicht hat wehlen fünnen. 

Der Verfaſſer der oben angeführten Critiſchen Briefe iſt 
mit Breitingern einerley Meinung, und jagt unter andern, in der 
erdichteten PBerfon de3 Hermann Arels**: „Die Fabel befömmt 
„durch dieſe fonderbare Berjonen ein wunderliches Anjehen. Es wäre 
„feine ungefchiekte Fabel, wenn man dichtete: Ein Menſch ſah auf einem 
„hohen Baume die jchönften Birnen bangen, die jeine Luft Davon zu 
„eſſen, mächtig veißeten. Er bemühte ſich lange, auf denjelben hinauf 
‚zu klimmen, aber es war umſonſt, er mußte es endlich aufgeben. 
„Indem er weggieng, jagte er: E3 ift mir gefunder, daß ih fie noch 
„länger ftehen laſſe, fie find doch noch nicht zeitig genug. Aber diejes 
„Geſchichtchen reiget! nicht ftark genug; es ift zu platt 20.” — Ich 
gejtehe e8 Hermann Areln zu; das Gejchichtehen ift jehr platt, und 
verdienet nichts weniger, als den Namen einer guten Fabel. Aber it 
e3 bloß deswegen jo platt geworden, weil fein Thier darinn redet 
und handelt? Gewiß nicht; jondern es ift e3 dadurch geworden, weil 
er das Individuum, den Fuchs, mit dejien bloſſem Namen wir einen 

* Fab. Aesop. 6. | 

** Seite 166. 


1 reißt [1769 b] 








II. Bon dem Gebrauche der Thiere in der Fabel. 


— 





gewiſſen Charakter verbinden, aus welchem ſich der Grund von der 


ihm zugejchriebenen Handlung angeben läßt, in ein anders Individuum 
verwandelt hat, deſſen Name feine Idee eines bejtimmten Charakters 
in uns erwedet. „Ein Menſch!“ Das ift ein viel zu allgemeiner Be- 
griff für die Fabel. An was für eine Art von Menjchen ſoll ich da— 
bey denken? ES giebt deren jo viele! Aber „ein Fuchs!” Der 
Fabulijt weis nur von Einem Fuchje, und jobald er mir das Wort 
nennt, fallen auch meine Gedanken jogleich nur auf Einen Charafter. 
Anftatt des Menjchen überhaupt hätte Hermann Arel aljo wenig: 
jtens einen Gasconier jeßen müſſen. Und alsdenn würde er wohl 
gefunden haben, daß die Fabel, durch die bloſſe Weglafjung des 
Thieres, jo viel eben nicht verlöre, befonders wenn er in dem nehm: 
lihen Verhältnifje auch die übrigen Umftände geändert, und den Gas— 
conier nad etwas mehr, al3 nad) Birnen, lüſtern gemacht hätte. 
Da aljo die allgemein befannten und unveränderlichen Charaktere 
der Thiere die eigentliche Urfache find, warum fie der Fabulift zu 
moraliſchen Wejen erhebt, jo kömmt mir es jehr jonderbar vor, wenn 
man es Einem zum bejondern Ruhme machen will, „daß der Schwan 
„ur jeinen Fabeln nicht finge, noch der Pelican jein Blut für feine 
„sungen vergieße *.“ — Als ob man in den Fabelbüchern die Natur: 


geſchichte jtudieren jollte! Wenn dergleichen Eigenjchaften allgemein 


befannt find, jo find fie werth gebraucht zu werden, der Naturaliſt mag 
fie befräftigen oder nicht. Und derjenige, der fie ung, es jey durch 
jeine Erempel oder durch jeine Lehre, aus den Händen jpielen will, 
der nenne uns erit andere Individua, von denen es befannt it, daß 
ihnen die nehmlichen Eigenjchaften in der That zukommen. 

Je tiefer wir auf der Leiter der Weſen herabjteigen, deſto jeltner 
fommen uns dergleichen allgemein befannte Charaktere vor. Dieſes ift 


denn auch die Urſache, warum fich der Fabulift jo jelten in dem 


Pflanzenreiche, noch jeltener in dem Steinreihe und am allerjelteniten ! 
vielleicht unter den Werfen der Kunjt finden läßt. Denn daß es des— 
wegen geſchehen jollte, weil es jtuffenweije immer unmwahrjcheinlicher 
werde, daß dieje geringern Werfe der Natur und Kunjt empfinden, 


* Man jehe die critiiche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln. 





1 am allerfeltejten [70. Litteraturbrief] 


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454  Gofthold Ephraim Telfings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





denfen und jprechen könnten; will mir nit ein. Die Fabel von dem 
ehernen und dem irdenen Topfe iſt nicht um ein Haar jchlechter oder! 
unwahricheinlicher als die beſte Fabel, 3. E. von einem Affen,? jo nahe 


auch diefer dem Menjchen verwandt ift, und jo unendlich weit jene 


St 


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von ihm abjtehen. 

Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur eigentlichen Ur: 
jache ihres vorzüglichen Gebrauchs in der Fabel mache, will ich nicht 
jagen, daß die Thiere dem Fabuliften jonft zu weiter gar nichts nüßten. 
Ich weis es jehr wohl, daß fie unter andern in der zuſa mmen— 
gejetten Fabel das Vergnügen der Vergleihung um ein großes 
vermehren, welches alsdenn kaum merklich ift, wenn ſowohl der wahre 
als der erdichtete einzelne Fall beyde aus handelnden Perſonen von 
einerley Art, aus Menjchen, bejtehen. Da aber diefer Nußen, wie 
gejagt, nur in der zufammengefegten Fabel Statt findet, jo 
fann er die Urſache nicht jeyn, warum die Thiere auch in der ein— 
fabhen Fabel, und alfo in der Fabel überhaupt, dem Dichter fich 
gemeiniglich mehr empfehlen, als die Menjchen. 

Sa, ich will es wagen, den Thieren, und andern geringern Ge— 
ihöpfen in der Fabel noch einen Nuten zuzujchreiben, auf welchen ich 
vielleicht durh Schlüffe nie gefommen wäre, wenn mich nicht mein 
Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unſere flare und lebendige 
Erkenntniß eines moralifhen Saßes zur Abſicht. Nichts verdunfelt 
unfere Erfenntniß mehr als die Leidenfchaften. Folglich muß der Fabulift 
die Erregung der Leidenschaften jo viel als möglich vermeiden. Wie 
fann er aber anders, 3. B. die Erregung des Mitleids vermeiden, als 
wenn er die Gegenjtände deſſelben unvollfommener macht, und anjtatt 
der Menſchen Thiere oder noch geringere Gejchöpfe annimmt? Man 
erinnere fich noch einmal der Fabel von dem Wolfe und Lamme, 
wie fie oben in die Kabel von dem Priefter und dem armen 
Manne des Propheten verwandelt worden. Wir haben Mitleiden 
mit dem Lamme; aber diefes Mitleiden ift jo ſchwach, daß es unjerer 
anſchauenden Erfenntniß des moralifhen Saßes feinen merklichen Ein: 
trag thut. Hingegen wie ift eS mit dem armen Manne? Kömmt es 
mir nur ſo vor, oder ift es wirklich wahr, daß wir mit diefem viel 
zu viel Mitleiven haben, und gegen den Priefter viel zu viel Unwillen 


I und [70. Litteraturbrief] 2 Aife, [17592] 









i 
E 


III. Bon der Einfheilung der Fabeln. 455 





empfinden, als daß die anjchauende Erfenntniß des moraliichen Sabes 
bier eben jo Kar ſeyn könnte, als fie dort ijt? 


IM. 
Bon der Einkheilung der Fabeln. 


Die Fabeln find verjchiedener Eintheilungen fähig. Von einer, 
die fich aus der verjchiednen Anwendung derjelben ergiebt, habe ich 
gleih Anfangs geredet. Die Fabeln nehmlich werden entweder bloß 
auf einen allgemeinen moraliihen Sat angewendet, und heiſſen ein= 
fache Fabeln; oder fie werden auf einen wirklichen Fall angewendet, 
der mit der Fabel unter einem und eben demjelben moraliihen Satze 
enthalten ijt, und heiſſen zujammengejegte Fabeln. Der Nuten 
dieſer Eintheilung bat fich bereits an mehr als einer Stelle gezeiget. 

Eine andere Eintheilung würde fi) aus der verſchiednen Bes 


| ſchaffenheit des moraliſchen Satzes herholen lafjen. Es giebt nehmlich 


moraliſche Sätze, die ſich beſſer in einem einzeln Falle ihres Gegen— 
theils, als in einem einzeln Falle, der unmittelbar unter ihnen begriffen 
üt, anſchauend erkennen lajjen. Fabeln aljo, welche den moralifchen 
Saß in einem einzeln Falle des Gegentheils zur Intuition bringen, 
würde man vielleicht indirecte Kabeln, jo wie die andern directe 
Fabeln nennen können. 

Doch von dieſen Einitheilungen iſt bier nicht die Frage; noch 
vielweniger von jener unphilojophiichen Eintheilung nad) den ver- 
ſchiedenen Erfindern oder Dichtern, die ſich einen vorzüglichen Namen 
damit gemacht haben. Es hat den Kunftrichtern gefallen, ihre gewöhn— 


liche Eintheilung der Fabel von einer Verſchiedenheit herzunehmen, die 


mehr in die Augen fällt; von der Verſchiedenheit nehmlich der darinn 
handelnden Perſonen. Und diefe Eintheilung ift es, die ich hier näher 
betrachten will. 

Aphthonius iſt ohne Zweifel der ältefte Scribent, der ihrer 
erwähnet. Tov de uudov, jagt er in feinen Vorübungen, ro ev 
&ı Aoyızov, to de n$ıxzov, to de uızrov. Kaı Aoyızov 
usv Ev W Tı nowwv dvdgwnog nıenkasaı: N $ızov de To rw 
dhoyYwv 7.I08 arrouıuovusvov: uıxrov de To EE auporsguow dAo- 
yov zaı Aoyızov. Es giebt drey Gattungen von Fabeln; die ver- 


10 


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nünftige, in welcher der Menjch die handelnde Perſon ift; die jitt- 35 





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456 Goffhold Ephraim Leſſings Jabeln. Bebft Abhandlungen. 





liche, in welcher unvernünftige Weſen aufgeführet werden; die ver- 
miſchte, in welcher jo wohl unvernünftige als vernünftige Wejen vor- 
fommen. — Der Hauptfehler diefer Eintheilung, welcher jogleich einem 


‚jeden in die Mugen leuchtet, ift der, daß fie das nicht erjchöpft, was 


jte erichöpfen follte. Denn wo bleiben diejenigen Fabeln, die aus Gott: 
heiten und allegoriihen Berjonen beftehen? Aphthonius hat die 
vernünftige Gattung ausdrüdli auf den einzigen Menjchen ein- 
geſchränkt. Doch wenn diefem Fehler auch abzuhelfen wäre; was kann 
dem ohngeachtet roher und mehr von der oberjten Fläche abgejchöpft 
jeyn, als dieje Eintheilung? Deffnet fie uns nur auch die geringfte 
freyere Einfiht in das Weſen der Fabel? 

Batteur würde daher ohne Zweifel eben jo wohl gethan haben, 
wenn er von der Eintheilung der Fabel gar gejchwiegen hätte, als 
daß er uns mit jener fahlen aphthonianifchen abjpeifen will. Aber 
was wird man vollends von ihm jagen, wenn ich zeige, daß er ſich 
hier auf einer Kleinen Tüde treffen läßt? Kurz zuvor jagt er unter 
andern von den Perſonen der Fabel: „Man bat hier nicht allein den 
„Wolf und das Lamm, die Eiche und das Schilf, jondern auch den 
„eifernen und den irdenen Topf ihre Nollen jpielen jehen. Nur der 
„Herr Verſtand und das Fräulein Einbildungsfraft, um 
„alles, was ihnen ähnlich fiehet, find von diefem Theater ausgeſchloſſen 
„worden; weil es ohne Zweifel jchwerer ijt, diejen bloß geiftigen Weſen 
„einen charaktermäßigen Körper zu geben; als Körpern, Die einige 
„Analogie mit unjern Organen haben, Geiſt und Seele zu geben *.“ 
— Merkt man wider wen diejes geht? Wider den de la Motte, 
der fih in jeinen Fabeln der allegoriichen Wejen jehr häufig bedienet. 
Da dieſes nun nicht nach dem Gejchmade unjers oft mehr edeln als 
feinen Kunftrichters war, To konnte ihm die aphthonianiiche mangelhafte 
Eintheilung der Fabel nicht anders als willfommen jeyn, indem es 
duch fie jtillfehweigend gleichlam zur Regel gemacht wird, daß Die 
Gottheiten und allegoriichen Wejen gar nicht in die Nejopiiche Fabel 
gehören. Und diefe Negel eben möchte Batteur gar zu gern feit- 
jegen, ob er fich gleich nicht getrauet, mit ausdrüdlichen Worten darauf 
zu dringen. Sein Syſtem von der Fabel kann auch nicht wohl ohne 


35 ſie beftehen. „Die äſopiſche Fabel, jagt er, ift eigentlich) zu reden, das 


* Nach der Namlerichen Ueberſetzung, ©. 244. 





III. Bon der Einfheilung der Fabeln. 457 


— — — — — — — — — — —— MEERES 


EEchauſpiel der Kinder; fie unterjcheidet jich von den übrigen nur 
„durch die Geringfügigkeit und Naivität ihrer jpielenden Berjonen. 


„Man jieht auf dieſem Theater feinen Cäjar, feinen Alerander: aber 
„wohl die Fliege und die Ameije 20.” — Freilich ; diefe Geringfügig- 


keit der jpielenden Berjonen vorausgejegt, fonnte Batteur mit den 


höhern poetiihen Wejen des de la Motte unmöglich zufrieden feyn. 


- Er verwarf fie alſo, ob er jehon einen guten Theil der beiten Fabeln 


des Alterthums zugleich mit verwerfen mußte; und 309 fih, um den 
fritiihen Anfällen deswegen weniger ausgejegt zu jeyn, unter den 
Schuß der mangelhaften Eintheilung des Aphthonius. Gleich als 


ob Aphthonius der Mann wäre, der alle Gattungen von Fabeln, 


die in feiner Eintheilung nit Pla haben, eben dadurch verdammen 


könnte! Und diefen Mißbrauch einer erichlichenen Autorität, nenne ich 
eben die Heine Tüde, deren fih Batteur in Anjehung des de la 
Motte hier jehuldig gemacht hat. 


Wolf* hat die Eintheilung des Aphthonius gleichfalls bey- 
behalten, aber einen weit edlern Gebraud davon gemacht. Dieje Ein- 


theilung in vernünftige und jittliche Fabeln, meinet er, Klinge 


zwar ein wenig jonderbar; denn man könnte jagen, daß eine jede 
- Fabel ſowohl eine vernünftige als eine fittlihe Fabel wäre. Sittlich 
nehmlich jey eine jede Fabel in jo fern, als fie einer fittlichen Wahr: 
- heit zum Beften erfunden worden; und vernünftig in fo fern, als 
dieſe fittliche Wahrheit der Vernunft gemäß ift. Doch da es einmal 
gewöhnlich jey, diefen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, 
ſo wolle er feine Neuerung machen. Aphthonius habe übrigens bey 


$ 


ſeiner Eintheilung die Abficht gehabt, die Verfchiedenheit der Fabeln 


ganz zu erſchöpfen, und mehr nach diefer Abficht, als nad) den Worten, 


3 
; 


deren er fi) dabey bedient habe, müfje fie beurtheilet werden. Absit 


enim, jagt er — und o, wenn alle Liebhaber der Wahrheit jo billig 
dächten! — absit, ut negemus aceurate cogitasse, qui non satis 
accurate loguuntur. Puerile est, erroris redarguere eum, qui ab 
errore immunem possedit animum, propterea quod parum apta 
- succurrerint verba, quibus mentem suam exprimere poterat. Er 





u 


behält daher die Benennungen der aphthonianiſchen Eintheilung bey, 
- und weis die Wahrheit, die er nicht darinn gefunden, jo jceharflinnig 35 


* Philosoph. practicae universalis Pars post. $. 303. 


or 


10 


15 


20 


25 


30 


458  Gofthold Ephraim Leſſings Jabeln. Vebſt Abhandlungen. 





hinein zu legen, daß fie das vollfommene Anfehen einer richtigen philo— 
jophifchen Eintheilung befümmt. „Wenn wir Begebenheiten erdichten, 


„ſagt er, fo legen wir entweder den Subjecten ſolche Handlungen und 


or 


10 


15 


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25 


30 


35 


„zeidenschaften, überhaupt ſolche Brädicate bey, als ihnen zufommen ; 
„oder wir legen ihnen jolche bey, die ihnen nicht zukommen. In dem 
„eriten Falle heilfen e$ vernünftige Fabel; in dem andern fitt- 
„tie Fabeln; und vermijchte Fabeln heilen es, wenn fie etwas jo 
„wohl von der Eigenschaft der fittlichen als vernünftigen Fabel haben.“ 

Nah diefer Wolfiichen Verbefferung alfo, beruhet die Berjchieden- 
heit der Fabel nicht mehr auf der blofjen Verſchiedenheit der Subjecte, 
fondern auf der Verſchiedenheit der Prädicate, die von dieſen Sub- 
jecten gejagt werden. hr zu Folge kann eine Fabel Menjchen zu 
handelnden Berfonen haben, und dennoch feine vernünftige Fabel 
jeyn; jo wie fie eben nicht nothwendig eine ſittliche Fabel jeyn 
muß, weil Thiere in ihr aufgeführet werden. Die oben angeführte 
Fabel von den zwey kämpfenden Hähnen, Hürde nah den 
Worten des Aphthonius eine fittliche Fabel jeyn, weil fie die 
Eigenjhaften und das Betragen gewiſſer Thiere nachahmet; wie hin 
gegen Wolf den Sinn des Aphthonius genauer bejtimmt hat, 
it fie eine vernünftige Fabel, weil nicht das geringjte von den 
Hähnen darinn gejagt wird, was ihnen nicht eigentlich zufäme. So 
it es mit mehrern: 3. €. der Bogelfteller und die Schlange*; der 
Hund und der Koch**; der Hund und der Gärtner***; der Schäfer 
und der Wolf: lauter Fabeln, die nach der gemeinen Cintheilung 
unter die fittlihen und vermiſchten, nach) der verbeſſerten aber 
unter die vernünftigen gehören. | 

Und nun? Werde ich es bey diejer Eintheilung unjers Welt: 
weifen fönnen bewenden laſſen? Ich weis nicht. Wider ihre logi- 
caliſche Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; fie erjchöpft alles, was 
fie erichöpfen joll. Aber man kann ein guter Dialeftiter jeyn, ohne 
ein Mann von Geihmad zu ſeyn; und das legte war Wolf, leider, 
wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm bier fo gegangen wäre, als er 


* Fab. Aesop. 32. 
** Fabul. Aesop. 84. 
*#* Fab. Aesop. 67. 

7 Fab. Aesop. 71. 





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III. Bon der Eintheilung der Fabeln. 459 





— — — — 


es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar richtig gedacht, 
aber fich nicht jo volllommen gut ausgedrudt hätte, als es befonders 
die Kunftrichter wohl verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in 
welchen den Subjecten Leidenjchaften und Handlungen, überhaupt Prä- 
dDicate, beygelegt werden, deren fie nicht fähig find, die ihnen nicht 
zufommen. Diejes nicht zufommen, kann einen übeln Berjtand 
machen. Der Dichter, kann man daraus fchlieffen, iſt alfo nicht ge— 
halten, auf die Naturen! der Gejchöpfe zu jehen, die er in jeinen 
Fabeln aufführet? Er kann das Schaf verwegen, den Wolf janft- 
müthig, den Ejel feurig vorjtellen; er kann die Tauben als Falken 
brauchen und die Hunde von den Hafen jagen lafjen. Alles dieſes 
kömmt ihnen nicht zu; aber der Dichter macht eine jittliche Fabel, 
und er darf es ihnen beylegen. — Wie nöthig ift es, dieſer gefähr- 
lihen Auslegung, diefen mit einer Ueberſchwemmung der abgeſchmack— 
tejten Mährchen drohenden Folgerungen, vorzubauen! 

Man erlaube mir alfo, mich auf meinen eigenen Weg wieder 
zurücdzumwenden. Ich will den Weltweilen jo wenig als möglich) aus 
dem Gefichte verlieren; und vielleicht fommen wir, am Ende der Bahn, 
zujammen. — Sch habe gejagt, und glaube es erwiejen zu haben, daß 


5 


10 


15 


auf der Erhebung des einzeln Falles zur Wirklichkeit, der wejentliche 20 


Unterfchied der Barabel, oder des Erempels überhaupt, und der 
Fabel beruhet. Dieje Wirklichkeit ift der Fabel jo unentbehrlich, daß 
fie ſich eher von ihrer Möglichkeit, als von jener etwas abbrechen läßt. 
E3 jtreitet minder mit ihrem Weſen, daß ihr einzelner Fall nicht 


jchlechterdings möglich ift, daß er nur nad) gewiſſen Vorausſetzungen, 25 


unter gewiſſen Bedingungen möglich ift, als daß er nicht ala wirf- 
(ich vorgeftellt? werde. In Anjehung diefer Wirklichkeit folglich, ift 
die Fabel feiner Berjchievenheit fähig; wohl aber in Anjehung ihrer 
Möglichkeit, welche fie veränderlich zu jeyn erlaubt. Nun ift, wie ge— 


jagt, diefe Möglichkeit entweder eine unbedingte oder bedingte Mög- 30 


lichkeit; der einzelne Fall der Fabel ift entweder jchlechterdings möglich, 
oder er ift es nur nach gewillen Vorausjeßungen, unter gemwiljen Be— 
dingungen. Die Fabeln alfo, deren einzelner Fall jchlechterdings mög: 
(ih ift, will ich (um gleichfalls bey den alten Benennungen zu bleiben) 


vernünftige Kabeln nennen; Fabeln hingegen, wo er es nur nad) 35 





1 Naturn [1759 a] 2 vorgeftellet [1759 b] 


460  Goffhold Ephraim Telfinge Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





gewiljen Borausfegungen iſt, mögen jittliche heißen. Die ver- 
nünftigen Fabeln leiden feine fernere Unterabtheilung; die jitt- 
lichen aber leiden fie. Denn die VBorausjeßungen betreffen entweder 
die Subjecte der Fabel, oder die Prädicate diefer Subjecte: der Fall 
5der Fabel ijt entweder möglich, vorausgejegt, daß dieſe und jene 
Weſen erijtiren; over er ift es, vorausgejeßt, daß dieſe und jene wirk- 
lich eriftivende Wejen (nicht andere Eigenjchaften, als ihnen zukommen; 
denn ſonſt würden fie zu anderen! Weſen werden, jondern) die ihnen 
wirklich zukommenden? Eigenfchaften in einem höhern Grade, in 

10 einem weitern Umfange bejigen. Jene Fabeln, worinn die Subjecte 
vorausgejegt werden, wollte ih mythiſche Fabeln nennen; und Dieje, 
worinn nur erhöhtere Eigenichaften wirklicher Subjecte angenommen 
werden, würde ich, wenn ich das Wort anders wagen darf, hyper— 
phyſiſche Fabeln nennen. — 

15 Ich will diefe meine Eintheilung noch durch einige Beyipiele er- 
läutern. Die Fabeln,? der Blinde und der Lahme; die zwey Fämpfenden 
Hähne; der Bogeliteller und die Schlange; der Hund und der Gärtner, 
find lauter vernünftige Kabeln, ob ſchon bald lauter Thiere, bald 
Menichen und Thiere darinn vorkommen; denn der darinn enthaltene 

20 Fall iſt ſchlechterdings möglich, oder mit Wolfen zu reden, es wird 
den Subjecten nichts darinn beygelegt, was ihnen nicht zufomme. — 
Die Fabeln, Apollo und Jupiter*; Herkules und Plutus**; die ver- 
ichiedene Bäume in ihren befondern Schuß nehmende Götter ***; 


furz alle Fabeln, die aus Gottheiten, aus allegoriihden PBerjonen, aus 
25 Geiftern und Gejpenftern, aus andern erdichteten Wejen, dem Phoenie 
3. E. beſtehen, find fittliche Fabeln, und zwar mythiſch jittlihe; 


denn es wird darinn vorausgejegt, daß alle diefe Wejen erijtiren over 
eriftiret haben, und der Fall, den fie enthalten, ift nur unter diejer 
Vorausſetzung möglih. — Der Wolf und das Lamm; der Fuchs 
30 und der Storch; die Natter und die Feileyjj; die Bäume und 
* Fab. Aesop. 187. | 
** Phaedrus libr. IV. Fab. 11. 
**=* Phaedrus libr. III. Fab. 15. 
f Phaedrus libr. I. Fab. 1. 
35 tr Phaedrus libr. I. Fab. 25. 
irr Phaedrus libr. IV. Fab. 7. 


1 andere [1759a] andern [1759 b] 2 zufommende [1759b] 3 Die Fabel, [1759. 1777] 











II. Bon der Einfheilung der Fabeln. 461 





der Dornjtrauh*; der Delbaum und das Rohr 2c.** find gleichfalls 
jittlihe, aber hyperphyſiſch fittliche Kabeln; denn die Natur 
diejer wirklichen Wejen wird erhöhet, die Schranken ihrer Fähigkeiten 
werden erweitert. Eines muß ich bierbey erinnern! Man bilde fich 
nicht ein, daß dieſe Gattung von Fabeln fich bloß auf die Thiere, und 5 
andere geringere Gejchöpfe einjchränfe: der Dichter fann auch die Natur 
des Menſchen erhöhen, und die Schranken jeiner Fähigkeiten er- 
weitern. Eine Fabel 3. E. von einem Bropheten würde eine hyper— 
phyſiſch jittliche Fabel jeyn; denn die Gabe zu prophezeyen, kann 
dem Menjchen bloß nach einer erhöhtern Natur zufommen. Oder wenn 10 
man die Erzehlung von den himmelftürmenden Rieſen, als eine äſopiſche 
Fabel behandeln und fie dahin verändern wollte, daß ihr unfinniger 
Bau von Bergen auf Bergen, endlich von jelbit zufammen ftürzte und 
jie unter den Ruinen begrübe: jo würde feine andere als eine hyper— 
phyſiſch ſittliche Fabel daraus werden fünnen. 15 
Aus den zwey Hauptgattungen, der vernünftigen und fitt- 
lien Fabel, entjtehet auch bey mir eine vermijchte Gattung, wo 
nehmlich der Fall zum Theil jchlechterdings, zum Theil nur unter ges 
willen Vorausfegungen möglih ift. Und zwar können diefer ver- 
miſchten Fabeln dreyerley jeyn; die vernünftig mythijche 20 
Fabel, als Herkules und der Kärner”**, der arme Mann und der 
Todr; die vernünftig hyperphyſiſche Fabel, als der Holz- 


Schläger und der Fuhsyj, der Jäger und der Löwe; und end- 


ih die hyperphyſiſch mythiſche Fabel, als Jupiter und das 
Kameel*F, Jupiter und die Schlange ꝛc. **. 25 
Und dieſe Eintheilung erjchöpft die Mannigfaltigfeit der Fabeln 
ganz gewiß, ja man wird, hoffe ich, Feine anführen können, deren 
Stelle, ihr zu Folge, zweifelhaft bleibe, welches bey allen andern Ein- 
theilungen geſchehen muß, die ſich bloß auf die Verichiedenheit der 


* Fab. Aesop. 313. 30 
** Fabul. Aesop. 143. 

tk Fabul. Aesop. 336. 
7 Fabul. Aesop. 20. 

fr Fabul. Aesop. 127, 

rr Fabul. Aesop. 280, 35 
*7 Fabul. Aesop. 197. 

**. Fabul. Aesop. 189. 


462 Gofihold Ephraim Teffings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





handelnden Perſonen beziehen. Die Breitingerſche Eintheilung ift 
davon nicht ausgeſchloſſen, ob Er ſchon dabey die Grade des Wunder- 


. baren zum Grunde gelegt bat. Denn da bey ihm die Grade des 


10 


15 


20 


25 


30 


35 


MWunderbaren, wie wir gejehen haben, größten Theils, auf die Be- 
Ichaffenheit der handelnden Perſonen ankommen, jo Elingen feine Worte 
nur gründlicher, und er tft in der That in die Sache nichts tiefer 
eingedrungen. „Das Wunderbare der Fabel, jagt er, hat jeine ver- 
„\&tedene Grade — Der nievrigite Grad des Wunderbaren findet ich 
„in derjenigen Gattung der Fabeln, in welchen ordentliche Menjchen 
„aufgeführet werden — Weil in denjelben das Wahrjcheinliche über 
„das Wunderbare weit die Oberhand bat, jo können fie mit Fug 
„wahrſcheinliche, oder in Abſicht auf die Perſonen menſchliche 
„zabeln benennet werden. Ein mehrerer Grad des Wunderbaren 


„äuſſert fich in derjenigen Glafje der Fabeln, in welchen ganz andere 


„als menjchlihe Perſonen aufgeführet werden. — Dieje find entweder 
„von einer vortrefflihern und höhern Natur, als die menſchliche it, 
„z. E. die heidniſchen Gottheiten; — oder fie find in Anſehung ihres 
„Urſprungs und ihrer natürlichen Gejchidlichkeit von einem geringern 
„Rang als die Menjchen, als 3. E. die Thiere, Pflanzen 2c. — Weil 
„in diefen Fabeln das Wunderbare über das Wahrjcheinlihe nad 
„verichiedenen Graden herrichet, werden fie deswegen nicht unfüglich 
„wunderbare, und in Abjicht auf die Perſonen entweder gött— 


„liche oder thieriſche Fabeln genennt —“ Und die Fabel von den 
zwey Töpfen; die Fabel von den Bäumen und dem Dornftraude? 
Sollen die auch thieriſche Fabeln heißen? Oder jollen fie, und 
ihres gleichen, eigne Benennungen erhalten? Wie jehr wird diefe 
Namenrolle anwachſen, befonders wenn man auch alle Arten der ver 


miſchten Gattung benennen ſollte! Aber ein Erempel zu geben, vo 


man, nach dieſer Breitingerſchen Eintheilung, oft zweifelhaft jeyn | 


fann, zu welcher Clafje man dieſe oder jene Fabel rechnen joll, jo bes 
trachte man die ſchon angeführte Fabel, von dem Gärtner und jeinem 
Hunde, oder die noch befanntere, von dem Adersmanne und der Schlange; 
aber nicht jo wie fie Phädrus erzehlet, jondern wie fie unter den 


griechiichen Fabeln vorfömmt. Beyde haben einen jo geringen Grad 


des Wunderbaren, daß man fie nothwendig zu den wahrjcheinlichen, 


das ift menſchlichen Fabeln, rechnen müßte. In beyden aber kommen 


a en ua ae 


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J 








II. Bon der Einfheilung der Fabeln. 463 


— — — — — — 


auch Thiere vor; und in Betrachtung dieſer würden fie zu den ver- 
miſchten Fabeln gehören, in welchen das Wunderbare weit mehr 


über das Wahrjcheinliche herrſcht, als in jenen. Folglich würde man 
erit ausmachen müfjen, ob die Schlange und der Hund hier als han- 


delnde Perſonen der Fabel anzujehen wären oder nicht, ehe man der 


Fabel jelbjt ihre Clafje anweijen könnte. 

Sch will mich bey diejen Kleinigkeiten nicht länger aufhalten, 
jondern mit einer Anmerkung jehlieffen, die fich überhaupt auf die 
hyperphyſiſchen Fabeln beziehet, und die! ich, zur richtigern Bes 
urtheilung einiger von meinen eigenen Verjuchen, nicht gern anzu— 
bringen vergefjen möchte. — Es iſt bey dieſer Gattung von Fabeln 
die Frage, wie weit der Fabulift die Natur der Thiere und andrer 


niedrigern Gejchöpfe erhöhen, und wie nahe er fie der menschlichen 


Natur bringen dürffe? Ich antworte kurz: jo weit, und jo nahe er 


immer will. Nur mit der einzigen Bedingung, daß aus allem,? was 


er fie denfen, reden, und handeln läßt, der Charakter hervoricheine, 


- um dejjen willen er fie jeiner Abficht bequemer fand, als alle andere 
Individua. Sit dieſes; denken, reden und thun fie durchaus nichts, 
was ein ander Individuum von einem andern, oder gar ohne Charakter, 
eben jo gut denfen, reden und thun fönnte: jo wird uns ihr Betragen 
- im geringsten nicht befremden, wenn e3 auch noch jo viel Witz, Scharf: 
ſinnigkeit und Vernunft vorausfegt. Und wie könnte es auch? Haben 
- wir ihnen einmal Freyheit und Sprache zugejtanden, jo müſſen wir 
ihnen zugleih alle Modificationen des Willens und alle Erfenntnifje 
zugeſtehen, die aus jenen Eigenschaften folgen können, auf welchen 
| unjer Vorzug vor ihnen einzig und allein beruhet. Nur ihren Charakter, 
- wie gejagt, müfjen wir durch die ganze Fabel finden; und finden wir 


dieſen, jo erfolgt die Illuſion, daß es wirkliche Thiere find, ob wir 


| fie gleich reden hören, und ob fie gleich noch jo feine Anmerkungen, 
noch jo Iharffinnige Schlüſſe machen. Es ijt unbejchreiblich, wie viel 
 Sophismata non causae ut causae die KRunftrichter in diefer Materie 


| 
| 
j 


- gemacht haben. Unter andern der Verfafjer der Critiſchen Briefe, 
wenn er von feinem Hermann Arel jagt: „Daher jchreibt er auch 


„den unvernünftigen Thieren, die er aufführt, niemals eine Reihe von 


„Anſchlägen zu, die in einem Syſtem, in einer Verknüpfung jtehen, 





1 die [fehlt 1759] ? allen, [1750] 


or 


10 


15 


20 


25 


30 


35 


10 


15 


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464  Gofthol® Ephraim Leſſings Yabeln. Bebf Abhandlungen. 


„und zu einem Endzwede von weiten! her angeordnet find. Denn 
„dazu gehöret eine Stärke der Bernunft, welche über den Inſtinkt ift. 
„Ihr Inſtinkt giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Vernunft 
„von fich, die fich nicht lange empor halten fann. Aus dieſer Urjache 
„werden dieſe Fabeln mit Thierperfonen ganz kurz, und beitehen nur 
„aus einem jehr einfachen Anjchlage, oder Anliegen. Sie reichen nicht 
„zu, einen menjchlichen Charakter in mehr als einem Lichte vorzuftellen; 
„a der Fabulift muß zufrieden jeyn, wenn er nur einen Zug eines 
„Charakters voritellen fann. Es iſt eine ausjchweifende Idee des Vater 
„Boſſue, daß die aejopiiche Fabel ſich in dielelbe Länge, wie die 
„epische Fabel ausdehnen lafje. Denn das fann nicht gejchehen, es jey 
„venn, daß man die Thiere nichts von den Thieren behalten laſſe, 
„sondern fie in Menfchen verwandle, welches nur in poffirlichen Ges 
„dichten angehet, wo man die Thiere mit gewiſſem Vorſatz in Masten 
„aufführet, und die Verrichtungen der Menſchen nachäffen läßt 20.” — 
Wie fonderbar ift hier das aus dem Weſen der Thiere hergeleitet, 
was der Kunftrichter aus dem Weſen der anjchauenden Erfenntnig, 
und aus der Einheit des moralifchen Lehrjfages in der Fabel, hätte 
herleiten jollen! Sch gebe es zu, daß der Einfall des Vater Boſſue 
nichts taugt. Die aefopifche Fabel, in die Länge einer epiichen Fabel 
ausgedehnet, höret auf eine aeſopiſche Fabel zu jeyn; aber nicht des— 


‚wegen, weil man den Thieren, nachdem man ihnen Freyheit und 


Sprache ertheilet hat, nicht auch eine Folge von Gedanken, dergleichen 


die Folge von Handlungen in der Epopee erfordern. würde, ertheilen 


5 dürfte; nicht deswegen, weil die Thiere alsdenn zu viel menſchliches 


haben würden: jondern deswegen, weil die Einheit des moraliichen 
Lehrjages verlohren gehen würde; weil man vielen Lehrſatz in der 
Fabel, deren Theile jo gewaltiam auseinander gedehnet und mit fremden 
Theilen vermifcht worden, nicht länger anjchauend erfennen würde, 


30 Denn die anfchauende Erfenntniß erfordert unumgänglid, daß wir den 


einzeln Fall auf einmal überjehen können; können wir es nicht, weil 
er entweder allzuviel Theile hat, oder jeine Theile allzuweit auseinander 
liegen, jo kann auch die Intuition des Allgemeinen nicht erfolgen. 
Und nur diefes, wenn ich nicht ſehr ivre, ift der wahre Grund, warum 





5 man es dem dramatijchen Dichter, noch williger aber dem Epopeen=’ 


1 yon Weiten [1759] 


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ie A 1 el Zu A en u ne 


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— 


III. Von der Eintheilung der Jabeln. 465 








dichter, erlaſſen hat, in ihre Werke eine einzige Hauptlehre zu legen. 
Denn was hilft es, wenn ſie auch eine hineinlegen? Wir können ſie 
doch nicht darinn erkennen, weil ihre Werke viel zu weitläuftig ſind, als 
daß wir ſie auf einmal zu überſehen vermöchten. In dem Squelette 
derſelben müßte ſie ſich wohl endlich zeigen; aber das Squelett gehöret 
für den kalten Kunſtrichter, und wenn dieſer einmal glaubt, daß eine 
ſolche Hauptlehre darinn liegen müſſe, ſo wird er ſie gewiß heraus— 
grübeln, wenn ſie der Dichter auch gleich nicht hinein gelegt hat. Daß 
übrigens das eingeſchränkte Weſen der Thiere von dieſer nicht zu er— 
laubenden Ausdehnung der aeſopiſchen Fabel, die wahre Urſach nicht 
jey, hätte der kritiſche Briefjteller gleich daher abnehmen fönnen, 
weil nicht bloß die thierijche Fabel, jondern auch jede andere aejopiiche 
Fabel, wenn fie jhon aus vernünftigen Weſen beftehet, derſelben un- 
fähig ift. Die Fabel von dem Lahmen und Blinden, oder von dem 
armen Mann! und dem Tode, läßt fich eben jo wenig zur Yänge des 
epijchen Gedichts erjtreden, als die Fabel von dem Lamme und dem 
Wolfe, oder von dem Fuchje und dem Naben. Kann es aljo an der 
Natur der Thiere liegen? Und wenn man mit Beyfpielen jtreiten 
wollte, wie viel ſehr gute Fabeln ließen fich ihm nicht entgegen jegen, 
in welchen den Thieren weit mehr, als flüchtige und dunkle 
Strahlen einer Vernunft beygelegt wird, und man fie ihre An— 
ichläge ziemlih von weiten? ber zu einem Endzwede anwenden 
fiehet. 3. E. der Adler nd der Käfer*; der Adler, die Kate und 
das Schwein ac. ** 

Unterdejjen, dachte ich einsmals bey mir jelbjt, wenn man dem 
ohngeachtet eine aejopifche Fabel von einer ungewöhnlichen Länge machen 
wollte, wie müßte man e8 anfangen, daß die igtberührten Unbequem— 
lichkeiten diejer Länge wegfielen? Wie müßte unjer Neinide Fuchs 
ausjehen, wenn ihm der Name eines aejopijchen Heldengedichts zukommen 
jollte? Mein Einfall war diefer: Vors erjte müßte nur ein einziger 


müßten die vielen und mannigfaltigen Theile diejes Ganzen, unter 





gewijje Haupttheile gebracht werden, damit man fie wenigjtens in diejen 
* Fab. Aesop, 2. 
** Phaedrus libr. II. Fab. 4. 
1 Manne [1759] ? von weiten [1759] 
Lejfing, jämtlibe Schriften. VII, 30 


or 


10 


15 


20 


25 


moraliiher Sat in dem Ganzen zum Grunde liegen; vors zweyte 


466  Gofthold Ephraim Tellings Jabeln. Bebf Abhandlungen. 








Haupttheilen auf einmal überjehen könnte; vors dritte müßte jeder 
diefer Haupttheile ein bejonders Ganze, eine für fich bejtehende Fabel 
jeyn können, damit das große Ganze aus gleichartigen Theilen beſtünde. 
Es müßte, um alles zufammenzunehmen, der allgemeine moralijche 


5 Sag in feine einzelne Begriffe aufgelöjfet werden; jeder von dieſen 


10 


15 


20 


30 


einzelnen Begriffen müßte in einer bejondern Fabel zur Intuition ge 
bracht werden, und alle dieſe bejondern Fabeln müßten zufammen nur 
eine einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Reinide Fuchs von 
diefen Nequifitis! Am beiten aljo, ich mache jelbjt die Probe, ob ſich 
mein Einfall auch wirklich ausführen läßt. — Und nun urtheile man, 
wie dieſe Probe ausgefallen ift! ES ift die jehzehnte Fabel meines 
dritten Buchs, und heißt die Gejhichte des alten Wolf, in 
jieben Fabeln. Die Lehre welche in allen fieben Fabeln zujammen- 
genommen liegt, ijt diefe: „Man muß einen alten Böjewicht nicht auf 
„das äußerte bringen, und ihm alle Mittel zur Befjerung, jo jpät und 
„erzwungen jie auch jeyn mag, benehmen.“ Diejes Aeuſſerſte, dieje 
Benehmung aller Mittel zerjtücdte ich; machte verjchiedene mißlungene 
Verſuche des Wolfs daraus, des gefährlichen Raubens künftig müßig 
gehen zu können; und bearbeitete jeden diejer Verſuche als eine be- 
jondere Fabel, die ihre eigene und mit der Hauptmoral in feiner Ver— 
bindung ftehende Lehre hat. — Was ich hier bis auf fieben, und mit 
dem Rangftreite der Thiere auf vier Fabeln, gebracht habe, 
wird ein andrer mit einer andern noch fruchtbarern Moral leicht auf 
mehrere bringen fönnen. Sch begnüge mich, die Möglichkeit gezeigt 
zu haben. 


IV. 
Bon dem Borfrage der Habeln. 

Wie foll die Fabel vorgetragen werden? Sit hierinn Aeſopus, 
oder ift Phädrus, oder ift la Fontaine das wahre Mujter? 

Es ift nicht ausgemacht, ob Aeſopus jeine Fabeln jelbit auf- 
geichrieben, und in ein Buch zufammengetragen hat. Aber das it jo 
gut als ausgemaht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch feine 
einzige davon durchaus mit feinen eigenen Worten auf ung gefommen 
ift. Sch verftehe alſo bier die allerihönften Fabeln in den verjchiedenen 


35 griechifchen Sanımlungen, welchen man feinen Namen vorgejeßt hat. 


IV. Bon dem Borfrage der Fabeln. 467 
Nach diejen zu urtheilen, war jein Vortrag von der äußerjten Präcilion ; 
er hielt fich nirgends bey Beichreibungen auf; er kam fogleich zur 
Sache und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte fein 
Mittel zwijchen dem Nothwendigen und Unnützen. So dharakterifirt 
ihn de la Motte; und richtig. Dieje Präcifion und Kürze, worinn 
er ein jo großes Mufter war, fanden die Alten der Natur der Fabel 
auch jo angemejien, daß fie eine allgemeine Regel daraus machten. 
Theon unter andern dringet mit den ausdrüdlichiten Worten darauf. 

Auch Phädrus, der fi vornahm die Erfindungen des Aeſo— 
pus in Verjen auszubilden, hat offenbar den feſten Vorſatz gehabt, 
fih an dieſe Regel zu halten; und wo er davon abgefommen ift, 
jcheinet ihn das Sylbenmaaß und der poetifchere Styl, in welchen uns 
auch das allerfimpelite Sylbenmaaß wie unvermeidlich verjtrict, gleich- 
fam wider jeinen Willen davon abgebracht zu haben. 

Aber la Fontaine? Diejes jonderbare Genie! La Fon- 
taine! Nein wider ihn jelbjt habe ich nichts; aber wider jeine Nach: 
ahmer; wider feine blinden Berehrer! La Fontaine kannte die 
Alten zu gut, als daß er nicht hätte willen follen, was ihre Mufter 
und die Natur zu einer volllommenen Fabel erforderten. Er wußte 
es, daß die Kürze die Seele der Fabel jey; er geitand es zu, daß es 
ihr vornehmiter Schmud jey, ganz und gar feinen Schmud zu haben. 
Er befannte* mit der liebenswürdigiten Aufrichtigfeit, „daß. man die 
„zierliche Präciſion und Die aufjerordentlihe Kürze, durch die fich 
„Phädrus jo jehr empfehle, in feinen Fabeln nicht finden werde. 
„Es wären diejes Eigenjchaften, Die zu erreichen, ihn feine Sprache 
‚zum Theil verhindert hätte; und bloß deswegen, weil er den Phä— 
„drus darinn nicht nahahmen können, habe er geglaubt, qu’il falloit 
„en recompense egayer l’ouvrage plus qu’il n’a fait.“ Alle die 
Luftigfeit, jagt er, durch die ich meine Fabeln aufgeſtützt habe, joll 
weiter nichtS als eine etwanige Schadloshaltung für wejentlichere Schön: 
heiten jeyn, die ich ihnen zu ertheilen zu unvermögend gewejen bin. — 
Welch Belenntnig! In meinen Augen macht ihm dieſes Befenntnif 
mehr Ehre, als ihm alle jeine Fabeln machen! Aber wie wunderbar 
ward es von dem franzöfiichen Bublico aufgenommen! Es glaubte, 


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n 


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la Fontaine wolle ein bloßes Compliment machen, und hielt die 35 


* Sn der Vorrede zu jeinen Fabeln. 


468 Goffhold Ephraim. Iellings Fabeln. Bebff Abhandlungen. 





Schadloshaltung unendlich höher, als das, wofür fie geleiftet war. 
Kaum Eonnte! e8 auch anders jeyn; denn die Schadloshaltung hatte 


allzuviel veigendes für Franzojen, bey welchen nichts über die Luftig- 


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30 


feit gehet. Ein wigiger Kopf unter ihnen, der hernach das Unglüd 
hatte, hundert Jahr witzig zu bleiben*, meinte fo gar, la Fontaine 
habe fich aus bloßer Albernheit (par betise) dem Phädrus nad 
gejeßt,; und de la Motte jchrie über diefen Einfall: mot plaisant, 
mais solide! | 
Unterdejien, da la Fontaine jeine Iuftige Schwazhaftigfeit, 
duch ein fo großes Mufter, als ihm Phädrus ſchien, verdammt 
glaubte, wollte er doch nicht ganz ohne Bededung von Seiten des 
Alterthums bleiben. Er ſetzte alfo hinzu: „Und meinen Fabeln dieje 
„Luſtigkeit zu ertheilen, habe ich um fo viel eher wagen dürfen, da Duin= 
„tilian lehret, man könne die Erzehlungen nicht Iuftig genug machen 


5 „(egayer). Ich brauche feine Urſache hiervon anzugeben; genug, daß 


„es Duintilian jagt.” — Ich habe wider dieje Autorität zweyerley 
zu erinnern. Es ift wahr, Duintilian jagt: Ego vero narrationem, 
ut si ullam partem orationis, omni, qua potest, gratia et venere 
exornandam puto**; und dieſes muß die Stelle jeyn, worauf fid 
(a Fontaine ftüget. Aber ift diefe Grazie, diefe Venus, die er 
der Erzehlung jo viel als möglih, obdgleih nach Maaßgebung der 
Sache ***, zu ertheilen befiehlet, ift diejes Luftigfeit? Ich Jollte 
meinen, daß gerade? die Lujtigfeit Dadurch ausgejchlofien werde. Doch 
der Hauptpunkt ift bier dieſer: Duintilian redet von der Erzehlung 
des Facti in einer gerichtlichen Rede, und was er von Diejer jagt, 
ziehet la Fontaine, wider die ausdrüdliche Regel der Alten, auf 
die Fabel. Er hätte dieſe Negel unter andern bey dem Theon finden 
fönnen. Der Griehe redet von dem Vortrage der Erzehlung in Der 
Chrie, — wie plan, wie furz muß die Erzehlung in einer Chrie jeyn! 
— und jeßt hinzu: Ev de roıg uvdoıg arılovsegav ımv Egumvsav 
Eivaı dEL zaı TTOOOPUN' Kal WS ÖVVATOV, AXATAOZEVOV TE 2a 0@PM: 


* Fontenelle. 
** Quinctilianus Inst. Orat. lib. IV. cap. 2. 
*** Sed plurimum refert, quae sit natura ejus rei, quam exponimus. 
Idem, ibidem. 





1 fönte [70. Litteraturbrief] ? grabe [1759a] 


IV. Von dem Borfrage der Fabehr. 469 





Die Erzehlung der Fabel joll noch planer jeyn, fie ſoll zujammen- 
gepreßt, jo viel als möglich ohne alle Zierrathen und Figuren, mit 
der einzigen Deutlichkeit zufrieden jeyn. 

Dem la Fontaine vergebe ich den Mißbrauch diejer Autorität 
des Duintilians gar gern. Man weis ja, wie die Franzojen über- 
haupt die Alten lefen! Lejen fie doch ihre eigene Autores mit der 
unverzeihlichiten Flatterhaftigkeit. Hier ift gleich ein Erempel! De la 
Motte jagt von dem la Fontaine: Tout Original qu’il est dans 
les manieres, il etoit Admirateur des Anciens jusqu’a la preven- 
tion, comme s’ils eussent 6t6 ses modeles. La brievete, dit-il, 
est lame de la Fable, et il est inutile d’en apporter des raisons; 
c'est assez que Quintilien Vait dit*. Man kann nicht verftümmelter 
anführen, al$ de la Motte hier den la Fontaine anführet! La 
Fontaine legt es einem ganz andern Kunftrichter in den Mund, 
daß die Kürze die Seele der Fabel jey, oder jpricht es vielmehr in 
feiner eigenen Perſon; er beruft fich nicht wegen der Kürze, jondern 
wegen der Munterfeit, die in den Erzehlungen herrſchen folle, auf das 
Zeugniß des Duintilians, und würde ſich wegen jener jehr jchlecht 
auf ihn berufen haben, weil man jenen Ausspruch nirgend bey ihm findet. 

Ich komme auf die Sache jelbit zurüd. Der allgemeine Beyfall, 
ven la Fontaine mit feiner muntern Art zu erzehlen erhielt, machte, 
daß man nach und nach die aejopijche Fabel von einer ganz andern 
Seite betrachtete, als fie die Alten betrachtet hatten. Bey den Alten 
gehörte die Fabel zu dem Gebiethe der Philojophie, und aus diejem 
hohlten fie die Yehrer der Redekunſt in das ihrige herüber. Ariftoteles 
hat nicht in jeiner Dichtkunft, ſondern in jeiner Rhetorik davon ge- 
handelt; und was Aphthonius und Theon davon jagen, das 
jagen ſie gleichfall3 in VBorübungen der Rhetorik. Auch bey den 
Keuern muß man das, was man von der aejopijchen Fabel willen will, 


durchaus in Rhetoriken juchen; bis auf die Zeiten des la Fontaine. : 


Ihm gelang es die Fabel zu einem anmuthigen poetifchen Spielwerfe 
zu machen; er bezauberte; er befam eine Menge Nachahmer, die den 
Kamen eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können glaubten, 
als durch ſolche in Iuftigen Verſen ausgedehnte und gewäſſerte Kabeln; 


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DO 
or 


die Lehrer der Dichtkunſt griffen zu; die Lehrer der Nedefunft ließen 35 


* Discours sur la Fable p. 17, 


l 


470 Golkhold Ephraim Kellings Fabeln. Bebf Abhandlungen. 





den Eingriff gejchehen; dieſe hörten auf, die Fabel als ein ficheres 
Mittel zur lebendigen Ueberzeugung anzupreijen; und jene fingen dafür 
an, fie als ein Kinderjpiel zu betrachten, das fie jo viel als möglich) 
| sen uns lehren müßten. — So ftehen wir noch! — 

Ein Mann, der aus der Schule der Alten kömmt, wo ihm jene 
Egumvasıa araraoxevog der Fabel jo oft empfohlen worden, fann der 
wijjen, woran er ift, wenn er 3. ©. bey dem Batteur ein langes 
Verzeichniß von Zierrathen liejet, deren die Erzehlung der Fabel fähig 
jeyn joll? Er muß voller Verwunderung fragen: jo bat fich denn 
bey den Neuern ganz das Weſen der Dinge verändert? Denn alle 
dieje Zierrathen ftreiten mit dem wirklichen Wejen der Fabel. Ich 
will es beweijen. 

Wenn ih mir einer — Wahrheit durch die Fabel be— 
wußt werden ſoll, jo muß ich die Fabel auf einmal überſehen können; 
5 und um fie auf einmal überjehen zu fünnen, muß fie jo kurz — 
als möglich. Alle Zierathen aber ſind dieſer Kürze entgegen; denn 
ohne ſie würde ſie noch kürzer ſeyn können: folglich ſtreiten alle Zie— 
rathen, in ſo fern ſie leere Verlängerungen ſind, mit der Abſicht der 
Fabel. 

3. E. Eben mit zur Erreichung dieſer Kürze, braucht die Fabel 
gern die allerbefanntejten Thiere,; damit fie weiter nichts als ihren 
einzigen Namen nennen darf, um einen ganzen Charakter zu ſchildern, 
um Eigenſchaften zu bemerken, die ihr ohne diefe Namen allzuviel 
Worte foften würden. Nun höre man den Batteur: „Diejfe Zie— 
5 „rathen beſtehen Erftlich in Gemählden, Bejchreibungen, Zeichnungen 
„der Derter, der Perſonen, der Stellungen.” — Das heißt: Man 
muß nicht jchlechtweg 3. E. ein Fuchs jagen, jondern man muß 
fein jagen: 

Un vieux Renard, mais des plus fins, 

(srand croqueur de poulets, grand preneur de lapins, 

Sentant son Renard d’un lieue etc. 

Der Fabulift braudet! Fuhs, um mit einer einzigen Sylbe ein 
indiviouelles Bild eines witigen Schalfs zu entwerfen; und der Poet 
will lieber von diefer Bequemlichkeit nichts willen, will ihr entjagen, 
ehe man ihm die Gelegenheit nehmen fol, eine Iuftige Bejchreibung 


1 brauchte [1759. 1777] 





IV. Bon dem Borfrage der Fabeln. 471 


von einem Dinge zu machen, defjen ganzer Vorzug hier eben diejer 
it, daß es feine Bejchreibung bedarf. 

Der Fabulift will in Einer Fabel nur Eine Moral zur Intuition 
bringen. Er wird es aljo jorgfältig vermeiden, die Theile derjelben 
jo einzurichten, daß fie uns Anlaß geben, irgend eine andere Wahrheit 
in ihnen zu erfennen, als wir in allen Theilen zufammen genommen 
erkennen jollen. Bielweniger wird er eine folche fremde Wahrheit mit 
ausdrüdlichen Worten einfließen lajjen, damit er unjere Aufmerkſamkeit 
nicht von feinem Zwede abbringe, oder wenigſtens jchwäche, indem er 
fie unter mehrere allgemeine moralifhe Sätze theilet. — Aber Bat- 
teur, was jagt der? „Die zweyte Zierath, jagt er, beitehet in den Ge- 
„danken; nehmlih in jolchen Gedanken, die hervorjtehen, und ſich 
„von den übrigen auf eine befondere Art unterjcheiden.“ 

Nicht minder widerfinnig ift jeine Dritte Zierath, die Allujion 
— Dod wer jtreitet denn mit mir? Batteur jelbjit geiteht es ja 
mit ausdrüdlihen Worten, „daß dieſes nur Zierathen jolcher Erzeh— 
„lungen find, die vornehmlich zur Beluftigung gemacht werden.“ Und 
für eine joldhe Erzehlung hält er die Fabel? Warum bin ich jo eigen- 
finnig, fie auch nicht dafür zu halten? Warum habe ih nur ihren 
Nusen im Sinne? Warum glaube ih, daß dieſer Nutzen jeinem 
Wejen nah ſchon anmuthig genug iſt, um aller fremden Annehmlich— 
feiten entbehren zu können? Freylich geht es dem la Fontaine, 
und allen jeinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem Bo— 
gen*; der Mann wollte, daß jein Bogen mehr als glatt jey; er ließ 
Zierathen darauf ſchnitzen; und der Künftler verjtand jehr wohl, was 
für Zierathen auf einen Bogen gehörten; er jchnigte eine Jagd darauf: 
nun will der Mann den Bogen verfudhen, und er zerbricht. Aber war 
das die Schuld des Künjtlers? Wer hieß den Mann, jo wie zuvor, 
damit zu jchießen? Er hätte den gejchnigten Bogen nunmehr fein in 
jeiner Rüftlammer aufhängen, und jeine Augen daran weiden jollen ! 
Mit einem ſolchen Bogen jchiegen zu wollen! — Freylich würde nun 
auch Plato, der die Dichter alle mit jamt ihrem Homer, aus feiner 
Republik verbannte, dem Aejopus aber einen rühmlichen Platz darinn 


vergönnte, freylich würde auch Er nunmehr zu dem Aeſopus, jo wie 


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ihn la Fontaine verkleidet hat, jagen: Freund, wir fennen einander 35 


* ©. die erite Fabel des dritten Buche. 


472 Golthold Ephraim Telfings Fabeln. Beblt Abhandlungen. 








nicht mehr! Geh auch du deinen Gang! Aber, was geht es uns an, 
was jo ein alter Grillenfänger, wie Blato, jagen würde? — 
Vollkommen richtig! Unterdeſſen, da ich jo jehr billig bin, hoffe 
ih, daß man es auch einigermaaßen gegen mich jeyn wird. Sch habe 
die erhabene Abficht, die Welt mit meinen Fabeln zu belujftigen, 
leider nicht gehabt; ich hatte mein Augenmerk nur immer auf dieje 
oder jene Sittenlehre, die ich, meijtens zu meiner eigenen Erbauung, 


gern in bejondern Fällen überjehen wollte, und zu diefem Gebrauche 


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m 
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19] 


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glaubte ich meine Erdichtungen nicht kurz, nicht troden genug aufjchreiben 
zu können. Wenn ich aber ist die Welt gleich nicht belujtige; jo könnte 
fie doch mit der Zeit vielleicht durch mich beluftiget werden. Man er- 
zehlt ja die neuen Fabeln des Abjtemiug, eben jowohl als die alten 
Fabeln des Aeſopus in Verjen; wer weis was meinen Fabeln auf- 
behalten it, und ob man auch fie nicht einmal mit aller möglichen 
Luftigfeit erzehlet, wenn ſie jih anders durch ihren innern Werth eine 
Zeitlang in dem Andenken der Welt erhalten? In diefer Betrachtung 
aljo, bitte ich vorigo mit meiner Proſa — 

Aber ich bilde mir ein, daß man mich meine Bitte nicht einmal 
ausjagen läßt. Wenn ich mit der allzumuntern, und leicht auf Um: 
wege führenden Erzehlungsart des la Fontaine nicht zufrieden war, 
mußte ich darum auf das andere Ertremum verfallen? Warum wandte 
ich mich nicht auf die Mittelitrafle des Phädrus, und erzehlte in 
der zierlihen Kürze des Nömers, aber doch in Verſen? Denn pro— 
jaijche Fabeln; wer wird die lefen wollen! — Diejen Borwurf werde 
ih ohnfehlbar ! zu hören befommen. Was will ich im voraus darauf 
antworten? Zweyerley. Erſtlich; was man mir am leichtejten glauben 
wird: ich fühlte mich zu unfähig, jene zierliche Kürze in Verſen zu 
erreihen. La Fontaine der eben das bey fich fühlte, ſchob Die 
Schuld auf feine Sprade. Sch habe von der meinigen eine zu gute 
Meinung, und glaube überhaupt, daß ein Genie feiner angebohrnen 
Sprache, fie mag jeyn welche es will, eine Form ertheilen kann, welche 
er will. Für ein Genie find die Sprachen alle von einer Natur; und 
die Schuld ift alfo einzig und allein meine. Sch habe die Berfification 
nie jo in meiner Gewalt gehabt, daß ich auf feine Weije beforgen 
dürfen, das Sylbenmaaß und der Neim werde hier und da den Meifter 


i unfehldar [1759] 





IV. Bon dem Porfrage der Fabeln. 


473 
über mich jpielen. Gejchähe das, jo wäre es ja um die Kürze gethan, 
und vielleicht noch um mehr wejentliche Eigenjchaften der guten Fabel. 
Denn zweytens — Ich muß es nur geftehen; ich bin mit dem 
Bhädrus nicht jo recht zu Frieden. De la Motte hatte ihm weiter 
nichts vorzumerfen, al$ „daß er jeine Moral oft zu Anfange der Fabeln 
„ſetze, und daß er und manchmal eine allzu unbejtimmte Moral gebe, 
„die nicht deutlich genug aus der Allegorie entipringe.” Der erite Vor— 
wurf betrifft eine wahre Kleinigkeit; der zweyte ift unendlich wichtiger, 
und leider gegründet. Doch ich will nicht fremde Beſchuldigungen recht- 
fertigen; jondern meine eigne vorbringen. Sie läuft dahin aus, daß 
Phädrus fo oft er jih von der Einfalt der griechiſchen Fabeln auch 
nur einen Schritt entfernt, einen plumpen Fehler begehet. Wie viel 
Beweiſe will man? 3. €. 

Fab. 4. Libri I. 
Canis per flumen, carnem dum ferret natans, 
Lympharum in speculo vidit simulacrum suum etc. 
Es ijt unmöglih; wenn der Hund duch den Fluß geſchwommen 
üt, jo hat er das Waſſer um ſich her nothwendig jo getrübt, daß er 
jein Bildniß unmöglich darinn ſehen können. Die griechiichen Fabeln 
jagen: Kvwv xg805 EXovoa norauov dıeßawe; das braucht weiter 
nichts zu heißen, als: er ging über den Fluß; auf einem nie- 
drigen Steige, muß man fich vorftellen. Aphthonius bejtimmt diejen 
Umstand noch behutjamer: Kosas aenaoaoa TıS zvov rag avınv 
dıncı ınv 04In7v; der Hund ging an dem Ufer des Fluſſes. 
Fab. 5. Lib. I. ! 
Vacca et capella, et patiens ovis injuriae, 
Socii fuere cum leone in saltibus. 

Welch eine Gejellihaft! Wie war es möglich, daß fich dieje viere zu 
einem Zwecke vereinigen fonnten? Und zwar zur Jagd! Dieje Un- 
gereimtheit haben die Kunftrichter ! ſchon öfters angemerkt; aber noch 
feiner bat zugleich anmerken wollen, daß fie von des Phädrus 
eigener Erfindung iſt. Im Griechijchen iſt dieſe Fabel zwijchen dem 
Löwen und dem wilden Ejel (Ovayoos). Bon dem wilden Ejel ift 
es befannt, daß er ludert; und folglich Fonnte er an der Beute Theil 
nehmen. Wie elend ift ferner die Theilung bey dem Phädrus: 


1 die Kunftrichters [1759. 1777] 





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474  Goffhol® Ephraim Telfings Fabeln. Bebft Abhandlungen. 





Ego primam tollo, nominor quia leo; 

Secundam,. quia sum fortis, tribuetis mihi; 

Tum quia plus valeo, me sequetur tertia; 

Male afficietur, si quis quartam tetigerit. 
5 Wie vortrefflich hingegen it fie im Griechiſchen! Der Löwe madt io 
gleich drey Theile; denn von jeder Beute ward bey den Alten ein Theil 
für den König oder für die Schagfammer des Staats, bey Seite ge- 
legt. Und diejes Theil, jagt der Löwe, gehöret mir, Paoıdlevg yag 
iur; das zweyte Theil gehört mir auch, ws EE loov xoıwovov, nad) 
dem Rechte der gleichen Theilung; und das dritte Theil xax0V UEYA 
co noımoeı, &ı um EIeAng pvyew. 

Feb. 11. Gib. I; 

Venari asello comite cum vellet leo, 

Contexit illum frutice, et admonuit simul, 

Ut insueta voce terreret feras etc. 

Quae dum paventes exitus notos petunt, 

Leonis affliguntur horrendo impetu. 
Der Löwe verbirgt den Ejel in das Gejträuche; der Ejel jchreyet; Die 
Thiere erichreden in ihren Lagern, und da fie durch die befannten 
Ausgänge davon fliehen wollen, fallen fie dem Löwen in die Klauen. 
Wie ging das zu? Konnte jedes nur duch Einen Ausgang davon 
fommen? Warum mußte e3 gleich den wählen, an welchem der Löwe 
lauerte? Oder konnte der Löwe überall jeyn? — Wie vortrefflich 
fallen in der griechiſchen Fabel alle diefe Schwierigkeiten weg! Der 
Löwe und der Ejel fommen da vor eine Höhle, in der ſich wilde Ziegen 
aufhalten. Der Löwe fchit den Ejel hinein; der Ejel ſcheucht mit 
jeiner fürchterlihen Stimme! die wilden Ziegen heraus, und jo können 
fie dem Löwen, der ihrer an dem Eingange wartet, nicht entgehen. 

Fab. 9. Libr. IV. 

Peras imposuit Jupiter nobis duas, 

Propriis repletam vitiis post tergum dedit, 

Alienis ante pectus suspendit gravem. 
Supiter hat uns dieſe zwey Säde aufgelegt? Er ift alſo jelbit 
Schuld, daß wir unjere eigene Fehler nicht jehen, und nur jeharffichtige 


1 Stimmen [1759] 





V. Pon einem befondern Buken der Fabeln in den Schulen. 475 





Tadler der Fehler unjers Nähten find? Wie viel fehlt diefer Un— 
gereimtheit zu einer: förmlichen Gottesläfterung? Die beffern Griechen 
laſſen durchgängig den Jupiter hier aus dem Spiele; fie jagen fchlecht 
weg: Avdownos Ödvo ngas Exasos gegsı; Dder: dvo rıngag 
Enuusda tov roaynAov u. |. w. 

Genug für eine Probe! Ich behalte mir vor, meine Beihul- 
digung an einem andern Drte umpftändlicher zu erweiſen; und viel- 
leicht durch eine eigene Ausgabe des Phädrus. 


V. 
Von einem beſondern Buken der Fabeln in den Schulen. 


Ich will bier nicht von dem moraliſchen Nuten der Fabeln 
veden; er gehöret in die allgemeine praftijche Bhilofophie: und würde 
ich mehr davon jagen können, als Wolf gejagt hat? Noch weniger 
will ich von dem geringern Nugen itzt jprechen, den die alten Rhetores 
in ihren Borübungen von den Fabeln zogen; indem fie ihren Schülern 
aufgaben, bald eine Fabel dur alle casus obliquos zu verändern, 
bald fie zu erweitern, bald ſie kürzer zujammenzuziehen ꝛc. Diefe 
Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil der Fabel ſelbſt vor- 
genommen werden; und da jede Fleine Geichichte eben jo geſchickt dazu 


10 


15 


it, jo weis ih nicht, warum man eben die Fabel dazu mißbrauchen 20 


muß, die fih, als Fabel, ganz gewiß nur auf eine einzige Art gut 
erzehlen läßt. 

Den! Nuten, den ich igt mehr berühren als umſtändlich er- 
örtern? will, würde man den hevriſtiſchen Nugen der Fabeln nennen 


fünnen. — Warum fehlt es in allen Wiſſenſchaften und Künften jo 25 


jehr an Erfindern und jelbitvenfenden Köpfen? Dieje Frage wird am 
beiten durch eine andre Frage beantwortet: Warum werden wir nicht 
befier erzogen? Gott giebt uns die Seele; aber daS Genie müfjen 
wir duch die Erziehung befommen. Ein Knabe, deilen gejammte 
Seelenfräfte man, jo viel als möglich, bejtändig in einerley Verhält— 
niljen ausbildet und erweitert; den man angewöhnet, alles, was er 
täglich zu jeinem Heinen Wiſſen binzulernt, mit dem, was er gejtern 
bereit3 wußte, in der Gejchwindigfeit zu vergleichen, und Acht zu haben, 





1 Der [1759] ? erörten [17592] 


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Sr 


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476 . Goffhold Ephraim Leſſings Jabeln. Debft Abhandlungen. 





ob er durch dieſe Vergleichung nicht von jelbjt auf Dinge kömmt, die 
ihm noch nicht gejagt worden; den man beftändig aus einer Scienz 
in die andere hinüber jehen läßt; den man lehret fich eben jo leicht 
von dem Bejondern zu dem Allgemeinen zu erheben, als von dem All— 
gemeinen zu dem Bejondern jich wieder herab zu laſſen: Der Knabe 
wird ein Genie werden, oder man kann nichts in der Welt werden. 

Unter den Uebungen nun, die diefem allgemeinen Plane zu Folge 
angejtellet werden müßten, glaube ich, würde die Erfindung aejopijcher 
Fabeln eine von denen jeyn, die dem Alter eines Schülers am aller 
angemefjenjten wären: nicht, daß ich damit juchte, alle Schüler zu 
Dihtern zu machen; fondern weil es unleugbar ift, daß das Mittel, 
wodurch die Fabeln erfunden worden, glei dasjenige ift, das allen 
Erfindern überhaupt das allergeläufigjte jeyn muß. Dieſes Mittel ift 
das Brincipium der Reduction, und es it am beiten, den 
Philoſophen jelbjt davon zu hören: Videmus adeo, quo artificio 
utantur fabularum inventores, principio nimirum reductionis: quod 
quemadmodum ad inveniendum in genere utilissimum, ita ad 
fabulas inveniendas absolute necessarium est. Quoniam in arte 
inveniendi principium reduetionis amplissimum sibi locum vindicat, 
absque hoc principio autem nulla effingitur fabula; nemo in du- 
bium revocare poterit, fabularum inventores! inter inventores 
locum habere. Neque est quod inventores abjecte de fabularum 
inventoribus sentiant: quod si enim fabula nomen suum tueri, 
nec quicquam in eadem desiderari debet, haud exiguae saepe 
artis est eam invenire, ita ut in alis veritatibus inveniendis 
excellentes hic vires suas deficere agnoscant, ubi in rem prae- 
sentem veniunt. Fabulae aniles nugae sunt, quae nihil veritatis 
continent, et earum autores in nugatorum non inventorum veri- 
tatis numero sunt. Absit autem ut hisce aequipares inventores 
fabularum vel fabellarum, cum quibus in praesente nobis nego- 
tium est, et quas vel inviti in Philosophiam practicam admittere 
tenemur, nisi praxi officere velimus“. 

Doch diejes Principium der Reduction hat feine groſſen Schwierig- 
feiten. Es erfordert eine weitläuftige Kenntniß des Bejondern und 


* Philosophiae practicae universalis pars posterior $. 310. 


[> 





1 fabularum autores [Originalausgabe der Philosophia practica von Wolff] 


V. Bon einem befondern Buben der Fabeln in den Schulen. 477 








aller individuellen Dingen, auf welche die Reduction gejchehen kann. 
Wie ift diefe von jungen Leuten zu verlangen? Man müßte dem 
Rathe eines neuern Schriftitellers folgen, den erjten Anfang ihres 
Unterrichts mit der Gejchichte der Natur zu machen, und dieſe in der 
niedrigiten Claſſe allen VBorlefungen zum Grunde zu legen* Sie ent: 5 
hält, jagt er, den Saamen aller übrigen Wifjenichaften, jogar Die 
moralijchen nicht ausgenommen. Und es ift fein Zweifel, er wird mit 
diefem Saamen der Moral, den er in der Geichichte der Natur ge 
funden zu haben glaubet, nicht auf die bloßen Eigenjchaften der Thiere, 
und anderer! geringern Gejchöpfe, jondern auf die Aeſopiſchen Fabeln, 10 
welche auf dieje Eigenjchaften gebauet werden, gejehen haben. 

Aber auch alsdenn noch, wenn es dem Schüler an diejer weit- 
läuftigen Kenntniß nicht mehr fehlte, würde man ihn die Fabeln An— 
fangs müfjen mehr finden, als erfinden laſſen; und die allmäligen 
Stuffen von diefem Finden zum Erfinden, die? find es eigentlich, 15 
was ich durch verichiedene Berjuche meines zweyten Buchs habe zeigen 
wollen. Ein gewiſſer Kunftrichter jagt: „Man darf nur im Holz und 
„im Feld, infonderheit aber auf der Jagd, auf alles Betragen der 
„zahmen und der wilden Thiere aufmerfjam jeyn, und jo oft etwas 
„londerbares und merkwürdiges zum Vorſchein kömmt, ſich jelber in 20 
„pen Gedanken fragen, ob e3 nicht eine Aehnlichkeit mit einem gewiljen 
„Charakter der menſchlichen Sitten habe, und in diefem Falle in eine 
„ſymboliſche Fabel ausgebildet werden könne **.” Die Mühe mit jeinem 
Schüler auf die Jagd zu gehen, kann ſich der Lehrer eriparen, wenn 
er in die alten Fabeln jelbjt eine Art von Jagd zu legen weiß; in— 25 
dem er die Gejchichte derjelben bald eher abbricht, bald weiter fott- 
führt, bald diejen oder jenen Umſtand derjelben jo verändert, daß ſich 
eine andere Moral darinn erkennen läßt. 

3. €. Die befannte Fabel von dem Löwen und Ejel fängt fi) 
an: Aswv zaı Ov0oS, z0wwvıay Heuzvor, EInkIov Errı Ingav — 30 
Hier bleibt der Lehrer jtehen. Der Ejel in Gefellichaft des Löwen? 
Wie jtolz wird der Ejel auf dieſe Gejellichaft gewejen jeyn! (Man 
jehe die achte Kabel meines zweyten Buchs) Der Löwe in 

* Briefe die neueite Litteratur betreffend 1 Theil ©. 58. 

** Critiſche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabelı. 35 


1 andern [1759] 2 pie [fehlt im 70. Litteraturbrief] 





478 Goffhold Ephraim Lelfings Fabeln. Web Abhandlungen. 





Sejellichaft des Ejel3? Und hatte fich denn der Löwe diejer Gejell- 
ihaft nicht zu jchämen? (Man ſehe die fiebende) Und fo find 
zwey Fabeln entitanden, indem man mit der Gejchichte der alten Fabel 
einen Heinen Ausweg genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu 
5 einem andern Ziele führet, als Aeſopus fich dabey geſteckt hatte. 
Oder man verfolgt die Gefchichte einen Schritt weiter: Die Fabel 
von der Krähe, die fih mit den ausgefallenen Federn andrer Vögel 
geſchmückt hatte, jchließt fih: au 0 xoAoıog nv rıakıv zoAorog. BViel- 
leicht war fie nun aud etwas jchlechters, al3 fie vorher gemwejen war. 
10 Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigene glänzenden Schwingfedern 
mit ausgerifjen, weil man fte gleichfalls für fremde Federn gehalten? 
So geht es dem Plagiarius. Man ertappt ihn hier, man ertappt ihn 
da; und endlich glaubt man, daß er auch das, was wirklich jein eigen 
üt, gejtohlen babe. (S. die jehite Fabel meines zweyten 
15 Buchs.) | 
Oder man verändert einzelne Umftände in der Fabel. Wie wenn 
das Stüde Fleifch, welches der Fuchs dem Naben aus dem Schnabel 
jehmeichelte, vergiftet geweien wäre?! (©. die funfzehnte) Wie 
wenn der Mann die erfrorne Schlange nicht aus Barmberzigfeit, 
20 jondern aus Begierde ihre Schöne Haut zu haben, aufgehoben und in 
den Buſen geſteckt hätte? Hätte fih der Mann auch alsdenn noch über 
den Undank der Schlange beflagen können? (S. die dritte Fabel.) 
Oder man nimmt auch den merfwürdigiten Umftand aus der 
Fabel heraus, und bauet auf denfelben eine ganz neue Fabel. Dem 
25 Wolfe ift ein Bein in dem Schlunde ſtecken geblieben. In der kurzen 
Zeit, da er fich daran würgte, hatten die Schafe aljo vor ihm Friede. 
Aber durfte fih der Wolf die gezwungene Enthaltung als eine gute 
That anrechnen? (©. die vierte Fabel.) Herfules wird in den 
Himmel aufgenommen, und unterläßt dem Plutus feine Berehrung 
30 zu bezeigen. Sollte er fie wohl auch feiner Todfeindin, der Juno, 
zu bezeigen unterlajjen haben? Dover würde es dem Herfules an- 
ftändiger gewejen jeyn, ihr für ihre VBerfolgungen zu danfen? (©. die 
zweyte Fabel.) 
Oder man jucht eine edlere Moral in die Fabel zu legen; denn 
35 es giebt unter den griechiſchen Fabeln verjchiedene, die eine jehr nichts— 


1 wär? [1759 a. 1777] 





V. Bon einem befondern Buken der Fabeln in den Sıhulen. 479 





würdige haben. Die Ejel bitten den Jupiter, ihr Leben minder 
elend jeyn zu lafjen. Jupiter antwortet: vors avrovg analkaynososau 
INS XaXOTTaFELaS, OTaV OVEOVVTES 701MOWOL nrorauov. Weld eine! 
unanftändige Antwort für eine Gottheit! Ach jchmeichle mir, daß ich 
den Jupiter würdiger antworten lafjen, und überhaupt eine ſchönere 
Fabel daraus gemacht habe. (©. die zehnte Fabel.) 

— Ich brecde ab! Denn ich kann mich unmöglich zwingen, einen, 
Commentar über meine eigene Verſuche zu jehreiben. 





ı Melche eine [1759] 





























PT Lessing, Gotthold Ephraim 


2396 Sämtliche Schriften 
A1 3... Aufl; 

1886 

Bd.7 


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