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Frau M. J. Herbart, geb. Brake.
JOH. FRIEDR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
JOH. FR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
IN CHRONOLOGISCHER REIHENFOLGE
HERAUSGEGEBEN
tKARL KEHRBACH UND OTTO FLÜGEL
ACHTZEHNTER BAND.
BEARBEITET
THEODOR FRITZSCH.
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LANGENSALZA
-(^ HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändlkr
. 1912
BRIEFE VON UND AN
J. F. HERBART.
URKUNDEN UND REGESTEN ZU SEINEM LEBEN
UND SEINEN WERKEN.
MIT VIER BILDERN.
3. BAND.
(VON 1833 — 1838.)
MIT EINEM BILDE VON HERBARTS FRAU.
VON
THEODOR FRITZSCH.
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LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
1912
Alle Rechte vorbehalten.
Briefe von und an
J. F. Herbart.
Urkunden und Regesten zu seinem Leben und seinen Werken.
Von
Theodor Fritzsch.
III.
Herbarts Werke. XVIII.
„über die angehängten Briefe glaubt Rezensent nichts sagen
zu dürfen, denn sie waren nicht zur öffentlichen Ausstellung be-
stimmt; es sei genug, sie dem stillen Nachdenken zu empfehlen,
und die Mitteilung derselben dem Herausgeber zu verdanken.
Solche Dokumente bleiben immer schätzbar, gesetzt auch, daß die
heutige Zeit wenig Wert darauf legte. Eine andere Zeit wird
kommen, zu ernten, wo früher gesäet wurde." Herbart.
(In einer Kritik über „K. L. Reinholds L^ben und literarisches
Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kants etc. von E. Rein-
hold," Jena 1825, in dieser Ausgabe Bd. XIII, S. Ö3.)
1833.
W. : Verhandlungen mit H. wegen seiner Berufung nach Göttingen (XV. 273 ff.). —
Antrittsprogramm: De principio logico exclusi medii inter contradictoria non negligendo
commentatio (S. Bd. X. S. 39—51). — Oratio ad capessendaro in Academia Georgia
Augusta professionem philosophiae ordinariara habita (S. Bd. X. S. 53 — 64). — Vor-
rede zu Hendewerks Principia ethica (S. Bd. Xin. S. 270 — 271).
406. Dissen an H.*) Göttingen, den 11. Jan. 1833.
Hochzuverehrender Herr Professor! Der Wechsel des Jahres mahnt mich an
eine schwere Schuld, die ich nun auch nicht länger auf der Seele haben will, muß
aber zugleich mich Ihrer Nachsicht ganz und gar empfehlen vmd Sie bitten Gnade
für Eecht ergehen zu lassen. Einige Zeit nach Ihrem erfreulichen Hiersein wui'de
meine Gesundheit so schlecht, daß ich fast zu keiner geistigen Tätigkeit die Stimmung
mehr finden konnte, indem die tram-ige Reizbarkeit und Schwäche meiner Xerven
einen scliwer zu beschreibenden Grad erreichte. '-) Dazu kamen alsdann die traurigen
Angelegenheiten unserer Universität') und die politischen Calamitäten Europas, die
wohl jedes Gemüth stark afficirt haben. So unterblieb i| das Schreiben von einer
Zeit zur andern, obgleich ich in Gedanken oft auch bei Ihnen war. und als ich
vollends hörte Sie würden wahrscheinlich nach Berlin gehn, wollte ich nun auch
diese Kunde erst abwarten, und bin auf diese Weise immer mehr in Versäumniß
gerathen. Ungemein aber wünle es mich schmerzen, wenn ich glauben könnte daß
Sie einen Augenblick an der innigen Anhänglichkeit und dankbarsten Verehrung
hätten zweifeln können, die meine Seele für Sie empfindet und stets empfinden
wird. Wäre meine Gesundheit nicht fortdauernd so schlecht, daß ich nun schon
seit längerer Zeit fast kein Collegium mehr lese, und umso mehr die leidlichen
Stunden zur Abfassung philologischer Arbeiten verwenden muß, um wenigstens so
meinem Amte zu genügen, so würde ich längst auch meinerseits gesucht haben zur
Verständigung Ihrer Philosophie etwas beizutragen, und Griepenkerl hat sehr Recht
daß auch die Schüler das ihrige thun sollen. Nun muß ich aber vor der Hand
wenigstens dies andern überlassen, so wenig ich nahmentlich gleich mit Oriepen \\ kerls
Schrift*) zufrieden bin, obgleich er es gut meint. Lebendige Entwicklungen dieses
oder jenes Theiles, dieser oder jener Seite Ihrer umfassenden Philosophie thun noth,
1) 4 S. 8». H. Wien.
^) Die Briefe Dissens sind infolgedessen kaum zu entziffern.
3) Ein durch einige Privatdozenten und Advokaten angeregter Aufstand, der
Bürger und Studenten ergriff. S. Fr. Kohlrausch. Erinnerungen aus meinem Leben,
1863, S. 313. ^ ^, _
*) Die schon genannten „Briefe etc. über Herbarts Lehren", b. Bd. 17,
S. 300 Anm.
Januar 1833.
nicht eine trockene formale Anweisung wie man Ihre Schriften auslegen und lesen
solle. Griepenkerl hat keinen Gedankenreichthuui. Meinerseits denke ich unsern
Brussius einmahl aufzulegen, der glücklicherweise in Frankfurt wieder an den Tag
gekommen ist. Ihre Encyclopädie hat auch hier herum viel Interesse gefunden und
Ihnen manchen neuen Freund erworben, obgleich andere urtheilen, der wissenschaft-
liche Zusammenhang sei schwer zu finden. Brandts der im Herbst hier war, freute
sich Sie mit bestimmt zu haben zur Abfassung. Da Ihnen das Schreiben so leicht
wird, thun Sie gewiß gut auch ferner einen Theil der Zeit auf populäre Schriften zu
vei"wenden, da in der That die Hauptwerke nur ein kleines Publicum haben können.
Brandts ist jetzt in Berlin um mit Bekker die endliche Vollendung des Aristoteles
zu beschleunigen *) und hat deswegen in der letzten Zeit mit Ihnen weniger verkehren
können. Möchten Sie doch selbst mehr in der Mitte || von Deutschland seyn und
nahmentlich in Berlin den Platz einnehmen, welcher Ihoen allein gebührt, aber der
Dunst des Hegeischen Systems muß wohl noch etwas mehr verziehen. Bei uns geht
die Philosophie ziemlich lahm, da auch die alte Schule sehr schwach geworden, wie
denn überhaupt in der letzten Zeit unsere Universität an Frequenz sehr abgenommen
hat. Nun ist ims auch Ihtbaut gestorben und viele alte stehen auf schwachen
Füßen. Wendi hat keine philosophische Kraft und vermag kein zahlreiches Audi-
torium herbei zu ziehen. Bisher war die Universität bei uns sehr bedeutend, aber
auch diese ist dermalen gesunken. Nun wir woUen sehn was das nächste Jahr
bringt! Ihnen vor allem erhalte der Himmel recht lange Gesundheit und die voUe
Stärke der ungemeinen Geisteskraft, wodurch Sie unsterbliche Werke schaffen.
Daneben erinnern Sie sich auch wohl ein mahl meiner wieder. Mit innigster Ver-
ehrung stets der Ihrige L. Dissen.
Meine gehorsamste Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin.
407. Dissen an H.^) D. 29sten Jan. 1833.
Hochgeehrtester Herr Prof essor ! Seit meinem neulichen Briefe ist nun der alte
Schulze verstorben ^) und es handelt sich jetzt um die Besetzung dieser Stelle. Das
Curatorium in Hannover hat sein Auge auf Sie geworfen und Sie werden einen
Ruf höchstwahrscheinlich bekommen, sobald man über ihre Entschlüsse deshalb ver-
läßlich unterrichtet sein wird.
Zwar soU diese meine Anfrage keine officielle sein, da man in Hannover sich
nicht gern comprommittirt, ich habe aber den officiellen Auftrag von Hannover,
Sie vorerst privatim und als aus bloßem eigenen Antriebe zu sondieren, ob Sie ge-
neigt seyn würden, einem Ruf Gehör zu geben. Größeres Heil kann || der Georgia
Augusta nicht widerfahren und kein größerer Ruhm, als wenn Sie kämen. Sagen
Sie mir offen, wenn nicht alles Sie abhält, eine günstige Antwort, ich bitte Sie, und
schreiben Sie recht bald. Richten Sie Ihren Brief so ein, daß ich ihn geradezu
nach Hannover einschikken kann, stellen Sie aber alles so, als wenn ich nur privatim
für mich angefragt hätte. Zugleich möchte ich wegen Ihres Gehaltes eine An-
deutung erhalten, damit man weiß, welchen Preis man etwa bieten müßte. Nun
antworten Sie recht bald. In Königsberg wollen Sie ja doch nicht bleiben, wohlan,
so kommen Sie denn hiehßr zurück.
Von ganzem Herzen der Ihrige Dissen.
*) Brandis hatte mit J. Bekker die von der Berliner Akademie beschlossene
Ausgabe des Aristoteles zu besorgen.
«) 2 S. 8". H., Wien.
■*) Aenesidemus-Schulze starb am 14. Jan. 1833.
Februar 1833.
408. Bobrik an H.') Bonn den 30. Januar 1833.
Yerelirtester Herr Professor! Das lange Schweigen, zu welchem mich die
noch bis heute dauernde Stille des Ministeriums zwang, kann ich heute durch ander-
weitige erfreuliche Nachrichten unterbrechen, und um so mehr, als ich meinen
herzlichen Glückwunsch wegen des Ordens^) vorauszustellen habe. Man hat hier mit
vieler Theilnahme dieses Zeichen der Anerkennung Ihnen zu Theil werden gesehen
und will hinsichtlich des Ministeriums manchen Schluß daraus ziehen. Auch Augusti
hat man eine höhere Auszeichnung zukommen lassen, beharrt aber übrigens in einem
unbegreiflichen Schweigen, selbst vom geheimen Cabinet aus, wohin am Anfange dieses
Monats das Immediat-Vorstellen abgegangen ist.
Ich habe gestern von Zürich eine ordentliche Professur mit 700 Thaler be-
kommen und werde gleich Morgen an das Ministerium berichten, um den meinet-
wegen geschürzten Knoten zu lösen. Wie übrigens jetzt die Antwort aus Berlin
ausfallen mag, ich gehe nach Zürich, wo man Ihr System so sehnlich wünscht, daß
man mich bei der ungeheuem Meldungszahl gewählt hat.')
Könnte nun vielleicht Rör oder Strümpel herkommen oder Taute sich dazu
entschließen, wer kommen mag, ich hinterlasse ihm eine offene Bahn, und gut be-
arbeiteten Boden. Kommt keiner her, so geht uns diese Provinz verlohren, denn
auf Brandts ist offenbar nicht weiter zu rechnen. Drobisch hat mich, und ebenfalls
Eichstädt vor 14 Tagen selbst aufgefordert an der Leipziger und Jenaer Litt. Z.
Theil zu nehmen. Ton Drobisch ist das sehr freundlich; warum Eichstädt so lange
gezögert hat weiß ich nicht; indessen jetzt sind wenigstens wieder zwei Plätze für
mich da, an denen ich den bisherigen Vorwurf des Schweigens will vergessen machen
und in Züi'ich wird sich doch auch etwas machen lassen.
Ihnen hat man hier, wo man mit dergleichen immer schnell fertig ist, schon
die Stelle Schuhes in Göttingen zugeschrieben.
Empfehlen Sie mich gütigst der Frau Gemahlin, und Herren Wahn imd er-
lauben Sie mir auszusprechen, daß ich das mir zu Theil gewordene Glück als eine
Gabe ansehe die ich Ihnen innigst verdanke.
Mit dankbarer Ergebenheit Bobrik.
409. An Dissen.*) Königsberg, 7. Febr. 1833.
Ihr Brief, mein theurer Freund! zeigt mir eine heitere Aussicht, aber
nur von ferne! Gleichwohl soll ich ernsthaft antworten. Es sey.
Meine hiesige fixirte Einnahme aus den Fonds der Universität schlage
ich auf ungefähr 1700 Rthl. Preußisch, d. i. auf 300 Friedrichsd'or jähr-
lich an. Gesetzt, die Regierung zu H[annover] wollte auf mich refiectiren:
wird sie mir ein so ansehnliches Anerbieten machen? — Wenn nicht:
1) 1 S. 40. H. Wien.
^) Roter Adler-Orden 4. Kl. Vergl. den folgenden Brief.
^ S. den vorhergehenden Bd , S. 317 Anm. — Ed. Bobrik trat sein Amt als
0. Prof. der Philos. neben Oken an der neuerrichteten Züricher Universität
Ostern 1833 an. Er galt .,als gewandter Dialektiker von großer Rednergabe, dessen
Vorlesungen auch von angesehenen Männern aus den gebildeten Kreisen Zürichs
besucht wurden." Später wandte er sich Lieblingsstudien zu, „die mit der Neigung
des Herbartianers für Mathematik zusammenhingen. Er schiieb 1845—48 ein Hand-
buch der Seefahrtskunde, 1848—50 ein nautisches Wörterbuch und folgte 1856 einem
Rufe als Direktor der Handelsakademie nach Danzig.'' G. von Wvss, die Hochschule
Zürich in d. J. 1833-53, Zürich 1883, S. 18, 32. 93.
*) 4 S. 8". H. Wien. Vergl. Zimmermann, Ungedruckte Briefe. S. 49 f.
Februar 1833.
wo soll ich Ersatz für das Fehlende finden? Im Collegien-Honorar? Das
ist ungewiß. Sie wissen, das philosophische Studium gleicht heutiges Tages
allenthalben einer verbrannten Pflanze. Und gelänge mirs, im kleinen
Kreise der Denker den Untersuchungsgeist wieder zu wecken, den Krug,
Fries usw. nie besaßen, der bey Fichte, Schelling, Hegel usw. in starke
Phantasterey und Polemik ausartete: so ist noch weit von da bis zu
reichlich besuchten und bezahlten Vorlesungen.
Vor allen Dingen muß ich für meine Frau sorgen. Ihr sind 240 Thaler
Wittwengehalt sicher, so lange ich in Preußen bleibe; sie gehn verloren,
sobald ich Preußen verlasse.
Überdies besitze ich hier ein Haus, dessen Werth in || der Feuer-
Casse und bey Communal- Lasten auf nicht weniger als zwölftausend
Thaler berechnet wird. Es stehn Schulden auf dem Hause; und als ich
hier das pädagogische Seminar einrichtete, hat sich das Ministerium, in-
dem es eine Geldunterstützung hergab, das Vorkaufs- Recht an dem Hause
ausbedungen. Das ist ein Faden, an dem man lange ziehen kann, wenn
man etwa will, und wodurch der ohnehin nur bey seltener Gelegenheit
mögliche Verkauf sehr wird erschwert werden.
Eine starke Unzufriedenheit hätte mich dennoch vertreiben können.
Daß man mir ein Gegenmittel ganz kürzlich gereicht hat, werden Sie aus
der Staatszeitung wissen; ich nehme es natürlich mit schuldiger Dankbar-
keit an, ohne es über den Werth zu schätzen. Meine Gesundheit wird
dadurch nicht geschützt gegen den mir fortdauernd nachtheiligen Ein-
fluß des Klimas; und der Provincial-Geist, der die hiesige Universität drückt,
wird damit nicht besser.
Es ist keine Frage, daß, wenn eine auswärtige Regierung ernstlich
will, sie mir eine Veränderung meiner Lage höchst wünschenswerth machen
kann. Jedenfalls aber muß ich die Sache der Preußischen Regierung || erst
offen vorlegen. Nicht wie ein Miethling seinen Dienst aufkündigt, wenn
er einen bessern im Auge hat, kann ich davon gehn. Nicht ohne Vor-
wissen meiner Obern, nicht ohne ihre Erklärung vernommen zu haben,
kann ich andre Verhältnisse verabreden.
Ihr Brief berechtigt mich zu Nichts; ich darf davon nicht einmal
mündlich mit unserm Curator und mit dem Oberpräsidenten sprechen.
Sollte aus Ihrer Anfrage Ernst werden: so müßte ich zum mindesten
einen solchen Privatbrief empfangen, den ich als eine deutliche Erklärung
meinen Behörden unter der Hand vorzeigen könnte. Fände sich dann,
daß man darauf nicht einginge, daß man ihn ignorirte: so würde ich
mich natürlich auch nicht verbunden achten, eine längst sehnlichst ge-
wünschte Gelegenheit, um an den Ort meiner frühern eignen Wahl zurück-
zukehren (und dieser Ort war Göttingen!) mir entgehen zu lassen, wofern
anders die Bedingungen annehmlich wären.
Sie werden nun fragen, was man denn wohl in dem von Ihnen als
möglich angenommenen Falle, daß ich einen Ruf nach G[öttingen] be-
käme, in B[erlin] thun werde? Das läßt sich || durchaus nicht vorher sehn;
wenn Sie aber meine Vermuthung wissen wollen, so ist es die Bescheidenste
von der Welt. Nahe genug lag es längst unserm Ministerio, auf eine
vielfach laut gewordne öffentliche Stimme zu hören, der zufolge man
März 1833.
mich nach B [erlin] würde versetzt haben. Von einer solchen Absicht
aber ist kein Zeichen vorhanden. Der mir kürzlich ertheilte Orden macht
eher das Gegentheil wahrscheinlich. Man hat nun Etwas für mich gethan ;
und schwerlich wird man auf eine Gnadenbezeugung sobald eine zweyte
häufen wollen. Wäre mir eine andre Stelle zugedacht, so würde man
erst dort meine Leistungen beobachtet und diesen gemäß ein Ehrenzeichen
geschenkt oder versagt haben. Daher glaube ich, die Regierung zu
H[annover] wird keinen bedeutenden Einspruch von B[erlin] aus er-
fahren, wenn sie mir ihr Vertrauen zuwenden will. Und das Vorkaufs-
recht an meinem Hause wird man wohl auch großmüthig aufgeben, um
mir eine letzte Gunst zu erweisen und auf diese Weise den hiesigen Platz
auf gute Manier für einen Hegelianer frey zu machen.
Meine Wünsche für Ihre Gesundheit kennen Sie; meine Freude,
wenn ich mit Ihnen zusammenwirken, wenn ich Heeren und Hugo wieder-
sehen, mit Gauß in nähere Verbindung treten könnte — doch wir wollen
uns keiner voreiligen Freude überlassen. Ganz Ihr H.
410. An Griepenkerl. ^) Königsberg i. März 1833.
Allem Anschein nach, mein theurer Freund, ist die nächste Zukunft
für uns verloren, und wir müssen die Augen auf die entferntere, dunkel
wie sie ist, hinauszuschauen dennoch üben. Daß der Ruf nach G[öt-
tingen] ausbleiben wird, scheint Dissen vorzufühlen; und Richth[ofen']s
Rede, es sey mir leider nicht gelungen, usw. usw. klingt gar berlinisch
in einem Grade, dem ich eine kurze Bemerkung beyfügen will. Richt-
h[ofen] hängt vorzugsweise an Savigny-), und Savigny ist fromm. Ferner
hat er Ihnen ja . selbst gesagt, er habe für zwey Söhne viel zu thun.
Zwar meinerseits hätte ich nie geglaubt,' daß R. sich so in den Berliner
Strudel könnte fortziehen lassen, um zu sprechen wie ein ganz Un-
kundiger, dem meine Angelegenheit rein äußerlich und ohne Zusammen-
hang erscheint, aber sehn wir es nicht vor Augen? Ob ich danach ge-
strebt habe, eine Mehrheit des heutigen Volks zu gewinnen, ob man in
B [erlin] die Stimmen richtig zähle, ob er selbst etwa sie gezählt habe, ob
nun die Sache als mislungen abgethan sey? — das Alles geht er vorbey;
vergißt sogar, daß in Königsberg so etwas unmöglich gelingen konnte,
bedauert dennoch meine Unzufriedenheit, als ob ich hätte zufrieden seyn
sollen mit der Unmöglichkeit zu thun was mir oblag und obliegt. In dem
Allen liegt ein Repetiren dessen, was N[icolovius] ^) und S[avignyJ in B[erlin]
zu sagen pflegen; und gerade ein solches Repetiren hatte mich schon
früher in R.— s Briefen gekränkt. Aber das Fortkommen der zwey Söhne
erfordert, daß man den Berliner Wind für sich habe! (Damit will ich
') 2 S. 4*'. H. Wien. — Bei Zimmermann S. 77 ff.
-) Das wird durch Richthofens Biographie (Aus dem Leben des Karl Ernst
Friedrich Frhr. von Richthofen auf Brecheishof. Geschrieben von seinem Sohne Bolko
für dessen Kinder. Als Manuskript gedruckt 1883) bestätigt.
ä) Man vergl. die weiter unten (2. Febr. 1836) mitgeteilte Bemerkung des Geh.
Rats Dieterici über Herbart und den Brief von Brandis an H. vom 17. Juni 33. Dar-
nach ist Nicolovius für Herbart eingetreten. Beim Minister von Altenstein dagegen
sollte der Name Herbart nicht genannt werden.
8 März 1833.
keinen härteren Tadel ausgesprochen haben; ihm sind die Seinigen die
nächsten; das ist recht; und ich bescheide mich, daß ich zurück treten muß
vor weit nähern Pflichten und Sorgen. Nur trete ich denn auch wirklich
zurück; und erwarte keine besondere Fürsorge für meine Sachen. Schon in
meinem letzten Briefe wird R. gespürt haben, daß ich, ohne die Freund-
schaft aufzuheben oder auch nur aufzugeben, doch bescheidentlich den
Platz räume, wo es seyn muß. Und daß ich in diesem Augenblick
meine eigne Empfindlichkeit nicht gern unnöthigen Reizungen aussetze,
begreifen Sie gewiß, und werden es nicht misbiiligen. Die beabsichtigte
Frühlings- Reise nach Schlesien hatte ich schon früher aufgegeben. Zu
meinem großen Glück bin ich sehr wohlbehalten durch den gelinden
Winter gekommen, und in dieser für mich gefährlichen Jahreszeit gesund"
seit langen Jahren ohne den verderblichen nervösen Husten. Um die
Postleute nicht aufmerksam auf so häufige Briefe zu machen, werde
ich die Adresse lateinisch schreiben.) i) Und der kluge Mann merkt selbst
nicht, wie dieser Wind auf ihn wirkt.
Zwey derbe Stöße hatte ich nun schon durch Ihre beyden letzten Briefe
bekommen, den einen von Dissen, den andern von R. — als gestern
Strümpell den dritten noch derberen überbrachte. Davon muß Ihnen
aber Str. selbst erzählen, denn ich fürchte die Nebenumstände nicht mehr
genau zu wissen. Kurz: Strümpell ist eine Person, die man warnt, und
gern schrecken möchte. Ein Professor extraordin. der in B. viel Ver-
bindungen hat, scheint in Folge eines Auftrags gehandelt zu haben, indem
er, schon bekannt mit Bobriks Wegzug von Bonn, Strümpelln sagt: die
herrschende Philosophie sey etwas starr, und sie werde ihm schwerlich in
Bonn aufzutreten erlauben. Er möge in B. sich nur an den Prof. G — s
wenden, der ihm das Nähere wohl sagen werde. — Noch eine andre
Warnung ist Str.n zugegangen, ganz aus meiner nächsten Umgebung, zufolge
der er — ich weiß nicht wie lange, — erst noch Skeptiker seyn sollte,
bevor er Parthey für mich nehme. Sehr wahrscheinlich sitzt hinter beyden
Warnungen einerley wohlbekannte Person, die durch die vierte fünfte
Hand ihrer Zorn über Bobriks Beförderung nach Zürich ausläßt. Wenn
aber dieser nicht, — so zeigt sich hier wenigstens die Parthey, in dem
was sie wagt! — und — was sie scheut.
Alles das zusammen bestimmte mich gestern, einen zweyteu Brief
an Dissen zu schreiben, — nicht in der Meinung dadurch etwas zu
fördern, sondern, — um, wenn Alles schief geht, vor Ihnen gerechtfertigt
zu seyn. Lassen Sie Sich wo möglich auch meinen frühern Brief an
Dissen gelegentlich mittheilen; sehen Sie zu, ob Dissen Ursach hatte, un-
zufrieden zu seyn. || Dissen schrieb an mich sehr kurz: ob ich geneigt
sei usw. usw. und dann: ,, Zugleich möchte ich wegen Ihres Gehalts eine
Andeutung erhalten, d&mit man weiß" usw. usw. Was war denn andres
zu thun als mein jetziges wirkliches Gehalt anzuzeigen? Daran knüpfte
sich die Frage: wird man soviel anbieten? Nicht aber ein höherer Satz;
nicht Ansprüche. Ferner mußte vom Wittwengehalt durchaus die Rede
seyn, denn dessen kann ich meine Frau schlechterdings nicht berauben;
*) Das Eingeklammerte steht am Rande.
März 1833, 9
sie hat aus der hiesigen Univ. W. Casse 240 Rthlr. zu erwarten, welche
verloren gehn wofern ich aus Preußen gehe. Eben so nothwendig war
die Er%vähnung des sehr schwierigen Haus- Verkaufs; — hätte ich diese
Dinge verschwiegen, so hätte ich eine illusorische Verhandlung angeknüpft,
mit Vortheil, aber gegen die gemeinste Pflicht. Anders aber wäre mein
Brief gewendet worden, wenn Bissen von dortigen Verhältnissen etwas
Warnendes gesagt hätte.
ISIeinem gestern geäußerten Wunsche, an Kohlrausch i) möchten Sie
schreiben, werden Sie wohl kaum Gehör gegeben haben. Ist es ge-
schehn, so werden Sie • Ihrer Vorsicht gemäß, Dissens Geheimnis nicht
verrathen haben; und wenn ich dadurch in die Stellung eines Bittenden
kam, so ist das Unglück nicht groß, denn es kann doch nicht verborgen
bleiben, daß ich in meinen Verhältnissen eine Veränderung wünschen
muß; und Kohlrausch wird auch behutsam seyn. Vielleicht hilfts; —
vielleicht auch nicht. Haben Sie nicht geschrieben, so unterlassen Sie es
nur. Ich muß nun einmal leiden; und das wird so fortgehn, bis meine
Maschine bricht. Möge nur Urnen meine Freundschaft, lästig wie sie ist,
nicht gar zu lästig fallen.
Lassen Sie uns nun noch ein paar Worte an das Wesentliche wenden.
Das ist immer das Bleibende: Die Schriften. Je derber Strümpell zu
schreiben gedenkt, desto vester, aber ruhig, werden hoflTentlich Sie schreiben;
und ich werde vorläufig wohl von philos. Polemik meist fern bleiben.
Wenn meine Gesundheit leidlich bleibt, meine Stimmung erträglich wird,
(was ich nicht verbürge nach solchen Stößen!) so bin ich bald wieder an
meiner angefangenen Arbeit; denn diese wird doch wohl einen wesent-
lichen Nachtrag bilden zu Schriften, welche — die kommende Generation
aus dem Staube der Bibliotheken wieder aufsuchen mag, wofern nicht Sie,
und St[rümpell] und Bobr[ik] und Drob[isch] es anders wenden. Die
„herrschende Philosophie'* können wir freylich nicht beherrschen; und ich
vor allem muß suchen soviel von persönlicher Würde zu behaupten, als
mein schwacher Körper erlaubt. Bald, hoffe ich, werden wir über Päda-
gogisches correspondiren, und vom Uebrigen — meist schweigen, um
uns nicht unnütz üble Laune zu schaffen. Auf diejenigen, deren Ver-
satilität klar wird, können wir weiter nicht rechnen.
Von Roer habe ich Nichts. Der Mehring, nach dem Sie fragen,
ist Prediger irgendwo in Würtemberg, hat mir einmal ein Schriftchen ge-
schickt mit viel Gelehrsamkeit zur ältesten Griech. Geschichte der Philos.,
will übrigens den Psychologen vorstellen, und ist von mir in der Hall.
Z. nicht lobend recensirt worden. 2) Hätte ich gelobt was nicht zu loben
ist, so hätte ich eine Parthey. Von Pfnor'^) weiß ich nichts.
Heute bin ich zu sehr ermüdet, und muß mir Erholung gönnen.
Leben Sie wohl; möge ein baldiges Frühjahr Sie recht vollständig erquicken.
Ganz Ihr H.
^) Kohlrausch war seit 1830 VorsiUender des Obetschulkollegiums in Hannover
und mit dem Geh. Kabinetsrat Hoppenstedt befreundet. S. Kohlrauschs Erinnenmgen,
1863, S. 267.
2) S. Bd. XIII, S. 196 f.
ä) J. W. G. Pfnor, 1792— 1869, S. Allg. d. Biogr.
lO März 1833.
411, Dissen an H.M Göttingen d. 4. März.
Hochgeehrtester Herr Professor, Bester Gönner und Freund! Nunmehr habe
ich von Hannover den bestimmten Aultrag eine officielle Vocation auf hiesige Uni-
versität an Sie gelangen zu lassen; beikoinmender (an mich gerichteter) Brief ist
mir zu dem Ende übersandt worden, daß ich Ihnen denselben unmittelbar selbst
mittheilen soll. Der Himmel öffne nun Ihr Herz unsern Wünschen und Bitten.
Meinerseits erlaube ich mir nun folgende Betrachtungen und Nachrichten beizufügen.
Unser Curatorium wird von zwei sehr braven Männern verwaltet, den Ministern
von Arnswald und von Stralenheini , von denen ersterer nahmentlich ein wissen-
schaftlich sehr kenntnißreicher Manu. Ihnen beigegeben ist der Geheime Cabinets-
rath Hoppenstedt, Verfasser des anliegenden Briefes, ein Mann von dem allerbesten
WiUen und der größten Thätigkeit. zugänglich allen nützlichen Vorstellungen. Das
Curatorium bietet Ihnen nun, wie ich aufrichtig versichere, || das, was nach hiesigen
Umständen möglich. Überbieten in der Höhe der Gehalte können wir die preußische
Regierung nun einmahl überhaupt nicht, die 6umme von 1500 Thl. Cour. M. ist
ungefähr das maximum hiesiger Besoldungen, womit alle altern Familien vollkommen
bequem und wohl leben. Die Hälfte zahlt man in Conventions Münze, welche nach
Preußischem Gelde einen Groschen Agio auf den Thaler beträgt, die andere Hälfte
wird in Gold gegeben, welches hier seit vielen Jahren 5 Thl. 16 gute Groschen nach
Preußischem Gelde beträgt, von Hannover aber nur zu 5 Thl. 4 Grsch. angerechnet
wird. In die "Wittwen-Casse treten Sie sogleich ein bei Ihrer Ankunft und zahlen
alljährlich alsdann was alle ; sonstige Eintrittskosten sind dabei nicht. Hinsichtlich
des Freibittens der Honorare ist seit einigen Jahren bei uns eine sehr wirksame imd
vortreffliche Verfügimg von Hannover erlassen, so daß jetzt alle wohl zufrieden
sind und der früher eingerißene Unfug gänzlich aufgehört hat. Mit unserm Senat
ist auch eine Veränderung eingetreten, man wird dazu gewählt auf einige Zeit. Die
Prorectoratsgeschäfte sind sehr verringei-t, indem zwei Uuiversitätsrätüe die größte
Arbeit üben, welche außerdem dem Prorector in allen Dingen beistehen und zu
ßath II sind. Daher dächte ich daß Sie keine Dispensation sich ausbedingen sollten,
falls Sie können, was Sie jadoch können. Der Prorector wird übrigens aus allen
ordentlichen Professoren mit Stimmenmehiheit gewählt anjetzt, indem drei Candi-
daten dem Curator jedesmahl präsentirt werden. Alle Verantwortlichkeiten tragen
die Universitätsräthe mit. Die alte Universitätsjägeigarde ist abgeschafft, und da-
gegen ein Corps Landdragoner hier mit einem Hauptmann; jeder Student trägt eine
Sicherheitskarte beisich, wenn Unordnungen auf der Straße entstehen, fordert der
Dragoner 'die Karte und bringt auf diese Weise den Nahmen des Unruhstifters zu
Anzeige. In die Honorenfacultät wird eingerückt nach der Ordnung. So viel wäre
etwa von hiesigen Einrichtungen zu melden. Die Häuser sind sehr im Preise ge-
fallen, wollen Sie in der Folge sich ankaufen, können Sie für 5000 Thaler ein be-
deutendes Haus erhalten. Der Klafter Holz kostet 10—11 Thaler. — Was die
Prüfungscommission betrifft, von der die Rede in dem Schreiben, so existieren deren
sechs in den sechs Sitzen der Landdrosteien (Departement) des Königreichs, und
außerdem eine siebente hier, wozu Sie gehören würden. Michaelis und Ostern
werden daselbst die Abiturienten der hiesigen Schule geprüft, und außerdem die,
welche aus einem erlaubten Grunde an dem Orte ihres fori sich nicht haben prüfen
lassen oder können. Daß Sie mit darin eintreten möchten, habe ich veranlaßt, in-
dem Sie dadurch Einwirkung in || unser Schulwesen erhalten werden. Noch wünscht
1) 6 S. 8". H. Wien.
2) Wohl der vom 28. Febr. 1833, s. Bd. XV, S. 276.
März 1833. r I
das Curatorium daß Sie außer den speciellen Vorlesungen über Ihre Philosophie auch
noch populäre Vorträge zu schicklichen Mahlen halten möchten über acadeniisches
Studium und den "Werth allgemeiner Bildung (wo Sie daun ein anderes Collegium für
diese weglassen können, wenn Sie wollen); man weiß, daß Sie zu solchen Vorträgen
sehr aufgelegt sind und viel Geschick haben und verspricht sich von dieser Seite
Ihrer Thätigkeit ebenfalls erfreuliches Heil für den academischeu Geist überhaupt,
■wie denn überhaupt in Hannover ein sehr großes Vertrauen zu Ihnen besteht. Sie
können der Georgia Augusta auch dadurch unendlich viel nützen, allgemein wird
das Bedüi-fnis solcher Vortiäge gefühlt, man wird sich allgemein dafür- von Seiten
der Professoren interessieren. — Und nun überlegen Sie recht wohl alles im besten.
In Königsberg können Sie nicht bleiben, dürfen Sie nicht bleiben schon Ihrer Ge-
sundheit wegen, Sie haben die Pflicht diesen Punct fest im Auge zu behalten. Geld
und weitere Titel können Ihrer Gesundheit nichts nützen, Sie haben außerdem keine
Kinder und können mit dem gebotenen Gehalte hier glücklich und zufrieden leben.
Aber man kann Sie nach Berlin versetzen? Fraglos || kann man das und Sie er-
halten dadurch eine große Satisfaction. Aber laßen Sie mich es offen gesteheu,
außer der Ehi-e dort zu sejTi, was haben Sie weiter dort? Mitten unter anders-
denkenden Menschen von entschieden widerstrebender Meinung und Abneigung gegen
Ihre Philosophie, wie viel dürfen Sie hoffen zu wirken? Dazu werden Sie älter,
wo man die Agitation in der Nähe immer weniger liebt. Hier können Sie ruhig
auch dem Alter entgegen sehen, haben nichts entgegenstehendes zu bekämpfen,
werden den Dank und die Anerkennung der Regierung stets auf erfreuliche Weise
empfinden. Sie leben in der Mitte von Deutschland, können Ihre Wirksamkeit
leichter nach allen Seiten verbreiten, können nach dem Süden reisen in schönen
Herbstjahrzeiten, und was Sie sonst wollen. Überlegen Sie das alles recht wohl in
guter Stunde und weisen Sie die Vocatiou nicht schnell von der Hand. Sie werden
mich zudringlich nennen? Nun ich rede für Hannover, die Universität und mich
zugleich, da werden Sie ja wohl meinen Eifer verzeihn. Hat man mich doch selbst
vom Curatorio aufgefordert alle meine Beredsamkeit anzuwenden, und man schickt
bloß des li wegen den Antrag durch mich an Sie, um mir Gelegenheit zu geben Sie
auch meinerseits zu bitten, da man glaubt daß ich etwas bei Ihnen gelte. In der
Folge werden Sie auch noch directe Briefe von Hannover erhalten. Umgang werden
Sie hier auf das bequemste haben können; es sind viele junge wackere Männer jetzt
hier in den besten Jahren z. B. Dahbnann, Jacob Grimm, ein geistreicher Physiker
Prof. Weber, mit dem ich auch selbst umgehe; ein Mathematiker wird gesucht.
Daß Sie Ihrer Regierung den Antrag vorlegen ist natürlich, und auch in Hannover
will man das nicht anders, aber man hofft daß die Erinnerung an die zum Theil
heiteren glücklichen Jahre Ihres fiüheren Hierseins, wo Sie manchen angeregt haben
imd gewonnen, auch etwas wirken werden und sieht Ihren Entschließungen mit ge-
spanntester Erwai-tung entgegen. Haben Sie noch billige Wünsche, so äußern Sie
mir diese. Nehmen Sie die Sache auch mit Ihrem Gemüthe in Überlegung, von
vielen Seiten achtet, liebt man Sie in voraus, der Glanz Ihres Namens wird unserer
Universität neues Leben ertheilen, es ist nur Dank, der Ihrer hier wartet. Von mir
rede ich nicht; denn meine Gesundheit ist leider in diesem Winter fast zerrüttet,
und Gott weiß wie es gehn wird: ich rede nur für das Interesse der Universität,
und wie icü mir einbilde, auch Ihi- eigenes. Und nun habe ich alles vom Herzen
weggesprochen, und möchte den Ernst mit dem Scherz schließen, daß ich eine ab-
schlägige Antwort überall nicht annehme.
Ganz der Ihrige Dissen.
*&>'©'-
Ihr hoffentlicher Antritt wird ja wohl Michaelis seyn.
12 März 1833.
412. An Bissen.^) Königsberg, 15. März 1833.
Haben Sie die Güte, mein theurer Freund ! dem Herrn geheimen
Cabinets-Rath Hoppenstädt aufs ehrerbietigste meine lebhafte Dankbarkeit
für so große Gewogenheit zu bezeugen. Wie die Sache steht, und wie
ich sie ansehe, muß ich Ihnen nun aufrichtig sagen. Meinerseits mache
ich keine andern Vorschläge ; weder zu Hannover noch zu Berlin. Sollten
mich die Umstände zu irgend einer bescheidenen Bitte noch künftig be-
stimmen, so würde ich, anspruchlos, auf geneigtes Gehör hoffen. Beym
Hrn. Oberpräsidenten bin ich gewesen; auch bey unserm Herrn Curator;
an beyden Orten wurde ich zu großen Anträgen in Berlin ermuntert;
ich habe das rein abgelehnt, und diese Ablehnung in einem Schreiben
angedeutet, das ans Ministerium gehen wird. Meine Gedanken 'sind rein
auf Göttingen gerichtet. Eine entfernte Möglichkeit wollen wir uns gleich-
wohl nicht verhehlen. Käme unerwartet, und von mir nicht veranlaßt,
jetzt doch ein Ruf nach Berlin: so wäre es, bey aller Wahrheit dessen
was Sie darüber sagen, der Befehl des Königs an seinen Unterthan; und
Widerrede um so weniger möglich, da eine solche persönlich vom Kron-
prinzen, der mich kennt, möchte übel genommen werden. Sein Misfallen
würde einer übermüthigen Parthey, die weit verbreitet ist, zum Stüizpuncte
für die gehässigsten Auslegungen dienen, als ob ich nicht wagte, ihr in
die Nähe zu kommen. ||
So liegt die Sache. Es ist nichts zu besorgen, wenn nicht der Ober-
präsident an den Kronprinzen 2) schreibt. Geschieht aber das, so kann sein
Einfluß wirksam werden. Fragt man, worüber ich zu klagen habe (und
solche Fragen gerade waren schon an jenen beyden Orten das Erste), so
läßt sich nichts angeben, denn zu lauten Klagen ist kein Grund. Sie be-
greifen ohne mein Erinnern, daß, während ich den schnellen Entschluß
der königl. Hannoverschen Regierung mir zur höchsten Ehre rechne, und
gerade darauf mein Vertrauen gründe, ich doch von einem Contrast, den
ich wohl sehe, nicht sprechen darf.
Wann aber will die königl. Hannoversche Regierung mich annehmen?
Langes Abschied-Nehmen während eines halben Jahres ist mir zwar nicht
lieb; aber mein Hausverkauf wird Schwierigkeit machen. Wird es mir
gestattet werden, mich nach Umständen zu richten? Würde ich allenfalls
selbst mitten im Sommer willkommen seyn, da ich in einigen allgemeinen
Vorträgen von dem Plan meiner Haupt -Vorlesungen sprechen könnte?
Was ich Ihnen hier, völlig ohne Rückhalt, geschrieben habe, das
können Sie, mein theurer Freund, eben so rückhaltslos dem Herrn geh.
Cabinetsrath vorlegen; es wird dort gut verwahrt seyn! Bessern Nach-
richten von Ihren Gesundheits-Umständen sehe ich mit Sehnsucht entgegen.
Ganz Ihr Herbart.
413. An Bissen.^) - Königsberg, 17. März 1833.
Wie sehr es mir Ernst ist, mein theurer Freund! mich nach Göttingen
hinzuwünschen, das wissen Sie aus allen meinen Briefen; besonders aus
1) 2 S. 4". H. Wien.
*) Über Herbarts Beziehungen zu ihm vergl. man den vorhergehenden Band S. 62.
3) 4 S. 8». H. Wien.
März 1833^ 13^
dem letzten, der Ihnen gesagt hat, daß ich sehr ansehnliche Vorschläge
zu hiesiger Verbesserung, die mir vorläufige hiesige Äußerungen anzubieten
schienen, schon abgelehnt habe. Möge es Sie nun nicht befremden, wenn
ich die Zwischenzeit, welche die Königl. Hannoversche Regierung nicht
sowohl mir, als vielmehr dem Preuß. Ministerium als Bedenkzeit ohne
Zweifel gestatten wird, zu einer Frage benutze, die bey mir sehr ins
Gewicht fällt. Die Prüfungs-Commission, an der ich Theil nehmen soll,
erscheint mir wie ein schwarzer Punct, der sich mir vielleicht durch eine
optische Täuschung vergrößert; je länger ich ihn betrachte, desto mehr.
Sie Selbst haben, wie Sie mir sagen, diesen Gegenstand — in bester
Absicht — herbeygeführt; Sie können ihn also vielleicht wieder entfernen,
und Sie werden es versuchen, wenn Sie hier lesen, daß mir dadurch die
Freude an Göttingen könnte verbittert werden. Mein Entschluß, nach
Göttjngen zu gehn, wird freylich dadurch nicht wankend werden; und von
-dem, was man wohl Bedingungen nennt, kann meinerseits nicht die Rede
seyn; sondern nur von Bitten. ||
Es ist jetzt nicht Zeit zu entwickeln, was ich gegen solche Prüfungs-
Commissionen, wie ich sie hier kenne — quarum pars magna fui — ein-
zuwenden habe. Solche Schnürleiber für die Schulen, wie hier, können
kaum in einem Staate, der nicht der Preußische ist, seyn oder dauern;
sie sind auch nicht nöthig, wenn, wie ich hoffe, tüchtige Bürgerschulen
neben den Gymnasien vorhanden sind, welche die zum Studiren un-
aufgelegten Köpfe an sich ziehn, und die Gymnasien von dieser Wurzel
des Übels frey halten. Aber ich bin, wie Sie wissen, kein Welt -Ver-
besserer ; und wünsche nur bloß nicht selbst in Geschaffte, die mit meiner
Überzeugung nicht stimmen, hineingezogen zu werden. Meine Frage ist
eine rein persönliche, sie betrifft mich allein.
Die Prüfungen sind, wie Sie schreiben, um Michaelis und Ostern?
Also wären die großen Ferien besetzt, und ich hätte nicht Freyheit. um
■diese Zeit zu reisen?
Gerade aber auf die Erlaubniß, oft und nach Belieben zu reisen, —
natürlich nur in den Ferien, denn die Vorlesungen zu unterbrechen, kann
Niemandem verdrieslicher seyn als mir — kommt es mir sehr wesentlich
an. Nur darauf kann ich die Hoffnung bauen, in meinem || Alter noch
eine geraume Zeit lang bey guten Kräften zu bleiben. Und persönliche
Berührung mit Gelehrten wie Drobisch und Brandis ist mir ebenfalls Be-
dürfniss.
Hiemit habe ich nun noch keineswegs die Theilnahme an den Ge-
schafften der Prüfungs-Commission ganz abgelehnt. Im Gegentheil, das
bey weitem wichtigste Geschafft, die Prüfung derjenigen, welche als Lehrer
angestellt seyn wollen, — ist an keine Jahreszeit gebunden; es ist über-
dies in meinen Augen der heilsamste Theil dieser Art von Einrichtungen.
Die Wirkung auf die Lehrer hält untüchtige Subjecte fem von den
Schulen; damit bin ich ganz einverstanden. Aber — liegt das in dem
Wirkungskreise der Prüfungs - Comm. zu Göttingen? Hat man sich das
nicht vielleicht in Hannover vorbehalten?
Können vielleicht die Abitunenten - Prüfungen in Göttingen etwas vor
Anfang der Ferien gehalten werden? Zuweilen geschieht das hier, und es
14 März 1833.
ist den Schulen in so fern auch bequem, als dadurch eine Zwischenzeit
entsteht zwischen dem gewöhnlichen Schul-Examen aller Klassen und jener
Prüfung der Abgehenden; welche letzteren gern frühzeitig erfahren mögen,
ob sie das Zeugniß der Reife bekommen. ||
Sie sehen, ich suche mich anzubequemen. In der That kann ich,
wenn es seyn muß, dort thun, was ich hier so oft gethan habe, nämlich
nach Gesetzen, die ich freylich nicht ganz zweckmäßig finde, dennoch
eine öffentliche Function ausüben. Bald als Deputirter der Stadt, bald
als Dirigent der Prüfungs-Commission, bald als Schulrath, habe ich den
Schul-Gesetzen gemäß gehandelt, wohl wissend, daß man sich der einmal
vorhandenen Ordnung gemäß zu bewegen wissen muß.
Die Hauptsache ist: die Ferienzeit frey zu haben, und nicht in
große Nebengeschäfifte verwickelt zu werden, da theils schon die Vor-
lesungen, an denen beständig zu bessern ist, theils aber besonders die
Untersuchungen, die ich noch vorhabe, mich vollständig in Anspruch
nehmen. Dafür wird in meinem späten Alter die Stimmung nur gar zu
leicht verdorben. Und was ich in Göttingen suche, was ich hier ent-
behre, das ist ein Göttingisches Katheder, vor welchem sich Menschen
aus allen Gegenden, frey vom Provincial- Geiste, versammeln. Wer hätte
dafür nicht immer Arbeit vollauf?
Nun, mein theurer Freund! Berichtigen Sie, wo nöthig, meine An-
sicht, und zählen jedenfalls das hier Geäußerte zu den anspruchlosen
Wünschen. Werden Sie nicht böse, wenn dergleichen vielleicht noch nach-
kommen; es ist immer besser, jetzt, als später; damit man nicht sage:
„warum hast Du nicht gesprochen da es Zeit war?"
Ganz Ihr Herbart.
Meine volle Dankbarkeit für Ihre gütigen Mitwirkungen und Ver-
mittelungen versteht sich so sehr von selbst, daß ich darüber keine Worte
machen will; Sie kennen mich von alter Zeit her. Sollte Ihnen dieser
Brief nicht heiter genug scheinen, so schieben Sie die Schuld auf die jetzt
hier herrschende Influenza, die ich, wie früher die Cholera, ohne eigentlich
krank zu seyn, doch einigermaßen wie einen unbehaglichen Dunst emp-
finde. Möchte ich nur von Ihrer Gesundheit bessere Nachrichten be-
kommen, dann würde ich erst anfangen mich recht zu freuen.
414. An Prof. Dr. Sachs in Königsberg, i) Königsberg, 26. März 1833.
Bei Rücksendung des mir gütig geliehenen 11. Heftes des Conver-
sations - Lexikons der neuesten Zeit"-) erlaube ich mir einige Worte nicht
') Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Sachs', ein ehemaliger Zuhörer Fichtes in
Jena, hatte bei Herbart Psychologie gehört. Vgl. Bd. XVII, S. 135 ff. Der Brief
wurde nach einer Abschrift, Sanios zuerst durch Zimmermann an die Öffentlichkeit ge-
bracht in den Sitzungsberichten der Kaiserl. Akademie der Wiss., phil.-hist. Cl. 69. Bd.,
Wien 187 1, S. 230 ff., später ist er gedruckt bei Zimmermann, a. a. O. S. loi ff.
-) Conversations-Lexikon der neuesten Zeit u. Lit., 2. Bd., Leipzig, Brockhaus 1833,
S. 419. Dort heißt es u. a. : ,,H- ist der Urheber eines eigentümlichen, sehr inter-
essanten Systems, auf welches zwar das Fichte'sche unverkennbaren Einfluß geäußert
hat, wie es denn in der skeptischen Auffassung der Erfahrung und in der Lehre von
den Vorstellungen seine Abhängigkeit von jenem Idealismus und dem der Eleaten . . .
März 1833. 15
bloß an Sie, sondern zu jedem Gebrauch, den Sie angemessen erachten
werden. Sie liehen mir nämlich das Heft beinahe nur unter der Be-
dingung, daß ich den mich betreffenden Artikel nicht beantworten würde.
Gut, wenn er mich allein anginge; nicht gut, in wiefern er das Andenken
Kant's als durch mich compromittirt darstellt. Dies hat locale Wichtigkeit
und Sie wissen, daß meiner Zeit für hiesige Verhältnisse eine Grenze
gesteckt ist. In Ihre Hände will ich eine kurze Erklärung niederlegen
über die Frage : ob ich Ursache hatte mich Kantianer zu nennen, welcher
Ausdruck nach dem Vorgeben des Conv.-Lex. „wie Hohn klingt".
An Kant's Vemunftkritik haben sichtbar zwei Wissenschaften, die bei
aller innigen Verbindung doch toto genere verschieden sind, ziemlich
gleichen Antheil, nämlich Metaphysik und Psychologie. Natürlich kann
nun das Werk verschieden beurtheilt werden, je nachdem man die eine
oder andere Seite desselben vorzugsweise ins Auge faßt. Die unbedingten
Kantianer unterscheiden das nicht, vielmehr da im Vortrage Kant's das
Psychologische zur Grundlage gemacht ist, so lassen sie sich's gefallen,
das Metaphysische als ein darauf beruhendes (gerade gegen das wahre
und in älterer Zeit aligemein anerkannte Verhältnis beider Wissenschaften)
hinzunehmen. Was aus dieser Weise der Auffassung wird, das läßt sich
mit einem Worte aussprechen; denn Fries ist's, der so zu Werke ging
imd deßhalb als orthodoxer Kantianer lange genug gegolten hat. Meine
Weise ist die umgekehrte ; ich betrachte zuerst das Ziel Kant's, was durch
den Titel selbst ganz unzweideutig bezeichnet ist. Die reine Vernunft im
Gegensatze des Verstandes — mit andern Worten : die speculative Theo-
logie im Gegensatze der Erfahrungs-Erkenntniß, wie der Bau des Werks
unwidersprechlich zeigt — soll kritisirt werden. Aber damals, da die
Arbeit entworfen wurde, war speculative Theologie noch weniger als jetzt
ein Gegenstand, den man geradezu hätte anfassen können. Er war mit
der Dogmatik verwachsen. Und gesetzt, daß Kant das Anstößige nicht
scheute: so mußte theils das Bestreben, deutlich und eindringlich zu
sprechen, theils die von Locke, Leibniz, Hume herrührende Richtung ihn
auf das psychologische Feld führen. Was fand er hier? die Seelen-
vermögen. Was war die Folge? Sie war ganz ähnlich der, wenn Jemand,
der ein Messer braucht, nur eine Axt oder ein Beil statt aller anderen
schneidenden Werkzeuge vorfände, und nun, um damit doch einigermaßen
schneiden zu können, sich alle Mühe gäbe, das schlechte Geräth möglichst
scharf zu schleifen. Ohne Bild: Kant brauchte die Psychologie als Mittel
zum Zweck eines möglichst klaren Vortrags; daher bildete er den Irrthum
der Seelenvermögen so weit aus, als er konnte.
nicht verleugnen kann, aber gleichwohl durch eine andere Methode, durch ein skeptisches
Moment in Beziehung auf das Ich selbst, sowie durch realistische Prinzipien, welche an
Leibniz' Monaden erinnern, sich von demselben wesentlich unterscheidet. Auch nennt
sich H. zuweilen einen Kantianer, -welcher Ausdruck jedoch wie Hohn klingt^ wenn
man erwägt, daß er dem Hauptwerke Kants, der „Kritik der reinen Vernunft", fast
allen objektiven Wert abspricht, sie, sowohl der Ausführung als dem ihr zum Grunde
liegenden Gedanken nach, für ein verfehltes Werk hält, dessen Weg, wenn anders Meta-
physik dauerhaft begründet werden solle, man gänzlich aufgeben müsse, um sich in einer
ganz andern Richtung zu bewegen." — Über den Verfasser des Artikels hegte Herbart
eine Vermutimg, die aber nicht bekannt geworden ist. Auch mit Hilfe des Archivs
der Firma F. A. Brockhaus war der Name nicht zu ermitteln.
l6 März 1833.
Bin ich nun Kantianer, wenn ich diese ganze psychologische Zu-
rüstung als eine Summe von Mißgriffen tadele? Vermuthlich nicht! Aber
wie, wenn ich darüber den richtigen metaphysischen Blick und den im
Wesentlichen richtigen Tact in Behandlung der Hauptsache, nämlich der
vorgeblich wissenschaftlich-strengen speculativen Theologie — als Verdienst
Kant's anzuerkennen versäumt — wenn ich das Aehnliche meiner Lehre
mir als mein Eigen thum, gegenüber dem modernen Spinozismus, zu-
geschrieben hätte? Mit einem Worte, wenn ich nicht hätte Kantianer
heißen wollen? Dann würde man mit Recht gefragt haben, ob denn meine
Veränderungen des Innern der Wissenschaft wohl die Vergleichung aus-
halten könnten mit den von Kant schon festgestellten großen Haupt-
Umrissen. — Kant stritt gegen die alte metaphysische Theologie; ich
streite mit den Spinozisten, aber ich müßte mit sehenden Augen blind
sein wollen, um nicht zu sehen, daß dieser Streit und jener im Wesent-
lichen einerlei ist. Denn Spinoza und Descartes waren gar nicht so fern
von der alten Metaphysik der Schulen, daß hier ein großer Unterschied
sein könnte, und ich habe am gehörigen Orte ausführlich genug gezeigt,
daß Spinoza's Lehre nur eine besondere durch ihre Keckheit mehr hervor-
leuchtende Form der alten Schul-Metaphysik ist.
Beinahe ein Viertel -Jahrhundert lang war Kant's ehemalige Stelle
an der hiesigen Universität die meinige. Und nachdem ich diese Stelle
durch ihn mit bleibendem Glänze umgeben anerkannt, ja mir selbst einen
Sectennamen beigelegt habe, den ich allerdings aus hundert starken
Gründen verschmähen konnte, fängt man noch Händel mit mir an, indem
man als Anmaßung mißdeutet, was gerade nur Vorkehrung gegen alle
denkbare Anmaßlichkeit war? Der Meinung bin ich nicht; meine Geduld
hat ihre Grenzen. Für's Erste aber begnüge ich mich, diese sehr flüchtigen
Zeilen in Ihre Hände zu legen, wobei die Absicht wohl klar sein wird.
Es kommt nämlich darauf an, daß meine Protestation nicht als ein leeres
polemisches Gerede erscheine, dergleichen Jedermann, der eine dreiste
Stirn hat und mit der Feder leidlich umzugehen weiß, bei allen Gelegen-
heiten ohne Mühe vorbringt. Sie, Verehrtester! werden wohl einmal so
viel — oder so wenig Muße (denn viel ist dazu nicht nöthig) finden, als
Sie -brauchen, um in Kant's Vernunft-Kritik die von mir angegebene Ver-
bindung des Metaphysischen mit dem vorgeschobenen Psychologischen zu
recognosciren und zu verifisciren. Das Uebrige bietet sich Ihnen von
selbst dar und Sie können dann in meinem Namen jedem Ehrenmann
Bescheid geben, der durch ein so vielfach verbreitetes Buch, wie ein
Conversations-Lexikon, gegen mich aufgeregt glauben könnte, man müsse
Kant's Andenken gegen mich in Schutz nehmen.
Wollen Sie sich aber nicht weiter einlassen, so belieben Sie nur Ihr
legi zu unterzeichnen und alsdann das Blatt an die Professoren Sanio
und Sieffert zu schicken, welche wohl die Gefälligkeit haben werden, diese
Zeilen durchzusehen, ihr legi gleichfalls beizufügen und alsdann mir die-
selben wieder zukommen zu lassen. Was ich weiter thun werde, das wird
sich finden, für's Erste war nöthig, daß ich einige sachkundige Männer
in den Fall setzte, mit dem Gegenstande der Frage sich einigermaßen zu
beschäftigen. Herbart.
März 1833. 17
415. Reichhelm an H.M B. d. 26. März 1833.
Herbait Lat seinen Ruf nach Göttingen dem Alinisterio angezeigt; — Sie
können mit Schulze darüber sprechen, liebster Reichhelm. Schulze sa^t, er wisse
nicht, was Herb, wolle? — ich antwortete: nach Berlin; worauf entgegnet wui-de:
Das hat der Herr Minister zu entscheiden. Wir sprechen wohl darüber.
Herzlichst Ihr Dieterici.-)
Zu dem, mein verehrter Freund! was Sie aus vorstehenden vertraulichen
Zeilen ectnehmen, kann ich inter privatos penates noch hinzu fügen: daß die
Sache zwischen Ihrem Minister und Ihrem Dezernenten von Mais verhandelt wird.
Der Platz ist, soviel ich weiß, leer. Der erste Antrag auf H. Gablers Her-
Berufung ist vom Cabinet aus abgelehnt. Man sagt, es sei ein zweiter Bericht er-
stattet, per bis jetzt ohne Allei höchste Entschließung verblieben. ||
Mit Ihrem Dezernenten follicitierend zu reden, dazu darf ich mich nicht früher
entschließen, bis Sie mich dieserhalb mit Autorisation versehen. Obendrein halte ich
es für nutzlos. Kann etwas helfen, so würde es eine hohe Intervention, etwa des
Kronprinzen seyn. Überlegen Sie, mein Verehrter! ob Sie unmittelbar, oder etwa
durch Anxillon, die Theiluahme der -K. Hoheit in Anspruch nehmen können? Fast
sollte ich meinen, ja. Sie wollen Preußen verlassen: der Thronfolger ist gegen Sie
gnädig gewesen. Was Wunder, wenn Sie Ihm die Gründe Ihrer Entschließung und
dies Anheimstellen (?) entwickeln : ob Er Ihre Versetzung nach Berlin veranlassen
wolle; wodurch Sie allein Entschädigung finden können. Hegel hat 2000 Thlr.
gehabt; für Gabler sind jedoch, dem Vernehmen nach, nur 1600 Thlr. in Antrag
gestellt gewesen.
So ungern eine bestimmte Partei Sie hier sehen möchte — wenn der Prinz
ernstlich will, so fügt man sich in das Unvermeidliche. Auf andere Weise, glaube
ich, wird es nicht gehen, da die herrschenden Interessen gegen Sie sind.
Nach Ihrem Briefe war es hier unerwartet, daß Sie dem Ministerio offizielle
Anzeige eingereicht haben. Indessen finde ich, ist das in der Ordnung. Wenn
Sie aber überhaupt sich entschließen, weiterm Handeln vorzugreifen, so ist Be-
schleunigung noth wendig, damit Sie nicht früher abgehenden Ministerial - Erlaß
empfangen als höhere Intervention erfolgen kann. Auf jeden Fall unterrichten
Sie mich.
Dr. Strüpmell ist bey mir gewesen, während ich einem der vielen Oster-
Examina beiwohnte — . Leider hat er vergessen, meinen Leuten seine Wohnung zu
sagen, || und so bin ich um seine Bekanntschaft und ein freundliches Wort mit ihm
gekommen.
Auf jeden Fall werde ich Sie wiedersehen. Wie viel lieber, als hieher Ver-
setzten, denn als Durchreisenden! Es würde eine wahrhafte Erheiterung für mich
seyn, mit Ihnen an dem nehmlichen Orte zu leben und zu wirken. Einst hielt ich
den Anspruch für zu natürlich. — Wie störend haben gewisse Leute auf Ihr Leben,
und das meinige eingewirkt!
Man kann bey solcher Wahrnehmung sich nur dem religiösen Tröste über-
lassen. Vielleicht sehen wir einst die Dinge, und die Personen anders. Richthofen
war einige Wochen hier, und hat viel am Hofe gelebt ; begünstigt vom Kronprinzen.
Sein Sohn geht nach Göttingen, oder Heidelberg.
Meine Frau u. Kinder empfehlen sich Ihnen und Ihrer lieben Gattin freund-
lichst. Auch in meinem Hause wüthet die sogenannte Grippe doch in milder
*) 4 S. 4». H. Wien. — -) Die ersten Zeilen des Briefes hat Geh. Rat Dieterici,
ein früherer Schüler Herbarts, an Reg.-Rat Reichhelm (über ihn s. 0. Nr. 299) gerichtet.
Herbarts Werke. XVIII. 2
l8 AprU 1833.
Form. Ich selbst kann vor der Masse der Arbeit, und den dauernden Kämpfen —
kaum zu rechter Besinnung, und zu einiger Freude über das Errungene gelangen.
Nehmen daher auch Sie mit flüchtigen Zeilen vorlieb. Die Gesinnung ist,
denke ich, Ihnen bewährt.
Mit treuer Seele
ß. 30. 3. 33. Ihr R[eichhelm].
Adresse: An
des Kgl. Schulraths, Professors der Philosophie und Ritters Herrn Herbart
postfrei cito. Hochwohlgeb. in Königsberg i. Pr.
416. An Dissen.^) [Königsberg, 2. April 1833]
Mein theurer Freund! Heute, am zweyten April, befinde ich mich
noch in der vollkommensten Ungewißheit; nachdem doch am 15 März
mein Schreiben an das hiesige Curatorium soll nach Berlin abgesendet seyn.
Nicht einmal ein Privatbrief ist angekommen. Und meinerseits hatte ich
zu Deliberationen so wenig Stoff als irgend möglich gegeben; ich hatte bloß
ans hiesige Curatorium so geschrieben: ich wisse nicht, ob es schon Zeit
sey, förmlich um den Abschied anzuhalten, denn die Königl. Hannoversche
Regierung habe keine Zeit bestimmt, wann sie mich annehmen wolle,
und es möchte mir daher begegnen können, früher von der einen Seite
verabschiedet als von der andern angenommen zu werden.
Auch von Ihrer Seite bin ich ohne Nachricht! Meine Erwartung war:
Herr g. Cabinetsr. Hoppenstädt || würde gleich nach Empfang meines
Briefes einen Termin bestimmen, bis zu welchem spätestens meine definitive
Antwort müsse eingelaufen seyn. Dadurch wäre denn auch mir die Be-
ruhigung gegeben, daß ich so lange wartend der Preußischen Regierung
meinen Respect hinreichend würde bezeugt haben. Und wie sollen wir
sonst aus der Sache kommen?
Sie wissen, daß es für mich Verhältnisse giebt, die ich durch will-
kührliches Abbrechen zu verletzen mich scheuen muß. Sollte Herr g. C. R.
H[oppenstädt] jetzt noch einen Termin setzen wollen, so wünsche ich nur,
daß dabey eine zulängliche Rücksicht auf den Postenlauf möge genommen,
und ein kleiner Spielraum für etwanige Ungunst des Zufalls möge gelassen
werden. Meinerseits brauche ich keine Bedenkzeit; die Rücksichten, die
ich nehmen muß^ liegen mir klar vor Augen.
Es thut mir wahrlich leid, mein theurer Freund, wenn ich Sie bey
Ihrer schwachen Gesundheit mit meinen Angelegenheiten plagen muß;
vollends jetzt, da Ihnen die Influenza droht, die jetzt hier in der Gegend
umherzieht, und halbe Familien auf einmal ins Bett wirft, während sie
übrigens bekanntlich nichts weniger als gefährlich zu seyn pflegt, wenn
man sich nur schont. Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlseyn oder
doch Besserwerden der Ihrige! Herbart.
417. An Griepenkerl."-^) Königsberg 2. April [1833].
Sie werden wissen wollen mein theurer Freund wie die Sachen stehn.
Darauf antworte ich mit einiger Sorge. Man läßt mich aus Berlin ohne
') 3 S. 8". H. Wien. — Bei Zimmermann S. 56 f.
') I S. 4°. H. Wien. — Bei Zimmermann S. 81 f.
Aprü 1833. ig
Antwort; und was hinter diesem Schweigen steckt, läßt sich auf keine
Weise vermuthen. Hätte die Hannoversche Regierung mir nur einen
Termin gesetzt! Aber das ist auch nicht geschehn, und so sitze ich in
der Sorge, man könnte dort so lange zögern bis andererseits die Geduld
vergeht. An Dissen habe ich soeben geschrieben, und den Gedanken
eines noch jetzt zu setzenden Termins bemerklich gemacht. Mir liegt
sehr daran daß ich nicht in den Fall komme, mich aus purer Willkühr
aus Preußen loszureißen. Das geht aus vielen Gründen nicht gut an;
und doch — wenns seyn müßte!!
Sonderbar ist daß auch Reichhelm, ja daß Strümpell nicht schreibt.
Strümpell reiste nicht ganz wohl hier ab!
Hier in Königsb[erg] weiß alle Welt von dem erhaltenen Ruf, und
man würde gewaltig lachen wenn ich am Ende hier sitzen bliebe.
Noch eine Sorge ist daß Dissen so sehr erkranken könnte daß er
die weitere Besorgung nicht fortzuführen im Stande wäre. Es fehlt an
unmittelbarer Correspondenz mit Hannover.
Entschuldigen Sie die Eile.
Ganz Ihr H.
Suchen Sie doch von Dissen zu erfahren in wiefern periculum in
mora ist. Wer weiß ob nicht die Hannoversche Regierung es vermeiden
will, mir d. h. dem Preuß. Ministerium einen Termin zu setzen. Viel-
leicht erklärt man sich auch darüber lieber unter der Hand, und am
liebsten durch die dritte Hand. Mit Preußen verdirbts wohl Niemand
gern! — Wäre ich nur sicher, nach 2 — 3 Wochen in Hannover roch
angenommen zu werden, so machte ich doch, falls man mir in Berlin zu
lange zögert, der Sache kurz und gut ein Ende durch Annahme des
Göttinger Rufs. Daß mich der Berliner Glanz nicht blendet können Sie
mir glauben auch wenn ich dort Hoffnung hätte die ich nicht habe.
418. Dissen an H.^) Göttiagen, d. 11t. April.
Hochgeehrtester Gönner und Freund! Sie werden meinen letzten Brief er-
halten haben. Eher konnte ich nicht schreiben als geschehen. Denn als ich eben
auf Uebersendung Ihres Briefes aus Hannover Antwort erhalten hatte, kam ihr
zweiter, und ich mußte wieder nach Hannover schreiben und abennahls eine halbe
"Woche warten. Liegen laße ich die Briefe auch nicht Einen Tag, sondern expedire
jedesmal an demselben Tage, wo ich aus Hannover oder Königsberg Briefe erhalte,
aber Sie werden die Räume erwägen und die CoUisionen des Postenlaufs. In dem
letzten Briefe ist nun, wie Sie werden gesehen haben, peinlich alles beantwortet,
was Sie wünschten, || doch schreibe ich gegenwärtigen Brief zur Verhütung aller
Mißverständniße noch gern hinten nach. Von Hannover brauche ich keine neuen
Instructionen deshalb einzuhohlen, da ich hinlängliche Kenntniße habe von dem was
ich noch sagen will. Das Ministerium hat Ihnen keinen peremtorischen Termin für
die definitive Antwort stellen wollen, um Sie nicht unangenehm zu geniren, sondern
die Beschleunigung Ihnen selbst zu überlaßen ; ich habe aber dem Hrn. Hoppenstädt
versprochen. Sie zu bitten, sobald als möghch die definitive Erklärung der Annahme
des Rufs einzusenden, und sehe aus den Briefen des Hrn. Hoppenst. daß dieselbe
^) 4 S. 80. H. Wien.
20 April 1833.
in einigen Wochen allerdings erwartet wird. Sie werden selbst unsere Lage er-
meßen. Es fehlen mehrere bedeutende Professuren in diesem Augenblick und es
ist sehr wichtig || daß sie nicht bloß bald besetzt werden, sondern auch daß so bald
als möglich bekannt werde, daß und wie sie besetzt sind, und auf Ihren bedeutenden
Nahmen ist dabei sehr gerechnet. Dazu kommt, daß so lange Sie nicht definitiv
angenommen haben, nur die Gefahr der abschlägigen Antwort und neuer Negotia-
tionen mit andern bleibt. Sie werden also erwägen, daß die Rücksicht auf die
Hannoverische Regierung, die Ihnen sehr wohl will und Ihrer Acquisition mit ge-
spanntem Verlangen entgegen sieht, allerdings Sie antreiben und auch berechtigen
muß die Sache baldigst definitiv zu beendigen. Wenn also unterdessen noch
keine Antworten aus Berlin erfolgt sind, so werden Sie wohl den Knoten selbst
zerschneiden müssen, indem sie einfach Ihre Demission einsenden. Denn sollte
Ihre Antwort lange zögern, würde ohne Zweifel eine exhortation aus Hannover
an mich ergehen, daß ich Sie zur Beschleunigung bereden (?) möchte, || und Sie dann
doch den letzten Entschluß fassen müssen. In Berlin können Sie einst Ihre Rech-
nung nicht finden und Sie haben schon durch Ablehnung aller Verbesserungsvorschläge
außerdem mit dem Mmisterium gebrochen, welches ja nicht einsehen muß wie Sie
denken. Lassen Sie sich nicht täuschen durch den Schein und überzuckerte Worte;
wie man über Ihre Philosophie denkt, ist notorisch und auch Ihre Encyklopädie zuletzt
hat nur ungünstige Urtheile bei diesen Leuten und Kopfschütteln veranlaßt. Brandis
sagte mir schon Michaelis, er werde sich bemühen die ungunstigen Urtheile zu
schwächen und zu beschwichtigen. Das Wohlwollen des Kronprinzen kann Sie nicht
schützen gegen den Verdruß aller Art, der Ihnen doit bevorsteht, und auch der
kann ja eingenommen werden. Was wollen Sie machen wenn Ihre Collegien leer
sind? Setzen Sie sich doch um Himmelswillen diesen Dingen nicht aus. Den Dienst
kann jeder Mann aufkündigen und am meisten ein Professor. Schicken Sie also
I;urz und gut Ihre Demission ein; und kommen Sie zu uns in der Mitte spätestens
des Sommers. Recht bald sehe ich einer Antwort entgegen. Damit Ihre Ernennung
nach London abgehen kann. Abgeschlagen wird in London nichts der Art und in
vier Wochen ist die Unterschrift des Königs zurück, währenddem Sie sich zur Reise
anschikken. Ganz der Ihrige Dissen.
Wenn Sie Ihre definitive Antwort schicken und noch Wünsche haben, wäre
•'S wohl am besten dieselben alsdann gleich zu äußern. Uebrigens pflegt das
Ministerium auch ad mandatum speciale selbst zu ernennen; wenn die Sache eilt, die
Hauptsache ist, daß Sie nur annehmen.
75. Apr.: Brief an Dissen (XV. 279—280).
419. An Dissen.') Königsberg 16 April 1833.
Bloß der Sicherheit wegen, mein theurer Freund! schreibe Ich Ihnen
heute noch einmal, obgleich eilig. Ob mein gestriger Brief so aussieht,
daß Sie ihn nach Hannover srhi( ken können, weiß ich nicht; Sie werden
es beurtheilen. Eine plötzliche Todes-Nai bricht einer Freundin, wodurch
meine Frau sehr hart angegriffen wurde, setzte auch mich beym Schlüsse
des Briefes in Verwirrung, so daß ich nicht weiß ob ich passend genug
geschrieben habe, , überdies liegt mein Bedienter krank, und ich selbst
konnte nicht auf die Post gehn.
^) 2 S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann S. 57 f.
April 1833. 2 1
Der wesentliche Inhalt meines Briefes war: daß ich den Ruf nach
Göttingen difinitiv annehme. Denn der Vorbehalt des nachzusuchenden
Abschiedes ist bloße Form. Ich will nun nach Göttingen; was auch
hinter dem Schweigen des Ministeriums stecken möge. Es giebt zwar
hier noch immer Personen, die es für eiiie Unmöglichkeit halten, daß
man mich gehen lasse, aber die Weisheit oder Unklugheit dieses Wartens-
Lassens vollendet meinen Entschluß. Glauben Sie nicht, das ich in Hin-
sicht auf mich selbst je geschwankt habe. Mir ist Göttingen am be-
quemsten; und die dortigen reinen Verhältnisse sind mir unendlich lieber,
als das Paithcytreiben in B[erlin] Eine andre Frage ist freylich, ob
Göttingen jetzt der Wissenschaft, und ihrer Verbreitung, so gelegen sey,
wie B[erlin] was einmal ein Übergewicht erlangt hat. Der Preußische
Staat im Ganzen, und abgesehen von einzelnen Handlungen einzelner
Minister, hat einen sehr hohen Grad von Energie, er steht viel vester
als man im Auslande vielleicht glaubt oder wünscht, und wirkt durch
sein Beyspiel ungeheuer; daher es mir in der öffentlichen Meinung viel-
leicht kaum Gewinn bringen wird, daß ich mich von Preußen trenne.
Aber das mag nun seyn wie es will; für mich sind zwey Personen zu
mächtig, als daß ich länger in ihren Wirkungssphären bleiben dürfte.
Sehr wahrscheinlich lassen diese Herrn die Zeit verfließen, damit ich
unterdeß thöricht genug sein soll, den Göttingischen Ruf durch mein
Säumen zu verscherzen und zu verlieren. Aber ich hoffe, mein Annehmen
kommt in Hannover noch früh genug. Daß ich nach Empfang Ihres
Briefes vom 29 März noch acht Tage gewartet habe; (der Brief kam
nämlich um Ostern hier an) wird man mir in Hannover nicht übel deuten.
Doch hievon eben wünsche ich nun durch Ihre baldigste ausdrückliche
Versicherung gewiß zu werden; und deshalb bitte ich Sie um die schnellste
mögliche Antwort. Alsdann erst kann ich in voller Ruhe meine hiesigen
Angelegenheiten weiter besorgen, ||
Überdies wünsche ich nun einige vertrauliche Eröffnungen von Ihnen
zu empfangen über die Verhältnisse in Göttingen selbst. Kaum ist zu
hoffen, daß ich dort Allen willkommen seyn werde. Wahrscheinlich wird
etwas von Schellingischer und Hegelscher Lehre auch bey Ihnen sich ein-
gewurzelt haben ; denn vom Mitmachen hat Göttingen schwerlich ganz
frey bleiben können. Daneben wird das Vornehmthun gegen alle Philo-
sophie auch noch fortdauern. Geben Sie mir also einige Winke, wie ich
etwa dort zu gehn und zu stehn habe. De.'-gleichen wäre nach einer
Wohnung zu fragen ; ich wünsche daß meine Frau darin so wenig als
möglich entbehre; und wir sind hier durch eigenes Haus, eignen Hof und
Garten in der That sehr verwöhnt. Jedenfalls müssen wir Anfangs zur
Miethe wohnen. Wie steht es um die Auditorien? — Gar vielerlei muß
ich nun von vorn an einrichten, was ich mir hier in aller Vollständigkeit
geschafft hatte ; dahin gehört auch mein Auditorium, was ich mit Hülfe
zweyer großer Thürfiügel nach Umständen groß oder klein mache. — Wie
steht es um den Fleiß der Studenten? Das ist eine Hauptsache, an der
es hier in Königsberg leider! fehlt. Kommt die Mehrzahl der Studenten
jetzt irgendwie auf Philos[ophie] vorbereitet dahin, oder muß man im
Vortrage vom a b c anfangen? Steht meine Einleitung den Leuten dort
22 April 1833.
ZU hoch oder zu niedrig? Sind Sie vor politischen Umtrieben jetzt sicher?
oder muß man auch in der Hinsicht jetzt Fußangeln fürchten?
Wie steht es um die Göttingischen gelehrten Anzeigen? Fällt es
noch Niemanden ein, daß diese müssen umgeformt werden? — Diese
Frage ist bloß neugierig; ich selbst werde wenig mehr schreiben; am
wenigsten in Tageblättern. Meine Absicht ist, mich ganz auf meine Vor-
lesungen zu concentriren. — Bittend, wünschend, hoffend auf gute Nach-
richten von Ihnen Ihr Herbart.
22. Apr.: Rede am Geburtstage Kants (S. Bd. X. S. 29 — 38).
420. An Dissen. 1) Königsberg 22 April 1833.
In Folge Ihres letzten Briefes, mein theurer Freund! sende ich eben
jetzt mein Entlassungs- Gesuch ab. Ob es schon Zeit sey, daß meine
Versetzung nach Göttingen öffentlich ausgesprochen werde, wird Ihre Re-
gierung beurtheilen. Mir kann es nur ehrenvoll seyn, wenn dies geschieht;
und zum Ersatz gereichen für das Schweigen des Preuß. Ministeriums,
von dem selbst jetzt noch keine Sylbe der Antwort an mich gelangt ist.
Wundern Sie Sich nicht, wenn Sie in meinen Briefen keine lebhafte
Freude wahrnehmen. Das liegt wahrlich nicht daran, daß ich den Ruf
nach Göttingen weniger in seinem Werthe erkennen sollte. Aber drückend
bleibt immer der Abschied aus einem Staate, dem man beynahe ein
Vierteljahrhundert lang redlich gedient hat; einem im Ganzen höchst
achtungswerthen Staate, ungeachtet dessen was meine Stellung darin ver-
missen läßt. —
Heute ist Kants Geburtstag, ich habe einen Vortrag zu halten; ent-
schuldigen Sie also daß ich hier abbreche. Leben Sie herzlich wohl!
Empfehlen Sie mich aufs angelegendichste Denen, welchen ich künftig
näher angehören soll! Ganz der Ihrige Herbart.
22. Apr.: Schreiben an das Universitäts - Curatorium , Berufung nach Göttingen betr.
(XV. S. 226—227).
2g. Apr.: Jahresbericht über das Seminar (XV. S. 84—91).
421. Dissen an H.-) Göttingen d. 29 t. April.
Nun das ist vortrefflich, daß Sie endlich das entscheidende Ja! ausgesprochen
haben, verehrtester Herr! und wenn irgend etwas meine fliehenden Kräfte noch
aufzurichten vermöchte, so wäre es dies, was mich überaus glücklich macht. Laßen
Sie sich nichts gereuen. Allerdings ist Berlm die Hauptstadt Deutschlands, aber
alles was ich erfahre, stimmt darin zusammen, daß Sie dort nicht nostrificirt worden
wären. Der Gegensatz ist zu groß, Sie konnten nichts ausrichten, und das hätte
man wieder nur auf Sie und Ihre Philosophie zurückgeworfen. Vor zwei Tagen
war der Doctor Strümpell bei mir, der acht Tage in Berlin war, und abermahls dasselbe
darüber sagte. Den einen Ihrer Briefe habe ich unbedenklich nach Hannover ge-
schickt wo er großes Vergnügen erregt hat; ich hatte an dem zweiten noch Zusätze
in meinem Schreiben beigefügt. Das Curatorium läßt Ihnen sagen, daß Sie nun-
^) I S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann S. 59 f.
'') 6 S. ö". H. Wien.
Apiil 1833. 23
mehro fest auf Ihre hiesige Anstellung || xu Michaelis rechnen möchten ganx nach
den Ihnen bekatinten Bedingungen, daß man aber auch von Ihnen sicher ericarte
daß Sie Michaelis bestimmt antreten werden. Jetzt möchte ich lünen anheim geben,
sobald Sie Ihre Dimission oder %Yenigstens die Zusicherung der Dimission erhalten
haben werden, solches unmittelbar in einem Schreiben an den Geheimen Cabinets-
rath Hoppenstedt einzuherichten, damit ihre Ernennung sofort ausgefertigt werden
kann; denn es ist nun sehr wünschenswert für uns, daß auch Ihre Ernennung bald
erfolge und die Bekanntmachung derselben auf hiesiger Universität. —
Sie fragen nach den hiesigen Verhältnissen. Der wissenschaftliche Geist der
meisten Studenten ist schlecht, und es ist sehr darauf gerechnet, daß die Beiühmt-
heit Ihres Nahmens und der Geist ihrer Vorträge zur allmähligen Verbesserung
beitragen werde. Viel voraussetzen dürfen Sie nicht; |] mit der Metaphysik können
Sie nicht anfangen z. B. doch gibt es auch wakkere Leute, dahin gehören meist
unsere jetzigen Philologen, deren hier nun ziemlich viele sind. Unter den Pro-
fessoren hat sich der alte steife Geist mehr und mehr verloren, da die alten ziemlich
weggestorben sind, und viele junge neue Männer anstatt ihrer gerufen werden. Von
den altern ist Hausmann sehr Ihr -Verehrer, zwar Professor der Mineralogie und
Bergwerkskunde, aber auch sonst ein Mann von den mannigfaltigsten Interessen
und dem schönsten Sinne. Die ScheUingische und Hegeische Philosophie hat wohl
wenig Anhänger hier; einige junge Professoren neigen wohl in Ihrem Denken dahin,
und dann ist allerdings Wendt von der Art, dei- aber wenig Ansehen hat sowohl
bei Professoren als Studenten. Außerdem steht Mutter und Tochter in keinem
guten Rufe, Gott weiß mit welchem Grunde. — Der Eevolutionsgeist ist unter den
Studenten nirgends bemerkbar gewesen in der letzten Zeil; indessen ist es gewiß
gut wenn auch Sie häufig wie andere Gelegenheit nehmen dem || Geiste des Um-
sturzes entgegenzuwirken bald directer bald indirecter, wie es passen will, und auf
den "Wertb der gesellschaftlichen Ordnung aufmerksam machen. Unter den Bürgern
gibt es wohl noch immer eine unzufriedene Klasse, doch hat man in der letzten
Zeit nichts auffallendes gehört. Nun habe ich auch schon an ein Logis gedacht
und zu diesem Behufe die Frau Professorin Wunderlich zu Hülfe genommen, die
sich Ihrer Frau bestens empfehlen läßt und sich überhaupt erbietet diejenigen öko-
nomischen Besorgungen zu machen, welche Ihre liebe Frau in der !folge wünschen
möchte. Sie dürfen denn nun ein Briefchen derselben an die Professorin \V. ein-
legen. Das erste halbe Jahr werden Sie sich etwas behelfen müssen. Die Häuser
sind wohlfeiler zu kaufen als zu miethen, was mehrere Giiinde hat. Eine vortreff-
liche Gelegenheit für Sie wäre das Haus, welches ehemals Professor Heise, jetzt
Präsident in Lübeck, sich eingerichtet und jetzt dem Präsident Wademeyer gehört,
der nach Celle versetzt ist imd es verkaufen will: Ein Vorderhaus mit zwei Etagen
und schönem Hinterhause welches m den Garten geht, oben schöne Zimmer mit
einem Saale hat, unten einen Gartensaal und treffliches Local z. Auditorio, außer-
dem Hof und Garten, der durch eine Thür mit dem Wall') || correspondirt. Das
Haus dürfte aber theuer zu kaufen seyn und leider speculirt auch Hr. Mühlenbrug
darauf aus Halle, der diesen Sommer her kommen will und es besehen, und also
Ihnen zuvorkommen wird. Auch würde es nichts helfen jetzt eine Miethe anzubieten,
da es zum Verkauf steht und der Kauf gleich die Miethe aufheben soll. Sollte in-
dessen Mühlenbrug das Haus nicht nehmen und er unterdessen noch keins haben,
so wäre der Fall anders. Inzwischen hat der damit beauftragte Hr. Wademeyer
*) Am Rand der Briefseite: Hinsichtlich desselben erhalte ich noch beiliegende
Notizen eben, die ich wenigstens beifüge.
24 Mai 1833.
geschrieben. Sicherer und besser dürfte es seyn für diesen "Winter das Local
zu beziehn, welches Thibaut zum Teil inne hatte. Mamsell Dietrich ist ei'bötig
IhnPD zu überlassen in der dritten Etage 5 Piecen mit vortrefflichem Auditorio.
wohiuein man aus den Zimmern geht, in der zweiten Etage ferner eben falls
5 Piecen mit einem Saal außerdem, und diese Etage zugleich sehr wohl meublirt,
endlich Küche, Gesinde- uud Bedientenstiibe, Holzstall, Pferdestall, Wagen romise.
Dafür wird verlangt 50 Idr in Gold jährlich, ein billiger Preis, zumahl alles neu
tapezirt ist und oben auch ein neuer Fußboden gelegt worden. Es ist wichtig,
daß Sie hier gleich eine ganze Etage meubliert finden. Sonst wohnt im Hause nur
II oben noch M. Lichtenberg mit Tochter, eine sehr stille Frau, in der Mitte Mamsell
Dietrich, ein sehr liebes Frauenzimmer, die Ihrer lieben Frau eine angenehme Nähe
sein wird, und unten im Erdstocke der Professor Weber, welchen wir in der Physik
für Meyer bekommen haben. Studenten wohnen gar nicht im Hause. Auch in dem
Nebenhause der M. Schick, welches von dem Dietrichschen inwendig durch eine ver-
schlossene Thür getrennt ist, wohnen Familien. Auch läßt sich de)' Garten der
Mad. Schick hinter dem Hause benutzen. Diese Wohnung dürfte einstweilen am
wärmsten zu empfehlen seyn, bis Sie sich selbst ein Haus einrichten. Wir wohnen
in derselben Straße und die Frau Professorin Wunderlich könnte Ihrer Frau eben-
falls bequem zur Hand seyn. Eine andere Gelegenheit ist im ehemaligen Bouterweck-
schen Hause in der Wernerstraße oben. Hier sind unten an der Erde 3 heizbare
Zimmer und Kammern, 1 Küche und Speisekammer, 1 Gartensaal, nebst einer heiz-
baren Kammer und Auditorium, dann in der mittleren Etage 1 Saal, 1 Kabinet, ein
Seitenzinimer nebst Kammer, ferner 2 Stuben und 2 Kammern und Durchgang nach
dem Auditorium. Auch die Erlaubniß in den Galten zu gehn. Meublirt ist nichts
u. es werden verlangt 70 Lsdr. Ferner ganz oben im dritten Stock wohnt eine andere
Familie, die auch den Garten besuchen dürfen. Unten ist übrigens auch Holzstall
und Wagenremise. Nun überlegen Sie vorläufig, ich empfehle die erstere. Eine
zu lange Ungewißheit wünsche ich nicht, damit nicht andere kommen. Soviel dies-
mahl. — Meine Gesundheit verehrter Herr, ist ach! jetzt sehr übel, der Zustand
meiner Nerven ist schrecklich. Gut endigen wird es nicht. Herzlich u. bestens der
Ihrige Dissen.
Daß unsere gelehrten Anzeigen nicht viel taugen, fühlt die Hälfte der Pro-
fessoren, aber so lange Heeren redigirt, wird alles so bleiben.
2. Mai': Vorwort zu Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. 4. Aufl. (S.
Bd. XIII. S. 268 — 270).
422. Voigt an H.^ Königsberg, 4. Mai 1833.
Hochverehrtester Herr College! An dem heutigen für Sie so wichtigen und be-
deutungsvollen Tage, an welchem Ihnen so viele herzliche Wünsche und so manche
Beweise von Hochachtung und ErkenntHchkeit in treuer Liebe entgegengebiacht
worden, benütze ich die frühste Stunde, um Ihnen in diesen Zeilen auch meine
aufrichtigste und herzlichste Theilnahme und meinen innigsten Wunsch zu allem,
was Ihnen Wohlseyn, Glück, Freude und Erheiterung bringen kann, zu bezeugen.
Geburtstage sind immer zugleich Freuden- und Schmerzenstage. Der heutige mag
und wird für Sie nur ein Freudentag seyn. Der Verlust, der uns alle in Ihrem
Abgange droht, hat in allen Herzen heute nicht etwa nur Gefülile und Empfindungen
') 1 S. 4". H. Wien. — Job. Voigt (1786—1863), Geschichtschreiber, seit
1817 Prof. und Archivdirektor in Königsberg. S. Allg. D. Biogr.
Mai 1833. 25
für Sie erweckt, sondern er läßt die längst in allen Herzen für Sie vorhandenen
nur zur lauten Sprache kommen und es offen sagen, daß es auf unserer Hoch-
schule und in der ganzen großen Zahl Ihrer Freunde und Bekannten unserer Stadt
nur Eine Stimme ist, die einhellig -wünscht, daß Sie auch forthin der Unsrige hätten
bleiben mögen.
Zählen Sie mich, verehrtester Herr College, nicht unter die letzten, die "Wünsche
für Sie in\ Herzen tragen. Nehmen Sie das "Wort welches ich Ihnen heute ent-
gegenbringe, wenn es auch einfach und ohne Förmlichkeit bei Ihnen erscheint, als
eine aus aufrichtiger Hochachtung gekommene, herzliche Zuspräche einer Gesinnung,
für die es heute ein doppeltes ßeaüi-fniß war, sich gegen Sie auszusprechen. Möge
Sie der Himmel überall schützen und geleiten und Ihnen alle Ihre Lebenstage er-
heitern, "^'ir ei-fahren auf unserer Pilgerfahrt durchs Leben alle, daß da am
wenigsten der Lorbeer für das Verdienst wächst, wo ewige Ebbe und Fluth wechselt
und aller fruchtbarer Boden in Sand verwandelt wird.
Mit aufrichtigster Verehrung und Freundschaft
Ihr treuester College Voigt.
6. Mai: Entlassungsgesuch an das Ministerium (XV. S. 228).
423. An Griepenkerl.i) Königsberg 8 May 1833.
Sollte ich wohl endlich dazu kommen, mein theuerster Freund! mich
einmal wie sonst bey Ihnen auszuruhen? Schwerlich! Die neue Zeit fordert
neue Anstrengungen.
Vor allem Andern bitte ich, daß Sie mich angelegentlich bey Ihrem
Sohne 2) entschuldigen, der mir seine Gedichte mit einem sehr gefälligen
Schreiben übersandt hat; längst hätte ich danken sollen, aber ich komme
nicht dazu, die Gedichte so mit Sinn und Verstand zu lesen wie sichs
gebührt um leidlich darüber zu sprechen. Die Glätte, die außerordent-
liche Reinheit und Zierde des Ausdrucks, den tactmäßigen Vers (in dieser
Art habe ich nie etwas Schöneres gelesen!) empfinde ich beym flüchtigsten
Lesen; der eigentlich poetische Gehalt sammt der mythologischen Be-
ziehung ist mir nicht so auf der Stelle klar, und nur soviel weiß ich, daß
die Dunkelheit in mir und meiner jetzigen Zerstreutheit liegt. —
Werden Sie Sich darüber wundern? Nicht bloß das Entferntere, auch
das Nächste ergreift mich wie ein völlig Neues. Königsberg ist für mich
verwandelt. Lesen Sie das beyliegende Zeitungsblatt,^^) und Sie wissen die
Hälfte, aber das Ganze können Sie daraus nur vermuthen. — - Sie waren
es, der sich zuerst für mich wagte, als die Zeit sehr dunkel schien. Sie
haben also auch ein Recht daran, daß ich Ihnen schicke was nöthigen-
falls gebraucht werden kann, wenn die Gegner Sie als den Sachwalter
einer schlechten Sache werden verrufen wollen. Die Universität Königs-
berg spricht auf einmal ganz laut. Noch bis diese Stunde glaubt man
nur halb daran, daß mich das Ministerium könne aus Preußen ziehen
lassen wollen. Mein Auditorium ist in der praktischen Philosophie ganz
voll — vielleicht über achtzig Zuhörer; in der Psychologie ist die Zahl
1) 3 S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann S. 83 f.
^) Wolfg. Robert Griepenkerl (18 10— 1868), Kunsthistoriker und Dramatiker.
Seine „Bilder griechischer Vorzeit" erschienen 1833. S. Allg. D. Biogr.
■^) S. Beilage zum folgenden Briefe.
26 Mai 1833.
dreyfach so groß als sie sonst zu seyn pflegte; Metaphysik ist gefordert
worden, so daß ich schon deshalb weit mehr Arbeit habe, als mir sonst
meine Vorträge machten. Den Ehrenbesuch der Professoren erfuhr glück-
licherweise meine Frau im Voraus; sonst wäre ich wirklich bestürzt und
sprachlos geworden. Die Zeitung sagt Ihnen zwar, man sey ohne Förm-
lichkeit [| gekommen; aber das ist ein bescheidener Ausdruck. Nichts fehlte
als Prorector und Decan. Der Decan war ein paar Tage früher einzeln
bey mir; Voigt, (der preußische Geschichtsschreiber,) schickte früh Morgens
einen Glückwünschungsbrief ; ^) die in der Zeitung Genannten aber kamen
ganz förmlich auf einmal; und Schubert trat als Redner vor. Selbst die
gelehrten Kolosse, Bessel und Lobeck, hatten es nicht unter ihrer Würde
gehalten, sich zu mir zu erheben, und sich ohne Unterschied in die
Reihe der Andern zu stellen. Und auch unter den Andern sind hohe
Häupter voll Selbstgefühl — Jakobi, Sachs, Baer, Bohlen u. s. f., die ihre
Ehrenbezeugungen gewiß nicht zu verschwenden Lust haben. — Früh
Morgens hatten mir meine pädagogischen Seminaristen einen silbernen Pokal
verehrt. Spät Abends kamen ehemalige Zöglinge, — darunter ein paar
Grafen, die jetzt Officiere sind. Die Musik war von einem sehr gelehrten
Musiker geleitet, der auf der Straße sogar soll gegenwärtig gewesen seyn.
Eine ungeheure Menschenmasse in vollkommenster Stille stand unter den
Fenstern. Ein wunderschöner Abendhimmel kam zu Hülfe. — Hat Ihnen
Strümpell von Königsberg ein Bild gemacht, welches von dem Allen die
Möglichkeit auszuschließen scheint, so ist ihm das nicht zu verdenken;
ich selbst hätte eher erwartet, daß ein Thurm oder ein Wald zu mir
heranrücken würde, als so Etwas! Hätte man sich früher so gegen mich
benommen, so zweifle ich, ob mich Jemand aus Königsberg hinweg-
zubringen im Stande gewesen wäre.
Sie wissen als Musiker die Wirkung eines doppelten Chors zu
schätzen. Den überraschendsten Augenblick dieser Art hatte ich, als mit
dem Gaudeamus igitur der Zug auf der Straße singend abging, und statt
des schon schwächern Tons, dem ich am Fenster zuhörte, auf einmal
hinter mir, in meinem Zimmer, wo alles voll Gesellschaft war, der näm-
liche Gesang fortgesetzt wurde; nicht bloß von den Studirenden die oben
bey mir waren, sondern auch von den singlustigen Professoren. Wimdern
Sie Sieh nicht über die lange Beschreibung! So etwas erlebt man nur
einmal; auch sollen Sie wissen, daß unsere Studirenden Singen gelernt
haben! ||
Betrachten wir aber die Sache ganz kühl: so zeigt sich hier die Be-
stätigung dessen was ich längst wußte. Die Königsberger warteten, was
man wohl anderwärts sage. Nun — hat Göttingen gesprochen. — Nöthigen-
falls mag nun wiederum Göttingen an Königsberg glauben. —
Von Berlin- — altum silentium bis heute! Aber ich habe nun aufs
allerbestimmteste um meine Dimission gebeten, unmittelbar beym Minister.
Noch ein Wort über Strümpelln! Sie äußern sich unzufrieden über
ihn. Das thut mir leid, aber es wundert mich eben nicht. Strümpell
hat die Masse des Unsinns durchstudirt, der seit Jahren über mich in
1) S. Nr. 422.
Mai 1833. 27
den Zeitschriften zu lesen stand. Können wir ihm verdenken, daß er
Verachtung empfindet? Und wenn er nun sieht, wie viel auf ihn an-
kommt, und welcher Keckheit nicht bloß Raum, sondern Aufforderung
gegeben ist, — dürfen wir uns wundern? Strümpell hat schon hier einiger-
maaßen imponirt, und das Vorurtheil gebeugt, als könnte ich keine Schüler
ziehn. Das Alles sollte sich anders äußern! Gewiß! Aber wir können
ihn nicht machen wie wir ihn wünschten. Und mir ists lieb, wenn endlich
einmal meine Arbeiten von dieser Meinigkeit loskommen, um sich so hin-
zustellen, daß sie auch ohne mich bestehen können. Er wird schon etwas
Seiniges daraus machen. Wie das geschehe — wenn wir damit nicht
ganz zufrieden sind, so wollen wir beyde, die wir seine Lehrer sind, uns
unter einander darüber trösten. Ich wünschte nur zu wissen, was er jetzt
treibt. Grüßen Sie ihn doch von mir, und sagen Sie ihm das Nöthigste;
entschuldigen Sie, daß ich ihm nicht sogleich selbst schreibe.
Meine Zeit ist zu Ende. Sagen Sie mir bald, daß Ihre Gesundheit
völlig hergestellt ist!
Unveränderlich der Ihrige! Herbart.
424. An DrobiSCh.l) Königsberg, 10 May 1833.
Mein hochverehrter Freund ! Sollten Sie mich wohl undankbar glauben,
da ich so lange geschwiegen habe? Vielmehr, als Zeichen meiner Dank-
barkeit für Ihre, nicht vergänglichen Verdienste um mich und um das was
mir am Herzen liegt, nehmen Sie das beyliegende Blatt -) von mir an ! Es
zeigt Ihnen, daß Sie nicht umsonst Sich meinetwegen bemüht haben. Ohne
Sie wäre es dahin nicht gekommen.
Sehr gefüllte Vorlesungen — (außer den angekündigten ist noch die
Metaphysik verlangt worden) — bereiten mich jetzt vor auf ein Göttingisches
Auditorium. Mein Abgang von hier ist entschieden. Nur in Einem
Puncte muß ich glauben was ich noch nicht sehe, — nämlich daß in London
die Königl. Bestätigung meiner Anstellung in Göttingen nicht fehlen könne,
so behauptet und versichert das Curatoriura in Hannover. Das Ministerium
in Berlin beschränkt sich auf die Höflichkeit, mir Vorschläge zu einiger
hiesigen Verbesserung zu erlauben, — wohl wissend, daß ich solche Vor-
schläge nicht machen will.
Strümpell hat Sie besucht. Gern möchte ich wissen, wie Sie mit
dem lebhaften jungen Mann zufrieden waren? Das Bild, was er Ihnen
von Königsberg wird entworfen haben, paßt jetzt nicht mehr, nachdem
hier Alles geschehen ist (selbst vom hiesigen Curatorium) was mir den
Abschied schwer machen kann; den meine Frau nur zu tief empfinden wird.
II Daß ich unter den jetzigen Umständen schlechthin außer Stande bin,
an einer Literaturzeitung mitzuarbeiten, wird Ihnen von selbst klar seyn.
Es ist nun Ernst mit meinen Vorlesungen, die schon deshalb mich auf
lange Zeit ganz in Anspruch nehmen, weil in Göttingen wöchentlich nicht
bloß wie hier, vier Stunden, sondern 6 oder wenigstens 5 Stunden ge-
lesen wird; so daß überall, auf beträchtliche Zusätze muß gedacht werden;
1) 2 S. 2 ».
') S. Beilage.
28 Mai 1833.
auch sind dort weniger Ferien als hier. Und mündliche Vorträge in
großen Auditorien, — das wissen Sie Selbst! — sind etwas ganz anderes
als vor Wenigen. Man kann nicht coram paucis furere, wie einer meiner
Collegen sich ausdrückt.
Sehr, sehr neugierig bin ich jetzt auf Nachrichten aus Deutschland.
Sehr begierig auf das Neueste von Ihnen, Ihrem Wirken und Wohlseyn.
Es war nahe daran, daß Lobeck ^) Ihr College geworden wäre; — Sie
hätten viel gewonnen und Königsberg viel verloren. Er bleibt hier.
Ob wir uns wohl auf meiner Reise werden sehen können? Noch
kann ich keine Pläne oder Vorschläge deshalb machen, so sehr lebhaft
ich es wünsche. Zu Vieles — besonders mein Haus verkauf — ist noch
im Dunkeln. Nur soviel weiß ich: meine Reise fällt in den September.
Hier muß ich schließen. Meine Zeit ist jetzt sehr beschränkt. Nehmen
Sie die eiligen Zeilen wenigstens für ein Lebenszeichen, das heißt für ein
Freundschaftszeichen. Ihr H.
Beilage zu Brief 424.
KömgL: Pretiß. Staats -Kriegs- und Fiiedens- Zeitung ^ 1^33 1 ^- 105
Diensta^^ den 7. Mai,
Königsberg. Ein seit einiger Zeit schon verbreitetes Gerücht, daß
der hiesigen Universität der Verlust eines ihrer ältesten und aus-
gezeichnetesten Lehrer, des Herrn Schulraihs und Professors Herbart
durch einen Ruf, den dieser nach Göttingen erhalten und angenommen
hätte, bevorstehe, hat sich in den letzten Tagen fast zur Gewißheit er-
hoben. Das Glück und der Vorzug dieses Besitzes war lange von allen
Gliedern der hiesigen Hochschule zu sehr gefühlt und anerkannt worden,
als daß diese Nachricht nicht einen tiefen und schmerzlichen Eindruck
auf sie hätte machen müssen. Ihnen blieb jedoch nichts übrig, als einer
Gelegenheit zu harren, um diese auf der reinsten wissenschaftlichen Hoch-
achtung und sittlichen Ehrerbietung beruhende Gesinnung ihrem Kollegen
und Freunde auszusprechen. Eine solche Gelegenheit bot sich am
4ten d. M., dem Geburtstage Herbarts, dar. . Ohne besondere Vor-
bereitungen, und mit Vermeidung jedes Scheines einer Förmlichkeit, begab
sich ein großer Teil des akademischen Lehrerpersonals, namentlich die
Herren Professoren v. Baer, Bessel, v, Bohlen, Dulk, Hagen I, Jacobi,
V. Lengerke. Lobeck, Meier, Moser, Neumann, Olshausen, Richelot, Sachs,
Sanio, Schubert, Sieffert, Vormittags in die Wohnung ihres verehrten
Freundes. Herr Professor Schubert deutete das unaussprechliche, aus
Schmerz und Freude gemischte Gefühl der Erschienenen mit einigen herz-
lichen Worten an, die von dem Gefeierten mit Güte aufgenommen, mit
tiefem Ernste und sichtbarer Bewegtheit des Innersten erwidert wurden.
Was freilich keines neuen Beweises bedurft hätte, die innige wohlbegründete
Anerkennung und persönliche Anhänglichkeit der hiesigen akademischen
Lehrer an der in aller Beziehung geistig hervorragenden Individualität
Herbarts, das sprach sich in diesen schönen Momenten auf eine erfreuliche,
durch äußere Einfachheit, wie durch innere Wahrheit rührende Weise aus.
^) Lobeck (1781 — 1860) hervorragender Philolog.
Mai 1833. 29
Mitten aus diesen Gefühlen drängte sich die feste und beruhigende Über-
zeugung hervor, daß ein solches Band unzertrennlich sei, wenn auch seine
äußere Lösung unabwendbar sein sollte.
Aber auch die Studirenden konnten diesen Tag nicht vorübergehen
lassen, ohne auf irgend eine Weise die Gefühle der innigsten Hochachtung
und Verehrung gegen ihren geliebten Lehrer, der, wie sie besorgen mußten,
bei der Wiederkehr dieses Tages ihnen nicht mehr angehören werde, zu
erkennen zu geben. Mit der einfachen prunklosen Weise Herbarts vertraut,
vereinigten sie sich zu einer Abendmusik und zu von ihnen selbst kunst-
gemäß ausgeführten Gesängen, um vielleicht hierdurch den großen Musik-
kenner zu erfreuen. Als Abgeordneter seiner Kommilitonen sprach dann
Herr Studiosus Jessel in einer wohlgelungenen Rede die Gefühle des
Dankes und zugleich der Trauer aus, und nach Ueberreichung eines
Carmens erschallte von den versammelten Studirenden dem verehrten
Lehrer ein dreimaliges Lebehoch. Herr Professor Herbart richtete zuerst
herzliche und gewichtige Worte an die Abgeordneten, sprach dann aber
auch aus dem geöffneten Fenster zu den versammelten Hochschülern
wahrhaft väterliche Worte, erinnerte an den Ruhm, zu dem die Universität
Königsberg durch Kant, dessen Lehrstuhl zu bekleiden er stolz sei, gelangt,
daß es die Aufgabe des heranwachsenden Geschlechts sei, diesen Ruhm
zu erhalten, der auch bis jetzt durch keine Theilnahme an den Bewegungen
unserer Zeit befleckt sei, und daß sie wie bisher fortfahren möchten,
gerade in einer bewegten Zeit, wie die unsrige, ihre Kräfte in treuem
Gehorsam gegen die Gesetze unserem höchstverehrten und allgeliebten
Könige und dem gemeinsamen Vaterlande zu weihen; Worte, die von
einem solchen Manne und bei einer solchen Gelegenheit gesprochen eines
tiefen Eindruckes nicht entbehren konnten.
15. Mai: Wünsche für das Königsberger Seminar bei seinem Weggang (XV. S. 230/31).
425 Grolp an H.^) Marienwerder, den 20. Mai 1833.
Hochgeehrter Herr und Freund ! Soeben von einer Reise nach Graudenz heim-
gekehrt, finde ich Ihre gütige Zuschrift vom I3ten d. M. vor. Es ist zwar nicht
die Absicht meiner Frau gewesen, dem Marienburger Musikfeste beizuwohnen; da
Sie uns aber die Hoffnung rauben, Sie vor Ihrem Scheiden aus dieser Gegend in
unserm Hause zu begrüßen, und wir Sie und Ihre Frau Gemahlinn nicht anders als
bei Gelegenheit des Musikfestes in Marienburg wieder noch einmal sehen können,
so werden wir uns so einrichten, daß meine Frau schon mit mir Freitag den
31ten Mai Abends in Marienburg eintrifft; ich habe mich verbindlich gemacht, an
dem Feste selbst, also an den General-Proben Sonnabend den Iten Juni, und der
Aufführung Sonntag den 2ten Juni als Baßsänger im Chor thätigen Antheil zu
nehmen, und muß deshalb schon Freitag den 31ten Mai Abends in Marien bürg sein.
Wegen eines Quartieres in Marienburg für Sie schreibe ich noch heute nach Marien-
burg, und werde Sie sofort in Kenntniß setzen, wo Sie ein Unterkommen finden,
sobald die Antwort auf meinen heutigen Brief abgeht. Wo wir ein Obdach finden
werden, weiß ich noch nicht. Haben Sie die Güte, mich davon zu benachrichtigen.
an welchem Tage Sie in Marienburg einzutreffen gedenken. || Mit aufrichtigem ße-
1) 2 S. 4«. H. Wien.
30 Mai 1833.
dauern hat uns, und viele meiner Freunde und Bekannten die Nachricht ei-füllt,
das Sie aus Königsberg und dem Preußischen Staatsdienste ausscheiden. Der Ver-
lust, den die Universität durch Ihren Abgang erleidet, ist unersetzlich, und wird
bald von vielen tief empfunden werden. Der G. Ob.-Reg.-Rath Schulze in Berlin
hätte Grund genug und die Mittel gehabt, die Göttinger Anerbietungen durch die
Berliner aufwiegen zu lassen. Daß er es nicht gethan, wird der Hegeischen Schule
doch nicht aufhelfen. Zu welchen Mitteln muß man schreiten, um vorübergehend
das Kind seiner Phantasie — ein Trugbild — nothdürftig zu stützen? Wie kann
ein Mann auf dieser Höhe der Administration so einseitig guberniren!
Meine Frau und Marie empfehlen sich mit mir Ihrer Frau Gemahlinn an-
gelegentlich, und ich bin mit der herzlichsten Liebe und Verehrung
Ihr treu ergebener Grolp.
426. An Strümpell. 1) Königsberg 27. May 1833.
Herzlichen Dank mein werthester Herr Doctor, für Ihre beyden
Briefe, wenn gleich deren Inhalt mir nicht ganz angenehm seyn konnte.
Möchte nur meine Antwort, die mitten in Geschäften und unmittelbar
vor einer kleinen Reise, nur kurz seyn kann, — Ihnen willkommen seyn !
Sie erlauben mir, Ihnen zu rathen; das ist nicht ganz leicht, denn es
giebt Einiges in Ihrem letzten Briefe, womit ich nicht übereinstimme.
Vor allen Dingen nicht damit, daß Sie fürs weibliche Geschlecht
schreiben! Damit können Sie Ihrem Ruf und unseren Angelegenheiten nur
schaden. Und sollen solche Schriften sich über das Gemeine erheben,
so müssen sie Jahrelang gefeilt werden — müssen überdies aus einer
Individualität hervorgehn, die weder die Ihrige ist noch die meinige. Kurz
und offen: so etwas hätte Ihnen nicht einfallen sollen. Und sind Sie
einmal verliebt in Ihr Geschriebenes: so muß es mmdestens nicht ohne
Griepenkerls Durchsicht, — und selbst dann noch anonym erscheinen.
Ihr Name darf sich auf solche Weise nicht verkünden, oder Sie haben
alle philosophischen Facultäten auf einmal gegen sich.
Ihre Meinung von mir, daß ich jetzt an eine Zeitschrift dächte, ist
ganz unrichtig. In Göttingen hoffe ich ein Auditorium zu finden; kann
ich aber mit Erfolg sprechen, so werde ich sicher nicht schreiben, am
allerwenigsten in Zeitschriften.
Ihre Absicht ist, mit mir zusammenzuwirken ; hüten Sie sich also,
nicht zu schaden. Die Zeit, wo wir in starker Polemik ein Nothmittel
sehen, ist vorbey. Der Name Göttingen hat gleich hier das Wunder be-
wirkt, daß ich volle Auditorien in praktischer Philosophie und Psychologie
habe, und auf Verlangen Metaphysik lese. Von den mir erwiesenen
Ehrenbezeugungen (an meinem Geburtstage) mag Ihnen Griepenkerl er-
zählen. Die Briefe, welche ich aus Hannover bekommen, sind so achtungs-
^) Über Adolf Heinrich Ludwig von Strümpell vgl. den Artikel von A. Spitzner
in Reins Encyklopädischem Handbuch II. Aufl. (Hermann Beyer & Söhne [Beyer & Mann],
Langensalza) und von W. IvAHL in der Allg. D. Biogr. (Bd. 54, 623 ff.) — Die Briefe
Herbarts an Strümpell befinden sich im Besitze des Herrn Schuldnektor Dr. Alfred
Spitzner in Leipzig, der sie von seinem Lehrer und Freund zur Veröflentlichung er-
hielt. Sie sind von ihm in der Einleitung zur „Psychologischen Pädagogik von L.
Strümpell" (2. Aufl., herausgegeben von Dr. A. Spitzner; Leipzig, E. Ungleich) zuerst
veröfi^entlicht worden.
Mai 1833. 3£
voll als möglich. Röres Schrift über meine Meth. d. B. i) ist mir zu Ge-
sicht gekommen ; ich finde sie zweckmäßig, und im Tone sehr gut gehalten.
Ihre eigene Nachricht, daß Hegel ehrlich genug gewesen, dem Schulz zu
bekennen, er könne sich in meine Metaphysik nicht hineinfinden, — muß
uns vollends aufmerksam machen. Neun Zehntheile dessen, was im Wege
steht, ist baare Unwissenheit; diese wird nicht besser, wenn wir viel
schelten; die Leute hören nur den Lärm, und meinen den schon oft genug
gehört zu haben. — Ihre Absicht war, aus den gegen mich erschienenen
Recensionen die Hauptsache zusammen zu stellen. Das ist das Rechte.
Zeigen Sie die Polemik der Gegner; und widerlegen Sie kalt und klar
und wo möglich kurz. Eine Schrift, etwas länger als die von Röer, da-
bey weiter in die Wissenschaft hineingehend, — die immerhin den Leuten
zeigen mag, daß sie um dreißig Jahre zurückgeblieben sind, weil sie
schlechterdings nicht hören wollten, sondern auf der alten Verkehrtheit
steif bestanden ; eine Schrift, wodurch das Publicum Sie als einen kundigen,
scharf denkenden, im Schreiben geübten jungen Mann kennen lernt: diese,
wo möglich Bezug nehmend auf Röer, und mit ihm sich vereinigend, wird
mir in meinem neuen und alten. Kreise zugleich zu Hülfe kommen; der-
gestalt, daß ich alsdann im Stande zu seyn hoffe, wiederum Ihnen zu helfen. 2)
Wo Sie wohnen werden, während Sie diese schon meist entworfene
Schrift vollends ausarbeiten, möchte wohl für den Erfolg ziemlich gleich-
gültig seyn. Haben nicht Ihre Angelegenheiten in Bonn schon jetzt eine
günstige Wendung genommen (was ich nicht vermuthe), so ist der Sommer
für mündliche Vorträge verloren, und die Reise nach Bonn meist ver-
gebens. Am natürlichsten scheint mir, daß Sie zu den Ihrigen zurück-
kehren, und dort schreiben, — und die nöthigsten Druckkosten, wenn
Sie nicht einen Verieger finden, zu erübrigen suchen. Brauchen Sie aber
nicht alle Zeit zum Schreiben, so bleibt Ihnen Braunschweig, um dort
Stunden zu geben am Nachmittag, während Sie den Morgen für Sich
nützen. Ein junger, kräftiger Mann, wie Sie, windet sich durch, für eine
kurze Zeit, wohlwissend, daß er bald sich nöthigenfalls durchschlagen
kann. — Hoffentlich aber finden Sie einen Verleger. Sehr möglich ist
es, daß Sie in Jena oder in Kiel, — worauf ich früher aufmerksam machte,
im Winter als Docent willkommen sind, nur muß das Terrain vorher
brieflich ausgekundschaftet werden, damit es nicht geht wie in Bonn,
Ob ich etwas thun könne, läßt sich nicht eher beurtheilen, bis ich sehe,
wie ich in Göttingen zurecht komme. Für jetzt habe ich auch meine
vielerley Sorgen, Arbeiten und Zerstreuungen.
Bobrik schreibt sehr heiter aus Zürich; er hat glücklich begonnen;
ich fasse guten Glauben und hoffe auch, daß Ihre Energie sich im Tragen
und im Arbeiten bewähren wird. Nur bieten Sie Sich nicht den Damen
an! Das führt ab vom Wege.
Eilig schließend, aber herzlich der Ihrige H.
1) Röer, Über Herbarts Methode der Beziehungen. Ein Beitrag zur Revision
der Metaphysik. Braunschweig 1833, Vni und 198 S. — Über Röer vgl. den vor-
hergehenden Band S. 301, Anm.
-) In dieser Stelle liegt wohl die Anregung zu Strümpells „Erläuterungen zu
Herbarts Philosophie'', die 1834 erschienen.
32 Juni 1833.
Viele Empfehlungen an Hüllraann und Brandts. Könnte es etwas
helfen, so würde ich Ihnen an Hüllmann einige Zeilen schicken; aber
ich fürchte, — in Bonn sind Sie nun einmal nicht 'willkommen ; und alle
die Gründe treten wieder hervor, um derentwillen ich Ihnen Bonn
nicht anrathen wollte, während der einzige Grund, nicht abzurathen, —
nämlich die Benutzung von Bobriks Vorarbeit, — mit diesem Sommer
zugleich verschwindet.
427. Hoppenstedt an H.^) Hannover, 5. Juni 1833«
HochwohlgeboJirner Herr, Hochziiverehrender Herr Schul Rath und Professor,
Eurer Hochwohlgebohren eile ich anzuzeigen, daß die Königliche Bestätigung Ihrer
Berufung nach Göttingen erfolgt ist. — Allernächstens werden Sie darüber eine
offizielle Mittheilung von Seiten des Curatoiii eihalten, wohingegen ich hoffe, eben-
falls recht bald von Euer Hochwohlgebohren zu vernehmen, daß Sie die nachgesuchte
Entlassung aus dem K. Preuß. Dienste erhalten haben und zuversichtlich nach
Göttingen kommen werden.
Mit den hochachtungsvollsten Gesinnungen empfehle ich mich
Euer Hochwohlgeb. gehorsamst S. Hoppenstedt.
428. Drobisch an H.'O Leipzig, 9. Juni 1833.
Innig verehrter Gönner und Freund! Wenn das Erfreuliche des unmittelbaren
Eindrucks Ihres letzten Briefes und dessen gedruckter Iiilage die Schnelligkeit meiner
Antwort hätte bestimmen können, so wäre sie augenblicklich erfolgt, aber Ihr lieber
Brief traf mich in einer so tief niedergedruckten Gemiithslage, daß ich nur wenig
geeignet schien, mich mit Ihnen zu unterhalten. Leider mußte ich Ihnen schon
vor mehreren Monaten melden, daß meine Familie schon seit längerer Zeit der
Tummelplatz von Krankheiten sey. Dies hat nun % Jahre gedauert und, wenn es
nunmehr zu Ende ist, ein sehr betrübendes Ende genommen. Der Keuchhusten
verfolgte die beiden jüngsten meiner Kinder auf das Beispielloseste und Hart-
näckigste. Daneben bekam der kleine, im September geborne Knabe noch eine ob-
wohl bei Zeiten unterdrückte, Brustentzündung, endlich, wie es schien mit dem
Zahnen, die heftigsten, schrecklichsten Krämpfe. Dabei wechselte noch Krankheit
der Dienstleute, Krankheit meiner Frau und meiner selb^^t. Meine Schwiegermutter,
die sich für die kranken Kinder aufgeopfert hatte, bekam endlich so heftige Gicht-
anfälle, daß zu befürchten schien, sie werde ganz coutract werden. Endlich die
liebe Grippe, von der wir natürlich nicht verschont blieben; überdies noch neue
nicht gut einschlagende für die eigensinnigen Kinder völlig unbrauchbare Dienstleute;
daher Aufopferung und Mühseligkeit und Geduldprobe bei Tag und Nacht für mich
und meine Frau! Dennoch war dies alles nur Vorspiel. Nachdem wir so vom Miß-
geschick auf eine fast dämonisch zu nennende Art abgejagt und abgemartert worden
waren, ward uns am 28 Mai unser Söhnchen plötzlich durch Krämpfe entrissen.
Schmerzlich berührte dieser Todesfall mich, weit tiefer ergriff er meine arme Frau!
Es war ein lebenskräftiges, munteres, fi'eundliches Kind! Er hatte unbegreiflich viel
gelitten, aber sich doch durchgekämpft, er schien in seiner Ki-aft für diese arge
Welt wie gemacht. Endljch mußte er doch unterliegen! — Aber auch damit war
das Geschick noch nicht versöhnt. Acht Tage darauf war unser ältestes Kind todt-
krank. Eine Gehirnentzündung war auf dem Wege. Drei Tage vergingen in gräß-
^) IS. 4". B. Wien.
•') 4 S. 4". H. Wien.
J"pi 1833- - 33
lieber Angst. Durch schnell angewandte, energische Mittel ward die Gefahr für
diesmal beseitigt. An Geist und Körper erschüttert ziehen wir nun am 24. Mai
aufs Land, unsere und unser beiden übrig gebliebenen Kinder Gesundheit wieder
zu finden. Die || Landluft scheint Wunder zu thun. Unser jüngstes Töchterchen
2 '/, Jahr alt, abgezehrt von langen Leiden, verändert sich schnell und vortheilhaft.
Es lernt wieder laufen, was es verlernt, es spricht wieder, es nimmt Antheil, es
wird heiter. Froh über diese günstige Veränderung gehen ich und meine Frau am
29. heiter und sorglos nach der Stadt, gegen Mittag kehren wir aufs Land zurück,
da trifft uns auf dem Wege die Schreckensbotschaft, unser Kind ringe mit dem
Tode. Krämpfe, von denen es bis dahin keine Spur gezeigt, hatten sich urplötzlich
seiner bemächtigt. Um 5 Uhr war es hinübergegangen in eine bessre Welt. Sie
können denken, wie viel tiefer dieser Verlust uns ergriff, den zweiten in dem Zeit-
raum eines Monats. Der Iste Mai und der Iste Juni, die Begräbnistage unsrer
lieben Kinder sind uns nun für immer gezeichnet ! Dieses Kind war nun schon weit
weit entwickelter; es hatte ein liebenswürdiges, sanftes Gemüth entfaltet, seine
äußere Erscheinung entsprach dieser inneren Anlage, es wurde uns recht eigentlich
von unserm Herzen gerissen. — Die Section zeigte nun freilich einen höchst tuber-
■culösen Lungenflügel in Folge scrophulöser Anlage, desgleichen zwei Geschwülste
im Gehirn, welche die nächste Ursaohe des Todes geworden waren. Später wäre
unsre Kleine unfehlbar in eine Lungenschwindsucht verfallen, vielleicht wurde uns
so für eine spätere Zeit ein noch herberer Schmerz erspart. Wir sehen nun die
•eiserne Nothwendigkeit dieser tragischen Entwicklung klar vor uns liegen; wir standen
unbewußt auf einem zerissenen vulcanischen Boden; er brach endlich plötzlich zu
sammen: was kann natürlicher seyn? Aber das arme Herz, es weiß nichts von
diesem Natürlichen und seine Wunde kann sich nur allmählich schließen !
Dies ist unsre, dies ist meine Lage, Verehrtester! Wie kann da die Wissenschaft
gedeihen, die auf dem Boden eines ruhigen Gemüths allein Wurzel schlagen kann?
Dennoch habe ich sie nie ganz vergessen; denn sie ist ein großer Trost. Keppler
schrieb: als mir mein Töchterchen starb, richtete ich meine Blicke nach dem Himmel.
Em so großes Beispiel verdient Nacheiferung. Hätte ich nur auch für meine gute
Frau solchen ableitenden Balsam. Doch genug ! Entschuldigen Sie dies lange Klage-
lied; Mittheilung erleichtert, wenn man auf Theilnahme rechnen zu dürfen hoffen
- kann. ||
Als ich in den Zeitungen las, daß man Sie mit dem Adlerorden decorirt,
wollte ich erst Glück wünschen; aber ich zögerte: Denn ich sah darin »ur ein Ab-
finden: timeo Danaos etiam, si dona ferentes; ich fürchtete Sie nun nur um so mehr
in Preußen festgehalten. Da fiel mir denn ein Stein vom Herzen, als der junge
V. Richthofen und Strümpell bei ihrer Durchreise mir die Versicherung gaben, Sie
würden nach Göttingen gehen. Dazu mache ich Ihnen meiuen aufrichtigen und
herzlichen Glückwunsch; ich gratuliere Ihnen, der Welt, der Georgia Augusta und
mir, der nur blos noch 25 Meilen von Ihnen entfernt ist. Wahrhaft rührend war
mir Ihr Brief. Sie sind so gütig, so wohlwollend und dankbar gegen mich, daß ich
erröthen muß, weil ich weiß, daß ich nichts Verdienstliches, sondern nur das Noth-
wendigste, das Schuldige gethan habe. Möge ihnen die neue Stellung recht behaglich
und segensreich werden, möge Ihre Frau Gemahlin den Trennungsschmerz glücklich
überwinden. Welche Genugthuung muß es aber für Sie gewesen seyn, Männer,
Ihnen Ehrerbietung und Freundschaft und tiefe Anerkennung versichernd, sich nahen
zu sehen, denen die größte Hochachtung nicht zu versagen war, gegen deren An-
erkennung Ihrer Verdienste mißtrauisch zu seyn wir uns aber öfter für berechtigt
hielten. Sie werden es meinem freudigem Gefühl verzeihen, wenn Sie im Intelligenz-
Herbarts Werke. XVIII. ^
34 I^^.'^il'
blatt der L. L. Z. aus Ihrem Briefe und dem Königsberger Zeitungsartikel, mit
Bezugnahme auf letzteren einen Correspondenzartikel zusammengebacken finden.
Jedenfalls wird diese Versetzung auch für Ihre Philosophie nicht ohne vortheilhafte
Wirkung bleiben. Ich sage Ihnen, die Sache macht Aufsehen. Einer meiner Col-
legen wollte wissen, daß Sie mit 2500 Thalern berufen wären. Da dies nun bei
uns für einen enormen Gehalt gibt, so sehen Sie wenigstens, daß man in unsrer
Handelsstadtuniversität denkt : Der Mann wiegt viel ! Auch populär werden Sie. Ich
habe zu meiner Verwunderung Geistliche und Lehrer an Bürgerschulen sich von
Ihnen unterhalten hören. Ich hoffe, daß man Sie in Kurzem allgemein als den
Koryphäen derjenigen Gemäßigten in der Philosophie anerkennen wird, die von
dieser weder über die Weltschöpfung noch über die Menschwerdung Gottes u. dgl.
Aufschluß erwarten, aber auch nicht mit einer blosen Naturgeschichte des Geistes |j
sich begnügen wollen, sondern noch an echte Speculation glauben. Ich habe mich
im vergangenen Winter bei meiner häuslichen Noth nun so durch die Psychologie
hindurchgewagt. Ich hielt auch einige esoterische Vorlesungen über mathem. Psych,
und hatte 14 Zuhörer. Sie glauben nicht, welchen Eindruck diese machten. Als
ich durch das erste Exerapel factisch die Möglichkeit einer wahrhaften Anwendung
der Mathematik auf das Gleichgewicht unsrer Vorstellungen nachgewiesen hatte, so
verbreitete sich durch die kleine Versammlung ein freudiges Staunen gleich einem
elektrischen Schlag oder als ob ein heller Sonnenstrahl durch dichtes Gewölk bräche.
Vielleicht hat Ihnen H. D. Stlrümpell] gemeldet, daß ich einige Amendements in den
psych. Rechnungen in Antrag bringen möchte. Davon erlauben Sie mir heute noch zu
schweigen ds, ich jetzt nur Äußerlichkeiten berühre. Ich spreche auch nicht gern
von Gedanken, die erst halbreif sind. Dies, so wie einige skeptische Bemerkungen
an Gnepenkerl sind mir nur gewissermaßen abgenöthigt worden; ich bin gern so
lange still, bis ich wenigstens mit mir erst im Reinen bin. In diesem Halbjahr
lese ich Logik 3 stündig und ebenfalls 3 stündig Metaphysik. Ich habe in jener gegen
70, in dieser zwischen 40 oder 50 Zuhörer. Wie ich höre ist Krug in der Frequenz
diesmal hinter mir zurückgeblieben, obgleich die Honorare ohnegefähr die gleichen
sind. Es versteht sich, daß ich in diesen Vorlesungen nicht nur Ihren Namen, sondern
auch Ihre Schriften nenne und ich bekenne, daß sie sich so Mancher zum tieferen
Studium anschaffte.
Stilimpell hat mir gut gefallen. Er scheint sehr selbstständig und für die
Metaphysik wie geschaffen. Ich wünsche, daß er auch die Klugheit nicht ver-
nachlässigen mag. Ein paar meiner Zuhörer, von denen einer ein Landsmann und
vormaliger Mitschüler von ihm ist, waren nicht so zufrieden mit ihm, er war, wie
es schien, ein wenig absprechend aufgetreten. Mich freut es jedenfalls, ihn kennen
gelernt zu haben.
Daß Sie noch immer nicht Beruf fühlen wollen, sich unserer Lit. Zeit anzu-
nehmen, bedaure ich um so schmerzlicher, als ich auch sonst in der Philosophie
noch nicht viel Unterstützung erlangt habe. Namentlich hat mich Bobrik recht mit
leeren Versprechungen bis jetzt hingehalten. An Röer's Schrift, die, soweit ich sie bis
jetzt gelesen, mir recht gut gefällt, mache ich mich vielleicht selbst. Gebe der
Himmel mir nun -endlich nur Ruhe! Ich gedenke mich immer ernster der Philosophie
zu widmen. Vielleicht kann sie auch noch einmal mir äußerer Beruf werden. Vor
allem aber möge die Vorsehung Ihnen Kraft schenken, das angefangene und jetzt
glücklich fortschreitende Werk auch glücklich zu vollenden.
Versichern Sie Ihre Frau Gemahlin der aufrichtigsten Ehrerbietung von Seiten
meiner und meiner Frau und erhalten Sie Ihr freundschaftliches Wohlwollen
Ihrem treu ergebenen Drobisch.
Juni, Juli 1833. 35
429. Brandis an H.') Bonn, 17 Jury 33.
Wäbreud nicht leicht ein Tag vombergegangen ist, an dem ich nicht aufs leb-
hafteste Ihrer gedacht, hochverehrter Herr und Freund, während ich die höchst
einseitige Wahl der Hannoverschen Regierung vielfach gepriesen, die Lauigkeit und
Einseitigkeit der herrechenden Seite unseres Ministeriums im Zorneifer gescholten,
— habe ich Ihuen kein "Wort der Theilüahme geschrieben, bin aber überzeugt, daß
Sie mein Schweigen nicht mißdeuten, wenigstens nicht Mangel an Freundschaft für
den Gmnd gehalten haben werden. Während meines Aufenthaltes in Beilin hoffte
ich noch immer Ihnen schreiben zu können, daß das Ministerium ern.stlich bedacht
sey Sie dem Staate zu bewahren; — um so mehr, da zwey seiner Mitglieder —
ich darf sie wohl nennen ohne Indiscretion ? — der vortreffliche Nicolovius und
Dieterici aufs lebhafteste meine Verehnmg für Sie und meine Wünsche theilten und
andre Mitglieder wenigstens persönliche Hochachtung zeigten. Zuletzt freilich
überzeugte ich mich, daß die verkehrte Überzeugung zweyer Männer, man müsse
wenigstens in Berlin die Hegeische Bahn in gerader Richtung verfolgen, den Sieg
davon trage — und das stimmte mich so unmuthig, daß ich im Unmulhe von Tage
zu Tage zu schreiben verschob, daß man Sie auf keine andre Weise als durch Be-
rufung nach Berlin sich erhalten hönne, war klar und zum Überfluß sprach ich
meine Überzeugung von der Wichtigkeit und Nothwendigkeit einer solchen Be-
rufung geeigneten Ortes sehr lebhaft aus, aber natürlich ohne Erfolg. Diese traurige
Erfahrung hätte mein Vertrauen zur Tüchtigkeit unserer Administration wohl einiger-
maßen erschüttern können, wäre sie nicht durch die während meines Berliner
Aufenthalts gemachten Erfahrungen im übrigen so sehr befestigt worden und hätte
sich nicht auch bey dieser Gelegenheit gezeigt, wie solche Mißgriffe nur ganz par-
tiell sind und die Zeit bald kommen wird, in der man wenigstens versuchen wird,
sie gut zu machen. Ob Sie später freilich geneigt sein werden, Oöttingen gegen
Berlin zu vertauschen? — Konnte aber Berlin Sie nicht erlangen, so gönne ich
Göttingen vor allen übrigen Universitäten üren Besitz. — Ohne Bitterkeit werden
Sie scheiden; möchten Sie aber auch wissen, wie viele bedeutende Männer unseren
Verlust aufs lebhafteste beklagen. Mit welcher wahrhaft innigen Verehrung Nico-
lovius und Dieterici Ihnen ergeben sind, wissen Sie; aber auch die Herrn v. Hum-
boldt wissen wie viel man an Uinen verliert, und so viele andre. — Mir gereicht
zum Trost Liebe zu Göttingen und die größere örtliche Nähe; möge sie uns häufig
zusammenführen !
Meine Aristotelische Last schwindet allmählig und läßt Raum zu erfreulicheren
iitterarischen Arbeiten und Plänen. Zunächst arbeite ich ein Lehrbuch der Ge-
schichte der Griech. und Römisch. Philosophie aus. Nachher möchte ich mich zur
Religionsphilosophie, mit metaphysischer Einleitung, wenden. Letztere Arbeit wird
dann wieder recht in den Mittelpunct der unter uns streitigen Puncte führen.
Dr. Strümpell hoffe ich näher kennen zu lernen; in diesen ersten Wochen
nach meiner Rückkehr war ich noch zu wenig Herr meiner Zeit um ihn häufig
zu sehen.
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin bestens; so
auch Ihr in innigster Verehrung Ihnen ergebener Brandis.
430. An Dissen. Königsberg. 4. Juli 1833.
Mein theurer Freund! Für heute nur wenige Zeilen; zunächst mit
der Bitte, inliegendes Blatt der Fr. Professorin Wunderiich abzugeben.
1) 1 S. 40. H. Wien.
3*
36 Juli 1833.
In mein Bedauern wegen Ihrer Gesundheits- Umstände mischt sich
diesmal mehr eigentliche Sympathie als Ihnen lieb seyn wird. Das hiesige
Klima hat mir unerwartet noch einen derben Hieb gegeben; ich machte
eine Reise gleich nach Pfingsten, nachdem wir die schönsten Frühlings-
tage schon gehabt hatten; der schneidend kalte Wind verfolgte mich so
anhaltend, daß ich einen Katarrh bekam, der mich wegen der heftigen
NervenafFection fast wie ein Anfall von der Grippe bedünkt, wiewohl diese
sonst hier vorüber ist. Darin lag der Grund einer völligen Verstimmung,
bey der ich nicht wagte einen Brief zu schreiben. Noch bin ich nicht
wieder vest; doch werde ich nun nächstens meine Vorlesungen anzeigen.
Dies denke ich jedoch unmittelbar bey Hm. g. R. Hoppenstädt zu thun,
um von meinem Lehrplan Nachricht zu geben.
Nun noch eine Hauptfrage: bin ich zum Lesen eines coUegium
publicum verpflichtet?
Und eine andre: habe ich eine Antrittsrede zu halten, oder sonst
etwas für Reception in die Facultät zu thun?
Und drittens: sind die 400 Rthlr. Ersatz für Umzugskosten gleich
zahlbar, sobald ich ankomme? Und wann werde ich vom Gehalt das
erste Quartal bekommen? Diese Fragen sind bedeutend in Hinsicht des
baaren Geldes, womit ich wegen der ersten Einrichtung, für Holz, Möbeln,
Auditorienbänke, u. s. w, gleich Anfangs versehn seyn muß.
Mein förmlicher Abschied ist da; und dies habe ich in Hannover
angezeigt, von wo fast gleichzeitig die förmliche Vocation eintraf; sehi
gütig aufgesetzt, obgleich mit Spuren des alten Canzleystils, der in Preußen
längst verschollen ist. Ganz Ihr H.
431. Dissen an HJ) Göttingen, d. 16ten Juli 1833.
Hochgeehrtester Herr und (iönner! Die Frau Professorin "Wunderlich besorgt
alles was Sie gewünscht haben und trägt mir auf dieses Ihrer lieben Frau freund-
.schaftlichst zu melden.
Die Reisekosten können Sie ohne Zweifel bezahlen sobald Sie wollen. Wenn
Sie daher nur in einem Ihrer Briefe an Herrn Hoppenstedt bitten wollen, daß er
gefälligst eine || Anweisung an die Universitätskasse veranlassen wolle zur Auszahlung
Ende Septembers so können Sie bei Ihrer Ankunft gleich eine Quittung einsenden
an diese Gasse und erhalten alsdann mit umgehender Post das Geld. Nach Ihrer
Ankunft müssen Sie einen doppelten Eid leisten, den Huldigungseid und den Pro-
fessoreneid. In letzterem wird mau zu publicis verpflichtet nach der alten Weise, aber
da die publica meist abgekommen, so führt längst jeder dies nach seiner Bequemlichkeit
ein. Manche lesen gar kein publicum, andere thun es alle Jahr, und in Ihren Verhält-
nissen dürfte ebenfalls || ein publicum dann und wann nützhch seyn, weil Sie Ge-
legenheit haben vor einer größeren Menge eindringlich zu reden. Ein solches
publicum nimmt wpchentlich etwa zwei Stunden ein. Dann müssen Sie eine Antritts-
rede halten allerdings und dazu ein kleines Programm schreiben; der Gebrauch ist
wieder Geschäft. Am besten thun Sie dies gleich im November oder December,
weil dergleichen aufgeschoben sehr unangenehm wird. Den Gehalt bezieht man
hier alle halbe Jahr, Ende März und Ende September, und so werden Sie es künftig
auch habeu. Doch können Sie auch für diesmahl denselben schon im Anfang Januar
1) 4 S. 80. H. Wien.
Juli, August 1833. yi
beziehn, weil man rechtlich den halbjährigen Gehalt mit dem Eintritt in das zweite
Quartal || verdient hat und auch wenn man stürbe, erhalten würde. "U'as die Audi-
torien Bänke betrifft, so werden Sie vermuthlich die zumckgelassenen ganz neuen
des Hofrath Blume noch vorfinden und dann kaufen können. Suchen Sie es ein-
zurichten, daß Sie nicht zu spät kommen, damit Sie alle nöthigen Dinge noch selbst
zeitig besorgen können. Und nun glaube ich alle Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Hoffentlich ist die Grippe vorbei und Sie sind wieder fleißig. Leben Sie gesund
und besser als ich.
Von ganzem Herzen der Ihi-ige Dissen.
432. Wendt an H.^) Göttingen, d 28 Juli 1833.
Houhwohlgeb, höchstzuverehrender Herr College! Es freut mich die Ge-
sinnungen der Hochschätzung, mit welchen ich Sie immer aus der Ferne betrachtete,
jetzt mit dem freundlichsten Danke füi" die Eröffnung eines näheren Verhältnisses
unter uns, vereinigen zu können. Seit vielen Wochen war uns dieser Gewinn zwar
ziemhch sicher bekannt, allein das K. ü Curatorium hat uns darüber auch noch jeixt
kein Eescript zukommen lassen, wahrscheinlich fehlte es noch an der Ausfertigung
in London. Von meiner Seite seyen Sie versichert, daß ich dieses Verhältniß eben-
falls zu schätzen weiß, und jede Gelegenheit ergreifen werde, Ihnen dieß zu be-
zeugen. Ohnedieß habe ich es mir zum Prinzip von jeher gemacht, meinen Collegen
mit meinen Ansichten nicht lästig zu fallen und habe immer mich dabei sehr wohl-
befunden, daß ich mit Collegen vom Fache über das Fach zu reden vermieden habe.
Das Leben ist ja ohnedieß nicht ['2] so arm, daß man ohne besonderen Drang dazu,
das J^ach stets direct verfolgen müßte. Auf jeden Fall sollen Sie finden, daß es
sich auch hier ruhig und glücklich leben läßt; dieß darf ich Ihnen auch hinsichtlich
der übrigen CoUegen versprechen.
Sollte ifh Ihnen irgend einen Auftrag — seihst^ oder durch meine Familie
besorgen können, der Ihnen Ihren ersten Aufenthalt hier erleichtern könnte, so
würde ich mit Vergnügen denselben übernehmen; nur bemerke ich dabei, daß ich,
so wie ich die Last des Frorectorats abgeworfen und die Voriesungen dieses Semesters
geschlossen haben werde, (was etwa den 12 Septb. geschehen möchte) mich sogleich
mit Familie zu meiner Familie nach Leipzig und Dresden begeben werde, wo ich
bis "Wiederanfang der Vorlesungen zu verweilen gedenke.
Mit der wiederholten Versicherung der vollkommensten Hochachtung empfehle
ch mich Ew. Hochwohlgeb ergebenster Wendt.
433. Hugo an H.-) 3 Aug. 1833.
üfficiel haben wir zwar noch nichts über Ihr Hierherkommen erfahren, wir haben
uns aber schon lange darüber gefreut, da wir es auf so viele andere Arten eben so
gewiß wissen. Als der Ihrer ehemahligen und künftigen Collegen, die sich be-
sonders mit der Geschichte unserer Anstalt beschäftigt, will ich Ihnen zusammen
rechnen, daß Sie nach Schmauß und Zeise der dritte Professor sind, der zum zweytea
Mahl es hier wird. Ihre zwey Vorgänger sind nicht zu verachten, aber Keiner ist
so rühmhch von uns geschieden, da Sie uns zugleich mit der legitimen Regierung
verlassen haben, und Keiner ist so lange weggewesen. Sie finden nur- etwa 15 Col-
legen wieder, obgleich in den letzten Zeiten der liebe Gott den hiesigen Professoren
^) 2 S. 4". H. Wien. — A. Wendt (1783—1836), seit 1829 Prof. d. Phil, in Gott.
*) 1 S. 4^. H. Wien. — Gustav Hugo (1764—1844), Begründer der historischen
Rechtsschule, seit 1788 Prof. in Göttingen.
ßg Oktober 1833.
ein längeres Leben geschenkt hat, als je vorher, so daß wir vor einem Jahre ihrer
zehn von 70 und darüber gehabt haben. Sie werden aber gewiß von den Alten
und von den Neuen mit Freuden aufgenommen. Ich gehöre nun gar auch unter
die "Wenigen, die die Ehre haben, Ihre Frau Gemahlin zu kennen, der ich mich
so wie Ihnen aufs Angelegentlichste empfehle
ganz der Ihrige Hugo.
28. Aug.: KoiTcferat über das Seminar (XV. S. 114 — 115).
434. Stammbuchblatt. 1) 1833 Königsberg.
Hoch auf schauet das Aug' und höheres sinnt der Gedanke^
Doch der athmenden Brust fehlt in der Höhe die Luft.
Trugen dich Flügel hinauf in die weiten Räume des Aethers.
Dann gelang dir eizi Traum. Sei denn im Traume beglückt.
Wecken werden dich Pflicht und Noth. Erfülle! Entrinne!
Hast du's wachend vermocht, zürnst du den Weckenden nicht.
Joh. Friedr. Herbart.
September: Übersiedlung nach Göttingen. Vgl. den im Nachtrag dieses Bandes mit-
geteilten Brief Heibarts an Griepenkerl v. 6. Sept. 33.
435. An Griepenkerl. Gott. 14. Oct. 1833.
Mein theurer Freund! Sie werden nicht wissen was Sie von mir
denken sollen, — nichts als lange Unpäßlichkeit, Verstimmung, Arbeit. —
Aber eben heute wollte ich ausführlich an Sie schreiben, da meldet sich
ein Besuch aus Breslau, entschuldigen Sie also daß ich nur mit wenigen
Worten das allernothwendigste frage:
Können wir uns in Seesen 2) in diesen Tagen noch sehen?
Am 20sten ungefähr — oder 2 i sten muß ich schon wieder hier seyn.
Uebrigens hätten Sie für die Zwischenzeit lediglich zu bestimmen ;
wann ich da seyn soll. Wie Sie den Tag ansetzen innerhalb dieser
freylich sehr engen Gränzen, so komme ich.
Wenn Sie aber nicht können, so müssen wir uns brieflich behelfen.
Meine Hoffnung daß Sie sicher kommen würden, scheint vergeblich.
Besser wäre es; und ich glaubte für gewiß von Ihnen verstanden zu haben,
daß Sie Ihren zweyten Sohn bringen wollten.
Auf der Stelle muß ich siegeln. Haben Sie einen Augenblick übrig
so sagen Sie mir wenigstens brieflich wie Sie Sich befinden.
Herzlich wie immer Ihr H.
436. W. von Grote an H.^*) Eutin den 17ten Octob. 1833.
Herzlich willkommen in meinem Vaterlande! mein theurer unvergeßlicher
Freund! — Ich freue mich unbeschreiblich Sie in Göttingen zuerst durch meinen
') Mitgeteilt in der Zeitschrift für exakte Philosophie Bd. V. S. 312 von Hrn.
Marotzky, protestantischeni Prediger in Manchester, in dessen Stammbuch diese Distichen
Herbart vor seinem Weggange nach Göttingen schrieb. Marotzky studierte damals in
Königsberg, man vgl. u. den von ihm an Herbart gerichteten Brief vom 31. März 1834.
'^) Schwefelbad, auf halbem Wege zwischen Göttingen und Braunschweig gelegen.
") 3 S. 4". H. Wien. — Die Unterschrift ist nicht leserlich. Nach dem
Inhalte dürfte aber unzweifelhaft der schon öfter im Briefwechsel (z. B. Bd XVII,
S. 44, 148 u. ö.) genannte W. von Grote sein, der damals Präsident iu Eutin war.
Oktober 1833. tq
Carl begrüßen zu können, den ich Thnen zuschicke mit der innigen Bitte, sich seiner
väterlich anzunehmen bey dem Beginnen und der Fortsetzung seiner acaderaischen Lauf-
bahn. Ich kann Ihnen, Theuerster! die Empfindungen nicht in Worten ausdrücken,
welche mein Herz durchströmen bey dem Rückblick auf jene glücklichen sehr glück-
lichen Jahre meines Lebens, wo mir durch Sie eine neue höhere Welt eröffnet wurde,
wo Sie einen Kreis ausgezeichneter und lieber Menschen um sich zu fesseln wußten,
wo im schönsten Einklang eines höhern Strebens die Richtung des ganzen Lebens
unter uns festgestellt und fest begründet wurde. Ja, Bester! noch eben so wie
damals vor 30 Jahren, schlägt mein Herz Ihnen dankbar entgegen, und alle die
Stürme des Lebens, manche bittere Erfahrung, manche vergebliche Hoffnung, all' dies
Treiben und Mühen in einer sonst unglücklich bewegten Zeit, alles hat die Erinne-
rung an Sie nicht verdunkelt, ' sondern oft in den wichtigsten Augenblicken meines
Lebens recht lebhaft hervorgerufen, und mit ihr eine unauslöschliche Dankbarkeit
— für immer und für alle Ewigkeit. —
Im Frühjahr war ich in Bremen und erfuhr zuerst von Ihrem alten treuen
Freunde Smidt die frohe aber damals noch entfernte Aussicht, Sie wieder in
Göttmgen und in unserer Nähe zu haben. Vor Ihrem ähnlichen in Smidts Stube
befindlichem Bilde sitzend, haben wir recht lange und viel von Ihnen und Ihrer
künftiseu Wirksamkeit in Göttingen gesprochen; und Smidt war auch wieder der
erste der mir später aus Hannover gleich schrieb, als er dort die sichere Be-
stätigung unseres Wunsches erfuhr. Und wie freute sich meine gute Frau über
die Nachricht, wodui'ch sogleich der Entschluß bey uns beyden wurde, unseren Carl
zuerst II nach Göttingen zu schicken. Er wird Ihnen selbst sagen, daß er bey Ihnen
in diesem Semester die Logik oder allgemeine Einleitung in die Philosophie zu hören
wünscht, und ich, habe ihm einige Hoffnung gemacht, daß, wenn er es recht zu-
traulich anfängt, Sie ihm auch außer dem Collegio eine etwa nöthige mündliche Er-
läuterung nicht versagen würden. Aber er ist auf der Ritteracademie in Lüneburg,
zwar mit recht guten Schulkenntnissen ausgerüstet, wenig unter Menschen gekommen,
zuerst blöde, zurückgezogen und etwas ängstlich, er fürchtet leicht, sich aufzudrängen,
und bis Sie, mein theuer.ster Freund, mit ihm bekannter werden und ihn ergriffen
haben mit der Macht Ihres Geistes und Ihrer Gedanken, bitte ich Sie (ich wage die
Bitte aus Liebe zu meinem Kinde) ihn zuweilen zu emer bestimmten Abendstunde
zu sich einladen zu lassen. Ihre liebe Frau erinnert sich vielleicht noch des damals
kleinen lustigen Knaben aus Königsberg, wo Sie beyde in unserer damaligen be-
drängten Lage bey der gefährlichen Krankheit unserer Lotte so viel Güte und Liebe
für uns hatten. —
Die künftigen Lebensverhältnisse meines Sohnes erfordern, daß er sich, auch
zu seiner künftigen Subsistenz, dem Staatsdienst widme; er muß daher zuerst die
Jurisprudenz verbunden mit Cameral-Wissenschaften als sein Brodstudium eifrig
studieren, und Sie wissen, wie viel jetzt vom künftigen Staatsdiener mehr als sonst
gefordert wird. Mein Carl wird daher mit seiner acadeinischen Zeit, die ich, da
er schon sein 21 tes Jahr angetreten, nicht wohl über 3 Jahre ausdehnen kann, sehr
sparsarn umgehen, und die Biodwissenschaft, die ihm hoffentlich durch Ribbentrop
und Carl Richthofen gleich anfangs von einer greistreichern mehr speculativen und
und II interessanteren Seite gezeigt werden wird, stets als eine P/licht-S&ch.e vor
Augen behalten müssen. Gerade aber hierzu bedarf er der allgemeinen Ausbildung
des Geistes und der Befestigung einer moralischen Grundlage und hier möge er
meinem Herbart ganx angehören. — Sie werden sein Wesen bald ergründen, er
ist gut, brav und besonnen, hat den besten Willen, ist aber nicht immer kräftig
genug in der Ausführung. Er hat mehr speculativen Verstand , als Gedächtniß,
40 November 1833.
und obgleich ihm daher das Festhalten positiver Kenntnisse schwer geworden; so
wird ihm doch die Erkenntniß und das Eindringen in eine Sache durch seinen klaren
Blick und seine leichte Anschauungsgabe sehr erleichtert. Die innigste Liebe zum
väterlichen Hause wird ihn hoffentlich schützen auf der neuen gefährlichen Bahn.
Von uns mag er Ihnen selbst recht viel erzählen. — loh darf für heute nicht
weiter schreiben, da mich meine, überhaupt etwas sauern und überhäuften Geschäfte
im Dienst auch jetzt abrufen. Im nächsten Fi'ühjahr oder Sommer hoffe ich Sie
zu umarmen. Empfehlen Sie uns beide Ihrer lieben Frau angelegentlichst. Mit
innigster Freundschaft Ihr W. Grote.
437. An Drobisch. ^) Göttingen, 3 Nov 33.
Erlauben Sie, mein hochverehrter Freund! daß ich unsern Brief-
wechsel durch einige wenige Zeilen wieder anknüpfe; mehr erlaubt die
Zeit nicht. Meine Antrittsrede ist gehalten; meine Vorlesungen sind mit
zahlreichem Besuch eröffnet, doch nur für die Einleitung zahlreich; die
andern beyden Collegien, Psychol. u. prakt. Philos. haben mehr Hospitanten
als Unterzeichnete, und werden in diesem Winter noch wenig in Betracht
kommen. Meine Frau leidet am Heimweh; möge sich das bald so weit
mäßigen, daß sie heiterer Eindrücke empfänglich werde.
Wendt war in Leipzig, erzählt mir aber nichts von Ihnen. Dagegen
wollte er wissen, die Leipz. Lit. Z. stehe nicht sicher. Soll ich das Ihrent-
wegen bedauern ? — Sie wissen, ich konnte mich nicht recht darein finden,
daß Sie Sich mit Redactions-Geschäften befassen. — Ihre Zeit ist kostbar!
Möchte ich bald die Freude haben, sichere Nachricht von Ihrem Wohlseyn
aus Ihrer eigenen Hand zu empfangen!
In B. habe ich außer Reichh[elm] Niemanden besucht. Seit sechs
Wochen habe ich keinerley Zeitungsblatt gelesen; sollte etwas Wichtiges
vorgefallen seyn, so können Sie mich durch Benachrichtigung sehr ver-
binden.
Unverändert der Ihrige! H.
Doch soeben noch eine Nachricht durch W: man habe Ihnen die
Professur der Astronomie angetragen, man zweifle aber, daß Sie dieselbe
annehmen würden. Schön — wenn Sie der Philos. zu Gunsten Ihre
Muße schonen wollten! — Von mir werden eben jetzt die neuen Auflagen
der Einleitung u. des Lehrbuchs der Psychol. gedruckt bey Brockhaus.
Daß Ihnen ein Exemplar zu Befehl steht, brauche ich wohl nicht voraus-
zusagen ; aber erwarten Sie nicht viel. Die beyden Auflagen mußten noch
in Königsb. eiligst besorgt werden. Herzlich verlangt mich Sie in Göttingen
zu sehn. Aber ich möchte es voraus wissen, denn ich muß selbst auf
alledey Reisen in den Ferien denken.
438. Hoppenstedt an H.^) Hannover 12 Nov. 1833.
Euer Hochwohlgebohren danke ich auf das verbindlichste für die gütige Zu-
sendung Ihres Antrittsprogramms und bezeuge Ihnen meine Freude darüber, daß Sie
dieser Obliegenheit so pünktlich ein Genüge geleistet haben. Angenehm ist mir die
Nachricht über den Beifall, den Ihre Vorlesungen finden; ich habe das nicht ander»
') I S. 4°.
^) 3 S. 40. H. Wien.
November 1833. 41
erwartet und hoffe gewiß, daß auch diejenigen Collegien, welche in diesem Halb-
jahr noch nicht so zahlreich besucht werden, wie es zu wünschen wäre, künftig
nicht minder eifrig werden gehört werden.
— Ich verstelle es in Euer Hochwohlgeb. Erwägung, ob es nicht vielleicht
angemessen seyn möchte, bei faßlicher Gelegenheit die Studirenden mit dem Gange,
den Sie bei* Ihren Vorträgen über die verschiedenen Zweige der Philosophie ver-
folgen und über den Zusammenhang der einzelnen Collegien miteinander, näher be-
kannt zu machen.
— Euer Hochwohlgebohren werden die Ausfertigung wegen Ihres Eintritts
in die Honoren-Facultät erhalten haben. Ich hoffe, sie wird Ihnen angenehm seyn
und Sie werden darin einen Beweis finden, wie sehr dem Curatorio daran gelegen
ist, Ihnen Ihre dortige Stellung angenehm zu machen.^)
— Wegen Ihres Eintritts in die wissenschaftliche Prüfungs-Commission ist
die Verfügung absichtlich noch zunickgehalten, damit Sie nicht auf einmal mit zu.
vielen verschiedenartigen Geschäften überhäuft werden, sondern Muße und Gelegen-
heit gewinnen. Sich, dort recht festzusetzen.
Mit den hochachtungsvollsten Gesinnungen empfehle ich mich
Euer Hochwohlgeb. gehorsamst Hoppenstedt.
439. Drobisch an H.'^) Leipzig 24. Novbr 1833.
Hochverehrter Gönner und Freund! Ihr wohlwollender Brief vom 3. d. M.
nebst der werthvoUen Inlage, wofür ich ergebenst danke, hat mich, wie immer, im
hohen Grade eifreut. Brachte er mir doch von Neuem die Versicherung, daß ich
mich Ihrer Gunst noch zu rühmen habe, in welcher Überzeugung ich schon wankend
zu werden anfing. Was Ihr Programm betrifft, so meine ich, Sie hätten für das
solide, verläßliche Göttingen, das mit seiner Bibliothek und seinen Instituten von
jeher so ganz auf Geschichte und Erfahrung geruht hat, kein passenderes Thema
wählen können als dieses einfache und wichtige und allen zugängliche, und so
konnten Sie, den versöhnlichen Geist Ihrer Philosophie, die so gern von andern
"Wissenschaften lernen will, ohne deren Sclavin zu seyn, und jenen nützlich zu
werden strebt, ohne das Bestehende auf den Kopf zu stellen, zu bezeichnen, nichts
Treffenderes sagen, als was auf den letzten Seiten Ihrer Schrift enthalten ist. Wie
gern machte ich eine Anzeige dieses Programms; ja die neuen Auflagen Ihrer Lehr-
bücher und Röers kleine Schrift hätten vielleicht einen ordentlichen Artikel „Her-
bart'sche Philosophie'' gegeben; aber — es ist fast mehr als wahrscheinlich, wir
tragen zu Ende des Jahrs die Leipz. Lit.-Zeit. zu Grabe; wir senken sie in das
Grab, das die Herren Krug, Pölitz und Consorten uns offen hinterlassen haben, das
uns aber bisher klüglich verdeckt wurde. Freilich haben wir die Genugthuung,
jene Herren gleichzeitig einen andern literarischen Leichnam in Becks Repertoi'ium
beerdigen zu sehen; in der That. diese doppelte Beerdigungsscene müßte eine köst-
liche Carricatur geben! Unsre Hoffnung steht jetzt noch auf eine Unterstützung der
Lit.-Zeit. von Seiten des Ministeriums, um die wir eingekommen sind. Denn das
Aufhören dieses Instituts gereicht der Universität doch keinesfalls auswärts zur be-
sonderen Ehre. Sie nun, Verehrtoster, sind zwar ganz wohl mit diesem Aufhören
zufrieden um meinetwillen. Es ist wahr, dieses Redactionsgeschäft hat manche
Stunde gekostet, manche Zerstreuung herbeigeführt; indeß in diesem Jahre war ich
fast II zu nichts weiter zu gebrauchen; ich habe mich durch das häusliche Elend,.
1) Näheres dai-über in Bd. XV, S. 291 f.
"-) 4 S. 4«. H. Wien.
A2 November 1833.
das kein Ende nehmen wollte und zur Stunde noch nicht ganz aufgehört hat, uns
mit seinen Schlägen fernerhin zu bedrohen, nur so hindurch gewürgt; doch genug
davon, ich erinnere mich, Ihnen vor einigen Monaten schon allzuviel geschrieben zu
haben. Daß ich in der Leipz. Lit.-Ztg. in Absicht auf die Redaction des philo-
sophiscben Theils nicht habe das Wünschenswerthe leisten können, dessen bin ich.
mir bewußt; aber theils war ich genöthigt, überkommene Eecensionen, wenn sie
nicht geradezu ganz schlecht und gehaltlos waren, abdrucken zu lassen, theils ließ
es der Plan des Ganzen nicht zu, den philosophischen Beurtheilungen nur Eine Farbe
zu geben, theils bin ich nicht hinlänglich unterstützt worden. Alle solchen Ver-
hältnisse hätten sich erst nach längerer Zeit befriedigender ausgleichen lassen. Was
mich selbst betraf, so war meine eigene Theilnahme auch hier eine gespaltene, da
nun einmal meine äußere Stellung Ansprüche an mich, macht, die ich einigermaßen
zu befriedigen trachten muß. — Mit der Metaphysik bin ich im vergangenen Sommer
recht glücklich gewesen; sie interessirte sehr, war ziemlich frequent und wurde bis
zuletzt mit Aufmerksamkeit gehört. Ich lese jetzt noch ein SupplementarcoUeg zur
Metaphysik, da die Zeit des Sommerhalbjahrs, besonders da ich 14 Tage aussetzen
mußte und erst spät anfangen konnte, nicht ausreichte. Sonst feire ich diesmal mit
der Philosophie, theils um mit den einzelnen Disciplinen in eine andere Ordnung
zu kommen, theils um endlich einiges Literarische abzuschließen, das mich schon
so lange drückt und mich hindert, auf einige Concentration zu denken, die mir so
nöthig ist! — ■ Mit Krugs Vorlesungen geht es ganz zu Ende. Er hat diesen Winter
kein Privatum zu Stande gebracht. Clodius und Weisse kommen als Docenten auch
nicht in Betracht. Dagegen findet ein junger Mann Hartenstein als Privatdocent
vielen Beifall. Er besitzt Gelehrsamkeit und Scharfsinn, scheint mir aber die Philo-
sophie mehr als Geschichte der Philosophie denn als System zu behandeln. Wie
ich höre neigt er sich zu Jakobi hin, was seinem speculativen Geiste wohl nicht
viel Ehre machen möchte. Doch ist er durch Zuhörer von mir, die ihm in
Disputationsübungen zugesetzt haben mögen, zu einem genauen Studium Ihrer ||
Schriften augetrieben worden und von diesen höchlich erbaut. Nur meinte er
neulich, er müsse es sehr bedauern, sie nicht so ganz penetriren zu können, da es
ihm an „mathematischen Vorkenntnissen" fehle und er diese Lücke auszufüllen jetzt
nicht ,.im Stande sey". Also hie haeret aqua! Jetzt hat er von mir Ihre praktische
Philosophie geborgt und meinte neulich: es gäbe jetzt nur zwei scharfe und conse-
quente Denker, und das wären Sie und Schleiermacher. Bei dieser Gelegenheit er-
klärte er sich auf das Entschiedenste für Ihre Lehre von der Freiheit, die mir vor
einigen Wochen in der L. L.-Z. ein Fragezeichen abgelockt hat, in dem eine von
den Zeiten der vorigen Redaktion überlieferte, betreffende Recension Ihrer Ency-
klopädie, an der ich mich selbst wahrhaft nicht erbaut, auch dieses durch eine
Redactionsnote auszudeuten gesucht habe, wie schon öfter geschehen, behauptete,
daß es nach Ihnen gar keine Freiheit gäbe. Mir ist es vorgekommen, als wolle
dieser Mann eine Kritik Ihrer Philosophie, ein Buch etwa so wie Bachmann über
Hegel schreiben; das wird eine treue Schilderung werden! Ich trage mich wohl
selbst mit dem Gedanken an ,, Beiträge zur Erläuterung, Prüfung und Fortbildung
der Herbart'schen Philosophie" herum, aber der Gedanke hat noch keine Reife und
ich kann nun einmal nicht^ wie mein H. College Weisse, meine Studien auf öffent-
lichem Markte machen, wodurch man dann freilich in die Verlegenheit kommt, zum
Publicum zuweilen sagen zu müssen: „Hört, lieben Leute, was ich vor einem halben
Jahr sagte, war falsch, es muß so seyn!" Wendt's Neuigkeiten mich betreffend,
scheinen sehr alt zu seyn. Dieser Antrag wurde mir vom Ministerium vor V/^ Jahren
gemacht. Ich lehnte ihn durch eine schriftliche Eingabe aus Gründen ab, die sich
November 1833. a-i
sowohl auf den Mangel meiner wissenschaftlichen Vorbereitung dazu, als auf den
an Neigung endlich auch auf meine schwache, reizbare, rheumatische Constitution
bezogen, und ich denke der Antrag wird nicht wiederholt werden; vielmehr hat sich
der Cultusminister mehrmals mit Theilnahme nach dem Erfolg der philosophischen
Vorlesungen erkundigt und mir darüber seinen Beifall zu erkennen gegeben. || Wie
groß würde meine Freude seyn, wenn es mir im Frühjahr möglich sein sollte, Sie
in Göttingen wieder zu sehen ! Aber auf so lange Zeit Pläne zu machen, ist mir bei
der Unsicherheit meines häuslichen Glücks (mein Töchterchen hat bisher ohngefähr
von Monat zu Monat, die letzten des Sommers ausgenommen, einen bedrohlichen
Anfall gehabt) nicht mehr vergönnt. Ich muß meinem Geschick die guten Tage, ja
die guten Stunden abstehlen. Möge Ihre verehrte Frau Gemahlin den Schmerz der
Trennung von Vielem, was ihr in Königsberg theuer gewesen seyn mag, recht bald
und für immer überwinden. Wir können ihn uns — ich und meine Frau — aller-
dings recht groß vorstellen. Doch gewiß werden sich neue, freundliche Verhältnisse
anknüpfen, die einigen Ersatz zu gewähren geeignet smd. Sollte H. D. Strümpell,
dessen jetzigen Aufenthaltsort ich nicht weiß, in Verkehr mit Ihnen stehen, so
nehmen Sie mich gütigst in Schutz, wenn er über einen unbeantworteten Brief un-
gehalten ist. Dieser kam in meine schlimmste Zeit, dann aber erfuhr ich, daß er
nicht mehr in Bonn sey u. s. w. Bobrick klagte vor einigen Monaten in einem Briefe
an mich, daß er zwei dergl. an Sie gesendet, aber noch keine Antwort erhalten habe ;
sie seyen entweder verloren oder Sie müßten krank seyn. Ich veimuthe allerdings
daß nicht jeder Brief von Zürich überall hingelangt.
Von bedeutenden, literarischen Neuigkeiten weiß ich nichts zu sagen. Es bleibt
mir nur also noch übrig, Sie und Ihre Frau Gemahhn in Göttingen hiemit glück-
wünschend zu begrüßen, Ihnen fernere rüstige Gesundlieit zu wünschen, die dann
die besten Erfolge von selbst herbeifülu-en wird. Mir aber erbitte ich wie bisher
die Fortdauer Ihrer freundschaftlichen Gesinnung.
Von ganzem Herzen Ihr ergebenster Drobisch.
440. An Drobisch.^) Göttingen, 28 Nov. 1833.
Mein hochverehrter Freund! Wiewohl verstimmt aus körperlichem
Unbehagen, weil eine Erkältung noch nicht weichen will, — ergreife ich
doch die Feder, nicht um Ihnen ein müßiges Bedauern, was sich von
selbst versteht, noch ausdrücklich zu bezeugen, sondern weil eine Zeile
gleich im Anfange Ihres Briefes es nothwendig macht. Was konnte Ihre
Ueberzeugung von unsern vertraulich freundlichem Verhältnisse wankend
machen? Daß ich nicht mehr wie früher, Sie mit Bitten bestürmte? Daß
etwa Griepenkerl, daß Strümpell, keinen ganz offenen Zugang bey Ihnen
fanden? — Sonst wüßte ich nichts auszusinnen. Erlauben Sie mir also
über jenes ein paar Worte. Sobald Sie anfingen, philosophische Vor-
lesungen zu halten, worüber ich mich völlig aufrichtig freute, lag es am
Tage, daß Sie das Stimmrecht eines Unbefangenen so wohl in Sich als
außer Sich in Anspruch nahmen. Und da Sie mir schrieben, Sie wären
beschäfftigt, die Hegeische Philos. genauer zu erforschen, fügte ich mich
in Geduld; ich wußte daß ich warten müsse. Ueber Griepenkerls Briefe
haben Sie in den Brockhaus-Blättern -) so schön geschrieben — ich gebe
hier das Urtheil meiner Königsberger Freunde, da ich selbst so Etwas
') 2 S. 4».
^) Blätter für literarische Unterhaltung 1832. Nr. 295.
44 November 1833.
nicht beurth eilen darf, — wie nur Sie sclireiben können. Aber Griepenkerl
selbst hat Ihnen nicht genügt! Nim wohl, das ist nicht zu vermeiden.
Seine lebhafte und wahre Freundschaft für mich weiß ich zu schätzen;
aber ich verlange nicht, daß diese Freundschaft für Andre den nämlichen
Werth haben soll. Was Strümpell anlangt, so hatte dieser mich in
Königsberg in einer Lage gesehn, die ihm nicht angemessen schien; und
zwar aus den Ihnen bekannten Gründen. Erst nach seiner Abreise trat
dort das lebhafte Interesse für mich auf die dankenswertheste Weise
hervor. In Preußen erscheint Jeder als ein etwas seltsamer Mensch, der
etwas unternimmt und treibt, was nicht die volle Gunst der Regierung
für sich hat. Gewiß ein großes Lob für || die preußische Regierung im
Ganzen genommen. Und die Königsberger äußerten sich gleich anders-
als sie sahen daß ich den Ausweg nach Göttingen hatte. Mein Treiben
erschien nun vernünftig, denn es hatte nicht mehr das Ansehen eines
Thuns, bey welchem am Ende nichts herauskommt. Strümpell sah diese
Veränderung nicht; dagegen war er durch die Recension von Brandis
aufgeregt, die mich allerdings eher in Verlegenheit setzen als herausziehn
konnte. Das Fehlerhafte darin haben Sie Selbst in einem Briefe an mich
scharf bemerkt. Daß nun ein junger Mann unter solchen Umständen
seinen Beruf fühlt, einzugreifen, — ist im Allgemeinen natürlich; er wurde
überdies durch mich aufgemuntert und angetrieben. Was soll denn werden,
wenn Niemand dreist auftrit und durchgreift? So frage ich noch jetzt, ob-
gleich jene Verlegenheit jetzt für mich zu Ende ist; denn hier in Göttingen
drückt mich nichts, und ich habe für jetzt keinen Grund, fremde Hülfe
anzusprechen. Wenn aber Strümpell zu etwas kommen will, so muß er
sich durcharbeiten; und zwar durch die Menschen wie sie sind. — Darum
bitte ich Sie: Betrachten Sie ihn mit derjenigen Nachsicht, die ein älterer
Mann dem jungem allzubrausenden nicht zu versagen pflegt, wenn das
Motiv nicht unedel, und die Umstände spannend sind. — Dies ists, mein
Freund, was ich Ihnen offen und gerade zu sagen hatte; und hoffentlich
werden Sie nun überzeugt seyn, daß unser Verhältniß, was Sie sehr vest
gegründet haben, auch wirklich nicht gewankt hat. Zugleich aber mögen
Sie mir glauben, daß solche Zudringlichkeiten, wie Sie früher von mir
erfuhren, nicht in meinem Charakter liegen. Die Schuld lag an den Ihnen
wohlbekannten Umständen. Mein Leben war das Leben in einem wohl-
aufgeputzten Gefängnisse, während man draußen Pflichten hat, die man
ohne Hülfe nicht erfüllen kann. Das ist, so Gott will, jetzt vorbey! —
Meine Gesundheit aber scheint in den Osterferien eine Reise nach Süden
zu fodern, und ich denke die Verwandten meiner Frau in Wiesbaden
aufzusuchen ; vielleicht gehe ich bis Darmstadt. Können wir uns irgendwo
sehn, so ist Abrede nölhig; zudem da ich auch für ein paar Tage nach
Hannover muß. Recensionen lese ich nicht und schreibe ich nicht. Die
Freyheitsschwindler mögen meinethalben ihre Unfreiheit aus ihrer Un-
wissenheit beweisen. Montesquieu nennt irgendwo die Fürsten unfrey,
weil sie Gewalt üben und leiden, Unwissenheit ist, denke ich, fast so
schlimm als Gewalt. Was Sie über meine Arbeit schreiben, werde ich
verdanken, und desto mehr, wenn es in einem ordentlichen Buche ge-
schieht. Flugblätter helfen uns nicht weiter; sie werden im Fluge gelesen^
Dezember 1833.
45
und scheinen sich überlebt zu haben. An Bobrick werde ich schreiben;
gerne aber wüßte ich, was Unbefangene über seine Vorlesungen sagen.
Ganz der Ihrige H.
441. Nieuwenhuis an H.*) Leide, d. 1. Dez. 1833.
"Wohlgeborner! Hoch Geehrter Herr Professor! Daß Ihre scharfsinnigen, höchst
interessanten philosophischen Schriften Auch in Holland bekannt sind und mit ge-
bührendem Lob von Mir Meinen Landsleuten empfohlen wurden, wird Ihnen hoffentlich
nicht unangenehm seyn, Aus diesen wenigen Zeilen zu vernehmen, und näher be-
stätigt zu sehen aus meinen Initia Metaphysices, die ich die Ehre habe, hier bey
zu fügen. Sehr angenehm würde es mir seyn, wenn Sie die || Güte haben wollten,
wenigstens die Geburt und Existenz dieser Kinder Meiner Studien im Königsb. Archiv
pp. oder in andern dazu Geschickten Gelehi-ten Zeitschriften auszuliängen.
Erlauben Sie mir, mit dem Ausdruck Ausgezeichneter Hochachtung Mich zu
nennen: Ew. Wohlgeboren Gehorsamer Diener
Dr. J. Nieuwenhuis Prof. P. 0. zu Leide.
442. An Griepenkerl. 2) Göttingen 5. Decemb. [1833.]
Nur wenige Worte mein theurer Freund, zum Danke daß Sie mich
von ernstlicher Sorge wegen Ihrer Gesundheit durch so angenehme Nach-
richten befreyel haben. Von Herzen wünsche ich Glück zu Ihren musi-
kalischen Erfolgen; von Heidelberg hatte ich nichts gehört.
Ihr ältester Sohn kann nun in drey oder vier Zeitungen die sich
immer wiederhohlende Nachricht, Sch[elling]'s wegen, gelesen haben. Sollten
Sie wohl nicht durch ihn erfahren können, was man in B[erlin] dazu
sagt? — Es ist ein längst geübter Kniff in politischen Dingen, etwas als
.Zeitungsgerücht zu verbreiten, um zu vernehmen, was die öffentliche Stimme
davon meint, und dem gemäß zu thun und zu lassen was ausführbar
scheint. Jedenfalls hätte Sch[elling] selbst schon einen Widerruf der, von
München aus verbreiteten, Nachricht veranlassen können, wenn ihm das
beliebte.
Für heute kann ich nicht länger! Ganz Ihr H.
Weiß Ihr Sohn nichts von Reichhelm? Von diesem erwarte ich seit
einem Vierteljahre einen Brief vergebens.
443. An Drobisch.^) Göttingen, 12 Dec 33.
Mein hochverehrter theurer Freund! Die Zuhörer kommen schon —
doch sage ich Ihnen in höchster Eile, daß Ihr letzter Brief*) mir äußerst
schätzbar ist, aber in dem Smne wie Sie ihn schrieben durchaus gar nicht
nöthig war. Sie können kein Misverständniß unter uns ertragen — ich
kann es noch weniger, und bloß weil ich es nicht kann, schrieb ich
meinen letzten Brief. Glauben Sie mir, es ist Nichts zwischen uns, und
wenn sich Etwas zwischen uns drängen wollte, würde ich es wegschieben.
M 2 S. 4". H. Wien. Jakob Nieuwenhuis, Prof. in Leyden. Man vgl.
'Herbarts Anzeige seiner Schriften, Bd. XIH, S. 273 ff.
-) I S. 4°. H. "Wien. Bei Zimmermann, S. 87 f.
ä) I S. 4».
*) Dieser Brief scheint nicht mehr vorhanden zu sein.
46 Dezember 1833.
Gereizt hat mich gar nichts; aber lediglich Ihre eigenen Worte daß
Ihre Ueberzeugung von unserm Verhältnisse wankend gewesen sey, machten
mich besorgt. Entschuldigen Sie diese Sorge; lesen Sie meinen Brief
noch einmal, — und überzeugen Sie Sich alsdann, daß von Pfeilen, die
ich gegen Sie sollte abgedrückt haben, mir auch nicht das Geringste in
den Sinn gekommen ist. Dennoch lassen Sie Sich nicht leid seyn, Ihren
letzten Brief vom 8. December an mich gewendet zu haben: er thut
meinem Herzen wohl, denn er versichert mich aufs neue Ihrer mir höchst
theuren Freundschaft! Jetzt muß ich aufs Katheder.
Unveränderlich Ihr H.
Ehe ich siegele — nach geendigter Vorlesung — noch ein Wort.
Nicht von Griepenkerl ist etwas zu besorgen; wenn Sie ihn kennten,
würden Sie seinen Charakter gewiß schätzbar finden. Aber konnte ich mir
wohl verhehlen, daß der sehr jugendliche Str[ümpell] Ihnen möge misfallen
haben? — Darum bat ich und bitte noch: haben Sie Nachsicht, wenn
Sie bemerken daß der junge Most noch gährt, ehe Wein daraus wird;
und glauben Sie ja nicht, daß ich für alle Jugendlichkeit die Sie etwa
bemerken mochten oder noch bemerken werden, einstehen wolle oder für
gut heiße. Das Weitere künftig!
444. An Professor Schubert in Königsberg, i)
Göttingen 15. December 1833.
Mein hochgeehrter Herr College! Über eine Woche lang brachte
jeder Tag ein Hinderniß des Schreibens, — und viel zu spät für meinen
Wunsch komme ich dazu, Ihnen meinen eben so sehr schuldigen als
herzlichen Dank für Ihre große Güte abzustatten. Die Quitungen werden
hoffentlich so recht seyn.
Sie wissen, daß mir der Tausch, Göttingen für Königsberg, sehr viel-
fach theuer zu stehen kommt. Ohne mir darüber irgend eine Täuschung
zu machen, finde ich ihn noch heute so unvermeidlich, als damals, da ich
mich dazu entschloß, Göttingen hat zwar nicht mehr seinen alten Glanz
durch zahlreiche Grafen und Barone; es hat nicht mehr jenen Wirkungs-
kreis im ganzen deutschen Sprachgebiete; aber es ist wenigstens auch
noch keine Provincial-Universität, und es weiß noch so ziemlich, daß es eben
nichts anders oder doch nichts Größeres seyn kann als eine Universität.
Mit dem Fleiße meiner Zuhörer bin ich zwar nicht ganz, aber doch für
den Anfang leidlich wohl zufrieden; die praktische Philosophie wird mir
oft nur allzuvoll von Hospitanten; die Psychologie hat bis jetzt ein be-
ständiges, wenn auch nicht großes Auditorium; nur die logischen Formeln,
das barbara und celarent, will nicht recht munden; man ist aus der Ge-
wohnheit gekommen, da meine jetzige Stelle bey der Kränklichkeit des
verstorbenen Schulze eigentlich schon vor seinem Tode nicht recht wirk-
sam besetzt war. Die" Einnahme vom Honorar ist bedeutender gewesen
als ich erwarten durfte. Was mich aus Preußen hinaustrieb, das kennen
Sie ja; Sie wissen auch, daß ich der treueste Unterthan des Königs von
') S. den vorhergehenden Band, S. 228 f.
November 1833. 47
Preußen zu seyn und zu bleiben bereit war, — daß ich aber eben des-
halb desto empfindlicher gegen das^jenige seyn mußte, was mir meinen
Platz verleidete, nachdem ich ein Vierteljahrhundert lang in Königsberg
gethan hatte was ich dort, und für Ostpreußen, leisten konnte. Dieterici
— wenn er ernstlich wünschte mich in Berlin zu haben, — könnte wohl
längst früher Ursache gehabt haben, auf die Gelehrten-Welt in Berlin
einen solchen unschuldigen Einfluß zu üben, daß man dort wenigstens
einigermaaßen mit mir bekanjit gewesen wäre. Hier in Göttingen ist es
mir zuweilen etwas befremdend vorgekommen, wie neu ich den Leuten
war. Die jungen Anfänger füllten mir Anfangs die Logik, denn Logik
sollten sie ja hören; von der praktischen Philosophie muß das hiesige
Publicum gerade nichts gewußt haben ; es schien Anfangs, als würde das
collegium kaum zu Stande kommen. Jetzt ist es nun schon anders; es
muß aber noch anders werden. Zwar bin ich unter den eigentlich wirk-
samen Professoren in Göttingen schon einer der ältesten; indessen habe
ich noch den Muth zu arbeiten; und fühle meinen Beruf desto mehr, je
bestimmter ich weiß und vorhersehe, daß alle Kunst und Macht, die man
aufbietet, um den Pantheismus vor dem baldigen Versinken in eine
Popularphilosophie zu hüten, nichts helfen kann. Man hat den Spinozis-
mus lange genug angestaunt, um, wenn man endlich den Spinoza als die
wahre Quelle und Urkunde des Pantheismus wird studiren wollen, klar
vor Augen zu sehen daß er platt und mager und mit heutigen Bedürf-
nissen und Kenntnissen weder in Verhältniß ist noch dahinein kann ge-
bracht werden. Lesen Sie doch gelegentlich einmal den tractatus theo-
logico-politicus; er wird Sie ohne Beschwerde vielfach interessiren, und
Sie können dann selbst urtheilen, wenn Sie auch mit der Ethik sich
nicht befassen wollen.
Meinerseits bin ich zum Behuf meiner prakt. Philos. die sehr er-
weitert werden muß, beschäftigt — (nicht bloß mit dem gutmüthigen
Pölitz, dessen naturrechthches Ungeschick mir einiges Lachen abgenöthigt
hat, sondern auch) mit Rehbergs Schriften, die ich unserm Taute emp-
fehlen möchte. Unstreitig hätte Rehberg unter den Philosophen der
Kantischen Periode glänzen können, wäre er nicht Geschäftsmann gewesen.
Jetzt lebt er hier in Göttingen ohne öffentliche Wirksamkeit ; ich habe
ihn vergebens besuchen wollen; der alte Mann steht vor 12 Uhr Mittags
nicht aus dem Bett auf. Einen Königsberger habe ich hiei unter meinen
Zuhörern, den jungen Thomas,^) der früher in Bonn war. Das Benehmen
der Studenten finde ich im Ganzen recht schicklich und gut.
Das ist wohl Alles, was ich von hier — wo allerdings einige Blätter
welken — Ihnen erzählen darf, da von Concerten und thes dansants
(um letztere macht sich Wendt verdient) wohl nicht lohnt zu schreiben;
ich selbst bin erst auf Einer großen Fete gewesen, welche die Mekeln-
burger zu Ehren ihres Großherzogs an dessen Geburtstage gaben. — Daß
Otto Stiemer 2) die Masern gehabt und glücklich überstanden, ist eine Nach-
') Carl Thomas, später Prof. in Königsberg.
'^) Otto Stieraer, ein anonnaies Kind, das Herbart adoptiert und erzogen hat,
geb. 1824, gest. 1893.
aS Dezember 1833.
rieht für die Mutter und für die Freundinnen meiner guten — bey dem
Jungen sehr beschäftigten Frau.
Herrn Prof. Dulk bitte ich meinen herzlichen Glückwunsch abzu-
statten. Unsern Sieffert habe ich noch nicht recht Lust zu bedauern.
Die Gelehrten in Preußen müssen etwas stolzer werden; — thue recht
und sieh nicht um.
Aber wieviel Fragen hätte ich an Sie! Nach Allem möchte ich
fragen und begnüge mich höchst ungern mit der stillen Antwort, was Sie
nicht erwähnen, möge wohl noch beym Alten seyn. Jedoch — desto
besser, wenn recht Vieles dort beym Alten bleibt, dann bleibe ich wohl
auch in der alten Gunst, der man mich in Königsberg gewürdigt hat.
Bitten Sie für mich überall darum wo man ein Wörtchen von mir spricht.
— Meine Frau, von der ich viele, viele Empfehlungen zu bestellen hätte,
bittet mit mir inständigst um lange, recht lange Briefe. Möchte ihr selbst
nur die Tinte etwas flüssiger werden! oder möchten nur ein paar Damen
in Königsberg mit gutem Beyspiel vorangehn ; das wäre ein gutes Werk.
Wüßte man dort, wie uns manchmal zu Muthe ist, man fände wohl zur
guten Stunde eine gute Feder! Mit größter Hochachtung
Ihr ergebenster H.
445. Drobisch an H.') Leipzig, d. 19. Decbr. 33.
Hochverehrter Herr und Freund ! Ihr Brief vom 12. d. M. hat mir eine große
Last von dem Herzen gehoben. Sie haben edelmüthig alles Heftige, was in meinem
letzten Briefe gelegen haben mag, bei Seite setzend, nur die Tendenz desselben auf-
gefaßt und kommen mir mit wohlwollender Freundlichkeit entgegen, die letzte Spur
jedes Mißverständnisses zu verwischen. Seyen Sie versichert, hochverehrter Freund,
dieser große Beweis Ihrer Güte wird mir unvergeßlich seyn. Ich werde es in Zu-
kunft immer und unbesorgt, auf Ihre Freundschaft vertrauend, wagen, offen und
ohne allen Eückhalt und ohne Etiquette und diplomatische Förmlichkeit mich gegen
Sie zu äußern. Wenn ich über wissenschaftliche Gegenstände schriftlich mit Ihnen
verkehre, so werde ich mich bemühen, nicht zu meinen, sondern mir eine Über-
zeugung zu bilden, die mich subjektiv wenigstens bei'echtigt, zu behaupten — oder
schweigen. Ich sehe ein, Ihnen gegenüber, der Sie immer nur Selbstgedachtes ge-
schrieben haben, darf nur allein ein solcher Gedankenverkehr zugelassen werden.
Kommen aber Dinge oder Verhältnisse zwischen uns zur Sprache, über die man nur
meinen kann, so sollen Sie wie bisher meine innerste Meinung und noch dazu in
ungezwungenster Fassung erhalten.
Endlich soll es mich herzlich freuen, wenn im kommenden Frühjahr Zeit und
Umstände es mir erlauben, Ihre für meinen ganzen Lebensgang mir so überaus
wichtige Bekanntschaft persönlich zu erneuern. Die näheren Bestimmungen, wie
dies geschehen kann, zu verabreden, verschieben wir wol billig noch um ein paar
Monate. — Glauben Sie mir übrigens, daß ich auch wissenschaftlich immer || mehr
in Ihren Geist eindringe, geht es auch etwas langsam. Die Analysen, die ich zu
Ihrer Zufriedenheit geliefert habe, können mir freilich nicht fortdauernd genügen,
eben weil es nur Analysen sind. Sie können nicht wünschen, daß Ihre Philosophie
nur mehr oder weniger mit Ihren eigenen Worten reproducirt werde, sondern daß,
wer Ihr AnJiänger seyn will, sich ihrer mit einer solchen Selbständigkeit bemächtige,
^) IV2 S. 40. H. Wien.
Dezember 1833. 40
daß es das Ansehen hat, als ob er durch eigenes Nachdeiiieü lunl auf eigenem
"Wege dahin gelangt wäre.
Dieses Sichbeniächtigen vermisse ich eben in Griepenkerls Schrift und Briefen,
und ich gestehe, daß mir Röere Schrift in dieser Hinsicht viel besser gefallen hat.
Der Gesinnung G.s zolle ich aber recht gern ungeheuchelte Achtung.
Möge das neue Jahr Ihnen Seegen- und Freudebringend seyn! Dies der Wunsch
Ihres aufrichtigen Verehrers D robisch.
'&^
446. Richthofen an H.') Brecheishof, d. 23sten Dec. 33.
Ich habe mein verehrter alter Freund, so lange nicht Ihre Schriftzüge gesehen,
daß ich fast fürchten möchte, Sie haben nicht nur Preußen, sondern auch Ihrem
alten Freund den Rüciien gewandt, und fast in Versuchung komme, Ihre liebe
Frau um Verwendung zu bitten, die doch gewiß ein preuß. Herz und freundliche
Erinnerung an Preußen bewahrt hat. Auch habe ich so viele Klagen über Ihren
Abgang aus Königsberg, nahmentlich von Herrn Professor Schubert gehört, daß die
Bilder der Vergangenheit auch Ihnen wenigstens in mancher Beziehung werth sein
würden. Herzlich wünsche ich daß Sie in Göttingen finden mögen, was Sie hofften,
denn auch dort hat sich gewiß vieles geändert; Göttingen ist als Universität größer,
aber eine kleine Stadt, liegt in der Mitte von Deutschland, aber ohne Beziehung
zum öffentlicheu Leben: das wußten Sie freilich vorbei', aber dennoch gestaltet sich
manches in der Wirklichkeit anders als in der Phantasie; — lassen Sie mich also
recht bald als theilnehmenden Freund hören, wie Sie sich fühlen, und bedenken
Sie daß wir wenn auch nicht mehr Landsleute, doch alte Freunde von Göttiugen her
sind. Vielleicht hat Ihnen der bekannte Ort auch mein Bild wieder in Erinnerung
gebracht, wenn ich gleich unmöglich Ihnen nur den hundertsten Theil so bedeutend
seyn konnte, als Sie mir es waren; unvergeßlich ist mir noch mancher Moment;
uns'ergeßlich der Tag. als ich Sie den Scheidenden bis zur nächsten Stadt geleitete!
Statt dessen haben Sie jetzt meinen Sohn vorgefunden, von dem ich allerdings
bereits manches Rührende über Sie vernommen habe; möge auch er Ihnen nicht
misfallen haben. Wenn er gleich früher bereits eine bestimmte Geistesrichtung er-
halten hat, und ich unter den jetzigen Verhältnissen wünschen muß, daß er sich
möglichst koncentrire, weil nur so noch etwas Tüchtiges geleistet werden kann, so
hat mich doch das Interesse gefreut, daß er an Ihren Vorlesungen gefunden, so
daß er ungeachtet seiner beschränkten Zeit noch ein zweites Kollegium angenommen
hat; vorzüglich interessieren ihn Ihre Vorlesungen || über Psychologie; die praktische
Philosophie war ihm in ihren Hauptzügen schon früher ziemlich bekannt. Schreiben
Sie mir doch offen über ihn ; manche meiner Freunde behaupten er. gleiche mir in
vielen Dingen, und ich gestehe viel von ihm zu hoffen, und unendlich mehr als ich
unter ungünstigen Verhältnissen selbst leisten gekonnt; dabei sind mir jedoch auch
seine Fehler nicht unbekannt. Ich bin begierig ihn Ostern wieder zu sehen Manches
ist im Leben anders gekommen, als ich in kecker Jugend geglaubt und gehofft; da-
gegen ist mir durch meine Kinder auch viel ungeahndetes Lebensglück zu Theil
geworden, und Gott sei Dank, stehe ich ihnen so nahe wie wenige Väter. Eben
jetzt habe ich meinen zweiten Sohn zur Universität entlassen und ob er gleich
ruhiger als der ältere ist, so hoffe ich doch auch von ihm viel Gutes!
Ihre Kinder, liebster Freund, sind anderer Art; in Göttingen (oder eigentlich
wohl schon in der Schweiz) gebohren und erzogen, in Königsberg zu Männern gereift
und erstarkt, ist Ihnen nichts mehr zu wünschen, als daß sie immer größere und
') 2 S. 4" H. Wien.
Herbarts Werke. X.VI1I. 4
CQ Dezember 1833.
allgemeinere Anerkennung finden; und dazu schien allerdings Königsberg nicht mehr
der Ort. Wird es Göttingen seyn? ist der alte alexandrinische Sinn nicht vielleicht
einer gewissen Erschlaffung gewichen? Werden die Versuche es wieder zu heben,
von glücklicher Folge sein?
Allerdings ließe sich denken, da die preuß. Universitäten meist in großen Städten
liegen, und ihre Entwicklung bei manchen Vorzügen eine weniger selbständigere
ist, daß in Göttingen Eigenthümlicheres hervorgehe. Wie gerne hörte ich Ihre
Aeußerungen über manches der Art.
Karl schreibt mir von einer Arbeit Ihres in Königsberg zurückgelassenen
Schülers; von einer Zusammenstellung der verschiedenen Kritiken, welche Ihnen
leider meist feindlich entgegengetreten sind. Ich gestehe, daß ich mir ein solches
Buch kaum als einen geordneten Bau denken kann; dergleichen Arbeiten gehen zu
selten aus geistiger Tiefe hervor, als daß sich aus ihnen viel folgern ließe. Die
Zeit der allgemeinen kritischen Blätter scheint vorüber zu seyn. Jedoch ist möglich
daß ich die flüchtigen Worte meines Sohnes falsch verstanden habe.
Und somit für heute, ein herzliches Lebewohl, und die Bitte wenn Sie Karl
sehen ihn freundlich zu grüßen. Der Ihrige
Richthofen.
Die beifolgenden Zinsen betragen von dem Kapitalsrest von 2600 Rthlr. 13 Frdor.
Die vorigen Sendungen haben Sie doch erhalten?
1834.
W. : Zweite Ausgabe des Lehrbuchs zur Psychologie. (S. Bd. IV. S. 295—436). —
Dritte Ausgabe des Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie. (S. Bd. IV. S. i
bis 2-5). — Rez. von Drobischs Beiträgen zu Herbarts System (S. Bd. XIII. S. 271
bis 273), Nieuwenhuis' Schriften (S. Bd. XLQ. S. 273 — 277), Strümpells Erläute-
rungen zu Herbarts Philosophie (S. Bd. XIII. S. 278).
447. An Griepenkerl. 0 Göttingen 9 Febr 1834.
Seyn Sie nicht verdrieslich, mein theurer Freund! daß Sie so lange
kein Lebenszeichen von mir bekamen. Sie waren gewiß nicht Schuld!
obgleich allerdings noch etwas Anderes, als meine Krankheit, die mich
schon seit drey Wochen nicht mehr abhalten konnte die Feder zu er-
greifen um an einen vertrauten Freund wie Sie, zu schreiben.
Mein Wunsch wäre, daß wir uns bald einmal unter vier Augen
sprechen könnten. Wenn der Vorschlag nicht unbescheiden ist, so möchte
ich Seesen als den Ort einer Zusammenkunft nennen, die aber meinerseits
nur möglich ist, wenn wir Sonnabend Mittags dort eintreffen und bis
Sonntag Mittag beysammen bleiben. Nach ein paar Wochen hoffe ich
dazu wohl die Erlaubniß des Arztes erlangen zu können. Wäre ich
gesund genug, so würde ich Ihnen weiter entgegen kommen; allein ich
muß einen langem Weg doch wohl noch scheuen, und das Gasthaus in
Lutter ist, wenn ich recht gesehen habe, minder gut als jenes in Seesen.
Was sagen Sie dazu? — Der Hauptgrund meines Wunsches liegt jedoch
nicht in solchen Dingen die ich ungern niederschreibe; diese sind nicht so
wichtig daß ich Ihnen deshalb eine 'Reise zumuthen könnte; sondern das
Wesentliche ist, daß wir einander sehen, sprechen, mit einander einmal
24 Stunden verleben. Vielleicht bringen Sie etwas von Handschriften
mit; vielleicht möchten Sie einmal in die zum Drucke bestimmten Briefe 2)
hineinsehn, die ich an Sie in Königsberg anfing.
Rechnen Sie nicht auf eine spätere Zeit! In den Ferien reise ich
wahrscheinlich gleich gen Süden, in den Rheingau zu Verwandten meiner
Frau. Und wenn Sie, 1| wie ich hoffe, uns in der guten Jahreszeit hier
besuchen, so wird das allerdings recht schön seyn, aber ich hätte Sie doch
gern noch vorher einmal ganz allein.
^) 1V2 S. 4°. H. Wien. Bei Zimmermann S. 87.
^ Briefe über die Anwendung der Psychologie etc. S. Bd. IX, S. 339 ff-
4*
£2 Februar 1834.
Geht es nicht füglich an: so schlagen Sie es rund ab; ohne Gründe;
denn die würden ja ohnehin nichts gewinnen noch verlieren, was ich
auch davon meinen möchte. Vielmehr verspreche ich, von einer ab-
schlägigen Antwort gar nichts zu meinen, sondern eine solche als ein
reines Factum aufzufassen.
Erlauben Sie daß ich abbreche! Allerley wartet auf mich nach dem
heillosen Zeitverlust während meiner Krankheit, von der ich noch immer
schwach bin.
Unverändert der Ihrige! H.
4-48. An Griepenkerl. 1) Postst: Göttingen 21. Febr. [1834.]
Also am 15. März sind wir in Seesen, wenn Sie nichts Anderes
schreiben. Was Ihre Frau Gemahlin die Gewogenheit haben will machen
zu lassen, das wird schön und gut seyn; ich nehme es im Voraus mit
größtem Danke an. Welche Flaschen Sie mitbringen, die werde ich mir
zueignen, da Sie es so wollen. Aber so große Manuscripte? — Sie be-
schämen mich wahrlich, indem Sie wollen daß ich so mühsame Rein-
schriften ungedruckter Originale als die meinigen ansehn solle! Hätten
Sie nun noch an mir einen würdigen Empfänger, der so etwas ausführen
könnte! Dazu würden musikalische Verbindungen gehören, die ich aus
vielen Gründen jetzt vielmehr meide als suche. — —
Etwas für den Otto?-) — Glücklicherweise ist 'der Junge nicht blöd-
sinnig, obgleich er noch, wie eine hohe Person, in Infinitiven spricht, und
keine Flexionen der Worte zu brauchen weiß. — Vergebens suchte ich
ineine Frau auf den Punct von Beschäfftigungsmitteln für ihn zu bringen.
Bilder^ sagt Sie, sind noch sein liebstes. Übrigens plagt er sie unauf-
hörlich im Spielen; denn er spielt phantasirend wie Kinder von etwa
fünf Jahren, obgleich er altkluge Augenblicke hat. Wissen Sie etwas
iur ihn? Schlimm ist, daß er die Hände sehr wenig zu brauchen
weiß; lächerlich beynahe die Schwierigkeit wenn er ein e machen soll,
im besten Falle wirds ein q. ^) Sonst könnte man an einen Zeichenkasten
denken; an Bilder- und Lesebüchern fehlts nicht. — Also auch das
bleibt Ihrem Urtheil überlassen. — Nicht einen Augenblick habe ich
länger; die Zuhörer kommen schon. Ein paar Zeilen bekomme ich wohl
noch von Ihnen, nicht wahr? Unverändert Ihr H.
449. An DfObisch.'l) Göttingen, 23 Febr 1834-
Mein verehrtester Freund! Sie hätten längst schon wieder einen
Brief von mir gehabt, wenn ich nicht krank, und noch weit länger kränk-
lich gewesen wäre. Jetzt lohnt es nicht, alte Dinge nachzuhohlen, sondern
ich habe nur den einen Wunsch, zu erfahren, ob wir uns sehen können,
und wo und wann? Meine Absicht ist, im Anfange des April in den
*) I S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann S. 89.
") S. o. S. 47.
•'') Zimmermann hat hier griechische Buchstaben gesetzt, es handelt sich aber
jedenfalls nur um ein 1 oder e, das von dem geistesschwachen Jungen ähnlich wie oben
geschrieben wurde.
^) I S. 4".
Febmar 1834, r:;
00
Rheingau nach Wiesbaden zu reisen, wo meine Frau Verwandte hat.
Könnten Sie Sich zu einer Rheinreise in den Osterferien entschließen,
so wäre die Abrede leicht, und das Zusammentreffen desto angenehmer,
wenn Sie Ihre Frau Gemahlin bey Sich hätten ; alsdann würden auch
unsere Frauen einander Gesellschaft leisten. Aber daß Sie das Früh-
jahr zur Rheinreise bestimmen werden, während bekanntlich der Herbst
dazu paßt wegen der Weinlese, — darauf ist kaum zu hoffen. Wie
machen wir es denn? Sehr lange kann ich nicht ausbleiben. Etwa
14 Tage — hin und zurück, — das ist die Zeit die ich ungefähr an-
wenden kann. Am 2osten April spätestens muß ich wieder hier seyn.
Wollen Sie vielleicht nach Jena und Weimar reisen? Weimar hätte
einigen Vorzug für meine Frau ; sie hat dort eine Bekannte. Jena zu be-
suchen habe ich, die Wahrheit zu sagen, aber nicht Lust und Beruf; —
ich nenne es nur, weil Ihnen vielleicht der Ort interessant wäre. Jeder
andere Vorschlag, wenn er mich nur nicht noch weiter links vom M'ege
abführt, wäre mir fast eben so annehmlich. Baldigst wünsche ich Ihre
Absicht zu wissen; und zugleich zu erfahren wie es Ihnen und Ihrem
Hause geht?
Mit unveränderter Hochachtung der Ihrige. H.
450. Drobisch an H.') Leipzig, d. 28. Februar 1834.
Hochverehrter Herr und Freund! Meine aufrichtige Theilnahme an Ihrer, doch
nun wie es scheint glücklich überstandenen Krankheit, deren letzte Spui-en die
rheinischen Gefilde verwischen mögen. Höchst willkommen und erfreulich ist mir
Ihre freundliche Einladung zu einer Zusammenkunft. Ich fühle recht sehr das Be-
dürfniß, mich einmal wieder im raschen, unmittelbaren Verkehr von Ihnen beleben,
erfrischen, stäiken zu lassen. Doch fürchten Sie nicht, diesen Ausdrücken zu viel
Gewicht beilegend, einen matten Kranken oder einen Zaghaften zu sehen. Gott sey
dank! ich fühle mich jetzt ganz rüstig an Leib und Seele, ich fühle, daß es jetzt
die Zeit ist, zu thun, was in meinen Kräften stehen mag. Mancherlei Hindorniße,
Vorurtheile, abziehende Arbeiten sind übei-waltigt und so komme ich hoffentlich
totus ad rem zu Ihnen, einverstanden über die Hauptsache, besser orientiert über
das, was Sie meinen und beabsichtigen als vor vier Jahren, und, was das Einzelne
betrifft, eher im Stande das Gespräch gewissen Hauptpunkten zu widmen, auf gewisse
Hauptfragen zu lenken. So werden wir denn, wie ich denke, bald auf Äußerliches
übergehen können und ich bin verlangend zu hören, ob Sie in dieser Beziehung —
in Absicht auf das allgemeine Geltendmachen Ihrer Lehren — zu einem Entschluß
gekommen sind, oder irgend einen Plan vorhaben. — Aber ich erschrecke vor allen
Dingen über die Kürze der Zeit, die Sie Ihrer Rheinreise gewidmet haben, theils
weil ich imter diesen Umständen kaum eine Erholungsreise für Sie darin sehe,
theils weil ich daraus abnehmen kaim, wie wenige Stunden mir die Freude des
"Wiedersehens vergönnt seyn wird. Denn leider muß ich den Gedanken. Sie auf
der Rheinreise zu begleiten, gänzlich aufgeben, nicht weil Frühjahr ist, sondern
weil meine gesammten Verhältnisse, mit denen ich sonst, bei bescheidenen Wünschen,
nicht Ursache habe, unzufrieden zu seyn, mich vor der Hand daran nicht wohl
denken lassen. Dagegen ist mir "Weimar sehr willkommen, theils weil Ihre Frau
Gemahlin dort eine Freundin und also Unterhaltung hat (denn ich werde wahr-
') 3 "2 S. 4". H. AV
c^ Februar 1834.
scheinlich allein kommen) theils weil der sonst so interessante Ort keine Universitäts-
stadt ist. Denn || bei Philosophen Besuche zu machen, mit denen man nicht ein-
verstanden seyn kann, ist etwas peinlich, und ich mache überhaupt ungern Besuche,
sowohl bei Philosophen als Mathematikern, da ich immer fürchte, daß man mir
meine Fledei-maußnatur von beiden Seiten zum Vorwurf macht. Hier am Orte hat
man sich nun ganz leidlich hineingefunden und nimmt mich wie eine Thatsache,
die dem einen willkommen, dem andern anstößig, dem dritten gleichgültig ist. Daß
aber mein philosophischer Dilettantismus bei meinen Collegen Anerkennung findet,
nehme ich daraus ab, daß ich ün vergangenen Jahre nicht nur bei zwei privaten,
sondern auch den beiden öffentlichen Magisterexamini bus von der Facultät deputirt
worden bin, um die eigentliche philosophische Prüfung zu halten, wobei ich denn
auch nicht ermangelt habe, durch einen wohlverdienten Repuls von meiner Auctorität
Gebrauch zu machen: discite jam sophiam moniti nee temnere divos! — Also ich
bleibe bei Weimar stehen, wenn sie den Vorschlag nicht selbst ändern, und er-
kenne mit großem Danke an, daß Sie dadurch einen weiten Abstecher zur Linken
machen, zu dem ich jedoch hoffentlich nicJit allein dieUrsache bin. Die Zeit haben
Sie zu bestimmen. Vom ersten April an geht, wie ich höre, von hier aus die Eilpost
täglich nach Weimar ab. Mit dieser würde ich also immer pünctlich ankommen.
Vielleicht begleite ich Sie dann noch einige Meilen nach Westen, wenn ich mir ge-
traue, ein paar Tage länger vom Hause abwesend zu seyn. Alles Übrige kann ich
nun billig bis auf die Zusammenkunft verschieben, aber eine Neuigkeit muß ich
Ihnen doch mittheilen. Krug hat um seine Entlassung nachgesucht ! Warum V Das
weiß der Himmel! In dem hiesigen Tageblatt und der Leipz. Zeit, hat er gestern
erklärt, um vielen Aufragen auf einmal zu begegnen, daß ihn dazu weder Kränkung
von Seiten der || Eegierung, die ihn vielmehr sehr ehrenvoll behandelt habe, noch sonst
Kränkung von andern Seiten dazu veranlasse, daß er in Leipzig bleiben und ,,so
lange es die Umstände gestatten möchten, als Magister legens Vorlesungen halten
werde", daß man ihn übrigens mit Anfragen verschonen möge pp. Meine Meinung
ist: K. fühlt, daß er alt wird; er wird es in der That geistig recht sichtbar. Das
merkt man an seiner ihm sonst ganz fremden Müde, Gleichgültigkeit, Muthlosigkeit,
Schlaffheit, Indifferenz etc. Seine Vorlesungen haben ungeheuer abgenommen, denn
er hat diesen Winter publice gelesen was sonst privatim und doch nicht viel Zu-
hörer erworben. Seine Flugschriften mögen, was die letzten betrifft, geringen Ab-
satz gefunden haben. Er ist nicht mehr liberal genug für die Parteimänner. Ebenso
wenig Ruhm hat er auf dem Landtag- erworben, wo andre seiner Collegen weit
mehr Beifall errungen haben. Das Alles kann ihm nicht entgangen seyn. Nun
hat er in seinem Urceus ') geäußert : Die Regierungen müßten eigentlich die Profes-
soren in gewissen Jahren zur Ruhe setzen, denn den Universitäten müsse immer
wieder fri^iches Blut zugeführt werden. Nun ist er konsequent und Charakter genug,
um auf seine eigene Emeritirung, (vielleicht mit dem größten Theil des Gehaltsj an-
zutragen und für sich und seine Familie Opfer zu bringen. Die ihm übel wollen,
werden hinzufügen, daß ihn dabei das Aufsehen kitzelt, das die Sache macht, und
ob nicht im tiefsteij Hintergrunde auch etwas davon steckt mag ich nicht entscheiden
wollen. Seine Stipendienstiftung im Jahre 1827 ließ fast auch so etwas vermuthen.
— Daß ihm das Ministerium sein Gesuch gewähren wird, glaube ich noch nicht.
Geschieht es aber, so wird man Wendt zu gewinnen suchen und dieser, wenn die
Anerbietungen sonst nicht schlecht sind, kommen. Denn Wendt mit seiner ge-
schichtlichen Behandlung der Philosophie ist ein Mann wie ihn unser Ministerium
*) Unter dem Namen Urceus hatte Krug 1825 seine ,. Lebensreise in 6 Stationen"
beschrieben.
März 1834. 55
wünscht, das entschiedene Farben wohl nicht liebt, und seine Kunstkritik paßt ganz
für Leipzig, wo er noch nicht ersetzt ist. "Weiße's Aesthetik ist zu metaphysisch
abstrakt, zu unpraktisch. Clodius ist = 0, er mag nun hier oder, wie jetzt, auf
Reisen seyn. So steht's mit den hiesigen Professoren der Philosophie! Desto besser
für uns, wollen wir in aller Stille sagen. Sie aber, vergeben Sie mir diese meine
Klatscherei.
Frau und Kind befinden sich, Gott sey Dank, diesen Winter wohl. Erstere
empfiehlt sich mit mir zugleich Ihrer Frau Gemahlin ekrerbietigst und freundschaft-
lichst. Gebe uns der Himmel ein zeitiges Frühjahr zu dem zeitigen Ostern und
freundliches "S^'etter zu unsrer Zusammenkunft. Ich erwarte nun Ihi-e weiteren Be-
stimmungen. Mit innigster Verehrung Dir aufrichtigst ergebener Drobisch.
451. An Drobisch. ^jl Göttingen, 9 März 1834.
Mein theurer Freund! Ihr sehr lieber Brief vom 28 v M stellt mir
frey, die Zeit unseres Zusammentreffens in Weimar zu bestimmen. Da-
von muß ich Gebrauch machen, und noch mehr: auch die Hoffnung, die
Sie geben, uns noch einige Meilen zu begleiten, muß ich mir zueignen,
wenn ich einen passenden Reiseplan entwerfen soll. Sonst komme ich
mit allerley nothwendigen Rücksichten ins Gedränge. Vernehmen Sie nun
meinen Vorschlag, und haben Sie die Güte, mir baldigst zu sagen, ob
Sie ihn billigen; geschieht dies, so gilt mir die Abrede für geschlossen;
im Gegenfalle müßten wir sehn, ob und wie wir uns einigen können.
Meine Absicht ist, am 4 April von hier zu reisen. Am fünften
April Abends spät bin ich in Weimar, im Gasthofe zum Erbprinzen, den
ich längst kenne und noch vor vier Jahren besuchte. Also am 5 April
erwarte ich Sie dort. Dann rechne ich auf drey Tage, die wir zusammen
zubringen. Weniger darf es doch wohl nicht seyn! Also am 6 April
sind wir ruhig in Weimar. Am 7 reisen Sie mit uns nach Eisenach ; am
8 sind wir in Eisenach und besteigen die ganz nahe liegende Wartburg.
Am g reise ich weiter, nach schmerzlicher Trennung von Ihnen. — Können
wir es besser einrichten? Wollen Sie vielleicht in Gotha eine Nacht
bleiben? — Vielleicht wird das Wetter auch mitsprechen. Jedenfalls aber
liegt mir daran, daß ich am 9 früh von Eisenach abreise gen Frankfurt.
Allerley Gründe für meinen Plan habe ich anzuführen. Erstlich würde
man es uns beyden in Jena übel deuten, wenn wir länger als || einen Tag
in Weimar wären, und doch nicht zusammen die paar Meilen weiter, uns
bemühen wollten. Ferner muß ich der Pferde wegen mit Fahren und
Ausruhen möglichst abwechseln. Dasselbe aber ist auch schon meiner
noch immer schwachen Gesundheit wegen nöthig. Endlich könnte ich
die Wartburg als ein angenehmes Ziel für Sie bezeichnen, wenn nicht
leider! die Jahreszeit noch zu sehr zurück wäre, um solche Waldgebirge
grün zu kleiden.
Eiligst schließend hoffe ich auf baldigste gütige Antwort.
Ganz der Ihrige! H.
') 2 S. 4°.
e() März 1834.
452. Drobisch an H.^) Leipzig, 19. März 34
Hochverehrter Freund und Gönner! Daß ich einige Tage mit der zusagenden
Antwort gezögert, geschah nicht in Folge aufgestiegener Zweifel, sondern fand seine
Veranlassung in einer nervösen Unpäßlichkeit meiner Frau, deren weiteren Verlauf
ich erst abwarten wollte. Obgleich dieses Übel nun zwar noch nicht völlig gehohen
ist, so fürchte ich doch davon vor der Hand keine weiteren ernsthafteren Folgen.
Ich erkläre mich daher mit allem, was Sie in Vorschlag gebracht haben, einver-
standen und hoffe Sie den 5ten April in Weimar zu treffen, wenn der Himmel mich
und mein Haus bis dahin vor Schaden bewahrt. Es wäre möglich, daß ich schon
einen Tag früher in Weimar einträfe, was Ihnen doch wohl gleichgültig seyn würde?
Wahrscheinlich werde ich nämlich schon den 3ten abreisen und vielleicht den 4ten
in Naumburg bleiben, wo ich einen Bekannten aufsuchen will. Sollte ich einen Tag
eher in Weimar eintreffen, so werde ich jedenfalls keine Besuche machen, um
mich für Sie völlig frei zu erhalten. Also wir finden uns in Weimar und scheiden
auf der Waitburg. Absit omen ! Doch unser Reich ist nicht von dieser Welt und
unser Wartbui'gfest sicher nicht ein politisches! Krug hat nun bereits seine
Entlassung mit 1000 Thlr. Pension. Dabei hat das Mmisterium anbefohlen, bei der
Denomination eines Nachfolgers auf Beneke und Bitter Rücksicht zu nehmen. Was
sagen Sie dazu? So weit ist es aber noch, nicht und die Facultät scheint nicht Lust
zu haben, ihr altes, freies Vorschlagsrecht sich verkümmern lassen zu wollen.
Unser Ministerium abei" weiß schwerlich viel von der Bedeutung der Philosophie
auf der Universität. Sie geht ihm auf in Geschichte d. Philos. u. empiiischer Psy-
chologie u. ein wenig bescheidener Logik.
Überhaupt kommt vorgenanntes nie über den Begriff der „Nützlichkeit" hinaus.
Mündlich Mehreres. Mit innigster Verehrung
der Ihrige Drobisch.
453. Marotzky an H.-j Potsdam, den 31 Maerz 1834 am Ostern-Montage
Hochgeehrter Herr Professor! Die persönliche Beziehung, die mir den heu-
tigen allgemeinen Festtag für mein Leben besonders eindringlich macht, indem ich
vor einem Jahre an diesem Tage zuerst, in meiner Vaterstadt Mcmel eine Kanzel
bestieg, und so wie nie den heiligsten und reinsten Empfindungen ungetheilt hin-
gegeben war, kann ich nicht edler und dem Herzen genügender festhalten, als in-
dem ich mit voller Seele bei Ihnen bin, dem ich die beste und reinste Kraft der
Begeisterung für die größten erhabensten Angelegenheiten des Lebens so reichlich
verdanke. - Sie vor allem halfen den Blick für die Kenntniß des wahrhaft Werth-
vollen mir aufschließen, die Sehnsucht nach dem Guten und Höchsten zum Selbst-
verständniß bringen, wiesen mir dasjenige, wonach die Größe und der Glanz
jedes Werkes, jeder Thatsache, die der Mensch anstaunt, verehrt und liebt, sich
ihrer innersten Wahrheit nach offenbart. Aus ihrem Munde kam auch mir die
Weisung auf wahre Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit, die Belehrung über
die vielfältigen Täuschungen, mit denen sicii selbst überlassene, sich selber unklare
Hoffnungen und Ansprüche an die Wissenschaft den wahren Weg der Forschung
und ihre Ergebnisse uns entreißen. Forderungen liegen vor mir, denen sich nie-
mand entziehen kann: denn, er muß sie anerkennen, sobald er sie erkennt. Der
Lust, ihnen die eigene Kraft zu widmen, widersteht man nicht, nur die Furcht
bleibt, ob die Kräfte was werth seien für die Größe des Gegenstandes , dem das
Geniüth, das ihm befreundet ist, nur taugliche Kräfte wünschen kann. Daß Sie
■) 1 S. 40. H. Wien. "
*) 3\i^ S. 4". H. Wien.
März 1834. z-j
auch mir die Wahrheit lieb gemacht und das Bewußtsein alles dessen wonach man
mit Liebe strebt, gereinigt und gestärkt — für solche Dinge zu danken hab ich
keine Sprache. Nachsichtig und freundlich nehmen Sie deu DanK. den mein Leben
Ihnen fortdauernd schuldet, jetzt in diesem Geständnisse. Ich wünschte wol anders
einmal zu können. Doch müßten Sie selbst mich erst dazu fähig erklären können.
Das Studium Ihrer Schriften kann ich noch lange und wol niemals nicht lassen.
Es diängt immer aufs neue dazu hin. Seit Michael hab ich mein geliebtes Koenigs-
berg auf ein Jahr verlaßen und bin seitdem in Berlin, wo ich Schleiermachers
letzte Vorlesungen, und Neander gehört habe. (Einige Tage der Ferien bin ich nun
zu Besuch bei Verwandten in Potsdam.) Wie unzählige mal mußte ich in deu berliner
Vorlesungen der Zeit gedenken, wo ich die sehnlich erwarteten Stunden in Ihrem
Auditorium genießen konnte, und was gäbe ich darum, wieder mich in Ihrem Hör-
saal einfinden zu können, um noch einmal die Methaphysik bei Ihren mündlichen
Vorträgen zu studieren. Was sind 4 Semester für dasjenige, was recht durchdacht
zu werden zugleich muß erlebt werden. Überall und von allen Seiten weid ich
in das« emmal durchlaufene aufs neue hineingetrieben als auf die Enträthselung
dessen, was mir viele, als wäre es schon die Lösung selbst im Zustand der
eigenthümlichsten Verwirrung anbieten. Die alte ursprüngliche Neigung meines
Herzens, die mich zum Geistlichen bestimmt, ist mir geblieben. Ihre Lehren haben
diese Neigung genährt. Ich fühle deutlich, welche ern.ste, bei aller Demüthi-
gung welche sie mitbringt, erhebende Aufgabe dem Geisthchen gestellt ist. Eine
lautere Stimme soll er sein, die in das Leben hineinruft, was über dem Leben un-
wandelbar schwebt und was nur zu leicht die Verwirrung und Verschlingung des
Lebens zu entstellen vermögen. Mit Liebe für das Gute und die Menschen und
mit Vertrauen auf Gott ausgerüstet soll er das Leben versöhnen und füi- das
Leben erheitern und kräftigen. Auch was das Christenthum besonders auszeichnet,
ist mir immer klaieie und wärmere Herzenssache geworden. — Der Gang meiner
Bildung ist eine langsame Verarbeitung. Daß die wahre Läuterung darin begann
und fortgehen kann, ist Ihr AVerk in hohem Grade. Aber ich hatte viel zu über-
winden. Erst Jugendeindrücke , mehr von der Art ungläubiger Zweifel und emer
Art von Indifferentismus gegen alles, was über die Äußerungen des natürlichen religiösen
Gefühles hinausging. Späterhin theils unverständUche, theils geschmacklose, theils
empörende Lehren und Begiiffe, die mir, ehe ich ein Gebiet inniger Befriedigung
fand, von verschiedenen Seiten angeboten wurden. So ist es gekommen, daß ich
auch als Theologe nun, da mir der Gegenstand derselben und ihr Studium unend-
lich theuer ist, noch viel zu thun behalte. Besonders in einem Gebiete springt mir
der Mangel in der Behandlung, welche die Theologen dem Gegenstande angedeihen
laßen immer ärgerlicher in die Augen. Und dies ist die Sittenlehre. Zur Sym-
pathie mit Schleiermachers Gemüth und theologischer Überzeugung regten mich
seine Monologen und seine Dogniatik an. und ich war froh, ihn hier hören zu
können. Besonders begeisterte mich seine Exegese und seine Dogmatik brachte
mir in vielem Einzelnen, wie im Ganzen die schoene Befriedigung, daß er nicht
durch ein falsches Wissen begründen will, was in allen Gemüthern Sache des
Glaubens ist; daß er vielmehr sich genügen läßt, die Zustände des frommen Be-
wußtseins so weit es gelingen will, reflectieiend aufzufassen. Aber ein eigenthüm-
liches Verhalten zeigte er gegen den sittlichen Gehalt der religiösen Voi-stellungen.
Was er mit voller Seele so reich und schön empfand, das schien er hier entweder
nicht aussprechen zu wollen oder wissenschaftlich zu vernachlässigen. Dies drängte
mich zum Lesen seiner Critik und zu den Abhandlungen vor der Akademie; und
da überzeugte ich mich nun von dem Irrthum, der seiner Ansicht zum Grunde
58 April 1834.
lieijt und erfuhr, wie er die Heilung einer Wissenschaft, deren Gebrechlichkeit er
anerkennt und zur Anschauung zu bringen strebt, von einer ganz falschen Seite
bei zu bewerkstelligen glaubt. Hier nun ein vollendetes Ganze zu sehen ist eine
Sehnsucht, die ich nicht aufgeben kann. Wie gern möchte ich es mir wenigstens
zur Klarheit bringen, icie und als was das Ganze dieser Wissenschaft, deren Grund-
gedanken ich bei Ihnen kennen gelernt, neu erstehend erscheinen solle. Ich gieng
hier in Berlin wieder an Ihre Bücher, nahm die Einleitung, die praktische Philo-
sophie durch, die Psychologie jetzt bis zum 2ten Abschnitte des analytischen Theiles,
und befestigte den Entschluß , Ihnen eine Abhandlung zu übersenden, die freilich
für jetzt nichts anderes wird sprechen koennen, als den Beweis, daß ich die Sache
liebe und das Interesse mich an derselben festhält. Vielleicht geht es mir einmal
so glücklich, daß ich neben der Wirksamkeit als Geistlicher in der Stadt, auch
fleißig filr die Theorie fortzustudiren vermag, wie es mir Bedürfniß ist. Es war
darum schon, ehe ich nach Berlin kam, mein Plan, bei Ihnen wo möglich, mein
Doctor-Examen zu machen. Denn von niemand anders als von Ihnen möchte ich
mir das Diplom holen. Die Frage also, die ich thuu wollte, und um deren gütige
Beantwortung ich Sie zu bitten wage, ist diese nach den genaueren Umständen und
Bedingungen des dortigen Di». -Examens, was dazu gehöre und was ich als Präpa-
ration dazu nun ergreifen müsse. Und würden Sie selbst mich examinieren,? da
ich in der Philosophie das Examen zu machen gedenke. Außerdem daß mir Aus-
kunft über aUe Einzelheiten fehlt, deren Erkenntniß mir nothwendig ist, wurde mir
hier die Besorgniß gemacht, daß ich auf einer preußischen Universität es würde wieder-
holen müssen. Sollte dies so sein, so würde ich mich begnügen, Ihnen eine Arbeit
einzusenden, um doch von Ihnen das Diplom zu erhalten. Doch würde ich darum
nicht die Hoffnung aufgeben, am Ende des Sommersemester eine kleine Strecke
reisen und Sie dann gewiß wiedersehen zu können, den ich so sehr verehre und
liebe, und den ich um so vieles zu fragen auf dem Herzen habe. Vergeben Sie
nur, daß ich mit meinen Angelegenheiten komme Sie zu belästigen, mit Bitten um
Auskunft, zu welchen mich nichts berechtigt, als das Vertrauen zu Ihrer mir längst
bekannten Güte. Ich bin auch zu unbekannt mit dem Einzelnen, was zum Doctor-
Examen gehört und habe gewiß Präparationen nöthig, da ich um so mancherlei mich
seit längerer Zeit wenig gekümmert habe, und die Zeit mir für Berlin zugemessen
ist. Die Freude Sie wiederzusehen macht mir den Horizont Berlins heiterer und
heller dei seit Schleiermachers Tode mir düster und schwermüthig ist. Und von
Ihnen dann geht es zu den Königsbergern, wo die Freunde mir helfen sollen, Ihre
Liebe uns bewahren, wie wir Ihr Andenken ewig unvertilgbar im Gemüthe tragen.
In der Hoffnung von Ihnen einige Zeilen zu erhalten, sobald Ihre Zeit es gestattet,
erlaube ich mir, meine Adresse Ihnen beizufügen, und bleibe mit dem innigsten
Danke, der mir für die edelsten Gaben die Sie einst lehrend und lebend in Koenigs-
berg austheilten, möglich ist
Hochachtungsvoll Ihr Sie liebender Zuhörer
Hermann Eduard Marotsky stud. theol.
Berlin, Friedriclistraße N. 135a (an der Weidendammer Brücke) 3 Treppen.
454. Dissen an Welcker über Herbart. 'j 4. Apr.
„Da ich viele Bekannte verloren habe, ... so ist mir lieb, daß Herbart wieder-
gekommen ist. Denn obgleich ich nun in manchen Dingen meine selbstständige Über-
1) Nach L. Dissen, Kleine lat. und deutsche Schriften, Göttingen 1839, S. XXII.
Vgl. auch Oldenburgische Blätter 1842. S. 384.
Mai 1834. . ^g
Zeugung habe, so ist mir doch seine Unterhaltung noch immer sehr anregend. Aus
meinen Studentenjahreo verdanke ich ihm viel durch die Anregung, die er mir gab, und
die ich in dem Kreise edler Menschen erhielt, die um ihn waren, namentlich zweier
Grafen Sievers, die nun todt, eines Petri, üngewitter und anderer geistreicher Köpfe;
auch Tölken gehörte dahin; — auch den feinen Stackeiberg hatte ich sehr gern.''
455. Drobisch an H.') Leipzig 4. Mai 34.
Mein hochverehrter Gönner und Freund! Nunmehr darf ich Sie mit größter
Wahrscheinlichkeit mir wieder in Göttingen denken, zurückgekehrt hoffentUch ge-
sund und erheitert, was ich besonders Ihrer edlen Frau Gemahlin von Herzen
wünsche. Für die zahlreichen Beweise Ihrer Freundschaft, die mir in "Weimar zu
Theil geworden, nochmals innigsten Dank. "Wie hab ich es bedauert, daß ich so
kränklich und kraftlos vor Ihnen erscheinen mußte, nach so langer Unterbrechung
unseres pereönlichen Verkehrs, und dadurch mir unmöglich gemacht wurde, manches
mit so viel Energie durchzusprechen als ich mir vorgesetzt hatte und bei bessrer
Gesundheit hoffentlich auch dazu fähig gewesen wäre! Doch hoc in fatis erat!
Darum lieber gleich zu einem Punkte, der eben nicht gehörig zu Ende gebracht
worden ist, obgleich ich in "W, meinte, es sey geschehen.
Ich beruhigte mich bei unsern psychol. Discussionen zuletzt mit dem Aus-
druck: die ganze Klarheit der Vorstellung sei proportional der Stärke. Zu Hause an-
gelangt finde ich aber, schon früher einmal nach dieser Hypothese gerechnet, sie
aber verworfen zu haben, da sie unter allen Umständen auf gleiche Vertheilung der
Hemmungssumme füliren würde, wie ungleich auch die Vorstellungen seyen. Denn
seyen die Vorstellungen hinsichtlich ihrer Stärke a, b, c; hinsichtlich ihrer Klarheit
i, k, 1, (welche von a, b, c verschiedene Größen nur vorläufig, der größeren Deut-
lichkeit wegen angenommen werden); S die H. S.; der Gegensatz voll; für das
Gleichgewicht die absolute Klarheit der 3 Vorst. x, y, z, also die relative—., -y-, y-;
X iL L
Q V" h TT P 7
30 sind ihre Spannungen -r-, -—' -j-» daher, weil beim Gleichgewicht die Span-
nungen gleich seyn müßten
1 k
ax c z
x-|-y + z-S = 0
Aus diesen Gleichungen folgt durch Elimination
bciS ackS äbtS
I = • y • „
abl-f acx -f-bci a bl + ac k 4- b c i a b 1 -|- ac k -f- b ci
Setzen wir nun i. k, 1 proport. a, b, c, also etwa i = af; k = bf; 1 = c f ,
80 wird kommen
x = y = z==V3S
gewiß ein ganz unbrauchbares Resultat.
Dies führt mich nun wieder auf die Meinung zurück, daß die ganze Klarheit
für alle Vorstellungen die gleiche ist und daher = 1 gesetzt werden kann. Ich
unterstütze dies mit folgenden Bemerkungen. Die stärkere Vorstellung muß in der
Regel (abgesehen von Hülfen) auch die klarere zu seyn scheinen ; da ihr die größere
Stärke mehr "Widerstandsfähigkeit giebt, aber sie producirt nicht mehr Klarheit, da
sie überhaupt keine active Kraft ist. Die Erfahning kann nicht darüber entscheiden.
•) 4 S. 4" u. eine Einlage 2 S. 4".
6o Mai 1834.
ob die ganze Klarheit d. Vorstell, eine verschiedene ist, da die scheinbare Ver-
schiedenheit sich schon aus der Stärke erklärt. Es wäre also wol schon gegen die
gute, naturphilosophische Methode, noch eine urspriingiiche Verschiedenheit der Klar-
heit anzunehmen, da sie sich aus derjenigen der Stärke erklärt. Es kann nie mehr
vorgestellt werden als eben die Vorstellung, d. i. die ganxe Vorst. Ich glaube aber
nicht, daß sich z. B. behaupten läßt, im Lichte des Sirius werde mehr vorgestellt,
als in dem der Capella (beide als gleichfarbig angenommen), sondern nur dies, daß
in der Empfindung des Siriuslichts mehr Energie des Vorstellens /liege: dies wird
schwerer aus dem Bewußtsein weichen , gleichzeitig mit dem der Capella wahr-
genommen als das klarere erscheinen, weil seine größere Energie (Stärke des Vor-
stellens) es auf Kosten des andern lebendig erhält. Diese psychol. Gegenstände
haben mich jedoch nur kurze Zeit nach meiner Rückkehr beschäftigt, da sie jetzt
nicht zur Veröffentlichung gelangen sollen. Auch muß ich mit Ihnen wirklich ganz
ins Reine über diese Rechnungssachen kommen, bevor es rathsam ist, darüber zw
schreiten: denn wir vergessen es beide nicht, daß L. schon triumphirt hat, daß,
wenn man mit 3 Decimalen rechnet, die Resultate ein klein wenig anders aussehen,
als bei zweien! Was ich von Zeit und guter Laune in den Ferien habe erübrigen
können (denn die ersten Tage nach meiner Rückkehr befand ich mich noch recht
unwohl, und die rheumatische Affection des ganzen Körpers wich nur allmälig) das
habe ich auf zwei kurze Abhandlungeii verwendet, die das besprochene 1 ste Heft
der Beiträge eröffnen sollen: I. Über Geist, Tendenz und Stellung der H[erbart]schen
Philosophie überhaupt: II. Über syst. Einheit und wissenschaftl. Architektonik d.
H. sehen Philosophie. Die erste hat bei ein paar unbefangenen Freunden, denen ich
aber sonst Urtheil zutrauen darf, Beifall erhalten; die andre habe ich noch niemand
mitgetheilt. Es werden nun ferner die widersprechenden Begriffe, die Methode d.
Bez., die zuf. Ansichten, synechologische Erörterungen || an die Reihe kommen, und
ich hoffe die Arbeit wird mir immer leichter werden, je mehr ich aus dem Allge-
meinen und Umher.schweifenden der einleitenden Aufsätze herauskomme, die mir
aber für die Bestimmung der Schrift unentbehrlich erscheinen. Wenn Sie nun_
mein Verehrter, für diesen Versuch, wie ich zu hoffen wage, einiges Interesse
hegen, so bitte ich um — sogenannte Zudringlichkeit. Denn ich bin oft ein klein-
müthiger und hypochondrischer Mensch. Sie wissen ich arbeite damit nicht in
meinem äußern Berufe. Jetzt, da in Kurzem eine mathematische Schrift heraus-
kommt, die wenigstens nützlich seyn kann, wenn sie auch nichts Großes enthält,
und die ihren Vf. vielleicht in dem Streben nach Klahrheit und Gründlichkeit zeigt,
hetze ich -mich eine Weile über meine alten Vorurtheile hinweg, bis es mir dann
etwa wieder einmal einfallen wird, es sey doch unverantwortlich, Titel und Gehalt
eines Professors d. Mathematik zu haben und die beste Kraft einem andern Fache
zuzuwenden. Da rechne ich denn auf Ihre Aufmunterung. Denn Vorwürfe wird
man mir weder von hier, noch von Dresden aus über meine philosoph. Bestrebungen
machen, und wenn ich wirklich in letzterer Hinsicht etwas leisten kann, was in die
Zeit eingreift (in der Mathematik werde ich darauf Verzicht leisten müssen) so halte
ich mich von dem .höheren Standpuncte aus, auf dem ich nach meiner Lebens-
bestimmung, nach der Aufgabe meines Lebens frage, vollkommen gerechtfertigt,
wenn ich mich über die zufällige Lage, in die mich die Verhältnisse gestellt haben,
etwas hinwegsetze. Aber es beruhigt sehr, Bestätigung solcher Ansichten von
Männern, denen man Verehrung zollt, zu erhalten, und so wird mir es jederzeit
wohl thun, wenn Sie mir Ihre Theilnahme an den philos. Arbeiten, die ich zu unter-
nehmen gedenke, nicht vorenthalten, sondern mich \ielmehr, gleichsam mit väter-
lichem Eifer, antreiben wollen, fortzufahren und zu Stande zu bringen. — So' kui'z
Mai 1832. 61
auch diesmal unser Zusammen seyn war, so sehr habe ich mich doch dadurch an-
geregt gefühlt; gewiß, es würde viel schneller mit mir vorwärts gehen, wenn ich
mich öfter ;m liirer Energie aufi-ichten könnte, aber dieser Wunsch wird ein frommer
bleiben. Erfrischung durch Wahrnehmung einer rüstigen Regsamkeit anderwärts
ist uns II Leipziger Professoren höchst nöthig: demi hier ists manchmal zum ein-
schlafen. Schwäche. Schlaffheit, Indifferenz, Bequemlichkeitsliebe, Schlendrian wird
als Humanität und Solidität verkauft, und es bedarf sehr eines neuen, raschen Um-
schwungs unsrer trägen Studirmaschine. Unter den jüngeren und neuberufenen
Professoren und Docenten fühlen dies auch die meisten, und es ist jetzt oft ein
Gedanke, der mich sehr beschäftigt, wie ein regeres, wissenschaftliches Leben unsrer
alten Anstalt eingehaucht \yerden könne. Ich denke dabei manchmal, daß Philo-
sophie hier nicht die unbedeutendste Rolle spielen könnte, und dann hoffe ich von
der Zukunft.
Über Kmgs Nachfolge weiß ich noch nicht das Mindeste, denominii-t Lst noch
gar nicht: es wäre mir am liebsten, wenn ich nicht dabei zu seyn brauchte, doch
kann man zuweilen nützen, indem man verhindert. Unter welchen Anspielen meine
Vorlesungen sich eröffnen werden, kann ich erst übermorgen erfahren. Die Ihrigen
werden nun schon glänzend im Gange seyn.
Empfehlen Sie mich und meine Frau Ihrer verehrten Frau Gemahlin und er-
halten Sie Ihre fernere Gewogenheit Ihrem aufrichtigen Verehrer Drobisch.
Beilage xum Brief vom 4. Mai 34.
Über das Gleichgewicht unvollkommener Complexionen.
1) Die Anlage der Rechnungen des 5 ten Capitels scheint mir zweifelhaft, weil
von xwei Totalkräften a -j — - und a-\-~ die Rede ist, indeß ich glaube, daß bei
« a
einer einfachen nur dem a entgegengesetzten Vorstellung b ') nur die erste in An-
schlag- kommen kann. Denn die Vorstellungen unterstützen einander nur gegen den
Druck der entgegengesetzten, sie bilden nur eine defensive, keine offensive Alliance.
Hülfe ist erst dann erforderlieh, wenn ein Angriff abgewehrt werden soll. Da nun
« von b nicht angegriffen wird, so macht es auch von der ihm zu Gebote stehenden
Hülfe — keinen Gebrauch.
a
2j Vorstehendes zugegeben, stände nun die Rechnung ganz einfach so:
Heißt das Leiden von a, x von der Totalkraft a -| X von b, y und ist
a
b dem a im Grade m entgegengesetzt, so ist
b m am
X:y=^^/ r Q\ : j ^ r g\ ^ = h : a\ also a X = b v
aX
H(a+'^)^(a+^)v
T-. • , a b y
Ferner ist x = r p = -.-
a H — ^ a* -f r o
a
^•^x
Heißt das Leiden von « C so ist dies = ; denn was a nicht trägt,
muß o tragen, also ist C =
a(a2 + rp)
^) Im Original steht ,,a".
62 Mai 1834.
Endlich kommt dazu x + ? + y = S; folglich
a (a^ + r p) S
X =
(a
+ b) (a^ +
a^bS
re)
(a
+ b) (a^ +
rpbS
rp)
(a+b)(a^ + rp)
woraus ebenso richtige Folgerungen gezogen werden können wie der Psych
S. 218 sind.
3. Gesetzt mau lieüe 1) nicht gelten und sagt: « wird von b zwar nicht direct,
aber doch indirect angegriffen, indem das leidende a das « zur Mitleidenheit zieht^
dieses aber nicht leiden könne ohne seinerseits die Hülfe von a in Anspruch zu
nehmen, das also dem « gegen seinen eignen (des a) Druck, zu dem es freilich
durch b getrieben wird, beistehen müsse; und man wolle nicht urgiren, was mir
allerdings urgirt werden zu können scheint, daß diese dem a auferlegte Mitleiden-
heit das a. von Neuem in Anspruch nehmen werde, und so eine unendliche Reihe
von Hülfen entstehe; — so würde doch die Rechnung anders geführt werden können
als a. a. 0., nämlich, wie es scheint so :
Mögen X, X, ^ und y ihre vorige Bedeutung behalten. Da wir aber es jetzt
mit %wei Totalkräften zu thun haben, so heiße das, was die Totalkjaft o. -\- — von
a
b leidet 2. Umgekehrt zerfällt nun auch y in zwei Theile, nämlich in das, was b
von a -1 leidet, = y, und in das, was es von a + — leidet, = y.^. Hier ist
a a
m b m a
^'^^^^^y>=b(a+^) ■ (,+ ^)b^b:a;alsoaX = by,;
m b m ^ —
-^ ■ ^2 = I, / , e i-\ : -. ^—— = b « : r p; also r p ^ = b « y
(ohne Zweifel wirkt nämlich die Totalkraft a + — auf b proportionale — r, weil r
a tt
Rest von a und also b im Grade m entgegengesetzt ist. Endlich ist:
ma m^—
-; ; — « a^ Tg , r fl y, a'' y,
Ji-'y->= f , r e\ , : — - — ■- = -s— : -^-r- — ; also „ , — ^ , .
r+ aJ b(« + ^) a« + re a^ + pr' «^ + p r a' + r p
a' X a* -5'
Daß nun überdies x := -^~ ; und ^ = --— ; endlich y, + ya = y, so findet
a -|- T Q (t -f- pr
sichy =^ü^^!±^>v V =lli^L±l^y. ^_ a^b(«'' + er)y .
'' (a« + rp)'''"^' "^2 aa + rp ^' (a^ + r p) (a « + r pj-^^'
^ «-b(a- + rjy da x + S + y = S;
(« + (> r) (a « + r p) 2 '
_ (a^ + r p) («^ + p 1) (a « + r p) ^ S .
^ a'b («••* + p r)2 + «='b (a^ + r p)'^ + (a'^ + r p) («^ + p r) (aa + rp)''
_ aH(«^ + pr)^S
Derselbe Nenner
«n(a^ + rp)-^S
Derselbe Nenner'
3
Mai 1834. 63
456. Gregor an H. ') Königsberg d. 4ten May 1834
VeiehruDgswüidigster Freund! Vor einem Jahre war es mir vergönnt, Ihnen
meine herzlichen Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage mündlich darzubringen ; heute
kann ich sie kaum diesem Blatte anvertrauen, so voll Schmerz und Freude ist meia
Gemüth. Den Schmerz will ich unterdrücken und nur die Freude reden lassen,
womit ich Sie an diesem festlichen Tage als einen uns neu geschenkten, ja von
dreifachem Tode erretteten, Freund begrüßen darf. — Denn führten die Hegelianer
nicht Hemmung Ihrer Wirksamkeit im Schilde? aber sie sproßt im Herzen Deutsch-
lands verjüngt empor. Oder schreckte uns dieses Neujahr nicht durch Gerüchte
von Ihrem Tode? aber, Gott sei Dank, Sie leben. Sie erfreuen sich ohne Zweifel
auch der Genesung von der Krankheit, die Ihr uns allen so theures Leben neuer-
dings bedrohte; Sie gedenken unser in Liebe.
Nach einem traurigen Winter kann auch ich wieder etwas heiterer in die
Zukunft blicken, da meine liebe Frau von einer, nun schon über 2 Monate dauernden
Krankheit zu genesen anfängt. Sie bittet, auch ihre Glückwünsche freundlich auf-
zunehmen, und fügt ein paar Zeilen an ihre liebe Frau Gemahlin bei. An schrift-
stellerische Arbeiten hab' ich unter diesen Umständen natürlich wenig denken
können; ich habe sie aber nicht aufgegeben und will — und will mich doch endlich
einmal rühren. Taute ist wohl. Vo'igdt bessert sich und strebt, wie es heißt, in
die Landluft hinaus, da hier sein Brust-Leiden nicht gänzlich weichen will. Leider
hat diese häusliche Lage unser philosophisches Kränzchen noch nicht aufkommen
lassen; indessen hoffen wir vom Sommer auch in dieser Hinsicht das Beste.
Rosenkranz unterhält durch seine wohlklingenden Reden, aber befriedigt das
ächte, philosophische Bedürfniß eben so wenig als er es anregt. Dabei wirkt er
mächtig für Steffens, noch mächtiger für Hegel, oder auch umgekehrt. Philosophie,
Kunst und Religion: das sind die drei „Gesichtspuncte oder Staudpuncte", auf
welchen er die Studenten in der Einleitung in die Philosophie || frisch umherbewegt,
und einige wirklich dahin gebracht hat, zu glauben, sie würden es vom Katheder
herab jetzt schon eben so gut machen als R. Andre dagegen sind entzückt über
die Lebendigkeit und Klarheit der Darstellung. Überall sprossen ihm Citate auf:
die graue Theorie wird sogleich als der grüne Lebensbaum hingestellt; ja noch mehr:
die wohlschmeckendsten Früchte werden alsbald gebrochen und zum Genuß dar-
geboten. Wie sollten das diejenigen nicht vorziehen, die vor jeder ernsten Specula-
tion ein heimliches Grauen haben ! Zuweilen — jedoch nur in der deutschen Gesell-
schaft wird auch Zweideutiges nicht verschmäht. (Doch was sage ich: bei Schelling
und Hegel ist ja alles zweideutig!) So hat R. z. B. neulich eine Vorlesung über
die Bedeutung des Ehebruchs in der Poesie gehalten, und auch dabei große Belesen-
heit und viel Witz zur Schau gelegt. .,üm mit der Zeit mitzugehen'^ hat man
recht vergnügt zugehört, wiewohl einigen ehrenfesten Herren die Sache trotz aller
eingestreuten unterhalten sollenden Scenen, doch zu wirklich roh || vorgekommen
ist. um ein Moment in der Poesie abgeben zu können. Ich selbst habe diesen Frei-
tag in der physikalischen Gesellschaft eine Vorlesung von R. gehört, und zwar über
die Fortschritte der Naturwissenschaft seit Kant und Hegel. R. führte Kants
und Schellings Lehren zwar historisch ziemlich geschickt an, aber ohne alle ge-
nügende Kritik; nur bewaffnet mit großen Knüppeln gegen die arme Teleologie, die
sich nicht bloß Zurückweisung von den Naturwissenschaften, was ja nothwendig ist,
sondern völlige Unterdrückung mußte gefallen lassen. Von Wolf „dem umgekehrten
Deukalion'-, weil alles zu Stein werde, was er berühre, gmg d|e Rede im st^geni-
») 4 S. 4:". H. W. - Über den Dozenten und Prediger Gregor s. den vorher-
gehenden Bd. S. 156 u. ö.
64 Mai 1834.
den Affekte vorwärts — diesmal zwar nur bis Steffens und seinen in allem Ernste
empfohlenen Eomanen, aber doch schon in solchem panegyrischem Schwünge, daß ich
nicht absehe, wie Hegel zuletzt soll gefeiert werden. Die Mathematiker konnten
sich dabei des Lachens kaum enthalten. R. ist in Gesellschaft sehr gern gelitten.
Seine Stimmung ist ästhetisch und in gewissem Sinne religiös, aber nicht speculativ.
Man wundert sich, daß ein Hegelianer gerade so denkt, wie ein geborner Königs-
berger. Nun leben Sie wohl, sehr wohl; empfehlen Sie mich gütigst ihrer lieben
Frau Gemahlin; bewahren Sie mir Ihr so höchst schätzbares Wohlwollen, und seyn
Sie von meiner aufrichtigen Liebe und Hochachtung gegen Sie überzeugt.
Gregor.
457. An Drobisch.i) Göttingen, 9 May 1834.
Nun mein theurer Freund, das ist brav, daß Sie mir einmal eine
schriftliche wissenschaftliche Mittheilung machen. Jetzt wollen wir gleich
ins Klare kommen; nur die „Klarheit", welche doppelsinnig geworden war,
setze ich für einen Augenblick ganz bey Seite; das wird sich nachher
finden. Das Erste, wovon ich ausgehe, ist Ihr Satz: Beym Gleichgewicht
sind die Spanmingen gleich.
Spannungen? — Der Sinn ist folgender: Im Stande des Gleich-
gewichts sind die Wirksamkeiten gleich; sonst würden sie noch etwas ver-
ändern können. Was wirkt denn a während des Gleichgewichts? und
was wirken b und c? Die Antwort ist: a strebt sein Gehemmtes — es
heiße x — wieder in ein Ungehemmtes zu verwandeln und herzustellen.
Danach strebt das ganze a, so groß es ist. Mithin: Die Wirksamkeit des
a, während des Gleichgewichts, ist = a x. Ebenso die Wirksamkeit des b
ist = b y, und die des c ist = c z. Bemerken Sie wohl, daß x, y, z
nichts anderes sind als die gehemmten Quanta des a, b, c; dergestalt
daß a — X, b^ — y, c — z die Reste seyn würden. Unter dieser Voraus-
setzung gilt Ihre Gleichung
x-|-y-j-z — S = o
Was aber die Stelle in Ihrem Briefe anlangt, welche sagt: Die ab-
solute Klarheit der 3 Vorst. solle fürs Gleichgewicht durch x, y, z aus-
gedrückt werden, so muß darin ein Schreibfehler-) stecken. Wenigstens
die Gleichung x-j-y + z=^S leidet so etwas durchaus nicht. Die Hemmungs-
summe ist die Nacht, welche sich über alle Vorstellungen ausbreitet; daß
diese Nacht keine Summe der Klarheiten seyn kann, versteht sich von
selbst, was auch übrigens die Klarheit seyn möchte. Lassen Sie uns nur
rechnen. Die Wirksamkeiten der Vorstellungen im Gleichgewichte sollten
gleich seyn. Also a x — b y = o
a X — c z = o
ax ax h c -\- 2i c -{' z.h
x + y + z — S = o, oder x -\ 1 = S = x . ; also
b c bc
b. cS acS abS
y = : : r--^, Z
bc + ac + ab bc-f-ac-fab' bc + ac+ab
wie längst bekannt.
■) 3 S. 4"-
^) Randbemerkung von Drobisch: Natürlich! (,, Schreib fehler" von Drobisch unter-
strichen.)
Mai 1834.
65
Die Größen a x, b y, c z, würde ich indessen nicht Spannungen,
sondern lieber Momente^) nennen. Die Lasten hängen gleichsam an ihren
Hebelarmen. Die Last x wird getragen von a, y von b, z von c. ||
Um nun auch der Klarheit ihr Recht widerfahren zu lassen, müssen
wir vor allen Dingen bemerken, daß die Hemmungssumme nicht blo/i^ wie
ich mich vorhin ausdrückte, eine Nacht, sondern eine wirkliche jactura,
ein Verlust ist, um welchen das Quantum des wirklichen, gegenwärtigen
Vorstellens soll verändert werden;-) dergestalt, daß dies Quantum sich in
ein bloßes Streben verwandele. Die obigen x, y, z sind nur Bruchtheile der
Hemmungssumme. Sie sind benannte Zahlen, die nur von andern be-
nannten und zwar gleichartig benannten Zahlen können abgezogen werden,
nicht aber von unbenannten. Aber hier, (denke ich,) höre ich Ihren
Weimarischen Einwurf. Er lautet, wenn ich nicht irre:
so: Die Hemmung einer Vorstellung ist Verdunkelung. Die partielle
Hemmung eine partielle Verdunkelung. Das Gegentheil der Verdunkelung
ist Klarheit. Diese soll durch jene vermindert werden. Also muß man
die Verdunkelung von der vollen Klarheit, welche für alle Vorstellungen
= 1 ist, abziehen, nicht aber von der Vorstellung selbst.
Wirklich? Versuchen wir einmal ein paar Beyspiele. •^)
') , Momente" von Drobisch unterstrichen, am Rande von ihm bemerkt: „Nein!
Dies Glei'chniH ist nur äußerlich, das meinige von den elastischen Federn hergenommen,
was weit näher liegt, da ihre Formeln mit obigen völlig harmonieren, wenn die Federn
gleiche Länge haben."
2) Diobisch: „des Vorstellens? dies ist gegen Psych. I. 147."
^) Drobisch: NB. Meine H. S. ist nicht S. d. Stärke, sondern der Klarheit und
daher bei n Vorst. = n — i, hier = i. daher die Rechnung
I 20
^ \ 21 1 21
1 4^
20
41
I 4(
^''''» _20_2I
I ' 4f~4i
bei Herbai t
420 400
Reste
20 — ==
21
41 41
400 461
Ti ~ 4»
Verhältnis zur ganzen Voist.
20 : 41
bei H. ^^
21 — : 41
41
bei mir Verh. zur ganz. Klarh. d. Vorst.
I 20 : 41
I 21 :4I
Herbarts Werke. XVUI.
66
Mai 1834.
Für zwey Vorstellungen 2 1 und 20
41
20
= 20 : -^
2 I
400
41
420
41
für zwey Vorstellungen 2 und i
I 1
I :
Das zweite Beyspiel würde doch wenigstens positive Reste, i — ^/g,
I — Ys' Jiefern ; obgleich die doppelt so starke Vorstellung 2 wohl einen
tüchtigen Druck gegen die schwache i ausüben kann. Aber im ersten
Beyspiele — was sollten die negativen Größen i — ^^^\\\^ und i — *'V4i
wohl bedeuten? Die Vorstellungen sind nahe gleich, und man übersieht
ohne Rechnung, daß für beyde der Rest nahe = 10 seyn muß, genauer
20 — ^2oy^^ und 21 — ^^^U\ ^'ie bekannt.
Es war also eine Amphibolie im Worte Klarheit, dergleichen bey
intensiven Größen desto leichter vorkommt, wenn anderwärts Warnungen
nöthig gewesen waren, daß man sie nicht gleich extensiven behandeln
solle. Ohne Zweifel habe ich Ihr Misverständniß durch eine solche
Warnung veranlaßt. Warnen mußte ich, daß man die Reste nicht für
bestimmte Stücke halten solle, welche nach dem Wegschneiden andrer
Stücke übrig bleiben möchten. Bey wieder reproducirten Vorstellungen,!
durch deren Reste noch andre sollen vermöge früherer Verschmelzung
reproduciert werden, würde man sonst fragen, ob denn die wieder hervor-
getretenen Stücke wohl auch gerade dieselben seyn möchten, welche früher
in die Verbindung eingegangen waren? So soll man nicht fragen. Denn
die Hemmung ist nicht ein Stück, sondern eine Verdunkelung der ganzen
Vorstellung; die partielle Hemmung verdunkelt nicht ein abgeschnittenes
Stück ganz^ neben welchem ein andres Stück ganz hell bliebe, sondern
die partielle Verdunkelu?ig ist für die ganze Vorstellung ein 7ninderer Grad
der Klarheit.
Dies, mein theurer Freund! konnte Anlaß geben zu dem obigen
Misverständniß.
Wenn Sie aber die Klarheit ;= i setzen, so haben Sie einen ganz
anderen, einen bloßen Verhältnisbegriff im Sinn. Es sey von der Vor-
stellung = 20 das Gehemmte = 10. Von der Vorstellung 2 das Ge-
hemmte = I, so ist ^^/go =^ V2 ^== ^^"^ halben Klarheit, welche den gleichen
Zustand für beyde Vorstellungen ausmacht, weil auf die Frage: wie klar?
einerley Antwort erfolgt, wiewohl das eine Exemplar zu dieser Antwort
zehnmal so groß ist als das andre.
In dem allen kann nun wohl nicht das Geringste mehr dunkel seyn,
vielmehr habe ich wahrscheinlich schon doppelt so viel Worte gemacht,
als für Sie nöthig war. Aber — Aufmunterung — ? Sogar Zudringlich-
keiten wollen Sie? — Wohlan denn! die Natur der Sache drängt desto
Mai 1834. 67
deutlicher, .da ich sogar schon die Zeit als verlaufen ansah, wo mir noch
Unterstützung hätte werden können. Wer wenigstens mir noch helfen
will, der mag eilen; denn bald werde ich keine Hülfe mehr annehmen
können. — Meine Kräfte sinken, und in meine jetzigen Verhältnisse sinke
ich auch hinein. Daß hier ein wahrer philos. Eifer plötzlich erwachen sollte,
daran ist nach so langer Ruhe nicht zu denken. Das Auditorium ist so eben
leidlich gefüllt, und die Schlaffheit zeigt sich schon. — Statt Erquickung
durch die Reise fand ich beständige Anspannung durch den Nordwind,
ein Katarrh — nicht heftig, aber chronisch, war die Folge, er klebt mir
noch an.
Ihre philos. Schrift ist nicht mehr noch weniger als was alle Welt
von Ihnen erwarten wird; Sie haben einmal philos. Vorlesungen ange-
fangen, und können nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Befremduni^
können Sie jetzt nicht mehr erregen. Was mich anlangt, so habe ich
Sie nur nicht ewig plagen wollen; meine Erwartung verstand sich von
selbst. Aus äußeren Gründen, aus Gefahren in und für die Schulen, —
aus dem Unsinn, welcher droht, — ließen sich hundert starke Gründe
entnehmen, die zur Eile drängen und antreiben.
Je länger Sie säumen, desto schwerer wird das Werk! — Nochmals
herzlichen Dank für Ihre Reise nach Weimar; und viele Empfehlungen
an Ihre Frau Gemahlin! Ganz der Ihrige H.
458. Drobisch an HJ) Leipzig d. U Mai 34
Es ist mir ungemein erfreulich, mein innig verehrter Gönner und Fi- und,
daß meine psychologischen Erörterungen von Ihnen mit so viel Güte aufgenommen
und so ausführlich beantwortet worden sind, um so mehr thut es mir leid, mich
noch nicht beruhigen zu können, wie Sie aus dem Folgenden ersehen werden.
1) Unbedingt zugeben kann ich den in der That nur auf einem Schreibfelüer
beruhenden Irithum in der Deutung von x, y, z. Die Reste, welche Sie lassen,
wollte ich sagen, sind die absoluten Klarheiten der Vorstellungen; sie selbst sind
Hemmungen, Verdunkelungen, ihre Summe, wie Sie sagen Nacht, damit bin ich
ganz einverstanden, auch zeigt dies meine Rechnung.
2) Ihre Art zu rechnen (im Briefe) ist auch die meinige. Ihre 3 Gleichungen
ax — by = 0;ax — cz = 0, x + y + z— S = 0 entstehen aus meinen (im
letzten Briefe) nämlich aus den Gle. ; y = 0; -. — = 0, x y + z — S = 0,
weim i ^ k = 1 gesetzt wird.
Dies ist ein nicht zu leugnendes Rechnungsf actum. Der Sinn der letzteren
ist wenigstens hypothetisch ein guter, nämlich dieser: wenn die ganze Klarheit der
Vorstellung eine von der Stärke derselben unabhängige Größe haben könnte, so
würden die Gleichungen die obigen seyn. Da ich nun Ihre Gleichungen anerkenne,
so zeigt vorstehendes Rechnungsf actum, daß die ganze Klarheit aller Vorstellungen
als ursprünglich gleich anzunehmen ist. Ich setze eben i = k = t = 1 um der
Einfachheit wegen. Diese 1 ist aber eine benannte Zahl, nämlich die Klarheit,
X, y, z, sind von derselben Benennung und Brüche. Freilich kann ich nun auch:
3) Die Hemmungssumme nicht als die Summe der Stärke der sämmthchen
Vorstellungen mit Ausschluß der stärksten bestimmen, sondern als die Summe der
') 3 S. 4". H. W.
68
Mai 1834.
Klarheiteu eben derselben, folglich, da diese immer gleich, bei n Vorstellungeii
= n — 1. Daher treffen mich die Widersprüche Ihrer Beispiele nicht, sondern ich
muß für 20 u. 21 rechnen:
41:|2j = l:^
f20
41
21'
41
Sie dagegen rechnen so:
Reste ,
1
1
400
IT
420'
41"
_ £1
~ 4l '
_ 20
41 '
Reste
20
c). Verhältniß zur ganzen Klarheit
41
/ 20 : 41
\21 : 41
20 — -
420 400
21
400 4fil ' ^^rhältniß zur ganzen Vor-
41
41
20 : 41
Stellung j .,-■ '-^0 _ wiewohl, so viel ich mich erinnere, letztere Verhältnisse bei
l " 41 ■
Ihnen gewöhnlich nicht zur Sprache zu kommen pflegen. In Ihrer Rechnung wäre
alsu die relative Klarheit der stärkeren Vorstelking etwas größer als in der meinigen.
Das 2te Beispiel stände bei Ihnen so:
:^ : ■! J == l : ( '/' : Reste H ~ [''^ ^ 'j;^ : Verhältniß zur ganzen Vorst. H'i
[2 \- , \2 — V, = % => \r):b
Dasselbe bei mir:
3:/^ = l:^Jr, Reste <j}
= V:,
Verhältniß zur ganzen Klarheit
{
1 : 3
4) Daß Sie die Producte ax, by, cz lieber Momente als Spannungen nennen
wollen, konnte mir allenfalls gleich seyn; indeß dies zu meiner Rechtfertigung. Sie
sagen, die Lasten hingen gleichsam an ihren Hebelarmen pp. Dies Gleichniß ist
jedoch nur äußerlich und hat keine nähere Beziehung zu dem psycholog. Problem.
Wenn ich dagegen von Spannungen spreche, so ist dies etwas anders. Die obigen,
i. k, 1, enthaltenden Gleichungen sind nämlich zugleich die Bedingungen des Gleich-
gewichts für 3 geradlinige, bis auf 0 zusammendrückbare, elastische Federn von
den Längen i, k. 1 und Intensitäten a, b, c, die man sich in einer geraden Linie,
die ihre Axen enthält, zwischen zwei festen Puncten, deren Entfernung i + 12 -|- 1 — S
ist, an einer gereiht denken muß. Wird i = k = l d. i. ist die Länge der Federn
gleich, so gelten die von Ihnen angegebenen Formeln. Der Länge dieser Federn
im ungehemmten Zustande würde meine ganze, derjenigen im gehemmten meine
absolute Klarheit entsprechen, ohne daß ich sonst auf diese Analogie ein besonderes
Gewicht lege.
5)' Wenn a das Quantum des wirklichen Vorstellens und x das Quantum be-
deuten soll, um das sich jenes vermindert, dergestalt, daß dies Quantum sich ,,in
ein bloses Streben verwandle", so verstehe ich dies wohl, begreife es aber nicht
ganz. Denn hier zeigt sich eigentlich die Vorstellung gleichsam mit zwei Kräften
behaftet, die eine sinkt, wenn die andere steigt und umgekehrt, eine Kraft des Vor-
stellens und eine des Strebens. Das kann Ihre Meinung natürlich nicht seyn, den-
noch würde ich glauben, es folgern zu müssen, wenn ich es nicht anders wüßte.
Wo nämlich sonst "eine Kraft sich theilweise in ein bloses Streben zu verwandeln
scheint, da wird nnr die Wirkung theilweise aufgehoben, die Kraft selbst aber nicht
angetastet. Wenn ich z. B. eine elastische Feder aus unseren Polstern mit einem
(iewicht beschwere, so sinkt sie etwas zusammen und die Wirksamkeit ihrer Stärke,
die die Feder nach ihrer ganzen Länge auszudehnen strebt, wird theilweise ge-
hemmt; aber die Kraft, die Spannkraft bleibt ganz unberührt. So nun, möchte ich
meinen, müßte auch das a der Vorst. bei der Heninmng ganz unversehrt, unver-
mindert bleiben und nur die Klarheit des Vorgestellten sich quantitativ ändern. Daher
Mai 1834. 5q
scheint mir auch allein das immer höher sich spannende Streben zu erklären, je ;|
weniger vorgestellt wird, und die eidolologischen Deduktionen sprechen auch für diese
Ansicht. Sie unterscheiden ungemein deutlich (Psych. I. 147)') „daß eine Verände-
rung in der Quantität des Vorgestellten sich ereignen soll, wir aber dabei die
Quantität des Vorstellens, subjectiv genommen, unverändert festhalten". Dies ist
mir eine Hauptstelle, mit der ich im Tnnei"sten einstimmen kann. Aber mit ihr,
will mich bedünken, harmoniert die Rechnung nacb ihrer Anlage nicht. Denn es
kann nicht ein und dieselbe Größe a zugleich eine Veränderliche (des Vorgestellten)
und eine Constante (des Vorstellens) bezeichnen. Auch gehen Sie in Ihrem Briefe
von dieser Stelle ab, indem Sie durch die Hemmung das Vorstellen vermindern
lassen. Sie sehen, mein hochverehrter Herr, daß ich noch nicht die gewünschte und
von Ihnen erwartete Beinihigung erlangt habe, und das in Folge der Belehiung,
die mir Ihre eigenen Werke gewährt haben. Wie dankbar ich Ihnen daher für
fortgesetzte Aufklärung seyn würde, können Sie denken.
Meine Vorlesungen sind auch wieder unter ziemlich günstigen Verhältnissen
eröffnet. Ich habe von Glück zu sagen : Denn Krug hat zwar Zuhörer, aber er
liest für den 3ten Theil seines ehemaligen Honorars und taxirt sich damit selbst;
die Hegelianer Weiße und Billroth haben gar keine Privatvorles. zusammengebracht,
von Hartensteins Erfolgen weiß ich* nichts. Denominirt ist immer noch nicht; in
Beziehung auf mich bleibt es hier bei der neutralen Stellung. Ich müßte etwas
Philosophisches von einiger Bedeutung geschrieben haben, wenn ich mich nicht
schämen sollte, mich zu regen.
Sie klagen über Schlaffheit; das glaube ich recht gern. Nur unter Hunderten
finden sich einige wenige, die tiefer eingehen und Ernst aus dem Studium machen.
Vielleicht bilden Sie doch aber in Göttingen einige junge Apostel, die Ihre Lehre
auf Universitäten verbreiten, wo sie noch nicht vorgetragen wird. Darauf kommt
es doch am Ende, die Sache äußerlich betrachtet, zunäch.st an.
Unser trefflicher, guter Brandes ist seit einigen Tagen gefälirlich krank — an
einer Brustentzündung; noch scheint eben so viel zu fürchten als zu hoffen zu seyn.
Ich boffe, daß nunmehr das bessere Wetter die Spuren der Reiseanstrengungen
bei Ihnen bald verwischen wird. Versäumen Sie doch ja nicht, Pfingsten, wenn das
Wetter schön bleibt, zu Ihrer und Ihrer Frau Gemahlin — an sie die besten (Jrüße
— [Erholung?] zu benutzen.
Mit unveränderter Hochachtung ganz der Ihrige Drobisch.
459. An Strümpell."-) Göttingen 15 May 1834
Jetzt lieber Herr Doctor, muß ich an Sie schreiben, zwar nicht um
Ihnen wichtige Eröffnungen zu machen, sondern um nicht geheimniß-
reicher zu scheinen als ich bin.
Sie wissen ohne Zweifel, daß ich auf meiner Reise sowohl Drobisch
als Schacht 3) gesprochen habe. Mit der Sorge, einen oder den andern
gegen Sie verstimmt zu finden, kam ich hin; — mit Vergnügen kann ich
Ihnen sagen, daß mir Nichts Bedeutendes der Art geäußert worden. Hr.
Schacht bedauerte Ihren kurzen Aufenthalt in seiner Gegend. Meiner-
seits konnte ich nur den Wunsch aussprechen, daß Ihnen ein Pfad möchte
geöffnet, ein Platz geschafft werden. Mit Drobisch wäre wohl zu über-
*) In dieser Ausg. Bd. V. S. 274.
-) S. A. Spitzner-Strümpell, Die psychologische Pädagogik. Leipzig, E. Ungleich.
S. XX L
^) Über ihn s. den vorhergehenden Band, S. 153. Anm. u. ö.
70 Mai 1834.
legen gewesen, ob vielleicht, da Krug resignirt hat, Leipzig für Sie ein
passender Ort des Auftretens werden könnte? Da jedoch Drobisch selbst
philos. Vorträge zu halten fortfährt, so hätte ich Ihrer Gesinnungen gegen
ihn sicherer seyn müssen als ich es bin, um so Etwas auf die Bahn zu
bringen. Aus seinen Äußerungen erhellt aber, daß er damit umgeht,
philosophisches zu schreiben. Unterdessen ist Rosenkranz mit Bachmann
in Streit verwickelt. Durch den Dr. Fortlage ^) in Heidelberg, der neulich
hier war, erfuhr ich, daß Schelling jetzt sogar einen dreyfachen göttlichen
Act der Freyheit lehrt, dabey viel gegen Hegeln und gegen sich selbst,
den alten Schelling, polemisirt. — Meine hiesigen Vorlesungen gehn zwar
nicht ganz, wie ich möchte, — aber sie gehn doch.
So stehn die Sachen; mögen Sie nun bedenken, was Sie thun wollen.
Wenn Sie nicht hervortreten, so kommen Sie nicht vorwärts, das ist ge-
wiß. Wenn Sie stark polemisiren, so setzen Sie Sich in Gefahr; das ist
auch gewiß. Meinen Gegnern sollte billig deutlich und offen geantwortet
werden; das ist wiederum gewiß; dennoch darf ich Sie, um Ihrer Selbst
willen, bey Ihrer precären Lage, zu keiner lebhaften Polemik ermuntern;
und wenn auch eine solche mir noch so nützlich, ja nöthig wäre. Ihr
Manuscript wird sich nach dem Gutfinden des Buchhandels richten und
abkürzen müssen, das scheint das Gewisseste vor Allem.
Leben Sie wohl! Ihr H.
Was Sie auch schreiben: so kommt am meisten das in Betracht,
daß der größte Theil des Publicums zuerst einer Exposition dessen bedarf,
wovon überhaupt die Rede ist. Die Unwissenheit der Leute in Gegen-
ständen der Philosophie geht unglaublich weit. Drobisch sagte mir, Sie
hätten einmal von philos. A.B. C- Büchern gesprochen, das war recht!
460. Drobisch an H.') Leipzig, d. 17 Mai 34
Mein hochverehrter würdiger Freund! Sehr bewegt, ja erschüttert will ich
nur in ein paar Zeilen Ihren mir an sich sehr erfreulichen kurzen Brief be-
antworten, zugleich um Ihnen den Grund dieser niedergeschlagenen Stimmung an-
zugeben. Heute Morgen 6 Uhr ist mein theurer Freund und College, unser vor-
trefflicher Brandes^) abgeschieden. Sie kennen seine Vorzüge als Gelehrten, Sie
kannten seine liebenswürdige Bescheidenheit, sein allgemeines Wohlwollen, seine
Redlichkeit. Mich würdigte er, besonders in den letzten Jahren, vertrauter Freund-
schaft. Er hinterläßt eine Witwe und 5 Kinder und — schwerlich viel Vermögen.
Als er auf dem Stei-bebette lag — (Donnerstag) ward seine einzige Tochter getraut.
Dies war vielleicht ihm noch die beste Beruhigung in seinen letzten bewußten
Augenblicken. Die Verwandten des Hauses waren weit und breit — aus Dorpat
und Darmstadt — herbeigekommen, um die fröhliche Hochzeit zu feiern und — sie
folgen nun seiner Bahre. — Seine Redlichkeit und sein gewissenhafter Eifer hat
sich recht schön und lauter noch in dem letzten Halbjahr gezeigt, in dem er das
Rectorat bekleidete. Vielleicht hat die Amtsführung bei seiner Reizbarkeit und
^) Karl Fortlage (1806 — 1881), später Professor in Jena.
'0 l'/ü S. 40. H. Wien.
') Heinr. Wilh. Brandes (1777—1834), seit 1826 Prof. der Physik in Leipzig.
S. Allg. D Biogr.
Mai 1834. y i
Ängstlichkeit ihm wenigstens den traurigen Ausgang der Krankheit bereitet, der er,
als sie nervös wurde, unterlag.
Er war mein Nachbar in Facultät und Senat. Es ist nun eine Lücke ent-
standen, aber was schlimmer ist, ich fühle auch die Lücke in meinem Herzen, die
dieser Verlust mir geschlagen hat. Liebe und Dankbarkeit knüpften mich an den
edeln Mann, dessen Empfehlung ich gewiß nicht zu einem geringen Theile die
Stellung verdanke, in der ich mich befinde. Sein Andenken wird mir unver-
geßlich sevnl
Jetzt zu Ihrem Briefe. Eben diesen Coefficienten H brachte ich. in Weimar
in Vorschlag und danach hatte ich, wie wohl noch fort abweichend, die Rechnung
angelegt, aber Sie lehnten ihn ab und nachher kam die Sache nicht wieder zur
Sprache. Freilich wird nach .der Ansicht, die ich immer noch festhalten muß, der
Nisus von a, auf der Schwelle nicht a^ sondern a.l = a, da ich als Maximum
Ton X, 1 ansehe: und es würde mich nur von neuem wundern, wie die Vorst. zu
dem quadratischen Streben gelangen sollte, dahingegen ich es sehr natürlich finde,
daß auf der Schwelle das ganze Streben gleich der ganzen Stärke der Vorstellung
ist; es würde mich verwundern, woher jener Nisus stärker werden könnte als die
ganxe Stärke der Vorstellung. || Indeß abgesehen hiervon, also Ihnen das übrige
zugebend, habe ich Ihre Rechnungen vollkommen richtig gefunden. Nur in Be-
ziehung auf 3) war bei Ihnen das Resultat
y = m S [1 - e - Ht + _?__ (e - Ht _ e - t )]
2ur Verbesserung von Psych, l 271. giebt, wird sich noch die kleine Zusammen-
ziehung in
y=:mS[l + g^(e-Ht_He-t)]
anbringen lassen. Das Anfangsglied der Entwicklung finde ich vollständig
= m S— —
also allerdings, wie bisher, dem Quadrat der Zeit proi)ortional.
Ich bezeuge wiederholt meine Freude, Sie zu wissenschaftlichen brieflichen
Erörterungen bereit zu finden; sie gewähren mir den reinsten Genuß und die
größte Belehrung.
Mit erneuter Versicherung auflichtigster Verehrung
Ihr ergebenster Drobisch.
461. An Drobisch.^) Göttingen 19 May 1834
Brandes todt! ich bedaure es und bedaure Sie, mein theurer Freund,
da er ihnen so nahe stand, näher, als ich wußte. Das dachte ich nicht,
daß Brandes mir vorangehen würde ; eben so wenig als daß mein viel-
jähriger Arzt in Königsb., der Prof. Eisner, sich früher als ich zur
Ruhe legen würde. Bald werde ich folgen, — wohlan! aber für jetzt
habe ich noch ein kleines Geschafft, nämlich mit Ihnen über die Funda-
mente der Psychol. zu disputiren, und wo möglich mich zu einigen. Also
an die Arbeit! Wundern Sie Sich ja nicnt, wenn Sie mich hartnäckig
finden, ich bin es in der That gar sehr, und gerade heute denke ich
Ihnen viel zu schaffen zu machen.
') 3 S. 4".
-2 Mai 1834.
Es scheint allerdings, als hätte ich Ihnen mit meinem a- die Waffen
in die Hand gegeben. Aber nur still!
Eine Vorstellung =12 sey ganz gehemmt; ich frage nach dem
ersten Beginn der Erhebung wenn alle Hemmung plötzlich aufhört. Dieser
Beginn sey = wdt. Wäre dieselbe Vorstellung nur halb gehemmt ge-
wesen, so wäre die Federung, daß sie ihren Zustand verändern müsse.
jetzt nur halb so groß, also 1/2 ^^t- ^'^"^^ aber die Vorstellung an
sich nur halb so groß, = 6, so wäre die Fähigkeit, der wirkliche Grund,
daß sie der Forderung entsprechen körine, wieder um die Hälfte vermindert;
daher wäre jener Beginn nun 1/4 ^'^t. Hätten wir w das erstemal = 12
gesetzt, so würden wir mit gleichem Recht oder vielmehr Unrecht das
Beginnen der sich erhebenden Vorstellung := 6, nun auch = 6 dt setzen;
es ist also ein Fehler vorhanden. Um ihn zu verbessern, mußten wir
von Anfang an die Foderung, das Müssen, gleich dem Gehemmten, und
das Können, den wirklichen Grund gleich der ganzen Vorstellung setzen.
Nun war das Gehemmte =12, und das Können der ganzen Vorstellung
war auch = 12. Mithin w = 12 . 12 = 144. Wäre aber eine Vor-
stellung = 24 gehemmt zu ihrem vierten Theil = 6, dann würde wdt
werden = 24 . 6 d t = 144 d t.
Ehe ich weitergehe, noch ein Wort über die Formel dh=:H.(H — h)dt.
Diese scheint auf den ersten Blick nicht Dimensionen -richtig. Wie
kann das einfache Element d h abhängen von dem Quadrate seines
Grundbegriffs, der Vorstellung H ? Wollen wir || also lieber schreiben d h
= H . (i dt?i) So verstehe ich Sie. Aber schauen Sie! wenn
H
wir rechnen, so schreiben wir gleich weiter: -- — - = Hdt, und aus diesem
H — h
Hdt wird beym Integriren H t, dann ferner e ' und e ~ . Nun muß
der Exponent von e~ ^' gewiß eine Zahl seyn; als solche wird demnach
gerade der Factor H, den ich früher ausgelassen hatte, betrachtet. Mit-
hin muß der andre Faktor H — h den Begriff des Gegenstandes, wovon
dh das Element ist, in sich behalten, und kann nicht statt seiner ge-
h ^
schrieben werden (i — — ).
H
Ferner hängt mit dem Vorigen genau folgende Betrachtung zusammen.
Denken wir uns ein Gehemmtes = x, so braucht noch nicht bestimmt
zu seyn, von welcher Vorstellung P oder Q oder R dieses x ein Theil
sey. Wir wissen schon jetzt, es stehe bevor, daß ein Quantum klaren
Vorstellens = x sich wieder erheben werde und müsse, sobald der Grund
der Hemmung verschwinde. Diese Nothwendigkeit ist an sich und
unverglichen, so groß wie x selbst. Ferner werde uns gesagt, die Vor-
stellung P sey in irgend einem Grade y gehemmt, so braucht dies y noch
nicht bestimmt zu seyn; -wir wissen schon jetzt das ganze P, da die Vor-
stellungen nicht wirklich aus Theilen bestehn, trage etwas Fremdartiges,
>) Randbemerkung , von Drobisch: dh = H (i — h) dt. h ist ein Bruch von
der Klarheit i.
X
1
^~'
_i
\'
k
■^
^^
m^—
7.
1
Mai 1834. 73
eine Verneinung in sich : also werde das ganze P zur Aufhebung und
Fortschaffung dieser Verneinung wirken. Giebt man uns aber beydes,
das bestimmte P und ein bestimmtes x oder y, so sagen wir: Das Moment
des Wirkens ist Px oder Py. Beyde Factoren des Moments haben hier
gleiches Recht; und geben für den Fall x ^ P das Moment P^ wie
vorhin.
Soll ich nun zu ihren elastischen Federn übergehn ? Sehen
Sie erst zu, ob ich richtig zeichne. Da liegen Ihre Federn,
wie Sie fodern, in einer geraden Linie; — nun aber sperren
Sie dieselben in einen engern Raum ein; es verkürzen sich i,
k, 1 um die Raumgrößen x, y, z, mithin, da x + 7 + z = S'
(erlauben mir den Strich an ihrem S, denn es ist nicht meine
Hemmungssumme, die sich, im Vorbeygehn, gar sehr beklagt,
daß sie beseitigt wird, ohne widerlegt zu seyn): so ist, wie Ihr
Brief angiebt, i -j- k -f- 1 — S' die Entfernung der zwei vesten
Puncte, zwischen denen Ihre Federn eingeschraubt sind. Was
soll nun vertheilt seyn ? Offenbar die Raumkürzung x -f- y + z-
Wozwischen ? Zwischen den Federn mit den Intensitäten a, b, c,
welche sich entgegensetzen, in wiefern ikte Räume verkürzt
wurden. Aber diese Verkürzufig, als Negation, erhellet nicht aus x, y, z,
also auch nicht aus ihrem S', wiewohl dasselbe eine Hemmungssumme
jl vorstellen will: — sondern weislich haben Sie in den Gleichungen a—
y z xyz JT-.1
= b— = c— die Verhältnisse , — , ~ berücksichtigt; — diese Ruck-
k 1 1 k 1
sieht fehlt aber in ihrem S' , und ich sehe auch keine Möglichkeit sie
X , y 1 z
hineinzubringen. Hätten Sie eine Summe von Pressungen, . -|- , - -f- r
zu vertheilen: dann möchte Ihr Beyspiel mir näher kommen, i)
Meine Hemmungssumme möchte für zwey Vorstellungen a u. b be-
stimmt w^erden, wie man wolle, so behaupte ich jedenfalls: war sie dort
= S, so ist sie für M a und M b nothwendig = M S. Denn es ist der-
selbe Conflict, nur M mal genommen. Der absiracte Begriff der Klarheit
des Vorstellens überhaupt ist aber der nämliche für a und M a, für b
und Mb. 2) Damit hängt die Hemmungssumme gar nicht zusammen, sie
ist keine Summe von abstracten Klarheiten, auch nicht von Verhältnissen,
sondern sie ist das Quantum des Conflicts, dergestalt daß
für a ^ 2, b = 1, H. S. = I ,
20, 10. = 10 u. s. w.
200, 100, = 100
Sie sagen in Ihrem Briefe: Wo sonst eine Kraft sich theilweise in
ein bloßes Streben zu verwandeln scheint, da wird nur die Wirkung theil-
weise aufgehoben, die Kraft selbst aber nicht angetastet. Dazu spreche
ich ja; und dies sonsl gilt auch bey mir und hier. „Aber hier (schreiben
1) Randbemerkung von Drobisch: Nein, nein!
^ Randbemerkung von Drobisch: ..Ganz recht"! — Den Satz bat Drobisch in An-
führungszeichen gesetzt.
74 M^' 1^34-
Sie) zeigt sich die Vorstellung gleichsam mit zwey Kräften behaftet, wo-
von die eine sinkt wenn die andre steigt; eine Kraft des Vorstellens
und eine des Strebens." Sehen wir doch näher zu. Die Vorstellung
sey a. Ihr Gehemmtes x. Also die des Strebens x. Und die des Vor-
stellens, welche sinken soll wenn die andre steigt? Etwa a — x?i) Oder
a X
— ? — ? Oder wie sonst? — Ich setze das Moment = ax, das heißt,
X a
wie Sie foderten: Die Vorstellung a, verwandelt in eine Kraft, ist nicht
angetastet, sondern ganz so groß wie sie ursprünglich ist, strebt sie das
theilweise aufgehobene wirkliche Vorstellen nämlich den Theil x, wieder
ins klare Vorstellen zu verwandeln. -) Keineswegs aber setze ich das
Moment = (a — x) . x, welches ganz falsch wäre, indem es den Fehler
in sich trüge den Sie bey mir vermuthen.
Nun, mein theurer Freund! bitte ich um Ihre verlängerte Geduld,
und um baldige Antwort. Unveränderlich der Inrigel H.
462. An DrobiSCh.^) Göttingen, 23 May 1834
Ihre Funken, mein verehrter Freund ! haben bey mir besser gezündet,
als Sie aus meinem neulichen Briefe mögen vermuthet haben. Nach-
dem ich Ihnen von den Momenten a x, by, cz geschrieben, fiel mir
bald darauf ein, daß eine Vorstellung auf der Schwelle einen Nisus = a^
anwenden werde, um sich zu erheben, weil dann x :^ a. Darauf besann
ich mich an die Reproduction nach weggenommener Hemmung, und zu-
gleich daran, daß Sie in Weimar mündlich gegen meine Theorie der
unmittelbaren Reproduction Bedenken äußerten. Jetzt finde ich, daß ich
Psychologie I, S. 269^^) unten einen wichtigen Factor ausgelassen habe,
und daß ich diese Auslassung zu rechtfertigen nicht im Stande bin. Um
kurz zu seyn, (denn ich bin eilig) setze ich Ihnen eine veränderte, und
wie ich glaube, nun gehörig berichtigte Rechnung her.
I.) dh = H (H — h) dt
daraus H (i — e~^*)=h, statt daß es im Buche heißt:
h = H (I — e-t).
2.) dh = H (H' — h) dt.
Daraus H' (1 — e ~ ^') = h, statt im Buche:
h = H' (I — e-*).
3.) S. 271 im Buche
H ( X ~ y) d t = d y. 5)
Hieraus habe ich, freilich nur flüchtig rechnend, erhalten:
H
y=mS[i— e-H^+ — (e - "t — e - ')] statt y = m S
[I -(I +t)e-;].
^) Randbemerkung von Drobisch : a — x !
'') Von Drobisch ist der Satz in Anführungszeichen gesetzt und mit einem Frage-
zeichen am Rande versehen,
ä) I S. 4».
*) In dieser Ausg., Bd. V, 355.
•'') Anmerkung von Drobisch: 3. kürzer so:
y = mS [I +^(e-«*-He-')].
Mai 1834. ^5
Durch Auflösung in eine Reihe bekomme ich wieder den Satz, daß
die Reihe mit dem Gliede für f- anfängt, aber der Faktor H ist darin;
Ht2
das Glied ist .i) Zugleich erinnere ich mich, daß mir in psycho-
2
logischen Reflexionen oft genug der Satz in die Quere gekommen und
Verlegenheit verursacht hat, das Steigen des H sey von seiner eignen
Stärke unabhängig. Diese Verlegenheit ist denn nun, wenn ich recht sehe,
verschwunden. Jetzt bitte ich, daß Sie das Gesagte prüfen, und mich
recht bald weiter benachrichtigen. Herzlich der Ihrige H.
463. Drobisch an H.') • Leipzig, d. 28 Mai 1834
Mein hochverehrter Herr und Freuod! Zuvörderst nehme ich mir aus der
Einleitung Ihres Briefes die Andeutung, daß so lange unter uns durch Disputation
noch etwas ins Reine zu bringen ist, Sie in keinem Falle Lust haben werden, den
vorangegangenen Freunden zu folgen, vielmehr, wie der große Friedrich im 7 jährigen
Kriege keine Zeit hatte, das Fieber abzuwarten, Sie auch keine Zeit finden
werden, von uns zu scheiden. Doch fürchten Sie deshalb nicht von meiner Seite
Wiukelzüge; ich verspreche ehrlich die "^"affen zu strecken, wenn ich sehe, daß
ich mich nicht mehr halten kann mit Ehren, ja ich werde sogar bereit seyn, die
Discussion abzubrechen, sobald ich eine Wiederholung des schon gesagten zu ver-
anlassen oder mir zu Schulden kommen zu lassen fürchten müßte. Ihre „Hart-
neckigkeit" kann mir natürlich nur erwünscht seyn, auch erwartet man es gar nicht
anders von Ihnen; aber — für diesmal kann ich noch nicht capituliren.
Erlauben Sie mir zuerst bemerklich zu machen, daß Sie sich noch nicht dar-
über bestimmt erklärt haben, ob ich mich an die Stelle in der Psychol. I, S. 147
oder an die in Ihrem vorletzten Brief halten soll. Nach letzterem ist die Hemmung
eine wiikliche Verminderung des Vorstellens, des Quantum des Vonstellens, d. i.
des a. Beträgt das Gehemmte des Vorstellens x, so bleibt als noch vorhandenes,
wirkliches Vorstellen a — x. Dies, meine ich allerdings, ist die Kraft, welche sinkt,
wenn das Streben x steigt. Denn das Vorstellen selbst ist ja denn doch die wirk-
same Kraft, und wenn diese Kraft des Vorstellens um x vermindert ist. so ist eben
die Kraft angetastet. Ich vermisse überall die Quantität, die den Effect mißt und
es scheint mir immer wieder von Neuem, daß Ihre Rechnung nicht adäquat dem
Gedanken ist, der dadurch ausgedrückt werden soll. Ich habe so zu rechnen ver-
sucht, daß eine Quantität, die den Effect der constanten Kraft ausdrückt, (die jedoch
in verschiedenen Graden gehemmt sein kann) eingeführt wird, die Klarheit des
Vorgestellten. Ich meine, die Veraoinderung, welche der Schwächung des Bildes
entspricht, muß eine andre Größe betreffen als die, welche die unberährte und
nur in ihrem Effecte gehemmte Kraft ausdrückt. Daher ist mir folgende Stelle
Ihres Briefes unzugänglich. Sie schreiben: „Die Vorstellung a, verwandelt in eine
Kraft, ist nicht angetastet ; sondern, ganz so groß wie || sie ursprünglich ist, strebt
sie das theilweise aufgehobene wirkliche Vorstellen, nämlich den Theil x, wieder
ins klare Vorstellen zu verwandeln". Das Vorstellen wird hier als Kraft und
Effekt zugleich behandelt, und es ergiebt sich, daß ein und da.sselbe zugleich ver-
mindert und nicht vermindert sey, ja sogar daß das Vorstellen, so fern es unver-
,. ^ H t*
') Anmerkung von Drobisch: — oder vielmehr raS -— .
^) 3V2 S. 40. H. Wien.
io
CO
76 Mai 1834.
minderte Kraft bedeutet, sich selbst, sofern es als Effect vermindert ist, wieder
in integrum restituiren soll; worin ich nur einen doppelten Widerspruch finden kann.
Da ich nun nicht die Kraft des Yorstellens als berührt, sondern nur ihren
Effect, das Vorgestellte berührt denke, so kann ich zwar sagen, die Kraft sey in
ihrer Wirksamkeit gehemmt, aber die Hemmungssumme kann deshalb nur ein Sub-
trahend für die Quantität des Vorgestellten, d. i. für die Klarheit werden. Daher
mein S mit Recht von Ihnen durch einen Accent excommuniciit ist, weil es unter
Ihren Hemmungssummen steht, wie Saul iinter den Propheten. Nur erwünscht
konnte mir aber Ihre Äußerung: ,.Der abstracte Begriff der Klarheit des Vorstellens
überhaupt ist aber der nämliche für a und Ma, für b und Mb" seyn. Denn damit
sprechen Sie selbst aus, daß die ganze Klarheit für alle Vorstellungen die gleiche ist.
Was meine elastischen Federn betrifft, so erlauben Sie, daß ich noch einmal
und zwar mit Einschränkung der Allgemeinheit, die für die Vorstellungen ohne
Nutzen ist, davon spreche. Die 8 Federn seyen also gleich und von der Länge L
ihre Intensitäten wieder a, b, c, ihre Verkürzungen x, y, z. Der Raum zwischen denen
sie eingeklemmt sind, 3 I — S' und infolgedessen x + y + z = S' (oder,
^ dies vorausgesetzt. 1 — x + 1 — y + 1 — z = 31 — S'), so sind jetzt die
I 3 V h V 0 7
X Spannungen der 3 Federn -r- , —— .
I Für das Gleichgewicht sind diese gleich, also — p = —~- , -j- = —
t^ 1111
oder, da hierbei 1 völlig herausgeht, ax = by, ax = cz, überdies
11 o, ri- ■ X., ■ ^ bcS' acS'
— X + y + z = S'. Hieraus ergiebt sich x = -, -, --^r- 1 Y = — 1
I "^ ab + ac + bc ...
abS' X ^'
z = , also -r- = 1 , etc X, y, z, waren Verkürzungen,
ab -)- ac + bc
X Y z
also Längen, 1 ist auch eine Länge, also sind ~r ' "T ' "T unbenannte Brüche,
X y z
also können - — h "T" H — r g^r nicht eine Summe von Pressungen bedeuten, wie
Sie vorschlagen. "Wohl aber können diese Brüche gebraucht werden, Kraftver-
hältnisse, nämlich Strehungsverhältnisse auszudrücken. ||
Die Spannung -r— ist nämhch offenbar nichts anderes als das Streben der
Feder ihre ganze Länge wieder anzunehmen; dieses Streben wird mit x zugleich 0,
wie natürlich und erreicht sein Maximum mit x = 1, wo es =^ a, also die ganze
Stärke der Feder in Streben verwandelt ist, indem der Effect, die veränderliche
Länge, nun völlig aufgehoben ist; aber auch nicht mehr und nicht weniger als a,
denn woher sollte mehr kommen? Legen wir nun dieses Maximum des Strebens = a
als Einheit zum Grunde, so wird -z- das relative, ^ das absolute Streben der
Feder genannt werden können. Dieses — p- ist auch der Druck, der sich durch
die ganze Linie gleichmäßig iortpflanzt und an den Endpunkten einen gleich großen
Widerstand erfordert, wenn die Distanz 31 — S' nicht überschritten werden soll. —
Für die Vorstellungen giebt es nun freilich nicht Distanzen und Verkürzungen,
aber doch verschiedene Grade des Gegensatzes und Verdunkelungen.
Über die scheinbare Unrichtigkeit der Dimensionen der Gleich, dh = H
(H — h) d t würde ich mich bei dem, was Sie erinnern, beruhigen. Daß aber die
Juni 1834. 77
Vorstellung a völlig gehoinint in ein Streben a- übergehen soll, will mir, wenn ich
auch den einen dieser Factoren a als unbeuaunte Zahl denke, nicht einleuchten.
Ich frage immer wieder: wie kann ohne Anstoß diese Vervielfachung der Stärke
angenommen werden? wie kann mehr geschehen, als daß sich das ganze Vor-
stellen in Streben VLMwandelt? Wenn in ax. x etwas bedeutet, was ebenfalls Kraft
ist, so habe ich dann 2 Kräfte. — Übrigens müßte, wenn ich meine .\usicht fest-
halte, h ein Bmch der ganzen Klarheit und daher die Fonnel dh = H (1 — h) dt
nicht, wie Sie annehmen, dh=H (1 — -g-)dt seyn. Mein (1 — h) ist aber eine
benannte Größe, nämlich die Klarheit, oder richtiger: der noch niciii verdunkelte Theil
•der ganzen Klarheit.
Da mir wahrhaftig daran gelegen ist, mich mit Ihnen zu einigen, und ich
keineswegs nach dem Ruhme geize, eine von der Ihrigen verschiedene mathematische
Psychologie aufzustellen, vielmehr ein solches Unternehmen, wäre es auch noch so
schwach, sehr geeignet wäre, das Vertrauen zur Anwendung der Mathematik auf
Psych, zu schwächen, welche ohnedies noch nicht tiefe Wurzeln geschlagen hat, —
so erlaube ich mir, Sie zu bitten, mich von der metaphysischen Seite her zu er-
leuchten. Ich klammere mich fest an die bezeichnete der Stelle d. Psychol. untl
habe S. 1 u. 2 dieses Briefes meine Meinung so ausgesprochen, daß ich mit mir
darüber klar zu seyn glaube. Jene || Stelle hat mich vollkommen überzeugt, daß die
Quantität des Vorgestellten ein ebenso wichtiges Kechnungselement als die Quantität
des Vor.stellens ist, und die bloß interpretirende Bemerkung, daß a — x nicht ein Rest
des Vorstellens, sondern nur des Vorgestellten seyn soll will mir nicht genügen,
denn a ist nun einmal nicht eine Quantität, die sich auf das Vorgestellte bezieht,
ebenso wenig Ihr x. Außer durch den Act des Vorstellens weiß ich aber nicht,
wie noch auf eine andere Art eine Vorstellung Kraft werden könnte.
Mit gespannter Erwartung sehe ich nun einer neuen Mittheilung von Itirer
Güte entgegen und will unterdessen suchen an den in's Stocken gerathenen ,, Bei-
trägen zu Erläuterung, etc." wieder etwas zu arbeiten. Leider sehe ich. daß die
Vorlesungen doch sehr unterbrechen. Mit diesen bin ich übrigens diesmal weniger
Winfrieden hinsichtlich der Frequenz, aber wir haben ein neues Quästurgcsetz er-
halten, nach dem keinem Studenten mehr Honorar, auch selb.st nur theihveise, er-
lassen, sondern blos gestundet wird, und nun hüten sich Viele vor den Privatcollegien.
Mit unveränderter inniger Hochschätzung
Ihr ergebenster Drobisch.
4(>4. Entwurf eines Briefs Herbarts an Drobisch. ^)
Göttingen t Juni 1834.
Mein theurer Freund! Sie wollen eine metaphysische Erleuchtung?
Schön! Sie kennen meine Behauptung: daß es Nichts giebt, was an sich
Kraft wäre oder hätte.
„An sich sind die Vorstellungen nicht Kräfte." (Lehrb. z. Psych,
schon in d. erst. Ausg. S. 102.) Setzen wir nun eine ungehemmte Vor-
stellung = a. Wie groß ist das Quantum des Vorstellens? Es ist = a.
Und das Quantum des Vorgestellten ? Auch = a, und zwar das näm-
liche a für beyde Fragen. Die ganze Vorstellung ist, metaphysisch be-
') 4 S. 4" H. Wien. Schluß fehlt. — An Stelle dieses Entwurfs ist der
folgende Brief getreten. Man erkennt daraus, wie sehr Herbart daran gelegen war.
mit Drobisch ins Reine zu kommen.
78 JuTii 1834.
trachtet, nur eine Selbsterhaltung der Seele. Wie groß aber ist die Kraft
dieses noch ungehemmten Vorstellens? Sie ist = o. Das heißt, das Vor-
stellen an sich ist keine Kraft und braucht keine Kraft, auch würde jeder
solche Gedanke einer Kraft eine metaphysische Ungereimtheit seyn.
Sie aber haben ,,eine Quantität, die den Effect der constanten Kraft
ausdrücke" eingeführt, nämlich die Klarheit des Vorgestellten. Sollten Sie
Sich wohl wirklich eine — das Vorstellen erzeugende Kraft — gedacht
haben, die von dem Vorgestellten als Wirkung, real verschieden wäre?
Etwa wie die constante Kraft der Pferde verschieden von dem Fortrücken
des Wagens auf bessern oder schlechtem Chausseen ? Wäre denn das
metaphysisch? — Wäre es nicht eine Art von Vorstellungsvermögen?
Doch hierüber haben Sie wohl nicht metaphysisch mit mir zu streiten im
Sinn gehabt. Sie meinen nur: „die Verminderung, welche der Schwächung
des Bildes entspricht, muß euie andre Größe betreffen, als die, welche
die unberührte und nur in ihrem Effect gehemmte Kraft ausdrückt." Gut!
Wie kann Ihnen dann die Stelle meines Briefes unzugänglich seyn, die
den ganz präcisen Ausdruck enthält, »die Vor-'^itellung a, verwandelt in eine
»Kraft, ist nicht angetastet, sondern ganz so groß wie sie ursprünglich ist^
»strebt sie, das theilweise aufgehobene, wirkliche Vorstellen, nämlich den
»Theil X, wieder ins klare Vorstellen zu verwandeln!« Da ist eine und
eine andere Größe, die eine ist a, die andere x. Aber freylich ist hier
keine Wirkung außerhalb der Ursache, sondern nur ein unveränderlicher
Theil X von einem unveränderlichen Ganzen a. Ist das nicht genug,
damit der Mathematiker zwey Größen unterscheiden könne? || Entschuldigen
Sie ein überflüssiges Beispiel: lo^ = 100. Die Zahl 2 veranlaßt hier
zwey Fragen; die eine: wie hoch ist die Potenz von 10? Antw. : 2. Die
andere Frage: wie groß ist der Logarithm. von 100? Antw.: 2. Setzen
Sie nun lo'^, so kann dieses x kleiner seyn als 2; wenn Sie aber das
ganze System der gemeinen Logarithmen durchlaufen, so treffen Sie irgend
einmal mit diesem veränderlichen x auch den Logarithm. von 100. So
treffe ich mit dem veränderlichen Gehemmten x auch einmal das ganze a;
dann nämlich, wenn a ganz gehemmt ist. Hier ist immer eine und eine
andre Größe; und jede von beyden ist einer abgesonderten Größenbestim-
mung ohne Widerspruch zugänglich, obgleich hier nicht eine Kraft v/irklich
verschieden ist von dem Effect, den sie bewirken soll. Gesetzt, das ganze
a sey gehemmt gewesen. Jetzt aber verschwindet die Hemmung. Wo
ist nun die wirkende Kraft? Sie ist das ganze a. Und wo ist der Effect,
den sie hervorbringen soll? Eben dies nämliche ganze a, als ein erneuertes,
wirkliches Vorstellen. Gesetzt, die Erneuerung sey vollständig geschehen,
dann verschwindet wiederum der ganze Unterschied zwischen dem Vor-
stellen, subjectiv genommen, und dem Vorgestellten (Psychol. I. S. 147
welche Stelle Sie anführen) es verschwindet überdies die ganze Anwendung
des Worts Kraft; denn eine ungehemmte Vorstellung ist keine Kraft und
hat keine.
Wollten Sie etwa auch hier noch die Vorstellung als Kraft, von der
Klarheit als dem Effect unterscheiden? Überlegen Sie doch, ob Ihnen der
Unterschied verschwinde, wie es seyn muß; oder ob da noch etwas von
einem Hervorbringen und Erhalten dieser Klarheit übrig bleibe — wie
Juni 1834. 7^
ich fast vermuthen muß, da Sie das Abstractum Klarheit, zum Gegen-
stande einer Größenbestiramung gemacht haben, wie wenn es für sich
allein etwas bedeutete.
»Nein (werden Sie sagen) ich weiß sehr gut, daß die Klarheit nichts
»außer der Vorstellung selbst ist noch bedeutet; ich unterscheide nur in
»Begriffen den wiederhergestellten Zustand einer Vorstellung von ihrer
»Kraftäußerung und so unterscheide ich überhaupt den Grad dieses Zu-
»standes von der Kraft, obgleich beydes, Grad des Zustandes und Kraft-
>äußerung, Leiden und Thun, in der nämlichen Vorstellung liegt.« || Nun
wohl! gerade so mache ich es auch, und ich wünschte mir. daß ich das
von jeher gethan hätte. Aber ungenau waren meine Ausdrücke von den
gehemmten T/ietlefi ivelc/ie in ein Sireben verwandelt wären ; und insofern
kann ich durch meine Nachlässigkeit Verwirrung veranlaßt j| haben. Nicht
ein Theil strebt, sondern die ganzen Vorstellungen streben. Aber mehr
oder weniger, wenn die Theile, welche der Hemmung anheimfallen, größer
oder kleiner sind. Da sind die beyden Fragen: wie groß ist die ganze
Vorstellung? und: wie groß der Theil, also die Nöthigung, womit die
ganze Vorstellung sich wieder herzustellen strebt? Von diesen beyden
Fragen vergaß ich die erste, indem ich d h = (H — h) d t setzte, und den
ersten Factor H ausließ. Aber beyde Fragen geben die beyden völlig
verschiedenen — eben deshalb keinen Widerspruch veranlassenden — Rück-
sichten, deren jede eine eigne Größenbestimraung erfordert.
„Wenn in a x, x etwas bedeutet, was ebenfalls Kraft ist, so habe
ich zwey Kräfte." So steht in Ihrem Briefe. Darauf antworte ich: x
bedeutet keine Krajt^ als etwas Seyendes, sondern den Grad der Nöthi-
gung, durch welche Nöthigung die Vorstellung a Kraft zviirde, und ohne
welche von gar keiner Kraft in der Ps3'chologie die Rede seyn könnte.
Daß nun dieser Grad der Nöthigung nicht an der bloßen Klarheit
in abstracto abgemessen werden könnte, glaube ich in meinem vorigen
Briefe dargethan zu haben. Und jetzt, mein theurer Freund, benutze ich,
um nicht länger zu streiten, Ihre Güte, sehen Sie nur zu, ob es Ihnen
damit rechter Ernst ist? ich meine Ihre Gleichung dh = H (i — h) dt.
Diese Gleichung zeigt das Tempo, worin die abstracte Klarheit = i all-
mählig wieder hergestellt wird. Wenn nun eine Vorstellung = H zu
dieser Klarheit gelangt, so ist das klare Vorgestellte = H, Sie sehen,
ich wende nur Ihr Abstractum jetzt in concreto an, indem ich schließe:
H d h = H2 (i — h) d t, und ferner H h = H^ setzend schreibe d H^ = H
(H — H^) d t, wo nun das concrete d H^, geschlossen aus IJirem Abstractum
d h, genau dasselbe ist, was ich behaupte. Die erste Erhebung zur Klar-
heit, im ersten Augenblick, abstract genommen, hat bey Ihnen für h = o
den Factor H. Darum ist bey mir, concret, das erste, wirkliche Hervor-
treten des H, proportional dem Quadrat von H. || Hier wäre also ein
Anfangspunct des Einverständnisses. Schlimmer steht es wegen der
Hemmungssumme. Denn Ihren Schluß umdrehend muß ich so schreiben:
Die Hemmungssumme kann durchaus nicht ein Subtrahend für die bloße
abstracte Klarheit werden, sondern sie ist ihrem allerersten Begriffe nach
ein Subtrahend für das klare Vorstellen, so fern dies als Quantum von
der Vorstellung selbst abhängt. Folglich sind alle Schlüsse, welche diesen
8o Juni 1834.
allerersten Grundsatz antasten würden, eben dadurch schon apagogisch
widerlegt; und man hat alsdann und noch zu mehrerer Einsicht die directe
Widerlegung zu suchen.
In Ansehung der Hemmungssurame hat wohl nur das Unpassende
des Beyspiels Sie verleitet. Darum hoffe ich auf ein anderes Beyspiel von
Ihnen. Es schien mir, daß Sie vielleicht ein passenderes gewinnen würden,
•wenn Sie wirkliche Pressungen oder Strebungen eingeführt, während freilich
die Raumverkürzungen Ihres Beispiels dergleichen nicht darbieten. Nicht
also in Ihr, für sich Richtiges, — was nur kein Beyspiel für mich seyn
kann — wollte ich etwas hineintragen. Aber statt zweyer, vester Puncte,
wie Sie annehmen, könnte man auch wohl die Raumverkürzung von Ge-
wichten abhängen lassen. Wenn die Federn eine gemeinsame, senkrechte
Axe haben, so mag ein Gewicht darauf gelegt werden, so groß, daß es
die beyden schwächeren unter den drey Federn bis auf Null zusammen-
zudrücken gerade hinreicht. Der Widerstand gegen die Pressung durch
dieses Gewicht wird in jedem Puncte aller drey Federn gleich groß seyn
müssen, wenn Gleichgewicht eingetreten ist. Können nun, wie ich ver-
X y z
muthe, diese Pressungen durch jene Brüche , -, ausgedrückt werden,
SO möchte vielleicht jenes Gewicht der Hemmungssumme einigermaßen
vergleichbar seyn, — jedoch bleibt immer der große Unterschied, daß das
Gewicht willkührlich bestimmt ist, während die H. S. geradezu aus dem
Quantum der Vorstellung folgt. Jedenfalls sehen Sie hieraus, was ich an
Ihrem Beyspiel vermisse. Sie haben darin eine gegebene Raumgröße,
die schon bestimmt ist, ehe noch daran gedacht wird, daß die Federn
sich hineinklemmen sollen. Mein Gewicht dagegen enthält wenigstens den
allgemeinen Begriff des Drucks; unpassend aber bleibt es noch immer,
inwiefern sein Druck sich nicht, wie er sollte, aus der Kraft der Federn
selbst ergiebt.
465. An DrObisch.^) Göttingen 2 Jun 1834
Mein theurer Freund! Mit einiger Besorgniß Sie zu ermüden, nach-
dem mein voriger Brief Sie nicht überzeugt hat, — beginne ich diesmal.
Den Punct, wo wir am härtesten zusammenstoßen, — daß Sie nämlich
den Begriff der Hemmungssumme abändern, welchen ich als die veste
Basis der ganzen Untersuchung betrachte, will ich diesmal nicht urgiren;
sondern nur zwey Puncte von andrer Art hervorheben ; den einen, welcher
mir das künftige — hoffentlich bald erfolgende Einverständnis, vor-
zubereiten scheint; den andern, dessen Erwähnung Sie Selbst verlangen.
i) Sie schreiben: ,,es müßte, wenn ich meine Ansicht vesthalte, h ein
Bruch der ganzen -Klarheit, und daher die Formel dh--^=H (i — h) dt seyn."
Diese Formel nehme ich an ; in der Voraussetzung, daß dadurch
nicht das Quantum der "sich reproducirenden Vorstellung für jeden Zeit-
punct, sondern der Grad der Klarheit in abstracto soll ausgedrückt werden.
Für den Anfang der Wiedererhebung ist also, weil h = o,
d h = H d t.
; 3 =>• 4 •
JuBi 1834. 81
Jetzt aber frage ich nach dem Quantum der reproducirten Vor-
stellung für den schon bestimmten Grad der Klarheit; und setze
Hdh = dhi. Also Hdh = H2(i — h)dt = dhi = H (H — hi)dt, mithin
für hi = o, dhi = H2dt.
Es kam nämlich hier lediglich darauf an, von dem abstracten Be-
griff der Klarheit überzugehen zu dem concreten des Quantum jedes-
maligen Vorstellens von solcher Klarheit. Wollen Sie hiermit meinen
vorigen Brief vergleichen, sc> werden Sie Sich nicht wundern, daß ich die
von Ihnen mir abschriftlich wieder vorgelegte Stelle:
Die Vorstellung a, verwandelt in eine Kraft, ist nicht an-
getastet: sondern, ganz s<> groß wie sie ursprünglich ist, strebt
sie das theilweise aufgehobene wirkliche Vorstellen, nämlich
den Theil x, wieder ins klare Vorstellen zu verwandeln,
als ganz genau meinen Gedanken aussprechend bezeichne. Wenn nämlich
X = a, und nun plötzlich alle Hemmung hinweggedacht wird, so ist dies a
oder X gerade das obige h^.
Sie nun finden hier einen Widerspruch. ..indem das Vorstellen als
Kraft und Effect zugleich behandelt werde." Sie sagen sogar weiterhin:
„wenn in a x, x etwas bedeutet, was ebenfalls Kraft ist, so habe ich dann
zwey Kräfte." Natürlich haben Sie unter solchen Umständen meta-
physische Erörterung verlangt; und diese soll gleich folgen. |[
2) Sie kennen meine Behauptung: es giebt Nichts, was an sich
Kraft wäre oder Kraft hätte.
„An sich sind die Vorstellungen nicht Kräfte'' — so steht schon
im Lehrbuch d. Psych, vom Jahre 18 16, S, 102.
Setzen wir nun eine ungehemmte Vorstellung = a. Wie groß ist
das Quantum des Vorstellens? Antw. : es ist=a. Und wie groß ist das
Quantum des Vorgestellten? Antwort: = a. Und wie groß ist die Kraft
des Vorstellens? Antwort: sie ist = Null. Die Vorstellung ist nichts
anderes als eine Selbsterhaltung der Seele. Der Begriff der Kraft paßt
gar nicht darauf.
Wenn aber von a der Theil x gehemmt wird: so bedeutet x die
Nöthigung, wodurch das ganze a Kraft wird. Je größer diese Nöthigung,
desto mehr wird a Kraft. Und je größer a, desto größer ist das, was
Kraft wird. Daher a-'dt im Anfange der vorhin erwähnten Wieder-
erhebung. Hingegen für x^o auch ax = o, d. h. keine Kraft.
Jetzt aber will ich mich besinnen , daß ich für Sie am deutlichsten
spreche, wenn ich so wenig Worte mache als möglich. Daher kein Zu-
satz mehr zum Vorhergehenden.
Was Ihre Federn anlangt: so hatte ich gehofft, Sie würden das Bey-
spiel verändern. Wenn die Federn eine gemeinschaftliche senkrechte
Achse hätten, so könnte man ein Gewicht darauf legen. Die Verkürzung
wäre dann nicht mehr eine im voraus bestimmte Rauragröße, sondern
der Verhältnißbegriff: Verkürzung, möchte, wie mir scheint, zugleich
den Strebungen in jedem Puncte entsprechen, während eben diese Strebungen,
multiplicirt mit der eignen Stärke jeder Feder, beym Gleichgewichte in
allen Puncten gleich seyn müssen. Das Gewicht würde ich freylich, um
Analogie mit der H. S. zu erhalten, willkührlich so annehmen, daß es
Herbarts Werke. XVIII. 6
82 Juni 1834.
gerade hinreichte, die beyden schwächren Federn völlig zusammen-
zudrücken. II
Glauben Sie nun ja nicht, mein verehrtester Freund! daß ich durch
diesen und die vorigen Briefe etwa nur die streitigen Gegenstände zu
beseitigen suche. Im Gegentheil — möchte mir nur in früherer Zeit eine
solche Gelegenheit des Gedankenverkehrs zu Theil geworden seyn! Dabey
lerne ich und übe mich und komme weiter; und dem Himmel sey Dank!
dies Bemühen, zunächst um die Sache selbst, — wobey ich den lite-
rarischen Markt vergesse, — ist eine Gewohnheit, zu der ich mich auch
jetzt noch keineswegs zu alt finde. Halten Sie es geduldig aus, so sollen
Sie mich weder träge noch unlustig finden; auch ist recht gut, wenn wir
dabey von Einem aufs Andre kommen. Nur schlimm, daß ich Gefahr
laufe mich unvermerkt zu wiederhohlen, weil ich meine frühern Briefe
nicht vor Augen habe, — denn Abschriften zu nehmen erlauben meine
Zeit und meine Augen nicht, und will ich abschreiben, so schreibe ich
allemal unwillkührlich von neuem und anders. Es kommt übrigens noch
hinzu, daß Puncte, die unter uns beyden streitig werden können, sehr
wahrscheinlich auch Andern dereinst Schwierigkeit machen werden; es ist
also gut, daß wir uns im Stillen auf mögliche Fälle vorüben. — Lasse
ich etwas unbeantwortet, was [Sie] bestimmt beantwortet haben wollen, so
geschieht es meist in der Meinung, es werde sich von [selbst] erledigen;
geschieht das aber nicht, so haben Sie nur die Güte daran zu mahnen.
Nun noch ein paar andre Dinge! ich denke darauf mir ein Forte-
piano zu kaufen; vielleicht auch eine Phys-Harmonika. — Hier werden
zwar gute Fortepianos gemacht, aber nicht unter 50 Louisd'or; und dafür
ist mir doch der Anschlag und die Dämpfung noch nicht exact genug.
An wen wendet man sich jetzt in Leipzig am besten? Unter welcher
Adresse schreibt man an Härtel und an Wiek? Des letztern Titel kenne
ich nicht. Sind die Fortepianos im Preise gestiegen seit ich in Leipzig
war? Sind die Physharmonikas verbessert? Vielleicht können Sie mir
irgend etwas darüber sagen. Vielleicht weiß man auch dort ungefähr,
wieviel Steuer so etwas hier kosten kann.
Und nun noch ein Wort wegen Strümpells. Er hat mir Etwas zur
Probe von seiner Schrift geschickt; druckfertig wäre sie wohl; wenn wir
nur erst einen Verleger haben; ich will nicht gern eine bestimmte Emp-
fehlung in meinen Angelegenheiten aussprechen. Er denkt daran auf
Michael nach Leipzig zu gehn; und wünscht zu wissen, ob er dort auf
die Möglichkeit der Habilitation rechnen könne? Möchten Sie Sich wohl
darüber äußern? —
Unveränderlich der Ihrige! H.
466. An Strümpell. 1) Göttingen 9 Jun 1834
Lieber Herr Doctof! Ihr Manuscript habe ich zum Theil dem Hof-
rath Dissen vorgelesen. Er hat geurtheilt, daß nach einiger Veränderung
dasselbe verdiene gedruckt zu werden. Seine Gefälligkeit ging für mich
soweit, daß er sich . an den Buchhändler Deuerlich wendete ; dieser hat
^) S. A. Spitzner -Strümpell, Die Psychol. Päd., Lpzg., E. Ungleich, S. XXII.
Juni 1834. 83
aber den Verlag abgelehnt. Unter diesen Umständen würde ich selbst
anderwärts einen ähnlichen Versuch machen, wenn Ihr Manuscript mir
mcht Hindernisse zeigte.
Wären Sie in der Lage, die Kosten des Drucks selbst zu tragen;
könnten Sie überdies ein halbes Dutzend Jahre aus eigenen Mitteln sub-
sistieren: so würdeich bloß sagen: überlegen Sie, wieviel Sie wagen wollen.
Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich früher, da ich Ihre Lage für günstiger
hielt, so gesprochen habe.
Ein Urtheil über Ihre Schrift würde ich mir im Voraus gar nicht
erlauben. Sie sind an mich nicht gebunden.
Jetzt aber muß ich zuerst einer Stelle Ihres Briefes bestimmt wider-
sprechen. Sie meinen, Ihre Lage könne durch Polemik nicht schlechter
werden, als sie ist. Darin irren Sie! Noch haben Sie sich den Weg
nicht versperrt; aber sehr viel schlimmer wird es werden, wenn Sie ihn
versperren.
Ihr Zielpunkt ist zunächst eine Professur. Dazu ist der Beyfall
irgend eines Universitäts-Curatorii nothwendig. Hiezu wird eine Probe-
schrift erfordert, die — ohne Anstoß zu geben — die gehörige Befähi-
gung darlege. Harte Polemik aber giebt Anstoß.
Sie suchen einen Verieger. Zu harter Polemik kann ich keinen Ver-
leger suchen ; es wäre denn für mich selbst, aber nicht für Sie. Sie su( hen
einen Verleger. Zu zwanzig oder mehr Druckbogen bekommen Sie höchst-
wahrscheinlich keinen.
Mein Rath ist also: abkürzen, ausfeilen, das Polemische ganz trecken
und bestimmt — übrigens der Sache nach vollständig — aber ohne
irgend einen stechenden Ausdruck — vortragen; bloß so, daß Ihre Sach-
kenntniß am Tage liege.
Was die Gegner verdient haben, geht Sie gar nichts an.
Vom „lieben Gott", den ich in Ihrem Manuscript irgendwo finde,
darf nicht eine einzige Sylbe vorkommen, die irgend als geringschätz-
könnte gedeutet werden.
Wollen Sie meinen Rath annehmen und befolgen: so werde ich eir.c
voriäufige Erkundigung bei der Dietrichschen Buchhandlung nicht scheuen;
besonders wegen der Bogenzahl, die man etwa annehmen möchte. Herrn
Vieweg dagegen kann ich nur antworten, wenn er mich fragt.
Bestimmen Sie nun, ob ich Ihnen das Manuscript zurückschicken
soll. Falls ich das Manuscript empfehlen sollte, müßte ich es ganz vor
Augen haben. Falls ich eme vorläufige Erkundigung unternehmen soll, muß
ich Titel und Inhalts-Anzeigen haben. Ohne diese ist gar nichts anzufangen.
Kann Ihr Manuscript nicht wesentlich gekürzt werden, (wiewohl ich
dies nach der mir voriiegenden Probe für möglich halte): so muß es ge-
teilt werden; und in zwey Heften herauskommen. Gewinnt dann das
erste einigen Absatz, so findet auch wohl das zweyte Gnade beym Ver-
leger. Vielleicht auch reicht das erste als ein Specimen schon hin, damit
man es einigen angesehenen Männern einsende, und damit Ihr Name be-
kannt werde. Und diesen einzig wesentlichen Gesichtspunkt müssen Sie
vesthalten. Alles andere aber fürs erste bey Seite setzen.
Mit den besten Wünschen der Ihrige! H.
84 Juni 1834.
467. An Griepenkerl. ^) Göttingen 10 Juni 34.
Diesmal mein theurer Freund! wollte ich Sie nicht behelligen, aber
indem ich die Einlage schon siegeln will, fällt mir auf daß Strümpell aus
Wolfenbüttel geschrieben hat. Ist er dorthin gezogen ?
Jedenfalls ist der Sicherheit wegen gut, das Sie die Einlage lesen,
nur damit Ihnen Alles klar vor Augen liege. Freylich scheint Ihr Schweigen
anzudeuten, daß Sie Sich in Nichts mischen wollen. Ist dies in bedeutendem
Grade rathsam geworden, so bitte ich auch diesmal, schicken Sie mir die
Einlage zurück, mit der Nachricht, wo Strümpell sich aufhält.
Das vorige Blättchen, was durch Ihre Hände ging, haben Sie ab-
geschickt. Also mußte ich auch die Antwort annehmen. Sie können
leicht erachten, daß ich jetzt nicht Schwierigkeiten machen, sondern wo-
möglich beseitigen will. Es kommt darauf an daß Etwas geschehe. Leider
sehe ich noch nicht mit Sicherheit, wie?
Lassen Sie mich bald wieder einige — wenns seyn kann heitere
Zeilen von Ihnen lesen. — Meine pädagog. Vorlesungen für nächsten
Winter sind jetzt größtenteils wenigstens obenhin entworfen.
Unveränderlich, (aber sehr eilig) der Ihrige! H.
468. An Strümpell.''^) Göttingen 16 Juny 1834
Ihr heutiger Brief, lieber Herr Doctor, war mir um desto angenehmer,
da ich bey dem Disponenten der Dietrichschen Buchhandlung den Frage-
punct sogleich anzuregen Gelegenheit fand. Derselbe bewilligt den kosten-
freyen Verlag des ersten Heftes^), und macht Hoffnung, daß wegen der
Kosten des zweyten eine Vereinbarung möglich seyn werde, falls das
erste nicht zu schlechten Abgang findet; — vorausgesetzt jedoch, daß
der Inhalt nicht hervorstechend polemisch sey, indem, wie er sagt, polemische
Schriften keine Zerlegung in mehrere Hefte vertragen. Das läßt sich auch
wohl begreifen.
Nun kommt demnach Alles darauf an, daß durch das erste Heft das
Interesse der Leser gefesselt werde. Davon hängt der Absatz ab, und
an diesem Punct hängt wiederum Alles Übrige.
Sehr nöthig ist nun eine gute Wahl des Titels, und hiebey werden
Sie wohl dem Buchhändler eine Stimme gestatten müssen.
In Folge Ihres Briefes setze ich voraus, daß Sie an Sich halten, und
Sich gar keinem polemischen Eifer hingeben werden. Ihre Schrift wird
im Publicum sogleich als von mir herkommend betrachtet werden , —
nicht etwan so sehr wegen des Inhalts, als wegen des Verlegers. Denn
ich wohne im Dietrichschen Hause; meine Zimmer liegen über dem
ßuchladen, — und Göttingen ist bekanntlich ein sehr öffentlicher Ort.
Man würde aber im Publikum es weder Ihnen noch mir verzeihen,
wenn von uns in so sichtbarer Gemeinschaft irgend eine Anmaaßung, wie
') I S. 4*. H. Wien. Bei Zimmermann, S. 90.
2) S. A. Spitzner-S.trümpell a, a. O" S. XXIII.
^) Erläuterungen zu Herbarts Philosophie, mit Rücksicht auf die Berichte, Ein-
würfe und Mißverständnisse ihrer Gegner. Erstes (u. einziges) Heft. Göttingen 1834.
193 S. S". Über den Titel vgl. u. Nr. 472.
Juni 1834. 85
von literarischer Gewalt, ausginge. Strengste Mäßigung in der Wahl der
Ausdrücke ist hier das höchste Gesetz. Beobachten Sie diese: so haben
Sie halb gewonnen. Ein einziges scharfes Wort aber kann Alles verderben.
Nach meiner eigenen Erfahrung zu schließen, muß man unbarmherzig aus-
streichen, ehe man das Manuscript absendet, und sich nicht etwa durch
Verlust einer Pointe, selbst nicht durch fühlbare Mängel des Zusammen-
hanges, am Ausstreichen hindern lassen, wo irgend eine unnütze Härte
wegzuschaffen ist.
Denken Sie während des Schreibens ja nicht an die Gegner; wohl
aber an die tonangebenden Köpfe unter der Menge der Unbefangenen,
denen aller philosophische Streit ein Schauspiel ist. Unterlassen Sie nicht,
mit guter Manier Belesenheit zu zeigen. Es ist eine Probeschrift, man
fragt unfehlbar, wie weit Ihr literarischer Gesichtskreis sich erstrecke, und
ob Sie Mehr als nur Ein System kennen.
Wenn Sie Ihr schon fertiges Manuscript noch großentheils brauchbar
finden, so ist das Beybehalten sicherer, als viel Neues zu schreiben —
nämlich insofern, als man schärfere kritische Augen zu einer Handschrift
mitbringt, die schon ein Weilchen gelegen hat. Das Neue muß immer
wieder eine Zeitlang liegen, ehe man sicher ist, nicht Schwächen zu über-
sehen, die hintennach, wenn das Gedruckte vor Augen liegt, sogleich sich
bemerklich machen.
Was Ihre Recension anlangt, so wäre es vielleicht sicherer gewesen,
Sie erst durch mich bey Eichstädt anmelden zu lassen, der früher von
mir Empfehlungen zu seinen Aufträgen wünschte. Jetzt — wenn er liest,
wird er selbst urtheilen; wenn er aber nicht lieset? — Sie wissen, wie
wenig eigentlich gelesen wird! Bey Grubern werden Sie wohl noch von
Ihrer Antwort an Hinrichs bekannt seyn.
Das mir mitgetheilte Stück des Manuscripts lege ich bey, und füge
meine besten Wünsche hinzu. Möge die dortige Bibliothek Ihnen den
Aufenthalt angenehm machen. Ihr H.
469. Drobisch an H. Leipzig, 20 Juni 34
Mein innigst verehrter, würdiger freund! Die Verzögerung meiner Antwort
auf Ihren letzten Brief vom 2. Juni beruht auf einem 14tägigem Übelbefinden, das
mir ein schmerzhafter Hämorrhoidalabsceß, der mich nicht nur an das Zimmer band,
sondern mir Tag und Nacht nicht Ruhe ließ und mich am Gehen und Sitzen und
selbst theilweise am Liegen hinderte, verursachte. Bei Schmerz und Wassersuppe
vergeht mir aber leicht die Lust an der Speculation: denn auch mein Geist scheint
dann nur Wassersuppe zu begehren. Dennoch habe ich nicht ein einzigesmal in
Krug's Schriften gelesen! Sehr willkommen waren mir Ihre metaphysischen kurzen
Bemerkungen. Daß Sie mich auf die metaphys. Entstehung der Kraft aufmerksam
machen, faßt allerdings die Sache bei der Wurzel. Eine stramme Discussion behalte
ich mir vielleicht fiir einen der nächsten Briefe vor, da ich im Augenbhcke niclit
ganz bei der Sache bin und doch etwas von mir hören lassen möchte. N'ur eins
will mir wahrscheinhch scheinen : daß nämlich der Gedanke, den Sie selbst auf-
gestellt und den ich mit Vorliebe verfolgt habe, der Gedanke: die math. Psych, hypo-
thetisch nach Art der Naturwissenschaft zu behandeln, mir immer bedenklicher
^) 3V2 S. 40. E. W.
86 Juni 1834.
wird. Denu jemehr man sich von den metaphysischen Beg-riffen losringeu will,
um desto mehr, oder desto leichter wenigstens, verwickelt man sich in scheinbare
Voraussetzungen, die haltlos sind. Jetzt nun für diesmal blos von äußerlichen Dingen.
Es folgen zwei Preislisten von Härteis und von "Wiek. Vorrath von eigner Fabrik
ist bei beiden jetzt nicht vorhanden, der Absatz ist unausgesetzt. Erst gegen
Michael werden wieder Instrumente zu finden seyn. Was Härteis (?) betrifft, so habe
ich selbst einen Brief aus dem warmen und feuchten Neu-Orleans gelesen, wohin
sie vorm Jahr 84 Stück geliefert hatten, und wo man mit der Haltung sehr zu-
frieden war, und eine neue Sendung anschrieb. Die Güte der von Wiek's eigner
Fabrik kenne ich nicht genauer. "Wenn Sie ernstere Absichten haben, würde ich
mit einem Fortepianokenner die Instrumente prüfen. Der Zoll für Hannover soll
1 Gr. pro Pfd, also circa 16 Thlr, betragen.
Nehmen Sie von "Wiek ein echt "V^''iener Instrument, so haben Sie auch
blos diesen Zoll zu entrichten: der Verkauf ab Leipzig gilt dann für Transite.
Die Physharmonica werden nicht mehr gebaut, da Fuchs in Wien todt und bisher
Niemand der Bau gelungen ist. "Wiek hat noch ein einziges Exemplar zum
Verkauf.
Nun von Strümpell. Er hat mir selbst vor ein paar Tagen geschrieben,
wünscht aber von mir die Vermittlung einer Hofmeisterstelle und scheint sich in
sehr gedmckter Lage zu befinden, was mir recht bedauerlich ist. Ich will recht
gerne mich bemühen, wie ich kann; es kommt aber freilich alles nur auf glückhche
Conjuncturen an. Sie dagegen fragen nach der Habilitation hier in Leipzig. Auch
dies wiU ich beantworten. Erst vor einigen "Wochen hat eine Ministerialverordnung
die Habilitation wegen allzu großem Zudrang insbesondere auch unbemittelten Aus-
ländern zu erschweren gesucht, theils durch höhere Anforderungen, theils durch
größere Kosten. Wer bereits auswärts Dr. phil. geworden ist, hat erstens hier noch
nach altem Brauch pro nostrificatione 30 Thlr. zu entrichten. Dann wird ein Examen
mit besonderer Beziehung auf sein Fach angestellt |j, wofür 20 Thlr. zu zahlen ist.
Besteht der Candidat dasselbe, so wird der Candidat zu einer öffentlichen Probe-
vorlesung zugelassen, wozu die Facultät das Thema giebt. Genügt er in dieser, so
hat er nun eine Dissertation zu schreiben, drucken zu lassen und öffentlich zu ver-
theidigen. Sie muß mindestens 3 Bogen betragen. Der Dekan bekommt 1 Diic.
pro censura, die Pedellen auch einige Thaler, wie ich glaube, so daß der ganze Auf-
wand doch wol 100 — 120 Thlr. betragen mag. Ob Str. hier einen günstigen Wirkungs-
kreis finden wird, läßt sich natürlicli schwer bestimmen. Diesen Sommer, wo durch
die neu eingesetzte Quästur die Studenten zu prompter Bezahlung der Privatcollegien
angehalten worden sind, haben nur Krug und ich Privatcollegien zu Stande gebracht,
jener um den dritten Theil seines ehemaligen Honorars, ich bei unverändertem
Honorar, mit etwas mehr- als der Hälfte der früheren Zuhörerzahl. (Die Logik dies-
mal 45, Psychologie 18.) Weiße, Hartenstein, Billroth sind ganz leer ausgegangen.
Kehrt nun Clodius zu Michael zurück, und bekommen wir einen Nachfolger Krug's,
so lesen schon 7 philosophische CoUegien. Indeß könnte recht wohl ein so talentvoller
Mann wie Str. sich -Beifall erwerben, wenn er die Studenten zu behandeln weiß.
An Knigs Stelle denominirt sind Wendt, Weiße, Ritter. Recommandirt ist bei
dieser Gelegenheit Hartenstein, der der Facultät ein Schreiben eingereicht hat, in
dem er um Empfehlung an das Ministerium zu künftiger Berücksichtigung bittet.
und sich zu ihrer Philosophie bekennt. Ich vermuthe das Ministerium wird Rittern
zu gewinnen suchen, auf den es uns selbst aufmerksam machte. Was ich von
seiner persönlichen Wirksamkeit || gehört habe, macht mir nicht große Hoffnung,
daß er das philos. Leben auf unsrer Universität vermehren werde. Es wäre mir
Juni 1834. . 87
ein Feuergeist, wenu auch von ganz heterogener Richtung, lieber, dann würde doch
der Sinn für die Sache gehoben und die Opposition lohnte sich eher der Mühe.
Die Übersendung meiner nun im Druck vollendeten Schrift über die höheren,
numerischen Gleichungen wird mir jedenfalls bald Gelegenheit geben, Ihnen wieder-
holt zu schreiben. Ich empfehle mich daher auf baldige Erneuerung des Brief-
▼erkehrs für heute bestens — Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin in meinen
uiid meiner Frau Namen. Von ganzem Herzen der Ihrige Drobisch.
470. An Griepenkerl. i) Göttingen 20 Juni 1834.
So sehr ich bedauere, mein theurer Freund, daß Ihrem Schweigen
eine viel tiefere und schlimmere Ursache zum Grunde lag als ich errathen
konnte: so angenehm sind mir dagegen die übrigen Nachrichten, da ich
für Strümpelln nun doch Licht sehe. Er ist also mit Ihnen in gutem
Frieden I Und sein letzter Brief an mich war auch so geartet, daß ich so-
gleich etwas für ihn erlangen konnte. Der Disponent der Dietrichschen
Buchhandlung hat versprochen, ein erstes Heft von 10 — 12 Bogen zu
verlegen; dann w^erde nach dem Absätze geurtheilt werden wegen des
zweyten; und ich denke, es wird sich auch dazu Rath finden. Recen-
sionen wird Str. wohl Gelegenheit finden anzubringen, sobald er nur erst,
wie ich hoffe, in gemäßigtem Tone sich bekannt gemacht hat.
Wenn aber der Dr. iuris meinen letzten Brief in die Hände be-
kommt, worin ich ihm die übersandte Manuscript- Probe wiederschickte,
so ist das, glaube ich, nicht meine Schuld, — aber wohl auch nicht ge-
fährlich; nur der Sicherheit wegen könnten Sie Sich etwa gelegendich bey
Str. erkundigen, ob er meinen Brief mit dem Manuscripte, und mit der
Nachricht, daß die Dietrichsche Buchhandlung sein erstes Heft verlegen
will, bekommen habe?
Möge das Musikfest Sie erfreuen,- aber nicht lange aufhalten! Dort
ist wohl unmittelbar nur Zerrenner (der Consist. Rath) zu besuchen; aber
ich möchte wetten, daß Sie durch ihn oder andere Verbindungen mit dem
dortigen Oberbürgermeister — ich glaube er heißt Frank, — in Bekannt-
schaft treten könnten, der ein höchst wirksamer Mann seyn soll.
In Seesen werden wir doch wohl bald wieder zusammenkommen
müssen! Nicht daß ich an Ihrem Plane zum pädagog. Werke etwas aus-
zustellen wüßte, — ich kann nicht genug beurtheilen, inwiefern dieser Ent-
wurf das Mannigfaltige fassen werde, aber ich zweifle nicht an Ihrer Kunst,
ihn auszufüllen. Nur soviel ist klar, daß meine hiesige Lage eine Unter-
stützung durch mitwirkende Schriften durchaus fordert, wenn ich nicht
auch noch die letzten Jahre meines möglichen Wirkens veriierea soll. Der
hiesige Fleiß ist mir lange nicht exact genug, v/iewohl ich äußerlich ge-
nommen eben nicht in Veriegenheit bin; auch manche Einzelne unter
den Zuhörern ganz regelmäßig kommen. Mehr Zeit ist mir heute nicht
gegönnt. Ganz Ihr H.
471. An Drobisch.-) Göttingen 29 Juni 1834.
Mein theurer Freund! Heute nur wenige eilige Worte! Von Herzen
danke ich, daß Sie Ihres beschweriichen Übels ungeachtet (möge es für
') I S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann, S. 90.
*) I S. 8».
88 Juli 1834.
immer überwunden seyn!) mir doch nach meinem Wunsche Antwort ge-
schafft haben. Das Nebenblatt ist für Herrn Wiek; ich werde mir Glück
wünschen wenn ich die Physharmonica für den angegebenen Preis noch
bekomme, da für eine Zeitlang wenigstens diese Instrumente selten zu
werden drohen.
Wegen unseres freundschaftlichen Streits konnte mir wohl nichts will-
kommener seyn, als daß Sie Sich auf Metaphysik einlassen. Sie wissen
wohl, welche Accomodation es mich kosten müßte, meine psychologischen
Grundlehren dem Scheine von Hypothesen Preis zu geben, was sie für
mich nie waren noch seyn können.
Mit Strümpell — der sehr hülfsbedürftig ist! — scheint noch Alles
im weiten Felde zu seyn. Hartenstein muß mich ja wohl interessiren,
nachdem er sich deutlich für mich ausgesprochen hat. Möchte die Sache
in Ihrer Nähe nach Ihren Wünschen gehn! In meiner Nähe ist mir der
jetzige Stand wohl am bequemsten, und man thäte mir keinen Gefallen,
ihn von Leipzig aus zu verrücken. Denn wer weiß, was dann käme!
Ganz Ihr H.
472. An Strümpell. 1) Göttingen 3 juiy 1834.
Nur wenige eilige Zeilen! Ihr Manuscript ist von der Dietrichschen
Buchhandlung angenommen, und soll gegen Michael gedruckt seyn. Aber
die übrige Einrichtung behält sich der Verleger vor. Groß Octav, viel-
leicht auch lateinische Lettern, wird er nach seinen Äußerungen wohl be-
willigen. Nun ist der Titel die Hauptsache. Der Vorschlag muß von
Ihnen ausgehn. Hätte ich nicht gefürchtet mich einzumischen, so würde
ich etwa vorgeschlagen haben: „Erläuterungen zu Hbts philosophischen
Schriften, mit Rücksicht auf die dagegen gemachten Einwürfe.'' Vielleicht
aber wollen Sie, daß der Titel Ihre eigenen Abhandlungen anzeige. Man
könnte dem vorigen beyfügen: ,, nebst Abhandlungen verwandten Inhalts."
Dem steht jedoch Ihre Anzeige des Inhalts einigermaaßen im Wege, die
Einleitung, Abschnitte und Capitel angiebt, so daß man ein einziges be-
stimmtes Ganzes voraussetzen muß. Am meisten Rücksicht muß auf den
Umstand genommen werden, daß Sie noch mehrere Hefte wollen folgen
lassen. - Der Verleger wäre zufrieden, wenn Sie zwey Titel gebrauchten;
einen für das erste Heft allein, damit es als für sich ein Ganzes bildend
betrachtet werde; einen zweyten Titel für sämtliche Hefte. — Die Correctur-
bogen könnten Sie Sich nach Wolfenbüttel kommen lassen, es hält aber
auf. Eine letzte Durchsicht möchte ich wohl übernehmen, wenn Sie mich
nicht für Kleinigkeiten, die ich etwa übersehen möchte, verantwortlich er-
achten wollen. Auf die Dissertation geht der Verleger nicht ein.
Bey der Frau Geheimräthin von Grote zu Jühnde war ich Sonntags
vor 8 Tagen eingeladen. (Ihr Schwager ist mein alter Freund.) ^) Nach
Ihnen bin ich aber nicht gefragt worden, auch ist nicht auf baldige Ge-
legenheit zu rechnen. Es wäre gut, wenn Fr. v. Grote veranlaßt würde,
sich bey mir zu erkundigen. — Wo möglich antworten Sie mit nächster
1) S. A. Spitzner-Strümpell a. a. O., S. XXV.
*) Der Freih. von Richthofen.
Juh 1834. 89
Post, des Titels wegen; denn ehe dieser nicht bestimmt worden, sind Sie
mit dem Verleger nicht im Reinen, und kann der Druck nicht anfangen.
Seyen Sie guten Muthes! Der Ihrige H.
In Ihre Widerlegung des jungen Fichte habe ich hineingeblickt.
Den Ton finde ich passend. Sie konnten und durften nicht schwächer
schreiben. Das Fichtesche Buch kenne ich nicht; nach Ihren und Röers
Proben muß es wahrlich miserabel seyn. Gut wäre es, wenn Sie im
zweyten Heft etwas Klügeres von irgend einem Anderen vornehmen
könnten, so daß die Arbeit ihn zu widerlegen sich besser lohnte. Über-
haupt hoffe ich, daß für das zweyte Heft der Verleger wohl noch zu ge-
winnen sein wird; möchte nur Drobisch das erste irgendwo anzuzeigen
geneigt sein. — Haben Sie Antwort von Eichstädt?
473. An Strümpell. 1) Göttingen 7 jul 34
Ihr Titel ist angenommen; der Druck soll, wie ich höre, nächste
Woche beginnen. Aber das Wort „metaphysisch" bleibt weg. Es hat für
Viele so schlechten Klang, daß es drey Viertel von denen, die etwa das
Heft aufschlagen, sogleich zurückschrecken könnte. Überdies, warum wollen
Sie Sich die Hände binden? Warum soll das nächste Heft gerade nicht
metaphysisch seyn? Und diese Verneinung müßten Sie streng vesthalten,
wenn sich das erste durch jenes Beywort charakterisiert hätte.
Auch von Ihrer Dissertation lassen Sie uns ja für jetzt schweigen.
Hüten Sie Sich, m das Verhältniß zum Verleger irgend eine Spannung
hineinzubringen. Hüten Sie Sich, ihm etwas aufs Lager zu geben^ was
liegen bleibt. Ihre allernächste Angelegenheit ist nun nothwendig, daß
das zweyte Heft in derselben Verlagshandlung und mit denselben Lettern,
erscheinen könne.
Auf das erste muß das zweyte folgen, oder Sie erscheinen als ge-
schlagen. Hier dürfen wir nichts Abschreckendes in den Weg legen.
In dem zweyten Heft können Sie ja actenmäßig verfahren. Das ist
sehr bedeutend. Suchen Sie nur Ihre Feder so in Ihre Gewalt zu bringen,
daß Sie Alles deutlich, scharf und strenge heraussagen, ohne einen be-
leidigenden Ausdruck einzumischen. Diese Kunst ist hoch nöthig für
eine so lange und nachhaltige Polemik, wie Sie begonnen haben und vor
sich sehn. Nennen Sie jede Person so selten als möglich, sprechen Sie
immer von der Sache.
Und jedenfalls rüsten Sie das zweyte Heft so bald als möglich. Dann
werde ich sehn, was sich thun läßt.
Wenn Eichstädt schweigt, so ist ungewiß, ob er die Rec. annimmt.
Kommt aber eine andere zum Vorschein, so bitte ich um Nachricht; ich
lese seit lange keine Lit. Zeitung. Vielleicht finde ich Gelegenheit, Ihnen
dies Verhältniß einzurichten, wenn erst Ihre Schrift erschienen ist. — Mir
verbrennt die Hitze die Collegien. Die wenigen Zuhörer sitzen wie ge-
kocht. Indessen, — etwas ist doch schon geschehn ; — und von Königs-
berg aus wäre es nimmer geschehn. Für heute nur noch ein herzliches
Lebewohl! H.
^) S. A. Spitzner. Strümpell a. a. O,, S. XXVH.
90 Juli 1834.
474. An Drobisch. ^) Göttingen 7 Jul. 34.
Mein theurer Freund! Daß ich oline Ihre Antwort zu erwarten,
schon wieder ein paar Zeilen an Sie schreibe, ist doppelte Zudringlichkeit;
aber von der Sorte, die Sie gütig entschuldigen zu wollen versprochen
haben. Die Sache ist diese:
So eben habe ich für Strümpelln ein Manuscript, unter dem Titel:
„Erläuterungen zu H — s Philosophie, mit Rücksicht auf die Berichte, Ein-
würfe und Mißverständnisse ihrer Gegner", bey der Dieterichschen Buch-
handlung angebracht, welches unverzüglich soll gedruckt werden. Nun ist
mir gar sehr daran gelegen, daß Sie Strümpelln nicht allein lassen. Um
desto mehr, da dies Manuscript nur das erste Heft ist, dem, wenn der
Absatz es möglich macht, mehrere Hefte folgen sollen.
Es ist mir nun in jeder Hinsicht, zum Theil aber schon, um meine
fernere Mitwirkung darnach einzurichten, wichtig, baldigst zu wissen, wie
es mit Ihren Beyträgen steht? Ob, und wann dieselben zu erwarten sind?
Ihnen Selbst kann die Aufregung nicht gleichgültig seyn, die bey den
Gegnern entstehen wird; und fast möchte ich glauben, es wäre rathsam,
mit der Fluth zu schiffen. Tritt erst Ebbe ein, so wird es nachher wieder
bequem gehn.
Meinen letzten Brief, worin ich um die Phys-Harmonika bat, werden
Sie bekommen haben. Für jetzt — leben Sie herzlich wohl! H.
475. An Strümpell.-) Göttingen 13 Jul 1834
Ohne allen Zweifel sind die Bachmanniana gerade die Hauptsache.
Wenn Sie dem B. nur nicht versprochen haben, Sie wollen gegen ihn
schweigen falls Er schweige, — und das werden Sie ja nicht gethan
haben — so ist am besten, den Anhang damit zu beginnen, daß Sie
geradezu sagen, B.'s Logik sei Ihnen erst nach Abschluß des Vorher-
gehenden in die Hände gekommen, und könne nicht ungerügt bleiben.
Dann führen Sie die Thatsachen an, und sprechen darüber kurz und ernst.
Allein wegen des Verlegers, der eine Verlängerung des Manuscripts
schwerlich annehmen wird, ist folgendes nöthig.
Sie schreiben noch einmal an mich, als ob von dem Anhange noch
nichts- gesagt wäre. Und zwar schreiben Sie so, daß ich den Anfang des
Berichts dem Verleger zeigen kann. Sie fügen hinzu: „sollte der Herr
Verleger diese geringe Verlängerung des Manuscripts nicht gern sehen;
so muß ich die Druckkosten selbst tragen, denn dieser Anhang ist durch-
aus nothwendig. Einstweilen ersuche ich Sie, die Kleinigkeit für mich
auszulegen."
Dies werde ich ohne Weiteres übernehmen.
Übrigens i"st Wendt Decan, und wahrscheinlich Censor. — Auch
ist, wenn ich nicht irre, Ihr Manuscript schon in seinen Händen. Schicken
Sie nur baldigst den Anhang, so macht die Sache weniger Umstände,
als wenn es sich damit verzögert. Leben Sie wohl! H.
•) I S. 4*'- •
2) S. A. Spitzner-Strümpell a. a. O. S. XXVIII.
Juii 1834. Q^
476. Drobisch an H.') Leipzig 14. Juli lbü4
Hochverehrter, würdiger Freund! Auf Ihren heute') eingegangenen Brief
vom 7. d. beeile ich mich sogleich zu antworten, da die Übersendung meines Buches
über die höheren Gleichungen sich wol noch ein paar Wochen verzögern kaim.
Ihren Brief, die Physharmonika betreffend, habe ich erhalten, aber Sie doch hoffent-
lich auch die von mir couvertirten Zeilen Wieks an Sie nebst dem gedruckten Blatt
über die Physharmonika?
Was den Hauptpunkt anbelangt, so kann mich die in kurzem bevorstehende
Erscheinung von Strümpells Schrift, die ihrer Tendenz, ihrem Titel und selbst ihrer
Erscheinungsweise nach der meinigen so nahe verwandt ist, wol eher bestinmien,
zu zögern und abzuwarten, als zu beschleunigen. Als Echo die.'^er Schrift möchte
ich die meinige keineswegs erscheinen lassen. Hat ein andrer gethan, was ich be-
absichtigte, so kann ich meine Thätigkeit auf andre Weise zu brauchen suchen. Ich
muß also warten. Überdieß bin ich noch gar nicht so weit, daß ich einen Termin
des Druckanfangs bestimmen könnte. Ich kann kaum anders als nach Laune arbeiten.
Die Vorlesungen nehmen aUemal meine Aufmerksamkeit sehr in Beschlag, und in
dieser Zeit entstehen daher außer den immer neubearbeiteten CoUegienheften bei mir
nur Bruchstücke. Als Probe schicke ich Ihnen den einleitenden Aufsatz mit und
bitte bei der Rücksendung um Ihre Bemerkungen. Vor Ostern kann von meiner
etwanigen Schrift nichts erscheinen: dies sehe ich voraus, aber es scheint mir fast
nichtiger, die Fluth zu verlängern, als sie auf einmal anzuschwellen. Freilich stehe
ich insofern im Nachtheil als für den ungünstigen und allerdings unwabrtcheinlicheu
Fall, daß St.s Schrift beim Publicum nicht Anklang fände, die Herausgabe der
meinigen noch bedenklicher würde. Doch das sind curae de futuro, die auf sich
beruhen mögen, unterdessen will ich mir doch wieder ein paar Fragen erlauben.
In den flauptpuncten der Metaph. wurden die Widersprüche in den Hauptbegriffen
d. Erf. so dargestellt, daß sie auf der Identität entgegengesetzter Glieder beruhen
sollten. In d. allg. Metaph. B. 2 finde ich dagegen den Ausdruck ,,Emheit ent-
gegengs. Gl.', angewandt. Ich bitte um Auskunft über den Grund dieser Änderung.
Der frühere Ausdruck scheint mir allerdings bestimmter, zumal da mit dem Worte
Einheit wol viel Mißbrauch getrieben worden ist. Hiemit wechselt nun noch der
-Ausdrack „Hervorgehen" ab, z. B. „die Folge soll aus dem Grunde hervorgehen".
Ein Ausdruck ist im Einzelnen allerdings bequemer als der andre. Aber bei der
Darstellung des Allgemeinen ist es doch gut, einen bestimmten Ausdruck fest
zu halten.
Sodann über das Problem der Veränderung. Wenn abc in abd übergeht,
so haben beide eine und dieselbe Substanz S und in Gemeinschaft mit dieser so
viele Gruppen von Realen als Merkmale da sind, aber das Vorhandenseyn eines
andern Merkmals bringt im Allgemeinen auch die Setzung andrer Realer hervor.
Nenne ich also die um c willen gesetzten Wesen C -j- C' -j- C" etc. und die um d
willen D -f D' + D" etc., so ist wenigstens keine Nothwendigkeit vorhanden, ob-
gleich es möglich, daß eins der D einem der C gleich sey. Da ich aber absolut
gesetztes nicht aufheben kann, so kann ich nur die Gemeinschaft der C lösen und
die Gemeinschaft der D an die Stelle treten lassen. Dies wäre eine Behandlung
des Problems der Veränderung mittels des aufgelösten Problems der Inhärenz.
Halten Sie diesen Versuch für zulässig? Ich hoffe es.
Femer erinnere ich mich in Weimar dunkel einer Bemerkung von Ihnen, die
ich mir zu verdeutlichen bitte. Mir ist als hätten Sie gesagt, daß mit dem Begriff
^) 27, S. 40. H. Wien.
*) Dies war d. 10. Jul. die Beendigung des Briefes verzögerte sich aber.
Q2 Juli 1834.
der Veränderung auch der der Zeit entstehe, was ich nicht recht weiß, wie es
gemeint seyn sollte, da Sie sonst in der Ontologie Zeitbestimmungen sich einschleichen
zu lassen sehr verhüten. Es war nämlich in Weimar die Rede davon, daß sich
vielleicht aus dem Begriff der Selbsterhaltung der der Zeit vollkommen deutlich
eUminiren lasse, wodurch für die Fortdauer der Vorstellungen eine ontologische
Deduction gefunden seyn würde. Darf ich wol bitten, hier einigen Zusammenhang
in meine Vei-wirrung zu bringen.
"Wenn über Krugs Nachfolger entschieden seyn wird, will ich recht froh seyn.
Es ist doch ein schwankender Zustand und das Studium der Philos. nimmt bei
diesem Interim nicht zu. Auch weiß ich nachher erst recht deutlich, was ich zu
thun habe. Für jetzt habe ich mit Treue meine Thätigkeit auf Philosophie zu con-
centriren die Absicht und kann dieselbe ausführen, so lange noch leidliche, besuchte
PrivatcoUegien mich aufrecht erhalten. Sollte dies künftig anders werden, so könnte
mich die eiserne Nothwendigkeit freilich wieder zu Rückschritten treiben, da mit
philosophischer Schriftstellerei nichts zu erwerben ist. Doch an eine solche Zu-
kunft will ich jetzt noch nicht denken. Wundern Sie sich übrigens nicht, daß ich
auf solche Gedanken komme: ich habe soeben den Antrag eines Buchhändlers, eine
neue Ausgabe von Schubert's populärer .\stronomie zu veranstalten, abgelehnt und
unsre Staatsökonomie erinnert mich daran, daß eine Zeit kommen könnte, wo ich
so etwas nicht mehr ablehnen darf.
Wenn Sie mir wieder ein Brief chen senden, darf ich wol auch einmal um
gefällige Nachricht über das Befinden Ihrer Frau Gemahlin mir erbitten. Ich und
meine Frau grüßen sie ehrerbietigst.
Mit innigster Ergebenheit der Ihrige Drobisch.
477. An Drobisch. 1) 1834
Wollen Sie erlauben, mein theurer Freund! daß ich auf Ihre sehr
gütige Mittheilung ganz offen, und nach meinem Sinne antworte? So frage
ich bloß : Warum ist dieser Aufsatz nicht schon gedruckt ? Worauf
warten Sie?
Daß Strümpell für Sie keine Collision ist, versteht sich von selbst.
Er kann und darf noch nicht schreiben wie Sie. Wohl aber kann seine
Dreistigkeit Diesem oder Jenem manches vorrücken, was Sie nicht thun
würden; er kann mitwirken, während Sie in aller Würde die Personen
ignoriren und nur von der Sache reden. Übrigens habe ich gm kernen
bestimmenden Einfluß auf sein Manuscript ausgeübt, als nur warnend, er
möge sich selbst nicht schaden!
Eben so will ich mir kein Wort über das Einzelne in Ihrem Auf-
satze erlauben. Daß aber das Ganze gerade dasjenige enthält, was ich
wünschen mußte, dies liegt unmittelbar vor Augen.
Meines Erachtens sollten Sie nun nicht eine einzige Woche mehr
zögern. Dieser -Aufsatz hier ist schon eine Schrift für sich allein. Können
Sie noch Einiges beyfügen, desto besser. Abbrechen können Sie wo Sie
wollen. Ihr Reden ist unfehlbar von Wirkung; Ihr Schweigen ein reines
Uebel.
Wenn Sie noch warten: so giebt es in Ihrer Nähe bald Verhältnisse
und Rücksichten, denen Sie schnell zuvorkommen sollten!
') 2 S. 4
0
Juli 1834. Q-
Eben jetzt erscheinen die posthuma von Fichte und Schleiermacher.
Eilen Sie; eine Flugschrift jetzt, wirkt mehr als ein Werk späterhin; —
und schafft Ihnen wie mir, was wir beyde brauchen — nämlich Zuhörer.
Deren habe ich noch eine leidliche Zahl; aber wieviel sicherer stünde
Alles, wenn auch nur dieser Ihr Aufsatz gedruckt wäre! Was die
Gegner betrifft; so halte ich schon diesen kleinen Aufsatz für hinreichend
um mit Ihnen ins Gleichgewicht zu treten, wenn er jetzt erscheint, jj
Weit mehr und stärkeres würde ich sagen , wenn ich nicht fühlte,
daß ich nicht Rathgeber seyn soll; wo ich Parthey bin. Dies aber will
ich sagen: meine Ansicht von meiner eignen Lage ist so, daß ich im
höchsten Grade Ihre Mitwirkung wünschen muß; und gerade so, wie in
diesem Ihrem Aufsatze. Aber auch eine Differenz mit Ihnen würde ich
nicht fürchten. Weder Ihnen noch mir würde es schaden, wenn eine
solche zum Vorschein käme. Der Sache könnte es einigen Nachteil
bringen; daher ist allerdings gemeinsame Überlegung im Voraus gepflogen,
am besten. Aber unendlich größer ist der Schaden, wenn Sie um irgend
welcher Bedenklichkeit willen — schweigen. — Das — ich wiederhohle
es — ist ein reines Übel ohne Maaß.
Die wissenschaftlichen Bemerkungen in Ihrem Brief scheinen mir
richtig; doch genau prüfen kann ich jetzt nicht, denn ich habe auf einer
kleinen, ermüdenden Reise ein paar Nächte fast schlaflos zugebracht. —
Was Sie von der in der Ontologie vermiedenen Zeitbestimmung sagen,
ist richtig; aber die in gegebener Veränderung liegende Zeit, giebt der
Synechologie den Stoff. Damit gewinnt aber die wichtige Frage von der
Fortdauer der Selbsterhaltung — nämlich ob diese rein ontologisch zu
beweisen sey? — kein Licht. Überlassen wir das ruhig der Zukunft;
mich wenigstens plagt dieser Gegenstand nicht.
Meine Frau, nach der Sie Sich gütig erkundigen, ist leidlich wohl;
nur noch immer verdrieslich auf Göttingen. Nachrichten von Ihrer
Frau Gemahlin würden uns beyde erfreuen: ich bitte um meine beste
Empfehlung.
Die Phvs-Harmonika erwarte ich täglich, da Hr Wiek von Zahlung
nach dem Empfang schreibt. Oder soll ich gleich das Geld schicken ?
Mag er nur bestimmen: und dann wegen Verpackung und Fracht die
Sorge übernehmen; diese muß ich ja nothwendig ihm überlassen. Aber
hoffentlich ist das Instrument schon unterwegs.
Herzlich der Ihrige! H.
4:78. Drobfsch an H. ') Leipzig 31. Juli ?A
Mein hochverehrter würdiger Freund I Ihr letzter Brief (ohne Datum) hat
einen sehr belebenden Einfluß auf mich gehabt. Zwar werde ich Ihnen immer
noch viel zu träge seyn, aber schneller kann ich nicht. Ich bin entschlossen, den
Aufsatz, den Sie gelesen, fräher drucken zu lassen, als ich erst beabsichtigte, frei-
lich nicht allein: dann käme mir die Gabe doch gar zu mager und dilettantisch vor.
auch würde es an Sticheleien dariiber von den Gegnern nicht fehlen, sondern ich
denke 3 Aufsätze zusammenzunehmen und ihnen den Titel: Beiträge zur Orientirung
über Herb.s System der Philosophie zu geben. Der 2te Aufsatz ist bereits bis auf
*) 4 S. 8". H. V.
94 J'^^i 1834-
ein paar Seiten dmckfertig und ist eten 'so läng -wie der erste. Er handelt von
wissenschaftlicher Einheit und Architektonik. Der dritte soll die Möglichkeit der
uiathemat. Psychologie zum Gegenstande hahen, er wird kürzer werden. Jede
entbehrliche Stunde wende ich auf diese Arbeit, sie soll sobald als möglich erscheinen,
aber Übereilung muß ich zu verhüten suchen. Sie würde größeren Schaden als
Nutzen bringen — Ihnen wie mir.
Meine Schrift über die Gleichungen wird nun wol bei Ihnen angekommen
seyn (Durch Ditrich). Es ist das corpus delicti, das mich lange nicht hat zu ernst-
licher, philos. Beschäftigung kommen lassen. So vielmals || habe ich mich mit dieser
Arbeit entschuldigt, daß Sie hätten denken können, es sey etwas recht "Wichtiges
dahinter. Indeß eben kostet das Mittelmäßige wegen der Aufmerksamkeit auf die
Form und das Äußerliche fast ebensoviel Zeit wie das Bedeutende, und ich habe
überhaupt Ursache, auf mich Acht zu haben, daß ich die Form nicht zu hoch
anschlage.
Kann es Sie interessiren, wenn ich Ihnen erzähle, daß mir vor kurzem der
Cultusminister antwortete, als ich ihm mein Buch geschickt und die baldige Er-
scheinung eines philosophischen Versuchs angezeigt hatte: ,,uur so viel bemerke
ich, daß ich ebenfalls Herbarten sehr hoch schätze und an der Stelle des preuß.
Cultusministers ihn nicht würde haben nach Göttingen gehen lassen?''
Wegen der Physharmonica bin ich bei Wiek gewesen. Er hat noch einmal
bestimmte Ordre von Ihnen erwartet. Ich würde diese sofort gegeben haben, wenn
nicht noch unterdessen sich eine 4füßige Ph. H. eingefunden hätte, die für 50 Thlr.
käuflich ist. "Wiek sagte zwar, an Kimstwerth stehe sie dem größereu "Werke nach.
Ich finde aber den Ton angeuehmer, zumal für ein bloses Zimmer. Jene klingt
orgelmäßiger und paßt besser fiir einen Saal, diese scheint mir mehr einen ge-
mäßigten, sonoren, lieblichen Ton zu haben. "Wiek gestand das zu, wollte aber be-
haupten, daß die kleine etwas schwerer anspreche. Als Ultimatum stellte er auf,
es komme alles darauf an, ob Sie das Instrument mit oder ohne Pianoforte be-
handeln wollten. Im erstem Falle sey das kleinere Instrument unbedingt vorzuziehen.
Schreiben Sie mir nun darüber und das Instrument soll baldigst in Göttingen seyn.
Unser Billroth,') der Vf. der Hegel'schen trchulgrammatik kommt zu Michael
als Prof. philos. extraord. nach Halle. Zum Scherz muß ich Ihnen erzählen, daß
"Weiße neulich bei mir einen Stock hatte stehen lassen, an dem die Zwinge fehlte
und der Knopf wackelte. Ich präsentierte diese Reliquie einigen, vertrauten Freunden,
zu deren großer Ergötzung, als ein Bild der "Weisse'schen Philosophie.
Haben Sie die Schrift Ihres Nachfolgers „Hegel" gelesen? Wendt figuriert
darin als Hegelianer. Rosenkranz hat übrigens den besten Styl unter jenen Herren,
so weit ich sie kenne, aber unverschämt grob und ungezogen ist er in der genannten
Schrift, wiewohl der Rücken, auf den die Schläge fallen (Bachmann) sie vertragen
kann. Doch 'genug der gelehrten Klatscherei. Lassen || Sie uns bald wieder von
Sachen reden.
Meine Frau befindet sich nach Umständen, und besonders, so weit es die Hitze
erlaubt, wohl und grüßt auf das freundlichste.
Eine kleine Schaar (6—8) erwarten für künftigen "W^inter mit Verlangen Vor-
lesungen über die mathem. Psychologie. Ich denke dabei viel zu lernen. Übrigens
lese ich noch Metaphysik und will sehen, ob ich es bis zur Naturphilos. bringe, die
ich jetzt auch schon mit andern Augen ansehe als früher. —
Da nun meine Schrift zerrissen wird, so könnte aus dem was übrig bleibt
wol geradezu ein „Grundriß der Metaphysik nach H. nebst erläuternden Aufsätzen"
') J. G. Fr. ßillroth (1808-1836), Anhänger Weißes.
August 1834. 95
werden. Sie sagten ja in Weimar, solche Paragraphen würden recht nützlich seyn
für Vorlesungen; und ich verspreche mir auch noch etw-as von ihnen für die Über-
sicht des streng systematischen Zusammenhangs und der Einheit des Ganzen.
Mit unveränderter Hochachtung und Freundschaft der Ihrige Drobisch.
479. An Drobisch. 1) Gattingen 10 Aug 34
Mein theuerer Freund! Zuerst ein Wort wegen der Phvsharmonika.
Zu der zweifelhaften Wahl kommt der böse Umstand, daß mir eine Geld-
zahlung von Königsb. her ausbleibt, die ich posttäglich zu erwarten volles
Recht habe. Möchte doch . Hr. Wiek zum Warten geneigt seyn ; sollte
ich auch nachmals mehr zahlen. — Ein Fortepiano habe ich schon hier
gekauft. Ist es gleich schwerlich einem Wiener gleich zu schätzen, so
habe ich doch nicht bloß Fracht und Risico des Transports gespart,
sondern auch für mögliche Fälle den Instiumentenmacher in der Nähe;
auch konnte ich den Kauf eines wirklich guten Instruments, das ohne
meine Bestellung doch in der Hoffnung es mir recht zu machen gebaut
war, nicht füglich ohne Schein des Eigensinns ablehnen. Die kleinere
Physharmonika ist durch Hrn. Wiek etwas übel notirt, da er sorgt daß
sie schwer anspreche. Warum kommt sie hintennach zum Vorschein? ists
vielleicht ein erster Versuch eines minder geübten Künstlers? — Kommt
das Geld, so werde ich mich näher erklären; vielleicht erfahren Sie auch
unterdeß mehr.
Nun zur Hauptsache. Ihr gütiges Geschenk habe ich empfangen.
Aber wann komme ich zum Studieren? Das weiß der Himmel. Meine
Gesundheit wankt immer; und den Rest von Kräften verzehren die Vor-
lesungen. Und — verzeihen Sie die Frage: was bedurfte mehr Ihrer
Hülfe, die Theorie der Gleichungen, die sich ohnehin in guten Händen
befindet, oder — —
Vor ein paar Wochen begann ich einen Brief mit den Worten an
Sie: res est in celeritate posita; den zerriß ich. Jetzt wenigstens ein
andres Sprüchlein:
Quod manet infectum, nisi tu confeceris, ipso
Mandatum a summo tu tibi crede Deo.
Lassen Sie Sichs nicht irren, daß es Hr. von Haller ist, dem das Motto
gehört. Seine Gegner können nicht leugnen daß er gewirkt hat, und daß
sie allerdings eine Gegenwirkung nöthig gemacht hatten. Doch besser
paßt es für Sie als für ihn.
Wer ist Ihr Cultusminister? Ists Hr. v. Lindenau? Dessen Beyfall
ist etwas werth; und jedenfalls scheint mir seine Aeusserung an Sie be-
deutend für Sie. Bey ihm werden Sie Sich nicht compromittiren. Und
— wenn Krugs Stelle Ihnen lieb wäre, — mich dünkt, Sie könnten ihn
zum Warten mit der Besetzung disponiren, bis Ihre Schrift — vielleicht
nicht bloß die kleinere, sondern auch der Grundriß zur Metaphysik fertig
wäre. Weiß dieser Minister etwas von mir: so weiß er wahrscheinlich
auch, daß || Ihnen ein neuer College nicht eilig Noth thut; und daß ihm sehr
viel auf den persönlichen Charakter des Lehrers der Thilos, ankommen
') 2 S. 4"-
g6 August 1834.
muß, der einerseits nicht schwach, andererseits nicht vom literarischen
Ehrgeiz besessen seyn muß. Ihnen scheint seine Aeußerung den Mund
öffnen zu wollen.
Sie erwähnen der Naturphilosophie. Da habe ich Sie lange erwartet;
und bin nun sehr begierig das Weitere von Ihnen zu hören; ich bin
eben dabey, sie vorzutragen, und glaube mit der Lehre vom caloricum
schon guten Eingang bey sehr aufmerksamen Zuhörern erlangt zu haben;
jedoch habe ich der Sicherheit wegen einen Riegel vorgeschoben, nachdem
die allgemeine Metaphysik geschlossen war, damit man nicht diese anklage,
wo jene noch schwache Seiten zeigt.
Strümpells Schrift ist unter der Presse. Der Anhang: Bachmanniana,
mag immerhin mit Hrn. Rosenkr. zusammen wirken; die Misgriffe, die
Strümpell dem B. nachweiset, sind kaum zu verzeihen.
Weiter kann ich heute nicht mit meinem wüsten Kopf; ich muß ins
Freye. Möge Ihre Frau Gemahlin Ihnen in diesen Monaten keine Sorge
machen, damit man Ihnen bald einen recht heiteren Glückwunsch bringen
dürfe! Leben Sie recht wohl! Ihr H.
480. An Schubert. Göttingen 10. August 34
Mein hochgeehrter Herr College! Zwar nöthig war es nicht, um
mich an Königsberg zu erinnern, daß uns die Frau Prof. Eisner gestern
besuchte, — aber da es geschehen, und da die Trauer um meinen Arzt
sich mit mancher Sehnsucht anderer Art verbunden eben lebhaft in mir
regt, paßt es sich um so besser, daß ich gerade heute an Sie schreibe.
Einen Arzt habe ich nun wohl wieder gefunden in der Person unseres
trefflichen Conradi, aber ich habe ihn auch nöthig; und sehe doch nicht
ohne Sorge auf den Winter. Der Himmel hat mir gezürnt; alles was ich
nicht gut ertrage, mußte ich ertragen; im verflossenen Winter die heftigsten,
hier ganz ungewöhnlichen Orkane; im Frühling unaufhörhchen Nordwind,
der mich auf einer schlecht gelungenen Gesundheitsreise bis nach Darm-
stadt hinauf verfolgte (wo ich den trefflichen Schacht sprach, der Ihnen
durch seine politischen Kämpfe bekannt seyn wird,) und nun endlich die
wüthende Hitze, die mich und meine Vorlesungen versengte; denn fast
unmöglich wars, Nachmittags um 4 Uhr Einleitung in die Metaphysik zu
lesen — und zu hören. Das Ende davon ist, daß ich wieder meinen
bösen Husten habe, da bey ewigem Schwitzen die Erkältung fast so
wenig zu vermeiden ist als mitten im Winter. So gebts mir, während
hoff"entlich meine Herrn Collegen in Königsberg Ihre nicht genug zu
preisenden Hundstagsferien zur Stärkung im Seebade benutzt haben.
Sonst wäre Göttingen mir recht; und besonders an den treff~lichen
Dahlmann, den Sie mir mit verdientem Ruhme nannten, — an Marx
und einige Andre, würde ich mich wahrscheinlich schon näher angeschlossen
haben , wenn ich nicht zwischen fast beständigem Unwohlseyn und
dringender Arbeit in der Klemme stände. Die Arbeit rührt von den
Vorlesungen her. Man kann rechnen, daß die Somrnervorlesungen hier
doppelt so lang sind als die meinigen in Königsberg waren. Denn man
liest hier fünf Stunden die Woche; man fängt jede Vorlesung etwa fünf
Minuten früher an, da hier keine weiten Wege zu durchlaufen sind, und
August 1834. 97
man hat keine Ferien. Auf tüchtige Zuhörer muß man rechnen, die
keinen breit gezogenen Vortrag ertragen würden. Im Ganzen sind bey
mir die schwersten Collegien, Psychologie und Metaphysik, am regel-
mäßigsten besucht worden, welches unstreitig auf Göttingen ein rühmliches
Licht wirft, denn es zeigt, an was für Vorträge die jungen Leute hier ge-
wöhnt sind. Wenn Sie nun überlegen, was dazu gehört, um drey Vor-
lesungs-Pläne zu gleicher Zeit so auszudehnen, daß sie ohne Verlust an
Zweckmäßigkeit philosophischen Zusammenhang das vergrößerte Maaß ge-
hörig ausfüllen: so wissen Sie meine Arbeit.
Und der Gewinn dieser Arbeit? — Daß man auf einer Universiät,
wo Philosophie nie besonders hervortrat, wo sie vor meiner Ankunft fast
gänzlich zusammengesunken war (denn eher noch als Wendt hatten ein
paar junge Hegelianer ein kleines Publicum gesammelt) nicht auf einmal
das Wunder einer Umschaffung hervorbringen kann, versteht sich von
selbst. Es bleibt hier bey einem kleinen Kreise; obgleich der Name
Logik Anfangs ein ansehnliches Auditorium herbeizieht. Indessen bin
ich mit einigen recht tüchtigen und durchaus regelmäßigen Zuhörern sehr
zufrieden; und weiß überdies, daß die Federn von Drobisch und Strümpell
sich rühren. Nur: fünfzehn Stunden die Woche zu lesen, wie jetzt; das
werde ich schwerlich wieder unternehmen; im Winter bleibts bey dreyzehn.
Übrigens — während von Verhaftungen in Berlin fortwährend die
Zeitungen sprechen, haben wir hier Ruhe. Im Museum — eigentlich
einem Verein wie Ihre Börsenhalle, lesen Professoren und Studenten die
Zeitung, ohne einander zu stören. Merklich bürgerlicher ist der Ton von
Göttingen geworden, seitdem es von Grafen und Baronen wenig bevölkert
ist. Wären nur die Fremden zahlreicher! Doch fehlen sie nicht ganz;
ein paar Straßburger, ein paar Schweizer, ein Nordamerikaner, ein paar
Engländer, glaube ich, ein ungarischer Graf, — das sind einige Spuren
an denen man die ehemalige Universalität noch wieder erkennt. Zwischen
Berlin und hier wird hin und her gewandert. Wäre ich gesunder als ich
bin, so wäre ich zufrieden; und würde selbst hoffen, allmählig auch meine
Frau mit Göttingen auszusöhnen, was freylich sehr schwer hält.
Nun wünschte ich wohl, recht viel von Königsberg zu erfahren, —
wäre es auch das, daß mich dort die Hegeische Schule schon verdrängt
habe. Was macht Sachs? Immer hoffte ich auf ein Geschenk »mit der
Schneckenpost«, was Taute mir angekündigt hatte, aber es kommt nichts.
Was macht Lobeck? Was — ja wieviel wäre zu fragen! — Nothwendig
muß ich noch anzeigen, daß die kleinen Quitungen, die Sie mir nebst
dem Betrage gütig sandten, von der Universitäts- Gasse sind abgefordert
worden. Zugleich verlangte dieselbe meine Quitung über die rückständigen
100 Thlr vom Rhodianum. Die Quitung habe ich eingesandt, das Geld
aber ist noch nicht hier. Der Brief von der Universitäts -Gasse ist von
dort am 4. Juli abgegangen; ich habe ihn ein paar Tage nach der An-
kunft beantwortet; vielleicht dürfte ich Sie bitten, der Sache einmal nach-
zufragen, damit ich wenigstens Gewißheit habe, daß meine Quitung an-
gekommen und genügend abgefaßt befunden worden.
Von Tautes Schicksal wünschte ich nicht bloß durch ihn selbst,
sondern auch durch Sie das Nähere zu erfahren. Leider hat er zu lange
Herbarts Werke. XVIII. 7
g8 August T834.
gesäumt; warum könnte es ihm sonst nicht wenigstens eben so gut
glücken als jetzt dem ehemals ganz verstoßenen Beneke? — Wo möglich
schreibe ich ihm noch heute. Mit unveränderter Hochachtung
ganz der Ihrige! Herbart.
Eben diesen Augenblick kam der Arzt. Da ich einmal über meinen
Gesundheitszustand in diesem Briefe geklagt habe, so muß ich ja wohl
zur Steuer der Wahrheit hinzusetzen, daß der Arzt von keiner Besorgniß
hören will. Sehr sorgfältig ist er; und durch den Winter hat er mich
glücklich genug hindurchgeführt, also muß ich ihm wohl glauben.
481. Drobisch an H.^) Leipzig, d. 18. Aug. 34
Mein hochverehrter edler Freund! Besten Dank für das Kernsprüchlein; es
enthält einen ßath, der nie fehlleiten kann. Ich freue mich aber sagen zu können,
daß ich schon längst darauf gedacht habe, künftig wo möglich nur das zu thun, was ich
mindestens besser als andre thun zu können hoffen dürfte. Äußerungen von Göthe
nach seiner Rückkehr aus Italien haben mich besonders ernst dazu ermahnt. Nun
kann ich Ihnen denn auch melden, daß ich vorgestern das Ende des Anfangs vom
Anfang in der philosophischen Schriftstellerei gemacht, nämlich die Vorrede der
kleinen Schrift über Ihr System beendigt habe, und dies geschah recht feierlich
Nachts in der 12ten Stunde des Tages mit dem sich mein 32stes Lebensjahr schloß.
Eine neue Aera ist also festlich eingeleitet. Heute ist das Manuscript in die
Druckerei gewandert; es wird etwa 5 Bogen geben. Es trägt von Anfang bis Ende
nur den Charakter der Popularität und ich habe in der Vorrede versprochen auf
Tieferes künftig einzugehen. Vielleicht kann ich Ihnen schon in weniger als 3 "Wochen
ein Exemplar schicken.
Was mein Buch über die Gleichungen betrifft, so erwarte ich ganz und gar
nicht das Studium desselben von Ihrei- Seite; es Hegt Ihren Zwecken zu fern. Aber
schmälen Sie nur nicht, daß ich den Gleichungen Zeit und Kräfte gewidmet. Dies
wird auch für die Philosophie in gewisser Beziehung nicht verloren seyn. Ich
wollte ein Buch schreiben, das mir bei den Mathematikern und bei allen denen, die
nur auf positive Wissenschaften etwas geben, werm auch nicht Ansehen, doch Ach-
tung verschaffen, mit dem ich mich als Professor der Mathematik besser als mit
den vereinzelten bisherigen kleineu Schi'iften legitimiren könnte. Sollte dies ge-
lungen- seyn, so wird dann auch mein Wort in der Philosophie besser gelten, auf-
merksamer gehört werden. Der Gedanke war mir unerträglich, von den Mathe-
matikern den Philosophen zugeschoben und von diesen jenen wieder zurückgegeben
zu werden. Das scheint nun nicht mehr zu befürchten zu seyn. H. v. Lindenau,
der doch ein Kenner der math. Wissenschaften ist, hat mir über mein Buch einen
sehr aufmunternden und mir erfreulichen Brief geschrieben. Heute aber habe ich
einen von Gauß erhalten, der meine Erwartungen sehr übertroffen hat. Denn nicht
nvb-, daß er dem Werk im Allgemeinen seinen Beifall bezeugt, so oft er auch dabei
auf mehrere interessante wissenschaftliche Erörterungen, ja sogar auf eine Ver-
theidigung einer ihm, wie er fälschlich meint, von mir gemachten Beschuldigung
eingegangen, die mir doch zeigt || daß er mich nicht für einen Dilettanten sondern
für einen Menschen sui generis ansieht. Mehr wollte ich gar nicht von diesen
Herrn. Und dann freut mich an Gauß doch auch, was er in dem Briefe wiederholt
anführt, daß er philosophischen Geist, daß er Metaphysik der Mathematik keineswegs
1) 2 S. 40. H. Wien.
August 1834. gg
gering schätzt, vielmehr selbst Forderungen dieser Art immer mit fcjtrenge zu er-
füllen sucht. Freilich von einer Theorie der imaginären Größen bis zur mathemati-
schen Psychologie ist noch sehr weit, und ich fürchte ihn da so schroff zu sehen
wie andre, aber ein solcher Empiriker, wie Ihr berühmter, früherer College B[essel?]
ist er in den mathematischen Theorien nicht. Im Vertrauen auf Ihre Güte habe
ich ein paar ZeUen an Gauß beigelegt, die Sie wol gefälligst besorgen lassen?
Lindenau ist nicht Cultminister . sondern Dr. Müller, ein Mann von \-ielem
Wohlwollen, dem indeß etwas weniger Lenksamkeit zu wünschen wäre. Sein Ur-
theil schrieb ich Ihnen nicht sowohl als eine Anerkennung, die für Sie von einigem
Werth seyn könnte, als vielmehr nur, um Ihnen wissen zu lassen, wie man bei
unsrer Regierung über Sie denkt. Sofern Sie aber an mich noch bei Krug's Stelle
denken, so kommt das wohl zu spät; man hat mich heute versichert, Eitter in Kiel
sey erworben. Es hat mich nicht betroffen gemacht, ich werde thun quod manet
infectum nisi ipse conficerem. Zunächst werde ich sehen, ob ich zum Winter Zu-
hörer finde. Vor Ostern wird R. doch wol schwerlich hier antreten. Die Neuheit
wird ihm anfangs Zulauf verschaffen, hat er aber, wie man sagt, einen schläfrigen
Vortrag und ermangelt er der Fähigkeit anzuregen, so denke ich, das wird nicht
lange unbemerkt bleiben n. s. w. Aber auch wenn ich nicht mehr Vorlesungen
zusammenbrächte, Avürde ich doch über Philosophie zu schreiben fortfahreji. —
Was machen denn die pädagogischen Briefe? Sie sind mir ganz besonders wegen
der zu erwartenden weitern mathematisch - psychologischen Entwicklungen wichtig,
mit denen ich gar gern bekannt werden möchte.
Haben Sie schon in der I. L. Z. die Recens. Ihrer Einleit. 3. Aufl. gelesen?
Es ist ohne Zweifel ein befreundeter Rec. sogar wol am Ende ein Schüler. Ich
erwarte noch den Beschluß. Er sagt viel Ti-effendes, aber darin scheint er Unrecht
zu haben, daß er sich schmeichelt, mit der Anerkennung des Gegebenseyns der
Formen sey eigentlich der Idealismus schon entkräftet; er ist es ja noch nicht ein-
mal durch die ganze Ontologie. Mit dem Gegebenen sind wir noch nicht einmal
bei dem Realen.
Man hätte denn schon in der Lehre vom Gegebenen die ganze Metaphysik in
der Tasche und alles Folgende wäre bloßer Luxus. Ich breche ab, um noch diesen
Brief heute absenden zu können und empfehle mich zu fernerer Freundschaft
Ihi- aufrichtigst ergebener M. W. Drobisch.
482. An Drobisch. i) Göttingen 24 Aug 34
Unverzüglich nach Empfang Ihres Briefes, mein sehr verehrter Freund!
muß ich Ihnen mit Bedauern wegen Ihrer doppelten Mühe und wegen
der Zögerung, die Einlage zurücksenden. Sie sehen das Misgeschick vor
Augen. Ihr Siegel klebte am Couvert; es war nicht möglich die Einlage
herauszuziehn. Daß ich diese nicht habe lesen können, zeigen zwar die
kleinen Reste des Siegels; aber ich kann nicht füglich über dergleichen
mit Gauß reden; und Sie werden in Beziehung auf ihn die Form be-
obachtet wissen wollen.
Uebrigens bin ich froh, daß Sie meine Aeußerung wegen Ihres Werkes
über die Gleichungen nicht übel deuten. Möge Ihnen das Werk überall
gebührend verdankt werden.
Herzlichen Dank für die Beschleunigung Ihrer Feder in meinen An-
gelegenheiten! Jetzt darf ich wohl hinzusetzen: ich war wirklich etwas
») 2 S. 8».
lOO August 1834.
besorgt, Sie Selbst möchten Sich von Strümpells Schrift nicht angenehm
berührt finden, wenn dieselbe schien, Ihnen vorzugreifen. Sie behalten
nun sicherer den Faden weiterer Entwickelung in der Hand; unabhängig ||
von den Eindrücken die Strümpell im Publicum machen wird.
Uebrigens ist höchst wahrscheinlich die Recens. von ihm, die Sie
in der I. A. L. Z. gefunden haben. Denn daß er — ohne mich vorher
zu fragen, eine solche aufs Gerathewohl an Eichst, geschickt, — dies hat
er mir geschrieben.
Ob und was aus den pädagog. Briefen werden wird? weiß der
Himmel. Meine Gesundheit schwankt, und die ungewohnte Arbeit —
15 Stunden wöchentlich zu lesen ohne Sommerferien — dabey die Hitze,
— das Alles erschöpft mich. — Inzwischen muß ich im Winter Päda-
gogik lesen.
Entschuldigen Sie gütig die höchste Eile dieser Zeilen! Mit den
besten Wünschen für Sie und Ihre Frau Gemahlin der Ihrige! H.
483. Drobisch an H.^) Leipzig, d. 26. August 34
Ich. kann nicht nach Göttingen schreiben, mein hochverehrter Herr und Freund,
ohne an Sie ein paar Zeilen zu richten. Daher wage ich es lieber noch einmal,
daß das Siegel anklebt und mein Brief an Gauß in tragikomischer, aber mit diplo-
matischer Genauigkeit conservirter Gestalt zurückkehrt, und so incommodire ich
Sie auch wiederholt mit der Bitte, den Brief besorgen zu lassen.
Gut, daß der erste Bogen meines Schiiftchens gedruckt ist. Ich fürchte ohne-
dies, daß solche populäre Rederei meine Person bei den Philosophen nicht in be-
sonderen Credit setzen wird. Was Sie mir nun über Str.'s Schrift andeuten, macht
mich vollends besorgt. Es wäre mir unangenehm, wenn einer von uns etwas Über-
flüssiges gethan hätte, und das würde sicher ich seyn, der in diesen Schriftchen
nicht tief eingeht und so zuletzt als ein rechter Dilettant erscheint, indeß Str. sich
auf das Einzelne einläßt und durch Polemik würzt, um die ich ihn indeß nicht
beneide. Ich will indeß meinen Credit gern gefährden || wenn es nur etwas im
Pablicum hilft. Aber wenn man über Str. und mich, über beide zugleich herfährt,
so ist der Schade für die Sache nicht gering, denn wir haben das Vertrauen ver-
loren und andern den Markt verdorben.
Doch wu- werden sehen. Jetzt heißt es freilich nur alea jacta est!
Mit den besten Wünschen für Ihre und Ihrer Frau Gemahlin Gesundheit und
gute Stimmung Ihr ergebenster Drobisch.
484. Drobisch an H.-) Leipzig, 11. September 1834
Hier, mein Verehrtester, erhalten Sie noch ganz warm und weich das erste
Exemplar meiner primitiae philosophicae. Ein paar andre Exemplai'e werden noch
durch Buchhändlergelegenheit zu ihrer Disposition nachfolgen. An Griepenkerl,
Strümpell, Eöer, Bobrik will ich selbst auf demselben Wege dergleichen schicken.
Vielleicht auch an Brandis- in Bonn, der mir während meiner Redaction der L. L. Z.
einen sehr wohlwollenden Brief schrieb, aus dem seine Bereitwilligkeit, über mehrere
Puncto Ihrer Philosophie sich aufzuklären, hervorleuchtete. Sonst wüßte ich keinen
namhaften Philosophen, dem ich damit eine Freude zu machen hoffen dürfte.
') 2 S. 8«. H. Wien.
■') 4 S. 8». H. Wien.
August 1834. 10 1
Wollen Sie nun, nachdem Sie es gelesen, mir ein paar Zeilen über das Ganze
schreiben, so wird es mir belehrend und beruhigend seyn. Schonung verlange ich
nicht. Ich weiß, daß Alles nur von der Oberfläche geschöpft, aber auch daher
vielleicht für Oberflächliche nicht ungeeignet ist. Ob Sie es für passend halten
wollen, in den Gott. Anz. das Schriftchen namhaft zu machen, muß ich Ihnen ganz
überlassen. Ich muß meines Theils wünschen, daß es wenigstens Leser finden möge,
und zwar zahlreiche: denn für die Auserwählten ist es nicht geschrieben. Da Krug
und Beneke driu nicht gerade mit Beistimmung genannt sind und auf Ritter die
Stelle von den historischen Philosophen wenigstens bezogen werden kann, so wird
es vielleicht nicht an gemeinen Menschen fehlen, die in den jetzigen Leipziger
Verhältnissen das wahre Motiv der Schrift finden werden. Hierin haben Sie eine
Garantie, daß ich foitfahren werde über Philosophie zu schreiben, damit die Welt
sieht, daß mir etwas an der Sache liegt. Vielleicht wird sogar mit der Metaphysik
ein Grundriß der Logik erscheinen, dessen ich für die Vorlesungen bedarf. Auch
habe ich hier einiges Eigenthümliche, was ich los werden möchte. Übrigens steht die
Logik in Sachsen noch in sehr gutem Ansehen und wird mich empfehlen. — Über
Krug's Stelle ist wieder alles in tiefen Schweigen. — Hartenstein geht damit um,
zu Gunsten Ihres Systems ebenfalls die Feder in Bewegung zu setzen. Den habe
ich wirklich genöthigt, Ihre Werke zu studiren und Ihr Schüler zu werden. Vor
2 Jahren sprach er in seinen Voriesungen auch noch so über sie wie die andern.
Jetzt klingt das ganz anders. Das ist mir wichtig, da sein Vortrag den Studenten
gefällt, und also durch mehrfache Kräfte für die Aufrechthaltung Ihrer Philos. in
Leipzig gesorgt seyn wird, es komme was da will.
Der Geist Ihrer Philos. paßt auch gut für manche andre Eigenthümlichkeiten
Leipzigs. Hermann, ohnstreitig der eminenteste Kopf unter den Leipziger Profes-
soren, hält in seinem Kreise das klare logische Denken streng aufrecht und be-
kämpft alle Träumereien und Einbildungen, Anschauungen etc. (vide seine Recens.
V. Müllers Eumeniden in den Wiener Jahrbüchern)^); ganz von denselben
Geiste ist Winer, der Angeseheudste der theologisch. Facultät. Unsre Juristen,
obgleich ganz positiv, sind doch durchaus für eine gediegene Bildung und ein be-
sonnenes Denken. In der medic. Facultät haben Bestrebungen wie die unsern
- an Weber, dem einsichtigsten und scharfsinnigsten unsrer Mediciner, einen Gönner,
wenn auch nicht einen Kenner. Im Allgemeinen herrscht bei uns der classisch-
philosophische, nämlich der grammatischkritische Geist. Je mehr man gewahr
werden wird, wie sehr dieser durch eine echte Philosophie geschärft werden kann,
um so mehr wird diese sich wieder in ihrem Ansehen heben und endlich vielleicht
positiven Einfluß gewinnen.
Möge Ihre und Ihrer Frau Gemahlin Gesundheit die beste seyn.
Seit 14 Tagen habe ich wieder mit einer Augenentzündung zu kämpfen, die
micü viel Zeit gekostet hat. Meine Frau ist wohl auf, aber ich wollte die Zeit der
Erwartung und der Gefahr wäre schon vorüber.
Von ganzem Herzen der Ihrige Drobisch.
M Goti:fried Hermanns „ebenso heftige wie umfangreiche" Kritik von Otfried
Müllers Ausgabe der Eumeniden in den Wiener Jalirbüchern Bd. 64 machte damals
in der gelehrten Welt viel Aufsehen.
I02 September 1834.
485. An Drobisch.l) Göttingen 22 Sept 34
verspätet, meist durch Unpäßlichkeit.
Ihre treffliche Schrift, mein theurer Freund! ist in meinen Händen;
und meine Anzeige für die hiesigen gelehrten Blätter ist auch schon in
Heerens Händen. 2) Was aber soll ich daran mäckeln? Gewiß dies, daß
die letzten zwey Zeilen hätten wegbleiben sollen; schon deshalb, weil mir
daraus das Ungemach erwächst, daß ich dieses Büchlein Niemanden ein-
händigen darf; — doch bey meinem alten Freunde Dissen habe ich mich
darüber weggesetzt. Ferner S. 12 das Wort »meint«. Doch über den
Unterschied zwischen Wissen und Meinen in diesem Punkt bleibt Ihnen
das Urtheil vorbehalten. Ferner S. 48: „daß die logische Strenge der
Begriffe etwas vermindert werden möge". Darüber bin ich fast erschrocken;
und habe die Citate nachgeschlagen. Ohne Ihnen einen sehr unnöthigen
Commentar darüber zu schreiben, bitte ich zu bedenken, wie die Worte
ohne Zusammenhang könnten gedeutet und gemißbraucht werden. Habe
ich nun genug gemäckelt?
Befände ich mich wohl, und hätte mich nicht die wüthende Hitze so
übel zugerichtet, daß ich nicht weiß wie ich durch den Winter kommen
werde — so würde ich mich jetzt der äußerlichen Sorgen entschlagen
können. Aber da ich gar nicht absehe, wie viel oder wie wenig ich noch
auf mich selbst zu rechnen habe, so muß ich Ihnen, weil Sie fortfahren
wollen, über Philosophie zu schreiben, die Lage der Sache schildern wie
ich sie sehe. Es ist noch immer periculum in mora; und noch immer
zu wünschen, daß ein paar Stimmen mehr sich hören lassen. Der hiesige
Boden ist keinesweges rein; vielmehr begreife ich jetzt die Aeußerimg des
Ihnen wohlbekannten Hrn. ... in B, der vor etwa einem Jahre geweis-
sagt hat, ich würde meinen Gang nach Göttingen bald bereuen. Man
hatte wirklich einigen Grund, Göttingen bald als eine Vorstadt von B. zu
betrachten. Die Bürger schauen sehnsüchtig auf den Zollverein — und
die Studenten nach B. Der Pantheismus leuchtet den jungen Theologen
als eine „neue Theologie", und ich bin deshalb von mehrern wackern Zu-
hörern berichtet, ja fast gewarnt worden. Sie wissen, wen Rosenkranz
als Hegelianer figuriren läßt; — es i's/ so, ungeachtet der äußern
Freundlichkeit; und auf derselben Seite stehn unter den Privatdocenten
ein Aesthetiker und ein begeisterter Theologe. Mit hiesigen Gelehrten des
ersten Ranges giebts enge Freundschaftsverhältnisse in B. Was Sie bey
Gelegenheit der Eumenide72 sagen, das heißt in andrer Sprache: man hat
Göttingen an derjenigen Stelle angegriffen, die gerade den vestesten Punct
bildet. M[üller]^) ist jung, rüstig, und steht schon jetzt auf dem höchsten
Puncte des Ansehens und Einflusses^ so weit ich schauen kann. Wäre
ich zwey Jahre früher gekommen, dann hätte ich Manches leichter gehabt;
zwey Jahre später, — .und ich wäre an ein Verhack gestoßen. — In B
dagegen ist einiges Sinken bemerklich: doch das können Sie genauer
wissen.
1) 2 S. 4".
*) S. Bd. XIII, S. 271 fF.
^) Oftfried Müller, der berühmte Philolog (1797 — 1840).
Oktober 1834. jq-i
Ist Hartenst[ein] tüchtig, so haben Sie Ursach ihn zu beschleunigen.
Sollte Strümpell der wieder gen Leipzig zu steuern gedenkt, dort wirklich
anlanden, so bitte ich daß Sie ihn nicht verschmähen, quand meme —
Was dies quand meme zu bedeuten hat, errathen Sie wohl, oder
können es seiner Schrift, die beynahe fertig gedruckt ist, bald ansehn ; ob-
gleich ich aus den Bachmannianis am Schlüsse, fast unglaubliche Härten
schon ausgestrichen habe. Allzunah bedeutet es Ihnen gewiß nicht; das
mögen Sie Ihrer eignen Schrift glauben, wenn Sie diese neben jene legen.
Aber helfen kann er; besonders polemisch.
Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit! und für Ihr Hans —
von Herzen der Ihrige H.
486. An Strümpell. ^) Ohne Datum.
Mit meinem besten Morgengruße muß ich zugleich die Bitte ver-
binden, daß Sie das gestern besprochene unterlassen mögen. Denn indem
ich von neuem einige Blicke in Gr[iepenkerl]s Schrift werfe, überzeuge ich
mich nur zu sehr, daß er es gar- zu gut mit mir gemeint hat. Wie sorgfältig
Sie auch die Stellen auswählen möchten, worin er selbst hervortritt: immer
würde man vergessen, daß seine Absicht eigentlich nur dahin ging, mich
gegen arges Unrecht zu verteidigen. Also bitte ich: Gehen Sie nicht zu
Hrn V. E. Von Herzen Ihr H.
487. Bobrik an H.-) Zürich d. 5ten Octbr. 34
Verehrtester Herr Hofrath! Ihr Wohlergehen habe ich mit vieler Freude
gestern von Herrn Wunderlich erfahren, welcher auf seiner Heimreise hier durch
paßirend, mir die freundlichen Zeichen Ihrer gütigen Erinnening überreichte.
H. V. Muralt brachte mir im Frühjahr ebenfalls ein Paar Größe, aber dabei die
Nachricht, er habe bei seiner eiligen Abreise von Göttingen einen von Ihnen mir
bestimmten Brief dalaßen müßen. Leider blieb Herr Wunderlich nur den gestrigen
Vormittag und Mittag bei uns, und die kurze Zeit habe ich so gut benutzt, als mög-
lich, um Herrn Wunderlich einen Cmriß unsrer Gegend, und mir eine Anschauung
Ihres dortigen Befindens zu verschaffen. Ueber unser hiesiges Wirken und Hoffen
will ich mich aber lieber selbst in diesem Briefe ausführlich erklären, was freilich
ein wenig abweicht von dem Briefe und Berichte, den ich zuerst von hier aus, im
Sommer des vorigen Jahres noch nach Königsberg richtete vmd von dem ich bis
jetzt noch nicht weiß, ob er Sie noch daselbst erreicht hat oder iiicht. Ihre in
jeder Hinsicht erwünschte Aufnahme in Göttingen habe ich mit der herzlichsten
Freude vernommen und selbst bis auf den wiederbenutzten Garten scheint sich
Alles Ihnen mit alter Zuneigung wieder genähert zu haben, und wenn auch schmerz-
liche Erinnerungen an das in Königsberg zurückgelaßene die verehrte Frau Gemahüu
zuweilen bewegen, so denke ich mir, daß der Mittelpunkt Deutschlands mit allen
Gelegenheiten zu einer angenehmen Eeise bald ein genügendes Gegengewicht hervor-
bringen wird. Vielleicht führt Sie auch dei Weg einmal nach Zürich, dies gehört
wenigstens zu meinen angenehmsten Hoffnungen.
Wir müßen uns hier auch größtentheils durch den Genuß der schönen Gegend
und die Benutzung der Reisegelegenheiten schadlos halten gegen die mancherlei Unan-
^) S. A. Spitzner-Strümpell, Die Psychol. Päd., Leipzig, E. Ungleich, S. XXVIII f.
2) 27, S. 4". H. Wien. — Über Bobrik s. 0. S. 5.
104 Oktober 1834.
nehmlichkeiten, welche sich durch den ungünstigen Zusammenhang der Umstände um
unser akademisches Leben angehäuft haben. So war ich im vorigen Jahre mit meiner
Frau nach Mayland und den Lombardischen Seen, in diesem Sommer 'nach dem
Berner Oberlande gereist, und im nächsten Sommer hoffe ich meine Frau und unser
jetzt halbjähriges Söhnchen nach Bonn zum Besuche der Schwiegereltern zu be-
gleiten, und, wenn ich dort nicht das Glück haben sollte, Sie bei der Naturforscher-
Versammlung zu finden, so dürfte ich einen Versuch machen, das mir noch unbe-
kannte Göttingen zu besuchen.
Unsere Universität wurde von Zürich mit geringen Geldmitteln, aber mit desto
größeren Hoffnungen auf die Theilnahme der andern Cantone und Deutschlands ge-
gründet. ^) Diese beiden Hoffnungen sind zerstört. Die Frankfurter Geschichte brachte
einen Haufen exaltirter Flüchtlinge hieher, von denen eine Anzahl immatrikulirt
wurde, und das eiste Verbot von dem Bundestage gegen uns hervorrief. Der
Savoyer Zug hatte leider mehrere unserer Immatrikulirten zu Theilnebmern, wodurch
das Verbot noch mehr geschärft wurde. Der noch immer fortdauernde Kampf der
Schweizer Parteien giebt den Exaltirten immer noch einen |j Stützpunkt, und so wird
der Boden, auf dem das zarte Pflänzchen unserer jungen Universität gedeihen sollte,
zum Kampfplatz des liicksichtslosesten und rohesten Factionsgeistes. Wenige von
ims haben sich energisch gegen die Zerstörung unserer wissenschaftlichen Arbeiten,
und Hoffnungen ausgesprochen, dadurch sind wir den pöbelhaftesten Preßangriffen
hingegeben; und viele, namentlich der jüngeren Docenten, schließen sich leider dem
radikalen Unwesen rücksichtslos an. Dadurch wird die Hoffnung, einst das Verbot
von Deutschland aus aufgehoben zu sehn, immer weiter hinausgeschoben.
Statt der gehofften Theilnahme der übrigen Cantone ist von dem größten Theile
derselben Indifferentismus eingetreten , und von Bern sogar eine neue Universität
entgegengestellt worden. Die ganze Zahl der Studirenden hat in jedem der drei
vergangenen Semester einhundert und einige sechzig betragen, davon waren einige-
zwanzig Deutsche, von den übrigen hundert und vierzig waren gegen siebzig aus
dem Canton Zürich, so daß die Theilnahme der übrigen Cantone sich auf nur siebzig
beschränkte, welche durch Bern nothwendig sich verringern wird.
Auf diese Art wird also die kurze Blüthe kaum zur Frucht gedeihen.
Unterdeßen hat der hiesige Prof. der Medicin, von Pommer, eine Schweizerische
Zeitschrift für Natur- und Heilkunde errichtet, und mich zur Theilnahme aufgefordert-
Dieser Aufforderung glaubte ich entsprechen zu müßen und so habe ich eine An-
wendung Ihrer Psychologie auf die Heilung des Wahnsinns darzustellen versucht.
Herr Wunderlich überbringt ein Exemplar des ersten Heftes. -) Nehmen Sie es gütig
als ein Zeichen meiner dankbaren Bemühung an, trotz so mancher äußern Wider-
wärtigkeiten als treuer Schüler des großen Lehrers mich allmählig öffentlich xu
zeigen. Ich bin jetzt eben mit dem zweiten Theil dieser Abhandlung beschäftigt.
Eines andern Versuchs wage ich kaum zu erwähnen, er ist rein temporair und lokal.
Im vorigen Winter forderte man mich auf, Vorträge über Aesthetik vor einer ge-
mischten Gesellschaft von Männern und Frauen zu halten, und diese drucken zu
laßen. Dies ist nun" auch bald beendigt. ^) Wie viel sich, oder vielmehr wie wenig,
eigentlich wissenschaftlich in dieser Form darstellen ließ, fühlte ich wohl, habe mich
aber vom Strom der Umstände tragen laßen und gehe der nächsten Zukunft mit
der Hoffnung ächter Arbeiten entgegen.
1) Vgl. G. v. Wyss, die Hochschule Zürich i. d. J. 1833—83, Zürich 1883.
*) Diese Abhandlung ist in der Literatur der Schule Herbarts bisher nicht be-
kannt gewesen.
^) Freie Vorträge über Ästhetik, gehalten zu Zürich 1834. VIII u. 415 S. 8"..
Oktober 1834. 105
Zu Ibier neuen Auflage der Psychologie und Einleitung, welche sich beide in
meinen Händen befinden, gratulire ich mit herzlichster Theilnahrae; und sehe der
großen Pädagogik mit voller Erwartung entgegen ! Wie sehr sich in Göttingen schon
in den beiden Semestern das Studium der Philosophie gegen die bis dahin
herrschende Gleichgültigkeit, gehoben hat, ist duich den zahlreichen Besuch Ihrer
Vorträge schon erwiesen, und muß sicii nothwendig immer mehr erweitern. 1| Auch
ich kann, im Verhältniß der hiesigen Zahlen und Intereßeu noch ziemUch zufrieden
sein. Ich habe in jedem der drei Semester drei philosophische Collegien zu Stande
gebracht, und daneben, im Winter und Sommer der beiden letzten Semester, ein
Englisches CoUegiuin, für welche Sprache sich kein anderer Lehrer an der Universität
findet. In dem letzten Sommer habe ich, weil mein Special-College L. Snell, nach
Bern gegangen, eine neue Bahn, die der Geschichte der Philosophie betreten müßen,
und werde im nächsten Wmter deren zweiten Theil, und im nächsten Sommer
ihren dritten und letzten Theil vortragen. Mit der Hoffnung nun auch bald einige
freundliche Zeilen von Ihnen zu erhalten schließe ich meinen heutigen Brief, und
wünsche Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin, der ich mich auf das Angelegentlichste
zu empfehlen bitte, ferneres allseitiges Wohlergehen.
Mit innigster Hochachtung und Ergebenheit Bobrik.
488. Schubert an H.') Kgsbg., d. 1.5. Oct. 34.
Hochverehrter Herr College! Wenn auch meine beiden letzten Briefe Sie zu
keiner Antwort aufgefordert haben, so will ich dies lieber irgend einer zufälligen
Veranlassung zuschreiben, als daß ich es einer Veränderung Ihrer mir so überaus
theueren Gesinnung gegen mich beimessen sollte. Ich ergreife also mit Freuden die
Gelegenheit, welche mir die Absendnng von 21 Rthlr. rückständigem Honorar dar-
bietet, um mem und der Meinigen Andenken bei Ihnen aufzufrischen. Diese 21 Rthlr.
repraesentiren sieben Honorare, die wiederum bis jetzt von mir für Sie in Empfang
genommen sind. Da sie sämmtlich von Leuten im Amte herrühren (großentheils
Pfarrer) so hat die Quaestur nach dem Ihnen bekannten Gesetze 7 Th. für die ver-
wickelte Einziehung desselben sich zu berechnen; sie hat also 28 Rthlr. eingenommen,
zahlt aber nur 21 Rthlr. an den Professor. Gleichzeitig bittet die Universitäts-
' Gasse um einen Empfangsschein für den Antritts-Revers bei der hiesigen Wittwen-
Casse UDd den Wechsel auf 150 Rthlr., sie will beides, in einem Document ent-
halten und von ihr aufbewahrt, gern an Sie zurücksenden, kann es aber nach der
Gassen-Vorschrift nicht anders, als gegen vorherige Einsendung des Empfangsscheines-
Die Papiere sind jetzt zwai' an sich werthlos, aber der Ordnung wegen dürfte es
Ihnen doch selbst angenehm sein, ein auf Geld lautendes Papier zurückzuerhalten,
das Sie ausgestellt haben.
Die Aussicht, uns einmal in Königsberg zu überraschen scheint von Ihnen
ganz aufgegeben zu sein und doch würden Sie an der aufrichtigen Freude Ihrer
vielen hiesigen Verehrer über einen solchen Besuch || wahrlich ein wohlthuendes
Gefühl empfinden. Aber ich verkenne auch nicht die vielfachen Hindernisse für
eine so entfernte Reise. Merke ich es doch an mir, wie ich auch alljährlich in
Ihre Gegenden reisen will und zuletzt mich immer entschließen muß, die Reise noch
auf ein Jahr aufzuschieben.
Unsere Universitätsangelegenheiten haben keine besondere Merkwürdigkeit er-
fahren. Das Personal ist fast unverändert das alte Ihnen bekannte: einige Lücken
durch den Tod, einige durch Versetzung, aber dies alles schon seit 3 Jahren, denn
1) 4 S. 8". H. Wien.
Io6 Oktober 1834.
in dieser Zeit ist nicht einmal ein neuer Extraordinarius ernannt, oder sonst irgend
eine Versetzung bewirkt worden. Aber Ihre alten Freunde haben neue Kräfte ge-
wonnen, und dies gilt besonders von uuserm verehrten Lobeck, der seit einem Jahre
sich wieder verjüngt hat, und bei seiner unendlichen literarischen und amtlichen
Thätigkeit allen melancholischen Hirngespiasten von Krankheit und baldigem Ende
das coQsilium abeundi gegeben hat. Sieffert's hartnäckiges Augenübel, das seinen
Sitz im Unterleibe hat, ist nach zweimaligem Aufenthalte an der See und zwei
Brunnenkuren doch so weit bekämpft, daß er wieder vollständig seine amtliche
Wirksamkeit ausfüllt und auch des Abends bei Licht schon wieder studiren kann.
Sanio hat jetzt auch nicht selten mit seinem Körper mannigiache Beschwerden, aber
seine Docententhätigkeit wird mit jedem Semester ausgebreiteter und ich hoffe, daß
auch bald ein größeres literäi'isches Unternehmen seine Bedeutsamkeit als Gelehrter
documentireu wird. Könnte |l ich doch auch dasselbe von Taute sagen, aber dessen
Zögern wird mir immer unbegreiflicher. Seit zwei Jahren spricht er von einer
fertigen Religiousphilosophie, der Verleger ist auf den Druck für dieselbe Zeit schon
gefaßt: aber dem Verfasser fehlt das Manuscript. Seine Vorlesungen gehen ihren
sehr mäßigen Gang fort. Sachs hat jetzt bei uns eine medicinische Dictatur ge-
nommen und gefällt sich wohl darin, dieselbe auch als ein Alleinherrscher zu ge-
brauchen. Er ist zufriedener als je, das will aber freilich noch nicht sagen, daß er
zufrieden ist. Gregor ist der Universität etwas näher getreten, indem der academische
Senat im vorigen Monate ihn zum Director des Polnischen Seminars an des ver-
storbenen Woide Stelle gewählt hat. Storwe ist durch den jungen Ellendt ersetzt,
der bis dahin eine Lehrstelle an dem Domgymnasium hatte: er ist ein tüchtiger,
kräftiger Lehrer von dem Schlage seines Bruders, nur daß er denselben an Geist
und Gelehrsamkeit nicht erreicht. Das Altstädtische Gymnasium befindet sich aber
gegenwärtig in einem kläglichen Verfalle und bedarf einer völligen Umgestaltung.
Dr. Thomas, der Ihnen näher bekannt sein wird, da er schon bei Ihrer An-
wesenheit in Göttingen zum Doctor der Philosophie promovirt worden ist, hat bis
jetzt als Referendar bei der hiesigen Regiejung gearbeitet. Ei' wiinscht aber jetzt,
da ihm der kleine Dienst nicht zusagt, zur academischen Thätigkeit zu übergehen,
und gedenkt für philosophische und staatswissenschaftliche Vorlesungen sich zu
habilitiren. Da er aber nicht mehr ganz jung ist, so wünscht er nicht an einem
Orte aufzutreten, wo der Numerus der Studirenden oder der Fachprofessor in der
Facultät ihm Hindernisse für sein weiteres Fortkommen in den Weg legen könnten.
Er hat daher mich angelegentlich ersucht, bei Ihnen anzufragen, ob Sie || Göttingen
ihm anrathen würden, um hier als Docent sich zu habilitiren. Er glaubt als Docent
hier auf die geringsten Schwierigkeiten zu stoßen und bittet darüber um eine baldige
geneigte Auskunft.
Meine Gesundheit hat bis jetzt mir immer auf ihre Weise bei der Arbeit bei-
gestanden und so hat sich meine Arbeitslust auch beträchtlich vermehrt, so daß
dann doch nicht immer Wille und Körper in voller Eintracht sich befinden wollen.
Meine Frau, die sich auf das angelegentlichste Ihrer verehrten Frau Gemahlin
empfiehlt und derselben das treuste und dankbarste Andenken bewahrt, bleibt mir
im allgemeinen Wohlbefinden nicht nach, und so sind denn die häuslichen Leiden
nur bisweilen im Kreise unserer Kinder eingekehrt. —
Conrad ist jetzt 16 Jahre, und mir bereits über den Kopf gewachsen: er ist
jetzt 1 Jahr auf Secunda. Mein dritter und jüngster Sohn Ernst, bei dem Ihre
Frau Gemahlin eine Pathenstelle gefälligst übernahm, scheint die günstigsten An-
lagen zu besitzen; aber er ist zur Kränklichkeit geneigt.
Mit herzlichster Hochachtung und Verehrung
Ihr aufrichtig ergebener Schubert.
1^34- I07
489. Drobisch an H.') Ohne Datum.
Mein verehrungsw-iirdiger Freund! Nachdem nun Beängstigung und Sorge
wieder einmal aus meinem Hause gewichen zu seyn scheint (denn eine fast drei-
wöchentliche Krankheit meiner Kleinen ist glücklich überstanden und meine gute
Frau am 13. d. M. von einem Knaben zwar schwer aber doch glücklich entbunden
worden und bis hieher alles glücklich gegangen) beantworte ich Ihren lieben Brief
vom 22. Sept. Zuvörderst also meinen besten Dank für Ihre Bemerkungen so wie
ganz besonders für die so beschleunigte Anzeige, die wohl freilich noch nicht ab-
gedruckt ist. Gar verschiedenartige Urtheile habe ich bereits über das Schriftchen
erfahren. Unser Hörmann hat es gelesen und ihm den größten Beifall gezollt. Es
sey klar, meinte er, und er finde nach dieser Skizze in Ihrer Philosophie alle die-
jenigen Puncte der Kanfschen berührt und beseitigt, an denen er selbst einst
beim eifrigen Studium derselben Anstoß genommen; könnte er mehr Zeit finden, so
%vürde [er] Ihre Werke selbst studiren. Freilich sagt mir dagegen ein andrer College,
der ein unendlicher Skeptiker ist, er habe die Schrift zwar gelesen, aber nicht
studirt, daher nicht recht verstanden und noch weniger begriffen. Andre sagen,
ich hätte zu wenig Positives gegeben; andre meinen, ich setze schon zu viel Be-
kanntschaft mit ihren Werken voraus. An allen diesen Äußerungen mag wohl etwas
"Wahres seyn. Fast niederschlagend, aber nicht unerwartet kam mir die briefliche
Äußerung unseres v. L[indena]u, er habe die Schrift mit Interesse gelesen, könne
sich aber doch nicht recht mit der Speculation wieder befreunden, was um so sonder-
barer sey, als er, bevor er Mathematik und Astronomie studiert habe, ein eifriger
Kantianer gewesen. Wir müßen also die Hoffnung aufgeben, daß die Leute von
■der französischen. Bildung, die Freunde der sciences exactes, sich mit uns befreunden;
ich habe das immer gefürchtet; immer nur auf die Jugend gezählt. Der Cultus-
minister hat das Büchlein noch nicht gelesen, verspricht sich aber, wie er schreibt,
viel Genuß, da er sich von Ihrer Philosophie sehr angezogen fühle und behält sich
nähere mündliche Rücksprache vor; er wird -nächstens nach Leipzig kommen. Ein
College, der in Dresden war, brachte die Nachricht mit, man wolle die Krug'sche
Stelle vor der Hand nicht besetzen und abwarten, ob etwa in Leipzig selbst sich
jemand überwiegend geltend mache. Ritter hat abgeschrieben und Weiße erhält die
Stelle nicht. Vorgestern besuchte mich Strümpell. Es thut mir leid um ihn. Er
ist doch ein trefflicher \l Kopf, scheint aber jetzt ernster, um nicht zu sagen ent-
muthigter gestimmt als früher. Er ist mir weit bedächtiger und behutsamer vor-
gekommen. Denken Sie aber meine Verwunderung, als ich von ihm vernehme, daß
er nach Leipzig gekommen sey, nicht um sich zu habilitiren, sondern um noch ein
Jahr besonders Mathematik zu studiren ! AVaruni hat er mir odei Ihnen davon nichts
vorhergesagt? Brandes ist todt, Möbius hat wenig Beifall; werde ich ihn befriedigen
können? Schwerlich! Überdies dauert mein mathematischer Curs 3 Jahre und er
schneit nur so mitten hinein, und das was er besonders wünscht, Mechanik, lese ich
jetzt gerade nicht. Er äußerte, er wolle bei mir die mathem. Psychologie mit
hören. Ich mußte lachen und ihm sagen, daß dann wahrscheinlich Er mir zuweilen
ein CoUegium würde lesen können. Findet er sich wrklich ein, so ist es mir freilich
insofern lieb, als ich dann einen Zuhörer habe, dem gegenüber ich mich tüchtig
zusammen nehmen muß. Es freut mich nunmehr, über die Principien der math.
Psych, höchst wahrscheinlich für immer mit Ihnen im Wesentlichen übereinstimmen
zu können. Die Entscheidung hat folgender Satz gegeben, den ich eigentlich schon
in Weimar äußerte, als Sie meine Zweifel über die Mechanik des Geistes abgelehnt
*) 2 S. 4". H. Wien.
Io8 Oktober 1834.
hatten: AVeil in der Vorstellung das Vorstellen von dem Vorgestellten sich nicht
wirklich trennen läßt sondern nur in der Abstraction unterschieden werden kann,
so ist auch jede Rechnungshypothese ungültig, die beides einander gegenüberstellt
wie bewegende Kraft und bewegte Masse. Wie viel Vorstellen, so viel Klarheit
des Vorgestellten, bei allen Graden aber einerlei Beschaffenheit des Vorgestellten.
Str. hat mir gesagt, er halte die Äußerung in meiner Schrift S. 60, die "Wurzel
der Widersprüche in den 4 Hauptbegriffen liege in dem Begriffe des Seyns = ab-
soluter Position, für unrichtig. Da diese Äußerung von seiner Seite fiel, als wir uns
schon etwas müde gesprochen hatten, so behielt ich mir die Disputation für ein
andermal vor. Ich habe mir die Sache noch einmal überlegt und glaube gerade
recht klar darin zu seyn. Was sagen Sie dazu ? Eine Ausstellung haben Sie mir
wenigstens nicht gemacht. Daß ich S. 48 hätte etwas behutsamer sprechen sollen,
begreife icb. Wenn Vermuthung über die Meinung anderer nicht so leicht in Ver-
dacht und Mißtrauen ausartete, so möchte ich fast vermuthen, meine Schrift habe
St. vielfach nicht genügt. Er ist mir gar nicht recht darüber herausgegangen; ich
w^oUte lieber, er hätte mir die schärfste Kritik geübt; oder beurtheilt er sie viel-
leicht in der J. L. Z. und vermeidet es daher, darüber zu sprechen? Oder ist es
auch ihm unangenehm, daß wir gewissermaßen einerlei Weg zu betreten angefangen
haben? Fichte d. j., meinte er, hätte ich viel zu gut durchgelassen. Er mag recht
haben, denn ich bin zu angreifender Polemik, wie ich merke, ganz verdorben. Alles
dies, Verehrtester, theile ich Ihnen ohne Arg ganz harmlos mit. Fern sey es von
mir, Str. zu bekritteln, den ich aufrichtig hochachte, und von dessen Talent ich mir
viel verspreche. Ich hoffe ihn öfter zu sehen und werde durch ihn gewiß ge-
fördert werden. Mit der freundschaftlichsten Gesinnung mich Ihnen und Ihrer Frau
Gemahlin empfehlend der Ihrige Drobisch.
-190. An Drobisch. 1) Göttingen 22 Oct 34
Ein Dichter würde Ihnen wünschen, daß alle neun Musen sich um
die Wiege Ihres Kleinen versammeln möchten; ich wünsche, daß der
Geist seines Vaters auf ihm ruhe, und daß er die Kinderkrankheiten
glücklich überstehe. Damit wird Ihre Frau Gemahlin wenigstens zufrieden
seyn, der ich meinen herzlichsten Glückwunsch, und den meiner Frau zu
überbringen bitte. —
Von dem was mich berührt, war mir die angenehmste Nachricht
Ihres 'so reichen Briefes diese, daß wir wegen der math. Psycho), im
Reinen sind.
Die Bewegung die Ihre Schrift in Leipz. hervorgebracht hat, wird
nun schon fortgehn. Die Krugsche Stelle scheint Ihnen vorbehalten;
thun Sie nur was Sie schon versprochen haben, um Sich dazu nach-
drücklich zu melden.
Meine Anzeige Ihrer Schrift ist längst gedruckt, und die Anzeige von
Strümpells Buch" ist unter der Presse. Eine Recension eines aus Leiden
von Nieuwenhuis mir zugeschickten metaphysischen Buches habe ich
gestern an Heeren abgegeben.
Strümpell mag sich hüten, daß nicht einmal von ihm gelte was
Lobeck. einst von einem Königsberger Schulmann sagte: er ist ein ge-
borner Scharfrichter. Sie wissen besser als er und ich, daß Widersprüche
') I S. 4"
Oktober 1834. 109
auch ohne den Begriff des Seyn vorkommen. Habe ich doch von Ihnen
erst erfahren müssen daß Wurzeln wie a -j- b y — i nicht alle Con-
struction abschneiden, sondern nur von der Ebene der x und y aus-
schließen! Es scheint, daß Sie Sich im Ausdrucke etwas vergriffen haben;
Sie wollten dem Fichte ohne Zweifel zu Gemüthe führen, daß der Begriff
des Seyn erst den Acutus oder Circumfiex auf die Widersprüche setzt,
vermöge dessen sie das umwandelnde Denken herbey führen. Um der
Mückenseigerey Str[ümpell]s zuvorzukommen, muß ich wohl bemerken, daß
S. 58 Ihrer Schrift die Widersprüche im absoluten Werden, der äußern
Einwirkung und der Selbstbestimmung dort nicht zu erwähnen waren, da
diese ins ontologische, und nicht ins synechologische Gebiet gehören. —
Str. corrigirt mich so gut wie Sie. Sehen Sie nur S. 106, 109, iio
seines Buchs. So lange er im Wesentlichen Recht hat, kann man sich
das gefallen lassen: wenn er sich aber einmal vergreift, so kann es Mühe
kosten ihn zurecht zu führen.
Von Herzen der Ihrige! H,
Von wem ist doch die Anzeige Ihrer Schrift im Brockhausischen
Repertorium ?
An diesem verwünschten Fliespapier habe ich mich auch vergriffen;
aber soviel will ich noch hinzusetzen, daß ich an der herzlichen Freude,
mit der ich Ihren letzten Brief gelesen habe, einige Wiederkehr meiner
Gesundheit spüre. Hr v. L[inden]au wird wohl nur auf seinen Beyfall einen
hohen Preis setzen, und sich Zeit vorbehalten. — Von Strümpelln muß
ich Ihnen doch noch hinzusetzen, daß er sehr vernünftig über Ihre Schrift
äußert: er werde suchen, sich Ihren Ton anzueignen. Bey mir wenigstens
ist er nicht mit Mäckeleyen Ihrer .Schrift aufgetreten. In meine
Rechnungen über die frey steigenden Vorstellungen habe ich einen Blick
geworfen. Der bekannte Factor H geht dahinein, und verdirbt mir ein
paar wohlgeschlossene Integrale: indessen läßt sich mit Annäherungen
helfen; nur giebts wieder eine ärgerliche Arbeit.
491. Verlagsvertrag zwischen H. und Dieterich.')
Zwischen dem Herrn Hofrath Herbarth Hocbwohlgehoren und der Dieterich-
schen Buchhdlg. hier ist nachstehender Contract geschloßen worden. .
§1. Herr Hofrath Herbart giebt der Dieterich'schen Buchhandlg. sein Mauu-
script: Umriß paedagogischer Vorlesungen m Verlag.
§ 2. Der Herr Hofrath Herbart verzichtet vorläufig auf Honorar, sind jedoch
die üruckkosten inclusive Papier ä Bogen 7 Ethlr. 12 g. Gr. Preuß. durch den Ab-
satz einer Anzahl Exemplare gedeckt, so wird dann der sich ergebende Ertrag
aus den noch übrigen Exemplaren unter beiden Contrahenten zu gleichen Theilen
vertheilt.
§ 3. Der Herr Hofrath Herbart behält sich jedoch vor, nachdem die Druck-
kosten durch Verkauf einer Anzahl Exemplare gedeckt sind, über den Rest der Auf-
lage stets frey disponiren zu können. An Freyexemplaren erhält der Herr Verfaßer
12 Expl. besseres Druckpapier. •
') Gütigst zur Verfügung gestellt durch den jetzigen Inhaber der Dietrichschen
Veriagsbuchhandlung Hm. Theodor Weicher in Leipzig.
HO Oktober 1834.
§ 4. Die Dieterich'sche Buchhdlg ist zu eiüer Auflage von 500 Expl. berechtigt
und verpflichtet sich zu gutem Druck und Papier.
Zu gegenseitiger Sicherheit ist dieser Contract in doublo ausgefertigt und von
beiden Theilen unterschrieben worden.
Göttingen d. 30 Oetober 1834
gez. Herbart. Dieterich'sche Buchhandlg. gez. Schlemmer.
492. An Griepenkerl. ^) Göttingen 31 Oct. 1834.
Mein theurer Freund! Als Sie Ihre gedruckten Briefe nieder-
schrieben, da dachten wir beyde noch nicht daran, daß drittehalb Jahre
später diese Briefe fast zugleich von Strümpelln in der Jenaischen L. Z.
und von mir in den gött. Blättern würden angezeigt werden. Letzteres
hielt ich sogar noch vor ein paar Wochen für rein unmöglich; allein
Strümpells Rec. im Septemberstück S. 406 machte mich beym ersten
Lesen unzufrieden, das trieb mich zum Versuch, und Heeren hat nun
meine Rec. angenommen. Unterdeß habe ich mich bey wiederhohltem
Lesen auch mit der Strümpellschen ausgesöhnt; es ist am Ende noch die
Frage, ob mir der Wurf besser gelungen ist? Am besten ist, von Ihrer
Güte zu hoffen, daß Sie jede von beyden für eine halbe gelten lassen;
so kommt aus zwey Hälften doch wenigstens Eine ganze Recension heraus.
Während nun Strümpells Buch die Streitbaren beschäfftigen wird, möge
sich Ihre Schrift die Belehrbaren gewinnen; das von Drobisch ist eine
zierliche und gehaltreiche Vorrede zu beyden. — Meine Sorge war:
Heeren würde die Anzeige eines Buchs aus dem Jahre 1832 jetzt verspätet
nennen, und mir bey seiner großen Friedensliebe nichts gestatten, was
nach Streit aussähe, der gegen die göttinger Anzeigen könnte erhoben
werden. Diese letzte Besorgnis fiel aber weg, als ich sah, daß er meine
Anzeigen von Strümpells Buch unverändert abdrucken ließ. Daß ich an
letzteres eher ein Experiment wagte, als an dem Ihrigen, bey dem ich mir
eine abschlägige Antwort nicht gern hätte gefallen lassen — werden Sie
mir nicht verdenken; denn ein Repuls würde Sie mit getroffen haben. —
Wenn künftig etwas von Röer erscheint, so werde ich es vielleicht weniger
bedenklich finden, als vor einem Jahre, mich in den hiesigen Anzeigen
darüber auszulassen. Von Bobrik ist ein || Aufsatz über Wahnsinn zur Er-
öffnung eines schweizerischen Journals für Natur- und Heilkunde das ein
Hr. V. Pommer herausgiebt, an mich gelangt; etwas ängstlich, sonst gut
und gehaltvoll. Von mir ist eine Pädagogik in nuce unter der Presse;
zur Ergänzung der alten; nicht viel, aber vielleicht hie und da anregend,
3. Nov. Unterm heutigen Datum werden Sie, glaube ich, meine An-
zeige Ihrer Briefe in unsern göttingischen Blättern finden.
Die Vorlesungen sind eröffnet. Das Auditorium war hinreichend
gefüllt; die Meldungen und die Einnahmen sind zu gering. Schwerlich
wird viel nachkommen; wenigstens ist doch den Lauerern keine sichtbare
Gelegenheit zur Schadenfreude gegeben, was sehr schädlich hätte werden
können. Sie wissen wohl wie schwankend, noch Alles steht! für heute
nur noch meine besten Wünsche! Mögen Ihre Söhne Ihnen ganz ent-
sprechen! H.
') 172 S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann S. 92.
November 1834. i i i
4,93. Drobisch an H.') Leipzig 6. Novbr. 34
Lange schon, mein innig verehrter, würdiger Freund, würde ich Ihren heitren
Brief vom 22. Oct. beantwortet und für den freundlichen Glücliwunsch (in dem Sie
nur leider aus Artigkeit für den Vater den Sohn zu schlecht bedachten) gedankt
haben, was nun erst auf das Herzlichste geschieht, wenn ich nicht zuvor einiger
unangenehmer Eindräcke hätte mächtig werden wollen. Die Bauptsache war der
zwar nicht unerwartete, aber doch unerwünschte Erfolg der Eröffnung meiner
Wintervorlesungen. Zur Metaphysik nämlich, die ich das vorige mal vor 44 Zu-
hörern gelesen hatte, meldeten sich 14. Hartenstein dagegen hat in der Logit 70
Zuhörer, in der Geschichte der. Philosophie seit Kant 80, in der Moral freilich nur 8.
Für Alles giebt es nun zwar Erklänangen und auch dafür. Wir haben nämlich ein
Quästurgesetz erhalten, das auch dem Ärmsten keinen Erlaß, sondern nur Gestun-
dung gewährt. Die Folge ist, daß die Studenten nur hören, was sie belegen müssen
und wo sie's am Wohlfeilsten bekommen oder was sie umsonst haben. Das sehe
ich auch in der mathem. Psychologie, wo ich auf 6 gerechnet hatte und jetzt 24
dasitzen, die natürlich nicht bleiben können weil sie sicher nicht hinlängliche Vor-
kenntnisse haben. Kurz ich erklärte,, ich würde Metaphysik nicht unter 20 lesen
und habe nun diese ganze Vorlesung gestrichen. Daß dies mir nun nicht etwa
besonders Lust macht, noch an Krugs Nachfolge zu denken, werden Sie glauben.
Aber dazu gesellen sich wichtigere Gründe. Wie lieb mir die Beschäftigung mit
der niath. Psych, geworden ist, kann ich Ihnen nicht sagen; jetzt erst lerne ich in.
ihr gehen, wenn gleich noch ängstlich und sorglich wie ein Kind, aber doch nicht
mehr ganz unsicher, jetzt erst fängt sie an auch mein Eigenthum zu werden (Sie
gestatten doch einen kleinen Antheil an dem Besitz zu nehmen?) ich fühle mich
hier ganz in meinem Element, denn hier findet die Spaltung meiner Natur eine
Einigung. Denken Sie nicht, daß ich in diesen Studien schon große Dinge gethan
habe, das geht bei mir so rasch nicht, aber klar und klarer wird mir der Gegenstand
jeden Tag; ich prüfe die Eechnungen, ich rechne nach meiner Weise, ich con-
struire die Formeln, ich schlage kleine Seitenwege ein u. s. w. die mathem. Psych,
allein könnte einen Begabten für das ganze Leben beschäftigen, das ist meine Über-
. Zeugung. Sie zu ebenen, fortzuführen, so weit ich vermag, bei den Mathematikern
durchzusetzen, das ist dies woran ich nun zunächst alles Ernstes denke; aber die
Sache wird reifen wollen und Brocken werde ich dem Publicum nicht so leicht
davon auftischen. Ich habe mir ordentlich einen taktischen Plan zu diesem Feld-
zug ersonnen. Mit den „Gleichungen-' habe ich erst einiges Vertrauen zu erwerben
gesucht, die „Philosophie und Matheniatik" hat mich mit den Gymnasiallehrern der
Mathematik befreundet, ein Grundriß der Logik in mathematischer Auffassungsweise
soll den Verkehr unterhalten und überleiten, dann mögen Elemente der mathem.
Psych, folgen, die das merkwürdigste Factum Ihrer Philosophie in möglichster Klar-
heit enthüllen sollen, u. s. w. Ganz ähnliche Arbeiten, verbunden mit den inter-
essantesten, mathematischphysikahschen V^orstudien würde später die Naturphilos. 1|
veranlassen können. So bliebe ich ganz und gar was ich äußerlich bin und wofür
mich die Leute nun einmal allein nehmen, Mathematiker und könnte doch der Philos.
die wichtigsten Dienste leisten.
Sie schi-ieben neulich: quod manet infectum etc. Auf nichts kann ich dies
besser bezieheo als auf diese mathematischphilosoph. Partien. Für Metaphysik und
praktische Philos. werden Strümpell, Köer und hoffenthch Hartenstein u. a. schon
sorgen, und lassen sie mir etwas zu thun übrig, so komm" ich vielleicht dereinst
*) 4 S. 4». H. Wien.
112 November 1834.
auch einmal damit nach. Sehen Sie dies ja nicht für einen Rücktritt an, ich be-
absichtige nur zu thun, wozu ich vor anderen berufen zu seyn meinen darf.
Mag nun einmal Hartenstein Krug's Lehrstuhl einnehmen oder vielleicht
Strümpell Glück machen, bin ich doch immer da, um die Herren nöthigenfalls im
Schach zu erhalten. Wollte ich aber ernstlich daran denken, diese Stelle einzu-
nehmen, so müßte ich alles das laßen, vv^as ich jetzt treibe und historisch philo-
sophische Quellenstudien von Plato bis Kant machen, ein Tausch der Beschäftigung,
der mir viel Überwindung kosten würde, und wovon ich mich doch nicht dispensiren
könnte. Ich habe Einmal das Gefühl gekostet, eine Stelle einzunehmen, zu der man
noch nicht reif ist, ich sehne mich nicht nach der Erneuerung dieses Gefühls.
Könnte dagegen Str[ümpell] Mittel finden, sich hier zu habilitiren und sich zu halten und
zu erhalten, so wäre mir das recht aufrichtig lieb. Meine Achtung für sein Talent
ist seit seinem Hierseyn immer gestiegen. Er besitzt wirklich speculativen Geist
und Energie imd er ist gewiß entschiedener als Hartenstein, der es vielleicht nicht
gerne mit Jemand verderben will und da zuweilen zu weltklug seyn könnte. Wir
haben uns schon mehrmals tüchtig herunulisputirt, aber ich wenigstens habe Freude
daran gehabt, denn wir haben uns beide nichts geschenkt und sind doch zu etwas
gekommen. In der Psychologie ist er mir ein wahres Glühfouer, das alles noch
einmal durchschmilzt, manches anders haben möchte, mich im Nachgeben äußerst
hartneckig findet, aber mir doch seine Zufriedenheit bezeugt. Von seiner Schrift
habe ich einen Theil gelesen. Vor allem wollte ich, sie wäre weniger weitschweifig
und er hätte manche Gespenster in ihren Gräbern gelassen, da sie zu sehr ver-
bleicht sind. Dann habe ich ihm mein Bedenken darüber mitgetheilt, daß er der
Einleitung schon zu viel Entscheidung beizulegen geneigt ist, die meines Erachtens
erst der eigentlichen Metaphysik zukommen darf, die sonst, wenn man schon das
Resultat in der Tasche mitbringt, eine miserable Rolle spielt. Diese Art der Be-
handlung kann, meine ich, leicht in einen so hausbackenen Realismus ausarten, wie
der Ihres Voi'gängers oder Krug's ist. Thun Sie aber Str. meinetwegen ja nicht
etwa weh. Ich habe ihn nun besser kennen gelernt, ich bin nicht mehr empfind-
hch gegen seine Kritik; was mir unhaltbar erscheint, weise ich so entschieden als
möglich zuiück, und wir werden nun gut miteinander fertig. Str. ist nicht so an-
maßend wie er anfangs scheint und für tüchtige Gegengründe völlig empfänglich.
— — Der Ausdruck „daß der Begriff des Seyns den Acut || oder Circumflex auf
•die Widersprüche setze" ist vortrefflich und drückt im Wesentlichen ganz aus, was
ich meine. Der gemeine Verstand weiß freilich nichts von der absoluten Position
des Seyns, aber er bedient sich doch ihrer. Die Analyse des Begriffs des Dinges
z. B. zeigt, daß 1) die gemeine Auffassung unter dem Dinge ein Etwas sich vor-
stellt, das weder Empfindung, noch Verbindung von Empfindungen ist und daher
ganz außerhalb des Kreises alles Wahrnehmbaren liegt; 2) daß der gemeine Ver-
stand auch zu dieser Vorstellungsweise berechtigt ist, indem die Empfindung sowohl
im Einzelnen als ein Vieles, als auch die Einheit dieses Vielen ein Relatives ist
lind daher das Reale nicht wahrgenommen werden kann, das Wahrgenommene also
niclit das Seyende, das Seyende das Nicht -Erscheinende ist. Nun kommt 3) die
Frage hinzu: ist diese Bestimmung des Realen auch denkbar? Nein. Denn das
Reale um i'eal zu seyn ist absolut zu setzen, um aber als Substanz die Accidenzen
zu vertreten, für dieselben zu seyn, wäre es nur ein Relatives. Es ist also die
reale Substanz absolut und relativ zugleich gesetzt, was widersprechend ist. — Dies
ist ohngefähr meine . Entwicklungsart des Problems, die sich auch auf die übrigen
Widersprüche leicht überträgt, und die ich längst schwarz auf Weiß in extenso
niedergeschrieben hatte, als ich die kurze, verdächtige Stelle in den Beiträgen drucken
November 1 834- 113
ließ. Bin ich auf einem Irrwege ? — Für die Rüge, S. 58 betreffend, bin ich Ihnen
aber verbunden. Daß sie gegründet, liegt auf der Hand. — Und nun erst (was
werden Sie von meiner Dankbarkeit halten?) statte ich Ihnen für die höchst feine
Anzeige meiner kleinen Schrift den herzlichsten Dank ab. obwohl ich, im Gefühl
meiner Armutli, mich bei der Anschuldigung großer Reichthümer an Gelehrsamkeit
sehr geschämt habe. Sie haben glücklich Einiges herausgesucht, das vielleicht ein
Publicum anspricht, an dem uns so viel gelegen ist, und das es nach diesen Proben
einigermaßen natürlich finden kann, daß sich ein Mathematiker von Ihrer Philo-
sophie angezogen fühlt. Die Anzeige im Repertor., mit der ich ganz zufrieden bin.
ist von Hartenstein (29).
Philosophische Bewegungen zu Gunsten Ihrer Sache scheinen nun allerdings
hier eingeleitet zu seyn. Ihre Encyklopädie und praktische Philos. war einige
Wochen beim königl. Commissar bei der Universität Hofrath v. Langener, der, von
Hartenstein angeregt, danach Verlangen trug. Jetzt sind beide wieder beim Ordi-
narius der Juristenfacultät D. Günther, der vor einigen Tagen Auskunft über die
Stellung des Naturrechts in Ihrem System begehrte. Beide sind höchst angesehene,
einflußreiche und gescheidte Männer. — Unter meinen und Hartensteins Zuhörern
zeichnet .sich jetzt ein junger Philolög ßohnitz aus, der ein höchst penetrirender
Kopf und ein Mensch von vielen Kenntnissen ist. ') Er hat gute matliematische Vor-
kenntnisse, hört Differential- und Integralrechnung um der mathematischen Psycho-
logie willen und soll ein tüchtiger Kenner des Plato und Aristoteles seyn. Ihre
Ansicht von den Platonischen Ideen ist, wie er sagt, jetzt wie ein Funke in seinen
Kopf gefallen, und er hat gleich für die philos. Gesellschaft Hartensteins zwei darauf
bezügliche Abhandlungen, die sich an platonische Dialogen knüpfen, geschrieben.
Nächstens tritt er in Hermanns griech. Gesellschaft und wird da vielleicht auch ein
wenig neu-philo-|lsophische Aufregung hervorbringen. — Vor Kurzem hat H. Leopold
von Henning 2), der große Mann von Berlin, aus dem Munde zweier meiner CoUegen
im Dresdner Eilpostwagen zu seinem großen Verdruß erfahren müssen, daß die
Ht.sche Philosophe in Leipzig viel Anklang finde, und daß ich sie aufgebracht hätte.
Was hat er da gesagt? So viel er wisse sey ich Mathematiker, und da erheische
es ja schon die Dankbarkeit, etwas für Sie zu thun. Ob wohl die Zuhörer, die uns
ihr Ohr leihen, auch aus bioser Dankbarkeit hören, wie ich deshalb lese?
Frau und Kinder befinden sich wohl. Erstere empfiehlt sich mit mir Ihnen
und Ihrer Frau Gemahlin und dankt für die gütige Theilnahme. Bald vielleicht
unterhalte ich mich, wenn Sie erlauben wieder einmal mit Ihnen über einen positiv-
wissenschaftlichen Gegenstand. Unterdessen erbitte ich nicht nur für mich ein
Zeichen Ihres Wohlwollens und Wohlbefindens, sondern auch, aus eigenstem An-
triebe, für Strümpell. Es könnte mir nichts unangenehmer seyn, als wenn ich, im
Ausdruct einer falschen Empfindlichkeit, Sie wider Willen ungehalten auf ihn
gemacht hätte. Er verdient das wohl nicht. Er fördert mich ungemein und ich
habe keinen Menschen, mit dem ich so haarscharf disputiren könnte wie mit ihm.
Wir kochen ordentlich die einzelnen Partien der Psychologie und Metaphysik mit
einander durch, und haben am Ende die Freude, Ihr Gold immer wieder aus dem
Feuer hervorblinken zu sehen.
Ich wünsche Ihnen Geduld genug, bis hieher zu lesen und bin von ganzem
Herzen Hii' aufrichtig ergebener Drobisch.
>) Der Philoiog und Schulmann Hennann Bonitz (1814—1888) studirte 1832
bis 1835 in Leipzig.
2) Leop. V. Henning (1791—1866), der das einflußreichste Organ des Hegehanis-
nius die „Jahrb. f. wiss. Kritik" redigierte.
Hbrbarts Werke. XVIII. ^
IIA November 1834.
494. An Strümpell. ^) Göttingen 7 Nov 34
In Ansehung ihres letzten Briefes, Heber Herr Doctor! möge Ihr
eignes Nachdenken mir zu Hülfe kommen; vielleicht sind Sie schon im
Reinen, doch der Sicherheit wegen bemerke ich etwas Weniges.
Zuerst dies: Hume schon war in die Falle gerathen, Stärke und
Klarheit zu vermengen (Psychol. II S. 316).
Dann muß ich die Armuth der Sprache anklagen. Haben Sie Sich
an das Wort: Hemmungsgrad, gehalten, so sagt die Sprache freylich nicht,
daß Hemmungsgrad etwas Anderes sey, als der Grad, worin eine Vor-
stellung gehemmt wird. Und doch sind die Begriffe weit verschieden.
Sie schreiben: die Stärke einer Vorstellung trägt zur Vermehrung
des Gegensa/zes nichts bey (richtig; aber wenn zwey Vorst. zugleich wachsen,
so wächst das Quantum des Entgegengesetzten). Vom Gegensatze hängt
ab der Grad der Hemmung (richtig vom Hemmungsgrade. Nur halb-
richtig vom Grade der Hemmung jeder Vorst.). Folglich trägt die Stärke
zu diesem nichts bey. (Das brauchte vom Hemmungsgrade nicht erst
gesagt zu werden, denn es verstand sich von selbst. Von der wirklichen
Hemmung der Vorst. ist es falsch.)
Was sagen Sie zu folgendem Schlüsse: Der Regen trägt zur Wärme
nichts bey; von der Wärme hängt ab das Wachsen der Pflanzen, folglich
trägt der Regen zum Pflanzenwachstum nichts bey — ?
Daß Sie in Irrthum gerathen sind, muß ich ungern aus einer onto-
logischen Wendung Ihres Briefes abnehmen: „Das Vorgestellte ist das
Vorstellen selbst, folglich der Grad seiner Klarheit nicht verschieden von
der Stärke" u. s. w. Was soll das heißen? — Dies ohne Zweifel: Als
Selbsterhaltung der Seele ist jede einzelne Vorst. ga7iz klar, d. h. die Klar-
heit so groß wie die Stärke. Aber die Psychologie faßt die Vorstellungen
zusammen; und da trennt sich die Klarheit von der Stärke. Soll ich Sie
nun noch ermahnen, daß Sie nicht im Einzelnen suchen dürfen, was vom
Zusammen abhängt? Diese Bemerkung, sollte ich denken, muß genügen,
um die ganz unrechtmäßig eingemengte Ontologie zurückzuweisen. Viel-
mehr: den Empirikern in der Psychol. muß als Hauptsatz dieser ent-
gegengestellt werden: während erfahrungsmäßig die Klarheit ab und zu-
nimmt, bleibt die Stärke der Vorstellungen unverändert. — Was Sie in
der Einleitung in d. Philos. sagen, betrifft eine Form der Darstellung,
worüber ich nicht streite. Der Ihrige H.
495. An Drobisch.2) Götüngen 30 Nov 1834
Mein theurer Freund! So herzlich mich Ihr letzter Brief durch
manche gute Nachricht erfreute: so liegt mir doch jetzt von neuem die
Frage im Sinn: ob wir noch in Hinsicht des Fundaments der mathemat.
Psychologie genau zusammenstimmen? Meine Meinung hat sich in nichts
geändert; haben Sie während Ihrer jetzigen Arbeit irgend etwas zurück-
genommen?
») S. A. Spitzner-Strümpell, a. a. O. S. XXIX.
') I S. 4".
Dezember 1834. 115
Wie ich zu der Frage komme — mögen Sie errathen — es ist
besser daß ich schweige, eben weil ich noch nicht von Ihnen Selbst
Nachricht habe.
Daß Schelling nach B berufen sey, ist zwar bis jetzt nur Zeitungs-
gerücht; allein ich finde es wahrscheinlich; — unter andern Gründen deshalb,
weil Rsz in Kbgi) nicht besonders gut fortkommt (darüber habe ich selt-
same Nachrichten), und meine hiesige Wirksamkeit doch etwas besser
geht, als gewisse Leute meinten. Manches wird zusammen gekommen
seyn ; — man läßt die Hegeley also fahren, — und höhlt sich klüglich
den berühmten Namen Schellings. Und Schelling hat alle Ursach zu
kommen. Er kann in B. weit mächtiger werden als Hegel, denn er ist
weit fähiger zu glänzen und die Großen an sich zu ziehen. Dann folgen
die Kleineren von selbst. Dann aber muß Göttingen gebeugt werden, —
und das Verketzern wird, wenn man will, durch die heutige Frömmeley
begünstigt werden. Nicht wahr?
Sie werden sagen daß ich eine Hypothese auf die andere baue.
Thut nichts! Vorsicht ist gut. Und zur Vorsicht gehört, daß wir, mein
theurer Freund, einander nicht aus den Augen verlieren. Unsrer Einigkeit
kann — dies und jenes — entgegentreten; ich will nicht Alles aus-
sprechen was ich denke. Aber glauben Sie mir: ich wünschte mit Ihnen
ein Wort unter vier Augen reden zu können, und bitte, daß Sie, ohne von
diesem Briefe mit irgend Jemandem zu reden, mir xvie unter vier Augen^
baldigst ein paar Worte zurückschreiben. Herzlich Ihr H.
496. Drobisch an H.-) Leipzig, d. 3. Decemi'er 34
Mein edler, innig verehrter Freund! Sie wünschen eine Unterhaltung unter
vier Ä.ugen. Nun wohl ich bin herzhch gern bereit, sie sogleich zu eröffneu, aber
erwarten Sie wenigstens keine Bekenntnisse wichtiger Differenzen, die ich Ihnen
bis jetzt vorenthalten. Ein Dritter, der mir die Ehre erweist, bei mir mathem.
Psycbol. zu hören, hat mit Ihnen über die metaphysischen Fundamente der letztern
correspondirt. Ihre Antwort hat er mir mitgetheilt. Aber wahrhaftig, die Zweifel,
die er Urnen vorgetragen, hat er bei mir nicht gelernt. Bekämpft habe ich sie,
darauf hinweisend, daß die Ontologie für die Grundlegung der Psych, noch nicht aus-
reicht, sondern das neue Erfahrungsprincip des Ich dazu genommen werden muß.
wenn ein sichrer Boden gewonnen werden soll und es genügt, wenn nur nicht
gegen die Ontologie etwas gelehrt wird. In meinen Vorlesungen ist gar nichts von
der metaphys. Begründung zur Sprache gekommen. Mit Euklideischer Trockenheit
habe ich den Zuhörern die Voraussetzungen entwickelt und gesagt: wer dies an-
nehmen kann oder will, der folge mir. Tiefere Aufklärung kann nur die Metaphysik
geben. Meine Rechnungen sind etwas anders angelegt, aber nur in mathematischer
Hinsicht: denn es wird Ihnen sicher ganz gleich seyn, ob ich mit der Proportion
X : v = — : -;- oder mit der Gleichung a x = b y rechne ; aber meine Resultate
ab
sind fast ünmer vollkommen die Ihrigen. Ich verstecke mich nicht hinter dieses
„fast". Von dem, was ich bis jetzt vorgetragen, trifft die Differenz nur die Be-
rechnung der Hemmung von 3 Coniplicationen, wo Sie (§ .ö9) nur das Hemniungs-
verhältniß bestimmt haben, das ich anders finde, indem ich die Hemmungen voll-
^) Rosenkranz in Königsberg.
-) 4 S. 40. H. Wien.
IIÖ Dezember 1834.
ständig zu berechnen versucht habe. Weiter bin ich noch nicht in den Vorlesungen.
Die unvollkommenen Complicationen werde ich für jetzt übergehen, um sie als
Übergang von der Statik zur Mechanik zu benutzen. Die statische Rechnung über
dieselben, gestehe ich, hat mich nicht überzeugen können; aber es ist mir auch
noch nicht gelungen etwas an die Stelle zu setzen, was ich für besser ausgeben
könnte. Ich fürchte über den Begriff der unvollkommenen Complicationeu noch
nicht im Reinen zu seyn, oder es liegt daran, daß die Bedingungen des Gleich-
gewichts dieser Complicat. wegen der Veränderlichkeit der Hülfen eigentlich erst in
der Mechanik genügend erörtert werden können. In den Verschmelzungen bin ich
vollkommen mit Ihnen einig. Nun aber in der Mechanik? Da bin ich ganz ein-
verstanden mit dem Vorstoßen der Psychologie, nicht aber mit dem Briefsteller
des vergangenen Sommers, der an die Stelle von d h = (H — h) d t setzen will
d h = H (fl — h) d t, und das ist der Punct, über welchen ich mit dem oben be-
zeichneten Zuhörer xtierst in dem Sinne gesprochen, daß ich der Neuerung bei-
stimmte, sodann aber seine metaphysischen Versuche, nach denen, glaub ich, der
Hemmungsgrad die Stärke ersetzen sollte oder umgekehrt, bekämpfend zu einem
weiteren Nachdenken veranlaßt wurde, das mich zur alten Formel zurückführte.
Ich will es versuchen, meine Gründe kurz anzugeben. ||
Im Juni schreiben Sie: ,, Wenn von a der Theil x gehemmt wird, so bedeutet
X die Nöthigung, wodurch das ganze a Kraft wird. Je größer diese Nöthiguug,
desto mehr wird a Kraft.'' Bis hierher bin ich völlig einverstanden. Nun aber
folgt: ,,ünd je größer a, desto größer ist das, was Kraft wird. Daher a- dt im
Anfange der Wiedererhebung etc." Dagegen streite ich, obgleich, wie Sie damals
andeuteten, ich in Weimar mit meinen elastischen Federn dazu selbst die Ver-
anlassung gegeben haben mag. Ich glaube nämlich x als Nöthigung zum Kraft-
X
werden nicht absolut, sondern relativ zu a, also eigentlich nicht x, sondern — als die
a
Nöthigung betrachten zu müßen, die a zur Kraft macht. Das ist die Intensität in
X
der a Kraft wird, und das was von a Kraft wird ist =1 — a ^ x. Es hat dem-
a
nach x zweierlei concrete Bedeutungen, Benennungen: 1) x ist gehemmte Thätig-
kcit des Vorstellens (noch keine Kraft); 2) x ist = — d. i. die durch Hemmung
a
des Vorstellens x entstandene Kraft x. Das meine Ansicht. Ich füge noch
iiinzu. -Ich glaube schon im Juni Ihnen bemerklich gemacht zu haben, daß ich
mich schlechterdings nicht hinein finden kann, woher, wenn x = a, die Vorstellung
zu einem Streben = a- werden soll; es kann nicht mehr als die ganze Vorstellung
= a in Streben verwandelt werden. Ferner muß, nach Ihrer neueren Ansicht,
auch das Gesetz des Sinkens der Hemmungssunime eine Änderung erleiden. Ist
qS der Antheil von a an der HS., a das bereits gehemmte, so nmß es nun heißen
da = (qS — ao) dt, wo jedoch q ein unbekannter Bruch ist und daher die Richtig-
keit der Dimensionen nur wird künstlich gerettet werden können, statt daß nach
der älteren Ansicht, die ich vertheidige, a = — für aa gesetzt die alte Formel da
= (qS — a) dt wiederherstellt. Auch die Formel S. 254 mußte sich in folgende
verwandeln :
, (a^'c/?- + b^c«^) o ^ ., .
(C — c a H ^^ — „ , „ -n — ->) dt = d a,
^ ■ ^ ac/?2 + bc«^+ «V
eine Consequenz, vor der ich erschrocken bin, da sie eine wahre Dimensionen-
verwirrung hervorbringt imd, wenn sie fest gehalten werden mußte, an der mathera.
Psych, verzweifeln lassen könnte; u. dgl. m.
Dezember 1834. j ly
Nun aber habe ich Ihnen das Aergste bekannt. — Hinzufügen muß ich jedoch,
daß ich in meinen Vorlesungen meines fiiilirereu Versuchs, math. Psych, auf all-
gemeine Mechanik zurückzuführen, gedacht, dabei natürlich aber erwähnt habe, daß
ich durch die Verhandlungen mit Ihnen davon zurückgekommen bin. Gegen den
Obigen habe ich geäußert, ich würde, wenn ich künftig über math. Psych, schreibe,
zu zeigen suchen, wie weit die Analogie mit elastischen Federn getrieben werden
könne, und wo sie aufhöre. Das beabsichtige noch und dies wird für Mathematiker
anziehend seyn. Fürchten Sie übrigens ja nicht Üliereilung von mir. Habe ich
mich, wie ich manchmal fürchte gethan zu haben, mit den „Beiträgen" übereilt, so
erlauben Sie, Verehrter, Ihnen einen kloinen Theil der Schuld beizumessen, der Sie
die Veröffentlichung beschleunigten. "Was die math. Ps. betrifft, so sehe ich sehr
wohl ein, wie wichtig 1| es, ja wie nothwendig es ist, daß die, welche sich für sie
interessiren, alle Differenzen untereinander ausgleichen, ehe sie dieselben den Heiden
predigen. Das habe ich mehrmals gegen Str[ümpellJ nachdmcklich geäußert, und das
ist meine feste Überzeugung. Auch haben Sie ja wohl schon diese schriftliche Ver-
sichening von mir selbst. —
Aber Ihr Brief scheint noch mehr Auskunft zu wünschen, als über die Funda-
mente der Psychologie. Mit vollem Vertrauen gebe ich mich Hiuen hin. Fast
scheint es, als drohte ein Mond mir das freundliche Licht der Sonne vorübergehend
zu entziehen, oder ein Planet (denn ich will nicht die Erde vorstellen, die fast
50 mal so groß ist als der Mond) dazwischen zu treten. Diesmal soll er mich nicht
irre machen. Ich habe keinen Hinterhalt, keine Reservationen, ich will nicht schlau,
nicht politisch seyn, ich kann mich frei sprechen von persönlichem Ehrgeiz (gloria
sequi non appeti debet war, seitdem ich selbst zu denken versucht, mein Wahl-
spruch) — und ich glaube fest daran, daß Sie mich so nehmen, wie ich mich
Ihnen zeige. Sey es nun aber, daß Sie in meinem Briefe eine mit emiger Mühe
beseitigte verdrießliche Stimmung gefunden oder einen andern Brief erhalten haben,
der Sie in Zweifel läßt über dies und jenes, • ich will mich noch näher erklären.
Daß St. nach Leipzig kommen würde, sich hier zu habilitiren, hatten Sie mir wieder-
holt gemeldet. Als er ankam, leugnete er diese Absicht bestimmt ab. Später gab
er etwas nach und schien erst hier recognosciren zu wollen. Jetzt scheint er nicht
gesonnen seyn, hier zu bleiben — vielleicht weil es ihm an Mitteln fehlen mag.
Ihn für etwas veränderlich in seinen Entschließungen zu halten, habe ich nun frei-
lich schon einige Veranlaßung gefunden, doch habe ich mich ihm weit mehr ge-
nähert, immer fi-ei und offen mit ihm gesprochen und discutirt und von seiner
Seite auch kein Versteck befürchtet. Seine Ankunft war mir d. h. nur meinem Ge-
fühle, eigentlich nicht ganz recht. Kommt er um dich zu beobachten, auszukundschaften,
zu sehen was in loco an dir ist? Hält er dich für unzulänglich, in Leipzig H.s
Philos. zu vertreten und aufrecht zu erhalten? Glaubt er, daß du die Lehren viel-
leicht mit allerlei fremden Zusatz verfälschst? u. dgl. m. das waren etwa die ersten
Gedanken, die durch den Kopf flogen. ')
(Zudem kam er in die Zeit, wo Krug abgedankt hatte. Sie erwiesen mir die
Auszeichnung, mich zu Krug's Nachfolger zu prophezeien, Str., mußte ich denken,
schiene ich nicht einmal für das Interim hinlänglich. Auch hat er nie auch nur
entfernt sich geäußert, als könnte ich mich um Ki-ug's Lehrstuhl bewerben, ebenso-
wenig Hartenstein, "Weiße oder irgend ein anderer. Man muß mich also für einen
Dilettanten der unbedeutendsten Art halten.)
Indeß ich mußte seinen Scharfsinn anerkennen. Er hat überdies noch einen
feurigeren, jugendlichen Muth als ich, der. wenn gleich auch noch jung, doch in
^) Das Eingeklammerte ist im Briefe ßandbemerkung.
jxg Dezember 1834.
wenigen Jahren ungleich mehr menschliche Erfahrungen gemacht, und dadurch im
Hoffen gemäßigter, im Streben behutsamer geworden ist, Eigenschaften, die nicht
jugendlich sind. Jener also kann vielleicht im Geist, Schärfe, Muth, ja allenfalls
mit Übermuth, größere Wirkungen hervorbringen als ich. Freiüch zur Concurrenz
forderte es mich nicht auf, sondern eher, wenn es seyn müßte, als Lehrer zum
allmähligen, ehrenvollen Rückzuge. Sonst hat er mir sicher kein Leids gethan, und —
Sie sind immer in unserem Gespräch der Gegenstand unserer gemeinschaftlichen Ver-
ehrung gewesen. Alles würde übrigens anders || stehen, wenn ich die Vorlesungen über
die Metaphysik, auch selbst bei der geringen Zahl, angenommen hätte, was ich schon
hundertmal bereut habe. Von Hartensteins Vorles. habe ich diese Tage einige
Blätter in den Händen gehabt, die mir keine große Vorstellung gegeben haben.
Größter Mangel an Präcision, Mischmasch, allerlei Brocken von Ihnen, aber weiter
nichts dabei sagen mir einige vertrautere Zuhörer, er kritisire die neuere Philos. ganz
nach Anleitung des ersten Theils der Metaphysik, ohne aber anzudeuten, wo er
seinen Most holt. Nun, er wird Sie zwar schon noch gebührend erwähnen, wenn
er zu Ihrem System kommt, aber daß er gegen mich geäußert, er halte es von mir
nicht klug, daß ich Metaphysik und Psychologie .,nach Herbart" angekündigt, weil
die Zuhörer nur ein einseitiges System kennen zu lernen glaubten (was er ver-
muthlich durch allerlei Eklekticismus u. d. besser macht) hat mir nicht gefallen. Jetzt
geht die Rede, das Ministerium, dem der beste Schwätzer der beste Lehrer scheint,
habe ihn zum künftigen Nachfolger Krugs bestimmt. Ich habe mich der Gewogen-
heit des Ministeriums zu erfreuen, habe sogar eine kleine Zulage erhalten, über die
philos. Angelegenheiten der Universität hat aber der Minister sowohl als sein Rath
bei ihrer neuerlichen Anwesenheit kein Wort gesprochen, und mich vorzudrängen
ist mir nicht gegeben. — Meine Gedanken sind nun schon im Sommersemester.
Aus allen Kräften, und wenn es seyn muß, mit Aufopferung, muß ich wieder ein-
zubringen suchen, was ich diesen Winter versäumt habe. Leider wird dies Semester
nur sehr kurz seyn! Und das jetzige ist so lang!
In die Besorgniß ScheUing betreffend stimme ich ein. Kommt er wirklich
(was ich jedoch bezweifle) so kann er in Norddeutschland einige Jahre wieder die
Köpfe der jungen Leute verdrehen. Es ist ergötzlich: nachdem Seh. in der be-
rühmten Vorrede zu Cousin Hegel vernichtet, ^) wagen die Herren vom Berliner Mini-
sterium den Hegelianismus nicht mehr zu halten: „Seh., wird es heißen, ist nun
wieder über Hegel hinausgegangen, darum sey er unser, die «vir überall an der
Spitze stehen.'' So zieht man sich aus der affaire und bekommt eine gut kirchlich
dogmaü'sche Philosophie, was dem Kronprinzen auch nicht unlieb seyn wird. Kommt
eben Seh. nicht, so müssen sie in Berlin verzweifeln, denn jetzt schläft dort, wie
ich höre, die Philosophie ziemlich ein.
Meine Ohrenbeichte ist zu Ende; ertheilen Sie mir bald eine recht trostvolle
Absolution. Ein Wort unter väer Augen wäre freihch tausendmal besser, aber die
Jahreszeit ist zu fürchterlich.
Mit unveränderlich freundschaftlicher Gesinnung
Ihr wahrer Verehrer Drobisch.
1) In der Vorrede zu H. Beckers Übersetzung einer Schrift V. Cousins (1834)
bezeichnet Schelling die Hegeische Philosophie als eine bloß negative.
Dezember 1834. iig
497. An Drobisch.l) Götringen 7 Dec 1834
Mein verehrter theurer Freund! Recht herzHchen Dank für Ihren
lieben Brief, den ich gleich heute beantworte — aber mit der Bitte um
noch eine Mittheilung — wegen der vollkommnen Complexionen.
Ihre Bemerkung über -.a hat mich gleich beym Lesen lebhaft ge-
3,
trofifen. Die Sache käme auf diese Weise in neuer Anwendung auf
Psvchol. I, S. 166 zurück, wo i.- = I. Nur hängt davon die Darstellung
1
der Hemmungsverhältnisse bey vollkommnen Complexionen nach meiner
Ansicht so unmittelbar ab, daß ich mich nothwendig erkundigen muß,
wie Sie etwas Anderes finden können? — Was Sie über Dimensionen-
Richtigkeit sagen, würde mich nicht bestimmen. Sonst hätte schon das
Integral von = H d t mich abschrecken müssen , welches H im
H — h
Exponenten bekommt, obgleich kein Exponent oder Logarithmus eine be-
nannte Zahl seyn kann. Unser a, b, c, sind nicht Vorstellungen sondern
nur Verhältnißzahlen unter Voraussetzung eines gemeinschaftl. Maaßes.
Auch a-dt ist= i .dt, sobald Sie a= i setzen; nur in der Vergleichung
mit anderen Vorstellungen von andrer Stärke hätte das quadratische Ver-
hältniß seinen Sinn. Aber machen Sie nur, daß ich den verwünschten
Factor H aus d.h = H(H— h)dt mit gutem Gewissen los werden könne;
damit er mir nicht so viele alte und neue Rechnungen verwirre. Die
rechte Spur möchten Sie wohl gefunden haben, wenn Sie mich nicht
wieder durch die vollkomm. Compl. irre machen.
Ich wäre schon längst wieder bey der math. Psych, beschäfftigt,
wenn nicht meine Vorlesungen so manche Ergänzungen ganz andrer Art
foderten. Einige Bogen „Umriß pädagog. Vorles." sollen Sie bald ge-
druckt bekommen. Andre Arbeit machen Aesthetik und (noch mehr) prakt.
Philos. Denn die Collegien dauern hier weit länger als in Königsberg;
und hiesige Studenten darf man durchaus nicht zu lange mit Einerley auf-
halten. Uebrigens gehn die Vorlesungen bis jetzt gut. ||
Daß Sie die Zahl 14 für eine doppelt böse Sieben gehalten haben,
bereuen Sie mit Recht; und diese Reue — so sehr ich Ihnen alles Gute
gönne und wünsche — hatte ich Ihnen in meinem Sinne aufs Bestimmteste
prophezeihet. Soviel ich mich erinnere, habe ich in Königsberg die langen
Jahre hindurch kaum ein paarmal mehr Zuhörer für Metaphysik gehabt.
Drey tüchtige Zuhörer sind dafür schon ein hinreichender Lohn, und
geben dem akademischen Lehrer eine sonst unersetzliche Stütze des An-
Sehens.
Indessen Alles steht noch gut, wenn wir über die Fundamental-
Begrifife und Sätze der math. Psych, einig bleiben. Dann mag Sch[elling]
kommen! Inzwischen ists mir sehr lieb, daß Sie die Gefahr nicht gering
achten; um so mehr, da ich aus mehr als einem Grunde dran glaube
daß er nach B gehn wird. Die Zeitungs-nachrichten sind von München
') 3 S. 4"-
I20 Dezember 1834.
datirt, und wahrscheinlich fällt ihm das dortige schlechte Gebäude (ich
meine die Universität, an deren Einrichtung er vermuthlich großen An-
theil gehabt hat) vielfach zur Last. Der Glanz von B ist ganz für seinen
Ehrgeiz gemacht. — Können wir ihn durch fortgesetzte Arbeit über-
flügeln, dann sind wir sicher, — sonst nicht; denn auf welche Polemik
müßten wir uns einlassen, und vor welchem Publicum! — Doch vielleicht
rührt sich Strümpell gegen Schelling: für einen jungen Mann ist die Ge-
legenheit sich zu zeigen, und einem großen Publicum bekannt zu werden,
in der That nicht ungünstig. Er kann mit gutem Fug Manches von
neuem auf die Bahn bringen worüber ich schon zuviel gesagt habe.
Nach Ihrer Frau Gemahlin fragt meine Frau. Ich habe geantwortet
point de nouvelles bonnes nouvelles. Das war doch recht? —
Ganz Ihr H.
[Auf einem beigelegten Bogen:]
Jetzt noch ein paar Worte im Vertrauen! Schonen Sie die bewußte
dritte Person,^) auch wenn sie etwas unbequem ist. Unser Verhältniß ist
durch unsre Offenheit gesichert, aber, abgesehn von der billigen Nachsicht^
können wir unter den vorhandenen und zu erwartenden Verhältnissen
keiner Hülfe uns entäußern.
Kann denn bei Ihnen ein Privatdocent unmittelbar eine angesehene
ordentl. Professur bekommen? — Oder — werden vielleicht die Vortheile
der dortigen alten Stiftungen aufgehoben? — Wenn Kr[ug]s Platz Ihnen
zu Theil werden soll, so müssen Sie meines Erachtens Sich doch höhern
Orts irgend etwas davon merken lassen, daß Sie wohl einen Wechsel des
Faches Sich gefallen lassen möchten. — Ihre »Beyträge« sind nicht zu
früh gekommen, aber zu spät! — Wer lieset bei Ihnen praktische Philos.
Moral, Naturrecht? Wer lieset Geschichte der Philos.? Das Alles kommt
in Betracht. Kr. las ohne Zweifel das Alles, — und wer wird glauben
daß Sie für ihn einzutreten geneigt seyen, wenji Sie nicht Zeichen geben,
daß Sie wohl auf so etwas eingehn möchten? — Es kann noch immer
res integra seyn, we7in Jemand merkt, was Sie vom Mangel an .Präcision
pp bey [Hartenstein] vernommen haben. Aber auch dort, denke ich, ist
das Verhältniß zu schonen; wenn es schon nur ein halbes ist.
Von B aus ist so viel ich vernehmen kann, über Sch[elling] noch
nichts laut geworden. Doch muß ]tizi die Zeitungsnachricht einige Zungen
lüften. Wenn Sie etwas hören, bitte ich um Nachricht. — Daß Seh. die
mühsame Arbeit eines ordentlichen und vollständigen Lehr-Cursus in den
verschiedenen Theilen der Philos. sollte übernehmen wollen, ist nach Allem
was man von ihm hört, höchst unwahrscheinlich. Auch kann er dort in
so viele verborgene Gruben fallen, daß er auf die Länge der Zeit schwerlich
bedeutet wird. Dennoch —
498. Drobisch an H.-) Leipzig, 13. Dezember 34
Verehrter Gönner und Freund! Die Revision der Rechnungen über die voll-
kommenen Complicationen verspätigt diesen Brief um einige Tage. Aber Sie müssen
') Hartenstein.
2) 2 S. 4". H. Wien.
Dezember 1834. 12 1
immer Recht haben, das ist das ohne Aufhören sich wiederholende Resultat eines
treuen Studiums Ihrer Werke; und so bin ich denn nun auch über die vollk. Compl.
mit der Psychologie einig; ich bin durch Ihren Antrieb jetzt erst gewahr geworden,
daß noch ein Rest vom alten Sauerteig bei mir sitzen geblieben war, den ich nun
ausgefegt habe. Meine Rechnungen ergeben nun folgendes. Sind A = a + «1
B = b + ^. C = c + y die Complicationen, deren Gegensätze aus den folgenden
Schematen erhellt:
c y
n m V (I, \
a 11 b a TT /?
sind ferner die Gesanimthemmüngen dieser Complic. beziehungsweise X, Y, Z, sodann
der Anteil des X, der von B herrührt X', der von C herrührt X" u. s. w., nach
folgendem Schema:
Z
c
Z' Z"
X" Y' , so daß also
A ^; ' Y" ^
X ^ Y
X = X' + X", Y = Y' + Y", Z = Z' + Z". so findet sich, wenn zur Abkürzung
A[(b + c)m+'((S + y)^J + B[(a + c)n + (« + y)»'] +C [(a + b) p + (a + ^) ttJ = iV
gesetzt wird
^, _ C(bp + i=?^)(S + ^). ^.. _ B(cn + yr)(S + ^) . ^,3^
X ^ [B (c n + y »') + C (b p + ^ TT)] (S + ^
iV ''
_ A(cm + y;t)(S+^). Y„ _C(ap + «7r)(S + ^. ^,g^ y^etc
^ ~ N ' N
_ B(an + «.)(S + ^). , _ A(cm + ?-^)(S + ^) ^,, 2 = etc.
Aber mit dem Gleichgewicht der unvollkommenen Complic. bin ich noch gar
-nicht im Reinen. Sie schweigen hierüber in Ihrem Briefe. — Daß die Lehre von
den Dimensionen Sie nicht bestimmen würde, dachte ich wohl, indeß beweisen Sie
doch wol zu viel: auch in Geometrie und gemeiner Mechanik sind a, b, c, x, y, z
nicht Linien und Gewichte etc. sondern Zahlen ; aber es bleibt doch immer noch ein
Unterschied, ob sie Verhältnisse von Gewichten oder Linien ausdrücken; so nun
am Ende aber auch bei uns, obgleich unsre Lasten nur in den Gegensätzen der
Vorst. liegen und Stärke und Klarheit zusammenfallen. In x = ^^-j^ S ist ^ ^
gewiß ein unbenannter echter Bruch; aber x von derselben Bedeutung wie S. u.
dgl. m. doch das wird uns keinen Streit machen.
Da unsere Leipz. polit. Zeit, wahrscheinlich bei Ihnen nicht gelesen wird (es
auch nicht werth ist) so schreibe ich folgende Stelle für Sie ab: ..München 6. Decbr.
fPrivatmittheilung) durch Bestimmung Sr. M. des Königs werden die Proff. Breslau,
Puchta und Schelling, mit deren Verlust unsere Universität bedroht war, derselben
wieder erhalten. H. v. Seh. der hier 6000 fl. Gehalt bezieht und in Berhn 6000 Thlr.
beziehen würde, äußerte sich gegen eine Deputation der Studirenden, daß er sich
nicht berufen fühle, vom Katheder herab die Anhänger Hegels zu bekehren. —
Zwischen Seh. und dem durch seine vielen Entdeckungen auf der Mondoberfläche
bekannten Astronomen Gruithuisen wurde in der letzten Zeit in Broschüren eine
Fehde ausgefochten. die der letztere mit der Erklärung beendigte, daß Seh. unter
122 Dezember 1834.
den Literatoren ein Monarch sey, dessen Person nicht verantwortlich und unver-
letzlich wäre!" Was kann nun Seh. in B. mehr werden? Höchstens ein absoluter
Literaturkönig. Der Unterschied ist ja nicht so groß. Er kommt also nicht.
Sonach steht hier jetzt Alles gut. Ihr ßath über das zu beobachtende Ver-
halten gegen die beiden jüngeren Herrn hat ebenfalls meinen ganzen Beifall. Ich
werde in gutem Vernehmen mit ihnen bleiben. Nur ist der Fremde gewiß wissen-
schaftlich weit mehr werth als der Hiesige; ob sonst auch aufrichtiger und weniger
weltklug, diplomatisch, dies zu beurtheilen ist meine Bekanntschaft zu jung.
Was die Vacanz betrifft, so erinnern Sie mit Recht, womit allem ich mich
da beschäftigen müßte, wollte ich sie ausfüllen — besser als bisher. Denn worüber
hat K. nicht alles mitgeschwatzt'? Er las Jahr für Jahr einen Cursus nach seinem
Handbuch, und Geschichte d. Philos. unter d. Griech. imd Römer nach s. Handbuch.
Punctum. Der junge Candidat liest Einleitung, Logik, Moral Aesthetik, neuere Ge-
schichte d. Philos. und wol auch Metaphys. — Die Professuren alter Stiftung sind
vor vier Jahren aufgehoben. Wir haben jetzt genug ordentl. Profß. zu 500 und
600 Thlr. Gehalt. Man liebt das Wohlfeile, das blos Nützliche, man haßt alles, was
Schwung hat. Fein ehrbar und bürgerlich! Am Ende ist mirs gleich. Nur nicht
einen Mann, der es nicht ehrlich mit der Philosophie meint und ohne Charakter
ist. Auch nicht gern einen aus der Identitätsschule, weil dies in L. wie eine Er-
oberung betrachtet, und ein großes Triumphgeschrei erhoben werden würde. Über
die letztere Gefahr sind wir noch nicht hinaus. Hier geht die Rede, Fichte oder
Weiße werde nach Heidelberg berufen werden. Träfe es W,, so könnte dieß Ver-
anlassung geben, ihn hier zu befestigen, Berufungen wirken wie Zauberschläge.
Man erfährt durch solch ein Gebot eigentlich erst den Marktpreis eines Gelehrten!
— Es giebt übrigens bei uns 2 ordentl. Prof. der Philos., emen der theoret. einen
der praktischen (Clodius). Setzte man jetzt vielleicht einen ein, der besser für die
Aesthetik und Moral taucht, sO wäre es, wenn Gott den jüngeren längeres Leben
giebt, als den älteren, allenfalls einst auch noch einmal Zeit eine neue Stellung ein-
zunehmen. Dann wird hoffentlich auch mehr gethan seyn. Die Antwort auf die
Frage Ihrer Frau Gemahlm ist richtig für die Mutter wie für die Kleine. Bestätigen
Sie dies unter Versicherung unserer innigsten Hochschätzung. Nehmen Sie eben
dieselbe aufs Neue hin von
Ihrem aufrichtigst ergebenen Drobisch.
499. Grolp an H.') Marienwerder, d. 21t. December 1834.
Hochverehrter Herr Hofrath! Zwar haben wir seit der Trennung von Ihnen
in Marienwerder täglich Ihrer gedacht, und recht tief empfunden, wie schmerzlich
eine so weite Entfernung und wie gering die Hoffnung ist, Sie noch einmal wieder-
zusehen; aber lebhafter als je ist die dankbarste und liebevollste Erinnerung an Sie
in mir rege geworden, seit ich die kleine, leider nur zu kurze Schrift des H. Prof.
Drobisch, die so eben erschienen ist, gelesen habe. Ich kann es mir wohl denken,
daß Sie. gleich dem Copernicus in der Ueberzeugung von der Wahrheit Ihrer
Erkenntniße, und Ihres Systems, und in dem Bewußtsein Ihrer Größe, unbekümmert,
um das Geschrei einer irre geleiteten und stumpfsichtigen Menge, die edelsten und
reinsten Freuden genießen, die höher zu achten sind, als Menschengunst oder
vorübergehende Anerkennung; doch kann ich mir vorstellen, daß Sie, bei der Durch-
lesung der herrlichen und gediegenen Schrift von Drobisch gewiß einen angenehmen,
freudigen Lebens-Moment gefunden haben, der Ihr Gefühl des Wohlwollens und der
») 4 S. 4". H. Wien. Mehrere Stellen, auch das Zitat, fraglich.
Dezember 1834. 123
Theilnahme gegen einen so ausgezeichneten Denker, der überdies in einer so
lichtvollen Sprache und so frei von jenem gemeinen Ton seine Gedanken aus-
gesprochen, II in einem hohen Grade erwärmt und angeregt hat. Ich las die Schrift
des Prof. Drobisch vor einigen Tagen, und habe sie wiedergelesen. Ich bedauere,
daß bei derselben nicht die beiden Anzeigen in den Blättern für literar. Unter-
haltung 1832. Num. 295 und 1833 Num. 343 über Griepenkerls Briefe und Röers
Schrift, die doch gewiß denselben Verfasser haben, so wie die Recensionen von
Drobisch in der Leipziger, und in der Jenaischen Liter.-Zeitung (vom J. 1830) mit
abgedruckt worden sind, weil sie dazu beigetragen haben würden, den Eindruck des
Ganzen zu erhöhen, und ^"ahrheiten, die nicht oft genug wiederholt werden können,
jetzt, bei geweckter Empfänglichkeit, auf neue gekannt zu machen. Ich wünsche
nichts sehnlicher, als daß H. Drobisch recht bald Zeit gewinne, das verheißene
größere Werk (S. 52) erscheinen zu lassen; er wird Ihren Freunden und der Wissen-
schaft damit einen wesentlichen Dienst leisten, und auf sich im vollsten Sinne an-
wenden können, was jener alte Dichter sang:
Serif arbores quae alteri saeculo prosient.
Die Nachrichten, welche uns über Ihr und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin
Befinden von Königsberg aus zu gehen, sind zu spärlich || unvollkommen, als d;iß
sie unser Verlangen befriedigen könnten. Wir müßen uns mit den herzlichsten und
theuersten Wünschen, die wir Ihnen recht oft aus treuen Herzen wenn auch aus
weiter Entfernung zusenden, für Ihr Wohlergehen begnügen, und hoffen, daß eine
höhere gütige Hand sie erfüllen werde. Mögen Sie sich einer fortdauernden, unge-
trübten Gesundheit erfreuen !
Mögen Sie Ihre Lehren und Weisheit in recht vielen empfänglichen Seelen
befestigen, und einen reichen Ersatz finden für alles, was Sie in Königsberg ver-
lassen haben! Möge Ihre Frau Gemahlin sich jetzt in Göttingen besser gefallen, als
es anfangs in neuen Verhältnissen und Umgebungen zu geschehen pflegt, und in
der erwachenden und bildsamen Geisteskraft des Otto einen reichen Lohn für ihre
edle und menschenfreundliche Gesinnung finden!
In Königsberg bin ich seit dem Winter 1833 nicht gewesen, und da ich keine
Briefe mehr von dort empfange, so kann ich Ihnen auch über die Königsberger
Verhältnisse nichts weiter mittheilen, || als was ich selbst vom Hörensagen weiß. Auch
intereßirt mich das jetzige philosophische Treiben des Prof. Rosenkranz sehr wenig
und ei-warte ich überhaupt von Königsberg aus nichts für Sie. Der Dr. Rupp ver-
tritt einstweilen an dem hiesigen Gymnasium die Stelle des Prof. Pudor, welcher
seiner Pensionierung entgegensieht. Sonst ist hier alles beim alten geblieben, in
meiner Familie und in meinen amtlichen Verhältnißen. Ich habe Ursache fort-
während darüber zu klagen, daß ich vor allen Geschäften, die auf mir lasten, nur
dazu kommen kann, flüchtig und abgerissen für mich selbst zu sorgen, sonst aber
darf ich zufrieden sein. Meine Reise nach Berlin, die ich jüngst beabsichtigte, habe
ich noch nicht ausgeführt. Sollte es mir nicht vergönnt sein, mit Ihnen, theuerster
Herr und Freund einmal in Berlin zusammen zu treffen? Wüßte ich, wann Sie
einmal in Berlin oder Leipzig wären — vielleicht könnte ich es möglich machen,
zu derselben Zeit dort zu sein.
Meine Frau und Marie haben mir die herzlichsten Gniße an Ihre Frau Ge-
mahlin mitgegeben. Wie sehr würden Sie uns alle erfreuen, wenn Sie uns durch
einige Zeilen Ihrer Hand beglaubigen würden, daß Sie nicht aufgehört haben, wohl-
wollend an uns zuriick zu denken!
Mit unveränderter Liebe und Hochachtung bleibe ich für immer
Ihr treu ergebenster Grolp.
124 Dezember 1834.
NB. Der Herr Präsident Meding gedenkt Ihrer oft mit großer Verehrung
und Theilnahme. Er läßt sich Ihoen freundlichst empfehlen. Ich bin sehr häufig
in seinem Hause. Ich bin sehr erfreut gewesen, in deu Prolegomena zu der
3ten Auflage der Einleitung einige Winke zur Geschichte der Philosophie von Ihnen
zu lesen. Doch sind sie für ein größeres Publikum ohne Ihre Einleitimg, zu apho-
i'istisch. Möchte es Ihnen gefallen, in ähnlicher "Weise darüber zu schreiben, wie
Schaller in dem 2. Theile seiner Verstandes- und Gedächtnißübungen, versteht sich,
daß der Gehalt ein ganz anderer sein würde, aber der Zuschnitt könnte ungefähr so
sein. Der Plan von Schaller ist gut; er wird oberflächlich unverständlich. In der
größeren Schrift welche der Herr Professor Drobisch zur Erläuterung Ihres philo-
sophischen Systems herauszugeben beabsichtigt, wird derselbe doch gewiß auch der
Einwürfe gedenken, welche denselben von andern gemacht worden sind, und dieselben
widerlegen. Ohne Polemik kann jene Schrift ihren Zweck nicht erreichen!
500. Richthofen an H.') ßrechelshof, d. 24sten Dec. 34.
Mein verehrter alter Freund ! Hätte ich nicht zuweilen von Ihnen durch meinen
Sohn freundliche Kunde erhalten, so müßte ich fast fürchten . daß, eben an dem
Ort wo unsere Verbindung vor 24 Jahren begann, ich bei Ihnen in Vergessenheit
gefallen sey, wiewoll ich das aufrichtig gesagt nach so langer Zeit für unmögliohr
halten würde, selbst wenn mich mein Sohn nicht des Gegentheils versicherte.
Seyn Sie mir, mein alter Freund, jedoch nicht minder herzlich wie immer gegrüßt!
Auch ich bin ein ziemlich nachlässiger Korrespondent, und habe mich daher kaum
zu beklagen; auch fällt bei mir eben nicht viel vor was der Mittheilung bedürfte^
und Hauptsachen sind »icht ohne Ihre Kunde geblieben. Meine Zeit wird leider
großentheils von Geschäften absorbirt, und so habe ich denn noch nicht einmal die-
neue Schrift von Drobisch gelesen, erwarte sie sogar noch vom Buchhändler. || Karl
schreibt mir Sie seyn im Ganzen mit Göttingen zufrieden, nur Ihre Frau könne sich
noch nicht eingewöhnen, und Professor Hofmann aus Breslau hat mir dasselbe
mündlich gesagt. Königsberg muß in der That für alle Eingebohrnen eine große
Anziehungskraft besitzen; meine Tante, die Fürstin Holstein, die diesen Winter dort
zubringt, schreibt mir ganz erfreut, und Professor Schubert, der diesen Winter vor
einem großen militärischen Kreise historische Vorlesungen hält, äußerte sich früher
gegen mich auf ähnliche Weise.
Diesen Herbst war ich 8 Tage in Berlin ; ich wollte meinen zweiten Sohn auf
seiner Reise nach Göttingen bis dahin begleiten, und mußte ihn wegen verweigerter
Erlaubniß zu meiner großen Betrübnis dort lassen. Reichhelm habe ich nun auf
der Straße gesehen, da ich ihn nicht zu Hause fand; Dieterici war sehr freund-
lich gegen Sie; er beabsichtigt als Staatswissenschaftslehrer noch das Katheder zu
besteigen."'') Auch Stägemann^) äußerte sich freundlich; und von Hedemann hörte
ich, daß Ihre Entfernung aus Preußen Alexander Humboldt sehr misbiUigen soll;
mit Hedemann habe ich absichtlich jedes Gespräch über Sie vermieden, Nikolovius
gehört aber zu Ihren dortigen Freunden.
Mein ältester Sohn ist in Historie und Rechtswissenschaft so vergraben, ||
daß Sie ihn wohl wenig sehen werden; er hat eine andere wissenschaftliche Rich-
tung genommen, aber er verfolgt sie mit solchem Eifer, daß ich alles Gute hoffe;
') 3 S. 4«. H. Wien
■-) K. Fr. W. Dieterici (1790—1859) wurde im Dez. 1834 zum 0. Prof. der
Staatswissenschaften ernannt. (S. Allg. d. Biogr. 5, 160.) Er hatte 1809 bei Her-
bart in Königsberg studirt.
3) Fr. Aug. von Stägemann (1763—1840), Staatsmann und Dichter.
Dezember 1834, 125
Eichhorn in Berlin ist so eingenommen von ihm und seinen Arbeiten, daß mir die
Unterredungen mit diesem eine wahre Vaterfreude waren. Auch mein zweiter
Sohn wird brav. Wegen der Verlobung meiner ältesten Tochter habe ich Ihnen
jüngst eine Karte gesandt; General Lützow, Bruder des gestorbenen Freikorps-
kommandanten, ist einer der trefflichsten Männer die ich kenne, und in meineni
Alter noch jugendlich rüstig. — Ein unangenehmes Ereignis in meiner Familie ist,
daß mein alter 73 jähriger Vater noch einmal heirathen will; der Grund ist wohl
eben Altersschwäche. Gut daß ich in Vermögensaugelegenheiten von ihm unabhängig,
und ihm als ältester Sohn für seine Hauptbesitzungen substituirt bin; ich bin daher
in dieser Hinsicht weniger dabei interessirt, aber dennoch betrübt mich die Sache
sehr. So mischt sich in mancherlei Beziehungen Freude und Betrübniß.
Möge Ihnen das neue Jahr nur die erstere bringen.
Sie fragen, ob ich nicht einmal nach Göttingen komme? Das hängt von Um-
''ständen ab, denn ich bin mannigfach gebunden! Griißen sie meinen Sohn und
bleiben Sie mein Freund! Der Ihrige ßichthofen.
Bei Durchlesung des Briefes finde ich, daß ich seine Haupt- Veranlaßuns? die
Einssendung nicht erwähnt: mögen Sie daraus abnehmen, daß ein anderes Band
mich auch nach 24 Jahren noch an Sie fesselt. R.
1835.
W.: Über die Subsumtion der Psychologie unter die ontologischen Begriffe (S. Bd. X.
S. 197 — 206). ■ — Umriß pädagogischer Vorlesungen. Erste Ausgabe (S. Bd. X. S. 65
bis 196). — Selbstanzeige des Umrisses (S. Bd. XIII. S. 280—282). — Rez. von
Griepenkerls Briefen über Herbarts Lehren (S. Bd. XIII. S. 278 — 279), Kappes Piatons
Erziehungslehre (S. Bd. XIII. S. 282 — 284), Hartensteins Probleme der Metaphysik
(S. Bd. XIII. S. 286 — 289).
501. An Drobisch.l) Göttingen, 7 Jan 3S
Mein theurer Freund! Der Brief den ich Ihnen hier sende, ist vom
Regierungs- und Schulrath Grolp zu Marienwerder, dem Bruder von Reich-
helms Frau. Der Präsident Meding, der im Briefe genannt wird, ist ein
reicher Mann; unfreywiliig pensionirt, man weiß nicht recht warum; er
war in Königsberg sehr geachtet, und höchst wahrscheinlich hat die Zurück-
setzung bloß in persönlichen Misverhältnissen ihren Grund. Er besuchte
(noch als Präsident) meine psychologischen Vorlesungen mit großem Eifer,
und hat es sehr gemisbilligt, daß man mich gehen ließ. Der Dr. Rupp,
der jetzt am Gymnas. zu Marienwerder, also unter Grolps amtlichem Ein-
flüsse, arbeitet, ist ein junger tüchtiger Mann, ehemals mein Zuhörer, der
Kant und Spinoza sehr gut kennt, und in Königsberg mit vielem Bey-
fall Vorlesungen als Privatdocent (unter anderm über Göthes Faust) ge-
halten hat.
Nun bitte ich Sie um eine Gefälligkeit, die wahrlich nicht die größte
ist, welche Sie mir schon bewilligt haben. Schreiben Sie an Grolp.
Sagen Sie ihm, daß Sie den inliegenden Brief von mir zugeschickt erhalten
haben. Sie können Sich || zwar nicht absichtlich, aber wenn günstige Um-
stände kommen, sehr leicht, durch einen, ein paar Jahre lang fortzusetzenden
Briefwechsel mit Grolp, die ganze Gegend der Städte Stolpe (Grolps Ge-
burtsort), Marienwerder, Marienburg, Elbing, Danzig pp. gewinnen. Dort
ist eine neue Aufregung, die selbst auf Königsberg zurückwirken kann.
Grolp ist eine grundehrliche Seele; er meint es, wie er schreibt. Seine
amtlichen Verhältnisse -bringen ihn fortwährend mit vielen Personen in
Berührung. Einige Zeilen von Ihnen werden große Freude verursachen;
einige gute Nachrichten von Ihrem Wirken in Leipzig werden eine höchst
interessante Neuigkeit seyn, besonders wenn Sie hinzufügen, daß auch
Hartenstein gewissermaßen mit Ihnen in gleicher Richtung wirkt.
*) 2 S. 8».
Januar 1835. 127
Sollten Sie gute Gelegenheit finden, Sich Alexandern v. Humboldt
zu nähern: so werden Sie, wenn einer Nachricht, die ich von einem Orte
außerhalb Berlin empfing, i) zu trauen ist, Anklang finden. Sie könnten ihm,
denke ich. Ihr mathematisches Werk geradehin zusenden. Die Nachricht
betrifft freylich mich; aber sie paßt, denke ich, noch besser auf Sie.
Soviel in höchster Eile. Von Hendewerk habe ich ein theologisches
und polemisches Manuscript empfangen, was wahrscheinlich bald gedruckt
wird. 2) Ihr H.
Sie könnten, wenn Sie Sich in Königsberg eine directe Verbindung
schaffen wollten, auch an den Doctor Taute, meinen vieljährigen Gehülfen
im pädag. Seminar, schreiben. Von ihm habe ich in den allerstärksten
Ausdrücken einen Glückwunsch zu Ihrer Schrift empfangen. Taute würde
das sehr hoch aufnehmen; aber ich kann Ihnen keinen besonderen Einfluß
von Tauten versprechen,
502. Drobisch an H.^) Leipzig, d. 10 Januar 1835.
Hochverehrter Herr und Freund! Ich beeile mich, Ihnen den Brief des H.
RR. Grolp zurückzusenden. Natürlich mußte mir ein so günstiges llrtheil viel
Freude machen, und ich danke Ihnen daher herzlich für die Mittheilung. Freilich
mag es leichter seyn, Ihre persönlichen und literarischen Verehrer in ihrer Über-
zeugung zu bestätigen, als irgend einen Mann von Bedeutung, der bisher der Ent-
wicklung Ihrer Philosophie mit Gleichgültigkeit oder gar mit ^\"iderwillen zugesehen,
zu gewinnen. Das würde erst den wahren Beweis, liefern, daß man sich nicht ver-
geblich geregt habe. Doch ich bescheide mich, um solchen Preis zu gewinnen, noch
Viel zu wenig versucht zu haben. Da Sie so lebhaft wünschen, daß ich mich mit
H. RR. Gr. in Briefwechsel setze, so will ich darauf denken es möglich zu machen.
So erfreulich es mir nämlich auch seyn wird, mit einem so trefflichen Manne in
nähere Berührung zu kommen, so sehr muß ich befürchten, gleich von vornherein,
durch die Motiven des Briefes, in den Verdacht eines eitlen Menschen zu gerathen,
.der, noch nicht zufrieden sein Lob aus der dritten Hand erfahren zu haben, dessen
nun auch auf geradem Wege noch mehr begehrt. Entschuldigen Sie daher wohl-
wollend, wenn ich mit meinem festen Entschluß Ihrem Wunsche zu entsprechen,
noch etwas zögere, um mir jedenfalls Reue und Scham zu ersparen. — Noch weit
mehr trage ich Bedenken, mich an fl. Alex. v. H. zu wenden. Hätten Sie mir
diesen Wink unmittelbar nach Erscheinung meiner letzten Schrift gegeben, so hätte
ich ohne Weiteres diese und die mathematische ihm übersandt. Jetzt geht das
nicht wohl mehr an. Er kann möghcher Weise in der einen oder der andern schon
geblättei-t haben. Da, scheint es mir, tritt es nun zu stark hervor, daß die ver-
spätete Sendung nicht ohne Absicht ist. Vielleicht verlohnt es sich künftig, wenn
ich über die mathem. Psychol. etwas zu Stande gebracht habe, noch einen solchen
Schritt zu thun. Freilich könnte ich mir als möghch denken, daß ein Mann wie
Humboldt, wenn er erfährt, daß Sie beabsichtigen die Philos. „zur exacten Wissen-
schaft zu erheben" stutzig und aufmerksam wird. Doch dies scheint er ja schon
geworden zu seyn.
Ich trage jetzt die psychologische Theorie der musik. Consonanzen vor, und
bin zum erstenmal mit diesem Gegenstand, der mir — wahrscheinlich hauptsächlich
1) S. o. S. 124.
2) S. u. Nr. 504.
ä) 2 S. 4°. H. Wien.
128 i835-
wegen unvollkommener musik. Kenntnisse — immer viel Schwierigkeiten gemacht
hat, zu meiner Zufriedenheit ins Reine gekommen. Ich habe in der math. Psych,
in der That einige Zuhörer, die der größten Genauigkeit des Vortrags werth sind,
vorzüglich den Ihnen schon einmal namhaft gemachten Philologen Bonitz, mit dem
ich in diesen Tagen eine zweistündige Unterredung über mehrere der schwierigsten
Puncte der Metaphys. und Psychologie gehabt habe, in der er mir Zweifel vorlegte,
die ihm gewiß alle Ehre machen, die aber zu beseitigen mir doch gelungen ist. Er
hat vorzüglichen Scharfsinn, ich beklage, daß er nur Philolog werden will. Kennen
Sie vielleicht ein kürzhch erschienenes Schriftchen „über die Natur der Musik von
W. Opelt. Lpzg. 34". Es ist mir sehr interessant gewesen, indem es den Zusammen-
Jiang zwischen Consonnanz und Rhythmus in ein helles Licht setzt, obgleich der Vf.
darin sehr im Irrthum ist, wenn er den Grund des Wohlgefälligen im ersteren aus
dem letzteren ableiten zu können meint.
Mit vielem Interesse habe ich in den Gott. Anz. No. 193 die Auszüge aus
Huygens's Briefwechsel gelesen. Wie philos. bornirt zeigt sich doch immer der
alte Huygens! Als echter Holländer schätzt er Methoden, die imaginären Wurzeln
zu finden, gering, weil diese sich nicht essen lassen. In der Differentialrechnung
läßt er sich allenfalls d x gefallen, handelt aber sehr mit Leibuitz, ob er des d"'* x
etc. nit;ht überhoben werden könne. Wenn er über Newtons Gravitationssystem
spricht, so ist mir's fast als hörte ich unsern Prof. Weiße, oder ich glaube, es
spräche irgend ein Recens. von Ihrer math. Psychologie. Es war mir höchst merk-
wüi'dig, und ich werde tüchtig von diesen wichtigen Notizen Gebrauch zu machen
wissen, wenn ich über die Psychol. schreibe. Leider habe ich mich in dieser
letzten Zeit sehr abgespannt und zu ernsten Arbeiten wenig aufgelegt gefühlt. Die
abnorme Witterung mag einen Theil der Schuld tragen. Vor 8 Tagen hatte ich
den Unfall, in der Stube hinzufallen und dabei eine Kopferschütterung zu leiden^
die bis vorgestern mich mit sehr unangenehmen Empfindungen verfolgt und ziem-
lich untüchtig gemacht hat. Nun scheine ich die Übeln Folgen überwunden zu
haben, dafür plagt mich aber ein ähnliches Befinden wie im April in Weimar.
Mit Strümpell stehe ich in gutem Vernehmen. Weiße schreibt an einer
Metaphysik und hat, um die Grundbegriffe der Mechanik kennen zu lernen, weil
sich vermuthlich eine Naturphilosoph, anschließt, von mir ein Handbüchlein der
Statik sich geliehen. Mag er sich immer an den Naturwissenschaften den Kopf
einrennen. Wenn er die Dreieinigkeit dialektisch entwickelt zu haben meint oder
die Auferstehung des Fleisches, so kann ihn freilich keine Erfahrung und Mathe-
matik controliren ; aber hier werden wir ja sehen, wenn ihm nicht etwas das Kunst-
stück gelingt, den Punct zu finden, wo die Speculation sich selbst überflüßig macht,
und die Empirie emancipirt wird.
Gott erhalte Sie in diesem Jahre in ganzer, ungeschwächter Kraft des Geistes und
Körpers damit wir Ihre Schüler und Anhänger noch lange hinaus in Ihnen unsern
Mittelpunct, unsern festen Grundstein finden, der allein uns Halt und Einheit giebt.
Dies zugleich mit den besten Wünschen für das Wohl Ihrer Frau Gemahlin das
von Herzen kommende Bekenntniß
Ihres treu ergebenen Drobisch.
503. An Drobisch. i) Ohne Datum.
In Ihrem gestrigen Briefe, mein theurer Freund, findet sich eine Zeile,
die mich um so mehr zu einer eiligen Antwort treibt, da ich eine gehörig
') 2 S. 4^
1835. 129
vorbereitete noch im Laufe eines Jahres schwerlich werde geben können.
Sie nennen eine Schrift über die Natur der Musik. Diese jetzt zu lesen
ist mir schlechterdings nicht möglich, denn ich habe bey andern sehr
nöthigen Gegenständen vollauf zu thun. Aber Ihr Lob dieser Schrift: es
sey darin der Zusammenhang zwischen Consonanz und Rhythmus ins
Licht gesetzt, nöthigt mich auf der Stelle, Sie um Vorsicht zu bitten.
Fragt man mich nach jenem Zusammenhange, so antworte ich, es giebt
keinen. Sondern in der ganzen Psychologie kenne ich kaum zwey so
disparate Dinge, als Consonanz und Rhythmus. Die Consonanz beruht
auf der Verschmelzung vor der Hemmung. Der Rhythmus beruht auf
der Wölbung und Zuspitzung. Was hat aber Wölbung und Zuspitzung
mit der Verschmelzung 7<or der Hemmung zu thun. Nicht einmal die
Verschmelzung 7iac/i der Hemmung ist dabey nöthig. Der Rhythmus fängt
an bey drey Schlägen, etwa eines fallenden Tropfens. Die Untersuchung
ist so zu führen, daß man erst die Wölbung beym ersten Schlage, dann
die Zuspitzung beym zweyten ins Auge faßt, und nun die daraus ent-
stehende Reproduction untersucht, welche dem dritten Schlage entgegen-
kommt. Haben Sie davon etwas in jener Schrift gefunden? ich zweifle
bis Sie mirs sagen. — Hiebey ist sogleich zu bemerken, daß der dritte
Schlag erfahrungsmäßig durchaus verschieden wirkt, wenn er stärker oder
schwächer ist als der zweyte. j J | .• wenn der dritte Schlag stärker ist;
' wenn er schwächer ist. Jenes führt auf die Tactarten, welche
nach Vielfachen der Zwey fortgehn, (Viervierteltact, zweyvierteltact), dieses
auf die dreytheiligen. ||
Um Vorsicht bitte ich nun desto mehr, weil die ästhetischen Gegen-
stände gerade zu denen gehören, welche, die Psychologie praktisch wichtig
von einer Seite, und von der anderen den Vergleichungen mit der Er-
fahrung zugänglich machen.
Wie haben Sie denn die augenscheinliche Zusammenstellung der
Symmetrie (worauf der Rhythmus beruht) mit der Dissonanz beseitigt?
ich sollte meinen diese Thatsache wäre genug, um die Consonanz vom
Rhythmus fern zu halten. Die Octave in zwey, drey, vier gleiche Theile
verschnitten, dissonirt ja immer! — - —
(Die mitgetheilte Nachricht bekam ich erst wenige Tage zuvor.) Daß
Sie an A. v. H[umboldt] nichts senden wollen, ist mir ganz recht; ich
hätte es ungern gesehen wenn Sie ihm die kleine, mich betreffende Schrift
angeboten hätten, bevor die bekannte Stelle in B. besetzt ist; ich befinde
mich hier zu sehr an meinem Platze, als daß ich mir die Miene eines
Wunsches geben möchte. Auch mit dem Schreiben an Gr[olp] hat es Zeit;
ich wünschte Sie nur, indem die Gelegenheit sich darbot, aufmerksam zu
machen, daß in jenem Nordosten eine sehr beträchliche Menge Zunders
liegt, auf den Sie Funken werfen können. Zwanzig Jahre lang gehörten
in Königsberg meine Voriesungen zu den vorzüglich besuchten. Die Leute
waren zwar der dortigen Sitte gemäß nicht regelmäßig fleißig (besonders
scheute man den weiten Weg bis zu meinem Hause) aber meine Ein-
leitung begann in der Regel mit mehr als 100 Zuhörern; die prakt. Philos.
und Pädagogik mit 40 bis 60. Bedenken Sie nun die Menge der, großen-
Herbarts Werke. XVI] I. 9
130 Januar 1835.
theils jetzt a«^(?stellten, Individuen! Und erkundigen Sie Sich, (wenn es
Ihnen behebt,) nach der Ursache, weshalb man auf Sie geivartet hat, daß
Sie Sich einer Sache annahmen, die meinen Zuhörern unstreitig näher
lag? Eine solche Frage geziemte sich, denke ich, wohl gegen manchen
Unschlüssigen und Furchtsamen! Nur freylich, Ihr Zartgefühl wird die
Frage schwerlich aussprechen! — Mit Bedauern und nicht ohne einige
Besorgniß lese ich die Nachrichten von Ihren Gesundheitsumständen, die
Schonung zu lodern scheinen. Mit mir geht es wenigstens besser als
vorigen Winter. Grüßen Sie Strümpelln gelegentlich!
Von Herzen der Ihrige! H.
504. An Hendewerk. 1) Göttingen, den 31. Januar 1835.
Seien Sie nicht böse, mein sehr geehrter Herr und Freund! daß die
Angelegenheit Ihres Manuscripts -) um ein paar Wochen isi verzögert worden;
ich habe deshalb um Entschuldigung zu bitten, und hoffe diese um desto
leichter zu erhalten, da Sie längst wissen, daß die jetzige Jahreszeit meiner
Gesundheit nie günstig ist. In den Ferien mußte ich zu einer noth-
wendigen Aibeit jede Stunde benutzen, so oft ich einigermaßen zum
Denken und Lesen tüchtig war. Herr Professor Gieseler hatte die Güte
gehabt, Ihre Schrift in wenigen Tagen durchzusehen; er bezeigte sich im
Ganzen wohl zufrieden, bemerkte aber doch ein paar Punkte, die ich im
Zusammenhange nachsehen und überlegen mußte. Folgendes habe ich
nun darüber vorzulegen.
i) Sie unterscheiden Fol. 52 ein nihil negativum und positivum etc.
2) Bei weitem wichtiger ist ein anderer Punkt, welcher, wie es Herrn
Professor Gieseler und mir scheint, großen Anstoß geben kann, wiewohl
unnöthiger Weise. Sie sagen Fol. 65: Gott sei nicht unendlich. Hier
haben Sie ohne Zweifel den metaphysischen Begriff" des Realen im Sinn,
welches als solches nicht unendlich sein kann. Wird denn aber Gott, in-
dem wir ihn verehren, jemals durch diesen, von aller praktischen Be-
deutung entblößten Begriff in seiner Nacktheit und Allgemeinheit gedacht?
Da ich nicht unternehme, mit meiner Feder etwas in Ihr Manuscript
hineinzuschreiben — vollends bei einem so hochwichtigen Gegenstande:
so erlaube ich mir dagegen, Ihnen hier einige Gedanken vorzuschlagen,
wie meines Erachtens über den Gegenstand zu reden wäre:
Gott ist nicht blos und überhaupt ein reales Wesen, sondern er ist ein
Geist, und soll als solcher von uns verehrt werden. Fragen wir uns nun,
ob wir auf ihn den Begriff der Endlichkeit und Unendlichkeit anwenden
sollen: so ist zuvörderst klar, daß wir ihn rieht als einen endlichen Geist
•) Aus „Herbart und die Bibel. Mitteilungen u. Andeutungen von K. L. Hende-
werk, Dr. der Philos., Lic. der Theol. u. Pfarrer zu Heiligen-Kreuz.'' Königsb. 1858.
S. 4 fi. — In dem Anhange" heißt es u. a. :
, Ich habe gesessen zu Herbarts, des Herrlichen Fülten,
Eines Schülers von Kant, denen wohl keiner mehr gleicht.
Dort hab' gelernt ich die Kunst des klaren und deutlichen Denkens^
Um zu erfassen das Licht, welches vom Ewigen stammt."
*) Eine Schrift zum Schutze des Christentums etc. gegen Rosenkranz' Habilitations-
schrift gerichtet. Vgl. 14. Jahrb. d. Vereins f. wissensch. Päd., Langensalza, Hermann
Beyer & Söhne (Beyer & Mann), S. 292, wo auch der Brief noch einmal abgedruckt ist.
Januar 1835. 13I
bezeichnen dürfen, da wir die Größe eines Geistes nach dem Umfange
seiner Intelligenz und seines Wirkens schätzen, und da Gott gedacht
werden soll, als überschauend die unendliche Möglichkeit des Werdens,
und aus dieser heraushebend das endliche Werden in unendlicher Zeit.
Anders aber verhält es sich mit der Substanz des Geistes. Wer auf diese
den Begriflf der Unendlichkeit anwendete, der würde theils überhaupt Ge-
fahr laufen, in den Spinozismus und Pantheismus zu gerathen, theils ins-
besondere sich in das Selbstbewußtsein Gottes die Ungereimtheit hineinzu-
denken, als ob Gott für sich selbst unfaßlich wäre. Denn das Unendliche
ist unfaßlich. Andererseits ' darf doch auch nicht gesagt werden, die Sub-
stanz Gottes sei endlich, weil nämlich, wer dieses sagt, sogleich den Miß-
verstand veranlaßt, als trage das Endliche einen Mangel in sich, da endlich
und begrenzt immer als verbunden pflegt angesehen zu werden, und das
Begrenzte so vorgestellt wird, als ob ihm etwas fehlte. Hieraus ergiebt
sich also, daß keine menschliche Sprache mit Sicherheit zu einem solchen
Dogmatismus hinreicht, der über die uns völlig unbekannte Substanz des
höchsten Geistes etwas würde festsetzen wollen. Wir müssen also vor-
sichtig sein, zugleich aber von den Gegnern gerade eben so viel Vorsicht
fordern.
In Folge des Vorstehenden mache ich nun den unmaßgeblichen
Vorschlag, die Stelle Fol. 65 so abzuändern:
„Was aber das Verhältniß des Endlichen zum Unendlichen betrifft,"
so wird erstlich zwar mit Recht Gott als unendlicher Geist gedacht,
der aus unendlicher Möglichkeit das Endliche der Welt durch meinen
Rathschluß wählte, und mit dem menschlichen Künstler durch keinen
Maaßstab kann verglichen werden, indem der Mensch nur mit Hülfe
seines organisirten Leibes, jedoch auch blos zusammensetzend, niemals
organisirend wirkt. Dennoch aber darf selbst der unendliche Geist nicht
als schlechthin und an sich unfaßlich vorgestellt werden; sonst würde das
Ungereimte folgen, daß er sogar für sich selbst unfaßlich, mithin keines
wahren Selbstbewußtseins fähig wäre. Hiemit verschwindet nun schon
jene vermeinte Unzugänglichkeit für alle Prädicate.
„Zweitens aber ist es auch mit jenem Endlichen- (den Prädikaten)
„nicht so bestellt, wie gewähnt wird'' u, s. w.
Und nun, mein sehr geehrter Herr! wünsche ich noch Eins —
nämlich, daß diese Ausstellungen Sie nicht verdrießen und nicht unmuthig
machen. Im Ganzen werde ich mich sehr aufrichtig freuen, wenn es
dahin kommt, daß Ihr Manuscript gedruckt vor mir liege. Eine so oflFene
Gegenwirkung, wie Sie zeigen, gegen den immer mehr überhand nehmenden
Irrthum ist nach Allem, was ich höre und sehe, höchst nothwendig. Mit
meiner hiesigen Wirksamkeit kann ich zwar zufrieden sein; aber es ist
auch die allerhöchste Zeit, daß man mir zu Hülfe komme, wenn ich
nicht endlich doch unterhegen soll, und in die Theologie kann ich, wie
Sie wissen, unmittelbar nicht eingreifen. Möge es Ihnen beschieden
sein, eine heilsame Anregung hervorzurufen! Und wenn Sie nur erst mit
einigem Erfolge in die literarische Welt eingetreten sind, dann können Sie
weiter wirken. Die Schleiermacher'schen Schriften, die jetzt herauskommen,
werden Ihnen Stoff und Arbeit geben, und die Arbeit wird nicht so sauer
132 Febraar 1835.
sein, wie die gegen Ihre jetzigen Gegner, denn Schleiermacher war
wenigstens ein besserer Kopf als jene.
Antworten Sie nur ja recht bald!
Von ganzem Herzen der Ihrige! H.
505. Drobisch an H.^) Leipzig, 1. Feb. 1835.
Hochverehrter Herr und Freund! Die Besorgniß, die Ihren letzten Brief rer-
anlaßt, isl ungegrüudet. Von einer psychologischen Theorie ist in dem Buche von
Opelt nirgend die Rede, sondern nur von Rhythmen der Schwingungen. In der
Quinte z. B. macht der untere Ton immer 2 Schwingungen während der obere deren
3 macht. Diese Schwingungen sind freilich so schnell, daß an das Hören der
einzelnen nicht zu denken ist. Aber es geht doch aus dem Verhältniß 2:3 ein
bestimmter Rhythmus hervor, der ohne Zweifel in den Schwingungen der die Quinte
gebenden Saiten statt findet und also der Quintenrhythmus heißen kann. Fallen
nämlich die ersten Schwingungen zusammen, wie dies bei gleichzeitigem Anschlagen
12 3 4
der Fall seyn muß, so entsteht folgender Rhythmus i* T T T' "^° •'- ^^^ ^ Schwin-
gungen der ersten, 1, 2, 3, 4 Schwingungen der zweiten Saite smd. Diese Be-
merkung hat 0. angewendet, der Latour sehen Sirene eine Erweiterung zu geben
und auf ihr alle Consonanzen, Dissonanzen, consonirende und dissonirende Accorde
zu construiren und hören zu lassen, das Mitklingen der Combinationstöne zu erklären
u. s. w. Jir meint nun freilich, die Seele, obgleich unfähig die einzelnen Schläge
der schwingenden Saiten wahrzunehmen, bekomme nicht nur diesen verschiedenen
Rhythmen gemäß verschiedene Gefühlseindrücke, was wol unzweifelhaft ist, sondern
das Wohlgefallen und Mißfallen an ihnen beruhe auf der Auffaßbarkeit oder ünauf-
faßbarkeit der ihnen zum Grunde liegenden Rhythmen, welcher Meinung beizutreten
mir natürlich nicht in den Sinn kommen kann.
Aber viel wichtiger ist es mir, Ihnen wieder einige psychologische Zweifel
vorzulegen, über die ich mir, wenn meine Bitte nicht zudringlich erscheint, zum
Behufe meiner Vorlesungen recht bald eine Belehrung erbitten möchte. Sie be-
treffen das 2. Kap. der Mechanik S. 253 ff. Ist von einer Hemmungssumme S
bereits a gehemmt, so ist S — a allerdings die Nöthigung zur ferneren Hemmung,
jedoch in folgendem Sinne. Es ist von der Vorstell, a, b, c, etc., deren HS = S zu-
sammengenommen a Kraft geworden, Kraft zum Aufstreben, welche, wenn nicht S
als Gegenkraft wirkte. Steigen hervorbringen müßte ; S — a ist also der Überschuß
der zum Sinken treibenden Kraft oder Last der HS. über das Aufstreben der Vor-
stellungen.
Ob nun a, b, c etc. vorher ungehemmt waren, oder ob a und b sich bereits im
Oleichgewicht befanden, ist, wie es mir scheint, im "Wesentlichen einerlei. Es muß
im letztern Falle nur von S die HS. von a und b, etwa S' im Allgemeinen, in
Abzug gebracht werden. Dies gäbe dann also, wie S. 253, für a, b, c, wo dann
a und b im Gleichgewicht und verschmolzen, anfangs als zu hemmendes Quantum
S — S' = c. Sey nun, wie a. a. 0., nach der Zeit t davon a gesunken, so wird dies
aus 3 Theilen bestehen,' die ich in Beziehung auf a, b, c durch a', a'\ a'" be-
zeichnen will, a' und a" bezeichnen, wie viel a und b unter ihren vorigen Gleich-
gewichtspunct (der, wenn c gegen sie auf der Schwelle, es auch ferner bleibt) ge-
sunken; a'" bezeichnet, wie viel von dem vorher völlig freien c gehemmt ist. In
beiden Fällen ist sowohl a' \md a" als »'" Kraft, nämlich zum Aufstreben, der Last
») 2 S. 4». H. Wien.
Februar 1835. 133
der HS. c entgegen.' Da nun a' + o" -j- a'" = a, so scheint mir in c — a schon das
Aufstreben von a und b enthalten, das S. 2ö4 oben noch einmal in Rechnung ge-
bracht wird. — Gesetzt nun aber, Sie belehren mich, daß dieser zweite Ansatz noth-
wendig ist, so stoße ich mich wieder an sein Pluszeichen. Ich gebe zu: die Hem-
mungsverhältniße dürfen nicht verletzt werden, und keine einzelne Yoi-stellung kann
geschwinder sinken als es ihr Hemmungsverhältniß zu den übrigen zuläßt. Aber
das Aufstreben von a und b muß, soviel ich jetzt einsehe, ebendeshalb das Sinken
der HS. verzögern. Dies Aufstreben kann nicht die einzelnen Vorstell, a und b
unverhältnismäßig empor halten, aber es stemmt sich gegen das Sinken der HS. und
kommt mit a und b auch dem c zu gute, so daß diese alle drei langsamer sinken
müssen. — Daß beide Vorschläge zu unerfreulichen Consequenzen führen, indem
c c
das einemal t = te , das anderemal t = tg kommen würde, wovon die
"'c — or c — aa
erstere Formel nie zu einem Wiederaufsteigen von a und b führen, die 2te aber
gar eine imaginäre Größe geben würde, begreife ich wohl; aber den geraden Aus-
weg zu finden, wollte mir bisher nicht gelingen. Erlösen Sie mich aus dem
Labyrinth. Vielleicht kommen mir die absurden Consequenzen unterdessen auch
noch zu Hülfe.
Bei Ankunft Dires letzten Briefes hatte ich bereits an E. R. Grolp geschrieben,
daß es in dem Sinne geschehen ist, wie Sie und ich zugleich es wünschen können.
Meine mathem. Psychologie besuchen jetzt noch 8 Zuhörer. Ich bin damit
sehr zufrieden: denn wir sind in die Mechanik getreten, und es sind Leute, auf die
etwas zu geben ist.
Jetzt geht stark die Rede, Reinhold v. Jena solle herberufen werden. Daß
man mit ihm unterhandelt scheint ziemlich zuverlässig. Mein Befinden ist jetzt
gerade gut; aber es wechselt wie das Wetter und in den verschiedensten Formen.
Man muß den guten Tag benutzen.
Str. hat mich mit einer Abhandlung von Thomas über Spinoza's System in
des Vfs. Namen beschenkt; Bobrick mit seinen ästhetischen Vorlesungen, die ohne
Zweifel in Ihren Händen sind. So fängt es denn an, sich überall zu regen. Und
. wir dürfen immer bessere Zeiten hoffen.
Von Herzen der Hinge Drobisch.
506. An K. Reichhelm in Berlin. i) Göttingen, 8. Febr. .833.
Mit Schrecken habe ich Ihren Brief gelesen; keine Nachricht hatte
mich vorbereitet: vielmehr erwartete ich seit Monaten von Ihrem Vater
ein Lebenszeichen, da ich im Herbste dem Herrn Stud, Leichhardt einige
Zeilen an ihn mitgegeben hatte.
Ihr Vater, 2) der einst unter meinen Zuhörern hervorglänzte, war
späterhin einer meiner vertrautesten und geprüftesten Freunde geworden.
Noch oft wird es mir begegnen, ihm in Gedanken etwas mitzutheilen,
das kein Andrer erfährt, und das er nicht mehr vernehmen kann.
Sie wird wohl nur der Gedanke trösten können, ihm wenig Sorge
und viel Freude gemacht zu haben.
Ihren Jahren wäre es zu gönnen, daß Sie noch lange durch keinen
solchen Verlust getrübt in den Wissenschaften und zum Staatsdienste
^) Später Consist.-Rat in Frankfurt a. O. Von ihm ist der Brief durch Vermitteluag
des Herrn Prof. Curtius in Leipzig Ziller mitgetheilt worden. Hier kommt er nach
Zillers Reliquien zum Abdruck.
■-) Der oft im Briefwechsel vorkommende Regierungsrath in Berlin.
134 Februar 1835.
möchten vorschreiten können. Diese Ruhe müssen Sie nun entbehren;
Ihre Mutter, Ihre Geschwister und Verwandte werden nun in Ihnen eine
Stütze suchen.
Ihr Vater wird Ihnen einen sehr geehrten Namen hinterlassen haben ;
ein solcher Name kann Ihnen zur Stütze und zur Aufmunterung dienen.
Wenn vielleicht Ihre Frau Mutter daran denkt, eine Reise zur Er-
holung zu machen, so wolle sie sich gütigst meiner Frau erinnern, die
sich hier noch immer fremd fühlt, und der das Wiedersehen einer Freundin
sehr heilsam sein würde. Meine gehorsame Empfehlung an sie bitte ich
zu bestellen. Von Beileid kann ich kaum reden; der Verlust ist für
mich selbst zu groß und der Schmerz zu tief. Leben Sie wohl!
Herbart.
507. Hendewerk an H.^) Kgbg. d. 9ten Febr. 35.
Ihr sehnlichst erwartetes Schreiben, innigst verehrter Herr Hofrath, hat mich
sehr erfreut und meinen Muth nicht wenig erhöht, denn im Bewußtsein der Un-
voUkommenheit meiner Arbeit, wie sie mir denn an manchen Stellen besonders gar
nicht genügen wollte, und durch Ihr langes Schweigen besorgüch gemacht, fürchtete
ich, daß Sie mit dem Ganzen wenig zufrieden sem würden. Dieses scheint aber
nicht der Fall zu sein. Ihnen daher für die gemachten Ausstellungen zunächst
meinen innigsten Dank sagend, erkenne ich dieselben als wohlbegründet an, wie Sie
die verbesserte Abschrift der beiden Fol. davon überzeugen wird. "Was insbesondere
das nihil negativum und positivum betrifft, so weiß ich davon nur, daß Olshausen
in seiner Dogmengeschichte solches als eine Unterscheidung eines Scholastikers an-
führte. Da indessen ich oder Olshausen sich vielleicht geirrt hat, so habe ich die
fragliche Stelle ganz ausgelassen. Aehnlich verhält es sich mit des Apostel Paulus
ontologischem Beweise des Daseins Gottes, da ich dieses auch nur als eine Reminis-
cenz aus meinem Collegium bei Hrn. Prof. Lelmert angeführt habe. Daher bitte
ich Sie diese Stelle, wie auch die andere von Ihnen angeführte, wo ich Schmidt's
Memung anführe, gütigst wegstreichen || zu wollen, so wie Alles, was Ihnen sonst
noch etwa verfänglich scheinen möchte. Ich werde solches nur dankend anerkennen
können. Nachdem aber dieses geschehen, bitte ich Sie dringend, für das baldige
Erscheinen der Schrift und ihre bestmögliche Ausstattung, da ich schon gerne auf
alles Henorar Verzicht leiste, Sorge zu tragen. Es gilt, mein innigst Verehrter,
nicht mein, nicht Ihr Interesse, es gilt die Sache der Wahrheit, der Religion, des
Christentums. Sollte es mir vergönnt sein, Ihnen in dieser Arbeit, in diesem Kampfe
einige Hülfe zu leisten, so daß ich wahrhaft werth bin, von Ihnen mit dem Namen
eines Freundes geehrt zu werden, so wird meine Freude über die Maaßen groß sein.
Aber das Bewußtsein eines so hohen Berufes kann mir nur durch das Gelingen
meiner wie immer mangelhaften ersten Anstrengungen erhalten werden, wird durch
jedes Mißlingen gaschwächt. Denn ich bin überzeugt, daß die wahre Philosophie
nur dann allgemeine Anerkennung und || Förderung finden wird, wenn ihr inniges
und wesentliches Verhältni-ß zum Christenthume dargethan sein wird. Darum mögen
Drobisch, Strümpell, Röer sich der Naturwissenschaften bemächtigen und auf diesem
Gebiete Ihre Philosophie geltend machen, ich will die Bahn brechen, ihr auch in
der Theologie Geltung zu verschaffen. Sie sagen: „die Schleiermacherschen Schriften,
') 4 S. 40. H. Wien. — Die Unterschrift des Briefes ist ein unleserlicher
Anfangsbuchstabe. Sicher rührt der Brief von Hendewerk her, es ist die Antwort
auf Nr. 504.
Febraur 1835. 135
die jetzt herauskommen, werden mir Stoff und Arbeit geben etc." Wünschen Sie,
daß ich mich hiemit jetzt beschäftigen soll? Ich für meiu Theil beabsichtige jetzt die
Entwerfung eines Grundrisses der christlichen Ethik und hoffe in ihm den Begriff
der sittlichen Schönheit als in der Bibel wesentlich gegeben geltend machen zu
können. Ein Vorläufer dieses Grandrisses soll eine Broschüre mit dem Titel: .,rf?e
sittliche Schönheit ein Hauptbegriff des N. T."') sein, worin ich die meinen Piincipiis
ethicis'^) von den Recensenten gemachten Ausstellungen erörtern kann. Daher wollen
Sie die Güte haben, auch füi- dieses Schriftchen an einen Verleger bei Zeiten oder
doch bei Gelegenheit zu denken.
Damit Sie sehen, welchen Einfluß Ihre Philosophie || auch auf meine Kanzel-
vorträge hat, so überschicke ich Ihnen hier eme Predigi. In dem Falle, daß Sie
Ihnen nicht mißlungen erscheint, bitte ich das zweite Exemplar der Frau Hofräthin
mit einer freundlichen Empfehlung einhändigen zu wollen. Im Buchladen ist sie nicht
zu haben Alle meine bisherigen Predigten habe ich mehr oder weniger von dem
Standpunkte Ihrer Psychologie und allg. prakt. Philos. aus verfaßt, und ich hoffe,
daß auch auf diesem Wege Vieles gewonnen werden kann.
Nun leben Sie wohl, mein unaussprechlich verehrter Lehrer, und erhalten Sie
mir Ihr Wohlwollen, Ihre Achtung, ja ich kann jetzt auch wohl schon sagen, Ihre
Freundschaft. Gott wolle Ihre theure Gesundheit und Thatkraft Ihnen noch lange,
lange erhalten, wie er denn auch mich und alle die die Wahrheit lieben kräftigen
•wolle. Verehrungsvoll Ihr H.
508. An Drobisch.3) 9 Febr. 35.
Entschuldigen Sie, mein verehrtester Freund! daß ich nicht sogleich,
■wie ich gesollt hätte, geantwortet habe. Die erschütternde Nachricht von
Reichhelms Tode traf zusammen mit einem Besuch meines ältsten Uni-
versitätsfreundes, des Bremischen Bundestags -Gesandten Bürgermeister
Smidt, mit welchem wir noch obendrein in ein paar Abendgesellschaften
zusammen eingeladen waren — und so gings fort; daher es mir aus den
Gedanken kam, daß Sie eine schnelle Antwort gerade diesmal ausdrücklich
verlangt hatten. Sonst hätte ich doch ein paar Zeilen gleich geschrieben,
denn die Sache ist mir nicht im geringsten zweifelhaft, obgleich ich ein-
räume daß sie auf den ersten Anblick etwas Befremdliches haben kann.
Sie sagen: a' -\- o" -\- a'" = n ist Kraft geworden. Ja freylich —
nur nicht wirksame Kraft für die jetzige Rechnung.
Wie auch immer eine Hemraungssumme entstanden sey und sinke:
so ist das nach Verlauf der Zeit t gesunkene a niemals wirksam gegen
das fernere Sinken, sondern es ist. nur das Quantum, um wieviel dem
jetzt überhaupt nothwendigen Sinken Genüge geschehen sey.
Das Befremdliche liegt nun darin, daß dennoch n das
Sinken nicht wie Sie sagen verzögert — sondern beschleunigt. Diese be-
schleunigende Kraft erscheint nämlich wegen des Buchstabens n dem Auge
so, als wäre sie ein Theil der Hemmungssumme. Das ist sie aber nicht,
') „Ästhetik und Christentum" heißt ein Aufsatz in dem 0. S. 130 genannten
Buche von Hendewerk, „Herbart u. die Bibel''.
■-) Vgl. den vorhergehenden Bd. S. 22.5.
") 3 S. 4". Mit ausgerissenen .Stellen.
136 Februar 1835.
sondern nur eine Kraft deren Größenbestimmung von n abhängt. Die
wahre Hemmungssumme sinkt immer fort, ihrem Gesetze gemäß; daran
läßt sich gar nichts ändern. Der Umstand, daß einstweilen a und b daran
Theil nehmen müssen, || vermehrt nur das Gedränge, worin c gegen a und
b geräth. c drängt, und wird wieder gedrängt; durch die Reaction wird
es selbst genöthigt, schleuniger zu sinken. Das geht so fort bis die
Hemmungssumme ganz gesunken ist. Dann ist der allgemeinen Noth-
wendigkeit, daß sich das Quantum des wirklichen Vorstellens vermindere,
Genüge geschehn, und nun kommt es nur noch darauf an, daß sich das
verletzte Gleichgewicht (da a und b unter ihren statischen Punct herab-
gedrängt sind,) wieder herstelle.
Es kommt nur darauf an, den Begriff der Hemmungssumme gehörig
vestzuhalten. Diese liegt in keiner einzelnen Vorstellung, sondern im
Conflict aller wegen ihres Gegensatzes. Dem Conflict muß nachgegeben
werden: anfangs gegen die Rechte der Einzelnen. Denn c kann nur
sinken indem es gegen a und b drängt; daher müssen a und b sich ge-
fallen lassen, daß bey ihnen eine gezwungene Anleihe gemacht wird; allein
sie dringen sogleich und immerfort auf Bezahlung, und dies Dringen muß
c sich gefallen lassen. Das ist jene Beschleunigung welche durch das
von Ihnen erwähnte Pluszeichen angedeutet wird. — Wahrscheinlich haben
Sie das Alles schon Selbst gefunden.
Mit dem Hm Opelt scheints doch nicht viel zu seyn. Das vermeinte
Zusammenfallen der Schwingungen ist baare Thorheit. Es setzt voraus
daß die Quinten exact gestimmt seyen; nun ist aber diese mathematische
Genauigkeit in praxi niemals zu erwarten, und so würden wir wenn es
darauf ankäme niemals wirklich Musik hören und verstehen und fühlen. ||
Mit Hrn Thomas ists — unter vier Augen gesagt, — auch nicht
viel! Lassen Sie aber das dem Strümpell nicht merken; er weiß es schon
zu gut, und verdirbt sich damit die Verhältnisse mit Thomas, während er
der Mutter des Thomas so viel Verbindlichkeiten hat, daß er durchaus
nicht undankbar seyn darf.
Sollte Reinhold dorhin kommen, so bedenken Sie wohl, daß Sie
einen Mystiker bekommen; wenn er auch von außen dialektisch genug
aussiehf. Es wird vergebliche Mühe seyn, mit ihm zu disputiren; Sie
werden dennoch im Umgange einen wackern und gescheuten Mann
finden. Aber Theologie ist sein letztes Ziel, und darnach bequemt sich
sein Denken.
Von Königsberg sind gute Nachrichten da; Taute liest Psycholog.
[ — ] Stunde wie Sie und ich; er lieset auch Logik und Pädagogik^ und
ist [mit] dem Fleiße der Zuhörer im Ganzen wohl zufrieden. — U7iter vier
[Auge/i'] setze ich hinzu, daß Rsz^) in der Meinung der dortigen Gelehrten
immer tiefer sinkt. Dies darf aber nicht von uns erzählt werden, weil es
sonst meine dortigen Freunde auf eine für sie gefährliche Weise com-
promittirt. Besser ist: Sie fragen einmal Strümpelln, ob er Nachricht über
Jisz von Königsberg aus erhalten habe? Dann werden wir erfahren, ob
die Nachrichten gleich lauten.
^) Rosenkranz.
i835- 137
Nächstens schicke ich Ihnen eine kleine pädagogische Schrift; aber
nicht jetzt, damit dieser Brief, der eilig ist, nicht aufgehalten werde.
L^nd hiemit sage ich freundlichst guten Morgen, — denn ich kann
nicht länger. Ganz Ihr H
509. Drobisch an H.^) (Ohne Datum.)
Hochverehrter Herr und Freund ! Mein Dank auf Ihre gefällige Auskunft über
meine neulich geäußerten Scrupel kommt etwas spät. Ich wartete darauf, ihn mit
noch andern Mittheilungen verbinden zu können. Die Noth hatte mich freilich ge-
zwungen mir selbst zu helfen und es freut mich, daß es, wie ich nun einsehe, auf
eine im Wesentlichen mit Ihnen zusammentreffende Art geschehen war. Das zweite
Capitel der Mechanik, dessen VoraussetzuBgen ich mit einiger Ausführlichkeit ent-
wickelt habe, hat mich, da ich die Sache zu erschöpfen versuchte, etwas lange auf-
gehalten. Sehr gute Dienste leistete mir in der Mechanik die Construction der
Formeln der Bewegung durch Curven (logistische Linien). Man übersieht das Steigen
und Sinken der einzelnen Vorstellungen, das Stetige und Plötzliche ihrer Be-
wegungen etc. alles auf einem Blick -und sie helfen so fast noch mehr als Zahlen-
beispiele. Ich halte diesen Zusatz für sehr vortheilhaft, uni dem was Sie geleistet
leichteren Eingang zu verschaffen und recht eigentlich Evidenz zu geben. Sonst
würde ich mich auf Einzelheiten einlassen müssen, wollte ich Ihnen angeben, was ich
Ihren Untersuchungen etwa hinzuzufügen versucht habe. Zunächst kommt es noch
nicht hauptsächlich auf wichtige Erweiterungen sondern auf Erweckung von Zutrauen
zu dem Gegebenen an. Es ist mir übrigens erfreulich und beruhigend, daß Strümpell
mit Eifer und Interesse diese Vorlesungen besucht, mit Theilnahme von meiner
Darstellung spricht und einigen Werth darauf zu legen scheint, wie denn auch die
Aufmerksamkeit der übrigen Zuhörer, die bisher geblieben sind, sich ungeschwächt
zeigt. Auf Str. muß ich aber wirklich etwas geben. Wir haben gegenseitig zu ein-
ander Vertrauen fassen gelernt. In der Meinung, daß er ein vortrefflicher, scharf
denkender Kopf ist bin ich noch keinen Augenblick wankend geworden. Ich kenne
Ihre übrigen Schüler fast alle nicht persönlich, aber einen talentvolleren, dünkt
mich haben Sie nicht. Aber auch zu seiner Gesinnung habe ich das beste Ver-
trauen. Sie wissen, es stieß mich in seinem Wesen etwas ab; ich weiß nicht, sollte
ich es Arroganz oder Affeetation oder wie sonst nennen. Sey es nun daß ich mich
daran gewöhnt habe, oder er etwas abgelegt hat, ich habe jetzt ein gutes Zutrauen
zu ihm und fürchte keinen Hinlerhalt. In wissenschaftüchen Dingen habe ich ihm
zuweilen mit größter Freimüthigkeit und mit Energie seine Ansichten |l bestritten,
wo sie mir ungegründet schienen : denn er drückt sich bestimmt und energisch aus,
daher man auch ihm wieder die Daumen auf das Auge setzen muß; aber das gute
Verhältniß hat dies nie gestört. Was mich aber jederzeit gefreut hat, das ist, daß
er es mit der Philosophie ernst zu nehmen scheint und verlangt, daß sie das ganze
Denken und Handeln des Menschen durchdringe, und nicht als gelehrter Staat diene.
— Recht sehr beklage ich es unter diesen Umständen, daß es ihm an Mitteln zu
fehlen scheint, die freilich langgestreckte, akademische Laufbahn einzuschlagen. Von
seiner Habihtation ist noch nicht die Rede; er hat mit Buchhändlern anzuknüpfen
gesucht und angeknüpft; aber freilich ist dies nur ein kleiner Zuschuß und er denkt,
gezwungen, immer noch auf irgend ein Fortkommen, das — ihn seinem natürlichen
Berufe entziehen muß. So ist es denn auch noch ungewiß, ob er länger als bis
Ostern hier bleibt, und wohin er sich dann wenden wird.
') 2 S. 4". H. Wien.
178 Febniar 1835.
Hartenstein hat seine außerordentliche Professur mit einem Programm ange-
treten, das gewissermaßen eme Nachbildung oder Fortsetzung Ihres Göttinger Pro-
gramms ist. ') Er hat mir versprochen, es Ihnen zu senden, vielleicht haben Sie die
Güte, ihn mit ein paar Zeilen zu erfreuen. Mir kommt die Schrift nicht ganz übel
vor; wenigstens führt er eine entschiedenere Sprache als ich erwartet hatte. Jedes
Zeichen von Befestigung Ihrer Philosophie hier am Orte ist mir erfreulich: denn
ich darf mir sagen, daß ich dazu zuerst das Signal gegeben habe. Ob die weitere
Förderung durch mich oder andre geschieht, ist der Sache gleichgültig.
Man spricht hier von der Abdankung Altensteins und der Ersetzung desselben
durch Ancillon. Wie wichtig wäre das für die Philosophie! Mit dem Prohibitiv-
system zu Gunsten der Hegeischen Schule dürfte es dann mindestens vorbei seyn.
Wohin gedenken Sie denn dieses Frühjahr Ihren Wanderstab zu setzen? Ich
frage nicht ohne egoistisches Interesse. Daran, Sie auf einer weiteren Reise zu be-
gleiten, kann ich nicht denken; aber Sie irgendwo in nicht zu fernem Rayon zu
treffen, würde mir großen Genuß gewähren. Doch halten Sie dies für nichts mehr
als eine bescheidene Anfrage. Zum Jahre 1836 hat mich unser Anatom Weber
schon aufgesungen, mit ihm zum 100jährigen Jubiläutn nach Göttingen zu wandern.
Was der Mann für Muth hat; eine einjährige Einladung ergehen zu lassen. Ich
weiß nicht, ob ich in 14 Tagen auf den Beinen bin oder nicht. Wenigstens hatte
ich im vorigen Monat wieder einen leichten Anfall von Kopfgicht, dem jedoch noch
glücklich und schnell Einhalt gethan wurde. Aber ich habe schon bei jungen Jahren
ein paar böse Begleiter durch das Leben an mir. Doch auch dies gehört zu dem
Gegebenen; wir müssens verarbeiten!
Reichhelm's Tod hat auch mich erschüttert. Was konnte diesem kräftigen,
rüstigen Manne begegnen? Daß ich unter diesen Umständen von Grolp sobald keine
Antwort zu erwarten habe, ist natürlich. Empfehlen Sie mich und meine Frau ge-
fälligst Ihrer Frau Gemahlin und bewahren Sie Ihre Freundschaft
Ihrem aufrichtig ergebensten M. W. Drobisch.
510. Hoppenstedt an H. "^) Hannover 15. Febr. 35.
Euer Hochwohlgebohren danke ich auf das verbindlichste für die gütige Zu-
sendungrdes Umrißes pädagogischer Vorlesungen und freue mich zugleich, von Ihnen
vernommen zu haben, daß Euer Hochwohlgeboren mit dem Fleiße Ihrer Zuhörer
und mit dem Interesse, welches dieselben an Ihren Vorlesungen nehmen, zufrieden
sind. — ' Auch kann das Curatorium es nui dankbar erkennen, wenn Sie das Inter-
esse an Ihren geistvollen Vorträgen durch Erweiterung derselben immer mehr zu
fördern suchen. Ich verspreche mir davon die günstigsten Folgen auch für den
wissenschaftlichen Sinn der Studierenden im Allgemeinen.
Mit den hochachtungsvollsten Gesinnungen empfehle ich mich
Euer Hochwohlgeb. gehorsamst S. Hoppenstedt.
511. An Griepenkerl. 3) Postst.: Göttingen 20. Febr. [1835].
Was macht man doch mit Ihnen, mein alter Freund! Sie sind auf
allen Seiten gewappnet. ' Stellt man sich eifersüchtig auf Spontini, so lassen
Sie das fein sachte abgleiten. Mahnt man Sie an Ihr Versprechen, so
erklären Sie rund heraus, kaum sey der Wille dazu in Ihnen fertig!
') De methodo philosophiae, logicis legibus adstriosouda finious nun tenniuanda.
■') IS. 4«. H. Wien.
•') 2 S. 4". H. "Wien. — Bei Zimmermann S. 56.
Febniar 1835. 13g
Unter solchen Umständen muß ich denn wohl anfangen mich zu
entschuldigen. Als Sie eine Recension meiner Encykl. — und wer weiß
wie vieles sonst für die Jenaische L. Z. versprochen hatten, und nichts
davon erschien: da leistete ich im Stillen Verzicht. — denn es waren
Sachen die mich persönlich betrafen. Jetzt aber ist von Pädagogik die
Rede, — die Sie vermöge eigner, seltener, langer Erfahrung als Ihr
eignes Fach ansehen: so daß ich wohl eben so sehr Ihr Mitarbeiter seyn
würde, als Sie der meinige, wenn Sie Sich darüber laut vernehmen ließen.
Beschuldigen Sie mich also nicht, als ob ich — Ihnen zu gute — eine
andre Darstellung des Faches nicht ausgeschlossen hätte! Nein wahrlich,
solche Anmaaßung, als hinge es von mir ab, Ihnen zu einer andern
Darstellung Raum zu lassen oder nicht, — ist mir nicht in den Sinn
gekommen.
Mein neuer Umriß läuft um die allgemeine Pädagogik herum, er
enthält sie, denn das halbe Collegium wird nach dem alten Buche gelesen.
Die alte Darstellung meines eignen Buches war es, die ich nicht aus-
schließen wollte, weil ich sie fortdauernd nöthig habe. |'
So sehr nun auch Ihr letzter Brief, der aus lauter „Vielleicht" zu-
sammengesetzt ist, mich abschreckt, an das Zusammenwirken, was so höchst
nöthig ist, ernstlich zu denken: so kann ich mich doch nicht enthalten
zu sagen, daß, wenn Sie es einmal bis zum Wollen brächten, das Zu-
sammenwirken sich viel leichter von selbst finden würde, als Sie zu
glauben scheinen. Daß wir nicht unmittelbar auf die Praxis der Schulen
wirken können, daß die Odyssee und das ABC d[er] Ansch[auungl (was,
bevläufig, keiner Tafel, sondern nur hölzerner Dreyecke bedarf) jetzt zu-
nächst nur Nebensachen sind, liegt uns wohl beyden gleich klar vor Augen.
Aber Sie haben die Bedingungen der sittlichen Charakterbildung von neuem
überdacht! Nun wohl denn! Das ist eben die Hauptsache. Dahin zielt
in meinem Schriftchen der §. 43 in Verbindung mit §. 153 — 162. Darüber
wünsche ich Ihren Commentar oder Ihren Tadel — gleichviel: denn
Alles kommt darauf an, daß diese im Publicum gänzlich in Verwirrung
gerathenen Begriffe zur Sprache kommen, um allmählig aufgeklärt zu
werden. Und da gilt es nicht so zu schreiben wie in Ihrem Briefe steht:
„vielleicht wäre es nützlich" u. s. w. sondern es ist ganz entschieden
höchst dringend nothwendig, daß ein Mann wie Sie darüber seine Ge-
danken auseinandersetze und verlautbare. Auch steckt in den §§ 144
bis 152 des Psychologischen genug, worüber Sie nach Ihrer Erfahrung
würden zu reden haben.
Doch — ohne weiter in Sie zu dringen — noch Ein letztes Wort!
Röer sinkt. Strümpell hat die größte Mühe sich zu halten; die Honorare
von Jena pflegen = o zu seyn. Wird mir nicht jetzt — ich sage jetzA
eine nachdrückliche Hülfe im Publicum geleistet: so sehe ich keine Mög-
lichkeit, jenen beyden meinerseits zu helfen. — Von Königsberg ist, so
weit ich in diesem Augenblick sehe, wenig oder nichts zu erwarten.
Reichhelm ist plötzlich gestorben. — Mit ihm geht auch die Hoffnung ver-
loren, die auf Darlegung seiner pädagogischen Erfahrung gerichtet seyn konnte.
Daß Ihr ewiges Aufschieben einem völligen Aufgeben gleicht, können Sie
Sich Selbst unmöglich länger verhehlen. Die rechte Zeit, die Ihnen noch nicht
IAO 1835-
gekommen ist, wird Ihnen nie kommen. Aber eine zu späte Reue könnte
wohl einmal folgen. Nicht als ob ich nicht meine Tonne zu wälzen hier
Raum genug hätte, — aber so lange meine Gedanken mit meinem
individuellen Stempel bezeichnet bleiben, hilft mein Reden und Schreiben
zu nichts. Sie verschweigen das, was Sie — nicht in meinem Namen,
sondern in Ihrem eignen Namen, aus Vollmacht eigner Erfahrung zu
sagen, hinreichenden Beruf haben! Doch auch so — unverändert der
Ihrige! H.
512. An Griepenkerl. ^)
Mein theurer Freund ! Ich kann fürs Erste nichts Literarisches weiter
vornehmen. Meine Vorlesungen geben mir übermäßig zu thun.
Daß Sie gegen Spinoza etc. die Unmöglichkeit, eine Pädagogik an-
zuknüpfen, nachweisen wollen, ist ganz recht, und sogar sehr nöthig.
Aber dazu müssen Ihnen nicht blos meine Schriften Hülfe leisten, sondern
die Schriften der Gegner sollten Ihnen vor Augen liegen. Um meiner-
seits zu helfen, so gut es in der Entfernung geht, schicke ich hier Aus-
züge aus Spinoza und Kant, die ich gerade liegen habe; aber ich muß
die Blätter nach 14 Tagen zurückhaben.
Vergleichen Sie gefälligt zuerst den §116 der dritten Ausgabe meiner
Einleitung. Schon dort finden Sie Stellen aus Spinoza, die zum Theil zu
Ihrem Zwecke dienen können. Näher liegt Ihnen aber, was ich Ihnen
handschriftlich aus der Ethik des Spinoza, dem Hauptwerk, hier vorlege.
Sie sehen schon aus 7, daß Spinoza höchstens eine Erziehung gege/i die
Affecte veranstalten würde, ferner aus 15, daß er einen stärkern Affect
gegen den schwächern (das stärkere Gift gegen das schwächere) aufbieten
würde, dann aus 21, daß er die Staatsgewalt zu Hülfe ruft, weil die Ver-
nunft nicht hinreiche; ferner aus dem Unsinn 28, qui corpus ad plurima
aptum habet, is mentem habet, cuius maxima pars est aetema, daß man
die Körper umschaffen müßte, um die Geister zu erziehen (vergleichen
Sie meine Gespräche über das Böse); weiter aus 24, daß er von dem
Affect eine klare und deutliche Vorstellung fordert, um ihn dadurch zu
zwingeo; aus 26, daß alle AfFectionen des Leibes auf Gott bezogen werden
sollen; aus 25, daß er den Fatalismus oder die Erkenntniß, Alles sei
nothwendig, gegen die Afifecte zu Hülfe ruft — und aus 5, daß alle Er-
ziehung baare Thorheit sein würde, indem jeder Mensch alles, was er
thut, ex praedeterminato naturae ordine — id est, ex singulari Dei voca-
tione thut ; da nun unsere Zöglinge nie aus dem göttlichen Berufe, d. h.
aus der vorbestimmten Nothwendigkeit herausweichen werden und können
(nach der fatalistischen Ansicht), so brauchen wir uns mit der Erziehung
nicht die geringste Mühe zu geben.
Das wäre schon Unsinn genug, wenn auch nicht noch 1 1 , die „ Vor-
urtheile vom Guten und Bösen" jede Moral zernichteten, und hiermit den
*) Die beiden Briefe an Griepenkerl Nr. 512 u. 513 werden hier eingefügt. Sie
sind ohne Datum. Nr. 513 gehört offenbar in eine spätere Jahreszeit. Da die Originale
nicht mehr aufgefunden wurden, dienten Zillers Reliquien S. 218 ff. als Druckvorlage.
Offenbare Druck- oder Schreibfehler sind verbessert.
1835^ 141
Zweck der Erziehung aufhöben. — Kurz: nach Spinoza soll man ebenso-
wenig erziehen wollen, als man es nach ihm können würde.
Was Kant anlangt, so werden Ihnen die angezeichneten Stellen (32
bis 47) zu Hülfe kommen, um die „Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten" leichter zu benutzen. Sie müssen aber dies kleine Büchlein selbst
zur Hand haben.
Was Fichte betrifft, so steht es mit ihm in Ansehung des Zwecks
der Erziehung freilich nicht so schlecht, wie bei Spinoza; doch kann man
sein Sittengesetz für Kinder nicht gebrauchen; denn sie sollen gehorchen
und lernen; nach Fichte's Sittenlehre S. 66 liegt aber das Sittengesetz
in dem „noth wendigen Gedanken der Intelligenz, daß sie ihre Freiheit
nach dem Begriffe der Selbstständigkeit schlechthin ohne Ausnahme be-
stimmen sollte". Wie irreligiös dies ist, darüber können Sie meine Ency-
klopädie von S. 319 an — besonders aber S. 360 und da herum, ver-
gleichen. Fichte's ganze Sittenlehre beruht auf dem Streben des Ich gegen
das gesammte Nicht -Ich, d. h. gegen die Welt. — Daß nun überdieß
nach Fichte's Idealismus der Zögling dem Erzieher, und der Erzieher dem
Zöglinge, 7iur Erscheinung sein würde, daß alle Erziehung selbst nur Er-
scheinung — keineswegs eine wahre Causalität wäre — daß überhaupt
die zeitlose transcendentale Freiheit keine zeilliche Besserung gestattet
(worüber in meiner Einleitung § 107 und 109), ist bekannt genug. Wollen
Sie aber Fichten selbst auf dem pädagogischen Felde treffen, wohm er
gerathen ist. ohne daß man recht sieht wie? so müssen Sie nothwendig
seine Reden an die deutsche Nation zur Hand nehmen. Da finden Sie
— ganz unabhängig vom System — eine Masse pädagogischen Unsinns,
gegen welchen recht tapfer zu streiten, gar sehr die Mühe lohnen kann.
Von Hegeln ist kurz zu bemerken, daß er seiner Methode nach
Fichtianer ist, indem er aus der Fichte'schen Thesis, Antithesis und Syn-
thesis die Methode zu machen gesucht hat, und in seinem Naturrecht das
Fichte'sche Ich überall zum Grunde liegt.
Unverändert, und in Erwartung Ihres Sohnes Ihr H.
513. An Griepenkerl.
Mein theurer Freund ! Die brennende Hitze hatte mich auf der
Reise so angegriffen, daß ich zwar gesund, aber entsetzlich müde von
Fahren und Gehen, hier ankam; daher werden Sie gütig entschuldigen
daß ich mein Versprechen zu schreiben nicht gleich erfüllte.
Anstatt Ihnen Kant's Grimdlegung zur Metaphysik der Sitten zu
schicken, welche ich doch, um Ihnen das Nachsuchen nach passenden
Stellen zu sparen, mit einer Bezeichnung der Stelle begleiten müßte —
und da das Umhersuchen nach Parallelstellen in andern Schriften sehr
aufhalten würde — mache ich lieber die Sache kurz auf folgende Weise
(aus dem, was ich von hier an bis zu Ende des Blattes niederschreibe,
nehmen Sie nun und machen Sie, was Ihnen beliebt; ich schreibe es nur,
um mein Versprechen zu lösen, das Unterstrichene und zugleich mit den
,/' Bezeichnete sind ipsissima verba Kantii):
Wenn man gegen Kanfs Begründung der praktischen Philosophie
streitet, so bestreitet man damit nicht die Forderung der Reinheit sittlicher
142 i835-
Gesinnung; diese wird vielmehr als bekannt vorausgesetzt, wie sie denn
wirklich schon aus Piaton (im Anfange des zweiten Buchs der Republik)
bekannt sein soll, obgleich Kant gegen das Ende der Kritik der prak-
tischen Vernunft den Erzieher etwas ganz Neues zu lehren glaubt. {Da-
selbst S. 272 lauten seine Worte: „^0 diese Methode noch niemals in Gang
gebracht worden^ so katin auch die Erfahrung noch nic/its von ihrem Erfolg
auf zeigen. '■'■ Hätte aber Kant wirklich pädagogische Erfahrung gehabt, so
würde er so nicht reden.) Man streitet dagegen wider die falschen Er-
klärungen, die Kant überall deshalb einmischt, weil er daran gewöhnt war,
in den menschlichen Geist eine besondere Vernunft als eine mythische
Person hineinzudenken. So z. B. spricht er (Kritik der reinen Vernunft
S.. 583 der dritten Ausgabe): ,^ob man gleich die Handlung durch Natur-
ursachen bestimint glaubt, so tadelt man nichts destoweniger den Thäter, und
zwar nicht ivegen seines unglücklichen Naturells, ja sogar nicht wegen seines
vorhergeführten Lebenswandels ; denti man setzt voraus., man köntie es gänzlich
bei Seite setzeti, wie dieser beschaffen gewesen." Soweit ist Alles richtig.
Nun aber fährt er fort : .„Dieser Tadel gründet sich auf ein Gesetz der Ver-
nunft, ivobei man diese als eine Ursache ansieht u. s. zü." In dieser unter-
geschobenen Erklärung liegt der Fehler. Untergeschoben ist dem un-
mittelbaren Tadel (einem ästhetischen Urtheil) das eingebildete Gesetz;
untergeschoben ist abermals dem vermeinten Gesetze die Vernunft; unter-
geschoben ist nochmals der Vernunft eme Causalität; welches Alles eben
so überflüssige als falsche Zusätze sind, welche nur verhindern können,
dem ächten ästhetischen Urtheile seine reine Sprache zu lassen. Schon
der Moral wurde dadurch geschadet, indem statt des wahren Gehalts, der
in mehreren und ursprünglich verschiedenen ästhetischen Urtheilen liegt,
der leere kategorische Imperativ hervortrat, mit der Anmaßung, aus dieser
Leerheit Moral und Naturrecht abzuleiten, die nicht darin liegen; daher
die Versuche des Ableitens bis auf den heutigen Tag nichts Haltbares er-
geben haben, sondern immer andern und andern Versuchen Platz machen
mußten. Noch weit schädlicher aber wird eine so falsche Vorstellung von
den Bedingungen der Moralität dem Erzieher, der beim ersten Versuche,
damit etwas anzufangen, scheitern muß; während ihm die wahre Kenntniß
der Bedingungen der Moralität dringend nothwendig ist. Will man end-
lich die Kantische Freiheitslehre kennen und beurtheilen lernen: so muß
man erstlich wissen, daß nach den bestimmtesten Erklärungen Kant's diese
Freiheit mit dem kategorischen Imperative unablöslich verbunden ist; in-
dem nach § 5 und 6 der Kritik der praktischen Vernunjt „die gesetz-
gebende Form der Maximen das Einzige ist — ivas einen Bestimmungsgrund
des Wittens ausmachen kann''\ unter der Voraussetzung, „«'o/ö' dieser Wille
frei sei." Man muß ferner aus der Kritik der reinen Vernunft, und ganz
besonders aus der, hierbei sehr zu beachtenden Grundlegung zur Meta-
physik der Sitten wissen, wie viele Schwierigkeiten sich Kant durch seine
Freiheit selbst geschaffen hat, die ihn unaufhörlich in Verwunderung setzen,
während dem praktischen Erzieher das nil admirari höchst nothwendig
ist. In der letztgenannten kleinen Schrift S. 102, nachdem der katego-
rische Imperativ schon aufgestellt worden, fragt er sich: „Warum aber soll
ich mich diesem Princip untei werfen ?" Bei einem evidenten ästhetischen
i835 143
Unheil wird Niemand fragen: warum soll ich es gelten lassen? eben so
wenig als bei einem mathematischen Satze, etwa: waruni soll ich es gelten
lassen, daß im ebenen Dreiecke die Summe zweier Seiten größer sein
muß als die dritte? Wohl aber konnte gefragt werden: warum soll die
leere Gesetzlichkeit der einzige Bestimmungsgrund meines Willens sein?
— Sie soll es wirklich nicht sein; darum ist die Frage das Bekenntniß
der Schwäche des kategorischen Imperativs. Weiter will Kant einsehen,
„wie man ein Interesse daran nehmen könne"; und nach allen Unter-
scheidungen des empirischen und intelligibeln Standpunkts kommt er doch
nicht weiter, als zu der vermeinten ,^äii/iersten Grenze aller praktischen
Philosophie (S. 113). welche überschritten werden würde, wenn „die Ver-
nunft sich unterfinge, zu erklären, wie reine Vernunft praktisch sein könne,
zuelches völlig einerlei mit der Aufgabe sein würde, zu erklären, ivie Freiheit
möslich sei." Und diese Unmöglichkeit, die Freiheit des Willens zu er-
klären, ist , mit der Unmöglichkeit, ein Interesse ausfindig und begreiflich zu
machen, welches der Mensch an moralischen Gesetzen nehmen könne, einerlei?''''
Man traut seinen Augen kaum, wenn man so etwas liest. Daher mag
noch folgende Stelle hier abgeschrieben werden, um das Factum, daß Kant
sich wirklich mit einer so unbegreiflichen Verwunderung geplagt hat, ins
Licht zu setzen: S. 122; ^^Uni das zu wollen, wozu die Vernunft allein
dem sinnlich-afficirten vernünftigen Wesen das Sollen vorschreibt, dazu
gehört freilich I !l ein Vermögen der Vernunft, ein Gefühl der Lust oder
des Wohlgefallens an der Erjüllung der Pflicht einzuflöfien, mithin eine
Causalität derselben" (was zu vollbringen?), „<//e Sinnlichkeit ihren
Principien gemäß zu bestimmen. Es ist aber gänzlich unmöglich, einzusehen,
d. i. a prion begreiflich zu machen., wie ein bloßer Gedanke, der selbst nichts
Sinnliches in sich enthält, eine Empfindung der Lust oder Unlust hervor-
bringe: denn das ist eine besondere Art von Causalität.^ von der., wie von
aller Causalität, wir nichts a priori bestimmen können, sondern darum allem
die Erfahrung befragen müssen. Da diese aber kein Verhält niß der Ursache
zur Wirkung, a/s" (soll heißen: außer) ,,zwischen zwei Gegenständen der
Erfahrung., an die Hand geben kann, hier aber reine Vernunft durch bloße
Ideen (die gar keinen Gegenstand für Erfahrung abgeben) die Ursache von
einer Wirkung, die freilich in der Erfahrung liegt, sein soll; so ist die Er-
klärung, wie und warum uns die Allgemeinheit der Maxime des GesetzeSy
mithin die Sittlichkeit, interessire, uns Menschen gänzlich unmöglich." Hier
nun sieht man auf den ersten Blick, daß die falsche Meinung, alles Ge-
fühl des Wohlgefallens sei sinnlich und hierdurch von der Vernunft toto
genere verschieden, den ganzen Grund der Verwunderung ausmacht.
Nimmt man diese falsche Psychologie hinweg, so verschwindet diese Ver-
wunderung. — Wer vollends das Wort: ästhetisch für sinnlich nimmt, also
auch etwa das Kunsturtheil über Tragödien und Komödien abhängig
glaubt von deren Fähigkeit, Weinen oder Lachen zu erregen, der wird
nie begreifen, wie ästhetische Urtheile die Principien der Sittlichkeit sein
können. Kant freilich benennt seine Lehre von Raum und Zeit, in der
Meinung, das seien Formen der Sinnlichkeit, mit dem Ausdrucke: tran-
scendentale Aesthetik, heutiges Tages aber gebraucht Niemand , das Wort
Aesthetik in diesem Sinne.
H4 ^ "^35^
Ihren heutigen Brief empfing ich während des Schreibens; ich ver-
danke ihn sehr, aber kann ihn, nachdem meine Zeit verlaufen, nur am
Rande beantworten. Meine Kraft geht zu Ende. Ihnen möchte ich rathen,
die äußere Welt ins Auge zu fassen; darin ist noch so ungeheuer viel zu
thun, ehe die rechte Wirksamkeit der Philosophie beginnen kann. Ihre
Frage wegen der Gespräche über das Böse soll mich nicht verleiten, in
jene Schrift mehr Sinn zu legen, als sie hatte. Jener Otto mußte im
Disputiren gegen Andere klüger sein als für sich selbst, damit das Ge-
spräch leichter ans Ziel geführt werden könnte.
Ihre pädagogische Frage ist offenbar die ernsthafteste; hier aber
fürchte ich ihren Sinn nicht recht zu treffen, und muß Sie dann wohl
bitten, die Frage anders gestellt zu wiederholen. Sie sagen: es werde für
den Zweck der ästhetischen Beurtheilung nicht nothwendig^ aus den Be-
gierden Willen zu machen. Welchen Zweck der ästhetischen Beurtheilung
meinen Sie? doch nicht den Zweck, welchen wir haben, wenn wir prak-
tische Philosophie auf dem Katheder vortragen? Da haben wir freilich den
Zweck, in den Zuhörern das ästhetische Urtheil zu wecken. Zu diesem
Zwecke reden wir von Willen, und nicht blos von schwankenden Be-
gierden, weil wir scharfe Zeichnungen aufstellen müssen, um scharf be-
stimmte Urtheile zu erlangen. — Oder meinen Sie den Zweck des Er-
ziehers, in seinen Zöglingen die ästhetische Beurtheilung zu wecken? Da
sind wir nicht an Lehrstunden gebunden, die Sache geht langsam und be-
darf unzähliger Wiederholungen. Mit wenigen scharfen Zügen ist da nicht
auszukommen, wir nehmen also ganze Massen poetischer und historischer
Bilder, die allerdings nicht immer entschlossene Willen, sondern das Begehren
abwechselnd in den mannigfaltigsten Formen vor Augen stellen. Hiervon ab-
gesehen sehe ich kernen Zweck </^r ästhetischen Beurtheilung. Diese Beurtheilung
ist ja an sich nicht Zweck, sondern aus ihr gehen die sittlichen Zwecke
erst hervor. Und welche Zwecke? Ohne Zweifel die, welche zusammen
genommen die Würde des Menschen ausmachen. Diese Würde liegt
nun nicht in dem unreifen Begehren, welches schwankt — ebensowenig
als in solchem Begehren, welches zwar in ein reifes und entschiedenes,
aber t9,delhaftes Wollen überging. Die Würde liegt im Charakter, also im
festen, entschiedenen — und zugleich richtigen Wollen. Auf dem Wege
der Ausbildung solches festen und zugleich richtigen Wollens liegen auch
die Fertigkeiten, nämlich die löblichen und nützlichen. Wie sollte nun
jemals unnöthig werden, aus den Begierden durch solche Fertigkeiten das
rechte Wollen zu erzeugen? Geschieht das nicht: so bleibt der Mensch
schwach, und die praktischen Ideen sind schlecht realisirt.
Möchten Sie nur einmal kommen, wie meine Frau erwartete, die
keine Facon de parier kennt — und meinen RittmüUer'schen Flügel
probiren, der Ihnen, Ailes gegen einander gerechnet, wohl gefallen würde
(zudem da Rittmülier Ehrgeiz genug hat, um sein Werk unter Aufsicht zu
halten) — dann würden Sie gelegentlich auch erfahren, was ich, andere
Sorgen bei Seite setzend, jetzt treibe. — Leben Sie wohl. Von Herzen
der Ihrige! H.
März, April 1835. 145
514. Hartenstein an H.') Leipzig den 16. März 1835
"Wohlgeborner Herr, hochziiverehrender Herr Hofrath! So leicht auch der
Wunsch des Schülers, dem Lehrer irgendwie Dankbarkeit au den Tag zu legen,
Entschuldigung finden kann, so scheint doch das für den Ausdruck der Gesinnung
gewänlte Mittel in einigem Verhältnisse stehen zu müssen mit der Größe der Ver-
pflichtung, welcher das Dargebotene genügen soll. Wenn ich daher so frei bin, Ihnen
anbei ein Exemplar einer vor einiger Zeit von mir ausgegebenen kleinen akademi-
schen Gelegenheitsschrift zu überreichen, so fühle ich dabei sehr wohl, wie unbe-
deutend dieselbe an sich ist und noch vielmehr Ihrem Urtheile gegenüber ei-scheinen
muß. Dennoch wollte ich, selbst nach einigem Zögern, diese Gelegenheit nicht vor-
übergehen lassen, Ihnen wenigstens meinen Namen bekannt zu machen.
Die Abhandlung ist, wie ich kaum wagen sollte, Ihnen zu bemerken || nur für-
die Lernenden geschrieben, bei welchen es darauf ankommt. Vorurtheile, welche
oft leichter zu verhindern, als auszurotten sind, gar nicht einwurzeln zu lassen,
vielleicht aber wird es mir im Laufe der Zeit möglich, Ihnen etwas bessere Beweise
vorzulegen, wie sehr ich es für meine Pfhcht halte, der Begründung und Um-
gestaltung der Philosophie, welche wjr Ihnen verdanken, nach dem Maaße meiner
Kräfte auf die wissenschaftliche Denkart des Zeitalters Einfluß zu verschaffen.
Wenn es einer Bitte um Verzeihung bedarf, daß ich Ihre Aufmerksamkeit
einen Augenblick in Anspruch zu nehmen mir erlaubt habe, so spreche ich sie noch-
mals aus und verharre mit den Gesinnungen der unverbrüchlichsten Verehrung
Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster G. Hartenstein.
515. Drobisch an H.-) Leipzig, 5 April 35
Hochverehrter Herr und Freund ! Vor einigen Tagen theilte mir Ihr H. College
Weber die eifreuliche Nachricht mit, daß Sie bereit seyen irgendwo mit mir zu-
sammenzutreffen und von mir bestimmtere Vorschläge erwarten. Ich konnte nicht
genau unterscheiden, ob es seine odep Ihre Meinung war, daß Sangei hausen ein
passender Ort sein würde. Ich habe mir aber überlegt, daß es von mir sehr
unbescheiden seyn würde, einen so nahen Ort anzunehmen und Sie, wenn Sie nicht
mit der Eilpost fahren, noch zu einem Nachtquartier auf einer Zwischenstation zu
veranlassen. Ich erkläre mich daher sehr gern bereit, bis Nordhausen zu kommen,
was 8 Meilen von Göttingen entfernt seyn wird. Zwar liegt noch zwischen Sangerhausen
und Nordhausen Rosla, wo ich vor 9 Jahren auch einmal, bei geringen Ansprüchen,
recht leidlich übernachtete. Aber um Ihrer Bequemlichkeit willen möchte ich es
nicht in Vorschlag bringen. Es wäre || verdrießlich, wenn man Ursache hätte, unzu-
frieden zu seyn. In Nordhausen kehrte ich vor 9 Jahren im Berliner Hof ein, der
von Kaufleuten fleißig besucht wird und unbedingt ein anständiger Gasthof wenigstens
damals war, wo der Wirth, ein geborner Leipziger, alles gut eingerichtet hatte.
Ich würde ihn dem römischen Kaiser, dem Isten Gasthof der Stadt vorziehen, weil
ein großer Garten am Hause ist, der uns vielleicht bei veränderlichem Wetter zu
statten kommen könnte. Die Stadt selbst ist freilich ein altes, winkliches und
räucherisches Nest und in der Nähe nicht viel zu sehen (der Kyffhäuser ist
4 Stunden) auch ist es ein geräuschvoller Ort; indeß gewiß nicht so arg wie Berhn,
wo wir doch auch zusammengekommen sind. — Mögen Sie Sich aber für irgend
welchen Ort auf der Straße von Halle nach Göttingen entscheiden, so würde ich
die Eilpost dazu zu benutzen wünsclien, die Cassel-Cölnische, an die sich ohne
^) l'/j S. 4". H. Wien. — G. Hartenstein (1808—1890) s. Art. von M. Heinze
im Nachtrai: z Allg. D. Biogr. Bd. 50.
') 4 S. 80. H Wien.
Herbarts Werke. XVIII. lO
146 April 1835.
Zweifel eine Eilpost von Göttingen !| anschließt, wenn Sie sie anders benutzen wollten.
Diese geht von Leipzig ab Montags und Donnerstags früh 7 Uhr, trifft spät Abends
in Sangerhausen und zwischen 2 und 3 Uhr früh in Nordhausen ein. Da nun Ihre
Vorlesungen d. 27. April wieder anfangen, so scheint mir der grüne Donnerstag
zur Abreise nicht ganz ungeeignet. Freilich wird dann die Rückreise in das Fest
fallen. Ich bin daher auch bereit, mit der Montagspost (d. 20. April) anzulangen.
Wahrscheinlich würde ich dann mit einem Freunde D. Kunze die vorhergehenden
Tage in Halle zubringen und von da erst mit der Eilpost fahren. Belieben Sie nun
die letzte Entscheidung zu geben. Da Sie die Wohnung wechseln, so wird auf den
Termin, wo dies geschieht, auch viel ankommen. Mir ist jede Zeit- und Orts-
bestimmung recht, ich bin völlig frei und jetzt auch bei gutem Wohlseyn. Mit
Vergnügen habe ich von Ihrem und Ihrer Frau Gemahlin Wohlbefinden gehört.
Möge die neue Wohnung mit dem Garten den Aufenthalt || in Göttingen noch an-
genehmer machen. —
Vor 8 Tagen war D. Röer aus Berlin hier. Er reiste nach einigen Tagen
mit Strümpell nach Dresden. Dort werden sie sich einige Wochen aufhalten und,
wenn ich recht verstanden, zusammen eine literarische Arbeit von geringerem Um-
fang unternehmen. Sie trugen mir viele Grüße auf, die ich Ihnen denn hiemit
schriftlich überbringe. In der Hoffnung, daß unsrer Zusammenkunft kein unüber-
windliches Hinderniß entgegen treten wird, erwarte ich nun mit Freuden von Ihnen
das Ultimatum, mich bis aufs Wiedersehen freundschaftlichst empfehlend
der Ihrige M. W. Drobisch.
516. Gauß an H.^) April 8. 1835.
Beigehend beehre ich mich, Ihnen verehrtester Herr College, die mir gütigst
communicirten Bücher wieder zuzustellen. Mit so vielem Vergnügen ich gelesen
habe, was in Ihrer Metaphysik mir bei meiner geringen Bekanntschaft mit der so-
genannten Geschichte der Philosophie verständlich gewesen, so wenig habe ich in
den Schellingschen Druckschriften einen Grund finden können, mein Urtheil über
dessen Beruf, über naturwissenschaftliche Gegenstände zu schreiben, welches sich
früher nur auf die Lesung seiner Piece über Faraday's Entdeckung gestützt hatte,
abzuändern. Ich gehöre daher keinesweges zu denjenigen, die ihnen einen Vorwurf
daraus machen, daß Sie derartige Productionen geringschätzen.
Hochachtungsvoll und ergebenst C. F. Gauß.
517. An Drobisch. 2) Ohne Datum. Postst: 10. 4.
Wie Sie es angaben, mein theurer Freund, so habe ich meinen
Wagen bestellt, nämlich so, daß ich am grünen Donnerstag Abends in
Nordhausen bin. Hoffentlich ist Ihr Aufenthalt dort nicht auf gar zu
kurze Zeit berechnet. Ob ich zum schärfern Denken aufgelegt seyn
werde, kann ich nicht voraussehn; ich bedarf gar zu sehr der Erhohlung.
Indessen das Nöthigste werden wir doch besprechen können; nur muß
ich Ihnen die Initiative überlassen. — Ein paar Tage vor Ihrer Abreise
wird wohl Herr Lott 3) aus Wien, der den Winter hier zubrachte, und von
') H. Wien. Bei Zimmermann S. 141. — K. F. Gauß (1777—1855), der Mathe-
matiker und Astronom.
2) I S. 4».
3) F. K. Lott (1807— 1874), später Prof. in Wien, Lehrer von Th. Vogt. S.
Allg. D. Biogr. u. Th. Vogt, F. K. Lott, Wien 1874.
. April 1835. 147
dem Weber Ihnen kann gesagt haben, bey Ihnen seyn; ich wünschte,
er spräche auch Hartenstein, dessen Dissertation mich sehr erfreut hat.
Jedenfalls sey Lott Ihnen von mir aufs beste empfohlen. Alles Uebrige
mündlich! Ganz der Ihrige H
518. An Drobisch. ^) (Nordhausen, römischer Kaiser 16, April 35)*)
Mein theurer Freund! Sie finden mich hier im Hause; die Gründe
weshalb ich nicht gern anders wo absteigen wollte, kann ich Ihnen münd-
lich sagen. Morgen früh werde ich erfahren, wo und wie bald ich Sie
sehen kann, wenn Sie nur die Güte haben wollen, dem Ueberbringer
dies Blattes ein Wort der Nachricht für mich zurückzulassen. In Hoff-
nung der baldigsten frohen Begrüßung der Ihrige H.
Adr.: Herrn Professor Drobisch gleich bey seiner Ankunft einzuhändigen.
519. Drobisch an H.^*) Leipzig d. 24. April 3.5
Mein hochverehrter würdiger Freund! Voll von Gedanken und Plänen und
Lust und Muth zu deren Ausführung verließ ich Sie, um glücklich an meinem
Heerde wieder angelangt — sogleich in den Strudel häuslicher Sorgen, Mühen und
Zerstreuungen fortgerissen zu werden. Das Entwöhnen des Kleinen war übel von
statten gegangen. Er hatte anderes Getränk anzunehmen hartneckig verweichert,
hierdurch waren Diätfehler entstanden, und am Dienstag verfiel er zu unserem
größten Schrecken in Krämpfe. Diese wiederholten sich nun zwar- nur noch zweimal
und sind seit mehr als 48 Stunden weggeblieben; auch nahm sie der Arzt leicht;
aber wir kennen dessen medicinische Politik, die den gefahrvollen Stand der Dinge
verhehlt und die furchtbare Gewalt der Krämpfe bei Kindern durch die früh^-r ge-
machten, traurigen Erfahrungen. Welche unsägliche Zeit habe ich schon durch
Vatersorgen verloren und doch würde mich keine menschliche Macht ihrer über-
heben können. Denn meine üterarische Thätigkeit ist nicht wichtig genug, um mich
zu entschuldigen, wenn ich mich jener Sorgen entschlagen und den damit ver-
bundenen Aufopferungen entziehen wollte. Daß ich ruhige Stunden meinem Ge-
schicke abstehlen muß gehört auch mit zu den Hindernissen Ihrer Philosophie, doch
will ich thun, was ich kann.
Ihre Aufträge an Hartenstein hab' ich ausgerichtet. Er wird Ihnen nächstens
schreiben. Nach Möglichkeit habe ich das Feuer in ihm anzuschüren gesucht,
hoffentlich nicht vergeblich. Zu Hause lag ein Brief von Bobrick. Darin findet
sich die Ankündigung emes nächstens erscheinenden öffentlichen Sendschreibens an
mich und Griepenkerl, m dem „er tiefer in unsere Angelegenheiten einzugreifen
hoffe'\ Also wieder ein Schuß in dem großen Lauffeuer, das wir glücklich zu er-
öffnen angefangen haben. Diesen Brief hatte ein junger Schweizer während meiner
Reise überbracht; er gieng durch Leipzig nach Beriin. Leider konnte ich also nichts
Unmittelbares über Bobricks Wirksamkeit erfahren. B. verweist mich übrigens auf
p. 402—5 seiner ästhetischen Vorlesungen mit der Bemerkung, daß er daselbst den
Umriß seiner künftigen Bearbeitung Ihres S>stems niedergelegt habe und fügt hinzu:
„Die teleologische Prädestination könnte den Pantheisten genügen, die Aesthetik
soll die intellectuelle Anschauung ersetzen, und die Hülfe der Mathematik dieselbe
^) I S. 4".
^) Von Drobischs Hand vermerkt.
3) 31/2 S. 40. H. Wien.
IG*
148 April 1835.
Sicherheit gewähren für die partiellen Erfahrungen || und Untersuchungen, welche
jene Herren in der Totalität des Absoluten finden. Dieses vorläufig als Thema
meines Sendschreibens etc." Ich zweifle nicht, daß dies alles wohlgemeint ist, aber
doch wandelt mich dabei einige Bangigkeit an: theils weil mich diese Äußerungen
entweder einen schwächlichen Vermittlungsversuch oder wenigstens eine den gang-
baren Modesystemen dargebrachte Ehrenerweisung befürchten lassen, die sie gar
nicht verdienen, theils weil am Ende auch B. so den Kern Ihrer Lehre versteht,
daß er sie da aufzubauen versucht, wo wenigstens kein streng wissenschaftlicher
Bau mehr Stand finden kann, sondern die Philosophie nothwendig in die Poesie
verfließt. Es ist ohnstreitig die Liebhaberei für diese schattigen Partien der Philo-
sophie sehr verbreitet, vielleicht unter anderen weil es hier keine der Controle der
Erfahrung und der strengen Wissenschaften unterworfene Arbeit giebt und die
Phantasie in der Freiheit ihrer Schöpfungen sich so behaglich fühlt. Ich gestehe,
daß ich manchmal auch gern eine naturphilosophische oder pantheistische Phan-
tasie lese, wenn sie geistreich , ist, natürlich aber allemal nur als ein Mährchen oder
einen amüsanten Roman zur Erholung. Wenn die Damen und Herrn unsern Freund
Bobrick nur nicht mit allzu neugierigen Fragen belästigen; er kann sonst wohl der
Versuchung nicht wiederstehen zu antworten und muß zu viel antworten. —
Es war, wie ich glaube, eine meiner ersten Bemerkungen in Nordhausen, daß
der Trieb thätig zu seyc und sich hervorzuthun künftig vielleicht auch Ihrem System
unwillkommene Anhängsel bringen könne; ich bin allerdings durch B.s Äußerungen
wieder daran erinnert worden. Vielleicht nehmen wir es aber zu streng; vielleicht
bedarf die literarische Welt eines Balls zum Spielen, wozu die mathematischen und
naturwissenschaftlichen Kanonenkugeln der Psychologie und Naturphilosophie frei-
lich nicht taugen. Werden wir darüber nicht böse, sondern arbeiten ruhig in
exacter Weise fort, so wird uns jenes so viel nicht schaden.
Was die noch unerledigte Frage aus der Variationsrechnung betrifft, so glaube
ich kurz antworten zu können:
in der Formel ^^ ^x + ^ Jv — / (d ^_^- ^x -f d ^ ^y) = 0 ist der Werth außer
ds ' ds - / ^ ds ds
und unter dem Integralzeichen jeder füi" sich = 0 zu setzen; denn so wie bei den
Max. und Min. der Differentialrechnung ein solcher Werth der || Function y = f (x)
so zu bestimmen, daß dy^=dxf' (x) = 0 werde unabhängig von dem Werthe
und Zeichen von d x, so daß f (x) = 0, damit jeder vorhergehende oder folgende
Nachbarwerth, liege er nah oder fern, resp. kleiner oder größer sey als der gesuchte
von y ; so muß auch in der vorstehenden Variationsformel der Werth des Max. und
Min. zwischen den gegebenen Grenzen unabhängig seyn von den Veränderungen
di'r Relation zwischen x und y (d" x, dy) damit, wie man diese auch annehme, die
gefundene immer größere oder kleinere s als jede andere zwischen den gegebeneu
Grenzen gebe. Ich muß übrigens bemerken, daß für die Anwendung auf das Problem
von der kürzesten Linie in der Ebene allgemein ^x = 0 ist, also V^i^y — / d -~^ ^'v
^ ' ds •' / ds "^
= 0 seyn muß, indem .nach der Natur der Sache hier blos seithche Veränderungen
der Ordinaten vorkommen. Liegt dagegen die gesuchte Linie im freien Räume, so
kann man von einer willkührlich zwischen den beiden Grenzen genommenen Linie
so wohl aufwärts (äz) als seitwärts (Jy) ausweichen und die Formel würde passender
so gesehrieben:
^y ÄY 4- — — 5 z — /(d ^ Av -4- d — ^2) = 0; cl'y und dz sind dann als näher
ds -^ ^ ds j^ ■ ds "^ ^ ds
zu bestimmende Functionen von x zu denken. Bei Grunert (Klügeis Wörterbuch V.
April 1835. I4Q
672) findet sich doch eine hübsche Reihe von Beispielen zur Anwendung, und es
scheint mir doch bei näherer Ansicht der ganze Artikel nicht unbrauchbar, wie-
wohl ich wünschte, daß tiefer auf die Begriffsauseinandersetzungen eingegangen
worden wäre, dagegen die Rechnungsführung abgekürzter seyn könnte. Lacroix ist
an Beispielen dürftiger; auch tritt bei ihm das allgemeine Princip der Variations-
rechnung weniger klar hervor.
Hartenstein hat mir auf einige Tage Ihre Umrisse der Pädagogik geliehen,
ich habe heute schon angefangen hineinzulesen. Zugleich hat mir H. eine kleine
satyrische Schrift eines Anonymus mitgebracht: Entdeckungen über die Entdeckungen
unserer neuesten Philosophen, worin Schelling und Hegel mitgenommen werden.
„Ein Panorama in fünfthalb Acten". Der Ite ist überschrieben: Wie der von
Schelling noch protegirte Hegel dem Planeten zwischen Mars und Jupiter sich zu
manifestiren speculativ verbietet, während seine Stellvertreter astronomisch entdeckt
werden. Vielleicht besinnt sich dabei doch mancher der die Hegelei bis jetzt für
eine Schatzkammer verborgener Weisheit gehalten hat.
Mögen Sie glücklich nach Hause gelangt und in heitrer Thätigkeit seyn.
Empfehlen Sie mich und meine Frau ehrerbietigstens Ihrer Frau Gemahlin. Ganz
Ihr treu ergebener M. W. Drobisch.
(Bitte umwenden) II
N. S. In diesen Tagen war ein früherer Zuhörer, der jetzt in Breslau lebt
und in Naumburg und Jena gewesen ist, bei mir. Er versicherte mir, daß in allen
den genannten Orten Ihre Philosophie sich Platz verschaffe. In Breslau scheint er
selbst dazu beizutragen. Wichtig und erfreulich war es mir, zu hören, daß der
Mathematiker an der Domschule zu Naumburg Müller, den ich von der Universität
her näher kenne und der sich durch einzelne Abhandlungen und Recensionen als
einen sehr geschickten und höchst gründlichen Mann fortwährend erweist, Ihr be-
geisterter Anhänger ist. Ich vermuthe dasselbe von seinem Freund dem Mathe-
matiker Jacobi in Pforta, bei dem ich einmal Ihre kleine Schrift über die Möglich-
keit und Nothwendigkeit etc. beifällig angeführt gefunden habe. Das ist gerade der
Kreis von Männern, auf die ich für math. Psychologie und Naturphilos. rechne, bei
denen ich eingeführt bin und einiges Vertrauen besitze und die durch ihre Teil-
nahme uns künftig in so mancher Hinsicht, auch selbst durch ihre Stellung zur
Jugend, wesentlich fördern können. — Bei Absendung dieses Briefs d. 24 Ap. gab
unser Kleiner die erfreulichsten Hoffnungen.
520. Langwerth an H.^ Stade den 28. April 1835.
Wohlgeboren Hochverehrter Herr Hofrath! Als ich den Ueberbringer dieses,
meinen ältesten Sohn vor 18 Jahren noch auf den Knien schaukelte, ging mir wol
zuweilen als eine sehr ferne Möglichkeit, deren Annahme man zu Zeiten der Phantasie
. vergönnt, der Gedanke auf, daß mein Erstgeborner gleich seinem Vater sich in Ihrer
Nähe für die Philosophie und für das Leben ausbilden könnte. Dieser Gedanke hat
sich jetzt wider alle damals statthaften Aussichten verwirklicht, und so mancher
recht bittere Schmerz und so manche recht bange Sorge diesen ersten Abschied
von einem geliebten Kinde begleitet, so erfreulich ist es mir daß ich jene Hoffnung
vei-wirklicht sehe und Sie jetzt mit aller Inbrunst eines väterhchen Herzens bitten
kann, sich des jungen Mannes eben so freundlich wie einst meiner anzunehmen.
Ich hoffe und erwarte von dem Einfluße Ihrer Lehren auf seine theoretische und
') 4 S. 4". H. Wien. Über Langwerth s. den vorhergehenden Bd. S. 54,
71. 153 u. ö.
150 April 1835.
praktische Bilduog Alles und das mit so größerer Zuversicht als ich — und wer
nicht in der reichen Zeit die wir vor 20 Jahren durchlebten — Gelegenheit gehabt
habe, die Ansichten, die Sie, direct und durch entferntere aber eben so sichere
Einwirkung, in mir befestigt haben in allen Wechselfällen einer bewegten Zeit und
eines wo möglich noch bewegteren und manigfach erschütterten Privatlebens in
jeder Beziehung zu erproben und bewährt || zu finden und mir einen Innern Frieden
und eine Einigkeit mit mir selbst in den höchsten und ernstesten Dingen zu ge-
winnen, von denen die nichts ahnden können welche, sey es im Gebiete des Glaubens,
oder des Schönen, das Innewerden des Idealen nicht von den täglich wechselnden
Einflüßen verfehlter Speculation frey zu erhalten vermögen und jede ruhige Emp-
fänglichkeit für das was den Menschen in seinem tiefsten Innern erhebt den un-
ruhigen Theorien preisgeben müssen in welchen sich jetzt alle geistige Thätigkeit
dieser scholastischen Zeit erschöpft und aufgeht.
Der Einfluß dieser Zeit in ihrer Verstandeslustigkeit hat freilich von dem
jungen Menschen, den Sie vor sich sehen, nicht ganz abgewandt werden können.
Er hat sich auf dem hiesigen Gymnasio eine bedeutende Gelehrsamkeit zugezogen,
welche die jungen Leute unvermeidlich etwas aufbläht und sie den welschen Hühnern
ähnlich macht welchen man die Nudeln, wovon sie fett werden sollen nicht gehörig
hinuutergestrichen hat. Aber es wird sich hier das mehrste geben, wenn seinem
Scharfsinn — den ich ihm beimessen darf — die rechte Bahn angewiesen wird,
wozu Ihre ersten Vorträge zur Einleitung in die Philosophie ganz vorzüglich die
Hand bieten und daneben ihm aus eigener Erfahrung eine Bescheidenheit einflößen
werden von dem der oberflächliche Liberalismus — es giebt auch außer dem
politischen einen gelehrten in dieser Zeit — || der sich gern in breiten und flachen
Sprüchen ergeht und eine Tiefe unter der Überfläche nirgends auch nur ahndet,
gar nichts weiß.
Wenn ich noch einige Worte von mir selbst und meinem Treiben hinzufügen
darf, 80 kann ich leider nur melden, daß meine Dienstgeschäfte mir in dieser Zeit
der Organisationen, wo zu neuen Bauten Meister und Gesellen und Handlanger an
allen Ecken nöthig sind zur Beschäftigung mit den ernsten Musen, denen ich jedoch
nicht ganz ungetreu geworden bin nur sehr wenig Muße übrig lassen. Weil Sie
indessen von meinen wenig bedeutenden Erholungsstudien bey einer frühern Ver-
anlassung nachsichtig Kenntniß genommen haben, so glaubte ich bey dieser Ver-
anlassung nicht mit leeren Händen erscheinen zu dürfen und nehme mir daher die
Erlaubniß zwei kleine Aufsätze zur gefälligen Einsicht anzuschließen. Den einen,
welcher eine Integration zur Psychologie enthält habe ich aus meinen Arbeiten, die
ich vor längerer Zeit bey der Leetüre der ersten Ausgabe der Psychologie nieder-
geschrieben, gezogen und bemerke daß ich die Rechnungen damals noch weiter
durchgeführt aber nicht mit beygefügt habe, da sie sich von selbst ergeben. Der
zweite Aufsatz betrifft einen mir vorzugsweise interessanten Gegenstand und enthält
das Allgemeine über eine Bearbeitung einiger mathematischer Sätze, welche wie es
mir scheint weitgr geführt || werden muß, wenn die Lehren über die ästhetiscüen
Auffassungen die nöthigen Erweiterungen erhalten sollen. Ich glaube, so weit ich
Muße gehabt habe die -einzelnen Anwendungen zu durchdenken hinsichtlich der
Farben und ihres Verhältnißes zu den Tönen so ziemlich auf dem Reinen zu seyn;
vor der Hand aber habe ich nicht alles zur vollen Reife bringen können, hoffe in-
dessen während des nächsten Sommers die überraschenden Aufschlüsse die ich ge-
funden zu haben glaube weiter ausbilden zu können, wenn ich einige einigermaßen
geschäftsfreie Abende erschwinge, woran es mir zur Zeit leider gebricht wie ich
denn auch um die Anlagen in dieser Form zu Stande zu bringen, einen Tb eil der
Nacht habe zu Hülfe nehmen müssen.
Mai 1835. 151
Ew. TN'ohlgeboren fernerem freundschaftlichen Andenken mich und meine
Hauptbitte einer freundlichen Beräcksichtigung empfehlend beharre ich
Ew. Wohlgeboren gehorsamster Diener Langwerth.
521. Hartenstein an H.') Leipzig d. 6. Mai 1835
Wohlgeborner Herr Hofrath, Hoclizuverehrender Herr Professor! Obgleich
ich hoffe, Ihnen ganz unumwunden bekennen zu dürfen, wie sehr ich durch
Ihr verehrtes Schreiben vom 28. März, welches am 6. April in meine Hände
gekommen ist, mich gefreut und geehrt gefühlt habe, so bedarf doch der ziemlich
lange Zeitraum, den ich seitdem habe verstreichen lassen, um so mehr der Bitte
um gütige Entschuldigung, je mehr mich das Ihrem Schreiben beigelegte Geschenk,
sowie die mehrfachen Beweise Ihres wohlwollenden Andenkens an mich, welche
mir durch H. Lot aus "Wien und durch Herrn Prof. Drobisch zugekonmien sind,
verpflichteten, Ihnen meine Dankbarkeit schneller als nach Verlauf mehrerer Wochen
an den Tag zu legen.
Eine kleine Reise jedoch, zu welcher mich der beginnende Frühlung ver-
anlaßte, möge wenigstens für die letzt verflossene Zeit zu meiner Entschuldigung
etwas beitragen. Ihrem geneigten Rathe und Wunsche gemäß habe ich von der
Dissertation, bei deren Übersendung ich die Ehre hatte, mich zuerst schriftlich an
Sie zu wenden, wie ich hoffe hinreichende Exemplare nach Königsberg und Zürich
an die mir von Ihnen bezeichneten Herren abgehen lassen. Nach Dorpat bedaure
ich bis jetzt noch keine geeignete Buchhäudlergelegenheit haben finden zu können. ||
Sie erzeigen mir die Ehre zu bemerken, daß Sie mit mir überlegen könnten,
wie der philosophirenden Unphilosophie des Zeitalters wirksam entgegengetreten
werden könne wenn Sie wüßten, in wie weit ich mir Ihre Grundsätze in Beziehung
auf die praktische Philosophie angeeignet habe. Ich habe mich Ihnen als Ihr
Schüler vorgestellt, sollte ich etwa in der Belehrung, Kräftigung und Erhebung,
welche ich Ihrer practischen Philosophie, oder in der Beruhigung, welche ich Ihren
Bestimmungen über das Verhältniß des religiösen Glaubens zu dem philosophischen
Wissen verdanke, Grund gefunden haben, hier weniger Ihr Schüler seyn zu wollen,
.als in der Untersuchung theoretischer Probleme? Die Begründung des Practischen
durch aesthetische Ui-theile war für mich von vorn herein in der That keine Dorn-
hecke, in der ich hängen blieb; und der Satz, daß aus dem Seyn nie ein Sollen,
aus diesem nie jenes abgeleitet werden könne, war, ehe ich noch auf das anhaltende
Studium Ihrer Werke geführt wurde, eine so allgemeine, wiewohl trotz meiner Ver-
ehrung für Kant fast unbewußte Voraussetzung meines gesammten Denkens, daß
ich ihr allein in früherer Zeit es verdanken zu müssen glaube, die Identitätsphilo-
sophie jeder Art nur als ein Spiel mit leeren Begriffen betrachtet zu haben, den-
noch blendete mich Spinoza, vielleicht gerade deshalb, weil er es so wenig auf das
Blenden anzulegen scheint. Schleiermachers cosmische Sittenlehre, Kants angeborne
Vermögen, Begriffe und Gesetze, Jacobis metaphysische Genügsamkeit fingen mir
an gefährlich zu werden; und ich erfülle nur eine Pflicht, wenn ich, — da ich
doch einmal so kühn gewesen bin, von meiner unbedeutenden Person zu sprechen
— Ihnen allein es zu verdanken gestehe, daß ich aus dem Schlummer eines er-
sclilafften Denkens, in welches sich dann und wann || sceptische Träume als Nach-
ahmungen der wachenden Untersuchung mischten, hoffentlich für immer geweckt
worden bin.
Was die practische Philosophie im besonderen betrifft, so hat der Gang der
Untersuchung, wie Sie ihn theils systematisch dargelegt, theils in Ihren übrigen
') (3 S. 4". H. Wien.
152 Mai 1835.
Schriften erlaeutert haben, rnid dfe Resultate derselben, für mich in allen wesent-
lichen Puncten vollkommen Kraft der Überzeugung. Der Satz, daß das Gute und
Böse. Schöne und Häßliche nicht im Gebiete des ursprünglich Realen zu suchen
sind, glaube ich in seiner Wichtigkeit eingesehen zu haben, was freilich ohne Ihre
ausdrückliche Aufforderung, darüber selbst nachzudenken nicht wohl geschehen seyn
würde und ein andrer allgemeiner Zweifel, der bei mir diu'ch die Frage entstand,
in wie fern die über gewisse Verhältnisse .der Dinge und der Willen unfehlbar er-
gehenden ürtheile Anspruch auf Objectivität und Allgemeingültigkeit machen können^
da das aesthetische Urtheil selbst doch nur Verhältnisse eines vollendeten Vor-
stellens, also etwas Subjectives ausdrückt, — ob sie mithin nicht blos Maaßstab der
WeTthschätxu?ig, sondern auch des Werthes seyn, hat sich mir nur durch Vergleichung
mit dem Satze erledigt: daß unsere Begriffe, falls sie nur richtig ausgebildet und
verbunden sind, eben deßhalb über die reale Natur der Dinge entscheiden, weil
wir in ihnen ganz und gar eingeschlossen sind. Denn von einem Werthe zu
sprechen, den etwas abgesehen von der notb wendigen Form unsrer Beurtheilung
haben könnte, ist ebenso widersinnig, als den Versuch zu machen, sich vorzustellen
daß die reale Natur dei' Dinge von unsrer nothwendigen Vorstellungsart abweiche.
Nur einen Punct erlaube ich mir zu berühren, an welchem ich Anstoß nehme.
Die Construktion der 5t. practischen Idee betreffend: „die absichtliche Wohl- und
Wehethat mißfällt, so lange sie un vergolten dasteht; in ihr liegt also schon ein
ganzes || Verhältniß vor : das zwischen der That und dem Zustande, welcher ohne
sie nicht würde statt gefunden haben." Das glaube ich einzusehen ; aber die allg.
pract. Philosoph. S. 137 fährt fort: ,,Die That als Störeriu mißfällt, .... mit dem
Wohl oder Wehe, das in der Absicht und dem Erfolge gemeinschaftlich anzutreffen
ist. wächst das Mißfallen und zwar auf gleiche Weise bei der Wohlthat und bei
der Wehethat; . . . die That als That festzuhalten ist nicht ganz leicht; es wird
aber leichter, sobald aus der praktischen Weisung das Symbol hervortritt, in welchem,
das Misfallen an der That seinen Ausdruck findet." Hier entsteht mir nun schon
die Bedenklichkeit, daß das hervortretende Symbol leicht falsch gedeutet werden
kann, wenn nicht, bevor es hervortritt, die Beurteilung des Verhältnisses, dessen
Symbol es ist, Gegenstand einer sichern und deutlichen Einsicht geworden ist; und
für mich wenigstens ist es bis jetzt unmöglich gewesen, das MißiaWen inne zu
werden, welches der Gedanke der Wohlthat als einer Störerin nach sich ziehe.
Wie streng die Forderung, von dem beabsichtigten und bewirkten Wohl das Wehe
zu abstmhiren und die That rein als That zu fassen, sey, wage ich nicht zu be-
stimmen; da die Stelle, welche ich mir erlaubt habe, anzufühi-en, ausdrücklich sagt:
„Das Mißfallen wachse auf gleiche Weise bei der Wohlthat und bei der Wehethat";
genüge ich aber der Forderung, so verstummt Beifall und Mißfallen und die That
als That erscheint mir als ein leerer Begriff, als eine Spitze, nicht ganz so hoch
als die Idee des Guten, aber eben so hohl. Mit dem Begriffe 'der That, durch
welche ein wirklicher Wille absichtlich eingreift in einen andern wirklichen Willen,
so daß dieser das .Beabsichtigen empfindet, Ist mitgesetzt ein Was der Absicht;
also scheint mir das Merkmal der Wohlthat wie Wehethat unzertrennlich mit der
Auffassung des Verhältnisses verbunden zu seyn; und die Abstraction von dem,
tcas beabsichtigt und was bewirkt || wird, vernichtet mir das Verhältniß selbst, welches
sich der aesthetischen Beurtheilung darbieten könnte. Sie erinnern mich jedenfalls,
bei der Idee des Wohlwollens, wo von der Beschaffenheit des vorgestellten Willens,
bei der des Rechtes, wo von dem Gegenstande des Streites und den Größenverhält-
nissen der streitenden Kräfte zu abstrahiren sey, trete derselbe Fall ein; allein ich
erlaube mir, um Ihre Geduld durch noch größere Weitläufigkeit nicht allzusehr zu
Mai 1835. 153
ermüden, zu gestehen, daß mir alle geforderten Abstraetionen bei beiden gelingen,
ohne daß Beifall oder Mißfallen verschwindet; während das Verhältniß der That zu
dem Zustande, der ohne sie nicht würde eingetreten seyn, mir nur dann eine prac-
tische Bedeutung erhält, wenn ich das Was der Absicht und der Wirkung mit dem
Begriffe, der That verbinde ; was auch fast unwillkührlich geschieht, so, daß mir
das Verhältniß der Wohlthat zu dem ihr entsprechenden Zustande gefällt, das der
Wehethat zu demselben mißfällt. Das Symbol für beide bleibt dasselbe, Vergeltung!
Freilich sehe ich dabei nicht ein, worauf nunmehr der Gedanke des Rückganges
des gleichen Quantums Wohl sich eigentlich gründete, da mir die Deduction der
138 S. nun mehr nur auf das AVehe passen will.
Möglich, daß Ihnen diese Bemerkungen, die ich kaum Einwurf zu nennen wage,
vorkommen, wie die eines Schülers der Differentialrechnung, der, wie Sie einmal sagen,
immer geneigt ist, Einwürfe zu machen, ohne dadurch etwas mehr zu beurkunden, als
seine Ungelenkigkeit im Denken; einem Mangel meiner Auffassung habe ich bis jetzt
mit vergeblicher Mühe nachgespürt; und der Gegenstand ist mir für die Festigkeit und
Klarheit der Überzeugung wichtig genug, als daß ich nicht hätte wagen sollen, Ihnen
— die Stimmung, will ich es nennen, über welche ich in Beziehung auf diese Idee
noch niemals habe hinwegkommen können, mitzutheilen. || Ich muß wohl wegen der
unbescheidenen Länge dieses Briefes doppelt und dreifach um Verzeihung bitten
und kann nur von meinem Vertrauen auf Ihre wohlwollende Gesinnung die Hoff-
nung entnehmen, nicht umsonst darum gebeten zu haben.
Ich füge dazu nur noch die zweite die Versicherung meiner unverbrüchlichen
Hochachtung gütigst zu genehmigen und mir Ihr Wohlwollen zu erhalten.
Ew. Wohlgeboren ergebenster Hartenstein.
522. Romang an H.'j Kiesen b. Thun, d. 20. Mai 1835.
Wohlgeborner, Hochverehrter Herr. Sie werden es einem jungen Literator
ohne alle Verbindungen, die ihm zur Einführung in das wissenschaftliche Publicum
nützlich sein könnten, gewiß verzeihen, wenn er sich die, wie man sagt, nicht ganz
ungewöhnliche Freiheit nimmt, seine erste Schrift-) dem Mann zu überreichen, dessen
geistiger Anregung er es zum großen Theile zu danken haben würde, wenn etwas
Gutes sich in seinem Buche finden sollte, und von dem er, um der Zusammen-
stimmung in der Hauptsache willen, am ersten ein aufmunterndes, sowie seines
seltenen Tiefsinns und seiner umfassenden Gelehrsamkeit wegen, am sichersten ein
belehrendes Urteil sich versprechen zu können glaubt. Ich habe eine Frage mit
Ausführlichkeit behandelt, welche Sie längst in beiläufigen Bemerkungen in dem
nämlichen Sinn beantwortet haben, und die nach dem Geiste Ihres Systems gegen
die gewöhnliche Ansicht entschieden werden muß. Bei der Hartnäckigkeit der ge-
meinen Meinung schien jedoch eine ausführlichere Darlegung der richtigen Auf-
fassung nicht überflüssig zu sein.
Ist es einmal anerkannt, daß in der innersten Tiefe der Seele nicht w^eniger,
als in der materiellen Region, alles nach fester Gesetzmäßigkeit und nothwendiger
Causalverknüpfung vor sich geht, dann werden sie endlich auch allgemein einsehen,
was Drobisch längst gesagt hat, „daß es hier wirklich etwas zu rechnen gibt« —
') 2 S. 4». H. Wien. — Johann Peter Romang (1802—1875) war 1832-34
Prof. der Philos. an der bernischen Akademie. Vgl. Sammlung bernischer Biogr. III,
24—27, von Blösch u. Schweiz. Theol. Zeitschr. 189(5, 25 — 43. (Den Nachweis
der Daten verdanke ich Hrn. Prof. Dr. R. Steck in Bern.)
■-) Über Willensfreiheit u. Determinismus, Bern 1835. Vgl. Herbarts Anzeige
Bd. Xni. 285.
154 ^^35-
und jeder würde sich von der Rechnung nur dadurch vielleicht abhalten lassen, daß
das einheitliche Grundmaß nicht leicht || allgemein festgestellt werden dürfte, und
die erforderlichen Beobachtungen immer so schwierig bleiben. Sollte meine Arbeit
sich einige Anerkennung erwerben mögen, so würde sie, auf ihre Weise, einen
kleinen Beitrag leisten zur Verbreitung der Wahrheiten, die Sie seit vielen Jahren
verkünden. Daher hoffe ich, Sie möchten vielleicht sich die Mühe nehmen, einen
flüchtigen Blick hinzuwerfen, und, wenn Sie anders einiges Beachtenswerthe darin
fänden, durch Ihre Verbindungen irgend' eine Anzeige davon machen zu lassen, die
Güte haben. Indem (ich Ihnen durch diese geringe Darreichung vor allem meine
Verehrung bezeugen wollte, würde ich Sie um die erwähnte Gunst ernstlich bitten,
wenn es nur nicht gar zu zudringlich wäre, denn vollkommen wahr sag"t Goldsmith,
daß es für einen Schi'iftsteller das Allerschlimmste ist, weder Freunde noch Feinde
zu haben, weil er in diesem Falle gar sehr Gefahr läuft, gänzlich übersehen zu
werden.
Vielleicht ist es Ihnen nicht gantz unangenehm, zu erfahren, daß die Familie
Steiger, mit der Sie vor 30 Jahren in ähnlicher Verbindung standen, wie ich gegen-
wärtig, besonders Hr. Carl, der noch in Göttingen in Ihrem Hause lebte, Ihr An-
denken mit der alten Liebe und Verehrung bewahrt, sich übrigens auch in so
blühendem Zustande befindet, als ein adeliges Haus in unsren politischen Verhält-
nissen sich befinden kann.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung hat die Ehre zu beharren
Ew. Wohlgeboren gehorsamster Diener Romang V. D. M. ')
523. An Drobisch.^)
Mein theurer Freund! Noch nicht seit 24 Stunden zu Hause, finde
ich gleichwohl nöthig an Sie zu schreiben^ weil ich vielleicht nicht so bald
wieder dazu kommen möchte; und es dennoch nicht gleichgültig ist, wie
genau wir im Einverständniß über einen wichtigen Punct der math. Psych.
r p
fortarbeiten. Auf Anlaß Ihrer Bemerkung über II -j hab ich sogleich
meine Logarithmen wieder zur Hand genommen ; allein der erste Ver-
such, so sehr auch die Zahlen nunmehr verändert erscheinen, giebt doch
keine Hoffnung auf ein solches Resultat wie ich es erwartete; vielmehr
zeigt sich wieder das Nämliche, was früher schon vom erfahrungsmäßigen
Ablaufen der Vorstellungsreihen abwich. Wenn Tl" zum Maximum gelangt,
so ist II' noch nicht hinreichend gesunken, sondern sein Stand bleibt auch
in meiner jetzigen Rechnung ein wenig höher als das Maximum von II".
Es ist nur wenig, aber das Wenige bedarf einer Correctur.
Jetzt zögere ich nicht, Ihnen das Wesentliche, worauf diese nöthige
Correctur anzukommen scheint, mitzutheilen ; in Hoffnung, daß Sie den
Gegenstand weiter verfolgen werden.
II' und II" sind ohne Zweifei, während eine Reihe sich bildet, theils
in Hemmung, theils in Verschmelzung eingegangen. Beydes bietet ver-
einigt die Correctur dar; nur wird es schwer seyn, sie durch Rechnung zu
verfolgen; jedoch sind die Begriffe klar genug.
1) V[erbi] D[ivini] M[inister].
n 4 S, 4°-
1835- 155
I.) Was die Verschmelzung anlangt, so wird vermöge derselben 11"
beschleunigt durch FL', während letzteres steigt; und das Maximum von
JT" kommt dadurch höher zu liegen als nach bisheriger Rechnung.
2.) Was die Hemmung anlangt: so erhebt sich die Hemmungssumme
zwischen \\ JT' und TI" allmählig, während beyde steigen. Dieser Umstand
ist Anfangs wider das veriangte Resultat; nämlich solange, als FL' schneller,
d. h. energischer gehoben wird, muß TT" dadurch verzögert werden. Da-
bey bleibt es aber nicht. Damit ich mich deutlich ausdrücke, betrachte
ich zuerst den Augenblick, in welchem 11' zum Maximum gelangt. Jetzt
ist seine Geschwindigkeit = o; d. h. es ist keine Energie des P mehr
wirksam, wodurch JT' noch höher könnte gehoben werden. Dagegen wird
um diese Zeit JT" noch weiter gefördert; folglich findet jene Hemmungs-
summe bey JI" noch Widerstand, aber nicht mehr bey JT'. Dies zeigt
an, daß JT' vom Maximum schneller herabgedrückt wird als die bisherige
Rechnung angeben kann. Eigentlich aber beginnt das Herabdrücken
schon früher. Man müßte in der Rechnung den Augenblick suchen, wo
die Geschwindigkeit, mit welcher JT' gehoben wird, kleiner zu werden
beginnt als die des JT"; also den Augenblick, wo beyde Geschwindigkeiten
gleich sind. Früher war die Wirkung der Hemmungssumme zum Nach-
theil von JT"; von jetzt an aber wird dadurch TZ' zurückgehalten; sein
Maximum wird erniedrigt, und von da wird es her abgedrückt, so lange
JT" noch steigt. — Dies modificirt sich, je nachdem zwischen JT' und JT"
die Hemmung größer oder kleiner, und jenachdem die Verschmelzung
mehr oder weniger zu Stande gekommen ist.
Empfangen Sie jetzt noch meinen recht herzlichen Dank für Ihr
sehr gütiges Kommen nach Nordhausen! Empfehlen Sie uns Ihrer Frau
Gemahlin aufs Beste! Meine Frau hat sich um Vieles wieder erheitert;
sie war in Nordhausen kränker als sie sagen wollte; daher ihre Ver-
stimmung. Möchten Sie nur gesund nach Leipzig gekommen seyn; wir
haben mit Sorge Ihrer gedacht, daß die empfindliche Kälte, verbunden
mit dem Nachtwachen, Ihnen schaden möchte. Meine kleine Schrift^)
finden Sie hiebey. In Hoff"nung auf einen baldigen Brief ganz Ihr
H.ll
Mittlerweile, während dieser Brief liegen blieb, ist der Ihrige an-
gekommen. :Mein Bedauern des häuslichen Leidens das Sie vorfanden,
ist zwar an sich nicht eigennützig; dazu fühle ich mich Ihnen zu sehr
persönlich befreundet! Aber Ihr Brief thut etwas hinzu, was ich nicht
verschweigen darf, obgleich es in die Vatersorgen, die Ihnen zunächst
am Herzen liegen, nicht eingeht; — daher ich mich nur der Hoffnung
überiassen kann, die Sie am Ende des Briefes ausdrücken, daß es mit
Ihrem Kleinen besser geworden ist — ich meine die Nachricht von
Bobrik, und die Bemerkung, die Sie selbst daran knüpfen. Sie sagen:
Bobrik werde mit Fragen bestürmt werden, und alsdann zuviel antworten.
Das ist sehr möglich. Jedenfalls muß er suchen, Ansichten auszubilden,
deren das Publicum bedarf; denn dies Bedürfnis ist im höchsten Grade
^) Umriß päd. Vorlesungen.
156 ^835. ^ __
dringend; besonders um den furchtbaren Uebeln der falschen Ansichten
von Fichte bis Hegeln und ihrem Schweife, Grenzen zu setzen und ein
Gegengewicht zu geben. Diese Ansichten müssen schlechterdings ver-
drängt werden, und bessere, wenn sie auch nur das negative Verdienst
haben nicht spinozistisch zu seyn, müssen einstweilen die Lücken aus-
füllen, welche die wahre Wissenschaft offen läßt. Dadurch aber wird sich
theil weise das Frühere wiederhohlen. Kant hatte eine ungeheure Lücke
gemacht; darum drang der Spinozismus ein. Hätte ich vor vierzig Jahren,
da ich mit Schelling zugleich jung war, so schnell seyn können wie er,
so wäre das Unglück nicht geschehen. Mich retardirte nicht bloß die
Schwierigkeit der Sache; anderes Leiden kam hinzu. Jetzt sind Sie im
ähnlichen Falle. Sie werden auch retardirt. Und doch liegt es völlig am
Tage, daß jetzt auf Ihr Zuvorkommen, als auf das, was einzig helfen
könnte, die Lage der Dinge hinweiset! — Sie können und dürfen Bobrik
nicht hindern, ich kann und darf es eben so wenig. Wohl aber würden
Sie, wenn Sie rasch genug wären, ihm jetzt, da er noch guten Willen
haben wird, etwas anzunehmen, den Weg sichern können. Was von ihm,
gilt von Andern vielleicht noch mehr. Kommt Strümpell, kommt Harten-
stein, kommen meine jetzigen Zuhörer in Gang: so bildet sich ein Zug,,
dem nichts widerstehen kann; denn jeder Irrthum und jeder Streit voll-
endet seine Geschichte; und wir müssen froh seyn, wenn </,?r Irrthum, der
sich an meine Untersuchungen hängen kann, weniger schlimm, weniger
wahrheitswidrig und für gesunde Methoden weniger zerstörend seyn wird,
als der jetzt herrschende. Die Vorsicht, die wir beyde uns zur Pflicht
gemacht haben, dürfen wir von Andern nicht verlangen. Es geschieht
sonst nichts, und nach unsrer strengen Weise wird nicht mehr Widerstand
geleistet als die Physiker leisten, die im Stillen über die Thorheiten der
Zeit lächeln.
Die Betrachtungen sind so ernsthaft, daß ich nun doppelt wünschen
muß, meine neuliche Mittheilung und die vorstehende des gegenwärtigen
Briefes von ihnen erwogen und benutzt zu sehn; denn an diese Puncte
werden Sie unfehlbar stoßen. Femer wünsche ich der Uebersicht wegen,
daß meine Pädagogik als Beylage zur Psychologie in Ihren Händen sey;
das Feld muß sich Ihnen erweitern, damit Sie die Anwendungen, welche
zu suchen sind, überschauen. Und Hartenstein muß sich der praktischen
Philosophie wegen mit mir in Verbindung setzen. An dieser darf vor allen
Dingen nichts verdorben werden; sonst hilft alles Andre nichts. Endlich
müssen Sie Sich fortwährend nach einem Physiker umsehn, der mir die
Naturphilosophie prüfe und fördere; denn auf diesem Felde wird die Er-
fahrung dereinst entscheiden. Lassen Sie keine nutzbare Zeit ungenutzt;
und begreifen Sie endlich einmal, wie viel an Ihrer Wirksamkeit hängt!
II 23. May. Dieser Brief ist nochmals liegen geblieben. Unterdeß hat
auch Hartenstein geschrieben. Daraus sehe ich, daß er in die praktische
Philosophie wirklich hinein gekommen ist; eine verhältnismäßig geringe
Differenz hat er mir aufrichtig angezeigt; und diese Offenheit ist die
Hauptsache; ich habe ihm geantwortet, und er wird daraus wenigstens
gewiß soviel sehen, daß die Differenz noch viel kleiner ist, als er glaubte,
denn ein Theil davon ist bloßes Misverständniß meiner Worte, während
Juni 1835- 157
er das Rechte schon selbst getroffen hat, so daß die Beharrlichkeit, womit
er dies vesthielt während er in meinen Worten den Sinn nicht traf,
gerade recht erfreulich ist.
4. Juni. Endlich noch, — um doch schnell wenigsten ein Lebens-
zeichen zu geben, und zugleich darzuthun, daß ich habe schreiben wollen,
— sende ich dies Blatt ab; im Begriff in den Wagen zu steigen, um in
Hannover Visiten zu machen die ich eigentlich schon seit anderthalb Jahren
dort schuldig bin.
Möge dies Blatt Sie und die Ihrigen in guter Gesundheit finden!
Gegen meine Unpäßlichkeit werde ich in Hannover Urlaub zu einer,
wenn auch nur kurzen, Brunnenkur nachsuchen. i) Herzlich wünsche ich
Ihnen Lebewohl! Ganz wie immer
Ihr H.
Ö24. Hartenstein an H. -) Leipzig 9. Juni 1835
Wolilgebomer Herr, Hochzuverehrender Herr Hofrath ! Aus der wohlwollenden
Geneigtheit, mit welcher Sie meine- Bedenklichkeiten über das, was durch die fünfte
praktische Idee eigentlich als Gegenstand des Mißfallens bezeichnet werde, zu be-
mcksichtigen die Güte gehabt haben, hoffe ich schließen zu dürfen, daß meine Ver-
sichening, durch Ihr verehrtes Schreiben vom 22. Mai über die Construction der-
selben vollkommen aufgeklärt worden zu seyn, Ihnen nicht ganz unerwünscht seyn
wird. Indessen auch außerdem würde es meine Pflicht seyn, Ihnen meinen auf-
richtigsten Dank an den Tag zu legen.
Den ersteh Anstoß hatte ich an dem Ausdrucke genommen, welchem Sie selbst
in Ihrem Schreiben eine nähere Erklärung hinzufügen, „die That als Störerin mißfällt,''
und an der S. 138 ausgesprochenen Forderung, die That blos als That fest zu halten.
Ich bemerkte wohl, daß der Begriff der That als Störerin schon in sich selbst ein Ver-
hältniß bezeichnete; aber ich gerieth, wie ich mir erlaubte Ihnen zu bemerken, in den
Irrthum, daß Sie dieses Verhältniß durch die leere Abstraction der That, ohne Rück-
sicht II auf die mit ihr verbundene Absicht und Wirkung, characterisirt wissen
wollten. Die Stelle Ihres Werkes S. 204, auf welche Sie mich verweisen, war mir
freilich im Gedächtniß, aber sie schien mir im Widerspruche zu stehen mit der
S. 138 ausgesprochenen Forderung: ohne daß ich deshalb so voreilig sejTi wollte,
mich darauf zu berufen. Die ersten Worte Ihrer gütigen Antwort beruhigten
mich jedoch hierüber und alles folgende diente dazu, mich nach und nach mit der
steigenden Deutlichkeit der Begriffe des Mißfallens wirklich inne werden zu lassen,
welches das Verhältniß der That zu dem Zustande, den sie abbricht, unvermeidlich
trifft Dieses Mißfallen wächst wirklich gleichmäßig bei dem Wohl und Wehe; ob-
wohl der Gedanke, uns denn nun von dem Empfänger auf den Thäter zurückfallen
soll, sich nothwendig nach der Beschaffenheit dessen richtet, was in der Absicht
und dem Erfolge gleichmäßig anzuti-effen war; eben deshalb nothwendig richtet,
weil die That nicht als leere That aufgefaßt werden darf. Das Verhältniß, auf
welches es hier ankommt, springt mir jetzt am bestimmtesten in dem Gedanken
hervor: ,.könnte das Mißfallen als eine Kraft wirken auf die That, so würde es sie
hemmen.-" —
Das hielt ich vor Empfang Ihres Schreibens für unmöglich, wenn nämlich die
That Wohlthat sev. Den Wunsch, daß eine Wohlthat. von welcher man wisse, was
1) S. Bd. XV. S. 293.
-) 3V2 S. 4^. H. Wien.
158 Juni 1835- ^
sie beabsichtige und bewirken werde, unterbleiben möge, für unzulässig. Er ist
wirklich für jeden Dritten unzulässig; denn er enthält eine Verneinung des
Wohlwollens; aber zugleich hat mich Ihr Schreiben veranlaßt, mich zu besinnen,
daß der Wunsch, die: Wohlthat eines Nicht -Wohlwollenden, welche man über-
zeugt ist, mit nichts vergelten zu können, zu verhindern sich häufig genug || ein-
stellt und, falls nur jenes reine Mißfallen an der unvergoltenen That das Motiv ist,
keinem sittlichen Tadel unterliegt. Der Wohlthat des Wohlwollenden aber bietet
man sich unbedenklich dar; denn ihren Lohn, den Dank, hat man in seiner Gewalt.
Ihrer Frage, welchen Zustand ich gemeint habe, da ich schrieb: „Das Yer-
hältniß der Wohlthat zu dem ihr entsprechenden Zustande gefällt mir,'' bin ich^
freilich zur geringen Ehre meines Scharfsinnes, das Geständniß schuldig, daß ich es
nahe bei so gemeint hatte, wie Sie vermuthen. Ich hatte wirklich vergessen, oder
vielmehr mir noch nie ganz bestimmt auseinandergesetzt, daß es Wohlthaten ohne
Wohlwollen gibt. Daher ich Ihnen ganz besonders dafür verbunden bin, daß Sie
mich auf S. 130 und 135 Ihres Werkes aufmerksam gemacht haben, indem Ihre
Andeutungen hoffentUch genügen sollen, die Wichtigkeit der dort angegebenen Unter-
scheidungen mir in dem gehörigen Lichte zu erhalten.
Ich muß um Verzeihung bitten, daß ich mich nicht mit wenigeren Worten
begnügt habe, meinen Dank für Ihre Mittheiluugen mit der Versicherung, daß sie
nicht vergeblich gewesen sind, zu verbinden. Ich woUte zugleich mich versichern,
daß ich Sie nunmehr wirklich so verstanden habe, wie Sie woUen. Ist dieß der
Fall, so liegt die Basis der practischen Philosophie für mich fest. Derselben in
ihrer ganzen Ausdehnung Einfluß zu verschaffen auf die Gegenwart ist nicht blos
um der Philosophie willen nöthig und wünschenswerth ; ich zweifle aber an der
Möglichkeit, so lange nicht eine weitverbreitete Einsicht in die Motive und Resultate,
den Umfang und die Grenzen der Metaphysik der Verwirrung der Köpfe Maaß und
Ziel gesetzt und in die Fluth speculativen Geschwätzes einen Niederschlag bewirkt
hat, der einigermaßen erkennen macht, in welchen Gewässern man bisher gefischt
habe. Directe Polemik ist nicht möglich; noch ganz vor kurzem erklärte ein
Hegehaner in den ßerl. Jahrbb. sehr naiv, die Philosophie habe eigentlich gar keinen
Anfang, sondern jeder Satz aus ihr sey der Anfang; wie könnte man nun hoffen,
zu Ende zu kommen, wenn der Anfang wirklich fehlt V Es bleibt nichts übrig, als
den Weg der nüchternen Untersuchung unverrückt festzuhalten und nichts nach-
zugeben.
Mich der Fortdauer Ihrer Wohlgeneigtheit angelegentlichst empfehlend, ver-
harre ich mit unverbrüchlicher Verehrung
Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster G. Hartenstein.
525. Richthof en an H.^) Brecheishof, d. 23ten Juni 85.
Mein sehr verehrter Freund! Statt daß ich gehofft, daß Ihre Rückkehr nach
dem Innern Deutschlands uns wieder näher zusammenführen sollte, scheint unsere
Korrespondenz vielmehr immer mehr zu ermatten, und erhielte ich nicht zuweilen
Kunde über Sie durch ^meinen ältesten Sohn, so würde ich nur auf die öffentlichen
Nachrichten beschränkt seyn, welche nothwendig das innere Leben unberührt lassen.
Aber auch die Mittheilungen Karls sind dürftig, und so mache ich es denn meinem
alten vieljährigen Freunde zur angelegentlichen Pflicht endlich einmal ein Stündchen
mir zu diesem Behuf zu schenken ; möchten Sie doch noch lieber dem Beispiel eines
anderen alten Freundes des Grafen Baudissin einmal folgen, dessen Besuch ich in
1) 3 S. 40. H. Wien.
Juni 1835. 159
den nächsten Wochen zu meiner großen Freude erwarte. Leider geht so manchei dahin;
auch mit Reichhelm dem braven Berliner Schulrath war dieß jüngst der Fall; ich
hatte ihn, als ich im Herbste in Berlin war verfehlt, und begegnete ihm später auf
der Straße; da sah er freilich sehr verfallen aus, aber ein so baldiges Ende hätte ich
doch, nicht erwartet! "Wie geht es Ihnen? und ist Ihre Wirksamkeit als Lehrer
fortwährend erfreuhch? Vei-schiedene. Schriften früherer Zuhörer deuten darauf hin.
daß Ihre Samenköraer wenigstens in der letzten Zeit nicht in Königsberg auf un-
fruchtbares Erdreich fiolen; daii man daraus (hoffend) weiter schließen, so ließe
sich freilich vieles envarten.
Strümpell bat mir sein Buch geschickt; möge es nicht nachtheilig auf seine
wie es scheint ungünstigen Privatverhältnisse zuiückwirken, daß er zuerst pole-
misirend aufgetreten ist, wenn es gleich allerdings manches zu polemisiren giebt.
Es hat mir recht leid gethan, daß er mir seinen Wunsch nach einer Hauslehrer-
stelle nicht eher mitgetheilt hat, da ich ihn sonst selbst zu mir genommen haben
wurde; später war ich bereits leidlich versorgt. Dieterici ist nun auch noch zum
Lehrer geworden, und scheint vielfach Ihre praktische Philosophie zu benutzen;
mein zweiter Sohn, der bei ihm hört, ist sehr von ihm eingenommen; ich selbst
habe ihn aber persönlich sehr lieb, und achte ihn als einen vorzüglich braven
Mann. Freilich wird wohl seine fortwährende Stellung als Ministerial- und Kassen-
warth einen großen Theil seiner Kräfte in Anspruch nehmen. || Daß die mir früher
in Berlin eröffneten Aussichten wegen der Breslauer Universitäts-Kuratel gescheitert
sind, hat Ihnen wahrscheinlich mein Sohn gesagt; bedenke ich was eine solche
Stellimg seyn konnte, so ist mir die Sache freilich höchst unangenehm, aber diese
Ansicht wird allerdings sehr dadurch gemildert, daß die Wirklichkeit von dem Mög-
lichen sehr abweicht. Leid thut mir, daß man das Kuratorium dem Polizeipräsidenten
überträgt, was wenn der Mann dui'ch seine Persönlichkeit auch vieles gutmacht,
doch eine unerfreuliche Vereinigung verschiedenartiger Wirkungskreise herbeiführt, und
wie die Zucht der Erziehung nachsteht und nur ein Mittel derselben ist, so erscheint
mir die Sphäre eines üniversitätskurators eine ungleich höhere, und eine ernste wissen-
schaftliche Bildung in so hohem Grade erfordernd, daß die polizeiliche Leitung zuletzt
eine wenn auch keineswegs zu vernachlässigende Nebensache wird. Wie wären
doch an mir deinem Freund, alle diese Umtriebe zur Zeit unseres Universitätslebens
völlig abgeghtten, und wenn man in neuerer Zeit behauptet hat, daß just die
besseren Jünglinge in dieser Hinsicht den meisten Gefahren ausgesetzt seyen, so
deutet das doch wohl offenbar darauf hin, daß solchen wenigstens alle Charakter-
bildung fehlte, und daß sie noch obenein durch ihren Lehrkreis in ein falsches
Element versetzt waren; daß die ihnen mitgetheilte Begeisterung, die ziüetzt wenn
auch unbewußt von den Lehrern ausgegangen, eine falsche war; und so kommen
wir denn zuletzt freilich wieder auf die Frage welches die wahre Philosophie oder
doch die wahrhaft philosophische Richtung sey zurück, in welcher Hinsicht wenig-
stens zwischen uns beiden kein Streit seyn kann. Schulz wird in der Sache gar
nicht zugezogen.
Leid thut mir, daß Sie mit Karl nicht in regeren Verkehr gekommen sind;
daran ist aber wohl nur der Umstand Schuld, daß das von ihm erwählte Studium
'sehr viel Zeit und Arbeit erfordert, und ein Sichbeschränken ist allerdings auch in
mancher Beziehung nicht nur zu rühmen, sondern sogar höchst nothwendig. Ich
hoffe an ihm Freude zu erleben, und das von Eichhorn über ihn wiederhohlt aus-
gesprochene Lob bestärkt meine Hoffnung. Daß es meinem zweiten Sohn nicht
gestattet worden nach Ihrem verführerischen Göttingen zu kommen wissen Sie;
vielleicht daß wenn jetzt die Bundestagsbeschlüße wegen der Bevollmächtigten in
1 6o Juli 1835-
Göttiugen gleichfalls || zur Ausführung gekommen sind, man jene Anordnung wieder
abändert, und ich glaube kaum daß man unsererseits zweckmäßige Verwendung der
abgescUoßenen fremden Universitäten unbeachtet lassen sollte. Allerdings wäre aber
zu bedauern, wenn während Steuern und Handel Deutschlands Staaten einander
immer näher führen, in wissenschaftlicher Beziehung eine fiüher unbekannte Spal-
tung herbeigeführt würde !
Persönlich geht es mir im Ganzen gut, wenn gleich ein an sich unangenehmes
Übel in diesem "Winter meine bisher so treffliche Gesundheit bedroht hat; bei
meinem einsamen ruhigen Leben aber glaube ich um so gewißer alle weitern Fort-
schritte desselben verhüten und unterdrücken zu können, da ich frühzeitig dazu
gethan habe. "Wahrscheinlich wissen Sie von Karl , daß sich nämlich Stein-
beschwerden gezeigt haben, aber gleichwohl bis jetzt in höchst unbedeutendem Grade.
Ich bin im Begriff auf einige "Wochen nach dem nahen Salzbrunn zu gehen, was
dagegen vortrefflich wirken soll.
Eine Eeise nach Göttingen, wovon wohl vielfach die Rede vorzüglich bei meiner
Frau gewesen ist, ist für dies Jahr wenigstens aufgegeben, und allerdings wäre wohl
Jühnde, der mir selbst so liebe Ort, nicht mehr das alte, und auch Göttingen hat
sich wohl mannigfach verändert. Da bin ich aber unwillkührlich bei dem Punkte
meines Ausgangs wieder angekommen , und beweise Ihnen von Neuem, wie sehr
mir daran liegt, und Ihnen als einem alten Freunde obliegt, mir von Ihrem Leben
und Befinden ausführliche Kunde zu ertheilen ! Leider scheint Ihre Frau dort immer
noch nicht recht heimisch geworden zu seyn!
Beyghd erhalten Sie die fälligen Zinsen mit 13 Frdchsdor. Grüßen Sie meinen
Sohn, und bleiben Sie mein Freund!
Der Ihrige Richtliofen.
-526. An Drobisch. Ohne Datum, i)
Mein theurer Freund! Nur in Eile kann ich Ihnen melden, daß
ich eine Brunnenkur in Pyrmont beabsichtige; hätten Sie vielleicht die
'Güte, noch vorher an mich zu schreiben ehe ich abreise, so würde ein
•Brief von Ihnen mich bis Freytag über acht Tage, (heute ist Mittwoch)
noch hier treffen.
Mancherley wünsche ich zu wissen; vor Allem wie Sie Sich befinden,
wie es in Ihrem Hause und in Ihrem Auditorium steht. Bei mir wird
diesen Sommer bis jetzt mit fast ununterbrochenem Fleiße gehört. "Von
Hartenstein habe ich einen sehr befriedigenden Brief; ich bitte mich ihm
zu empfehlen, und mich zu entschuldigen daß ich aus Mangel an Zeit
und Gesimdheit nicht geantwortet habe. Schon jetzt trinke ich hier, so
weit es die Umstände gestatten, den Brunnen, und das greift an. —
In Hannover war ich um Pfingsten, und fand erwünschte Aufnahme.
Wer kann die Recension über Strümpells Buch in der J. A. L. Z.
(im Mayhefte) geschrieben haben? — Von wem kann die kleine Schrift
gegen Schelling 'seyn, — ich meine jene „Entdeckungen über die Ent-
deckungen unserer neuesten Philosophen, von magis amica veritas" — ?
Der Verfasser kann kein unbedeutender Mann seyn.
Je weniger von Strümpelln für Psychologie zu erwarten ist, (was
Ihnen nicht verborgen geblieben seyn wird) desto mehr wünsche ich zu
') Poststempel 8. 7. — 2 S. 4".
Juli 1835. I^
wissen, ob 1| Sicherung gegen mögliche Confusion entweder von Ihnen, oder
von andern Seiten her zu hoffen steht? — Hier in G. ist alles noch zu
neu, als daß fürs erste von hier aus etwas für uns Bedeutendes ins Publicum
treten könnte. Mir ist Ruhe nöthig, und sehr ungern würde ich selbst
die Feder ergreifen.
Was hört man von Berlin über Gablern? Hier ist darüber noch gar
keine Nachricht zu mir gekommen. Und möglicherweise könnte ich in
Pyrmont mit Personen zusammentreffen, gegen welche mein Benehmen
durch Umstände zu bestimmen wäre, wovon ich nicht benachrichtigt bin.
Brockhaus und Perthes haben mich bald nacheinander besucht. Sollte
sich wohl Strümpell an Brockhaus angeschlossen haben? und wie?
Entschuldigen Sie, daß ich auch diesmal meine kleine pädagogische
Schrift nicht beylege; — Sie würden Sich wenig dafür interessiren ; ich
wünsche, daß dieser Brief gleich mit der Reitpost abgehe. Von Herzen
sage ich Ihnen Lebewohl! H.
527. An Strümpell. 1) Göttingen 10 Jul 1835
Wäre der mir übersandte Aufsatz 2) von einer andern Hand als der
Ihrigen, so würde ich ihn mit der einfachen Bemerkung zurückschicken,
es scheine mir nicht zweckmäßig, mich darauf einzulassen. Er ist aber
von Ihnen; und im Allgemeinen, abgesehen vom Werthe des Inhalts und
von der Manier des Vortrags, kann ich Ihnen nicht verdenken, daß Sie
zu wissen wünschen, was ich etwa darüber zu sagen habe; vielmehr ist
in so weit Ihr Verfahren den Verhältnissen ganz angemessen. Für eine
Antwort aber ist der Aufsatz zugleich zu lang und zu kurz. Viel zu lang
für punctweise Antwort; zu kurz aber, um das ganze Gewebe der Mei-
nungen, womit er zusammenhängt, mit Sicherheit zu übersehen. Ferner
kommt gar sehr in Betracht, daß der Aufsatz kein Brief, und keines-
wegs in solcher Form abgefaßt ist, als wäre er bloß für Sie und für mich
bestimmt. Der Brief redet von einer reifen Frucht, die gegessen seyn
wolle. Im Aufsatz ist von mir als einer dritten Person gesprochen —
mit Wem? Es werden sogenannte Beweise als schlagende Beweise ge-
rühmt — um Wem zu imponiren? Die Frage, ob ich den Aufsatz wohl
geduldig durchlesen würde? scheint dem, mit seiner Beredsamkeit ander-
wärts hingewendeten Verfasser gar nicht aufzufallen. Unter diesen Um-
ständen müssen Sie Sich nicht wundern, wenn mir etwan ein Ausdruck
in die Feder läuft, als ob wir nicht allein wären, und als ob ich Jemandem
laut meine offene Meinung sagte. Auch zweifle ich, ob hier das principium
*) S. A. Spitzner-Strümpell, Die psychologische Pädagogik (Leipzig, E. Ungleich)
S. XXX ff.
-) Über das Geschick dieses Aufsatzes vgl. ebenda S. XV Anm. Wenn der
Aufsatz aber auch nicht mehr vorhanden ist, so könnte man ihn mit Hilfe des vor-
liegenden Biiefwechsels und der Gegenschrift Herbarts (s. Bd. X, S. 197 ff.) rekon-
struieren. Jedenfalls handelt es sich einzig und allein um ,, Angriffe auf die metaphy-
sischen Prinzipien der math. Psych." Herbarts, um „Übertreibung eines Begriffs" (den
der Ontologie) durch Strümpell, keineswegs um pädagogische Fragen. Herbart war es
gerade in jener Zeit, in der eben in den Berliner Jahrb. auf die Bedeutung Herbarts und
seiner Schule für die Gegenwart hingewiesen worden war, daium zu thun. bei den
Gegnern nicht etwa die 2vleinung aufkommen zu lassen, es herrsche im eigenen Lager Streit.
Hbrbarts Werke. XVIII. "
l62 Juli 1835-
exclusi tertii, dessen der Brief erwähnt, an seiner rechten Stelle sey.
Überhaupt verspreche ich niemals unbedingt, Geheimnisse zu hüten, die
mir unverlangt — vollends ohne genaue Beachtung freundschaftlicher
Formen der Mittheilung, angeboten werden. Sie sind nicht jung genug,
damit man sich die Voraussetzung erlauben dürfte, Sie hätten Ihr Ver-
fahren nicht von allen Seiten, und in seiner ganzen Bedeutung, wohl er-
wogen. Und ich bin nicht alt und nicht schwach genug, um, wo ich
schweige, aus bloßer Gemächlichkeit zu schweigen. Übrigens bin ich eben
jetzt in einer Brunnenkur begriffen, die nächstens in Pyrmont soll fort-
gesetzt werden; daher werde ich für diesmal höchstens diesen Briefbogen
voll schreiben.
Das Erste, was ich von Demjenigen, der über Psychologie sprechen
will, unbedingt fodere, ist, daß er noch einige andere Gedanken gegen-
wärtig habe, als bloße Ontologie. Schrieben Sie für mich: so war zu be-
denken, daß Sie mich mit praktischer Erziehung, mit physikalischer Be-
obachtung, — kurz, mit Mancherley beschäftigt gesehen hatten, was alles
Andre in der Welt eher ist als Ontologie. Aber Sie finden für gut, gleich
von vorn herein anzunehmen, es sey Ihnen zugestanden, dem ontologi-
schen Wege stehe sogar wissenschaftlich die Untersuchung nach, welche
vom Ich ausgeht! — Gegen den Anfang Ihres Aufsatzes stelle ich die
einzige historische Thatsache, daß ich noch im vorigen Jahrhunderte die
Fundamental -Rechnungen der Psychologie abgeleitet habe aus dem Ich;
erst mehrere Jahre später, nach mancherley Störungen, wodurch das Ver-
folgen des frühern Weges unterbrochen wurde, folgte die Ontologie, und
namentlich die Lehre von den Selbsterhaltungen. Daß dies nicht etwa
so zu verstehen ist, als müßte vor den Schlägen Ihres ontologischen
Räsonnements die Psychologie in Sicherheit gebracht und geflüchtet wer-
den: mag sich am Ende dieses Briefes finden. Für jetzt, und im Falle
des Streits, verlange ich, daß die ältere Untersuchung, welche unabhängig
von der späteren entstand, von dieser gesondert werde. Um den wahren
Sinn einer Untersuchung nicht aus den Augen zu verlieren, muß man
sich auf dem Wege halten, auf welchem die Grundgedanken sind ge-
funden worden; nur so können sie mit Sicherheit reproducirt werden.
Meine Schriften zeigen, daß ich nicht etwa so viel als möglich, sondern
so wenig als möglich von der Ontologie Gebrauch mache. Logik, Ästhetik,
Synechologie, Eidolologie, sollen nicht mit ihr stehen und fallen. Vollends
mathematische Psychologie hat nicht auf Ontologie gewartet, so wenig als
die Mechanik der Körperwelt beym Eleaten Zeno um Erlaubniß bittet,
von der Bewegung zu handeln. So ist es dem Gesammtzustande heutiger
Wissenschaft angemessen, worin die Ontologie eine sehr untergeordnete
Rolle spielt, so daß, wenn sie mit andern Wissenschaften in Verbindung
treten will, es ihr allein obliegt, die Verbindung zu bewerkstelligen. Be-
hauptungen wie diese: Die Untersuchung über das Ich könne nicht ent-
scheiden, weshalb von einfachen Vorstellungen ausgegangen werde, —
und : die gegenseitige Modification der Vorstellungen könne nicht aus dem
Ich gefunden werden: — sind eben nur Behauptungen. Vom Einfachen
geht man immer aus, wo man Ursach hat, sich in Verwickelungen nicht
voreilig einzulassen. Und der Begriff des Strebens entgegengesetzter Vor-
Juli 1835. 163
Stellungen, welcher jene Modification bestimmt, ist gerade ursprünglich aus
dem Ich gefunden worden.
Sie sehen nun, daß Sie Sich von mir noch etwas weiter entfernt
haben, als Sie dachten. Wollen Sie mich in meinem psychologischen Garten
besuchen, so wird nöthig seyn Sich von Ihrem ontologischen Lehrstuhl
herunter zu bemühen, denn der Garten kommt nicht zu Ihnen. Vielmehr
frage ich, ob Sie den Beruf Ihres Lebens darin finden, Ihre Zeit mit
Gezänk gegen Fichtianer, Schellingianer, Hegelianer, — das heißt gegen
Leute, die wie Schneemänner verschiedentlich gestaltet in der Ontologie
erstarrt sind, hinzubringen.. Oder ob Sie Sich über das Gebiet und den
Zustand heutiger Wissenschaft und Gelehrsamkeit eine freye Übersicht
geschafft haben? Meinen Sie, jene Fichtesche polemische Welt, die Alles
auf Eine Spitze stellte, anstatt eine möglichst breite Basis zu suchen und
zu benutzen, sey die wirkliche Gelehrten- Welt? Meinen Sie, ich würde
es Ihnen Dank wissen, wenn Sie alles menschliche Wissen, als bloße
Consequenz aus meiner Ontologie darstellen könnten? Oder bey Wem
hoffen Sie damit Glück zu machen? — Das Unglück der Einseitigkeit
wäre für Sie, und Niemand würde es Ihnen vergüten können.
Erfahrung suche ich bey Ihnen — und finde statt derselben meine
Psychologie vergessen.
Da sieht man Weißes. Dann werden die Augen geschlossen, — und nun
große Noth! Denn Plötzlich sieht man kein Weißes mehr. Es sollte doch
bemerkbar seyn, wie nun fein langsam die Vorstellung des Weißen durch die
andern Vorstellungen gehemmt würde. Da solle es ein Beynahe geben ; ein
Beynahe noch ohne Augen sichtbares Weiß! — Wo bleibt denn woM die
physiologische Hemmung durch den Sehenerven, durch das Auge? Soll etwa
die sinkende Vorstellung diese auch noch im Zustande des Beynahe-
Sehens erhalten? Oder soll, wenn das Auge geschlossen wird, die Seele
zum Leibe heraus, um für sich allein Vorstellungen zu haben? — Aber
ein Übergang muß doch sein, wie sehr auch eine Hemmung die andre
verstärke! — Müssen Sie denn auch eine Zwischenzeit des Bemerkens
dazu haben? Wieviel Zeit bemerken Sie, während das Licht eine Meile
durchläuft? ,,Zweyter Beweis'' — ja wer da einen Beweis finden könnte!
Eine Behauptung finde ich, der man Dreistigkeit mit Dreistigkeit bezahlen
muß. „Die Zustände, wenn wir nicht wirklich empfinden, besitzen mit
den einfachen Empfindungen keine Ähnlichkeit." Umgekehrt: nur die
beybehaltene Ähnlichkeit macht das Wieder-Erkennen des früher-Gekannten
möglich. Dritter Beweis, ein Meisterstück nach Art der Hm. Bachmann
und Beneke: „ich müßte schwächer hören als ich wirklich höre oder sehe,
wenn ich zugleich Entgegengesetztes empfinde." — Liegt denn die Hem-
mung im Empfinden? War nie die Rede vom Sinken der Hemmungs-
summe? Aber so gehts, wenn vergessen wird, daß die Statik des Geistes
nur ideale Gleichgewichtspuncte angiebt. Da soll denn vermuthlich eine
Vorstellung den Punct, auf welchen herabgedrückt zu werden ihr bevor-
sieht, schon indem sie entsteht, eingenommen haben\
So stehts mit der Erfahrung; gehn wir also nun zur gefromen Onto-
logie zurück! Aber da kommen gar zu betrübte Dinge zum Vorschein.
Z. B. .,Nun läßt sich in unsere Frage, ob a schwächer oder (! ! !) dunkler,
II*
i64 Juli ^835-
oder das Gegentheil, heller (! ! !) werden kann" — ohe iam satis! Aber
zum Überfluß noch die Parenthese: „denn wenn es das erstere, kann es
auch das letztere werden." — —
Um Geduld zu sammeln, will ich ein Gleichniß niederschreiben. Dies
soll sich zugleich auf das folgende beziehen; es wird nämlich dort von
dem unglücklichen Hellerwerden mit fast unbegreiflicher Verwechselung
der verschiedensten Begriffe fortgesprochen, nachdem irgend einem Zwischen-
redner, (welcher sagt, im fortdauernden oder unvollk. Zusammen wachse
der Zustand a) geantwortet ist: „dann wächst a nicht, sondern zu a kommt
a', a", pp
Hier steht ein Licht. Davor ein Lichtschirm, der Schatten wirft.
Jemand philosophirt über den Schatten, und will die Möglichkeit, daß nach
Beschaffenheit eines Lichtschirmes der Schatten mehr oder weniger finster
ausfallen könne, widerlegen. Wie fängt er das an? Redet er vom Licht-
schirm, der dichter oder dünner seyn kann? Nein, er beginnt vom Heller-
werden. Und wie? von welchem Hellerwerden? — „Wenn es heller
werden sollte, müßte man mehr Lichter anzünden. Aber — merket wohl !
Nicht das erste Licht wird dadurch an sich heller, sondern die mehrem
Lichter thun nur eine Helligkeit zur andern." Jetzt kommen Varianten
in mein Gleichniß, zwischen denen Sie wählen können. Erste Lesart:
^^Weil hiedurch das erste Licht nicht heller wird — darum kann der
Lichtschirm nicht, je nachdem er dichter oder dünner ist, mehr oder
weniger finstern Schatten machen." Zweyte Lesart: „Der Lichtschirm
kann keine partielle Dunkelheit hervorbringen, — denn — sonst müßte
er auch umgekehrt die Helligkeit des Lichts vermehren können." Fabula
docet: daß Zweyerlei nicht einerley ist. Verhinderung des Leuchtens ist
etwas Anderes als Verminderung der Anzahl der Lichter. Letztere läßt
sich umkehren; man kann die Anzahl der Kerzen vermehren so gut als
vermindern. Der Lichtschirm aber wird niemals leuchten. — Damit das
unsaubere Verwechseln und Vermengen ja nicht zweifelhaft bleibe, rückt
der zweyte Beweis heran, welcher vorgiebt, die einzig denkbare Art der
Verdunkelung darzubieten: — Die Selbsterhaltung gegen M B sinke herab
zu der gegen Ein B. Schweigen wir davon! Denn das ist Schwächung.
Schwächer heißt aber nicht dunkler; und wenn Jemand das Dimkler nicht
begreifen kann, so soll er den Begriff wenigstens rein lassen, und nicht
mit andern vermengen.
Doch jetzt — erhebt sich der dritte Beweis mit dem Kraftworte:
„Die Selbsterhaltung a ist „untheilbar; ein einfaches actum". Und dann
folgen vier Widersprüche auf einmal, die ganz ernsthaft als „undenkbar"
bezeichnet werden. An dieser Haupt- und Prachtstelle des Aufsatzes
wäre eine wohl - abgefaßte Anfrage an mich zu erwarten, wenn in ernst-
licher Absicht zu fragen, der Aufsatz an mich gesendet wäre. Die vier
Widersprüche sind abel- nicht eine Frage; folglich ist an mir nicht die
Reihe zu antworten. Wohl aber ist an mir die Reihe zu fragen. Auch
werden vier Fragen gegen vier Widersprüche nicht zu viel seyn. Um den Sinn
der Fragen deutlicher zu machen, stelle ich einen allgemeinen Satz voran:
Wenn aus einem Begriffe, der im ganzen Gebiete der Begriffe einzig
in seiner Art ist, eine Folgerung herfließt, die nur auf ihn allein sich
Juli 1835. 165
stützen kann: so ist auch diese Folgerung einzig in ihrer Art; und
darf auf keine Weise copirt werden; indem die Copie, verlassen von
jener einzig möglichen Stütze, ein Wahn- und Trugbild werden würde.
Frage i. Welcher Begriff, einzig in seiner Art, liegt jedem ontologischen
Räsonnement noth wendig zum Grunde?
2. Welcher andere Begriff ist aus ihm gefolgert, der lediglich in
ihm die nöthige Rechtfertigung finden konnte?
3. Man nehme aus der Folgerung den rechtfertigenden Begriff,
mithin die Rechtfertigung selbst, hinweg. Welcher — wohl-
bekannte und nicht zu verfehlende — Begriff muß nun anstatt
jener Folgerung hervortreten?
4. Wo mag doch die falsche Copie zu finden seyn, welche ent-
stehen mußte, wenn man Etwas, jener Folgerung Ähnliches,
nach Art eines steif gewordenen Vorurtheils auch da noch vest-
hielt, wo der rechtfertigende Begriff" fehlte. — Der Bogen ist voll.
528. Drobisch an H.') . Leipzig 12 Jul 35
Hochverehrter Herr und Freund! Vorgestern bin ich, nach fast Utägiger Ab-
wesenheit von der Schulconferenz in Dresden') zui-ückgekelut und beeile mich Ihren
werthen Brief zu beantworten. Meine Gesundheit so wie die meiner Kinder ist jetzt
recht gut; mehr hat meine Frau an ihren Nerven zu leiden, vielleicht m Folge des
Stillens oder auch der Besorgnisse über den Gesundheitszustand des kleinen Knaben.
"Wir wollen indeß von der schönen Jahreszeit noch das Beste hoffen; wenn uns
nur die nächste Zeit der Himmel vor ferneren Krankheiten bewahrt. In meinem
Auditorium steht es sehr gut: über 70 in der Logik und, was mehr sagen will,
gegen 50 in der sogenannten Encyklopädie der Philosophie! Freihch ist es nicht
gut, daß ich eine Unterbrechung von 14 Tagen machen mußte; doch vermehrt
andererseits das dadurch an den Tag gelegte Vertrauen des Ministeriums zu meinen
geringen Fähigkeiten auch das Vertrauen der Studierenden zu mir. In Dresden bin
ich wirkhch mit großer Auszeichnung empfangen worden ; ich könnte mir etwas dar-
auf einbilden, wenn nicht leider allzubald hervorträte, daß es den Herren an emem
Maßstab fehlt, um emen Gelehrten zu messen, und daß jeder, der nicht ganz un-
beholfen ist und ein wenig gesunden Verstand bei der Hand hat, imponiren kann.
Alle Wünsche, die ich in der kleinen Schrift „Philologie und Mathematik" aus-
gesprochen hatte, sind mir erfüllt worden; die Mathematik hat in allen Classen
wöchentlich 4 Stunden; Physik und Astronomie werden 2 stündig in den beiden
obersten Classen vorgetragen; auch eine logische und empirisch-psychologische Vor-
bereitung ist für Prima angeordnet. Nichts desto weniger haben die alten Sprachen
die Hälfte der gesamten Lehrstunden, deren Zahl in den oberen Classen nicht 32, in den
untersten nicht 36 wöchentlich überschreitet. Auch eine Schulamts-Candidaten- und
Lehrer-Prüfung wird in Leipzig angeordnet werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach
werde ich Mitghed der Commission seyn. Interessanter als dies alles ist Ihnen aber
^) 2'/2 S. 40. H. Wien
2) Dieser Konferenz, die unter dem Vorsitze des Cultus-Mmisters Dr. Müller
stattfand, gehörten außer den Rektoren der Gymnasien noch an : Böttger, Käuffer u. a.
Vgl. die Selbstbiogr. G. L. Schuizes in Hergangs Päd. Reai-Enc, 1847, II. Bd. S. 656.
Drobischs Schrift: „Philologie u. Math, als Gegenstände des Gymnasialunterrichts
betrachtet, mit bes. Beziehg. auf Sachsens Gelehrtenschulen", erschien 1832. Zu
vgl. ist auch ein Aufsatz über math. Didaktik in der Lpz. Lit. Ztg. 1832, Nr. 297.
i66 Juli 1835.
vielleicht, daß ich H. v. Lindenau in fünf Minuten einen Begriff über mathema-
tische Psychologie gegeben habe, der ihn befriedigte und ansprach, so daß er meiner
ausführUchen Beschäftigung mit dieser Disciplin seine volle Billigung gab. Er ver-
sprach mich diesen Sommer noch in Leipzig zu besuchen und fragte, ob ich viel-
leicht jetzt über math. Psych, läse, in welchem Falle er hospitiren würde. Ich er-
bot mich für den Fall seiner Anwesenheit zu einer Extravorlesung hierüber. Das
"Weitere wollen wir || erwarten. Freilich bin ich jetzt für die nächsten Wochen
durch einige für das Ministerium zu liefei-nde Arbeiten von den reinphilosophischen
Beschäftigungen sehr abgehalten und auch davon mehrere Wochen vor der Con-
ferenz durch abgesonderte Gutachten abgehalten gewesen. Indeß wird doch bald
wieder eine ruhigere Zeit kommen imd diese mich nicht unthätig finden. —
Der Eec. von Strümpells Buch ist so viel ich weiß, Eöer; der Verfasser der
„Entdeckungen" etc. ist mir unbekannt. — Mit Str. mag es allerdings über
Psychologie etwas confus stehen, aber er hat wenigstens gegen mich be-
stimmt erklärt , daß er damit durchaus nicht öffentlich auftreten will. Thäte er s,
so würde ich gewiß nicht schweigen. Vielleicht legt er Ihnen seine Meinungen
einmal im Zusammenhang vor; dann bitte ich im Voraus um Geduld und
Schonung und einige Beantwortung, damit er uns nicht ganz verloren gehe.
Allerdings gestehe ich es, haben mich seine Differenzen betmbt, aber noch will ich
ihnen keine üble Deutung geben. Leugnen kann ich nicht, daß sich eine Art Kluft
seit einiger Zeit zwischen uns befestigt hat ; seit er nicht mehr in meiner Nähe
wohnt, kommen wir seltener zusammen und seit Eöer hier und er mit ihm auf
Reisen war, hat er — sey es zufälliges Zusammentreffen oder Zusammenhang —
einen hochfahrenden Ton angenommen, der mich sehr abgestoßen hat. Wahre, auf-
richtige Freundschaft scheint zwischen uns nicht zustande kommen zu wollen. Wird
Str. einmal äußerlich glücklich, so mag er nur über sich wachen, daß er nicht der
anmaßendste, hochfahrendste herrschsüchtigste Mensch wird. Bescheidenheit scheint
er nicht zu kennen. Doch genug ; Sie kennen seine Licht- und Schattenseiten besser
wie ich, es ist rathsamer, die ersteren ins Auge zu fassen !
Über Gabler weiß ich nichts; meine letzten Nachrichten waren, daß er noch
nicht angekommen sey; v. Henning ist prof. ord. geworden.
Der Besuch der Buchhändler bedeutet Gutes; ich wünsche Glück dazu!
Str. ist Mitarbeiter au Brockhaus Unterhaltungsblättern, und bis jetzt in einer
Weise, die ich nicht tadeln kann. Freihch sind wir über einen religionsphilosophi-
schen II Aufsatz auch einmal hart aneinander gerathen. Hier differiren unsere An-
sichten sehr; denn ich erkenne die Kirche und die Abhängigkeit von ihr an, so gut
wie den Staat imd das Gebundenseyn an ihn; Str. aber wirft die erstere so ziem-
lich weg wie einen alten Aberglauben. Wie viel Unheil kann er stiften, wenn er
solche Dinge drucken läßt! Er versprach mir's zu unterlassen, aber ich habe Grund
zu vermuthen, daß es dennoch geschehen wird.
Dixi animamque meam salvavi.
Wie können Sie denken, daß ich mich nicht für Ihre Umrisse der Pädagogik
interessiere ? Das stünde mir wohl an ! Längst habe ich sie von Hartenstein erborgt
und mit Vergnügen und Nutzen gelesen. Wäre es Ihnen zuzumuthen, mit so be-
haglicher Breite wie Schw_arz ein Lehrbuch der Pädagogik zu schreiben, was für
einen Anhang könnten Sie Sich verschaffen. Ihr Lehrbuch soll aber von morgen
an neben seinem älteren Bruder in meinem Bücherschrank stehen.
Mögen Pyrmonts Heilquellen Ihnen Heil und Ihrer würdigen Frau Gemahlin
Erheiterung bi'ingen; dies der herzliche Wunsch
Ihres innigen Verehrers — M. W. Drobisch
August 1835. 167
529. An DrobiSCh. Ohne Datum, i)
Sehr erfreut und dankbar für Ihren gütigen Brief, wünsche ich Ihnen
den besten Fortgang der häuslichen und öffentHchen Angelegenheiten.
Diese höchsteiligen Zeilen haben nur den Zweck, Sie um Eins zu bitten.
Sollten nämlich gewisse Bedenklichkeiten in Ansehung der metaphysischen
Begründung der mathem. Psychologie, irgendwie auch nur im Geringsten
Eingang bey Ihnen gefunden haben: so theiien Sie mir diese, so bald es
Ihre Zeit erlaubt, so vollständig als möglich mit. Alsdann versteht sich
von selbst, daß ich es als meine höchste Schuldigkeit betrachten werde,
Ihnen so bestimmt ich es vermag, meine Gedanken darüber vorzulegen.
Sie werden alsdann Selbst urtheilen. Es ist höchst nöthig, daß wir unsere
Zusammenstimmung so sorgfältig als wir können, aufrecht halten. Dies
unter vier Augen! Von ganzen Herzen der Ihrige! H.
530. An Strümpell.'-) Göttingen 13 Aug 1835
Vor wenigen Tagen, lieber Herr Doctor, kam ich von Pyrmont, und
erst vor wenigen Stunden gewann ich Zeit Ihren Brief zu öffnen. Was
mir zunächst dabey einfällt, sollen Sie hier unverhohlen erfahren.
Ihre Empfindlichkeit ist nicht geringer, als ich vermuthete; auch das
■mußte ich voraussehen, daß Sie, in Ihren Augen, ganz recht behalten
würden. Aber die achtungswerthen Grundzüge Ihres Charakters leuchten
durch; diese schätze ich wie ich soll; und es macht mir Vergnügen Sie
dessen zu versichern.
Sie wissen, glaube ich, wie sich Andre gegen mich benommen haben.
Hätte ich Sie mit diesen Andern verwechselt, so hätten Sie um desto
gewisser gar keine Antwort von mir bekommen, da Ihre Entfernung von
mir schon seit vorigen November am Tage lag.
Die Antwort, die ich Ihnen gab, konnte nur kurz seyn, denn ich
hatte eine Brunnenkur schon hier angefangen. Der Zweck der Antwort
■mußte seyn zu warnen, falls Sie etwa noch auf Warnung hören wollten.
Daß Ihr Aufsatz nur für Drobisch und mich bestimmt war, sagen Sie
mir jetzt\ Dem Aufsatze war das nicht anzusehen; dieser schien vielmehr
gerade ins Publicum zu wollen. Was daraus gar leicht entstehen könne,
davon mußten Sie die Probe sehen.
Sollte ich Ihnen etwa jetzt etwas Angenehmes über diesen Aufsatz
sagen, so könnte es dies seyn, daß Sie wie ein geschickter Feldherr die
•Gegend Ihrer Stellung gewählt hatten; denn von dieser Seite her konnte
■ein Angriff kommen, den ich nicht wie so viele andre verachten durfte.
Sie wußten wohl, daß ich, sobald meine Psychologie und Metaphysik in
scheinbaren Widerstreit versetzt wurden, nicht still zusehn konnte.
Unstreitig steht es Ihnen, wie jedem Andern, völlig frey, zu prüfen,
ob meine Behandlung der einen und der andern Wissenschaft gehörig in-
einander greife, oder nicht. Soll aber dabey ein freundliches Verhältniß
bestehn, so ist die größte Behutsamkeit sowohl in der Form der Unter-
^) Poststempel 17, 7. — i S. 4".
-) S. A. Spitzner, a. a. O. S. XXXVI ff. u. „Der deutsche Schulmann" 1900, Juni.
l68 August 1835.
suchung als in der des Vortrags nöthig, um nicht ohne Grund die
Meinungen zu verwirren.
Es ist wahrlich nicht meine Schuld, daß Sie mich an Bachmann und
Beneke erinnert haben. Aber dies geschah sogar schon im vorigen
November. Damals zerriß ich einen Brief, (den ich an Sie schon ge-
schrieben hatte,) um Ihnen nicht durch eine für mich selbst schmerzhafte
Vergleichung lästig zu fallen. Aber damals scheint auch mein leiseres
Warnen fruchtlos gewesen zu seyn. - Wie wäre es, wenn wir uns jetzt
beyde entschlössen, von jenen beyden Herrn etwas minder ungünstig zu
denken? Sie können von beyden Antwort bekommen; denn an Worten
wird es beyden nicht fehlen; und alsdann werden Sie doch des Anstandes
wegen genöthigt seyn, in gemäßigten Ausdrücken zu streiten.
Wodurch das Bild Ihrer Persönlichkeit in mir entstellt sey, ,.möge
Gott wissen"? — Es muß wohl nicht so schlimm entstellt seyn, als Sie
glauben; jedenfalls dürfen Sie keinen Dritten in Verdacht haben. Das
aber ist gewiß, daß ich, noch bevor ein gewisses Blatt von mir in Ihren
Händen seyn konnte, aus Ihren eignen brieflichen Äußerungen gegen
mich, es mir weissagte, es werde eine Zeit kommen, wo ich gegen eine
Strümpellsche Philosophie mich würde erklären müssen. Vielleicht habe
ich das früher gewußt als Sie Selbst.
Erlauben Sie nur mir, als Ihrem alten Freunde, den aufrichtigen
Wunsch und die Bitte, daß Sie in Ihren Verhältnissen vorsichtiger werden
mögen, als bisher. Sie können anderwärts schlimmer anlaufen als bey
mir. Es gelingt nicht immer mit der Selbstvertheidigung — und Selbst-
erhaltung. Sobald wir das Gebiet des eigentlichen Realen verlassen, be-
hauptet die Störung ihre Rechte.
Doch über diesen Punct will ich Ihrer Entscheidung nicht vorgreifen.
Wollen Sie meinen Brief noch einmal ansehn, so wird unter den Fragen
am Schlüsse die dritte Ihnen zeigen, daß, wofern Sie dieselbe beantworten
wollten, Ihnen hiermit der Faden einer gegenseitigen rein wissenschaft-
lichen Erklärung zu Gebole stand.
Zunächst muß ich nun um Ihre Adresse bitten, um Ihnen mit Sicher-
heit Ihren Aufsatz zurückzuschicken. Ob Sie mir alsdann nähere Aus-
kunft über die Art, wie Sie den deutschen Verkehr verlassen wollen, mit-
theilen werden, muß ich erwarten. In der That, ich habe Mühe daran
zu glauben, da Ihre Feder Ihnen jetzt wenigstens eher, als früherhin, eine
literarische Existenz scheint verschaffen zu können. Brockhaus, der mich
neulich besuchte, scheint Sie zu kennen; und erst noch kürzlich wurde
von hier etwas für Sie versucht, wovon ich freylich nicht mehr sagen
darf, weil der Erfolg sehr zweifelhaft ist. Der Ihrige Herbart.
531. Drobisch an H.O Leipzig 14 Aug. 35
Mein hochverehrter, würdiger Freund ! Schon seit acht Tagen und länger habe
ich Ihnen meinen herzlichen Glückwimsch zu der Recension abstatten wollen, mit
der unser Weiße im Augusthefte der Berliner Jahrbücher (p. 25 ff.) Sie und die
Ihrigen, die bis jetzt sich öffentlich für Sie erklärt haben, mich eingeschlossen,
») 3 S. 4«. fl. Wien.
August 1835, 169
beehrt bat. Es ist mit diesem Glückwunsch mein voller Ernst; was Sie dazu denken,
maß ich erwarten. Höchst interessant war es mir schon Sie und Ihre Angelegen-
heiten, ja sogar uns arme Seelen in den Berliner Jahrbüchern besprochen zu sehen,
da Sie doch in Berlin todt sind und „wir sehr unrecht gethan haben, Sie in
Ihrer Grabesruhe dui-ch unsre Schriftcheu zu stören". Die Berliner Jahrbücher
müssen also gewahr worden seyn, daß Sie wenigstens noch zappeln. Aber nein,
die ßecension sagt weit mehr: sie giebt Ihnen nicht etwa ä la Hinrichs noch einen
Streich, um das bischeu Leben, was sich noch regt auszulöschen, nein! sie gesteht
mit den klarsten Worten, daß Ihre Philosophie im kräftigsten Aufblühen begriffen
ist, daß ihr die Kantianer höchst wahrscheinlich alle zufallen werden, daß sie eine
science exacte ist, daß sie den Empirismus vernichtet hat, daß sie höchst wahr-
scheinlicher Weise mit der Zeit sogar den Weg ins Ausland finden und vielleicht
mit noch mehr Beifall als bei uns dort aufgenommen werden wird, daß sie eine
kerngesunde Geistesfrucht ist, — aber freilich eine bloße Verstandesphilosophie.
Ich glaube, auch das gereicht uns zu größter Empfehlung, wenngleich es uns
demüthigen, unsre .,Bornirtheit" ausdrücken soll ; der Unterschied zwischen uns und
den Identitätsphilosophen tritt in das allergrellste Eicht. Es kommt nur darauf
an, ob da, wo unser Wissen aufhört „Vemunftbegriffe-- oder Einbildungen an
die Stelle treten. Nur einige Noten von irgend Einem unter uns an einige
triumphirende Stellen von Weißes ßecension, und sie wäre für alle W^elt der alier-
nachdrücklichste Empfehlungsbrief unserer Bestrebungen (Sie werden dieses unserer
mir nicht mißdeuten ; ich werde nie den Urheber dieser Denkweise vergessen, aber
die meinige ist der seinigen zugefallen). Wie klar liegt am Tage, daß wo er Ihnen
die Verblendung nachweisen will, daß Sie nicht sehen sollen, daß wenn das Seyende
eine Qualität hat, es ja eben mckt das ist, was ein anderes ist, also ein Nichtseyn
in das Seyn gesetzt sey, daß W. als echter Identitätsphilosoph so verblendet ist
und eicht sieht, daß diese Vergleichung der Qualitäten dem Seyenden nur in
unserem Denken zukommen kann. Wie verblendet ist er, wo er Ihnen Mangel an
Eritik, Dogmatismus vorwirft, weil Sie Begriffe brauchen, ohne es zu versuchen
sich zuvor der Organe bewußt zu werden ! Wir denken wunder wie klug wir sind,
zuvor die Instrumente der Begriffe zu prüfen, bevor wir damit ein psychologisches
.Götterbild zu schnitzen versuchen •, jetzt erfahren wir, daß dies die größte Uubehut-
samkeit ist. Was mag uns dann aber „die Vernunft'' über Einheit, Vielheit, Zu-
sammen etc. viel Vernünftiges zu sagen haben? Ferner kommt W. nie aus seinem
Begriffe vom Seyn heraus und verwechselt unaufhörlich scheinbares und wirkliches
Geschehen, das letztere für bloßen Schein haltend. Natürlich möchte er auch die
Eidolologie und Psychologie auf bloße Ontologie pfropfen. Bei alledem berührt er
doch die Puncte, über die man sich am leichtesten mißverstehen kann, imd zeigt
weit mehr Studium Ihrer Schriften als von seines Gleichen zu erwarten ist; über-
haupt auch eine höchst achtbare Ehrlichkeit, Offenheit und Geradheit der Gesin-
nung. Wie sehr er nach meiner Überzeugung wenigstens, durch die ßecension
für unseren Vortheil gearbeitet hat, wenigstens bei allen Mathematikern, Natur-
forschern und unbefangenen Philologen, Theologen etc., das weiß er sicher nicht.
Soll auch die Summe der ßecension nichts anders seyn als: H's Philos. ist Ver-
standesphilosophie, weiter nichts, sie ist daher einseitig, bornirt, untergeordnet, so
sind das doch in den Ohren selbstdenkender Leute ebenso viele Lobsprüche, und
nach meiner Meinung gehört diese ßecension zu dem Besten, was für Ihre Philo-
sophie geschrieben worden ist. Jetzt erst werden die Ihrigen Muth bekommen,
nach dem in Berlin solche Geständnisse gedruckt worden sind, das vornehme
Schweigen gebrochen, das Daseyn. der zunehmende Beifall vox Dorther anerkannt
170 August 1835.
worden ist. Das ist der wahre Wendepuuct. Auch H. Rosenkranz ist neuerdings
auch schon ein paar mal die Phrase entfahren „von Plato und Aristoteles bis auf
Hegel und Herbart", schon das fiel mir auf, denn das war nicht die bisherige Ber-
liner Politik. Wenn die Berliner anfangen, bescheiden zu werden, so haben sie
eine Niederlage erlitten oder sie merken mindestens, daß das Wetter heranzieht
und denken auf ehrenvollen Rückzug. — Freilich wäre mirs noch lieber, wenn nicht
AVeiße sondern etwa Gabler der Verfasser jener Recension wäre, was ich anfangs
meinte ; indeß ist mirs andererseits ein sehr angenehmes Zeugniß nicht ganz miß-
lungener Bestrebungen Ihrer Leipziger || Freunde, wenn ein andersdenkender Leipziger
Philosoph eine so lebendige Überzeugung von der Existenz, der Fortdauer und dem
Wachstum Ihres Systems öffentlich bekennt.
W.s Recension veranlaßt mich doch zu einer Bemerkung, über die ich mir
Ihre Ansicht erbitte. Ich finde nicht, daß Kant in der Krit. d. r. V. den physiko-
theologischen Beweis damit angegriffen hätte, daß von ihm die Subjettivität der
Form des Zweckes hervorgehoben worden wäre, sondern er sagt nur, er sey nicht
unabhängig von dem kosmologischen und ontologischen Beweis. Sie aber deuten
immer darauf hin; beziehen Sie sich damit auf die Kritik der Urtheilskraft, in der
K. allerdings die Beweiskraft der Teleologie auf die Beschaffenheit unseres Er-
kenntnisvermögens gründet oder vielmehr beschränkt? Diese Beschränkung fällt
nun bei Ihnen hinweg, aber die Beschuldigung des Zusammenhangs des teleologi-
schen Beweises mit den ontologischen Voraussetzungen wird dadurch doch nicht
entkräftet. Daß Sie auch der Teleologie keinen sinnlichen Beweis zuschreiben, ist
mir sehr wohl bekannt. Doch meinen Sie damit wol nur, daß sie blos nach Ana-
logie schließt. Mir wäre aber daran gelegen, Ihre Ansicht über die mir sehr präcis
scheinende Zergliederung der Hauptmomente des teleol. Beweises bei Kant kennen
zu lernen.
Das gute Vernehmen mit Str. scheint ja nun aufgehört zu haben; ich ver-
muthe, daß Sie seine arrogante Darstellungsweise verletzt hat. Zwischen ihm und
mir ist ebenfalls eine große Kälte eingetreten. Ich gestehe, daß ich seit seinen
Angriffen auf die metaphysischen Principien der math. Psychologie, und bei der
Art, wie er sie zur Sprache brachte, kein Herz mehr zu ihm fassen konnte. Er
scheint zu merken, daß ich zu innig mit Ihnen verbunden bin und macht nun den
Ceremoniellen. Bei Hartenstein scheint er ebenfalls kein Gehör gefunden zu haben.
Vorgestern betraf unsern Hermann das Unglück, daß sein ältester Sohn, der seine
juristischen Studien fast beendigt hatte, beim Baden, als er einen Freund, einen
cd. jur. £dler vom Ertrinken retten wollte, mit diesem zugleich den Tod fand. H.
scheint indeß sein herbes Geschick mit antiker Fassung zu ertragen.
In der Hoffnung, daß Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin, die Sie ehrerbietigst
von mir und meiner Frau grüßen wollen, Pyrmont neue Kraft und Heiterkeit ge-
bracht haben wird, empfehle ich mich Ihrem fernem freundlichen Andenken.
Drobisch.
532. An Drobisch. 1) Göttingen zb Aug 35
Hier, mein theurer Freund! ist Altes und ganz Neues. Nur vom
letztern muß ich sprechen. Die nächste Veranlassung können Sie er-
rathen; sie ist übrigens nicht die einzige. Es ist nicht bloß die Absicht
dieser kleinen Schrift, -) ein neues Vorlegeschloß an meiner Hausthür gegen
^) 2 S. 4".
-) Über die Subsumtion der Psychologie unter die ontologischen Begriffe.
S. Bd. X, 197 ff.
August 1835. 171
Einbruch anzubringen, sondern, da ich einmal die Vestigkeit meines alten
Gebäudes in Frage gestellt sah, überlegte ich mir gleich, ob nicht auch
eine kleine Erweiterung mit den Sicherheitsmaßregeln könnte verbunden
werden? — Nun müßte ich mich sehr irren, wenn nicht jeder Paragraph
dieses Schriftchens in Ihrem Gedankenkreise irgend etwas von pro oder
contra anträfe. Schon deswegen habe ich „einstweilen" die nämliche Art
von Arrest über meine eigne Schrift verfügt, die der sehr ehrenwerthe
Herr mir gegenüber sich vermuthlich in Beziehung auf seinen Aufsatz
einstweilen wird gefallen lassen. Doch darüber muß ich wohl deutlicher
sprechen.
Sie verlangten in einem Ihrer Briefe für Str[ümpell]n Geduld, Schonung,
und etwas Antwort. Daß dieses Alles sehr billige Foderungen waren,
erkenne ich vollkommen, aber es mußte doch vorher auch etwas von
deutlichem und fühlbarem Widerstände angebracht werden. Das geschah
— und zwar besonders in Bezug auf etwanige Publication, wonach es
damals den Anschein hatte. Ob nun diese gar nicht im Project lag, oder
ob sie nach meiner Antwort unrathsam gefunden worden, — genug, es
wird wenigstens jetzt wohl keine Eile damit haben. Meinem Aufsatze
wird ja wohl einige Zeit zur Ueberlegung gegönnt, und in Folge derselben
das jenseitige opus einigermaaßen umgeformt werden; unterdessen kann
Dieser und Jener aus meiner Schrift wenigstens ersehen haben, wovon
eigentlich die Rede sey. Denn die dringendste Besorgniß war, das
Publicum möchte den Ton eines einheimischen Streits vernehmen, ohne
zu wissen und wissen zu wollen, worüber man streite. Dieser j] Ton wird
nun wohl jedenfalls vermieden werden, nachdem die ersten Stöße und
Gegenstöße vorbey sind; — möglich ist ja auch, daß Str. sich etwas
gründlicher besinnt, und, wenn er ja noch zu streiten gedenkt, sich sorg-
fältiger dazu rüstet.
Unterdessen bleibt dann die Lage der Dinge öffentlich für ein
Weilchen so, wie Ihr Herr College W[eiße] sie gestaltet hat. Seine Recension i)
wird sehr berühmt werden, wenn ich aus den vielen Relationen schließen
darf, die ich darüber bekommen habe. Nicht bloß stimmt mit der Ihrigen
die von Griepenkerl zusammen; sondern auch hier in Göttingen scheint
es, so weit meine Ohren reichen, bey ähnlichen Eindrücken sein Bewenden
zu haben. Also habe ich noch nicht für nöthig gefunden, die Recension
mit eignen Augen anzusehen.
Das Str— sehe Unternehmen dagegen wäre ganz ernstlich gefährlich,
wenn es irgend einigen Erfolg hätte. Kein boshafter Gegner könnte etwas
ärgeres aussinnen, als meine Psychologie durch meine eigne Metaphysik
aus dem Fundamente herauswerfen, und das bloß durch Uebertreibung
eines Begrifis, den die Metaphysik zwar darbot, aber an dem sie selbst
sterben müßte, wenn sie ihn nicht in seinen Schranken zu halten ver-
möchte. Str— n zu Gefallen will ich glauben, daß er von dieser Gefähr-
lichkeit selbst keinen Begriff gehabt hat; — das heißt aber, ihm eine
Blindheit zutrauen, die seiner Einsicht wenig Ehre macht.
0 S. o. S. 168.
172 September 1835.
Der beste Fall nun, daß Str. seine Neuerungen ganz aufgebe, ist sehr
unwahrscheinlich. Also umgekehrt: sehr wahrscheinlich werden dieselben
wo nicht herausspringen, doch durch allerley Röhren baldigst ausfließen.
Darum ist wichtig, daß Viele durch mich vorläufig erfahren, wovon die
Rede sey. Darum wünsche ich und bitte, daß Sie die Güte haben, nach
Gelegenheit für Austheilung meines Schriftchens sorgen zu helfen; —
allein vorher muß ich hören, ob die harmonia praestabilita unter uns
sicher genug ist? Also fürs Erste nur zwey Exemplare, wovon eins für
Hartenstein, dem ich mich empfehle. Sehr begierig bin ich auf Ihre
Antwort — auf die Antwort des ältesten und in jeder Hinsicht ersten
Gönners der mathem. Psychol.
Strümpells Namen braucht eben nicht genannt zu werden; doch kann
es ihm wohl auch nicht zum Nachtheil gereichen, daß Er mich zu einer
Druckschrift veranlassen konnte, während ich gegen so Manchen schweige.
— Allenfalls ließe sich, wenn es durch Discussionen unter uns durchaus
nöthig würde, meiner Schrift ein Anhang beyfügen, vor weiterer Ver-
breitung. Allein das wäre mir nicht lieb. Mögen nun mit Ihrer Antwort
auch andre angenehme Nachrichten von Ihnen und vom Wohlbefinden
der Ihrigen einlaufen! Unverändert der Ihrige! H,
533. Dissen an H/)
Mit dem größten Vergnügen, mein verehrter Herr Gönner, habe ich den
kleinen Aufsatz gelesen und finde ihn deutlich und, bei der Vorsicht die auf diesem
Felde nöthig, genügend. Die so bestimmt durchgeführte Unterscheidung des Realen
und des Geschehens muß jede Verwechslung und falsche Übertragung abschneiden,
die in diesem Gebiete sich gar leicht einschleicht, wie ich denn mit Überraschung
gefühlt habe, daß der Begriff der Störung ohne Selbsterhaltung und ferner aus der
Unterscheidung des Daß und Was im Geschehen folgt mich nun erst vor Verwechs-
lung bewahren wird. Neugierig bin ich was Drobisch sagen wird. Daß übrigens
die gegebene Untersuchung bestritten werden könne, Sie meinen doch von Kennern
des Systems, fürchte ich nicht und möchte daß dieser Schluß weggeblieben wäre.''^)
Gehorsamst Dißen.
534. Drobisch an HJ) Leipzig, 9. Septbr. 35.
Ich glaube Ihnen, mein Hochverehrter, meinen Dank für das gütigst über-
sendete nicht besser bezeigen zu können, als indem ich Ihnen ohne Umschweife
meine unvorgreiflichen Bemerkungen über Ihre Brochüre*) für Freunde mittheile:
Das Exemplar an Hartenstein habe- ich abgegeben und von diesem erfahren, daß
Sie auch eines direct an Strümpell gesandt hatten. Gesprochen habe ich diesen
noch nicht. Was ich Ihnen schreibe sind daher nur meine eignen Gedanken : Denn
H. unterhegt bis jetzt, so viel ich bemerkt habe, leichter fremdem Einflüsse als er
dem Gedankenzuge Qines Andern Richtung gäbe. Damit sage ich nicht etwa, daß er
Str.'s Einfluß sich überließe, sondern nur im Allgemeinen, daß er öfter beistimmt
als Widerstand leistet, was- sich ja wol allmälig ändern wird. Nach § 3 soll der
Erfolg gleichzeitiger entgegengesetzter Zustände in Einem Realen Störung ohne Selbst-
1) 2 S. 80. H. Wien.
'') S. Bd. X, S. 206.
3) 4 S. 40. H. Wien.
^) S. Anra. 2.
September 1835. 17^
erhaltimg seyn, und zwai- deshalb weil hier der Begiiff des Seyns fehlt. So groß
kann ich aber zwischen dem Realen und dem wirklichen Geschehen den Unterschied
nicht finden. Im § 11 ist die Zerlegung des Realen in Seyn und Qualität in Er-
innerung gebraciit. in § 10 und 11 angedeutet, daß hierunter das Geschehen und
Geschehene subsmnirt werden könne. Ferner sagt § 15 von der Affirmation der
Zustände ausdrücklich, sie bedeute 1) AVirklichkeit des Geschehens, und 2) ein
affirmatives Quäle. Ich sehe also nun in beiden Fällen Daß und Was. Es ist also
nicht etwa im Begriffe des Zustands da eine leere Stelle, wo in dem des Realen
das Seyn sich befindet, daher erseheint mir schon hier die Behauptung einer bloßen
Störung ohne Selbsterhaltung gewagt und nicht hinlänglich begründet. Dies finde
ich durch die nachfolgenden Entwicklungen selbst bestätigt. Denn was wird denn
im Dinge erhalten? Die Qualität. Aber auch im Zustand des Dinges wird das Quäle
erhalten; für den Zustand als solchen findet also Selbsterhaltung statt. Doch dies
ibt vielleicht nur ein "Wortstreit. Ich komme noch einmal darauf zurück. § 18
„Die Störung ist part''al". Das scheint zuviel behauptet, auch will mir der Beweis
nicht genügen. Nicht eine einzige Bestimmung mehr habe ich für- den Zustand als
die Wirklichkeit des Geschehens und das Quäle des Geschehenen. Von Quantität
ist noch nicht ein Wort gesagt. „Partial" kann ich aber nur auf Quantität deuten.
Da das Quale, nach § 19, ungestört bleibt, so kann es auch nicht auf eine Zerlegung
desselben nach zufälliger Ansicht bezogen werden. Nun sehe ich wohl aus § 20.
daß es die Wirklichkeit des Geschehens treffen soll, aber ich finde doch: es schleicht
sich ein, ohne Stoß. Denn was ist das Ä und B in § 18? Doch wol nichts anders
als das Quale der Zustände: denn durch nichts anders sind sie unterschieden. Aber
wie! ich sehe, daß es nicht so seyn soll, denn sonst würde ja eben bewiesen, daß
die partiale Störung das Quale träffe, was § 19 zurückweist; auch wäre dann auf
unstatthafte Weise die Zerlegung von B nach zufäll. Ansicht in — A und einen
üeberschuß wie eine wirkliche Zerlegung im Beweise behandelt. Gleichwohl macht
es mich wieder irre, daß derselbe Beweis davon spricht, daß B für sich affirmativ
sey, was doch nm- vom Quale gesagt werden kann; oder soll noch ein besonderes
Quale II des Geschehens nicht des Geschehenen gedacht werden? Ich kann das nicht
glauben, denn beides muß doch wohl zusammenfallen. Gleichwohl komme ich
-wieder darauf, wenn ich jene ,,Art zu geschehen" (§ 12 und 21) näher ins Auge
fasse ; denn was will dies anders sagen als eine Beschaffenheit des Geschehens jedoch
nicht des Geschehenen? Nach meiner Ansicht sollte § 18 nur behaupten: Die
Störung ist nicht Aufhebung. Wäre sie dies, so müßte B = — A also negativ be-
stimmt seyn: Das Quale ist aber stets affiimativ. Da ich nun § 19 anerkenne, so
fragte es sich in § 20, was es heiße: die Wirklichkeit des Geschehens werde gestört aber
nicht aufgehoben. Es soll nicht bedeuten eine Störung mit strenger Selbsterhaltung, weil
nicht das Reale, sondern nur ein Zustand des Realen betrachtet wird. Es soll nicht eine
Verminderung der Wirklichkeit des Geschehens seyn (nach § 20, 5) die Störung soll
daher die Art xii geschehen treffen, nämlich die absolute verändern, eben nur um
einer relativen Platz zu machen, und dadurch die Integrität des Geschehens zu er-
halten. Aber hiedurch entzw^eie ich doch die Wirklichkeit des Geschehens ohne es
zu wollen. Ein wirkliches relatives Geschehen scheint mir auch nicht denkbar. Ist
das Wirkliche auch nicht das Seyende, so ist es doch ein von dem zusammen-
fassenden Denken unabhängiges, welches letztere doch wohl allein Relationen giebt.
Die Relation als Bestimmung des Wirklichen will mir nicht in den Kopf.
D. 10. Septbr.
Ich gestehe Ihnen hiernach, daß mir Ihre kleine Schrift bis jetzt mehr Un-
ruhe gemacht als Ueberzeugung gegeben hat. Die Selbsterhaltung, indem sie sich
jT^ September 1835.
zum Theil in ein Streben veiTvandeit, scheint unvermeidlich sich in Vorstellen und
NichtvorsteUeu zu entzweien. Diesen AViderspruch als zum Behuf der Erklärung
des Gegebenen fingirt zu betrachten, ist (nach § 13) verboten. Ihn zu ertragen
vFäre Empirie. Durch den Begriff des Ich scheint andrerseits der Begriff der
Hemmung eidolo logisch verbürgt: aber er muß doch mit der Ontologie im Einklang
stehen. Läßt sich aber die Ontologie nur einmal darauf ein, die ersten Begriffe der
Psychologie zu entwickeln, so scheint nun auch nicht mehr die Fortdauer der Selbst-
erhaltung über das Zusammen hinaus ohne Deduction ontologischer Art angenommen
werden zu können. Da dies in Ihren §§ nicht beriihrt ist, so bliebe hier noch
immer eine Lücke. Ich werde sehr froh seyn, wenn Sie mir über diese Dinge
mehr Licht geben können. — Am Ende müssen wir es Str. noch Dank wissen, seine
Skepsis auf einen Punct gelenkt zu haben, der doch früher oder später von Außen
angegriffen worden wäre. Einiges, was darauf hindeutet, können Sie allenfalls schon
in "Weiße's Eecension finden. In jedem Falle aber hat Str. durch den ihm eignen
titanischen Ton Sie verletzt. Den Aufsatz, den er Ihnen geschickt, scheine ich nicht
gelesen zu haben; aber die fragmentarischen mir mitgetheilten Bemerkungen, die
3 Bggen einnahmen, konnte auch ich, in Folge des darin herrschenden Tones, nicht
ohne einige Gemüthsbewegung lesen. Als Bosheit will und kann ich aber jenes
Unternehmen nicht deuten, sondern nur als den kecken mit Unvorsichtigkeit und
Anmaßung zur Darstellung gebrachten Versuch eines hartneckigen aber Ihrer Meta-
physik treu ergebenen Kopfes. ||
D. 11. Septbr.
Bisher sah ich die Seibäterhaltungen als die höchste nur mit Mühe festzu-
haltende Abstraction der Ontologie an, der ontologisch nichts weiter mit Sicherheit
abzugewinnen seyn möchte ; ja der ganze Begriff schien mir den größten Miß-
deutungen ausgesetzt, wenn uns nicht außerhalb der Speculation die Erfahrung in
unsern einfachen Vorstellungen ein Beispiel jener Selbsterhaltungen auf positive
Weise gegeben hätte. Und würde uns wohl ohne dieses je in den Sinn gekommen
seyn, a priori die Qualia in disparate Eeihen zu ordnen? Ja ohne diese positive
Wahrnehmung der Selbsterhaltungen ist sogar Gefahr vorhanden, das wirkliche Ge-
schehen nur für ein höheres scheinbares zu nehmen. Dies meine ich so: Der Be-
griff der Selbsterhaltung entsteht aus den zufälligen Ansichten. In der Störung
ändert sich die Qualität nicht im mindesten; für das Reale geschieht also nichts.
Gleichwohl ist das Geschehen nicht blos scheinbar: Denn auch eine Intelligenz, der
die Qualitäten der Wesen erkennbar wären, würde Störung und Selbsterhaltung an-
erkennen müssen. Hiedurch wird das wirkliche Geschehen das scheinbare eines
solchen intelligiblen Zuschauers, ein Ausdruck, der schon in Weimar Ihre Billigung
erhielt. Aber es ist hier Gefahr vorhanden, es in die Sphäre des objectiven Scheins
zu setzen. Das wirkliche Geschehen scheint hiernach unabhängig von jeder Art von
Zuschauer nichts zu seyn. Gleichwohl geschieht es auch nicht xwischen den Dingen,
denn hier ist nicht mehi' ein Zwischenraum, den der Zuschauer den Dingen ver-
liehe. Es geschieht aber auch nicht in den Dingen: Denn die Qualität bleibt un-
berührt.
Vielleicht darf ich nun sagen: es geschieht an den Dingen. Sie drücken sich
irgendwo aus: es geschehe gleichsam an der Oberfläche der Dinge. Das ist ein
Gleichniß, wie soll ich Ernst damit machen? Bedarf es nicht hierzu wenigstens der-
selben Fictiou wie in der Construction der Materie, nämlich der Kugelform der
realen Wesen? Andrerseits scheint das Aneinander hier auch nicht am Platze zu
seyn, denn Wesen, die in Störung und Selbsterhaltung begriffen sind, durchdringen
sich, sind in einander. Ich möchte noch manche Frage hinzufügen; aber Sie
September 1835. 175
würden mit Einemmale mir nichts antworten können. Ich will daher anders aus-
setzen, um erst zu ei-warten, was Ihre Gute mir auf das Vorstehende erwiedert.
Ihre Metaphysik, Ihre Psychologie ruht auf der breiten Basis der Erfahrung, daher
ist ein Umsturz nicht zu fürchten, wenn man sich einmal etwas erschüttert fühlt;
aber man darf doch auch nicht auf jene Sicherheit zu viel Werth legen, weil sie,
wenn sie nicht mit der Speculation in Einklang gebracht werden kann, nur die
Sorglosigkeit des Empiristen ist. Wollen Sie sich nun meiner mit gewohnter Güte
annehmen, so erwerben Sie sich nicht nur ein Verdienst um mich, sondern auch
um meine Zuhörer im Winterhalbjahr, wo ich Metaphysik lesen und hoffentlich Zu-
hörer finden werde. Denn die Skepsis und die Entwicklung der Probleme in der
Encyklopädie scheint sehr gute AVirkung gethan und auf die Auflösung begierig ge-
macht zu haben.
Da auf diese Weise gegenwärtig metaphysische Hauptfragen unter uns aufs
Neue zur Sprache gekommen sind, so wage ich auch nicht diejenige zu wieder-
holen, die ich im vorigen Briefe an Sie richtete, bitte aber um die Erlaubniß hierzu
für ein andermal. Ich sehe übrigens der || Beseitigung meiner Zweifel mit um so
mehr Zuversicht entgegen, als ja auch der vorjährige Briefwechsel über die Grund-
begriffe der Psychologie (freilich mit wenig Rücksicht auf Ontologie) zu einem Ab-
schlüsse führte. Hinsichtlich meiner etwaigen Äußerungen gegen Str. können Sie
der größten Vorsicht von meiner Seite versichert seyn.
Mein und der Meinigen Befinden ist gut; ich wünsche recht bald dasselbe
über Sie und Ihre Frau Gemahlm, die Sie ergebenst von mir und meiner Frau
grüßen wollen, zu hören.
Mit Hochachtung und Freundschaft der Ihrige Drobisch.
535. An Drobisch. 1) Ohne Datum.
Wirklich mit einer Art von Schrecken habe ich Ihren Brief, mein
theurer Freund, gelesen; denn ich hatte, in der That von Ihnen eine
ganz einfache und völlig unumwundene Beystimmung erwartet; so wie
ich sie hier bey meinem alten Freunde, dem Hofr. Bissen, gefunden habe.
Auch von Strümpelln war es weit weniger der Ton, der mich verletzte,
als dies, daß ich ihm zugemuthet hatte, solche Einwendungen, wodurch
ein bloßer Zustand dem Realen gleich behandelt würde, gar nicht machen
zu können. Freylich sollte Str. mehr Uebung haben, als irgend sonst
Jemand, da er Gelegenheit genug gehabt hat, sich in meiner unmittel-
baren und lang dauernden Nähe in den ersten metaphysischen Elementar-
begriffen vestzusetzen. Es ist mit ihm überhaupt nicht gut zu disputiren;
und am wenigstens konnte es bey einer so großen Masse von Fehlern
geschehen, womit er mich in seinem langen Aufsatze auf einmal über-
schüttete. Darum hauptsächlich schrieb ich meinen Aufsatz, weil vor
allen Dingen die Fragepunkte mußten mit Präcision hingestellt werden.
Ihnen werde ich nun versuchen, der Reihe nach, wie Ihr Brief sie an-
giebt, zu antworten.
I.) Im meinen § 10 und 11 ist nichts angedeutet, daß die Zer-
legung des Geschehens und des Geschehenen subsumirt werden könne
unter die Zerlegung der Realität und Qualität. Sondern beyde Zer-
legungen fallen, logisch betrachtet, unter einerley Bezeichnung eines noch
') 4 S. 4".
176 September 1835.
unbestimmten Daß und der Bestimmung des Was. Beyde Zerlegungen
sind coordinirt in dieser bloß logischen und sprachlichen Hinsicht; und
damit wird im § 1 1 nur das angedeutet, daß Str. sich sogleich hätte er-
innern sollen: eine Unterscheidung, die im Begriffe der Selbsterhaltung
noch nicht gemacht war, könne de7i7ioch bey fortgehender Untersuchung
nothwendig werden, gerade so wie im Begriffe des Realen die Unter-
scheidung des Seyn und der Qualität nicht liegt, und doch hineinkommt,
sobald man sieht, das Reale sey nicht ein Solches^ wie das Was der ge-
gegebenen Dinge. So ist auch im Geschehen der Selbsterhaltung kein
Unterschied des Geschehens und Geschehenen zu spüren, solange man
irgend eine einzelne Selbsterhaltung für sich betrachtet; der Unterschied
kommt aber, sobald zwey Selbsterhaltungen desselben Realen zusammen-
treten. ^)
2.) Im Begriff des Zustandes ist allerdings eine leere Stelle, und
zwar die allerwichtigste die es geben kann, da, wo der Begriff des Seyn
fehlt, der in der Deduction j] der Selbsterhaltung seinen ganz unentbehr-
lichen Platz hat. Belieben Sie meine Metaphysik aufzuschlagen! Der
§ 234 bringt zu den Begriffen.^ die auf Störung führten, den Begriff des
Seyn., indem er erinnert, es sey die Rede von Wesen, d. h. vom Seyenden.
— Indem ich den Paragraphen wieder ansehe, finde ich leider, daß für
diesen Punct in den Worten nicht so viel Nachdruck auf das Seyn gelegt
ist, als wohl geschehen könnte; lesen Sie also, wenn Sie wollen, die ent-
sprechende Stelle in den alten Hauptpuncten der Metaphysik. Da steht
ganz deutlich: (S. 40, 41) „Was übrig bleiben sollte, hat für sich allein
gar keinen Theil an der Beziehung atifs Seyn.'-'' — Der ganze Zusammen-
hang der Untersuchung zeigt übrigens deutlich genug, daß dem Begriffe
•der Störung durchaus nicht zu entgehen seyn würde, wenn nicht, — einzig
und allein, — der Begriff des Seyn, — für diesen einzigen Fall, der sich
schlechterdings nirgends im Gebiete der Wissenschaft wiederhohlen kann,
weil nirgends anderwärts eine unmittelbare Beziehung auf diesen Begriff
eintrit, — die Störung zurückwiese, und dafür die Selbsterhaltung herbey-
führte.
3.) Das quale des Zustandes, sagen Sie, wird erhalten? — was heißt
das? Die Qualität wird nicht in eine andre Qualität in dem Sinne, wie
zwey coordinirte Qualitäten verschieden sind, verwandelt, z. B. nicht roth
in blau, oder süß in sauer. Aber eine andre Art zu geschehen., (Sie werden
diesen Ausdruck bemerkt haben,) tritt allerdings ein, daher ist allerdings
hier wie Sie sagen, die Gefahr eines Wortstreits nahe; denn es kommt
darauf an, den Sinn der Worte aus der Untersuchung zu erkennen.
4.) „Von Quantität (sagen Sie gegen § 18) ist noch kein Wort ge-
sagt; partial ist. aber nur auf Quantität zu deuten." — Ja freylich! und
das heißt eben : Die Untersuchung selbst dediicirt hier den Quantitäts-
begriff; sie schafft ihn, -wo er nicht war; hatten wir ihn nicht, so müssen
wir ihn hier erzeugen. — Ihrer Einwendung ist die Strümpellsche ähnlich,
der meinte, weil im ersten Begriff der Selbsterhaltung noch kein Unter-
^) Randbemerkung von Drobisch: ,, Unterschied ist doch wol nur eine bloße
formale Bestimmung. Briefwechsel im Sommer 34."
i835^ 1/7
schied^) des Geschehens und Geschehenen zu sehen war, so könne
er auch nicht kommen. Er kommt aber; sobald die Untersuchung fort-
schreitet. — Etwas ähnliches habe ich in der Logik bemerkt (im Lehr-
buch der Einleitung § 55), wo sich findet, daß, wenn man vom || Quantitäts-
Unterschiede der Urtheile noch nichts wüßte, man ihn aus der Qualität
der Urtheile würde entnehmen können.
5.) A und B im § 18 sind die Zustände ganz und gar; d. h. sowohl
in Ansehung des Geschehens als dessen ivas geschieht. Verschiedene
Namen bekommen sie wegen des verschiedenen quäle; es bleibt aber hier
noch unbestimmt, in welchem Sinne die Störung partial* sey; wie man
die partes machen — ob man vielleicht das quäle theilen solle, oder wie
sonst; fürs erste genügt zu wissen, daß die Störung nicht total seyn
könne. — Nun geht der Schluß fort. § 19 zeigt, das quäle gehe nicht
in der Reihe, worin die Qualitäts -Verschiedenheit liegt, in ein anderes,
etwa mittleres über; es gehe auch nicht in ein disparates quäle über, wie
man sich disparate Qualitäten vor der Untersuchung vorher denken würde,
als ob schon mehrere Reihen von Qualitäten, wie Töne, Farben pp. vor-
gelegen hätten, und nun ein Sprung aus einer in die a?idre Reihe vorkäme,
— Daraus folgt dann weiter, es müsse eine ganz andre Art von Partition
eintreten, — wieder ein ganz neuer Begriff, damit Theile von neuer Art
unterschieden werden können, die uns übrigens durch die Psychologie
schon bekannt war, die aber für die Ontologie neu ist; denn eine Theilung
soll und muß gemacht werden. 2) Haben Sie nicht eine ähnliche Begriffs-
erzeugung dort deducirt, wo die unmöglichen Wurzelgrößen nicht in ge-
wohnter Art construirt werden können, und doch eine Construction, —
also eine von ganz anderer Art, eingeführt wird?
6.) Nochmals muß ich mich an Sie, als an den Mathematiker wenden.
Was ist eine Oberfläche für die Größe eines Körpers? Nichts. In diesem
Sinne steht im ersten Bande meiner Metaphysik S. 195: für das Seyn ist
-die Wirklichkeit des Geschehens Nichts. Werden Sie nun (nach Analogie
Ihres Briefes, welcher sagt: das wirkliche Geschehn ist, unabhängig von
iedem Zuschauer, nichts,) etwa fortfahren zu sagen, weil die Oberfläche für
die Größe des Körpers nichts ist, so ist auch die Oberfläche überhaupt
nichts im Gebiete der Größen? — ich denke doch, Sie werden lieber
sagen, die Flächengrößen sind andere Arten von Größen, auf welche die
Mathematik kommt, indem sie vom Körper zur Gränze des Körpers über-
geht. So ist auch das wirkliche Geschehen wahrhaft wirklich, nämlich die
Selbsterhaltung, — nicht aber die Störung des Realen, die eben durch die |j
Selbsterhaltung vermieden wird, auf Geheiß des Begriffs des Seyn, durch
welchen wir vor dem Irrthum, als ob eine Störung //;/ Rea/eti als solchem
wirklich geschähe, gehütet werden.
Aber die Selbsterhaltung itn Realen, und die Störung in den Zu-
ständen^ d. h. im Geschehen^ — beydes ist wirklich ohne Zuschauer. Nur
ist eins und das andere vollkommen disparat. Hingegen das scheinbare
^) Randbemerkung von Drobisch: „Unterschied ja!"
*) Randbem. v. Drobisch: ..gemacht, also eine Fiction; aber § 13! Das Einfache
soll Theile haben."
Herbarts Werke. XVIII. 12
jyS September 1835.
Geschehn, also Bewegung und materiale Configuration, diese gelten erst
dem Zuschauer. Das ist die dreyfache Unterscheidung, ohne welche alle
Metaphysik über Kopf geht. Den Unterschied des Seyn, des wirklichen
Geschehens, des scheinbaren Geschehens kann man kaum zu groß dar-
stellen.
Ob ich diesen sehr schnell hinge-worfenen Brief absenden soll?
Darüber war ich zweifelhaft, allein das Säumen taugt in solchen Dingen
nicht, und wegen der Form vertraue ich auf Ihre Nachsicht. Wegen der
Sache hoffe ich mehr von Ihrem eignen ferneren Nachdenken als von
meinen Erläuterungen. Jetzt muß ich eilig schließen.
Unverändert der Ihrige H.
536. Drobisch an H.^) Leipzig d. 29. Sptbr. 35.
Hochverehrter Freund und Gönner! Von einem kleinen zur Erheiterung meiner
Frau angestellten Ausfluge nach Thüringen zurückgekehrt, wende ich mich sogleich
zur Beantwortung Ihres lehrreichen aber mich doch nicht völlig beruhigenden Briefes,
Unwesentliches übergehend.
Sie schreiben: „eine Unterscheidung, die im Begriffe der Selbsterhaltung noch
nicht gemacht war, könne dennoch bei fortgehender Untersuchung nothwendig
werden, gerade so wie im Begriffe des ßealen die Unterscheidung der Qualität nicht
liegt, und doch hineinkommt, sobald man sieht, das Reale sey nicht ein Solches^
wie das "Was der gegebenen Dinge.'' Ich gebe dies willig zu, aber eine Unter-
scheidung ist doch wol nur eine formale Bestimmung unseres Denkens, mehr wird
wohl auch von jener Zerlegung des Begriffs des Realen nicht behauptet. So nun
auch kann doch wol das Vorstellen und das Vorgestellte nicht als eine wirkliche
Zweiheit angesehen werden. Ich würde dann unsern Briefwechsel im vorigen
Sommer für verloren erachten müssen, als dessen Resultat ich die Emsicht betrachte,
daß Vorstellen und Vorgestelltes der Wirklichkeit nach ein und dasselbe ist, so daß
die Klarheit des Vorgestellten der Größe des wirklichen Vorstellens nicht blos pro-
portional sondern wörtlich gleich ist. — Die Untersuchung in § 18 soll ferner den
Quantitätsbegriff deduciren; ,,eine Theilung soll und muß gemacht werden!" Ich be-
greife den Gang der Speculation, diese Bewegung des Denkens, diese Begriffserzeu-
gung sehr wohl; gerade so habe ich mir's stets gedacht; aber ich werde in dem
Sinne wie Sie in § 278 der Metaph. fragen: das Einfache soll Theile haben?
worauf .dieselbe Antwort wie a. a. 0. zu geben mir jedenfalls durch § 13 der
jetzigen Abhandlung (dessen Schlußsatz ich eigentlich nicht verstehe) verboten ist.
Hiermit habe ich den Grund- und Hauptanstoß ausgesprochen, den ich wol auch
mit Str. theile, durch dessen Beseitigung sich alles Uebrige wol von selbst geben
wird. Ich erwarte nicht eine Lösung des Widerspruchs, sondern eioe Modiücation
des 13. §§.
Das Mißverständniß über „die andre Art zu geschehen" habe ich nun ein-
gesehen und finde hier keine weitere Schwierigkeit. Anderes was ich berührt und
Sie beleuchtet haben, werde ich im Laufe des Wintersemesters im strengen Zu-
sammenhang zu durchdenken Gelegenheit finden.
Wollen Sie übrigens ja nicht meinen Zweifeln eine falsche Deutung geben. So
lange || man sich mit Aengstlichkeit an Ausdruck imd Gedankenfolge des Erfinders
hält, wie etwa ich in der Anzeige der Met. in der Jen. Lit. Zeitung, kann man
diesem höher zu stehen scheinen als später, wo man, in der Absicht, das System
1) 2 S. 40. H. Wien.
November 1835. 170
sich freier anzueignen, es nach allerlei Richtungen durchläuft und Puncte in Be-
ziehung zu bringen versucht, die, wie man sich später vielleicht überzeugt, ewig
getrennt bleiben müssen.
— Was Str. Ihnen zu sagen hat, wird er selbst vorgetragen haben. Sollten
Sie ihm unterdessen etwas geschrieben haben, was zugleich mir zur Antwort dienen
kann, so werde ich es von ihm erfahren. Es scheint ihm ein Stein vom Herzen
gefallen zu seyn, seitdem der Verkehr mit Ihnen wieder eröffnet ist und ich kann
nach seinem nun auch wieder gegen mich freundhcheren und offenem ßenehmpu
nicht andere als glauben, daß es ihm eben so sehr wie mir eine hochwichtige
Angelegenheit ist, mit Ihnen in voller Übereinstimmung bleiben zu können.
Mit innigster Hochachtung wie immer
Ihr auflichtig ergebener Dr.
537. An Strümpell.^) Ohne Datum.
Ihren heute eingegangenen Brief kann ich auf der Stelle beantwoiten.
Was den ersten Theil anlangt: so habe ich mich schon dahin erklärt, daß
langer Disput nicht meine Sache ist. Jeder Streit muß einmal einschlafen,
und mit dem unsrigen kann das ganz füglich jetzt geschehen, so daß Sie
das letzte Wort behalten.
Auf die Wahl Ihres Aufenthahs will ich zwar keinen Einfluß mir
anmaaßen, muß aber doch, um Sie nicht ohne Nachricht zu lassen, so-
viel bemerken, daß, soweit ich absehen kann, Ihr hiesiger Aufentl;alt
wohl gänzlich zwecklos seyn dürfte. Göttingen ist klein; ohne hervor-
ragenden Mittelpunct; und von Gelegenheiten, die Ihnen erwünscht seyn
könnten, ist mir hier nichts bekannt geworden.
Berlin kann wenigstens eher Bekanntschaften darbieten.
D. I. H.
538. An Drobisch. ^) Göttingen 9 Nov 1835.
Mein theurer Freund! Nicht länger kann ich mir verzeihen, daß ich
Sie auf einen Brief warten lasse während Sie mein Stillschweigen vielleicht
-unrichtig auslegen könnten. Vernehmen Sie zuerst, daß Sie bald eine
gedruckte Entschuldigung in Händen haben werden; es sind nämlich von
mir Briefe an Griepenkerl über die Willensfreiheit unter der Presse. JNlit
diesen war ich ämsig beschäfiftigt, als Ihr letzter Brief ankam. Die prak-
tische Philosophie hat mich, seit ich in Göttingen bin, am meisten in
Arbeit setzen müssen, denn da fehlte am meisten für den Gebrauch der
Vorlesungen. Auch das Publicum muß zunächst wieder hierauf hin-
gewiesen werden; sonst kann das Uebrige leicht eine schiefe Richtung
nehmen, — besonders wenn ich zu Streitigkeiten sollte genöthigt werden.
Von der praktischen Seite muß nothwendig jetzt der Spinozismus ange-
griffen werden; überdies ist die Freyheitslehre einer von den Puncten, die
jetzt von mehrem Seiten angeregt sind. — Was nun ihre Aeußerungen über
meine kleine Druckschrift^) anlangt, so schienen mir diese zu zeigen, daß
Sie eigentlich von der Strümpeley des verflossenen Sommers wenig Notiz
genommen — oder bekommen haben. Die Sache schien Sie zu be-
0 S. A. Spitzner a. a. O., S. XXXVIII.
') 3 S. 4"-
^) S. o. S. 170 Anm. 2.
12'
l8o November 1835.
fremden. Meine kleine Druckschrift war aber hauptsächlich dadurch
hervorgerufen, daß ich von Strümpelln noch mehr Sie, als mich, ange-
griffen glaubte. Darum glaubte ich Ihnen einen Beytrag anbieten zu
müssen, um jenen desto leichter zurückzuweisen. Strümpell leugnet die
partielle Hemmung der Vorstellungen; er hat sich dagegen eine Spannung
ohne Hemmung ausgesonnen. Das ist ein Angriff auf die ganze mathe-
matische Psychologie, um die Sie Sich so verdient gemacht haben; und
dieser Angriff trifft Sie direkt, da Sie über math. Psych, gelesen haben;
er trifft Sie, weil Sie eben an dem Orte wirken, wo er sich aufhielt. —
Haben Sie davon wenig Notiz genommen, so || vermindert dies die Be-
deutung der Sache. Meine Grundsätze sind unverändert; Strümpelln
habe ich aufgegeben, und den Briefwechsel mit ihm abgebrochen. Um
aber mit Ihnen in Gemeinschaft weiter zu arbeiten, waren 3 Dinge nöthig.
Erstlich mußte ich Muße haben. Zweytens mußte ich Ihnen Zeit lassen,
Sich den Gegenstand, falls Sie wollten, reiflich zu überlegen. Und
drittens, — was nicht das Geringste ist, — muß ich selbst mich wieder
in die Fundamentalbegriffe der math. Psych, vertiefen. Bedenken Sie,
daß meine gedruckten Rechnungen noch aus dem Jahre 1813 her sind!
Zu diesem Behuf nun habe ich eben in den letzten Tagen die
unvollkommenen Complexionen vorgenommen, worüber Sie in Nordhausen
mit mir sprachen. Leider wurde ich gleich nach meiner Rückkehr hieher
so abgezogen, daß ich von Ihren Einwürfen keine genaue Erinnerung mehr
habe. Als ich nun die Sache wieder ansah, glaubte ich Anfangs das Fehler-
hafte meiner alten Rechnung klar einzusehn, und meinte die Rechnung
ganz kurz abzuthun, indem ich erst nur ein Glied der Complexion als
betroffen von der Hemmung betrachtete, dann diese Hemmung auf die
Glieder derselben vertheilte. Allein unerwartet, — ich kann wohl sagen
ganz gegen meinen Sinn — bin ich in die frühere Rechnung, ohne deren
Form, sondern auf anderem Wege, zurückgetrieben, indem ich die unvoll-
kommenen Complexionen allgemein untersuchte, und hiebey so genau als
möglich die Analogie mit den vollkommenen Complexionen vestzuhalten
suchte. ^)
^) Randbemerkung: Um der Sache desto gewisser zu werden, ließ ich diesen
Brief ein paar Tage liegen; und um ihn nicht ganz leer von wissenschaftlicher Mit-
theilung zu lassen, setze ich folgendes her, was mir unzweydeutig scheint. Es fehlt
in meinem Buche der Uebergang von den vollkommenen zu den unvollkommenen Com-
plexionen. Der Weg dieses Ueberganges findet sich so. Wir theilen S. 202 [Bd. V, 310]
meines Buches die Größe — — . — so, wie es S. 208, S 61 fodert, nämlich in
B A ' ' ^
/bp , Ä7r\ I a , ^ /bp , 3n\ i a .
-f + '-- . — . für a; und h?r + ^ • — ■ — , — für «-
VB^B/ A a+a VB^B/ A a -f- «
wobey ich der Erleichterung wegen noch bemerke, daß
a a- , , a «'
und ebenso
a-f-a a^-|-aa & -{- a a^-j-aa'
es verwandelt sich nämlich a « in r (> für unvollkommene Complexionen.
I a a
A a (a -(- a) a{a.-\- a)
Jedes der B verwandelt sich auf besondre Weise nach den Hülfen; auch muß am ge-
hörigen Orte der Factor — ^ angebracht werden. Nun ist nur nöthig in allen Größen
a a
November 1835. 181
Wie Sie nun auch davon denken mögen: soviel sehn Sie, daß ich
weit entfernt bin, auf Strümpells Argumente irgend einen reellen Werth
zu legen. Er kann Schein erregen, und höchst unzeitigen Streit anfangen,
wodurch er den Boden, auf dem er steht, untergraben wird; auf jeden
Fall ist er ein verlorner Gehülfe, || und das ist für mich, in meinen Jahren,
die Ruhe fodern, ein sehr empfindlicher Verlust. Aber seine Gründe
sehn aus, als ob ein Schüler meiner Einleitung, welche in usum tironum
dem System vorgeschoben ist, das System besser zu kennen meinte als
ich selbst. Hat denn Strümpell sich in Leipzig mit Mathematik, mit
Physik beschäfftigt, wie er. es vor einem Jahre wollte? Hat er überhaupt
gearbeitet? Oder womit hat er die Zeit hingebracht? Wahrscheinlich ist
in ihm das Alte erneuert, was ich bey andern Zuhörern schon öfter er-
lebte. Die Leute wollen in die Welt, nämlich in die literarische; und
indem sie allerley durcheinander lesen, können sie dem Strom der einmal
verbreiteten Irrthümer nicht widerstehen, sie meinen erst klug zu werden
in dem Maaße, wie sie die Bewegung des großen Haufens annehmen.
Das vdrd wahrscheinlich bey Strümpelln noch viel weiter gehn; wenn nicht
etwa die Schrift von mir, die jetzt unter der Presse ist, doch von einer
Seite, wo er noch nicht verdorben ist, entgegenwirkt.
Das mag genügen, mein theurer Freund! um unsern Briefwechsel
nur erst wieder anzuknüpfen. Hoffentlich werden Sie mir bald antworten.
Dann wünschte ich wohl zu wissen, ob Sie allgemeine Untersuchungen
über die unvollkomm. Complexion. angestellt haben; — und überhaupt,
ob wir bald etwas Gedrucktes von Ihnen zu erwarten haben? Ein junger
Mathematiker aus Wien, Namens Krone, der sich ein privatissimum bey
Gauss über magnetische Forschungen genommen hat, hört jetzt meine
Psychologie; kann ich ihm von Ihnen etwas melden? Das würde ihn
ohne Zweifel mehr interessiren, als meine sehr populären Vorlesungen. —
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin, und geben Sie mir Nachricht
von Hartenstein, den ich achtungsvoll grüße.
Unverändert der Ihrige! H.
539. Drobisch an H.\) Leipzig d. 20. November 1835.
Hochverehrter Gönner und Freund! Ihr Brief vom 9. d. M. war mir um so
erfreulicher und beruhigender, als ich durch eine Stelle meines letzten Briefes nur
mir selbst Veranlassung zu einer Annahme gegeben hatte, die ich mm widerlegt
sehe die nämlich, daß der Inhalt des letzten Briefs an Str., der mir natürlich nur
im Allgemeinen bekannt wurde, auch für mich Gültigkeit haben sollte. Die Er-
öffnung, die Sie mir nun gegenwärtig in Beziehung auf den ursprünglichen Zweck
der kleinen Druckschrift machen, ist mir überaus unerwartet: denn so gern ich
mich immer mit dem Interesse Ihrer Philosophie identificire , so weiüg habe ich
mich speciell durch Str. angegriffen geglaubt; so sehr mich anfangs diese Zweifel
diejenigen Abänderungen vorzunehmen, welche entstehen, wenn die vollkommene Ver-
bindung sich auf die unvollkommene durch r und (), desgleichen r' und p' für b und ß
beschränkt: so findet sich die Sache von selbst. Es scheint nun auch die Erweiterung
auf drey und mehrere Complexionen oflfen zu stehen; nur die Berechnung der Schwellen
bleibt schwer.
»J 4 S. 4*. H. Wien.
l82 November 1835.
in üble Stimmung versetzten und vpegen der äußern Verhältnisse unserer philos.
Angelegenheiten besorgt machten, so konnte ich doch mich um so weniger dabei be-
teiligt sehen, als ich den Vortrag der math. Psych, da angefangen hatte, wo alle
angewandte Mathematik anzufangen pflegt, also Metaphysik bei Seite» liegen lassend,
üusre Privatdisputationen gingen nun natürlich auf Metaphys. ein, aber bis zur
Erscheinung der kleinen Druckschrift beruhigte ich mich und bestritt Str. mit einem
Argument, das mir § 13 aufhob. Von da an wurde ich nun selbst zum Zweifler,
und diesen Zustand hat Ihnen mein letzter Brief offen und ehrlich dargelegt. Sie
nun scheinen, mit großem Vertrauen nicht nur zu meinem guten Willen, sondern
auch Vermögen, es für besser erachtet zu haben, mich mir in dieser Angelegenheit
selbst zu überlassen, als mir weitere Aufklärung zu geben. Insofern haben Sie
wenigstens nicht geirrt, als bald nach Absendung meines letzten Briefes mir ein
Gedanke kam , bei dem ich mich beruhigt fand und der auch Hartenstein , der bis
dahin alle jene Zweifel theilte, ohne sie beseitigen zu können, befriedigte. Es war
der: daß quantitative Bestimmungen dann doch eigentlich nur auf das Reale über-
zutragen verboten ist, damit die auf seine Qualität sich beziehende absolute Position
nicht aufgehoben werde; daß eben das wirkliche Geschehen, in dem wol eine Hin-
weisuug auf das Reale liegt, das eben nicht selbst absolut gesetzt wird, diesem
Verbot nicht unterworfen sein kann. — Mit Str. habe ich dariiber nicht weiter ge-
sprochen, da ich ihn nur noch auf einige Minuten sah, als er nach Berlin gehen
wollte; auch mir sonst sein Wesen in gemüthlicher Beziehung durchaus nicht mehr
so zusagen konnte als anfangs, wo er sich || ganz anders gab. — Hiernach meine
ich mich mit Ihnen wieder in Uebereinstimmung zu befinden und lese in diesem
Glauben, den zum Wissen zu erheben nun auch von Ihnen abhängt, mit Lust,
Liebe und, bis jetzt (am Ende der Ontologie) mit großer Befriedigung meiner
Ueberzeugung, vor 25 sehr aufmerksamen Zuhörern (wovon die große Hälfte zur
Schande der Sachsen Ausländer sind) Metaphysik. Ich habe zu diesem Ende noch
einmal besonders den ersten Band Ikres Werks studirt, und ich kann sagen mit
großer Erbauung. Was Sie von Str. sagen, daß er die Einleitung als Waffe gegen
das System zu brauchen versucht habe, ist mir in so fern erklärlich, als ich mich
nie mit ihm darüber einigen konnte, daß die Widersprüche in dem Gegebenen zwar
schon klar werden, wenn man bemerkt, daß Eins zu vielem gemacht wird; daß sie
aber noch ihre systematische Bestätigung erhalten, indem man zu der Einsicht ge-
langt, daß jenes gegebene Eins als Reales schlechthin einfach seyn müsse; so findet
er nun in „dem Geschehen andrer Art" den gleichen Fall wie in dem Geschehen,
dessen 'Ausdruck die Selbsterhaltungen sind. — Str. hat übrigens Hoffnung, und
zwar, wie ich höre, in Folge Ihrer Empfehlung, in das Haus des Grafen Medem in
Curland als Erzieher zu kommen. ') Auch ich bin hier über ihn noch befragt worden,
und es war mir lieb, die an mich gestellten Fragen mit gutem Gewissen bejahen
zu können.
Mit vielem Interesse vernehme ich, daß wir ein neues Werk von Ihnen zu
erwarten haben. Sollte dies wol ein Theil der schon vor mehreren Jahren beab-
sichtigten pädagogischen Briefe seyn, und werden sich darin die Rechnungen über
die frei steigenden Vorstellungen finden? Seit Ende der Osterferien bin ich nicht
') Durch Vermittlung von Herbarts Freund Jäsche in Dorpat. So groß, wie
man neuerdings öfter lesen kann, ist demnach der Bruch zwischen Herbart und
Strümpell nicht gewesen. Das geht u. a. auch daraus hervor, daß Strümpell noch
bei seinem Abschied aus Deutschland sich „unveiändert als eifriger Anhänger Her-
barts" bekannt, daß er seinem Lehrer noch geschrieben und ihn bei einem späteren
Ferienaufenthalt in Deutschland aufgesucht hat. S. auch S. 188, 191, 219.
November 1835. 183
weder an die mathemat. Psychologie geküniraeo. Da ich ohne dies Zeit und Kräfte
zwischen Mathem. und Philos. theilen muß, (welches Loos mir indessen das an-
gemessenste zu seyn scheint), so finde ich es immer bequem und ersprießlich mich
möglichst ungetheilt mit denjenigen Theilen der Philosophie zu beschäftigen, die ich
vortrage. Das war im Sommer Logik und Einleitung. Ueberdies nehmen mich
Aibeiten zur Schulconferenz in Dresden noch in freien Stunden mehrfach in Be-
schlag. In den Michaelisferien und in den jetzigen Nebenstunden war und bin ich
nun beschäftigt, ein Lehrbuch der Logik zum Drucke zu befördern. Diese Absicht
habe ich Ihnen || längst raitgetheilt. Die Vorträge über Logik werden mir dann
später weniger Zeit und Mühe kosten; denn das abermalige Umarbeiten, das ich
selten untei-lassen kann, wird nun bleiben. Auch hoffe ich dadurch mein philos.
Ansehen hier wenigstens zu befestigen, wo die Logik noch etwas gilt, und Einiges
der öffentlichen Mittheilung nicht unwerthe, findet sich ^nelleicht doch auch darin.
Ist der Di-uck der Logik zu Ende, so werde ich mit neuem Eifer an die Psychologie
zurückgehen, und auch etwas drucken lassen. Einige Programme, die ich von
Ostern an als Dekan zu schreiben habe, sollen Rechnungen aufnehmen und dann
vereinigt und vermehrt in einer kleinen Anzahl, die jedenfalls ausreichen wird, in
den Buchhandel kommen. Eine deutsche Schrift über die verschiedenen Seiten der
math. Psych, und ihren Zweck soll jene begleiten oder ihnen wenigstens bald folgen.
— Hartenstein, der sich Ihnen hochachtungsvoll empfiehlt, hat eine Schrift in die
Metaphysik einschlagend unter der Feder; er wird Ihnen wol selbst nächstens nähere
Mittheilungen machen. — Was die kurze Andeutung über unvollkommene Complexe
betrifft, so sitze ich, wie eben gesagt, jetzt nicht recht tief in der Sache; so viel
ich aber verstehe und errathen kann, will mir der Übergang von den vollkommenen
2u den unvollkommenen Complexionen durch Vertauschung des aa mit rp etwas
gewagt erscheinen; daß jener der specielle Fall von diesem ist, das ist klar; wahr-
scheinlich werden Sie aber noch andre Grände anzugeben wissen einen solchen
Cebergang ganz unbedenklich zu machen. Wie Sie erzählen zuerst nach der Rück-
kehr von Nordhausen gerechnet zu haben, so rechnete ich bisher eben auch.
Noch muß ich Ihnen einen Sieg berichten, den wir hier errungen haben.
Die philos. Facult. hatte für das vergangene Tniversitätsjahr (zum erstenmal) auf
- Krugs Vorschlag die frage als Preisaufgabe gestellt: possetne idea absoluti summum
et unicum philos. principium esse. Da Krug durcii Augenschwäche, die leider in
gänzliche Blindheit auszuarten droht, verhindert war, die Schriften zu lesen, so war
die Beurtheilung Clodius und mir übertragen. Es waren zwei eingegangen, eine
pro, eine contra, jene in Hegels, diese in Ihrem Sinne. Auf meinen Antrag hat die
letztere den Prei« gewonnen. In Hermanns Programme heißt es:
Non dubitavimus eum praemio dignum iudicare, qui hanc posuerat disser-
tationis suae notam: nihil aliud est vera auctoritas, nisi rationis virtute cooperta
veritas. Is Herbarti potissimum sententiam sequutus, negavit absoluti dignitatem
principii concedendam esse, demonstravitque id caute, || subtiliter, sobrie, atque ita. ut
non in no\-issmiis placitis examinaudis acquiesceret, sed ad Platonem et Spinozam,
ut priraos ideae absoluti fontes, rediret. omnia iusto ordine et sennone piano per-
tractans. (Bis hieher fast wörthch mein Gutachten.) Eum esse cognitum est
Hennanum bomtz. Longohalissa Thüringum etc. Daß es nun ferner heißt: Laudari
tamen etiam placuit alterum etc. der freilich, da er denn doch die Frage ungenügend
beantwortet, ungenannt bleibt, das ist nicht meine Schuld, sondern liegt in dem be-
kannten Leipziger Liberalismus, der die Indifferenz hinter dem Schild der Humanität
zu verstecken sucht. Diesen Bonitz, einen fleißigen Zuhörer Hartensteins und
meiner Vorträge, habe ich Ihnen schon einmal genannt. Er ist Philolog und jetzt
j8^ Dezember 1835.
in BerÜD, um seine Studien zu beendigen und sein Examen zu machen. In der
"vita, die, wie ich höre von letzterem eingereicht werden muß, hat er denn nicht
verhehlt, außer Plato und Spinoza auch Ihren Schriften ein ernstes Studium zu-
gewendet zu haben. Darauf hat ihm Trendelenburg als Thema einer schriftlichen
Arbeit aufgegeben: eine Darstellung und Beurtheilnng der Meth. der Beziehungen
zu liefern. Der schlaue Fuchs, der ein höchst gewandter Kopf ist, und dem der
lateinische Ausdruck ganz zu Gebote steht, will nun seine Antwort so halten, daß
er erstens zeigt, daß wenn Widersprüche wirklich gegeben seyn, die Meth. der Bez.
die einzige seyn könne, die einen Ausweg darzubieten vermöge. Daß aber "Wider-
sprüche gegeben seyen, müsse wol wahr seyn, da nicht blos Sie sondern selbst Hegel
es nachgewiesen hätte. Ich bin überzeugt, er wird seine Arbeit mit Geist und
Scharfsinn auszustatten wissen und sollte etwa den Herren Examinatoren die Lust
zum Disputiren ankommen und jemand stecken bleiben, so ist es Er nicht. Dieser
Mensch geräth zuverlässig nicht in den Strom der Hegeischen Mode und wenn er
10 Jahr in Berlin lebte. Er hat Verstand und Willenskraft!
Zu dem jungen Wiener mache ich Ihnen meinen Glückwunsch.
Mit unveränderter Hochachtung und Ergebenheit empfehle ich mich Ihnen und
Ihrer Frau Gemalflin. Der Ihrige Drobisch.
540. Hartenstein an H.^) Leipzig d. 6. Dec. 1835
Hochwohlgeborner, Hochzuverehrender Herr! Die Verpflichtung, Ihnen für
die wiederholten Beweise eines wohlwollenden Andenkens, welche Sie mir durch
Übersendung Ihrer jüngsten Schrift über die Subsumtion der Psychologie unter die
Ontologie, so wie durch einen von Professor Drobisch mir überbrachten Gruß ge-
geben haben, meinen Dank abzustatten ist schon seit geraumer Zeit so dringend ge-
wesen, daß ich jetzt, wo ich mich derselben entledige, kaum anders als mit der un-
umwundenen Bitte um Ihre gütige Verzeihung beginnen kann.
Die Discussionen, welche die Opposition des H. D. Strümpell herbeigeführt hat,
mußten für mich um so belehrender seyn, je mehr durch sie die Aufforderung ge-
geben war, die angeregten Begriffe und Sätze in ihrem metaphysischen Zusammen-
hange von Neuem durchzudenken imd je mehr die Möglichkeit, dieser Forderung
zu genügen, nächst Ihrer Schrift auch durch einige Erläuterungen erleichtert wurde,
welche Sie Herrn Prof. Drobisch in einem Briefe an ihn und dieser mir mitzu-
theilen die Güte gehabt haben. Die ganze Frage war für mich von um so größerer
Wichtigkeit, da ich schon im vorigen || Sommer mit dem Plane imiging, den ganzen
Complex , allgemein metaphysischer Untersuchungen von den ersten Anfängen des
Skepticismus an bis dahin, wo die Synechologie in die Naturphilosophie, die Eidolo-
logie in die Psychologie übergeht, zusammenhängend in einer Druckschrift zu be-
arbeiten und ich erlaube mir in dieser Beziehung Ihnen sogleich die Frage vorzu-
legen : in wiefern es Ihre Genehmigung haben würde , wenn ich von dem Inhalte
Ihrer letzten Schrift da, wo es sich um die metaphysische Deduction der psycho-
logischen Grimdlehren handelt (natür-lich ohne alle Erwähnung der äußern Veran-
lassung) den für den wissenschaftlichen Zusammenhang kaum zu vermeidenden Ge-
brauch machte? —
Wenn ich nun auch vielleicht voraussetzen darf, daß Sie mir Ihre Zustimmung
in diesem Puncte nicht versagen werden, so liegt doch die Frage: also eine Ilias
post Homerum? — so nahe, daß ich darauf sogleich selbst antworte: nach dem
Homer schreibt man überhaupt keine Iliaden mehr. Dennoch glaube ich für die
Verbreitung Ihrer Philosophie jetzt gerade dadurch etwas thun zu können, daß ich
1) 2V2 S. 40. H. Wien.
Dezember 1835. 185
das, was Sie in der Einleitung der Metaphysik und zur Ergänzung der Eidologie in
der Psychologie gesagt haben, zu einer ununterbrochen fortlaufenden Reihe von
Untersuchungen verbinde und dadurch dem Lernenden — denn diesen allein habe
ich im Auge — ein Hülfsmittel in die Hand gebe, welches ihm zum Studium Ihrer
Werke die nötige Vorbereitung und Anregung mittheile. Und daran könnten sich
dann vielleicht in einigen ausführlichen Anhängen, die nötliigen Bestimmungen \iber
das Verhältniß der Metaphysik zur praktischen Philosophie und Religionslehre schließen,
welche geeignet wären, Vorurtheile zurückzudrängen, und die Empfänglichkeit für das,
was auf dem steinigten Boden der Metaphysik nicht wächst zu sichern und zu
befriedigen. Mit Rücksicht auf das Bedürfnis des Anfängers habe ich es auch für
zweckmäßig gehalten, den pro-paedeutischen Theil von dem abhandelnden äußerlich
zu trennen und in jenen auch den Inhalt der Methodologie mit aufzunehmen, so
daß er die Beschränkung auf das Gegebene, die Sicherung desselben gegen die
Skepsis, die Entwicklung der Probleme, die Angabe der Hülfsmittel der Methode
und einen allgemeinen Yorblick auf den Gang der Untersuchung zum Inhalte hat,
während die Ontologie, Synechologie und Eidologie die Lösung der Probleme selbst
zu besorgen hat. Einzelne Theile z. B. eben die Eidologie würde ich vielleicht so
frei seyn, Ihrem geneigten Urtheile vor dem Drucke vorzulegen, der schon aus-
gearbeitete propädeutische Theil würde sich kaum erlauben dürfen, Ihre kritische
Aufmerksamkeit erst in Anspruch zu nehmen.
Ich höre von Herrn Pr. Drobisch, daß von Ihnen Briefe über die Willens-
freiheit unter der Presse sind und ich habe wohl nicht nöthig auszusprechen, daß
ich ihrem Erscheinen mit derselben Sehnsucht entgegensehe, mit welcher ich in
früherer Zeit eines Ihrer Werke nach dem andern zur Quelle meiner Beiehrung
machte.
Mich Ihrem fernerem Wohlwollen hochachtungsvollst empfehlend, verharre ich
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
1836.
W. : Zur Lehre von der Freiheit des menschhchen Willens (S. Bd. X. S. 207 — 313).
— Herbarts Selbstanzeige dieses Werkes in den Gott. gel. Anz. 1836 (S. Bd. XIÖ.
S. 285- — 286). — Analytische Beleuchtung des Naturrechts u. der Moral (S. Bd. X.
S. 315 — 460). — Selbstanzeige dieses Werkes in den Gott. gel. Anz. (S. Bd. XIII.
S. 301 — 303). — Rez. von Drobischs Darstellung der Logik (S. Bd. XIII. S. 289 bis
293), Drobischs Quaestionum (S. Bd. XIII. S. 293 — 297), Suabedissens Grundzüge
der Metaphysik (S. Bd. XIII. S. 297—300).
541. Lobeck an H.^) Königsberg, 12. Januar 1836.
Hochverehrtester Freund ! Die Reise des H. Paschley nach Göttingen und Ihre
silberne Hochzeit, welche morgen in meinem Hause gefeiert werden soll, giebt mir die
erwünschte Veranlassung mein Andenken bei Ihnen zu erneuern und mich Ihrem
gütigen Wohlwollen zu empfehlen. Der erstere ist ein Landsmann Ihrer Frau Ge-
mahlin, ein gelehrter Reisender, dem wir bald eine Beschreibung von Corfu zu
verdanken haben werden. Zu der letzteren statte ich meinen herzlichsten Glück-
wunsch ab; möge die goldene zu ihrer Zeit nachfolgen und Sie beyde in frischem
Alter überraschen. Im || Sommer machte ich eine Reise nach Deutschland, die mir
aber übel bekam, so daß ich bald nach Haus zurückeilte, wo ich mich wieder
befinde.
Unterwegs hörte ich viel von der immer zunehmenden Ausbreitung Ihrer
Philosophie und hoffe nach einigen Jahren Ihrer Wirksamkeit in Göttingen meine
Prophezeiung erfüllt zu sehen. Herr Paschley, der einer Vorlesung Ihres hiesigen
Nachfolgers für Damen beigewohnt hat, wird Ihnen, wenns daran liegt — davon
erzählen können; die CoUegen, die manchmal ihre Frauen dahin begleiten, || berichten
Wunderdinge in Gestalt der alten Athenäumswitze — die Musik ist eine gefrorene
Baukunst — der Mann ist nichts als eine potencirte Frau etc. Tiefsinnige Re-
flexionen über die Berliner Damen, StiegHtz, Rahel und Bettina etc. Unsere armen
Studenten, die diese Zuckerbäckerei für Wissenschaft hinnehmen!
Mit der Versicherung meiner unwandelbaren Verehrung verbinde ich die an-
gelegentliche Bitte um die Fortdauer Ihres freundschaftlichen Andenkens und emp-
fehle mich und meine Frau Ihrer Frau Gemahlin herzlich
Ihr ergebenster Lobeck.
542. Hartenstein an H.') Leipzig, d. 17. Januar 1836.
Hochverehrter Herr Hofrath! Ich würde Ihnen meinen Dank für Ihr letztes
gütiges Schreiben, welches" ich Ihrem Wunsche gemäß Herrn Prof. Drobisch mit-
') 3 S. 4". H. Wien. — In dem von A. Ludwich 1894 herausg. Briefwechsel
von Lobeck und Lehrs ist Herbart öfter erwähnt, der obige Brief bildet eine Er-
gänzung dazu. — Die' englischen Bücherkatal. jener Zeit verzeichnen: Pashley (Hob.),
Travels in Crete (1837).
0 IV- S. 40. H. Wien.
Februar 1836. 187
getheiJt habe, schon früher ausgesprochen haben, wenn ich nicht gewünscht hätte,
Ihnen zugleich ein Paar Blätter Manuscript *) beilegen zu können, aus welchen Sie
beurtheilen möchten, in welcher Weise ich die angeregte Frage, welche wenigstens
für mich nunmehr keine Streitfrage mehr ist, behandelt habe. Ich erlaube mir
daher, Ihnen aus meinem Manuscripte den letzten Paragraphen der Ontologie
beizulegen, über welchen ich mir. Ihr, Urtheil vielleicht in der Art erbitten
darf, daß Sie Ihre etwanigen Ausstellungen an den Rand des Manuscriptes wenn
auch nur mit wenigen "Worten zu bemerken die Güte hätten, obschon ich nicht
fürchte, in ein wesentliches Mißverständniß verfallen zu seyn. Ich habe einen
Augenblick Bedenken getragen, ob nicht die ganze Entwicklung für die Eidologie
verspart werden könnte; indessen sie hat ihren wissenschaftlichen Ort in der Onto-
logie und soll daher auch in ihr ihre Stelle finden.
Die von Ihnen gewünschte Erwähnung, daß Ihrerseits Privatmittheilungen statt-
gefunden haben, finden Sie zwar nicht auf den beifolgenden Bogen, sie würde je-
doch auch ohne Ihren ausdrücklichen "Wunsch in der Vorrede gegeben worden seyn.
indem ich am allerwenigsten in Ihren Augen als ein Plagiarius würde haben erscheinen
wollen. Ihre letzte Drackschrift glaube ich nicht besonders citiren zu können; eben
so wenig wird über Str[ümpell]s Einwürfe, dessen Gedanken Sie jedenfalls richtig durch-
schaut haben, irgendwo eine Andeutung stattfinden. Außerdem werden Sie finden,
daß ich Ihre gütigen Mittheilungen wirklich so vollständig benutzt habe, als es die
Sache nöthig zu machen schien. ||
"S\'undern soll es mich übrigens nicht, wenn die Absoluten, falls sie von dem
Entgegengesetzten in Einem lesen werden, uns als ihre blinden Freunde begrüßen
werden, welche die Yermmft unbewußt führe und leite, obgleich wir es mit unserem
abstracten "V^erstande niemals zur immanenten Dialektik bringen können.
Jedoch ich breche ab, weil ich mich eben erinnere, daß ich Ihnen ohnedieß
zumuthe, einen sehr langen Brief zu lesen, aus welchem Sie obendrein nur Ihre
eigenen Gedanken erfahren. Herr Professor Drobisch ist in dieser "Woche einige
Tage krank gewesen er weiß nicht, daß ich in diesem Augenblicke an Sie schreibe,
außerdem würde ich die Ehre haben, Ihnen seine Empfehlungen zu überbringen.
Ich selbst verharre mit der Bitte um die Fortdauer Ihres wohlwollenden An-
■ denkens
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
543. Dissen an H.-)
Mein theurer und verehrter Gönner! Was werden Sie wohl gedacht haben daß
ich noch immer nicht gedankt habe für das interessante Buch über die Freiheit.
Aber hören Sie; da ich leider einen Theil der lästigen Funktionen der Professur
der Beredtsamkeit zu verwalten habe, so mußte ich in der letzten Zeit unter be-
ständigen körperlichen Leiden ein Universitätsprogi-amm fertig machen für den
nächsten Prorectoratswechsel und dazu alle guten Stunden zusammen nehmen. Dies
wird nun so eben gedruckt und so konnte ich erst jetzt dazu kommen Ihr Buch mit
Mühe und Umstand zu lessen, wonach ich sehnlich verlangte. Daher schrieb ich
erst nicht: denn erst jetzt bm ich damit fertig || und statte nun mit vollem Herzen
meinen Dank ab, denn das Buch halte ich für einen schönen Beitrag zu Ihrem guten
Werke, ein Buch das alle lesen sollten, sehr ^^ele lesen werden mit großer Be-
lehrung. Sie haben sich darin mehr herabgelassen zu ausführlichen Erörterungen
^) Aus Hartensteins „Probleme u. Grundlehren der allgemeinen Metaphysik",
Lpzg. 1836.
^) 3 S. 80. H. Wien. Ohne Datum.
l88 Februar 1836.
und fasslichen Darstellungen für einen größeren Kreis und ich bewundere es wie Sie
über diese schwere Sache so natürlich haben schreiben können. In mir selbst erregt
dergleichen immer ein wahres Feuer der Begeisterung für Philosophie wie in den
Tagen der Jugend als ich in Ihrem Auditorio saß. und ich beklage es bis auf den
heutigen Tag daß mir nicht mehr Genie zu theil wurde um ein Philosoph zu werden
und ein Apostel Ihrer tiefsinnigen imvergleichlich herrlichen Lehren. Für das
zweite Buch bitte ich dem Verfasser meinen besten Dank zu sagen. Leider bin
ich in dem Gesundheitszustand, daß ich die Eecension nicht übernehmen kann, und
ich denke auch, daß unser Griepenkerl dazu noch besser geschickt wäre. Und er thut
es gewiß gern. Denn Sie wollen es lücht tbun, wie ich wohl denken kann. Doch
wird der Herr Verfasser nicht zweifeln, daß ich mich für die Sache lebhaft inter-
essiere. Daß Sie wieder hergestellt sind und lesen höre ich mit großem Vergnügen
und wünsche dazu Glück, denn ich habe Sie sehr bedauert. Meine Gesundheit ist
herzlich schlecht, wie es Einem geht, der an Nervenauszehrung leidet und alle Tage
schlechter wird. Wenn das "Wetter erst wieder gelinde ist und es sich einmahl
paßt, muß ich Sie bitten mich einmal wieder zu besuchen, wonach mich sehr ver-
langt, da ich nie anders als mit inniger Verehrung und Bewunderung au Sie denke.
Vom ganzen Herzen Bissen.
544. Geheimrat Dieterici an Freih. von Richthofen.^) Berlin, 2. Febr. 1836.
.... Wenn Sie dann beim Minister von Altenstein Excellenz (nachdem Sie
bei Merckel versucht) vorsprechen-), so nennen Sie nicht Heebaet, sonst aber liebt
Herr v. Altenstein die Philosophie, und es wird g-ut tun, wenn Sie über Pädagogik
in allgemeine Betrachtungen und philosopliische Ansichten eingehen ....
545. An Drobisch.-^) Göttingen 7 Febr 36
Mein verehrter Freund! Zwar außer dem Bette, bin ich doch noch
halb krank; und werde nicht im Stande seyn, einen zusammenhängenden
Brief zu schreiben. Aber Sie sind auch krank gewesen, das weiß ich
durch Hartenstein; nun wünsche ich mir ein paar Zeilen von Ihnen zu
verdienen, um wo möglich von Ihrer eignen Hand zu lesen, daß Sie Sich
wieder wohl befinden. Darum schicke ich Ihnen wenigstens mein Büch-
lein."*) Das eine Exemplar, worin ein Brief an Hartenstein Hegt, bitte
ich an diesen abzugeben, und den offenen Brief zu lesen, wenn anders
ein paar Worte über das Büchlein Sie interessiren, die ich mühsam genug
zusammengebracht habe. Hartenstein hat sich große Ansprüche an meine
Dankbarkeit erworben, indem er den Feuerfunken, welchen Strümpell mit
vornehmer Unvorsichtigkeit hinwarf, auszulöschen unternimmt ehe er
zünden kann; und indem er mir eine genaue Mittheilung macht, wodurch
auch der Schein einer unnötigen Differenz unter uns vermieden wird.
Aber wir müssen weiter vorrücken, wenn irgend ein Resultat möglich seyn
soll. Sie werden- in den versprochenen mathematisch psychol. Aufsätzen
^) Aus dem Leben des Karl Ernst Friedr. Freih. von Eichthofen auf Brechels-
hof. Geschrieben von seinem Sohne Bolko für dessen Kinder. Als Manuskript ge-
druckt. 1883. S. 86 f.
^) Freih. v. ßichthofen sollte die Leitung und Reorganisation der Liegnitzer
Eitterakademie übernehmen.
3) I S. 40.
*) Zur Lehre von der Freiheit — . S. Bd. X.
Februar 1836. 189
feine Arbeit liefern; ich dagegen habe einmal absichtlich grobe Schrift
gebraucht, für die blöden Augen, die Spinozas Ethik für eine wirkliche
Ethik halten.^) Sagen Sie mir offenherzig, was Ihnen an der Schrift
misfällt; und denken Sie nur nicht an eine Eigenliebe die Sie verletzen
könnten; solche Schreiberey wie diese, schreibe ich nicht für mich, sondern
für allerley Völkchen das mir fern steht. Jetzt muß ich mir Ruhe gönnen;
mehr wenn ich wieder gesund bin.
Unverändert der Ihrige H.
546. Drobisch an H.-) Leipzig d. 20. Febr. 36.
Mein hochverehrter würdiger Freund! Lassen Sie mich vor allen Dingen den
herzlichen Wunsch aussprechen, daß dieser Brief Sie wieder vollkommen hergestellt
finden möge und ich brauche Ihnen wol nicht die Versicherung zu geben, daß ich
an Ihrem "^'ohl den innigsten Antheil nehme.; Nehmen Sie zugleich meinen auf-
richtigen Dank für Brief und Schrift und denken Sie nicht, daß ich mir mit kauf-
männischer Aengsthchkeit die Briefe durch Briefe abkaufen lasse. Ihren trefflichen Brief
an Hartenstein, den Abschluß der von Str. angeregten Bedenken betreffend, habe ich
allerdings für eine Antwort angenommen und exi-erpirt: es freute mich in ihm die
Bestätigung von dem zu finden, wobei ich zuletzt stehen geblieben war. "Was nun
Ihre Briefe über die "WiUensfi-eiheit betrifft, so wollte ich sie doch erst lesen, ehe
ich Ihnen antwortete, und ich lese etwas langsam. Halte ich nun den Gesichts-
punct fest, den Sie in der Vorrede und in dem offenen Briefe an Hartenstein be-
zeichnet haben, so finde ich sie sehr befriedigend, zumal in der zweiten Hälfte, je
mehr sie sich mit der positiven Auseinandersetzung beschäftigen; nicht als ob ich
die negative Kritik von Wolff, Spinoza, Kant, Jakobi, Schleiermacher für weniger
treffend hielte, sondern weil diese zum Theil eine so große Vertrautheit mit den
Schriften jener Männer vorauszusetzen scheint, wie ich sie noch nicht besitze. Eine
große Menge von Stellen habe ich mir angestrichen, in denen die wahren Verhält-
nisse wie durch Blitzfeuer beleuchtet werden. Es war- jedenfalls wichtig, die Art
Ihres Determinismus in ein bestimmtes Licht zu setzen, und dies ist geschehen —
für den. der Ihre andern Schriften kennt. Das setzt eben schon die Form von Briefen
' an G[riepenkerlJ, Ihrem vertrautesten Freund und Anhänger voraus. Es mag vielleicht
nützlich seyn, wenn andere sich der untergeordneten Arbeit unterziehen wollen,
alles was aus Metaphysik, Psychologie und praktischer Philosophie zusammengenommen
über den Begiiff der Freiheit zu sagen ist, zu einem Resume zusammen und den
herrschendeu Zeitansichten gegenüberzustellen. Sie nämlich, Verehrtester, pflegen
in Ihren Schriften nicht leicht ein "Wort zweimal zu sagen, sondern auf die andern
zu verweisen, wenn es erforderlich ist, nie aber eigentlich, wenn auch in nuce, das
früher Gesagte zu wiederholen. Ohnstreitig ist dies Ihrer Würde angemessen : denn
Sie sind nicht oft in den Fall gekommen, etwas früher Behauptetes zurücknehmen
zu müssen: so reif waren Ihre Productel Für die Leser aber, die aus einer der
populäreren Schriften Sie kennen lernen wollen, erwächst daraus manche Unbequem-
lichkeit, weil sie finden, daß sie nicht so kui-z wegkommen wie sie erwartet hatten.
Entschließen Sie sich nun nicht auch noch das zweite und 3te Buch zu lesen, so
erscheinen sie auf dem literarischen Markte als Mißvergnügte, die wol gar über
Dunkelheit oder wenigstens das Lnbefriedigende Ihi-er Doctrinen klagen. Sie werden
mir nicht aufbinden, daß ich damit indirect einen Tadel aussprechen will ; denn ich
^) Ibid., bes. Brief 5.
2) 4 S. 4°. H. Wien.
jQO Februar 1836.
selbst bin ja nicht in diesem Falle. Ich meine nur, diese Eigenthümlichkeit Ihrer
Schriften gehört mit zu den Gründen der langsameren Verbreitung || Ihrer Philo-
sophie.
Im Vortrage der Metaphysik bin ich nun in die Eidologie getreten und athnie
freier auf. In der Synechologie habe ich manchmal wahrhaft gerungen. Der Kampf
mit der gewohnten Anschauung ist gar zu groß; die eigenthümliche Behandlung der
Widersprüche höchst delicat, als daß man nicht vollauf zu thun hätte, Mißverständ-
nisse zu verhüten und eine sichere Ueberzeugung in den Zuhörenden hervorzubringen.
Gar oft trat der Versucher zu mir und spiegelte mir vor, es könnte anders seyn;
aber die Bilder zerflossen immer wieder. Ich stehe aber nicht dafür, daß er noch
mehr als einmal vor mich treten wird. Ich hoffe, Sie werden hierin nichts weiter
sehen als das ernste Streben, die Philosophie nicht blos wie ein Kleid anzuziehen,
sondern in mein Fleisch und Blut aufzunehmen. Wievielmal ich auch noch irren
werde, immer können Sie versichert seyn, daß ich es emst und redlich meine.
Da Sie mathematisch-psychologische Untersuchungen berühren, so will ich
Ihnen hier gleich gestehen, daß ich über den Unterschied der einfachen Emp-
findungen und einfachen Vorstellungen noch nicht hinlänglich im Klaren bin. Natürlich
ist mir die Lehre von dem zeitlichen Entstehen der Vorstellungen gegenwärtig, und
ich weiß, daß die einfache Vorstellung aus einer unendlichen Menge bereits in der
Entstehung gehemmter und verschmolzener Empfindungen entsteht. Aber es fehlt
mir hier noch etwas. Ich höre einen Ton; plötzlich bricht er ab. Ich sehe eine
Flamme; plötzlich erlischt sie, — oder sie verschwindet, in dem ich plötzlich die
Augen schUeße. Ich glaube nicht, daß dieses Abreißen, Abbrechen ganz allein auf
psychologische Hemmung zurückgeführt werden kann. Ich bin mir bewußt, nun
nicht mehr zu empfinden, sondern nur allenfalls mir noch die Empfindung vor-
zustellen oder einzubilden. Es vermehrt sich nicht nur die Empfindung nicht mehr,
auch vermindert sie sich nicht etwa langsamer oder geschwinder, sondern sie hat
aufgehört. Metaphysisch betrachtet erzeugte doch wol jede neue Licht- oder Ton-
welle eine neue der vorigen gleiche Selbsterhaltung. Das Aufhören der Empfindung
könnte hiernach doch nur bezeichnet werden als das sich nicht weiter A^ermehren
der Selbsterhaltungen. Ist nun das Ganze, was die letztern ergeben, gleich lange
nicht so groß als die Summe derselben, so kann ich mir doch hieraus nicht den Ab-
stand der bleichen nebligen Vorstellung von der frischen Emi)findung, das Abreißen
der letztern und den plötzlichen Uebergang in das Schattenreich der erstem hin-
länglich erklären. Vom Standpunkt der gemeinen Ansicht aus kann ich, wie es mii-
scheint, -sagen : Empfinden ist Vorstellen bei Gegenwart des vorgestellten Objects,
beim Vorstellen im engern Sinne fehlt die Gegenwart des Objects. Die Metaphysik
aber wird hier, wenn ich recht sehe, doch auch einen Unterschied finden: nämlich
Störung und Selbsterhaltung in der Empfindung: Fortdauer der Selbsterhaltung nach
Aufhebung der Störung in der bloßen Vorstellung, Ist nun die fortdauernde Selbst-
erhaltung noch ganz dieselbe wie bei der Störung, so ist für das Wesen kein Unter-
schied zwi.schen || Empfindung und Vorstellung, denn von der Störung weiß es nur
etwas durch die Speculation. Die Erfahrung bezeugt aber den Unterschied als einen
in die Wahrnehmung fallenden, wie erklärt nun die Theorie mit hinlänglicher An-
gemessenheit nicht blos den Unterschied, sondern auch seine Wahrnehmbarkeit?
Liegt diese Frage nicht allzusehr außer dem Kreise Ihrer gegenwärtigen Medi-
tationen, und erlaubt es Ihr Gesundheitszustand wieder sich diesen Beschäftigungen
ohne Nachtheil hinzugeben, so würden Sie mir durch die Beantwortung einen Stein
vom Herzen nehmen. '
Im Januar habe ich — nach Jahresfrist — einen sehr freundlichen und auf-
munternden Brief vom R.R. Grolp erhalten.
Februar 1836. 191
Ohngefälir um dieselbe Zeit erhielt ich einen Abschiedsbrief von Strümpell.
Er zeigt sich darin ganz wie er ist, mit Licht und Schatten; aber imverändert als
Ihren eifrigen Anhänger. Merkwürdig sind darin seine Schilderungen des Zustandes
der Philosophie in Berlin. Der cum gloria berufene Gabler ohne Zuhörer! Die
andern mit wenigen. Steffens und Gans aber die Tiradenmänner mit vielen! u. s. w.
Hartenstein wird also nur über Metaphysik schreiben. Ich habe den größten
Theil des Mspts. gelesen. Er besitzt große elementare Deutlichkeit, und kann ein
recht nützliches Lesebuch für Studirende und andere Freunde der Philosophie
werden. Ich habe ihm aber schon selbst gesagt, daß ich um seinetwillen wünsche,
er hätte seinem Buch etwas mehr Eigenthümlichkeit der Form und Auffassung zu
geben gesucht, von seiner sonstigen philosophischen Belesenheit wenigstens in An-
merkungen mehr- Gebrauch gemacht u. dgl. m. Jetzt ist es doch kaum mehr als
eine Compilation aus Ihrer Einleitung, Metaphysik und Psychologie, und er wird
noch oft genug und nicht ohne Grund hören müssen: Das Alles hat H[erbartJ ebensa
deutlich und viel kräftiger und geistreicher gesagt. Fast kommt es mir vor, als
fehlte seiner Darstellung zuweilen philosophischer Geist und als wäre sie sich des
Zweckes, eine mit sich selbst einstimmige Weltansicht zu gewinnen, nicht recht
klar bewußt. H[ai-tenstein] ist ein gewandter Kopf, möge ihn seine Gewandtheit nicht
allzu biegsam machen, und möge es ihm mit der Philosophie heiliger Ernst seyn.
Glauben Sie ja nicht, daß ich ihn verkleinern will: wir stehen einander keineswegs
im Wege, sondern unterstützen einander; aber ich fürchte, daß er Philosophie be-
treibt wie andere Gelehrsamkeit, und daß sie ihm nicht recht Sache der Gesinnung
ist. Gut ist es jedenfalls für ihn, daß er sich nun öffentlich zu Ihrer Schule be-
kennt: so ist seiner Weltklugheit wenigstens Eine Retirade abgeschnitten und er
muß nun mitfechten.
Körperhöhe Uebel von mancherlei Art haben mich imd die meinigen diesen
Winter heimgesucht, mit deren langer Liste ich Sie nicht behelligen will. Ich sehne
mich nach dem Schluß || der Vorlesungen, denn ich fühle diesmal mein sonst ziem-
lich starkes und helles Sprachorgan geschwächt. Sey es die überflüssige Größe des
Auditoriums oder der Wechsel der Witterung oder körperliche Disposition — kurz
ich empfinde eine Schwierigkeit im Sprechen, ein Drücken im Halse, das ich bis-
.her nicht kannte, und das, wenn es nicht mit der milden Jahreszeit verschwindet,
mich bedenkhch machen muß. Der Arzt hat bis jetzt noch nicht für nöthig be-
funden einzugreifen. — Ihr College Wendt soll ja auch bedenklich kränkeln ? Unser
Clodius, der andere Prof. d. Philos. scheint die Brustwassersucht zu haben.
Es steht uns also eine zweite philosophische Vacanz bevor. An jungen hoff-
nungsvollen Philosophen scheint doch jetzt ein großer Mangel zu seyn.
Was m-theilen Sie über Brzoskas neuste Schrift? Sie hilft doch auch Ihre
blanken Thaler in Curs setzen.*)
Mit der treusten Gesinnung und den herzlichsten Wünschen für Ihr und Ihrer
Frau Gemahlin Wohl Der Ihrige Drobisch.
547. An Drobisch.i^) Göttingen 26 Febr 36
Ihr Brief, mein verehrtester Freund! wurde mit Sehnsucht erwartet;
denn die letzte Nachricht, die ich von Ihnen hatte, war jene, daß Sie
krank seyen. Dem Uebel was Sie im Sprachorgane noch bemerken, möge
') Die Kothwendigkeit päd. Seminare auf der Universität u. ihre zweckmäßige
Einrichtung. (Neue Ausg. von W. Rein. Lpzg. 1887.)
') 3 S. 4"-
IQ2 Februar 1836.
nun der Arzt ja bald abhelfen, damit Sie nicht in meinen Fall gerathen.
Mich läßt jetzt endlich, um meinen Husten nach einem Vierteljahrhundert
einmal gründlich zu curiren, der Arzt seit 6 Wochen Carduus benedictus
und dulcamara trinken. Wäre das früher geschehn!
Auf Antwort wegen der plötzlich aufhörenden Sinnes - Empfindung
darf ich Sie nicht warten lassen. Der Gegenstand ist physiologisch. Be-
denken Sie zuerst die Geschwindigkeit, womit die Bewegungsnerven dem
Willen, ja dem Gedanken, man möchte sagen dem Hauch eines Gedankens
Folge leisten. Dasselbe enge Causalverhältnis ist, bey scharfen Sinnen,
auch in Ansehung der Empfindungs - Nerven vorhanden, aber, wie die
Empfindung es fodert, in umgekehrter Ordnung. Hier gehorcht die Seele.
Die Nerven gleichen den Dämpfern des Fortepiano. Sonst würden Sie,
bey jedem Gedanken eines sichtbaren Gegenstandes, zu sehen, bey jedem
Gedanken eines Tons zu hören glauben. Sie könnten nicht, wenn die
Uhr sieben schlägt während Sie meinten es sey schon acht Uhr, —
sagen: es schlägt erst sieben; das können Sie nur, weil, indem Sie die
Vorstellung des achten Schlages reproduciren, diese Vorstellung (wie bey
Allem was vermißt und verneint wird,) durch den Gehörnerven eine Hem-
mung erleidet; denn es gelingt Ihrer Vorstellung nicht, den Nerven in
den Ihrer Vorstellung entsprechenden Zustand zu versetzen. — Uebrigens
wissen Sie ja, wie sehr Sie das „Plötzlich" zu beschränken haben. Denken
Sie an Feuerräder, und den Kreisel mit den sieben prismatischen Farben,
die beym Umdrehen weiß erscheinen. Und wenn Sie das Zeitmaß
änderten, — wenn Sie zur Zeiteinheit die Zeit nähmen, welche die Erde,
welche gar das Licht braucht, um Einen Fuß zu durchlaufen: wo bliebe
das „Plötzlich'"? Darüber berufe ich mich auf Sie, als Mathematiker. Das
wird mehr als genügen.
Was Sie über mein Buch sagen, dagegen hüte ich mich wohl mich
zu vertheidigen. Es ist, wie Sie sagen; die Mißvergnügten werden auf
dem literarischen Markt erscheinen. [| Das Buch ist in der bestimmtesten
Absicht geschrieben, den leidlich verständigen Lesern das Nachlesen meiner
prakt. Philos. zur Noth wendigkeit zu machen; und mindestens zu zeigen,
daß dies Buch, obgleich vom Jahre 1808, doch anzusehen ist als wäre
es gestern herausgekommen. Erinnerungen in nuce sind nicht möglich,
denn die prakt. Philos. ist selbst eine Nuß, und zwar eine sehr dichte und
veste. Ich bin im öosten Jahre, meine guten Stunden vermindert die zu-
nehmende Kränklichkeit; Rücksichten zu nehmen ist für mich zu spät;
was ich zu sagen habe muß schnell und geradeheraus gesagt werden.
Alles Andre bleibt für meine Freunde zu thun und zu besorgen übrig.
Ihnen, mein theurer Freund! muthe ich in Ansehung der prakt. Philos.
nichts zu; aber • Hartenstein hat schon, unveranlaßt durch mich, Hoffnung
gegeben, seiner Schrift am Ende etwas in Bezug auf prakt. Philos. bey-
zufügen. Darauf rechne ich. Er wird, denke ich, schon sehen, daß die
neueste Schrift sich zu der älteren verhält wie der erste Band der Meta-
physik zum zweyten. Möge er dem gemäß verfahren. Sprechen Sie
nicht von untergeordneten Arbeiten des Resumirens. Nichts ist unter-
geordnet was nöthig und zweckmäßig ist. Was ich von Hartenstein ge-
sehen habe, ist ganz geeignet, mein Vertrauen zu verdienen.
März 1836. iQ^
Die Lage der Dinge wird immer dringender. Die Hegeley kann
nicht einmal den Schein länger retten. Den miserabeln Nachrichten aus
B. entsprechen die aus K. Geschwätz — was sich mehr und mehr der
Verachtung Preis giebt. Gestern war ein Candidat Waitz aus Gotha bev
mir. Er kennt meine Metaphysik, — aber er sagt: in seiner Gegend
dürfe man von Philosophie nicht mehr reden, wenn man nicht Befremden
oder gar Lachen erregen wolle. Dieser Waitz wird vermuthlich bald nach
Leipzig wandern; ich habe ihn an Sie und Hartenstein gewiesen. Er
scheint kräftiger Natur zu seyn. — Bald nach ihm kam die Fürstin von
Lippe-Bückeburg, die alle paar Jahre Göttingen besucht, und || ohne Um-
stände zu den Professoren geht um sich nach dem Fleiße ihrer hier
studirenden Stipendiaten zu erkundigen. Diese schickte mir ein Buch:
„Blicke auf die Bildung unserer Zeit, von Tittmann". Der Verf. soll
Oberconsistorialrath in Dresden seyn; vermuthlich ein sehr einflußreicher
Mann, da fürstliche Hände sich damit befassen seine Exemplare zu ver-
breiten. Hineinblickend in die Blicke glaubte ich sehr vornehm-ungünstige
Blicke auf die Philos. zu bemerken. Können Sie mir vielleicht das Nähere
sagen ?
Sie erwähnen einer Vacanz. Solche Vacanzen werden den Re-
gierungen willkommen se^Ti. Man wird mit der Besetzung zögern, — die
Stände- Versammlungen werden gelegentlich die Kälte des Publicums gegen
die Philos. besprechen, — man wird die vacanten Gehalte anderwärts
brauchen. In Deutschland [wird] sehr bald die Philosophie in die Lage
kommen wie in England und Frankreich. Wer soll das verhindern? Wer
soll zuvorkommen? — Ich sage:
Sie, mein theurer Freund, — und die, welche Sie in Bewegung
setzen werden.
Es ist nicht anders! Sie müssen eilen, anregen, wirken, — ohne
noch lange um mich und meine Interessen Sich zu bekümmern. Hier
stehn wichtigere Interessen auf dem Spiele, als persönliche es seyn können
und dürfen. Das Studiu?n der Philosophie muß gehalten werden, gleich-
viel woran und wie. Daß ich nichts Wesentliches mehr thun kann, ist
klar. Was ich auch thue: es hat den Schein des Egoismus für mein
System. Bedenken Sie das wohl!
Unverändert der Ihrige! H.
548. Drobisch an H.^) Leipzig d. 2. März 36.
Ihre gütige Antwort vom 26. Febr., mein hochverehrter Gönner und Freund,
hat mir über die Hauptfrage meines Briefes eine sehr befriedigende Antwort ge-
geben, so daß mir hier in der That ein neues Licht aufgegangen ist. Indeß knüpfen
sich doch hieran fernere Fragen, die in die allgememe Metaphysik zurückbeugen.
"Werden Sie nur nicht ungeduldig darüber, und lassen Sie mich den tiefen Schacht
Ihrer Gedankenwelt recht tüchtig ausbeuten. Es steht doch schon so manches in
Ihren werthvoUen Briefen, was in Ihren Werken nicht zu finden ist. — Empfinden
ist also ein Vorstellen mit einem begleitenden entsprechenden leiblichen Zustand.
Bloßes Vorstellen findet da statt, wo diese Begleitung fehlt. Dies ist wol eben nicht
^) 4 S. 40. H. Wien.
Herbarts Werke. XVIII. Ij
ig4 März 1836.
vollkommen streng zu nehmen. Denn die Seele ist doch wol immerfort in einem
wenn auch wechselnden Zusammen mit Elementen des Gehirns zu denken und
unser Denken werden daher stets leibliche Zustände begleiten, woran ja die Psycho-
logie unter dem Titel des physiologischen Druckes spricht. Ich verstehe indeß
wohl, daß diese leibUchen Zustände, die unser Denken begleiten, nicht Affectionen
der Empfindungsnerven seyn werden, eben so wenig wie sie durch von der Seele
ausgehende Affectionen der Bewegungsnerven erregt werden. Also 1) gibt es ein
Vorstellen (nicht ein Empfinden oder Wollen), das ohne gleichzeitige entsprechende
leibliche Zustände vor sich ginge? — — Von hier komme ich nun aber sogleich
auf den allgemeinen Satz von dem Entsprechen der Innern und äußern Zustände.
Sie würden Sich nicht blos um mich, sondern auch um Hartenstein, der in diesen
Tagen hierüber mit mir sprach, sehr verdient machen, wenn Sie uns über diesen
Satz, der uns vor der prästabilirten Harmonie und causa transiens schützen sollen,
noch mehr Licht gäben. Den Satz: jedes Zusammen entgegengesetzter realer Wesen
führt zur Selbsterhaltung, läßt sich mit der erforderlichen Evidenz deduciren. Aber
seine Umkehrung — — scheint uns vor der Hand fast das Schicksal von Euklids
lltem Axiom zu theilen. Da die Selbsterhaltungen auch nach aufgehobenem Zu-
sammen noch fortdauern, so liegt schon hierin eine Unabhängigkeit der einmal ent-
standenen Selbsterhaltung von dem Zusammen: warum kann nun auch nicht das
unvollkommene Zusammen mit seinen entsprechenden gradweisen Selbsterhaltungen
fortbestehen ohne eine scheinbare Attraction zur Folge zu haben? Zeigen nicht die
fortdauernden Selbsterhaltungen nach aufgehobenem. Zusammen, daß Selbsterhaltung
sogar ohne alles Zusammen bestehen kann? Dies meine 2te Frage. — 3) Die
Metaphys. giebt § 342 die Lehre von der Repräsentation der Qualitäten durch ihre
Gegensätze gegen andre und liefert hier das Erklärungsprinzip der actio in distans.
Da steht nun S. 453: a' trifft in den von b nicht durchdrungenen Theilen von a
den Gegensatz von b gegen a an. Dagegen mache ich Einwürfe. Die Ontologie
lehrt mit aller Schärfe: der Gegensatz liegt nicht in den Wesen, sondern xivisehen
ihnen; die Qualität leidet nicht das Mindeste bei der Selbsterhaltung. Selbsterhal-
tungen sind blos Affirmationen der eigenen Qualität gegen die Negation in den
andern. || Daher kann a' in a nur die Qualität von a und nicht das mindeste von b
finden. Nur den Unterschied kann man einräumen, daß a' in dem a, wenn es nicht
mit b zusammen, nur die absolut gesetzte Qualität von a findet, dagegen, wenn es
von b theilweise durchdrungen, außer jener noch dieselbe in Beziehung auf 6, also
relativ, gesetzte Qualität von a zu finden ist. Allerdings muß nun diese relative
Setzung von a, als eine solche, die gerade auf b, nicht aber auf c, d etc. sich be-
zieht, etwas Eigenthümliches haben (das Quäle der Selbsterhaltung). Soll dies den
„Gegensatz" bedeuten, so wäre hierüber nichts weiter zu sagen. Aber nun kommt
doch noch immer ein seltsames Verhältniß hinzu, nämlich : dann wird die Qualität
eines Realen (a') durch das Quäle einer Selbsterhaltung (von a gegen b) gestört.
Wird da nicht diese letztere Selbsterhaltung wie ein Reales behandelt? Nach
diesen Fragen muß ich Ihnen doch mittheilen, daß ich versucht habe, da durch Ihre
kleine, blos für den Privatgebrauch bestimmte Schrift einmal die Psychologie der
Ontologie näher gebracht war, auch über den ontologischen Grund der Fortdauer
der Selbsterhaltungen eine bestimmte Rechenschaft zu geben, und zwar so. Wer
behauptet oder meint, daß mit dem aufgehobenen Zusammen auch die Selbsterhaltung
aufgehoben sey, der hat als Obersatz im Hintergrunde: cesssante causa cessat ,
effectus. Dieser Satz bat aber nur für diejenige Art von Causalität Geltung, wo ;
von einem Thun und Leiden die Rede seyn kann, also ein gehemmter Zustand statt I
findet, in welchem das Gehemmte auch eine Befreiung von der aufgelegten Last j
März 1836. log
erwartet, um in seinen ursprünglichen natürlichen Zustand zurückzukehren. Da nun
aber Selbsterhaltung keine Hemmung kein Leiden ist, sondern vielmehr eine Affir-
mation der eigenen Qualität nur in bestimmter Beziehung zu einer andern, so findet
jener Satz hier keine Anwendung, ja es müßte sogar, wenn er gälte, wie es mir
scheint, Negation der eignen Qualität in gewisser Beziehung die Folge seyn, was
absurd ist.
Was Tittmann und seine Schrift betrifft, so ist er selbst ein sehr gescheidter
und elastisch gebildeter, mit den Richtungen der Zeit größtentheils unzufriedenei ,
beim Ministerium aber, mit dem er es verdorben zu haben scheint, nicht eben ein-
flußreicher Mann. Er sollte es sein, denn er hat weit mehr Einsicht in den Geist
und das "Wesen der Wissenschaft und des Unterrichts als die meisten von denen,
welche jetzt bei uns diesen Angelegenheiten vorstehen. Er ist ein freidenkender
Mann, ohne Vorurtheile der Zeit. Sein Vorurtheil möchte ich seine übertriebene
Liebe für Griechenthum nennen. Er eifert gegen die materiellen Tendenzen dieser
Zeit und ist daher leider auch der Mathematik nicht hold, die er zu wenig kennt.
Nur die Hegeische Philosophie bekämpft er in seinem Buche und will — ganz seiner
Denkweise gemäß — die philosophischen Studien wieder weit mehr auf Plato und
Aristoteles zurückgelenkt wissen, jedoch nicht um da stehen zu bleiben, sondern nur
um aus den Verirrungen und Verwirrungen der Gegenwart heraus zu kommen; in
dieser Hinsicht empfiehlt |1 er auch das Zurückgehen auf Xant. Der Receus. der
Jen. L. Z. (Scheidler?) hat ihm schon vorgeworfen, daß er die Identitätslehre so
ohne weiteres für die Philos. unserer Zeit nimmt und Sie, Fries, Hermes, Rein-
hold u. a. unberiicksichtigt läßt. Seine Äußerungen über die Hegeische Philos.
sind durchaus in unserem Sinne, und wenn der Mann auch keinen persönlichen
Einfluß ausübt, so wird es doch seinem Buche an Wirkung nicht fehlen. Mancher
von denen, die von Philosophie, "Wissenschaft und Gelehrsamkeit und deren gegen-
wärtigen Stande etwas wissen sollten aber nicht wissen, wird T's Büchlein vor-
nehmen, um sich ein wenig zu orientiren, und ich denke wir können dies sehr wohl
zufrieden seyn. Ich theile ganz Ihre Befürchtungen, daß wir in philos. Beziehung
dem Zustande Frankreichs und Englands entgegen gehen, und fühle lebhaft, was
jetzt die Pflicht eines jeden ist, der mit der Speculation nicht ein bloßes Spiel treibt.
Ich begreife, daß wir ein Interesse mit der classischen Philologie haben und werde
daher stets und entschieden im gelehrten Unterrichtswesen auf der Seite derer
stehen, die das Utilitätsprincip dem Zwecke formaler Bildung unterordnen. Mögen
aber nun die, welche diese Zwecke verfolgen, darauf bedacht seyn, alte Sterilitätin
und Pedanterien über Bord zu werfen, damit sie das Geistvolle, Gediegene groß-
artig Bildende wollen. Der Mathematik muß meines Erachtens in dieser Zeit eine
Vermittlungsrolle zufallen, wie ich dies auch in Dresden in einem Toaste an der
Tafel eines Geh. Käthes in Gegenwart von zwei Ministern geäußert habe. Sie ist
einer der wichtigsten Hebel der materiellen Interessen, aber Archimed sagt bei
Schiller: willst Du Früchte von ihr etc. Ihr wahres Reich ist daher keineswegs
von dieser "Welt, sondern ihre Heiraath ist dieselbe wie die der Philosophie der
Poesie, der Kunst. Seyen Sie versichert, ich werde es zur Aufgabe meines Lebens
machen, den philosophischen Sinn so weit aufrecht zu erhalten, als meine schwachen
Kräfte reichen, "^'äre nur meine physische Kraft jederzeit ausdauernder, daß ich
vom Katheder herab donnern könnte, ohne an mich denken zu müssen!
Wenn Cand. Waitx zu uns kommt, so ist dies ein böses Omen, denn dann
fürchten Sie wahrscheinlich zum Sommer nicht lesen zu können. — Wir haben
jetzt doch mehrere junge Leute hier, die Ihre Philosophie kennen lernen wollen
und deshalb hergekommen sind. In kleineren Kreisen fehlt es auch nicht an
13'
jg5 März 1836.
geistigem Leben. Neulich waren einige Leipziger Studenten nach Halle ge-
wandert und hatten bei Hinrichs hospitirt, der miserables Zeug von sich gegeben
hat. Sie waren mit Ihren hallischen Freunden darüber in Disput gerathen : Diese
haben gesagt: ihr Leipziger seid Herbartianer , ihr glaubt an keinen Gott! Da hat
einer der unsern das Lehrb. zur Einl. aus der Tasche gezogen und die einschlagende
Hauptstelle vorgelesen, was denn auch mit großer Aufmerksamkeit, und Ver-
wunderung von den Gegnern augehört worden ist. In Halle werden auch fortwährend
Exemplare von Hartensteins Programm verlangt. — So scheint denn auch meine
kl. Schrift „Beiträge etc.*' || nicht ohne Wirkung zu seyn. Neulich traf ich in
einer hiesigen Gesellschaft einen refoimirten Prediger, den sie zu einem ausführ-
lichen Studium Ihres Systems bewogen hat, auch ist der Buchhändler mit dem Ab-
satz zufrieden imd will lieber philosophische als mathematische Bücher drucken.
Auch was Sie über philosophische Vacanzen sagen ist höchst treffend. Wenn
man zu Mühlenbruch,^) der zu Wächters Nachfolger, wie Sie längst wissen werden,
engagirt ist, 2500 Thl. festen Gehalt braucht, so ist freilich für philosophische Prof-
fessuren kein Geld da. Dazu denkt man: Krug leiert ja noch immer fort, (der
stumpfe bedauernsweithe, jetzt auf Einem Auge blinde Mann, dessen geistige Kurz-
sichtigkeit und einseitige Erblindung schon ein altes Datum hat, hat, weil er im
Winter geschwiegen, für den Sommer 2 Curse zur Entschädigung angekündigt), d.
Dr. lattirt [V], Hartenstein sti-ebt mit Glück, jüngere Leute versuchen ihr Heil ä tout
prii , d. h. gratis , oder auch nach einem bekannten academischen Witz-, fru-
stra-, ob Clodius todt oder lebendig ist für die Philosophie gleich — also was fehlt
uns noch? Aber Verehrtester, ich bitte Sie alles Ernstes, machen Sie nur Voi-schläge,
■wen man vorkommendenfalls mit gutem Gewissen denominiren kann. Ritter hat
schon einmal abgelehnt, Remhold wie man sagt auch. Brandis ist wohl viel zu sehr
an Preußen gekettet etc. etc. Trendelenburg hat gute historische Kenntniß und
paßte wegen seiner philologischen Bildung nach Leipzig, aber Bonitz — der Verf.
der philos, Preisschrift — spricht von T's verkapptem HegeHanismus, der indeß viel-
leicht gerade nur soweit reicht, als es für einen Berliner Professor unumgänglich
nötbig zu seyn scheint. Es ist mein wahrer Ernst: zwei Professuren könnten in
kurzem vacant seyn, geben Sie Ihren Rath!
Möge Ihre Arzenei heilsam wirken. Bei mir scheint es ein rheumatischer Zu-
stand des Schlundes und Magens zu seyn. Es hat sich etwas gebessert, vielleicht
thun die Ferien das Beste.
Die ehrerbietigsten Grüße an Ihre Frau Gemahlin von mir und meiner Frau.
Ihrer innigst ergebener Drobisch.
549. Hartenstein an H.*) Leipzig 3. März 1836.
Hochverehrter Herr Hofi'ath! Nachdem ich die Beantwortung Ihrer beiden
zuletzt erhaltenen Briefe, von welchen der erste das Ihrer gefälligen Beurtheilung
vorgelegte Fragment, der zweite Ihre neueste Druckschrift begleitete, ungebührlich
lange Zeit verzögert habe, muß ich freilich um so mehr auf Ihre gütige Verzeihung
Anspruch machen, je mehr die Pflicht der Dankbarkeit mir zu eilen gebot. Viel-
leicht entschuldigt mich in Ihren Augen der Umstand, daß ich anhaltend und un-
ausgesetzt mit meinem Buche beschäftigt bin, wenigstens zum TheUe. Vor allem
andern erlaube ich mir, Ihnen meine herzliche Freude über die Wiederherstellung
^) Chr. Fr. Mühlenbruch (1785 — 1843), Rechtsgelehrter, der aber dem Rufe
nach Leipzig nicht Folge leistete. S. Allg. D. Biogr.
*) 3V2 S. 4». H. Wien.
März 1836. ig7
Ihrer Gesundlieit auszusprechen, welche ich, wenn auch nicht in Folge Ihres letzten
Briefes an mich doch in Folge dessen, was H. Pr. Drobisch vor einigen Tagen mir
mitzutheilen die Güte gehabt hat, zuversichtlich voraussetzen zu können hoffe.
In Ihrer Schrift über die Freiheit, die ich erst einmal habe lesen können, tritt
allerdings der Gegensatz zwischen dem, was Ethik ist und was man so zu nennen
beliebt hat, auf eine Weise hervor, daß er sich stärker wohl kaum dürfte hervor-
heben lassen. Und wenn es noch nicht fühlbar geworden wäre, welche Verwirrung
das unglückliche Wort: Freiheit, nicht blos in den Staaten, sondern auch in den
Köpfen der Philosophen angerichtet hat, dem mußte es hier fühlbar werden. Freilich
ist zu wünschen daß die deutlichen Winke, welche Ihre Schrift enthält, den Leser
zum Studium Ihrer praktischen Philosophie führen oder ihn wenigstens veranlassen
mögen, einen an sich theoretischen Begriff nicht zum letzten Entscheidungsgrunde
über praktische Untersuchungen zu machen. Ihr Urtheil, daß unter den Spinozisten
Schleiermacher der Gescheuteste und der Gefährlichste sey, ist schon seit Langem
das meinige gewesen. Er insinuirt einem unbewachten Denken seine Ethik mit einer
dialektischen Gewandtheit, die nach Umständen bald groß, bald klein, bald kühn,
bald verzagt au thun vortrefflich versteht und allerlei Interessen ins Spiel setzt,
die das Sittliche bald verschlingen, bald von ihm verschlungen werden. Seine .,in
allen identische Vernunft" sclimeichelt dem Leser zu sehr, als daß er nicht eine
Sittenlehre für wahr halten sollte, welche die ganz von selbst vor sich gehende
„Entwicklung aller Vernunft zum Bewußtseyn und alles Bewußtseyns zur Vernunft"
zu einer Aufgabe macht, von welcher jeder, weil er nun gerade auch mit da ist, sein
Theil lost. W^enn Sie übrigens seiner Ethik, die jetzt nach semen Vorlesungen heraus-
gekommen ist, eine kurze Aufmerksamkeit schenken wollen so werden Sie im
Emzelnen auf Dinge stoßen, welche das, was Sie aus seiner Abhandlung über den
Güterbegriff anführen, noch wird übertreffen. Nun habe ich zwar die Absicht, seine
sämmtlichen zur Ethik gehörigen Schriften einer Kritik zu unterwerfen; ob dieß
aber sogleich, in Form eines blosen Anhanges zur Metaphysik geschehen wird, ist
mir mehr als zweifelhaft. Theils ist es mir äußerer Verhältnisse wegen sehr
wünschenswerth, daß mein Buch bald erscheine, theils möchte ich ihm nicht eine
allzugroße Ausdehnung geben, da es ohnedieß schon nahe an 30 engbedruckte
. Bogen umfassen wird. Und abgesehen von diesen und andern subjektiven Gründen
mußte die Polemik, wie ich sie auszuführen wünschte auf die Geschichte der prak-
tischen Philosophie seit Kant im allgemeinen eingehen und dazu würde die streng
bei der Sache selbst bleibende Art der Entwicklung, in welcher ich die Metaphysik
behandeln zu müssen glaubte, nicht wohl passen. Ich behielt mir also diese Arbeit,
die ich als einen ehrenvollen Auftrag von Ihnen an mich betrachte und die mir
nicht blos im Kopfe, sondern auch am Herzen liegt, für die nächste Folgezeit vor;
von welcher ich freilich wünschen muß. daß sie mich äußeren Verhältnissen ent-
gegenführe, die für zusammenhängende Studien geeigneter sind, als dieß bisher der
Fall gewesen ist. ||
In der Hoffnung, Ihre gütige Aufmerksamkeit noch einen Augenblick in An-
spruch nehmen zu dürfen erlaube ich mir, Ihnen noch eine Frage vorzulegen, für
welche ich, obgleich ich die Frage nach verschiedenen Seiten hin gewendet habe,
noch keine recht entschiedene Antwort habe finden können. Die Frage ist: ob die
allgemeine Metaphysik imd zwar die Ontologie einen Beweiß für die Fortdauer der
Selbsterhaltung, auch wenn das Zusammen aufhört, geben kann? Die wie mir
scheint sehr vorsichtig ausgedrückte Stelle in den Bauptp. S. 44 ausgenommen finde
ich sie in Ihren Schriften, so viel ich mich besinne imd abgesehen von dem was für
sie aus dem Begriffe des Ich folgt, nicht allgemein behandelt. Die Möglichkeit des
ig8 März 1836.
Zweifels liegt aber für mich in der ganzen Art, wie der Begriff der Selbsterhaltung
deducirt wird. ,,In der Reihe unseres Denkens ist der Begriff des Zusammen die
Bedingung unserer Annahme der Selbsterhaltung" (Metaph. II. S. 197). Wie soll
nun, könnte man wenigstens fragen, das Bedingte nach Aufhebung der Bedingung
noch bestehen können? — Was Strümpell (Erläut. S. 108—110) sagt, genügt
schwerlich; seltsam genug legt er da, wo es sich darum handelt, zu beweisen, daß
die Selbsterhaltung nach Aufhebung des Zusammen fortdauern könne, ein Gewicht
darauf, daß wir sagen können: „AVenn A und B sich selbst erhalten, dann müssen
sie zusatmnen seyn; aber nicht umgekehrt daß, wenn sie zusammen sind, sie sich
dann auch müssen selbsterhalten." Denn, ist der erste Satz allgemein gültig, so mag
der zweite immerhin richtig seyn, der letztere trifft nicht den Fragepunct, den der
erste schon verneinend beantwortet hat. — Die beiden Gründe: die Realen geben
und nehmen einander nichts, können folglich auch, wenn das Zusammen aufhört,
nichts verlieren und das wirkliche Geschehen ist zeitlos, in die Zeit fällt der Wechsel
des Zusammen und Nichtzusammen (oder auch: sie in ihn) aber nicht das wirkliche
Geschehen, — machen die Sache immer nur möglich; und die Selbsterhaltung hängt
doch immer ab von der versuchten Störung, diese vom Zusammen; das wirkliche
Geschehen ist kein unbedingtes und die Realen begehren nicht, wie die endlichen
Dinge des Spinoza, in ihrem Seyn zu beharren. —
Ich würde Ihnen sehr dankbar seyn, wenn Sie mir hierüber eine kurze Be-
merkung zukommen lassen wollten; denn, wären die Zweifelsgründe gültig, so würden
ihnen auch die Folgerungen unterligen, welche für die Dauer der Selbsterhaltungen
aus dem Begriffe des Ich abgeleitet werden könnten. || Und da ich Ihnen einmal
beschwerlich geworden bin, so erwähne ich noch eine Art Corollarium, was mir bei
der Construction der Materie aufgefallen ist und mich wenigstens bis jetzt in Ver-
legenheit bringen würde, wenn es ein Fremder als Einwurf ausspräche. Mit dem
unvollkommenen Zusammen ist Selbsterhaltung in allen fingirten Theilen, aber in
einem geringeren Grade gesetzt. Daher die Attraction. Geschieht der letzteren
Genüge, so muß der Grad der Selbsterhaltung wachsen. Der Grund der Attraction
ist das wirkliche Geschehen; also ist ein niederer Grad der Selbsterhaltung der
Grund eines eintretenden höheren. Diese Consequenz überrascht, weil es fast den
Anschein hat, als vermöge das wirkliche Geschehen sich, wenn auch nur dem Grade
nach, über sich selbst hinauszutreiben.
Mich der Fortdauer Ihres Wohlwollens angelegentlichst empfehlend verharre ich
mit imverbrüchlicher Hochachtung Ew. Wohlgeboren ergebenster Hartenstein.
550. An Drobisch.i) G- ^ März 36
Es mag Ihnen wohl scheinen, mein theurer Freund, daß ich Ihren
und Hartensteins Brief zu eilig, und darum nicht mit gehöriger Sorgfalt
beantworte. Aber Eile ist nöthig, denn wir leben nicht auf einer einsamen
Insel, wo wir uns bloß für unser Vergnügen mit wissenschaftlicher Unter-
haltimg die Zeit vertreiben dürften. Jede Dunkelheit, auf die Sie, wenn
auch nur augenblicklich, stoßen, raubt Ihnen Zeit, die Sie anderwärts
brauchen; darum muß ich Sie an Dinge erinnern, die Sie wohl wissen oder
sehr bald Selbst finden würden. Sie schrieben: i.) Giebt es ein Vorstellen
(nicht ein Empfinden oder Wollen), das ohne gleichzeitige entsprechende
leibliche Zustände vor sich ginge? — Bey dem Fragezeichen werden wir
es lassen müssen. • Aber wahrscheinlich giebt es im irdischen Leben keine
') 4 S, 4"-
März 1836. iQQ
Solche Vorstellungen: die außerordentlich große Verschiedenheit der
Talente und Individualitäten erklärt sich am leichtesten aus der Ver-
schiedenheit des Widerstandes, wodurch der Leib die psychische Thätig-
keit, zwar nicht übernimmt, aber hindert, beschneidet, theilweise verzögert
oder in die Länge zieht und über ihr natürliches Maaß verlängert. Es
kann kaum anders seyn, wegen der einmal vorhandenen Einkörperung.
Nun aber zu Ihrer zweyten Nummer! Bereiten Sie nur nicht dem
Euklidischen Axiom ein Schicksal, das Sie nicht wollen. Den Satz: jedes
Zusammen entgegengesetzter realer Wesen führt zur Selbsterhaltung, haben
Sie ja Selbst zur Umkehrung ungeschickt gefunden; warum denn stellen
Sie beyde zusammen, als ginge dort die Umkehrung besser von Statten
als hier? — Sie sagen Selbst: die Selbsterhaltungen dauern fort, auch
nach aufgehobenem Zusammen. Lassen Sie es doch dabey! Was irrt Sie
denn? — Soll ich einmal rathen? Soviel ich aus Ihren Worten errathen
kann, haben Sie wirklich für einen Augenblick die scheinbare Attraction
als eine reale Folge der Selbsterhallunoen angesehn. Eben gestern ver-
anlaßt mich Hartenstein, ihn zu erinnern, daß die Incongruenz des äußern
Zustandes gegen den innern [| der Grund der Attraction ist. Das können
Sie ja am besten erläutern. Zeichnen Sie doch ein paar Kreise; so
/a (i) b) (nur ein wenig deutlicher als ich hier mit meiner ungeübten
Hand zeichne.)^) Demonstriren Sie: Die beyden Kreise sollen gleiche
Radien haben; sie sollen Kugeln vorstellen; diese Kugeln sind in der
Fiction entstanden, als hätten im unvollkommenen Zusammen ein paar
reale Wesen sich so weit, als der Buchstabe i andeutet, durchdrungen.
Von dieser Raumbestwirming ausgeheiid, kommt etwas Ungereimtes heraus,
nämlich als ob nur im Räume i die Selbsterhaltung statt fände: Da
aber in Wahrheit der Theil i von a und von b, keine Verschiedenheit
des innern Zustandes von dem Ganzen annehmen kann, so ist Selbst-
erhaltung wirklich ohne solchen Unterschied vorhanden.*) Man construire
also die räumliche Fiction dergestalt, daß dieselbe der Wahrheit gemäß
werde. So muß sich i in a, und auch dasselbe i in b verwandeln. Das
heißt, weil i = a und auch i^b werden soll, so fallen a und b zu-
sammen. Was ist mm der Grund der scheinbaren Attraction? Die noth-
wendige Correctur einer falschen Zeichnung oder Raumbestimmung. Daß
sie falsch ist, liegt daran, daß sich die Selbsterhaltungen nicht ihr gemäß
*) Bemerken Sie wohl, daß dieses auch dann noch unverändert bleibt und gilt,
wenn vermöge der Anhäufung die scheinbare Repulsion eintrit. Da läßt sich die
räumliche Construction nicht genau den innern Zuständen gemäß einrichten. In allen
wirklichen Moleculen der Materie ist nur die fehlerhafte Abweichung, die Incongruenz
des äußern Zustandes zum innern, auf ein minimum reducirt. Damit hängt die ewige
Beweghchkeit der Materie durch Wärme und Kälte zusammen. In Ihrem Briefe steht
die Frage: warum kann nicht das unvoUk. Zus. mit seinen entsprechenden Selbsterhal-
tungen fortbestehen ohne Attraction? Darauf antworte ich: nicht die Selbsterhaltungen
sind Schuld (Kräfte), sondern die falsche Construction kann nicht bestehen. Aus ihr
ioll der innere Zustand folgen; darauf muß sie selbst sich nach Möglichkeit einrichten,
damit das geschehn könne. [Randbemerkung von Herbart.]
^) In der Urschrift Herbarts befinden sich 2 gleichgroße Kreise, einer umschließt
a, der andere b. Beide durchschneiden sich so, daß i beiden Kreisen' angehört: (i).
200 ^lärz 1836.
einrichten, sondern anders ausfallen als aus ihr folgte. Daß nun aber
die Selbsterhaltungen wachsen , geschieht (wie ich gestern schon an
Hartenstein schrieb) nicht, weil die Bewegung der Kugeln durch Attraction
entstand, sondern weil überhaupt Bewegung, gleichviel aus welchem Grunde,
entstanden war. Der Grad der Selbsterhaltungen kann der Lage ge-
horchen, und gehorcht wirklich; aber ungehorsam ist das wirkl. Geschehen
der fingirien Theilung. Attraction ist für die Metaphysik ein leeres Wort,
das wir bloß der empirischen Physik zu Gefallen — und weil unsre ganze
Sprache auf empirischem Boden gewachsen ist, beybehalten. Unsre
corrigirte Construction sagt nur voraus, was wir beobachten werden; wie
jede Rechnung oder Construction im Gebiete der Mechanik eine solche
Voraussagung ist.
Was Sie drittens wegen der actio in distans bemerken, möchte im
Grunde j| wohl mit meiner eigenen Meinung zusammentreffen. Das wird
durch Folgendes deutlicher werden: Gesetzt, von b gelten zwey zufällige
Ansichten, die eine: a -\- ß -\- y^ die andere x -[- y -|- z. Von a gelte
m -j- n — )'. Gesetzt ferner, von irgend einem P gelte R -j- S — y.
Kommt a mit b in unvollkommenes Zusammen: so erhält sich b als
a -\- 'ß -\- y. Koramt ferner a' mit a unvollkommen zusammen, so ist in
der Stelle, worin sich a' befindet, soweit als das unvollkommene Zusammen
des a' und a reicht, ein wirkliches Geschehen, welches einem Zusammen
des a und b entspricht; in ihm liegt die Relation des a zu b so voll-
ständig, als es der Grad des Zusammen erlaubt. Man kann also (um
das Mindeste zu sagen) nicht behaupten, hier sey ein bloßes Zusammen
von a und a', sondern man muß nach der Folge, welche b haben könne
für a', wenigstens fragen. Dagegen : wenn statt a' nun das obige P in
jene Stelle träte: dann gilt, was Sie sagen: hier ist nicht das mindeste
von b; daher wird die Selbsterhaltung des b nach x -|- y -|- z, und die
des P nach R -)- S — y, welche aus einem Zusammen des b und P hätten
folgen müssen, gänzlich ausbleiben; eine solche kann nicht durch a ver-
mittelt werden, weil sie nicht auf der Relation zwischen a und b beruht.
— Endlich aber: wer soll jene nothwendige iv-c^^ beantworten? Die Er-
fahrung beantwortet sie durch die sonst völlig ungereimte actio in distans,
die sonst selbst im empirschen Gebiete eine arge Anomalie bilden würde,
weil ohne allen Vergleich die Mehrzahl der Erfahrungen gegen diese actio
distans spricht, indem sie die Wirksamkeit der Dinge an das räumliche
Zusammen bindet, — und, wie Sie wohl wissen: weil selbst die actio
in distans an die Größe der Distanz gebunden ist. |[
Die vierte Frage, wegen der Fortdauer der Selbsterhaltungen, haben
Sie mit mir einstimmig beantwortet; wie Ihnen mein Brief an Hartenstein
ausführlicher zeijgen kann.
Für Ihre Nachrichten bin ich Ihnen sehr verbunden; nur die Kürze
der Zeit hindert mich,, weiter darauf einzugehn; nur das Nöthigste noch!
Auf Rathschläge für Leipzig würde ich nicht eingehn können, selbst wenn
Ihr Ministerium mir die Ehre der Frage erwiese. Meine Antwort wäre :
wo Drobisch und Hartenstein lesen, da ist kein Dritter nöthig. Harten-
stein hat mich durch seinen letzten Brief noch mehr gewonnen, als zuvor.
Möge er nur schreiben ! Was er über Sch[leiermacher] sagt, zeigt lebhaftes Gefühl
April 183O. 201
von dem was der prakt. Philos. noth thul; und fast möchte ich wünschen,
er hätte Hterarisch da angefangen; denn von da aus hätte er das un-
mittelbarste Bedürfniß des Zeitalters schneller getroffen. Jetzt darf er die
Feder nicht weglegen so lange seine Kraft aushält. Sie aber, mein theurer
Freund I — möchten Sie doch lieber die nächsten Ferien zum Schreiben
benutzen als an Denominationen denken! Brandis hängt an Schl[eierraacher]n.
Das ist, glaube ich, genug gesagt! Hätte Bobrik etwas Klügeres gethan.,
als für Damen schreiben! Hätte Strümpell seine Zeit besser gebraucht!
Hätte nicht Taute in Königsberg, und so Mancher Andre dort, sich ein-
schüchtern lassen! Wie mancher wird seine Schwäche zu spät bereuen.
In Hoffnung baldiger besserer Nachricht von Ihrer Gesundheit
unverändert der Ihrige! H.
15. Marx bis 13. Apr.: H. schreibt die „Analytische Beleuchtung des Naturrechts''.
S. Br. V. 8. Juni 36.
551. Hartenstein an Herbart.') Leipzig d. 4. April 1836
Hochverehrter Herr Hofrath! 'Indem ich Ihren letzten Brief vom 7. März zu
beantworten erst jetzt mir die Ehre gebe, mögen Sie, wenn anders die Verzögerimg
meines Dankes dadurch entschuldigt werden kann, darin den Beweiß finden, daß
Ihre gütigen Mittheilungen über die Ihnen vorgelegien Fragepuncte ganz geeignet
gewesen sind, mich im Wesentlichen aufzuklären. Namentlich gilt dieß in Be-
ziehung auf das Wachsen der SelbsterhaUung bei Gelegenheit der Attraction, indem
die Erinnerung, daß jede andre durch Nichts veranlaßte Bewegung denselben Erfolg
haben würde, mir als Antwort auf meine Zweifel sogleich einleuchtete.
Nicht ganz dasselbe kann ich in Beziehung auf die Fortdauer der Selbst-
erhaltuug nach aufgehobenem Zusammen sagen. Das ontologische Dunkel hat sich
wenigstens meiner Speculation noch nicht ganz zerstreut. Da Sie die Aufrichtigkeit
gegen sich selbst in diesen Dingen zur ersten Pflicht machen, so erlaube ich mir
dai-über noch ein paar Worte zu schreiben. Nicht die Sache selbst ist mir zweifel-
haft: dazu spricht das Problem des Ich und das Daseyn organischer Wesen zu
deutlich; sondern nur die ontologische Formel für ihre Bezeichnung. Sie bemerken
dariiber: „Das Wiesen B gibt für A den Be.stimmungsgrund, welcherlei Selbst-
erhaltung in A eintreten müsse; aber der ganxe Realgrund liegt in A und bleibt in
ihm." Das erstere ist unwidersprechlich ; an dem zweiten muß ich wenigstens dem
Ausdruck nach Anstoß nehmen. Läge der gnnxe Realgrund einer Selbsterhaltung
(= a") in A, so müßte in der absoluten Setzung von A auch die Selbsterhaltung a
enthalten seyn. Dem ist nun nicht so ; A erhält sich nicht, wenn es nicht zusammen
ist mit B. Nun gebe ich zwar sehr gern zu und hatte diesen Punct auch schon in
meiner Ausarbeitung hervorgehoben, daß A nichts von B auf- oder annehmen, daß es
also auch Nichts verlieren kann, wenn B sich räumlich entfernte; aber gerade deshalb
giebt es auf die Frage: was denn in A geschehe, wenn es zusammen ist mit B?
keine Antwort als: das Sichselbsterhalten geschieht und zwar |j in .«solcher oder
anderer Weise, je nach dem Gegensatze der Qualitäten. Der ganze Realgrund dieses
Sichselbsterhaltens scheint mir noch immer das Zusammen der Realen von entgegen-
gesetzter Qualität, nicht aber das Reale A für sich zu seyn; nicht nur das Was
und W^ie, sondern auch das Daß der Selbsterhaltung gebunden zu seyn an die
Voraussetzung des Zusammen. Den Satz: cessante causa, cessat effectus, so wie
1) 2 ^. 4». H. Wien.
202 April 1836.
der Gedanke au eine restitutio in integrum gebe icli übrigens sehr gern auf; dem
ohnerachtet liegt mir der Fragepuuct noch so, daß man ihn in der Ontologie für
die er ohnedieß kaum unmittelbare Bedeutung hat, dahingestellt lassen seyn müsse,
bis andre Thatsachen der Erfahrung eine bejahende Antwort nothwendig machen.
In dieser Weise habe ich dabei- auch diesen Gegenstand in meiner Schrift darstellen
zu müssen geglaubt. Ihre gütige Anfrage, zu welcher Zeit die letztere erscheinen
werde, glaube ich dahin beantworten zu können, daß ich mir gegen das Ende des
Monats Mai das Vergnügen werde machen können, sie Ihnen zu überreichen. Der
vor 8 Tagen eingetretene Todesfall des Prof. Clodius macht mir die Beschleunigung
ihres Erscheinens in höchstem Grade wünschenswerth, weil es sehr schmerzlich für
mich sejn würde, wenn eine Verzögerung in diesem Puncte den etwanigen Vor-
theilen, welche aus dieser Erledigung einer ordentlichen Professur für mich resul-
tiren könnten, als ein Hinderniß in den Weg träte. Dürfte ich voraussetzen, daß
Ihre Meinung von mir günstig genug wäre, um Sie mir eine, auf einer sicheren
Basis ruhende, äußere Existenz wünschen zu lassen, so würde ich sogar die Bitte
wagen, durch ein empfehlendes Wort meine academische Stellung Ihrerseits wohl-
wollend zu begünstigen.
Vor ein Paar Tagen ist auch Cand. Waitz aus Gotha hier gewesen; er hat
mir aufgetragen, Ihnen seine hochachtungsvoUsten Empfehlungen zu überbringen;
diesen die meinigen hinzufügend verharre ich mit immer gleicher Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
552. Drobisch an H.^) Leipzig d. 5. April 36.
Hochverehrter Freund und Gönner! Auf eine tiefere Erörterung Ihrer gütigen
Mittheilungen über einige Puncte der Metaphysik und Naturphilosophie werde ich
heute wol nicht eingehen können, da ich es versäumt habe sogleich darauf zu ant-
worten. Die metaphysische Gedankenmasse ist mir schon wieder etwas in den
Hintergrund getreten, und es würde mich für den Augenblick nicht fördern, sie
wieder hervorzurufen. Nur dies, daß Ihre Beantwortungen mir sehr werthvoll, ob-
gleich zum Theil, was namentlich die Erörterungen des Grundes der scheinbaren
Attraction betrifft, überraschend waren. Sie erfordern für mich noch ein wieder-
holtes ruhiges Nachdenken, das ich, da diese Gegenstände auf das, was ich jetzt
thue und treibe, keinen Einfluß haben, für die Zukunft aufspare. Jetzt will ich
Ihnen nur kurz auseinandersetzen, daß ich nicht etwa aus bloßer Liebhaberei für
akademische Politik mich um Denominationen bekümmere, sondern theils weil ich
amtlich verbunden bin es zu thun, theils, weil dies, wie Sie gleich erfahren sollen,
der erste und nächste Dienst ist, den ich der Philosophie erweisen kann. Vom
ersten Mai an führe ich nämlich auf ein Jahr das Dekanat, und da es bei uns ver-
fassungsmäßig ist, für jede erledigte Professur dem Ministerium drei Gelehrte zu
denominiren, so werde ich, da vor einigen Tagen Clodius mit dem Tode abgegangen
ist, und jene Denomination vier Wochen nachher erfolgt, den Bericht darüber zu
fertigen haben. Unterdessen ist nun aber auch unser Cultusminister D. Müller,
bei dem ich in Gunst und Ansehen stand, mit Tode abgegangen. Die Besorgnisse
hierüber haben sich indeß zerstreut, da provisorisch wenigstens Hr. v. Lindenau dies
Ministerium übernommen hat. Ich besitze sein Vertrauen, wie ich glaube, auch in
philosophischer Beziehung. Vor ein paar Wochen schickte er mir einen jungen
Mann aus Neuyork, einen angehenden Diplomaten, zu, um ihm einen kurzen Begriff
vom gegenwärtigen Stande der deutschen Philosophie zu geben. Daß ich diese Ge-
') 3 S. 4». H. Wien.
April 1836. 203
legenheit benutzte, Ihre Schriften nach Amerika zu spediren, können Sie denken.
Der junge Mann heißt "Ward. AVie er sagte, interessirten sich in seiner Bekannt-
schaft 5 Personen lebhaft für deutsche Philosophie und hatten Studien darüber an-
gefangen. H. Ward ist der Sohn des reichsten Banquiers in Neuyork und ein aus-
gezeichneter Mathematiker. || "Wie ein Unglücksprophet haben Sie über das mögliche
Schicksal philosophischer Professuren gesprochen. Nur Ihrer Verschwiegenheit sey
es um der ewigen Schande willen vertraut, daß in der ersten Yei-samnilung der
philosophischen Facultät nach Clodius's Tode von zwei Mitgliedern dieser Faeultät
<Ier Vorschlag ausging, eine der beiden Professuren der Philosophie einzuziehen, um
— die Naturgeschichte in diese Stellung rücken zu lassen. "Wahrlich es chai-acteri-
sirt unsere Zeit nichts besser, als daß die Naturgeschichte Miene macht, die prak-
tische Philosophie zu verdrängen! Daß ich mich aus allen Kräften diesem Vor-
schlag widersetzte, bedarf bei Ihnen wol keiner Versicherung; auch traten alle
andern mit Entschiedenheit bei ; aber es that mir tief weh und war mir ein nieder-
schlagendes Zeichen der Zeit, in der wir leben, einen Mann, der der Philosophie
einen guten Theil seiner Bildung und seines Ruhms verdankt, sie so mit Füßen
treten zu sehen. In derselben Versammlung mußte ich auch noch erleben, daß ein
anderer, einen jüngeren Professor der Staatswissenschafteu bei der Denomination
zur Professur der praktischen Philosophie einschwärzen zu helfen mich bereden
wollte. So steht es mit dem Ansehen der Philosophie hier bei den Lehrern, die
sich nach ihr nennen. Gottlob, daß es mit den Hörern sich noch etwas
besser verhält! "Wie müssen aber die Philosophen gewirkt haben, die ihi-er
"V\'issenschaft einen solchen Nachruf hinterlassen! Muß man unter solchen Verhält-
nissen nicht anfangen zu meinen, unsere Bestimmung könne jetzt nur seyn, echte
Philosophie in der Stille fortzubilden. Für eine bessere Zeit, auf ein Eingreifen
von Erfolg auf die jetzige aber zu verzichten. Lebte doch ein Brutus als die
Republik unterging, und ein Tacitus als die Sitten verfielen. Fürchten Sie indeß
nicht, daß Betrachtungen wie diese meinen Muth gänzlich lähmen. Seyen Sie viel-
mehr versichert, daß ich mich beeifre, die schönen "Worte von mir sagen zu düiien,
die Sie im Jahi-e 1822 niederschrieben: „Man kann das Zeitalter nicht wählen, in
dem man leben und wirken möchte; ich gebrauche meine Tage nach Gelegenheit
und Kraft; wie Andre das benutzen werden, was ich darbiete, das fällt ihrem
■^'illen 1! und ihrer Verantwortung anheim I" Ich halte es für bedenklich der Jugend
allzudeutlich merken zu lassen, daß man mit der Zeit und ihren Bestrebungen zer-
fallen ist. Sie läßt sich ungern zurückven\-eisen auf eine bessere Zeit. Will man
sie zur Opposition gegen die Gegenwart antreiben, so muß man sie auffordern
können, eine noch unbetretene Richtung einzuschlagen. Und hierauf beruht meine
Hoffnung noch hinsichtlich der möglichen Erfolge Ihrer Philosophie.
Unterdessen hat uns hier auch der Cand. Waitz besucht, eine kräftige Natur
allerdings, aber ich glaube, man muß ihn bewachen, daß er nicht durch theologische
Bilderstürm erei unsere Sache in Mißcredit bringt. Er scheint auf eine handfeste
Polemik auszugehen und sich an einigen theologischen Notabilitäten reiben zu wollen.
Ich kann seinen Unternehmungen vor allem nur Reife wünschen. Pauca sed
matura !
Hartenstein ist von den Mitgliedern seiner philosophischen Gesellschaft am
Schluß des Semesters aus Dankbarkeit mit einem Ringe beschenkt worden. Die
Gesellschaft Theologiestudirender aus der Lausitz hat ihn zum Präses ihrer psycho-
logischen Übungen erwählt. Beides Auszeichnungen, die beweisen, daß er Verti-auen
besitzt. Und so wird ihm denn hoffentlich eine festere und günstigere Stellung
nicht entgehen! Damit Sie doch wissen, daß ich nicht müßig bin, wenn ich langsam
204 -^P'^il 1836.
vorwärts zu rücken scheine, muß ich Ihnen noch schreiben, daß ich auch gegen-
wärtig d. Procancellariat d. philos. Facultät (die Leitung der Magisterprüfungen) und das
Secretariat der Jablonowski'schen Gesellschaft der Wissenschaften (beide Functionen
auf ein Jahr) bekleide, was abzulehnen nicht in meiner Macht stand. Diese Woche
bin ich vom Ministerium beauftragt, nach Grimma zu kommen, um bei der Fest-
stellung der neuen Einrichtungen in Beziehung auf den mathematischen Unterricht
mitzuwirken. — Auf diese Weise verfließeu die Ferien nicht so ruhig und stetig,
wie ich für die philos. Arbeiten es wünschte. Meine Gesundheit ist aber jetzt
ziemlich gut. Ich wünsche dasselbe von Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin zu hören,
der ich mich ergebenst empfehle.
Mit innigster Verehrung der Ihrige Drobisch.
553. Verlags-Vertrag zwischen Herbart u. Dieterich. ^)
Zwischen Herrn Hofrath Herbart Hochwohlgeb. und der Dieterich'schen Buch-
handlung ist nachstehender Verlags-Contract geschlossen worden.
§ 1. Der Herr Hofrath Herbart giebt der Dieterich'schen Buchhandlung sein
Manuscript „Analytische Beleuchtung des Naturrechts und der Moral" in Verlag.
§ 2. Der Herr Hofrath Herbart erhält für den in 8" gedruckten Bogen Einen
Louisd'or Gold als Honorar, gleich nach vollendeten Druck.
§ 3. Der Herr Verfaßer erhält 20 Freiexemplare und zwar 12 Exempl. auf
besseres und 8 Exempl. auf gewöhnlichen Druckpapier.
§ 4. Die Dieterich'sche Buchhandlung ist zu einer Auflage von 750 Exemplaren
berechtigt und verpflichtet sich zu gutem Druck und Papier.
Bei einer neuen Auflage treten neue Contract-Bedingungen ein, der vorliegende
ist zu gegenseitiger Sicherung von beiden Theilen unterschrieben.
Göttingen d. 15 April 1836
gez. Herbart. Dieterich'sche Buchhandlg. gez. Schlemmer.
554. Dissen an H.-) Sonnabend.
Es ist freilich schon einige Wochen her, mein verehrter Gönner, daß ich in
Ihrer Nähe auf dem Garten bin, aber das Elend wandert mit mir und die Ver-
zehrung meiner Kräfte nimmt sehr zu und das schrecklichste von allem die Ver-
zehrung der Hautkraft; es ist abscheulich, so umgehen zu müssen als habe man
keine Haut. Bisher habe ich sie noch ausgehalten aber ich werde das Feld räumen
müssen allernächstens und mich wieder nach Hause begeben; fast bin ich so weit,
daß ich' nicht mehr in der Natur existiren kann. Daher konnte ich Sie nicht ein-
laden, auch ist es immer heißer bei mir als bei Ihnen, aber meine treue Verehrung
bleibt dieselbe. — Damit ich auch von Ihrem Geiste einigen Gewinn ziehe, möchte
ich Sie um eine Stelle in Piatons Theaetet fragen, die ich in dem beifolgenden
Exemplare bezeichnet habe p. 282. Piaton || will die Fälle angeben wo bei Vor-
stellung und Wahrnehmung Verwechslimg und Irrtum unmöglich und möglich sei.
Er fäng-t an (auf der vorigen Seite) von den Fällen wo bloßes Vorstellen oder
Nichtvorstellen stattfindet, und bloßes Wahrnehmen und Nichtwahrnehmen. Dann
folgen die 2 angestrichenen Stellen, die ich zu vergleichen bitte. Er combinirt
nämlich nun Vorstellen und Wahrnehmen und jenachdem die Abdrücke und Wahr-
nehmungen genau sind oder nicht, ist Irrtlium unmöglich oder möglich. Wie ich
meine, sollten nun jedesmal 4 Fälle sein:
') Durch Herrn' Th. Weicher in Leipzig, den derzeitigen Inhaber des Diete-
richschen Verlags, in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt.
") 4 S. 8°. H. Wien.
1836. 205
Wissen imd AVahmehnien — Wissen und Wahrnehmen,
Wissen und Wahrnehmen — Wissen,
Wissen und Wahrnehmen — Wahrnehmen,
Wissen — Wahrnehmen.
Man kann die drei letzten Reihen freilich auch noch formulieren || wie Piaton
oben auf der Seite im Anfange der ganzen Stelle zweimahl thut, weil [es] aber doch
nicht darauf ankommt, läßt er dies mit Gnind hier weg. Allein die Frage ist nur
für mich die, wanmi von den vier Fällen, welche seyn sollten, überall nur drei da
sind, denn in der ersten der angestrichenen Stellen läßt er den letxten Fall weg
(Wissen — Wahrnehmen), in der zweiten aber welche dieselben Fälle wiederholt
nur, ist dieser Fall da und liegt in den Worten: i] wv fir] oi§6v, ala&ävizai St,
welches aus dem vorhergehenden vollständig so supplirt werden muß: tj tv oh oiSav
oirj&r,vai aird triQ 'ärza sivai wv fiij oiSav — aia&ävtTai 8i, SO daß wir haben
iv Ol? otdtv ala^avsTai 8i, Wissen — Wahrnehmen. Dieser Fall ist oft hier da.
hingegen fehlt nun der Fall : Wissen und Wahrnehmen, welcher in der ereten Stelle
stand. Es ist mir nun noch nicht ganz klar, |1 warum diese Fälle an den jedes-
raahligen Stellen weggeblieben sind, und ich bitte Sie daher gelegentlich in diesen
Tagen sich die Sache einige Augenblicke anzusehn, und mir zu sagen, ob dieselben
wirklich als durchaus nicht stattfindend ausfallen mußten, was Piaton ohne Zweifel
gedacht hat. oder ob sich Piaton irrte. Schleienuacher in der Übersetzung hat das
Verhältniß dieser Stellen nicht näher erwogen wie man aus dem Stillschweigen in
den Noten sieht; doch steht etwas hieher bezügliches in den Noten in der an-
gemerkten Stelle, die ich auch beischicke. Nehmen Sie mir meine Bitte nicht übel ;
in einer mäßigen halben Viertelstunde werden Sie alles leicht erwogen haben.
Mit innigster Ergebenheit der Ihrige Bissen.
555. An Dissen.i) [^^^ ^^^"'"•^
Das wußte ich wohl, mein theurer Freund, daß Sie mich nicht ganz
vergessen hatten; es war mir nicht bloß richtig bestellt, sondern auch
ohnedas rechnete ich auf Ihre mir seit so vielen Jahren erhaltene gütige
Gesinnung. Doch habe ich mich gefreut, daß Sie auch jetzt noch bey
so vielem Leiden, einen Augenblick gefunden haben, es mir schriftlich zu
bezeugen. Könnte man nur etwas finden, um Ihnen einige Erheiterung
zu schaffen! Aber das rauhe Frühjahr hat gewiß auch auf Sie gewirkt.
Gar Viele haben gelitten; ein Vetter von mir, der vor ein paar Wochen
hier als Student ankam, hütet das Zimmer fast so lange als er hier ist.
Indessen bald muß es warm werden. Und einige Gunst der Jahreszeit
wird hoffentlich auch noch zu Ihnen dringen. Dann mache ich mir Hoff-
nung, Sie — wenn auch nur mit Hülfe des trefflichen Hugo Grotius —
auf ein paar Tage zu zerstreuen; es ist nämlich eine analytische Beleuch-
tung des Naturrechts und der Moral von mir, unter der Presse; eine
Arbeit der letzten Ferien für meine Zuhörer der prakt[ischen] Philosophie.
Ein volles Auditorium ist zu solcher Arbeit ein willkommener Antrieb. —
Behalten Sie Geduld in Ihrem Leiden! Das ist mein herzlicher Wunsch
für jetzt; — und bessere Hoffnungen wollen wir noch nicht ganz auf-
sehen! Von Herzen Der Ihrige Herbart.
H. Wien. Bei Zimmermann S. 61. Dort auch ein Faksimile des
Briefes.
2o6 Mai 1836.
556. Drobisch an H.^) Leipzig d. 20. Mai 1836.
Hier, mein innig verehrter Herr und Freund, folgt mein Lehrbuch der Logik.*)
Ob Sie darin einen kleinen Beitrag zur Förderung echter Philosophie oder eine sehr
unzeitige Beschäftigung sehen werden, an deren Stelle eine tiefer eingreifende hätte
treten sollen, muß ich erwarten; jeder Tadel über das Ganze wie das Einzelne wird
mir Belehrung gewähren. Beiträge zur mathematischen Psychologie in akademischen
Programmen die ich am Ende des Jahre§ zu einem kleinen Volum zu sammeln und
in etwa 150 Exemplaren in den Buchhandel zu geben gedenke, werden nächstens
(im Jixli) beginnen, ^) Hartenstein's Metaphysik ist fertig und wird folglich nächstens
in Ihren Händen seyn. Er selbst reist heute nach Dresden um sich den hoch-
mögenden Herren vorzustellen. Diese haben, wie man hier sagt, daran gedacht, Sie
zu gewinnen. Das wäj'e für Leipzig und für Ihre Freunde ganz vortrefflich. Aber
nach dem, was Sie in Weimar äußeiten, habe ich wenig Hoffnung zu Ihrer Ein-
willigung. Nebenbei trieben sich noch ganz andre Gerüchte hier herum von viel
weniger erfreulicher Art. Ich habe daher heute, mit Uebersendung meines Buchs
an Hr. v. Lindenau, an diesen einen sehr ausführlichen und freimüthigen Brief
geschrieben, worin ich ihm das Schicksal der Philosophie ans Herz gelegt habe.
Die Vorlesungen sind wieder eröffnet. Meine Logik ist stärker besetzt als
jemals; weniger Glück habe ich mit der Encyklopädie gehabt. Hartenstein liest auf
Verlangen über praktische Philosophie vor einem Viertelhundert tüchtiger Leute.
Noch also geht alles hier im Ganzen gut.
Auch muß der Bilderhändler ßocco aus Göttingen das Herrschen der Her-
bart'schen Philosophie hier präsumiren, denn er hat öffenthch bekannt gemacht, daß'
Ihr Bildniß bei ihm zu haben ist.
Die besten Wünsche für Ihr und Ihrer Frau Gemahlin Wohlseyn! Mit meiner
Gesundheit geht es leidhch, eine Bruonencur ist mir aber nothwendig.
Von Herzen der Ihrige Drobisch.
557. Hartenstein an H.*) Leipzig den 27. Mai 1836
Endlich, hochzuverehrender Herr Hofrath, ist es mir möglich, Ihnen ein
Exemplar meiner Metaphysik vorzulegen. Wie wenig es mir geziemt, sie als ein
geistiges Eigenthum für mich in Anspruch zu nehmen, davon bin ich selbst so sehr
überzeugt, daß ich nichts mehr wünsche, als daß Sie in der Existenz dieses Buches
einen Ausdruck meiner dankbaren Gesinnung für die Anregung und Belehrung er-
kennen mögen, die ich Ihnen verdanke. Möchte es fähig seyn, etwas für die Sache
der ruhigen Forschung zu wirken und in fähigen Köpfen die Fundamente wissen-
schafthcher Überzeugung zu befestigen!
Vor allem bitte ich Sie um Ihr Urtheil über die Beschaffenheit des Buches.
Vielleicht halten Sie es für der Mühe werth, darüber ein öffentliches Wort zu sagen
und ihm seine Stellung nach Verdienst anzuweisen. Ich würde nicht so unbescheiden
seyn, Ihnen diese Bitte als solche vorzulegen, wenn es mir nicht wünschenswerth
seyn müßte, daß die öffentliche Aufmerksamkeit durch öffentliche ürtheile gerade
auf dieses Buch gelenkt werde, da das Urtheil über dasselbe allerdings einigen Ein-
fluß haben wird auf die Gestaltung meiner persönlichen Lage. Unser Ministerium
scheint nicht sehr geneigt" zu seyn, mir jetzt schon eine der erledigten Professuren
') 1 S. 4". H. Wien.
^) Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen. (Mehr-
fach neu aufgelegt.) •
^) Quaestionum mathematico-psychologicarum Speeimen I.— V.
*) 2 S. 4». H. Wien.
Juni 1836. 207
der Philosophie anzuvertrauen, hauptsächlich, weil ich noch nicht ein paar Lustra
docirt habe; man will einen Philosophen aus der Fremde. Ritter, Fichte oder
sonst wen; || und nur wenn die Bemühungen in dieser Beziehung fehlschlügen,
könnte ich hoffen, eine äußerlich gesicherte Stellung zu erlangen. In jedem Falle
wird auch dann viel von dem Urtheile des Publicums über mein Buch abhängen;
und da zur Zeit noch von den meisten Seiten Mißverständnisse, "Widerspruch und
Tadel zu fürchten ist, so werden Sie den "Wunsch, von Ihnen noch auf einem andern
Wege, als dem der Privatmittheilung ein gerechtes ürtheil zu vernehmen, wenigstens
verzeihlich finden, selbst wenn Sie abgeneigt seyn sollten, mir ihn zu gewähren!
Es würde unbescheiden von mir seyn, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit in
diesem Augenblicke noch länger in Anspruch nehmen wollte, daher schließe ich mit
der Bitte um die Fortdauer Ihrer Wohlgewogenheit und den erneuerten Versiche-
rungen meiner innigsten Verehrung und verharre
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
558. Sieffert an H.') Königsberg, den 1. Juni 1836
Hochverehrter Herr Professor! Vielleicht haben Sie schon öfter mich im Stillen
einer undankbaren Vergeßlichkeit geziehen, da ich Sie seit Ihrer Entfernung von
Königsberg noch mit keinem Worte von hier begmßt habe, und auf die Erlaubniß
dies zu thun, wohl im Voraus mit Sicherheit rechnen konnte. Indessen müßte ich
gegen jenen Vorwurf nach gutem Rechte und mit voller Wahrheit protestiren, und
könnte nur insofern eine Verschuldung eingestehn, als ich vielleicht verpflichtet
gewesen wäre, auch ohne an sich bedeutende Gegenstände der brieflichen Mit-
theilung zu haben, nur die Fortdauer meiner dankbaren Ergebenheit gegen Sie,
ausdiücklich auszusprechen. Aber vor inhaltsleeren Briefen habe ich mich immer
gescheut, Mittheilungen über die allgemeinen Akademischen Verhältniße und Zu-
stände erhalten Sie gewiß in genügendem Umfange durch Friedr. Taute, und meine
theologischen Studien liegen ihrem überwiegend positiveren oder historischen Ele-
menten nach, von den Sie bewegenden Interessen wohl weiter ab, als daß ich Ihre
Aufmerksamkeit für Jene irgendwie in Anspruch nehmen dürfte. Nun aber haben
sich so nöthigende Veranlassungen ziun Schreiben gehäuft, daß ich mich denselben
nicht mit gutem Gewissen entziehen könnte, wenn ich auch überhaupt daran denken
könnte, es nur zu wollen. Durch Ihre Güte ist mir unter Vermittlung des Herrn
D. Taute ein als Handschrift gedruckter Bogen zum Geschenk geworden, in welchem
Sie die psychologischen Hauptbegi-iffe unter die allgemeinen metaphysischen unter-
zuordnen beabsichtigt haben ; bald darauf kamen bei den hiesigen Buchhändlern Lire
Briefe an Griepenkerl über die Willensfreiheit an, und indem ich mich anschicke,
nach gehöriger Kenntnißnahme von diesen neuesten Gaben, mit denen Sie das
philosophische Publikum beschenkt haben. Ihnen meinen Dank abzustatten, kommt
auch der 4te Juni heran, mit dem Sie diesmal, wenn ich nicht irre, wieder ein
neues Decennium in Ihrem Lebensalter anfangen. Solche Zeiten können den ent-
fernter Lebenden der gern eine herzliche Gratulation darbrächte wohl manchmal in
Verlegenheit sehen, ob er nur Glück wünschen solle, weil es an demselben vielleicht
gebricht, oder ob er auch in Wahrheit seine Freundesbezeugung über das vor-
handene Glück darbringen dürfe. Hier aber dünkt mich, kann diese Verlegenheit
nicht Statt fmden. Ihre hiesigen Freunde haben wohl manchmal mit ßetrübniß
davon gehört, daß Sie zuweilen durch Kränklichkeit daran gehindert worden sind,
so ununterbrochen als Sie selbst es wünschen, sich Ihrem Berufe widmen zu köimeu;
^) 4 S. 40. H. Wien. — Sieffert, ein Schüler Herbarts, Prof. d. Theol. in
Königsberg.
208 Juni 1836.
wer aber aus jenen neuesten Erzeugnissen Ihrer Mußestunden die lebendige Frische
und Tätigkeit Ihres Geistes ersehen hat, in der so Mancher auch in den alier-
kräftigsten Mannesjahren sich durch Sie beschämt sehn muß, der muß sich wohl
gedrungen fühlen, Ihnen von ganzem Herzen und mit wahrer Freude zu dieser so
glücklich erreichten Lebensstufe zu gratuliren. und ich bitte Sie, auch meinen Glück-
wunsch in diesem Sinne freundlich aufzunehmen. Was aber jene literarischen
Novitäten betrifft, deren ich vorhin erwähnte, so kann ich zwar über die Briefe an
Oriepenkerl mir noch kein vollständiges Urtheil bilden, weil die geringe Anzahl der
hierher gekommenen Exemplare es veranlaßte, daß noch ehe ich mit dem Lesen bis
zur Hälfte gekommen war, mir schon meine Freunde, namentlich Taute und Sanio
das noch ungebundene Buch wegholten, um schnell davon Kenntniß zu nehmen,
indessen glaube ich mir doch soviel schon daraus abgenommen zu haben, daß es
Ihnen vornämlich darauf angekommen ist, den LTnterschied zwischen allem Spino-
zistischen und demselben ähnlichen Determinismus (der doch auch, nur in anderer
Manier, in unserer neuesten After-Philosophie spukt) einerseits, und derjenigen
Polemik gegen transcendentale Freiheit, die zuletzt auf der Nichtigkeit alles ab-
soluten Werdens beruht, andrerseit, kräftig hervorzuheben und jenen mit allen
seinen Consequenzen in seiner Blöße zu zeigen, — ein Endzweck, den zu verfolgen
hei dem gegenwärtigen Zustande unserer Philosophie || und Theologie gewiß ver-
dienstlich ist. Ich hege nur, soweit ich jetzt vor Lesung des Ganzen darüber ur-
theilen kann, die Besorgniß, daß die gewählte Briefform, die durch ihre Un-
gezwungenheit und Beweglichkeit die längere Betrachtung der verhandelten Gegen-
stände leicht und angenehm zu machen geeignet ist, dem philosophischen Publicum
zum Anstoß werden und das bereitwillige Eingehen in die dargebotenen Gedanken -
reihen eher hindern als fördern wird, weil man weit und breit verstrickt in den
Zauber, welchen der scheinbar streng zusammenhängende Schematismus in den
neueren philosophischen Systemen auf Alle, denen die eigne Energie des Denkens
abgeht, ausgeübt hat, schon von vorneherein gar nicht glaubt, gerade und fest
gehen zu können, als wenn man in recht massiven eisernen Schienen einhergeht, die
wo möglich im Dreischlage gehämmert sind. Ich fürchte daher, daß diejenigen,
welche erst gewonnen werden sollen, weil sie noch draußen stehn sich darüber
beklagen werden, in dem dargebotenen sich nicht zurecht finden zu können, und
die Systematik zu vermissen, deren karikirtes Idol sie anbeten. Aber fieilich wird
auch überhaupt kaum auf die ganz draußen Stehenden zu rechnen sein; Gewinn
genug, wenn Einige, die sich aus eigenem Triebe in den Gang jener Untersuchungen
soweit hineinbegeben haben, daß sie sich selbst haben Fragen vorlegen müssen, auf
welche Ihre Briefe Antworten lehren, hierdurch Kunde erhalten, durch die es ihnen
wenigstens erleichtert wird, in einem Gebiet, in welchem sie nicht mehr ganz
fremd sind, sich weitre Aufklärung zu verschaffen. — Das andre Schriftchen
scheint zwar bestimmte Fragen und Bedenken vorauszusetzen, denen Sie Befriedi-
gung haben gewähren wollen, scheint mir aber auch ohne nähere Kenntniß von
jenen, ganz verständlich und annehmbar für alle diejenigen zu sein, die in Ihrer
Metaphysik und Psychologie zu Hause sind. Ich für meine Person habe zwar die
dort gegebenen Anweisungen zur gehörigen Subsumtion der psychologischen Begriffe
des Vorstellens, der Vorstellungen und verschiedenen Verhältnisse gleichzeitig vor-
handener Maße und Reihen von Vorstellungen unter die metaphysischen Begriffe
des Geschehens und der damit zusammenhängenden Zustände, der Störungen und
Selbsterhaltungen und deren mannigfache Verkettung in den einfachen Wesen || über-
haupt nicht gerade Vermißt, vielmehr in Ihren bisherigen Schriften Andeutungen
genug gefunden, die mich auf ähnliche Gedankenreihen geführt haben, als ich nun
Juni 1836. 209
in Ihrem gütigst mitgetheilten Schriftchen vorfinde; aber in jedem Falle gebührt
es sich gewiß, daß das implicite in der Consequenz des Systems Enthaltene auch
explicite und ausdrücklich ausgesprochen werde, theils um der Sache selbst willen,
theils um dererwillen, welche daran gehen, sich in das Sj'stem zu vertiefen; und
hienach kann Ihnen auch für diese Gabe der Dank Ihrer Schüler nicht entzogen
werden. Vielleicht wird Taute schon über einige Bedenklichkeiten, die uns geraein-
sam aufgestoßen waren, Ihnen unsre Bemerkungen mitgetlieilt haben, namentlich
über die Zusammenfaßung der Störung, dui-ch welche die Selbsterhaltung bedingt
ist, mit der Störung in dem gerade vorhandenen Zustande einzelner Vorstellungen,
unter einen allgemeinen Begriff, wie es scheint, sowie über die wenigstens theilweise
Uebertragung des Begriffs des Absoluten auf das Geschehen (im Gegensatz mit dem
relativen) indessen könnte für den Einsichtigen freilich nur ein Wortstreit daraus
entstehen, dem durch möglichst scharfe Bestimmung und Unterscheidung des wirk-
lich Verschiedenen begegnet werden könnte.
Nehmen Sie also nochmahls meinen herzlichsten und ergebensten Dank für
Ihre neuen Mittheilungen entgegen, und schelten Sie nicht zu sehr wenn in dem
vorhergehenden Gerede sich Manches finden sollte, was Ihnen zeigt, daß ich mit
diesen Dingen nicht eigentlich ex professo beschäftigt bin, wenn mir auch niemahls
das lebhafte Interesse für jene Untersuchungen entschwinden wird, welche mehr
wie irgend etwas sonst, meinem Denken ein bleibendes Gepräge aufgedrückt haben.
Ich setze noch die Bitte hinzu, auch Ihrer Frau Gemahlin mich angelegentlichst zu
empfehlen. Unter Ihren theologischen Collegen nimmt vielleicht Lücke ^) einen freund-
lichen Antheil an mir; bei vorkommender Gelegenheit bitte ich ergebenst, ihm
meine Hochachtung zu erkennen zu geben. Leben Sie wohl und behalten Sie in
freundlichem Andenken
Ihren mit .steter Verehrung Ihnen ergebeneu Sieffert.
559. An Drobisch. -)
Mein theurer Freund! Von Ihrer Logik und Hartensteins Meta-
physik, für die ich Ihnen beyden herzlich danke ! liegen die Anzeigen
von meiner Hand schon bey Heeren, und werden wohl nächstens beyde
gedruckt erscheinen. ^) Sie müssen aber von mir nicht viel erwarten. Mein
Kopf ist sehr angegriffen, denn ich habe mich zerarbeitet. Für meine
praktische Philosophie war ein zweytes Hülfsbuch neben dem alten höchst
nöthig; unter dem Titel: analytische Beleuchtung des Naturrechts und
der INIoral habe ich es mit solcher Anstrengung, am I5ten März an-
gefangen, daß am 15 April schon mit dem Verleger der Druck konnte
verabredet werden; beynahe die Hälfte ist jetzt schon gedruckt; und im
August etwa wird es vielleicht schon in Ihren Händen seyn. — Hat Ihr
Brief nach Dresden geholfen? Ein paar Zeilen von Hartenstein lauten
nicht erwünscht. Er wird sich durcharbeiten müssen. Ihr Ministerium
kann viel verderben; um den jüngeren Fichte scheint man sich beynahe
zu reißen; ich weiß noch einen Ort wo man ihn gewünscht hat.
Von Fries hatte ich kürzlich einen persönlichen Besuch. Darauf
würde ich großen Werth legen, wenn Fries mich dazu berechtigt hätte. —
Aber obgleich wir freundlich mit einander waren, ich zweifle doch, ob er
^) Fr. Lücke (1791—1855).
*) I S. 4". — Ohne Datum. Poststempel: 8. 6.
ä) S. Bd. XIII. S. 28q ff.
Herbarts Werke. XVIII. H
2IO Juni 1836.
begreift, wieviel er noch jetzt helfen könnte, wenn er sich auch nur
einigermaaßen in der Sache eines Bessern besonne. Jedenfalls bitte ich
jetzt um sorgfältigste Verhütung aller unnöthigen Reizung; daß Sie ihn in
Ihrer Logik vielfach benutzt haben, ist in meiner Anzeige ausdrücklich
gesagt. Von Berlin erfahre ich schon lange nichts; in Königsberg scheint
man gutes Muths zu seyn. Entschuldigen Sie die Eile dieser Zeilen!
Ganz der Ihrige H.
560. Fries an Drobisch über H/) Jena den 14 Juny 1836.
Euer Wohlgeboren freundliche Gabe hat mich recht sehr erfreut und noch
mehr die anerkennende Weise, mit der Sie mir sie reichen. Ich wünsche mir wohl,
Sie persönlich kennen zu lernen und mich einmal über unsre Wissenschaften mit
Ihnen zu unterhalten. In der Philosophie aber sind wir wohl seit Ihrer verhängniß-
vollen Anzeige von Herbai'ts Psychologie geschiedene Leute ! So fest ich überzeugt
bin, daß Herbart mich nicht bekehren wird, so wenig meine ich auch, daß ich Ihre
Meinung ändern werde. Spinoza's alter Spruch: scio me veram intelligere philo-
sophiam spricht wol die Meinung eines jeden Philosophen von sich selbst aus. Ich
bin seit mehr als dreißig Jahren Schriftsteller, ich habe nach und nach in meinen
Schriften manchen mathematischen Fehler gefunden, aber noch nie hat mir jemand
einen philosophischen Fehler in ihnen gezeigt. || Ich denke, so wird es Ihnen auch
gehen. Dies führt nun das schlimme Princip mit sich: wer nicht für mich ist, der
ist wider mich. So erkenne ich in Ihrer neuen Schrift vollkommen wieder den
Scharfsinn an, den Sie stets gezeigt haben, aber in der Sache selbst komme ich mit
Ihnen nicht aus der Stelle. Sie haben sich einmal von Herbart fangen lassen, und
wiewol Sie ihm jetzt in einer Hauptsache beym hypothetischen Urtheil widersprechen,
bleibt mir dariun doch Ihre ganze Fassung der Aufgabe der Logik zu eng und für
die tiefern philosophischen Interessen ungenügend; Ihre Bestimmung von Begriff
und Urtheil finde ich in der Grundlage falsch und den wahren Interessen der Wissen-
schaft entgegen, indem Sie sie meiner Ansicht nach fälschlich, von der Erkenntnis-
lehre losgerissen haben. Bey alle dem, was Sie gegen mich sagen, scheint mir, als
ob Sie mich nicht verstanden hätten.
So schlecht stehe ich also mit Ihnen und noch schlechter mit Herbart. Den-
noch gebe ich Ihnen im übrigen Inhalt Ihres Briefes sehr recht. Ich habe mich
abgesehen von der Methode der Beziehungen an Herbarts allgemeiner || praktischer
Philosophie sehr gefreut und habe es ihm längst gesagt, daß ich keinen Vernichtungs-
krieg mit ihm wolle, sondern einen Streit zur Aussöhnung, während ich dem phan-
tastischen Schelling und dem hölzernen Hegel auf Leben und Tod entgegen stehe.
Auch darin sympathisire ich ganz mit Ihnen, daß ich von Philosophen, die keine
Mathematik verstehn, nie etwas gescheutes erwarte.
Rebus sie stantibus verlangen Sie nicht, daß ich mich öffentlich mit Ihnen
streiten solle — kämen wir aber mündlich zusammen, so möchte ich wohl zusehen,
wie weit wir es mit einander brächten. Bringt dazu nicht vielleicht dieser Herbst
eine Gelegenheit? Doch mag dies früher oder später glücken immer bleibe ich mit
aufrichtiger Hochachtung Ihr ergebenster J. F. Fries.
*) 3 S. 4". Dieser Brief liegt unter den Briefen Herbarts an Drobisch auf
der Leipziger Universitätsbibliothek.
Juni 1836. 211
561. Drobisch an H.^) Leipzig d. 15. Juni 36.
Ihr werther Brief, verehrtester Herr und Freund, brachte mir nicht nur
Freuden, sondern auch Beruhigung: denn ich fürchtete, Sie wären bedenklich krank.
"Wie vortrefflich, daß Sie nur an einer Productionskrankheit gelitten haben ; mögen
Sie Muße ziu- Erholung finden! — Fries's Besuch war mir überraschend und ich
legte auf die Erscheinung dieses denn doch immer höchst achtbaren Mannes bei
Ihnen viel Gewicht. Es schien mir ein Schritt zur Annäherung wenigstens in Bezug
auf gewisse Tendenzen im Großen, wenn auch nicht im Einzelnen. Sie warnten,
F. vielleicht irgendwie zu reizen. Dies war bei mir nicht nöthig. Ich ergriff mit
Fi'euden die Gelegenheit, für solche Annäherung etwas mitwirken zu können, schrieb
einen, wie ich glaube, artigen Brief, in dem ich mehr darauf aufmerksam zu machen
suchte, was uns, dem modernen Spinozismus zumal gegenüber, gemeinsam seyn, als
was uns trennen könnte, und überschickte meine Logik. Heute bereits erhielt ich Ant-
wort : ich lege sie bei. Jetzt wissen Sie deutlich, daß Sie von Fr. nur in der prakti-
schen Philosophie auf Zustimmung zu rechnen haben, daß er aber in seinen theoi'eti-
schen Ansichten nicht ein Haarbreit nachzugeben gemeint ist, was ich mir schon
dachte. Er wül auch nicht die Arbeit von 30 Jahren zurücknehmen; er kann viel-
leicht auch nicht. Beneidenswerth ist er in seiner Ueberzeugung, daß ihm noch nie
ein philos. Fehler nachgewiesen worden sey. "Was F. will, wenn er sagt, daß ich
Ihnen beim hypothetischen ürtheil widersprochen habe, weiß ich nicht, so wenig
wie weswegen er meine Receüsion Ihrer Psychologie mit dem Prädicat ,,verhänguis-
voll'' beehrt. Im Ganzen bin ich jedoch mit dem freimüthigen, offnen Ton des
Briefes sehr wohl zufrieden. Mit Männern von so gerader Gesinnung weiß man
woran man ist. In der Sache aber bleibt es dabei: nur von der heran- und nach-
wachsenden Generation ist etwas zu erwarten. Sie haben wol die Güte mii- diesen
merkwürdigen Brief gelegentlich zurückzusenden. || Was mein Brief an Hr. v. L.
gewirkt, weiß ich noch nicht: doch scheint es, er habe gut gewirkt. Hartenstein
ist an Pfingsten in Dresden sehr freundlich empfangen worden und v. L. hat offen
die hohe Achtung ausgesprochen, die er für Sie hege, zugleich aber geäußert: er
erwarte für Ihre Philosophie weit mehr von Engländern und Franzosen als von den
Deutschen. Noch vor Absendung meines Briefs an L. und ehe Hartenstein nach
-Dresden kam, erhielt ich (wahrscheinlich im Auftrage L.'s) von einem der geheimen
Kirchenräthe die Aufforderung, im Vertrauen meine Ansicht über Ritter und Fichte
mitzutheilen. Ich habe dies mit Ausführlichkeit und Nachdruck gethan: denn bei
dieser Form und nach dieser Aufforderung konnte ich vollkommen frei sprechen.
Mein Brief ist Hr. v. L. übergeben worden. Wie ich höre ist von der Benifung
Fichtes gegenwärtig nicht mehr die Rede. — Der Tod des Königs hat, da L. jetzt
in 3 Ministerien zugleich Stellverti-eter ist, auch hierin einen Stillstand hervor-
gebracht.
Eichstädt in Jena hat mir Hartenstein's Buch zu recensiren aufgetragen. Es
kommt mir nicht recht bequem, doch muß ich es jedenfalls um der Sache willen
thun. Es wird mir aber Mühe machen.
Wir freuen uns hier schon auf Ihre nächste Schrift. Hartenstein ist höchst
erfreut, gerade über diesen Gegenstand noch etwas von Ihrer Feder sich aneignen
zu können. Denn daß Ihre praktische Philosophie eine Nuß ist, und zwar eine
sehr dichte, harte, das scheint seine innerste ueberzeugung zu seyn.
Mit inniger Verehrung Ihr ergebenster Drobisch.
') 2 S. 4». H. Wien.
14*
212 Juni 1836.
562. An Drobisch. ^) (Ohne Datum, Poststempel „Göttingen 17. 6.")
Hier mein theurer Freund, empfangen Sie die Einlage 2) zurück, mit
vielem Danke für die Mittheilung. Es ist wohl schwer, etwas wirklich
Passendes darüber zu sagen. Etwas mehr Gewalt über sich selbst schien
der Mann persönlich zu zeigen; und ich dächte, er hätte wohl Ursache
gehabt, zu überlegen was er schrieb. Wenn er dennoch sich gehen ließ,
so möchte das wohl auf ein starkes Bedürfniß schließen lassen, sich ein-
mal auszuschütten; und gerade Ihnen, weil er Ihnen zutraut, daß Sie ihn
verstehen können. Daher denn wohl auch die Erwähnung des Herbstes
am Ende. Was denken Sie zu thun? Möglich ist, daß, wenn Sie ihn
reden lassen, er am Ersten erfährt, wieviel Hoffnung er hat, etwas aus-
zurichten. Möglich ist aber auch, daß er sich bloß ereifert, ohne den
Eindruck, den er macht zu beobachten, dann redet er sich vollends vest.
Im ersten Falle wäre etwas gewonnen; im zweyten wahrscheinlich sehr
wenig verloren. Soviel schließe ich aus Ihren Aeußerungen, daß Sie jetzt
wohl nicht der Erste seyn werden, der eine neue Annäherung versucht.
— Möglich ist auch, daß er mich durch Sie wissen lassen will, ich solle
mich seines Besuchs nicht rühmen. Steht es so, dann ist Alles wohl
überlegt worden, und es paßt eins zum andern. Es ist aber nicht nöthig,
daß Sie Sich auf eine solche Auslegung einlassen. Vielleicht wird die
Lage der Sachen bald heller; besonders wenn Sie das Buch von Harten-
stein recensiren. Warum aber glauben Sie, diese Rec. könne Ihnen Mühe
machen? Diese Stelle Ihres Briefes macht mich aufmerksam; und ich
frage mich, ob meine, sehr unbefangen hingeschriebenen Anzeigen Ihrer
Logik und der Metaph. von H. wohl etwas Unpassendes enthalten
könnten? Sollten Sie das finden, so bitte ich es mir ganz offen zu
schreiben; für jetzt kann ich nicht ausfinden, daß etwas zu verhüten ge-
wesen wäre. Dann kann Ihnen aber jene Recension keine Mühe
machen. ||
Von meiner neuesten — und wahrscheinlich letzten Schrift wird es
nicht heißen: finis coronat opus. Genug, wenn Hartenstein Stoff und
Anlaß findet, bald etwas Aehnliches besser zu liefern. Geschehen mußte
etwas, das foderten schon meine Vorlesungen, zu denen die alte prakt.
Thilos, nicht Vorrath genug lieferte. Hier in G. muß man immer an
Masse und Mannigfaltigkeit denken; auch so noch hält sich das Anfangs
sehr zahlreiche Auditorium nicht gut zusammen ; obgleich ich denke,
mündlich meine Schuldigkeit gethan zu haben wie vormals. Es hält gar
schwer, Juristen und Theologen unter Einen Hut zu bringen. — Sehr
angenehm war mir, was Sie von Hm von L schrieben. Aber — steckt
auch wohl Satyre in der Aeußerung über Frankr. und England?
Von Bobrik, von Griepenkerln sogar habe ich lange Nichts. Hören
Sie etwas von Strümpelln? Wenden Sie nur bald wieder ein paar Augen-
blicke an mich !
Von Herzen der Ihrige! H.
') 2 S. 4". •
*) Den Brief von Fries, s. o. Nr. 560.
Juni 1836. 213
563. An Fr. D. Sanio in Königsberg. ') Göttingen, 26. Juni 1836.
Ihr gütiger Brief war mir sehr schätzbar als ein Zeichen Ihres An-
denkens; er war es nicht minder durch seinen Inhalt, und besonders
durch den Schluß, der mir künftige Briefe von Ihnen verspricht. Mögen
Sie nur dies Versprechen nicht vergessen! Sie werden bald Anlaß finden,
es zu erfüllen, denn meine analytische Beleuchtung des Naturrechts und
der Moral ist unter der Presse, und kann bald in Ihren Händen sein.
Dann werden Sie bemerken, wie sehr ich mit Ihnen übereinstimme in
Ihrer Behauptimg, man müsse zeigen, wie jedes Rechtsinstitut in das
Ganze des gesellschaftlichen Zustandes eingreife. Geben Sie uns nur bald
auch Proben davon! Es ist nicht einerlei, wie bald Sie es thun. Wenn
Sie das beachtet haben, was Drobisch früher schrieb, so wird Ihnen seine
jetzige Leistung in der Logik auch nicht entgehn, und noch weniger dies,
daß Er auf Hartenstein gewirkt hat, dessen Metaphysik mit nicht ge-
ringem Talent meine Arbeiten in eine bequemere Zusammenstellung bringt
und manche bedeutende Nebenbemerkung enthält, welche zeigt, daß er
den Gegnern gewachsen ist. Aber — diese Männer wundern sich, wie
ich so wenig von Königsberg aus sei unterstützt worden, und, wenn ich
nicht irre, haben sie Ursache dazu. Ein akademischer Lehrer hat noth-
wendig das Vorurtheil gegen sich, wenn an dem Orte, und von dem
Orte, wo er lange Jahre hindurch gesprochen hat, keine Spur seines Thuns
zum Vorschein kommt; und es ist nicht zu leugnen, daß Königsberg mir
stillschweigena ein schlechtes öffentliches Zeugniß ausstellt, welches doch,
wie ich aus Ihrem Briefe mit Vergnügen sehe, wenigstens Ihre Absicht
nicht gewesen ist. Was Gegenwirkungen anlangt, so sind deren an jedem
Orte zu überwinden, und wenn wir gerecht sein wollen, können wir die
preußische Regierung nicht anklagen, daß sie Schwierigkeiten in den Weg
gelegt hätte, die sich nicht recht füglich überwinden ließen. Was jetzt in
Leipzig geschieht, bedarf Unterstützung, oder es kann bald genug stocken,
und kommt es dahin, so wird es zehnfach schwerer sein, die frühere Be-
wegung zu erneuern, als es jetzt ist, sie fortdauern zu machen.
Ganz abgesehen hiervon hat das achtungswerthe gelehrte Publicum
Königberg's dringende Veranlassung, sich vor ganz Deutschland in einer
würdigen Gestalt zu zeigen. Denn was sollen Diejenigen denken, die nicht
so gut wie ich wissen, wie vielerlei sich dort neben einander mit wunder-
samer Behutsamkeit bewegen kann, ohne sich zu stoßen? Das hat man
allgemein vernommen, daß die Geburtsstadt Kant's zum Sitze der an-
stößigsten Schwärmerei-) geworden ist; man weiß überdies, daß nicht bloß
die niedere Klasse der Sitz eines tmbegreiflichen Taumels geblieben ist.
^) Bereits veröftentlicht durch Zimmermann in den Berichten der Kais. Akad. d.
Wissensch. zu Wien, phil. hist. Cl., 1871. 69 b. S. 233 ff. u. bei Zimmermann a. a. O.
S. 104 fi. — Sanio war Prof. der Rechte in Königsberg.
^) Es handelt sich um die als „Königsberger Mucker" bekannte Sekte, eine
pietistische Veibrüdertmg, an der sich u. a. der höchste Adel beteiligte. Gerüchte über
geheime, unter dem Deckmantel der Andacht begangene Ausschweifungen führten 1835
zu einem Prozeß. Vgl. P. Konschel, Der Königsberger Religionsprozeß (Muckerprozeß),
Königsb. 1909. — Die obige Stelle verdient deshalb beachtet zu werden, „weU sie
von Herbarts, den manche seiner Gegner orthodoxer Sympathien verdächtigten, imge-
heuchelter Verachtung des Muckertums Zeugnis gibt.''
214 Juli 1836.
Bei dieser Gelegenheit frage ich mich nun nicht, was aus meiner Wirk-
samkeit geworden sei, denn diese zu überschätzen — dagegen bin ich
wohl genug gewarnt; aber ich frage, was für Früchte die gelehrten An-
strengungen der Schulen seit 18 12 getragen haben, die so tief in das
ganze Publicum der Stadt und der ganzen Umgegend einzugreifen schienen?
Sollte es wohl auch darin am Ueberlegen und Darstellen der Beziehungen
gemangelt haben, die Sie sogar in der positiven Jurisprudenz vermissen?
— Wie lange wird ein gelehrtes Studium noch fortdauern, das sich um
seine Beziehungen nicht bekümmert? — Und hier frage ich mich endlich:
wo ist der Gewinn meiner Bemühungen um Pädagogik, um Lehrkunst?
Das ist der hoffnungslose Theil meiner früheren Arbeit, den man in
Leipzig nicht wieder aus dem Schutte aufgraben kann. Diese Ruinen
liegen in Königsberg.
Sie lesen hier Betrachtungen eines sechszigjährigen Mannes, der einige
Mühe hat, von seinen früheren Sorgen zu scheiden, der es aber doch nicht
bereut, solche Sorgen gehabt zu haben, die freilich von den gewöhnlichen
Lebensverhältnissen ablenken. Wer etwas wagt, muß sich gefallen lassen.
Einiges zu verlieren. Wer nichts wagt, hat es sich am Ende zuzuschreiben,
wenn ihm nichts bleibt, als die Erinnerung an ein verlebtes Leben.
Alles dies wollen wir bei Seite setzen, sobald es Ihnen gefällt. Sich
mir über die jetzigen Angelegenheiten der Rechtsphilosophie weiter mit-
zutheilen. Vermuthlich wird Hugo Grotius ^) dabei zur Sprache kommen,
den Sie in meiner neuen Schrift dem Spinoza gegenüber erblicken werden;
— nicht aber blos diesem, sondern auch dem neueren Naturrechte
gegenüber, welches eine andere Gestalt würde erlangt haben, wenn man
im guten Geiste des Grotius fortgearbeitet hätte. Mir ist bei einigen
freilich unvollständigen Vergleichungen dessen, was er selbst sagt, mit den
Relationen dessen, was Andere von ihm angaben, ein Verdacht aufgestiegen,
als hätte man nur seine prolegomena gelesen, und die dortige Anknüpfung
an einige bekannte Stellen des Cicero für seine wahre Grundlegung ge-
halten. Jedenfalls hätten Kant und Schleiermacher den Grotius lesen
sollen; von Fichte will ich nicht sprechen, dessen Talent bekanntlich nicht
das war, recht zu lesen, was Andere geschrieben hatten. Nicht Er, aber
wohl -Jene hätten von Grotius lernen können. Am lesbarsten für mich
war freilich das Capitel de poenis, worin ich fand, daß mein Capitel vom
Lohnsystem nur wiederholt, was ein Anderer und Größerer schon gesagt
hatte. Herbart.
564. Hartenstein an H.^) Leipzig d. 3. Juli 1836
Hochwohlgeborner Herr, Eochzuverehrender Herr Hofratk! Obgleich es mir
noch nicht möglieh gewesen ist, die vor einigen Tagen mir richtig zugekommenen
Aushängebogen Ihrer [neuesten Druckschrift durch wiederholtes Lesen vollkommen
zu durchdringen, so will ich doch den Dank für die ganz besondere Güte, mit
welcher Sie mir dieselben haben mittheilen wollen, nicht länger aufschieben. Den
Inhalt derselben schon jetzt benutzen zu können ist mir besonders wichtig, weil ich
gerade in diesem Semester Sittenlehre und Geschichte der practischen Philosophie
^) Die Rechtsphilosophie des Grotius hat 1850 Hartenstein dargestellt.
*) 3'/^ S, 40. H. Wien.
Juli 1836^ 215
lese; und ich würde daher, falls Ihnen selbst die Aushängebogen nicht unentbehr-
lich sind, mir die Bitte erlauben, sie behalten zu dürfen; im Gegenfalle darf ich
wohl von Ihnen auf eine kurze Notiz hoffen, um sie Ihnen dann umgehend zurück-
zusenden.
Die analytischen Betrachtungen, mit welchen sich dieses Werk beschäftigt,
scheinen mir den synthetischen Untersuchungen der allgemeinen, praktischen Philo-
sophie auf eine zweckmäßige, für die Meisten höchst nothwendige Weise ergänzend
entgegenzukommen. Das Verständiiiß muß dadurch gefördert, der Blick eben so
auf die Systeme, als auf die Verhältnisse des Lebens geschärft, beweglich gemacht
und erweitert werden. Auf Zusätze und Bemerkungen von meiner Seite haben Sie
wohl selbst nicht im Ernste ||- gerechnet und ich darf Ihrer Erlaubniß gewiß seyn,
auch dieses Buch vorläufig nur zum Gegenstande meines Studiums, nicht meiner
Kritik machen zu dürfen.
Mir selbst liegt allerdings die Ausbildung der practischen Philosophie am Herzen.
Dennoch sehe ich, daß ich, um auf diesem Gebiete etwas Ganzes und Ausgearbeitetes
zu liefern, vor allem Zeit brauche. Nebenbei auch innere Ruhe, die wiederum
größtentheils von der Gunst der Verhältnisse abhängen wird. Ich hahe daher nicht
die Absicht, unmittelbar auf die Metaphysik ein anderes Buch folgen zu lassen; es
könnte das für den Augenblick entweder nur ein abgerissenes Stück oder etwas
ganz Polemisches seyn und Polemik will ich jetzt vermeiden, jwenn auch nur des-
halb, weil für mich keine besondere Veranlaßung vorliegt und sie von meiner Seite
kein besonderes Gewicht haben würde. Hahe ich in der Vorrede zur Methaphysik
Veranlaßung zum Streite gegeben und ergreift man sie, um mich oder die Sache
zu verdächtigen, dann würde ich die Aufforderung zur Vertheidigung zu Entwick-
lungen über den Stand der Dinge benutzen ; außerdem würde es mir für die nächste
Folgezeit lieber sein, im Stillen sammeln zu können, als öffentlich zu sprechen.
Dennoch kann ich den Wunsch nicht unterdrücken, daß Sie selbst in Ihrem
Werke die kritische Analyse nicht blos bis zu Fichte gefiüu-t, sondern namentlich
auch auf Hegel und ebenfalls auch auf die Molhnina des neuesten Schellingianismus
ausgedehnt haben möchten. Der Grund liegt darin, daß unser Zeitalter sich eben durch
den Einfluß Hegels, der mit der Gleichgültigkeit gegen die Selbständigkeit der |1 Ethik
- in auffallender Wechselwirkung steht, überredet hat, über alle die Systeme, welche
Sie kritisch zeriegen, vollkommen hinaus zu seyn. Wer nicht sämtliche Philosophen
von Plato bis Fichte widerlegt, dem glaubt man heute zu Tage nicht, tiaß er etwas
Neues sage; und bei der Autorität Ihres Namens würde es gerade jetzt von der
äußersten Wichtigkeit seyn, wenn Sie gerade in den Mittelpunct derjenigen A^n-
sichten dringen wollten, welche die Meinungen des Zeitalters beherrschen. Ein
Wort von Ihnen hat mehr Gewicht, als eines von mir oder irgend einem Andern
Ihrer Anhänger; und nichts würde mich mehr freuen, als wenn ich in einem An-
hange zu Ihrem Werke eine Analyse von Hegels Rechtsphilosophie, in welcher noch
obendrein Ethik und Naturrecht wieder eins geworden sind, fände. Herr Prof. Dro-
bisch ist hierüber derselben Meinung, wie ich; ohnedieß lassen sich Stimmen ver-
nehmen, welche nicht ohne Seitenblicke vom „Ignoriren, wenn ein Höherer kommt^'
sprechen und wenn ich Ihnen mit Citaten beschwerlich fallen dürfte, so würde ich
mir eriauben, Sie auf eine Recension aufmerksam zu machen, die in dem Berliner
Jahrbb. Mai No. 81—84 über Fichte's nachgelassene Werke erschienen ist.
Für die Güte, mit welcher Sie mein Buch in den Göttinger Anzeigen einer
Erwähnung gewürdigt haben, sage ich Ihnen noch meinen besonderen und auf-
richtigen Dank. Könnten freilich die Hindernisse, die dem Abdrucke im Wege
stehen, weggeräumt werden, so ^vürde mir das sehr erwünscht seyn.
2i6 1^36^
über die Besetzung der hiesigen Vacanzen verlautet noch gar nichts. Der
doppelte Ministerwechsel und andere Umstände mögen dabei zusammenwirken. ||
Herr Professor Drobisch hat mir viele Empfehlungen au Sie aufgetragen; ich
selbst empfehle mich der Fortdauer Ihrer Wohlgewogenheit und verharre mit der
innigsten Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
565. An Drobisch. 1) 0^°^ Datum. *)
Mein theurer Freund! Heute bekomme ich einen Brief von Harten-
stein, der mir sagt, auch Sie wünschten von meiner neuen Schrift eine
Analyse des Hegeischen Naturrechts. Das kann nun zwar nicht seyn,
— aber ich vermuthe daraus, daß Sie von den an Hartenstein gesendeten
Bogen Kenntnis genommen haben. Hierum Sie zu bitten, wollte ich
nicht wagen, weil ich glaubte, Sie seyen jetzt anders beschäftigt. Haben
Sie Sich aber schon die Mühe genommen, meine Blätter zu durchlaufen,
so ist jede Bemerkung die Sie mir darüber mittheilen möchten, will-
kommen; — besonders in den nächsten 14 Tagen, denn so lange kann
es wohl dauern, daß ich Zeit behalte, am Schlüsse etwas beyzufügen.
Hartenstein hat, wenn ich nicht irre, mit einiger Zurückhaltung geschrieben,
die bey mir gar nicht nöthig war. Daß er aber der heutigen Gleich-
gültigkeit gegen die Selbständigkeit der Ethik erwähnt, ist doch eine
Erinnerung, die ich vielleicht benutzen werde, und so wird auch eine
Zeile von Ihnen mich zu einer Überlegung veranlassen können. Nur
verweisen Sie mich nicht || auf die Berliner Jahrbücher, noch auf die
Hegeley; denn diese ignorire ich wirklich, ohne mich dessen zu rühmen.
Mein Alter dispensirt mich, und für meine Person bin ich außer dem Be-
reiche dieses Unwesens. Es fällt mir nicht ein, zu herrschen; und Jeder
Andre mag meinethalben lehren was er will; nur meiner Arbeit wünsche
ich so viel Kraft zu geben, daß sie bestehen könne. Sollte daran etwas
auffallend Schwaches zu bemerken seyn, so wünsche ich das zu wissen,
weil dann vielleicht noch durch Schluß oder Anfang oder Vorrede zu
helfen wäre.
Mir geht es diesen Sommer nicht besonders gut. Meine Auditorien
halten sich nicht so gut wie sonst. Allein ich mache mir jetzt so wenig
Sorgen als möglich, denn es ist nun endlich Zeit daß ich mich erhohle.
Was ich für die Wissenschaft thun wollte und konnte, ist gethan; Andre
haben das Weitere zu verantworten. Das Alter muß der Jugend
weichen.
Nachrichten fehlen mir von allen Seiten; außer daß Rosenkranz
schon darauf gedacht hat, Königsberg zu verlassen: dies weiß ich von
einem ganz Unbefangenen. Von Berlin höre ich nichts. Von Strümpelln
nichts, seit er in Rußland ist. — Meine Anzeige von Hartensteins Metaph.
ist jetzt gedruckt; die von Ihrer Logik war zugleich mit jener abgeliefert,
und wird also wohl auch bald zum Vorschein kommen. Schenken Sie
mir bald ein Blättchen, wenn auch noch so flüchtig geschrieben.
Unverändert der Ihrige H.
') 2 S. 4".
-) Poststempel 9. 7.
Juli 1836. 217
506. Drobisch an H.') Leipzig, 17. Juli 36.
Hochverehrter, würdiger Freund! Sie erhalten hier die erste kleine un-
bedeutende Probe von den Exercitien, die ich im Laufe dieses Jahres zu Tage zu
fördern gedenke. Es werden etwa 4 Programme von 10 bis 12 Bogen werden, von
denen ich für den Buchhandel 250 Seperatibdrücke mit fortlaufender pagina ab-
ziehen lasse. "Wollen Sie, wenn sie zusammen vorliegen, ein paar Worte darüber
in den Gott. Anz. sagen, soll es mir lieh seyn; diese dürftige Kleinigkeit, die ich
Ihnen heute sende, werden Sie aber hoffentlich mit Stillschweigen übergehen. Sie
werden wieder einmal sehen, was Ihnen auch in der Logik nicht entgangen seyn
kann — von der die Anzeige mir zur Zeit so wenig als von Hartenstein's Meta-
physik zu Gesicht gekommen ist — , daß ich ein bloßer elementarer Geist bin, der
nur- allzuleicht an blos logischen Vervollkommnungen hängen bleibt, oder zum aller-
wenigsten nicht eher einen kleinen Schritt vorwärts zu gehen vermag, bis er hinter
sich nach seiner Meinung alles ins Reine gebracht hat. Da Sie mich nun aber
wieder mit psychologischen Rechnungen beschäftigt sehen, so werden Sie mir wol
erlauben, nächstens die Erörterungen über die unvollkommenen Complicationen
wieder aufzunehmen, die im nächsten Programm (Advent) an die Reihe kommen
können, wenn wir zu einem Resultate- gelangen. Für die nächsten 2 Wochen werde
ich wol noch nicht daran können, da ich eine ßrunnencur brauche und mir mög-
lichste L'nthätigkeit empfohlen ist. Ohnedies fehlt es an zersti'euenden amtlichen
Geschäften nicht, durch die mir die Zeit zerspüttert wird. Ueberdies bemerke ich
mit Schrecken, daß ich in Gefahr bin, in der Mathematik ganz zurückzubleiben und
einmal werde wieder Supplementarstudien machen müssen. Es ist doch zwischen
zwei Stühlen ein schlechter Sitz! — — Schwer ist mir nun auch Hartenstein's
Metaphysik geworden, nämlich die Anzeige davon für die Jen. Ztg. Ich glaube fast
ich habe mich im vergangenen Winter mit Metaphysik übernommen, was freilich
an meiner schwachen geistigen Yerdauungskraft und körperlichen Reizbarkeit liegen
mag. Ich sehne mich jetzt, zur Abwechslung nach einiger empirischer Breite, und
hoffe künftigen Winter in der Psychologie angemessene Nahrung zu finden. Wa.s
ich habe über Hartenstein's Buch sagen können wird diesem, seinem Verfasser und
der Sache selbst, wie ich hoffe, von Vortheil seyn. Aufs Einzelne einzugehen schien
.mir weder zw^eckmäßig noch klug. Ich wünsche Ihnen Glück dazu, daß || Ihnen
Jemand einen solchen Dienst erwiesen hat. Denn Ihrer Lehre wird dies Buch sehr
vortheilhaft seyn, der äußeren Stellung seines Yfs vielleicht auch, seinem philo-
sophischen Ruhme aber weniger. Denn unter uns gesagt, es reproducirt denn doch
mit etwas zu wenig Selbständigkeit. H. hat die Stelle Ihres Wolff übernommen,,
was Sie sich wohl gefallen lassen können. Er hätte aber seine Kenntniß der Philos.,
wenn diese so groß ist, wie ich immer gedacht habe, besser benutzen sollen, um
sich und den Werth Ihres Systems zu zeigen. Es sollen von Heidelberg aus hier
Erkundigungen über ihn eingezogen worden seyn. Erhält er einen Ruf, so ist sein
Glück hier gemacht. Dann mag ihn der Himmel vor Uebermuth behüten. Die ihn
persönlich kennen haben ein Recht, dies zu wünschen. — Was nun seine Äußerung
über Ihre Schrift betrifft, so verhält es sich damit, in der größten Ehrlichkeit ge-
sprochen, so: die Ihnen mitgetheilten Bemerkungen sind nur bei H. aus Autopsie
hervorgegangen; er hat mir sie mitgetheilt, und ich' habe es im Allgemeinen bejaht,
daß ein von Ihnen über Schelling und Hegel ausgesprochenes Urtheil von weit
größerem Gewicht seyn müßte als wenn ein Jünger Ihrer Schule dies übernähme.
Erst seit Ihrem letzten Brief habe ich mir die Bogen Ihrer Schrift Igeben lassen,
1) 2 S. 4». H. Wien.
2lS Juli 1836.
aber nur äußerst flüchtig darin geblättert. Bei näherer Ueberleguug kann ich doch
Ihre Art nur billigen. Sie ignoriren mit gleichem Rechte Schelling und Hegel wie
Sie von jenen ignorirt werden. Sie würden Sicli durch scharfe Kritik von Hegels
Naturrecht eine Menge junges, zum Theil sehr gemeines Volk auf den Hals hetzen,
mit dem sich herumzuschlagen unter Ihrer Würde wäre. *) H. und andre mögen
nun auch einmal polemisiren, ohne ihre Fechterposition unmittelbar in Ihren Fuß-
tapfen zu nehmen. Treiben Sie also H. immer zur Fortsetzung an; ich habe in
meiner Anzeige auch darauf hingedeutet, was ihm zunächst zu thun Pflicht sey.
Irre ich nicht, so hat H. etwas Vollständigeres und Bequemeres erwartet, wie auch
schon bei den Briefen über die Willensfreiheit, wo er sich auch erst meinem Ur-
theil conformirte. Schwäche hat er in keiner von beiden Schriften bemerken wollen,
sondern eher einen allzuherzhaften Ton, der Ihnen jedoch beim Abschluß Ihres
Hauptzwecks (möge es noch lange hinaus an Nebenzwecken nicht mangeln) ganz
wohl steht.
Von Strümpelln theile ich Ihnen den beiliegenden Brief mit (den Sie mir wol
gelegentlich zurücksenden). Beantwortet habe ich ihn noch nicht. Er bleibt sich
gleich. Schade, daß der jetzt nicht in Heidelberg ist! Er bleibt der beste Kopf
unter Ihren bisherigen Schülern, und wie oft man auch an seiner Gesinnung zweifel-
haft werden mag, die Philosophie ist ihm tiefer ins Fleisch gewachsen als manchem
Andern !
V. Lindenau hat das Ministerium des Cultus an v. Carlowitz übergeben, aber
mir brieflich angezeigt, daß mein Brief, in dem ich meine Ansichten über den
Stand der heutigen Philosophie und die erforderlichen Eigenschaften eines Lehrers
ders. entwickelt, von ihm seinem Nachfolger übergeben sey, „da er die darin ent-
haltenen Fingerzeige berücksichtigt wünsche". Bene speremus, bominum enim
vestigia vides.
Empfehlen Sie mich und meine Frau Ihrer verehrten Frau Gemahlin und
erhalten Sie mir Ihre überaus schätzbare Freundschaft
Drobisch.
N. S. Was Fries betrifft, so glaube ich, daß sein Brief ehrhch gemeint ist,
aber es zieht mich nicht sonderlich ihn zu sprechen. Wir werden nicht weit mit
einander kommen und ich fühle mich durch die Pietät gegen einen älteren Mann
obendrein gehemmt. Philosophische Differenzen gehen nun einmal leicht ins Blut;
es will dabei keine rechte Freundschaft gedeihen, das Gewirr der Naturforscher
wird mich aber auch nicht erbauen ; ich muß mich fremd unter ihnen fühlen. Wir
sind auf die Einsamkeit und die Gesellschaft unsrer Schüler angewiesen. Dr.
Von dem Programm stehen Ihnen, wenn Sie begehren, mehrere Exemplare
durch Buchhändlergelegenheit zu Diensten.
567. An Drobisch. 1) Ohne Datum.
Mit größtem Danke, mein theurer Freund! habe ich Ihre Sendung
empfangen, und mit wahrem Vergnügen Ihren Brief mir zugeeignet, —
bis auf eine kleine Stelle, die mir im Kopfe herum geht, und über die ich
mit Widerstreben, aber genöthigt durch die Lage der Dinge, meine Meinung
sagen muß. Sie sagen von Str[ümpell,] dessen Brief ich hiebey zurücksende,
es sey Schade, daß er jetzt nicht in Heidelberg ist. Meinerseits gönne
♦) Auch käme .es doch nicht über einen bloßen Principienstreit hinaus.
') 4 S. 4".
1836. 2 IQ
ich ihm persönlich alles mögliche Gute, und die Nachricht, daß es ihm
jetzt wohl geht, hat mich aufrichtig gefreut. Auch will ich hinzusetzen,
daß er sich vielleicht merklich verändern wird, nachdem der peinliche
Druck seiner frühern dürftigen Lage aufgehört hat, der an seinem Be-
nehmen wohl vielen Antheil haben mochte. Allein wenn ich mir denke,
wie sehr Sie Sich getäuscht finden könnten, wenn Sie durch eine Em-
pfehlung, die leicht genug von Ihnen ausgehen kann, ihm jetzt gleich oder
bald Anlaß gäben, nach Deutschland zurück zu kommen: dann muß ich
mich doch zu einiger Warnung bewogen finden. Was mich zuerst von
ihm trennte, war seine Geringschätzung meiner andern Freunde in An-
sehung dessen, was diese für meine literarische Angelegenheit gethan
hatten. Was die Trennung bevestigte, waren arge Proben eines verkehrten
Räsonnements, woraus ich sah, daß man auf seinen Scharfsinn nicht bauen
kann. Er hat zuviel Ähnlichkeit mit Fichten, wenn wir eine für ihn noch
zu günstige Ähnlichkeit aufsuchen wollen. Als Kant nicht Fichtes Meinung
war, da mußte Kant Unrecht haben. Und das Publicum? Verstand es
nun, aus diesem Conflict herauszufinden? —
Überlegen Sie nun die ivahrscheinlichen — ich sage nicht, gewissen —
Folgen! \ Soweit ich entfernt bin, über Str — den Stab zu brechen, so
muß ich doch fragen, wollen Sie die Last des Streites übernehmen, der
wahrscheinlich sogleich ausbrechen wird, wenn Str, sich wird geltend zu
machen suchen? — Die Aussicht auf diesen Streit war ein Theil meiner
Beweggründe, zu eilen mit dem was ich über Freyheit und prakt. Philos.
noch vorher zu sagen für nöthig erachtete. Haben Sie denn das nicht
errathen ?
Damit hängt auch zusammen, was ich — übrigens aus andern völlig
hinreichenden Gründen, — Hrn. Hartenstein rieth, nämlich sobald als
möglich irgend einen Gegenstand der prakt. Philos. zu bearbeiten. Das
wäre weniger nöthig, wenn er die Zahl der schätzbaren widerlegenden An-
merkungen, die in seiner Metaphysik vorkommen, um ein Dutzend ver-
mehrt hätte, wie es ihm leicht genug möchte gewesen seyn. Zwar was
mich anlangt, so erfreue ich mich an der Reinheit und Zweckmäßigkeit
seiner Arbeit um desto mehr, da ich nur zu gut aus Erfahrung weiß, wie
leicht Andre ihre Schwäche bey solchen Gegenständen durch eine Menge
kleiner Fehler verrathen, und mindestens durch ungleichmäßige Auffassung
der verschiedenen gleich nothwendigen Theile des Ganzen. Allein was
ich an Hartensteins Buche schätze, das versteht die Menge nicht zu be-
urtheilen; für diese muß noch etwas hinzukommen. Wenn nun Harten-
stein sich von der metaphysischen Arbeit, die jeden menschlichen Kopf
ermüdet, erhohlt haben, und zu praktischen Dingen fortgeschritten seyn
wird: dann brauchen wir zunächst keinen vierten Mann; sondern || während
durch Hartenstein die Theologen erfahren, daß es noch außer der
Schleiermacherschen Sittenlehre eine andere giebt, müssen die Naturforscher
durch Sie erfahren, daß man noch andere als Schellingsche Versuche zur
Naturphilos. machen kann.*) Dies aber ist durchaus nothwendig, denn
*) Können Sie denn das nicht gelegentlich Hrn. von Lindenau bemerklich machen?
Ein Minister kann sechs Naturforscher auf einmal antreiben, er braucht nur zu ver-
220 1836.
Theologen und Naturforscher sind die Empfänglichen für gute und schlechte
Philosophie. Von Metaphysik muß nicht mehr als das Bedürfnis erfodert^
die Rede seyn. Die Köpfe verwirren sich zu leicht darin. Die Wege,
die ich gegangen bin, sind für die wenigsten Menschen gangbar. Wahre
Metaphysik kann sich im Publicum nur durch ihre Anwendungen be-
vestigen; streitend erreicht man höchstens Gleichgewicht gegen andre
Streiter, aber keinen Sieg.
Erlauben Sie mir an das eben Gesagte eine Bitte anzuknüpfen;
nämlich um noch ein paar Exempl. Ihrer psychol. Abhandlung. Eins
davon möchte vielleicht dem Hrn. Krone aus Wien willkommen seyn,
von dem ich Ihnen schon einmal schrieb. Er hört wenigstens ganz regel-
mäßig meine Metaphysik jetzt, so wie vorigen Winter meine Psychologie;
obgleich ich überzeugt bin, daß er ohne allen Vergleich ein besserer
Schüler für Gauss ist, als für mich. Allein er ist ein wissenschaftlicher
Mensch; er ist kräftig; er ist reich; er will nach Paris, um sich unter den
dortigen Gelehrten einen Platz zu schaffen. Ein andres Exemplar wäre
für Reiche^ den einzigen — nur zu gelehrten — jungen Mann, den ich
bisher unter den Hannoveranern bestimmt unterscheiden konnte von der
Menge; und der unter anderm auch Mathematik versteht. — In den
Gott. Anzeigen hoffe ich über Ihre Abhandlung j| berichten zu können,
sobald Sie Selbst wollen; aber sagen Sie mir nur aufrichtig ob Sie mit
meiner Art zu berichten zufrieden sind? Kleine Differenzen bemerklich zu
machen scheue ich gar nicht; Sie sollen um desto selbständiger hervor-
treten; es ist kein Unglück, wenn wir gemeinschaftlich über die Leute
lachen, die, wie Fries, über Differenzen erfreut sind, die nicht existiren.
Möchten Sie nur nicht immer den Werth Ihrer Arbeiten auf das minimum
reduciren! Damit kommt man nicht durch. In den Jahren, da alle
Journale klüger waren als ich, bemerkte ich beständig, daß die Leute mir
jeden Ausdruck schuldiger Bescheidenheit zum Nachtheil gebrauchten und
verdrehten, so wie sie überhaupt im Umdrehen ihre Stärke hatten. Ihre
Logik sollte eine andre Vorrede haben. ,, Unter allen Sünden Fichtes,
Schellings, Hegels, ist die Sünde wider die Logik die ärgste; das ist die
Sünde wider den heiligen Geist. Nicht eher werden alle jene anmaaß-
lichen , Systeme verschwinden, als bis man pünktlich jedes Wort, das ein
Philosoph schreibt, auf die logische Wagschale legt, deren Geringschätzung
die absurdeste aller neuen Moden ist; nachdem Jahrhunderte und Jahr-
tausende das schwankende Schifflein der Speculation an den Ankern der
Definitionen, Divisionen, und Syllogismen zu bevestigen für die erste
Pflicht jedes Steuermanns auf den Wellen des Räsonnements, für die erste
Probe der speculativen Tüchtigkeit gehalten hatten." So müßte Ihre Vor-
langen, daß sie ihm Bericht erstatten sollen. Die Herrn werden sich alsdann schon der
nöthigen Metaphysik wegen an Sie und Hartenstein wenden; die übrige Arbeit macht
jeder für sich nach seinem Fache. Bey der Gelegenheit würde ich noch etwas zu
lernen bekommen, dergleichen mir sonst nicht nahe genug kommt. Daß ich mich an
mein Ministerium nicht wenden kann, ist klar. Die Sache würde wie meine Privat-
angelegenheit erscheinen. Indessen ist zu überlegen, ob man auf eine Masse von Ein-
würfen gefaßt sein müßte, infolge von Misverständnissen ; und ob man vielleicht dieser
Masse nicht würde mächtig werden können, wenn Alles auf einmal zu beantworten
wäre. [Randbemerkung.]
Juli 1836. 221
rede lauten. Einige würden schreyen, — nicht viel lauter als jetzt; Andre,
und bey weitem die Meisten, würden ehrfurchtsvoll glauben. Solche
Sprache ist noch immer nicht die jenes Titels einer Fibel: „Bitte bitte
lieber Vater, beste Mutter, theurer Onkel, schönste Tante, kaufe mir dies
allerliebste Buch;'' eine Fibel, die wenn ich nicht irre zu mehrem Auf-
lagen gelangt ist. Sie hatten vollkommnen Beruf, der Logik eine wohl-
verdiente Lobrede zu halten, und deutlich gewissen Leuten zu sagen, daß,
wenn sie jemals hofften sich von der Mathematik eine mehr als höfliche
Connivenz zu verschaffen, das bessere Verhältniß allein von strenger Be-
folgung der logischen Regeln zu hoffen sey.
Diesen Brief hatte ich geschrieben, noch ehe ich Zeit fand, Ihre Ab-
handlung ordentlich zu lesen. Jetzt erlaube ich mir zuerst, Sie aufmerk-
sam zu machen auf eine Stelle, die ich für einen Schreibfehler halte.
S. 13 haben Sie die Wurzelgröße in (i) dividirt durch («t_(_i)-', also den
Zähler dividirt, den Nenner multiplicirt. Daher wenn ich nicht irre, muß
im Nenner stehn i +«k + i (• • .) statt i -| . Eben so unten,
«k + i
I 4- «k 4-1 (. • •) Die Rechnung geht dann richtig fort. — Aber nun
bitte ich um Erlaubniß, von dem specimen primum sogleich in den hies.
Anzeigen Bericht zu erstatten. Ihre Abhandlung enthält Stoff genug; man
braucht nur auf die Wichtigkeit der Fundamentalbegriffe hinzuweisen; und
schon über die Kunstworte läßt sich viel sagen. Lavoisier machte sich
Bahn durch seine chemische Nomenklatur. So etwas lernen die Leute
auswendig.
Wir haben sehr dringende Eile aus vielen Gründen. Sie können
nicht wissen, was vielleicht bald geschieht; Sie dürfen nicht darauf rechnen,
daß ich nach einigen INIonaten noch im Stande seyn werde, Ihrer Arbeit
zu folgen; und wer soll dann Bahn schaffen? Häufen Sie erst Formeln
auf Formeln, so wird um desto weniger Jemand folgen. Es ist höchst
nöthig, daß ich jetzt die Zeit nütze für das Wenige was ich noch thun
kann. Höchst nöthig daß ich eirmaal so öffentlich als möglich über math.
Psychologie spreche. Also erlauben Sie mir zu thun was sich auf den
von Ihnen gegebenen Anlaß jetzt gleich thun läßt.
Mit besten Wünschen für Ihre Brunnenkur
der Ihrige! H.
068. An Prof. Schubert in Königsberg. Göttingen 29. jul. 1836.
Mein hochgeehrter Herr College 1 Als im Anfang des May Ihr sehr
gütiger Brief ankam, fühlte ich noch die Nachwehen des Winters, und
überdies einer literarischen Arbeit, die wegen der nothwendigen Eile sehr
anstrengend geworden war. Mögen Sie es hiemit entschuldigen, daß ich
mir nicht getraute, so im Schlafrock vor Ihnen zu erscheinen! Jetzt aber
ists vor allem das Ende Ihres Briefes, was mir in Gedanken hegt. Sie
haben Hoffnung gemacht, uns im September — „künftigen Jahres''? —
auf einige Tage zu besuchen. Erlauben Sie doch meiner Conjectural-Kritik,
Ihnen eine Verbesserung Ihrer Federzüge vorzuschlagen. Nicht wahr,
Sie haben den nächsten September gemeint? Und Sie erlauben, daß wir
I
222 Juli 1836.
Sie in sechs oder acht Wochen erwarten? — Hiervon bitte ich nun um
Ihre gütige Bestätigung, damit mir nicht das Unglück begegne, gerade
dann vielleicht abwesend zu seyn. Freylich ist meine Conjectur sehr
unsicher, denn vielleicht haben Sie gewußt, daß der September des künf-
tigen Jahres hier eine Menge von Fremden versammeln wird, weil dann
das Jubiläum der hiesigen Universität eintrit. Ob nun gerade eine solche
Unruhe den freundschaftlichen Mittheilungen günstig seyn werde, kann
man bezweifeln ; und ob ich noch einen Winter durch leben solle, ist auch
die Frage. Denn ohne ein derbes Fieber komme ich, nach bisherigen
Proben, nun schon nicht leicht durch den Winter, und darin liegt ein
starkes memento mori. Also, lieber kommen Sie jetzt bald; und dann
bitte ich um Nachricht im Voraus, so fern eine solche möglich ist.
Was den Verkauf meines Hauses anlangt, dessen Sie erwähnten, so
mag ich meiner Frau nicht zuwider seyn, die einmal an dem Gedanken
hängt, in Königsberg noch zu Hause zu seyn. Auch war der gebotene
Preis nicht verführerisch. Sollte meine Gesundheit, die sich im Sommer
noch jedesmal wieder gehoben hat, sich gründlich bevestigen, — und die
einzige Bedingung möchte wohl die seyn, daß ich mich entschlösse, einmal
recht vollständig zu faullenzen und das Zimmer zu hüten sobald ungünstiges
Wetter eintrit; — so fände ich wohl auch noch einmal den Weg nach
Königsberg; und besuchte dann gern mein Haus, an welchem so viele
Erinnerungen hängen. Daß ich mit gebührender Dankbarkeit diese Er-
innerungen aufrecht halte, davon brauche ich Ihnen hoffentlich keine Ver-
sicherung zu geben; nur durch einen Misverstand könnte daran gezweifelt
werden.
Wir beyde, meine Frau und ich, können von Königsberg nie genug
erfahren; und doch war es zu viel an den Nachrichten von der dortigen
Schwärmerey; die mit so vielem Andern, nicht unähnlichen Inhalts, was
anderwärts vorgeht, zusammentrifft. So war es mir denn doppelt angenehm,
neulich von Hrn Gutzeit und von Hrn Lewitz [?] kurz nach einander
Besuch zu erhalten; denn in den Gesprächen Beyder bemerkte ich, daß
jene unerfreulichen Geschichten in den Hintergrund treten, wenn man
länger über Königsberg sich unterhält. Manches Interessante habe ich
erfahren; aber Sie werden mir doch noch Viel zu erzählen haben. Wie
es dort im Senate, wie in der deutschen Gesellschaft, wie an den Kantischen
Gedächtniß-Tagen jetzt hergehe, weshalb Hr Rosenkranz an Heidelberg
gedacht habe u. s. w. wie das Verhältniß der Gymnasien sich gestalte,
besonders in der Altstadt, seitdem Ellendt fort ist — über solche Dinge
bin ich noch nicht im Klaren. Werden denn im nächsten September die
Naturforscher von dort her nicht reisen? Da hätten wir doch um so mehr
Recht einen Besuch zu erwarten, je mehr die Physik dort fortschreitet!
Und wenn Lobeck sich einmal mit der Frau Geheimräthin in den Wagen
setzte, so möchte sich die gegebene Hoffnung des Wiedersehens auch wohl
noch erfüllen. Versuchen Sie doch einmal, die Damen zu bewegen;
zuerst Ihre Frau Gemahlin , der ich meinen Respect zu bezeugen bitte.
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen beyden; Ihrem Conrad wünschen wir
grüßend einen baldigen Platz in Secunda.
Mit vollkommener Hochachtung der Ihrige! Herbart.
August 1836. 223
569. An Drobisch. ^) Ohne Datum. Postst. 6. 8.
Mein theurer Freund! Da ich einer Entschuldigung bedarf, weil ich
den hier bevliegenden Strümpellschen Brief neulich beym Siegeln meines
vorigen Briefes vergaß: so muß ich Ihnen wohl offen — aber unter vier
Augen — s.agen. was mich so vergeßlich machte. Gerade damals schien
es sehr ernst zu werden mit der Krankheit meines Collegen Wendt. Er
hat kürzlich Trauung seiner einzigen Tochter, und Trennung von ihr,
unmittelbar nach einander erlebt, und ist davon außerordentlich angegriffen ;
so daß man für ihn fürchtet. Die Tochter ist an einen Engländer ver-
heirathet. Man konnte ihm dazu aufrichtig Glück wünschen; aber er
leidet so sehr an den Nerven, daß man das Ende nicht absieht; — ich
mag kein Unglücksbote seyn. Soviel weiß ich, daß ich, selbst eigennützig
die Sache angesehn. keine Veränderung meiner Collegialverhältnisse zu
wünschen Ursach habe. Träte eine solche wirklich ein: so würde ich be-
denken müssen, daß man in der Welt vorwärts gehn muß, wenn man
nicht will rückwärts getrieben seyn. Der Schluß heißt wie immer: Wirken
so lange es noch Tag i.st! . Unverändert der Ihrige H.
570. Langwerth an H.-) Stade den 11 Aug. 1836-
Wohlgeborener Herr Hochverehrtester Herr Professor Ew. Wohlgeboren wer-
den sich eines aufmerksamen Zuhörers zu Göttingen aus den Jahren 1807 u. 8-
schwerlich noch erinnern und muß ich es daher wagen, mein Anliegen unbekannter
Weise an Sie zu richten. Es betrifft dasselbe Ihre psychologischen Schriften und
namentlich das erst neuerdings in 2 Bänden erschienene Hauptwerk. Ich habe alle
diese Schriften mit mehr oder weniger Unterbrechung in meinen Ueberstunden
studirt und bin, ungeachtet das Lehrbuch von 1816 das meiste nur andeutet, schon
früher in die Hauptsätze ohne große Mühe eingedrungen, wobey mir einige Ver-
trautheit mit der höhern Mathematik sehr zu statten gekommen ist, die ich in der
Usurpat. Zeit fast zu meiner Hauptbeschäftigung gemacht hatte. So bin ich denn
auch in dem neuesten Werke der Fundamentalsätze, wie ich meine, völlig Herr
■geworden. Allein bey weiterem Fortgänge und namentlich bey der Lehre von den
Verbindungen bin ich auf Schwierigkeiten gestoßen, die mir den zweiten Theil bey-
nahe zu einem verschloßenen Buche gemacht haben, und deren Auflösung mir aller
beschwerlichen Bemühung ungeachtet — wozu ich freilich nur wenige Mußestunden
von Zeit zu Zeit habe verwenden können, nicht hat gelingen wollen. Ich kann es
auch nicht über mich gewinnen, das lebendige Interesse, was diese Theorie in mir
erregt hat, die für das Reich der Geister das zu werden verspricht was Newtons
Lehre für die Körperwelt, niederzudrücken, das Buch wegzulegen und die Sache
als meinem Berufe fremd auf sich beruhen zu lassen. Das ist mir schon darum
unmögUch weil diese Forschungen m dieser Gestalt, entschieden von alle dem was
die neuere Philosophie hefert einen unmittelbar practischen Character haben und
außerdem die höchsten allgemein-menschlichen Interessen berühren. Dazu kommt
daß ich mich in Hauptsätze hineingedacht habe und es nicht ohne Pein für mich
seyn würde eine Art von Rume in meinem Gedankenkreise stehen zu lassen deren
Ausbau vollzogen werden kann, wenn nur ein Lichtstrahl, der wahrscheinlich alle
meine Zweifel mit einemal beseitigt, mir das Material hefert. Ich nehme daher zu
') 4S. 4'*-
^) 4 S. 40. H. Wien.
2 24 August 1836.
Ew. AVolgeboren meine Zuflucht und bitte die am Schluße zusammengestellten Puncte
gefälligst durchzusehen und mir die Auflösung dessen was für mich ein Eäthsel ist
zu geben. Bedürfte es dazu ausführlicher Belehrungen, so würde ich Ew. Wol-
geboren so etwas nicht ohne große Dreistigkeit und Unbescheidenheit ansinnen
können. Da mir aber alle Lehren und Sätze beynahe schon im Gedächtniß liegen
und ich schon || eine Unzahl von vergeblichen Versuchen in allen möglichen Rich-
tungen gemacht habe um ,,das Wort des Räthsels" zu finden; so bedarf es bey
jedem Puncte nur einer entfernten Andeutung mit wenigen Worten, um so mehr
da mir die mathematischen Sätze und der höhere Calcül vollkommen geläufig sind
und ich namentlich den Beweis in jedem Falle leicht finden werde, wenn ich mir
über das im Reinen bin was eigentlich behauptet worden iüt.
Ich habe lange bey mir angestanden ob ich auf diesem Wege mein Ziel zu
•erreichen suchen sollte, und das große Vertrauen auf eignen Scharfsinn hat mich
•so sehr als die Besorgniß zurückgehalten, daß Ew. Wolgeboren sich nicht berufen
finden würden, einem fremden, von dem die Wissenschaft keine Förderung zu er-
warten hat, mit solchen Erläuterungen an die Hand zu gehen. Gleichwol wage ich
es darauf und hauptsächlich in dem Vertrauen auf Ihre Humanität und Ihre Geneigt-
heit den geistigen Bedürfnissen auch solcher abzuhelfen, die dabey nur ihren eigenen
geistigen Frieden zum Augenmerk haben. Auch werden Sie mir die Bemerkung
erlauben, daß bey der jetzigen Lage der Wissenschaft keine Lehre schlechter ge-
bettet ist als bey den Philosophen von Profession welche sich heut zu Tage eine
Schande daraus machen, eine andere als selbsterfuudene Wahrheit zu beherzigen und
fortzubilden und welche sobald sie ihr Doktor-Diplom erlangt haben sich ex officio
auf den Dj'eyfuß setzen, ihre eignen Ideen haben und mit einem System hervor-
treten müßen, weil ihnen sofort die Unhaltbarkeit aller fremden Gedanken klar ge-
worden ist. Sonach glaube ich daß man sich am sichersten an die "^Männer wendet,
die mitten im Leben stehen, die einen edleren Zweck ihres Daseyns kennen als das
vorgebliche Haschen nach einer löschpapiernen Unsterblichkeit und die die Wahr-
heit um ihrer selbst willen suchen, nicht um ihr Ich in einem neuen System aus-
geprägt in den Strudel der Litteratur zu werfen in der eiteln Hoffnung, daß dieses
Oewässer statt sich in der Steppe zu verlieren sie der Nachwelt wohlbehalten über-
machen werde.
Ich glaube daher auf eine baldgeneigte Gewährung meiner dringenden Bitte
mir Hoffnung machen zu dürfen. Solltea indessen Ew. W. demungeachtet meinem
Anliegen nicht willfahren können so werden mir ein paar Zeilen — selbst ein leeres
Couvert — || erwünscht seyn, damit ich nicht durch ein längeres vergebliches Warten
getäuscht werde.
Mit der innigsten Hochachtung und Verehrung empfehle ich mich
Ew. Wohl, ganz gehorsamster Langwerth.
Addr.: An den Landdrostey Secretair v. Langwerth zu Stade im Königreich
Hannover.
Fragen.
I. Nach Psych. I 270 steigen, wenn c hinzukommt alle noch sonst neben a
u. b auf der Schwelle befindlichen Vorstellungen und das ist begreiflich. Nach I
p. 366 steigen nur die, welche mit c mehr oder weniger gleichwertig sind.
II. Nach den Grundlehren wird die Hemmung unvollkommen verbundener Vor-
stellungen gefunden; wenn man die auf die Totalkräfte (a -| — ^, a -| — -) nach ihrem
umgekehrten Verhältniße fallende Hemmung auf die Bestandtheile derselben repartirt
August 1836. 225
lind das was auf a u. a fällt,' allein nimmt. — Dies ist bey der Lehre von der un-
mittelbaren und mittelbaivn Reproduction nicht befolgt; die auf die Totalkraß
c -) fallende Henning ist als auf dem Bestandtheil c ganz lastend angenommen.
c
Eben so bey der mittelbaren Reproduction, die Hemung welche auf II fällt als ein
Hinderniß des Voi-tretens vor II (w) da doch auf II nur der Theil - fallen kann.
UI. Da a, b (Cap. 3) doch nur zu einem statischen Punkt aufsteigen können,
ZV ZV
der Fall aber eintreten kann, daß c -] — ^ u. H + -qr nicht gleich sind (wie bey
H =: c) mithin jede dieser Totaikräfte dem a u. b einen andern stat. Punkt giebt;
so fragt sich, zu welchem stat. Punkt am letzten Ende a u. b aufsteigen.
IV. Wie geht es zu, daß y während des Aufsteigens nicht durch d^s Sinken
des verbundenen z vom Anfang an zurückgehalten wird, wenigstens nicht von der
Zeit an, wo das Produkt zy sein Maximum erreicht hat?
V. Wenn P u. // verschmolzen, also aus demselben Continuum sind, und dann ge-
hemmt wei-den. wie ist es möglich, daß dann P u. nicht zugleich auch // von aller
Hemung frey wird? Denn die hemmenden Kräfte treffen 77 sowol als P. und wenn
P von ihnen frey wird, muß auch für 77 freyer Raum entstehen u. dasselbe aus
eigener Kiaft steigen ohne daß die Hülfe zur Wirkung kommen kann.
VI. Nach p. 296 steigt eine verbundene Vorstellung entiveder durch eigene
Kraft oder durch die Hülfe, nie durch beides zugleich. Das Gegentheil davon wird
zum Grunde gelegt; 1., p. 354, wo alle Glieder der Reihe reproducirend wirken
(welches nach Ca{j. IV freyen Raum mithin die Möglichkeit des selbstkräftigen
Steigens voraussetzt) u. demungeachtet auch durch Hülfen gehoben werden sollen.
2, p. 355 wo die rückwärts wirkenden Hülfen addirt werden. 3. 11 p. 404 wo ge-
j'adezu gesagt wird daß die Hülfe d u. die Kraft von c gemeinschaftlicJt die Ge-
schwmdigkeit des Steigens von c bestimmen. || •
VII. Nach Cap. 4 wirkt r reproducirend sobald es freyen Raum hat. — Nach
I p. 364 u. II p. 159 ist aber r unwiiksam sofern es nicht hervorgetreten ist, also
den freyen Raum schon eingenommen hat. Nach dem ersten Satze würde von dem
hervortretenden Pr sogleich wirken; nach dem letztern nur das in der Zeit t vor-
getretene Quantum p = P(l — c — t) (solange nemhch bis p = r),
(Nach Lehrb. d. Psych, p. 136 scheint gar der freye Raum der en/por-
xuhebenden Vorstellung Bedingung der Möglichkeit ihres Hervortreibens durch die
Hülfe zu seyn, was mit den Grundlehren durchaus unvereinbar ist.)
VIII. II p. 157. Dadurch daß c von e gehoben wird, soll c freyen Raum er-
halten. Wie ist das möglich, da c gar keinen freyen Raum machen kann wenn es
nicht direct das dem e entgegenstehende hemmt, wovon hier gar nicht die Rede
ist. c indem es gehoben wird, steigt so hoch als es durch die Hülfe ungeachtet des
Widerstandes getrieben werden kann u. kann mit seiner eigenen Kraft welche durch
das entgegenstehende aufgewogen wird (I p. 294) gar nichts ausrichten.
IX. In dem Aufsalz über die Tonlehre (Königsb. Arch. p. 184) heißt es: indem
d erklingt, sinkt c seinem Hemungszwecke gemäß. Dabey wird die Hemung als aus-
schließlich auf c lastend angenommen. Wie geht das zu, da nach den Grundsätzen
beide Vorstellungen, sowol die des Tones d als die des Tones c im umgekehrten
Verhältniße ihrer Stärke gehemmt werden müssen. ||
Herbarts Werke. XVni. 15
226 August 1836.
571. Drobisch an H.^) Leipzig, d. 12. August 1836.
Sie ahnen wol schwerlich, mein hochverehrter edler Freund, in welcher
Lage mich Ihre beiden letzten, wie immer, sehr werthen Briefe, gefunden haben?
Der eine am Sterbelager meines jüngsten 1^/^ Jahre alten Kindes und der andie
als wir so eben von der Beerdigung zurückgekehrt waren. So sind uns zum dritten-
mal freundliche Hoffnungen zu Grabe gegangen: Denn unser kleiner Emil war ein
kluges vielversprechendes und liebenswürdiges Kind. Leider verfiel er einer traurigen
Anlage, die er mit auf die Welt gebracht, der zum Wasserkopf, der zuletzt völlig
ausgebildet gewesen zu seyn scheint. Eine zu frühe Entwicklung des Gehirns ist das
Unglück, das uns unsere sonst gesunden Kinder geraubt und das Einzige, was wir
besitzen, in öftere Gefahr gebracht hat. Der Tod unsers Kleinen war fürchterlich,
denn er lag 2V2 Tage unter den heftigsten Krämpfen im Sterben. Er gab zuletzt
das grauenvolle Schauspiel eines nicht mehr vom Geiste beherrschten sich selbst
überlassenen und auf seine eigne Hand ein wildes Scheinleben beginnenden Organis-
mus: denn 6 Stünden, nachdem alle Zuckungen aufgehört hatten, vollendete das
Blut noch in unzählbaren Pulsschlägen seinen Umlauf und setzte sich der Mechanis-
mus des Athmens in seltsamen pfeifenden schauerlich klingenden Tönen noch fort,
ohne daß eine Spur von Empfindung, noch weniger Bewußtsein zu bemerken war.
Welche schwere Träume mögen da wol die schuldlose Seele des guten Kleinen be-
ängstigt oder welcher dumpfe Druck mag da auf ihr gelastet haben ! An diesem
schauderhaften Nachspiel des Lebens war aber eingestandenermaßen der Arzt schuld,
der, die Krämpfe zu beiseitigen und einen sanften Tod herbeizuführen, das Gefäß-
system durch Laudanum übermäßig imd zwecklos aufregte. Dies waren verzweiflungs-
volle Stunden ! — Aber fürchten Sie nichts : Diese Trauertage haben das Bedürfnis
einer höhern Vergeistigung des Lebens nur stärker in mir angeregt, und von ganzem
Herzen schlage ich ein: Wirken so lange es Tag ist!
Ueber meine Ansichten von Str. haben Sie Sich nicht das mindeste Bedenken
zu machen: sie kommt im Wesentlichen ganz mit der Ihrigen zusammen. An-
fragen werden au mich nicht kommen und kämen sie, so würde ich vorsichtig
seyn. |i
Dagegen sind Anfragen Hartenstein betreffend von Heidelberg aus hierher ge-
langt, wiewohl nicht an mich noch an einen andern der Philosophie kundigen,
sondern an einen Mann, der, wie jetzt die meisten, die Philosophie literarisch nimmt
und daher den Vielschreiber Fichte als Nr. 1 ansetzt. Dennoch hoffe ich, daß der
Bericht nicht ganz ungünstig ausgefallen seyn wird und fürchte nicht, daß ein Ruf
nach fleidelberg uns Hartenstein entziehen, sondern hoffe, daß er ihn hier befestigen
wird. Sonst herrscht das tiefste Schweigen über die vacanten Professuren.
Mit den psychologischen Programmen soll meine Thätigkeit für Psychologie nicht
abgethan seyn: denn es fehlt denselben um nützlich zu werden und bei Mathema-
tikern Eingang zu finden, noch das Beste, nämlich eine recht elementare Erläute-
rung der Principien, auf welche .sich diese Rechnungen gründen. Eine solche darf
nicht Metaphysik enthalten, aber auch nicht blos hypothetisch in der Luft schweben,
da es sonst aussieht, als sey die Statik und Mechanik des Geistes nur ein zufällig
aufgerissenes Gleichniß, das ebenso gut durch zehn andre Rechnungshypothesen er-
setzt werden könnte. Es muß daher eine empirischpsychologische Musterung der
wichtigsten geistigen Erscheinungen vorangehen, wobei sich die Hindeutung auf Be-
wegung und Gleichgewicht schon von selbst einfinden wird und es muß so scharf
wie möglich durch Analyse der bekanntesten Phänomene gezeigt werden, daß unsre
1) 4 S. 4«. H. Wien.
August 1836. 227
Rechnung wirklich von der einfachsten und natürlichsten Annahme ausläuft. Mich
dünkt es giebt dabei ganz lehrreiche Tergleichungen mit den äußeren Naturwissen-
schaften: wie die Psychologie zuerst eine Classification des in die innere Wahr-
nehmung fallenden versucht, gleich dem Naturhistoriker; wie sie sodann die wechseln-
den Erscheinungen ins Auge zu fassen hat; wie hier, wie in der Astronomie, schein-
bare und wahre Bewegungen unterechieden werden können (z. B. wenn unsre Auf-
merksamkeit Gedankenreihen || zu durchlaufen meint, während es doch die Gedanken
sind, die laufen); wie die Bewegungen, die bei der Ideenassociation offenbar werden,
Bewegungen sehr zusammengesetzter Vorstellungen und daher zum Anfang einer
Theorie nicht brauchbai- sind, die nothwendig von den Bewegungen der Elemente
ausgehen muß ; wie mir die Psychologie eigentlich zwei Aufgaben zu haben scheint,
eine niedrigere, naturwissenschaftliche, wodurch die Erklärang der allgemeinen und
gemeinen Phänomene des Geistes gegeben werden und eine höhere, philosophisch-
wissenschaftliche, freilich auf jene gestützt, durch deren Auflösung das geleistet
werden soll, was die Vemunfikritik beabsichtigte. Ich beabsichtige nun zuerst blos
jenen niederen Theil zu bearbeiten, vielleicht unter dem Titel: Einleitung zur (oder
Elemente der) Psychologie als Naturwissenschaft. Ich glaube Sie werden mir darin
beistimmen, daß es eine Sphäre in der Psychologie giebt, in der man noch gar nicht
Schulphilosoph zu sejTi braucht, so wie daß es eine andere giebt, in der ohne eine
bestimmte Metaphysik und praktische Philosophie sich nicht einmal sagen läßt, was
erklärt werden soll. Diesen gegebenen oder doch zulässigen Unterschied gedenke
ich zu benutzen, um für vorurtheilsfreie, der Mathematik und Naturwissenschaften
wenigstens im Allgemeinen kundige Männer ein Schriftcben zu schreiben, das ihnen
unser psychologisches Unternehmen in dem rechten Lichte zeigt. Dies wird dann
für die Zukunft keinen üblen Uebergang zur Naturphilosophie geben, deren Sache
zu führen mir jedoch weit schwieriger scheint. Hier weiß ich keinen so bequemen
Anfang zu finden, bei dem man die Metaphysik einigermaßen entbehren könnte.
Einfache ausdehnungslose Atome, ohne leere Zwischenräume ausgedehnte Materie
gebend, nachdem man die Fiction von Kugeln der strengen Einfachheit substituirt
hat: wie soll man solche Voraussetzungen außer dem Zusammenhange, der mit
eiserner Nothwendigkeit auf sie treibt, nur einigermaßen plausibel machen ? "Werden
nicht die Physiker sagen, wir gäben ihnen damit härtere Widerspriiche zu verdauen
als wir an ihnen riigen wenn wir ihnen kerne Grundkräfte und keine "Wirkung durch
das Leere zugestehen? Geben Sie mir nur einen Rath, wie || hier der Sache bei-
zukommen seyn möchte; wie weit z. B. ausgeholt werden müßte, wenn etw^a in
Gehler's physikalischem "\A^örterbuche unter dem Artikel „Materie" von Ihrer Con-
struction dei-selbeu eine fassliche Darstellung hätte gegeben werden sollen. Muß
da nicht bis zum intelligiblen Räume zurückgegangen und erst erörtert werden, daß
das Stetige nicht das Erste, sondern das Zweite im Ausgedehnten ist? Da müssen
wir nun erst das Zugeständniß der Geometer haben, was nicht so leicht zu erhalten
seyn wird. Ich fürchte daher, hier kann man, ohne die größte Vorsicht, mit seinem
Credit leicht den Hals brechen. Besser stehen wir vielleicht mit den Chemikern
und noch leichter könnten wir vielleicht mit den Physiologen in ein leidliches Ver-
hältniß kommen, da diese auf ihre Empirie stolz zu seyn wol eben noch nicht die
größte Ursache haben. "Wollen Sie mir auf diese meine skeptischen Bemerkungen,
die sich, wie Sie selbst finden werden, nur auf den Vortrag, einem die Metaphysik
ignorirenden Publicum gegenüber, beziehen, Rathschläge geben, so bin ich Ihnen
im Voraus ziim größten Dank verpfhchtet. Die gehörige Beleuchtung und Ebenung
der Psychologie wird uns aber, da ja damit auch der Physiologie vorgearbeitet wird,
sicher den Naturforschern einen Schritt näher führen; denn auch Schellings Natur-
15*
228 ^ 1836^
Philosophie hatte ja unter den Forschern der organischen Natur den meisten Grund
lind Boden gewonnen.
Wenn Sie über mein Programm berichten wollen, so kann ich mirs nur zur
Ehre schätzen. Der angezeigte Fehler ist gegründet, aber, wie ich aus dem Mspt
ersehen habe, ein bloßer Druckfehler, zu dem die Symmetrie veiiührt zu haben
scheint. Sollte meine Logik eine zweite Auflage erleben, so soll Ihre verbesserte
Vorrede zum Scherz abgedruckt werden. Zum Effectmachen kann ich mich nicht
recht entschließen, es wandelt mich die Schaam vor denen an, die beurtheilen können,
daß es auf Effect augelegt ist. Ueberdies eischeint mir eine Arbeit nur etwas werth
seyn zu können, so lange ich noch nicht fertig damit bin, hinterdrein finde ich
immer 10 fache Gründe, mich über ihre Unvollkommenheiten zu ärgern. Ihre An-
zeige meiner Logik ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Wie Sie dieselbe
auch angelegt haben mögen, sie wird schon gut und belehrend seyn.
Daß die Wirkung meiner Brunnencur durch die eingetretenen Ereignisse größten-
theils als gestört zu betrachten ist, werden Sie glauben ; indeß ist das Befinden noch
leidlich, so auch das meiner Frau, die sich möglichst zu fassen sucht, was um so
nothwendiger ist, als sie eine neue Hoffnung unter dem Herzen trägt. Sie emp-
fiehlt sich Urnen und Ihrer Frau Gemahlin auf das Herzlichste.
Ganz der Ihrige Drobisch.
B72. An Drobisch.^) Ohne Datum.
Mein theurer Freund! Mit Schrecken sah ich Ihr schwarzes Siegel,
und mit wahrer Betrübniß habe ich dessen Erklärung gelesen. Meine
Frau hat denselben Eindruck empfunden. Man kann nicht genug be-
dauern daß Sie und Ihre Frau Gemahlin an der empfindlichsten Stelle
so wiederhohlt verwundet werden. Nicht bloß Ihre Gemüthsfassung
sondern auch Ihre Gesundheit wird auf Proben gestellt, an die man nur
mit Besorgniß denken kann. Sie sind zum Glück in den kräftigsten
Jahren. Dennoch haben Sie Ursache Sich zu schonen. „Wirken Sie so
lange es Tag ist" sprechen Sie mit mir; aber für den Augenblick würde
ich, wenn es in meiner Macht stände, versuchen Sie zu erheitern, und
fast fürchte ich mich, von Dingen zu reden, die auf geistige Anspannung
hinweisen. Gleichwohl enthält Ihr Brief so Manches zu gemeinsamer
Überlegung!
Recht sehr bedauere ich, so unzeitig den Scherz bombastischer Aus-
drücke in den Bemerkungen über Ihre Vorrede zur Logik eingemischt zu
haben. Gewiß waren Sie zum Scherz nicht gestimmt; und in Folge Ihrer
Erwiederung darf ich nun auch nicht mehr wagen, Ihrer allzugroßen Be-
scheidenheit entgegenzutreten. Einer Stelle Ihres vorletzten Briefes aber,
nach welcher Sie nicht eher einen kleinen Schritt vorwärts gehen, bis Sie
Ihrer Meinung nach hinter Sich alles ins Reine gebracht haben (und diese
Stelle veranlaßte mich eigentlich zu jenen Bemerkungen) darf ich das
beyfügen, daß ich eben auch von jeher meiner Meinung, hinter mir sey
Alles im Reinen, mußte genügt haben, wenn ich vorwärts zu gehn mir
erlaubte. Im Laufe der Jahre ist aus vielen kleinen Schriften der zurück-
gelegte Weg entstanden; vielleicht erscheint jetzt Manches gewagt, da es
auf einmal vorliegt. Wenn ich jetzt Effecte wünsche, die Sie nicht machen
')4S. 4«.
1836. 229
wollen, so ist || das für die alte Logik, deren Rechte zu schützen Ihnen
jetzt vorzugsweise zukommt. Unsre ganze Differenz über diesen Punct
liegt, glaube ich, bloß daran, daß Sie eine Thatsache anders sehen als
ich. Sie schreiben von dem Ansehen, dessen die Logik jetzt noch ge-
nieße. Finden Sie das so in Ihrem Beobachtungskreise, so ist es wahr-
scheinlich ein Verdienst, welches Krug sich erworben hat, und wofür wir
ihm zu danken haben. Meine Beobachtungen sowohl in K — g als hier,
weichen davon weit ab. Gegen mich äußerte der alte Med. R. Hagen in
K. seine Verwunderung, daß ich noch von den „veralteten" syllogistischen
Figuren redete: — Kant hatte ja von deren falscher Spitzfindigkeit ge-
schrieben. Ganz ähnlich sprach der berühmte Sprachforscher Grimm über
die ganze Logik. Und immer habe ich Mühe, dafür nur während vier
Wochen (mehr Zeit pflege ich dem Vortrage der Logik nicht zu geben)
die Aufmerksamkeit der Zuhörer vestzuhalten. Kein bedeutender Ge-
lehrter ist mir vorgekommen, von dem ich glauben könnte, er ziehe bey
irgend einer Arbeit absichtlich die Logik zu Rathe; jeder meint, aus
freyer Hand vermöge er seine Gedanken hinreichend zu ordnen. Und
betrachten Sie nun vollends die Willkühr, womit die Hegelianer pp. ihre
drey Glieder zusammenraffen, wo sie solche der Methode schuldig zu seyn
glauben! Höchst nachtheilige Effecte sind leider! gemacht und weit ver-
breitet. Doch von etwas Anderem!
Meine drey Anzeigen sind sämmtlich gedruckt; über H.s Metaph.
datirt vom 9 Jul (wenn ich nicht irre), über Ihre Logik vom 13 Aug.
die letzte über das specimen ganz bestimmt vom 29 August.^) Alle drey
können, denke ich, jetzt in Ihren Händen seyn. Bald werden noch zwey
Anzeigen von mir folgen, die eine über Brzoskas Buch,'-') woran manches,
besonders Literaturkenntniß zu rühmen ist; und endlich die Anzeige
meines eigenen neuen Buches, '') das jetzt fertig gedruckt vorliegt. Von
diesem muß ich nun freylich auch anderwärts einen tüchtigen Bericht sehr
wünschen. Ihre Rec. von H [artenstein] Metaph. ist noch nicht zu mir ge-
langt. Daß Rosenkranz Ihren Hrn. Weisse arg angefahren, [| ist mir zwar
nicht zu Gesicht aber zu Ohren gekommen; vor Schadenfreude bin ich
sehr sicher, denn der Schaden trifft die Philosophie im Allgemeinen,
Heren Ansehen durch solche Scenen immer von neuem leidet.
Möge Ihre Einleitung zur Psychologie als Naturwissenschaft Sie Selbst
angenehm beschäfftigen ; der Nutzen ist jedenfalls nicht zw-eifelhaft. Was
Sie mir über den Plan sagen, hat mich sehr erfreut. Wahrscheinlich
wird dieser Plan Sie von selbst darauf führen, auch über Naturwissenschaft
überhaupt das Nöthige zu sagen; und wenn Ihre Feder erst ins Laufen
kommt, wird das Diminutiv „Schriftchen", dessen sich Ihr Brief bedient,
sich von selbst vor der Schrift zurückziehn. Sie wünschen aber für Natur-
philosophie einen Anfang, bey dem man die Metaphysik entbehren könne.
Darum, möchte ich statt der Aufgabe, die Sie stellen, — den Artikel
Materie wie für ein physikalisches Wörterbuch zu bearbeiten, — einst-
1) Bd. XIII, 286 ff.
■') Ebenda S. 317 ff.
') Analytische Beleuchumg des Naturrechts und der Moral etc. Bd. XIII, 301.
230 1836-
weilen eine leichtere wählen, näralich die, mit den Physikern in ihrer Art
zu reden; ihnen ihre eigenen Lücken zu zeigen, und hiebey Vorschläge
zu Experimenten zu machen. Neulich fiel mir ein solcher Vorschlag ein,
um die verschiedenen Grade der Fluidität des Tropfbaren, oder, was
■dasselbe ist, umgekehrt die Cohäsion, sofern sie sich der Molecular-
Beweglichkeit entgegensetzt, zu prüfen. Gesetzt, wir versetzten einen
Wasser-Cylinder in Rotation : so ist klar, daß sein Moment der Trägheit
kleiner seyn muß, als das des nämlichen Cylinders, nachdem das Wasser
zu Eis gefroren ist. Denn das Eis muß sogleich einerley Winkel-
geschwindigkeit annehmen. Beym Wasser wird das Moment der Trägheit
nach Verschiedenheit der Temperatur kleiner seyn, wenn man annehmen
darf, seine Fluidität wachse mit der Wärme. Es käme nun darauf an,
ein weites und hohes Gefäß rotiren zu lassen; die Adhäsion des Wassers
an den Wänden insbesondere zu bestimmen um sie abzurechnen (viel-
leicht indem man vorläufig nur den engen Zwischenraum zweyer concen-
trischen Cylmder mit Wasser anfüllte, wobey die Adhäsion beynahe ver-
doppelt wäre, und das Zurückbleiben des Wassers, also die Verminderung
des Trägheits-Moments, den Unterschied zwischen Adhäsion und Cohäsion
zeigen würde,) dann nicht bloß Wasser bey verschiedenen Temperaturen,
mit gehöriger Reduction wegen vermehrter Adhäsion bey vergrößerter
Berührungsfläche an den Wänden bey größerer Ausdehnung des warmen
Wassers, — sondern auch andere Fluida, als Weingeist, flüssige Säuren,
u. d. gl. zu benutzen. || Wegen der Art, die Rotation zu veranstalten, die
Reibung einer eben so schweren Masse zu bestimmen, das Moment der
Trägheit aus der Beschleunigung während gegebener Zeit zu finden pp.
möchten nun die Physiker rathschlagen. Wir würden dann ferner wünschen,
daß man wegen der Compressibilität nicht bloß des Wassers, sondern
verschiedener Flüssigkeiten bey verschiedenen Temperaturen uns Bericht
gäbe. — Außerdem wünschte ich sehr, über meine Versuche — zunächst
über den des § 400 meiner Metaphysik der höchst leicht anzustellen ist,
etwas zu vernehmen. In solcher Art fragend würde man die Physiker
beschäfftigen können, und das möchte wohl das sicherste Mittel seyn sich
erst Berührung mit Ihnen zu schaffen. Meine persönliche Stellung ist
schon meines Alters wegen zu isolirt, als daß ich mich selbst auf der-
gleichen einlassen könnte; ich mache nicht bloß einige Ansprüche sondern
ich scheine deren hundertmal mehr zu machen wo ich den Mund öfifne,
und daher muß ich auf gar Manches Verzicht thun was sonst leicht genug
zu erreichen wäre. — Auch werde ich mich von Herzen gern bald ganz
und gar zurückziehn. Wäre nicht die amtliche Thätigkeit: vielleicht be-
gnügte ich mich bald, mit Händen und Füßen Musik zu machen, denn
ich besitze jetzt ein Pedal an meinem Fortepiano, an dem ich mir die
Zeit vertreibe, und das Faullenzen ist gesund. Leben Sie wohl, mein sehr
verehrter Freund, und, haben Sie bald einen heitern Augenblick der Muße,
so lassen Sie mich wissen, daß die Gesundheit wieder bey Ihnen ein-
heimisch ist! H.
August 1836. 231
573. Bobrik an H.') Zürich den Slten August 1836
Herr Hofrath ! Verehrtester Herr und Freund ! Herr Dr. Grube aus Königsberg
kehi-t aus Sicilien zurück, und hat mir bei seiner Durchreise liieselbst die Freude
gewährt, seine angenehme Bekanntschaft zu machen. Er hofft auch durch üöttingen
zu gehn, und deshalb benutze ich diese Gelegenheit, um wenige Zeilen Ihrer
freundlichen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Ohne diese Gelegenheit würden mich
Zeit und Ort, nächste Vergangenheit und nächste Zukunft mehr auffordern, zu
schweigen als zu schreiben.
Innerlich bin ich durch den fortgesetzten Vortrag der Geschichte der Philo-
sophie in ein Quellenstudium, insbesondere der Pythagoräischen Schule gerathen,
was mir bedeutende Aufschlüße gewährt von denen später hoffentlich die Rede
sein kann. Brandis I Bd der griech. röm. Philosoiihie ist vortrefflich. Ich lege es
fast keinen Tag aus den Händen.
Daneben habe den öfters von Ihnen ausgesprochenen Gedanken „Logik als
Moral des Denkers" mehr und mehr volutirt und evolvirt und hoffe damit eine
antihegelianische Logik zu Stande zu bringen.-) Drobisch hat mir die seinige zu-
geschickt.
Nächsten Winter werde ich nach. Ihren „Umrissen Pädagogischer Vorlesungen"
die Pädagogik vortragen. Logik, Psychologie, Pädagogik, Moral und Geschichte der
Philosophie sind nämlich jetzt obligatorisch für die Theologen gemacht, welche vor
den Theologischen Prüfungen eine philosophische zu bestehen haben, bei denen ich
der alleinige Examinator bin. Doch an sich ein Strohhalm in der Fluth. Denn
der äußre und innere Andrang der Zeitbegebenheiten hat unsre junge Anstalt eigent-
lich schon aufgelöst und demoralisirt. Jeder sucht sich zu erhalten, wo er kann
und zu retten wohin es geht. Von einem Zusammenwirken ist nirgends die Rede,
und schildbürgeiische Eitelkeit und Willkührlichkeit des sogenannten Erziehung srathes
absorbirt noch die letzen Elemente des guten "Willens.
Z. B. hatten -svir nur einen theologischen Dogmatiker und zugleich Kirchen-
historiker, Rettig, dieser starb Osteni. Statt seine Stelle zu besetzen, machen die
Herren zwei neue Profeßoren der Jurispitidenz, ex abrupto, so daß für 10 juridische
Studenten jetzt 7 Profeßoren sind, und creiren einen neuen Medicinischen Profeßor
ordin., deren schon 9 waren ; u. dergl.
Mit Oken, stehe ich äußerst freundschaftl. im Familienumgange, und wegen des
Antihegelianismus, und wegen der Angriffe Fichte's auch in wissenschaftlicher Hin-
sicht ziemlich g-ut. Er leidet auch viel. Z. ß. hat er in diesem Semester nur ein
Collegiiim zu Stande gebracht, und zieht sich vom Umgange, und von der Theil-
nahBie an Universitätsangelegenheiten immer mehr zurück, um gleich mir von allen
Berührungen mit dem radikalen Gros unserer Herren Coilegen frei zu bleiben. ||
Doch diese Jeremiade würde zu lang werden, und so will ich nur meine heutige
Bitte vortragen: Sollte man sich von Hamburg aus meinetwegen an Sie wenden, so
bitte ich Sie um wohlwollende Beurtheilung, damit ich baldmöglichst aus diesem,
zuweilen selbst äußeriich gefähriichen literarischen Botanybay komme.
Hartenstein hat mir einmal im Winter Etwas über Psychologische Zweifel
Strümpells, und Ihre Wideriegung derselben, aber so kurz geschrieben, daß ich
nicht im Stande war, das punctum quästionis zu verstehen. Sollte sich eine passende
Gelegenheit finden, so wünschte ich damit bekannt zu werden. Sollte sich übrigens
die Sache in Hamburg realisiren, so könnte Strümpell es hier versuchen. Vielleicht
gelingt es ihm besser, als in Bonn.
1) P/o S. 40. H. Wien.
-) Neues praktisches System der Logik. Ersten Theils erster Band. Zunch 1838.
2-12 August 1836.
Fichte ist nun — S])iel des Schicksals — in Bonn an meine verlaßene Esti-a-
ordinarienstelle gekommen, während ich ilim hier in den Weg trat. An Strümpell
bitte ich jedoch nichts eher zu melden, als bis ich zu Hamburg sicher bin, damit
hier nicht voreilig bekannt wird, daß ich fortwill.
Mit ergebenster Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin schließe ich für heute
mit der Versichemng meiner steten Verehrung
Ihr Ergebenster Bobrik.
574. Drobisch an H.') Leipzig, d. 31. August 1836.
Nehmen Sie, hochverehrter Freund, meinen herzlichen Dank für Ihre lehr-
reiche Recension meiner Logik, die ich nun gelesen habe. Es freut mich ungemein,
daß Sie Einiges darin gefunden haben, was nach Untersuchung aussieht; und daß
Sie das Buch nicht bloß anzeigend empfohlen, sondern auch recensiren wollten, ist
mir doppelt erfreulich gewesen. Ihre Bemerkungen geben viel Stoff zu fernerem
Nachdenken und Forschen, und wenn ich wieder einmal mit der nöthigen Geistes-
frische an die Logik komme, werde ich sie alles Ernstes vornehmen. Sie haben in
mir das Gefühl, das ich schon oft gehabt habe und von dem in meiuei Schrift nur
Proben vorliegen, erneuert, als könne die Logik künftig erst recht noch Wissen-
schaft werden. Sie kommt mir manchmal vor wie die Arithmetik, wenn sie Gauss's
und Lagrange's u. a, üntersuchimgen über die Theorie der Zahlen nicht besäße.
Doch viele Probleme müssen wiederholt und zu ganz verschiedenen Zeiten im Leben
vorgenommen werden; man rückt unterdeß auf einem anderen Flügel des Wissens
wieder ein paar Schritte vorwärts. Jetzt wissen Sie mich nun auf dem Felde der
math. Psychologie beschäftigt. Ich lege daher ein Blatt über die unvollkommenen
Complicationen bei und bitte mn Ihr ürtheil und Ihre Berichtigungen. Ich kann
noch immer nicht von dem los kommen, was ich in 1) und 2) gesagt habe und
3) ist nur ein hingeworfener Versuch, auf den ich nichts gebe. Wenn Sie die
Güte haben sollten, das Blatt Punct für Punct zu beantworten, so bitte ich, mir es
sogleich wieder beilegen zu wollen, da ich keine Abschrift besitze. Das ist nun die
einzige aber ziemlich alte und hartneckige Differenz mit Ihrer geistigen Statik. Sie
müßte im nächsten Programm mit andern zur Sprache kommen. Daher wäre mir
viel daran gelegen, wenn Sie jetzt auf Ihre I^irörterung eingehen könnten. Fürchten
Sie jedoch, daß, im Fall ich mich nicht zu Ihnen bekehren kann, die Differenz
Scandal geben könne, und daß wir noch zu sehr Ursache haben, der Schwachen zu
schonen — so können wir auch von etwas anderm reden. Ich habe mich nicht
verbindlich gemacht, von Allem zu sprechen. Indeß, offen gestanden, reiner ist
mir das Gewissen, wenn ich alles heraussagen kann, wie ich's meine.
Nicht zu bezweifelnden Privatnachrichten zufolge, die von mehreren Seiten
eingegangen sind, hat Hartenstein eine ordentliche Professur und Weisse keine-
Es II scheint nun nicJit noch die Berufung eines Auswärtigen vor der Hand zu er-
warten zu seyn, theils weil man ihm dann nicht füglich den Rang über H. anweisen
könnte, theils weil gleichzeitig der außerordentliche Prof. Bülau (der Staatswissen-
schaften) zum ordentlichen Professor (vermuthlich quasi der prakt. Philos. in partibus
infidelium) befördert worden ist. Bis zu Pölitz's und Krugs d ereinstigem Tode
wird daher wahrscheinlieh der bisherige Stand unverändert bleiben.
Der hiesige Student Beizer, der Sie vom Brocken aus aus dem Stegreife be-
sucht und mir Ihre freundlichen Grüße gebracht hat, ist von Ihrer Güte entzückt
und hat unter den jüngeren Freunden Ihrer Philosophie großen Allarm geschlagen.
Es wird wol zu Ostern eine große Auswanderung unserer besten Schüler nach
') 2 S. 4». H. Wien.
'836. 233
Göttingen stattfißdeh. Beizer gehört gerade nicht ganz darunter; es scheint, er
wird nie viel über den Skepticismus hinausrücken und dabei liegt ihm die liebe
Theologie wie ein Bleigewicht in den Gliedern. Könnte er dieses Studium ver-
abschieden, so. würde ihm wohler werden. Denn mit der Bibel (neuen Testaments)
scheint sich unsere Philosophie ganz wohl zu vertragen, aber wenn sie für Alles
stehen soll, was die liebe Kirche jemals ausgeheckt hat, so steht es schlimm. Dem
Protestautismus scheiut nur geholfen werden zu können, wenn er nicht nur die
alüatholiscfic Tradition , sondern auch die protestmitischkirchViche Tradition aus
Auctorität aufgiebt, und sich nur noch an Bibel und exacte Philosophie klammert-
In der philos. Religionslehre scheint fast Kant der Erste zu seyn, der gar nicht
mehr Scholastiker ist, aber an Scholastikern nach ihm hat es nicht gefehlt.
Wer ist denn der Hr. W. M., der in den Gott. Anz. Nr. 131 ff. nicht ohne
Wohlgefallen Hegels vermischte Schriften angezeigt hat? In den Gott. Anz. war mir
diese Erscheinung neu und auffallend.
Ganz der Ihrige Drobisch.
575. An Drobisch.^) Ohne Datum.
Nicht eher als jetzt, mein theurer Freund, da sich die Collegien
schließen, konnte ich bey meinen jetzigen Gesundheits- Umständen dazu
kommen, die von Ihnen in Anregung gebrachte Frage wieder vorzunehmen.
Gewiß müssen Sie aus freyer Brust reden ; und gewiß auch dürfen Sie
nicht zögern, denn nichts ist uns nachtheiliger als Stockung. Aber zugleich
verdanke ich Ihnen die Behutsamkeit, womit Sie das Einverständniß mit
mir, selbst in einem für jetzt noch wenig bedeutenden Puncte zu erhalten
geneigt sind. Zwar wir beyden werden uns nicht entzweyen, — am
wenigsten wegen der unvollk. Complicationen, - — aber das Völkchen
draußen, was uns beobachtet, würde hier schon großen Lärm schlagen,
wenn Einer von uns bestimmt verneinte, was der Andre bejahte. Daher
bitte ich, erstlich von Ihren Untersuchungen nichts zurückzuhalten, aber
auch zweytens die Differenzpuncte als Gegenstände die wohl noch fraglich
seyn möchten , zu bezeichnen. Bedenken Sie daß wir Leute vor uns
haben, die von unseren Differenzen rein nichts begreifen, und bloß unser
Benehmen beobachten!
Was nun die Sache selbst anlangt: so scheint mir beym Anstoßen,
wie hier, immer der beste Rath, die Untersuchung von einem andern
Puncte aus anzugreifen, wo man noch nicht befangen ist in vorgefaßter
Meinung. Schon vor einem Jahre überlegte ich das allgemeinere Problem
zweyer unvollk. Complexionen, was man kurz so bezeichnen kann:
a r o «
p n
h r'Q' ß
Indem ich jetzt darauf zurückkomme, finde ich folgendes: |[
I.) Was jede Vorstellung gegen die andre wirkt, wird gemäßigt theils
durch den Grad ihres Gegensatzes, theils durch ihre eigne Stärke. Ein
Zusatz zu dieser Stärke ergiebt Verminderung der Spannung, worin sie
durch irgend welchen Conflict gesetzt werden kann. Die Hülfen sind
') 4 S. 4".
234
1836
solche Zusätze. Daher setze ich die Energien, womit die vier Vorstel-
lungen wirken können:
für a für b ' für u für ß
ap bp «71 ßn
XQ r-Q- xo
a -) b -)- -— a -j-
ab«
2.) Wird eine solche Energie gerichtet gegen eine, mit einer Hülfe
verbundenen, Vorstellung: so muß das Leiden von dieser Energie sich ver-
theilen, so daß die letzterwähnte Hülfe ihren Antheil davon trägt. Ist
r'p'
zum Beyspiel -— eme solche Hülfe, welche b empfängt, so kommt es an
b
x'q'
auf das Verhältniß zwischen b und — — , oder b^ : r' q'. Sey also irgend
x: so zerfällt das durch sie bewirkte
b2 . r' Q'
eine, auf b drückende Energie
Leiden nach dem Verhältnis x
und X
Demnach
b2 -|- r' q' b2 -f r' q'
gilt für die Energie, womit a auf b wirken kann, folgende Vertheilung,
welcher die andern analog sind:
ap
b2
a +
XQ h^ -\- x' q'
und
ap
x' q'
XQ b2 + r'p'
a-j
a
Eben so
nun
bp
b +
X'Q'
bp
a n
IP
« +
XQ ß^-\-X'Q'
a
« 71
X' Q'
« +
XQ fi^ + r' q'
a
ßn
ry
a.'^ -\- X Q
Z^ -\- X Q
«2
ß-V
«2 -j- r p
ß
ßjl X Q
ß +
r'p' «2-|-rp
T
3.) Jede der vier Vorstellungen /eiste/ Hülfe; daher ist sie einem
doppellen Drucke ausgesetzt, aber auch jede empfängt Hülfe, d. h. sie ge-
räth, wie oben schon erwähnt, in geringeres Leiden, da sie durch einen
Zusatz verstärkt ist. Hätte a z. B. den Druck y zu leiden: so würde,
falls a ohne Hülfe wäre, hieraus ein Leiden entstehn, welches jetzt, da
r-p y y a
mit a die Hülfe — ^ verbunden ist, nach dem Verhältnisse von — zu — —
a a a^ + rp
vermindert ist, indem es auf das umgekehrte Verhältniß der Größen
ro
a -j- a -| — ^ ankommt,
a
4.) Alles zusamrnenstellend finde ich nun folgende Verhältnißzahlen
des Leidens, wobey in Bezug auf 2.) zu erinnern ist, daß der helfende
1836.
235
ap
Rest q' von /i herrührt, als die obige Größe
rp .
a4--^ ■ b2 + r'()''
a
einen
Theil desjenigen Drucks bestimmt, der auf i'i fällt; und nach dieser Ana-
logie auf a ein Druck fällt, der von ß ausging, und die, dem « geleistete
o
Hülfe r . " treffen muß.
«
I. a leidet im Verhältniß
ap
+
1^71
TQ
■^ b ^"^ /y
IL b leidet im Verhältniß
a- + r?
ap
b2
:7-7 +
a n
T'Q'
TQ b2 + r>' ' XQ'lP + r'Q'
a + — - «H
a «
III. u leidet im Verhältniß
ßTl
w
b2 4- r' Q'
a
ß+'-f "' + ^^' b + ^
IV. /? leidet im Verhältniß
an:
/^2
73 +
ap
r'p'
, r p /:/2 1 r' p' ' , rp "b2 + r'p'
« -| a -) ^
« «
/?
/?2 + r' p'.
5.) Um diese Verhältnißzahlen zu leichterer Übersicht zu bringen,
setze ich:
a2
+
b2
rp
b2
+ 1
■'p
«2
«2
+
rp
LI
/y2 -f. r' p'
X
so wird I: [p?. z -|- >^ »' (i — /^O]-"" II: [p?v x -}- ti « (i — >/)]b
a
III: [tt^.u + pMi-x)].^ IV: [.-z,u,' + px(i -/.)]. ^.
6. Es [sey] /j = o, also auch p' = o, ?.^i, desgleichen 71 = 0, so wird
I: px2
a
oder p .
II: px
III:
P(i
0-
A'
a
a^
r p . a
(a2 + rp)2 ^•(a2-frp)b ^ * (a2 + rp) . («2 + r p)
wo III von S. 218 der Psychol. abweicht.
236 1836.
Sie hatten also Recht, meine frühere Rechnung zu tadeln. Sie haben
auch jetzt Recht zu sagen: eine Offensiv -Alliance sey nicht vorhanden;
darauf beruht das Obige gleich Anfangs; i.) und Hülfe diene nur einen
r 9
Angriff abzuwehren. Nämlich der Factor — — zeigt, daß, indem a an-
a- + rp
gegriffen wird, ein Theil des Drucks, von welchem a leidet, vermöge des
a
helfenden o auf « übergeht, der Factor — r— r aber zeigt, daß « wie von
«2 -)- TQ
jedem, so auch von diesem Drucke, nicht ganz in dem Verhältnisse—
cc
a
sondern in dem geringeren — -— , leidet, indem es überhaupt weniger
«2 _|_ r p
in Spannung geräth, da es mit a verbunden ist. Der Druck, den b aus-
übt, ist schon vertheilt, indem a und die Hülfe von ihm angegriffen
werden; und es kommt kein neuer Druck hinzu, den etwan a wieder auf
a zu übertragen hätte, sondern das robur des «, wodurch es den Druck
wefiiger an sich kommen läßt, ist und war schon im Voraus desto größer,
je größer r, u. je vollständiger dessen Aneignung durch — . || Dieselben Be-
griffe lassen sich nun auch bey I und bey H verfolgen. Nämlich
Der
a^ . a a^
— -— — zerfällt in die beyden Factoren — und —
(a2+rp)2 ^ a^ + rp a^ + r ^
erste zeigt, daß a nicht ganz in dem Verhältnisse , sondern wegen des
durch die Hülfe vermehrten robur nur in dem geringeren Verhältnisse
a- . . . I
— — — leidet, welches, wenn r oder p abnähme, sich wieder in — ver-
a^ -\- I Q a
a- r p
wandeln würde. Der zweyte Factor, —- , macht mit : das
a- -|- '^P a- -|- r p
Ganze des vertheilten Drucks kenntlich, wenn man zusammenfaßt was a
und was a leiden. Aber auch b leidet weniger als in dem Verhältnisse
— , weil « nachgiebig ist, dergestalt, daß, wenn r p = o wäre, alsdann das
ursprünglich natürliche Verhältniß — zurückkehren würde. Der Factor
b
a2
„ , bestimmt hier die Vertheilbarkeit (des Conflictes zwischen a und
a'' -f- r p
b) wegen u. Die Proben für r' u. p' = 0, für r = a und p = « u. dgl.
werden Sie leicht anstellen. Die Sache scheint mir nunmehr hinreichend
klar; wenn dies sich Ihnen bewährt, so können Sie die Untersuchung
als auf Ihr Geheiß entstanden ansehn, denn ohne Ihre wiederhohlten
Mahnungen wäre ich nicht dazu gekommen. Die Frage, ob eine Schwelle
möglich? und die Erweiterung auf drey unvollk. Complexionen muß ich
Ihnen für jetzt überlassen.
Durch letztere würde der Gegenstand vielleicht in ein noch helleres
Licht treten; wenigstens scheint vorstehendes, im Vergleich gegen meine
a3
a2
b(a2 4-r(,)
1836. 237
ältere Arbeit, daran zu erinnern, daß man nicht immer JNIühe spart, wenn
man zum Anfange den Umfang eines Problems beschränkt. — Auch
möchte ich Sie aufmerksam machen auf dreygliedrige Complexionen, für
die noch gar nichts gethan ist. Mit herzlichen Wünschen für Ihr Wohl-
seyn der Ihrige H.
576. An Drobisch. O^^e Datum. 0
Erlauben Sie, mein theurer Freund, daß ich meinem letzten Brief
noch ein paar bestätigende Zusätze nachsende. Meine gefundenen Ver-
hältnisse für a, b, « waren
für a
für b
ISIan kann nun sowohl a, als b, als a, unendlich groß annehmen,
und in jedem der drey hier angenommenen Fälle muß etwas herauskommen,
das sich, unabhängig von den Formeln, erwarten läßt.
i) Es sei a unendlich groß. Nun fällt tq neben «- weg; die Ver-
hältnißzahl für a wird — . : also unendlich klein, wie sich gebührt.
a a.- -\- ro
a I
Die ersten beiden geben das Verhältniß — : —-, also, wie natur-
al -[- r p b
rp
lieh, das umgekehrte von a -| zu b.
a
2) Es sei b unendlich groß; also die Hemmung des b unendlich
klein. Nun kommt
a^ / a I r?
für a, — =a2 . I — das Umgekehrte von a -|
a- -{- Tg \a"- -j- rp a
«rp / « , TT , 1 > ^P\
für «, = ro . das Umgekehrte von u -\
' «2-f rp ^ \«2 -f- rp " ^ «/
Hier kann das unendliche b doch nicht a auf die Schwelle drängen,
denn die Hemmungssumme (welche = a seyn muß) vertheilt sich zwischen
a u. M nach drey Verhältnissen, welche sind a : r, a : p, und die umge-
kehrten der Totalkräfte, nach welchen letztern sich die verminderte Nach-
giebigkeit sowohl des a als des « richtet. Von r u. p im Verhältniß
gegen a hängt dagegen die Innigkeit der Verbindung, also die Compli-
cation, ab. ||
3) Es sei a unendlich groß. Dadurch wird die Verhältnißzahl für
a unendlich klein in der ersten Potenz, die für a unendlich klein in der
zweyten Potenz, wegen des doppelten Verhältnisses, worin a theils gegen r.
theils gegen o steht; die für b wird — , und die Rechnung wird ergeben
b
') 2 S. 4". — Poststempel 12. 9.
22g September 1836.
S : S, d. h. b muß die ganze Hemmung allein tragen. — Noch
I I
b"' V
einen vierten Fall füge ich hinzu:
4) a = b. Dies ändert nichts an der Verhältnißzahl für «, allein
a2
die Hemmung des a zu der von b verhält sich nun wie .^ : i
o
= : a also umgekehrt wie das durch die Hülfe verstärkte a
a.^ -\- TQ
zum einfachen a.
Ohne Zweifel konnten Sie diese Bemerkungen auf den ersten Blick
Selbst machen; allein — die Dringlichkeit unserer Angelegenheiten scheint
zu wachsen! Schon vor einigen Wochen schrieb ich Ihnen im Vertrauen
von W[endt]s Krankheit. Es geht schlimm und immer schlimmer. Wie lange
ich ihn überleben werde, weiß ich zwar nicht; aber je weniger ich auf
meine Kräfte zählen kann, desto nöthiger ist Bevestigung gegen mögliche
neue Hindernisse von außen. Eine Vacanz dicht neben mir kommt
zu früh.
Bald werden Sie mich hoffentlich bestimmter von H [artenstein] s An-
stellung benachrichtigen können. Und überhaupt habe ich nun wohl baldige
Mittheilungen von Ihnen zu erwarten. Möchten Sie aus Ihrem eignen Hause
das Erfreulichste zu melden haben! Unverändert der Ihrige! H.
Randbemerkung:
Sie fragen nach einem W. M., der Hegels verm. Sehr, hier angezeigt
habe? Davon weiß ich zwar nichts; aber bald nach meiner Ankunft
wurde mir gesagt: die meisten hiesigen Privatdocenten seyen Hegelianer.
Das Mitmachen in mehr als Einer Hinsicht scheint nahe bevor gestanden
zu haben. Die altern Herrn bekümmerten sich darum nicht; merkten
nicht, wußten nicht, — — daraus mögen Sie auch jetzt noch meine
hiesige Stellung beurtheilen. Übrigens kann jener Rec. auch in Hannover
oder sonst wo residiren. — Heute geht mein Herr Vetter, seit einem
halben Jahre Student, auf eine Wanderung über Leipzig nach Dresden.
Es ist sein eigner Einfall, daß er Sie und Hartenstein begrüßen will; ich
habe bjoß nicht abgerathen. Vielleicht hätte ich ihm doch sagen sollen,
daß nicht jeder Wanderer das Recht habe, Sie zu stören; wollen Sie ihm
indessen ein Viertelstündchen gönnen, so wird er Ihnen wohl nicht mis-
fallen, und er kann seine Neugier befriedigen. Aber — im vollen Ernste,
mein theurer Freund! ich wünsche nicht daß er Ihnen auf irgend eine
Art lästig falle.
577. Drobisch an H. 'j Leipzig 15. Sptbr 36.
Hochverehrter Herr und Freund! Sie haben die Antwort auf 3 Briefe und
eine Recension gut. Aber erfassen sie mir für heute das Eingehen auf die Rechnungen,
die ich nur sehr flüchtig angesehen habe. Ich bin dazu jetzt schlecht befähigt,
denn es ist uns wieder etwas schlecht gegangen, trotz Ihrer guten Wünsche. Erst
ward ims unser Kind krank, in Folge einer unbedeutenden Erkältung, und bekam
1) 4 S. 4». H. Wien.
September 1836. 239
ein zwar nur einfaches aber ziemlicli heftiges Reizfieber, das anfangs ein kaltes zu
werden drohte und uns wegea des Blutandrangs nach dem Kopfe wie immer Be-
sorgniß machte. Und als dies vorüber war, kam ich. in Folge einer ähnlichen
unbedeutenden Üelegenheitsui-sache, an die Reihe, mit meinem alten üebel, dem
Kopfrheumatismus, von dem mich nur die ßlutigel wieder befreiten, wovon mir aber
doch Abspannung und Abneigung zu größerer geistiger Regsamkeit geblieben ist.
Ich muß mir schon also etwas Kühe gönnen.
Cm über die Logik noch ein 'Wort zu sagen, so sind Ihre Beobachtungen natür-
lich auch Thatsachen. Indeß dächte ich doch, daß man allenthalben die Logik wenn
nicht im Kopfe doch gern im Munde führte, so z. B. in den Kammern, den Jour-
nalen etc.. ja in dem neuen phys. Wörterbuch Bd. VII S. 508 lesen Sie in der
ersten Zeile „daß Logik, Mathematik, Chemie und Physiologie für das Studium der
Physik im engern Sinne als zunächst liegende und wichtigste Hülfswissenschaften
genannt zu werden verdienen,-' und daß ein Franzos und ein namhafter Mathematiker,
wie Gergonne, sich doch noch mit einigen logischen Capiteln die Mühe genommen
hat, sie zu bearbeiten, hat mich recht gefreut und ermuntert. In jedem Falle gebe
ich die Ehre, sie hier aufreclit erlialten zu haben, nicht Krug, sondern schreibe e&
der conservativen Natur der sächsischen Bildung zu, die sich nicht leicht entschließt,
etwas Erprobtes übereilt wegzuwerfen. Unsre Gelehrten erkennen allgemein und
willig an, daß es gut und nothwendig ist, die Logik einmal gründlich durchgemacht
zu haben, wenn sie sie auch so wenig wie andre aufschlagen, wenn sie über Gram-
matik oder Criminalgesetzgebung || schreiben wollen. Und mich dünkt, diese An-
erkennung ist schon etwas werth. Für Königsberg hat freilich Kant die syllogisti-
schen Figuren todt geschlagen: avxos icpal
Nehmen Sie nun auch meinen herzlichen Dank für die Recension des Pro-
grammes. Ich wollte aber doch, ich hätte Ihnen das erste erst mit dem vierten
gesandt, denn jetzt übersehe ich erst die Dürftigkeit der paar Blätter. Auch habe
ich mich in der Vorrede über ihren Zweck doch wol noch nicht deutlich genug
ausgedrückt. Der Sinn der Programme will nicht viel mehr bedeuten als ob ich
unter das Ende des ersten Bandes der Psychologie schriebe: „gelesen und nach
bestem Wissen und Gewi.ssen in calculo richtig befunden!" Es sollen diese specimina
.eine Rechnungsrevision darstellen, mit der nicht viele zu thun haben mögen, die
aber doch auch gemacht werden muß. Die Mathematiker sollen und können sie
nicht locken, da hätte ich in der That ab ovo anfangen müssen, was erst ein ander-
mal geschehen soll. — — Dazu einiges Einzelne. —
Das Verdienst des Ausdrucks imago notionis gehört nicht mir, sondern Ihnen
(F. de att. mens. p. 5.) das Versehen am Ende des Art. 3. will mir nicht
einleuchten, wenn ich Sie anders nicht ganz mißverstehe: die summa productorum
e gradibus, quibus singula quaevis notio reliquis omnibus contraria est, in robora
earumdem besteht für 3 Vorst. immer nur aus zwei Gliedern und für u aus n — 1;
auch ist durch das minima summa allemal die rechte, wenn auch nicht immer die
II m
größte Vorstellung ausgeschlossen. In dem Schema a p 1. sind die Größenverhält-
nisse von m, n, p beliebig, nicht immer m>n>p zu denken. Dann läßt sich
was sie durch 6 Stellungen von m, n, p zwischen a, b, c ausdrücken, auch durch
die 6 Fälle:
1) m>n>p-, 2) m >p>n; 3) n>m>p; 4) n>p>m: 5) p>m>n;
6) p > n > m bezeichnen. Dann ist doch wol die kleinste der 3 Summen p b + n c,
p a -|- m c, n a -}- m b die H. S. V
In dem was in den Buchhandel kommt, habe ich dieser Darstellung noch einen
Artikel gewidmet. — Durch den Tadel über die Vorstellung der Bestimmung der
240 September 1836.
H. S., so wie über die Additiou der Hemmungszwecke will ich Ihnen nicht zu nahe
getreten seyn. Ich sprach nur damit die Thatsache aus, daß ich und meine Schüler
zuerst hier stutzten und Schwierigkeiten fanden, die bei der andern Auffassungs-
weise wichen, vielleicht nur, — weil ich die erste nicht erfunden hatte.
Ihre Fragen, die Sie an die Physiker zu stellen rathen, anstatt ihnen eine
faßliche Auflosung |1 des Problems der Materie anzubieten, finde ich an sich höchst
sinnreich. Aber die Metaphvisik würde damit nichts gewinnen. Persönlich würde
man die Metaphysiker zwar um so mehr als gründliche Liebhaber schätzen, je mehr
sie sich um das Detail der Physik bekümmern und dies selbst zu mehren suchen,
aber der Handel ist gar zu ungleich: die Metaphysik kauft hier immer mit baarem
Geld und bringt nichts zum Tauschhandel jnit. Denn Sie können niemand über-
zeugen, daß Ihnen Ihre sinnreichen Voi'schläge zu Experimenten und Experimente
nicht auch in den Sinn gekommen wären, wenn Sie von Metaphysik nichts wüßten.
Jetzt aber will mirs oft vorkommen, als sey fast die Zeit des Wartens: denn es
gährt doch in der Empirie gar zu imgeheuer und zu schnell. Da war heute der
Professor Ehrenberg') aus Berlin bei mir, schon von früherer Zeit einer meiner Be-
kannten, und hat mir von seinen merk\TOrdigen Entdeckungen in der Welt der In-
fusorien erzählt. Wem soll es nicht schwindeln, wenn er hört, daß es als Thatsache
der mikroskopischen Beobachtung vorliegt, daß Gebirgsarten von allen Formationen,
mit größter Bestimmtheit aber, Kalk, Kreide. Feuerstein u. a. aus den Panzern
todter Infusorien zusammengesetzt sind, deren Organisation vollkommen wohl er-
halten ist ? Und diese Organisation ist keineswegs eine sehr einfache niedrige, sondern
eine sehr vollkommene. Freilich wird damit die Schellingsche Naturphilos. vollends
über den Haufen geworfen, die da Schleimklümpchen und unvollkommene Organi-
sationen suchte, wo man jetzt Thiere mit vielfachen Entwicklungsstufen mit Freß-
werkzeugen, Magen, Eingeweiden, Sinnesorganen und allen Kennzeichen willkür-
licher Bewegungen beobachtet hat? Ich habe selbst einmal es mit angesehen, wie
Ehr. seine Infusorien mit Pflanzenfarben füttert, wie die Fischer die Karpfen in
den Teichen, und wie die Verticellen an ihren Korkzieherartigen Stengeln herbei-
geschossen kamen wie die Wasserratten. — — Erinnert nun solch ein Besuch an
die üebermacht der Empirie auf eine für uns etwas verdrießliche Weise, so erfreute
mich in ganz andrer Art der Besuch Ihres Freundes und ehemaligen CoUegen Prof.
Sachs, mit dem icli mich ein paar Stunden recht ausgesprochen habe. Hätten nur
alle Empiriker den Sinn dieses Mannes, der nicht Metaphysiker seyn will, aber doch
das metaphysische Bedürfniß empfindet, ihr Licht nicht verschmäht, ihr entgegen
kommt und, wie es scheint, seine Schüler zu einem philosophischen Studium seiner
Wissenschaften antreibt. S. ging wie E. nach .Jena zur Naturforscherversainmlung.
Meine Gesundheit und das Wetter haben mir für meine Person das Problem, ob
ich hingehen sollte oder nicht, sehr befriedigend gelöst.
Wenn an Ihrer Seite eine Vacanz eintreten sollte, so ist das allerdings zu
früh, insofern Sie entweder in Göttingen noch nicht genug die öffentliche Meinimg
der Universität für sich zu haben glauben, oder doch schwerlich jetzt schon einen
gleichgesinnten und in derselben Richtung fortgehenden Collegen erwarten können.
Aber würden Sie je erwarten, !| daß Ihre Eegierung zwei Männer Einer Farbe neben
einander anstellte? Wir- thun was wir können und nach bester Ueberzeugung ;
wenn aber die Verhältnisse mächtiger weiden als wir, so verzichten wir für unsre
Person auf die Freude, den Sieg des Guten zu erleben und halten fest an dem
') Der Naturforscher Chr. Gottfr. Ehrenberg (179.5-1876), der damals eben
•seine Entdeckungen über die Infusionstierchen und die Bildung der Kreidefelsen ge-
macht hatte.
September 1836. 24 1
Glauben an eine Vorsehung, die ihm doch endlich sein Recht geben wird. Zuletzt
muß der Einzelne doch häufig genug sagen : „ich danke Gott am Abend und am
Morgen, daß ich nicht hab' fiir's röm'sche Reich zu sorgen."
So bald ich meinen Kopf freier fühle, schreibe ich Ihnen, auch ohne alle
weitere Veranlassung, über die psychologischen Rechnungen. Hai-tensteins Anstel-
lung ermangelt zwar noch der officiellen Bestätigung, aber auch keiner andern und
ist, wie man zu sagen pflegt, so gut als gewiß. Aber unser jetziges Cultus-
ministerium ist etwas langsam.
Ich empfehle mich und meine Frau Ilinen und Ihrer Frau Gemahlin fernerem
"Wohlwollen. — Ihr werther Verwandter soll mir willkommen sej"n.
Der Ihrige Drobisch.
57(S. Brzoska an H.') [Ohne Datum.]
Hochwohlgeborner Herr. Hochzuverehrender Herr Hofiath. Je mehr ich im
Fortgänge meiner Studien von Bewunderung und Verehrung für Sie erfüllt wnrde.
jemehr ich täglich kennen lernte, wie unendlich viel ich Ihnen zu danken habe, um
desto lebhafter trat in mir der Wunsch hervor, Ihnen, Herr Hofrath, meine Ver-
ehrung und Dankbarkeit auch öffentlich an den Tag zu legen. Füllen Sie gütig das
Maß der mir erwiesenen Wohlthaten, nehmen Sie den von mir dargebrachten wenn
auch unbedeutenden Beweis meiner ergebenen Gesinnungen mit dem "Wohlwollen
und mit der Nachsicht auf, wie sie mir einst ganz unverdient zu Theil wurden.
Was Gutes in der übeiTeichten Schrift ist, gehört doppelt Ihnen; ohne Ihr Schüler
zu sein hätte ich mich nimmer zu den dort niedergelegten Ansichten durchgearbeitet,
wäre mein Blick nie geschärft und gerichtet worden, die dazu nöthigen Erfahrungen
zu machen; und der Gedanke, Ihnen das Buch zu weihen, welcher mich vom ersten
Augenblick seines Entstehens belebte, hieß mich meine Kraft aufs äußerste an-
spannen, um nicht gar zu unwürdig vor Ihnen zu erscheinen; ich bin zufrieden
und glücklich, wenn es Ihren Beifall findet.
Für die bei meinem Besuche durch Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin ge-
fundene so freundliche und gütige Aufnahme sage ich meinen wärmsten Dank. Ich
kann versichern daß jene wenigen Stunden gewiß zu den schönsten meines Lebens
gehöreo; noch immer sind Sie der Gegenstand der lebhaftesten Unterhaltungen mit
meinem guten Weibe, und schon wird ein Plan entworfen, meine theuren Wohl-
thäter wieder einmal zu sehen. Zwar ist dieser ersehnte Augenblick aus einfachen
,.Natur"gründen wenigstens noch auf "., Jalir hinausgesetzt aber um so mehr Freude
wird uns sein endliches Erscheinen gewähren.
Was Jena und die hiesigen Verhältnisse in Bezug auf mich anbetrifft, so lerne
ich täglich immer deutlicher einsehen, daß in dem vielen Verkehrten, was ich gethan
habe einen Hauptplatz meine Übersiedlung von Leipzig einnimmt, doch tröste ich
mich damit, daß auch die traurigste Erfahrung immer eine Erfahrung bleibt, daß
Gott nichts giebt das nicht zum Besten gereicht und uns von der Last befreit wenn
sie zu schwer wird. || Um nun etwas von meinem Institute, von dem der Haupt-
vortheil für mich darin besteht, daß es mich in praktisch-pädagogischer Übung erhält
und Gelegenheit zu neuen Versuchen und Erfahrungen darbietet, auch in pecuniärer
Hinsicht zu gewinnen, gebe ich in demselben täglich 5 Stunden Unterricht.
Außerdem lese ich tägUch 1 Stunde ein privatißimura über Homer und zwar schon
zum 4ten Male in Jena. Dieses Collegium macht mir außerordentlich viel Freude,
') 3 S. 40. H. Wien. — Brief mit einer aufgedruckten Ansicht von Jena,
jedenfalls mit ßrzoskas Buch „über die Notwendigkeit päd. Seminare'* an Herbart
geschickt.
Herbarts Werke. XVIII. 16
2A2 September 1836.
meine Zuhörer sind fleißig und voller Theilnahme und so kümmert's mich nicht,
daß mancher der Herrn Fakultisten , besonders Hand, der seit längerer Zeit \
trotz seiner ästhetischen Winke, keine Vorlesung zu Stande bringt, zuweilen einen |
scheelen Blick auf mich wirft. Auch meine Schulmeisterei macht mir jetzt nachdem I
ich die ganze 2te Klasse welche mehrenteils aus erzfaulen Bürschchen bestand und \
jährlich gegen 140 Rthlr. kostete und Honorar nur auf dem Papier bezahlte entlassen :
habe, nicht wenig Freude. Vor Weihnachten stellte ich eine Prüfung meiner Zog- ;
linge an zu der ich die Eltern und namentlich den Vater meiner beiden Pensionaire I
eingeladen hatte. Das Resultat war vollkommen befriedigend; selbst meine beiden
Pensionaire, die bisher gänzlich verwahrlost und ohne die geringsten Kenntnisse
waren, zeichneten sich in der Art aus, daß ihr Vater, Baron von Metsch, in der j
Freude seines Herzens, einmal doch etwas Gutes an seinen Jungen zu erleben ■
jedem meiner Lehrer 2 holländ. Dukaten schenkte und mir in wirklicher Rührung j
nur durch einen festen Händedruck zu danken vermochte. Ob ich jedoch selbst |
bei solchen erhebenden Aufmunterungen lange noch den großen täglichen An- '
strengungen, zumal da sie mir die beste Zeit zu meinen eigenen Studien nehmen,
werde gewachsen sein, muß ich bezweifeln. Was soll aus mir werden, wenn ich |
nicht für mich fortarbeiten kann? Ich glaube hier und da manche ganz gute Idee i
zu nähren, aber unter solchen Umständen würde ich sie wohl nie ins Leben ein-
führen können. Und was nun vollends meinen allersehnlichsten Wunsch betriff j
nämlich ein vom Staate autorisirtes Paed. Seminar zu haben, so wird er mir hier '
nie erfüllt werden. Von unserm Consistorium habe ich hierbei nichts zu erwarten,
wenn gleich ich bei ihm recht gut, ich möchte sagen in einem gewissen Respect
stehe, denn dasselbe besteht aus Geistlichen vom vorigen Jahrhundert, welche ihre
Schule für ein unbedeutendes Ding neben ihrer Kirche ansehen, das nur in so fern
zu beachten ist als es zum Futterkasten für brodbedürftige Candidaten der Theologie ■
dienen kann. Und Geld für- eine solche Anstalt herzugeben ist ihnen vollends 1
unmöglich aus dem einfachen Grunde, weil sie selbst keins haben und auch keine j
Hilfsquellen zu öffnen verstehn. Doch Gott befohlen! j
Neben dem für Sie, Herr Hofrath, bestimmten Exemplar lege ich in dem
dümiern Päckchen ein || Exemplar für Herr Hofrath Dißen bei indem ich Sie er-
gebenst ereuche, ihm dasselbe gütigst einzuhändigen und ihn zugleich meiner größten
Hechachtung zu versichern. Vielleicht hat derselbe die Güte eine Anzeige von der
Schrift zu besorgen, da Sie sich derselben enthalten wollen. Herr Hofrath würde
gewiß durch diesen Beweis des Wohlwollens mich außerordentlich verpflichten.
Mit d^n aufrichtigsten und wärmsten Wünschen für Ihr und Ihrer hochverehrten !
Frau Gemahlin Wohlbefinden empfehle ich mich und meine Frau beiderseitiger
Gewogenheit und habe die Ehre mit der höchsten Verehrung zu verharren
Ew. Hochwohlgeboren ergebener Brzoska. j
P. S. Ich ersuche Sie meinen lieben Landsmann recht herzlich zu gmßen. I
579. Drobisch an H.^) Leipzig d. 19. Septbr. 36.
Da ich mich seit gestern etwas freier fühle, obgleich weder in den Kopf
noch in die Beine die gewöhnliche Kraft zurückgekehrt ist, so habe ich nun Ihre
gütigen Mittheilungen durchgegangen und kann mich damit einverstanden erklären.
Bleibe ich zunächst bei den Voraussetzimgen der Psychologie stehen, wonach '
a und a nach den Resten r nnd q complicirt sind, und dem a im Grade p, b ent- |
1) 2 S. 40. H. Wien.
September 1836. 243
gegensteht so wäre, wenn die Hemmungen von a, b, a beziehlich x, y, S heißen,
so zu rechnen :
1) b wirkt auf a proportional seiner Stärke b, dem Gegensatz p und der Span-
1 , bp
nung -^, also -^ = P-
2) Aber b kann nicht auf a wirkea, ohne auf seine Complication mit o; da
also letzteres dem a die Hülfe — leistet, so ist die Wirkung von b als Beiden der
Complication von aund «im Verhältniß a: — oder a* : rp auf diese zu vertheilen, so
daß vermöge der Wirkung des "b.
Q * T)
a proportional
a' + rp'
a^ + re'
o proportional „ , — leidet.
a* + re
Aber beide leiden auch nach Verhältniß ihrer Spannung, also a prop.
a prop. — r— : daher ist
j, «^p arpp aTQX a'| ,..
^ '■ S = , i , VA '■ TT-, ri-T—, r; woraus -j-, — = -i-j (1)
(a* + rp)^ (a^ + rp) (o^ + rp) ' o^^ + rg a^ + rp"'
Femer wirkt a auf b im Verhältniß seiner Stärke a, seines Gegensatzes p und
seiner Spannung — — , also proport. ^ , — . Dieser "Wirkung proportional leidet
a* + rp a--f~rp
b, zugleich im Verhältniß seiner Spannung -r-. Da nun a an sich gar nicht wirkt,
sondern nur dem a hilft so ist
a^p a*p X ay ,_^ „
X : y = , . , — r-, '• irro—r — -^ ; woraus -^ = „ / (2).
^ (a= + rp)* bCa^ + rp)' b a^+rp ^^ "
Endhch ist noch, wenn S die Hemmungssumme (== pb, wenn b <; a),
X + y -f ^ = S (3)
Aus diesen drei Gleichungen ergiebt sich, wenn wir zur Abkürzung
a^b (a^ + rp) + «2 (a^ + rp) (a^ + rp) + orpb («« + rp) = N setzen,
a^b (fx^-f-rp) S
" ~ N
^ aMa^ + rp)(a^ +
r?)
S,
y N
^ arpb(«« + rp)S
N
a'
und X : y : g — ^ „ ,
1?
■ iTT
2?
,2 1 \
«rp
(a^ + rpf ■ b(a-^ + rp) • (a^' + rp) (a^ + rp)'
wie bei Ihnen. Denn an der Richtigkeit der Gleichung (3) ist wohl nicht zu zweifeln,
und von Verschränkungen, die, diese Summe der HS. gleich zu setzen, nicht er-
lauben, kann nach jetziger Rechnung nicht mehr die Rede.
Ich würde gern auf Ihre allgemeineren Rechnungen und deren Erweiterungen
eingehen, zumal da man hier symmetrischere Formeln erhält. Ich finde andr. aber in
deren Voraussetzung ein Bedenken. Sind nämlich, wie hier offenbar angenommen
wird, a, a, b, ß. gleichzeitig im Bewußtsein und ganz, wie kann da noch von unvoll-
kommenen Coraplicationen die Rede seyn ? Sie compliciren sich augenblicklich voll-
16*
244 September 1836.
kommen. Darauf würde ich mir nun noch die Antwort erbitten. Indeß kann ich,
auch wenn sie mich beruhigt, doch noch nicht versprechen, ob ich auf die weit-
läufigeren, obwohl kaum schweren, Untersuchungen über 3 Complex. jetzt eingehe,
schon des Raumes wegen und um die Aufgabe einer bloßen Revision Ihrer Rech-
nungen nicht zu sehr aus dem Auge zu verlieren.
Mit innigster Freundschaft und Hochachtung
Ihr ganz ergebener Drobisch.
N. S. Noch Eins! Daß ich die Complexion von Vorstellungen durch complexus
notionum übersetze, dagegen ist wol nichts einzuwenden: was sagen Sie aber dazu
wenn ich die Verschmelzungen durch connexus bezeichne? Ein den deutschen Aus-
druck treuer gebendes Wort in leidlichem Latein habe ich nicht finden können. Doch
könnte ich jetzt noch ändern. Dr.
580. Drobisch an H.') Leipzig d. 28. Septbr. 36.
Hochverehrter Herr und Freund! Ich beeile mich Ihnen zu melden, daß vor
10 Minuten bei mir das ßestallungsdecret Hartensteins zum „ordentl. Prof. der
theoretischen Philcsophie" eingegangen ist. Zugleich haben wir aber auch einen
Prof. der praktischen Philosophie erhalten und wen? ßülau, bekannt durch mancherlei
Schriften über Staatswissenschaften: denn das ist sein Fach! Um Moral und Natur-
recht, um Aebthetik glaube ich hat er sich in seinem Leben nicht bekümmert, wol
auch kaum um die philosophische Lehre vom Staate. "Woher nun üiese Unpaslich-
keit? Er hatte einen Ruf nach Kiel; er ist Pölitz's Schüler und Günstling und P.
vermag viel in Dresden. Die Sache kommt uns aber zu gute. Es ist weiter nichts
als eine AnwMi tschaft auf Pölitz's Professur. Denn so wie dieser mit Tode abgeht,
rückt ß. ohne Zweifel ein. Unterdessen treiben H. und ich unser "Wesen, und er-
leben wir jenen Zeitpunkt, so kommt entweder ein Auswärtiger in die vacante Stelle
oder H. übernimmt die Prof. der praktischen Philos. und — ich bewerbe mich doch
wol noch einmal um die der theoretischen. Doch das sind Sorgen für die Zukunft,
die jetzt bei Seite bleiben mögen. Factisch ist uns diese ßesetzung günstig, denn
wir behalten das Heft in den Händen.
Sie werden sich wundern, mich etwas anders sprechen zu hören in Beziehung
auf die Möglichkeit, doch noch einmal eine Professur der Philosophie zu übernehmen,
als früher. Theils aber ermuthigt mich der Gedanke, daß ich nun zu weiterer
philosophischer Ausbildung Zeit gewinne, und dann hat mich ein Besuch Reinholds
ganz guter Laune gemacht, der auf eine solche Weise mit mir sprach, disputirte etc.,
daß es auf mich den Eindruck machte, als rechne er mich zu den Philosophen von
Fach. So wohl ist || mir hier noch nicht geworden. Ein so lieber Mann übrigens
R. ist, und so beachtenswerth mir seine Ansichten insofern sind, als sie dienen
können an die einfache natürliche Auffassung der Dinge zu erinnern und deren Be-
wußtseyn lebendig zu erhalten, so scheint er mir doch eigentlich von der Kunst
logischen, mathematischen, metaphysischen Denkens gar nichts zu begreifen. Die
Nothwendigkeit unsre Erfahrungsbegriffe und Denkformen in ihre ersten Elemente
aufzulösen, um 'sie aus diesen auf eine vollkommene "Weise wieder zusammen zu
setzen, wird ihm nie einleuchten. Eine Kritik der Begriffe hinsichtlich ihrer Denk-
barkeit ist ihm schon verkünsteltes Unternehmen, an eine Umarbeitung kommt er
natürlich gar nicht. Er kommt also über den Standpunct des Empirismus nicht
hinaus. Aus diesen Gränden und in Beziehung auf seine theologische Nachgiebig-
keit (der hebe Mann hat überhaupt mehr von einem Theologen als Philosophen in
1) 2 S. 40. fl. Wien.
September 1836. 245
seinem "Wesen) hielt ich seine Em-erbung für Leipzig nicht gerade für einen Ge-
winn. Sein weiches Wesen, seine Tendenz zu einer gewissen Populär- oder
wenigstens Menschenverstands-Philosophie ist nicht geeignet die sächsische Indolenz
aus dem Schlafe zu riitteln. — Er ist in Dresden gewesen; ob mit Beziehung auf
Leipzig, weiß ich nicht, für dieses Mal kam er zu spät. Uebrigens kann man
sich wol keinen freundlicheren CoUegen denken.
Meine Gesundheit steht besser, aber der entschiedenste Müßiggang allein, der
blos Unterhaltung suchte und alle Arbeit mied, hat mich so weit wieder hergestellt.
Einen Schnellarbeiter werden Sie an mir nie gewinnen. Mein Organismus ist zu
schwach und reizbar, um lange eine affectvoUe Thätigkeit ertragen zu können. Die
größte Gemüthsruhe ist die erste Bedingung meiner Gesundheit.
Mit innigster Freundschaft Ihr ganz ergebener Drobisch.
581. An Drobisch. Ohne Datum. >)
Zu den unvollkommenen Comp!., mein theurer Freund, bitte ich einst-
weilen Erfahrungen hin7uzudenken. Eine solche bietet sich mir jetzt nur
zu fühlbar an; versuchen Sie doch, wenn auch mit Scherz, dem ich mich
schon Preis geben will, — in meine Verlegenheit sich zu versetzen. Da
habe ich ein Pedal an meinem Fortepiano; ein zweytes Instrument, das
mit den Füßen gespielt wird. So viel haben meine Füße bald gelernt,
daß sich die Vorstellungen der Töne mit denen der Fußtasten hinreichend
compliciren, um bey ruhenden Händen eine langsame Melodie zu spielen,
allenfalls ohne hinzusehen. Aber die Hände sollen zugleich auf dem
oberen Instrumente ihren Gang gehen! Also unaufhörliche Hemmung der-
jenigen Complexionen, vermöge deren die Hände, und vermöge deren die
Füße gehen sollen !
Ähnliches kommt bey allem Lernen und Üben vor. Wenn sich voll-
kommene Complexionen so leicht bilden ließen, wie Ihr letzter Brief an-
nimmt, so wären Vocabeln bald gelernt, und hafteten unendlich besser als
die Erfahrung einräumt.
Doch jetzt zu den Begriffen, denn ich muß eilig schreiben, weil ich
auf ein paar Tage verreisen will.
Der Grund, weshalb vollkommene Complexionen entstehen, liegt in
der Einheit der Seele. Das heißt: in der Abwesenheit eines Hindernisses,
denn an eine Handlung und eigene Kraft der Synthesis denken wir nicht.
Nun ist aber die Hemmung ein Hinderniß. Ja, werden Sie sagen, wenn
der gehemmte Zustand schon eintrat. Aber ich antworte: das Hinderniß
ist schon früher da, ehe dieser Zustand allmählich eintrit, d. h. ehe die
H. S. sinkt. Vergleichen Sie § 76 der Psychol. am Ende. Was von den
Verschmelzungen klar genug ist, wird auch auf die unvollk. Compl. passen;
denn es kommt in Bezug auf die Isolirung der Vorstellungen nicht darauf
an, ob gerade eine von der andern die Hemmung erleiden soll; genug,
wenn überhaupt Nothwendigkeit da ist, einer Hemmung nachzugeben. |]
Wären r und q, desgleichen r' und q\ kleiner als die Hemmung
zwischen a und b, a und ß an sich erlaubt, so können sie beym Zu-
sammentreffen der Compl. a -]- «i h -|- Ä höchstens soweit wachsen, als
^) 2 S. 4". — Poststempel 29. 9.
246 Oktober 1836.
jene Hemmung gestattet. Aber das ist noch das Wenigste! Bedenken
Sie, daß nach einigen Lebensjahren der Mensch die allermeisten Elementar-
Vorstellungen durch die Sinne schon erlangt hat, und daß wegen der ge-
ringen Empfänglichkeit die Verbindungen bey fortschreitender Erfahrung
weit weniger das Neu-Gegebene betreffen, als vielmehr das reproducirte
Quantum der altern Vorstellungen. Nun braucht aber die Reproduction
Zeit, und der Fluß der Gedanken ist viel zu verwickelt, als daß einzelnen
Vorstellungen viel Zeit dazu pflegte gestattet zu werden. Die steigenden
Vorstellungen gelangen während dieser Zeit des Steigens nicht dazu, sich
soweit zu verbinden, als sie an sich wohl könnten.
Scheint Ihnen aber dies Alles noch nicht klar genug, so sage ich
dennoch: rechnen Sie nur! Denn alle Statik des Geistes ist überhaupt nur
Vorbereitung und Annäherung, da eigentliches Gleichgewicht niemals wirk-
lich eintrit. Rechnen Sie wie für den mathematischen Hebel, obgleich
Sie wissen, daß es keine bloßen mathematischen Hebel jemals in der
Wirklichkeit gegeben hat. —
Ihren Ausdruck: summa productorum — gradibus pp. möchte ich doch
anheim stellen nochmals anzusehen. Konnte ich ihn misverstehen, ob-
gleich ich den Sinn schon wußte, so können es Andere noch viel leichter.
Wer wird errathen, daß singula quaevis notio erst geprüft seyn will, und
daß auf diese Weise verschiedeiie Summen verglichen werden müssen um
die minimam herauszufinden? Das Eigne des Gegenstandes liegt eben
darin, daß Versuche gemacht werden müssen, um die Regel zu brauchen.
Warum nicht lieber so: formentur summae etc. videatur, quaenam harum
summarum sit minima, eaque habeatur pro quantitate jacturae.
Es wird schön Wetter. Machen Sie es wie ich, verreisen Sie!
Heitern Sie Sich auf! So wünscht von Herzen der Ihrige H.
Noch Eins! Wissen Sie mir zu sagen, ob Herr von Lindenau mit seinen
Untersuchungen über die Differenz der Sonnendurchmesser neuerlich zu
einem Resultate gekommen ist? Mir sind Gedanken aufgestiegen, nach
welchen gerade so, wie er früher gesagt hat, der Polardurchmesser größer
gefunden werden muß, — nämlich der Polardurchmesser der Sonnen-
atmosphäre, welchen allein man sehen kann. Daß der Äquatorealdurch-
messer des Hauptkörpers größer seyn muß, versteht sich von selbst; aber
die Frage ist wegen der Leucht- und Erwärmungs- Ursache wichtig. Die
Fadendicke des Mikrometer hat Hrn. v. Lindenau oder andere Beobachter
schwerlich täuschen können ; denn sie gingen mit der Erwartung an die
Beobachtung, der Polardurchmesser müsse sich kleiner zeigen. Wo sich
die Beobachtung der Erwartung widersetzt, da ist Täuschung nicht so leicht
als im Gegenfalle. — Mein neues Buch nächstens.
582. Hartenstein an H/) Leipzig deu 10t. Octob. 1836.
Vor allem, hochzuverehi ender Herr Hofrath, erlauben Sie mir, für die Übei'-
sendung Ihres neuesten "Werkes, dessen Schluß ich mit Verlangen entgegensah,
Ihnen meinen besten Dank darzubringen. Daß ich mir die Benutzung desselben
angelegen seyn lassen werde, werden Sie mn- ohne meine Versicherung glauben:
*) 3 S. 4". H. Wien.
Oktober 1836. 247
und ich wünsche nur, daß ich Ihre gute Meinung, daß ich aus den dargeboteneu
MateriaHen mehr zu macheu im Stande seyn werde, wenigstens zu einem kleinen
Theil rechtfertigen möge. "Was Sie am Schluße von der teleologischen Richtung der
Moral sagen, hat mich sehr befriedigt; es genügt vollkommen um vor Schleiermachers
leeren Allgemeinheiten, und vor Hegels Speculation, sittlich-dumpfen Träumereien zu
bewaliren. So stark man auch dadurch an die engen Grenzen unseres theoretischen
Wissens erinnert wird, so wichtig ist es, sich deutlich zu machen, daß die Ethik
zunächst gar nicht nach Plänen, sondern nach Maximen fragt, und daß das Wissen
oder Nichtwissen vom Weltsystem gar nichts ändert an der sittlichen Verpflichtung.
Die Ethik kennt keine andren Pläne, als welche aus der Anwendung der Ideen auf
das Gegebene hervorgehen; gäbe es keinen Weltplan, sondern nur bestimmbare Willen
und Raum für ihr Handeln, so würden die Ideen die Stelle der Vorsehung vertreten;
nur daß sie auch dann nicht unmittelbar für eine Macht derselben gehalten werden.
Merkwürdig bleibt es, daß in der Wissenschaft, wie im Leben, Pläne die Maximen
immer überflügeln, und wie leicht man, auf die Abschätzung des Erfolges hinnilend,
die Gesinnung in den Hintergrund stellt. Ich benutze diese Gelegenheit, Ihnen noch
eine Frage vorzulegen, die mir für eine präcise Ausführung der praktischen Philo-
sophie äußerst wichtig zu seyn scheint und für welche ich offen gestehe, in Ihren
Schriften keine andre als eine verneinende Antwort gefunden zu haben. Die Ideen
sollen vereinigt dargestellt werden. Aber sie lassen sich nicht immer in voll-
kommenem Gleichgewicht realisiren. Nicht als ob sie als Ideen colhdirten, sondern
sie collidiren in ihrer Anwendung auf die schon bestehenden und durch die Ideen
selbst anderweit schon irgendwie bestimmten Verhältnisse. Die Stimme des Wohl-
wollens soll schweigen, wo ein schon bestehendes Recht verletzt werden würde u. s. w.
Gesetzt nun, eine sittliche Aufforderung sey von der Art, daß sie von mehreren
Ideen zugleich ausgeht — und streng genommen giebt es deren, in welche alle
Ideen zugleich reden — ohne daß doch alle zugleich befolgt werden könnten, giebt
es überhaupt gar keine Regeln, welche diese Collisionen, die sich, so geringer der
Grad der schon vorhandenen sittlichen Bildung ist, desto mehr verwickeln müssen,
entscheiden lassen? giebt es nicht Verhältniße der zweiten Ordnung, welche über
die Stellung der Ideen zu einander (als der Verhältniße der ersten Ordnung) etwas
bestimmen? der naheliegende Gedanke, daß erst das Mißfällige und Schändliche zu
meiden sey, ehe man an die Darstellung des Löblichen denken dürfe, reicht nicht
aus; aus ihm folgt z. B. gar nicht, warum das rechtlich Anerkannte den Foide-
rungen der Billigkeit vorangehen soll. Ja, das quantitative Übergewicht des Lobes,
welches der Äußerung des Wohlwollens, bisweilen einer mit der eigenen Überzeugung
übereinstimmenden Handlung gebührt, kann so groß gedacht werden, daß die Stimme
des Tadels, welche von der Verletzung einer andern Idee ausgeht, fast wie ein
unendlich kleines verschwindet. Giebt es hier wirklich keine andre Bestimmung,
als die Hinweisung auf die Abschätzung der sittlichen Größenverhältnisse, welche
zuletzt doch nur auf der schon gewonnenen sittlichen Bildung des Handelnden be-
ruht und allen Fehlern und Unvollkommenheiten des letzteren selbst unterworfen
ist? Es will mir scheinen, als vei-wickelten wir uns hierdurch in ähnliche Schwierig-
keiten, als in welchen Fichte (Sittenlehre S. 213 folg.) stecken bleibt, indem er an
die Stelle der sittlichen Beurtheilung das unmittelbare Gefühl der be.stimmten Pflicht
setzen muß. Endlich, wenn bisweilen das Wohlwollen dem Rechte || nachstehen
muß, warum nicht auch umgekehrt, da die Würde der Ideen für alle dieselbe ist?
Oder wollte man sagen, bestimmte, sittliche Verhältniße seyen von einzelnen Ideen
vorzugsweise beherrscht, wie etwa die Freundschaft vom Wohlwollen, der Staat
aber vom Rechte u. s. w. so widerstreitet das dem Geiste unserer Ethik, vermöge
I
248 November 1836.
dessen kein sittliches Verhältniß dem Ideale als der Znsainmenfaßung der Ideen
entspricht, in dessen sittlichem Begriffe es läge, einzelne Ideen ganz auszuschließen.
Die ganze Frage verzweigt sich besonders in der Idee der beseelten Gesellschaft,
wo die Forderungen der Cultur, der Vei'waltung, des Rechts in Gleichgewicht treten
sollen und hat mich namentlich in dieser Beziehung während des Vortrages der
Sittenlehre im vorigen Halbjahr wie eine stille Last gedrückt; auch glaube ich an
meinen Zuhörern bemerkt zu haben, daß sie Aufschluß über dieselbe vermißten.
Von Ihrem Verwandten die Versicherung Ihres Wohlbefindens erhalten zu
haben ist mir sehr erfreulich gewesen. Vielleicht ist auch Ihnen die Nachricht
nicht ganz gleichgültig, daß ich zum ordentlichen Prof. der Philosophie an Krugs
Stelle ernannt bin. Die andre Stelle der praktischen Philosophie ist, wenn auch,
vielleicht nur provisorisch der systematischen Philosophie entzogen und den Staats-
wissenschaften zugewiesen worden; es hat sie H. Prof. Bülau erhalten. Da somit
alles hier in statu quo bleibt und zunächst die turgescirende Philosophie keinen wirk-
samen Repräsentanten bekommen kann, so ist die Geltung der Ihrigen hier auch,
nicht einmal von außen gefährdet. Zum Gegenstand meiner Antrittsprogramme habe
ich eine Abhandlung de fundamento et indole Ethicae a Schleiermachero propositae
gewählt.
Mit immer gleicher Verehrung verhaiTe ich
Ihr ergebenster Hartenstein.
583. Drobisch an H.') Leipzig d. 27. Novbr. 36.
Hochvererhrter Herr und Freimd! Wo unsre Correspondenz stehen oder
stecken geblieben ist, weiß ich in diesem Augenblicke eigentlich selb.st nicjht. Genug ich
erlaube mir, in dem dieses Blatt umschließenden Programm ein kleines Lebenszeichen
zu schicken, das sich freilich wol noch magerer als das erste ausnehmen wird.
Was von den unvollkommenen Complexionen mitgetheilt ist, darüber stimmen wir,
auch sind Sie als der emendator der Rechnimgen hinlänglich, bezeichnet und ich,
wie sich's gebührt als der Zweifler.
Der bin ich aber noch zwar nicht in Beziehung auf den mitgetheilten Fall,
aber hinsichtlich des allgemeineren, den Ihre Rechnungen behandelten. Der Wieder-
anblick der Rechnungen über vollkommene Complexionen und über Verschmelzungen,
wie ich sie hier geführt habe (mögen letztere Ihren Beifall haben), hat mich näm-
lich daran erinnert, a -j und « -| — - nicht in zu großer Ausdehnung als passive
dl cx
Kraft zu betrachten, und ich meine, das p in — q und das r in — r muß resp.
a a
einem ß oder b gegenüber allerdings als wiikend in Ansatz gebracht, aber dann
nicht die Summe aller Wirkungen =-- der HS. gesetzt, sondern so verfahren werden,
wie Sie bei unvollk. Complex. und Verschmelzungen es gezeigt ich bei den letztern
wiederholt habe. Doch ist es gar nicht meine Absicht, die Sache jetzt weiter zu
verfolgen. Die nächsten beiden Programme werden vielmehr der Mechanik ge-
widmet seyn : eins ist bereits im Mspt fertig. Dies wird ausgegeben d. 23. Januar,
das andere in der ersten Hälfte des Februar. Dann mag der erste Fascikel ge-
schlossen seyn. In drei -Jahren, wenn mir Gott Leben und Gesundheit giebt, werde
ich wieder an der Reihe seyn. 200 oder 300 Exemplare kommen in den Buch-
handel, vielleicht 10 mal so viel als der Begehr seyn wird; also die Fortsetzung eilt
nicht so sehr; aber etwas gemeinverständliches, die Elemente beleuchtendes, zu
') 2 S. 40. H. Wien.
November 1836. 24Q
schreiben, mag || eher lohnen und gesucht werden. Daran will ich dann gehen. Jetzf:
sind mir meine gut besuchten Vorlesungen über Psychologie (36 Zah.) eine passende
Vorbereitung dazu, hinsichtlich der Gedankennnregung und dei üebersicht des
Materials. Hartensteins einleitende, logische und metaphysische Vorlesungen gehen
auch sehr gut. Er schmeichelt sich mit einem Brief von Ihnen, iu dem er Sie, wie
ich glaube, über einige Veihältnisse der praktischen Philosophie befragt hat. Sonst
hat er mit seiner bevorstehenden Dissertation und Heirath (er macht eine reiche
Partie) zu thun.
Ich hoffe und wünsche daß Sie und Ihre Frau Gemahlin bei bestem Wohl-
seyn seyn mögen, und daß die Besetzung der Stelle Wendt's Ihren Erwartungen
entsprechen mag. Aber die Leute, die den schönen Künsten eine detaillirte und
doch philosophische Aufmerksamkeit gewidmet haben, und zugleich Historiker der
Philosophie sind, dürften nicht zahlreich seyn. Hätte Griepenkerl größere literarische
Thätigkeit entwickelt, wie es der Göttinger Ruf erfordert, so könnte er Ihnen jetzt
zur Seite stehen. Aber so habe ich wirklich keine Ahnung, wie die Stelle besetzt
werden soll. Sie wird am Ende bleiben wie die Thibaut's.
Erfreuen Sie mich bald mit ein paar Zeilen. Mögen meine nächsten Mit-
theilungen in heitrer Stimmung erfolgen können. Ich gehe nim in meinem Häus-
lichen unruhigen und beängstigenden Tagen entgegen.
Ganz der Ihrige Drobisch.
N. S. Auf dem Wege des Buchhandels schicke ich Ihnen 3 Exemplare des
Progi-amms nach, oder wünschen Sie noch mehr? Haben Sie mehr Liebhaber ge-
funden, so stehen auch von dem ersten Programm noch einige Exemplare zu Diensten.
584. Dissen an H.>) 28. Nov. [1836?J
Es thut mir sehr leid, mein verehrter Gönner, daß Sie gestern mich in einem
so unerfreulichen Zustande hal)en treffen müssen; es war aber dem Mädchen vor-
geschrieben die Besuchenden zu bitten nicht herauf zu kommen, leider aber ver-
gessen worden. Dennoch würden Sie nicht so fortgekommen seyn, da ich Ihres
gütigen Besuchs mich stets wahrhaft freue, wenn es eine Möglichkeit gewesen wäre.
• Aber mein Nervensystem ist seit etwan zehn Tagen in einem erschrecklichen Zu-
stande, ßeiz und Erhitzung hat keinen Nahmen, die Entkräftung aber ist wie wenn
ich mich in einer beständigen Ohnmacht befände. Ich erschrecke schon wenn
jemand in die Stube tritt voll unbeschreiblicher Angst, und gestern hatte ich das
Zittern in allen Gliedern, während ich in der Ekke des Zimmers stand. Auch diese
Nacht war wieder abscheulich. Die lange Dauer meiner Krankheit hat sehr natür-
lich meine Freunde sicher gemacht, daß sie sich das üebel nicht so groß vorstellen
wie es geworden ist; mir ist der Zustand nicht unerwartet, und sollten gewisse
Umstände eintreten, so kann bald noch schhmmeres folgen. In dem ich nochmahls
bitte diese Entschuldigungen sich gefallen zu lassen, verbleibe ich mit treuem
Herzen der Ihrige Dissen.
585. Schubert an H.') Königsberg, den 11. Dec. 1836.
Hochgeehrter Herr College! Sie haben durch Ihr liebes Schreiben vom
29ten Juli mir eine sehr große Freude gemacht, und da Sie nach vielen Königs-
bergerangelegenheiten mit freundlicher Theilnahme sich erkundigen, so will ich auch
^) 2 S. 8". N. (= Nachlaß, s. Vorwort).
'') 4 S. 8°. N. (=- Nachlaß, s. Vorwort).
I
2 CO Dezember 1836.
eifrig meines Amtes als treuer Chronist eingedenk sein. Zuerst aber will icti meine
herzliche Freude bekennen, daß Ihre Gesundheit jetzt schon besser an die Ver-
änderungen des Göttinger Aufenthaltes sich gewöhnt hat und Ihnen verstattet, eine
so absolute Herrschaft über Ihre Zeit auszuüben, daß wir in jeder Messe durch
neue bedeutende Erscheinungen Ihrer literarischen Wirksamkeit erfreut werden,
während Sie doch zugleich um ein Fünfte] mehr Zeit für Ihre CoUegien verwenden,
wie Sie mir früher schrieben. Der aufriclitigste Wunsch Ihrer Königsberger Freunde,
spricht sich nun darin aus, mögen Sie diese Freude der lebendigsten Thätigkeit und
ihrer wirksamsten Folgen noch recht lange genießen und viele Universitäten dem
Beispiele Leipzigs folgen.
In unserem Königsberg haben die drei Jahre doch manche wesentliche Ver-
änderung heiTorgebracht. Zu den unerfreulichen gehört, daß unser trefflicher
Lobeck seit Michael ernstlich kränkelt, vielleicht sich noch kränker fühlt, als er ist,
aber die ersten Wochen dieses Semesters wegen starker Brustschmerzen, steter
Heiserkeit und schmerzhaften Hustens nicht lesen konnte, was bei seiner großen
Gewissenhaftigkeit in der Erfüllung der academischen Pflichten ihm eine peinliche
Entbehrung war. Er ist zwar jetzt besser, aber keinesweges hergestellt und be-
darf sehr großer Schonung. Uusre medicinische Facultät hat durch Todesfälle und
Versetzungen so bedeutende Verluste erlitten, und so mangelhaften Ersatz dafür
erlangt, daß die Facultät in ihrer früheren Bedeutsamkeit nicht mehr dasteht. Das
Glücklichste ist dabei noch, daß Sachs jetzt die Clinik erhalten hat und daß um ||
ilin die Mediciner sich gruppiren. Seerig, L^ngers Nachfolger, hat die von ihm ge-
hegten Eiwartungen nicht erfüllt, und Baers Verlust als Docent ist unersetzlich da
er die Leute fast wider ihi'en Willen zum Lernen und Wissen trieb, während sein
Nachfolger Rathke ein respectabler Gelehrter, aber gar kein Docent ist: doch sind
wir zufrieden, daß er bei uns geblieben ist, da er schon wieder einen Ruf zur
Rückkehr nach Dorpat angenommen hatte. Rosenkranz war durch Daub nach
Heidelberg berufen, für welchen er eine sehr große Anhänglichkeit besaß. Bei
seinem jugendlich romantischem Wesen zog ihn auch die Erinnerung an seinen
früheren Aufenthalt nach dem Rhein, indem er ganz vergaß, wie Heidelberg ge-
simken und durch natürliche Verhältnisse gefesselt zu seiner früheren Bedeutsamkeit
sich schwerlich mehr erheben kann. Ein ernsteres Überlegen seiner hiesigen
Stellung hat ihn aber doch umgewandt. In voriger Woche erhielt er mirabile dictu
einen Ruf nach Rostock für die Literatur der neuern Sprachen, und zwar noch
merkwürdiger mit dem jungen Hagen zusammen, so daß einer von beiden kommen
sollte, *um Huber, der nach Marburg gegangen ist, zu ersetzen. Rosenkr. war auch
für anfänglich ein wenig gewonnen, weil sein Vater ein geborner Rostocker war,
aber die Totalsumme der 120 Studenten und die kleine Stadt schreckten doch bald
zurück, und auch Hagen wird nicht gehen. In unserem Senate geht es nach ge-
wohnter Weise etwas stürmisch zu, aber die Ausführung der Arbeiten überläßt man
wohl in der Regel nur einem Mitgliede. Endlich ist eine Einigkeit fast zwangsweise
unter den Mitgliedei-n über die Wahl des Locals zu einem neuen || üniversitäts-
gebäude zu Stande gekommen; es soll auf dem Königsgarten u. in der Tragheimer
Kirchenstraße errichtet werden. Die Sache liegt jetzt dem Könige vor mit einem
Anschlage von 170000 Rthlr. Man hofft mindestens die Vollendung bis zu dem
300jährigen Jubiläum der Universität (1844). Und damit wünsche ich zugleich eine
frohe Ankunft des Jubeljahres für die Georgia- Augusta , die ich wahrscheinlich in
diesem Jahre begrüßen werde. Ihre Interpretation „des künftigen Jahres'', vei-
ehrter Herr College, "konnte ich 1836 nicht bestätigen, weil ich mit der Beendigung
des dritten Bandes meiner Staatskunde zu sehr beschäftigt war. Auch verbinde ich
Dezember 1836. 2^1
mit dieser Reise einen bestimmten wissenschaftlichen Zweck für die Hansestädte
und die Großherzogthümer Mecklenburg. Diesen kann ich erst nach dem Schlüsse
der Vorlesungen im Sommersemester 1837 ausführen und werde dann meine Rück-
kehr von Bremen über Göttingen im September oder den ersten Tagen des Oktobers
nach Berlin einrichten. Es wird mir natürlich die größte Freude sein, wenn ich
Sie dort heiter und ungestört von einem Jubiläums-Tumult antreffen könnte.
Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin bitte ich zum 18ten December meinen,
meiner Frau und meiner ältesten Kinder Glückwünsche auf das Herzlichste abzu-
statten. TN'ie oft erinnere ich mich dieses heiteren Familientages mit Freude, der
zugleich den Schluß Ihrer academischen Arbeiten für das laufende Jahr zu machen
pflegte. Conrad ist voller Dankbarkeit für die empfangene Wohlthat einer sorg-
fältigen Pflege II in Ihrem Hause. Er wächst außerordentlich heran, hat meine Größe
■erreicht, wiewohl er erst 14 Jahre ist. Er wird im nächsten Jahr Sekundaner. Das
Domgymnasium blüht unter Lucas Leitung sehr auf, während das Altstädtische nach
EUendt's Abgang völlig in sich zusammen gesunken ist. Das Friedericianum ist aber
gleichfalls mehr im Zunehmen als im Abnehmen.
Doch ich vergesse Ihre Zeit und Ihre Gutwilligkeit zum Lesen.
Leben Sie herzlichst wohl, hochverehrter Herr und gedenken mit freundlicher
Theilnahme Ihres treuergebenen und verpflichteten Schubert.
Darf ich Sie bitten, mich an Heeren recht angelegentlich zu empfehlen, und
ihm meinen Dank für seine freundliche und mir wohlthuende Beurtheilung meiner
■Statistik abzustatten. An Älbrecht bitte ich auch um einen freundlichen Gruß.
.586. Gregor an U.^) Königsberg, ISten December 1836
Hochverehrter Herr Hofrathl Für Ihren lieben Brief vom 29sten July d. J.
bin ich Ihnen zum innigsten Danke verpflichtet. Er hat in mir, dem tieferschütterten,
■den Glauben an die unwandelbare Fortdauer Ihrer freundlichen Gesinnungen gegen
mich neu belebt, und nicht wenig zur Rückkehr des allgemeinen Interesses bei-
getragen.
Ein Tag, wie der heutige — mögen Sie ihn noch recht oft in froher Gemein-
schaft mit Ihrer verehrungswürdigen Frau Gemahlin erleben! — versetzt mich in
jene schöne Zeit des pädagogischen Seminars, in die Zeit voll blühender Hoffnungen
zurück. Ja, Sie haben Recht, große Erfolge lagen damals in unsern Händen; und
wenn irgend einer es bedauert, daß sie nicht konnten festgehalten und weiter aus-
gebildet werden, so bin ichs. Indessen ist der ausgestreute Samen doch nicht ganz
verloren gegangen. Die Lehrer, welche im pädagogischen Seminar ihre Vorbildung
genossen haben, bewegen sich wie eingeengt auch immer, doch auffallend richtiger
als Andre. Um nur einen anzuführen : unser Fabian, früher Oberlehrer in Lyk,
jetzt, seit Michaelis, in Rastenburg, hat hier binnen || wenigen Wochen die mit
Vocabeln und Grammatik und philologischen Excursen bis zum Ekel an allen Autoren
erfüllten Primaner und Secundaner durch gehöriges Eingehen auf die Sachen und
durch Verknüpfung derselben mit der Geschichte in ein ihnen ganz neues Interesse
erhoben; dergestalt, daß der unregelmäßige Schulbesuch in einen regelmäßigen, das
Sich-Gehen-Lassen während des Unterrichts in gespannte Aufmerksamkeit über-
gegangen ist. Und doch leidet der philologische Unterricht dabei nicht im Geringsten ;
im Gegentheil der Schwung, den der Inhalt auf dem Vehikel lateinischer Gespräche
über das Gelesene hervorbringt, wirkt auf die Beachtung und Behandlung der Form
mächtig zurück. Nun wundem sich die Leute noch, daß F. mit dem ausgelassenen
') 4 S. 4". H. Wien.
I
2^2 Dezember 1836.
Volke so gut fertig wird. Man schreit so viel über die Gefährdung der leiblichen
Gesundheit auf den Gymnasien;') an die geistige Gesundheit aber denkt kein Mensch.
Ich hätte beinahe Lust, darüber etwas zu sagen, sollte es auch ins Wespennest ge-
stochen seyn.
Meine kleine Privatanstalt betrachte ich noch immer || als einen Keim aus
welchem vielleicht noch ein Mal eine gehörige Schule hervorgehen kann. Nur
günstigere Umstände ! Es harrt hier eine Masse von Predigiamts-Candidaten, die
jährlich bedeutend zunimmt. Darunter sind sehr Kenntnißreiche, gut gesinnte
Männer, die große Lust haben, dem Schulunterricht einige Jahre zu widmen. Diese
dürfte man nur durch Ihre Pädagogik erwärmen, so hätte man die herrlichsten
Kräfte beisammen. Aber — wo Schüler hernehmen bei der großen Abneigung des
Publikums gegen das Griechische (und mit Homer müßte doch nothwendig angefangen
werden) einer Abneigung, die durch Lorinsers angeregte Klage nur noch stärker
geworden ist? Das ist die große Frage und muß es einstweilen bleiben.
Ich hebe die Vorzüge Ihrer Pädagogik nach Kräften hervor, und nicht geringe
Dienste leistet mir dabei Ihr trefflicher Umriß, den ich schon manchem in die
Hand gegeben habe: man hört mich an, sieht, wie's scheint, das Bessere ein und —
bleibt beim Alten. Ohne Zweifel wird die größere Anerkennung Ihrer Forschungen
in Deutschland auch hier manches Mißtrauen verscheuchen; und Ihre so klar und
mild geschriebene Beleuchtung des Naturrechts etc. wird, hoffe ich, jene Anerken-
nung sehr fördern helfen. Hartensteins Metaphysik wird vom hiesigen Prof. Rosen-
kranz für ein gutes Buch gehalten. Ich, für mein Theil, habe es noch nicht näher
ansehen können. Sauden, erzählt mir Lucas, der sich Ihnen gehorsamst empfiehlt,
lernt etwas cavalierement. Doch haben die Schulwissenschaften, namentlich Ge-
schichte und Sprachen, so viel Reiz für ihn, daß er darin Erfreuliches leistet. Nicht
so gut hat es bei ihm die Mathematik und was damit zusammenhängt.
Unser Osten hat Einen Sohn, gewiß, wenn nicht zwei: es ist schon lange her,
daß ichs durch seine Mutter erfuhr. Er soll ein guter Hausvater, ein etwas strenger
Herr und ein tüchtiger Landwirth seyn. Die Mutter wohnt in einem besonderen
Häuschen und hält sich eine besondere Equipage.
Mein Hauswesen wird von meinen beiden jüngsten Schwestern in Ordnung
gehalten, die sich zugleich um die Wette bemühen, meine armen Kinder zu be-
muttern. Ach, und doch! — — —
Nochmals meinen herzlichen Glückwunsch zu dem heutigen Feste !
Mit ganz vorzüglicher Hochachtimg Ihr Freund Gregor.
587. An Drobisch.2) G 27 Dec. 36.
Diesen Brief, mein theurer Freund! beginne ich mit einigen Trost-
worten für mich selbst. Denn erstlich tröste ich mich damit, daß Sie
mich gewiß nicht für undankbar gegen Ihr werthes Geschenk halten können;
und zweytens damit, daß Sie in Ihrem Hause etwas viel zu Erfreuliches
werden empfangen haben, als daß Sie viel Zeit gehabt hätten, an mich
und an das lange Ausbleiben meines Briefes zu denken. Möge nur der
Zuwachs Ihrer Familie nicht wieder eine Quelle von Sorgen für Sie
werden! Man möchte in Ihrem Namen der Hygiea opfern, wenn das
etwas verspräche und verbürgte! Übrigens wissen Sie ohne Zweifel durch
1) Die Schrift von K. J. Lorinser (1796—1853): „Zum Schutz der Gesundheit
in den Schulen" war damals eben erschienen. Vgl. Herbarts Umriß päd. Vorl. § 132.
') 3 S. 4".
Dezember 1836, 253
Hartenstein, daß ich an meine eigene Gesundheit zu denken hatte; und
in der That, ich bin viel mislauniger gewesen, als man sich einem Freunde
gern zeigt, dem man so viel Heiterkeit wünscht als ich Ihnen von ganzem
Herzen wünsche. Leider weiß ich schon von Königsberg her, daß Sachs,
der sich Ihrer Bekanntschaft freut, zugleich bedauert hat, Sie kränklich zu
finden. Sorgen Sie für Sich! —
Mit meinem neuen Buche bezeugen sich meine Königsberger mehr
zufrieden als ich dachte. Hoffte ich viel auf Ihren Beyfall, so hätte ich
wohl mehr Eile gehabt es Ihnen zu schicken. Aber fast eher hoffe ich
Ihnen einige Aufmerksamkeit für die neue Auflage meiner Einleitung ab-
zugewinnen. Nicht als ob dies alte Buch so ausgefeilt wäre wie eine
vierte Auflage billig seyn sollte; aber das verschuldet Unzer, der zum
drittenmal verfehlt hat, mich von der Nothwendigkeit einer neuen Auflage
rechtzeitig zu benachrichtigen. || Dennoch halte ich das Buch, wiewohl
ihm aller Glanz fehlt, für eine meiner besten Arbeiten; und bekenne,
daß ich es so, wie es jetzt ist, unmöglich auf Einen Schlag hätte liefern
können. Diese Selbstzufriedenheit äußere ich Ihnen, um Sie zur Kritik
zu reizen.
Doch zuerst hätte ich sagen sollen, daß ich von Ihrem specimen II ^)
die Anzeige für unsere Blätter schon niedergeschrieben, wiewohl noch
nicht abgegeben habe. Freylich werden Sie eine magere Anzeige finden.
Heeren erlaubt keine Formeln; warum? Aus dem sehr trivialen Grunde
des Formats. Wirklich sollten die Göttinger Anzeigen sich in diesem
Puncte schon längst renovirt haben, aber wir leben nach alter Weise.
Überdies bin ich überzeugt, daß mathematische Psych, für die Leser
unserer Anzeigen noch heute als eine terra incognita zu betrachten ist,
und daß es diesmal wenigstens noch darauf ankam, ihnen die ersten
Notizen von dem zu geben, wovon die Rede ist. Sehr nöthig war. zu
sagen, daß auf das erste specimen ein zweytes gefolgt, mithin die Arbeit
im Fortgange begriffen ist.
Ein redlicher Königsberger schreibt mir wörtlich: „Hartensteins
Metaphysik wird vom hiesigen Prof. Rosenkranz für ein gutes Buch
gehalten." Ob wohl die Berliner Jahrbücher es auch zu den bons livres
zählen werden? — Ein anderer schreibt, R. habe bey seinem „jugendlich
romantischen Wesen" Lust nach Heidelberg und nach Rostock gehabt,
sey aber ungeachtet des doppelten Rufs doch an Ort und Stelle geblieben.
Doch das unter vier Augen! Meine Königsberger dürfen nicht klagen daß
ich plaudere. — Wer hierher komme? altum silentium. Brandis geht
nach Griechenland — auf Schellings Empfehlung. Was denkt wohl Hr.
V. Altenstein, der ihn gehn läßt? — freylich nur auf zwey Jahre! Und
dann zurück nach Bonn? Neben Fichte, der sich unterdes eingewurzelt?
— Hier zu lesen hofft ein Hr. Thiermann, der allerdings Kopf zu haben
scheint, und in meinen Büchern einige Hülfe gegen den Nebel gefunden
zu haben äußert. Was daraus werden mag, steht dahin! Meine besten
Wünsche für Sie und Ihr Haus! H. ||
^) M. "W". Drobisch , Ouaestionum mathematico - psychologicarum Specimen II.
Lips. 1836. (Gott. gel. Aiiz.''i837, N. 17, vgl. Bd. XLU, S. 304.)
2 54 Nachtrag zu Februar 1836.
3- Jan. 37-
Dieser Brief lag in meinem Buche; die Post aber verlangt eine
Declaration über den Inhalt des Paquets, und — ich weiß nicht was für
eine Enveloppe; ich glaube gar von Wachstuch oder dgl. Lieber mag
ein dortiger Buchhändler Ihnen in meinem Namen ein Exemplar senden;
wozu ich nächstens Auftrag geben werde. Der wunderliche Strich, welchen
der preußische Zollverband zwischen uns macht! —
Unterdeß ist ein Brief von Strümpelln eingelaufen. Es ist mir lieb, zu
sehn, daß er sich in seine Lage zu schicken scheint. Übrigens sucht er wieder
Vertrauen zu gewinnen. Das wäre leicht, wenn er nur Persönlichkeiten
auszugleichen hätte. Aber seine psychologischen Meinungen hat er nicht
widerrufen. Daher bleibt meine Besorgniß, er werde Confusion anrichten,
sobald er auftrit. Inzwischen scheint ihn das Erziehungsgeschäfft lebhaft
zu interessiren. Vielleicht hilft ihm die Erfahrung wenigstens aus der
größten Verkehrtheit heraus. Meine große Frage ist nun, ob Sie Zeit
und Laune gewinnen werden, um durch Ihr projektirtes — gemein-
verständliches psychologisches Werk Jenem zuvorzukommen? Wären wir
beyde gesund, so wäre keine Sorge. Aber ich schleppe mich nur so hin;
und lebe fast wie ein Einsiedler. Daher erfahre ich auch nicht was
vorgeht. Kommt etwas Bedeutendes zum Vorschein, so hoffe ich auf
Nachricht durch Sie oder Hartenstein. Nochmals ein herzliches Lebe-
wohl!
4 Nachträge zu 1836.
588. An Taute. 1) Göttingen 21 Febr 1836
Mein theurer Freund! Herzlich erfreut durch Ihren Brief vom 9. Dec,
und dankbar dafür, daß Sie statt meiner noch durch einige philos. Vor-
lesungen in K. fortwirken, möchte ich jetzt, da nach 5 wöchentlicher
Krankheit Vieles nachzuhohlen ist, Ihnen so schnell als möglich Vieles
sagen; und wenn ich es nicht vermag, so ist der beste Trost, daß im
Grunde so gar viel nicht zu sagen ist; doch aber Einiges! — Nach meiner
Pyrmonter Cur im Laufe des vorigen Sommers hatte ich wenigstens neue
Fähigkeit zu arbeiten; ein paar Erfolge davon werden Sie gedruckt sehen;
beyde- unbekümmert um Schwärm erey und Hegeley, woran Sie dort leider
Überfluß haben. Was Sie hiebey finden, ist nicht ohne bestimmten Anlaß
geschrieben; vielleicht wissen Sie ihn; wo nicht, so mag einstweilen noch
davon geschwiegen werden. Wahrscheinlich aber werden Sie — mit
meiner Zustimmung — Benutzung des inliegenden Aufsatzes in einem
Buche von Hartenstein finden, dessen bestimmteren Zweck ich noch nicht
kenne. Außerdem habe ich eine Schrift über die Willensfreyheit in den
Buchhandel gegeben. Es ist möglich, daß Sie diese früher dort im Buch-
laden finden, als ich sie Ihnen senden kann; der Grund liegt alsdann
lediglich in meiner letzten Krankheit — Fieber, Husten, leichte Gicht-
anfälle. Der Grund der Krankheit aber ist — außer Erkältung —
eigentlich ein sehr angestrengtes Arbeiten, nicht an dem Buche über die
Freyheit, denn || das ist leichte Waare, die mich nur durch die große Eile
*) 3 S. 4". Die folgenden Briefe Herbarts wurden noch nachträglich aufgefunden
und finden hier eine Stelle. S. Vorwort.
Nachtrag zu Februar 1836. 255
anstrengen konnte, womit sie aufs Papier geschleudert wurde, — sondern
an einigen Problemen der mathem. Psychologie wo eine Schwierigkeit die
andere drängt, und wofür meine Kräfte jetzt vielleicht nicht mehr hin-
reichen. Am schlimmsten ist, daß ich noch an andere Arbeiten für
Moral und Naturrecht zu denken gezwungen bin. Denn Sie würden Sich
sehr irren, wenn Sie glaubten, Göttingen sey eine Universität für speculative
Philosophie. Göttingen hat den gerechten Ruhm, daß es gar kein Studium
mit Ausschließung anderer begünstigt. Alles geht hier nebeneinander; —
aber freylich nehmen die Brodkollegien für sich die besten Stunden des
Tages. Gearbeitet wird hier vielleicht mehr als irgendwo. Noch kürzlich
hatte ich den allgemeinen Fleiß zu beobachten Gelegenheit. Drey Wochen
lang konnte ich der Krankheit wegen nicht lesen, — als ich wieder auf-
trat, fürchtete ich das Auditorium leer zu finden, aber in allen drey
Vorlesungen war der Verlust an Zuhörern kaum merklich. Viel Schlimmeres
steht mir nächsten Sommer bevor. Meines eingewurzelten Hustens wegen
muß ich es für ein Halbjahr aufgeben, zwey Vorles. nach einander zu
halten; und überhaupt halte ich , nicht aus, wöchentlich 15 Stunden mit
Anstrengung zu sprechen; — die Folge ist aber, daß meine besuchteste
Vorlesung, die Logik und Einleitung, ausfallen muß. Sollten Sie übrigens
hören, der applausus habe abgenommen, i^jelzt werden Sie das wohl
noch nicht hören, — aber im Sommer!) so wissen Sie nun im Voraus,
was das zu bedeuten hat. Praktische Philos. und Metaphysik muß ich
aber lesen; zur ersten muß ich mir ein neues Hilfsmittel schaffen; die
gedruckte prakt. Philos. reicht nicht mehr aus; — darum — analytische
Arbeit für Naturrecht und Moral, || Wenn Sie Herrn Pr. Sachs sehen, so
sagen Sie ihm, daß ich, wenn er von semen hier „verrufenen Büchern"
spricht, das für einen Scherz halte. Erst neulich, da Conradi mir dulcamara
und Carduus benedictus verordnet hat, zeigte ich diesem die dahin gehörigen
Artikel aus Sachs und Dulks Pharmakodynamik. Nicht die geringste Spur
von Animosität war zu bemerken. Existierte aber dergleichen, so versteht
sich von selbst, daß ich keine Notiz davon nehmen würde. Wir Leute
hier in Göttingen sind nicht so voll von Rücksichten wie im Lande der
Hegeley!
Nothwendig muß ich Ihnen noch erzählen, daß wir um Michael
Besuch von Herrn Professor Brzoska aus Jena hier hatten! Ja noch mehr!
Er hat mir seyn Buch über die Nothwendigkeit pädagogischer Seminare
dedicirt das [Buch ist] so voll Belesenheit, daß es ihm einen Namen
machen kann. Er hat [in Jena] nicht nur selbst eine Erziehungsanstalt,
sondern er erzählte sogar von mehreren durch ihn veranlaßten Anstalten
in andern sächsischen Städten ! Die Zeiten ändern sich !
Es ist die höchste Zeit daß ich schließe. Wenn Sie Herrn Unzer
sehen, so wünschte ich wohl, Sie möchten ihm meine Bitte vortragen, mir
von dem Absatz meiner Compendien (von den größeren Werken hat
er mir geschrieben;) einige Nachricht zu geben; damit man ungefähr weiß,
ob in einer gewissen Gegend davon Gebrauch stattfindet, und in wieviel
Jahren auf neue Auflagen zu denken seyn könnte. Die neuen Auflagen
sind mir bisher jedesmal ungelegen gekommen, weil ich nicht darauf ge-
faßt war; und ich konnte nie die Gelegenheit vollständig benutzen.
I
2c6 Nachtrag zu Februar 1836.
[Am Rande.] Wie die dortigen Verhältnisse sich in Folge der eben
so traurigen als berüchtigten Untersuchungen gestalten mögen — und wer
die Untersuchungen geführt hat, — möchte ich wissen. Am meisten
dauert mich Diestel.
Erhalten Sie mein Andenken bei allen Freunden!
Ganz Ihr H.
589. An Taute, i) G 22 Febr 36
Hier, mein theurer Freund, haben Sie den Aufsatz, welchen gestern
Abend zu couvertieren keine Zeit blieb; es war keine Minute zu verlieren,
die Post eilte, ich wollte jedenfalls den Brief abschicken. Jetzt, da ich
seit mehreren Wochen zum erstenmal wieder vortrefflich geschlafen habe,
fasse ich guten Muth, finde mich weniger gedrängt durch die Geschäfte
die ich vorhersehe und nehme mir gern ein Stündchen, um nochmals,
nach so langer Pause, an Sie zu schreiben.
Den Aufsatz schicke ich in drey Exemplaren; eins ist für Sie, eins
für unsern Gregor, (der mich neuerlich durch einen Brief sehr erfreut hat,
obgleich nicht ohne den Schmerz der Theilnahme wegen der Kränklichkeit
seiner Gattin) und ein Exemplar bitte ich an Hrn. Pr. Sieffert abzugeben,
und mich ihm bestens zu empfehlen. Es ist wohl nicht überflüssig, daß
ich den, schon im Sommer gedruckten Aufsatz jetzt nach Königsberg
sende. Man kann nicht vorher sehen was etwa weiter geschieht. Daß
darin eine Antwort auf etwas Entgegenstrebendes liegt, was Psychologie
und Metaphysik entzweyen würde — werden Sie leicht bemerken. Das
Wesentlichste finden Sie in § 2 und 3. — Indem ich aber die drey
Exemplare absende, fällt mir der sehr natürliche Zweifel aufs Herz, ob
überall in Königsberg noch soviel wirkliches Interesse für meine Unter-
suchungen lebt, daß man von speciellen Streitfragen Notiz zu nehmen
geneigt seyn könnte, die mit der Hegeley nicht zusamm-enhängen ? Darüber
wünschte ich Ihre offene Meinung; ich möchte nicht gern zudringlich seyn
wo man andre Angelegenheiten hat. || Jetzt erlauben Sie mir ein paar
Worte über das was man von Ihnen verlangt. Ein Hauptwerk? — Wer
wird denn urtheilen, ob das, was Sie bringen werden, ein Hauptwerk ist?
Wollen Sie Sich immer an einem Faden halten lassen, den man verkürzen
oder verlängern wird, je nachdem man es für klug erachtet? — Sie
sprechen von einem Werke, der Hegeischen Philos. gegenüber! Je nun,
willkommen, wenn Sie ein solches bringen! Aber weshalb wollen Sie Sich
so gegenüber stellen? — Meinerseits möchte ich Ihnen vorschlagen, die
Schleiermachersche Form des Spinozismus ins Auge zu fassen. Diese hat
für das Publicum ein weit mehr dauerndes Interesse, weil Schleiermacher
der Klügste d'er ganzen Parthey seit Fichte war, und am besten zu
schreiben verstand. Während ich mit meiner Schrift über die Freyheit
beschäftigt war, schickte mir Lücke die Abhandlungen Schleiermachers
über verschiedene ethische Begriffe, die in der Berliner Akademie sind
vorgelesen worden. Die Spur davon werden Sie S. 184 u. s. w. meines
Buches finden. Und wenn Sie die Schriften von Schleiermacher selbst
') 2 S. 4». — N.
Nachtrag zu Juni 1836. 257
aufschlagen, können Sie dort Vorrath zu einer reichen Erndte finden. Da
ist Stoff zu einem Hauptwerke, wovon allenfalls mein Buch die Einleitung
seyn könnte. Und ein solches Hauptwerk, weil es praktische Gegen-
stände betreffen würde, könnte ins größere Publicum eingreifen. Dann
wären Sie gesichert. Sonst nicht! Das würden Sie mit Hrn. Pr. Sieffert
näher überlegen können. Bedenken Sie insbesondere, daß außerhalb
Preußen, die Hegeische Hitze sehr wenig gefühlt wird. Dem größeren
Publicum braucht man nur die Meinung, die sich zu verbreiten im Begriff
war, als sei Hegeische und gegen7värtige Philos. einerley — dadurch
zu benehmen, daß man davon schweigt.
[Am Rande.] Hartenstein wird über Metaphysik schreiben. Drobisch
hat etwas davon gesehen, und rühmt , .große elementare Deutlichkeit".
Erst gestern noch hatte ich von Drobisch einen sehr angenehmen Brief.
Möchte er nur nicht soviel kränkeln! — Grüßen Sie ja alle meine dortigen
Freunde; alles was mir wohl will. Vergessen Sie auch die jetzt Abwesenden
nicht; ich meine vor allem Hecht und Sauter. Haben Sie dort Nachricht
von Bobrik? Seine Ästhetik wird in K. nun freylich neben den sublimen
Offenbarungen des Hrn. R. nicht aufkommen. Von Studenten hörte ich,
er sey in Zürich wenig zufrieden, und das läßt sich wohl denken. —
Man sagt, der jüngere Fichte werde nach Marburg kommen. — Mühlen-
bruch geht von hier nach Leipzig. Die Welt rührt sich. Und Sie mein
geehrter Freund, rühren Sie nun vor Allem Ihre Feder.
Ganz der Ihrige! H.
590. An Taute. 1) G. 26 Juni 1836
Mein theurer Freund! Da ich endlich dazu komme, zwey von den
Begrüßungen zu verdanken, die mich im vorigen Monat so lebhaft erfreuten,
so will ich den Rest der Zeit noch mit Ihnen verplaudern, obgleich das
was zu sagen wäre, schon in den Briefen an Sieffert und Sanio gesagt ist.
Denn diesen meinen neuen Correspondenten mußte ich zu erst antworten;
besonders um ihre günstige Absicht, mir noch ferner zu schreiben, nicht
von mir abzuwenden. Jetzt aber zuerst ein Wort für Hrn Dr Hendewerk,
der uns durch seine Nachfrage nach seinem Manuskript in Verwunderung
gesetzt hat. Denn ich habe es an Gieselern gegeben, wie verabredet war;
Gieseler hat mich geraume Zeit nachher gefragt, ob es denn nicht im
Drucke erscheine? und da ich ebensowenig wußte wie er, glaubten wir
beyde, es sey zwischen dem Leipziger Buchhändler und Hendewerk eine
unmittelbare Correspondenz eingetreten, die vielleicht nicht zum Ziel
geführt habe. Aus Gründen, die sich errathen lassen, ist es mir sehr
lieb, daß Hendewerk sich durch meinen jetzigen CoUegen Liebener un-
mittelbar bey Gieselern hat erkundigen lassen. Übrigens möge ihn doch
das Misgeschick dieses Manuskripts welches nur von augenblicklicher
Wirkung hätte seyn können, nicht von andern Arbeiten abschrecken.
Augenblicke sind in unsern Zeiten kürzer als vielleicht je zuvor; eins wird
über dem andern vergessen und wer dem Augenblick dient, scheint sich
selbst der Vergessenheit anheim zu geben. || Das Interessanteste, was ich
») 3 S. 4". - N.
Herbarts Werke. XVIII. 17
2c8 Nachtrag zu Juni 1836.
Ihnen erzählen könnte, wäre wohl, daß ich kürzlich einen persönlichen
Besuch von Fries gehabt habe; — allein ich weiß von anderer Seite, daß
ich diesen Besuch als eine bloße Höflichkeit zu betrachten, und ihm keine
besondere Bedeutung beyzulegen habe. Indessen ist es mir doch angenehm
gewesen, eine halbe Stunde im freundlichen Gespräche mit ihm hinzubringen.
Es ist immer gut, Proben zu haben, daß literarische Mißhelligkeiten nicht
durchaus in persönlichen Verdruß ausarten müssen. Aber daß wir heute
nicht mehr auf derselben Stelle stehn wie vor dreißig Jahren, — das
können manche Köpfe noch durchaus nicht begreifen.
Auch meine praktische Philosophie erfährt das hier in Göttingen.
Zwar hat das CoUegium eine größere Zahl von Zuhörern als früher, —
es waren anfangs ihrer 80 beysammen, — allein ich sehe deutlich, wieviel
dazu gehört, den Theologen begreiflich zu machen, daß sie um Rechts-
begriß~e, den Juristen, daß sie nicht bloß um diese sich bekümmern sollen.
Hier wäre nun freylich die Hülfe sehr leicht. Hätte Jemand ein ähnliches
Buch für praktische Philosophie geschrieben, wie Hartenstein für Meta-
physik, so würde sehr bald soviel Glauben zu meinen Gründen hinzu-
kommen als nötig ist um deren Gewicht zu ergänzen. Aber bloß aus
eigner Überlegung der Gründe etwas zu fassen und zu verarbeiten —
dazu bringe ich immer noch eher den kleinen Kreis meiner Metaphysiken
Unter diesen ist jetzt ein Amerikaner, — desgleichen ein tüchtiger junger
Mathematiker aus Wien. || Wenn Ihnen die Zeitungen sagen, Göttingen
sei weniger zahlreich besucht als sonst, so hat das wenig zu bedeuten.
Ausländer sind fast in gleicher Anzahl da, (unter andern auch Schweizer);
daß die Zahl der Inländer sich vermindert, hat den allgemeinen Grund,
daß überhaupt das Gedränge der künftigen Staatsdiener zu groß ge-
worden ist.
Den Rest dieses Blattes möchte ich wohl mit Fragen anfüllen. Zunächst
nach Ihrer Stellung in Königsberg — Ihren Vorlesungen, — denen Sie
eine literarische Grundlage zu schaffen noch immer nicht nöthig finden!
Gut für meine Lehrbücher, wenn diese ausreichen, — aber man
muß Sie kennen lernen, und zwar im Auslande. Denken Sie denn gar-
nicht an die vielen Vacanzen auf den philos. Lehrstühlen? Heidelberg,
Marburg, Leipzig? — Dann möchte ich fragen nach unsern ehemaligen
Seminaristen. Verstreut sich Sauter ganz in Wehlau? Läßt Beneke nichts
von sich hören und Wiehert? — Dann nach dem Stande der dortigen
Gymnasien und [Abiturientenprüfungen] und nach Gerlach in Braunsberg,
mit dem ich in einem angenehmen Verhältniß stand.
Besonders aber habe ich noch die große Bitte, daß Sie meiner Frau
einige Nachrichten von ihren dortigen Freundinnen schaffen möchten. Es
ist ein ganz unerwartetes Stillschweigen von dorther eingetreten, während
gerade einige trifftige Gründe vorhanden waren, mehrere Briefe zu erwarten.
Meine Frau ist deshalb in Sorgen, und ich kann nichts sicheres entgegen-
setzen. Möchten Sie uns wohl von der Justizräthin Hahn und deren
Töchtern ein Wort sagen, — nur ob sie gesund sind? Meine Anfrage
wegen des Verkaufs meiner Lehrbücher hat auch noch keine Antwort
von Unzern erhalten. — Von Ihnen hoffe ich zwar zunächst nur ein
paar Zeilen um meine Frau zu beruhigen; bald darauf aber desto mehr
Nachtrag zu Juli 1836. 25g
über meine neue Schrift, über welche Sie Sich doch ja oflfen aussprechen
möc^en! Wie immer der Ihrige! H.
■'e^
591. An Taute. 1) Göttingen zgjul 1836
Lassen Sie uns verhüten, mein theurer Freund! daß sich nicht Mis-
verständnisse in unseren Briefwechsel einschleichen. Das ist ein böses
Unkraut, wenn es unter weit entfernten Freunden einmal aufschießt, die
sich nicht leicht mündlich wieder verständigen können. Diesmal besorge
ich wirklich, daß ich eine Stelle Ihres letzten Briefes nicht recht auffasse;
und desto näher liegt mir diese Besorgniß, da Sie Sich aaf einen Brief
von mir beziehen, der gar nicht an Sie, sondern an Hm Prof. Sanio
gerichtet war, und einen Gedankenfaden fortspann, den er mir — mit
ausgezeichneter Güte — dargeboten hatte.
Nach Ihren Äußerungen könnte man glauben, Sie hielten mich für
undankbar gegen Königsberg, als ob ich nicht mehr wüßte, daß ich dort
so lange den Schutz der Stadt und des Staates genossen, ja einen ehren-
vollen Platz an der Universität bekleidet habe; als ob ich die mannigfaltige
Beehrung vergessen hätte, mit der ich bin entlassen worden, — weit
hinaus nicht bloß über Ansprüche die mir nicht einfallen konnten, sondern
auch selbst über meine Gedanken und Wünsche. Worüber habe ich denn
geklagt? Etwan über Dinge, die mein individuelles Daseyn betreffen?
Das sey ferne! Noch weniger habe ich gemeint, daß die Geschichte (deren
Sie erwähnen) sich um mein Thun und Treiben in Königsberg bekümmern
werde; und am wenigsten verstehe ich den Schluß eines Absatzes in
Ihrem Briefe: es handele sich um ein praktisches Urtheil. Wen hatten
Sie im Sinne, der da urtheilen oder beurtheilt werden solle? Doch
vielleicht bedarf das nicht einmal einer näheren Erklärung von Ihnen;
denn es ist sehr möglich, daß Hr Pr. Sanio sich nur bloß nicht gleich
an dasjenige erinnert hat, was er am i May — in einem von Anfang
bis zu Ende mir höchst angenehmen Briefe, — an mich geschrieben
hatte. Wenn ich || Ihnen ein paar Worte daraus anführe, so wird sich
vermutlich alles von selbst aufklären.
Hr Prof Sanio schrieb: „was meine Arbeiten betriflft, so ist mir leider
„zur Zeit noch nicht möglich mit einer Schrift aus dem Gebiete der
„Rechtsphilosophie aufzutreten;" dann folgt eine gütige Zeile, welche den
Wunsch ausspricht, sich mir anzuschließen; — natürlich im Puncte der
Rechtsphilosophie. Nun wissen Sie, daß ich mit dieser gerade jetzt be-
schäftigt bin, und daß in folge dessen eben eine Schrift von mir unter
der Presse ist. Wahrscheinlich meme letzte; denn ich sehe nicht ab,
daß meine Kräfte und folglich mein Beruf noch weiter reichen. Wundern
Sie Sich nun noch, daß ich auf das Anschließen einen großen Werth
lege, und daß ich mich lebhafter Ausdrücke bedient habe, um es wo-
möglich zu beschleunigen? Sie wissen ja doch wofür ich gelebt habe!
Sie sehen ja vor Augen, in welchen Zeiten wir leben!
Weil man die Zeit nicht wahrnimmt, weil man die nothwendige
Gleichzeitigkeit dessen, was zusammen wirken soll, geringschätzt, darum
1) 2 S. 4'*- — ^^
26o Nachtrag zu Juli 1836.
vereinzeln und schwächen sich die Kräfte. In meinem Alter hat man
keine Zukunft mehr, in die man sein Wirken hinausschieben könnte.
Freylich reichen solche Betrachtungen weiter, als auf bloße Rechtsphilosophie ;
sie laufen in meinen Gedanken zu allem dem fort, was ich jemals als
meinen — und als Einen zusammenhängenden Wirkungskreis betrachtete.
Zu demjenigen, was als Hinderniß in Betracht kommt, gehören auch
solche Dinge, wie die Verlegenheit, welche Strauß hervorgebracht hat.
Das Alles geht immer weiter. Man wollte eine Philosophie, die dogmatische
Theologie sey; nun hat man sie, und mag sehen wie man sie ertrage!
Doch darin wollen wir uns nicht vertiefen. Ohnehin muß ich abbrechen.
Leben Sie wohl! Unverändert der Ihrige! H.
[Am Rande.] Noch ein Wort! Haben Sie Brzoskas Buch gesehen:
über die Nothwendigkeit pädagogischer Seminare? es ist mir gewidmet.
Brzoska selbst war Michael v. J. persönlich hier. Möglich ist, daß ich
mich entschließe, in unseren hiesigen Anzeigen darüber Bericht zu erstatten.
Wären Sie nicht so weit ich möchte zuvor mit Ihnen darüber sprechen.
Vielleicht schreiben Sie deshalb ein paar Zeilen an mich; dann bitte ich:
bald! Seine Art, sich mir anzuschließen, scheint mir im Ganzen die rechte;
wenigstens finde ich nicht, daß er es mit Partheymachen und polemisiren
verwechselt hätte, sondern er läßt das Interesse für den Gegenstand reden.
Eben schickt mir Drobisch eine akademische Gelegenheitsschrift: quaestionum
mathematico-psychologicarum specimen primum.
1837.
W^. ; Vierte Ausgabe des Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie (S. Bd. IV.
S. I — 275). — Commentatio de realismo natural! (S. Bd. XI. S. i — 26). — Rez. von
Drobischs Quaestionum — 2. Teil (S. Bd. XIII. S. 304 — 306), Hartensteins de ethices
— (S. Bd. Xm. S. 306—311), Drobischs Quaestionum — Letzte Hälfte (S. Bd. XIII.
S. 311 — 313), Senoples The metaphysic (S. Bd. XIII. S. 313 — 316), Brzoskas Not-
wendigkeit pädagogischer Seminare (S. Bd. XIII. S. 311 — 319). — [Erinnerung an die
Göttingische Katastrophe (S. Bd. XI. S. 27 — 44). (Erst gedruckt 1842.)]
592. Drobisch an H.'*) Leipzig 25. Jaouar 37.
Sie werden leicht errathen, was meine Arttwort verzögert hat: Freude und —
Schmerzen; doch von den letztern nur ein wenig, zur Würze. Am 4. d. M. ist
meine gute Frau von einem, wie es scheint, gesunden und wohlorganisirten Töchter-
chen, verhältnißmäßig leicht und jedenfalls glücklich, entbundeu worden. Dies war
denn die Freude. Aber einige Tage drauf kam das Leid, nämlich an mich, der
wieder von einem fatalen, schmerzhaften Hämorrhoidalfurunculus heimgesucht wurde,
der mich in diesem bedrängten Wintersemester 8 nicht zu ersetzende Collegientage
gekostet hat. Jetzt ists vorbei und Alles wohl. . Ich bin trotz des üblen Wetters
heute zum erstenmal mit meiner Frau ausgegangen.
Meinen herzlichen Dank für das durch den Buchhändler mir gütigst zugestellte
Exemplar der „Beleuchtung"; es ist beim Buchbinder; so bald ich es von da
zurück und nur einige Muße habe, werde ich es mit Begierde lesen. Deun ich
kann zwar vor der Hand wenigstens mir kein besondres Geschäft mit der prakt.
Philos. machen, aber ich erweitere doch gern meinen Gesichtskreis. Die 4te Auf-
lage der Einleitung wird mich aber speciell interessiren; ich gratulire im Voraus
dazu: das ist eine Thatsache, die man in Berlin nicht leugnen kann. — Über die
„Willensfreiheit" hat Eeinhold in der Jen. L. Z. eine ziemlich erbärmliche Recen-
sion losgelassen. Als er Ihr System in seiner Gesch. d. Philos. schilderte, hätte
man etwas Besseres von ihm erwarten können. Jetzt stehen Sie seinem Wunsche,
selbst |] berähmt zu werden, sehr entgegen: er schlägt auf Sie dort los, wo er kann,
so z. B. auch in seinem vor Kurzem erschienenen Lehrbuch der Geschichte d. Philos..
in dem es ganz anders klingt als in dem großem Werke von 3 Bänden. Harten-
stein gedachte jene Recension ein wenig durchzunehmen La seiner in 3 bis 4 Wochen
erscheinenden Dissertation, die eine Kritik der von Schleierraacher hinterlassenen
und von Schweizer herausgegebenen Ethik enthalten und, wie ich höre, ziemlich
ausführlich seyn wird. Ich verspreche mir etwas Gutes: ich traue H. in Kritik und
Polemik mehr zu als in eigenthümlicher Gestaltung. Seine Metaphysik macht, wie
es scheint, Glück, wahrscheinlich mehr als meine Logik. Auch die Brockhausischen
') 4 S. 4". H. Wien.
202 Februar 1837.
Unterhaltungsblätter machten das Buch zur Grundlage eines nicht geistlosen Auf-
satzes, der zwar wenig von H. und seinem Buche, aber auf eine achtungsvolle und
uns sicherlich fördernde Art von der Sache sprach. Selbst in der Berliner literari-
schen Zeitung (v. Buchen) hat H"s Buch viel Gnade gefunden; dagegen ist meine
Logik in einer 10 Zeilen langen Anzeige erbärmlich mitgenommen, als ein opus,
das dem, der noch nicht die TiOgii^ verachtete, die Verachtung sicher einflößen würde etc.
Doch konnte ich wohl dazu lachen, denn es fehlte zu sehr an allen Belegen und
jeder sah ein, daß es auf eine gehässige Schlechtmacherei abgesehen war. Sonst
habe ich außer in dem Repert. von meinem Buche noch || keme Anzeige gelesen, viel-
leicht theils weil es eben eine Logik ist, theils weil mein Verleger die Grille hat,
nichts mehi- an die Lit. Zeitungen einzusenden, indem er behauptet, das Glück oder
Unglück der Bücher sey jetzt von Recensionen ganz unabhängig. Indeß werde ich
mit den Quaest. math. psych, an Eichstädt noch ein Exemplar einsenden. Von
diesen folgt nun hier das 3te Specimen und in 14 Tagen sollen Sie das 4te erhalten,
womit der erste Fascikel geschlossen ist. Die von Ihnen erwähnte Anzeige von
sp IL habe ich in den Gott. Anz. noch nicht abgedruckt gefunden; doch danke ich
herzlich zum Voraus.
Mit der „Einleitung in die Psychologie" sieht es noch sehr windig aus. Es
fehlt mir diesen Winter gänzlich an zusammenhängender Zeit und kräftiger Gesund-
heit. Vor Weihnachten war mir Nachmittags der Kopf so eingenommen und meine
Nervenstimmuag so stumpf, daß ich nur früJi etwas Ordentliches arbeiten konnte.
Jetzt ist es etwas besser, aber da giebt es Examina, Reden, Redchen, Disputa-
tionen etc., die alles, was die Collegien lassen, verzehren oder zerstückeln. Leider
ziehe ich nun auch zu Ostern aus und verliere damit wieder Zeit. Dann im Sommer
werde ich einige Wochen in ein Bad müssen und ein Schmellsegler bin ich, wie Sie
wissen, nicht, — also ich kann mir noch keinen Termin setzen und mag das Buch
auch nicht in solcher Embryonengestalt wie die Beiträge in die Welt schicken: ich
möchte, es sollte in seiner || Art so etwas werden wie die Logik, obwohl in viel
freierer Rede, nicht in der Paragraphenkürze, aber köine Flugschrift !
Von den Quaestionibus weiß ich, daß sie jetzt niemand lesen wird. Sie be-
ziehen sich zuviel auf Ihre Psychologie um für sich verstanden werden zu können,
und die Ihre Psychologie haben, kennen nur den 2ten Band und glauben oder glauben
nicht an den Isten. Indeß mögen diese Programme wie ein kritischer Commentar
mit einigen Excursen betrachtet werden, wenn das nicht zu viel gesagt ist. Ich
denke zur Entwickelung Ihrer Philosophie gehörte gerade auch diese Arbeit, wenn
sie mir jetzt auch nicht gerade viel Dank bringt. Indeß erläutere ich jetzt |die \
Hauptsätze der mathemat. Psychologie in einer Extrastunde, die ich wöchentlich j
gebe, und habe wol 20 höchst aufmerksame Hörer. Die allgemeine Psychologie hat 1
den besten Fortgang. Auch fängt man schon an, von den Kathedern herunter diese j
Richtung anzufechten ; so z. B. geschehen von Heinroth, Lindner, Winer. Da habe ich |
mich von meinem Katheder herab wieder vertheidigen müssen, und das ist geschehen, i
wie es scheint, nicht ohne Ergötzung der Zuhöi'er, übrigens in aller Decenz. ;
Das alles sind nur die Zeichen der wachsenden Macht. Zu Ostern will eine i
kleine Colonie von 4 jungen eifrigen Männern von hier nach Göttingen ziehen, um 1
Sie selbst zu hören. -Auch wird es diesen nicht später an Nachfolgern fehlen, j
Diese mögen Ihnen dann mehr von unserm Treiben erzählen. Sie werden Ihnen i
wenigstens sagen, daß wir nicht unthätig sind.
Von Strämpell liegt leider fast seit einem Jahre ein unbeantworteter Brief bei \
mir: nächstens will ich an die Antwort gehen. Schlimme Streiche wird er schon '
jetzt nicht machen. Ganz der Ihrige Drobisch.
i
Februar 1837. 263
593. Dissen an H.') [Ohne Datum.]
Eben sagt mir der Hofrath Conradi daß Sie, theuerster, verehrtester Gönner,
vielleicht mich heute besuchen würden. "Wie sehr würde mich das freuen! Aber
durch einen unglücklichen Zusammenfluß von Umständen bin ich in diesen Tagen
in eine so ungeheure Aufregung der Nerven verfallen, als diesen ganzen Winter
nicht der Fall gewesen. Daher fürchte ich daß die gieße Freude Sie wieder zu
sehn mich zu gewaltsam erschüttern könnte, ich muß still ruhig sitzen, selbst ohne
zu sprechen. Erlauben Sie mir, daß ich den ersten Tag, wo es besser geht, eine
Einladung schickte. Vielleicht ist es denn auch besser Wetter für Sie. Möchten
Sie nur still, stark und gesund seyn; an Ihrer Erhaltung ist alles, alles gelegen,
und auch meine ganze Seele hängt daran.
Herziichst der Ihrige Dissen.
594. An Drobisch. <^^°e Datum. 2)
Herzlichen Dank mein theurer Freund! für Ihr drittes Geschenk,
und für Ihren Brief, der mich von der Sorge wegen Ihrer Gesundheit
wenigstens für den Augenblick befreyte — mehr ist es leider! nicht.
Jetzt aber muß ich Ihnen eine angelegentliche Bitte vortragen, deren Er-
füllung vielleicht Hartenstein noch leichter als Sie bewerkstelligen wird,
weil Brockhaus sein Verleger ist.
Unzer in Königsberg, der mit Brockhaus sehr befreundet ist, schrieb
mir unterm ^4 Sept. v. J.: zur Ostermesse 1837 werde eine neue Aufl.
meiner Einleitung nöthig seyn. Unterm 22 October v. J. kam ein andrer
Brief, worin es wörtlich heißt: „wie mir mein Freund Brockhaus soeben
meldet, sind dort keine Exempl. der Einleitung mehr vorräthig. Aus
Versehen hatte ich ein Paquet (mit 75 Exempl. bemerkt) für Exempl. der
Einleitung zur Philos. gehalten, aber beym Öffnen haben sich soviel
Exempl. des Lehrb. der Psychologie in besagtem Paquet befunden." End-
lich unterm 7 Januar d. J. sendet er, von Leipzig durch Brockhaus, das
Honorar für die neue Ausg. der Einleitung, — sagt aber kein Wort vom
Lehrb. der Psycholog.
Natürlich muß ich nun bey Unzer mich erkundigen: waren noch
andre Paquete mit Exempl. des Lehrb. der Psychologie vorräthig? Oder
bestand der Vorrath von diesem Lehrb. nur noch in 75 Exempl.? Und
sollte von dem Buche, wovon noch 75 Exempl. vorräthig waren, eine
neue Aufl. veranstaltet werden?
Lagen noch andere Paquete mit der Aufschrift: Psychol. da; so be-
greife ich nicht, woher das Versehen kam. Vermuthlich las Unzer doch
nur einmal falsch. Sind aber wirklich die Exempl. des Lehrb. der Psycho-
logie auch soweit vergriff"en, so laute ich Gefahr der größten Verlegenheit,
wenn wiederum plötzlich Nachricht kommt, das Lehrbuch fehle! j|
Es wäre das viertemal, daß ich durch Unzer in diese Veriegenheit
käme. Als ich in Königsberg mein letztes Halbjahr nutzen wollte, kam
dieselbe doppelt über mich, denn es hieß auf einmal: Beyde Lehrbücher
(zur Einl. u. z. Psych.) fehlen. Daher die eilfertigen neuen Ausgaben, die
') 2 S. 8". N. (= Nachlaß, s. Vorwort.) — Dissen starb am 21. Sept. 1837.
"-) 2 S. 4". — Poststempel 6. 2.
264 Febraar 1837.
damals schon viel besser hätten gearbeitet werden können. Jetzt ging es
eben so mit der Einleitung!
Sie aber, mein theurer Freund! begreifen vollkommen, was es mit
einer neuen Ausgabe des Lehrb. z. Psychologie jetzt auf sich hat. Sie
begreifen ohne Zweifel vollkommen, daß ich Gefahr laufe meine kostbare
Zeit zu verlieren, wenn ich darauf warten muß, daß Unzer von Königs-
berg aus sich bey Brockhaus in Leipzig wegen des dort lagernden Vor-
raths erkundigt, um mir alsdann von Königsberg nach Göttingen Bescheid
zu geben. Was kann da alles verzögert werden?
Nun brauche ich meine Bitte wohl kaum noch auszusprechen. Die
Bitte nämlich: Sich gleich an Brockhaus zu wenden, ihm meinen Dank
für gütige Übersendung des Unzerschen Honorars mit meiner Empfehlung
zu bestellen, und ihn um Auskunft wegen des Vorraths an Exempl. des
Lehrb. der Psychologie zu ersuchen, wozu höchst wahrscheinlich nur
nöthig ist, daß er auf dem bey ihm befindlichen Lager nachsehen lasse.
Was Reinhold und Michael in Leipzig gewollt haben ist nun wohl
klar, er hat das Terrain recognoscirt. Wir haben von ihm eine syste-
matische Opposition zu erwarten.
Doch ich muß abbrechen. In Hoffnung baldiger gütiger Antwort
Ihr H.
595. Drobisch an H.') Leipzig 13 Febr 37.
Verehrter Freund und Gönner! Die Antwort von Brockhaus folgt hier im
Original. Es sind also wol kaum noch über 300 Ex. der Psych, vorhanden, und
diese 2te Auflage könnte also wol in Jahresfrist ziemlich vergriffen seyn: können
Sie mehr wünschen? Ihre Philosophie wirkt wie eine stille Macht, ohne großes Ge-
schrei, aber sicher. Mehr haben Sie schwerlich jemal gewünscht. Eine Periode des
Enthusiasmus könnte Ihnen nicht willkommen seyn. Ich schreibe heute wieder
sehr kurz, weil mir übermorgen die Disputation mit Hartenstein bevorsteht, vor der
Hand hoffentlich das letzte Geschäft, das mich aus dem Geleise bringt. Er hat, wie
mir's scheint, mit vieler Klarheit und Gewohnheit geschrieben: de ethices a
Schleiermachero propositae fundamento. Er setzt also auch in diesem Programm
eine von Ihnen eröffnete Polemik fort, was dankenswerth ist. Doch die Schrift
kommt wol wenigstens gleichzeitig mit diesem |I Blatte in Ihre Hände.
Für die 4te Ausgabe der Ein!, meinen herzlichen Dank. AUe Zusätze werden
mit Freuden angenommen, aber um das, was Sie streichen, ist es inmier schade. Ich
halte es selbst nicht für Recht, daß Sie die Vorreden der frühem Auflagen streichen
und damit dem Leser die Geschichte des Buchs und so viele Belehrungen entziehen.
Nächstens werde ich eine genauere Vergleichung anstellen: jetzt hat es Hartenstein
von mir geliehen. — Es folgt nun hier auch das 4te Programm, das den Isten
Fasciculus schließt. Vom 3ten habe ich noch 3 Exemplare nachzuhefern, die mit
3 an vom 2ten und einem vollständigen Exemplare für den Buchhandel auf dem
Wege des letztern an Sie gelangen sollen.
Meine und der meinigen Gesundheit ist gut; doch bedarf ich sehr einer Auf-
frischung, einer Beruhigung meines Nervensystems und einer Stärkung meiner Ver-
dauungswerkzeuge.
^) 3 S. 80. H. Wien.
Februar 1837. 265
"Wie geht es denn Ihrer verehrten Frau || Gemahlin? Sie haben mich lange
davon nichts wissen lassen. Ich hoffe das Beste zu hören.
Empfehlen Sie mich und meine Frau verbindlichst.
Von ganzem Herzen Ihr ergebener Drobisch.
596. Hartenstein an H.') Leipzig, d. 18. Feb. 1837.
Ho'.-liverehrter Herr Hofrath, Statt aller Entschuldigung, daß ich Ihnen auf
Ihren letzten Brief vom 27. Sow d. v. J. bis heute noch nicht geantwortet, ja nicht
einmal mit einem Worte gedankt habe, erlaube ich mir Ihre Aufmerksamkeit sogleich
für die beifolgende Abhandlung über Schleiermacher, System der Sittenlehre, zu er-
bitten. Die Vollendung dieser,- an sich nicht großen Arbeit hat sich länger, als ich
anfangs erwartete, verzögert und darin liegt der Hauptgrund meines in jeder andern
Beziehung unverzeihlichen Stillschweigens. Sie mag Ihnen wenigstens zum Zeugniß
dienen, daß ich die Sittenlehre unter der Zeit nicht aus den Augen verloren habe.
Sollte Ihnen Schleiermachers ,, System der Sittenlehre'" noch nicht zu Gesicht ge-
kommen seyn, so würden Sie aus meiner Abhandlung wenigstens einen neuen Be-
weis für die Thatsache entnehmen können, daß ohne Ihre Bemühungen die Sitten-
lehre wirklich in Gefahr war, entweder ganz vergessen zu werden oder in der
Seichtigkeit des gewöhnhchen. theologischen Geredes zu versauern. Daß ich überaus
unumwunden gesprochen habe, werden Sie finden, und die Redlichkeit meiner Ab-
sicht ist mir dabei um so mehr bewußt, da ich Schleierniachers individuelle Persön-
lichkeit überall liebe, wo es sich eben um nichts handelt als um diese Persönlich-
keit, während mir sein wissenschaftlicher Stil immer mehr zuwider wird. Ich er-
laube mir nur noch den Wunsch hinzuzufügen, daß Sie mir Ihr Urtheil über diese
Arbeit ganz ohne allen Rückhalt mitzutheilen die Güte haben möchten.
Für Ihre Bemerkungen über den von mir in meinem letzten Briefe an Sie
berührten Gegenstand der praktischen Philosophie kann ich Ihnen nicht anders als
sehr dankbar seyn, indessen erlauben Sie mir doch zu sagen, daß sie mich über
den Punct der Frage nicht hinweggehoben haben. Sie verweisen mich an die Kunst-
lehre; die Production der Kunstwerke sey viel freier vom Zwange gegebener Um-
stände als das sittliche Handeln und müsse sich doch, wie z. B. die Musik bei der
Vermehrung der Stimmen, Licenzen gefallen lassen. Die Licenzen und durch-
gehenden Noten in der Musik zugegeben, die in der That in der neueren, roman-
tischen Musik allgemach anfangen die Regel zu werden, so daß eine reine Har-
monienfolge eine Ausnahme ist, könnte immer noch gefragt werden, ob nicht diese
Licenzen unter aesthetischen Gesetzen stehen, ja vielleicht durch sie hie und da
gefordert werden; so dann aber, wenn man sie blos als Licenzen betrachtet, habe
ich gar nichts gegen poetische und musicalische Licenzen, aber mit sittlichen Licenzen
fürchte ich mich doch allzu freigebig zu seyn. Daß demohngeachtet im Gedränge
des wirklichen Handelns immer vieles sittlich unbestimmbar bleiben wird, nämlich
für den Handelnden selbst, sehe ich sehr wohl ein; ob aber die Sittenlehre deßhalb
die Frage nach einer Regel der Bestimmung so ganz von sich weisen dürfe scheint
mir mehr als zweifelhaft. Diese Regel kann aber nicht in den Ideen selbst liegen;
denn diese sprechen jede ihre eigene Sprache; und es käme dann darauf an, das
gegenseitige Verhältniß der Ideen selbst zu bestimmen und eine Art allgemeiner
Grammatik für sie zu erfinden, durch welche sie sich gegenseitig verständigen
könnten. Das meiste von dem, was z. B. Schleiermacher über die durchgängige
Bestimmtheit des sittlichen Lebens sagt, liegt ohnedieß schon in der Idee der VoU-
») 2'/2 S. 4". H. Wien.
206 März 1837.
kommenheit, d. er weist meiner Meinung nach in diesem Puncte allerdings auf ein
sittliches Ideal hin, welches wir nicht ganz von der Hand weisen können.
Daß die vierte Aufl. Ihres Lehrbuchs zur Einleitung so schnell vollendet
worden ist, hat mich sehr angenehm überrascht; ich hätte nur gewünscht, daß || es
Ihnen gefallen haben möchte, die Vorrede zur Ist. u. 2t wieder einmal mit ab-
drucken zu lassen. Diese gehören zur Geschichte des Buches und würden, nament-
lich die Iste, für viele Ihrer Verehrer ein wahres Geschenk gewesen seyn. Auch
von den Anmerkungen aus der 2. Ausgabe hatte ich gewünscht, n)ehrere wieder zu
finden, namentlich die längere, (2t. Ausgabe S. 216 flg.) ganz und unverkürzt; ich.
weiß aus vielfältiger Erfahrung, daß gerade diese Anmerkung außerordentlich viel
genützt und gewirkt hat. Doch wird hoffentlich die 5. Auflage der 4. bald nachfolgen.
Zu Ostern wird eine kleine Colonie junger Männer'), die hier durch unsere Be-
mühungen in Ihr System eingeführt worden sind, nach Göttingen kommen, um statt
der Schüler den Meister zu hören. Ich darf mir wohl dann erlauben, den einen
oder andern Ihrer persönlichen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Alle haben guten
Willen, die Anlagen und anderweitigen Zwecke derselben sind natürlich verschieden.
Für jetzt empfehle ich mich der Fortdauer Ihrer Wohlgewogenheit und verharre
mit der Bitte um Entschuldigung meines undankbaren Stillschweigens
Ew. Hochwohlgeborner ganz ergebenster Hartenstein.
597. H. G. Waitz an H.^) Cobstädt bei Gotha am 28 März 1837.
Hochwohlgeborener Herr Hochverehrter Herr Hofrath! Ew. Wohlgeboren
mögen auf Nachfolgendes des im vorigen Jahi-e um gegenwärtige Zeit in Göttingen
und bei Ihnen Anwesenden mit Wohlwollen und Nachsicht herabsehen. Vorerst
bringe ich Ihnen, verehrter Herr Hofrath, wie persönlich im voi'igen Jahre, so jetzt
schriftlich meine innige Achtung und Verehrung dar. — Aber warum habe ich nichts
wieder von mir hören lassen, wozu Sie mich doch gütigst mündlich aufforderten,
möchte wohl nicht mit Unrecht Ihre Frage seyn. Ihre gütige Aufforderung ver-
stand ich nämlich damals so, daß mein Nähme an der Ötirne eines Libells zu Ihnen
gelangen möchte, was mir aber in meinen höchst unangenehmen Verhältnissen bis
jetzt nicht möglich war, zumal der vorige Sommer mir noch unter dem Studium
Ihrer Schriften verstrich. Dieser W^inter nun, diese fürchterliche Zeit für mich
Einsamen auf dem Lande gebot mir sogar zu ruhen, weil ich mich gleichsam geistig
ermüdet und erschöpft fühlte und anfing zu kränkeln. Neuere Sprachen (Byron)
beschäftigen mich, ohne jedoch dabei Ihre Schriften aus den Händen zu legen. Als
Bewei.s hiervon wollen Sie gefälligst vernehmen, daß im allg. Anzeiger vom
15. Dec. 1836 || „die pädagogischen Hauptiegeln nach Herbart"^) von mir mitgetheilt
wurden. Der Bedacteur, Herr Legationsrath Hennicke, mir persönlich bekannt und
befreundet, will recht gern auch ferner auf's Praktische Bezug habenden Mit-
theilungen in dieses Blatt aufnehmen. Auch Herr Generalsuperintendent Biet-
schneider als Redacteur der allg. Kirchenzeitung, wie es scheint, Ihrem System noch
entfremdet, und demselben, durch die Opposition des Schulinspectors, meines
Nahmensvetters Waitz gegen ihn, nicht ganz günstig, dürfte gewiß zu gewinnen
sein für Mittheilungen in sein Blatt. Solche Mittheilungen m viel gelesenen Blättern
scheinen mir aber, verehrter Herr Hofrath, bei der noch großen Unkenntniß Ihrer
Lehren und bei den schwankenden und zum Theil abgeschmackten Urtheilen über
») S. u. S. 280.
'■') 3S. 4". N. — Heinr. Georg Waitz (1804—77), später Pfarrer in Eckardsleben.
Vgl. M. Schneider, Die Abiturienten des Gymn. zu Gotha, 1906.
■'') Diese Arbeit ist bisher in der Herbartliteratur nicht bekannt gewesen.
April 1837. 267
sie durchaus nothweudig zu sein. Erlaubt Ihre Güte mir also dergleichen Mit-
theiluDgen und darf ich bei etwaigen Angriffen auf Ihren secundireoden Beistand
und den Ihrer trefflichen Freunde in Leipzig bauen? — Die Bekanntschaft dieser
habe ich noch im vorigen Jahre, Ihrem wohlwollenden "Wunsche gemäß, gemacht,
und mich innig gefreut, so wackei-e und ausgezeichnete Männer in Ihnen gefunden
zu haben. Ich bitte, Ihnen mich gelegentlich zu empfehlen. Ihre eben erschienenen
Schriften sind noch nicht in meinen Händen. — Allein mein anderer Hauptzweck,
in Leipzig einen Wirkungskreis zu finden, wollte sich nicht realisieren lassen.
Direktor Vogel, an welchen ich von Gotha aus empfohlen war, hat es bis jetzt nur
bei glänzenden Versprechungen bewenden lassen. Auch andere Versuche von mir
hatten keinen bessi-reu Erfolg. Da ich also fast noch auf derselben Stelle, wie im
vorigen Jahre, mich befinde, || was beginnen'? — Ew. Wohlgeb. zu bitten um wohl-
wollende Verwendung zur Erlangung einer Stelle an einer Unterrichtsanstalt irgendwo,
wage ich kaum, aus Furcht eine für Sie nur höchst unangenehme Bitte zu thun.
Zuversichtlicher möchte ich daher Hochverehrter Herr Hofrath, die innige Bitte an
Sie richten, mir behülflich sein zu wollen zur Erlangung des Grades eines Dr. l'hilo-
sophiae, um, wenn vor jetzt meine Bemühungen um ein Unterkommen vergebüch
sein sollten, erfolgreicher bei und nach Anlegung einer Erziehungsanstalt nach Ihren
Grundsätzen hier m Gotha wirken zu können. Indem mir nun die Erforderni.sse
zur Erlangung dieses philos. Grades durchaus unbekannt sind, will ich bloß be-
merken, daß ich einen großen Geldaufwand scheuen muß, daß aber im Jahre 1831
ein Bändchon Bayrischer Geschichten für Dr. Fiitsche (dieser hatte es nämlich für
den Buchhändler Flinzer in Erfurt angefangen) und unter dessen Nahmen von mir
erschienen ist. — Möchten doch. Hochverehrter Herr Hofrath, diese meine allzu-
lästigen Bitten Sie in Ihrem mir bewiesenen Wohlwollen während memer Anwesen-
heit in Göttingen nicht wankend machen. Nein, Sie mir theurer Mann, ich bitte
Sie, erhalten und bewahren Sie mir dieses mich erhebende Wohlwollen auch ferner
auch für die Zukunft. Überzeugt hiervon, überlasse ich all[es] Wissenschaftliche,
meine mich quälende Fragen auf so Vieles, Plane auf abzufassende Schriften und
Polemik einem andern Briefe und erwarte sehnsuchtsvoll baldigst gütige Antwort
(beim Candidat Vogtmann in Gotha abzugeben) auch von Ihrem Befinden unter der
größten Hocnachtung als Ew. Wohlgeb.
ergebenster Waitz Candidat Theolog.
598. Drobisch an H.M Leipzig d. 10. April 1837.
Verehrter Freund und Gönner! Der, meiner Vermuthung nach, baldige Wieder-
anfang der Göttinger Vorlesungen erinnert mich daran, daß ich einem mehr-
jährigen sehr fleißigen Hörer, dem stud. med. Schilling aus Köthen'), der von jetzt
an in Göttingen studiren wird, versprochen habe, seinen Besuch bei Ihnen durch
ein paar empfehlende Worte vorzubereiten. Ich hoffe, er wird Ihnen gefallen, er
ist ein guter Kopf und auch, soweit ich ihn kennen gelernt habe, ein sittHch guter
Mensch, der das lebhafteste Interesse an der Philosophie nimmt, und Ihre Vor-
lesungen gewiß mit dem größten Eifer und mit Nutzen besuchen wird.
Von mir selbst habe ich Ihnen nichts zu schreiben, denn was kann es helfen
über meine geistige Abspannung, die mich zu keiner tüchtigen Arbeit kommen läßt,
zu klagen. Der beispiellose Nachwinter vernichtet nun vollends die Ferien, die sich
also weder zur Arbeit noch zur Wiederherstellung der Gesundheit brauchen lassen.
') 2 S. 40. H. Wien.
«) G. Schilling (1815— 1872\ später Prof. d. Phil, in Gießen.
268 April 1837.
In sofern ist es mir fast willkommen, daß ich durch das Beziehen einer neuen
Wohnung, die ganz neu einzurichten ist, und die, da sie in einem Universitäts-
gebäude liegt und die geiäumig und heiter ist, ich wahrscheinlich und hoffentlich in
meinem Leben nicht wieder verlassen, das Privilegium habe, ein paar Wochen m
Müßiggang zu leben.
Vor einigen Tagen war Schenk [?] aus Kiel hier. Er läßt sich Ihnen, als ehe-
maliger Zuhörer, bestens empfehlen. Er war voll vom Lobe Ritter's, der ja nun
der Ihrige wird. Er versicherte, dieser habe in Kiel in größtem Ansehen gestanden
als Lehrer wie als Mensch. Auch unser Wachsmuth versichert, R. sey durch und
durch Charakter. Das ist gewiß höchst erstaunlich an einem Philosophen und in
sofern so wie als Historiker wird er Ihnen willkommen seyn. Wie weit nun der
Schüler Schleiennachers hervortreten wird, steht wol noch zu erwarten. Ein
Mann für die Theologen wird er wohl seyn. Man hat hier und anderwärts aber
auch nicht verkannt, welchen schweren Stand R. in Göttingen haben werde. |1
In Berlin — so sagte dieselbe seinen Charakter rühmende Stimme — fiel ihm
alles zu, was Hegeln perhorrescirte oder dessen rauhen Vortrag nicht goutiren
konnte; R.'s Vortrag dagegen soll etwas Zauberisches haben. Ich lege einiges Ge-
wicht auf diese Äußerung: denn der Mann correspondirt viel.
Noch habo ich Ihnen für die analytische Beleuchtung etc. meinen herzlichen
Dank zu sagen unterlassen; zum Lesen bin ich leider noch nicht gekommen.
Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief von Strümpell. Er scheint noch
ganz der Alte, voll von beueidenswerther Zuversicht zu seinen Kräften, von großen
Plänen für die Zukunft und ein wenig hochmüthig; mit seiner Lage im Ganzen
zufrieden.
Mit der Gesundheit meiner Familie steht es jetzt eben gut. Alle zwei Monate
irgend eine Störung derselben steht nun bereits auf dem Budget und muß als ein
Ordinarium angesehen werden. Ich wünsche von Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin
(Gesundheit die besten Nachrichten zu erhalten. Empfehlen Sie letzterer mich und
meine Fi'au ergebenst.
Entschuldigen Sie diese wenigen hypochondrischen Zeilen. Mit dem Frühlings-
wetter wird, wie ich hoffe, wieder mehr Elasticität in mich hineinkommen.
In jedem Falle vom Herzen • der Ihrige Drobisch.
599. Hartenstein an H.^) Leipzig am 25. April 1837
Hochverehrter Herr Hofrath, Im Vertrauen auf ihre gütige Verzeihung er-
laube ich mir, schon wieder, Ihnen einen jungen Mann zu empfehlen, welchen die
in Leipzig begründete Liebe zur philosophischen Forschung nach Göttingen treibt.,
um Sie zu hören. Es ist derselbe Dr. Stoy^), und ich hoffe, daß Sie in ihm einen
ernsten und namentlich von dem wärmsten Interesse für die practische Philosophie
durchdrungenen Jünger finden werden.
Obwohl ich kein Recht habe, Ihre Zeit und Aufmerksamkeit unbescheiden in
Anspruch zu nehmen, so brauche ich doch diese Gelegenheit, um die Hoffnung aus-
zusprechen, daß ich vielleicht recht bald das Vergnügen haben werde, einen Brief
von Ihnen zu erhalten. Ich wünsche ihn, weil ich hoffe, daß er mir Ihr Urtheil
über mein Klaglibell gegen .Schleiermacher nicht vorenthalten wird.
Die Beilage dieses Briefes steht zwar in keiner Beziehung zur Philosophie,,
indessen hege ich die Überzeugung, daß Sie einem Ereignisse, welches lediglich.
1) IS. 4". H. Wien.
^) K. V. Stoy (1815—1855), später Prof. in Heidelberg u. Jena.
Mai 1837. 269
meine Person angeht, Ihre wohlwollende Theilnahme nicht versagen werden. In
meinen Arbeiten ist, wie ich gern gestehe, dadurch für den Augenblick eine Pause
eingetreten, die aber hoffentlich nicht allzu lange anhalten soll.
Mit dem herzlichen "Wunsche, daß der ungewöhnlich spät eintretende Frühling
Sie in vollkommenem Wohlseyn erhalten möge, empfehle ich mich der Fortdauer
Ihres wohlwollenden Andenkens und verharre mit immer gleicher Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
600. An Herbart. ^) 4. Mai 1837.
Zum Vierten Mai des Jahres Achtzehn Hundert und sieben und dreißig dem
Oeburtstage Herbai-ts des für die Herzen der Unterschriebenen Titellosen. Am
Himmelfahrtstage. -)
Maenner und Juenglinge hier versammelt zu froehlichem Feste —
Sag' wen feiert das Fest? wen das erklingende Glas?
Herbart feiern, den Lehrer, in herzlichsten Dankes Erinnerung
Heute zu traulichem Kreis Lehrer und Schueler vereint.
Heut vollendete eiust, der trefflichste Lehrer der Menscnen,
Um sie zu bessern gesandt, das ihm befohlene Werk:
Stieg dann vor den Erstaunenden auf zu dem Vater des Lebens,
Irdischer Glorie nichts, ewigen Ruhmes gewiß:
So kann Dir auch die Welt nichts mit ihrem Lohne vergelten
Was Du nicht uns allein — allen für Segen gebracht:
Leichtsinn des Schuelers hat oft Dich betruebt, der Lehrenden Irrthum,
Oft Dir Muehe gemacht, oft Dir die Stunden geraubt.
Mancher erkennt wohl spaet, erst, jetzt, was Du ihm gewesen,
Was Du für Keime gelegt — jetzt da ihm reifet die Saat.
Denn wie zoegertest Du, wo's galt mit rüstigem Muthe
Und mit beharrlicher That Fehler zu bessern an uns:
Herbartl toent es darum, lang leb' Er in glücklichen Tagen!
Lebe gesund und froh! kräftig in geistiger Kraft!
Sie auch lebe mit Ihm bis zum aeußersten Maaße des Alters
Die Ihm mit weiblicher Huld liebend die Tage verscboent!
Und naht einst das Geschick, vererb' dann Herbart den Schuelern,
Den durchdringenden Sinn und den verbindenden Geist!
601. Drobisch an H.^) Leipzig 30. Mai 37.
Hochverehrter Herr und Freund, Der hoffnungsvolle Sohn meines unvergeß-
lichen Freundes und Collegen Brandes, Hr. D. Brandes, wünscht durch diese Zeilen
entschuldigt zu seyn, wenn er sich erlaubt, eine wissenschaftliche Reise antretend,
Ihnen seine Aufwartung zu machen und seine Hochachtung zu bezeigen. Er ist
bei hiesiger Sternwarte als Amanuensis angestellt, hat aber unter meiner Leitung
auch an den Angelegenheiten der Philosophie Theil genommen. Er wird von
Göttingen nach Altena und dann nach England gehen, um sich einige Anschauungen
über astronomische und physikalische Apparate zu verschaffen. Die nächste Ver-
anlassung zur Reise gibt ihm aber ein Leipziger Reisestipendium.
Lange habe ich nichts Näheres von Hinen gehört. Mein letzter Brief war
freilich wenig geeignet, Sie zu wissenschaftlichen Mittheilungen einzuladen, denn
') 2 S. 4». N. (= Nachlaß, s. Vorwort).
^) Steht auf der ersten Seite.
*) 3 S. 4«. H. Wien.
270 Juni 1837.
ich erklärte offen meine derzeitige Stumpfheit. Es ist auch jetzt noch nicht so
wie es seyn sollte, die Arbeit geht schwer und langsam vorwärts, die geistige
Elasticität ist gering. Indeß wäre mirs doch lieb, mich von Ihrem Wohlseyn über-
zeugen zu können, an dem weit mehr gelegen ist. Die Tauben, die aus unsrer
Arche geflogen sind, haben aber leider noch keine Oelblätter zurückgebracht.
Selbst D. flülße, der neulich Sie besucht haben wird, hat mir noch keine mündliche
Nachricht gebracht.
Mit den Collegien geht es hier fortwährend gut, nämlich bei Hartenstein und
mir; l| Weiße aber, entmuthigt durch gänzliche Uebergehung bei Besetzung zweier
philosophischen Professureri, hat seine Entlassung genommen und geht, vor der
Hand, so viel ich weiß, als Privatgelehrter, nach Berlin. Ob er dort lesen wird,
weiß ich nicht. Daß man dort aber viel Wesens von ihm macht, habe ich erst vor
Kurzem aus guter Quelle gehört. Er scheidet aus, weil er für uns nicht paßt.
Seinem Charakter und seinen Kenntnissen alle Achtung zollend, wünsche ich ihm
anderweits Glück nach seiner Weise. Hätte er Aesthetiker bleiben wollen, so würde
er bei uns wol auch mehr Berücksichtigung gefunden haben, aber er wollte Meta-
physiker seyn und hatte sich nicht mit der besten Sorte von Wissenschaft ver-
sehen; übrigens gebricht es ihm an Lehrtalent. Es wird nicht an Leuten fehlen,
die rufen: Das ist das zweitemal, daß Leipzig einen großen Philosophen ausstößt.
Denn auch Thomasius, der freilich nur Aufklärer war, mußte einst nach Halle
ziehen.
Ritter wird wol erst zu Michael bei Ihnen anlangen, daher kann ich von ihm
jetzt noch nichts zu hören hoffen. Uebrigens ist man wol jetzt in Göttingen mit
großen Zurüstungen zum Jubiläum beschäftigt, das sich mit Prag in die deutschen
Gelehrten theilen wird. Ich beneide Sie nicht um diese Festlichkeiten, die ich
jedoch weit entfernt bin zu tadelh, da in unserer Zeit die Wissenschaft äußerliche
Anerkennung von Seiten der Mächtigen dankbar hinzunehmen Ursache hat. Ich
wollte aber wenigstens, daß sie nicht in die Ferien fielen und daß ich, anstatt Ihre
Gegenwart in Göttingen für || nothwendig halten zu müssen, mich wieder einmal an
einer persönlichen Zusammenkunft mit Ihnen irgendwo erfreuen und erheben könnte.
Doch ich bescheide mich, daß dies für dieses Jahr ein bloßer frommer Wunsch
bleiben muß, und begnüge mich wie bisher, im Geiste bei Ihnen zu seyn.
Ganz der Ihrige Drobisch.
602. An Drobisch. Göttingen I Juni 1837.
Was werden Sie davon denken, mein hochverehrter Freund ! wenn
ich nach langem Schweigen auf einmal so schnell als möglich Antwort
von Ihnen begehre, und noch obendrein zugleich Antwort in Herrn Pr.
Hartensteins Namen ?
Aber unser Jubiläum ist ein wunderliches Ding, es setzt uns mannig-
faltig in Spannung — von andern Umständen, die mich allein angehn,
kann ich füglich jetzt schweigen.
Man erwartet mehr Fremde als man zu lassen weiß. Wie sich die
Polizey dabei benehmen würde, war mir lange zweifelhaft. Die Zu-
muthung, eine diplomatische Person aufzunehmen, war mir höheren Orts
zugegangen ; ich hatte sie abgelehnt und bekam keine weitere Antwort.
Vor ein paar Tagen nun erscheint eine Polizeyverfiigimg, worauf ich die
Hoffnung baue, daß meine Anzeige, ich erwarte Gäste, mich wohl von
weitern Zumuthungen dispensiren wird; nur werde ich sobald als möglich
diese Gäste bestimmt nennen müssen.
Juni J837. 271
Welche Gäste das seyen? — Durch Ihre jungen Leipziger war mir
angedeutet, daß sowohl Sie als Hartenstein Hoffnung gegeben hätten, uns
beym Jubiläum zu besuchen. Nun möchte ich Ihnen || aber nicht rathen,
zur Zeit des Jubiläums — lö — 20 September hier auf Platz in den Gast-
häusern zu rechnen, wollen Sie bev mir vorlieb nehmen, so wie es als-
dann die Umstände erlauben werden, so wird dies wohl nicht ganz so
unbequem seyn als Sie es sonst finden möchten. Darum also bitte ich
Sie und Hartenstein, daß Sie mich baldigst, und in einem ostensibeln
Schreiben, wissen lassen, ob Sie die Güte haben wollen, mich mit Ihrem
Besuche zu beehren. Nimrpt die Polizey Ihr Schreiben an, ohne Beschlag
auf meine Zimmer zu legen für unvermeidliche Einquartirung, so ist Alles
abgemacht; und dies dürfen Sie für gewiß annehmen, wenn Sie nicht
gleich darauf von mir einen neuen Brief bekommen. Wahrscheinlich
kommt noch Schubert aus Königsberg; ich hoffe, die Herren werden in
Rücksicht auf die Umstände Sich etwas behellen, und das wird sich wohl
noch leidlich machen lassen.
Unveränderlich der Ihrige ! Herbart.
603. Drobisch an H.\) Leipzig 8. Juni 37.
Hochverehrter Herr und Freund, Obgleich mir meine leider fortwährend
schwankende Gesundheit durchaus nicht erlaubt auf lange Zeit hinaus Pläne zu
machen (eben mußte ich wieder die Vorlesungen 3 Tage aussetzen), so macht es
doch wol die Vorsicht rathsam, mir eine Anfrage, die auf 3 Monate hinausgeht,
zu erlauben. Als wir das letzte mal in Nordhausen zusammenkamen, äußerte ich
den Wunsch und die Absicht, zum Göttinger Universitätsjubiläum Sie zu besuchen.
Für diesen Fall waren Sie und Ihre Frau Gemahlin so gütig mich einzuladen, bei
Ihnen selbst zu logiren. Darf ich nun dieses -freundliche Anerbieten von 2 Jahren
her als ein noch heute gültiges Versprechen ansehen, so hätte ich mir jedenfalls
doppelt Glück zu wünschen, indem, wenn es mir meine Verhältnis.se erlauben, noch
zu kommen, ich nicht nur der Verlegenheit um ein Unterkommen überhoben seyn
würde, die, wenn den Zeitungen zu trauen ist, groß werden zu wollen scheint^
sondern auch als Ihr Hausgenosse mich Ihres persönlichen Umgangs so viel erfreuen
könnte, als es die Zerstreuungen des Tages nur immer zulassen würden. Weit
entfernt jedoch zudringlich seyn zu wollen, bitte ich diese Erinnerung an ein früheres
zuvorkommendes Anerbieten nur als eine bescheidene Frage anzusehen; in keinem
Falle darf Ihnen meine Gegenwart Unbequemlichkeit verursachen ; daß übrigens
die Summe meiner Ansprüche oder meinetwegen, da Gauß Ihr College Ist, die Summe
der Quadrate meiner Anspräche ein Minimum ist, versteht .'sich ganz von selbst;
d. h. logiren Sie mich, wie es Ihnen bequem ist, mir wird's schon recht seyn : in
eine Diogenes-Tonne werden Sie mich doch nicht stecken. — Im Voraus will ich
Sie davon || avertiren, daß in diesen Tagen wahrscheinlich auch Hartenstein mit
einem devotesten Logisgesuch bei Ihnen submissest einzukommen sich die Freiheit
nehmen wird. Muß nun einer von uns beiden den Repuls bekommen, so stütze ich
mich auf mein gutes historisches Recht. Sehr möglich indeß, daß nach spinozisti-
schen Begriffen dennoch Hartenstein Recht behält, dann nämlich wenn er die Macht
hat zu kommen und ich nicht. Vielleicht coUidiren wir indessen hier so wenig als
sonst; vielleicht ist Ihr Haus nach so isoperimetrischen Grundsätzen gebaut, daߣes
1) 2 S. 40. H. Wien.
2^2 Juni 1837.
ein Maximum des Raumes enthält. Doch wie dem auch sey, ich will Hartenstein in
seiner Anfrage nicht vorgreifen; daß ich in gleicher Absicht an Sie schreibe, habe
ich ihm mitgetheilt.
Mich und meine Frau Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin freundschaftlichst emp-
pfehlend ganz der Ihrige Drobisch.
604. Hartenstein an HJ) Leipzig d. 11. Juni 1837
Es würde, hochverehrter Herr Hofrath, für mich unverzeihlich seyn, wenn
ich mem langes Stillschweigen gegen Sie noch länger ausdehnen wollte. — Denn in
der That haben Sie mich durch die Güte, mit welcher Sie mein Programm über
Schleiermachers Ethik zum Gegenstände einer so wohlwollenden Beurtheilung in
den Göttinger Anzeigen gemacht haben, zu großem Danke verpflichtet; theils, weil
der Wunsch, Ihr Urtheil zu vernehmen, dadurch auf eine so angenehme Weise er-
füllt worden ist, theils weil die darin ausgesprochenen Hauptgedanken dadurch eine
weitere Verbreitung finden müssen, als dieß außerdem bei einer blosen Gelegenheits-
schrift der Fall seyn würde.
Zugleich muß ich aber freilich bekennen, daß diese Pflicht der Dankbarkeit
nicht das einzige Motiv ist, aus welchem ich diese Zeilen an Sie richte, sondern
■daß dieß zugleich in der Absicht liegt, an Sie eine Anfrage und Bitte zu thun, füi-
welche ich allerdings Ihrer gütigen Verzeihung in nicht geringem Grade bedarf.
Indessen hoffe ich, wenn auch nicht auf Gewährung, doch eben wenigstens auf
wohlwollende Entschuldigung rechnen zu dürfen.
So viel ich weiß, feiert die Georgia Augusta den 16 — 20 Sept. ihr Jubiläum.
Es würde mir in hohem Grade wünschenswerth seyn, mit der Feier dieses glänzen-
den Festes zugleich die Ehre Ihrer persönlichen Bekanntschaft vereinigen zu können.
Nun bin ich aber in Göttingen gänzlich unbekannt und es steht wohl mit Gewißheit
zu fürchten, daß bei dem großen || Zusammenfluß von Fremden, der wohl nicht aus-
bleiben wird, in den öffentlichen Gasthäusern ein Unterkommen zu finden platter-
dings unmöglich seyn würde. Ich wage also die Anfrage, ob ich mir wohl würde
erlauben dürfen, für diese Zeit Ihnen in Ihrem eigenen Hause mit meiner und viel-
leicht sogar auch mit meiner Frau Gegenwart beschwerlich zu fallen. Indem ich
diese Anfrage wage, setze ich, um in Ihren Augen nicht als allzu unbescheiden zu
erscheinen, voraus, daß Ihre gütige Antwort durchaus durch keinerlei ßücksicht auf
mich bestimmt seyn werde; indem ich die etwanige Gewährung meiner Bitte nur
dann mit gutem Gewissen würde annehmen können, wenn ich fest überzeugt seyn
könnte, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin durch solche ungebetne Gäste in keinerlei
Rücksicht behelligt werden würden.
In dieser Voraussetzung Ihrer gütigen Antwort entgegensehend verharre ich
für jetzt mit gleicher Hochachtung und Verehrung
Ew. Hochwohlgeborner ergebenster Hartenstein.
605. An Drobisch. 18 juni 1837.
Mein theurer Freund! Anfangs nahm es mich Wunder, daß Sie
meine Emladung nicht ernstlich erwiedert haben; da aber Hartensteins
doppelter Brief fast ebenso aussieht wie der Ihrige, bin ich auf den Ge-
danken gekommen, daß Sie ein Ansehn von versammelter Parthey be-
fürchten. Diese Betrachtung hält mich nun zwar ab, meine Einladung
so angelegentlich zu erneuern als es außerdem geschehen würde. Zu-
^) l'/j S. 4°. H. Wien.
August 1837. 273
dringlich will ich nicht seyn. Allein so gewiß es ist, daß wir durch ein
unwissenschaftliches Partheytreiben nichts gewinnen können, eben so vest
bin ich überzeugt, daß hier auch nichts zu verlieren und zu verhüten ist.
Auf Klugheit kommts in diesem Augenblicke nicht an, sondern auf Kraft.
Daß insbesondere Hartenstein die Parthey Schleiermachers einmal gereizt
hat, wird ihm eben so wenig vergessen werden, als daß er angestellt ist;
was die Hauptsache ausmacht. Gelingt es, mich zu drücken, so pflanzt
der Druck sich unfehlbar auf Sie beyde fort; und Sie werden ihn länger
zu tragen haben als ich. Also — wenn Sie Lust haben zu unserm
Jubiläum zu kommen, so kommen Sie Beyde, und kümmern Sich um
Nichts. Meinen Sie aber, einen Schein vermeiden zu müssen, so will ich
weiter nichts dagegen sagen. Nur bitte ich um meine Empfehlung an
Hartenstein, dem ich gleich Ihnen meine Einladung von ganzem Herzen
erneuere, so weit es ohne Zudringlichkeit geschehen kann. Baldiger
Nachricht sehe ich entgegen. Unverändert der Ihrige! H.
Einen baldigen Brief von Einem von Ihnen beyden wünsche ich um
so mehr, weil ich wegen Ihrer Gesundheits- Umstände in Sorgen gesetzt
bin, durch einen der Studirenden die von Ihnen hieher kamen. Übrigens
habe ich für diese jungen Männer alle 14 Tage ein paar Abendstunden
angesetzt, von denen eine schon zu einer wissenschaftlichen Unterhaltung
benutzt ist.
606. Brzoska an H.') Ohne Datum.
Hochwohlgeborner Herr, Hochverehrter Herr Hofrath. Vor nicht langer Zeit
überbrachte mir bei einem zufälligen Zusammentreffen H. Geh. Justizrath Kartin
Ihre freundlichen Grüße, die mir und meiner guten Frau unendliche Freude be-
reiteten. Ich bin stets ganz glücklich, wenn ich von Ihnen etwas höre oder lese,
natürlich um so mehr, wenn dies mich persönlich angeht und ich darin Beweise
Ihrer wohlwollenden und gütigen Gesinnungen gegen mich erkennen kann. Sie mit
häufigeren Zuschriften zu belästigen wage ich nicht, auch ist es mir selten erlaubt
einige Augenblicke meinen drängenden Arbeiten, zu denen noch meine häuslichen
Verhältnisse anhalten, zu entziehn; tritt eine kleine Pause ein so schreibe ich an
Sie und meine Mutter. Von H. Kartin erfuhr ich. daß Ew. Hochwohlgeboren Sich
wohl und zufrieden fühlen. So große Freude mir dies gewährte, so sehr betrübt es
mich, daß Ihre Frau Gemahlin Königsberg noch nicht vergessen kann, und daß hier
in der That keine dauernde Abhilfe gefunden werden kann. Ich für mein Theil
habe wenige freundliche Erinnerungen aus meiner Vaterstadt und überhaupt aus
meiner Jugendzeit, aber eine unter ihnen, die mich wahrlich für Alles entschädigt,
es ist dies die Erinnerung an die Zeit, in der in Ihrem Hause, unter Ihren Auspicien
meinem geistigen Leben die Basis und Richtung wurde, wodurch ich bei Allem,
was mein Gemüth traf, doch immer Zuversicht und Kraft behielt, propositi tenax
meinem Ziele zuzuarbeiten. Gott mag Ihnen, dem ich Alles danke dafür lohnen!
— Ein großes Vergnügen macht es mir, daß unsere Schule, doch immer mehr Um-
fang und würdige Anerkennung findet; die Fortschritte hierin wachsen täglich immer
I
') 7 S. 8°. H. Wien. — Zu den Briefen Brzoskas an Herbart ist zu vgl.
die Vorrede W. Reins zur 2. Ausg. der ..Notwendigkeit pädagogischer Seminare pp."
Leipzig 1887. Die weitausschauenden Pläne Brzoskas wurden leider nur zum ge-
ringsten Teile verwirklicht, da er bereits 1839 im 32. Lebensjahr starb.
Herbarts Werke. XVni. l8
2 74 August 1837.
bedeutender, wahrlich kein schlechtes Zeichen für unsere Zeit! Leider habe ich dazu
wenig oder richtiger gar nichts gethan, weil ich auch beim besten Willen in meiner
Stellung nichts thun kann, aber ich hoffe um so mehr zu leisten, so bald || ich den
Platz dazu: ein pädagogisches Seminar gewonnen habe; ja dann bin ich überzeugt
der guten Sache mehr zu nützen, als ein ganzes Dutzend der Gleich gesinnten.
Hier ist das Haupthinderniß, das Geld, was nothwendig da sein muß, um ein solches
Institut zu gründen und ganz besonders, um es in gehöriger Weise, zu erhalten und
fruchtbringend zu machen. Um diesem abzuhelfen hatte ich die Idee, einige tüchtige
Pädagogen zu bestimmen, daß jeder eine populäre in die Erziehung fallende Schrift
fertigen solle, deren Ertrag zusammen den ersten Fond zu einem P. S. bilden sollte.
Diese Idee theilte ich mehreren in der Nähe mit z. B. unserm Rector Dr. Graefe
und dem Doctor Vogel in Leipzig, und sie wurde wirklich mit einer Art Enthusiasmus
aufgenommen. Einstweilen habe ich jedoch ihre Ausführung in die Länge geschoben,
einmal, weil ich auch nicht den Schein selbstsüchtiger Absichten bei einer so
würdigen Sache auf mich laden möchte, und zweitens, weil die Basis des Studiums
in solchem Seminar nach meiner Überzeugung historisch sein muß, theils Einseitig-
keit in den Studirenden zu verhüten, theils, um Selbständigkeit, die doch allein hier
den wahren Erfolg des Thuns sichert, zu begründen. Um diese historische Basis zu
schaffen, gebe ich bei meinem Freunde Barth in Leipzig eine vollständige Sammlung
aller für Erziehung und Unterricht zu beachtenden Regeln und Rathschläge sämt-
licher Pädagogen und Pädagogiker in ihren eigenen Worten von der ältesten Zeit
unter allen Nationen bis etwa auf d. J. 1700 heraus. Das Ganze wird 5 bis 6 ziem-
lich starke Bände fassen; im Iten das Alterthum, im 2ten Mittelalter, im 3ten die
Zeit der Reformatoren, im 4ten und 5ten das folgende; im 6ten endUch soll eine
Sammlung der Rathschläge, welche sich in den Schriften der Philologen namentlich
der holländischen und deutschen vor 1700 finden, gegeben werden. Ich habe hieran
bereits 7 Jahre gearbeitet, in den letzten 5 (in Jena) fast ununterbrochen Tag und
Nacht. Die Ausbeute ist unermeßlich und wird gewiß Staunen erregen. Abgesehen
von meinen Absichten auf das Seminar, so hoffe ich damit ein gründlicheres Studium
und ein überdachteres und kunstgemäßeres Betreiben der Pädagogik herbei zu führen.
Kann die Pädagogik Selbständigkeit und Sicherheit erlangen, so ist dies der einzige
Weg. II Die Erfahrung mag die Schlakken vom gediegenen Golde sondern. Die Resultate
aller Erfahrungen unterj allen Völkern zu allen Zeiten, versteht sich jede einzelne
eben nach der Eigenthümlichkeit der verschiedeneu Zeiten und ihrer Bedürfnisse ab-
gewogen, will ich dann mit Zuratheziehung der neuen pädagogischen Lehren und
Leistuögen zu einer Erziehungs- und ünterrichtslehre zusammenfassen. Ich denke
man wird dann mehr lesen in der Pädagogik und weniger schreiben. Auf diese
Arbeiten soll ein Compendium der Geschichte der Pädagogik folgen, in der Weise,
wie ich es als nothwendig und allein befriedigend, in meiner: „Nothwendigkeit" be-
schrieben habe. Den Schluß von Allem werden Grundriße zu akademischen Vor-
lesungen machen in einer Methode, nach der die Studirenden in ihnen weniger
positive Belehrungen finden, als durch die sie vielmehr zu eigenem tiefen und
ringenden Nachdenken, und zwar selbständigem angeregt werden. Läßt Gott mich
12 bis 15 Jahre leben giebt mir Gesundheit und läßt mir Muth und Kraft nicht im
äußeren Drucke untergeh-n, so werde ich meinen Vorsatz gewiß erfüllen. Diese
meine Arbeiten tragen nicht wenig bei mich selbst jetzt recht oft sehr froh zu
stimmen. Es ist auch wahrlich kein kleines Ding, wenn man die Vergangen-
heit zu Rathe zieht und in ihr Bestätigung und sicher keine herausgeklügelte findet,
für das was man selbst in der Einfalt seines Sinnes und Herzens dachte, that, lehrte.
Es ist z. B. kein Satz in meiner ,, Nothwendigkeit", der nicht hundertfältig (ich
August 1837. 275
meine es buchstäblich) bestätigt wird. 0 Sie fühlen es gewiß mit mir, mein ver-
ehrter Meister, wie mein Herz da schwillt, wie das Selbstvertrauen in ihm zunimmt
und die Lust \iel, recht viel zu nützen, wächst, wie es von Bewunderung zu dem
erfüllt wird, dem es das Licht der Wahrheit dankt, der aus Einem Geist alles das
Erhabene und Schöne auf einmal schuf, was Jahrtausende hindurch die edelsten Ge-
müther, die durchdringendste Geisteskraft allmählich und stückweise fand. — Im
Laufe des folgenden Jahres wird der 3te Band des Corpus Paedag. erscheinen, und
dieser zuerst, weil die Zeit des Wiederaufblühens der "Wissenschaften auch eine
neue und schöne Blüthe der pädagogischen mit sich brachte in der wir den Höhe-
punkt aller früheren Bestrebungen dieser Art erkennen können und die gleiclisain
die Nahrung der folgenden Zeit darbot; dann aber glaube ich auch gerade durch
diesen Theil am meisten die Aufmerksamkeit auf das ganze Werk leiten zu können.
Mit dem genannten Unternehmen stehen noch 2 andere in Verbindung, das || eine
ist bereits in halber Ausführung, das andere nur erst in der Absicht vorhanden.
Ei-steres ist eine pädagogische Zeitung, unter dem Namen Paedagogisches Centralbiatt.
Es wird in 2 Theile zerfallen, der erste wird die Statistik der Schule geben, der
2te die pädag. Literatur, die europaeische und nordamerik. in der Weise, daß ganz
kurz der Gedankengang jeder liter. Erscheinung bezeichnet wird, mit einem am
Schlüsse folgenden Urtheil. Es soll dieses Blatt eine kurze, doch klare Übersicht
der Zeitzustände der Schule und der Lit. geben für die Gegenwart, iind der Nach-
welt als Quelle für die genannten Punkte dienen. Die Idee zu dem geht vom Leipz.
Dir. Vogel aus, Barth ist Verleger und ich sollte Eedacteur sein nach der AVahl der
Leipziger Herrn.
Ich habe den Prospect ausgearbeitet, so daß er nächstens gedruckt erscheint.
Da mir die Arbeit aber zu viel wird, so habe ich Dir. Vogel einen trefflichen Paeda-
gogen und einen warmen Freund meiner Wenigkeit veranlaßt, die Redact. der Öchul-
statistik zu übernehmen, und er wird es wirklich aus Liebe zu mir auch thun. Das
2te erst noch in der Idee existirende Unternehmen ist folgendes: In Verbindung
mit wenigen aber tüchtigen Kennern der engl., französ., holländ. und italienischen
Sprache, die zugleich auch tüchtige Pädagogen sind, will ich jedes paedag. Werk von
Wichtigkeit das im Auslande erscheint in ausführlicher Bearbeitung des Ideenganges,
und wo die Schönheit der Darstellung oder andere Trefflichkeit der Steile es ver-
langt in wörtlicher aber gewandter Übersetzung möglichst schnell nach seinem Er-
scheinen in zwanglosen Heften zu 3 bis 4 Bogen dem Publikum vorlegen. Dabei
soll auch auf die vorzüglichsten Werke der früheren Zeit zurückgegangen und auch
aus deutschen Werken, die in Vergessenheit gekommen sind, besonders zu be-
achtende Ansichten und Rathschläge mitgetheilt werden. Die Gründe, welche mich
zu diesem unternehmen bestimmen, sind einmal der Umstand, daß jetzt die außer-
deutsche Literatur fast allen Schulmännern unbekannt bleibt, entweder, weil sie kein
Geld oder keine Lust zum Anschaffen der .stets sehr theuren Werke haben, oder
weil ihnen die Kenntniß fremder Sprachen abgeht, oder endlich weil ihre Zeit (oft
neben den andern Umständen) zu sehr beschränkt ist, als daß sie sich mit den
Werken des Auslandes in aller Ausführlichkeit beschäftigen könnten. Mehr aber
als alles dieses bestimmt mich wiederum die Rücksicht auf künftige P[aed.] Seminai-e.
Die Studirenden .werden dann (neben ihren sonstigen Arbeiten) soviel || zu studiren
bekommen, daß man wohl auf jede Erleichterung, die der Gründlichkeit keinen Ab-
bruch thut, denken muß. Auf die angegebene Weise hoffe ich im Verlauf einigei-
Zeit eine hübsche Bibliothek des paedag. literarischen Auslandes gebildet zu sehn,
die in Verbindung mit meinem corpus Paedag. keinen geringen Nutzen stiften soll.
18*
276 August 1837.
So habe ich Ihnen, verehrter Herr Hofrath, meine wissenschaftlichen Be-
strebungen mitgetheilt. Durch diese bin ich mit den Leipzigern in sehr enge Ver-
bindung gekommen, so daß diese mich zu einer Uebersiedlung nach Leipzig zu be-
stimmen suchen, und in der That würden hieraus für meine wissenschaftlichen
Studien und Arbeiten bedeutende Vortheile entspringen. Am meisten interessiren
sich für mich Barth und Vogel; beide unterlassen nichts mir einflußreiche Freunde
und eine sichere Stellung zu verschaffen, überhaupt meine äußere Lage zu verbessern.
Ich bin auch nicht wenig geneigt, der Einladung nach Leipzig zu folgen, doch ist
mein Entschluß noch nicht entschieden. Hier in Jena werde ich wohl nicht in den
ersten 20 Jahren eine feste Stellung erhalten. Zwar habe ich manchen Gönner,
aber was hilft der Gönner wo nichts zu gönnen ist. Herr Geh. Hofr. Stark jun.
der Schwiegersohn des H. Just. R. Kartin hat seinen Einfluß bei der Mecklenburg.
Herrschaft zu benutzen gesucht, um mir dort eine Directorstelle an einem Gym-
nasium oder dergl. zu besorgen, aber bis jetzt hat sich noch kein Erfolg gezeigt.
Gelingt es mir irgendwo eine geziemende Anstellung zu erhalten, so will ich mit
meinen Verhältnissen ganz zufrieden sein und mich bei den Gebrechlichkeiten des
Menschlichen auch für glücklich halten. Was fehlte mir auch? Ich bin gesund,
kann arbeiten, habe Arbeiten die meine ganze Seele erfüllen, habe ein erzbraves Weib
und — wodurch Gott auch für Vieles, Vieles entschädigt hat — ein allerliebstes Kmd.
Am 23ten April wurde meine Anna geboren; sie brachte manches bittere Hausleiden
mit, das aber jetzt überstanden ist und möchte ich sagen, leicht überstanden wurde
bei meinem unerschütterlichen Vertrauen zu Gott. Glauben Sie nicht, es sei die
Sprache aller Väter, wenn ich erzähle meine Anna sei ein allerliebstes Kind; gewiß
ein schöneres, größeres klügeres Auge, eine prächtigere Stirn und einen lieblichem
Mund habe ich nie gesehen ich meine bei solch kleiner Person. Sie ist die Leb-
haftigkeit selbst und geistig wie ich fast fürchte schon zu weit für ihre 7 Monate
vorgeschritten. Ihr ist jede Stunde der Erholung geweiht; sie ist mein Trost und
Stecken. 0 möchte Gott sie nur mir erhalten!
Meine „Nothwendigkeit" — hat bis jetzt viel Beifall gefunden. Sie ist bereits
5 mal angezeigt; von Herrn Pölitz, nach pölitzischer Weise, — von Rector || Graefe
in seinem Archiv mit Enthusiasmus, mit nicht minderem Lobe fast von Vogel im
Repertorium und mit größerm von Röbitz in einer preußischen Volksschulzeitung;
endlich soU auch noch eine Recension in der Darmstädter Schulzeitung ^) stehn, die
ich jedoch nicht zu Gesichte bekommen habe. Interessant war es mir wie die
Urthejle stiegen; zuerst hieß es jeder Mann von Fach könne meine Schrift nicht
entbehren, dann, jeder Gelehrte und Staatsmann müßte sich mit ihr liekannt machen
oder gar studiren, und zum 3ten jeder Gebildete müßte sie in seiner Bibliothek
haben. Solche imd ähnliche Lobeserhebungen, die ich auch in Privatbriefen erhielt,
haben mich recht erfreut und ermuntert; aber ich bin doch unzufrieden, da alle
über meine Beweise für die Nothwendigkeit P. S. gerade das übersehen haben,
worauf ich für mein Theil den größten Wert lege, weil es mir die meiste Mühe
machte und so weit ich die Literatur kenne auch neu, ganz neu ist, ich meine
nämlich die Darstellung des inneren Zusammenhanges der innern Einheit aller päda-
gogischen Disciplinen mögen sie Grimd, — oder Hilfsdisciplinen sein, — welche ich
11) der ersten Abtheilung gegeben habe. Freilich habe ich nichts davon auf dem
Titelblatt gesagt, aber doch in der Vorrede darauf angedeutet. — Auffallend und
zwar unangenehm ist mir, daß in keinem größeren Journal, (die genannten sind
doch nur quasi Winkelkaupen) eine Anzeige erscheinen will. In unserer jenaischen
>) Darmstädter Allg. Schulztg. 1837; Diesterweg, Rheinische Blätter XIX, u. s. w.
August 1837. 277
Zeitung wollte Eiclistaedt selbst die Anzeige machen; aber es bleibt bei ihm wie
überall, wo nicht ein Vortheil herausspringt, immer beim "Wollen. Noch einmal
erinnere und bitte ich ihn nicht; er hat überhaupt vor mir Ruhe, denn lernt man
ihn genau kennen, so erkennt man in ihm die schmutzigste, jämmerlichste Seele, die
allein von Habsucht regiert wird. Herr Geh. Rath Kaitin theiite mir mit, daß Sie
vielleicht eine Anzeige in den Göttinger Anz. machen würden. Fühi-en Herr Hof-
rath diesen Vorsatz aus, so bin ich überzeugt, daß Sie gerade bei der jetzigen Stel-
lung meiner Verhältnisse und Aussichten unendlich viel zu einem glücklichen Ge-
deihen derselben beitragen würden. Ich fürchte fast ein Schweigen von Ihrer Seile
würde von Manchem als eine Nichtachtung oder Geringachtung meiner Leistung und
als eine Zurücksetzung meiner Person angesehen werden. Man würde sagen, und
hat %-ielleicht schon gesagt, wenn die Sache, ihre Darstellung und der Mann der sie
dargestellt, der Empfehlung werth wäre, so würde Herbart alle 3 zu empfehlen nicht
unterlassen. Ihnen ist gewiß, wie mir bekannt, daß Ihr || ürtheil bei aller Welt das
entschiedenste Gewicht hat; und ich glaube daher bei dem mir so gütig sonst be-
wiesenen Wohlwollen nicht zu viel zu wagen wenn ich Ihren Vorsatz durch eine
recht anliegende Bitte zu beschleunigen suche.
Ehe ich nun zum Ende meines mir unter den Händen bei der Lust mit Ihnen,
mein verehrter Herr, zu sprechen zu einem Buche fast herangewachsenen Briefes
schreite bitte ich Sie um gütigen Rath auf welchem Wege ich doch aus der
Göttinger Bibliothek einige Bücher, die hier fehlen und auch in Leipzig, zu meinem
corpus Paed, auf kurze Zeit erhalten kann.
Verzeihen Sie gütigst, daß ich in der Absicht, eine Erholungszeit für mich
recht angenehm zuzubringen Sie mit vielen Weitläuftigkeiten belästigt habe. Emp-
fehlen Sie mich recht angelegentlich Ihrer verehrten Frau Gemahlin und ebenso
mein Weib und Kind und erhalten mir Ihr Wohlwollen der ich mit der größten
Hochachtung und Verehrung verharre
Euer Hochwohlgeboren ergebener Brzoska.
607. Brzoska an H.*) Jena, 1. Aug. 1837.
Hochwohlgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr Hofrath. Vor mehreren
Wochen überschickte ich Ihnen einen Prospect zu einer pädagogischen Zeitschrift,
welche ich herauszugeben beabsichtige. Seit jener Zeit ist es mir gelungen, die
nothwendige Zahl regelmäßiger Mitarbeiter zu vereinigen ; auch haben sich mehrere,
z. B. H. Prof. Drobisch zu einzelnen Beiträgen verbindlich gemacht. Um ein die
Wissenschaft möglichst vollständig umfassendes Journal ins Leben zu rufen, habe
ich noch mehrere Nummern in dasselbe aufnehmen müssen, und so ist beiliegender
Prospect entstanden, welcher sich außerdem noch von dem vorigen durch eine
Hervorhebung des Eigenthünilichen und Verdienstlichen des neuen Journals von den
übrigen unterscheidet. Ich lege Ihnen auch einen Zettel mit den bereits zugesicherten
Arbeiten bei, aus denen man wohl am besten den redlichen Eifer der Herrn Mit-
arbeiter erkennen kann. Besonders hat es mich gefreut, daß Dir. Ellendt sich zu
sehr thätigem Mitwirken verbindlich gemacht hat. Er besuchte mich und versprach
die historischen und philologischen Angelegenheiten zu besorgen.
Worauf es jetzt ankommt ist, einen tüchtigen Verleger zu finden welcher
schon durch seinen Namen die Sache in die Höhe bringt. Herr Geh. Hofr. Luden,
der sich meiner sehr freundlich jetzt annimmt, schlug mir die Hahnsche Buchhandl,
in Hannover vor und rieth mir Sie, verehrter Herr Hofrath, um eine || Empfehlung
^) 3 S. 8". H. Wien. — In der Datierung des Briefes scheint ein Schreib-
fehler zu sein.
278 August 1837.
bei derselben zu bitten. Mir liegt außerordentlich viel an dem Gelingen des Unter- 1
nehmens, theils weil ich dadurch der Wissenschaft und der Schule näher zu kommen I
glaube, indem das Journal gleichsam ein paed. Seminar bildet, in welchem die I
Lehrer alle die sind, welche etwas vortreffliches für die Pädagogik leisteten und i
leisten und die Schüler der ganze Haufe der Leser, — theils weil ich bei den ;
schlechten Aussichten hier in Jena von Seiten der Regierung eine Unterstützung |
zu erhalten, bedacht sein muß, durch eigenen Fleiß, das was meine sich vermehrende i
Familie braucht, herbeizuschaffen. Ich hoffe zuversichtlich, daß Ew. Hoch wohl- ■
geboren, meiner Bitte, das Unternehmen durch Ihre Empfehlung zu fördern, Gehör
schenken werden; ich hätte diese Bitte Ihnen persönHch vorgebracht, weno ich Sie ;
uicht durch meinen Besuch zu belästigen fürchtete. In welcher Art Sie ein emp- ■
fehlendes Wort bei Hahn einlegen möchten, sei es durch einige jetzt an denselben j
gerichtete Zeilen, oder durch einen Bescheid auf eine von Seiten jener geschehenen j
Anfrage, muß ich Ihrem Ermessen und Ihrer Güte überlassen. Würden Sie zu i
ersterem geneigt sein, so müßte ich Sie freundlich bitten, möglichst bald an Hahn
zu schreiben, indem ich gleichzeitig mit diesen Zeilen einen Brief an den genannten
Buchhändler schicke, in welchem ich ihm das Unternehmen antrage, und ein nicht
gleichzeitiges Eintreffen der Briefe bei der schnellen Art sich zu entschließen, wie '.
es bei Hahns üblich sein soll, der Sache wenigstens nicht förderlich sein würde. || 1
Kürzlich erfuhr ich zufällig, daß H. Buchh. Barth in seiner Vielgeschäftigkeit das
für H. Oberschulrat Kohlrausch bestimmte Exemplar saramt Brief an denselben ab-
zusenden vergessen hat. Ich hatte H. Barth diese Besorgung übertragen müssen, ;
da ich in den auf das Erscheinen meiner Schrift folgenden Monaten durch Krank-
heit zuerst meiner selbst dann meiner Frau und meines Kindes daran gehindert !
wurde. Um den Fehler wieder gut zu machen habe ich neulich H. Kohlrausch ein 1
Exemplar u. s. w. zugeschickt. j
Ich empfehle mich Ihrem Wohlwollen und habe die Ehre in größter Hoch-
achtung zu verharren .
Ew. Hochwohlge boren ergebenster Prof. Dr. Brzoska.
608. Hartenstein an H.^) Leipzig d. 17. August 1837 \
Hochverehrter Herr Hofrath, Schon längst würde ich der PfUcht, Ihnen auf |
das, was Sie mich durch Herrn Prof. Drobisch haben wissen laßen, zu antworten, j
nachgekommen seyn, wenn mich nicht der Inhalt dessen, was, wie ich voraussehen i
konnte, ich Ihnen würde schreiben müßen, darum fast unwillkührlich abgehalten !
hätte, weil er mit meinen Wünschen sehr wenig zusammenstimmte. Jetzt darf ich ,
nicht länger zögern, Ihnen zuvörderst meinen aufrichtigsten Dank für Ihre ehren- '
volle Einladung nach Göttingen zu kommen, zu wiederholen. Leider aber bin ich
genöthigt, zugleich mein Bedauern auszusprechen, daß es mir nicht möglich seyn
wird, davon Gebrauch zu machen. Die Gründe dafür liegen theils in Familien-
verhältnißen, die mich zu einer andern kleinen Reise veranlaßen theils auch in dem
Wimsche, den Rest der Ferien zum Arbeiten benutzen zu können. Ich möchte Sie '
bitten, in dieser "Beziehung durchaus kein anderes, näher oder entfernter liegendes
Motiv bei mir vorauszusetzen ; denn wenigstens an ein solches, wie in der etwanigen
Rücksicht auf die Stellung der philosophischen Partheien liegen könnte, habe ich |
weder früher gedacht, noch denke ich jetzt daran. Ich habe mich ent-|| schieden {
und öffentlich zu Ihrer Schule bekannt, aus Überzeugung und ohne Rücksicht auf I
Äußerlichkeiten und, deßhalb wird eine Bedenklichkeit dieser Art selbst dann nicht I
') 2 S. 40. H. Wien.
August 1837. 279
auf mich wirken, wenn mir das, was eine Schule blos als solche und abgesehen von
der Sache, die sie vertritt, betrifft, weniger gleichgültig wäre, als es ist. Die "Wahr-
heit eines Systems documeutirt sich nicht durch den Umfang, in welchem es an-
erkannt wird und deßhalb bin ich für meine Person sehr ruhig über die relativ
langsam vorwärts schreitende Ausbreitung Ihrer Philosophie. Je langsamer und
alimähliger. desto sicherer und nachhaltiger. Wenn Sie geneigt sind, diesem ein-
fachen Ausdruck meiner Denkart Glauben zu schenken, so darf ich wohl auf Ihre
gütige Verzeihung hoffen und mir die Erfüllung des längst mit Innigkeit gehegten
Wunsches, mich Ihnen persönlich bekannt zu machen, für eine andre günstigere
Zeit aufsparen.
Wir haben jetzt in Leipzig einen mir sehr werthgewordenen, philosophischen
Gast, Herrn Lott aus Wien, der in der Absicht hierher gekommen ist, um mit
Drobisch die synthetische Psychologie, mit mir die practische Philosophie durch-
zuai'beiten.
Ich habe an ihm nicht nur einen sehr gründlichen und vorsichtigen Denker,
sondern auch einen in hohem Grade achtungswerthen Menschen kennen gelernt.
Schade um ihn und die Wissenschaft, daß er in Oestreich leben muß! Nächste
Ostern hat er die Absicht, mit seiner Familie wieder auf ein Jahr nach Göttingen
zu kommen.
Mit der wiederholten Bitte um die Fortdauer Ihres wohlwollenden Andenkens
verbinde ich die Versicherung der innigsten Verehrung
Ew. Hochwohlge boren ergebenster Hartenstein.
609. An Drobisch. Göttingen 18 Aug 37
Unter den widrigen Dingen, mein theurer Freund! die mich nicht
zimi Schreiben an Sie kommen ließen, stehn zwar meine üblen Gesundheits-
Urastände oben an; allein es fehlt auch sonst nicht an trüben Aussichten,
und das Jubiläum, was Andre zu Ihrem . Vortheil benutzen können, wird
mir eine Leidenszeit werden. — R.^) hat nicht an mich geschrieben;
man hat mir nicht das Geringste über ihn mitgetheilt, sogar jetzt, da ich
das Decanat führe, und die Lectionszettel in meine Hände kommen
sollten, scheint man eine Verspätung, die den Geschäfftsgang etwas ver-
ändert, vorzuziehen; ich weiß noch nicht, was und zu welcher Stunde
er im Winter wird lesen wollen. Eine Parthey zu bilden hat er nicht
nöthig; er findet sie fertig, und zwar die mächtigste die es hier geben
kann. Als überzähliges Mitglied trit er in die Facultät gleich bey seiner
Ankunft ein. Man braucht sich keine Mühe zu geben, ihn mir gegen-
über vestzustellen; eine Rücksichtlosigkeit, dergleichen früher ein andrer,
sehr verdienstvoller, jetzt alter Mann zu seiner Kränkung hat empfinden
müssen, wird auch gegen mich hinreichen. Mein körperliches Leiden er-
laubt mir nicht, an Vorkehrungen zu denken; ich muß mich geduldig
fügen; denn ich ertrage keine Anstrengungen mehr. Nur das ist gewiß,
daß ich nicht gesonnen bin, Verbeugungen zu machen, die ich unter
meiner Würde halten muß. Vielleicht werden Sie sagen, man wisse nicht
voraus wie R. selbst, und wie die Studirenden sich benehmen werden.
Freylich nicht; aber auf das Wahrscheinliche muß man gefaßt seyn.
Darum sage ich Ihnen, wie die Zeichen stehn. Wenn es mit mir zu
■) H. Ritter (1791 — 1869J, der 1837 nach Göttingen kam. Vgl. S. 268.
28o August 1837.
Ende geht so ist das ein gewöhnliches menschliches Schicksal; aber zu
wünschen ist, daß nicht der Ertrag dessen, was ich mit unsäglicher Mühe
gearbeitet habe, mit verloren geht.
Eine kleine Schrift über den natürlichen Realismus meines Vor-
gängers Schulze, ^) habe ich im Namen der Facultät als Programm zur
Renunciation der Doktoren aufgesetzt, und bin durch die Wahl des
Gegenstandes wenigstens außer dem Bezirk dessen, was zunächst Ver-
anlassung zu Reibungen geben könnte.
Alle 14 Tage habe ich Ihre ehemaligen Zuhörer, Stoy, Dittrich,
Schilling, Meus nebst ein paar andern bey mir, und lasse mir Auf-
sätze vorlesen. Gevers kommt nicht; er scheint anderweitig beschäfftigt.
Jene vier sind meine täglichen Zuhörer, und zeigen sich als gute Köpfe.
Wären diese jungen Leute um 3 Jahr älter und reifer, so stünde Alles
besser.
Hauptsächlich wünsche ich nun bestimmt zu erfahren, ob ich darauf
rechnen darf Sie und Hartenstein, dem ich mich zu empfehlen bitte, hier
zu sehn? Einen großen Zusammenfluß von Menschen wird das Jubiläum
bringen; Bekanntschaften werden Sie machen können. Daher wiederhohle
ich meine Einladung; möge Hartenstein dieselbe von mir durch Ihren
Mund empfangen und gefällig aufnehmen; es ist mir nicht möglich heute
mehr zu schreiben. Ganz Ihr H.
610. Drobisch an H.^) Leipzig 23. August 37.
Mein hochverehrter Freund und Gönner, Ich beklage sehr, Sie in etwas
hypochondrischer Stimmung zu finden. Wohl mögen Sie Ursache dazu haben, aber
ich hoffe Sie sehen die Ereignisse schwärzer als sie wirklich sind. Was hätte man
davon, Sie zu kränken oder gar zurückschieben zu wollen, der Sie noch in voller
Kraft wirken und dessen Anerkennung offenbar noch in vollem Steigen ist? K[itte]']
wird sich freilich Bedingungen gemacht haben. Er weiß, daß er durch seine historische
Richtung in Göttingen begehrt ist, und kann fordern. Die Speculation hat bis jetzt
in Göttingen noch nie tiefe Wurzeln geschlagen, am wenigsten unter den Lehrern.
Die scheint nun einmal am besten zu gedeihen, wo die Institute etwas ärmlich sind,
wie in Jena, sich also die empirische Gelehrsamkeit nicht allzu breit machen kann,
und man sich manches an den Fingern abzählen muß. Bei alle dem wirken wir
geräuschlos, aber sicher fort. Auf Enthusiasmus, auf lärmendes Aufsehen haben Sie
doch gewiß nie gerechnet. Nie hatten Sie es auf eine Umwälzung der Wissen-
schaften abgesehen. Mathematik und Naturwissenschaften sollen in ihrem bisherigen
Gleise bleiben, die Geschichte nicht durch Constructionen verunreinigt werden, die
Theologie und Philologie exegesiren, interpretiren, kritisiren ohne von unserer Philo-
sophie Störung befürchten zu müssen u. s. f., überall kommt nur eine Ergänzung
hinzu und — den verkehrten Eichtungen in den Wissenschaften, die auch ohnehin
von den Gesunden für solche gehalten werden, sind wir abhold. Solche nüchterne,
wenn auch noch so solide || Tendenzen haben sich zwar gewiß der Beistimmung der
Vernünftigen und Reifen zu erfreuen, aber keinen Beifallssturm der Menge zu er-
warten. Aber — R. wird den noch viel weniger erzielen. Er hält sich selbst
nicht für einen systematischen Philosophen, er will hier nur wahre Meinungen
geben und — sein Vortrag soll sehr schläffrich seyn.
1) In dieser Aus^j. Bd. XI. S. i ff.
') 3 S. 4". fl. Wien.
August 1837. 281
Wie sehr wünschte ich unter diesen Umständen recht frisch und kräftig vor
Ihnen erscheinen zu können ; aber Sie werden mich etwas abgetrieben, etwas müde
und stumpf finden, und wie kann es anders seyn? Meine Gesundheit schwankt
unaufhörlich und die Stöße, die meine Kraft seit Jahren geschwächt und vielleicht
gebrochen haben, nehmen noch kein Ende. Vielleicht schon in sehr kurzer Zeit
habe ich das Ableben eines Schwagers zu l)efürchten, der sieben Kinder hinterlassen
wird und ohne Vermögen ist. Das wird für mich ohne Zweifel wieder eineo
schweren Druck geben.
Je weniger ich jetzt der Mann seyn werde. Sie zu erheitern, um so mehr be-
klage ich, daß Hartenstein nicht kommt, der in der frischesten Kraft des Geistes
und Körpers und auch sonst als in jeder Beziehung von Glück begünstigt jetzt \ti
heiterem Muthe dasteht. Er hat versprochen in den Michaelisferien eine kleine
Schrift „über die neusten Beurtheilg. der H-schen Philosophie" zu schreiben und
dabei einige Herrn auf die Finger zu klopfen. Das versteht er gut, und die
Schrift wird höchst erwünscht seyn. Seit 3 Wochen ist Lott aus Wien hier um
bei mir über Psychologie, bei Hartenstein über prakt. Philosophie ein Privatissimum
zu nehmen. Er hat bei jedem von uns täglich eine Stunde, und wir freuen uns
ausnehmend || über seine Tüchtigkeit, .seinen Eeichthum an glücklichen Einfällen,
seinen Scharfsinn und seine treffliche Gesinnung: Er geht damit um, zum Frühjahr
mit Frau und Kindern auf ein Jahr nach Göttingen zu kommen. Schade, daß er ein
Oesterreicher ist: ein Wirkungskreis für ihn ist gar nicht abzusehen. Lott hat mir
wieder allerlei Noth in der Psychologie gemacht und ich habe mit Schmerzen wahr-
nehmen müssen, daß ich noch nicht im Stande bin jeden Zweifel hinlänglich zu
beseitigen. Davon, wenn Zeit bleibt, mündlich.
Daß Sie die Elite unsrer bisherigen Zuhörer in Göttingen haben, merken wir
hier, es ist für den Augenblick eine Lücke entstanden ; dieser Sommer ist sehr flau.
Das ist eben die allgemeine Klage : man erinnert sich seit langer Zeit nicht einer
solchen Schlaffheit, Liederlichkeit etc. der Zuhörer. Ursachen? Dampf- und Eisen-
bahn, langer Nachwinter, schönes Sommerwetter, Badereisen vieler Professoren,
steigendes Industrieleben, abnehmender Studientrieb, sinkendes Ansehen des gelehi-ten
Standes und der Universitäten insbesondere etc.
Ihrer gütigen Einladung beabsichtige ich mm so zu entsprechen, daß ich Donners-
tags d. 14. Septbr. früh 7 Uhr mit der Cassel-Cölner Eilpost von hier abfahre, also
Freitags d. L5. Vormittags in Göttingen ankommen werde.
Wie ich Ihnen schon gesagt: auf das Jubiläum und den Menschenzusammen-
fluß gebe ich nicht viel; ich bin nicht dazu gemacht schnelle Bekanntschaften
zu machen und fürchte überall eine ungünstige Meinung der Leute über mein Thun
und Treiben. Nun vielleicht finden sich doch noch ein paar ruhige Stunden.
In der Hoffnung heitern Wiedersehens und mit den ehrerbietigsten Grüßen
an Ihre Fi au Gemahlin der Ihrige Drobisch.
611. An Drobisch. ^837. Ohne Datum.')
Gut daß Sie kommen, mein theurer Freund! Aber Schade d.ß
Hartenstein, der Sie erheitert und für sich Manches vielleicht nützliche
bemerkt haben würde, Sie nicht begleitet — ich habe gewagt ein paar
Zeilen an ihn deshalb zu schreiben, jedoch mit sehr geringer Hoffnung,
daß er Gewicht darauf legen werde; und ohne starke Bitten, weil — ich
sehr wenig Platz und Bequemlichkeit haben und anbieten kann, falls, was
^) I S. 4". — Poststempel 29. 8.
282 August 1837.
ich als möglich annehmen muß, der Eigenthümer meiner Wohnung, der
Präsident Wedemeyer, selbst kommt, dem ich alsdann das beste Zimmer
anweisen muß. Auf Ihre Nachsicht hoffe ich.
Sie glauben, ich sehe die Dinge zu schwarz? Es scheint mir, selbst
nach Ihrem letzten Briefe, daß Sie auf einer glücklichen Insel leben. Ist
denn bey Ihnen, ist in Dresden pp. der Spinozismus noch nicht in die
Mehrzahl selbst der guten Köpfe übergegangen? Und glauben Sie wirk-
lich, in meinen Untersuchungen läge keine Zumuthung zu Veränderungen
in Schulen und Verhältnissen? — Wenn nun vollends Ihnen neue Lasten
zugewälzt werden (mit lebhaftestem Bedauern lese ich von dem Verlust, den
Sie als wahrscheinlich bevorstehend ansehen): so wird Hartenstein wohl
noch etwas Mehr an Vorkehrungen zu unsrer gemeinsamen Sicherheit
nöthig finden, als bloß einigen meiner Beurtheiler entgegenzutreten.
Glauben Sie mir: die Übel liegen tief und sind weit verbreitet! — Hm.
Lott schätze ich persönlich recht sehr; — aber — kann er denn für
Psychologie nichts Besseres leisten als Schwierigkeiten machen? — ich
habe ihn mit seinen Schwierigkeiten schon längst an sein eigenes Nach-
denken verwiesen. Doch mündlich Mehr!^) Ganz der Ihrige H.
^) Über Drobischs Teilnahme an der Hundertjahrfeier der Georgia Augusta in
Göttingen und seine Eindrücke vgl. man W. Neubert-Drobisch, M. W. Drobisch, Leipzig
1902, S. 56 ff. Das Tagebuch Drobischs vermerkt unter dem 22. Sept.: „Psychologische
Studien mit Herbart. Zwei mathematische Abhandlungen liegen zur Herausgabe bereit
und geben gar manche neue Aufschlüsse. Auch über Philosophie der Geschichte und
des Staates hofft Herbart bei guter Gesundheit noch etwas zu schreiben, was höchst
wichtig und der Verbreitung seiner Ansichten förderlich wäre. — Die angefangene
Opposition gegen Schleiermacher müsse er durch eine umfangreichere Schrift vollenden.
In der Spekulation dürfe man nicht darauf jvarten, daß etwas von selbst geschehe. Der
Pantheismus müsse stärker angegriffen werden, man müsse den Theologen die Sache
ins Gewissen schieben, indem man ihnen zeige, was Moial sei. Göttingen hat jetzt
wohl, wie die meisten Universitäten, Lust, sich zu berlinisieren. Wendt versuchte es
in der Philosophie, ward aber von Herbart tot gemacht. Nun kommt Ritter, der
wenigstens das Schleiermachersche Berlin repräsentieren wird. Treffend sagte Herbart:
„Wo so ein paar Leute wie Hegel und Schleiermacher nebeneinander stehen, wie dies
in Berlin der Fall ist, da denken die mittelmäßigen Köpfe, es seien Extreme, und
die Wahrheit müsse in der Mitte liegen.'' Ob solche Tendenzen in Leipzig je Eingang
finden, werden, weiß ich nicht: Daß aber die Leipziger Unzugänglichkeit mehr Apathie
als Antipathie und daher nichts wert ist, bezweifle ich nicht. — Stirbt Herbart, bevor
wir Jüngeren vollkommen auf eigenen Füßen stehen und festen Grund und Boden er-
langt haben, so sind nicht nur unsere Personen, sondern es ist die Sache selbst ver-
loren." — Hier mag gleich noch eine Notiz Drobischs über eine frühere Zusammenkunft
mit Herbart Platz finden: „Herbart hat diesen Winter (34 — 35) die Sophokleischen
Tragödien und die besten Werke Schillers und Goethes für seine Vorlesungen ästhetisch
analysiert, um ihre Vorzüge hinsichtlich der Charaktere, Situationen und Handlungen
zu prüfen. Die beiden Neueren, zumal Goethe, hätten da gegen den alten Meister
doch merklich zurückstehen müssen: das Vollendetste sei die Antigone, das schwächste
Produkt die natürliche Tochter. — Auch in der Musik trafen meine Urteile mit denen
Herbarts zusammen. Ganz wie ich nannte auch er Beethoven den Jean Paul der
Musik und spendete ihm damit Lob und Tadel zugleich. Höchlich rühmte er Sebastian
Bach, der mir freilich zu unbekannt ist. Das Forcierte Webers widerte ihn ebenso an
wie das der Berliner Modeliteraten, der Rahel und Konsorten. — Er trieb mich zur
Naturphilosophie und warnte, sie nicht ad Calendas graecas zu verschieben. Ohne
Zweifel sei sie das Feld, auf dem die Entscheidung über seine Metaphysik erfolgen
müsse. Gewiß hat er hierin recht."'
September 1837. 283
•612. Brzoska an H.') Jeua d. 1. September 1837.
Hochwohlgeborner Herr, Hoclizuverelireuder Herr Hofrath, Für die in den
Berücksichtigungen meines Buches mir gegebeneu so schätzbaren Beweise Ihres
Wohlwollens sage ich Ihnen meinen ergebensten Dank. Unerwartet war es mir
dabei, daß Sie manche Übertreibungen darin gefunden haben. Bezieht sich dieser
Vorwurf auf die letzte Abtheilung, wenigstens vorzugsweise, so glaube ich, daß Sie
mir Unrecht thun. Allerdings haben denselben Tadel ein Anonymus in der berl.
Lit. Zeitung und H. Schulr, Chr. "Waiß^) zu Mei'seburg in d. Hall. Zeitung ausge-
sprochen, doch ist ersterer offenbar ein wenig zu beachtender Tadeler und letzterer
hat sich selbst durch d. Zusatz einer Bemerkung widerlegt. Dagegen haben Vogel,
Poelitz, Graefe und Robitz nichts dergi. auszusetzen gehabt und H. Prof. Bonnel in
Berlin hat in seiner ausführlichen, sich durch mehr als l'/g Bogen hinziehenden
Recension in den Schulblättern für Brandenburg die mich leitenden Grundsätze
richtig herausgestellt. Ich werde übrigens in der mir von vielen Seiten abgenöthigten
Zusammenstellung und Prüfung alles dessen, was auf den verschiedenen Universi-
täten Deutschlands und in Paris für Frankreich (in d. Normalschule) zur Bildung
der Gymnasiallehrer geschehen ist und geschieht hinlängliche Gelegenheit haben,
auf den meiner Schrift gemachten Vorwurf in Bezug des letzten Theiles einzugehen
und meine Ansicht aufrecht zu erhalten. || Ihre freundliche Theilnahme an der Central-
Bibliothek gibt mii die beste Bürgschaft, daß das Unternehmen das erreichen wird,
was ich durch sie beabsichtige. Ich glaube auch dabei vom Geschick begünstigt zu
werden, indem ich bereits einen Verleger gefimden habe, wie ich nur wünschen
konnte. Ich hatte die Wahl zwischen 4 Verlegern; ich wählte H. Schwetschke u.
Sohn, weil diese mit Journalen umzugehen wissen und einen leichten Betrieb der
Sache in jeder Weise besitzen. H. Schwetschke u. Sohn sind für das Unter-
nehmen außerordentlich eingenommen und werden es aufs großartigste durchführen.
Ich besitze ihr unbedingtes Vertrauen: der Contract ist vollkommen abgeschlossen.
Es werden nicht, wie ich bestimmt hatte, 12 Bogen gedruckt, sondern zum tvenigsten
96; ich kann diese Zahl dabei bis auf 116 Bogen erweitern. Der Verleger stellt
den Hterarischen Apparat, trägt die Transportkosten u. s. w. und zahlt mir eine
Gesammtsumme, durch die ich in den Stand gesetzt werde, die H. Mitarbeiter im
■ Verhältniß gegen andere paedag. Journale sehr an.ständig zu honoriren, ohne daß ich
genöthigi bin, ihnen die üblichen Frohndienste aufzubürden. Mit den Mitarbeitern
glaube ich ganz zufrieden sein zu können. Von H. Prof. Dr. Bobrick verspreche
ich mir viel und will ihn dringend angehen, mich fleißig mit Abhandkmgen für
N 8 und 9 zu unterstützen; weniger hoffe ich von Ellendt. Die meisten der übrigen
H. Mitarbeiter sind im pädagogischen Publikum anerkannte Notabilitäten ; sie er-
kennen die hohe Bedeutung der Central-Bibliothek und werden ihren Eifer gewiß
zu bethätigen, nicht unterlassen. Mein Gemüt ist ganz erhoben durch den ge-
wünschten Fortgang der Sache; ich fühle mich gestärkt und stark genug den Platz,
welcher mir offen steht, einzunehmen und zu behaupten. Fürchten Sie hoch-
verehrter Herr, von mir kein rasches Zufaliren, keine Unüberlegtheit. Ich habe
«ine II gute Schule durchgemacht, und glaube mein Publikum und die Wissenschaft,
für die ich lebe, gut zu kennen. Die Erfahrung denke ich soll Sie, so Gott mir
Gedeihen schenkt, überzeugen, daß ich meine Absichten gut vorzubereiten weiß,
um sie so weit als möglich glücklich durchzuführen. Wie ich das Vertrauen meiner
Mitarbeiter in hohem Grade jetzt schon besitze, so hoffe ich auch das des ganzen
^) 4 S. 4". H. Wien. Brief mit einer aufgedruckten Ansicht von Jena.
^) Über Chr. Weiß vgl. R. Hentzschel, Langensalza, Hermann Beyer & Söhne
(Beyer & Mann), 1911.
284 September 1837.
Publikums zu erringen. Herrn Direct. Ranke werde ich zum Mitwirken auffordern,
und mich freuen, wenn er einschlägt; außerdem werde ich noch einige, welche mir
besonders tüchtig scheinen auffordern ; Niemeyer, Flügel, Müller sind bereits bei-
geti'eten. Jeder, hoffe ich, wird in s. Kreise nach Kräften wirken; soll aber d.
Unternehmen schnell und sicher gedeihen, so müssen Sonnenstrahlen, wie sie nur
Herbart verbreiten kann, d. Ganze von Zeit zu Zeit erwärmen und erleuchten. Ew.
Hochwohlgeboren werden leicht erkennen, daß im Tempel, wo ich Oberpriester bin,
Herbart der Gott ist, dem im tiefsten Heiligthume der Weihrauch angezündet werden
wird. Mir gilt es eine Ansicht, die ich für wahr erkannt habe, mit Vorsicht auch
im Publikum geltend zu machen, damit das Resultat: gänzliche Umformung des
Unterrichts, wie sie eine bessere Psychologie verlangt, erreicht werde. Erkennen
Sie, verehrter Herr, recht genau meinen Plan und d. Bedeutung des Werkzeuges
in meiner Hand, und versagen dann auch nicht eine Beihülfe; unterstützen Sie uns
von Zeit zu Zeit mit einer kleinen Abhandlung ; ich bitte darum aufs inständigste !
Ihnen macht ein Aufsatz über einen interessanten pädagogischen Gegenstand von
einigen Seiten wenig Mühe und uns nützt er außerordentlich. Erfüllen Sie meine
Bitte um der guten Sache und meinetwegen. Auch Herrn || Schwetschke werden
Sie dadurch sehr verpflichten. Wie sehr es jetzt Zeit ist, rüstig von allen Seiten
anzugreifen sieht man zum Theil daraus, daß H. Schwetschke an eine 2te Auflage
Ihrer Encyclopaedie denkt. Haben Sie die Güte, mich zu benachrichtigen ob ich
auf Erfüllung meiner Bitte rechnen kann und ob ich bald darauf rechnen kann.
Sollte H. Prof. Bobrick, wie er mir schrieb, nach Göttingen zum großen Fest©
kommen so haben Sie d. Gewogenheit ihm mich bestens zu empfehlen und ihn
meiner vorzüghchsten Hochachtung zu versichern. Ersuchen Sie ihn gefälligst in
meinem Namen mir einen Besuch auf seiner Heimreise zu schenken, das schöne
Jena wird ihm, hoffe ich. nicht mißfallen. Ich habe d. Ehre mit der größten Ver-
ehrung zu verharren Ew. Hochwohlgeboren ergebener Prof. Dr. Brzoska.
613. Auerswaldt an H.') " Hannover 4 Sept. 1837.
Hochwolgeborner Herr, Hochgeehrtester Herr Hofrath, Euer Hochwolgeboren
habe ich die Ehre, für die Übersendung Ihrer neuesten Schriften, als einen Beweis
Ihres Wohlwollens auf gehorsamste zu danken. Diese fortgesetzten Bemühungen,
geprüfte und gründliche Einsicht im Gegensatz so mancher speculativen Verirrung
geltend zu machen, sichern Euer Hochwohlgeboren ein Verdienst, das alle Freunde
philosophischer Forschung dankbar erkennen werden, und ich freue mich des wohl-
thätigen Einflusses, der Ihrer erfolgreichen akademischen Wirksamkeit in dieser Be-
ziehung nicht entgehen kann.
Indem ich mich Euer Hochwolgeboren angelegentlich empfehle, habe ich die
Ehre in größter Hochachtung zu seyn
Euer Hochwolgeboren gehorsamster Diener Auerswaldt.
614. Brzoska an H.^) Jena d. 22. Septbr. 37.
Hochwohlgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr Hofrath, Schon in meinem
letzten Briefe, welchen Herr Geh. Justizrath Kaitin Ihnen zu überbringen die Güte
hatte, bat ich Sie ergebenst, mich mit einer Abhandlung für die Central-Bibliothek
zu erfreuen. Dieselbe Bitte erlaube ich mir jetzt zu wiederholen. Als ich Ihnen
vor 2 Jahren meinen Besuch abstattete, sprachen Sie sich über die Bearbeitung der
1) IS. 4». H. Wien.
') 2 S. 8«. H. Wien.
September 1837. 28-
Platonischen Erziehungstheorie von Kapp nicht mit Zufriedenheit aus. Derselbe
Verfasser hat jetzt ebenso den Aristoteles bearbeitet, und ich vermutbe, daß auch
diese Arbeit Ihnen nicht ganz zusagen wird. Je wichtiger nun eine richtige Auf-
fassung der Theorien des Piaton und des Aristoteles sowohl für die Theorie der
aligemeiuen Pädagogik, als auch für die Geschichte derselben ist, lunso mehr muß
ich wünschen, daß durch d. Central-Bibliothek die richtigen Gesichtspunkte heraus-
gestellt werden, welche Piaton und Aristoteles verfolgten. Diese Arbeit ist nach
meinem Dafürhalten von außerordentlicher Schwierigkeit, und es möchte sich schwer
Einer finden, welcher ihr gewachsen sein möchte, wenn Sie dieselbe, gewiß nicht
zur Freude aller Pädogogen, zu übernehmen nicht geneigt wären. Erwägen Ew.
Hochwohlgeboren wie wenig Mühe eine solche Arbeit Ihnen machen würde, und
welchen unendlichen Gewinn Sie dadurch der Wissenschaft bereiteten und lassen
Sich dann zur Erfüllung meiner Bitte, die ich Ihnen aufs dringendste ans Herz
lege, geneigt finden. |j
Zugleich bitte ich Sie um Ihren gütigen Rath, ob Sie H. Dr. Taute in Kgsberg
für geeignet halten das Paedagogische was sich in sämmtlichen Werken Kant's
findet gehörig zusammenzustellen und nachzuweisen, wie dessen paedagogische An-
sichten aus seinen philosophischen namentlich psychologischen hervorgegangen sind.
Beiliegenden Brief bitte ich ergebenst au H. Hofr. Dahlmann gefälligst abgeben
2u lassen und verharre mit gewohnter Hochachtung und Verehi-ung
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Prof. Brzoska.
61Ö. An Karl Hartwig Gregor von Meusebach in Berlin.^)
Göttingen 25 Sept 1837
Hochwohlgeborner Freyherr! Höchst geehrter Herr geheimer Ober-
revisionsrath ! Die hiesige philosophische Facultät bittet Sie, ein Zeichen
der Hochschätzung Ihrer Verdienste in üblicher Form von ihr anzunehmen.
Demzufolge habe ich die Ehre, Ihnen beykommendes Diplom zu über-
reichen, von welchem noch mehrere Abdrücke zu Ihrer Disposition in
der Dieterich'schen Buchhandlung niedergelegt sind. Zugleich empfehle
ich mich ehrerbietig als Ew. Hochwohlgeboren
gehorsamster Herbart.
616. Bonitz an H.') Dresden, den 27. September 1837
Indem ich mir erlaube, Ihnen, verehrtester Herr Hofrath, das beiliegende
Schriftchen über Piaton ^) zu übersenden, dessen Abfassung meine hiesige, amtliche
Stellung veranlaßte und mehr, als mir lieb ist, beschleunigte, ersuche ich Sie zu-
gleich, dasselbe als ein kleines Zeichen des aufrichtigsten Dankes anzusehn, zu
welchem ich mich, gegen Sie verpflichtet fühle. Meine Neigung zu philosophischem
Studium, die auf der Schule schon geweckt, mir auf der Universität blieb, der aber
durchaus und in der Wahl meines Berufs zu folgen ich mich weder durch meine
äußeren Verhältnisse ermächtigt, noch durch meine Kräfte befähigt sah, führte mich
nach einem unsteten Herumsuchen in Schriften aus der neuesten Philosophie und
Herumhören in Vorlesungen desselben Sinnes, mehr durch Zufall als durch eigentliche
W^ahl zu Ihren Schriften; in diesen fand ich die Anregung zu eigenem Denken,
und die Bestimmtheit, die ich bis dahin vergeblich gesucht hatte, und verwendete
^) Kgl. Bibl. zu Berlin. — Meusebach (1781 — 1847), Bibliophile.
2) 2V2 S. 4«. H. Wien.
^ Disputationes Platonicae duae. Dresdae 1837.
286 Oktober 1837.
von da an alle Muße, welche mir die zur Vorbereitung auf das höhere Schulfacb.
nöthigen Beruf sstudien ließen, darauf, theils durch das Studium Ihrer Schriften,
theils durch das Anhören der dahin einschlagenden und in demselben Sinne ge-
haltenen Vorlesungen der Herrn Professoren Hartenstein und || Drobisch Ihrem
philosophischen Gedankengange zu folgen. Fehlt nun auch, wie ich mir wohl be-
wußt bin, noch sehr viel daran, daß ich hierin zu Ende gekommen wäre, so fühle
ich mich doch, so weit ich habe folgen können, zur Beistimmung genöthigt, und
habe die Zuversicht, daß ferneres Studium mir möglich machen wird, allmählich
das viele mir noch fehlende zu ergänzen. — Für meine philosophischen Be-
schäftigungen, die hauptsächlich auf die platonischen Schriften gerichtet waren und
zunächst auch gerichtet bleiben werden, hatte das besondere Wichtigkeit, was Sie
theils in der akademischen Gelcgenheitsschrift, theils anderwärts über die Grundzüge-
seines Systems gesagt haben, indem ich aus diesen Andeutungen mehr Belehrung
schöpfte, als aus allen andern ausfühiUchen Schriften. Die gegenwärtigen beiden
Abhandlungen über zwei wichtige Puncte des platonischen Systems kann ich selbst
für nichts weiter ansehn, als für eine weitere Ausführung der von Ihnen dar-
gestellten Ansicht über Piaton und eine specielle Anwendung derselben auf zwei
vielbesprochene Fragepuncte. In diesem Sinne übersende ich Ihnen dieselben, der
Aufforderung meines verehrten Lehrers und Freundes, des Herrn Professor Harten-
stein folgend, und bitte Sie, bei nachsichtiger Beurtheilung der Ausarbeitung und
Durchführung — die Beschleunigung, welche die äußern Umstände gegen meinen
"Willen herbeiführten, wird diese Bitte um Nachsicht motiviren — die Sache selbst
mit Ihrer gewohnten Schärfe zu prüfen. Sollte mir von Ihnen das Zeugniß werden,
daß ich den Piaton nicht mißverstanden und nicht Fremdartiges in ihn eingetragen
habe, so wird dieß für mich die wirksamste Aufmunterung zum Fortarbeiten in
diesem Gegenstande sein; Tadel und Zurechtweisung aber wird mir von Ihnen be-
sonders werth und fruchtbringend sein, da ich in der Grundansicht über Piaton der
Ihrigen durchaus beipflichtend, die daraus etwan gezogenen Folgerungen werde an-
erkennen müssen. Lassen Sie daher, verehrtester Herr Hofrath, meine Bitte um
Mittheilung Ihres ürtheils über mein Schriftchen rücht unerfüllt.
Mit wahrer Hochachtung und Dankbarkeit Ihr ergebenster H. Bonitz.
617. Drobisch an H.') Leipzig, 2. Octobr. 37.
Der einzige Zweck dieser Zeilen, mein innigst verehrter Gönner und Freund,,
ist, Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahhn nochmals den innigsten Dank für
alle die zahlreichen Beweise Ihres gütigen Wohlwollens zu sagen und Ihnen die
glücklich erfolgte Rückkehr in meinen Familienkreis anzuzeigen. Den Nachmittag
nach unserer Trennung genoß ich noch die herrliche Aussicht auf Münden von
Andree's Berge aus, wanderte des andern Morgens in 4 Stunden nach Cassel, das
mich durch das Großartige seiner öffentlichen Gebäude und Plätze so wie seiner
Umgebungen eben so sehr als durch die Eleganz seiner BeM'ohner überraschte.
Herrn Lang's rasche Pferde führten mich Nachmittags auf die bewundernswürdige
Wilhelmshöhe, Abends besuchte ich das Theater, den andern Morgen die Au.
Abends T'/g Uhr gelangte ich (durch meine Füße) nach Witzenhausen, dessen schöne
Gegend mir am andern Morgen der Nebel etwas verhüllte. Am 3ten Tag kam ich
über Allendorf bis Treffurth, am 4ten über Eisenach und die Wartburg nach
Glücksbrunn, am 5ten über den Altenstein, Inselsberg und Reinhardsbrunn nach
Gotha, dessen reiche Sammlungen ich mir besah, und dann am vergangenen Sonn-
') 1 S. 4«. H. Wien.
November 1837. 287
abend gegen 3 Uhr auf der Eilpost Leipzig erreichte. Das Wetter hat mich im
Ganzen begünstigt, die Bewegung gestärkt, die schöne Natur erheitert. Frau und
Kinder traf ich in erwünschtem Wohlseyn an, und so sind mir vor der Hand
wenigstens die nöthigsten Bedingungen zu wissenschaftlicher Thätigkeit gegeben.
Ich werde mich beeilen, den Rest der Ferien zu benutzen. — Haiienstein habe ich.
noch nicht gesehen, er wird wol auch noch verreist seyn. — Daß Göschen so bald
Dissen nachgefolgt ist, hörte ich bereits unterwegs.
Der Himmel erhalte Sie bei guter Gesundheit, um alles das noch in Aus-
führung bringen zu können, wozu die Entwürfe und Vorarbeiten bereits ge-
macht sind.
Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin mich und meine Frau freundschaftlichst
empfehlend Ganz der Ihrige Drobisch.
618. Wunderlich an H/) Göttingen, den 18. Ociober 1837
Ew. Hochwohlgeboren überreiche ich inliegend Ihre im Nachlaß des Herrn
Hofraths Dißen vorgefundenen Briefe. Wenn ich mir zugleich erlaubte, die des
Herrn Profeßor Griepenkerl hinzuzufügen, so geschah dies um des willen, weil ich
glaubte, daß dessen Briefe für Euer Hochwohlgeboren das größte Interesse haben
dürften. Die übrigen Briefe, welche das anliegende Verzeichniß enthielt, sind in
den Händen des Herrn Hofraths Müller und stehn gleichfalls zu Euer Hochwohl-
geboren Disposition.
Der Herr Hofrath wird, dem Vernehmen nach, Einiges über des Verstorbenen
Leben schreiben wozu Ew. Hochwohlgeboren gewiß die wichtigsten Beiträge zu
liefern im Stande wären.
Mit vollkommenster Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren
gehorsamster Wunderlich.
619. Voigdt an H.^) Königsberg, 17 November 3?
Verklungen sind nun wohl die Jubelklänge, auf welche jedes Gebildeten Ohr
theilnehmend lauschte, als die Georgia Augusta davon ertönte und so werden dann
auch wohl die ungeglätteten Wörter von der Pregelstadt zur Zeit emtreffen, in
denen der alte, geliebte und verehrte Lehrer ihnen seine Augen zuwenden kann,
ohne sich gestört und belästigt zu finden.
Den neuen Hofrath wollen die alten Lippen nicht gern hinüberlassen — wenn
mir auch Ihre corrigirende Köchin dabei sich leibhaftig wieder gegenüberstellte — ;
denn die Selbstsucht wird auch von aller Theologie nicht geheilt, und wenn ich Sie
nun Lehrer nenne, fühle ich gleich den lebendigsten Causalnexus zwischen uns,
der vom Verstände zum Herzen gegangen ist; nenne ich Sie Hofrath, sind Sie mir
so ferne imd ich werde gleich daran unwillig erinnert, was Ihr Hof haben könnte
und nicht hat! — Lange ist es her, daß ich das Glück genoß, Sie einmal wieder
zu sehen — Stunden bleibender Freude für mich — und oft wollte ich seitdem an
■ Sie schreiben. Was mich abhielt? Das Gefühl, Papiere zum Dnick unter dem Arme
haben zu sollen — und sie nicht zu haben; Schamgefühl, da wo ich von Ihnen so-
kräftigen Impuls erhalten hatte, noch nicht weiter geschritten zu sein zur Kenntniß
der Welt, gebe ich dem aber länger nach, werde ich Ihnen ganz undankbar er-
scheinen! Daß aber das Herz Ihrer dankend und liebend gedacht, davon mein Ver-
ehrtester Gönner und Lehrer mögen die kleinen Beilagen Sie überzeugen, die ich
für müßige Minuten Ihnen beifüge ! Ob ich noch als Autor mich vor Ihnen präsen-
1) IS. 4«. H. Wien.
^) 4 S. 40. H. Wien.
2g8 November 1837.
tiren werde ? — ich hoffe es, aber als Anonymen, mit Beiträgen zur Hodegetik des
Religionsunterrichtes auf den Gymnasien. Ich habe damit gezögert, mit dem neuen
Jahre soll der Druck beginnen, doch Anonym oder Pseudonym, weil mit dem Namen
schon das AVerk verurtheilt wird. Was ich davon erwarte? — vielleicht Einwirkung
auf manche Lehrer — und dann bin ich zufrieden; nach oben hin? — ach, Ver-
ehrtester, da wird es düster, nicht wie bei Ihnen doch als ordentliche Wolke mit
Blitz — der plötzlich Licht bringt, auch wo es fehlte — nein, so schwül benebelnd,
und da gehen die Köpfe verloren! Unter allen ein Beispiel: gestern ging ein
Ministerialrescript bei uns ein, daß das Minister, es sehr gern sähe wenn in Prima
und Secunda — der Catechismus Lutheri wie in den Elementarschulen gelernt würde;
es ließe sich der sehr geistreich behandeln! Dann werden belobend einige Männer
genannt, die das schon gethan haben ; ihr Werk dem Ministerio angezeigt haben —
dafür honorirt sind — und nun der Provinz zum Muster empfohlen sind! — In
Preußen fragen Sie? ja, sage ich, in Preußen und so wird der Schmerz Ihnen zu-
gleich Trost sein können. Ihre hochgeschätzte Gemahlin wünschte so sehnlich nach
Roen. zu kommen: ich wünschte seihst diesen Besuch — denn Sie würden beiderseits
sich nach der Reise heimiscüer und glücklicher in Goett. fühlen: es ist hier alles
anders worden! Verlieren wir noch Herrn von Schoeu — dann ist alles neu! —
auch besser? — da ruht der Schmerz und die Sorge!
Allgemeine Schlaffheit, Streben nach Gunst, — Winseln um die Gnade Gottes
— Liebeln mit Jesu Christo dem Lamm, Seligwerden aus Glauben — (ohne Werke),
allgemeiner Argwohn bei geglätteter Heiligkeit, || Ambiren in Berlin, Besetzung fast aller
Stellen von da aus, Begünstigung der Äristocratie — da haben Sie die Cholera, die
hier schon manchen getödtet hat.
Daher möchte ich auch wünschen, Sie kämen nicht wieder her und es ist gut,
daß Sie den Greuel der Verwüstung nicht mit ansehen. — Es dauert nicht mehr
lange, wird unser Vater Homer verpönt sein; — ein Sophocles und Aeschylos
schmachtet bereits im Carcer des Nichtgelesenwerdendürfens auf Schulen. Dem
Propädeudium der Philosophie droht der Tod! — Geschichte wird Erzählung —
Religion Catechismus! — Lebte Fichte noch einmal auf und wollte Reden an die
deutsche Nation halten, er müsste sich sein PubHcum mitbringen. — Die Philosophie
wird sehr frequentirt hier; die Wintervorlesung über Phaenomenologie wird in Audi-
torio maximo gehalten; — aber diese Philosophie ist eine Garküche, worin jeder
bald mehr als seinen Hunger gestillt hat. ein Kleidermagazin, worin jede Eitelkeit
bald Flitter genug findet um damit in der Conversation zu prunken. Dabei ergötzt
ein sehr gewandter blumenreicher Vortrag — und burschikose Kotzebuiaden geben
die Würze. Der Mann selbst ist im Umgang höchst ungenirt und recht liebens-
\vürdig — auch ein freier Mann. Von unserm geistlichen Wesen schweige ich;
Göttingen hat uns einst den Generalsuperintendenten gebildet; — das gehört zu
dessen Anklagepuncte ! Sonst ein netter, freundlicher, gesellig gewandter Mann und
ein Geist des 17. Jahrhunderts!
Sie merken wohl, mein Verehrter Gönner und Lehrer' wie einem dabei hier
so zu Muthe ist, .und doch versichere ich Sie, fange ich nun seitdem ich 7 Jahre am
Fridric[ianum] gearbeitet habe mit dem Wunsche fortzukommen, nundaranan zuarbeiten
mit der Absicht länger noch zu bleiben, um das Catechismus-Edict unschädlich zu
machen! — Lehnert ist ganz orthodox geworden — in Folge deß zum Superintendent
der Altstadt ernannt — und die rechte Hand des Generalsuper. Aber seine Collegien
und Predigten sollen seitdem sehr an Beifall verloren haben.
Sonst lebe ich' unverändert im Besitze zweier Töchter, von denen die jüngste
jetzt 2 Jahre alt und ein ganzes Jahr viele Sorgen verursacht hat, da sie dem Tode
November 1837. 28Q
nahe war und noch Jahre lang die Spuren jener Krankheit zu überwinden hat.
Mein Schwiegervater ist noch immer recht wohl und heiter, selbst mit seinen Augen
geht es besser und auch mit seinen äußern Verhältnissen recht gut. Daß er Glücks-
ritter in den Wettrennen geworden ist haben Sie vielleicht auch schon beiläufig in
den Blättern gefunden. || Mein Schwager ist Student und kommt vielleicht (doch wird
Berlin wohl abhalten) im nächsten Herbste nach Göttingen. Ich wünschte ich könnte
noch einmal mit in Ihre Vorlesungen.
Wie sehr haben Sie uns alle überrascht und erfreut mit Ihren Beiträgen zur
Pädagogik: auch wer sonst nicht Ihr Freund war, hat sie doch mit großer Bei-
stimmung, ja ich kann sagen, Andacht, gelesen! überhaupt ist dies das Gebiet
Ihres AVirkens wo Sie die Gemüther für sich entflammen! — Sie sehen, wie nun auch
in Leipzig für Ihre Mühe sich in Hartenstein eine neue kräftige Stütze erhebt.
Bobrick in Zuerich hat fortgehend vielen Beifall, wie unser Lottermoser geschrieben
hat, der einer Auszehrung wegen italienische Luft zu versuchen verurtheilt ist —
aber wohl ohne Erfolg! Eines gleichen Uebels wegen weilt Prof. von Bohlen bei
Toulon diesen Winter und kommt von da nach Ems den nächsten Sommer. Die
letzten Nachrichten lauten günstiger von ihm. Mau erzählt jetzt hier daß Duckmanu ['?]
ins Ministerium kommen solle; dieser Mann büßt mit jeder hohem Stufe immer
mehr in der wahren Achtung ein. Ein allgemeines Mißtrauen umgiebt ihn. Frau
V. Ghard, die sich Ihnen aufs herzlichste beiderseits empfiehlt lebt zurückgezogen
fort und meint oft: kämen Sie zum Besuche her — wie anders würden Sie vieles
finden — und wie würde auch Ihre Frau Gemahlin Koenigsberg in Koenigsberg
suchen.
Aus der Zahl Ihrer Seminaristen ist alles im alten Gange: Storf auf seinem
Oute und jetzt mit der Tochter des H. von Groeben auf Rippen verlobt; dabei nun
ganz jene liebe Seele, wie wir von seinen Studentenstürmen sie in ihm liebten.
Massenbach, Sydow, (sehr achtungswerth in seinem dankbaren Betragen gegen seine
Tanten und den Onkel) hier als Cürassirofficiere, Bernhard — Dohna Fähnrich hier
— ganz in seinen Standesstolz versunken. Oppeln Studiosus, und Knoblauch noch
in Kalthoff — verlobt mit der Tochter eines hiesigen mir unbekannten Consuls.
Von allen andern hoffe ich hat Taute Ihnen Nachricht gegeben und will ich
nicht damit wiederholen. Ich zweifle noch, ob ich einen Band Predigten heraus-
geben soll oder nicht? es wii-d viel geschrieben dieser Art und Parteisucht kritelt;
aber ist es nicht um so nöthiger, daß jeder seine Kraft braucht und ihr einen Wir-
kungskreis sucht V — so frage ich mich oft und bin bald bis zum entschiedenen Ja
gekommen !
Vielleicht bleibt Ihnen soviel Muße und ich bitte noch um die Großmuth der
Vergeltung, daß Sie mich mit einigen Zeilen von Ihrem Leben und Streben erfreuen,
und Sie theilen mir Ihren geschätzten Rath darüber mit. Stellt man sich den
Feinden blos gewinnt man auch Freunde! Wie wird es mit einer Moral werden?
• allerlei tagt in mir imd Ihre letzte Schrift vom Naturrecht ruft mich wieder wie
Glockentöne zum Gottesdienst dieser Arbeit. Aber immer will das Vertrauen in
die eigene Kraft mangeln! Vielleicht doch kommt mir einmal mehr Muße. Diese
Arbeit nenne ich jetzt wirklich einen Gottesdienst, weil das Glaubensgeschwätz, wie
es nun hier ausartet wirklich die Verehrung Gottes im Geist und in der Wahrheit
gefährdet. Koehlers kleines Werk ist eine fruchtbringende Leetüre — vielleicht zu
reich an Geist — oder an Poesie, um ein wissenschaftliches Werk zu sein. Was
Beneke in Berlin unternimmt ist zu sehr empirische Beobachtung nur — aber doch
gute Steine und sichtbare für den künftigen Bau. Etwas Ähnliches scheint Schmidt
in Kiel zu unternehmen mit seinen psychologischen Skizzen; wenn die erste vom
Hbrbarts Werke. XVIII. I9
2QO November 1837.
Mitgefühl auch nur einige gute Beobachtungen giebt. Stehen Sie mit dem jüngeren
Fichte — nun in Bonn — in persönlicher Beziehung und was urtheilen Sie wohl
von ihm? "Wie ist Ihre Stellung zu Brandis geblieben? Seitdem ich dessen Ge-
schichte der Philosophie gelesen, interessirt mich das mehr, denn vorher.
Nun habe ich aber noch eine Hauptbitte an Sie, ob es Ihnen nehmlich wohl
möglich ist: mir ein genaues Verzeichniß aller Ihrer gedruckten Sachen, auch der
Kleinsten zukommen zu lassen; kein Werk giebt darüber -Auskunft und schon jetzt
streiten wir darüber. "Wieviel und was Sie recensirt wissen Sie gewiß auch nicht
mehr anzugeben ; aber darüber belehren Sie uns, in welchen Zeitschriften Sie mit-
gearbeitet haben — damit dann eine Jagd veranstaltet werde!
So lange man den Mann hat, gelten seine Schriften weniger; entzieht er sich,
läßt man auch das Geringste von ihm nicht ohne Beachtung und Theilnahme.
Kann ich Sie nicht sehen, lassen Sie mich die theuem Schriftzüge Ihrer Hand
wieder einmal sehen: und geht die Beförderungsschnelligkeit erst über Eisenbahnen,
— sehen Sie oft viele in Liebesgefühl, wenn auch in sehr veränderter Gestalt den
geliebten Lehrer aufsuchen und ehren.
Herzliche innige Grüße an Sie und Ihre geehrte Frau Gemahlin mit der An-
wünschung bleibender Gesundheit und innerer Freude aus dem Dank erfüllten Herzen
Ihres Schülers und "Verehrers Voigdt.
[Am Rande des Briefes als Nachschrift:]
"Werden die Jubelreden nicht im Druck erscheinen? — und so auch die Ihrige?
Geschieht dies nicht, ist eine Copie derselben unerringbar? —
Kommen keine Programme von Ihnen heraus? — auch diese wollen wir hier
zu erlangen suchen. —
620. Allihn an H/) Halle am 20. Novb. 37
Hochgeehrtester Herr, Insonders zu verehrender Herr Hofrath! Sie verzeihen
meiner Kühnheit, wenn ich es wage, ein Exemplar meiner jetzt erschienenen Schrift, '^)
Einleitung in das Studium der Dogmatik, zuzusenden, mit der Bitte den längst still
gehegten, jetzt öffentlich ausgesprochenen Dank für die besondere "Wohlthat, die
Sie durch Ihre unermüdlichen und überaus durchgreifenden Forschungen auch mir
erwiesen haben, gütigst zu genehmigen. Schon längst war ich unzufrieden mit dem,
was die Theologen in der systematischen Theologie philosophisch geltend zu machen
suchten, ohne irgend wagen zu dürfen, meinem "Wunsche, etwas zur Verständigung
und Berichtigung irriger Meinungen beizutragen, weiteres Gehör zu geben. Zufällig
wurde ich mit Ihren Schriften bekannt, von denen man mir die wunderlichsten
Dinge erzählte. Sie gaben mir unerwartet das, wonach ich mich sehnte, und an
Aufschlüssen mehr, als ich je von Seiten der Philosophie erwarten zu können
glaubte.
Schon in dem Feuer des ersten Studiums traten mir mehr ahnend als deutlich
erkennend die Gesichtspunkte entgegen, welche zur Sicherstellung und Förderung
der systematischen und praktischen Theologie von bedeutendem Einflüsse sein
mußten. Ich ging nach Leipzig, um mich ein Jahr lang ausschließlich mit Philo-
sophie zu beschäftigen. Hier wurde ich durch die ausgezeichnet lichtvollen und
anregenden Vorlesungen der Professoren Drobisch und Hartenstein in die Sache
eingeführt. —
1) 2V2 S. 40.- H. "Wien. — Fr. H. Th. Allihn (1812 — 1885), später Dozent
in Halle.
*) Einleitung in das Studiimi der Dogmatik. Lpzg. 1837.
Dezember 1837. 20 1
Mag es nun etwas voreilig sein, oder nicht, ich begann alsbald, durch das
große Bedürfniß der Theologie -Studirenden, das ich stets || vor Augen hatte und
mir meine Examinatorien noch in einem besonders groben Lichte zeigten, bei-
liegende Schrift im vorigen Winter zu entwerfen. "Wie sie überhaupt nur eine
Einleitung in das Studium der Dogmatik sein sollte, so konnte in ihr noch nicht
eine gehörig umfassende und durchgreifende Ausführung Ihrer Grundsätze und
Lehren angewendet werden, sondern ich mußte bei dem pädeutischen Zwecke mich
mehr an die herrschende Behandlungsweise anschließen, etwas Weiteres z. B. die
Anordnung der gesaraten Dogmatik in einen synthet. und analyt. Theil der Zukunft
aufsparend. Mußte mirs doch vorerst genügen, den Anfang gemacht zu haben, um
nothwendige Erörterungen zu Veranlassen und Gelegenheit zu Belehrungen mir zu
verschaffen, deren ich jetzt noch sehr bedarf. Schüchtern lege ich daher meinen
schülerhaften Versuch in des verehrten Meisters Hände, um gütige Nachsicht, und,
wenn mein Begehren nicht zu unbescheiden ist, um einige gelegentliche Be-
merkungen in der Hauptsache bittend, wo falsche Anwendungen gemacht, Berück-
sichtigungen unterlassen, Consequenzen verfehlt sind, und wo etwas Unwesent-
liches auf Kosten der richtigen und deutlichen Auffassung mehr hervorgestellt
ist, während die Hauptpunkte zu sehr in den Hintergrund getreten sind, oder ein
falsches Licht zu erhalten Gefahr laufen. Jedenfalls würde ich mich bemühen,
meinen Dank für Ihre Güte durch sorgfältige Benutzung und Durcharbeitung der
gegebenen Andeutungen zu beurkunden.
Vornehmlich lieb aber sollte es mir sein, wenn ich durch dieses Schriftchen
das erreicht hätte, die sehi' voreiligen und abgeschmackten Behauptungen mehrer
nennensweilher Theologen, denen ein gründlicheres Urtheil zuzutrauen wäre, in
ihrer Flachheit und Unbegründetheit factisch darzustellen, nämlich die, daß Ihre
philosophische Auffassungsweise, weil sie von göttlichen Dingen speculativ nichts
wissen wolle, sich nicht mit dem Christenthum vertragen könne und überhaupt für
keine befriedigende Religionsphilosophie, weil sie hier einen unaufhörlichen Scepti-
cismus geltend mache, tauglich sei u. dergl.
Schließlich erlaube ich mir einem geneigten Interesse anzuzeigen, daß ich vor
einigen Monaten eine kritisch -synthetische Abhandlung über sittliche Principien an
die Redaction || der theolog. Stud. und Kritik, von Ulimann und ümbreit eingesendet
habe, um die Sache beim theologischen Publicum ernster zur Sprache zu bringen.
Überhaupt ist meine Absicht in meinen litterärischen Arbeiten auf Verständigung
und genauere Rücksicht auf Ihre Forschungen und Resultate beim theol. Publ.
hinzuwirken, und sobald die Zeit erlaubt und ich noch einige genauere Studien ge-
macht habe, werde ich durch einige Abhandlungen über bedeutsame Gegenstände,
wie auch nächstens durch eine besondere Schrift als Inauguraldisseitat. für die
theol. Licentiatur: de ethices Paulinae fundamento etc. so viel es mir nach meiner
Individualität und Stellung möghch ist, weiter in die Theologie einzugreifen suchen.
Mit der größten Hochachtung empfiehlt sich einem geneigten Wohlwollen
Ew. Wohlgeboren ergebenster F. H. Th. AUihn Dr. Philos.
021. Drobisch an H.') Leipzig 22. Decbr. 37.
Mein hochverehrter edler Freund! Unsre Zeitungen brachten gestern die
Nachricht, daß, neben andern Zierden Ihrer nach Ihrem Isten Jubiläum so hart
betroffenen Georgia Augusta-), auch Sie um Ihre Entlassung eingekommen wären.
1) 2 S. 40. H. Wien.
^) Über die Göttinger Katastrophe sei verwiesen auf 0. Flügel, Herbart.
Lpzg., Teabner, 2. Aufl. 1912, S. 154: ..Nichts ist leichter, als die Sieben überall
19*
202 Dezember 1837.
Ich wage nicht die "Wahrscheinlichkeit oder UnwahrscheinHchkeit dieses Schrittes mit
Sicherheit zu beurtheilen, muß aber doch bekennen, daß, wie die Sachen sich von
hier aus betrachtet ausnehmen, ich mich nicht verwundern werde, wenn diese
Nachricht Grund bat. Für diesen Fall nun und die damit wol zu verknüpfende
Voraussetzung, daß Sie nicht länger in Göttingen verweilen werden, an das sich
nun so traurige Erinnerungen knüpfen, erlaube ich mir, wenn Sie nicht anders be-
schlossen haben, Ihnen den herzlichen aus der freundschaftlichsten Anhänglichkeit
hervorgegangenen Wunsch vorzulegen, wenigstens bis auf bessere Zeit in Leipzig
zu verweUen. Was meine geringen Kräfte zulassen, Ihnen den Aufenthalt so er-
träglich zu machen als er unter so niederschlagenden Verhältnissen seyn könnte,
das würde mit Freuden geschehen, und wollten Sie es nicht verschmähen, mein
Gast zu seyn, so würden Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin ein paar Zimmer mit
dem größten Vergnügen von mir und meiner Frau eingeräumt werden. Auch das
glaube ich versichern zu können, daß man Ihnen hier von allen Seiten mit der
freundlichsten Zuvorkommenheit entgegen kommen würde. — Vielleicht belächeln
Sie mein Anerbieten, vielleicht sieht Manches in der Nähe anders aus als in der
Ferne, indeß über Vifiles kann doch selbst die Entfernung nicht täuschen. Wie
dies aber auch || seyn möge, über meine Gesinnung gegen Sie dürfen Sie in einer
solchen Zeit keinen Augenblick in Zweifel seyn, und ich würde mich hoch freuen,
gerade in schwerer Zeit meine treue Freundschaft Ihnen bewähren zu können.
Mögen diese Zeilen glücklich in Ihre Hände gelangen. Von wissenschaftlichen
Dingen noch zu reden will mir für den Augenblick nicht recht gelingen und würde
auch Ihnen vielleicht nicht zusagen. Dennoch fühle ich es gerade jetzt recht leb-
haft und dankbar, daß wir in wissenschaftlicher wie in politischer Hinsicht noch
immer auf „einer glücklichen Insel" leben.
Unter den theilnehmendsten Grüßen an Ihre Frau Gemahlin von mir und
meiner Frau ganz der Ihrige Drobisch.
622. Hartenstein an H.') • ■ Leipzig, den 22ten Decbr. 1837
Hochverehrter Herr Hofrath, Mein langes Stillschweigen gegen Sie zu brechen
bewegen mich die gestern hier bekannt gewordenen, wenn auch zum Theil recht
unverbürgten Nachrichten aus Göttingen. Der allgemeinen Leipz. Zeit, zu Folge
haben Sie, verehrter Mann, sich bewogen gefunden, Ihr Amt niederzulegen. Er-
lauben Sie mir, Ihnen meine innigste und aufrichtigste Theilnahme an diesem
Wechsel Ihrer Lage nicht nur im Interesse der Wissenschaft, sondern als Beweis
meiner persönlichen Gesinnung gegen Sie an den Tag zu legen. Sie werden in
diesen Tagen einen Brief von Drobisch erhalten; ich vereinige mich mit ihm in
dem Wunsche, daß im Fall Sie Göttingen verlaßen. Sie auf den von ihm gemachten
Vorschlag eingehen möchten. Wissenschaftliche Dinge anlangend verbinde ich damit
nur die kurze Nachricht, daß in ohngefähr drei Wochen eine kleine Schrift über die
neuesten Darstellungen und Beurtheilungen Ihres System von mir erscheinen wird.
Der Inhalt derselben wird, da ihre apologetische Tendenz natürlich auch directe
Polemik veranlaßte, ihre Existenz || in Ihren Augen rechtfertigen; Drobisch wenigstens,
der das Manuscript gelesen hat, hielt sie weder für überflüßig, noch für unnützlich.
— Möchten Sie das bevorstehende Fest, wenn auch nicht mit festlicher, doch
mit ruhiger Stimmung begehen.
Mit innigster Verehrung verharre ich Ihr ergebenster Hartenstein.
mit ihren eigenen Worten zu schlagen und zu zeigen, daß der Standpunkt Herbarts
sich auch heute noch im vollen Umfange rechtfertigen läßt". So schreibt mir der
städtische Bibliothekar Dr. Thimme in Hannover. Er wird dieses Urtheil ausführ-
lich begründen in einer aktenmäßigen Geschichte des Königreiches Hannover.
1) P/2 S. 4». H. Wien.
Dezember 1837. 293
623. An Drobisch.i) G. 23 Dec 37
Mein theurer Freund! Indem ich nach längerer Zeit die Feder
ergreife, um mich nach Ihrem Wohlbefinden zu erkundigen und Ihnen
ein Lebenszeichen zu geben, überlasse ich Ihrem Scharfsinn, mancherley
hinzuzudenken, was sich nicht füglich schreiben läßt; und ich glaube, Sie
können das um desto eher, da, soviel man weiß, jetzt der Held des
Tages-) in Ihrer Mitte verweilt; mithin die Gespräche des Tages Sie von
demjenigen, worum es sich jetzt handelt, in Kenntniß gesetzt haben.
Zwar hatte ich schon Jemandem, der sonst wohl auf mich hören mag,
etwas Mündliches an Sie rnitgegeben, allein — man muß, um nicht in
leeren Allgemeinheiten stehen zubleiben, das Gesetz von 1833 vor Augen
haben; ein Umstand, den Manche, besonders Ultra -Liberale, zu ver-
gessen scheinen. Daß ich darin keine hinreichenden Gründe für die be-
kannte Protestation gefunden habe, wissen Sie wahrscheinlich schon; man
läuft aber heutiges Tages Gefahr, selbst von seinen nächsten Freunden
verkannt zu werden; daher wünschte ich wohl, das Gesetz mit Ihnen
gemeinschaftlich ansehen zu können. Wir würden dann zuerst auf das
Patent des Königs Wilhelm IV einen Blick hinwenden, um zu unter-
suchen, in welchem Sinne der, auf das Gesetz geleistete Dienst -Eid der
Staatsdiener zu nehmen ist. Es wird dort ,, nicht angemessen gefunden,
einen Diensteid nochmals ableisten zu lassen," doch wird verordnet, daß
der Diensteid auf Beobachtung des Gesetzes „ausgedehnt" werde. Wenn
man nun hiebey drey zählt, nämlich i.) die verpflichtende Person, 2.) die
verpflichtete Person, 3.) das Object, wozu verpflichtet wird, so mögen Sie
zuvörderst überlegen, ob i.) sich ändert, wenn 3.) eine Ausdehnung
erleidet. 1| Die Frage ist nämlich, ivem man durch den Diensteid eigentlich
verpflichtet sey? und Wer deshalb die Expansion wieder in Contraction
verwandeln könne? Will man hierüber sich in eine Casuistik einlassen, so
kommt noch etwas Anderes in Betracht. Jenes Gesetz nämlich hat, soviel
ich weiß und soviel ich höre, für den leicht vorherzusehenden Fall, daß
es nicht anerkannt werden würde, gar nicht gesorgt. Niemand ist be-
vollmächtigt, in dessen Namen aufzutreten. Dabey ist mir aus meinen
Jugendjahren ein Baumeister eingefallen, der sich selbst ein Haus von sehr
buntem Ansehen baute, aber — die Treppe vergessen hatte, so daß
während des Bauens der Plan mußte verändert werden. Was soll nun
geschehn, wenn die obige Nro 3 wegen der Möglichkeit ihrer Existenz
in Zweifel geräth? Sind etwa die Beamten im Staate verpflichtet, einen
Senat conservateur zu bilden? Ich für mein Theil weiß nichts davon;
ich bin verpflichtet, philosophische Vorlesungen zu halten, die mit Tages-
Begebenheiten nichts zu thun haben.
Weiter würden wir in dem Gesetze selbst uns umsehen, um zu
erforschen, was es eigentlich von uns fodere, wenn wir, aus Scheu vor
der Casuistik, uns streng an demselben halten. Da findet sich § 89:
„Sollten Zweifel darüber entstehen, ob bey einem gehörig verkündigten
1) 3 s. 4". — Zu diesem Briefe vgl. man diese Ausg. Bd. XI, S. 27 ff u. den
bisher noch unveröffentlichten Brief Herbarts an Taute v. 8. 4. 39 im folgenden Bande.
-) Dahlmann, der des Amtes entsetzt und Landes verwiesen damals in Leipzig weilte.
204 Dezember 1837.
Gesetze die verfassungsmäßige Mitwirkung der Stände hinreichend be-
obachtet sey, so steht es nur diesen zu, Anträge deshalb zu machen."
Was ist hier die vermuthliche ratio legis? Doch wohl diese, daß kein
Unberufener den Staat in Unordnung bringen soll." Vollends aber § 107
sagt, „die Repräsentanten dürfen sich nicht durch eine bestimmte Instruction
des Standes, von dem sie gewählt sind, binden lassen. Setzen wir nun,
unsre Universität sey der wählende Stand: so darf sie ihren Repräsentanten
nicht binden, sondern Er hat nur eine Stimme; aber nicht sie, die ihn
wählte. Wenn nun die ganze Universität keine Stimme, sondern nur ein
Wahlrecht hat: haben denn Einzelne, die nicht einmal gewählt sind, eine
Stimme? Und wo? Etwan az^/ö'^r der Stände- Versammlung, während jener
Gewählte nur innerhalb der, als vorhanden angenommenen Versammlung
eine Stimme haben würde? [|
Es möchte also wohl der bekannten Protestation nicht sehr zu
Statten kommen, wenn sie sich auf den geleisteten Dienst -Eid beruft.
Dieser kann das sehr ungewöhnliche Verfahren nicht erklären; man muß
wohl tiefere Quellen politischer Weisheit dabey zu ergründen suchen.
Hierüber will ich mich nicht in Vermuthungen verlieren. Sie, mein
theurer Freund, wissen, daß ich auch meine Zeit gehabt habe, wo ich
die wahre Natur des Staates zu ergründen suchte: — ich sage absichtlich,
die Natur des Staats und nicht bloß die Idee des Staats. Von einem
Politiker verlange ich nun eigentlich, daß er die Natur des Staats noch
viel besser kennen soll wie ich; allein ich werde an der Weisheit desselben
irre, wenn ich ihn das Heil des Staats in einer noch sehr jungen Ver-
fassung suchen sehe, und wenn ich ihn da laut reden höre, wo ein
Land während mehrerer Monate geschwiegen hat.
Aus diesen Andeutungen werden Sie wenigstens soviel ersehen, daß
ich die Gewissensfrage, die hier allerdings eingetreten schien, und die
mich mehrere Tage lang beschäfftigte, nicht leichtsinnig abgefertigt habe.
Übrigens war mir auf den ersten Blick klar, daß eine Universität nicht
zuerst, sondern zuletzt sprechen mußte. Kirche und Schule müssen ruhig
bleiben, wenn im Staate Bewegung ist. Das Augenblickliche ist selbst für
die Geschichte nicht reif; andre Lehrfächer haben vollends nichts damit
zu schaffen. Meinestheils will ich die Philosophie nicht compromittiren.
Es thut mir leid, daß ich Rittern, der mir persönlich sehr wohl gefiel,
jetzt schwerlich näher kennen lernen werde. Sie wissen, wer ihn herbey-
zog. — Allem Parthey treiben bin ich jetzt noch mehr als sonst abhold,
und mache davon die Anwendung auf mich selbst. Einige gute Jahre
habe ich glücklicherweise hier benutzen können, war der Erfolg auch
gering, er muß mir dennoch genügen. Haben Sie die Güte, Hrn. Prof.
Hartenstein^) d^s Nöthige mitzutheilen und mich ihm zu empfehlen.
Unverändert der Ihrige H.
[Randbemerkung:]
Bald nachdem ich die Feder weglegte, kam ein Brief von Harten-
stein, dem ich für seine Theilnahme herzlich danke. Ein Wort redlicher
*) Hartenstein hat in seinen „Nachträgen u. Ergänzungen" (Bd, 13 seiner Herbart-
Ausg. S. 265) den vorstehenden Brief teilweise veröffentlicht.
Dezember 1837. 295
Theilnahme ist doch in trüben Zeiten recht viel wert! — Aber woher
jener Zeitungs- Artikel (der, wie Sie sehen, ganz unrichtig ist)? Meint
man, ich könnte wohl noch zu einem Schritte bewogen werden ? — Freylich,
wenn man von der Action auf die noch zu erwartende Reaction schließen
müßte — von dem gewaltigen Nothschrey der gelehrten Welt, (bevor
noch eigentliche Noth da ist,) auf was ich nicht nennen mag. —
Für jetzt wünschte ich, daß von mir in Beziehung auf die Angelegenheit
des Tages gar nicht gesprochen würde. Vielleicht finden Sie Gelegenheit,
den Herrn Dr. Bonitz und Allihn für ihre Schriften zu danken, und mein
Schweigen mit den Zeit-Uraständen zu entschuldigen.
624. An Drobisch.i) G. 26. Dec 37
Ihren gütigen Brief vom 22 empfange ich so eben erst, und kann
nicht unteriassen Ihnen sogleich für diese lebhafte Theilnahme meinen
herzlichsten Dank zu sagen. Wäre also wirklich Noth: so könnte ich
meiner Frau auf die Frage: wohin? doch etwas Bestimmteres antworten,
als in Betracht möglicher Fälle geschehen war. Allein noch ist nicht ab-
zusehen, daß es mit der Frage Ernst werden könnte.
Mein vorgestriger Brief war in einiger Besorgniß, er möchte nicht
unversehrt in Ihre Hände kommen, geschrieben. Doch der Ihrige und
ein anderer von Griepenkerl, den ich auch heute empfing, scheinen un-
beschädigt. So will ich Ihnen wenigstens soviel sagen, daß ich von
Rothenkirchen, wo es zwar allerdings peinliche Augenblicke gab, doch
mit leichterem Herzen zurückgekommen bin, als ich hinging. -) Es scheint,
die Sachen werden gehen; obgleich nicht nach dem Tacte von 1833.
Ihre Zeitungsnachricht war: ich sey um meine Entlassung ein-
gekommen? Glauben Sie mir: wenn ich- mich auf ungewöhnliche Weise
hätte rühren wollen, dann wäre ich in der That um meine Entlassung ein-
gekommen, — hätte aber nicht gepredigt und nicht räsonnirt. Jenes hätte
allenfalls gewirkt; aber nicht dies. Jenes hat man, soviel ich weiß, unter-
lassen. Jetzt soll es schon Bemühungen geben, die Lücken auszufüllen.
Die nächste Gefahr möchte seyn, daß wir mit einem Strome von Berlinismus
überschwemmt werden.
Starke Spannungen unter Collegen werden zurückbleiben. Die
Meinungen sind sehr getheilt. — Ich kann mich nicht enthalten, ein
paar Worte von Griepenkerl, aus seinem letzten Briefe, herzusetzen: „Ist
es so schwer, einzusehn, daß Beruhigung der Gemüther in unserer Zeit
fast um jeden Preis gekauft werden muß? — Wie tief die falschen und
verderblichen Geistesrichtungen in Deutschland hinabreichen, erfährt
niemand deutlicher als der Schulmann. Schon Untersecundaner von 12
bis 14 Jahren, sind angesteckt" u. s. w. So spricht er aus seiner Er-
fahrung zu mir; ohne weitere Absicht! Anderwärts hört man dagegen
von einer Ehre, die, glaube ich, für wichtiger gelten soll als selbst die
^) 3 S. 80.
^) Bekanntlich gehörte H. zur Deputation der Professoren, die sich nach Ent-
lassung der 7 protestierenden Professoren zum König nach Rothenkirchen begab. Vgl.
diese Ausg. Bd. XI, S. 42.
2q5 Dezember 1837.
Erhaltung unserer Universität! Meinerseits wundere ich mich am meisten
über Politik ohne Menschenkenntniß! Danken wir dem Himmel, daß die
größte Lebensgefahr glücklich vorüberging, während scharfe militärische
Befehle gegeben waren. Unverändert der Ihrige! H.
625. Drobisch an H.') Leipzig 28. Decbr 37
Hochverehrter Freund und Gönner! Meinen herzlichen Dank für Ihre Mit-
theilung, in der Sie mir die Auszeichnung erweisen, die Gründe zu entwickeln, die
Sie in einem wichtigen Moment zum Handeln bestimmt haben. Ich weiß recht
wohl, daß darin noch keine Aufforderung liegt, meine Meinung abzugeben, indeß
wenn ich einmal nicht kurzweg bekennen kann, daß ich in allen Puncten mit Ihnen
übereinstimme, so bleibt mir auch nichts übrig als meine Ansicht offen darzulegen.
Mögen sie aber zum Voraus wissen, daß ich allen von hier ausgegangenen Demon-
strationen völlig fremd geblieben bin : denn auch ich dränge mich nicht zu den politi-
schen "Wirren, so lange ich es nicht für Pflicht halte als Staatsbürger Theil zu
nehmen.
Die Form^ in welcher die Vereidigung auf das Grundgesetz von 1833 beliebt
worden ist, würde mich zunächst nicht irre machen. Nachdem die „Ausdehnung"
publicirt war, würde ich jeden, der nicht einen "Widerspruch erhebt, auf das Gesetz
für eidlich verpflichtet halten. Entbinden von diesem Eide konnte, meines Er-
achtens, auch König "Wilhelm nur dann, wenn er auf verfassungsmäßigem "Wege,
d. h. unter Mitwirkung der Stände eine neuere Verfassung als die von 1833 ge-
gründet hätte oder zu der von 1819 zurückgekehrt wäre; jedes Entbinden von Seiten
einer anderen factischen Autorität würde mich in meinem Gewissen nicht beruhigen,,
weil es nur einseitig geschieht also nur de facto, aber nicht in vollem Sinne de jui-e.
Der Huldigungseid gebührt dem Fürsten, aber bei der Verfassung concurrirt das
repräsentirte Volk. "Wenn der Hannoverschen Verfassung die Treppe fehlt, so ist
das zu beklagen, und kann von den Machjthabern allerdings, wie schon geschehen,
daher manche Gelegenheit genommen werden || durch die Beschuldigung verletzter
gesetzlicher Formen zu chikaniren, ja vielleicht sich sogar äußerlich einen Schein
von Recht anzumaßen: das bessert aber die moralisch unwürdige Sache nicht, die
für das ganze constitutionelle Deutschland eine höchstwichtige Principfrage ge-
worden ist. Und zuletzt fragt es sich doch gar sehr, von welcher Seite aus die gesetz-
liche Ordnung eigentlich gestört worden ist? Unmöglich können doch wegen einer
Lücke in der Form die sonst zum Sprechen Berechtigten, die Corporationen, die
"Wahlcdlegien, die Justizcollegien etc. sich ewiges Stillschweigen auferlegen. Eine
Störung der öffentlichen Ordnung führt nothwendig die andere herbei. Nur hätten
solche außerordentliche Schritte, meines Erachtens, gleich nach dem ersten Patent
erfolgen sollen. Die Verfassung selbst mag immer sehr mangelhaft seyn, auch bin
ich kein Enthusiast für papieme Constitutionen, aber jeder solcher neuer Vertrag
ist doch in gar mancher Beziehung ein guter Schutz, und wohin soll es kommen,
wenn jeder Regierungswechsel zu einem neuen Staatsgrundgesetz führen soll? — Auch
dem kann ich nicht beitieten, daß die Universität verurtheilt seyn soll zuletzt zu
sprechen. Sie ist die Spitze der Intelligenz im Volke, kein bloßes Regierungsinstitut,
sie muß dem Volke mit -dem Licht der Einsicht und mit dem freimüthigen Be-
kenntniß ihrer Überzeugung vorangehen. Dazu beschickt sie den Landtag, ist also
eine politische Corporation, warum soll sie als solche sich später äußern als
1) 1 S. 4". H. "Wien. Das wenig vom Original abweichende Konzept des
Briefes liegt auf der Leipz. Univers. -Bibl.
Dezember 1837. 2Q7
andre Corporationen, deren Glieder von der Intelligenz der Universität ein Bei-
spiel zur Nachahmung erwarten? Ereignisse wie die in Hannover kann man
denn doch wol nicht bloß unter die Rubrik der Tagesbegebeuheiten stellen, || die man
gleichgültig an sich vorübergehen lassen kann oder soll. Ich bin Staatsbürger und habe
auch als solcher Verpflichtungen. Die Ruhe im Lande ist ein großes Gut, das
jeder erhalten zu suchen Ursache haben mag; dennoch würde ich mich des Uti-
lismus beschuldigen müssen, wenn ich es für das höchste im Staatsleben zu be-
wahrende Gut hielte. Wird diese Ruhe durch irgend einen gerechten Widerstand
gegen die bestehende Macht gestört, so komme die Schuld über die, welche die erste
Veranlassung zur Störung gegeben haben.
Was nun speziell den Schritt der Sieben betrifft, so konnte ich es nicht billigen,
daß sie sich von ihrer Corporation losrissen und als Privaten handelten, was
weder loyal noch klug schien. Wenn übrigens Reverse wie die des Osnabrücker
Raths angenommen werden, die der Person des Königs huldigen, ohne der Ver-
fassungsfrage etwas zu vergeben, so schiene mir dies die gemäßigtere Form, die
loyalere und darum auch wirksamere. Die sieben Professoren mußten sich sagen,
daß sie durch ihren Schritt die Sache auf die Spitze trieben: denn sie hatten gänz-
lich vergessen, der Regierung einen nicht zu extremen Mitteln schreitenden Aus-
weg übrig zu lassen. Ihr Gewissen, wenn sie dies beschwert fühlten, konnten sie
durch einen weniger auffälligen Schritt entlasten. Daß sie der wissenschaftlichen
Anstalt von kosmopolitischer Wichtigkeit, der sie angehörten, auf viele Jahre hinaus
eine unheilbare Wunde schlugen, mußten sie wissen. In sofern haben sie,
indem sie als Menschen und Staatsbürger redlich zu handeln beabsichtigten, durch
eine unbedachtsam gewählte Form eine Pflicht gegen die Wissenschaft, mithin gegen
die Menschheit verletzt. — Sie sehen hieraus, Verehrtester, daß ich in meiner An-
sicht von keinen persönlichen Sympathien geleitet werde, und ich kann Ihnen ver-
sichern, II daß man mich hier auch in der That mehr zu den Tadlern als zu den Ver-
theidigern oder gar Lobrednern der Protestirenden zählt und daher als einen der
antiliberalen Partei angehörigen betrachtet.
Ich fürchte nicht, daß diese freimüthigen Bekenntnisse mir in Ihrer Meinung
schaden werden. Meine Gesinnung gegen Sie wird mein unterdessen angelangter
Brief bezeugen, der unverdienter Weise ein Nachtreter dessen von Hartenstein ist,
dem ich meinen Entschluß Ihnen zu schreiben mitgetheilt habe, ohne daß er mir
ei^wiedert hätte, daß er das gleiche beabsichtige. Mögen Sie aus dieser kleinlichen
Bemerkung wenigstens abnehmen, wie eifersüchtig ich auf den ferneren Besitz
Ihrer Freundschaft bin, die Sie mir denn im neuen Jahre, das uns den vollen Innern
Frieden wiedergeben möge, erhalten wollen: Ihr treu ergebener Drobisch.
N, S. Sobald Hartenstein von seiner Weihnachtsreise zurück ist, werde ich ihm
sogleich Ihren Brief mittheilen.
1838.
W. : Rez, von Vogels Schulatlas (S. Bd. XIII. S. 319 — 321), Hartensteins Dar-
stellungen der Herbartschen Philosophie (S. Bd. XIII. S. 321 — 322), Reiches De
Kanti etc. (S. Bd. XIII. S. 322—326).
626.! Hartenstein an H.^) Leipzig 17. -Jan. 1838
Hier, verehrter Herr Hofrath, erhalten Sie meine Schrift über die neuesten
Darstellungen und ßeurtheilungen Ihres Systems. Sollten Sie die Bücher, in welchen
diese Darstellungen enthalten sind, nicht gelesen haben, so dürfte ich hoffen, daß
für Sie manches den Reiz der Neuheit haben wird, wenn es Sie auch Wunder
nehmen sollte, daß man heut zu Tage noch so sinnlos über Ihre Philosophie sprechen
könnte, wie Ihnen Proben davon theilweis unter die Augen kommen werden. Um
an solchem theils unwissenden, theils aufgeblasenen Geschwätz ein Exempel zu
statuiren, habe ich H. Pr. Michelet an die Spitze gestellt, und wenn Sie den Ton,
in welchem ich mit diesem soi disant Gelehrten spreche, stark finden, vielleicht zu
stark, so schien mir dies unumgänglich nothwendig, ebensowohl iwegen des Hoch-
muthes, der sich in Begleitung des Hegelianismus überall einzustellen pflegt, als
weil es in unserer Zeit überhaupt und fast allgemein nothwendig ist, nicht nur
Recht, sondern auch Muth zu haben. Meine Schrift ist für das Publicum geschrieben,
man darf nicht zugeben, daß es von solchen Berichten, die nunmehr sogar in die
geschichtliche Darstellung übergehen, praeoccupirt wird; wie stark die Noth wendig-
keit ist, das nicht zuzugeben, mögen Sie selbst aus den hier vorgelegten Proben ab-
nehmen. Auf jeden Fall glaube ich hoffen zu dürfen, daß Sie mir Ihr Urtheil
nicht vorenthalten werden. Möchte ich bei dieser Gelegenheit zugleich die Freude
haben. Von Ihnen eine Nachricht Ihres "Wohlbefindens zu erhalten. Mit der aus-
gezeichnetsten Verehrung verharre ich
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Hartenstein.
627. Bobrik an H.^) Zürich, den 31ten Januar 1838
Verehrtester Herr Hofrath! Vor einigen Wochen habe ich mir die Ehre ge-
geben, Hinen ein Exemplar des eben erschienenen Bandes meines „Systems der
Logik'' zu übersenden. Hoffentlich ist es nun in Ihren Händen und ich bitte dieses
Zeichen meiner ununterbrochenen Verehrung und Hochachtung wohlwollend auf-
zunehmen. Ich füge meinen innigen Wunsch hinzu, daß der Verlauf des neu-
begonnenen Jahres alle trüben Wolken zerstreuen möge, die das vorige Jahr an-
gehäuft hat. Wenn es Ihre Zeit erlaubt, so würde ich um eine baldige Recension
1) 1 S. 4». H. Wien.
2) IV, S. 40. H. Wien.
Februar 1838. 299
meines Versuches bitten, da mich drei Umstände dringend zu einem solchen Wunsche
nöthigen. Zuerst ist vor einigen Tagen der Herr Ziegler, einziger Chef meiner
Verlagshandlung (Ziegler & Söhne hieselbst) plötzlich gestorben, und die Erben sind
noch unentschlossen, ob sie die Handlung fortsetzen werden. Damit ich nun zur
baldigen Fortsetzung meines Werkes einen neuen Verleger baldigst erhalte, bedarf
es irgend einer gewichtvollen Recension.
Sodann geht unsere junge, schon so manchen Angriffen ausgesetzte Universität
heuen Angriffen entgegen. Von jetzt ab soll die Repräsentation des hiesigen Can-
tons rein demokratisch nach der bloßen Kopfzahl vor sich gehen. Ehrgeizige Dema-
gogen suchen nun bereits dadurch Popularität zu erhaschen, daß sie gegen die Uni-
versität und die dabei angestellten Fremden rücksichtslos und hämisch declamiren,
und auf dem schwankenden Boden des Volkswillens ist der Einsturz des leicht-
gebauten Gebäudes keine Unmöglichkeit Jedes wissenschaftliche Werk, das von
unserer Seite aus geht und in Deutschland einige Anerkennung findet, || ist \de eine
erwünschte Stütze gegen den allgemeinen Einsturz anzusehn.
Drittens endlich ist mein Wunsch nach Deutschland zurückzukommen leb-
hafter als jemals, und der erste Schritt dazu wäre eine baldige, billigende Be-
urtheilung meines Versuchs.
Über denselben näher einzutreten, wage ich für jetzt nicht, und bin so frei
auf die Vorrede zu verweisen.
Unsere hiesige Frequenz beträgt in diesem Semester 194. Ich selbst lese
Logik, Geschichte der neuern Philosophie, und sogar, mit fünf gut eingeübten Mathe-
matikern, Anwendung der Diff. und Integr. Rechnung auf Psychologie.
Brzoskas erstes Heft habe ich gestern erhalten, und hoffe bald mit einer
Polemik gegen die Seelenvermögen in seiner Centralbibliotliek aufzutreten.
Indem ich mich Ihrer werthen Frau Gemahlin zu empfehlen bitte, zeichne
ich mich mit aufrichtiger Hochachtung und Ergebenheit Bobrik.
628. Schubert an H.') Kg. 12. Fbr 1838.
Hochverehrter Herr College Erlauben Sie mit dem Director und nunmehrigen
Praesidenten -) auch den Inhalt des Briefes zu vertauschen. Wie oft ich in den
let?ten Monaten in meinen Gedanken den Brief an Sie gerichtet habe, vermag ich
in derThat kaum aufzuzählen. Es kam etwas dazwischen und der Brief unterblieb.
Im Sommer dachte ich auf das Sicherste daran, in Göttingen Sie selbst zu sehen,
aber auch das sollte nicht sein. Unabweisbare literarische Geschäfte für mein
größeres Werk über die Staatskunde, dessen vierten Band ich gerne beendigen
wollte, hielten mich von einer größeren Reise ab, und als ich zum Deputirten für
die Göttiugensche Jubelfeier auf Staatskosten per majora gewählt worden, waren
Cholera und Familienverhältnisse dringende Abmahner von der Reise. Wann ich
nun das Glück haben werde Sie in Göttingen zu begrüßen, ich weiß es nicht, ver-
■ mag jetzt keine festen Pläne zu Reisen mehr zu entwerfen, der ich sonst ziemlich
eine Schirrmeisternatur für das Reisen zu haben schien. Ich will daher auch nicht
eher eine Reise zu melden wagen, bis ich auf der Schnellpost sitze und den Tag
meiner Ankunft bestimmen kann. Von Lobeck (Mann und Frau) haben wir, so
kurz sie miteinander auch in Cassel zusammen gewesen sind, mit großer Freude
Nachrichten über ihr beiderseitiges Ergehen vernommen. Lobeck ist diesmal von
1) 3 S. 40. H. Wien.
*) Voraus geht eine gedruckte Mitteilung vom Direktor der Königl. Deutschen
Gesellschaft, gez. Schubert.
lOO Februar 1838.
der Reise bedeutend erfrischt zurücligekehrt und hat einen gesunden "Winter, trotz
der beispiellos anhaltenden Kälte, wie wenig er es auch selbst wahr haben will.
Aber werden Sie verehrter Herr, gegen mich auftreten mit eiuem verwunden-
den Blicke, daß ich trotz meiner übermäßig oceupirten Zeit frech genug wage mich
in philosophische Angelegenheiten hineinzumischen und sogar einen Hauptmeister
derselben in der ersten Gesamtausgabe herauszugeben. Es ist || allerdings wunder-
bar und noch um so mehr, als ich die Ausgabe mit einer recht eifrigen Wärme
besorge. Sie kennen meine große Vorliebe für mein Vaterland und für Alles was
aus demselben großartig und ehrenwerth hervorgegangen ist. Kant hat immer zu
meinen Heroen gehört, wiewohl ich ihn nur ganz in der anthropologisch praktischen
Richtung und in seinem bedeutsamen Emfluß auf die gesamte geistige Cultur zu
würdigen wußte. Ich besaß von ihm vielleicht die vollständigste Sammlung der
Originalausgaben seiner kleineren Schriften und hatte viel für seine Biographie ge-
sammelt, da die schauderhaften von Jachmann und Wasianski mich bisweilen
empörend aufregten und auch Borowski's Abriß, wenn gleich nur auf die frühere
Zeit sich beschränkend, mich selten befriedigte. So vorbereitet kam ich zu der
Kenntniß mancherlei Original-Papiere und Schnitzel von Kants eigner Hand be-
schrieben, die ich im vorigen Jahre für die Königliche Bibliothek aus Nicolovius
Nachlaß ankaufte. Ein genaueres Studium derselben vertiefte mich so in Kants
Wirken und Werke, daß ich nun nicht mehr von dem Gedanken loskommen konnte,
sein Biograph zu werden und zur Gesammtausgabe seiner Werke eifrig anzuregen.
Der Aufsatz für Brockhaus Taschenbuch über Kants Verhältniß zu den politischen
Studien ist eine weitere Ausführung eines Vortrags in der deutschen Gesellschaft
im vorigen Frühjahre. . Rosenkranz beschäftigte sich gleichfalls mit dem Gedanken
einer Gesammtausgabe, Voß trat mit freiwilligem Anerbieten || hinzu, aber Rosenkranz
stellte als eine conditio sine qua non mein Mitwirken auf. Ich gab nach und lege
in vierzehn Tagen Ihnen, Hochverehrter die ersten beiden Bände dieser Ausgabe
vor, den ersten von R. und den 9ten voii mir, um Sie um die wohlwollende An-
nahme dieser Ausgabe zu bitten und zugleich über sie das Urtheil zu sprechen.
Mein Conrad hat jetzt bereits meine Größe erreicht, obgleich erst 15 Jahre
alt, aber er ist doppelt so schwer als ich. Er sitzt gegenwärtig mit Theodor Toussaint
auf Secunda im Domgymnasium unter Lucas. Ob er zu den Studien kommen wird,
ist mir noch zweifelhaft, die Eähigkeiten besitzt er, aber nicht die Lust dazu und
ein gewöhnlicher Studirender ist mir ein Gräuel, zumal bei ihrer jetzigen Aussicht
in der amtlichen Can-iere.
Meine Frau empfiehlt sich Ihrer verehrten Frau Gemahlin mit mir angelegent-
lichst; wir beide geben aber nicht die Hoffnung auf, Sie zui- Revision Ihres Eigen-
thums und Ihrer Freunde nochmals herzlichst in unserer Mitte zu begrüßen. —
Herrmann ßobrik Ihr Schüler hat bei uns ehrenwerth promovirt und ein achtbares
Werk über Herodots Geopraphie geschrieben. Dr. Taute kann dagegen mit seiner
schon vier Jahre als fertig angekündigten Religionsphilosophie nicht zu Ende kommen.
Dabei versinkt er ganz in sich und verliert die Freude an der Lehrthätigkeit.
Mit wahrster und innigster Hochachtung Ihr treu ergebenster Schubert.
629. An Drobisch.')- Göttingen 16 März 38.
Qui tacet, consentire videtur. Also scheine ich mich Ihrem letzten,
politischen Briefe gefügt zu haben. Sie sehen, mein theurer Freund! wie
wenig Besorgniß ich hege, einmal um ein paar Zoll näher bey Ihnen zu
') 3 S. 4"-
Februar 1838. 30 1
stehn, als unsre Übereinstimmung eigentlich mit sich bringt; sonst hätte
ich eilen müssen zu antworten. In der That wollte ich der Zeit etwas
überlassen; die nun freylich noch nicht sehr deutlich spricht, doch aber
die erste Lust in lauten Äußerungen des individuellen Meinens etwas ab-
gekühlt, und gezeigt hat, daß eine Gewissenssache, die nothwendig Vielen
auf ähnliche Weise ans Herz greifen mußte, nicht überall ähnliche
Wirkungen hervorgebracht hat. Um mich kurz zu fassen, — da ich das
Disputiren im Briefe nicht für rathsam halte — versetze ich mich in
Gedanken nach Königsberg, und zurück in den Anfang des Jahres 1833.
Was sollte ich, der ich zwar in Göttingen Philosophie zu lehren wünschte,
aber schlechterdings nicht an ein Ephorat dachte, und ein solches unter
keinerley Bedingung würde angenommen haben, damals thun? Etwa dem
hannoverschen Curatorium, welches mich hieher berufen hatte, folgende Rede
halten: „Der Verfassung, an der man bey Euch jetzt arbeitet, und die
ich jetzt noch nicht kenne, mistraue ich im Voraus, wie allem Verfassungs-
Papier ohne Ausnahme, indem ich durchaus nicht daran glaube, daß
solche Charten, wenn sie auch redlich gemeint sind, lange, und durch sich
selbst, Wahrheit bleiben können; sie vielmehr als Zankäpfel betrachte,
welche dem nothwendigen Gleichgewicht der wirklichen Kräfte im Staate
öfter hinderlich, seltener förderlich seyn werden. Damit Ihr nun nicht
mir einen neuen Diensteid vorschreibt, von dem es nachher heißen würde :
qui tacet consentire videtur — so sage ich Euch voraus: „Verfassungs-
Wächter will ich bei Euch nicht werden." — ? Was hätte das Curatorium
wohl erwiedert? Vermuthlich dies: Bleibe du in Gottes Namen in Königs-
berg, denn du hast den Verstand verloren. || Wenn aber heut zu Tage
Einer eine Vocation nach einem constitutionellen Staate bekommt, dann
mag er überlegen, was er zu thun hat. Das kleine blaue Büchlein vom
24 Febr. d. J. liegt neben mir, und ich habe S 26 und z'] wohl gelesen.
Doch auf mich paßt das nicht; ich bin nun zu alt um noch eine Vocation
zu bekommen; und noch vor fünf Jahren fiel so etwas keinem Menschen
ein. In dem Garne meines Eides aber, den man wider meinen Willen
ausdehnt und auslegt, lasse ich mich nicht fangen.
Übrigens, mein theurer Freund! finde ich mich durch die neuesten
Begebenheiten wirklich etwas verändert. Ein Gefühl von Geringschätzung
der Generation nimmt mehr als sonst überhand, dem ich nur eine kalte
Überiegung entgegensetzen kann. Denn der Abgrund eines politischen
Treibens, was am Menschen nicht viel Gutes übrig zu lassen pflegt, hat
sich an der Stelle geöffnet, wo ich für meine Wirksamkeit einen vesten
Stützpunct, für mein Alter einen Ruhepunct zu finden hoffte. So be-
stimmt ich weiß, daß die Wissenschaft höher steht als der Staat: so ge-
wöhne ich mich doch an den Anblick der Universität, welche sinkt, weil
man eine an sich haltungslose Verfassung halten wollte; — (in einer
Manier, die an Ephorat und Interdict des alten Fichteschen Naturrechts
(daselbst S. 208 u. s. w.) erinnert; diese Stelle gelegentlich nachzuschlagen,
wird Ihnen vielleicht Unterhaltung in einer müßigen Stunde gewähren.)
Bey dieser meiner Stimmung möge es Sie nicht wundem, wenn ich
bey Dingen, die mich näher angehn, gleichgültiger bleibe als billig. So
habe ich Hartensteins Schrift eher aus den Händen gelegt als ich viel-
■3Q2 März 1838.
leicht sollte. Die Tüchtigkeit, die sich darin aeigt, habe ich mit Ver-
gnügen erkannt; solche Tüchtigkeit ist selten; und sie leuchtet || durch den
Contrast rait Röers Fortbewegung zur Idee, i) und mit Bobricks Logik nur
noch mehr hervor. Aber, wenn das Völkchen, mit welchem sich Harten-
stein beschäfftigte, soviel Aufmerksamkeit verdient: werden dann nicht
Röer und Bobrik noch größere Ansprüche haben? Und welche Arbeit
kann Strümpell noch machen, der sich ebenfalls jetzt rührt; wenigstens
hat er mir einen kurzen Brief geschrieben, von solcher Art, daß ich mich
zu keiner Antwort verpflichtet fühlte. Bey allen diesen Dingen komme
ich bald auf die Frage: was gehts mich jetzt noch an? — und so warte
ich auf mich selbst, ob mir vielleicht der Sommer einige Lebenswärme
wieder geben will.
Aber auch bey allem dem bitte ich Sie um einen baldigen Brief.
[Haben] Sie mir nicht viel Angenehmes zu melden, je nun, das Trübe
paßt zu mir und wird mich nicht viel mehr betrüben; haben Sie Heiteres,
— so werde ich eher für Sie und mit Ihnen empfinden als für mich
allein. Auf allen Fall lassen Sie bald von Sich hören, wie Sie durch den
harten Winter gekommen, und ob die Ihrigen sich erhohlen?
An Hartenstein meine besten Empfehlungen! Die jungen Leute, die
von dort hier studiren, habe ich diesen Winter fast gar nicht gesprochen,
sie kamen nicht, und ich war zu leidend um mir ihren Besuch aus-
zubitten. Unverändert der Ihrige! H.
630. Drobisch an H.=) Leipzig d. 22. März 1838.
Mit Vergnügen, mein hochverehrter Gönner und Freund, adoptire ich vor
allen Dingen die von Ihnen ausgesprochenen Maxime, in unserem Briefwechsel (über
Politik wenigstens und Zubehör) nicht zu disputiren. Die PoHtik soll uns nicht
trennen; sie ist nicht meine Leidenschaft, obgleich ich die Ueberzeugung habe, daß
man zu mancher Zeit nicht politisch indifferent seyn darf. Das Verfassungspapier
kann auch mich nicht in Begeisterung versetzen oder in den Harnisch bringen, aber
für Gewaltschritte und Verletzung der Gerechtigkeit habe ich ein sehr erregbares
Organ, das ich auch nicht stumpf werden zu lassen gedenke. Verfassungen sind
mir geschlossene Verträge, die nicht einseitig, ohne Zustimmung des andern Theils,
aufgehoben werden düi'fen. Auch wenn sie Zweckwidriges enthalten, müssen sie
doch so' lange aufrecht erhalten werden, bis durch eriaubte Mittel eine Verbesserung
möglich wird. In Gewissenssachen aber bin ich um so entfernter, über andre hart richten
zu wollen, je öfters das, was dem Einen als das vollkommene Handeln erscheint,
dem andern auf der niedrigem Stufe steht, dem Einen das Intensive, dem Andern
das Extensive als das größere vorkommt u. dgl. m. In Beziehung auf die von Ihnen
erwähnte Stellung zur Generation aber möchte ich doch bemerken: die Generation,
in der wir leben, ist uns gegeben; wir dürfen mit ihrem Geiste unzufrieden seyn,
wir können es beklagen, uns immer in der fruchtlosen Opposition finden zu müssen,
aber wir müssen mit der Generation leben und nöthigenfalls resignirt seyn, wenn
uns nicht Recht genug zu Gebote steht. Insbesondere, dünkt mich, müssen wir uns
daran schon gewöhnen, daß die jetzige Generation dem öffentlichen, dem Staatsleben
1) Röers Schrift ■ „Das speculative Denken in seiner Fortbewegung zur Idee"
(Berlin 1837) bekundet Röers Fortbewegung zum Hegelianismus.
2) 6 S. 4«. H. Wien.
März 1838. 303
weit mehr Interesse zuwendet als dies bei uns in Deutschland früher gewöhnlich
war. Dies läßt sich, wie ich glaube, auf keine Weise ändern. Wir || wollen zu-
frieden seyn, wenn es uns gelingt, was wir mit größter Energie zu erstreben suchen
müssen, die Jugend abzuhalten, sich früher als sie ihren Geist durch Wissenschaft
gereinigt und gebildet, den Parteikämpfen des politischen Lebens hinzugeben. Die
Theilnahme des Volkes an den Angelegenheiten des Staats können und dürfen wir
wohl auch nicht hemmen wollen; denn nicht immer wohnt alle Einsicht bei denen»
welche den IStaat leiten, nicht immer haben sie Klugheit genug, die Einsichtsvollen
im Volke in das Interesse des Staats zu ziehen, dem Staatsorganismus zu assimiliren.
Dann kommen mir die Stimmen aus dem Volke gegen die Regierung wie Stimulantia
vor, die die moralische Schwäche der Regierung wohl heilen können. Die reine
Wissenschaft verliert freilich, bei lebhaften politischen Bewegungen an Ansehen,
aber nur vorübergehend. Man wird endlich des wirren Treibens müde und erfreut
sich von Neuem der ewigen Wahrheit der Wissenschaft, des ewigen Werthes der
Kunst. Sodann dünkt mich die Zeit politischer Stürme für die Wissenschaft oft
auch eine heilsame Reinigungsperiode. Sie (die Wissenschaft) muß sich bestreben
praktische Früchte zu tragen. Fällt dabei auch manche schöne Blüthe ab, so trifft
die Verderbnis doch vor allen die tauben Blüthen. Aber das ist wahr: es ist eine
unbehagliche Zeit, die Zeit, wo die Blüthen welken und die Früchte noch nicht zu
sehen sind. Ihre gedrückte Stimmung befremdet mich um so mehr, als kurz zuvor
Stoy — der, svie Ihnen ohne Zweifel bekannt, einige Wochen um der math. Psych,
willen hier verweilen wird — Ihre Munterkeit rühmte, mit der Sie „ein unvergleich-
liches Collegium über Psychologie" diesen Winter gehalten haben. Freilich begreife
ich es recht wohl, daß das Sinken Ihrer Universität Sie niederdrücken muß. Und
diesem Sinken scheint, da alle Gelehrte sich scheuen, die vacanten Plätze wieder
einzunehmen, und da, z. B. bei der Bibhothek, das Curatorium die Unterhaltungs-
mittel vermindert, nicht Einhalt gethan werden zu können, wenn nicht |! Unerwartetes
eintritt.
Der Winter hat meine Gesundheit wenig zerstört; wohl aber in dieser letztem Zeit
die meiner Kinder. Wir waren nahe daran, unser jüngstes Kind wieder au Krämpfen
zu veriieren. Ich sehe schon, so lange ich lebe werden — mit Hamlet zu reden
— für mich nicht „das Herzweh und die tausend Stöße enden, die dieses Fleisches
Erbtheil", und zuletzt werden sie mich auch nicht zu hohen Jahren kommen lassen.
Doch bin ich darüber ruhig. — Meine Frau befindet sich in der Hauptsache wohl.
Von Röers Buch habe ich noch keine nähere Kenntniß genommen, ich behalte
sie mir für den Sommer vor, wo ich Metaphysik zu lesen gedenke. Bobrik hat mir
sein Buch geschickt und mich um eine Anzeige ersucht, die ich dann für das
Repertorium geliefert habe. Sie wird wol im Februar oder März abgedruckt seyn.
Sie werden sie schonend finden und mit Recht; aber ich möchte den Ausbruch einer
Spaltung in Ihrer Schule so weit wie möglich hinausschieben, oder, da er eigentlich
schon eingetreten ist, so geräuschlos wie möglich machen. Die Bücher dieser Pseudo-
• jünger werden noch zu wenig gelesen; schlägt man Lärm, so geht es wie mit den
verbotenen Büchern: sie werden gesucht und der Jubel von der andern Seite fängt
erst recht an. Wie Strümpell an Sie geschrieben hat, kann ich freilich nicht wissen ;
aber könnten Sie ihn durch ein paar Zeilen beruhigen, so wäre es doch besser als
wenn ihn Ihr Schweigen noch trotziger macht. — Der Wirrwarr in Bobrik's Schrift
ist allerdings groß; der Gedanke aber, das logische Sollen auf eine ähnliche Weise
zu behandeln wie das ethische, hat mich interessirt und zu eigenem Nachdenken
aufgeregt, das mir nicht ganz fruchtlos gewesen zu seyn scheint. Der Gedanke:
die Logik ist die Lehre vom Denken wie es seyn soll; setzt eine Gewalt des Willens
204 März 1838.
über das Denken voraus, die natürlich nicht Herrschaft der "Willkür seyn darf.
Daher wird auch hier, || wie mir scheint, der das Denken beherrschende Wille durch
willenlose Urtheile, zwar nicht des Beifalls, aber der Anerkennung gewisser Ver-
hältnisse des Denkens bestimmt werden müssen. Daß das erste dieser Verhältnisse
die Einstimmung des Denkens mit sich selbst seyn wird, liegt nahe. Ich habe die
Sache aber weiter verfolgt und komme, (nicht auf dem Wege der Nachahmung der
prakt. Philos. jedoch) allerdings auch auf 5 ursprüngliche und 5 abgeleitete Ideen,
von denen jene der logischen Elementarlehre, diese der Methodenlehre angehören.
Aber weit entfernt, wie B., darin einen Keim einer Totalreform zu finden, bestätigt
sich nur dadurch nicht nur die üblige Art des Vortrags der Logik, sondern gewinne
ich auch die Ueberzeugung von ihrer Vollständigkeit im Wesentlichen. Die Arbeiten
zur Psychologie rücken nur langsam vorwärts. Dies und jenes habe ich aus-
gearbeitet. Ganz unter uns gesagt, hat mich unser Wiener Skeptiker etwas ver-
drießlich gemacht, der allerdings oft zu wenig behülflich sich zeigt, Schwierigkeiten
durch gemeinschaftliches Nachdenken zu beseitigen, und dem es zuweilen Vergnügen
zu machen scheint, Knoten zu schürzen, um sie Andere lösen zu lassen. Aber
sehen Sie das ja nicht als eine Anklage des trefflichen Mannes an. Stecken bleibe
ich übrigens in der Arbeit nicht; wenn ich nur den Fundamenten die größtmögliche
Evidenz geben kann.
Wenn ich wieder an Roer, Strümpell und Bobrik denke, so begreife ich ihr
Treiben wohl, das mehr aus Ungeduld als aus übler Gesinnung verkehrt wird. Sie
wollen sich hervorthun durch Neues, sie raffen allerlei Gelesenes zusammen und
kneten einen Teig daraus; der erste beste Gedanke, der ihnen in den Sinn kommt,
dünkt ihnen eine Entdeckung zu seyn, u. s. w. Freilich wer mit Ihnen philosophiren
will, kann alt werden, ehe ers zu etwas Neuem bringt, das der Mühe lohnt; das
merke ich täglich mehr; wen der Ehrgeiz beherrscht, der kann nicht lange Ihr
Jünger bleiben. Doch wir wollen billig seyn. Die Welt will Leistungen von den
jungen Leuten sehen, Neues, Unerhörtes || : mundus vult decipi etc. Sie wird be-
dient, wie sie's verlangt. Müßte man nicht schreiben, um das Publicum beim Lesen
zu erhalten, so wäre's genug, über Philosophie nur Einmal zu schreiben — im
fünfzigsten Jahre, wenn das Leben die Gedanken zur Reife gebracht hat. Aber
nicht jeder darf auf das 50ste Jahr rechnen, und die Welt hat nicht Lust zu warten.
So geht's denn wie es immer gegangen ist. Es wird an dem neuen System herum-
geflickt bis es sich nicht mehr ähnhch ist. Und diese Ausartung scheint in unsrer
industriösen Zeit immer schneller von statten zu gehen. Und so darf auch Ihnen
Ihr Fichte jun. und Weiße nicht fehlen.
Doch genug für diesmal. Sie möchten mich sonst daran erinnern, daß meine
Briefe länger sind als meine Bücher und auch viel rascher als diese fertig werden.
In der That, es wäre vielleicht besser, ich könnte mich hineinfinden, Bücher zu
schreiben, wie Briefe, d. h. zwanglos alles durcheinander zu schwatzen; aber es
sitzt mir so ein Euklidischer Zopf im Nacken; vielleicht laß ich mir ihn abschneiden
— wenn ich mit der Psychologie fertig bin. Es wäre aber nicht wohl gethan, den
Euklides zu vergessen, wenn man die Mathematiker ins Interesse zu ziehen wünscht.
Ihr Brief machte einen wehmüthigen Eindruck und doch hab ich mich bei
der Antwort ziemlich heiter geschrieben. Ich hoffe, die Heiterkeit wird auch Ihnen
bald zurückkehren. Haben Sie doch alle Ursache, mit Sich zufrieden zu seyn.
Wäre Kant nicht mit den Aufklärungs- und Freiheits-Ideen des I8ten Jahrhunderts
gesegelt, er hätte seiner Zeit auch nicht so imponirt. Aber wir sind leider jetzt in der
Opposition. Auch Fichte und Schelling segelten mit vollem AVinde und Hegel
wenigstens mit halbem. Was ist für uns zu thunV Wir warten gar nicht auf den
April 1838. 305
Wind; nun so müssen wir die Kraft in uns selbst suchen, wir müssen mit Dampf
fahren! Gewiß das ist ganz au demier goüt.
. Um noch eine wenigstens angedeutete Frage zu beantworten, so kann ich
sagen, daß die traurigen Verhältnisse der von meinem Schwager hinterlassenen ||
Familie sich allmälig ordnen und hoffnungsvoller gestalten. Es ist gelungen, den
ältesten Knaben in ein gutes Haus als Handlungslehrling zu Ostern unterzubringen,
die Wittwe erhält einige Pension, auch für jedes Kind eine Erziehungsbeisteuer.
Ich thue gern zur Unterstützung was in meinen Kräften steht, und kann dies in
sofern ohne Entbehrung, als ich sehr wenig Bedürfnisse habe. Wie klein auch
diese Angelegenheiten seyn mögen, ich hoffe, die Vorsehung wird auch hier für
einen freudigen Ausgang Sorge. tragen, wenn nur ein Jedes seine Schuldigkeit thut.
Grüßen Sie von mir und meiner Frau Ihre verehrte Frau Gemahhn; er-
holen Sie sich möglichst in den jFerien, um mit erneuter Kraft in Ihrer persön-
lichen Wirksamkeit fortfahren zu können; erhalten Sie endlich Ihr ferneres Wohl-
wollen Ihrem treu ergebenen Drobisch.
631. Jäsche an O. von Mirbach») Dorpat den 6t. April 1838.
Mein vielverehrter alter Freund.! Wenn Sie selbst auch mein Theuersterl
gleich am Eingange Ihres Schreibens von neuen Hindernißen sprechen, die sich
Ihrem löblichen Vorsatze, eine Reise zu uns nach Dorpat zu unternehmen, auch
im Laufe dieses bevorstehenden Sommers in den Weg stellen möchten : soU ich
doch die Hofnung nicht aufgeben, daß es Ihnen auf die eine oder die andre AVeise
doch wohl noch gelingen werde, die befürchteten Schwierigkeiten zu beseitigen.
Darnach aber eile ich. Ihrem Verlangen, die Angelegenheit unsers würdigen
Freundes betreffend, nun Genüge zu leisten, zumal da ja auch ich mit Ihnen den
Wunsch theile, daß dem talent- und kenntnißvollen jungen Gelehrten recht bald
ein seinem höhern wissenschaftlichen Streben zusagender Wirkungskreis sich dar-
bieten möge. Welche Aussichten nun dazu für unser Dorpat selber in Kurzem
sich eröfnen dürften, darüber will ich Ihnen denn mein theurer alter Freund!
offen und ausführlich meine Gedanken mittheilen.
Mein hiesiges philosophisches Katheder, welches ich seit Eröfnung unsrer
Universität, d. h. seit dem 21ten April des J. 1802 im Besitze habe wird mit dem
Ausgange dieses Jahres vacant. Es wird Ihnen nämlich wohl nicht unbekannt seyn,
daß zu folge neuerer Allerhöchster Vorschriften vom J. 1833 akademische Pro-
fessoren, welche 25 Jahre hindurch ihrem Lehramte vorgestanden, von ihrem
Dienste entlaßen werden mußten. Dieser || Verordnung (vom Aug. 1833) ging in-
dessen meine Dimission nebst der zweyer anderer meiner Collegen, der Proff. Bartels und
Deutsch bereits voran, da wir selbst darum nachgesucht hatten. Ich insbesondere hatte
ja damals schon 31 volle Jahre und noch etliche Monathe darüber mein Lehramt ver-
waltet. Morgenstern's Dimission folgte etwas später nach. Jener Verordnung gemäß
konnten wir aber wieder aufs Neue für 5 Jahre gewählt werden aber durch Ballottement.
Zwar traf das Loos der Majoriät der Stimmen mich und Bartels von Seiten unsrer Collegen.
Morgenstern und Deutsch dagegen hatten die Mehrheit gegen sich und mußten dem-
1) 4 S. 4». H. Wien. — Obwohl sich der Brief in Herbarts Nachlaß befindet,
ist er zweifellos nicht an H. gerichtet. Aus dem letzten Abschnitt schließe ich,
daß der Empfänger der Kreismarschall 0. von Mirbach ist, dessen Römische Briefe
in den Jahrb. f. w. Kr. 1837, 899 ff. angezeigt sind. Vielleicht hat Jäsche den Brief
an H. geschickt, um ihm zu zeigen, wie er für Strümpell eingetreten ist. Strümpell
kam erst 1843 an die Universität Dorpat. Vgl. W. Kahls Aufsatz über Strümpell
i. d. Allg. D. Biogr. Bd. 54, S. 623 ff.
Herbarts Werke. XVIII. 20
306 April 1838.
nach ausscheiden. — Meine 5 jährige neue Dienstzeit hat mit dem 6 ten Januar 1839
an welchem Tage (1834) meine Wahl vom Minister bestätigt wurde, ihre Endschaft
erreicht. Es ist jedoch möglich, daß ich mich aus manchen Gründen entschheße,
noch vor der Zeit, etwa mit dem Ausgange dieses oder dem Anfange des nächst-
künftigen Semesters freywillig um meine Entlassung einzukommen. Mit dieser in
Kurzem zu erwartenden Vacanz des hiesigen philos. Lehrstuhles beantwortet sich
demnach im Allgemeinen schon Ihre Anfrage: ob es auch an der Zeit sey, für
unsern Freund etwas zu thun? — Um nun aber in Beziehung auf einen günstigen,
mit mehr oder weniger "Wahrscheinlichkeit zu hoffenden Erfolg die Frage be-
stimmter 'beantworten zu können, muß ich Sie einen nähern Blick auf unser
akademisches Terrain (rebus pro tempore sie et sie stantibus) thun lassen, indem
ich Ihnen meine nicht ungegründete Vermuthung mittheile, daß das Wahlgeschäft
für die Wiederbesetzung der philos. Professur einen Wettstreit von Differenzen
und Divergenzen von Seiten mehrerer Partheyen in unserm Conseil herbeyführen
wird. Eine gewisse Parthey, nicht gering zu schätzen der Zahl und dem Gewichte
nach, wird, wie ich schon voraussehe, für Prof. Erdmann in Halle, einen Hegeischen
Philosophen, sich entscheiden. Ob aber imser Minister, dem das Recht des veto
zusteht, sein Siegel der Bestätigung aufdrücken würde || für diesen Candidateu, auch
durch die Mehrheit der Votirenden gewählt, ist mir doch problematisch, wenigstens
äußerte er einmal gegen mich, die Hegeische Philosophie mit ihren Speculationen
passe nicht für die Bedürfnisse unsrer vaterländischen philos. Bildung. Den Philo-
sophen Herbart aber, den er noch von Göttingen her persönlich kennen gelernt,
schätzt er als einen scharfsinnigen und gediegenen Denker. — Ein Anhänger und
Bekenner der Herbartschen Philosophie dürfte sich also mehr Begünstigung von
Seiten unsers Curators versprechen. Zuvor aber müßte freilich der Herbartsche
Philosoph bey uns erst auf die Wahl gekommen seyn. Nach unsern Statuten hat
diejenige Facultät, zu welcher die zu besetzende Professur gehört, das Vorrecht der
Präsentation zur AVahl des Candidaten. Außerdem hat aber auch noch jeder einzelne
Professor für sich als Mitglied des Cönseils, das Recht, einen Candidaten vor-
zuschlagen; nur muß er seine Empfehlung in wissenschaftlichem Betracht besonders
motiviren. Bey dem bevorstehenden Wahlacte meiner eigenen, durch meine Di-
mission vacant gewordenen Profeßur, werde ich selbst nun freilich keine Rolle
mehr zu spielen haben. Denn mit dem Tage meiner Entlaßung habe ich aufgehört
Mitglied des Cönseils zu seyn, und mithin kann ich direct nichts mehr dabey thun.
Aber ich zweifle doch nicht, daß ich im Stande seyn würde, einen oder den andern
meiner CoUegen durch meine Empfehlung für Hn. Dr. Str[ümpell] als einen tüchtigen
und würdigen Candidaten zu intereßiren und dahin zu wirken, daß er auf diese Weise
auf die Wahl gebracht werde. Doch kann ich auch nicht verschweigen, daß noch
ein Anderer, der schon seit etlichen Jahren hier an Ort und Stelle als Privatdocent
in der philos. Facultät lebt und von Zeit zu Zeit philos. Vorlesungen hält, Namens
Posselt, hiesiger Censur-Secretair, sich emsig um die Erlangung einer Profeßur be-
mühen werde. Indessen zweifle ich doch, daß es ihm gelingen möchte, da er bis
jetzt noch durch keine philosophische Schrift (eine lat. Dissert. pro venia legendi und
ein Paar Recensionen in der allg. L. Z. ausgenommen) sich bekannt gemacht; auch
Ireinen besondern Applaus mit seinen Vorlesungen gefunden, und überhaupt bey
meinen CoUegen nicht das Vertrauen sich zu erwerben vermpcht, daß er dem
Berufe eines öffenthchen akademischen Lehrers der Philosophie gewachsen seyn
möchte, obgleich er ein sonst recht wackerer und geschickter und gebildeter Litterat
ist, der sich um die Jugendbildung verdient zu machen weiß. — Demohngeachtet
glaube ich doch, daß er befreundet mit mehreren meiner Collegen, von einem oder
April 1838. 307
dem andern unter ihnen zur Wahl vorgestellt werden wird. — Bey so bewandten
Umständen muß ich demnach vor allen Dingen dazu rathen, daß Sie mein ver-
ehrter Freund! es doch möglich zu machen suchen, diesen Sommer, und zwar ent-
weder kurz vor oder bald nach \\ unsrer Sommerferienzeit, uns in Begleitung des
Hn. Dr. Str. mit Ihrem Besuche zu erfreuen. Es kann und wird gewiß für unsern
jungen philosophischen Freund nicht wenig vortheilhaft seyn, und von günstigem
Einfluße für seine auf unsre Universität gerichteten Wünsche und Hofnungen,
wenn seine Persönlichkeit unserm Curator und dem Personal unsrer Profeßoren,
insbesondere den Mitgliedern unsers Conseils, bekannt wird. Auch möchte ich
unserm Freunde rathen, was er von seinen philosoph. Arbeiten, gedruckt oder ge-
schrieben, besitzt, mitzubringen als Supplement zu den Schriften, die er selbst mir
bereits zugeschickt hatte. Gut wäre es wenn er die beyden in der Mit. literar.
Gesellschaft vorgelesenen Abhandlungen, vornehmlich die letztere, im Druck vor-
legen könnte. Aber dazu möchte es doch an Zeit und auch an Auslegemitteln ge-
brechen. Ich zweifle übrigens auch nicht, daß unsre vereinigten Empfehhmgen auf
unsern Curator selber für unsern Candidaten vortheilhaft einwirken werden. Sie
besitzen sein besondres Yertrauen, verdientermaßen; und auch mir schenkt er seine
Gunst und sein Zutrauen. Darum besprgen Sie auch nicht, daß mich die Geschichte
mit dem exilirten v. ßahden so weit habe verleiten können, es mit dem Curator
zu verderben.
Der übrigens talentvolle und exemplarisch fleißige unglückliche junge Mann,
ausgezeichnet durch ein höheres lebendiges wissenschaftliches Streben, an dem ich
eine besondere Freude fand, hat sich leider nicht ohne alle eigne Schuld das über
ihn verhängte Mißgeschick zugezogen ; so daß ich jetzt nach später hin eingezogenen
Nachforschungen namentlich bey unserm Rector selbst desgl. bey unserm braven
und rechtlichen, alles Vertrauens werthen Oberpedell Schmid, Ihre gegen mich ge-
äußerte Meinung von E. Ansichten zu theilen keinen Anstand nehme. Er hätte
bescheidener und behutsamer sich benehmen, und mit bedachtsamer Rücksicht auf
seinen Zustand als Blinder und Unbemittelter, auch jeden Schein von Verdacht
eines trotzigen und illoyalen Verhaltens von sich fern halten sollen. Er ist von
hier nach Riga zu seinen dortigen Verwandten gegangen. Vielleicht können Sie in
anderer Absicht zu seiner ferneren Subsistenz und wissenschaftl. Fortbildung durch
milde Beyträge etwas thun. — —
Am Schlüsse Ihres Schreibens erwähnen Sie der Rec, Ihrer Römischen Briefe
in den Berl. Jahrb. Noch habe ich das Stück, worin sie steht, nicht gelesen; ich
freue mich im Voraus des Beyfalls, den Sie auch dort wie recht und billig erhalten.
In nicht eigentlich philosoph. Fächern giebt es daselbst wohl auch liberale im-
befangene Kritiker. Aber die metaphysischen Recensenteu sind schnöde gegen
Alles, was nicht in ihren Hegeischen speculativen Kram paßt. Zu der Vollendung
der beyden letzten Theile Ihres trefflichen Werkes wünsche ich Ihnen mein alter
würdigster gelehrter Schüler Glück; nun können Sie auf Ihren Lorbeeren ausruhen.
Mit meiner schriftsteiler. Thätigkeit muß ich nun auch wohl bald Basta machen.
Phantasie und Gedächtniß, diesen getreuen Secundanten der höhern Intelligenz ver-
sagen je länger je mehr dem bald 76 jährigen. im Dienste der Dame Philosophie
grau gewordenen Alten ihre Dienste. Dennoch habe ich in voller Ueberzeugung in
acht philos. moralisch rehgiösen Sinn in Beziehung auf die Fortdauer meiner
persönlichen Intelligenz unter mein Porträt die Worte niedergeschrieben:
non omnis moriar! — Vale faveq.
Freundlichen Gruß an Ihren Freund D. Strümpel. Jäsche.
20*
308 Juni 1838. ^
632. K. D. Hüllmann an H/) Bonn 9 April 38
Ich schreibe Ihnen diesen Brief zwar nicht in eigner Angelegenheit, mein ver-
ehrter Freund, er giebt mir aber eine willkommene Veranlaßung, Sie und Ihre theure
Gattin meiner unveränderten herzlichen Ergebenheit zu versichern; auch darf ich in
Folge dessen hoffen, nach acht Jahren wieder etwas von Ihnen beiden zu hören.
Mit lebhafter Theilnahme habe ich besonders in der letzten Zeit an Sie gedacht; in
die Erschütterungen aber, die das so fqst und hochstehende Göttingen getroffen,
will ich nicht eingehen, da ich begreife, daß ich hier auf keine Erwiederung von
Ihnen hoffen kann.
Folgendes ist die Veranlaßung meiner Zuschrift. Ich stehe mit dem Schwieger-
vater des Professors Bobrik in Zürich in amtsgenossenschaftlichem und freundschaft-
lichem Verhältniß. Beide Eltern wünschen ihn und die Tochter wieder in ihrer
Nähe. Sie sind auf den Gedanken gekommen, daß sich unter den obwaltenden Um-
ständen eine Aussicht in Göttingen eröffnen ließe; und da sie wissen, daß Sie mir
wohlwollen, so haben sie mich ersucht, bescheiden bei Ihnen anzufragen, ob eine
geeignete Stelle entweder schon erledigt sei, oder es werden könne, und welche
Schritte dann zu thun seien. Ich bitte Sie um eine offene, einfache Erklärung hierüber.
Noch einige Worte über unsern Brandis. Er schreibt oft, und die meisten
seiner Briefe werden mir mitgetheilt. Die treffliche Frau hat auch ein Mal an
meine Schwägerin geschrieben, und ich ein Mal an ihn, worauf ich noch keine Ant-
wort habe. Daß er zurück kömmt, und sehr gern, dies unterliegt keinem Zweifel.
Die alterthümlichen Attischen Rosen haben nicht weniger Dornen, und wenn Aristo-
phanes wieder aufstände, würde es ihm nicht an neuem Stoffe fehlen. ||
Mit Innigkeit grüße ich nebst meiner Schwägerin Ihre verehrte Gattin. Mit
treuer Freundschaft immerdar der Ihrige Hüllmann.
633. Gregor an H.^) Königsberg d. 9ten Juny 1838
Hochverehrter Herr Hofrath, Theurer Freund ! Glauben Sie nicht, weil zur ge-
wöhnlichen Zeit kein Brief von mir angekommen ist, daß meine Theilnahme für Sie
irgendwie an Innigkeit verloren habe: es gab um die Zeit des 4 May viele Geschäfte,
die keinen Aufschub litten; und erst nun nach den Pf ingstf eiertagen, erlaubt mir
das ruhigere Gleise, mit den werthen Freunden, in deren Gesellschaft mir die
Lebensreise noch vergönnt ist, ein Wörtchen zu plaudern.
Zunächst eile ich, Ihnen zu v^ersichern, daß ich Ihnen wie immer so auch in
dem neu angetretenen Lebensjahre das allerbeste Glück von Herzen wünsche. —
Denn in Zeiten wie diese könnte es sonst leicht den Anschein gewinnen, als hätte
einer von den vielen lockenden Irrwegen auch mich weit von Ihrer ruhigen Bahn
hinweggeführt; welches vielleicht Ihnen nicht, wohl aber mir sehr schmerzHch
wäre. — Der 4te May hatte eine heitere Gesellschaft bei mir zusammengeführt.
Voigdt, Sachs, Sanio, Sieffert, Taute und ich, wir feierten Ihren Geburtstag im
freundschaftUchsten Andenken an Sie mit allerhand philosophischen Gespiächen. Das
jeweilige Anstreifen an die Tagespolitik brachte die besten Wünsche für Sie und
Göttingen immer -wieder von Neuem zum Vorschein. Möchten sie doch bald in Er-
füllung gehen!
Für Ihr werthes Schreiben vom löten Januar sage ich Ihnen den verbind-
lichsten Dank. An der Vestigkeit Ihres Charakters hab' ich nie gezweifelt. Nur
möchte man zuweilen, durch Umstände || veranlaßt, die Art und Weise wie die Conse-
quenz aufrecht erhalten wurde näher kennen; und das war gerade mein Fall. Es
•) IV2 S. 4". N. {= Nachlaß, s. Vorwort).
2) 4 S. 4°. N. (-= Nachlaß, s. Vorwort).
Juni 1838. 309
hut mir leid, wenn ich im Feuer der Theilnahme Ihnen einige unangenehme Augen-
blicke verursacht habe, und bitte deshalb um Verzeihung.
Mit philos. Vorlesungen, welche das Denken in Anspruch nehmen, und nicht
bloß unterhalten wollen, ist hier jetzt wenig oder nichts zu machen (wenig durch
Taute, nichts durch mich). Es hat sich die Meinung geltend gemacht: Philosophie
sei eigentlich nur Wenigen Bedürfniß ; den Glücklichen, die ihrer nicht bedürfen,
sie aufzudringen sei eben so lieblos als thöricht; da nun aber doch einmal Philo-
sophie gelehrt werden müsse, so lasse man Logik und Metaphysik fahren, und be-
handle das Übrige so, wie es das meiste Interesse (= Unterhaltung) gewähre. Man
will also aus einer gewissen Gutmüthigkeit den Frieden nicht stören, den ein armer
Gymnasiast von Sexta bis Prima mühsam errang. Im Gegentheil: hier kommt ihm die
Hegeische Philosophie mit einem Kategorien-Polster entgegen, dort die Kirche, oder
vielmehr die Theologie, mit einer guten Portion Opium, dort die Industrie mit ihrer
praktischen Dialektik : kurz er muß in Frieden bleiben, oder doch bald hineinkommen.
Und doch ist nichts Erfreuliches dabei. Rosenkranz hat für seine Encyklopädie der
Philosophie ein überfülltes Auditorium. Kein Wunder, da es viel leichter ist, Hegels
Kategorien u. s. w. zu den gewöhnlichen || Vorstellungen hinzuzunehmen , als diese
selbst durch ein consequentes Denken zu berichtigen; vollends wenn die Sachen so
angenehm dargeboten werden, wie von Rosenkranz, dessen Darstellungsgabe wohl
einer besseren Sache zu wünschen wäre. Er weiß das, was die Leute schon kennen,
so hübsch zu bewegen, daß ein angenehmes Streifen der Vorstellungsmassen, ein
nicht verletzendes launiges Knistern, und ein romantisches Phautasiren entsteht;
wie denn davon seine Vorlesungen, die er diesen Winter auf Verlangen des Herrn
Oberpräsidenten v. Schön Ex. in dessen Wohnung vor einem großen aus Damen und
Herren bestehenden Publikum über die romantische Schule hielt, ein lebendiges
Zeugniß ablegten. Alles lobt seinen schönen Ausdruck, seine gemüthliche Laune,
sein großes Gedächtniß und seine ungemeine Belesenheit. Fragt man aber nach
dem, was vorgetragen wurde, so erfährt man höchstens einige Schlagwörter. Trotz
allem Reden wird das Denken zu wenig cultivirt. Doch ein ähnliches Schicksal
trifft auch diejenigen welche sich die Anregung des Denkens zum ernstlichsten Ge-
schäfte machen. Rosenkranz will Ihr System besonders durchstudiren, und ich soll
ihm dabei seine etwannigen Zweifel oder Mißverständnisse heben, was ich ihm auch
versprochen habe. Er hält nicht hinterm Berge, ich auch nicht: das wird also wohl j|
einen tüchtigen Disput setzen; ob was dabei heraus kommt? Das kümmert mich
nicht; wird man sich doch Manches wieder lebhafter vergegenwärtigen als es sonst
wohl zu geschehen pflegt.
Mit meiner Privatanstalt gehts nach den Umständen gut. Ich habe 43 sekr
nette G — 9jährige Knaben aus den gebildetsten Familien der Stadt, und ich ver-
säimie es nicht, so viel gesunde Begriffe über Erziehung und Unterricht zu ver-
breiten als möglich. Seit Michaeli v. J. lese ich mit 16 Knaben die Äneide, daß es
eine Lust ist. Ich begann damit, daß ich 6 — 8 Verse, je nachdem sie zu einem
kleinen Ganzen sich fügten, auf die Tafel schrieb, sie laut und rhythmisch vorlas,
übersetzte, erläuterte, dann im Chor nachlesen und von Einzelnen nachübersetzen
ließ. Den Tag darauf wurden die Vocabeln, welche nicht waren behalten worden,
aufgeschrieben, und einige Sätze grammatikalisch analysirt. Dann rückte das Lesen
weiter vor. Zum Neujahr d. J. hatte sich die Befremduug der Eltern soweit ge-
legt, daß sie den Kindern auf meinen Vorschlag die Äneide anschafften. Die
Leetüre geht langsam; (ich bin bis jetzt bis zum 520sten Verse des ersten Buchs
gekommen), aber sie wirkt gut: das Interesse in allen seinen Gliedern ist rege, ob-
gleich natürlich nicht in dem Maaße als es meist im Seminar bei der Odyssee der
3IO Juni 1838.
Fall war. Ich muß leider auf die Gymnasien soviel Rücksicht nehmen, in welche
meine Zöglinge später eintreten sollen, sonst würde ich ganz anders verfahren.
Selbst Lucas suchte mir die Äneide, so viel an ihm ist, todt zu schlagen; er, der
auf seiner Tertia den Ovid liest, der doch ohne Vergleich pädagogisch tiefer steht
als Virgil, wenn dieser auch nicht an die hohe Kindlichkeit Homei's heranreicht.
Empfehlen Sie mich gütigst Ihrer lieben Frau Gemahlin und bleiben Sie wohl-
gewogen Ihrem Sie hochschätzenden Freunde Gregor.
P.S. Struve ist am 5ten ds. mit Tode abgegangen. Diekmann hat eine päda-
gogische Gesellschaft aus hiesigen Lehrern gestiftet, und in Übereinstimmung mit
diesen auch mich zum Mitgliede erwählt. Sie hat den Zweck, wichtige pädagogische
Fragen schriftlich und mündlich zu erörtern; dazu kommt sie freilich nur 4mal des
Jahres zusammen. Ich habe erst einer Sitzung beigewohnt, die noch ziemlich viel
mehr Zungen als Ohren hatte, und im [Heckenjfeuer agirte.
634. Richthofen an H.') Brecheishof d. 13ten Juni 38
Mein verehrter Freund! Sie haben mir auf mein letztes Schreiben nebst Zinsen
per [unleserlich] nicht geantwortet, und ich weiß daher nicht ob Sie die Zahlung
der 3000 Thlr. Gold, die ich Sie term. Joh. anzunehmen bat, haar oder wie ich Ihnen
vorschlug in Staatspapieren wünschen. Erlauben Sie daher daß ich Sie deshalb um
Antwort bitte, indem das Geld bereit liegt. Nehmen Sie meinen Vorschlag Staats-
schuldscheine anzunehmen an, so treten Sie sofort wieder in sicheren Zinsgenuß.
Allerdings wechselt der Kurs sowohl der Papiere als des Goldes etwas, aber
3000 Thlr. werden wenn keine Kurswechsel bis dahin eintreten, ungefähr 3400 Thlr.
Silbergeld betragen, und das Agio der Staatspapiere mit c. 2'/, Prct durch die fälligen
Zinsen gedeckt werden. Sollten Sie nicht unter 8 Tagen antworten, so würde ich
voraussetzen, Sie wünschen Staatsschuldscheine; doch ist es mir ganz gleichgültig.
Nehmen Sie nur nicht übel, lieber Freund, || daß ich Sie unter meinen jetzigen Ver-
hältnissen bat, das Geld zurückzunehmen..
Leider habe ich soeben meinen lieben Freund Unterhokner verlohi'en; voriges
Jahr war ich eines Tags vergnügt bei ihm, noch an demselben Abend befiel ihn
eine Herzensentzündung; davon erhohlte er sich nie ganz, ahnte aber selbst keine
Gefahr. 14 Tage vor seinem Tode sah ich ihn zuletzt; da hegleitete er mich noch
auf ein nahe gelegenes Gut, und schien vollkommen kräftig; wir scherzten über
Invalidität. Zwei Stunden vor seinem Tode war er noch wohl; wahrscheinlich riß
ein Blutgefäß des Herzens. — Mein Verlust ist unersetzlich; wir waren 30 Jahre
wahrhaft vertraute Freunde, waren gegenseitig oft bei einander.
Möge Gott Sie erhalten, mein Freund, und Sie durch die Unruhen Ihres
Landes glücklich hindurchschiffen, und wenn auch unsere Ansichten etwas ver-
schieden sein sollten, Sie doch mein Freund bleiben. Mir steht die Sache ohnehin
sehr fern; es ist nur das allgemeine Interesse.
Meine Familie ist wohl; auch mein Göttinger Sohn ist seit länger zum Besuch
bei mir, da ihn das Heimweh ergriffen. Mit meiner Gesundheit geht es nicht gut,
aber doch leidlich j die Organe erschlaffen allmählig. — Grüßen Sie Ihre liebe Frau!
Ihr Freund Eichthofen.
635. Reiche-) an H. ' Adelebsen, den 13ten Jun. 38
Hochwohlgeborener Herr, Hochzuverehrender Herr Hofrath. Ew. Hochwohl-
geboren geehrte Zuschrift, die freimdliche Gewogenheit, mit der Sie meine be-
1) 2 S. 4«. N. (= Nachlaß, s. Vorwort).
*) 2 S. 4". N. — L. Ph. Aug. Eeiche, später Consistorialrath in Bückeburg.
Juli 1838. 3ti
scheidene Gabe aufgenommen haben, und nun die nachsichtige Güte, mit der Sie
diese schüchtei-nen Blätter') selbst womöglich einem größereu Publikum vorführen
wollen, II muß mich auf das dringendste zu tiefem, ergebensten Danke auffordern.
Schon längst würde ich mii- die Freiheit genommen haben, Ihnen die noch übrigen
Exemplare meiner Abhandlung ganz zu Ihrer Disposition zu überlassen, und hoffte
schon vor einigen Wochen Ihren gewogen tlichen Rath hierüber vernehmen zu dürfen.
Jedenfalls werde ich denn in den nächsten Tagen, wenn nicht plötzliche Hinder-
nisse eintreten, schon am Sonnabend, auch in dieser Hinsicht von neuem Ihre Güte
in Anspruch zu nehmen mir erlauben.
Mit vollkommenster Hochachtung habe ich die Ehre mich
Ew. Hochwohlgeboren ganz gehorsamst zu empfehlen L. Reiche.
^36. W. Herbart an H.-) Heidelberg, den 19ten Juli 1838
Mein lieber Herr Vetter! Ich würde schon längst dem Wunsche Ihrer Frau,
hin und wieder was von mir hören zu lassen, entsprochen haben, wenn nicht
Manches mich abgehalten hätte, unter anderm auch eine gewisse Ängstlichkeit, mich
mit Ihnen schriftlich zu unterhalten; daß ich diese letztere jetzt überwimden habe,
werden Sie unmittelbar aus diesen wenigen Zeilen ersehen. Zuvörderst sage ich
Ihnen und Ihrer Frau noch einmal Dank für die freundliche Aufnahme, welche ich
in Ihrem Hause gefunden habe, wenn ich gleich nicht umhin kann, zu bemerken,
■daß es von Anfang an mein Wunsch war, mit Ihnen selbst in ein etwas näheres
Yerhältniß zu treten, als geschehen ist; daß dieser mein Wunsch nicht erfüllt worden
ist, wird ohne Zweifel meine Schuld sein; indessen der Einfluß, den Sie und Ihre
Umgebung auf mich gehabt haben, ist doch nicht ohne Wirkung auf meine verwahr-
loste Erziehung geblieben und ich kann nur schmerzlich bedauern, daß ich nicht
das Glück gehabt habe, meine Schulbildung unter Ihrer Aufsicht zu vollenden. Doch
wozu über Gegenstände sprechen, die doch nicht mehr zu ändern sind!
Die schöne Lage Heidelbergs hat mich sehr entzückt und es gefällt mir hier
recht gut, zumal, da ich auch glücklich in der Wahl meiner Lehrer gewesen bin.
Das Staatsrecht, welches ich bei dem Dr. Zoepfl höre, hat mich wieder in nähere
Terbindung mit Ihrem Naturrecht gebracht, mithin auch mit der praktischen Philo-
. Sophie; außerdem beschäftige ich mich mit Ihrer Einleitung und ich nehme jetzt
Veranlassung, Sie um eine Erklärung über eine Stelle aus Ihrer Logik zu bitten,
die mir noch immer unklar geblieben ist. Es heißt nemlich S. 53 daselbst unten:
Sollten sie aber Eins und dasselbe sein, so daß auf die Frage: was oder
welcherlei ist dieß Eine? geantwortet werden müßte, es ist ein solches und auch ein
anderes, folglich nicht solches — also solches || und nicht solches einerlei, nemlich
die eine Bestimmung des Was jenes Einen — alsdann ist der Widerspruch vorhanden.
Ich glaube diesen Satz zu verstehen, die Undeutlichkeit scheint mir mehr in
■den Worten zu liegen; da nun quilibet optimus verborum suorum interpres ist, so
wage ich um eine Auslegung dieser Worte zu bitten. Außerdem aber stoße ich
doch noch ziemlich häufig beim Studiren Ihrer Schriften an, namentlich in der
Psychologie, von der ich leider nur das kurze Compendium besitze. — Mit der
Philosophie sieht es übrigens hier sehr kläglich aus, philosophische CoUegien werden
nur von einem früheren Professor der Katholischen Theologie in Freibui-g, Freiherrn
von Reichlin-Meldegg, der in Folge einer Heirath zum Protestantismus übergegangen
1^
, De Kantii antinomiis quae dicuntur theoreticis. Gekrönte Preisaufg. d. Gott.
Univ.. s. Bd. XHI, S. 322 ff.
«) 3 S. 40. — N.
212 Oktober 1838.
ist, gelesen. Die Coryphäen der Heidelberger Universität sind noch immer der alte
Thibaut, bei dem ich hin and wieder hospitire und Mittermaier. der mein Lehrer
im Civilprozesse ist und dessen ausnehmende Gelehrsamkeit ich jeden Tag zu be-
wundern Gelegenheit habe. Im Staatsrecht, welches der Dr. Zoepfl nach dem Com-
pendium von Maurenbrecher liest, finde ich ziemlich häufig Ihrer erwähnt, außerdem
aber auch der Philosophie des Rechts von Hegel; welche Geltung hat dies Buch
eigentlich? Der Dr. Zoepfl ist, wie mir scheint, ein sehr vernünftiger Liberaler, der
wenigstens den Vorzug vor dem alten Zachariä (welcher, beiläufig gesagt, trotz
seiner Million Vermögen wie ein Pariser Chiffonnier über die Straße geht), hat, daß
er seine Meinung gerade heraussagt und nicht die kitzlichen Punkte mit Papier-
streifen umwickelt, wie Hegel mit den metaphysischen Widersprüchen thut und der
alte Zachariä mit den Verhältnissen zwischen Regenten und Unterthanen, um sich
im Notbfalle doch immer noch eine Hinterthüre offen zu halten."
Wie sieht es denn eigentlich mit der Hannoverschen Angelegenheit aus? Die
Zeitungen habe ich seit Ostern kaum gesehen. Das Curatorium soll ja, wie man
hier sagt, an Albrechts Stelle den Professor Vollgraff aus Marburg berufen haben^
eine Acquisation zu || der man wohl kaum Glück wünschen darf, wenn man nur
oberflächlich sem Werk „über die Systeme der praktischen Politik im Abendlande"-
hat kennen lernen. — Die Bücher, welche Sie die Güte hatten, mir zu leihen
(Romang, über AVillensfreiheit, Krugs Logik u. s. w.) werden Sie hoffentlich wieder-
erhalten haben; sollte dieses nicht der Fall sein, so bitte ich Sie, mich davon zu
benachrichtigen.
In Ihrem Hause wird es jetzt wohl besser aussehen, wie im vorigen Winter;
ich wünsche es wenigstens von ganzem Herzen, namentlich Ihrer lieben Frau, die
gewiß unendlich durch eine solche grobe Verletzung des Vertrauens gelitten hat.
W^ollen Sie die Gefälligkeit haben, mir auf diese Zeilen, mit denen Sie übrigens
Nachsicht haben müssen, zu antworten, seien Sie überzeugt, mir dadurch eine Preudo
zu machen.
Meine Bitte um herzliche Grüße versteht sich von selbst.
Leben Sie wohl Der Ihrige W. Herbart.
637. Drobisch an H.') Leipzig, d. 11. Octbr. 1838-
Hochverehrter Gönner und Freund! Der Ueberbringer dieses Briefs Herr
Dr. ph. Großmann, der Sohn des hiesigen Professors der Theologie und Domherrn
gleiches Namens, wünscht einige begleitende Zeilen. Ich ergreife mit Vergnügen
diese günstige Gelegenheit, nach einer langen Pause wieder etwas von mir hören
zu lassen. Was zunächst H. Gr. betrifft, so hat er sich so viel als ihm die Theo-
logie zuließ mit Philosophie beschäftigt und wünscht nun, nachdem er das Candidaten-
examen im Rücken hat, noch einen Cursus der Philosophie bei dem Meister selbst
zu hören. Ich habe ihm die Mathematik ans Herz gelegt, in der er nach sächsischer
Weise, nicht so firm war, wie zu wünschen. Er hat hier in der letzten Zeit des-
halb ein Privatissimum genommen und wird dies in Göttmgen ebenfalls thun.
Schilling ist sein vertrauter Freund; ich hoffe, Sie werden einen eifrigen und auf-
merksamen Zuhörer an ihm haben. — Was mir Hartenstein von Ihrem und Ihrer
verehrten Frau Gemalilin Wohlseyu gesagt hat, war mir sehr erfreulich, wie ich
denn auch sonst überhaupt an diesem Besuch H's bei Ihnen lebhaften Antheil ge-
nommen habe. Mit Vergnügen habe ich auch von den weitergreifenden mathe-
matischpsychologischen Arbeiten gehört. Werden diese wohl gemeinschaftlich mit
1) 2 S. 4». H. Wien.
Oktober 1838. 313
den Abhandlungen erscheinen, die Sie vor einem Jahr mir im Mspt vorzulegen die
Güte hatten? Ich hoffe nun auch, Psychologie lesend, wieder auf meine geringen
psychologischen Arbeiten zurückzukommen. Diesen Sommer hat mich, parallel den
Vorlesungen, Logik und Metaphysik beschäftigt, namentlich die Vergleichung der
Logik mit der Ethik. Ich habe darüber bis jetzt etwas über 6 Bogen Mspt nieder-
geschrieben, ohne der Abhandlung zunächst eine öffentliche Bestimmung gegeben
zu haben. Sie werden mir zutrauen, daß ich nicht solchen "\\^rrwarr |1 in die Logik
bringen werde wie Bobrik, dessen Buch, wie ich höre, viel Kopfschütteln erregt,
da er sich noch immer wenigstens als Ihren Schüler bekennt. Es wäre also wol
gut, einmal die Scheidewand zu ziehen. Denn solche wissenschaftliche Freunde
helfen uns nichts. Ich würde aber ganz in meinem eignen Namen sprechen müssen,
denn es fragte sich doch zuletzt noch, ob Sie mit meinen „logischen Ideen" ein-
verstanden seyn würden. Dies Zeugnis kann ich mir geben, daß ich nicht nach
bloßen Analogien gehascht, sondern die Logik als Logik festzuhalten gesucht habe.
Nun entstände zunächst nur ein interessantes architektonisches Yerhältniß,
nämlich dies, daß die Logik, weil Denken ein vom Willen regiertes Vorstellen ist,
neben die Ethik zu stehen kommt, und gar Manches mit ihr gemein hat. Sodann
führt mich diese Behandlung dahin, in der logischen Methodenlehre mancherlei zer-
streuten Stoff unter den Titeln der Dialektik und Methodik zu verarbeiten und die
Lehre von Grund und Folge und ihre Entwicklung nach der Methode der Be-
ziehungen mit aufzunehmen. Doch es kommt nicht viel dabei heraus, so außer dem
Zusammenhange von solchen Sachen zu reden. Vielleicht bitte ich einmal um Er-
laubniß, Ihnen das Mspt zu einer ganzen Abhandlung zu überschicken.
Es wird mich herzlich freuen, bald einige Zeilen Ihrer Hand zu erhalten.
Meine Frau empfiehlt sich mit mir zugleich Ihnen und Ihrer verehrten Frau Ge-
mahlin. Wir sind nebst unsern Kindern für jetzt gesund.
Mit der aufrichtigsten Versicherung unveränderter Verehrung und Anhäng-
lichkeit der Ihrige Drobisch.
638. An Drobisch. 1) Göttingen 31 October 1838
Mein theurer Freund! Ein Briefwechsel stockt leicht, wenn man von
beyden Seiten vermeidet, sich in unnützen Klagen zu ergießen, und eine
Theilnahme zu veranlassen, die nun einmal nicht thätig seyn kann. Doch
vielleicht sind wir darin zu weit gegangen. Daß Ihre häusliche Freuden
wieder vielfach durch Kränklichkeit getrübt werden, habe ich inzwischen
von Andern vernommen. Mit stillem Bedauern habe ich mich gehütet,
zudringlich zu erscheinen; wie es meine Briefe an Sie fast unwillkührlich
sind, weil es meinerseits immer etwas zu wünschen giebt. Jetzt aber
muß ich Sie ausdrücklich bitten, das Nachstehende nicht als eine Zu-
dringlichkeit anzusehn. Es kommt mir nur darauf an, benachrichtigt
zu werden.
Sie hatten den Plan, eine Einleitung in die Psychologie zu schreiben.
Ihr Gespräch mit Gauß schien Sie insbesondere zur Beleuchtung der
Fundamental -Begriflfe aufzufodern; und bey den hiesigen Umständen, die
sich immer kläglicher offenbaren, muß ich so gut als Verzicht darauf
leisten, mündlich noch irgend etwas zu thun um vorzubeugen, daß nicht
nach einem Jahre mathematische Psychologie völlig verschollen sey. Unter-
') 4 S. 4"-
314 Oktober 1838.
dessen geht mir doch Einiges im Kopfe herum, oder kommt aus meinen ||
alten Papieren wieder zum Vorschein,
und da kommt, eben indem ich an Sie schreibe, Herr Dr. Großmann
mit Ihrem werthen Briefe, — dieser Brief sagt mir, daß Sie und die
Ihrigen für jetzt gesund sind. Möge es denn so bleiben! Ferner sagt
mir Ihr Brief, daß Sie mit ,, logischen Ideen'' beschäftigt sind. Darüber
kann ich gleich aus dem Stegreife soviel sagen, daß, wenn ein Andrer so
spräche, ich mich zu einem Fragezeichen versucht fände; bei Ihnen aber
hat, wie ich vest und zuversichtlich glaube, die Logik nichts zu fürchten,
sondern nur zu hoffen. Überdies wollen Sie zu Ihren psychologischen
Arbeiten zurückkehren, — Schön! aber muß ich wohl vermuthen, daß Sie
über die Form dieser Arbeiten noch nichts beschlossen haben? sondern
noch mit bey Seite gelegten Entwürfen beschäfftigt waren?
Meinen frühern Faden wieder anknüpfend muß ich anzeigen, wovon
ich wünschte benachrichtigt zu werden. Davon nämlich, ob ich darauf zählen
dürfe, daß Sie für ein solches Publicum, welches von mathematischer
Psychologie noch keinen rechten Begriff hat, aber für Belehrmig empfänglich
und derselben werth ist, — die Feder führen wollen? Geschieht das
nicht: so müßte ich wohl noch einmal ab ovo anfangen, allein dann
komme ich vielleicht gar nicht mehr dazu, || noch etwas drucken zu lassen,
(wo nicht gar unsre berühmten Sieben mir noch einmal die Feder in die
Hand zwingen — welches Gott verhüte!) sondern betrachte mich lieber
als einen literarischen emeritus, der mit der Welt gebrochen hat, und
bloß noch sich selber lebt. Dafür habe ich jedoch noch zuviel Vorrath.
Wäre ich aufgelegt zum rechnen, (was gerade mir meine Gesundheits-
Umstände kaum erlauben) so brächte ich es leicht noch bis zu einer
Reihe von Untersuchungen parallel derten, die in meinem Buche gedruckt
sind; ich meine, im ersten Band der Psychologie. Aber neue Künste
der Darstellung anzuwenden, um den Unkundigen begreiflich zu machen,
was so Viele nicht begreifen wollten um ihre Vorurtheile nicht aufgeben
zu müssen: dazu hat mein Alter keine Geduld und kein Geschick. Sie
hingegen könnten Sich, mit dem größten Talent der Darstellung, auch
den vollen Beruf zuschreiben, in lichtvoller Kürze das Treffendste und
Nöthigste zu sagen; — und dann bekäme ich Muth, die neuere Fort-
setzung meiner frühern Arbeiten niederzuschreiben, soweit es noch gehn will.
In lebhaftere Bewegung kam ich vor ein paar Monaten, blätternd in
Lacroix's traite elementaire du calc. diff. et int. i) als ich dort im § 286
die Methode fand, mehrere Differentialgleichungen für mehrere Ver-
änderliche zu behandeln. Diese war mir gänzlich unbekannt gewesen;
ich versuchte sie, und fand sie ebenso bequem, als glücklich ausgesonnen.
Es war ein Fund, gerade wie ich ihn nöthig hatte. — Aber was mache
ich? Vielleicht finden Sie Sich || nun zu Erwartungen berechtigt, die ich
keineswegs befriedigen kann. Bis jetzt habe ich nichts als einige noth-
wendige Vorarbeiten; von eigentlichen Aufschlüssen über bekannte Fragen
darf ich nichts rühmen. Indessen Sie wissen ja, wie langsam man vor-
^) S. F. Lacroix (1765 — 1843), Trait6 du calcul differentiel et du calcul integral.
Paris 1797.
November 1838. 3 15
rückt, und wie man auch die unscheinbarsten Resultate, als vielleicht
einmal brauchbar, sammeln muß.
Hat Bobriks Buch irgendwo Aufmerksamkeit erregt? Einige Nachricht
wäre mir erwünscht; ich selbst lese nichts von Zeitschriften o. d. gl. —
Auch mag ich nicht wider ihn sprechen. Vor mir muß Jeder seine
Freyheit behalten, abzuweichen, so lange er nicht betrübende Verwirrungen
durchzusetzen vermag; und wenn Sie jetzt mehr als früher eine starke
Zurückweisung nöthig finden, so werden Sie doch wohl bemerklich machen,
daß die Neigung zum Synkretismus nichts Neues ist, auch bey Bobrik
nicht ohne Gelehrsamkeit zum Vorschein kommt. Seine Gewandheit hat ihn
verleitet; diese ist sein Talent; für die Wissenschaft nicht das glücklichste.
4 Nov. Dieser Brief ist ein paar Tage liegen geblieben. Unterdeß
sind mir Ihre logischen Ideen wieder eingefallen. Möglich, daß Sie damit
gerade das trefien, worauf es heutiges Tages am meisten ankommt, das,
was man bey der Speculation beabsichtigen soll. Da wäre denn Anlaß
— oder vielmehr höchst nöthig, auf Schleiermachers Dialektik, die wie
ich höre eben heraus gekommen ist, desgleichen auf deren Wurzeln, die
ältesten Schellingschen Schriften (über die Möglichkeit einer Form der
Philos. und über das Ich), ja auch auf Fichte — über den Begriff der
Wissenschaftslehre — und auf den Anfang und den Plan der Hegeischen
Encyklopädie, Rücksicht zu nehmen. Sorgen Sie nur, daß Sie vollen
Athem haben, und lassen Sie nicht wieder ab! Das Aufschieben taugt
nichts. Ich wünsche das Werk baldigst gedruckt in Händen zu haben;
— nicht aber das Manuscript. Soll ich noch zu Etwas kommen, dann
darf nichts Fremdartiges mir dazwischen kommen.
Unverändert der Ihrige! H,
Für meine psychologischen Vorlesungen ist doch noch ein kleines
auditorium zusammen gekommen. Es wird nun auf meinen Gesundheits-
zustand ankommen. Viele Empfehlungen an Hartenstein.
639. Drobisch an H.^) Leipzig, d. 19. Novbr. 38.
Hochverehrter Gönner und Freund! Wenn ich Ihren mir höchst erfreulichen
Brief heute erst beantworte, so glauben Sie ja nicht, daß auch ich Ihre Wünsche
für- Zudringlichkeiten halte. Das was Sie so nennen, ist für mich immer eine höchst
erwünschte Anregung, und einer solchen bedurfte es allerdings für die Psychologie,
denn seit Mai, wo mich, die Göttinger HeiTen verließen, habe ich nichts wieder
daran gethan. Ich muß Ihnen gestehen: ich schied von ihr höchst ermüdet
durch eine Menge mißlungener Versuche, Licht in Grundbegriffe und Materien
andrer Art zu bringen, die mir nicht genügten, und über die ich bei Andern
keine Ueberzeugung hervorbringen konnte. Gleich wohl fiel es mir nicht etwa
ein, die Sache aufgeben zu wollen, nur wartete ich auf bessere Zeit und
starkem Muth. Mit dem Einzelnen, das großentheils unter uns schon Gegen-
stand von Erörterungen gewesen ist, will ich Sie nicht behelligen: nur so viel
wiU ich sagen: Die Gaußschen Einwürfe waren es nicht, und der Grund meiner
Unzufriedenheit ward durch die Parallele mit der physischen Statik und Mechanik
gelegt, da ich die psychische nicht so nahe zu bringen vermochte, als ich hoffte
und wünschte. Ich habe nun jetzt wieder meine Arbeiten durchmustert. Sie bilden
») 4 S. 4°. H. Wien.
2i6 November 1838.
fünf oder sechs Abhandlungen. 1) Ueber die Aufgaben, Hülfsquellen und Methoden
der Psychologie. 2) Abriß der empirischen Psychologie (wie sie dem vorurtheils-
freien Beobachter erscheinen || mochte und sie auf eine mathematische Dynamik des
Geistes führen muß.) 3) Entwickelung der Grundbegriffe der mathem. Psych, nach,
den Andeutungen der Erfahrung. 4) Hauptlehren der psych. Statik und Mechanik.
Dabei vielleicht eine Vergleichung mit der physischen Stat. u. Mech. und überhaupt
einigen Capiteln der mathem. Physik. 5) Zur Geschichte u. Kritik der Seelen-
vermögen bei Aristoteles, Wolf, Kant, Fries pp. An allen diesen Abhandlungen
habe ich abwechselnd gearbeitet, und einige kann ich als fertig ansehen. Aber jetzt
fragt es sich, ob es, um der guten Sache willen, räthlich ist, damit hervorzutreten.
Ich kann das Ihrer Beurtheilung überlassen. Glauben Sie, daß es, um, wie Sie
sagen, zu verhüten, daß die mathem. Ps;j'ch. in Vergessenheit komme, nothwendig
sey, bald etwas über sie zu schreiben damit nur die Erörterung in Gang komme,
gut, dann kann ich hervortreten. Fürchten Sie aber, daß etwaige wissenschaftliche
Differenzen, in Absicht auf Formeln und überhaupt auf den mathematischen Theil
der Sache, hier einen üblern Eindruck machen könnten als dies in den Naturwissen-
schaften der Fall ist, so werde ich schweigen um eine reifere Zeit oder vielleicht
auch reifere Gedanken zu erwarten. Denn das kann ich freilich nicht verhehlen,
daß ich nicht beim Commentiren stehen bleiben, sondern eigne Wege versuchen
würde und dabei natürlich die Gründe anzugeben hätte, die mich dazu bewegten.
Wir beide und alle Vernünftigen würden daran keinen Anstoß nehmen, die Un-
vernünftigen scheinen || aber der Berücksichtigung nicht werth. Doch das mögen
Sie eben beurtheilen ! In jedem Falle aber muß ich Sie dringend bitten, es als eine
Verpflichtung gegen die Nachwelt anzusehen, was Sie in Ihrem Pulte oder in Ihrem
Kopfe über mathematische Psychologie noch besitzen , noch zu Tage zu fördern.
Gesetzt diese Dinge gingen dereinst mit Ihnen verloren, so würde so leicht und so
bald Niemand zu finden seyn, der diesen Verlust zu ersetzen vermöchte, denn ge-
setzt selbst, es wären darunter fehlerhafte Theorien, so beherrschen Sie doch viel
zu tief das Feld der psychischen Phänomene", als daß Sie Theorien aufstellen sollten,
die nicht jedenfalls der Erfahrung sehr nahe sich anschließen. Wer es besser
machen will als Sie, dem werden Ihre Arbeiten jedenfalls zum Maßstab dienen
müssen, und Sie haben ja durch Ihre Metaphysik gelehrt, wie selbst Irrthümer
methodisch behandelt zur Wahrheit führen. Ob ich, für jetzt wenigstens über
Psychologie schreiben soll oder nicht das lege ich, wie Sie sehen, in Ihre Hände;
denn die Sache ist für mich kein Gegenstand des Ehrgeizes, und es sollte mir leid
thun, wenn ich Verwirrung anrichten zu wollen schiene, wo meine Absicht nur die
ehrlichste ist. Von meinem Schreiben oder Nichtschreiben kann und darf aber das
Ihrige nicht abhängen, sondern dieses sind Sie der Welt schuldig.
Was die Logik betrifft, so liegt es allerdings bei der weitern Ausführung in
meiner Absicht, auf die Dialektik unserer Zeit mit Rücksicht zu nehmen.
Schleiermacher's Dialektik ist indeß, so viel ich weiß, noch nicht heraus.
Auch wird dies noch ernste Vorstudien nöthig machen: denn ich möchte die Schrift
nicht als Gelegenheitsschrift betrachtet wissen, wozu ich ganz und gar nicht tauge. ||
Daher werde ich wol in Absicht auf die Zeit der Erscheinung dessen, was ich etwa
zu schreiben vermag, immer hinter Ihren Wünschen und Erwartungen zurückbleiben.
Doch hoffe ich, Eeifes kann' nicht zu spät kommen.
Bobrik's Buch ist bis jetzt sehr unbemerkt geblieben, also Aufsehen könnte
mich nicht veranlassen, das zu verbessern, was ihm mißlungen ist. Mit der Gunst
des Zeitgeistes zu steuern, kann uns überhaupt wol nicht mehr beikommen. Man
erkennt nun eine Il.'sche Schule an, aber wir bleiben ecclesia pressa. Die Hegelianer
Dezember 1838. 317
wuchern wie Unkraut, zerfallen unter sich in Parteien, die sich heftig bekämpfen,
machen aber damit dem Publicum nur um so sichrer glauben, daß es außer ihnen
nichts giebt. Mit diesem frechen verwegenen Volk ist nicht mehr fertig zu werden,
und wenn Einer käme, der eine kritische Keule wie Lessing führte. Die Sprache
haben sie in der Gewalt, Leute von Geist sind auch darunter, zu verlieren haben
sie nichts, und so gleichen sie den Juden, deren scharfem Witz und unverschämter
Verwegenheit nicht beizukommen ist. So etwas amüsirt das große Publicum wie
das Gezanke von Marktweibern. Die neuen Hallischen Jahrbücher von Rüge und
Echtermeyer sind jetzt der Tummelplatz. Wenn man denkt, daß solche Parteiwuth,
solches Geräusch, solche conventionelle Phraserei Philosophie seyn soll, so sinkt der
Muth tief. Wenn nur der Nachwuchs unter den Docenten der Philosophie besser
wäre: aber unter den Jüngern fast nichts als Hegelianer. Das wird auf der Zu-
kunft lasten. Darum sollten Männer wie Lott nicht zögern, sich zu habilitiren.
Zuletzt bleibt nichts übrig als sein Möglichstes zu thun und für eine bessere Zeit
zu arbeiten.
Mit den verbindlichsten Grüßen an Ihre Frau Gemahlin von mir und meiner Frau
Ihr innig ergebener Drobisch.
640 An Schubert. Göttingen am Weihnachtsabend 1838
Mein hochgeehrter Herr College! Eben hat meine gute Frau mit
wohlgewählten Geschenken und freundlicher Austheilung das Haus und
auch mich erheitert; ich ergreife diesen Augenblick, um etwas minder
trübe an Sie zu schreiben. Freylich nicht ohne unvermeidliche Klagen!
Solche sind nöthig schon um mich wegen meiner sonst unverzeihlichen
Brief-Schuld bei Ihnen einigermaßen zu rechtfertigen.
Correspondenzen von hier aus waren in dieser Zeit, wo es sich um
Besetzung der vacanten Stellen handelt, eine bedenkliche Sache. Im
Sommer wurde unter andern Ihr Name genannt; ich durfte nicht zureden,
nicht abrathen. Der Parteigeist soll sich in Correspondenzen dergestalt
ergossen haben, daß ich an den Vorwürfen, die man darüber hört, nicht
den mindesten Theil haben mochte.
Der Unpartheyische ist in der Mitte der Partheyen immer schlimm
gestellt. Nicht als ob ich es mit Allen verdorben hätte, — ich wurde
ohne das mindeste Zuthun in den hier wählbaren Senat wieder gewählt,
und es gab Einige, die mich noch weiter hervorziehn wollten. Allein
ich lebe zurückgezogen wie eine Schnecke. Politische Partheysucht ist mir
im höchsten Grade zuwider; und Sie erinnern sich vielleicht noch, wie
wenig Werth ich, meiner Überzeugung nach, auf künstliche Staatsformen
legen kann. Vollends aber auf einer Universität! Hier, wo nicht bloß
Inländer studiren! In diesem Lande, wo es keine großen Städte, folglich
keinen Städte -Geist, sondern eine alte Aristokratie giebt! In dieser Zeit
des Verdachts und der Gegenwirkungen! Das Alles, nachdem man, bey
nahe bevorstehendem Thronwechsel, sorglos wegen dessen was man voraus-
sehen mußte, eine Verfassung hingestellt hatte, die Niemanden bevoll-
mächtigte, für sie das Wort zu nehmen! Und jetzt — Schmähungen der
Andersdenkenden, als ob man im mindesten berechtigt wäre, Einhelligkeit
der Meinungen zu fordern! Da ist wahrlich das Schweigen viel schwerer
als das Reden seyn würde.
7i8 Dezember 1838.
Und doch, — für wen würde man scheinen zu reden! — —
Selbst jetzt noch muß ich Sie bitten, diese meine Äußerungen nicht
laut werden zu lassen. Wir sehen in diesem Augenblicke um nichts klärer
in die Zukunft wie früher.
Für die Kantischen Werke meinen herzlichen Dank. Nur bedauere
ich die Concurrenz — gerade mit meinem Freunde Prof. Hartenstein,
den die Herausgeber der andern Edition für ihr Geschäft gewonnen
haben. — Auch Hrn Prof Rosenkranz bitte ich nebst meiner Empfehlung
meinen Dank abzustatten.
Und an Sje richtet sich noch ein zweyter Dank für die Sendung
der nachgelieferten Honorare. Was aber die Quitung und den Empfangs-
schein wegen des von Ihnen erwähnten Wittwen-Cassen-Reverses anlangt,
so bin ich der Formen zu wenig kundig, um zu glauben, daß ich ohne
weitere Anweisung der Pünktlichkeit Ihrer dortigen Universitäts- Gasse
Genüge leisten würde, daher erlaube ich mir, an Ihre Güte mich mit der
Bitte um das Formular zu wenden, welches man wird beachtet wissen
wollen.
Ihr werther Brief sagt mir etwas von aufrichtiger Freude, die mein
Besuch, wenn ich einmal Königsberg wieder sähe, dort bey einigen mir
Wohlgeneigten hervorbringen könnte. Eine solche Sprache wirkt in Zeiten
wie die jetzigen, besonders erheiternd; und wenn ich Hoffnung hätte, daß
meine Gesundheit sich durch eine Reise stärken könnte, so möchte ich
den Gedanken nicht ganz aufgeben. Von Ihnen erwarteten wir zur Zeit
des Jubiläums den Besuch so sicher, daß wir darauf dachten, Ihnen ein
freylich enges Plätzchen in unserer Wohnung anzubieten. Spätere Hoff-
nungen — doch von denen wollte ich ja schweigen! und muß dieselben
ja wohl jetzt aufgeben, da ich nichts näheres erfahre. Ihre angenehmen
Nachrichten von Lobecks Wohlseyn, Siefferts Wiederherstellung, Sanios
Thätigkeit verdanke ich herzlich. An unsern guten Dr. Taute denke ich
bald zu schreiben; nur muß ich erst ein Manuskript fertig machen, das
mich drängt. Besser wäre eins von ihm. Was Hrn Thomas anlangt,
so werden Sie ihm bessern Rath ertheilen können als ich. Staatswissen-
schaftliche Vorlesungen neben Havemann, — vollends nach Dahlmann,
den man ja als unersetzlich betrachtet? — Philosophische neben Rittern,
um von Bohtz und mir nicht zu reden? — In dieser Zeit, wo Göttingen
fortwährend abnimmt, und man nichts Klares vor sich sieht? —
Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin empfiehlt sich meine Frau nebst
mir aufs angelegentlichste. Lassen Sie uns bald von Ihnen und den Ihrigen
das Beste und Erfreulichste vernehmen ; erneuern Sie mein Andenken bey
denjenigen Herrn Collegen die mir zugethan sind. Mit größter Hoch-
achtung der Ihrige! H.
Von Heeren sage ich Ihnen noch, daß er mit besonderer Werth-
schätzung Ihrer statistischen Einsichten zu erwähnen pflegt. Der treff-
liche Mann sinkt leider sehr zusammen; nur auf seinem Sopha ist er
noch lebhaft im Gespräch; aber er fühlt sehr, daß er Gegner hat.
Druck von Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann) in Langensalza.
Das Herbartdenkmal in Oldenburg.
JOH. FRIEDR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
JOH. FR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
IN CHRONOLOGISCHER REIHENFOLGE
HERAUSGEGEBEN
yoK
tKARL KEHRBACH UND OTTO FLÜGEL
NEUNZEHNTER BAND.
BEARBEITET
VON
THEODOR FRITZSCH.
LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
1912
BRIEFE VON UND AN
J. F. HERBART.
URKUNDEN UND REGESTEN ZU SEINEM LEBEN
UND SEINEN WERKEN.
MIT VIER BILDERN.
4. BAND.
(VON 1839 — 1842, Nachträge und Register.)
MIT EINEM BILDE DES HERBARTDENKMALS.
VON
THEODOR FRITZSCH.
.
MiCROröRMEO BY ;
DATH ^^^ 2 2 1990
LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
1912
Alle Rechte vorbehalten.
Briefe von und an
J. F. Herbart.
Urkunden und Regesten zu seinem Leben und seinen Werken.
Von
Theodor Fritzsch.
lY.
Hs&BARTS Werke. XIX.
»Ich muß wirken, solange es noch Tag ist.«
Herbart an Drobisch.
»Mein Schicksal in einem schon langen Leben war
immerfort desto mehr arbeiten zu müssen, je mehr Andre
verdarben.«
Herbart an Griepenkerl.
1839.
W.: Psychologische Untersuchungen. — (S, Bd. XI. S. 45 — 432.)
641. W. Herbart an H.') Heidelberg, den 16ten Februar 39.
Mein lieber Herr Vetter! Ich würde es nicht gewagt haben, mich noch ein-
mal schriftlich an Sie zu wenden, da mein voriger Brief leider unbeantwortet ge-
blieben ist, wenn nicht der Veranlässungsgrund meines heutigen Schreibens mich
zur Genüge entschuldigt.
Ich machte nämlich heute Morgen einen Besuch bei dem Herrn Geheimrath
Mittermaier, der in diesem Semester mein einziger Lehrer ist. Bald kam das Ge-
spräch auf Göttingen und auf Sie. Das Cultusministerium hat schon lange gewünscht,
hier in Heidelberg einen Lehrstuhl der Philosophie, die hier ziemlich im Argen
liegt, zu errichten, allein theils hat es bis jetzt an den Mitteln gefehlt, theils haben
sich andere Hindernisse entgegengestellt. Da nun gegenwärtig Beides gehoben ist,
so bemüht man sich aufs Neue, diesen lange gefaßten Vorsatz in Erfüllung || zu
bringen. V^on dem Herrn Geh. Rath Mittermaier erfuhr ich heute, daß man längst
auf Sie sein Augenmerk gerichtet habe, indessen habe man bisher immer gefürchtet,
Sie würden sich nicht bestimmen lassen, Ihre jetzige Stellung zu verlassen. Ich
selbst halte diese Furcht für nicht begründet und dieß sprach ich denn auch offen
aus; Herr Geheime Eath M. fragte mich darauf, ob ich diese meine Ansicht für
zuverlässig hielte. Da ich dieß natüiiich nicht bejahen konnte, so protestirte ich
gegen jeden Gebrauch, den man von dieser meiner Aeußerung etwa würde haben
machen wollen, vielmehr erklärte ich, daß ich gern bereit wäre, mir selbst dariiber
Gewißheit zu verschaffen. Ich bin nun freilich kein Mandatarius des Herrn Geh.
Rath M., bin aber doch von ihm autorisirt worden, Sie selbst zu fragen, ob Sie
nicht abgeneigt wären, den Lehrstuhl der Philosophie an der hiesigen Universität
einzunehmen; sei dieß Ihren Absichten nicht direkt entgegen, so bedürfe es nur
eines Wortes, um auf offiziellem "NVege eine Berufung an Sie gelangen zu lassen.
Ist Ihnen nun ein solches Anerbieten nicht unwillkommen, wie ich kaum bezweifeln
kann, so ersuche ich Sie nur, mir ein ;| paar Worte von Ihrer Bereitwilhgkeit merken
zu lassen, die ich dann dem Geh. Rathe M., der, beiläufig gesagt, die Seele der
Universität ist, mittheilen werde, worauf dann die weiteren erforderlichen Schritte
gewiß sogleich gethan werden. Außerdem muß ich jedoch noch hinzufügen, daß es
ohne besondere Bewilligung und Benehmen mit den Ständen nicht möglich sein
wird, einen größeren Jahrgehalt als 2200 Gulden zu offeriren.
Ich selbst kann natürlich nichts thun, um Sie zu der Annahme dieses An-
erbietens zu bewegen, glaube aber doch hinzufügen zu dürfen, daß Sie hier gewiß
1) 4 S. gr. 80. H. Wien.
März 1839.
in diesem glücklichen Süden und vorzüglich in diesem zufriedenen Großherzogthum
Baden ein angenehmeres Leben und zugleich ruhigeres führen würden als in dem
durch politische Ereignisse neuester Zeit so unglücklichem und unruhigem Hannover.
Jedenfalls sehe ich mit gespannter Erwartung Ihrer Antwort, die hoffentlich dieß-
mal nicht lange ausbleiben wird, entgegen.
Was meine Aussichten anbetrifft, so habe ich mich entschlossen, Ostern noch
ein Jahr nach Berlin zu gehen, ein Entschluß, der übrigens durch die Annahme
des Ihnen || gemachten Vorschlags eine Abänderung erleiden dürfte. Sollte dieß
aber nicht der Fall sein, so habe ich wenigstens das Vergnügen, Sie um die Mitte
April in Göttingen persönlich wiederzusehen, ich werde daselbst 8 — 14 Tage ver-
weilen, wenn ein solcher Aufenthalt meine Reisekosten nicht sehr vermehren würde.
Ungern verlasse ich übrigens Süddeutschland und namentlich die herrliche
Umgebung Heidelbergs ; Ihre Hierherkunft allein würde mich hier, da Mittermaier
den nächsten Sommer nicht lesen, sondern auf den Landtag gehen wird, noch einen
Sommer zurückhalten können; kommen Sie nicht, so wird die Rücksicht auf mein
Studium mich bestimmen, Ostern nach Berlin zu gehen.
Ihre liebe Frau wird sich in dieser wundervollen Natur gewiß sehr glücklich
fühlen. Ich bitte herzliche Grüße an Sie und Otto zu bestellen und erwarte Ihre
baldige Antwort. Der Ihrige W. Herbart.
Randbem.: Auch, wenn Sie nicht auf den gemachten Vorschlag eingehen
sollten, bitte ich um ein paar Zeilen Antwort.
642. F- Ranke an H/) Gott. 17 März 39
Hochverehrtester Herr Hofrath, Leider habe ich doch einen Fehler gemacht,
als wir neulich den Dienstag zu ihrem gütigen Besuche unserer Anstalt bestimmten,
da gerade dies bisher der einzige Tag war, wo keine griechische Stunde fiel ; ich
hatte soeben den Entwurf für das Sommersemester gemacht, und darin auf jeden
Morgen ohne Ausnahme eine griechische Stunde gelegt: dies schwebte mir vor und
brachte mich zu dem Irrthum.
So sehe ich mich denn zu der ergebensten Bitte genöthigt, wo mögüch nächsten
Mittwoch oder Freitag oder Sonnabend Sich gütigst auszuwählen; an diesen drei
Tagen wird es uns außerordentlich erfreulich sein, Sie bei uns zu sehen. Übrigens
genügt eine mündliche Antwort vollkommen; ich würde selbst gekommen sein, und
persönlich meine Bitte vorgetragen haben, wenn nicht meine vielfachen Arbeiten
mich an das Zim || mer fesselten.
Mit herzlicher Verehrung und Dankbarkeit für die vielfache Belehrung und
Anregung, die ich Ew. Hoch wohlgeboren freudig verdanke, verharre ich
Ew. Hochwohlgeb. gehorsamst ergebener F. Ranke.
643. Brief W. Herbarts an H. i S. 4" aus Heidelberg, 23. März 39 im N.
644. An Drobisch.2) Göttingen 7 April 1839
Hier, mein" verehrter Freund! empfangen Sie von meinen psycho-
logischen Abhandlungen 3) die ersten drey Bogen. Der Druck geht
langsam; und ich konnte nicht füglich eher an Sie schreiben, als bis ich
^) 2 S. 4". N. — F. Ranke, damals Dir. des Gott. Gymn., an dem Griechisch
nach den Vorschlägen Herbarts erteilt wurde. S. unten S. 6 u. S, 53.
') I S. 4".
^) Psychologische Untersuchungen.
April 1839. 5
wenigstens Etwas hatte um es Ihnen vorzulegen. Jetzt überlasse ich Sie
einstweilen Ihren Gedanken. In Erwartung dessen, was Sie mir davon
werden mittheilen wollen, versichere ich Sie nur noch von dem was Sie
ohnehin wissen, daß jede Nachricht von Ihnen, und was Ihnen Frohes
oder Leides begegnet, bey mir immer eine aufrichtige Theilnahme finden
wird. Hochachtungsvoll der Ihrige! H.
645. An Taute. 1) Göttingen 8 April 1839
Mein theurer Freund! Wenn Sie geglaubt haben, ich sey todt, oder
eingeschlafen, oder in böse Träume versunken, so ist's kein Wunder. Aber
es ist noch nicht so schlimm; obgleich ich oft selbst an meinen Kräften
gezweifelt habe. Nicht die politischen Umstände allein waren mir schwer;
es giebt Dinge, die mir näher liegen. Wo ich meine Untersuchungen
am sichersten geschützt glaubte, da steht nicht alles so vest, daß ich mich
auf Andere verlassen dürfte; vielmehr gilt das alte Sprichwort, wer nicht
vorwärts kommt, der geht zurück. Nach solchen Wahrnehmungen durfte
ich nicht feyem ; psychologische Abhandlungen sind von mir unter der Presse.
Auch die politischen Umstände, obgleich noch nicht geordnet, klären
sich doch in den nächsten Beziehungen einigermaßen auf.
Ihrem langen Stillschweigen kann ich kaum eine andere Deutung
geben, als daß Sie das meinige nicht unterbrechen wollten. Neulich war
ich in Braunschweig; Griepenkerl sagte mir, er habe mich oft vertheidigen
müssen. Möglich, daß Sie Sich im nämlichen Falle befunden haben.
So lange die Universität noch kein deutliches Einverständniß zeigte,
ließ sich nicht füglich von hier aus irgend etwas äußern; man war den
Misdeutungen zu sehr ausgesetzt. Jetzt ist mit großer Mehrheit eine
Deputirten - Wahl abgelehnt worden, ohne daß dabey irgend eine Auf-
regung stattgefunden hätte; es scheint also, daß wir endlich den Stand-
punkt der Neutralität erlangt haben, welcher nach meiner vesten Über-
zeugung der Universität einzig und allein angemessen ist; und nun kann
ich mich freyer äußern. Hier nur Weniges, so viel zu sagen wäre. Ich
habe in der bedenklichsten Zeit das Grundgesetz von 1833 \\ freylich
nicht mit Dahlmanns Augen, sondern mit meinen eigenen, vielfältig durch-
sucht, um nachzusehn, was es fordere, denn das mußte wenigstens mit
in Erwägung kommen , wenn auch nicht unbedingt entscheiden. Der
§ 89 des Grundgesetzes sagt: „Sollten Zweifel darüber entstehen, ob bey
einem gehörig verkündigten Gesetze die verfassungsmäßige ]Mitwirkung der
Stände hinreichend beobachtet sey, so steht es nur diesen zu, Anträge
deshalb zu machen." Daraus folgt buchstäblich, daß man auf die Er-
klärung der Stände warten mußte, — und abgesehen vom Buchstaben,
liegt in der Sache, daß man warten mußte, bis der Wille des Landes
deutlich hervortrat. Mit Feuerfunken um sich zu werfen, wo zwey Pulver-
tonnen offenstehen, kann ich niemals für erlaubt halten. Hier in Göt-
tingen war 1831 offener Aufruhr; 1837 waren hier 900 Studenten. Diese
letzten zwey Zeilen sollten schon allein genügen, wenn auch nicht jener
Ausspruch des Gesetzes hinzukäme.
') 3 S. 4". ^^
April 1839.
Es ist nicht unmöglich, daß eine Zeit kommt, wo ich noch deut-
licher sprechen, ^) und gewisse Allgemeinheiten, bei denen man die näheren,
in der Sache liegenden, Bestimmungen aus den Augen gesetzt hat, be-
schränken werde. Dazu ist's noch nicht Zeit, denn das würde gemis-
braucht werden. Zeit aber wäre jetzt hinzuweisen auf Zürich, um das
Verhältniß zwischen einer Universität und dem demokratischen Geiste zu
zeigen. (Was wird Bobrik machen? Ich bedaure ihn, aber ich kann
nicht helfen; seine „praktische Logik" steht mir im Wege.) Auch die
deutschen Universitäten werden zu Grunde gehn, wenn das Dahlmannsche
Beyspiel zur Maxime wird. Die Wissenschaft braucht Ruhe; und Jugend-
lehrer sollten alles Politische vermeiden, was die Jugend aufregt. Wo
dies nicht beobachtet wird, da ist gewaltige Herrschaft des Zeitgeistes,
der überall Zwietracht hervorruft, überall declamirt und schwatzt.
Der Zeitgeist steht mir hier, wie überall, im Wege, aber doch hat er
mir bisher noch einige Wirksamkeit lassen müssen. Im verflossenen Winter
hatte ich eine kleine, aber ausgezeichnete Zahl von Zuhörern in der Psycho-
logie, die bis auf die letzte Stunde unvermindert beysamraen blieb. Auch
die Pädagogik wurde diesmal mit vorzüglicher Aufmerksamkeit gehört.
Ihr Aufsatz für Ranke ist nicht fruchtlos geblieben; ich war neulich im
Gymnasium, wo die Odyssee von kleinen Knaben mit gutem Erfolge ge-
lesen wird. Andre Verhältnisse haben |] sich wenigstens nicht verschlimmert.
Daß Ritter hier mit großer Vorgunst aufgenommen werden würde (Dahl-
mann hatte ihn ja gerufen!) war vorauszusehn; allein ich habe nicht
Grund, mich persönlich über Rittern zu beklagen. Er benimmt sich wie
ein wackerer, ruhiger Mann, und wirkt gewiß im Ganzen wohlthätig durch
seine Gelehrsamkeit, die kein oberflächliches Schwatzen begünstigt. Nach
allem was man hört, hat Göttingen immer noch den Vorzug des Fleißes
vor andern Universitäten; nur die Verminderung der Frequenz müssen
wir mit Geduld ertragen.
Übrigens begreifen Sie ohne Zweifel von selbst, daß ich in meinem
jetzigen Alter, und nach manchen Widerwärtigkeiten, mein Interesse mehr
und mehr von dem Zeitalter, in das ich gefallen bin, abwende. Mir liegt
daran, einige Arbeiten noch auszuführen, die Niemand unternimmt, wenn
ich sie nicht fördere. Je schlechter das benutzt wird, was ich längst dar-
geboten hatte, desto nothwendiger ist, denen, die nicht von der Stelle
kommen zu zeigen, daß die Schuld nicht an dem eingeschlagenen Wege,
sondern an der Trägheit liegt, die das Werk nicht an[greifen] und an
der Accomodation, die es mit den lautesten Geschwätz nicht verderben
[möchte]. In meiner neuesten Schrift werden Sie die Untersuchungen
über die Tonlehre ausgeführt und andere über das Zeitmaß beigefügt
finden; die Absicht ist,; durch Thatsachen die Theorie zu bestätigen.
Im zweiten Hefte der Abhandlungen sollen (wenn ich leidlich gesund
bleibe) die Untersuchungen über die freysteigenden Vorstellungen Platz
finden; desgleichen vielleicht eine genauere Entwickelung des Verhältnisses
zwischen allgemeiner Metaphysik und Psychologie.
^) Vgl. Herbarts „Erinnerung an die Gott. Katastr.'" im 11. Bd. S. 27 ff., die
Taute einem Wunsche Herbarts entsprechend nach dessen Tod herausgegeben hat.
April 1839. 7
Meine Frau befindet sich ziemlich wohl, bis auf einen starken Schnupfen,
den sie sich aus Braunschweig, und vielleicht von der dortigen Eisenbahn
geholt hat. Diese Merkwürdigkeit zu sehn, war ihr so interessant, daß
sie sich von der Witterung nicht abhalten ließ, während ich mit Griepen-
kerl, der ein ausgezeichneter Musikkenner (und wenn er will Musikdirektor)
ist, die Tonlehre verhandelte. Seine practische Kenntniß gab mir wichtige
Bestätigungen.
Viele Empfehlungen an Hrn Prof Schubert, dem ich meine neuesten
Nachrichten aus Kbg verdanke. An Gregor schreibe ich selbst. Von
Sieffert und Sanio — von so vielen, die Sie ohne besondern Auftrag
von mir grüßen werden, hoffe ich bald durch Ihre Güte mehr zu hören.
Und von Ihnen, — soll ich von Ihnen noch immer nichts Gedrucktes
lesen? — Von Herzen der Ihrige! H.
646. Hartenstein an H.^) Leipzig, den ISten April 1839
Hochzuverehrender Herr Hofrath, Indem ich Ihnen für die mir unter dem
7t. dieses gütigst übersendeten Anfangsbogen Ihrer neuesten Schrift meinen ver-
bindlichsten Dank abstatte, bedauere ich, daß es mir bis jetzt noch nicht möglich
gewesen ist, sie mit der Aufmerksamkeit zu studiren, welche diese Untersuchungen in
Anspruch nehmen. Dennoch will icli die Beantwoiiung Ihres verehrten Schreibens
nicht aufschieben, da ich eben im Begrifie bin eine kleine Ferienreise anzutreten,
die mich auf 14 Tage von Leipzig entfernen wird, um nicht durch diese Verzöge-
rung den Vorwurf der Unachtsamkeit auf mich zu laden, vorzüglich da ich in Ihrem
Schreiben Besorgnisse ausgesprochen finde, hinsichtlich welcher ich vielleicht etwas dazu
beitragen kann Sie zu beruhigen. Vorerst erlauben Sie mir die Versicherung, daß,
wenn ich Ihrem, mündlich gegen mich ausgesprochenen Plane, die Polemik für die
Zukunft fallen zu lassen, von Herzen beistimmte, meinerseits damit durchaus nichts
gemeint war, als die Polemik nach außen, indem ich namentlich von den mathematisch-
psychologischen Differenzen des H. Pr. Drobisch damals nichts wußte. Auch jetzt
ist wohl meine Kenntniß derselben nicht vollständiger, als die Ihrige und ich muß
früheren Äußerungen des Herrn Pr. Dr. zufolge bezweifeln, daß derselbe in seinen
Mittheilungen an Sie nicht offen gewesen sey, da, soviel ich weiß, die betreffenden
Papiere sich in Ihren Händen befinden. Was Ihre Befürchtung anbelangt, ij Herr
Pr. Drobisch werde seine Ansicht von den ersten Lehrsätzen der mathematischen
Psychologie unmittelbar zu einem Angriffe auf die bisher von Ihnen entwickelte
Foi-m derselben benutzen, so bin ich überzeugt, daß dies nicht geschehen wird. So
viel ich weiß, arbeitet er an einer empirischen Psychologie d. h. an einem Buche,
welches vorerst die psychischen Phaenomene vollständig und geordnet aufzufassen
und zu analysiren, und somit als Propaedeutik für die weiteren psychologischen
Theorien zu dienen bestimmt ist; und so viel ich von dem Plane und dem Inhalte
desselben kenne, bin ich überzeugt, daß es ganz besonders geeignet seyn wird, den
ganzen Standpunct der wahren psychologischen Untersuchung auch einem größeren
Publicum näher zu bringen, indem schon die Analyse der Thatsachen durchaus auf
den Grundgedanken, daß die Vorstellungen selbst die wirkenden Kräfte sind, von
allen Seiten hinführt; und ich würde es aufrichtig bedauern, wenn Sie von den
Bemühungen des H. Pr. Drobisch gerade für die Psychologie mehr fürchten, als
hoffen zu müssen glaubten. In wie weit er, was die eigentlichen mathematischen
*) 2V2 S. 4°. H. Wien.
8 April 1839.
Lehrsätze betrifft, durch Ihre eigene Darstellung sich vollkommen überzeugt findet,
ob er es nicht für wünschenswerth hält, die ersten Grundbegriffe sammt den dar-
aus abgeleiteten Formeln mit der größtmöglichen Evidenz und Einfachheit zu be-
stimmen und zu entwickeln, ob er nicht vielleicht in späterer Zeil die Resultate
seiner Untersuchungen zu veröffentlichen gedenkt, darüber kann ich nichts Be-
stimmtes sagen; jedenfalls hat er in diesem Augenblicke diese Untersuchungen wohl
ausgesetzt und was er in dieser Beziehung gearbeitet hat ist wohl für ihn selbst
nur Versuch, aufgestoßene Bedenklichkeiten, zu beseitigen. Indessen, wie sich dieses
auch verhalte, jedenfalls glaube ich hinzusetzen zu dürfen, daß H. Pr. Drobisch
durchaus von der aufrichtigsten Gesinnung für die Yer-||folguug des von Ihnen vor-
gezeichneten, wissenschaftlichen Weges beseelt ist, und muß mich bescheiden, die
Gründe, aus welchen Sie daliin, wo Sie, wie Sie sagen, sonst offen zu fragen pflegten,
sich nicht mit einer Erkundigung wenden zu können glauben, nicht vollständig
durchschauen zu können. Da Sie jedoch H. Pr. Drobisch die betreffenden Bogen
schon zugesendet haben, .so würde meinerseits jeder weitere Zusatz überflüssig seyn
und ich verharre mit der Bitte, mich Ihrer Erau Gemahlin hochachtungsvoll zu
empfehlen, mit unverbrüchlicher Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster G. Hartenstein.
647. Drobisch an H.^) Lpzg. 20. April 39.
Verehrter Gönner und Freund! — Zuvörderst meinen verbindlichsten Dank
für die gütigst übersendeten Bogen, die mir aufs Neue Gelegenheit geben, mich
über einen so wichtigen Gegenstand mit Ihnen zu unterhalten, der das Ergebniß
Ihrer vieljährigeu Forschung ist, der mich seit seinem ersten Eintritt in die Öffent-
lichkeit lebhaft interessirte, ja in dem ich sogar eine wie für mich geschaffene Auf-
gabe erblickte, mit dem ich allerdings aber auch viel Zeit und Kraft verbraucht
habe, die ich nicht gern als verloren betrachten möchte. Sie werden überzeugt
seyn, daß ich noch vor einem Jahre die ernstliche Absicht hatte, die math. Ps. in
unveränderter Gestalt zu einer möglichst evidenten Darstellung zu bringen. Wenn
ich seit etwas mehr als einem halben Jahre angefangen habe, darauf Verzicht zu
leisten, so war dies nicht das Werk des Übermuths, der Willkür, eines falschen
Ehrgeizes, von dem ich mich ganz frei weiß, sondern der sich mir aufdrängenden
Nothwendigkeit. Welchen öffentlichen Gebrauch ich davon machen dürfte, darüber
habe ich bis jetzt noch keinen Entschluß gefaßt; ich habe keinen Grund mich zu
übereilen, ich wül meinen Gedanken Zeit zur Reife lassen; aber komme ich zu
keinen andern Ansichten, so gedenke ich damit auch nicht zurückzuhalten. Wollte
ich weiter nichts als die ganze mathematische Psychologie mit Stumpf und Stiel aus-
rotten, so könnte ich damit zu Hause bleiben: denn nur ein gefährlicher Irrthum
verdient so behandelt zu werden; und habe ich eben nur die gute Absicht zu ver-
bessern, ich glaube also seiner Zeit wohl ohne Erröthen damit hervortreten zu
dürfen. Wir können es uns ja doch nicht verhehlen, daß die mathemat. Ps. bisher
eine so geringe Theilnahme erlangt hat, daß wir eigentlich nicht recht wissen, ob
außer uns Beiden noch ein Dritter, der Mathematik versteht, sich ernstlich damit
1 beschäftigte. Eine Verwirrung in den Köpfen würde also durch Darlegung einer
differenten Ansicht schwerlich hervorgebracht werden, und was müßten das auch
für unselbständige Köpfe seyn, die sich verwirren ließen; es bleibt also, wenn ich
dies ohne Anmaßung sagen darf, wenigstens die Hoffnung übrig, daß eine Aus-
führung der Sache, die unendlich weniger || Verdienst haben wird als die erste mit
') 6 S. 4°. H. Wien. Das Konzept, vom Original wenig abweichend, in
Leipzig, Univ.-Bibl.
April 1839. g
SO großer Energie ausgeführte Bearbeitung, doch, weil sie sich bekannten und be-
währten und anerkannten Vorstellungsweisen enger anschließt, mehrseitiger an-
sprechen könnte. Übrigens scheint der Zeitpunkt meines Hervortretens — wenn
es noch statt findet — jedenfalls noch ziemlich entfernt. Ich fand im vergangenen
Winter keine Zeit, mich mit der Sache zu beschäftigen; ich bereitete bisher die
„Einleitung in die Psychologie als Naturwissenschaft" vor, die blos die Idee einer
mathematischen Psych, enthalten wird. Erst Ihre Blätter haben mich in den letzten
8 Tagen auf das alte Thema zurückgeführt. Daß ich mich nun aufrichtig freue,
Sie mit rüstiger Kraft noch einmal einen Gegenstand vornehmen zu sehen, der
noch "Wenigeren zugänglich ist als die übrige math. Ps., weil er auch theoretisch-
musikalische Kenntnisse voraussetzt, die nicht Jedem, z. B. mir nicht, in ausreichen-
dem Maaße zu Gebote stehen, darf ich versichern. "Wenn die musikahschen Tbat-
sachen auf eine ungezwungene Weise daraus sich erklären lassen, so wird dies der
höchsten Beachtung wert seyn. obwohl auch dadurch nur für einen speciellen und
einfachen Fall der ersten Elemente der Statik eine erfahrungsmäßige Bestätigung
gefunden wäre. Ich bin übrigens gespannt derauf, wie Sie diesmal Ihi-en Lesein
begreiflich zu machen suchen werden, daß die Kräfte, die in der psychologischen
Theorie der Musik in Rechnung genommen werden, nicht einfache Vorstellungen,
sondern blos ideelle, nicht wirklich 'zu vollbringende Zerlegungen oder Bestandtheile
einzelner einfacher Vorstellungen sind, von denen zwei mit ihren Vorstellungen
nämlich durch diese gesondert sind, zwei aber immer in einer und derselben Vor-
stellung ungesondert beisammen bleiben, und welches hier eigentlich der Erfolg des
Conflicts, da eine Klarheitsverminderung nicht statt findet. Zunächst aber muß
mich von dem gütigst Mitgetlieilten die Mitte am meisten interessiren, da hier nicht
blos in, sondern auch xwtschen den Zeilen Vieles zu lesen ist, was mich angeht.
Ich erlaube mir einige Bemerkungen.
Ich stoße zuerst an an der Frage: wie groß ist die Xothwendigkeit, daß conträre
Vorstellungen an Klarheit verlieren? Der Ausdrack ,,Xothwendigkeit" scheint mir
nicht ganz glücklich. Giebt es Grade der Nothwendigkeit? Dann müßte es auch
Grade der Unmöglichkeit, des Widerspruchs geben. Es giebt, denke ich, nur Eine
absolute Xothwendigkeit; aber eine Xothwendigkeit einer Verdunkelung in ver-
schiedenen Graden hat nichts Widersprechendes. Sie haben sich nun mit dieser
Nothwendigkeit eines sehr abstracten Ausdrucks bedient, um den concreten zu um-
gehen, der Kraft gewesen seyn würde, von der die Nöthigung, nach dem gemeinen
Sprachgebrauch ausgeht. Ich erkenne es noch immer an, daß Kraft auf Xoth-
wendigkeit wird zurückgeführt werden müssen, aber ich glaube, daß nichts damit
gewonnen ist, den allgemeinen Begriff zu gebrauchen, wenn er doch nur in specieller
Beziehung in Anwendung kommt, wohl aber kann es schaden, weil dadurch Schwierig-
keiten verhehlt werden, und so scheint rair's hier, da diese Xothwendigkeit später
in ein mir wenigstens unklar gebliebenes Verhältniß zur Wirksamkeit und Spannung
der Vorstell, tritt, wenn es z. B. S. 22 heißt: „wenn nun jede Vorstellung gleich
stark wirkt gegen die anderen, um ihnen die allgemeine Xothwendigkeit des Sinkens
aufzuerlegen, so ist Ruhe mitten in der Spannung." In der Spannung, der Energie,
der Wirksamkeit (obgleich ich die letztere für mehr als verdächtig halte) erkenne
ich Kräfte; ist nun die Xothwendigkeit des Sinkens eine Wiikung dieser Kräfte,
warum noch von jener so in abstracto reden ? Ist sie aber eine Kraft außer diesen,
so verstehe ich den Zusammenhang mit letzteren nicht. — Gehe ich, hiervon ab-
sehend, weiter, so bei-uhigt mich die Bestimmung der H. S. S. 20 keineswegs. Der
Gegensatz des a gegen b und c belastet letztern mit einem Antheil an der H. S.,
der > c. der Gegensatz zwischen b und c bringt für beide noch eine Last = c,
lO April 1839.
b uud 0 haben also zusammen inelir als 2 c zu tragen, was sie auch ganz wohl
können. — Ich bemerke ferner, ohne großen Werth darauf zu legen, daß die Gleich-
heit der Ausdrücke S. 21 letzte Zeile sich ohne alle Berechnung der Hemmungen
schon aus den bloßen Ansätzen:
11 11
x:y:= — :— ; x:z = — :— , woraus
ab a c
a X = b y und a x = c z
von selbst ergiebt; und hier kommen sie nun auf das Gleichgewicht, von dem meine
Entwickelung, den Begriff der Statik festhaltend, immer auszugehen gesucht hat.
Mit der Zerlegung S. 23. 24 müßte ich mich, Ihren Standpunkt festhaltend, ein-
verstanden erklären, da ich in meinen Quaest. math. psych, art. 8 im Grunde denselben
"Weg eingeschlagen habe; nur bleibt die Frage übrig, ob die partiellen Hemmungen, die
a von b und c leidet, sich gerade nothwendig auch durch Addition zusammensetzen;
in der gemeinen Statik findet Addition der Wirkungen unter unzählig \äelen Fällen
nur einmal, nämlich bei identischen Richtungen statt. — Was Sie Spannung nennen
= — Q.- .1. 1 würde ich nach Analogie der physischen Statik nur Spannungsgrad
nennen. Wenn zwei an den Enden eines über zwei Rollen gehenden Fadens be-
festigte gleiche Gewichte Gleichgewicht halten, so ist die Spannung des Fadens dem
ziehenden (einfachen) Gewicht gleich. Ebenso die elektrische Spannung der aus
einander fliegenden Korkkügelchen des Elektrometers wird durch den Theil des Ge-
wichts derselben, der gegen die Linie, welche im Gleichgewicht die Mittelpuncte
der letzteren verknüpft, gemessen. Der Spannungsgrad wii'd in beiden Fällen größer,
wenn die Gewichte, ohne Aenderung der äußeren umstände sich vermehren lassen
(ohne daß der Faden reißt, die Kügelchen ihren Winkel ändern). Ihre ,, Energie''
würde nun mir Spminimg seyn. Die „Wirksamkeit'' kann ich aber in diesen stati-
schen Problemen gar nicht anerkennen; es giebt hier nur Energien. So wenig die
gemeine Statik Geschwindigkeiten oder Bewegungen, die in Folge der Wirksamkeit
der Kräfte entstehen könnten, so wenig, dünkt mich, darf die psychische Statik von
dem Mehr oder Weniger reden, was durch die Energie nicht sowohl ,,zu vollbringen
ist" als vielmehr nicht vollbracht werden kann, sondern nur zu vollbringen seyn
tcürde, wenn nicht Hindernisse vorhanden wären. Auch muß ich mir erlauben zu
bemerken, daß die S. 26 gefundene Gleichheit der Wirksamkeiten gar nichts für
die Formeln beweist, gar nicht zeigt, daß diese und keine andern das Gleichgewicht
erfüllen: denn diese Gleichheit liegt in der gegebenen Definition der Wirksamkeit,
die sich -nicht im mindesten ändert, wie groß und mannigfaltig verschieden Stärke
und Hemmung der betroffenen Vorstellung seyn mag; denn es ist per definitionem
St"rk Hemmung
-nr- , , .^ Energie Stärke x Spannung ' Stärke
Wirksamkeit = 2 — = 1 ^ = = 1
Hemmung Hemmung Hemmung
constant.
Ich müßte fürchten beschwerlich zu fallen, wenn icli mit Bemerkungen fort-
fahren wollte. Es würde angenehmer seyn, Übereinstimmung bezeugen und fröhlich
fortbauen zu können. Durch diese Differenzen über Grundbegriffe und Grundsätze
zeigt sich doch leider, daß- die mathematische Ps. erst dann recht Früchte tragen
wird, wenn wir über die ersten Ansätze der Rechnungen hinaus sind, daß aber, so
lange hierüber nicht Einigkeit zu erlangen ist, sie den streitigen Charakter einer
philosophischen Discipliu behält, und der Versuch, die Psychologie dem Streite der
Philosophen zu entziehen und der ruhigen Fortbildung der Mathematiker zu über-
eben, noch nicht gelungen ist. Glauben Sie sicher, daß ich unter den letzteren
i839- I I
weder einer der hartnäckigsten, noch auch hinsichtlich der Biegsamkeit des Ge-
dankengangs nach fremden Formen einer der unbeholfensten bin. Ich muß es mir
gefallen lassen, wenn Sie mich zu denen rechnen, „die sich in die Begriffe nicht
finden können," und werde nun weiter sehen, wie weit mich das Zusammentreffen
der Rechnung mit den Thatsachen noch bekehren kann. Um Eins möchte ich noch
im Allgemeinen belehrt seyn. Dies ist folgendes:
Nicht bloß die von Ihnen geschaffene Psychologie, sondern auch die Umgangs-
sprache bedient sich häufig vom Räume und der Bewegung in demselben her-
genommenen Metaphern. Man maß dies natürlich finden, wenn man bedenkt, daß,
wie Sie uns lehrten, der Raum die allgemeinste und ausgearbeitetste Reihenform ist,
die bei jedem zusammenfassenden Denken unwillkürlich erzeugt wird. Nun ist
eine psychologische Theorie doch gewiß ein zusammenfassendes Denken über die
psychischen Phänomene und die ihnen zum Grunde liegenden Kiäfte u. dgl.; sollte
•sich hier nun nicht xusammenhäng ender räumlicher Schematismus ausbilden, durch
den die an sich freilich nur intensiven Vorgänge eine extensive Veranschaulichung,
eine Construction erhielten, welche die Äuseinanderset%,unc/ ihrer Gesetze unumgäng-
lich zu erfordern scheint? Esgiebt freilich kein Oben und Unten, keine Schwere, keine
Ein- und Ausgänge in der Seele, aber in den Verhältnissen und Veränderungen der
Vorstellungen giebt es unabweisliche Analogieeu dazu. Wir bedienen uns ihrer im
gemeinen Leben, man kann sogar mit ihnen ein Spiel treiben; die math. Ps. macht
aber eigentlich Ernst daraus, d. h. nicht etwa: sie nimmt Steigen, Sinken, Schwelle,
Hemmung pp. im eigentlichen, grobsinnlichen Verstände, aber doch dies: sie führt
consequent zusammenhängende Rechnungen, von denen einige in den gebrauchten
Metaphern ihi-e anschauliche Erläuterung finden; man sollte daher wohl erwarten,
daß es ganz allgemein, sowie ein streng zusammenhängendes System von Formeln,
auch ein ihnen entsprechendes System von Constructionen geben müßte. Auch
dies scheint mir eine billige Forderung, die an eine math. Ps. gestellt werden kann.
Ist sie gründlich erfüllt, so sind die Mathematiker mit einem Schlage für die Sache
gewonnen.
Noch berührt Ihr werther Brief, wie es mir scheint, außer den wissenschaft-
lichen persönliche Verhältnisse in seiner Fragestellung. Ich freue mich, Ihnen und
Ihrer verehrten Frau Gemahlin, die ich nebst meiner Frau ehrerbietigst von uns
zu gmßen bitte, melden zu können, daß sowohl unser als unsrer drei Kinder
— alles Mädchen — Gesundheit im abgelaufenen Winter und bis diesen Tag recht
zufrieden stellend gewesen ist, und hoffe auch von Ihrem Wohlbefinden ferner zu
hören. Mit unveränderter Verehrung Ihr aufrichtig ergebener M. W. D.
648. An Drobisch.i) 1.0^°« Datum]
— — — — — — — — — — — — — — [Ich gestehe,]
daß ich mich nicht erinnern kann, das Wort Spatmung jemals in dem
Sinne gebraucht zu haben, worin es muß genommen werden, wenn Ihr
Satz bestehen soll.
Eine Vorstellung = a befinde sich, nachdem sie mit andern b^ <r,
ins Gleichgewicht getreten ist, in einem solchen Zustande, daß von ihr
-ein Theil = x sey gehemmt worden. Desgleichen von b sey y für den
Zustand des Gleichgewichts gehemmt. Das Gleichgewicht setzt nun aller-
dings voraus, daß die ganzen Energieen der Vorstellungen, d. h. die Vor-
^) 2 S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann pp. S. 98 f. Dieses Bruchstück scheint
-nicht abgesandt worden zu sein, an seine Stelle ist jedenfalls der folgende Brief getreten.
12 i839-
Stellungen, so fern sie während des bestehenden Gleichgewichts wirken,
einander nichts weiter anhaben können, sonst würde eine fernere Ver-
änderung erfolgen, und es wäre also kein Gleichgewicht da. Hierin be-
steht Ihr richtiger Gedanke. Nun aber fragt sich: was wirkt denn a
während des Gleichgewichts; und was wirkt darin bl Die Antwort ist:
a sucht den gehemmten Theil x wieder in den ungehemmten Zustand
zu versetzen. Hiernach strebt das ganze a, so groß oder stark es eben
ist. Also im Gleichgewichte ist die fortwährende Energie des a = ax.
Eben so : Energie des b = by. Nun zeigen meine Rechnungen (Psychol. I,
S. 170):
bc (b 4- c) ac (b 4- c)
x= ^^ u. jl'^ ^^
bc-\- ac -\- ab bc -{- ac -\- ab
abc [b 4- c) bac ib -\- c)
mithin ax = ■ — —- u. by = - — , ; r, wie gefordert war, woraus
bc -\- ac A^ ab bc -f- ac -\- ab
beyläufig auch fo'gt
ax -)- by ~\- cz = 3 ax^ aber das führt nicht weiter.
Die Frage ist nur noch: soll die ganze Energie, womit eine Vor-
stellung im Gleichgewichte wirkt, ihre Spannung heißen? Meines Er-
achtens ist Spannung ein Wort, was sich || auf den Zustand der Vor-
Stellung bezieht, und ich würde eher den Quotient — die Spannung nennen,
a
während ax die Energie des a im Gleichgewichte ist.
Nach Analogie Ihrer Rechnungen könnte ich übrigens nun schreiben:
ax — by=^o^ denn x^ y, z bedeuten hier die gehemmten Theile,
deren ganze Summe
ax — cz=o eben die Hemmurigssumme ist.
ax ax ^ l bc -\- ac -X- ab\
X +>' + z — xS'= 0. oder x A — - -\ = S=x ■ wobey
b c \ bc I
aber doch noch S^=^b -\- c als schon bekannt an-
genommen werden muß, um ans Ziel zugelangen,
bc (h 4- cV. . , ,
nämlich x = - — , — — - wie bekannt.
bc -f- ac -f- ab
Die Größen ax, by, cz, würde ich lieber Momenle nennen, als
Spannungen. Die Last x hängt gleichsam an a wie an einem Hebelarm;
eben so y an b, und z an c.
Hiemit hoffe ich nun mich hinreichend erklärt zu haben; und
wünsche nur, daß Sie die Eile des Schreibens nicht zu sehr spüren
mögen.
Eile ist nöthig! wenn es Ihr Ernst ist, mir eine Hoffnung die ich in
der That beynahe aufgegeben hatte, noch erfüllen zu wollen. — Meine
Kräfte sinken fühlbar, und meine hiesige Lage ist gar nicht zu einer be-
sondern Wirksamkeit geeignet. Woher sollte das Wunder kommen, daß
eine Universität, die so lange Zeit die Philosophie zu entbehren wußte,
sich ihrer auf einmal beharrlich, eifrig, oder nur ernstlich zuwendete? —
Aber Einzelne werden sich finden, und der Königsberger Provincialismus
wird sie nicht drücken! So wahr dies ist, so kommt es mir doch zu spät,
— wenn nicht sehr bald Ihre Arbeiten sich den meinigen zugesellen, —
April, Mai 1839. i^
Der beständige Nordwind, den ich auf der Reise hatte, konnte mich nicht
zu wahrer Erhohlung gelangen lassen; ich habe den schon beseitigten
Katarrh wieder mitgebracht; zwar ohne Krampfhusten, aber erschöpft bin
ich an Kräften des Geistes wie des Leibes. Übrigens hat sich das
Auditorium so leidlich gefüllt. — Was die Anlage Ihrer Beyträge anlangt,
so zweifle ich nicht im mindesten an der Zweckmäßigkeit; vielmehr ist
es ohne Zweifel gerade dies, was das Publicum, so weit es von der Sache
Kenntniß hat, von Ihnen erwartet; besonders da man weiß, daß Sie
philos. Vorlesungen halten und folglich der Philosophie nicht abhold ge-
worden sind. H.
649. An Drobisch. 1) Göttingen 26 AprU 1839
Nichts ist gewisser, mein Verehrtester! als daß Sie vollkommen be-
rechtigt sind, nach Ihrer Weise über mathematische Psychologie zu
schreiben. Anzeigen muß ich Ihnen jedoch:
I.) daß, wenn Sie in der Spannung und Energie der Vorstellungen
Kräfte erkennen, und dabey
die Nothwendigkeit des Sinkens für eine Wirkung dieser Kräfte
halten, wir uns in diesem Puncte, der wohl den eigentlichen Streitpunkt
bilden dürfte, wie Ja und Nein gegenüber stehn.
2.) daß Sie die Meinung, die Nothwendigkeit des Sinkens sey selbst
eine Kraft — wohl gar „außer diesen'' (vorerwähnten) — nicht mir zu-
schreiben dürfen. Ich habe die Nothwendigkeit des Sinkens weder als
Wirkung noch als Kraft, sondern als Folge des Gegensatzes bezeichnet.
Der Gegensatz ist bekanntlich kein Ding, dem Kräfte inwohnen könnten,
sondern ein Verhältniß.
Leben Sie wohl! Hochachtungsvoll der Ihrige Herbart.
650. Gregor an H.*) Königsberg d. 4ten May 1839
Hochverehrter Herr Hof rath und Freund ! Es vergeht fast kein Tag, an welchem
in mir ein freundliches Andenken an Sie nicht sollte wach werden, und wie sollte
mir der heutige Tag nicht ein Fest seyn, reich an den besten Wünschen für Ihr
Wohl? — Ihnen verdanke ich's ja, daß ich Euhe, Besonnenheit und Yestigkeit
genug gewonnen habe, um mich von den Wirren der Zeit nicht fortreißen zu lassen,
und doch, so weit Kraft und Gelegenheit es gestatten, für das Wahre und Gute
zu wirken. Durch Ihre praktische Philosophie und Aesthetik ist mir der hohe Wert
der heil. Schrift recht klar und deutlich geworden; das Studium Ihrer Psychologie
zeigt mir die tiefen Aufschlüsse der inneren Welt, wie meine warme Theilnahme
an dem Wohl und Wehe der Menschheit es anfangen müsse, um auf die rechte
Weise ins Leben einzugreifen. Ihre Logik hilft mir meine Vorträge ordnen; Ihre
Metaphysik bewahrt mich, um das Mindeste zu sagen, vor den Irrwegen einer ihrer
Bedingungen wie ihre Anfänge verkennenden Speculation einer- || seits, und vor dem
kläglichen Versinken in die bloße Empirie anderseits, imd erhält mein Interesse an
der Erforschung der Wahrheit lebendig. Ich lebe der Überzeugung, daß durch die
Arbeiten, an welche Sie Ihre ganze Kraft so treu und standhaft und tapfer gesetzt
haben, die Anfänge des ächten, uns Erdenbürgern vergönnten Philosophierens aus
') I S. 4°.
2) 4 S. 40. N.
14 Juli 1839.
der Vergessenheit hervorgeholt, um ein "Wesentliches ei'weitert und gefördert, und
zur künftigen Vollendung vorbereitet wo)den sind. J\Iir scheints daher überflüßig,
die Kraft etwa an Verdeutlichung Ihres Systems durch neue Metaphysiken, wenn
auch a la Hartenstein, zu setzen. Vielmehr ist die Aufgabe, auf dem von Ihnen
nach allen fiichtungen so tüchtig angebahnten Wege weiter fortzuschreiten, denn
nur so bleiben wir im Zusammenhange mit Ihnen, ohne doch von eben || dem so
verpönten In verba magistri — Schwören getroffen und dem imitatorum pecus bei-
gezählt zu werden. Aber freihoh so leicht wie die Hegelianer sich's machen, geht
das nicht: im Sturmlauf ist allenfalls wol ein augenblickliches Beifallklatschen des
Publikums, aber kein Gewinn für die Wahrheit zu erlangen. Umfassendes, durch
Ihr System geregeltes, gründliches und anhaltendes Studium der Natur und Gesell-
schaft, der Mathematik und Geschichte, sowie des einzelnen Menschen, ist notli-
wendig, um weiter zu kommen. Das aber fordert zu große Opfer, um nicht alle,
die nicht Kraft und Mittel und Entsagung genug besitzen, abzuschrecken. — Doch,
wozu überlasse ich mich diesem Zuge des Flanderns? Gerade dies ist ja mit ein
Bewegungsgrund für Sie gewesen, keine Schule zu stiften ! Sie wollen ja nur ächte
Forschung in Bewegung setzen. Ihnen ist mit einem Troß von Nachbetern eben
so wenig als von Kärrnern gedient. Ihr Streben war ja || immer darauf gerichtet,
die philosophische Speculation so unabhängig vom Leben und seinen Farteien und
Leidenschaften zu halten als möghch. Auch sehen wir, wohin es mit der Hegel-
schen Schule kommt — trotzdem, daß sie sich mitten in die Kirche und in den
Staat hineinzusetzen die Anmaßung hatte. Diese werden durch sie wahrlich nicht
gefördert, und die Fhilosophie wird zu Grabe getragen. Die Koryphäen in Berlin
sind reiche Gutsbesitzer geworden, und singen den armen Studenten nur noch un-
lustig den Marsch vor: »Seyn, Daseyn, Andersseyn, Ansichseyn, Fürsichseyn etc.!
Und die Kirche zuckt schon, um die Anmaßungen endlich abzuschütteln. Das
Schlimmste ist, daß bei der Sucht, der Philosophie Einfluß zu verschaffen, das Inter-
esse an ihr immer mehr erschlafft, wie z. .B. hier, trotzdem, daß Rosenkranz und
Lehnert sehr gern und zahlreich gehört werden, weil sie wohlmeinende Männer zu
seyn scheinen, und sehr gut sprechen können. — Indessen wird auch Ihre aus-
gestreute Saat nicht ohne Wachsthum und Früchte bleiben! Nur getrost! —
Für ihren lieben Brief meinen herzlichen Dank! Empfangen Sie nochmals
meinen innigsten Glückwunsch zu Ihrem Geburtstage, und meine wie meiner Kinder
freundschaftlichste Empfehlung an Ihre liebe Frau Gemahlin. — Sie müssen jedenfalls
so lange leben, bis meine beiden Söhne ihren philos. Cursus bei Ihnen gemacht
haben ! -- Meine ältere Schwester hat im vorigen Sommer in Polen geheirathet, und
meine jüngste Schwester ist vorgestern abgereist, um sie in den Wochen zu pflegen.
Meine Wirthschaft n. s. w. wird von einer älteren Freundin meiner seUgen
Frau, dem Fräulein Völsch, gehörig bedacht. Taute ist kränklich, liest aber doch.
Mit imwandelbarer Hochachtung und Liebe Ihr Freund Gregor.
651. Verfügung an H.i) Hannover 15. Juli 1839.
Nachdem das Königliche Ministerium der geistlichen und Unterrichts Angelegen-
heiten die Herren Hofräthe Müller und Herbart zu Königlichen Commissarien für
das Gymnasium in Göttingen auf die Dauer des Zeitraums vom 1 Juli 1839 bis
dahin 1842, und zugleich mittelst Rescripts vom 6. d. M. für denselben Zeitraum
die Herren Consistorialrath Lücke und Syndicus Oesterlei zu Mitgliedern der für
das Gymnasium in Göttingen niedergesetzten Maturitäts-Prüfungscommission wiederum
1) 1 S. Folio. H. Wien.
Juli 1839. 15
ernannt, und Uns mit der Ausführung dieser Bestimmung beauftragt hat, so setzen
Wir die Herren von letzterer Ernennung in Kenntniß mit dem Ersuchen, die ge-
nannten Mitglieder von diesem abermaligen Beweise der Zufriedenheit des Königl.
Ministerii mit dem Antheil welchen dieselben an der zweckmäßigen Behandlung der
Prüfungen genommen haben zu unterrichten, und sie so wie die hiemit von Uns
wiederum zu Mitgliedern der Commission ernannten Lehrer dos Gymnasii zu Göt-
tingen welche bisher an den Prüfungen Theil genommen haben, unter Bezeugung
unserer Zufriedenheit mit ihren Bemühungen, zur Besorgung der der Commission
obliegenden Geschäfte einzuladen.
Königl. Ober- Schul Collegium
gez. Kohlrausch.
652. Kahle an H.^) Berlin den 16ten Juli 1839
Sehr verehrter Herr! Die Meister der Wissenschaft pflegen zwar wenig ge-
neigt zu sein, auf die Bestrebungen des Anfäugei-s Rücksicht zu nehmen, und des-
halb habe ich lange gezweifelt, ob ich mich Ihnen mit meinen ersten schriftstelleri-
schen Versuchen nahen dürfte, zumal ich in Betreff eines allerdings sehr wichtigen
Punktes, — ich meine die Freiheit , — von Ihren bestimmt ausgesprochenen An-
sichten ebenso bestimmt abweiche. Auf der anderen Seite indessen habe ich, w^enn
es nicht zu kühn ist, mich auf diese Weise auszudrücken, eine gewisse Analogie
zwischen der Art und Weise, wie Sie die Dinge betrachten, und wie sie sich mir
zu verhalten scheinen gefunden, und Ihre Methode der Darstellung ist, wenn auch
nicht in den äußerlichen Beziehungen, doch dem Geiste nach, das Ideal gewesen,
dem ich nachgestrebt habe. Deshalb will ich es denn darauf ankommen jl lassen^
was Sie von den beiden, in der Anlage ganz ergebenst beigefügten Abhandlungen
urtheilen werden.
Mit der Versicherung meiner ungeheuchelten Hochachtung zeichne ich mich
Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster der Justiz-Commissaiius Dr. Kahle.
653. Ungewitter an H.^) Scheeßel d. 12. Aug. 1839
Theuerster Herr Hofrath! Eben lese ich eine Vorrede des sei. Dr. Sigism.
Jac. Baumgarten zu einer im Jahre 1746 in Halle herausgekommenen Dissertation,
von Ant. Friedr. Büsching, über den Brief an die Philipper, und wurde dadurch
von neuem mit Dank und Freude erfüllt, daß ich Ihr Schüler gewesen bin. Ach!
was haben wir doch gegen jene traurige Zeit voraus, wo eine freche, franz. englische
Überweisheit die arglose Christenheit überfiel, und iji ihrer arglosen Wehrlosigkeit
ähnliche Verwüstungen (nur im Stillen) darin anrichtete, als wie die Jacobiner über
die unvorbereitete Königspartei in den 1790ger Jahren herfielen, und sie ohne Mühe
zu nichte machten. Gottlob! Mitternacht ist vorüber! was auch noch durchzumachen
seyn mag. Unter allen, die für das Evangelium Partei nehmen, ist vielleicht Keiner,
der so mit Absicht alles Geräusch und alles unberufene laute Auftreten vermeidet,
als der Schreiber dieses Briefes: aber es ist das Siegesgelüst in seiner Seele, und
wird mit jedem Tage, möchte ich sagen, stärker. Das verdanke ich, durch Gottes
Fügung, unter den Menschen Ihnen am meisten, der Sie mich, auf eine Art, wie
Sie selbst es nicht dachten, und wie es Ihnen noch immer nicht recht seyn mag,
für die Sache des Evangeliums ausrasteten, daß ich noch vor Keinem schriftlichen
oder mündlichen Gegner desselben mich habe zu fürchten brauchen, und mit stiller
') 2 S. 40. N.
2) 1 S. 40. N.
l6 August 1839.
Zuversicht meine Sache fortführe, die Sache Jesu Christi mit Herbartischer Nüchter-
heit und Schärfe — und damit zugleich in lauterer Energie des Herzens innerhalb
des Kreises, der mir ßerufssache ist, geltend zu machen.
Ich hatte dieß nur gegen Sie auszusprechen, und ziehe mich nun wieder zurück,
und beharre mit bekannter Verehrung Ihr J. G. üngewitter.
•654. Thomas an H.^) Königsberg den 29 August 1839
Hochzuverehrender Herr Hofrath! Schon zu lauge wünschte ich, Ihnen ein
Zeichen meiner innigsten Dankbarkeit, Hochachtung und Verehrung darzubringen,
als daß ich es hätte unterlassen können, Ihnen diejenige Schrift zu dediciren, mit
welcher ich meine akademische Laufbahn beginne. Möchte sie wenigstens von dieser
Seite eine freundliche Aufnahme bei Ihnen finden, möchte sie außerdem dafür
Zeugniß ablegen können, daß ich nicht vergebens die Bahn verfolgte, welche Sie
der Philosophie vorgeschrieben haben. Mein ganzes Bestreben ist nur darauf ge-
richtet, einen ehrenvollen Platz unter Ihren Schülern zu erhalten und der Zweck
•der gegenwärtigen Arbeit ist erreicht, wenn Sie geneigt sein sollten, mir in Folge
derselben die Ehre Ihrer Anerkennung zu erweisen. Die Besorgniß, daß Sie diese
Arbeit nicht für so gelungen erachten werden, als ich es wünsche und hoffe, hätte
mich abhalten müssen, sie Ihnen vor erbetener Erlaubniß öffentlich zu überreichen,
wenn nicht Mangel an Zeit die Ausübung dieser Schuldigkeit unmöglich gemacht
hätten — denn ursi^rünglich sollte nicht dieser Gegenstand meine Habihtations-
dissertation bilden, sondern erst als eine andre Arbeit wegen der daran sich
knüpfenden Persönlichkeiten von mir zurückgezogen ward, benutzte ich schon vor-
bereitete Materialien, um mit einem andern Thema mir den Eintritt in die Königsberger
Fakultät zu erzwingen; denn leider habe ich keinen Schritt bei meiner Inhabilitation
machen können, ohne dabei auf zum Tlieil widerwärtige Schwierigkeiten zu stoßen,
die mir jetzt nur insofern angenehm || sind, als ihre glückliche Überwindung mir das
nöthige Selbstvertrauen gegeben hat. Ich -darf annehmen, daß weder meine Disser-
tation noch meine Disputation der hiesigen Fakultät auch nur zur mindesten Schande
gereichen. Und so hoffe ich auch, daß, wie auch Ihr Urtheil über meine Arbeit
ausfallen werde, Sie mir die Kühnheit vergeben werden, sie ohne weitere Anfrage
Ihnen öffentlich dargereicht zu haben. Nur unter dieser Voraussetzung darf ich es
wagen, Ihre Theilnahme an mir als Ihrem Schüler für meine künftigen Bemühungen
in Ansi^ruch zu nehmen und Ihnen schon jetzt eine Eechenschaft darüber abzulegen.
Die gegenwärtige Schrift werde ich nicht dem Buchhandel übergeben, wohl aber
die kritischen Journale zur Berücksichtigung derselben auffordern. Ich werde er-
warten, ob die darin aufzunehmenden Beurtheilungen mich nöthigen werden, meine
Ansicht von der Lehre Spinozas bei einer Vergleichung derselben mit der Lehre
Hegels zu ändern. Dürfte diese Arbeit sonach erst später ihre Vollendung erreichen,
so liegt die einer andern bei weitem näher, da ich nur auf Ihre Erlaubniß warte,
das Manuscript Ihnen zur Durchsicht und Prüfung vorzulegen. Es ist dieses ein
Versuch über die Grundbegriffe der Güterlehre vom Standpunkte der Statswirth-
schaftslehre, über .welche freilich Herr Professor Hagen ein so hartes, zugleich aber
so unbegründetes Urtheil ausgesprochen, daß ich dessen Erwidrung versagen konnte
und mußte, was dann jdie oben erwähnten Persönliclikeiten zur betrübenden
Folge hatte.
In diesem Versuche unternehme ich den Begriff gut als einen allgemeinen
nachzuweisen, denselben mit dem der Werthschätzung, oder vielmehr der Schätzung
zu identificiren, die Beziehungen desselben auf ein schätzendes Subject und ein ge-
^) 3V4 S. 4». H. Wien.
September 1839. 17
schätztes Object nachzuweisen, und nach Maßgabe der formalen Verschiedenheiten
des dui-ch jene Beziehungen begründeten Verhältnisses zwischen Personen und Sachen
die Reilie der Schätzungsbegriffe aus den (Gliedern der Würde, des Wohles, der
Nützlichkeit, der Kosten und des Preises zu konstruiren || da hie bei der Begriff der
Würde als Repräsentant Ihrer praktischen Philosophie und Ästhetik auftritt, der des
"Wohles gleichzeitig mit jenem in die Psychologie hineingreift und bei den Begriffen
der Kosten und des Preises die Ideen der Billigkeit und des Rechtes berührt werden
mußten, so würde ich über das Zuviel und Zuwenig der hiebei zu behandelnden
Materien sehr gern Ihres Rathes mich bedienen, um bei vielseitigem theils schon
erfahrenen theils noch zu erwartendem "Widerspruche nicht auf mein Urtheil allein
angewiesen zu bleiben. Vielleicht dürfte es nicht unzweckmäßig sein, einen kürzeren
Abriß dieser Abhandlung sowie eine deutsche Bearbeitung meiner Dissertation, welcher
einige andre Aufsätze noch hinzugefügt weiden könnten, schon jetzt unter dem Titel
philosophischer Studien dem Publikum zu übergeben. Hier ist es mir leider nicht
gelungen, einen Verleger für mich zu interessiren;, doch würde Ihre gütige Für-
sprache mir leicht einen solchen in Deutschland besorgen können. Für diesen liegen
auch Materialien zu einer Darstellung der kantischen Lehre in meinen Fächern,
deren Vollendung mir keine so bedeutende Mühe machen würde, daß sie nicht der
Geschichte der Kantischen Philosophie des Herrn Professor Rosenkranz bald ent-
gegentreten könnte. Die von mir angekündigten Vorlesungen über Einleitung in die
Statswissenschaften und über die Philosophemata des Cartesius, Spinoza, Leibnitz und
Wolff will ich zu einer schriftstellerischen Arbeit über den Begriff des States und
über die Statswissenschaften mit Benutzung der praktischen Philosophie und der
psychologischen Politik, so wie über jenen Theil der Geschichte der Philosophie be-
nutzen, und werde, bei mangelnden Zuhörern meine Muße ganz auf diese Gegenstände
verwenden. Doch ich fürchte schon zu sehr Ihre Güte geraißbraucht und zu lange
Ihre Muße von Arbeiten abgehalten zu haben, die für die Nachwelt bestimmt, das
Interesse der Gegenwart vielleicht in Ihren Augen so sehr || verkleinert, als diese es
um die Verkenuung Ihrer unschätzbaren Verdienste und Leistungen verdienen dürfte.
Möchten die gegenwärtigen Zeilen dazu gedient haben, Sie zu überzeugen, daß ich
es für mein einziges Verdienst erachte, Ihre Gedanken gefaßt zu haben, daß es das
alleinige Streben meines Lebens sein wird, denselben die Anerkennung zu ver-
schaffen, die sie nicht allein zu Ihrem Ruhme, sondern auch zum Heile der "S\^issen-
schaft und der Menschheit einmal nothwendig erhalten müssen.
In tiefster Hochachtung unterzeichnet sich Karl Thomas.
655. Drobisch an H.') Leipzig 14. Sptbr 39.
Erlauben Sie verehrter Gönner und Freund, daß ich Ihnen die beifolgende
kleine Abhandlung psychologischen Inhalts übersende, deren zweites Exemplar ich
Herrn Lott gefälligst zukommen lassen zu wollen bitte. Ich darf, wie ich glaube,
ohne Zudringlichkeit diese Schrift Ihnen zusenden, da sie nichts enthält, was Ihnen
anstößig seyn könnte. Was der erste § (55) besagt, das ist der wahre Stand meiner
Sache. Ich bin mit den Principien der mathematischen Psychologie zu einer Capi-
tulation gekommen, die ich zwar nicht für einen Abschluß für immer halten kann,
die mich jedoch über die meisten Resultate, wie ich hoffe, für immer mit Ihnen in
Einstimmung setzt, ohne daß ich die Einwürfe, die ich mir erlaubte, zurückzunehmen
habe. Ausführlicheres werden künftig die „naturwissenschaftlichen und mathematischen"
Anfänge bringen. Früher aber als diese dürfte wol eine Abhandlung über Religions-
') 1 S. 4°. H. Wien.
Hersarts Werke. XIX.
l8 Oktober 1839.
Philosophie zum Drucke kommen, ein Thema, das freilich nicht ganz in den Grenzen
strenger Wissenschaft liegt, aber gerade deshalb nur um so mehr das Interesse
derer in Anspruch nimmt, die von der Philosophie praktische Resultate verlangen.
Ich werde Sorge tragen, daß die Leser dieser Schrift meine individuellen Ansichten
mit ihren etwaigen Mängeln nicht Ihnen, dem Urheber des Systems, in dessen Geiste
ich zu philosophiren glaube, zur Last legen.
Ihrer verehren swürdigen Frau Gemahlin mich und meine Frau bestens emp-
fehlend, bin ich mit unveränderter Gesinnung
Ihr aufrichtig ergebenster Drobisch.
Für die jüngeren Freunde werden unter Ihrer Adresse (jedoch beliebiger Ver-
fügung von Ihrer Seite) durch Buchhändlergelegenheit einige Exemplare folgen.
656. Sachs an H.') Frankfurt a/M d 15 September 39
Verehrtester College und Freund ! Zur Herstellung meiner Gesundheit habe ich
in diesem Jalire mich zum Gebrauche der Teplitzer Bäder entschließen müssen und
dann es noch angemessen gefunden eine Erholungsreise zu unternehmen, die mich
nach Wien, ins Salzburgsche, nach München, und von da hieher gefühii. Heute
i'eise ich von hier nach Pyrmont zur Versammlung der Naturforscher und Aerzte
ab. Dies, Verehrtester, erlaube ich mir Ihnen mitzutheilen, um daran die — freilich
etwas kühne Bitte — knüpfen zu können, daß es Ihnen gefallen möge auch dahin,
wenn auch nur auf wenige Tage, zu kommen. Wie gern wäre ich zu Ihnen nach
Göttingen geeilt, um Sie von Angesicht wieder zu sehen und Ihnen die Versicherung
meiner innigen, uuers'chütterlichen Verehrung zu erneuern. Aber in der damaligen
Lage der lieben Georgia augusta (lesen Sie ja nicht angusta) kann es nicht zur
reinen Freude kommen. Sie haben ja nun auch Ferien, diese Reise nach Pyrmont
ist jedenfalls eine unbedeutende, für Ihre Erheiterung und Unterhaltung wird ge-
sorgt sein, manches Interessante bietet sich Ihnen wol dar und für psychologische
Bemerkungen und Beobachtungen finden- Sie da reiche Gelegenheit. Vielleicht also
entschließen Sie sich zu diesem Ausfluge und gewähren mir dadurch die Erfüllung
eines lange gehegten, sehnlichen Wunsches. Unseren gemeinschaftlichen Freund
Jacobi aus Königsberg finden Sie auch in Pyrmont.
So dringend es mir auch war Ihnen diese Bitte vorzutragen und so sehr ich
deren Gewährung wünsche, so muß ich diese doch ganz Ihnen anheimstellen und
mich wenigstens vorbereiten auch die Verweigerung nicht unwürdig zu tragen, da
ich den besten Grund habe bei Urnen alles auf guten Gründen beruhend vorauszu-
setzeü. Einstweilen indessen überlasse ich mich der fröhlichen Hoffnung auf die
Erfüllung meines Wunsches.
In treuester und verehrender Gesinnung der Ihrige Sachs.
Meine ehrerbietigsten Empfehlungen Ihrer Frau Gemahlin.
657. An Drobisch. 2) Göttingen 6. Oct. 39
Ihr vorletzter Brief, Verehrtester! brachte mich dahin, Ihrem Rechte,
in Ihrem Geiste über mathematische Psychologie zu schreiben, meinen
Respect zu bezeugen. _ Die nämliche Antwort habe ich für Ihren letzten
Brief; muß mir aber in Bezug auf das: narrabat, se coactum rei difficultate
etc. die Freyheit nehmen, ein kleines Citat beyzufügen. Die d'Alembert'sche
') IS. 4". H. Wien.
-) Bemerkung von Drobisch: „Abschrift. Das Original ist im Besitz des H. Ober-
postdirectors v. Hüttner, dem ich es geschenkt."
Oktober 1839. iq
Methode steht bey Lacroix im traite clem. d. c. d. et int. 2rn. ed. pag. 416.
Nro. 286. Dort habe ich sie vor einem Jahre gefunden und schon damals
angewendet. —
Uebrigens dankend für Ihre Sendung, erwiedemd durch die meinige,
erwarte ich Ihre Abhandlung über Religionsphilosophie.
Hochachtungsvoll Herbart.
658. Drobisch an H.^) Leipzig d. 15. October 1839.
Verehrter Gönner! Da die Zusendung der Abhandlung über Religionsphilosophie,
welche Sie mir erlaubt haben, wol noch einige Zeit sich verziehen kann, indem das
Manuscript noch nicht einmal beendigt ist. so will ich nicht unterlassen, Ihnen sofort
für das gütigst mir verehrte erste Heft Ihrer psychologischen Untersuchungen
meinen verbindlichsten Dank zu sagen. Es macht mir die größte Freude, Sie mit
unverminderter Kraft aus Ihren Schätzen Mittheilungen machen zu sehen, die, wenn
sie die Mitwelt nicht gebührend wüi'digen sollte, für die Nachwelt nicht verloren
seyn werden. Daß auch Sie schon vor einem Jahre die d'Alembert'sche Methode
in Anwendung gebracht haben, würde mir nur ganz einfach interessant seyn, wenn
Ihre Mittheilung nicht eine Art Berichtigung seyn zu sollen schiene. Ich erinnere
mich aber, daß, als ich vor zwei Jahren die Ehre hatte, Ihnen die erste Auflösung,
die im Programm nicht ganz ausgeführt ist, aber vollkommen zu denselben End-
formeln führt, im Brouillon vorzulegen, sich Ihre Aufmerksamkeit auf die allgemeinere
Behandlung des Problems noch nicht wieder zurückgewandt hatte, finde es aber
sehr natürlich, daß, als dies geschah, der Erfolg nicht fehlte, und Sie Sich dabei
sogar einer bessern Methode bedienten als meine zuerst gebrauchte war, von der
Sie nur eine flüchtige Kenntniß genommen haben werden, so daß Ihnen schwerhch
etwas mehr in der Erinnerung geblieben seyn wird als, daß es mir gelungen, die
drei Differentialgleichungen ohne Beschränkimg auf besondre Fälle zu integriren.
Da ich die Methode nicht erfunden habe, so kann ihre Anwendung für mich gar
kein Gegenstand des Ehi'geizes seyn, und daß ich die unschuldigen Worte:
narrabat etc. hinzugefügt habe, werden Sie doch hoffentlich nicht deuten, als wollte
ich mich über Sie erheben, da es in keiner andern Absicht geschah, als um den
Leser darauf aufmerksam zu machen, daß hier einmal nicht blos || Prüfung Ihrer
Rechnungen, sondern ein eigner, wenn gleich auch erst durch Sie Selbst veranlaßter
Versuch gegeben sey.
Allein seit ich mich zu der Prüfung der Principien zurückgewendet und Ihnen
das offene ßekenntniß abgelegt habe, daß ich mir in der Darstellung derselben noch
nicht völlig genügen kann und daß ich vermuthe, dies oder jenes werde anders
werden müssen, scheint sich Ihrer ein Mißtrauen bemächtigt zu haben, gegen das
ich nichts einzuwenden haben würde, wenn es blos meine geistige Fähigkeit beträfe
(wo es gar wol gegründet seyn könnte), das mich aber geschmerzt hat, weil ich
bemerkt zu haben glaube, daß es wenigstens zugleich gegen meine Gesinnung ge-
richtet ist. Es thut mir sehr leid, daß Differenzen, die nur sachlich wissenschaft-
hche hätten bleiben sollen, wenn ich nüch nicht ganz irre, auf das persönliche Ver-
hältniß einen störenden Einfluß zu gewinnen angefangen haben. Ich meinerseits
will wenigstens nicht unterlassen, hierdurch auf das Bestimmteste zu versichern,
daß dies ganz außer meiner Eiwarümg gelegen hat. Nochmals versichre ich Urnen,
daß Sie von mir keinen Angriff zu erwarten haben, und ich füge jetzt hinzu:
ich leiste darauf Verzicht, die mathematische Psychologie fernerhin zu einem Gegen-
1) 3 S. 4". H. Wien.
20 Oktober 1839.
stand einer öffentlichen Discussion zu machen. Ein einziges Programm wird noch
in einigen Monaten erscheinen, das sich auf die Anwendung der intensiven Größe
in der niath. Psych, bezieht, worüber ich noch sprechen muß, um mich gegen Gauß
und Fries zu rechtfertigen. Das Uebrige lege ich bei Seite und werde nur eine
ganz populäre empirische Psychologie, die fast beendigt ist, im nächsten Jahre er-
scheinen lassen. Nie habe ich mir eingebildet, in der mathematischen Psychologie
mit Ihnen rivalisiren zu können; nur eine gründliche und leicht faßhche elementare ||
Bearbeitung gedachte ich fürs Erste zu liefern. Dies gelang nicht in solcher Weise,
daß es sich Ihres Beifalls erfreuen konnte, woran mir doch vor allem andern ge-
legen seyn mußte; Aufmunterung von andern Seiten könnte mich auch, nicht zur
Fortsetzung reizen, denn leider hat es bis jetzt an Theilnahme gefehlt; soll mir mm
gar Mißtrauen in die Redlichkeit meiner Absichten bei diesen Arbeiten zum Be-
gleiter werden, so mögen sie docli ja lieber unter Bücherstaub vergraben liegen
Diesen Entschluß erlaube ich mir, Ihnen hierdurch mitzutheilen. Nur öffentlich
gegebene Veranlassungen (wie z. B. sie eben jetzt Fries geboten hat) könnten mich
etwa nöthigen, zu meiner Vertheidigung mir eine Abweichung zu erlauben, im
Uebrigen mag die Sache ruhen.
Mit unveränderter Hochachtung Ihr ergebenster Drobisch.
659. An Drobisch.^) Göttingen 20 Oct 39
Verehrtester! Es läßt sich nicht füglich vermeiden, daß ich Sie an
einiges Vergangenes erinnere. Gesprächsweise hatte ich Hrn. L[ott?] ge-
fragt, woran Sie Anstoß nähmen? Einige Tage darauf bekam ich, unerwartet,
von ihm ein Schreiben, worin er sagt: — „ich versprach mich genauer
daran zu besinnen, — das Einfachste war wohl, ihn selbst um eine Be-
antwortung anzugehn.'' So geschah es, daß Ihre Papiere, nicht unter Ihrem
Siegel, ohne eine briefliche Zeile von Ihnen, ohne Angabe des Zusammen-
hangs, — mir zu Gesichte kamen. Beygefügt wurde die Bemerkung, Sie ge-
dächten nicht, diese Papiere drucken zu lassen.
In Ihrem Briefe vom 20 April d. J. steht: ,, Komme ich zu keinen
andern Ansichten, so gedenke ich damit nicht zurückzuhalten. Wollte ich
weiter nichts als die gesamte mathematische Psychologie mit Stumpf und
Stiel ausrotten, so könnte ich damit zu Hause bleiben, denn nur ein ge-
fährlicher Irrthum verdient, so behandelt zu werden, nun habe ich aber
nur die gute Absicht zu verbessern" u. s. w.
Am 15 Oktober in Ihrem letzten Briefe, schrieben Sie: „Nochmals
versichere ich, daß Sie von mir keinen Angriff zu erwarten haben, und
ich füge jetzt hinzu: ich leiste darauf Verzicht, die math. Psych, fernerhin
zu einem Gegenstande einer öffentlichen Discussion zu machen. — Nur
öffentlich gegebene Veranlassungen, (wie sie z. B. eben jetzt Fries geboten
hat,) könnten mich etwa nöthigen, zu meiner Vertheidigung mir eine Ab-
weichung zu erlauben."
Nur soviel von Vielem bringe ich in Erinnerung; und nur, damit
Sie II gütigst Selbst bemerken mögen, wie nöthig es war und ist, daß ich
Ihrem Rechte, in Ihrem Geiste über math. Psych, zu schreiben, meinen
Respect bezeugte. Denn jenes Verzicht -Leisten, was soll es bedeuten?
vollends nachdem Sie ein halbes Jahr zuvor in Überlegung genommen
1) 2 S. 4
0
Oktober 1839. 2I
hatten, daß, und warum Sie die math. Psych, nicht ganz mit Stumpf und
Stiel ausrotten wölken ! Daß jenes Verzicht-Leisten nicht kann angenommen
werden, versteht sich von selbst; daß ich dergleichen nicht wünsche,
sollten Sie mir zutrauen ; daß Sie bey solchem Verzicht nicht beharren
können, daß vielmehr die Regel nur der Ausnahme wegen da seyn würde,
bezeichnen Sie sogar auf der Stelle durch Erwähnung des Fries. Ja neben
Fries finde ich in Ihrem Briefe noch Gauß genannt. Diese Herren pflegen
bekanntlich nicht zu scherzen; und noch obendrein wollen Sie Sich über
Religionsphilosophie aussprechen. Das wird zu thun geben; Sie werden
Sich frey regen und rühren, müssen ; was Sie gegen meine Lehre auf dem
Flerzen haben, wird öfter herauskommen; selbst wenn Sie, wie ich hoffe
und bitte, in Bezug auf ehemalige Privat -Mittheilungen behutsamer seyn
werden, als bei dem — unnöthigen narrabat. Die ,.gute Absicht zu ver-
bessern", die ich Jahre lang vor der förmlichen Verkündigung als sich
von selbst verstehend voraussetzte, ohne ein Rütteln an den Fundamenten
zu besorgen, — gehört überhaupt nicht zu denjenigen Absichten, die man
aus großmüthiger Rücksicht auf Privatverhältnisse, faßt oder aufgiebt.
Übrigens ist im letzten Jahre zwischen uns nicht von persönlichen
Fähigkeiten u. d. pp. die Rede gewesen, sondern von Dem, was zu aller
Zeit, in allen philos. Systemen, eine der allerempfindlichsten Stellen aus-
gemacht hat und ausmachen wird. Was mich persönlich unangenehm be-
rührte, geht vorüber, da Sie es wünschen.
Hochachtungsvoll Herbart.
'O"
660. An Griepenkerl.i) Göttingen 20. Oct. 1839.
Empfangen Sie meinen herzlichen Glückwunsch, mein theurer Feund!
zu Ihrer Familienfreude! IMöge dieses Ereigniß einen warmen Sonnenschein
über Sie und die Ihrigen ergießen! Meine Theilnahme ist um desto voll-
ständiger, da ich den besten Glauben hege, daß Bremen ein rechter Wohn-
platz für gute Frauen ist, und daß die dortige FamiUe Gildemeister,
womit Ihr künftiger Schwiegersohn zusammenhängt, zu den achtungs-
werthesten gehört. Die Schwester Kotzebues habe ich persönlich gekannt;
auch ihren Sohn, der, glaube ich, schon seit langer Zeit Senator ist.
Wahrscheinlich wird auch eine Bekanntschaft mit dem Bürgermeister
Sraidt, 2) meinem Universitätsfreunde, bald hinzukommen! Übrigens lag mir
eine Art von Gedanken in der Seele, als ob ich noch in diesen Herbst-
ferien wieder zu Ihnen nach Braunschweig kommen möchte, allein erst
die Kosten, — dann die Betrachtung, daß Sie jetzt andre Dinge zu be-
denken hätten, die ohne alle Frage weit nähere Ansprüche an Ihre Auf-
merksamkeit haben als ich mit meinem literarischen oder wissenschaftlichen
Treiben, — dies beydes hat mich zurückgehalten. Sie werden ja wohl
einmal wieder daran denken, daß Sie uns hier besuchen wollten.
Haben Sie Zeit an mich zu denken, so kann ich den Artikel im
neuen Conversationslexicon der Gegenwart, I4tes Heft, der meine Lehre
^) 272 S. 4". H. "Wien. — Bei Zimmermann pp. S. 96 f. Die dort weg-
gelassenen Xamen habe ich hier ergänzt.
2) Vgl. S. 5 und Herb Rel. S. 24 und öfter.
22 Oktober 1839.
betrifft, mit gutem Gewissen empfehlen. Der Aufsatz ist ohne Zweifel von
Hartenstein; nichts Aufgeblasenes aber meinem Urtheil nach viel Treffendes;
und gewiß Ersatz gegen unzähliges Geschwätz. — Aus einigen kleinen
Zügen sehe ich, daß Hartenstein sich selbst dabey nicht vergessen hat; seine
Metaphysik ist, der Wahrheit gemäß, als Reproduction der meinigen be-
zeichnet, aber „der Gang der Untersuchung" soll darin „mit größerer
„Continuität", als von mir, wenigstens „der Form der äußern Darstellung
nach", geschehen, verfolgt seyn. Und wenn Sie Ihre Ästhetik nicht ge-
hörig gewürdigt finden, so trösten Sie Sich gewiß leicht damit, daß auch
meine 4 neuern Schriften kurzweg „zu fragmentarisch" gefunden werden,
um „systematischer angelegte Schriften überflüssig machen zu können".
Was dahinter steckt — ein eigner Plan, — ist leicht zu errathen. Jeder
sorgt für sich! Drobisch hat nun einen überhöflichen Brief gut gefunden,
den ich nicht eben so höflich beantworten konnte; doch wird nun wohl
die Reibung etwas vermindert werden. Wenn die Leute mir nur möglich
machen, in demjenigen Thun fortzufahren was ich als meine Pflicht be-
trachte, — wenn nur nicht die Ungunst der Außenwelt mir den Boden
unter den Füßen verdirbt, und die wenigen Kräfte die ich noch habe, in
Fesseln legt, — dann will ich schon zufrieden seyn. Mein bisheriges
Schicksal in einem schon langen Leben war immer fort, desto mehr arbeiten
zu müssen, je mehr Andre verdarben. Jetzt bin ich bey meinem zweyten
Heft; es giebt noch soviel zu thun, daß ich noch immer manchmal be-
sorge, der Zielpunct laufe vor mir, und wolle sich nicht erreichen lassen.
Mit großem Danke für die Bachschen Sachen
Herzlich der Ihrige! H.
661. Drobisch an H.^) ' Leipzig d. 23. October 39.
Wenn ich, verehrter Gönner, sofort mich beeile, Ihren Brief vom 20. d. mit
einigen Zeilen zu erwiedern, so geschieht es nicht zwar in der Hoffnung, daß ich
diesmal in dem Versuch, Sie von Ihrem Mißtiauen gegen mich zu befi'eien, glück-
licher seyn würde, sondern um nur das, woran Sie mich erinnern, in das rechte
Licht zu setzen. Hätte es Ihnen gefallen, mir Ihr Mißfallen über das in Erinnerung
gebrachte im April unmittelbar ganz offen zu erkennen zu geben, — wo ich nur einen
Brief- erhielt, dessen kurzer Inhalt den Wunsch mit mir als enfant perdu abzu-
brechen, mir zu enthalten schien — so würde ich eben so unmittelbar zu meiner
Rechtfertigung das geschrieben haben, was jetzt erst geschehen kann.
H. L. wünschte von mir, da seinem Gedächtniß manches entfallen war, eine
Recapitulation meiner Bedenken. Mit diesen, zum Theil durch ihn selbst angeregt,
wie ich Ihnen das schon früher schrieb, hatte ich mich lange herumgeplagt, d. h.
ich hatte nach Darstellungen, Entwicklungen, Formeln gesucht, die alle Sciupel be-
seitigen sollten, iiicht nach etwas Neuem^ sondern nach Stützen für das Alte, z. B.
bei der Bestimmung der HS. u. dgl. Da ich mir nicht genügen konnte, so griff ich
zu dem Mittel, das mir. sehr häufig gute Dienste geleistet hat, mich wenigstens
apagogisch von einer Wahrheit zu überzeugen! ich versetzte mich in die Stellung
des Gegners und schrieb alles nieder, was ich von Einwürfen aufbringen konnte,
uui zu sehen, wohin dies führen würde. Als diese Blätter in Ihre Hände kamen,
hatte dies, wenn ich mich recht erinnere, nur zu einigen andern Bestimmungen über
^) 3 S. 4«. H. Wien.
Oktober 1839. 2^
Spannung, Gleichgewicht pp. geführt; neue Formeln hatte ich nicht zu bilden ver-
sucht und habe ich überhaupt für einfache Vorstellungen nicht gebildet: dean es
zeigte sich mir, je mehr ich die Sache durcharbeitete, um so mehr, daß die Ihrigen
die Erfahrung am besten ausdrücken; und gar vielmals führten mich Principien, die
mir tadelloser schienen als die Ihrigen, zu Consequenzen, die offenbar unbrauchbar'
waren und also auch die Principien aufgeben hießen. Daß ich mir später mit einer
Art von Provisorium geholfen,, indem ich die Formeln anerkannte, 1| auch ableitete,
aber der Zukunft eine noch tiefere Begründung vorbehielt oder zuschob, das habe
ich Ihnen, wie ich glaube, bereits geschrieben. Den Ursprung der verhängnisvollen
Blätter kennt nun auch Herr Lott, und ich muß bedauern, will ihn aber nicht an-
klagen, wenn er denselben Ihnen nicht ausdrücklich mitgetheilt hat. Eben weil ich
ein gutes Gewissen hatte, habe ich alle ängstlichen Vorsichtsmaßregeln verschmäht.
H. L. freute sich, wie ich glaubte, Ihres Vertrauens; zu mir stand imd steht er,
ein wenige Jahre jüngerer Mann von Bildung und Kenntnissen, nicht im Verhältniß
eines bloßen Schülers, sondern eines Freundes, Ihrer Freundschaft hielt ich mich
gewiß, wie konnte ich Arges denken? Wir sind, dachte ich, unter uns. Wenn alte
Bogen, die ich, wie für die Druckerei zugerichtet, geschrieben, gedruckt wären, so
wäre das von mir Veröffentlichte doppelt so viel als jetzt. Schien Ihnen nun die
Mittheilung durch Lott eine Indiscretion, oder glaubten Sie gar hierdurch unredlichen
Absichten auf die Spur gekommen zu seyn, nun so habe in der ersten Beziehung
ich, in der zweiten haben Sie die Verhältnisse verkannt.
Sie führen mir eine Stelle aus meinem Briefe vom 20. April zu Gemüthe.
Ich erinnere mich gar wohl, daß, als ich diesen Brief schrieb, ich bereits das Ge-
fühl hatte, unverdienter Weise von Ihnen mit Mißtrauen mich beobachtet zu sehen,
wox-über mich auszusprechen jedoch mir nicht erlaubt war, theils weil Sie mir er-
wiedern konnten, daß ich mir dies blos einbilde, theils weil, auch nur davon zu
reden, die Freundschaft nicht fördert; freilich ist es mir schlecht gelungen, meinen
Unmuth zu verbergen. Wenn Sie mir aber vorwerfen, daß ich „in Ueberlegung ge-
nommen habe, daß und warum ich die mathematische Psych, nicht ganz mit Stumpf
und Stiel ausrotten wollte", so muß ich diese Auslegung meiner Worte auf das Be-
stimmteste ablehnen. Das .,Wollte ich" heißt nichts anders und kann nichts anders
heißen als „ginge ich damit um" oder „Könnte es mir in den Sinn kommen!" Im
Zusammenhange; ,, hätten mich meine Untersuchungen nur zu dem negativen Resultat
geführt, daß es keine math. Psych, gebe, so könnte ich die Veröffentlichung dieser
Ueberzeugung füglich unterlassen." Es würde ja die elendeste Heuchelei seyn, noch
an „Verbesserung" denken zu wollen, wenn ich mich von der Nichtigkeit der
ganzen Wissenschaft zuvor überzeugt hätte. Wo habe ich je Veranlassung zu
solchem Verdachte gegeben! || Allein Sie scheinen die Verbesserungsidee keineswegs
auf die Fundamente bezogen zu haben, ich auch nicht eher, als ich glaubte dazu
genöthigt zu seyn.
Dem ironischen „Respect" mit dem Sie mich wiederholt beehrt haben, glaubte
ich nun einen nichtironischen entgegensetzen zu müssen; als dessen Beweis bitte ich
den mitgetheilten Entschluß ansehen zu wollen. Es soll keine Großmuth seyn, die
Sie an mir Bettelstolz zu nennen unter diesen Umständen sich eher berechtigt
finden könnten. Sie haben schon Recht, daß sich in der Philosophie Sachliches und
Persönliches nicht ganz trennen läßt; aber daraus würde ich eher folgein müssen,
daß ich über alles Philosophische fortan ein tiefes Stillschweigen schicklicher weise
zu beobachten habe, denn sind einmal Mißstände eingetreten, so hat der Secundirende
am Ende immer noch von dem, welchem er beizustehn strebt, ein ,, Bewahre uns
Gott vor unsem Freunden!" zu befürchten. In dieser Lage hoffe ich jedoch Ihnen
2A Oktober 1839.
gegenüber noch nicht zu seyn. Mit so würdigen und berühmten Männern, wie-
Gaiiß und Fries, Scherz zu treiben, werde ich mich wohl hüten. Meine Exposition
soll allein der Sache gelten; was Gauß betrifft, so verlangt er nichts weiter als eine
Exposition. Ihr Unwille über das narrabat schüchtert mich nur noch mehr ein:
denn hier fühle ich mich ganz unschuldig. Hätten Sie, wie Sie beabsichtigten,
Ihre früheren Rechnungen ein Jahr zuvor veröffentlicht, und zwar ehe Sie die
d'Alembert'sche Methode anwendeten, so würde das narrabat einem Citat gewichen
seyn, aber die Sache blieb dieselbe: Ihr Verlust an Ruhm war gerade so unbedeutend
wie mein Gewinn daran. Daß ich durch Sie zur Rechnung veranlaßt war, hielt ich
für Schuldigkeit zu sagen, sonst hätte ich mir mehr angemaßt als mir gehörte; hätte-
ich mehr verschweigen sollen, nun so bin ich wenigstens blos unklug gewesen.
Unter diesen Umständen erlauben Sie mir, in Beziehung auf die mathematische
Psychologie auf meinem Vorsatze für jetzt zu beharren und das Weitere von den
künftigen Verhältnissen abhängig zu machen, die sich ja häufig anders gestalten als
man erwartet.
Mit der größten Hochachtung Ihr ergebenster Drobisch.
662. An Drobisch.^) {Ohne Datum, Poststempel 28. 10.) 1839.
Ein neues Gesetz, welches die alten declarirt oder abändert, erlaubt
nicht, daß man die frühern dagegen anführe. So darf ich denn auch
nicht Ihre altern Briefe gegen den neuesten citiren; ich füge mich, —
und füge mich gern. Nur das Gedruckte macht mir noch einiges Be-
denken; ich meine die plura, welche nur nicht tanti seyn sollen, wxa. plane
novam doctrinam gegen das, was meine Statik besagte, aufzustellen.
Sie erlauben mir hoffentlich, nicht tiefer ins Einzelne zu gehn; wir
kämen damit nicht weiter. Eins aber muß ich berühren; nämlich meinen
Respect für literarische Freyheit. Das ist keine Ironie; und das Wort ist
der eigentlichste Ausdruck für die Sache. Scheint es Ihnen auch für den
Augenblick wirklich, als könnten Sie Sich irgendwie jener Freyheit ent-
äußern, so kann doch die nächste Stunde etwas bringen, das Sie mahnt
Sich derselben zu bedienen. Und das wird unfehlbar geschehn; denn
Sie sind öftentlicher Lehrer und Schriftsteller. Eine gezwungene Zurück-
haltung leidet die Wissenschaft nicht; auch hilft eine solche weder Ihnen
noch mir! HochachtimgsvoU der Ihrige H.
663. Richthofen an H.-) ßrechelshof den 25sten Oct. 31^
Verehrter alter Ereund! Unser Briefwechsel ist so ins Stocken gekommen,
daß Sie Sich meiner Schriftzüge kaum noch erinnern werden, und doch bin ich
wiederhohlt im Begriff gewesen Ihnen zu schreiben, aber mancherlei Abhaltungen,
Geschäfte, Gemütsbewegungen, waren hinderlich; mau will dies oder jenes erst ab-
machen, beenden und darüber vergeht die Zeit, so daß die Geschäftsleute für das-
höhere Loben oft über dem gewöhnlichen Getreibe keine Zeit übrig behalten. Da
greift aber zuweilen die Hand des Schicksals dazwischen, und alle jene Miserabili-
täten erscheinen in ihrer wahren Dichtigkeit. In einer solchen Gemüthsstimmuug
befinde ich mich eben just jetzt, da ich leider meine älteste Tochter Therese in
Folgen einer glücklich scheinenden Entbindung verlohren. Ach! es ist sehr schmerz-
lich sein Kind zu verliehreu, von dem man umgekehrt geglaubt, daß es einem- viel-
') I s. 4». ■
-) 3 S. 4". N.
Oktober 1839. 25
leicht die Augen zudrücken werde. Und ich besaß eine ausgezeichnete Tochter,
von großen, geistigen Anlagen, die sie schön ausgebildet und zu einem schönen
Ganzen gerundet hatte. Sie war in glücklichen, äußeren Verhältuißen, hing vor-
züglich mit inniger Liehe an einem zurückgelassenen Sjährigen Knaben, und den-
noch starb sie mit unendlicher Kraft bei dem vollsten Bewußtseyn, so daß mir die
Tochter zum Muster geworden; aber dennoch blutet mein flerz, so viel Kinder und
gar gute Kinder ich j| auch außer ihr noch besitze. Zuletzt bleibt freilich nichts
übrig, als sich möglichst zu fassen, und nach dem zu greifen was jedem nach seiner
Eigenthümlichkeit die möglichste Beruhigung giebt; aber auch das Herz will sein
Eecht, und so schweben denn und bilden die alten Freunde, auf deren herzUche Theil-
nahnie man rechnet, in solchen Momenten, uns besonders lebendig vor.
Wie ist es Ihnen aber in dieser langen Zwischenzeit ergangen? Wahrschein-
lich haben auch Sie viel unter äußeren Differenzen gelitten! üb man wählen solle,
oder nicht; ob 19 oder 34 die Zahl des Glücks das aber gewiß weder auf die eine
noch auf die andere Weise gefunden wird. Und dennoch wäre ich in ähnlichen
Verhältnissen gewesen, wäre auch ich vielleicht in lebendigem Interesse entbrannt;
aber da ich eben fem stehe, kann ich nichts thun, als Ereigniße beklagen, die
manches Gute vernichtet oder erschwert, zugleich unbefangen genug, um kemen zu
verdammen, der in dem Gefühl irgend einer Pflicht gehandelt hat. Wie oft aber
habe ich nicht an den Oct. 37 zurückgedacht, als ich Sie zuletzt in Göttingen sah^
und zwischen dui'ch wieder mit jenen braven Männern verkehrte, die bald auch
ein Opfer jener Partheiungen wurden. — Aber gewiß sind Sie bald wieder zu einem
andern Gedankenkreise zurückgekehrt, und haben jene Dinge von sich gestoßen, die
wenigstens für Sie von einem minderen Interesse waren. Mein ältester Sohn, der
mich nach dem Tode meiner Tochter besucht, und jetzt wieder nach Göttingen
zurückkehrt, versichert mir wenigstens Sie vor einiger || Zeit gesehen zu haben, und
daß Sie damals wohl waren. Auch Ihrer Frau, die ich zu grüßen bitte, geht es
hoffentlich gut. Wie ist aber die Empfänglichkeit Ihrer Zuhörer ? — Der Hegelianis-
mus wird jetzt ja auch wieder allmählig versch^\änden ; möge nur nicht mit ihm
alle Philosophie mehr oder minder unpopulär werden!
Ich bin in diesem Jahre wenig zu Athem gekommen; außer meinen Amts-
und Privatgeschäften, ward ich in diesem Jahre Mitglied einer Commission über
schlesisch landschaftliche Angelegenheiten, doch auch dieses Geschäft ist jetzt ziem-
lich beseitigt, und eine Zinsenherabsetzung von 40 Millionen Schlesischer Pfand-
briefe ist glücklich durchgeführt, außerdem habe ich aber vor einiger Zeit mein
Landrathamt niedergelegt und kann nun wieder mehr mir selbst leben. Aber frei-
lich ist die jugendliche Kraft und jugendliche Unbefangenheit unterdeß ziemlich
vorübergegangen, und der alternde Körper erzeugt manchmal Besch [werden] und
eine Erfahrung, wie die eben gemachte, der Verlust eines lieben [Kindes] ist eben
nicht gemacht, um zu kräftigen. Auch ist mir mein dießjähriger Aufenthalt in
Warmbrunn schlecht bekommen; nahmentlich ist mein Blutsystem so aufgeregt, als
wenn ich meinen Körper umgetauscht hätte ; aber auch dieß wird sich wohl wieder
allmählig beruhigen. — Meine arme Frau ist sehr betrübt und niedergebeugt aber
leidlich wohl.
Mögen Sie, lieber Freund, diesen Bericht bald erwiedern, und meiner bisweilen
freundlich gedenken I
Mit Freundschaft und Ergebenheit der Ihrige Richthofen.
Am Rande : Entschuldigen Sie gelegentliche Bitte um Rückgabe der bewußten
Obligation.
26 November 1839.
664. Tellkampf an H.^) Hannover, den 30. Nov. 1839.
Wolilgeborner Herr, Hoclizuverehrender Herr Hofrathl Es muß Ilinen höchst
undankbar erscheinen, daß ich bis heute säumen konnte, für das mir so werthvolle
Geschenk Ihrer neuesten Schrift meinen innigsten und freudigsten Dank auszu-
sprechen, und -u-irklich habe ich mir wiederholt Vorwürfe daräber gemacht, diese
Verpflichtung nicht unmittelbar nach dem Empfange derselben erfüllt zu haben.
Damals war ich aber durch gehäufte Berufsgeschäfte und die Umsiedlung in eine
andere Wohnung so bedrängt, daß ich alles augenblicklich nicht Nothwendige auf
bessere Zeiten wiederkehrender Ruhe hinausschob. Und als diese nun gekommen
waren, drängte es mich, zunächst das rein gewordene Schatzkästlein aufzuschließen,
damit mein Dank nicht in den Verdacht leerer Worte gerathen möge. Bei diesem
Aufschließen ist mir nun der Werth des Inhalts wohl klar geworden, aber ihn in
seinem wahren Umfange zu schätzen, bin ich doch nicht im Stande, ehe ich nicht
in die eigenthümliche Auffassungsweise der Psychologie, welche die Wissenschaft
Ihnen verdankt, tiefer einzudringen versuche. Denn wenn mir auch im Allgemeinen
Entwicklung und Sinn der Formeln, welche der weiteren Betrachtung zur Basis
dienen, wohl verständlich geworden sind, so fehlt doch |l noch viel an jener Klarheit
des Verständnisses, wie ich sie sonst bei mathematischen Untersuchungen zu er-
reichen gewohnt bin und auch hier zu gewinnen mich gedrungen fühle. Allerdings
ist mir die Erinnerung statischer Betrachtungen behülflich gewesen, ohne indessen
ganz auszuhelfen, da mir Schwierigkeiten über den Ausdruck der Hemmungssumme,
namentlich bei drei Vorstellungen von verschiedener Intensität bleiben. Doch mag
dieser Anstoß sch'«nnden, sobald mir Muße wird, mich mit dem Hauptwerke bekannt
zu machen. Für jetzt erregt mir in Absicht der so höchst anziehenden Anwendung,
welche Sie von den psychologischen Formeln auf die Tonlehre machen, ferner noch
der Umstand Bedenken, daß die Tonlinie, durch welche höchst anschauhch der Ton
an Quantum repräsentirt wird, in Gegensatz und Gleichheit zerfällt. Vielleicht ist
es aber nur die letzte Benennung, woran ich mich stoße, da mir beide Theile als
Oegensätxe erscheinen, bezogen auf verschiedene Gränzpunkte, etwa wie in der
Wahrscheinlichkeitslehre ebenfalls die Einheit, als Ausdruck der Gewißheit, in die
einander enUiegengesetxten Wahrscheinlichkeiten zerfällt. Abgesehen aber von diesen
Punkten des Anstoßes hat mir Ihre psychologische Entwicklung der Tonlehre das
höchste Interesse erweckt und den Gegenstand von einer Seite mir vor die Augen
gerückt, die mich auf's Äußerste überraschen mußte. Denn ich war freilich des
guten Glaubens, daß man die eigentliche Basis unserer Harmonielehre nur in den
Tonverhältnissen suchen könne, welche die Akustik uns au schwingenden Saiten
nachweist, obgleich mancherlei Bedenken damit sich nicht wohl vereinbaren wollten. —
Ich II gedenke hier namentlich der Erfahrung, daß Kinder von musikalischen Anlagen
so leicht die Tonleiter rein singen lernen, ohne daß ihnen ein Instrument dabei zu
Hülfe zu kommen braucht, womit die gewohnte künstliche Ableitung der Ton-
verhältnisse sich doch nur sehr gezwungen verträgt. Es möchte daher Leibnitzens
bekanntem Ausspruch wohl eine ganz andere Deutung unterzulegen sein, als die auf
Schwingungszahlen bezogene. In welche Schwierigkeiten man sich verwickelt, wenn
man lediglich auf diese die Erklärungen der Tonlehre meint begründen zu können,
ist mir durch Ihre Beleifchtung erst klar geworden und würde mir noch einleuch-
tender geworden sein, wenn ich auf dem Gebiete der Musik mehr zu Hause wäre.
Es ist gewiß sehr zu bedauern, daß diese durch Scharfsinn so ausgezeichnete Schrift
1) 4 S. 40. H. Wien. — J. D. A. Teilkampf (1798-1869), Mathematiker,
Dir. d. h. Bürgersch. in Hannover, s. Allg. D. Biogr.
Dezember 1839, 2 7
im Ganzen auf wenige Leser wird zählen können, die ihrem vollem Verständniß ge-
wachsen wären, da sie hiezu dem Verfasser einigei-maßen ebenbürtig und wenigstens
in philosophischer, mathematischer und musikalischer Bildung begleich auf ange-
messener Stufe der Einsicht stehen müßten. Ich besorge aber, daß die Anzahl
solcher nicht gar groß ist. —
Was mich betrifft, so darf ich hoffen, daß eine wiederholte, genaue Durch-
lesung ungeachtet dessen, was zu jenem vollen Verständniß mir immerhin abgehen
möge, mir dennoch manches aufklären wird, was für den Augenblick mir noch in
Dämmerung liegt. Was mir aber schon bis jetzt klar geworden, hat mir die über-
raschendste Befriedigimg bereitet, z. B. die Entwickelung der beiden Hauptaccorde
und die wesentliche Bedeutung der s. g. gleichschwöbenden Temperatur, welche nach
den herrschenden Ansichten unerkannt bleibt. ||
Da ich einmal in der Schilderung des Eindruckes, welchen der Inhalt Ihres
geneigten Geschenkes auf mich gemacht, so weitläufig geworden bin, mag auch noch
das von mir eingestanden werden, daß allerlei Bedenken und Fragen während der
Leetüre in mir entstanden, auf welche ich, sehr angenehm betroffen, plötzlich auf
S. 132—142 mir die erwünschteste Antwort ertheilt sah. Und so mögen jene
„theoretischen Bemerkungen" auch wohl manchem andern Leser zu genauerer Ver-
ständigung höchst willkommen sein.
Indem ich den Wunsch ausspreche, daß die Länge meines Schreibens vor
Ihnen Verzeihung finde, wiederhole ich meinen, wärmsten innigsten Dank für die
so werthvolle Gabe, womit Sie Mich beehrt, und verharre mit ausgezeichneter Ver-
ehrung und Ergebenheit als
Ew. Wohlgeboren gehorsamster A. Teil kämpf.
665. An Taute. 1) Göttingen I December 1839
Mein theurer Freund! Als vor einigen Wochen meine psychol.
Untersuchungen aus der Presse kamen, da wollte ich bei Zusendung einiger
Exemplare an Sie schreiben, — vertiefte mich aber in Rechnungen, bald
kamen UnpäßUchkeiten , die Collegien fingen an, u. s. w. So ist das
Schreiben bis jetzt verschoben, und die Zusendung des Büchleins stößt
sich an zweyerley, theils daß sich das Heft wohl schon dort wird ein-
gefunden haben, theils daß es sehr wenig interessiren wird. Denn wer
mag Lust haben mit mir zu rechnen und sich von mir über Tonlehre
und Zeitmaaß unterhalten zu lassen? — Wenn Sie indessen die Schrift
noch nicht haben und doch zu sehen wünschen, so belieben Sie mir
ein Wörtchen deshalb zu schreiben, und ich besorge es Ihnen dann mit
Buchhändler-Gelegenheit.
Wie es in Königsberg jetzt steht, ist mir nicht ganz unbekannt, da
ich von dort mehr als einen Besuch hatte, Sieffert und Dieckmann haben
uns erfreut; beyde sind hoffentlich wohlbehalten zurückgekehrt. Von Sieffert
wünsche ich indessen bestimmt zu erfahren wie ihm die Reise bekommen
ist, man merkte wohl, daß er gelitten hat. Einen längeren, und sehr an-
genehmen Besuch hatten wir von Dohna; er war in der That wie ein
alter Hausgenosse; dabey so unterhaltend und so verständig, daß er uns
recht erheitert hat ; — möge er sein Glück genießen, und sich in seiner
ganzen Umgebung so willkommen machen als bey uns! — Aber von ein
1) 3 S. 40. N.
28 Dezember 1839.
paar ehemaligen Collegen ist es mir nicht so wohl geworden. Sachs reiste
nahe an Göttingen vorbey, und beschied mich zu spät nach Pyrmont in
die Versammlung der [| Naturforscher , zu der ich nicht gehöre ; doch
wäre ich dorthin gereist um ihn zu sehen, wenn er acht Tage früher ge-
schrieben hätte. Jakobi hat es noch schlimmer gemacht. Er ist hier
gewesen und hat mich nicht mit seinem Besuche beehrt.
Daß ich im Ganzen die Königsberger Nachrichten so eigentlich nach
meinem Geschmack gefunden hätte, kann ich nun eben nicht sagen; —
Sie errathen wohl was ich meine. Während von allen Seiten gemeldet
wird, daß in Berlin die Hegeley immer merklicher schwindet, scheint der
Königsberger Ableger recht ordentlich zu grünen und zu blühen, und
wenn man darin wenigstens Etwas Heilsames erblicken möchte, so kann
ich ein solches Etwas aus dem was ich vernahm, doch nicht heraus
destilliren. Angenehme Plauderey, die gern gehört wird, kann dort gegen
Philologie und Mathematik nur zum Nachtheil der Wissenschaft con-
trastiren. Einen anderen Contrast möchte es bilden, wenn der dortige
politische Eifer mit unserem hiesigen Kaltsinn könnte zusammengestellt
werden. Die hiesigen Meinungen bleiben geteilt, wie sie waren, aber die
Universität erhohlt sich einigermaaßen. Mein Auditorium ist jetzt wieder
gehörig gefüllt, während Jedermann weiß, daß nichts von Politik darin
durchscheint. Mühlenbruch und Langenbeck sind sehr stark besucht, ob-
gleich die Zeitungen nach bekannter Weise drein reden. Die Universität
hat nach neuester Zählung nahe an 700 Studenten, und ist vollkommen
ruhig. Ich habe guten Grund zu hoffen, man werde endlich begreifen,
daß eine akademische Wirksamkeit schlechterdings nicht mit Tagespolitik
vermengt werden darf. Das einzige Unglück ist, daß man verkehrter
Weise der Universität das Recht beygelegt hat, einen Deputirten zur
Ständeversammlung zu schicken, — freylich geschah das in Zeiten, wo
die jetzigen Umstände nicht vorherzusehen waren. || Um Ihnen zu sagen,
was ich treibe, sage ich kurz, daß ich ernstlich dran denke, dem ersten
Heft meiner psychologischen Untersuchungen das zweyte folgen zu lassen;
unbekümmert ob das erste Heft Absatz finde oder nicht. Meine Jahre
setzen mich über die gewöhnlichen Schriftstellersorgen hinweg; Material
ist noch vorräthig; ob ich noch so viel gute Stunden gewinnen werde als
nöthig um es zu verarbeiten, ist freylich nicht gewiß. Aber die Leichtig-
keit, womit ich das erste Heft zu Stande brachte, hat mich selbst über-
rascht. Hätte ich im Voraus daran geglaubt, die Confusion, in welche
Drobisch gerathen ist, würde mir wenig Sorgen gemacht haben. Übrigens
ist nicht viel Hoffnung, daß Drobisch aus seiner Grübeley und Schwan-
kung herauskommen wird. Einige Anfänger, denen er Rede stehen sollte,
machten ihn irre; etwas später scheint er wirklich gemeint zu haben nun
könne er mich auch irre machen, — mit der Einbildung wirds nun wohl
[vorbey seyn]. Etwas Vestes, das er mir gegenüber stellen zu können
auch nur gedacht hä[tte fand] sich nicht; bei einigen versuchten Nega-
tionen ists geblieben. Im letzten Jahr habe ich hier unter meinen Zu-
hörern einige junge Mathematiker gehabt; es giebt deren auch jetzt; es
ist wohl möglich, daß davon etwas Haltbares übrig bleibt. Freylich wären
wir ohne die Dahlmannsche Katastrophe weiter als wir sind ; aber man
Dezember 1839. 2 g
muß sich darüber nun zufrieden geben. — Meine Frau hat mit dem Otto
zu thun, der ein großer Junge geworden ist, und jetzt bei einem Unter-
offizier exerzieren lernt, — um — trotz seinen verwachsenen Füßen gehen
und stehen zu lernen. Könnte er auch noch sprechen lernen, so würde
er wohl durch die Welt kommen; an gewöhnlichem Verstände fehlt es
eben nicht; er hat überdies Unterricht in Geographie und Geschichte,
und es geht leidlich. Freylich ist er sehr weit hinter seinen Jahren zurück.
— Nun habe ich Ihnen erzählt. Erzählen Sie mir wieder! Auch von
Gregor, dessen Unterrichtsanstalt sehr gerühmt ist; davon möchte ich gern
viel lesen. — Viele Grüße an — Gregor, Sieffert, Sanio — an Hm Prof.
Schubert, von dem ich lange nichts habe, während ich immer seinen Be-
such erwartete, — an, — an Alle die sich meiner gütig erinnern.
Von Herzen Ihr H.
1840.
666. An Taute. 1) Göttingen 3 Febr 1840
Mein theurer Freund! Sie haben mich benachrichtigt, daß Ihr
Manuscript druckfertig sey. Hofifentlich ist es schon unter der Presse;
allein auch davon wünsche ich Gewißheit zu erhalten. So sehr auch Ihr
Werk sich verspätet hat, (was ich nicht genug bedauern kann) so möchte
es sich doch in gewisser Hinsicht noch mehr verspätet finden, wenn es
nicht jetzt wenigstens so bald als möglich erschiene. Sie wissen, daß eine
andere geschickte Feder eben auch mit einer Religionsphilosophie be-
schäftigt ist, die wohl — zum Theil wenigstens, von meinen Grundsätzen
ausgehen wird. Zu Ihrem Werke habe ich jedoch ein größeres Vertrauen,
da Sie mich versichern, daß Sie genau und streng im Kreise meiner
Untersuchungen geblieben sind.
Auf den äußersten Fall, daß Sie dort wegen des Verlags Schwierig-
keiten fänden — kann ich zwar nicht große Hoffnungen machen, denn
unsere Buchhandlungen sind gerade jetzt in der Klemme; sie haben die
bisherige Portofreyheit verloren. Dennoch ließe sich ein Versuch machen,
wenn Sie mich näher in Kenntniß setzen wollten: wie stark das Manu-
script? Wie der Plan des Werkes angelegt sey? welche Bedingungen Sie
stellen oder annehmen würden? Selbst eine Inhaltsanzeige möchte nicht
überflüssig seyn. Aber lassen Sie Sich ja nicht abhalten, wenn Sie unter
leidlichen Bedingungen dort einen Verleger finden; denn hier — wäre
es, wenn nicht mislich, so doch eine neue Zögerung, die Sie durchaus
vermeiden müssen. || Wegen Ihres Titels habe ich eine Frage auf dem
Herzen; Sie erlauben mir vielleicht, daß ich frey herausspreche. Sie
sagen mir, das Werk könnte heißen:
Analytisch-kritische Beleuchtung der Metaphysik, Psychologie, und
praktische Philosophie von Des Cartes bis auf die neueste Zeit, vor-
nehmlich mit Beziehung auf religiöse Begriffe.
Nun wohl, 'ein Werk, was so heißen kann, sollte meines Erachtens
auch so heißen, und sich nicht mit dem aligemeinen Namen Religions-
Philosophie behelfen. Ein Titel ist wichtig wegen der Recensenten und
wegen der Käufer. Beyde dürfen nicht zu wenig erwarten; ein gelehrtes
Werk muß sich an Gelehrte wenden.
1) 2 S. 40. N.
März 1 840. -i i
Mehr kann ich heute nicht schreiben, — es wäre denn, daß mein
zweytes psychologisches Heft unter der Presse ist, und vielleicht zu Ostern
schon fertig wird. — Die neuesten Zeitungslügen, die Sie von hier aus
vielleicht im Hamburger Correspondent gelesen haben, sind, soviel ich
weiß, dem größten Theil nach aus der Luft gegriffen. Gieseler hat in
der Kasseler- Zeitung eine Gegen-Erklärung drucken lassen.
Erwiedern Sie in meinem Namen die Grüße, die Ihr letzter Brief
mir brachte. Leben Sie wohl! Von Herzen der Ihrige! Herbart.
ßß". Brief Kahles an H., 2 S. 4*', Berlin, 10. Febr. 1840 im N.
"668. An Taute. ^) Göttingen 8. März 40
Also das ertragen Sie geduldig, mein theurer Freund, daß Ihr Ver-
leger um Weihnachten seinen Contrakt zeichnete, und gegen Anfang des
März noch nicht anfing zu drucken, — mit der Entschuldigung, er habe
kein Papier! Wundern Sie Sich wenigstens nicht über mich, der ich
weniger geduldig bin. Denn ich muß annehmen, daß ich hart an der
Grenze meines möglichen literarischen Wirkens stehe; ich sehe nicht weiter
als bis in den nächsten Sommer hinein; und ich muß bitten, mir noch
vor Johanni soviel gedruckte Bogen zukommen zu lassen (nur geradezu
mit der Post, denn das Postgeld will ich übernehmen), als fertig seyn
werden. In den nächsten INIonaten möchte ich vielleicht noch Gelegen-
heit finden, zur Verbreitung Ihres Werkes etwas beyzutragen; ob später,
das weiß ich nicht.
Sie haben Ihr Manucsiipt einem jungen Anfänger des Buchhandels
anvertraut, der schwerlich schon in die Connexionen der Buchhändler
Eingang gefunden hat, und vielleicht in der Verbreitung seines Verlags
Anderen nachstehen wird. Übrigens habe ich allerdings von seinen hiesigen
Verwandten gehört, daß sie in gutem Rufe der Solidität ihrer Geschäfte
stehen.
Sollte aber Herr L. noc/i jetzt zaudern: so setzen Sie ihm einen
kurzen Termin (so lautet der Rath eines verständigen Mannes,) und wenn
er diesen nicht einhält, wird er wahrscheinlich selbst froh seyn , Ihr
Manuscript zurückgeben zu dürfen.
In jedem Falle bitte ich, daß Sie mir baldigst die Lage der Sache
melden; denn ich jj habe Ursache zu glauben, daß ich im Nothfalle Ihnen
hier werde zu Hülfe kommen können, wenn auch unter einigen näheren
Bestimmungen.
Die Absicht meines vorigen Briefes scheinen Sie nicht errathen zu
haben. Es war ein ostensibler Brief, auf den Fall, daß Sie mit einem
der dortigen Buchhändler in Unterhandlung begriffen wären, und dienlich
wäre bemerklich zu machen, man könne sich noch anderwärts umsehen.
Dies hätten Sie immerhin sagen mögen, denn es ist kein leeres Gerede,
obgleich ich nicht gerade ein Versprechen geben konnte und auch jetzt
nicht kann.
Daß ich meinen Vorschlag wegen Veränderung des Titels zurück-
nehme, versteht sich von selbst; was ich dabey im Sinne hatte, ist jetzt
') 2 S. 4^ N.
-2 2 April 1840.
nicht nöthig zu entwickeln ; an bloße Prävention war nicht zu denken.
Sie können unmöglich die ziemlich bunten Verhältnisse errathen, die mir
vorschweben. Genug daß die politischen Verwickelungen dabey nicht
fremd sind. Solche greifen mit ihren entfernteren Folgen weit um sich.
Mehr kann ich heute nicht schreiben. Dieser Brief ist fiic/i/ osten-
sibel ; ich bitte das hier Geschriebene als unter vier Augen gesagt zu
betrachten. Ganz Ihr H.
669. An Taute. 1) Göttingen 20 AprU 1840
Mein theurer Freund! Eine Angelegenheit von ganz anderer Art,
als die zuletzt besprochene, führt mich mit einer großen Bitte — für
mich und meine Frau, — zu Ihnen.
Der Justizcommissarius Wachowski, bisheriger Verwalter unseres Hauses
und Vermögens, ist gestorben; ein großer Verlust für uns.
Herr Professor Simson war es, der ihn uns empfahl, da ich von
Königsberg abreiseie; und ich glaube, daß seine Verhältnisse es ihm möglich
machen, uns auch jetzt, da wir eines neuen Besorgers unserer Angelegen-
heiten bedürfen, zur besten Wahl zu leiten. Da ich aber seit so langer
Zeit mit ihm in gar keiner Verbindung gestanden habe, so trage ich Be-
denken, mich direct an ihn zu wenden. An Ihre Güte wende ich mich
mit der Bitte, Sich persönlich zu Herrn Prof. Simson zu begeben, ihm
meine Empfehlung und meine Anfrage zu bringen, ob er uns auch jetzt
wieder Denjenigen unter den dortigen Justiz- Commissarien zu nennen die
Güte haben wolle, der in Ansehung der Verwaltung von Grundstücken
das meiste Vertrauen besitzt und verdient.
Die Sache ist aber eilig und dringend; Herr Pr. Simson könnte ||
verreiset oder irgendwie verhindert seyn. Deswegen muß ich meine Bitte
noch weiter ausdehnen. Ein Jurist muß der Rathgeber sein; ich weiß
nicht wen ich jetzt noch nennen könnte außer Hrn Prof. Sanio; — mit
dem Sie, meines Wissens, in so naher Bekanntschaft stehen, daß Sie
seinen Rath ohne Beschwerde für mich einziehen könnten. — Also auch
an ihn. bitte ich Sie, Sich in meinen Namen mit der nämlichen Frage
zu wenden. Mit vielen Personen ists nicht gerathen über solche Dinge zu
reden; sollten Sie indessen bestimmte Gründe haben, noch anderwärts Er-
kundigungen für mich einzuziehen, so würden Sie mich durch Ihre Sorg-
falt verpflichten.
Nun muß ich dem hinzufügen, daß ich Ihrer Antwort mit Sehnsucht
entgegenzusehen alle Ursache habe. Wer kann wissen, was unserer Habe
in so weiter Entfernung begegnen könnte, wenn Niemand ist, der deshalb
Aufsicht und Verantwortung übernimmt?
Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlseyn hochachtungsvoll
der Ihrige Herbart.
.670. Dieterici an H.^) Berlin, den 24 t. April 1840.
Ew. Hochwohlgeboren erlauben einem alten, Sie andauernd verehrenden Schüler,
Ihnen den Überbringer, Friedrich v. Stülpnagel, einen Sohn eines meiner liebsten,
') 2 S. 4". N.
2) 2 S. 4». H. Wien.
Mai 1840. 33
leider zu früh verstorbenen Freundes, des Praesideuton v. Stülpna^el, ganz ergebenst
zu empfehlen, der junge Mann ist ganz fremd in Göttingeu; er studiit Jura; ge-
statten Sie ihm freundliche Rücksprache und Belehrung!
Was mich betrifft, so bin ich Ihnen im Lehrfach College geworden; — Sie
wollten mich ja schon in Königsberg 1809 dahin haben; — ich bin es freilich nicht
im Felde speculativer Philosophie, aber die Staatswissenschaften sind ohne philo-
sophisches Element nicht zu bearbeiten; und ich bin im Geiste oft mit Ihnen in
Verbindung. — Eine eigenthümliche Berührung habe ich in dieser Beziehung vor
Kurzem mit einem Theologen, mit Twesten gehabt, der in Kiel über Ihre praktische
Philosophie gelesen hat. — Wissenschaftlich geht es mir glücklich; ich finde, || da
ich in positiver Wahrnehmung, von der Statistik aus (worin sie Ihren mathematischen
Freund wieder erkennen mögen) meine Wissenschaft aufbaue, in dem, was ich in
statistischer Hinsicht geschrieben, unerwartete, sehr ehrenvolle Anerkennung in Eng-
land, Frankreich und dem Yaterlande. ') — Schwer gebeugt und daniedergehalten ist
mein sonst so fröhliches Streben, durch hartes, außerordentlich schweres Familien-
leiden. Ich erfreute mich bis zum Herbst 1839 eines Kreises von sechs blühenden
Kindern; da riß der unerbittliche Tod zwei der erwachsenen, meinen ältesten Sohn
von 19, meine älteste Tochter von 15 Jahren in einer Zeit von vier Wochen mir
von der Seite. Noch immer kann ich in Gottes wunderbare Fügung nicht mich
finden, unendlich lief bin ich geschlagen, und im Gemüth gerissen; — nur in der
Arbeit ist mein Trost. — Herr v. Stülpnagel hat meine Verstorbenen gekannt, und
ist mit ihnen aufgewachsen. —
Verzeihen Sie, daß ich in diese Familienverhältnisse Sie führe; ich sollte mit
Ihnen nur wissenschaftlich mich unterhalten; indessen that es mir wohl, Ihnen, dem
ich geistig so viel verdanke, alle Saiten anzuschlagen, die in meiner Seele am leb-
haftesten sich schwingen.
In treuer Verehrung und herzlicher Freundschaft
Ihr dankbar ergebener Schüler Dieterici.
671. An Taute. 2) Göttingen 28 May 1840
Mein theurer Freund! Meinen herzlichen Dank für Ihre Briefe,
Ihre Druckbogen, Ihre gütige Besorgung meiner Angelegenheiten, hätten
Sie längst empfangen, wenn ich nicht einen ganzen Monat und darüber
gekränkelt hätte. Ein Anfall von Podagra, der ein paar Jahre lang aus-
geblieben, auch jetzt nicht besonders heftig, und in wenigen Tagen meist
vorüber war, hat dennoch lange und lästige Nach wehen hinterlassen; be-
sonders eine so große Abspannung, daß ich selbst jetzt noch mit Mühe
die Feder führe. — Wegen Ihrer literarischen Mittheilung machen Sie Sich
keine Sorgen. Es thut mir bloß leid, daß Ihr Verbot mich an jeder
IMittheilung an irgendeinen Dritten, verhindert; während diese Probe doch
wohl nur geeignet wäre, gerechte und Ihnen nützliche Erwartungen an-
zuregen. Jedermann würde bekennen müssen, daß so Etwas nicht könne
ohne lange Studien und vorzügliche Sorgfalt niedergeschrieben werden.
Von Drobisch habe ich neuerlich nichts erfahren. |] Was die bevor-
stehende Ministerial-Veränderung bringen werde, wird wohl noch ganz im
Dunkeln schweben. Und wenn ich von dem sprechen soll, was mir nahe
liegt, so sehe ich auch noch nicht, welche Bedeutung es haben könne,
*) S. AUg. D. Biogr. 5, 161.
2) 2 S. 4". N.
Hbrbarts Werke. XIX. 3
7 4 September 1840.
daß, wie Sie mir melden, Pr. Moser sich um meine Tonlehre bekümmert.
Vielleicht ists jetzt schon wieder vorbey. Wäre es ihm aber freylich
Ernst, und ist er wirklich der Musik hinreichend kundig, dann möchte
sich wohl finden, daß sehr Vieles an diesem Faden kann hervorgezogen
werden. Der Druck meines zweyten Heftes verzögert sich; das Manuscript
liegt übrigens fertig. In meinem jetzigen Alter darf ich nicht mehr künsteln.
— Was sagen Sie von Strümpelln ? — -
Nehmen Sie gütig vorlieb mit diesen wenigen Zeilen; ein paar Ge-
schäftsbriefe, die ich heut schreiben mußte — kurz wie sie waren, —
haben mich schon angegriffen. Meine Frau und Otto sind auch nicht
ganz wohl; indessen hat es hoffentlich nichts zu bedeuten, da wir endlich
heute warmes Wetter nach langem Regen bekamen. In Hoffnung guter
Nachrichten von Ihrem Befinden Ganz Ihr Herbart.
672. Drobisch an H.^) Leipzig 12. Sptbr 1840.
Hochverehrter Gönner und Freund! Sie erhalten hierdurch meine „Grundlehren
der Eeligionsphilosophie". Ich wünsche von ganzem Herzen, daß dieses Buch sich
Ihres Beifalls zu erfreuen haben möge, und ich wage zu hoffen, daß dies in der
Hauptsache der Fall seyn wird, denn es wird genugsam zeigen, wie vollkommen ich
noch immer in allem Wesentlichen der Philosophie mit Ihnen in Uebereinstimmung
bin und mich auf Sie stütze. Daß es in Bezug auf das vorliegende Thema nicht
ohne Meinungen und Ansichten abgeht, versteht sich wol von selbst, und diese habe
ich natürlich allein auf mich zu nehmen. Ich bin dabei vor allen Dingen von der
Ansicht ausgegangen, daß in unsrer Zeit Zurückhalten einer Meinung mehr schadet
als nützt, indem nur zu häufig dadurch nur ein ungerechtes Mißtrauen erweckt
wird, es aber, nachdem das Aergste durch Rede und Schrift öffentlich ausgesprochen,
gefährliche Meinungen kaum noch giebt, ^u denen übrigens die meinigen schwerlich
zu rechnen || seyn würden. — Wie ich höre ist auch von H. Dr. Taute ein Werk
über Religionspbilosophie unter der Presse, dem, nach Allem, was mir vorläufig
davon bekannt geworden ist, das meinige an Umfang, wie an Gelehrsamkeit, auf
deren Ruhm ich hier gern verzichte, weit nachstehen wird. Frei von aller Eifer-
sucht wünsche ich nichts mehr, als daß uusre Schriften friedlich und freundlich zu-
sammenwirken mögen, dem entschieden Irrigen entgegen zu treten, die wahren Grenzen
unsres religiösen Wissens zu bezeichnen und einem vernünftigen Glauben freien
Raum, zu verschaffen.
Für das bevorstehende Jahr wird meine literarische Thätigkeit wol ganz ruhen,
da ich, alles Widerstrebens ungeachtet für das Univer.sitätsjahr vom 31. Octbr. d. J.
bis dahin 41 habe das Rectorat übernehmen müssen: bei unsrer Universität eine
geschäftsreichere und schwierigere Stellung als wol bei den meisten andern. "Wünschen
Sie mir dazu Gunst der Umstände, Klugheit und Gesundheit!
Noch weiß ich in diesem Augenblicke nicht, ob || Sie diese Zeilen durch Freund
Hartenstein oder die Post erhalten werden. Jedenfalls wird dieser seinen Besuch
in Göttingeu machen und Sie sprechen, was mir außerordentlich lieb ist. Ich stehe
mit Hartenstein fortwährend in wahrhaft collegialischer Verbindung, und er kann
Ihnen von mir alles das sagen, was ich nur selbst sagen könnte. — Tief ergriffen
hat mich der unerwartete Tod Ihres berühmten Collegen 0. Müller. Welch ein Ver-
lust für die Wissenschaften und für Göttingen insbesondre.
1) 3 S. 80. H. Wien.
September 1840. -ic
Glückwünscheu aber kann man Ihrer Universität zur Erwerbung eines Mannes
■wie Rud. Wagner. Ihr Curatorium zeigt in der "Wahl seiner Männer viel Einsicht;
es muß sehr gut berathen seyn.
Daß Ihre einige Zeit schwankende Gesundheit jetzt wieder hergestellt ist, hab
ich mit innigster Theilnahme gehört.
Ihrer Frau Gemahlin bitte ich mich und meine Frau, die ihrer noch mit be-
sonderer Anhänglichkeit gedenkt, ehrerbietigst zu empfehlen, mich selbst aber fort-
während anzusehen als
Ihren wahren Freund und Verehrer Drobisch..
14. Sept.: Verlagskontrakt zwischen H. u. Dieterich über die Psychologischen Unter-
suchungen. 2. Heft. [Im B.esitze der Dieterichschen Buchhdlg: (Th. Weicher) in
Leipzig.]
G78. H. Bobrik an H.') 16. Sept. 1840.
Hochverehrter Herr Profeßor! Wenn ich so kühn bin, gegenwärtige Zeilen
an Sie zu richten so ermuthigte mich einerseits die Hoffnung, ein Fünkchen des in
meiner Jugend mir so reichlich geschenkten Wohlwollens möchte vielleicht den langen
Zeitraum der verfloßeuen Jahre überdauert haben, andrerseits eine von Herrn Pro-
feßor Schubert an mich ergangene Aufmunterung. Derselbe theüte mir nemlich
vor Kurzem brieflich die überraschende und traurige Nachricht von Otfried Müllers
Tod mit; bei seiner so außeiordentlich regen und herzUchen Theilnahme für mich
knüpfte er manche Pläne daran und schloß mit dem Bemerken: ,, schreiben Sie
daher sofort an Herrn Profeßor Herbart, und bitten Sie ihn um Bescheid, ob Sie
als academischer Docent für alte Geographie und Geschichte auf etwa 700 Rthlr.
Gehalt und eine Adjunctur rechnen können.''
Es ist dieß ein Rath, hochverehrtester Herr Profeßor, deßen Befolgung ich bei
meiner jetzigen Stellung wenigstens nicht unversucht lassen darf. Die Aussichten
bei der hiesigen ohnehin so schwach besuchten Universität sind höchst trübe, und
mein Hauptfach, alte und neue Erdkunde, ist .von jeher viel zu sehr unterdrückt
gewesen, als daß ich auf baldigen Anklang hoffen kann, zumal es nicht zu den noth-
wendigen Fächern gehört. Freiüch muß ich bei dem Gedanken || erschrecken, nach
Müller dociren zu wollen; auch ist von allem andern abgesehen, mein Studienkreis
von dem Seinigen verschieden, allein es macht mir Muth, daß sein Lieblingsgebiet,
Griechenland, auch gerade das meinige ist, dem ich seit den Schuljahren mit dem
größten Übergewicht meine Thätigkeit zuwendete; und was den andern betrifft, so
ist ja auch Müller sehr jung nach Göttingen gekommen, und erst allmählich ge-
worden, was er zuletzt war! Herr Profeßor Schubert, sowie mein Vater haben die
Güte gehabt, einige Zeilen beizulegen; möchte es ihnen doch gelingen, theils Ihi-e
Nachsicht, hochverehrter Herr Profeßor, für meine Unbescheidenheit, theils Ihren
gewichtigen Einfluß bei dieser für mein Leben so entscheidenden Angelegenheit zu
gewinnen. Mit den wärmsten Empfehlungen an Frau Profeßorin, deren fast mütter-
liche Güte und Fürsorge mir noch stets vor Augen, wie im Herzen steht, habe ich
die Ehre mit wahrhafter Hochachtung zu verharren als Ew. Hochwolilgeboren
ganz gehorsamster Diener Dr. Hermann Bobrik.
674. Schubert an H.^) Kgbrg. d. 16t. Sept. 40
Hochverehrter Herr College! Das Schreiben des Dr. Bobrik, Ihres vormaligen
Schülers, begleite ich mit einigen Zeilen und dem lebhaftesten Wunsche, es möge
1) IV2 S. 4". H. Wien. — Herm. Bobrik (1814—1845), Geograph.
*) 2 S. 8*. H. Wien. Beilage zu dem vorherigen Brief.
5 0 September 1840.
seine Anfrage von Ihnen mit wohlwollender Theilnahme aufgenommen werden und
kräftige Unterstützung finden. Die umfassende Thätigkeit Ihres verewigten Müller
für die Universität und die Wissenschaft kann durch einen Mann schwerlich ersetzt
werden, wenigstens nicht im Interesse der Sache selbst. Für seine philologische
"Wirksamkeit ist, soviel ich weiß, schon jetzt bei Ihrer Universität der Ersatz vor-
handen. Aber die alte Geschichte in der von ihm erstrebten Verbindung mit ge-
nauer Kenntniß der Geographie und Archäologie wird bei den vielfachen Arbeiten
auf diesem Felde doch selten von einem Gelehrten seiner Weise aufgefaßt. In
Dr. Bobrik finde ich hiefür nicht nur ein entschiedenes Talent, sondern er hat auch
bereits so glückliche und gediegene Proben uns vorgelegt, daß ich keinen Anstand
nehmen darf, ihn auf das wärmste zu einer Anstellung in diesem Fache zu emp-
fehlen. Seine Geographie nach Herodot mit einem Atlas von 9 Karten, die 1838
erschien, seine Dissertation mit einer Karte, welche er als Habilitationsschrift vor
einem Jahre lieferte dienen ihm als tüchtige Documente zu seiner Empfehlung.
Jetzt hat er eine ausgezeichnete große Karte vom alten Griechenland mit einer Be-
schreibung (etwa auf 18 Bogen) fertig, deren Bekannt- || machung unzweifelhaft
seinen literarischen Ruf fördern wird. —
Da er hier seit einem Jahr habilitirt ist und seit Ostern Vorlesungen versucht
hat, bei den hiesigen Verhältnissen aber keine Aussicht zur Anstellung (wegen der
vollständigen Besetzung und der beschränkten Mittel) finden kann, Göttingen's Biblio-
thek mehr wie irgend eine Deutsche für sein Fach Hülfe gewährt, sein Wissen und
seine ausgezeichneten Fähigkeiten ihn für jede Universität als einen sehr wünschens-
werthen Lehrer bezeichnen, so glaube ich, es würde der Göttinger Universität von
wahrem Nutzen sein, wenn diesem jungen, kräftigen Gelehrten ein geringer Gehalt
dargeboten würde, um sich in diesem Hauptfache für historische Studien dauernd
niederzulassen. Solche Stellungen sind ja bei Ihnen früher und auch wohl jetzt
übhch. Mit der angelegentlichsten Bitte mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu
empfehlen verharre ich in der vollkommensten Hochachtung und Verehrung als
Ihr treu ergebenster Schubert.
675. Bobrik sen. an H/) Königsberg, d. 16. Sept. 1840.
Hochwohlgeborner Herr, Höchstgeehrter Herr Hofrath, Schelten Ew. Hoch-
wohlgeboren doch nicht, wenn ein alter Verehrer von Ihnen sich die Freiheit nimmt,
die beiden anliegenden Briefe an Sie auch noch seiner Seits mit einigen Zeilen zu
begleiten und Ihnen dadurch einen Theil Ihrer kostbaren Zeit zu rauben. Die Ge-
wogen-heit, deren Sie mich während Ihres Hierseins zu würdigen die Güte hatten,
und das freundliche und liebevolle Interesse, das Sie einst meinem Hermann schenkten,
mögen sowohl mich als meinen Sohn wegen der Belästigung, die wir Ihnen verur-
sachen, entschuldigen. —
Als ich mit wahrhaftem Schmerze die betrübende Nachricht von Ottfried
Müllers Tode erfuhr, dachte ich auch nicht entfernt daran, daß dadurch meinem
Sohne irgend eine Aussicht zur Anstellung und Wirksamkeit || an Ihrer berühmten
Georgia Augusta .eröffnet sein könnte. Eben so wenig wäre wohl ein solcher Ge-
danke bei meinem Sohne aufgestiegen und noch weniger würde er die Vermessenheit
gehabt haben, etwas zur ßealisirung desselben zu unternehmen. Herr Prof. Schubert
ist es, der ihn zu dem Schritte, welchen er jetzt thut, dringend ermuntert hat. Er
wiU meinem Sohne wohl, und er hat eine so gute Meinung von den Fähigkeiten
und Kenntnissen desselben, daß er dadurch die Anfrage, welche sich mein Sohn
') 4 S. Kl. Quart. H. Wien.
Oktober 1840. 27
bei Ew. Hoohwohlgeboren erlaubt, für entschuldiget erachtet, ich weiß nicht ob
H. Profeßor Schuberts Zuneigung zu meinem Sohne ihn vielleicht zu weit führe.
Könnte aber etwas die Hoffnung begründen, daß sich von Hermanns Leistungen mit
der Zeit wohl Gewinn für die Wissenschaft erwarten laße, so dürfte es vor allem
des verewigten Müllers eigenes, und gewiß unbestochenes Zeugniß sein. Denn er
schenkte schon dem ersten schriftstellerischen Versuche meines Sohnes, den derselbe
als achtzehnjähriger Gymnasiast schrieb und der im Jahr 1833 in den ßerghausschen
Annalen abgednickt wurde, seine Aufmerksamkeit, und hat bei Gelegenheit der
Kecension eines geographischen Werkes von Puillon de Boblaye in Ihren gelehrten
Anzeigen (Jahrg. 1838, 134. 135. 136. Stück) jenes Versuches, als einer ,, schätzbaren
Arbeit" erwähnt.
Es ist mir natürlich völlig unbekannt, ob die dortigen Verhältnisse Ew. Hoch-
wohlgeboren irgend ein Eingehen in den Plan des H. Prof. Schubert gestatten.
Sollte es aber der Fall sein, dann erlauben Sie, Verehrtester Herr Hofrath,
daß auch ich Ihnen, im Vertrauen auf die Fortdauer Ihrer früheren Gewogenheit, das
Wohl meines Sohnes an"s Herz legen und Sie ganz gehorsamst um Ihre, gewiß sehr
vielvermögende Verwendung bitten darf.
"V\'elches auch der Erfolg in diesör Angelegenlieit sein möge, unendlich würde
es mich freuen, wenn sie Veranlassung gäbe, daß wir einmal unmittelbar durch Ew.
Hochwohlgeboren nähere Nachrichten von || Ihrem Wohlbefinden empfingen. Nur
sehr selten kommt mir durch andre ungenügende Kunde darüber zu, und doch wüßte
ich so gern gewiß, daß der Himmel Sie dort, recht heitere und beglückte Tage ver-
leben lasse. Wie oft, wenn ich bei Ihrer früheren Wohnung vorüberwandle, erinnere
ich mich dankbar Ihrer und jener so genußvollen und lehi'reichen Stunden, in denen
ich das Glück genoß, Ihren Abendvorlesungen im Hause des H. Kanzlers v. Wegener
beiwohnen zu dürfen.
Ich bitte nochmals, Höchstgeehrter Herr Hofrath, entschuldigen Sie unsere
Dreistigkeit, darf ich auch noch die gehorsamste Bitte hinzufügen: mich, so wie
meine Frau, Ihrer Hochgeschätzten Frau Gemahlin, die, gleich Ihnen, hier noch in
so Vieler lebhaftesten Andenken fortlebt, angelegentlichst zu empfehlen"? Mit der
ausgezeichnetesten Hochachtung und Ergebenheit habe ich die Ehre zu beharren als
Ew. Hochwohlgeboren ganz gehoi^samster
der Tribunalsrath Bobrik.
676. Vertrag zwischen H. u. Dieterich.*)
Göttingen den 20sten Oktober 1840.
Zwischen dem Herrn Hofrath Herbart hochwohlgeboren und der Dieterich'schen
Buchhandlung hier ist nachstehender Contract geschloßen worden:
Herr Hofrath Herbart giebt der Dieterich'schen Buchhandlung die zweyte Auf-
lage der „Umriße pädagogischer Vorlesimgen" unter folgenden Bedingungen in
Verlag:
§ 1.) der Herr Hofrath Herbart verzichtet vorläufig auf Honorar, sind jedoch
die Druckkosten, inclusive Papier, ä Bogen 9 Rrthlr. 16 Gutegr. Court; durch den
Absatz einer Anzahl Exemplare gedeckt, so wird der sich ergebende Ertrag aus den
noch übrigen Exemplaren unter beiden Contrahenten zu gleichen Theilen getheilt,
und jedes Jahr nach der Leipziger Ostermeße (im Juni) Abrechnung von der
Dieterich'schen Buchhl. abgelegt,
') Im Besitze des Hm. Th. Weicher, derz. Inh. der Dieterichschen Verlags-
buchhandlung in Leipzig.
•3 8 Oktober 1840.
§ 2.) der Herr Hofrath Herbart behält sich jedoch vor, nachdem die Druck-
kosten durch Verkauf einer Anzahl Exemplare gedeckt sind, über den Rest der Auf-
lage stets frey disponiren zu können,
§ 3.) an Freyexemplaren erhält der Herr Hofrath Herbart 12 Exemplare auf
Velinpapier; die Dieterich'sche Buchhandlung verpflichtet sich zu gutem Druck und
denselben bis Ende Januar 1841 spätestens zu beendigen.
§ 4.) Beide Theile sind über eine Auflage von 750 Exempl. einverstanden.
Zu gegenseitiger Sicherheit ist dieser Contract in doublo ausgefertigt und von
beiden Theilen unterschrieben worden.
Dieterich'sche Buchhandl.
gez. Schlemmer, gez. Herbart.
677. Reiche an H.') Adelebsen, d. 20t. November 1840.
Hochwohlgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr Hofrath. Mit dem er-
gebensten Danke habe ich die Ehre, Ew. Hochwohlgeboren die Religionsphilosophie
von Taute hierbei zuriickzusenden. Nach dem, was ich von dieser Schrift jetzt
kenne, muß ich hoffen, bei einem künftigen, genaueren Studium der Geschichte der
Philosophie sehr durch sie gefördert zu werden. Ein Buch, welches so durchweg,
wie dieses, das Gepräge der Reife an sich trägt, || ist gewiß eine seltene Erscheinung.
Schon jetzt sehe ich in denjenigen Theilen der Geschichte, mit denen ich selbst
etwas genauer bekannt bin, Herrn Dr. Taute mit einer beneidenswerthen Präcision
das Gegebene auffassen, und auf eine oft überraschende Weise die Haupt-
beziehungen der Begriffe und Systeme unter einander darlegen. Seine Kritik ist
ein kurzer Dolch vom härtesten Stahl, den er den Widersprüchen gerades wegs ins
Herz stößt. Schade nur, daß bis jetzt von einer positiven Construktion der Religions-
philosophie noch so wenig gegeben ist.
Um nun Einiges von meinen eignen Besti-ebungen zu berichten, so beschäftigen
mich jetzt zwei Abhandlungen: die eine über das leb, die andere über die Materie.
Als Anhang zu beiden, in denen nach einander das wirkliche, secundäre und schein-
bare Geschehen zur Sprache kommen muß, denke ich die Frage zu untersuchen, ob
der allgemeine Begriff des Geschehens könne als Prinzip in der Metaphysik be-
behandelt werden.
In der Abhandlung über das Ich, welche hauptsächlich den Begriff des Strebens
entwickeln soll, habe ich geglaubt, den Gang, den Ihre Untersuchungen über den-
selben Gegenstand || in der Psychologie genommen haben, etwa in dieser Weise ver-
folgen zu müssen:
Nach einer auf zwiefache Art geführten Analyse des empirisch gegebenen Ich,
deren Resultat das reine Ich ist, folgt die Entwickelung der in diesem liegenden
Widersprüche, mit dem Anhange Ihrer Lösung, die zunächst noch in der Aufgabe
ruht, das mannigfaltige Objective als in gegenseitiger Modification verschwindend zu
denken. Gleich an diesem Punct greift die Polemik gegen Strümpell ein, dem die
Methode der Beziehungen auch in diesem besondern Falle nur ganz im Allgemeinen
den Begriff der Modification des Objectiven, nicht die bestimmte Art derselben an
die Hand giebt.
Darauf folgt die metaphysische Behandlung,
1 ) des individuellen Ich, dessen Wiedereinführung gerechtfertigt wird. Es
wird als veränderliches Ding mit mehren Merkmalen kenntlich gemacht und die
weitere Behandlung der in diesem Begriffe liegenden Widersprüche der allgemeinen
') 4 S. 4». H. Wien.
November 1840. 7Q
Metaphysik überwiesen, liier tritt dann von Neuem die Polemik gegen Strümpell
ein in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Subsumtion des Ichbegriffs unter den Be-
griff des Dings mit mehren Merkmalen. — Darauf folgt die Auflösung des Wider-
spruchs der luhärenz und die Deduktion des wirklichen Geschehens mit beständiger
Berücksichtigung auf die von Strümpell gegen sie vorgebrachten Ausstellungen.
2.) des Subjects, wie es in der oben gegebenen Auflösung der Widersprüche
im reinen Ich als Träger der vielen unter sich entgegen || gesetzten Vorstellungen
hervorgegangen ist. Als Schluß dieses metaphysischen Ergußes wird, was schon im
Lauf der Untersuchung einige Mal berührt werden mußte, der Widerspruch im ge-
gebenen Ich, so fern es das reine als Forderung in sich enthält, und damit das
Individuelle sowohl festhält als ausstößt, offen ausgesprochen und besonders be-
handelt: Theils soll dadurch die Aufmerksamkeit auf den Hauptfaden der Unter-
suchung zurückgelenkt, theils auch die Frage dabei beantwortet werden, inwiefern
die getrennte Behandluug der Widersprüche im empirischen und reinen Ich vor der
Methodologie zu rechtfertigen sei. — Das Folgende enthält nun die Deduktion des
Strebens in fortlaufender Polemik gegen Strümpell, und die Rechtfertigung dieses
Begriffs vor der Ontologie. — Als Anhang soll noch die Frage untersucht werden,
ob die Ontologie befugt sei, in Bezug auf die Theorie des Geschehens ihr bisheriges
Gebiet zu erweitern. Außer der Schrift von Strümpell habe ich Gelegenheit ge-
funden, an einigen Stellen noch zwei andre zu berücksichtigen: eine kürzlich von
Neuem herausgegebene Abhandlung über das Ich von Ritter, der zweite Band der
Geschichte der Philosophie von Fries.
Im Verlauf jener beiden Abhandlungen über das Ich und die Materie hoffe
ich in einem verständlichen Zusammenhange die Hauptpuncte der Strümpellschen
Ausstellungen berühren zu können. Seine Kritik des Inhärenzproblems, welche zu-
sammenhängt mit seinen Ansichten über Eidologie, denke ich m einer dritten Ab-
handlung über den wahren Realismus zu behandeln.
Mit unbegränzter Hochachtung habe ich die Ehre, mich Ew. Hochwohlgeboren
Gewogenheit
ganz ergebenst zu empfehlen L. Reiche.
678. An Taute. 1) Göttingen 27 November 1840
Noch habe ich Ihr großes Werk-j nicht durchgelesen, mein theurer
Freund ; aber auch nur hineinzusehen ist nicht möglich ohne Bewunde-
rung dieser Geduld und dieser ächten Gravität, die sich überall gleich-
bleibt! Wie Andere das aufnehmen werden, davon wird bald genug der
Erfolg Zeugniß ablegen ; was mich anbelangt, so weiß ich, daß ich eine
solche Sprache nicht führen durfte; von mir wäre es Egoismus gewesen.
Daß ich aber Ihre strenge Polemik nicht etwa misbilligen darf, weiß ich
auch; im Gegentheil, ich muß mich Ihnen verbunden achten, daß Sie
eine so schwere Last, die ich so nicht anfassen durfte, und die zu be-
wegen Andere viel zu bequem sind, so weit vorwärts gewälzt haben.
Aus einem Briefe des Dr. Reiche, meines besten hiesigen Schülers
(oder wenigstens des ältesten, denn die von jüngerem Datum sind noch
nicht so weit, daß man deutlich sehe wo sie hinaus wollen,) der jetzt
hier in der Nähe Hauslehrer ist, und dem ich Ihre erste Lieferung geliehen
hatte, — will ich Ihnen eine Stelle abschreiben.
') 3 S. 40. N.
^) Die Religionsphilos. v. Standp. der Philos. Herbarts, Elbing 1840, "84 S.
^O November 1840.
„Nach dem, was ich von dieser Schrift jetzt kenne, muß ich hoffen,
bey meinem künftigen genauen Studium der Geschichte der Philosophie
sehr durch sie gefördert zu werden. Ein Buch, welches so durchweg,
wie dieses, das Gepräge der Reife an sich trägt, ist gewiß eine seltene
Erscheinung. Schon jetzt sehe ich in denjenigen Theilen der Geschichte,
mit denen ich selbst etwas genauer bekannt bin, Herrn Dr. Taute mit
einer beneidenswerthen Präcision das Gegebene auffassen, und auf
eine oft überraschende Weise die Hauptbeziehungen der Begriffe und
Systeme unter einander || darlegen. Seine Kritik ist ein kurzer Dolch
vom härtesten Stahl, den er den Widersprüchen geradewegs ins Herz
stößt. Schade nur daß bis jetzt von einer positiven Construction der
Religionsphilosophie noch so wenig gegeben ist."
Wenn Sie wegen Verspätung dieses Briefes meine eigene Arbeit als
Entschuldigung wollen gelten lassen, so habe ich eine solche dreyfach.
Das zweyte Heft meiner psychol. Abhandlungen, — eine neue Auflage
meines Umrisses pädagog. Vorlesungen, — und eine neue Auflage der
Encyclopädie. Das erste liegt fertig gedruckt, — an der zweyten wird
gedruckt, — die dritte beschäfltigt mich eben jetzt; und Ihr Werk kommt
mir dabey in so fern vortrefflich zu statten, als ich jetzt gar nicht nöthig
finde, den rauhen Ton vestzuhalten, der mir vor zehn Jahren anstatt der
mir unmöglichen Polemik dienen mußte. Nachdem Sie stark gesprochen
was zu sagen war, kann ich den ruhigen Vortrag halten, der für das
Publicum der Encyclopädie einzig passend ist. — Dennoch habe ich der
leidigen Polemik noch ganz kürzlich auch noch meinen Tribut abtragen
müssen, nämlich gegen Fries. Denn diese Polemik, die für Drobisch ohne
Vergleich besser sich würde geschickt haben, blieb mir überlassen; und
konnte — gewisser hiesiger Beziehungen wegen, — nicht füglich gespart
werden. Dagegen hat sich Drobisch mit Hrn Günther zu thun gemacht
— was sagen Sie dazu? und überhaupt zu seinem etwas dünnen Buche?
Reiche scheint damit nicht sonderlich zufrieden.
Hartenstein dagegen, der in den Ferien ein paar Tage hier zubrachte,
hält jl vest an Dr[obisch] obgleich er wenn ich nicht irre, wohl sieht was
zu sehen ist. Dem sey wie ihm wolle: meinerseits glaube ich die Ge-
fahr 6chon durch meine beyden psychologischen Hefte abgewendet zu
haben; selbst auf den Fall daß er für gut fände dagegen aufzutreten.
Übrigens hat Hartenstein im Sinne, eine Ethik zu schreiben, ein Seiten-
stück zu seiner Metaphysik. Auf einige Variationen halte ich mich da-
bey gefaßt.
Obgleich dieser Brief, um noch heute wegzukommen, nur kurz sein
kann, so muß ich doch noch aus Rankes letztem Programm ein paar
Worte abschreiben. Es ist die Rede vom Homer.
,,Den Dank dafür, daß uns dies gleich Anfangs nicht mislungen
„ist, gebührt nicht bloß dem H[erbart] sondern demnächst dem Hr
„Dr. Taute in K — , der — in früherer Zeit [diesen] griechischen Unter-
„richt ertheilt, und die Güte gehabt hat auf die Fragen — [zu antworten
„und] mit wenigen Zügen den Gang des Unterrichts zu bezeichnen, den
„wir — bisher [durchaus] bewährt gefunden haben.
November 1840. 41
In der That benachrichtigte mich Ranke noch ganz kürzlich, es gehe
sehr gut; Schüler und Lehrer fühlen sich fortgezogen. Ellendt in Eis-
leben ist in Correspondenz mit Ranke, nachdem sich beyde in Gotha ge-
sprochen haben.
Läßt denn Gregor nichts mehr von sich hören? Seine Anstalt soll
ja sehr guten Fortgang haben; und daß er eine sehr gute Feder führen
kann wenn er will, habe ich noch in frischem Andenken. — Meine
herzlichsten Grüße an ihn und an Sieflfert. Und an Sanio, an Sirason, i)
an Schubert, an — — — — — die Reihe wird zu lang.
Meine Frau ist wohl. Sie hat hier ein paar falsche Geburtstage
mitten im Sommer, die gelegentlich etwas von Kuchen und Blumen bringen.
Den wahren hält sie fortwährend geheim, um sich nicht einem Contraste
hinzugeben, der noch immer schmerzen würde. Die falschen Geburts-
tage, die man zu errathen geglaubt hatte, machen uns manchmal zu lachen.
Ganz der Ihrige H.
679. An Taute.-) Göttingen 29 Nov. 1840
Mein theurer Freund! Meinen vorgestrigen Brief, der nicht so
langsam gehen sollte wie ein Packet, werden Sie erhalten haben. Jetzt
nur wenige Worte.
Sie finden hier in der Vorrede Ihr Werk schon angeführt und Hm
Fries darauf verwiesen. Ich habe geeilt, die erste Gelegenheit zu nutzen,
um mir öffentlich Ihr Werk anzueigen ; weil ich schwerlich überhaupt, ge-
wiß aber nicht jetzt, dasselbe werde anzeigen können. Sie wissen daß ich
nicht Theologe bin und niemals war. Die Folge ist, daß ich bey so vielen
andern Verwickelungen mich in theol. Streitigkeiten durchaus nicht einlassen
kann. Dazu kommt noch zweyerley: als Geschichtswerk würde das Ihrige
Rittern zur Anzeige zufallen; — und überdies darf ich keine Paralelle
zwischen Ihrem und dem gleichzeitigen Buche von Drobisch ziehen, noch
andeuten. |j Da ich nun mit Bedauern wenigstens jetzt unthätiger Zu-
schauer seyn muß, — und es für mein Alter keine wahrscheinliche Zu-
kunft des thätigen Eingreifens giebt — so begnüge ich mich mit frommen
Wünschen, die aber nicht ganz frey von Besorgnissen sind. Sie werden
mich verbinden, wenn Sie mir Nachricht geben, was Sie von der Wirkung
Ihres Werkes erfahren. In Berlin wird hie und da wohl der junge Doctor
Großmann aus Leipzig, der es schon bey mir liegen sah, daraufhinweisen;
ich höre daß er viel bey einem der dortigen hohen Geistlichen aus und eingeht.
Mit großem Bedauern denke ich an das hohe Postgeld was Ihre
Sendungen — gegen meine Bitte frankirt — gekostet haben müssen. — — ||
Zu meinen Arbeiten fehlt nun höchst nöthig ein Jurist und ein Physiker;
letzterer umsomehr da mir sehr zweifelhaft ist, was Drobisch weiterhin
thun und lassen wird. Läßt denn Moser etwas von sich hören? — Für
^) Über SimsoDS (1810 — 1899), des späteren Reichsgerichtspräsidenten, Beziehungen
zu Herbart vgl. O.Flügel. Herbart, Lpzg. 1912 S. 116 u. Lazarus" Lebenserinnerungen.
1906, S. 466. Simson sagte bei der Herbartfeier 1876: „Wenn es mir vergönnt ge-
wesen ist, dem Vaterlande zu nützen, so verdanke ich dies . . . der Philosophie Her-
barts ... Es ist einer der höchsten Glücksfälle meines Lebens, daß ich früh u. lange
(1826 — 33) zu Herbarts Füßen habe sitzen können."
') 3 S. 4'- N.
»2 November 1840.
Ihr Wirken ist es fast eben so bedeutend als für das Wirken meiner
Schriften, daß nicht alles auf einmal den Theologen, als ob sie Richter
des Ganzen seyn könnten, zufallen möge. Diese Einseitigkeit könnte sehr
schaden; während ich es als ein großes Verdienst Ihres Werkes schätze,
daß Sie beynahe die ganze Masse der Gedanken auf einmal in Bewegung
gebracht haben. Doch ich muß schließen; und bezeuge Ihnen nochmals
meine aufrichtigste Achtung für Ihre Energie und Beharrlichkeit unter
wenig günstigen Umständen. Ganz Ihr H.
680. An Schubert. Göttingen 29. November 1840.
Hochwohlgeborener Hochgeehrter Herr College! Sie haben Hrn.
Dr. Bobrik ein sehr gewichtvolles und für mich auch mit den früher schon
wohlbegründeten Erwartungen völlig übereinstimmendes, Zeugniß gegeben,
indem Sie an einen Versuch dachten, ihm hier eine gelehrte Laufbahn zu
schaffen. Wenn Sie jedoch an die unglückliche politische Celebrität denken,
die sich Göttingen muß gefallen lassen — und die, wie vorauszusehen
war, keine andre Folge haben konnte, als daß die Universität jetzt von
zwey entgegengesetzten Seiten mit ungünstigem Auge angesehen wird: —
so entgeht Ihnen gewiß nicht, daß man froh seyn muß, wenn Alles bleibt
wie es ist, und daß man von hier aus nicht leicht um ungewohnte Gunst
bitten kann.
Unser früherer Curator, Hr. v. Arnswaldt, der ganz den Wissen-
schaften lebt^), hat sich schon vor ein paar Jahren ganz zurückgezogen;
Hrn Minister v. Stralenheim sind wir zwar vielen Dank schuldig, allein
er ist mit Geschäften überladen. Wie man hört ist meistens im Cabinette
der Ursprung der Verfügungen, welche die Universität betreffen.
Um indessen nichts zu versäumen, wendete ich mich an meinen alten
Gönner Heeren, von dem ich weiß, daß Ihi- Urtheil bey ihm viel gilt.
Und war irgend zu erwarten, daß von hier nach Hannover — in Bezug
auf das historische und geographische Fach, — eine wirksame Ver-
wendung zu erlangen stehe, so mußte eine solche von Heeren ausgehn;
hier konnten noch alte Verbindungen von Einfluß vermuthet werden.
Allein Heeren antwortete, 7venn er gefragt würde (in Beziehung auf einen
an Hrn Dr. Bobrik zu erlassenden Ruf,) dann wolle er gern, auf Ihr
Zeugniß sich berufend, eine Empfehlung aussprechen. Und über diese
Antwort kann ich mich nicht im mindesten wundern.
Übrigens habe ich Gelegenheit genommen , mit Hartenstein aus
Leipzig, der mich besuchte, über die Sache zu sprechen. Aber auf
Gehalt — auch hier nicht die mindeste Aussicht!
Sind Sie mit Pertz oder Kohlrausch in Hannover bekannt? — Das
ist das einzige, woran ich Sie erinnern könnte, wenn Sie ja für Hrn. B.
noch hierher einen Versuch wenden wollen; Aussicht erblicke ich jedoch
auch da nicht. Viel eher werden Sie in Preußen etwas für Hrn. B. er-
langen. Hier sind ohnehin Privatdocenten von Bedeutung, namentlich
Wappäus für Geographie, Röscher für Politik. — —
Erfreuen Sie mich und meine gute Frau bald mit Nachrichten von
Königsberg, an denen Sie gewiß jetzt überreich sind. Die angenehmste
^) Vgl. Kohlrauschs Erinnerungen pp., 1863, S. 313.
November 1840. 43
für mich ist freylich das große Werk unseres Taute; gewiß nicht bloß
ein Werk langer Jahre, sondern langer und angestrengter Arbeit. Wer
wird sie lohnen? — —
Mit vollkommenster Hochachtung Ihr ergebenster Herbart.
681. An Smidt. 1) Göttingen 29 November 1840.
Mein hochverehrter Freund ! Endlich komme ich dazu, meinen Dank
für Dein sehr gütiges Andenken wenigstens schriftlich darzubringen, nach-
dem ich die Absicht, es mündlich zu thun, einstweilen habe aufgeben
müssen. In den ]\Iichaelis- Ferien war ich mit meiner Frau in Braun-
schweig; dabey lag Anfangs die Absicht zu Grunde, von dort geraden
wegs nach Bremen zu kommen; allein der Kutscher protestirte; er wollte
von Braunschweig über Hildesheim nach Hannover und Bremen, weil —
zwischen Braunschweig und Bremen keine ordentliche gerade Chaussee
laufe. Ists möglich? Zwischen diesen berühmten Handelsstädten soll man
einen Hildesheimer Winkel machen? - Aber auch das wäre am Ende
noch herausgekommen, wenn ich Griepenkerln , wie ich besorgte, krank
gefunden hätte. Nun aber — hängen Bremen, Oldenburg, und Hamburg
wieder, wie früher, in meinem Kopfe zusammen ; das ist leider etwas weit
und theuer, und so wird das Bessere der Feind des Guten; sonst wäre
ich längst in Bremen gewesen. ||
Die neueste Nachricht von Dir und deiner Frau Gemahlin habe ich
durch meine Cousine, die, nachdem sie vierzehn Tage bei uns zubrachte,
jetzt in Oldenburg ihre Geschäfte besorgen will, aber in Bremen sich,
wie sie schreibt, auf die angenehmste Art aufgehalten findet. Meine Frau
ist sehr gut mit ihr zurecht gekommen, — für mich eine Beruhigung,
denn, aufrichtig gesagt, ich besorgte eini^ermaaßen das Gegentheil.
Etwas früher las ich von Bremen nicht die lieblichsten Nachrichten,
sondern solche, die, wie es mir vorkommt, meinem verehrtesten Freunde
als dortigem Chef der kirchlichen Angelegenheiten wohl einigen Verdruß
machen mögen. Man möchte ja fast m den Namen ein omen suchen,
wenn man solcher Namen wie Schleiermacher und Krummacher denkt.
— Und mußte der alte Sauerteig der dortigen übergroßen Domgemeinde
noch jetzt in neue Gährung gerathen! — Bald könnte ich bange werden,
daß es wohl auch um mich herum gähren wird; denn so wenig ich der
Theologie zu nahe gekommen bin, so ist mir doch kürzlich nicht wenig
davon ins Haus geschickt worden, was an sich sehr willkommen ist, denn
es kommt aus meiner eignen Schule; — nämlich eine Religionsphilo-
sophie von Dr. Taute in Königsberg, (meinem langjährigen dortigen Ge-
hülfen), und eine zweyte von meinem Leipziger Genossen, Professor
Drobisch. Aber beyde können gewaltigen Lärm || anrichten; besonders
das erstere dieser Bücher : ein sehr gelehrtes Werk, aber voll der stärksten
Polemik gegen Fichte, Schelling, Hegel; so stark, als hätte alles, was ich
in dreyßig Jahren zurückgehalten habe, hier auf einmal in meinem Namen
sollen ausgeschüttet werden. Findet einer Deiner referirenden Räthe für
gut, Dich mit literarischen Gegenständen zu behelligen, so darf ich für
jene Schriften, besonders für Tautes Werk (woraus zu referiren freylich
1) 3 S. 4 °. — Aus dem Archiv der freien Hansestadt Bremen, s. Bd. 16, S. 12 Anm.
AA November 1840.
nicht Jedem gelingen wird) um Deine Aufmerksamkeit bitten. — So gehts
uns Leuten vom Katheder! Mäßigt man sich selbst, so finden sich Andre
in der Nähe, die desto ungestümer drein stürmen. Doch muß ich sagen,
daß Taute durch seine Lage (gegenüber dem Hegelianer Rosenkranz)
vollkommen entschuldigt ist; er mußte entweder durchdringend sprechen
oder ganz schweigen. Das ist die Folge der Hegeley in Berlin, die fast
wie eine Hierarchie wirkt; und das ist wieder die Folge der Kurzsichtigkeit
des Hrn v. Altenstein, die für Preußen noch manche Nachwehen fühlen
lassen wird.
Wie Dir Berlin gefallen hat? möchte ich gern wissen; — ich denke
etwa so gut, wie dem Haupte einer Republik eine Königsstadt gefallen
kann. Meinerseits habe ich oft gewünscht, Montesquieu möchte das heutige
Berlin besucht, das heutige Preußen gekannt haben. Die heutige Politik
würde dann etwas anders aussehen.
Deiner Frau Gemahlin meinen Respect! Und Dir nochmals recht
herzlichen Dank für Dein freundschaftliches Andenken! Herbart.
682. An Drobisch. Göttingen 29 November 1840
Zuvörderst Sr. Magnificenz, dem Herrn Prorector der Universität zu
Leipzig, meinen ehrerbietigen Gruß und Glückwunsch!
Sie haben mich beschenkt; ich statte meinen ergebensten Dank ab;
ich bringe ein Gegengeschenk, und bitte um gefällige Aufnahme.
Ob dieser neue Austausch von Schriften uns wieder einander näher
bringen werde? ich weiß es in der That nicht; mid möchte, wenn ichs
wüßte, auch nicht vorgreifend darüber sprechen. Sie sagen Selbst, daß
es in Bezug auf das religiöse Thema. ohne Meinungen und Ansichten nicht
abgehe; die Sache wird noch verwickelter, indem zwey Religionsphilo-
sophieen, deren keine ich begehrte, und deren keine \\ meinen Rath ver-
langt hat, einander gegenseitig überraschen. Kaum läßt sich etwas Anderes
dazu sagen, als: quod Dens bene vertat!
Nun vollends die dreyfach zusammentreffende Polemik nach allen
Seiten! Daß Reactionen darauf folgen müssen, versteht sich von selbst.
Doch Ihre und meine Polemik verschwinden fast neben der des Taute.
Darüber jedoch dürfen Sie Sich nicht wundern. Taute ist in einer so
unbequemen äußern Lage, daß er sich entweder ewiges Stillschweigen auf-
erlegen, oder gewaltsam hervorbrechen mußte; und dies Letztere steht ihm,
meines Erachtens, bey so großer Gelehrsamkeit wohl an. Durch ihn haben
wir jetzt eine kritische Geschichte der neuern Philosophie für uns, wie
wir sie wünschen mochten; und ich halte mich überzeugt, daß Mancher
das Werk ausbeuten wird, der nicht zu den geneigten Lesern will ge-
zählt sein.
Mein Wunsch ist natürlich, daß Sie Tautes Werk ebenfalls von der
historischen Seite beträchten mögen; die Differenz der Ansichten wird
dann gemildert erscheinen.
Vielleicht auch werden meine Bedenklichkeiten sich vermindern, wenn
ich beyde Werke erst mit mehr Muße vergleichen kann. Für jetzt war
') 3 S. 8«.
Dezember 1840. 4 c
und ist an zwey neuen Ausgaben zugleich zu arbeiten, denn mein päda-
gogisches Lehrbuch ist wieder unter der Presse, und die Encyklopädie ist
ebenfalls vergrififen. Letztere macht mir eine Arbeit, die nicht die an-
genehmste ist. Das Buch trägt die Spuren der Eile, mit der es vor zehn
Jahren hingeworfen wurde; und der nämliche Grund, weshalb ich damals
nicht viel Zeit daran wendete, findet sich von neuem ein, um mich etwas
ungeduldig zu machen. Das Buch ist zu wenig wissenschaftlich, und darf
es seiner Absicht nach nicht werden.
In Hoffnung auf erneuerte Nachricht von Ihrem und der Ihrigen
Wohlseyn empfehle ich mich und meine Frau hochachtungsvoll und ergebensl
Herbart.
083. Hartenstein an H.^) Leipzig, 7. Dec. 1840
Hochwohlgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr Hofrath, Durch die gütige
Uebersendung des zweiten Heftes Ihrer psychologischen Untersuchungen sind Sie
meiner Absicht, einige Zeilen an Sie zu richten, so zuvorgekommen, daß ich die
Erfüllung der Pflicht, Ihnen dafür meinen ergebensten Dank abzustatten, um so
weniger verschieben kann. So wie ich diese Untersuchungen als ein Vermächtniß
an die Zukunft betrachte, welchem, wie keiner durchgreifenden und wissenschaft-
lichen Entdeckung, der gebührende Einfluß auf die Länge nicht entgehen kann, so
muß ich das Studium derselben auch für mich auf eine spätere Zeit aufsparen. Für
uns andre gilt es zunächst, die großen Schutthaufen wegzuräumen, die der ruhigen,
nüchternen und strengen Untersuchung im "Wege Hegen, und indem ich selbst für
die Ethik etwas dazu beizutragen beschäftigt bin, freue ich mich, in dem Werke
von Taute eine in dieser Beziehung sehr wichtige Arbeit kennen gelernt zu haben.
Die breite historische Unterlage, von der er ausgeht, und die gedankenreiche, gerade
und muthige Kritik, die er in Beziehung auf die verschiedenen Systeme ausübt, ist
imter der Voraussetzung, daß man sich die Mühe gibt, sein Buch zu lesen, ganz
geeignet, die Blendwerke einer gedanken- und nach Umständen sirmlosen Bewunde-
rung zu zerstören, mit welcher man die sogenannte Entwicklung der Philosophie
seit Kant anstaunt. Hätte Taute diesen historisch -kritischen Theil selbständig er-
scheinen lassen, so würde er vielleicht eine größere Wirkung sich gesichert haben;
denn allzu starke Bücher haben für unsere Zeit, die sich Heber redend als lesend
sieht, wenig Anziehungskraft. Das Buch ist in seinem ersten Theil eigentlich eine
Enzyklopädie Ihres ganzen Systems nach seiner allgemeinen Grundlage; den Titel
Religionsphilosophie kann erst der zweite Theil rechtfertigen. Um so mehr gutes
kann es stiften. Fremde Urtheile darüber sind mir noch nicht bekannt worden; ich
werde nicht verfehlen, sie, wenn es geschieht, Ihnen mitzutheilen. ||
Beifolgend erlaube ich mir, Ihnen eine kleine akademische Gelegenheitsschrift ^)
zu überreichen, deren Unvollkommenheit Sie mit den engen Grenzen des mh dazu
gegebenen Baumes entschuldigen woHen. Sie erfüUt Ihren Zweck, wenn sie den
Hauptpunct, die schlaffe Bequemlichkeit, durch welche Aristoteles zuerst auf den
Begriff der Seelenrermögen geführt worden ist, ins Licht setzt. Die Verehrung
des Aristoteles hängt mit der philosophischen Richtung des Zeitalters sehr genau
ausammen; die Zweideutigkeit und geräumige Unbestimmtheit seiner Grundbegriffe
erlaubt den verschiedensten Partheyen Kantianern, wie Hegelianern, sich an ihn an-
1) IV2 S. 40. H. Wien.
2) De psychologiae vulgaris origine ab Aristotele repetenda.
^5 Dezember 1840.
zulehnen, und deßhalb schien es mir nicht überflüssig, diese Mängel einmal an
einem speziellen Beispiele nachzuweisen.
Mit der Bitte, Ihrer Frau Gemahlin von mir und meiner Frau die hochachtungs-
vollsten Empfehlungen zu überbringen, mir selbst aber Ihre Wohlgewogenheit er-
halten zu wollen, unterzeichne ich mit der größten Verehrung
Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebener G. Hartenstein.
684. An Griepenkerl. 1) Göttingen, i6. Dec. 1840.
Mein theurer Freund! Auf einen Brief von Ihnen hoffe ich und warte
und hoffe wieder. Jetzt muß ich an Sie schreiben. Gestern kommt die
Nachricht von Königsberg daß Strümpell auf der Reise sey, und uns be-
suchen werde. Weiter kein Wort! AVas er will, weiß ich nicht. Möglich
daß er schon bey Ihnen ist oder nächstens kommt. In solchem Falle bitte
ich zu bemerken, daß meine Äußerungen an Sie über Lott und Drobisch
nur im höchsten Vertrauen geschehn sind. Es wäre übel, wenn Str.
wüßte daß ich über jene geklagt habe. Die Verhältnisse werden ihm
zwar nicht verborgen bleiben, aber eben diese Verhältnisse scheinen noch
beweglich, und jedenfalls muß er nicht durch uns benachrichtigt werden,
sondern es muß sich Alles allmählig entwickeln. Erfahren Sie etwas
Näheres von Strs. Absicht, so bitte ich mich zu benachrichtigen.
Überdies muß mein Manuscript zur neuen Auflage der Encyklopädie
bald abgehen, Ihre Erklärungen wegen der Ästhetik — wenn Sie mir
auch sonst nichts mittheilen wollen, — wünschte ich doch zu besitzen;
ich könnte jetzt noch von Einigem Gebrauch machen; aber die Sache eilt.
Von Hartenstein ist etwas Erwünschtes eingegangen. Eine kleine
lateinische Abhandlung über Psychologie des Aristoteles: sehr gut ge-
arbeitet, und — das ist endlich einmal ein Anfang am rechten Ende.
Wenn nur die Fortsetzung dem entspräche!
In Hoffnung guter Nachrichten von Ihnen ganz der Ihrige! H.
^) I S. 4". H. Wien. — Bei Zimmermann pp. S. 97 f. Hier sind die Namen
ergänzt.
1841.
W. : Kurze Encyklopädie der Philosophie. Zweite Ausgabe. S. Bd. IX. S. 17 bis
338. — Umriß pädagogischer Vorlesungen. Zweite Ausgabe. S. Bd. X. S. 65 — 196,
685. An Schwetschke u. Sohn in Halle. ^) Götüngen lo Januar 1841.
Ew. Wohlgeb. wissen, daß ich vor zehn Jahren in andern Verhält-
nissen war als jetzt. Meine gedruckte Vorrede sagt, daß ich damals von
mehrern Seiten aufgefodert war, eine Encyklopädie der Philos. zu
schreiben. — Davon, daß jetzt, im Jahre 1841, das zum Theil veraltete
Buch einer starken Revision bedurfte, weiß der am 1 8 Januar 1 83 1 ge-
schlossene Contract Nichts; gleichwohl berechtigt er mich zu -/g des
frühern Honorars! Wie nun, wenn Sie nach einigen Jahren nöthig fänden,,
mein Buch zu herabgesetztem Preise auszubieten? — Ich habe das Meinige
gethan um das zu verhüten, aber der Contract hat mich nicht dazu ge-
zwungen. Unsere heutigen literarischen Verhältnisse sind nun einmal so
wandelbar, daß man zufrieden sein muß, wenn die Bücher einen gesunden
Kern haben, der es verdient, daß man zu Zeiten die verdorrte Schale
erneuere.
Belieben Sie nun die 2te Ausg. zu drucken; und etwa nach einem
Jahr mich wegen des Absatzes zu benachrichtigen. Für jetzt empfiehlt sich
ergebenst Herbart.
686. W. Herbart an H. .3 S. 4». im N. Eutin, 21. Jan. 1841.
687. An Taute. 2) Göttingen 31 Januar 1841
Mein theurer Freund! Seit sechs Wochen hoffe ich auf einen Brief
von Ihnen; und besorge mehr und mehr irgend eine unangenehme Ur-
sache Ihres Schweigens. Das zweyte Heft meiner psychologischen Unter-
suchungen habe ich Ihnen durch die Post zugesendet; Sie müssen es
längst erhalten haben; jetzt sende ich ein Büchlein nach, welches mir
hoffentlich bald einige Auskunft, wenigstens Nachricht von Ihrer Gesund-
heit verschaffen möge. Daß Sie literarischen Verdruß gehabt haben können
- an den Sie noch nicht gewöhnt sind, — diese Vermuthung liegt nahe.
^) Ohne Adresse. — Aus der deutschen Lehrerbücherei durch Hrn. A. Rebhuhn
in Berlin fr. zur Verfügung gestellt. — Faksimiliert in O. Gramzows Gesch. d. Philos.
seit Kant, 1905.
*) I S. 40. N.
4 8 Februar 1841.
Am liebsten würde ich hören, daß Ihre Feder anderwärts beschäftigt war
und für Briefe nicht Zeit hatte.
Von der zweyten Ausgabe meiner Encyclopädie, die ich vervollständigt
und von der jetzt unpassenden Härte der Schreibart befreyt habe, liegt
bereits der erste Aushängebogen vor mir. — Die Frage ist nun, was
Fries thun werde, und was sich daran weiter knüpfen wird. Da ich schon
seit Jahren keine Literaturzeitung lese, so kann es leicht seyn, daß Sie
mir von Königsberg aus berichten können, was in meiner Nähe geschieht.
— Wenn wir nur in politischer Hinsicht von Sorgen frey seyn könnten,
so möchten die literarischen Knoten sich vielleicht der Lösung nähern;
die natürlich mehr Sie als mich in meinem Alter interessirt; denn ich
glaube in der That das Meinige gethan zu haben. — Jetzt habe ich
Arbeit oder vielmehr Störung mit der Direction der wiss. Prüfungs-Commis-
sion: Eben diesen Augenblick kommt deshalb ein officielles Schreiben an,
was mich nöthigt zu schließen. In Hoffnung baldiger Antwort, — wo-
möglich eines recht ausführlichen Briefes — sonst auch nur weniger
Zeilen, um zu erfahren daß Sie gesund sind, —
Ganz der Ihrige H.
688. Schubert an H.') Kgbg. d. 8t. Febr. 1841.
Hochgeehrter Herr Hofrath! ich erlaube mir anliegend die im Laufe des J. 1840
und bis jetzt eingegangenen rückständigen Honorare, in Summe 31 rth. in C. Ä.,
wie sie von der hiesigen Quästur nach und nach an mich eingezahlt sind, ganz er-
gebenst zu übersenden.
Den herzlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief, der mir durch Herrn
Bobrik überbracht wurde. Lange ich bei dem Schlüsse Ihres Schreibens an, der
sich auf Taute bezieht, so hoffe ich Ihnen etwas Gutes berichten zu können. Auf
seine Eingabe an das Ministerium hat dasselbe bestimmt, es möge die theologische
und philosophische Facultät gutachtlich über sein Buch, und der academische Senat
über seine mehrjährigen Leistungen als Privatdocent berichten. Von der theologischen
Facultät hat Sieffert das Gutachten gemacht, von der philosophischen der zeitige
Decan Rosenkranz als peritus rei so gut als ein Hegeling sich darüber aussprechen
mochte, indem auch er die Ernennung zum außerordentlichen Professor forderte. Den
Bericht im Namen des Senats zu machen ist mir aufgetragen und über die beiden
Gutachten werde ich übermorgen im Senat Vortrag halten, ich bin überzeugt, daß
-eine sehr günstige Majorität seine Ernennung als Professor fordern und ihn endlich
dem schwankenden Schicksale entziehen wird, nur ein Wartegeld zu besitzen || aus
dem er noch in ein untergeordnetes Schulamt gedrängt werden konnte, was ich bis
jetzt von Jahr zu Jahr verhindert habe. Leider kränkelt Taute in diesem "Winter,
namentlich seit Neujahr, so daß er jetzt einige Wochen hat die Vorlesungen aus-
setzen müssen.
Ihre alten CoUegen, die mit der wahrsten Freundschaft jede Nachricht von
Ihnen aufnehmen, hoffen immer jeden Sommer, daß Sie uns einmal überraschen
werden, wie Sie früher Selbst uns in Aussicht stellten. Ihre Frau Gemahlin, der
sich die meinige aufs angelegentlichste empfehlen läßt, wird gewiß auch gern Ihre
zweite Heimath wieder einmal ansehen, und Ihr Haus ruft beiden so Weljährige Er-
innerungen zurück.
») 4 S. 80. H. Wien.
April, Mai 1841. ^g
Die Tage des vorigen September waren glanzvoll für Königsberg, aber auch ein
Abschnittspunkt des früheren, für eine große Stadt fast innig zu nennenden Ver-
bandes der verschiedenen Stände. Forderungen, Ansprüche, Hoffnungen, Erhebungen
und abschlägige Antworten haben auf den höchsten Enthusiasmus Mißstimmung,
Unzufiiedenheit und Schadenfreude zu rasch folgen lassen. Auch die Universität
ist davon nicht frei geblieben. Bei der ersten Deputation, die aus dem Prorector
Voigt. Sachs, Neumann und mir bestand wurden wir mit dem lautesten Wohlwollen
aufgenommen. Neun Gebäude für die Auditorien, Clinika, die noch nicht unter-
gebrachten Institute (^physicalisches, chemisches) || und Sammlungen verheißen, durch
eine jährliche Etatserhöhung von 7000 rth. auch in der That zur Erhöhung der Be-
soldungen ein Könighches Huldigungsgeschenk dargereicht. Aber nun kommen die
Besorgnisse, Erhebung der Hyperorthodoxen und der Junker, Verdunkelung der
Charaktere, einseitiger Einfluß an sich hochgestellter Männer, das Urtheil stellte sich
dem Unbefangenen heraus: Allen zugleich ein Eortschreiten und Zurückgehen kann
es nicht recht gemacht werden — daher noch Schweigen und Abwarten. Lobeck
ist seit seiner letzten Brunnenkur in Salzbrunn wieder recht heiter im Umgange
und aufgelegt zur Arbeit. Das gleiche kann man von Sachs sagen, der nun auch
zu uns heraus auf die Königsstraße zieht. Sieffert's gelehi-te Thätigkeit kann nur
die Forschungen andrer genießen, für Selbstuutersuchungen legen seine Augen ihm
unübersteigliche Hindernisse in den Weg. Dabei ist er aber als reformirtes Mitglied
in das Consistorium eingetreten. Sanio ist immer auf alle Weise fleißig und seine
Studien sind von bedeutendem Umfange, da mindestens alte Philologie und Geschichte
ernst von ihm berücksichtigt werden: aber in eigenen Arbeiten brütet er nur immer
und es kömmt zu keinem Product. Gregor hat seine Vorlesungen aus dem Gebiete
der Philosophie und Pädagogik eingestellt, dafür ist er aber alleiniger Director des
Polnischen Seminars geworden. An Prediger Voigdt, Ihnen wohlbekannt, hoffen wir
aber einen neuen Docenten für die theologische Facultät zu gewinnen, || was um so
erfreulicher ist, da Kahler mit Erlaubniß des Ministeriums seine Docenten-Thätigkeit
aufgegeben hat.
In der Hoffnung daß Ihnen diese Nachrichten einiges Interesse gewähren
werden und bei Gelegenheit mir vielleicht wieder einige Zeilen von Ihrer Hand ge-
winnen, bitte ich angelegentlichst mich Ihrer Hochverehrten Frau Gemahlin zu emp-
fehlen und der aufrichtigsten Hochachtung versichert zu sein
Ihres ganz ergebenst verpflichteten Schubert.
Seit 5 Tagen haben wir anhaltend unter 21" R.
GS9. Schulmann an H. (3 S. 4». im N.) Hildesheim, 9. April 1841.
090. An Drobisch. Göttingen 7 Mai 1841
Magnifice! Endlich habe ich Nachricht aus Halle, daß die neue Aus-
gabe meiner Encyklopädie an Sie abgesendet ist; ich füge nun hinzu, was
hier in Göttingen gedruckt worden. Zwar könnte ich zweifeln, ob meine
Schriften jetzt noch — oder jetzt wieder, auf Sie als auf meinen geneigten
Leser zu rechnen haben. Allein gerade an diesen Schriften haften Er-
innerungen aus frühern Jahren, die ich in Ehren halte, und die mir zu
gebieten scheinen, den Zweifel niederzuschlagen. Nur darum bitte ich,
daß Sie nicht versuchen mögen, zwischen den Zeilen zu lesen. Sie
würden Sich täuschen, wenn Sie hier etwas zu finden glaubten, was be-
Herbarts Werke. XIX. 4
50 i84i-
stimmt sei, gerade von Ihnen bemerkt zu werden, oder Sie zu irgend
Etwas zu veranlassen.
Etwas dreister als diese Bücher möchte ich wohl selber seyn. In
Ihrem letzten Briefe ist mir das aufgefallen, was Sie über den heutigen
Zustand der Journale sagen. Sie stehen an der Spitze der Universität
in Leipzig, dem Mittelpuncte des deutschen Buchhandels. Ihnen möchte
es doch wohl nahe liegen, zur Verbesserung jenes Zuslandes irgend etwas
einzuleiten. Hochachtungsvoll H.
691. Drobisch an H.^) 1841.
VerehiTingswürdiger Herr iind Freund! Ihr erstes Geschenk — die 2te Aus-
gabe der Encyklopädie — war eiuea Tag in meinen Händen, als schon ein zweites,
die 2te Ausgabe der pädagogischen Umrisse folgte. Für soviel Güte meinen herz-
lichsten Dank. Zu einem Gegengeschenk wird es bei mir sobald nicht kommen!
Denn ich erübrige jetzt eben nur noch so\iel Zeit als die Vorbereitungen zu den
Vorlesungen erheischen. Trendelenburg's logische Untersuchungen haben mich zu
einer Eevision der Logik veranlaßt, bei der sich manches anders als früher gestaltet
hat und wobei ich auf Erweiterungen bedacht gewesen bin, aber es fehlt mir
durchaus diejenige zusammenhängende ungestörte Muße, die zu solchen Ueber- >
legungen nöthig ist. Ob ich noch zu den ,, geneigten Lesern" Ihrer Schriften ge- •
höre, haben Sie auf keine Weise zu bezweifeln, und wüßte ich nicht, wo und warum '
ich dazu || Veranlassung gegeben hätte. Meine Eelphilos. dürfte wenigstens keine '
Veranlassung zu Mißtrauen geben, AVo ich in der Begründung der mathematischen
Psychologie unbefriedigt geblieben bin, da habe ich es Ihnen offen mitgetheilt. In |
den Heften über die Psychologie war die Schrift zwischen den Zeilen ziemlich |
leserlich. Sie werden aber bemerkt haben, daß ich sie nur ganz heimlich gelesen |
habe, und Sie wissen, daß was ich übea- Psychologie aufgesetzt hatte, nicht in der '
Druckerei, sondern in meinem Pulte sich befmdet. Hier in diesen alten Bekannten I
finde ich, der Ergänzungen ohngeachtet, so weit ich geblättert habe, nichts von dem,
was Sie als ,,zwischen den Zeilen" bezeichnen, es müßte denn am Ende der Vor- ;
rede der Encyklopädie seyn, wo Sie neben Taute's Schrift die raeinige erwähnen I
und wo ich die Ungleichheit bemerkt habe, daß auf Taute's Seite beschriebenes auf
meiner leeres Papier sich befindet, und dem geneigten Leser überlassen wird davon ■
zu denken, was er will. Ein offnes Urtheil, selbst ein || mißbilligendes oder auch
nur -bedingt billigendes wäre mir lieber gewesen. Uebrigens wollen Sie doch ja
nicht mich als auf der Lauer liegend und lauschend, ob eine Aeußening von Ihnen
mir ,,zu irgend Etwas" Veranlassung geben könne, vorstellen. Sie könnten bei
näherer Untersuchung leicht finden, daß ich vielmehr stets dahin gewirkt habe, daß
das Häuflein, welches sich um Sie gesammelt hat, beisammen bleibe imd sich nicht
spalte, und ich sollte selbst Unfrieden stiften wollen? In der Zeit der ersten Er-
scheinung der Encyklopädie waren Sie, laut Vorrede, geneigt, jeden, der die Diffe-
renzen der Ansichten zwischen uns statt für Mücken für Elephaaten halten wollte,
zurecht zu weisen. Jetzt scheinen Sie viel ängstlicher zu seyn. Es ist mir übrigens
lieb, daß Sie Taute nur als Kritiker genihmt haben, was er ohne Zweifel verdient:
denn seine finstere altorthodoxe Dogmatik kann ich nicht für die Ihrige halten.
Möglich indeß, daß er dadurch, bei der jetzigen "Wendung der Dinge in Preußen,
sein Glück macht, das ich ihm gern gönne, da er ein tüchtiger Mann ist. ||
') 4 S. 80. H. Wien.
Mai, Juli 1841. ej
Die Aufforderung, die Sie hinsichtlich des Zustandes der Journale an mich
ergehen lassen, möchte nicht so leicht zu erfüllen seyn. Die Idee der allgemeinen
Literaturzeitungen scheint verbraucht, eine neue auf ein Bedürfniß gegründete ist
noch nicht gefunden. Journalthätigkeit ist nicht Jedermanns Sache, am wenigsten
die bedeutender Gelehrten, welche ihreti Forschungen oder Compositionen leben.
Dabei sind jetzt die Honoraransprüche sehr gesteigert und die Buchhändler in der
Unternehmung einer Zeitschrift sehr schwierig, die Regierung bei uns zur Unter-
stützung einer solchen wenig geneigt. Jedenfalls müßte aber ein Mann an der Spitze
stehen, der sich der Sache ganz zu widmen gedächte, sie nicht als eine Nebensache
betrachtete; wo ist der? Endlich eine Universität ist ein sehr vielköpfiges Wesen,
von dem oft jedes einzelne Glied und doch nicht das Ganze vernünftig ist, das sind
Hindernisse, die schwer zu überwinden seyn werden!
Mich und meine Frau Ihrer würdigen Frau Gemahlin bestens empfehlend bin
ich — ich wiederhole es — mit unveränderter Gesinnung
Der Ihrige Drobisch.
692. Hartenstein an H.^) Leipzig, d. 23. Mai 1841.
Hochverehrter Herr Hofrath! Sie verzeihen daß ich Ihre geehrte Zuschrift,
welche Sie mit der neuen Ausgabe Ihrer pädagogischen Umrisse begleiteten, erst
heute beantworte, um Ihnen meinen Dank für diese gütige Zusendung abzustatten.
Ich hätte dies um so mehr schon früher thun sollen, als ich kurz vorher auf Ihre
Anordnung auch die zweite Ausgabe der Encyklopädie von Halle aus zugesendet er-
halten. Es bedarf neben dem Ausdruck der Dankbarkeit meinerseits wohl nicht erst
der ausdrücklichen Versicherung, daß die Bereicherungen mit welchen Sie beide
Schriften ausgestattet haben, meine Aufmerksamkeit schon mehrfach auf sich ge-
zogen haben. Daß die kleine Arbeit über Aristotelische Psychologie Ihre Zustimmung
hat, ist mir sehr erfreulich. Allerdings lohnte es sich der Mühe, den ganzen Aristo-
telischen Gedankenkreis auf ähnliche Weise durchzuarbeiten und blos zu legen;
vielleicht komme ich später einmal darauf zurück. Für jetzt wünsche ich aber mit
der praktischen Philosophie wenigstens bis auf einen gewissen Punct zu Stande zu
kommen und möchte mich deshalb nicht zerstreuen, zumal ich ohnedies nicht be-
stimmen kann, wie viel Zeit die Vollendung dieser Arbeit in Anspruch nehmen werde.
Eriauben Sie mir auch meine aufrichtigsten Wünsche für- Ihr Wohlbefinden
und die Bitte Ihrer Frau Gemahlin die achtungsvollsten Empfehlungen von mir und
meiner Frau überbringen zu wollen, hinzuzufügen, und genehmigen Sie die erneute
Versicherung der größten Verehrung, mit welcher ich verharre
Ew. Hochwohlgeboren ergebener H. Hartenstein.
693. L. Rembold an H.-) Wien, 26. Juli 1841.
Euer Wohlgeboren ! Die Verbesserungen, die Sie im zweiten Hefte Ihrer psychol.
Untersuchungen angebracht, haben mich an Kechnungen erinnert, die ich ehemals
vor 13—14 Jahren vornalun, und die einen Punct betreffen, auf welchen Sie etwa
in einem der folgenden Hefte zuriickkommen dürften. Ich nehme mir die Freiheit,
1) IS. 40. H. Wien.
') 3 S. 4". H. Wien. Bei Zimmermann pn. S. 141 f. — L. ßembold (1787
bis 1844), Prof. d. Phil, an der Univ. Wien, 1824 seiner Freisinnigkeit wegen in
den Ruhestand versetzt, urspiünglich ein Anhänger Jacobis, fühlte sich von Herbarts
mathem. Psychol. angezogen und wurde als Lehrer Fr. Exners der Begründer einer
Herbartschen Schule in Österreich. S. Zimmermann pp. S. XI, u. Zirngiebel, Jacobis
Leben, Wien 1867, S. 317. rt- , 0 ,
4*
52 Juli 1841.
die Skitze meines Aufsatzes Ihnen zu Ihrem beliebigen Gebrauche zu schicken, indem
ich voraussetze, es sey zweckmäßiger, daß der Erfinder einer Theorie irgend eine
nöthige Correctur selbst mittheile, als daß ein Nachrechner dergleichen bekannt
mache. Ich setze hiebei allerdings voraus, daß Drobisch, dessen Rechnungen ich
noch nicht gesehen, die Correctur nicht etwa schon gefunden und der Welt mit-
getheilt habe.
Der Anfang der Skitze ist vielleicht zu wortarm; denn gleich auf der vierten
Zeile der ersten Seite befindet sich der Schlüssel zur ganzen Correctur. Das Zu-
sammentreffen des Wendepunctes wäre wohl nicht so oft nachzuweisen gewesen;
aber die Freude über den entscheidenden Beweis der richtigen Auflösung des Pro-
blems veranlaßte mich wohl, den Nachweis öfter vorzunehmen, als gerade nöthig
war. Nachdem die Rechnungen nun einmal gemacht siad, so mögen sie auch hier
/c' T' dt
stehen. Ich habe übrigens / -73^ — nicht = Z, sondern = Z' gesetzt; weil sonst jeder
d Z T'
Mathematiker, dem man die Gleichung -—- = — — ; — — = vorlegt,
' ^ dt c' + c 9(1 — e— pt) — c. c' Z ^'
zu einer Auflösung veranlaßt wird, welche dem Sinne der Aufgabe nicht entspricht.
d Z T'
Hinterher sehe ich aber, daß wenn man gleich -5— = -— -7 -7=-
' * dt c' + cy(l — e— pt) — c. c'Z'
setzen muß , das von mir gesetzte Z' doch eigentlich nichts ist als — c' c Z'
= ' \} oder == ^-^r^ und daß insofern auch die Bezeich-
nung, die ich gebrauchte, nicht vollkommen richtig ist.
Beim Abschreiben dieser Rechnungen ist wohl öfter der Wunsch aufgetaucht,
daß meine Verhältnisse mir gestatten möchten, auch Etwas zur Förderung der
mathematischen Behandlung der Psychologie beitragen zu können. (Ich war ehemals
Professor der Philos. in Gratz, dann in Wien, wurde im Jahre 1824 pensionirt,
studirte dann in Pesth || die Medicin und' bin nun practischer Arzt in Wien.) Aber
zur Befriedigung eines solchen Wunsches ist wohl keine Aussicht vorhanden, indem
ich für meine sehr zahlreiche Familie zu viel erwerben muß, als daß mir viel freie
Zeit übrig bliebe. Nachdem also durch Ihre zwei Hefte der Untersuchungen das,
was ich früher gefunden, bereits von Ihnen selbst so ziemlich erschöpft ist (obwohl
Sie auch Mehreres haben, was ich nicht gefunden); so kann ich nicht einmal den
Antrag hinzufügen, in der Folge Ihnen noch mehr Beiträge zu beliebigem Gebrauche
zu senden. — Um so lebhafter wünsche ich, daß Sie noch lange Zeit und Kraft
behalten, diese begonnene mathematische Behandlung der Psychologie selbst weiter
zu fördern.
Mit Achtung Ihr ergebener Leopold Rembold,
Wien (Filzgasse Nr. 815). Dr. und pract. Arzt.
694. Braunschweig an H.^) Mitau i/Curland im July 1841
Wohlgeborner insonders hochzuverehrender Herr Professor. Sowohl ich selbst,
als die Zeit in welcher ich in Göttingen die Ehre hatte, Ihr Zuhörer im pädagogi-
schen CoUegio zu seyn, dürfte Ihnen wohl schwerhch mehr in der Erinnerung
seyn. Je werther mir aber jene Zeit ist, desto sehnlicher wünsche ich auch, als
Ihr würdiger Schüler in Ihrem Andenken, in Ihrer Freundschaft wieder fort zu leben.
Ob mein Wunsch auch meinen Kräften angemessen war entscheiden Sie selbst aus
der beyliegenden kleinen Schrift die anzunehmen, und Ihrer Aufmerksamkeit zu
1) 2 S. 40. N.
Juli, August 1841. • "i^
würdigen ich Sie recht sehr ersuche. || Die Achtung würdiger Gelehrten und das
Vertrauen meines Vaterlandes mir zu erwerben führte mich auf diese Bahn, die so
oft, nur zu wenig belohnend ist. Ihr Beifall, Herr Hofrath und Ihre Aufmunterung
sollte ich so glücklich seyn, beides zu erhalten, würden hinreichen mich manches
Bittere, daß mir hier begegnen könnte, vergessen zu lassen.
Ihrem ferneren "Wohlwollen mich empfehlend, habe ich die Ehre, hochachtungs-
voll mich zu unterzeichnen als
Euer Wohlgeborner ganz ergebner J. D. ßraunschweig.
695. Herbarts Tod.^j
Ferd. Eanke, der Binder. Leopold Eankes schreibt: „Als ich 1837 nach Göt-
tiogen kam. um das dortige Gymnasium zu dirigiren, setzte ich mich sofort unter
die Studenten, welche Pädagogik bei ihm hörten, um pünktlich und eifrig bis Ende
daran theilzunehmen. Ihm und seiner trefflichen bewundernswürdigen Gattin hänge
ich mit der hingehendsten Liebe an. Auf seinem Grabsteine stehen einige Worte
von mir. Den Adel Herbarts habe ich in seinen letzten Tagen, in denen er mit
vollem Bewußtsein seinem Tode entgegengieng, am herrlichsten zu beobachten Ge-
legenheit gehabt."
696. Auszug aus dem Sterbe- und Begi-äbnisbuche der Parochie St. Albani in
Göttingeu. Jahrgang 1841. pag. 272. Nr. 35.
Name des Verstorbenen: Herr Johann Friedrich Herbart.
Stand, Gewerbe, Abkunft, Wohnort: Hofrath und Professor hies. (Ehemann),
gestorben: d. 14. August Morg. 3 Uhr.
begraben: d. 16. ejusd. Abends.
Alter: 65 Jahre 3 Monate 10 Tage.
Bemerkimgeu: Schlagfluß. (Nota: Geboren zu Oldenburg den 4. Mai 1776.)
Nr. 208.
69". Grabinschrift, verfaßt von F. Ranke:
„Der Wahrheit heilige Tiefen zu durchdringen.
Für Menschenwohl mit Freudigkeit zu ringen
War seines Strebens Ziel; nun ruh hier seine Hülle;
Nun schaut sein freier Geist bei Gott des Lichtes Fülle."
698. Herbarts Testament.
Am 7. Juni 1831 hat Herbart auf dem Königl. Preuß. Stadtgericht zu Königs-
berg ein wechselseitiges Testament zu Protokoll gegeben. Die Schriftstücke finden
'■) (K. Strackerjan, Das Leben J. Fr. Herbarts. Oldenb. Realschul-Progr. 1875.
S. 5.) — Herbart h?tte am 11. Aug. noch Vorlesungen gehalten. Prof. Liebner
hielt ihm am 11. Sonntag nach Trinitatis die Gedächtnispredigt über 1. Petr. 5, 6.
(Gedruckt bei Vandenhoeck & Ruprecht, Gott. 18-11.) Vgl. Flügel, Herbart, Lpzg.
1912, S. 116; VoiGDT, Zur Erinnerung an J. Fr. Herbart, Worte, gesprochen am
28. Okt. 1841 in der ö. Sitzung der K. Deutschen Gesellschaft zu Königsberg;
Lobecks Nachruf findet sich in Hartenstein, Herbarts kl. phil. Schriften Lpzg. 1842,
1. Bd. S. XCVIII ff.; eine Schilderung von Herharts Persönlichkeit ebenda S. XCIV ff.
Sanios Prorektoratsrede auf Herhart steht in Zillers Herbartischen Reliquien, Leipzig
1871, S. 7 ff. Ein Verzeichnis der Bilder, Büsten etc. bringt Allihn, Leben und
Schriften Herbarts, Zeitschr. für exakte Philos. 1. Bd. Lpzg. 1861, S. 77 und
Flxjgel, Der Philosoph Herbart. Lpzg. 1905. Über die Geschichte des Oldeaburger
Herbartdenkmals vgl. Lazarus' Lebenserinnerungen, herausgeg. von N. Lazarus und
A. Leicht. Berlin 1906, S. 452—479.
54 1842.
sich im N. Er setzte seine Gattin zur „alleinigen Erbin ohne irgend eine Beschränkung
oder Belastung" ein. Nach dem Tode der Frau Herbart wurden von dem Ver-
mögen die Kosten für die Versorgung Otto Stiemers und der Dienerschaft bis zu
ihrem Ableben bestritten. Dann fiel das Vermögen an die Universität, resp.
Universitätsbibliothek. Näheres darüber war von dort nicht zu erfahren.
•
1842.
699. Von Rist an Smidi^) Schleswig, 24. April 1842.
Als ich das starke Brief packet ^) von Deiner befreundeten Hand, mein theurer
Smidt, empfing, dachte ich natürlich zuerst an Mittheilungen aus dem reichen Felde
der Politik, in dem Du, ein unverdrossener und glücklicher Säemann und Schnitter,
mit so vielem Erfolge zu arbeiten fortfährst. — Doch wie sehr ward ich überrascht 1
Wie viel Anderes und Mehreres fand ich!
Du hast eine fast schon zu sehr in den Hintergrund getretene Vergangenheit
wieder hervorgerufen, die Bilder der frischen Jugend wieder beleuchtet, meinen
unvergeßlichen Herbart in aller seiner Unschuld und Liebenswürdigkeit vor mein
Auge gestellt, wie er vor 40 — 45 Jahren mir zuletzt erschien. Es hat sich über
jene Erinnerungen so viel Glanz, so viel Leid und Freude, die ich ohne ihn genoßen
und durchlebt, so viel Staub einer Reihe von Lebens zuständen gelegt — ach! und
wir waren einander so ganz verstummt — daß ich seine Todesnachricht mit der
doppelten Bekümmerniß erfuhr, ihm nie wieder die Hand gereicht zu haben. Unsere
Wege — die wir zusammen ausgewandert, waren so weit aus einander gegangen!
Zuerst habe ich Herbart in Dorndorf gesehen, wo er mit seiner tief ins Ge-
sicht gedrückten Kappe und schlotterndem Gang in dem Wirtshaus, wo er sich ein-
gemiethet hatte, auf und nieder ging. Die Burschen, die mit mir waren, zeigten
mir ihn wie eine gewaltige, unnahbare Größe, tiefsten Gehalts, mit der ich keine
Beziehung möglich sah.
Böhlendorf w^ar es, der im Herbst mir Eröffnungen zum Eintritt in die Liter.
Gesellschaft machte. Wie kümmerlich an Zahl es damals mit ihr bestellt war, mag
Dir Herbart's erster Brief, den ich beilege, sagen. Ihr alle, die Lichter und Stützen,
hattet sie verlassen; Berger und Hülsen waren abwesend. Da lernte ich Herbart
kennen; erschloß sich mir an, zog mich zu sich. Mein Tagebuch nennt den Abend,
wo er mich nach seiner Gewohnheit besuchte und zum ersten Male die Tiefen der
Abstraction, die Lehre vom Sein und dem Ich öffnete; wie ich mit frischer Sinn-
lichkeit widerstrebte, mich an die Wirklichkeit klammerte, wie es finster ward über
dem Gespräch, und ich ihn beschwor, mich doch in der grausen Einsamkeit, in die
er mich getrieben, nicht allein zu lassen. Sein Sieg war vollkommen, und regel-
mäßig wurden diese Unterhaltungen später, meist von 5 — 6 Uhr Nachmittags fort-
*) Gedruckt nach Zillers Reliquien pp. S. 238. — Die Erinnerungen Horns
an H., (Bremen, Ende März 1842, 4 S. 4«), die Smidt z. T. für die „Er-
innerungen pp." (Bd. I, XXI ff.) benützt hat, befinden sich auf der Univ.-Bibl.
zu Jena.
^) Das Material, das Smidt an Prof. Hartenstein für Herbart's Lebensabriß ge-
liefert hat.
^^42- 55
gesetzt, während ich Fichte hörte, an seinen Conversatorien Theil nahm. So zu-
gängUch aber \yie ein Jahr vorher für Euch war er nicht mehr: er war einmal ver-
letzt; er ward von seinen Collegen heimlich und öffentlich angefeindet; er fing an
sich zu verschließen. — — Unschätzbar vor allem war Herbart für uns, seine
Freunde, durch die unendliche Treue, Liebenswürdigkeit und Anspruchslosigkeit und
rechtliche Tüchtigkeit seines Wesens.
Im Jahr 1803, als ich auf der Reise nach Paris und Madrid durch Göttingen
kam, habe ich ihn zuletzt gesehen (ich deponirte damals ein eben geschenkt er-
haltenes Buch, Martens, droit maritime, für das ich keinen Platz hatte, bei ihm,
und habe es nie wieder erhalten) und seitdem habe ich nur durch dritte Hand
Grüße von ihm empfangen. "Wie sich sein inneres Leben seitdem gestaltet, weiß
ich nicht; aber dafür, daß jede seiner Handlungen aus gewissenhaften Motiven
hervorgegangen, will ich mich unbedenklich verbürgen: hat er geirrt, so werde nicht
vergessen, daß wenige so innerlich unschuldige Menschen über die Erde ge-
wandelt sind.
H. war damals umgeben von den jungen Leuten, die Du nennst; und einen
von ihnen habe ich im Jahre 1827, glaube ich, in Hannover in Geschäften als einen
eben so begabten als redlichen Staatsmann kennen gelernt, den Geh. R. v. Grote,
und mit ihm Herbart's Andenken, das er hoch hielt, erneuert.
"Wir müssen uns begnügen, die Reinheit und Liebenswürdigkeit, ja die urspiüng-
liche "Weichheit seines Charakters zu behaupten und darzuthun. "W'as sich nachher
von Starrheit entwickelt haben mag, davon weiß ich nichts zu sagen. Quo nunquam
candidior fuit auimus! dabei bleibt es.
Nun Gott befohlen, lieber Freund.
Von ganzem Herzen Dein J. E.
700. Herbarts Frau an Smidt/) Göttingen den 18ten [Aug.V| 1842.
"Werthgeschätzter Herr Ober-Bürgermeister! Nehmen Sie doch den herzlichen
Dank an, den ich für Ihren Brief und für Ihre gütige Bemühung empfinde, ich bin
so frei Ihnen die Einlage für Madame Ruppel zu schicken, so wie die kleine ver-
sprochene Abhandlung, die vorläufig Ihrer Fürsorge empfohlen wird. Hoffentlich
werden diese Zeilen nicht dem Zufall preis gegeben werden, obgleich mir Ihre Adresse
bei unserer großen häuslichen Umwälzung abhanden gekommen ist. Sie sind doch
gewiß als Bundesgesandter zu finden. Den 20sten reisen wir hier ab, nachdem wir
wenigstens 70 Cntr. gepackt, und Auction gehalten haben. '^j Mir wird manchmal
bange bei der "^'eite des Weges; ich muß mir dazu ein sicheres Geleit von Üben
erbitten, sonst kann ich es nicht leisten, den Otto zurück zu bringen. Mit den
besten "^^ünschen für Ihr ferneres Wohlergehen, empfehlen Otto und ich uns Ihnen,
Ihi'er Frau Gemahlin, Ihrer Fräulein Tochter. Leben Sie gesund und froh! kehren
Sie glücklich in Ihre Heimath zurück; dieses hofft von Herzen
Ihre ergebene und dankbare M. J. Herbart.
^) 2 S. gr. 8«. H. Wien.
^) Das AuktionsprotokoU vom 15. Aug. 1842 befindet sich im N.
Nachträge,
Ergänzungen und Berichtigungen.
(Mit Unterstützung von Karl Freye.)^)
Druckfehler in Bd. I.
S. 3: Herbarts Mutter starb nicht 1803, sondern 1802. Vgl. S. 259, Anm.
S. 68, Z, 20 von o. muß nach „steht)." ergänzt werden: „l)-', dagegen S. 68.
Z. 21 von 0. die 1) gestrichen werden.
S. 134, Z. 14 von u. muß es heißen: „Vgl. den folgenden Brief."
S. 174 muß es heißen bei „Ziemssen an H." N. 132 statt Nr. 129.
701. Fleißzettel für H.-)
äl
Ji
Ih
A
4,
3um ^Inbenfen
für
äohan^\^ S^r^ie9e^ic^ JCe^^Gat^t,
tnegen be§ in ber ^riöatfc^ule betüiefenen
Olbenburg
Oftczn 1786.
(S, trufe.
t^
A>
k
h
gfeitV v^tV v(»^tV 'r(J^ ^(^<^ "^^ "^^ ^j^ "^SiS
*) Alle mit N. bezeichneten Schriftstücke verdanke ich Hrn. Dr. K. Freye in
Friedenau. S. Vorwort.
^) Da neuerdings Interesse für solche Dokumente vorhanden ist, wird dieser
Fleißzettel in ziemlich getreuer Nachbildung mitgeteilt. Namen und Zeit sind mit
Euudschrift in den Vordruck geschrieben. Auf der Rückseite steht: „N. 1." —
Bei dieser Gelegenheit sei noch eine Herbart -Reminiszenz erwähnt, die sich in
M. Lazarus' Lebenserinnerungen von N. Lazarus und A. Leicht, 1906, S. 463 be-
findet: Im Jahre 1781 überreichte der fünfjährige H. dem Herzog Feter bei seiner
Verheiratung Blumen. Auf dem Bande stand:
„Darf auch ich ein Band | Um die teure Hand | Meiner Fürstin schlingen? |
Alles, groß tmd klein | Will heut Dichter seyn. | Alle Knospen springen, | Auch
ich kleiner Mann! | Wachs ich einst heran, | Will ich besser singen.
J. F. Herbart."
Nachtrag zu 1789. ey
702. W. Ultzen an H.») (4 S. 8". N.)
E nionasterio Luccensi d. XVT Calend. Febrii. anni MDCCLXXXTX.
£x quo primas Cellis scriptas Tibi dederam litteras, amice suavissime, tot
tantasque equidem rerum niearum expertus sum vicissitudines, ut de nova ad Te
mittenda epistola hucusque nullo provisus modo cogitare potuerim. Quamvis enim
ardentissimo animi f lagrarem desiderio amorem, quo Te amplector semperque am-
plexurus sum, tenerrimum atque sincerissimum iteratis Tibi declarandi ac demon-
strandi speciininibus; adeo tamen modo negotiorum, modo itinerum modo amicorum
ten:bar distractionibus ut vix, quo ounctis, quae necessitas urgebat, satisfacerem
tempus invenire mihi datum fuerit.
Qua litteris meis benigne respondere voluisti epistolam Tuam ex Septem fere
hebdomadum itinere redux Cellis, ubi plus quam quindecim illa me expectaverat
dies, reperi, nee sine gratissimo animi sensu perlegi. Equidem || cuncta, quae ad Te,
ingenium. doctrinam fortunanique Tuam pertinent fausta atque felicia et me juvare
ac delectare persuasum diu Tibi esse tarn certum habeo quam quod certissimum.
Macte, juvenis optime, macte ea, qua feliciter adeo ingrederis, virtutis, industriae,
honorisque via, et quin brevi sodales omnes eruditione qualibet superaturus gloriaeque
palmam iis praereptunis sis, qui dubitare possim, non video. Laudo quidem illam,
qua caeteras virtutes ingeniique acumen ornas, modestiam ut cuivis aetati sie juvenili
vel maxime accommodatani ; attamen debito honoris testimonio stimulum Tibi addere
justoque diligentiae praemio ad altiora semper Te excitare integerrimi amici ac
praeceptoris etiam honorifico nomine meum esse duco. Dandum et id praecipue
familiaritati esse arbitror, ut relicta et abjecta plane, quam liominum saepenumero
consuetudo vitaeque communis ratio postulat vel postulare saltem plurimis videtur,
simulatione ac dissimulatione, quae laudanda sunt || in amicis, laudemus, quae vitu-
perauda, vituperemus, indeque adulationis gratia nullum unquam a me Tibi dictum
esse aut dictum iri verbum, confidito.
Accipies his litteris juncta de instituenda et prosequenda studiorum Tuorum
ratione, quae promiseram olim, bona mea consilia. Quod si vitiis scatent illa nee
optimam Tibique accomodatissimam demonstrant viam, sane non voluntati meae atque
bene de Te merendi studio, sed ipsius ingenii mei debilitati scientiaeque angustiis id
tribuendum erit. Judicem habes harum rerum Optimum peritissimum, patrem summa
pietate venerandum, cujus sententiae, prouti fas est, libenter ac ingenue meum ego
subjicio.
Accipies porro instructionis litterariae novum initium, quo de veteris Graeciae
conditione geographica primum agitur, ac si hocce Tibi probabitur specimen, mox de
omni graeca, quam dicunt, antiquitate fusius paulo atque accuratius- disputabitur.
Hie ubi ad metam pervenerimus, Deo favente et Logices, quam || in deliciis adeo
habes, jimctim permeabinms provincias, litteraturae tandem romanae ac graecae
strictiorem atque exquisitiorem adjacientes notitiam.
Mortuo Wardenburgio, sene omni honore dignissimo, quäle vitae genus et ubi
id jam agat juvenis ille vir, qui famulus isti olim inservierat, scire valde desidero,
quo institutionis christianae continuationes ex promissis ipsi exhibere queam. Scribas
itaque quaeso quam id fieri potest celerrime; quae de illo Tibi innotuerunt, mox
enim continuationem talem simulque et aphorismorum meoruni continuatam seriem
ipsi mittere cupio.
"■) Herbarts Hauslehrer F. W. Fr. Ueltzen (1759—1808, Hartenstein nennt
ihn Uelze) galt später als größter Kanzelredner Hannovers. Auch als Dichter hat
er einen Namen. Sein Lied „Namen nennen Dich nicht" ist als „Jean Pauls
Liebhngslied" bekannt. Vgl. Allg. D. Biogr. 39. 271. Daß er Herbarts Lehrer war.
ist dort nicht erwähnt.
t8 Nachtrag zu 1789.
Ut matri dulcissimae, optimae, patrique honoi'atissimo omni, quem invenire
potes, me commendes titulo, cave obliviscaris , eorum enim favore, si re uUa,
maxime superbio.
Sic Te valere mihique favere jubeo. Guilielmus Ültzen.
703. Ein Aufsatz Herbarts über den Beweis für die Existenz
eines ewigen Gottes.^) [Sommer 1789]
Nach dem Satze vom zureichendem Grunde muß alles, was jemahls
war und geschah^ und seyii und gescheh?i wird^ Wirkung vorher gegangener
Ursachen seyn.
Will man von diesem Grundsatze gar keine Ausnahme machen, so
entsteht die Lehre vom sogenannten Fortschreite?! der Ursacke?i imd
Wirkunge?! ms Utiendliche , oder von einer Reihe von Ursachen und
Wirkungen, die nie einen Anfang nahm. *)
Diese Lehre zu widerlegen, gebraucht Basedow (: Philaleth. i Band
§ 209 folg. :) dies Argument: Es sey keine Menge geschehener Dinge an
Zahl unendlich; wo keine erste Ursache sey, da komme keine 2te, ßte,
4te u. s. w, eben so wenig als die 2te, ßte, 4te Umdrehung der Erde um
ihre Axe würde geschehen seyn, wenn nicht die erste geschehn wäre u. s. w. —
Wir müssen also eine Ausnahme von jenem Grundsatze machen, und
folglich zuerst einmal eine erste Ursache aller Dinge und Begebenheiten
vestsetzen. ||
Von einer solchen ersten Ursache läßt sich ihre Ewigkeit nicht
trennen. Denn, sollte sie einmal einen Anfang genommen haben, und
doch ohne Ursache entstanden seyn so müßte sie ihn dem Ohngefähr
zu danken haben, diese Hypothese aber würde schon in sich selbst einen
Widerspruch enthalten; unter einem Ungefähr **) denke ich mir wenigstens
das Zusammentreffen mehrerer vorher in gar keiner Verbindung mit
«inander gestandenen Dinge oder Begebenheiten, da man denn dem Un-
gefähre, oder, welches einerley ist, dem Zufalle nur in so fern Wirkungen
zuschreiben kann, als die zusammentreffenden Dinge gemeinschaftlich dies
oder das gewirkt haben. War also noch nichts da, was den zusammen-
treffenden Dingen den Ursprung gab, so konnte noch gar kein Ungefähr
existiren, vielweniger etwas bewirken. — Aber auch aller Menschen Er-
fahrung und die ganze Geschichte beweist, daß nie ein Ungefähr etwas
auch nur einigermaaßen ordentliches, regelmäßiges, und vernünftiges hervor-
bringen könne, welche Eigenschaften man doch einer ersten Ursache auf
keine Weise würde absprechen können. — Mit ihrer Ewigkeit würde also
auch ihr ganzes Daseyn widerlegt seyn.
*) Daß sie auch nie ihr Ende erreichen werde, geht mich hier nichts an; auch
iiabe ich hieran no.ch niemals gezweifelt.
**j nämUch als ein Substantivum genommen, denn sonst würde wenigstens der
Sprachgebrauch diese Erklärung nicht leiden. ||
*) 4 S. 8". N. — Da dieser Aufsatz, wie aus dem folgenden Brief hervorgeht,
1789 enstanden ist, ist er als erster uns erhaltener Aufsatz Herbarts anzusprechen; der
von Hartenstein und Kehrbach (I, S. 3S9) mitgeteilte Aufsatz „über die Freiheit"
fällt ins Jahr 1790. Eine Erwiderung Ültzens liegt in Königsberg bei den Herbart-
Manuskripten. (Ms. 2384. I.)
Nachtrag zu 1789. cn
Gegen den Begriff von Ewigkeit aber dürfte sich fast der nämliche
Einwurf wie beym Fortschreiten der Wirk, und Urs. ins Unendl. machen
lassen. Wäre näm/ic/i nicht ein Zeitpund der Existenz des Wesens dem die
Ewigkeit zugeschrieben zvird^ der eiste gewesen, so rvürde nie der 2te, j/^,
4te u. s. w. erfolgt seyn.
Die Welt, mit allen Dingen, "Wesen, und Begebenheiten, ist:
Entweder durch etwas vorhergehendes oder nicht durch etwas
bewirkt worden. bewirkt worden
Sie ist entw. ein Werk oder sie ist von Ewigkeit
des Zufalls her gewesen
Entw. durch sich selbst. Od. durch äußere
Ursachen
Diese gehn entw. ins Un- Od, eine von ihnen
endliche zurück. ist die erste
' Diese erste Ursache ist Od. Sie ist
entw. durch den Zufall ewig.
entstanden, |{
Hier wird die Vernunft in ein Chaos von Widersprüchen verwickelt.
Entw. die Welt hat sich selbst geschaffen; od. eine Kette von äußeren
Ursachen und Wirkungen, die nie einen Anfang nahm, od. eine erste
durch den Zufall entstandene Ursache, od. eine erste ewige Ursache, oder
der Zufall hat sie hervorgebracht, od. sie ist von Ewigkeit her gewesen. —
yEin zufälliges Ding kaiin sich nicht selbst schaffeii.''''
Dies stößt schon den ersten Fall um. Probandis argumentis an-
tecedentibus, würden auch alle übrigen zu verwerfen seyn. Mehr Mög-
lichkeiten sind aber nicht, also muß eine wahr und die andern alle falsch
seyn. Hier würde also jeder nach seiner Vernunft, was ihm [am] wahr-
scheinlichsten ist, wählen müssen. Vielleicht verdient das Fortschreiten der
"Ursachen und Wirkungen ins Unendliche den Vorzug, denn die erste
ewige Ursache, die sonst noch der Wahrheit am nächsten kommen dürfte,
würde ihm denselben wol nicht streitig machen können da sie eine Aus-
nahme bey einem allgemeinem Grundsatze voraussetzt. Wenigstens könnte
das Argument hier wol nicht gelten, der Verstand könne sich eine erste
ewige Ursache leichter denken ; denn dies könnte ebenso gut die Wirkung
des von Jugend auf ertheilten Unterrichts seyn.
704. W. Ültzen an H. (4 S. 8°. N.) Bremen den 8ten Weinmonds 1789.
Fast hätte ich Lust mit Ihnen zu schmollen, lieber Fritz, daß Sie den Ge-
danken, ich glaubte mich in irgend einem IStücke von Ihnen beleidigt, bey dem noth-
wendigen Gefühle Ihrer Unschuld nur einmal in Sich aufkommen lassen konnten,
und nicht eher auf alle andern mögliche Ursachen meines wirklich langen Still-
schweigens schlössen. Diesmal war es körperliches Übelbefinden, Folge einer tiefen
Kränkung meiner Seele, ^) das mich Ihnen fräher zu schreiben hinderte, und vielleicht
^) Ültzen war zum Erzieher der oldenburgischen Prinzen Peter und Paul ge-
wählt worden, hatte aber tags vorher (Juni 1787) aus unaufgeklärten Gründen Olden-
burg verlassen.
5o Nachtrag zu 1789.
ist es Ihnen Trost, wenn ich Sie auf Ehre versichere, daß ich ein Paar nothwendige
Geschäftsbriefe abgerechnet in dieser ganzen Zeit keine einzige Zeile von Bedeutung
geschrieben habe. Um mich zu zerstreuen und den Rath des Arztes zur Bevestigung
meiner wiederhergestellten |j Gesundheit zu befolgen habe ich meine lange vorgehabte
Eeise hieher jetzt gemacht, und es war gestern, da ich hier durch eine gütige Auf-
merksamkeit des Postbedienten ganz unerwai-tet Ihren lieben Brief vom 4ten d. M.
erhielt. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich Sie in Loccum ganz vergessen hatte, da
ich schon heute die für Sie bestimmten Anlagen^) abschicke, die ich hier unter den
Zerstreuungen meiner Freunde aufzusetzen unmöglich Zeit und Gelegenheit ge-
funden hätte.
Ich wünsche, daß meine Beantwortung Ihres Aufsatzes über den Beweis für
die Existenz eines ewigen Gottes Ihnen Genüge thun möge, und lege über denselben
auch ein Paar Zeilen meines verdienten Freundes und Collegen des Herr. Bornträger, ^)
bey, der über die Eantische Philosophie mit vielem Ruhm geschrieben hat. Wundern
Sie Sich nicht, daß Sie auf die Art zu der Bekanntschaft dieses Gelehrten kommen.
Ich konnte die ]| Freude und den ehrebiingenden Triumph einen solchen Schüler zu
haben vor meinem Freunde nicht verschweigen, und theilte ihm Ihren Aufsatz mit;
Er aber wünschte Ihnen dann durch Mittheilung der hiebey erfolgenden Zeilen einen
aufmunternden Beweis seiner Achtung zu geben, von dem ich mir schmeichle, daß
er Ihnen nicht ganz mißfallen wird. —
Ich schreibe Ihnen heute aus dem Meeneischen Hause, und es ist also wol
nichts natürhcher, als daß ich Ihnen vor allem um mich her, und zumal von Ihrem
lieben Freunde Diederich recht sehr viele herzHche und angelegentliche Empfehlungen
zu bestellen habe.
Mein Plan ist, von hier aus, in der gemeinen Lebenssprache zu reden, einen
kurzen Abstecher von einem Posttage bis zum andern nach Oldenburg zu machen,
und ich habe zu dieser kleinen Reise nächsten Freytag über acht Tage den
16ten II d. M. angesetzt. Wenn ich dann,, wie ich hoffe, das Vergnügen habe Sie
mündlich zu sprechen, so schmeichle ich mir Ihnen mein letztes Stillschweigen nicht
blos entschuldigen sondern auch rechtfertigen zu können, und Sie noch mehr zu
überzeugen, wie ich Ihnen mit ganzer Seele zugethan bin.
Sagen Sie Ihren würdigen, mir äußerst schätzbaren Altern die wiederholte Ver-
sicherung meiner UDgeheuchelten Ehrfurcht, die ich so sehr gern, wenn ich nur
könnte, mit Thaten zu beweisen, nicht blos mit Worten, deren ganze Nichtigkeit ich
fühle, zu bezeugen wünschen möchte. Gebe der Allgütige, daß die edelmüthige
Aufopferung eigner Kräfte, die so ganz im Charakter Ihrer über mein Lob weit er-
habenen Frau Mutter war, für die Gesundheit der Theuren von keinen nachtheiligen
Folgen sey, und Ihr vielmehr den schönsten Segen Seiner Vorsicht bringe. —
Empfehlen Sie mich allen meinen Gönnern und Freunden, besonders dem vor-
trefflichen Herrn Cammerrath Schleifer, und lieben Sie ferner
Ihren ganz ergebenen Wilhelm Ültzen.
705. Studienplan für Herbart von Ültzen.^) [1789?!
Studien-Plan- für meinen lieben Fritz. Ich lasse mich hier natürlich auf die
Geschaffte der öffentlichen Schule, und die zu denselben erforderliche Präparation und
') Jedenfalls die Entgegnung auf Herbarts Aufsatz und der folgende Studienplan.
^) J. Chr. Fr. Bornträger bekannt durch ein Buch über das Dasein Gottes in
Beziehung auf Kant und Mendelsohn.
^) 4 S. 80. Königsberger Univ.-Bibl. (Ms. 2384. 2). Mit der Bemerkung:
,,Von unbekannter Hand." Durch Schriftenvergleichung habe ich festgestellt, daß
W, Ültzen der Verfasser des Plans ist.
Nachtrag zu 1789. 5l
ßepetition nicht ein; sondern ich spreche nur von Ihrem eigenen Studiren in Ihren
Nebenstunden, spreche mit individueller Rücksicht auf Sie und Ihre mir hinlänglich
bekannten Fähigkeiten und jetzigen Kenntnisse. Ich weiß daher gar wohl, daß mein
Plan für hundert junge Leute Ihres Alters nicht paßt, und bitte Sie daher recht
sehr diesen unmasgeblichen Vorschlag Niemanden sehen zu lassen, der mit Ihrem
Kopfe, und dem, was Sie schon wissen, nicht eben so vertraut ist, als ich es zu
meiner herzlichsten Freude bin.
Zur Ei-weiterung und Berichtigung Ihrer Religions-Kenntnisse rathe ich Ihnen,
wenn keine besondern Hindernisse eintreten, jeden Sonntag ein Paar Stunden zu
widmen. Ich kann Ihnen hier kein besseres Buch vorschlagen, als D. Johann
Christoph Döderleins christlichen Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer
Zeit nach dem Lateinischen vom Verfasser selbst ausgearbeitet, |] ein wahres Meister-
werk, das unserem Zeitalter die größte Ehre macht. In der Folge lesen Sie nach
dem von mir vorgetragenen Grundsatze alles für und wider, was Ihnen zu Händen
kömmt, prüfen, so gut Sie können, und wählen jedesmal was Ihnen als das Beste
erscheint. Es versteht sich, daß ich bereit bin, so oft Sie mir Fragen oder Zweifel
vorlegen, dieselben nach meinem eignen besten Vermögen zu beantworten.
In Ansehung der lateinischen .und griechischen Sprache lesen Sie täglich
wechselsweise eine Stunde für sich einen Autor cursorisch für sich. Im Lateinischen
rathe ich mit dem Justin den Anfang zu machen, weil dieser zugleich manche
historische Kenntnisse zuführt, und im Griechischen auf Gedike's Lesebuch die
Chrestomathie von Stroth folgen zu lassen. Sind diese bald zu Ende, und Sie zeigen
es mir an, so werde ich zeitig genug die Nachfolger in Vorschlag bringen.
Um mit dem römischen Alterthume etwas bekannter zu werden, studiren Sie
sobald es seyn kann, in Xebenstunden, ein Werk, wovon ich den ganzen Titel her-
setze: Niewpoordt rituum, qm olim apud Romanos obtinuerunt succincta expü-
catio, cum Jo. Math. Gesneri prolusione et accessionibus Schoepflini et Reizii || Berlin
bey Voß 1751, Preiß 1 rthl. — Sind Sie damit durch, so lassen Sie für die ge-
sammte alte M%thologie folgen : Handbuch der Mythologie aus Homer und Hesiod
als Grundlage zu einer richtigem Fabellehre des Alterthums, mit erläuternden An-
merkungen von M. G. Hermann. Mit einer Vorrede des Herrn Hofraths Heyne.
Berlin bey Nicolai 1787.
Für die Kenntniß des griechischen Alterthums will ich Ihnen selbst Beyträge
liefern, und mache damit sogleich den Anfang. Sind wir hiermit durch, so will ich
eine etwas ausführlichere Übersicht der Logik, dann der römischen und griechischen
Literatur, und endlich der Aesthetik folgen lassen, weil Ihnen in diesen Stücken der
öffentliche Unterricht abgehen wird, und nach Endigung alles dessen werden Sie
mit Nutzen eine Academie beziehen können.
Für die Universalhistorie en^fehle ich Ihnen: Des Abts MiUot üniversal-
historie alter, mittlerer, und neuerer Zeiten, übersetzt mit Zusätzen von Christiani,
ein Werk, das in allem 10 Theile begreifen wird, von denen der letzte noch fehlet,
und also freilich etwas kostbar wird, aber dafür Sie auch allein zu einer hinreichenden,
gründlichen und pragmatischen Kenntniß leiten wird. |j
In den mathematischen "Wissenschaften entschließt sich vielleicht Ihr würdiger
Herr Vater Ihnen bald einige Anweisung zu geben, wobey Sie des Abt Häseler
Anfangsgründe der Arithmetik^) u. s. w. wegen ihrer großen Deutlichkeit mit viel-
fachem Nutzen gebrauchen können. —
) J. Fr. Häseler (t 1797) Anfangsgründe der Arithm., Algebra, Geom. und
Trigon. Lemgo 1776 ff.
52 Nachtrag zu 1795.
Physik soll Herr Rector Manso sehr gut vortragen, also sage ich kein Wort
davon. Recht sehr bitte ich aber, nun auch mit der sogenannten schönen Leetüre
in französischer und deutscher Sprache den Anfang zu machen, um Ihren Styl nach
den besten Mustern auszubilden. Lassen Sie Sich dabey ganz von den reellen Ein-
sichten und dem gebildeten Geschmacke Ihres Herrn Vaters leiten, der alle meine
etwanigen Erinnerungen hier überflüssig macht. ■
Endlich wiederhole ich mein Erbiethen Ihnen über Fragen jeder Art, die Sie
etwa an mich erlassen, so gut ichs kann, Bescheid zu ertheilen, wenn Ihnen bey
Ihrem Studiren, eine Schwierigkeit aufstößt, die Sie nicht lösen können. Haben Sie
auch Zeit und Lust mir Aufsätze, lateinisch oder deutsch, oder in einer anderen
Sprache zu schicken; so sage ich Ihnen gern mein Urtheil darüber. — Vor allen
Dingen bitte ich Sie aber Nicht zu fleißig zu seyn, und täglich einige Stunden, oft
aber einen ganzen Tag der nothwendigen Erhohluug der Seele und des Körpers zu
gönnen, denn — omne nimium nocet. —
706. Breuning an H. (2 S. 8°. N.) Nur teilweise hier abgedmckt.
Götting. d. 7ten Juüus 1795.
Lieber Herbart! ... Es ist ein großer unterschied zwischen manchen Dingen,
das wirst du selbst einsehen, und ich versichere dir, daß ich einen großen zwischen
Jena und göttingen, so viel mich betrifft, fühle.
Smidt hat mir geschrieben daß du dich für die gesellschaft der f[reien]
M[änner] interessirst — ich bitte dich dieses immerfort zu thun, ich weiß und fühle
zu sehr, wie viel mir diese Verbindung, genüzt hat, um nicht zu wünschen, daß
mehrere diesen vortheil haben mögten — man lernt erst dadurch, daß man sich
vertheidigen und angreifen muß, seinen vorrath kennen, sieht seine schwächen und
stärken ein, und sucht seinen vorrath von kenntnissen so sehr zu vermehren als
man kann. Besonders hat eine solche Unterhaltung den größten nutzen für die-
jenigen, welche in ihren betrachtungen durch viele beschäftigungen unterbrochen
werden. Dort knüpfen sich manche fäden || wieder an und man beginnt neue Unter-
suchungen. — ihr habt itzt Berger wieder unter euch? — schreibe mir doch wie
er dir gefällt, und was er macht? — Floret ist auch unter euch getreten? wie ge-
fällt er dir, auch dieses mögt ich wissen so mögt ich dich auch noch fragen,
wenn ich dich nicht zu* erzürnen füi-chtete, was Fromm macht, und wie es mit
unsrer lesegesellschaft sich verhält? ....
707. JV\een an H. (12 S. 8". N.) Hier wird nur der Anfang des Briefes mitgeteilt.
Bremen d. I6ten July 1795
Bester Freund ! Meinen letzten Brief wird Hr. Schmidt Dir richtig überbracht
haben; seitdem" habe ich durch die Güte Deiner lieben Mutter ein paarmal Nachricht
von Dir gehabt, wo mir denn besonders die letzte, daß Du nun gegründete Hoffnung
habest bald völlig von Deinem Backenübel frey zu werden außerordentliche Freude
gemacht hat. Mögte doch diese frohe Hoffnung bald recht bald Gewißheit werden!
Dich selbst wird dann kaum Deine erneute Gesundheit nait mehr frohen dankbaren
Empfindungen erfüllen können als mich, der ich so warmen Antheil an alles nehme
was meinen lieben Herbart betrift. — Ich kann es mir aus meiner vorjährigen ||
Erfahrung lebhaft denken, wie sehr unangenehm es ist wenn man durch körperliche
Schwächen gehindert, durchaus unthätig seyn muß, und wie viel schlimmer war es
noch für Dich, da Dich grade Deine Krankheit in einem Zeitpunkt iiberfällt, wo
Du von Deiner Geistesthätigkeit Dir den größten Nuzen versprechen kannst. —
Ich habe von Deiner lieben Mutter den Auftrag erhalten Dir für Herrn Hof-
rath Loder einen geräucherten Bremer Lachs zu überschicken, den Du in bey-
Nachtrag zu 1795. 63.
I
kommenden Kasten finden wirst. Ich -wünsche daß er ihm recht willkommen seyn
möge; Auch soll ich || Dir gelegentlich 75 ß auszahlen lassen. Da ich aber für jetzt
dazu keinen sichern Weg weiß so erhältst Du diese Summe einliegend in einem
Wechsel aiif den dortigen Kaufmann Job. L. Beyer, dem Du denselben nebst dem
Briefe an ihn sogleich vorzeigst und Dir darauf schreiben läßt, daß er ihn Dir in
14 Tagen bezahlen wolle. Wenn Du dann das Geld bekömmst so schreibst Du auf
der Rückseite des Wechsels Deinen Namen unter dem Meinigen zur Quittung.
Sollte der Wechsel wider Erwarten nicht bezahlt werden, so muß ich ihn gleich
zurückhaben, denn sonst würde er als Wechsel seine Kraft || verlieren, weil von
dem Tage an daß Hr. Beyer ihn zu bezahlen annimmt und dessen Datum er Dir
auch darauf schreiben muß, die 14 Tage angehn auf die der Wechsel lautet, und
ich dann wenn nachher zu viel Zeit verläuft, nach Wechselrecht die 75 ß nicht
wieder fodern könnte, wenigstens müßte ich erwarten daß man mir Schwierigkeiten
machte. — Doch ich denke der Wechsel wird gewiß bezahlt, und ich schreibe
Dir obige Vorsichtsregeln nur auf den Nothfall weil ich weiß daß Dir Wechsel-
sachen völlig fremd sind. . . . [Es folgt nun eine Belehrimg über Wechsel- und
Wechselrecht.]
708. Langreuter an H. (4 S. 4«. N.) Tängstädt am 24sten Aug 1795
Lieber Herbart ! Doppelte Freude verursachte mir ihr Brief, denn erstlich war
es ein Brief von Ihnen, gab mir die Versicherung Ihrer unveränderten Freund-
schaft, und zweytens war er mir ein Beweis wenigstens des Wohlbefindens Ihrer
Augen. Ich habe es nicht gewußt lieber H. daß Sie so vieles gelitten haben; wie-
sehr bedaure ich Siel Ein recht trauriger Zustand muß es gewesen seyn, in welchem
Sie sich befanden. Gottlob daß er vorüber ist; wenden Sie den nun aber auch
alles an 1. H. daß er nicht \vieder zurückkehi-t. Verzeihen Sie mir die Bitttel ich
kann sie zu oft thun; suchen Sie Ihren Geist nicht auf Kosten Ihres Körpers zu
bereichem; seyn Sie nicht ungerecht gegen sich in Beurtheilung Ihrer Selbst, und
Ihrer Kenntnisse. Es mag immer seyn, daß manche Ihrer Freunde in einzelnen
Wissenschaften weiter sind als Sie, übertreffen Sie dieselben denn aber nicht wieder
in anderen Stücken? und wäre dieses auch nicht; ist es denn gerade nothwendig
■alle Andere zu übertreffen? Auch ist ja Ihr Aufenthalt auf Universitäten ja nicht
an gewisse Jahre gebunden; ein Jahr etwas mäßiger studirt, sich viele Bewegung
gemacht, dies stärkt vielleicht Ihren Körper, und sichert Ihnen das Vermögen, viele
Jahre nach Herzenslust studiren zu können. Ihre Freundschaft pflegte wohl ehe-
mals einiges Vertrauen auf meinen Rath zu setzen; thun Sie das auch jetzt noch
einmal lieber Herbart; Sie haben schon früh angefangen, für Ihren Geist zu leben,
leben Sie wenigstens den noch übrigen Theü des Sommers, einmal bloß für Ihre
körperliche Gesundheit; verbannen Sie Beschäftigungen welche vieles xS'achdenken
erfordern; machen Sie Sich Vergnügungen, wenn diese, wie das freylich oft der
Fall ist, Ihnen auch kein Vergnügen gewähi-en. Sollte Ihnen eine Reise nicht zu-
träglich seyn ? Haben Sie auch nur einige Wahrscheinlichkeit dafür, lieber Herbart,
so lassen Sie sich doch durch keine Collegia davon abhalten. Ich hoffe nicht daß
Ihre Backe Ihnen daran hinderlich seyn wird. Sie schreiben mir nicht wie es damit
geht? — Was Sie mir von Ihrem Umgange, und von Ihrer litterärischen Gesell-
schaft erzählen, hat mich sehr gefreut ; schade, daß Sie sich Michaelis davon trennen.
Aus den Zeitungen sehe ich, daß die Unruhen in Jena wieder beygelegt sind, nach-
dem es vorher zu blutigen Auftritten gekommen ist. Das Betragen des Herzogs
scheint mir sehr inconsequent zu seyn; es verlangt mich sehr, die nähern Um-
stände zu erfahren. Ich hoffe nicht, daß Sie. für Ihre Person weiter unangenehme
64 Nachtrag zu 1795.
Folgen dav'on werden gehabt haben; den Auszug werden Sie doch indessen schon
haben mitmachen müssen. — [1 Wohl erinnere ich mich noch Dorneburgs, des hohen
Felsens, und der Säle, welche so bescheiden an seinem Fuße vorbey fließt. Ich
freute mich recht diesen Namen bey dem Datum Ihres Briefes zu finden. —
Von meiner Lage verlangen Sie nähere Nachricht? hier ist sie: Sie wissen,
seit einigen Wochen vor Ostern, bin ich mit der Gräfin und mit meinen Eleven in
Eutin; Wahrscheinlich bleiben wir auch diesen Winter dort, weil die Absicht des
Bischofs ist, den Winter in Eutin zuzubringen; es mögte denn seyn, daß die Ein-
quartierung den W^inter über in Oldenburg bliebe und ihn zurückhielt. So an-
genehm nun auch der Sommer in Eutin ist; so muß ich doch gestehn, daß ich
den Winter lieber in Oldenburg zubrächte. — Sie haben Recht, lieber Herbart,
wenn Sie sagen, daß meine Lage gerade nicht zu den bequämsten gehört; in der
That ist es nicht ganz leicht, von des Morgens um 6 bis des Abends um 10 Uhr,
wovon nur eine Stunde ausfällt, einen Knaben bey sich zu haben und zu be-
schäftigen. Indessen wird mir meine Lage durch den edlen rechtschaffenen Cha-
rakter der Eltern und durch ihr würklich gütiges Betragen gegen mich, sehr er-
leichtert; auch habe ich den Sonntag Nachmittag für mich, und kann jeden Abend,
wenn die Gräfin zuhause ist, ausgehn. Daß ich nicht viele Zeit für mich selbst
übrig behalte, dieses lieber H. können Sie leicht denken; indessen ist es mir doch
sehr angenehm, daß ich mich mit meinem Eleven schon mit Dingen beschäftigen
kann, die mich selbst interessiren ; so lese ich zum Beyspiel jetzt mit ihm den
Yirgil und den Cicero von der Freundschaft; letzteres lese ich selbst zum ersten
Male und freue mich oft über die wahrhaft schönen und edlen Gedanken, die darin
vorkommen.
Mein vorzüglichster Umgang erstreckt sich in Eutin auf Holwags. Auch
komme ich, besonders mit meinem Eleven, oft bey Voß, welcher Kinder von gleichen
Jahren mit ihm hat. Den Sonntag Nachmittag pflege ich mit dem H. v. Berger,
welcher ein starker Fußgänger ist, zu einem Spaziergange anzuwenden, wozu die
Gegend so sehr einladet.
Vor einigen Wochen machte ich eine kleine, sehr angenehme Eeise nach
Kiel und Schleswig. An einem Sonnabend fuhr ich nüt der Gräfin und mit meinem
Eleven nach Kiel, welches 5 Meilen von Eutin liegt. Der Weg dahin ist schön,
Kiels Lage an der Ostsee vortrefflich. leb kannte in Kiel den || jungen Professor
Hensler und einen jungen Wardenburg, welcher dort studirt. Diese machten mich
am Sonntage, so viel es die Zeit erlaubte, mit Kiel und mit der umliegenden Gegend
bekannt. Besonders gefiel mir Düsternbrock, ein nahe vor der Stadt liegender mit
dichten Buchen bewachsener Hügel, dessen steilen Fuß die Ostsee bespült. Auf
dem Gipfel hat Hirschfeld, welcher hier ein mitten im Holze liegendes Haus be-
wohnte, eine große Baumschuhle angelegt, welche noch jetzt durch seinen Nachfolger,
-dem Professor Moldenhauer sehr gut im Staude gehalten wird.
Am Montage Morgen erinnerte ich mich einmal recht lebhaft an meine aca-
deraischen Jahre; ich hospitirte bey Eckermann, Hensler dem Aeltem, Professor
der Medizin ; und .bey Hegewisch, Professor der Geschichte.
Letzterer laß Reichsgeschichte, sowohl sein lebhafter Vortrag, als auch das
was er sagte, gefiel mir. -Voß hatte mir einen Brief an ihn mitgegeben; ich fand
an ihm einen sehr gefälligen und zuvorkommend gütigen Mann, welcher mit vieler
Wärme von seinem Fache sprach. Eckermann, Ehlers und Hensler hatte ich schon
in Eutin kennen gelernt. Ich erinnere mich nicht leicht, einen bejahi-ten Mann
gesehen zu haben, dessen Gesicht beym gleich ersten Anblick so viele Achtung und
Liebe einflößte, als das Gesicht und das ganze Wesen des älteren Henslers. Ehlers
Nachtrag zu 1795. 65
freut sieh noch immer, wena er einen Oldenburger sieht. Und Reinhold hospitirte
ich nicht? — Reinhold lieset nur des Nachmittags, und am Nachmittage wurde ich
<]urch eine Einladung nach dem Kieler Canal[?] zu fahren davon abgehalten. Rein-
hold hat in Kiel unter Studenten sowohl als unter Professoren, vielen Beyfall.
Haben Sie unsern Reinhold schon gehört ? haben Sie unsern Reinhold schon ge-
hört? — Diese Fragen hatte ich in Kiel sehr oft zu beantworten. — Die Kieler
Professoren stehen hier allgemein in dem Rufe der politischen und theologischen
Ketzerey. — Die Anzahl der Studenten beläuft sich in Kiel auf etwas über Zwey-
hundert; einige welche ich von ihnen kennen lernte, schienen sehr gesittete Leute
zu seyn. Durch ein || selbst errichtetes, aus Studenten und Professoren bestehendes
Ehrengericht, haben sie alle Duelle abgeschafft: ob keine Ausnahmen davon ge-
macht werden, weiß ich nicht.
Am Dienstag Mittag bestieg ich einmal wieder einen Phylistergaul, um
einen Bruder meines sei. Vaters, welcher im Schleswig sehen zu Norbi 4 Meilen
von Kiel Prediger ist, und bey der Gelegenheit, auch Schleswig zu besuchen. Eine
Stunde von Kiel, wo eine Biücke über den Kanal führt, verließ ich die Gränze des
deutschen Reichs. Mem Weg ging über Eckernförde ganz nahe an der Küste der
Ostsee. Außerordentlich viele Freude machte es mir, in dem Gesicht meines
Onkels, Züge meines Vaters zu erkennen. Gerne wäre ich hier länger, als bis zum
Mittewochen Mittag geblieben; aber wollte ich Schleswig noch sehen, so mußte ich
eilen. Der Weg führte mich durch die fruchtbare, kleine Provinz der Angeln den
Nachkommen der Eroberer Englands. Sie vmterscheiden sich noch jetzt durch eine
eigne Sprache, welche aus dem Dänischen und Deutschen zusammengesetzt ist.
Sehr auffallend unterscheiden sie sich durch ihre Wohlhabenheit, und durch ihren
frohem und freyem Blick, von ihren dürftigen, niedergedrückten Nachbarn, welche
sämtlich Leibeigene sind!! Schleswig ist ein sehr weitläufig gebaueter Ort an der
Schley. Bey der Stadt liegt das Schloß Gottorp, berühmt als Stammhaus der Holstein-
Gottorpischen Linie, und durch den großen Gottorpischen Globus, welchen es ehe-
mals besaß. Ich brachte den Nachmittag und Abend hier sehr angenehm in der
Gesellschaft eines Capitains Horbo, dessen Frau eine Verwandtin von mir ist, zu;
ritt darauf noch einige Meilen im Mondschein, war am Donnerstag Mittag wieder
in Kiel, und am Donnerstag Abend mit der Gräfin und meinem Eleven wieder in
Eutin. Seit 8 Tagen sind wir in Tengstedt, Tengstedt liegt 3 Meilen von Hamburg
in einer flachen sandigten Gegend , doch ist beym Hause ein kleines Holz. An
Umgang fehlt es hier ganz, doch fühlt man dieses Bedürfniß auf dem Lande weniger
als in der Stadt. Bis 14 Tage bleiben wir noch hier. Nun ists denn auch Zeit
■daß ich schließe. Leben Sie recht wohl lieber Herbart und überzeugen Sie davon
bald durch einen Brief Ihren C. Langreuter.
709. 0[ldenburg] d. i. Oct. 1795
Antwort auf des Herrn Professors Fichte Frage an die
Mathematiker, die Natur der geraden und krummen Linie be-
treffend, in desselben Begriffe der Wissenschaftslehre S. 42.^)
(4 S. 4°. N.) Überschrift von Herbart. — Ob diese „Antwort"' in Fichtes Hände
gekommen ist, ist unbekannt.
Linie als Geschlecht begreift unter sich gerade Linie als Gattung.
In dem Begriffe der Linie liegen vollständig die gemeinsamen Merkmale
^) In Fichte „Über den Begriff der Wissenschaftslehre", Weimar 1794, heißt
es S. 42 Anm.: „Eine Frage an die Mathematiker. — Liegt nicht der 'Begriff des
•Geraden schon im Begriffe der Linie ? Gibt es andere Linien als gerade ? und ist die
Hkrbarts Werke. XIX. 5
66 Nachtrag zu 1795.
der geraden und aller nicht geraden Linien, aber durchaus nicht die be-
sondern Merkmale, wodurch die geraden und alle nicht geraden Linien
sich voneinander unterscheiden: es giebt allerdings andere als gerade
Linien, und nicht allein die krumme, sondern jede Linie überhaupt ent-
hält (ist nicht) eine Zusammenreihung unendlich vieler unendlich naher
Puncte.
Es giebt ein noch höheres Geschlecht von Ausdehnung in die Länge
ohne Breite, das außer den Linien die Zusammenreihungen einzelner
abstehender Puncte als Gattung unter sich begreifft; eine solche nicht
stetige Zusammenreihung ist entweder gebogen oder ungebogen, je nach-
dem sie eine durch alle ihre Puncte zu ziehende gerade Linie möglich
oder unmöglich macht : der Begriff des Geraden wäre also mit dem auf
die Linie angewandten Begriffe der ungebogenen Länge einerley, und
letzterer setzt den Begriff von Länge ohne Breite aber nicht den Begrifi
von Linie voraus, sofern solche ein Stetiges ist. Unter dem Begriffe des
Ungebogenen überhaupt steht auch der Begriff des Ebenen, wo jener auf
die Fläche angewandt ist.
Es lassen sich außer den Flächen noch andere Ausdehnungen in
die Länge und Breite gedenken, welche Zusammenreihungen von Linien,
die nicht in eine gerade Linie fallen, enthalten, oder statt der zusammen-
gereiheten Linien bloße Zusammenreihungen von Puncten, und jene ge-
hören zusammen mit den Flächen unter ein höheres Geschlecht von Aus-
dehnung.
Auf eine ähnliche Weise sind Ausdehnungen in die Länge, Breite
und Höhe, die also nicht in eine ebene Fläche fallen, und durch Zu-
sammenreihungen II von Flächen, oder von andern Ausdehnungen in die
Länge und Breite vorgestellt werden, mit dem Körper unter einem höheren
Geschlechte begriffen.
Diese Betrachtungen führen auf Elemente von Zusammenreihungen,
welche bey Linien, Flächen und Körpern als stetigen Ausdehnungen nicht
statt finden: nemlich a.\ii Lä)igemveite zwischen zwey Puncten, dMi Flächen-
weite zwischen drey Puncten, die nicht in gerader Linie liegen, und auf
Körperweiie zwischen vier Puncten, die nicht in einer Ebene liegen.
Auf ähnliche Art lassen sich die Winkelausdehnungen behandeln ; die
letzte Grenze aller Winkelausdehnung ist der Radius, der Strahl, d. i.
eine gerade Linie, die vom Winkelpuncte aus ohne Aufhören verlängert
werden darf; zwischen zwey Strahlen eines Winkelpuncts ist die Winkel-
fläche nweite ; sie, und Zusammensetzungen aus mehreren ihrer Art, und
die Winkelflächen gehören unter ein Geschlecht; zwischen zwey Winkel-
ausdehnungen dieses Geschlechts oder zwischen drey Strahlen, die nicht
in Einer Ebene- liegen, ist die Witikeikör perweite; diese Weite als Element,
nebst Zusammensetzungen von Elementen dieser Art und die Winkelkörper
gehören abermals unter Ein Geschlecht. Es ist eine vollständige Theorie
sog. krumme Linie 'itwas andres, als eine Zusammenreihung unendlich vieler, unendlich
naher Punkte? Der Ursprung derselben, als Grenzlinie des unendlichen Raumes . . .
scheint mir dafür zu bürgen; und es wird daraus klar, daß und warum die Aufgabe,
sie durch eine gerade Linie zu messen, unendlich ist, . . . Gleichfalls wird daraus klar,
warum die gerade Linie nicht definieren läßt.''
1
Nachtrag zu 1795. 6?
dieser Elemente möglich, welche mit Recht ein System der Elementar-
geometrie heißen könnte. Hiebey ein Bruchstück aus der Theorie der
geraden Linie,
1. Erklärung. Ungebogen ist eine aus zwey Längenweiten AB, BC
zusammengesetzte Strecke ABC, wenn die Längenweite A C gegen die
Längenweiten AB, BC ein Größtes ist; gebogen, wenn sie kein Größtes ist.
2. Erklärung. Ein Größtes ist ein Großes, das kleiner aber nicht
größer werden kann.
Anmerkung. AC ist entweder > AB + BC, oder <AB + BC,
oder =AB + BC; einen vierten Fall giebt es nicht, weil AC, AB, BC
von gleichartiger Größe sind. || ,
I. Axiom. AC>AB + BC ist unmöglich
1. Postulat. AC<AB + BC ist möglich
2. Postulat. AC = AB-|-BC ist möglich.
1. Lehrsatz, AC ist ein Größtes gegen AB, BC, wenn AC = AB
+ B C; denn, wenn AC = AB-1-BC, so kann AC <AB + BC
werden, also überhaupt kleiner werden; aber nicht > AB + BC, also
überhaupt nicht größer.
2. Lehrsatz. AC = AB + BC, wenn AC gegen AB, BC ein Größtes
ist; denn alsdann ist AC nicht <AB-f-BC, sonst könnte es =AB
-[- BC also überhaupt größer werden, gegen die Voraussetzung; und AC
ist auch nicht >AB + BC, weil solches unmöglich; folglich ist AC,
als Größtes, = AB + BC.
Coroll. Also ist ABC ungebogen, wenn AC = AB-j-BC, und
■A C = A B 4- B C, wenn ABC ungebogen ist.
3. Erklärung. Eine Linie ist gerade^ wenn jede drey Puncte auf
ihr eine ungebogene Strecke bestimmen; krumm, wenn sie keinen geraden
Theil hat.
2. Axiom. Es ist nur Ein Punct B möglich, der AC = AB-|-BC
macht, bey gegebener Lage AC, und gegebenen Längen AB, A C, oder
BC, AC.
3. Axiom. Es ist nur Ein Punct C möglich, der AC = AB-[-BC
macht, bey gegebener Lage AB, und gegebenen Längen AB, BC.
Coroll. In einer ungebogenen Strecke ABC ist demnach die Lage
jeder zwey Weiten unveränderlich, sobald die Lage der übrigen Weite
unveränderlich ist, und wird nothwendig verändert, sobald jene ver-
ändert wird.
Die mancherley Erklärungen der geraden Linie lassen sich sämtlich
aus der hier gegebenen Erklärung, und aus der Theorie der ungebogenen
Strecke herleiten.
INach Euclid ist linea recta, quae ex aequo {l'i \oov) sua interjacet
puncta; das kann nicht von der Lage, sondern muß von der Größe der
68 Nachtrag zu 1795.
Linie verstanden werden ; die gerade Linie ist hiernach gleich dem || Ab- '
Stande ihrer Grenzpuncte voneinander, zwischen welchen sie liegt, da '
hingegen jede nicht gerade Linie größer als dieser Abstand ist.
Nach Archimedes ist die gerade Linie die kürzeste zwischen zwey 1
Puncten, weil AB + BC<AC unmöglich, also AB4-BC=AC für i
jede drey Puncte A, B, C in der geraden gegen AC nothwendig ein '
Kleinstes ist.
Plato's Erklärung, recta est, cujus media obumbrant extrema, setzt
gerade Lichtstrahlen voraus, ist also nicht theoretisch, sondern empirisch.
Nach WoLFF ist in einer geraden Linie jeder Theil dem Ganzen ähnlich,
wenn nemlich im Ganzen AC = AB-)-BC, und ein Theil AB = ab
+ bc; und ab:bc=AB:BC, so ist ac : ab :bc= AC : AB : BC. I
Eine gerade Linie ist ferner diejenige, deren Theile alle nach einerley
Richtung sich erstrecken, nach Karsten ; deren Puncte alle nach einerley
Gegend liegen, nach Kästner, welche man nur auf einzige Art zwischen
zwey Puncten sich gedenken kann, nach Klug EL; welche nach einerley j
Strecke zwischen ihren Grenzen liegt, nach Joh. Carl Schulze; welche ;
von ihrem Anfang bis zu ihrem Endpunct einerley Richtung hat, nach 1
Mönnich; welche als Grenze einer Fläche, die um ihre zwey Endpuncte ;
sich dreht, gedacht, in allen Puncten unbeweglich bleibt, nach J. H. Voigt. i
Diese sechs Erklärungen beziehen sich sämtlich auf die Lage der Theile,
und lassen sich aus dem 2 und 3ten Axiome herleiten. H[erbart.] |
710. Nachtrag zu Nr. 1.^)
Die 12 ersten Stifter der Oesellschaft der Freien Männer sind, in alpha- '
betischer Reihenfolge || aufgezählt, folgende: Baernhoff aus Riga, Berger aus Copen- j
hagen, Krüger aus Lüneburg, Lindner aus Mitau, Meister aus Bremen, Porret aus |
Dijon, Pesarovius aus Livlaad, Petersen aus Livland, Pohrt aus Riga, Smidt aus
Bremen, Stegemann aus Riga und Vegesack auch aus Livland.
Dann sind weiter m die Gesellschaft aufgenommen |
1794: Juni 18 Möller aus Copenhagen, Juli 2 Pfeiffer aus Bonn, August 6 1
Breuning aus Bonn, Sept 17 Hörn aus Livland, Nov 12 Gramer aus Zürich, Tripplin '
aus Weimar, Nov 26 Koppen aus Lübeck, Rerhart aus Oldenburg. 1795: Jun 29
Morn aus Braunschweig, Rosenkranz aus üdensee, Pebr 10 Reimers aus Livland, '
März 12 Kaufmann aus Danzig, Juni 1 Spiegel aus Braunschweig, Juni 19 Floret
aus Bonn, Äug 13 Böhlendorff aus Cuiiand, Nov 25 Rist aus Holstein. 1796: ;
Jan 13 Thiel aus Livland, Jan 27 Gries aus Hamburg, Febr 11 Remer aus Braun- '
schweig. Mai 28 Meyer aus Holstein, Juni 9 Meinert aus Böhmen, Juni 80 Steck
aus Bern, Fischer aus Bern. 1797: Muhrbeck aus Pommern, Eschen aus Holstein,
März 20 Schildner aus Pommern, März 22 Mai aus Bern, Juni 29 Hofmeister aus 1
Braunschweig, Nov 1 Erichson aus Pommern. 1798: März 7 Hülsen aus Pommern, |
Juli 4 Callisen aus Holstein, Aug 8 Germar aus Holstein, Sept 12 Kocher aus Kiel. |
1799: Febr 11 Ziemfen aus Greifswald, Febr 27 Dresler aus Nassau.
Noch wird im Protokoll bemerkt, daß Herbart am 22. März 1797 bey ;
seiner damaligen Abreise in die Schweiz eine Abschiedsrede an die Gesellschaft
gehalten. i
j
^) Nachträglich ist ein Protokollauszug ans Licht gekommen. Ich verdanke j
ihn Hrn. Richter Dr. Smidt in Bremen. ■
i
1
Nachtrag zu 1795. 69
711. Breuning an H. (4 S. S". N.) Mergentheim d 29ten Oktober 1795.
Lieber Herbart! wenn icii deiner Nachsicht nicht gewiß wäre, so würd' ich
in der größten Verlegenheit seyn. ich würde mein langes stillschweigen zu ent-
schuldigen suchen, ohne doch vielleicht mir einen trifftigen grund vorzubringen.
Doch ich kenne deine gute imd ich versichere dir nur, daß mein langes schweigen
keine Wiedervergeltung des deinigen seyn sollte.
Deinen Brief hab' ich Ende September in göttingen erhalten, und gegen den
8ten Oktober reiste ich ab. Ich bin für itzt noch in mergentheim u. werde wohl
noch einige wocheu dort bleiben, doch weiß ich nichts gewiß; eben so wenig weiß
ich gewiß, ob ich nach wien gehe, vielleicht reis' ich nach wezlar. diejenigen
von denen doch einestheils die entscheidung abhängt, wissen selbst was das beste
ist. heute meynen sie dies morgen jenes, ich befinde mich indessen noch ganz
wohl hier, zwar schläft meine denkkiaft hier beynahe ganz dafür aber üb" ich
meine empfindung. spaß bey seite — mich freut mein leben hier, und auf eine
kurze Zeit ist es mir sehr angenehm. — || ich werde daher auch hier keine philo-
sophische Unterhaltung mit dir anknüpfen, denn für nun sind keine ideen in mir
rege: auch kannst du leicht denken, daß bey jneinen vielen andern beschcäftigungen
mir wenig zeit zu einem zusammenhängenden denken bleibt, ich sehe aber gar
nicht ein, was dich abhalten könnte, mich auf deine Spitzenwege zu leiten, besonders
auf den, der weiter zu führen scheint. Du bist den weg schon gegangen hast ihn
dir aufgezeichnet, und würdest mir auch einen kurzen Riß eine general charte darüber
vorzulegen im stände seyn. wie viel vergnügen du mir dadurch verheißen würdest,
will ich dir nicht sagen, bedenke aber nur. durch wie viele dinge meine philo-
sophische ideenreihe immer unterbrochen werden muß, so kannst du leicht ein-
sehen, welchen dienst mir der erweiset, der eine mir wieder anknüpft, ich weiß
nicht, ob ich dir es schon gesagt habe, daß mir in dieser rücksicht die litterairische
gesellschaft besonders wehrt war. aber ich versichere dir, daß ich oft in ihr, und |[
ihren oft nichtssagenden Unterhaltungen viele ideen, die mich weiter geführt erhascht
habe. Das ist auch die Ursache, warum ich ihre erhaltung wünsche, warum
Berger ihre trennung anräth ist mir ganz begreiflich. Es ist dieselbe Ursache mit
derjenigen aus welcher er mir nicht mehr schreibt er sieht daß weder ich noch
die litterarische gesellschaft seinen revolutionairen sinn annehmen werden. Schon
bei Abfassung der Gesetze hatte ich darüber streit mit ihm, er wollte die gesell-
schaft so eingerichtet wissen, daß in ihr, die mitglieder für das künftige leben zu
einem thätigen wirken verbunden würden, ich glaubte, daß so aller nutzen würde
weggefallen seyn, und hintertrieb die Sache, ich sprach überall dagegen, und nach
meinem willen wurden die gesetze nach einem andren plane entworfen, von dieser
Zeit aber waren alle, außer Smidt und Bärnboff gegen mich. Stegmann moller be-
sonders . . . ersterer wollte Stclair*) und Consorten hinembringen, welche mich wieder-
sprach: jetzt haben sich diese wie du schreibst zurückgezogen, und Berger rathet
euch auseinander zu gehen .... sie sehen daß ihr euch ihren Absichten nicht
fügen wollt. II Floret sagte mir in Göttingen, daß Schellenberg die gesellschaft für
die ich im winter gesetze entworfen zu stände gebracht habe, du würdest mich
verbinden, wenn du mir davon nähere und mehrere nachricht geben wolltest, ich
mögte gar zu gerne wissen, was unter der anleitung eines solchen menschen
möglich wäre. — und hiennit lebewohl, ich habe dir für heute nichts mehr zu
schreiben, es müßte dann die Versicherung seyn, daß ich eine baldige antwort von
dir wünsche. Christoph von Breuning Candidat en droits ä Mergentheim.
^) Stclair = Saint Clair, falsche Schreibung für Sinclair, Hölderlins Freund.
«70 Nachtrag zu 1795.
Da sich dieser Brief bis auf den 1. 9ber verspätet, so muß ich auf eine
baldige Antwort von dir verzieht thuen und dich bitten, mir erst zu schreiben, wenn
du durch Floret meinen Aufenthalt und meine Adresse erfahren haben wirst. Sonst
mögte mir Dein Brief verloren gehen, denn auf das Nachschicken von hier kann
ich so sicher nicht rechnen; auch weiß ich daß es unbescheiden ist und wäre zu
fordern daß du mit umgehender Post antwortetest. Also warte!
712. Fntz Hörn') an H, (3 S. 4°. N.) Braunschweig den 20 Dezemb. 95
Soll ich mich, lieber Herbart, wegen meines langen Seumens entschuldigen,
oder Dir Vorwürfe machen, daß Du eigensinnig mir nicht eher etwas von Dir
hören lassen willst, bis ich es der Regel nach vorher gethan? Floret wird mich
schon entschuldigt haben; denn als ich an ihn schrieb, überraschte mich die Zeit,
die ich zu einem Briefe an Dich be.stimmt hatte; ich trug es ihm deshalb auf, Dich
zu bitten, mich nicht darunter leiden zu lassen, und mir zugleich mit Floret etwas
Nachricht von Dir zu geben. Hierauf rechnete ich, bis ich von Floret einen Brief
allein bekam. Jetzt muß ich dann wohl nachgeben und Dich bloß bitten, es bald
wieder einzubringen, und mir recht umständlich von Dir und alle dem, was mich
in Jena interessirt, zu referiren. Hierunter rechne ich vorzüglich den Zustand
unserer Gesellschaft, Fichtens Kollegien besonders sein Naturrecht und Deine Er-
wartungen von demselben. Ihr Jenenser müßt unser einen wie den auf ein wüstes
Eiland Verschlagenen ansehn, der kümmerlich sein Leben von den Trümmern ge-
scheiterter Schiffe erhalten muß, die der Wind ans öde Ufer treibt. Könntet Ihr
nicht einmal von Eurem Überflusse ein Schiffchen befrachten, und es uns zuschicken?
Wie ich hier lebe? Im Ganzen gut, so gut als es sich bei der Trennung von
dem Cirkel solcher- Menschen und bei dem Entbehren solcher Kost leben läßt. Ich
habe hier manchen ehemaligen Freund wiedergefunden, der mir noch werth ist;
verschiedene Beschäftigung, Glaube und Interesse haben sich aber zwischen einige
gedrängt. Von Natur zwar nicht unfähig- zu Ideen, haben sie leider das Alter der
Zeugungskraft doch ungenutzt vorüber gehen lassen; und die etwa erzeugten sterben
wieder ab aus Mangel an Pflege. Jetzt halten sie frühen Tod für das unvermeid-
liche Schicksal dieser liebUchen Kinder und sind gutmüthig genug, wegen des
künftigen Schmerzes den zu bedauern, der noch mit Vaterliebe an ihnen hängt,
und sie groß ziehen will. Mögte ich doch nie dieses Unvermeidliche fühlen und
kinderlos mich selbst überleben lernen. Wer ohne sie leben soll, muß nie mit
ihnen gelebt haben. — Verschiedene meiner Freunde können sich doch des Wunsches
nicht erwehren, zu irren, und hierauf würde ich meine Hoffnung bauen, wenn
nicht die Zerstreuungen des bürgerlichen Lebens im Wege ständen. Ich muß
Bergern beistimmen; unser bürgerliches und gesellschaftliches Leben scheint ganz
dazu eingerichtet, um den Menschen in seinem Wachsthum Einhalt zu thun. || Den
Vortheil desselben müssen wir zu theuer erkaufen; um das Unsrige zu sichern
müssen wir dem Wächter mehr geben, als uns die Diebe nehmen können. —
Man hat seit einiger Zeit von dem Vortheile der Aufhebung aller Akademien
gesprochen. — Ich kann unmöglich beistimmen. Sollte nicht der Vortheil: eine
Weile ganz von der gewöhnlichen bürgerlichen Lebensart entfernt, und von ihrem
Zwange und von ihren Zerstreuungen dispensirt, sich selbst und seine Kräfte erst
einmal zu sammeln, um bei der Rückkehr in dieselbe als ein Fremder und nicht
mehr als Parthei in eigner Sache sie betrachten zu können, sollte dieser Stutzen
nicht wenigstens für den überwiegend sein, der seiner Beschäftigung nach sein
^) Der 0. S. 54 Anm. 1 und in Bd. I, S. XXXII erwähnte spätere Senator in
Bremen.
Nachtrag zu 1795. 71
ganzes Leben in und mit ihr zubringen muß? Die Macht der beständigen Ge-
wohnheit (vis inertiae) der ich, um nicht mit Kant ein böses Prinzip im Menschen
anzunehmen, gern alles Übel zuschreiben möchte, macht uns sonst gewiß blind
gegen alle Mängel.
Daß ich Euch in dieser Rücksicht, wenn ich das Glück des Umganges auch
nicht mitzählen wollte, meine jenischen Freunde und unsere litterärische Gesellschaft
sehr vermisse, wiret Du mir leicht glauben. Schon die lebendige Mittheilung gegen-
wärtiger Freunde, deren Denk- und Handlungsweise wir kennen ist doch ganz etwas
anderes, wirkt kräftiger und lebendiger als — wie Lessing so walir sagt —
die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich
mit todten Zeichen ins Gehirn mir drückt.
Dieses ist freilich für die meisten von uns jetzt dahin! — Sollen wir aber
mit ihm, auch alle andern Vortheile, die vielleicht eine Fortdauer oder eines Er-
satzes fähig sind auch aufgeben? Das gute verschmähen, weil wir das Beste nicht
mehr haben können? "Weil die schnelle Wechselwirkung aufgehört hat, soll sie
darum ganz gehemmt sein? — werden und müssen wir uns einmal nicht fremd
werden, wenn wir nicht mehr miteinander gehen, ja wenn einer nicht einmal den
"Weg weiß, den der andere jetzt wandelt? haben wir uns einmal aus den Augen
verlohren, so möchte das Wiederfinden schwer sein! — Diese Gedanken haben
mich schon oft beschäftigt, und ich wünschte, daß die Gesellschaft es mal zum
Vorwurf ihres Nachdenkens machte, ob und wie diese — ich darf voraussetzen für
uns Alle unangenehme Folgen unseres Zerstreutweidens aufgehalten werden könnten.
Ein Mittel, dis wie mir scheint, wenigstens einige derselben auf Hielte, will ich Dir
zur Prüfung mittheilen; vielleicht wird es Veranlassung, daß Du oder ein anderer
ein zweckmäßigeres findet.
Wenn bisher Einer von uns ein Buch oder auch nur eine Stelle darin vor-
züglich merkwürdig und allgemein interessant fand, so theilte er freudig diesen
Fund sogleich den übrigen mit, denen es sonst vielleicht beständig ein verborgener
Schatz geblieben wäre. Wie viel die dadurch veranlaßten Gespräche, und selbst
die sich einander oft widersprechenden ürtheile zur Aufhellung, Berichtigung und
Erweckung der Ideen beitrugen, wird ein Jeder sich selbst am besten sagen; das
Urtheil eines jeden unserer Freunde wurde schätzbarer und nützlicher, als das
eines Fremden uns je sein konnte; denn wir |j kannten seine eigenthümliche Vor-
stellungsart und konnten deren Einfluß auf sein Urtheil eher berechnen. — So
wurde alles Gemeingut; man hielt Emdte, auch wo man nicht gearbeitet; durch
Nehmen wurde man reicher, ohne durch Geben ärmer zu werden. — Nun dächte
ich, dieser Vortheil würde größtentheils bleiben, wenn auch in Zukunft ein jeder
von uns die ihm vorkommenden vorzüglich merkwürdigsten Bücher oder Stellen
derselben anmerkte, ein kurzes nur auf das Auszeichnende desselben sich be-
ziehendes Uxiheil (also keine Recension des Buches) beifügte, und am Ende eines
Vierteljahrs nach Jena, so lange die Gesellschaft dort fortdauert, schickte. Diese
sammelte dann die Verzeichnisse auch von den anwesenden Mitgliedern ; und dann
würden sie au die Abwesenden von einem zum andern geschickt. Die Auslagen
für Poilo könnten am Ende eines jeden Jahres vertheilt werden — Ich denke mir
den Nutzen immer wichtig genug, um bei der Lektüre die kleine Mühe des An-
merkens zu übernehmen. Auf manches merkwürdige, sonst vielleicht unbekannt
gebliebene oder durch sein Alter schon vergessene Buch würde man durch die Ver-
zeichnisse der übrigen aufmerksam gemacht; fände sein eignes Urtheil oft bestätigt
oder berichtigt; und verlöre keinen unter uns und seinen Gang ganz aus
den Augen.
72
Nachtrag zu 1796.
Solltest Du mir beistimmen, so schlage dieses der Gesellschaft zur Prüfung^
vor, welche den Plan weiter ausführen, ihn berichtigen und das nöthige hinzu-
fügen, und dann die andern abwesenden Mitglieder zur Theilnahme auffodern
könnte. Genugsam.
AVie lebst Du sonst? doch vergnügt? Denkst Du noch lange in Jena zu
bleiben; wie ist der Ton jetzt da; hat fichte jetzt viel Beifall; (empfiehl mich doch
ihm bestens). Diese Fragen beantworte mir doch bald, grüße alle Freunde herz-
lich von mir und vergiß nicht, Deinen F. Hörn.
Hast Du keine Nachricht von Smidt, Bärnhoff, Krüger, Koppen? u. s.
(Adr. des Briefes: Dem Herrn Herbart d[er] R[echte] Bef[lissenen] in Jena.)
713. Smidt an H. (2 S. 4». N.) Bremen d. 28. Februar 1796.
Lieber Herbart! Vor ein paar Tagen erhielt ich einen Brief von Deiner
Mutter — sie schreibt mir daß sie in Hinsicht Deiner jetzt wieder völlig beruhigt
sey und ladet mich ein sie um Ostern zu besuchen — aller Wahrscheinlichkeit
nach werde ich die Einladung annehmen, doch erst nach den Festtagen oder in der
vollen Woche nach Ostern. Hast Du nun noch mündlich Aufträge an Deine Eltern
oder andere Oldenburger und Oldeühwrgerinnen (doch — Du bist noch nicht im
40ten Jahre! — ) so will ich es getreulich ausrichten wenn Du mir nur zu rechter
Zeit deswegen schreibst. — Die Einlage war mir sehr willkommen — Hörn hatte
mir auch schon selbst deswegen geschrieben. Es freut mich daß ihr die Gesellschaft
nicht wollt untergehn lassen, ich bin mit der ganzen Einrichtung recht wohl zu-
frieden — nur hättet ihr besser gethan die Aufsätze der Auswärtigen erst um
Johannis anzusetzen — denn schwerlich werden um Ostern viele einlaufen — ich
schicke euch gewiß einen aber vor Pfingsten kann ich wohl nicht. Denn meine
Augen sind noch so arg wie in Jena — ich kann nichts rechts arbeiten — aus-
Minervas Tempel bin ich eine Zeitlang exihrt dagegen hat mich aber Apollo in
seinen Schutz genommen. — Alles was 'ich nur sonst zu sagen weiß kann ich
jetzt auch in Hexametern und Pentametern sagen — ich habe hier einen Freund
der durch mich von dieser Seuche angesteckt ist, und dem ich täglich nacheifern
muß wenn er nicht einen Vorsprung vor mir gewinnen soll — auch erbaue ich
[zuweilen] die Bremer durch meine Predigten — Orthodoxie und Heterodoxie sind
mir gar keine gefährlichen Klippen mehr, ich spreche immer von ernstlich mensch-
lichen Angelegenheiten und so steure ich glücklich mitten || hindurch. Für unsre
Gesellschaft taugt indeß eine Predigt nicht — ihr werdet nichts neues daraus
lernen ^— wenn lauter Theologen drin wären, so könnte sie euch vielleicht der
Methode wegen interessant seyn — das ist aber für die anderen langweilig. Wenn
mich der Geist einmal ergreifen sollte, so schicke ich euch vielleicht ein Gedicht
oder einen anderen Aufsatz — mein Genius will aber nicht forcirt seyn deswegen gönnt
ihm ein wenig Zeit — Von Breuning habe ich vor 14 Tagen einen Brief aus Wien
gehabt, ich hätte ihm schon geantwortet aber er hat mir seine Adresse zu schreiben
vergessen. Weiß Floret sie nicht? weiß nicht etwa ein Ungar oder Siebenbürgner
Phlepsens [Vj Adresse? Der ist auch in Wien und kömmt bisweilen zu Breuning.
Ich will über acht Tage einen Einschluß an Breuning an Floret schicken der besorgt
ihn wohl — Grüß alles was sich mein erinnert von Deinem Smidt.
Besorge mir das Heft von Lossius doch bald! — Und daß es leserlich und
vollständig geschrieben ist. Schreib mir doch etwas von Fichte — ich hab ihm mit
Haushalter Wein geschickt — hatte aber nicht Zeit dabey zu schreiben. Grüß ihn
doch und seine Frau.
Nachtrag zu i;96. -j-i
714. Rist an H. (b S. 4». N.) Kiel, den 4ten Mai [1796].
Mein Herbart — bist Du es noch? 0 — so komm, komm; ehe noch mehrere
Tage und Stunden vergehen, laß mich eilen, mein Herz auszuschütten gegen Dich.
Schon zu lange entbehre ich Deines trauten Gesprächs und Freundesblicks; und
bedurft ihrer nie fast mehr, als in den Tagen, da sie mir fehlten.
Gar mancherlei ist mit Deinem Freund vorgegangen, seit Du ihn nicht ge-
sehen hast, und mancherlei in ihm. Nicht war? Das hast Du vermuthet und hast
recht viel an ihn gedacht? — Du sollst auch wissen, wie's ihm gewesen ist. Und
ich brauche ja nicht zu fragen: Magst Du's auch wissen. Dir ist ja nicht gleich-
gültig, was mir wichtig ist. Auch wähle ich und feile nicht sorgfältig, fändest Du
auch manches zu tadeln; das wäre ja ich nicht, wie ich bin — ; und ich versprach
dies Du solltest mich ganz so haben wie ich bin. Meine Sinnen, meine Gefühle
sind die ganze Zeit her immer in einer gewissen Spannung gewesen, die zum Theil noch
fortdauert, mich noch — Dank dem Himmel — nicht ganz den akademischen Frost
fühlen läßt. — Es mag eine schöne, reine, stärkende Kälte seyn — aber kalt ists
doch; und Frühliugsmilde, Sommerwärine weht nur in den AVohnungen der Menschen,
wo Kinder, Greise, Männer, T\'eiber. Jünglinge und Jungfrauen mit und durcheinander
hinleben und weben. Tnd hätt ich. das nie gewußt, ich hält' es izt gelernt.
0, Herbart, wie ist mir so wohl gewesen in den väterlichen Gefilden! und
wie so anders wohl als sonst! Was hätt ich darum gegeben, Du wärst bei mir ge-
wesen, hättest theilen können meine Ciefühle, meine Gedanken — ich die Deinigen.
— Denn ich habe anders gedacht und gefühlt, als sonst, habe in meiner vollen
kräftigen Menschheit gelebt. — Du hast mich nicht recht gekannt; in Jena war
ich sehr gednickt, als Du mich kennen lerntest — an Dir — an Euch richtete ich
mich nach und nach mehr auf; aber, zehnmal habe ich Dirs gesagt; ich war in
Jena immer gedmckt, — durch das Cliina, die Gegend, die Lebensart, die Ab-
geschiedenheit von allen, als von Euch. — Und doch, und eben darum bin ich in
Jena viel gewordan, was ich sonst nicht geworden wäre und doch werden mußte;
und darum lieb' ichs und danke ihm. Du ' weißt ja, was in mir vorgegangen ist
unter Deinen Augen, unter Deinen Händen, mögt ich sagen; aber das hast Du viel-
leicht nicht gesehn, wie das nach und nach alles in mir lebendig geworden ist;
denn ich konnte nicht handeln — kann man in Jena handeln? Aber als ich wieder
in die "Welt kam, da hättest Du mich sehen Ij sollen, wie ich anders war, als .sonst,
wie ich allenthalben fester und sicherer hintrat; mit Gefühl von mir selbst, das
ich mir ernmgen hatte; wie stolz und wie demütig; wie viel strenger und wie viel
duldender und bescheidener, als sonst. 0 wie leicht wird man einig mit andern,
wenn man nicht ewig mit sich selbst im Zank liegt.
Du kennst meine Alt; ich ging still und gutmüthig unter den Leuten hin; und
so waren sie mir fast alle gut. Ich bin lustig mit den Frohen, ernst mit den Ernsten,
und weine mit den Traurigen; ich schwatze mit dem Weibe und räsonnire mit
dem Mann; und, ich würde mich schämen es zu gestehen, wenn das Zwang oder
Verstellung wäre. Nein — es ist warmer Antheil, und Freude an allem mensch-
lichen, Freude an Übereinstimmung; und eine gewisse Vielseitigkeit, die mir wenig
Gefühle, Zustände, Leiden und Freuden unbekannt seyn läßt. Wohl mir, aber daß
ich mir selbst in allen Lagen unverkennbar, und in meiner ganzen Ichheit bleibe,
und nach jeder Unterredung, jeder Zusammenkunft mir zurufen kann, daß ich Mensch
mit Menschen gewesen bin. —
Mit einem Wort, ich war von allen Seiten offner, empfänglicher — mein Ich
nach allen Seiten, mit allen Kräften thätiger, es mogte in der wimmelnden Stadt
oder im schweigenden Walde seyn, in dem ich manche Jugendstunde verspielt hatte,
>! A Nachtrag zu 1796.
\vo ich als Gespielen und mit mir aufgewachsne Freunde die Stauden und Bäumchen
— als ehrwürdige Väter und G-reise die tausendjährigen Eichen begrüßte. — Die
Pfarrkinder meines Vaters freuten sich mich wiederzusehn und boten mir treuherzig
die Hand. Unter dem Namen Johannes kennen sie mich noch immer. Und nun
mein Vater — 0, ich wollte, Da kenntest ihn; ein edler, thätiger Mann; warmer
Freund der Vernunft und der Aufklärung, wenn gleich selbst in der ärgsten Barbarei
erzogen. Sage mir, mußt es nicht unaussprechlich angenehm seyn, über Gegen-
stände, über die ich erst mit mir einig geworden war, auch mit ihm mich zu ver-
ständigen. — Er zwingt nicht und räth mir nur. Gewiß was ich könne, werd' ich
immer auch dürfen. —
Wahrlich hier vergingen mir 3 "Wochen schneller als Dir die Zeit in der Du
das liesest. An Arbeiten ward nicht gedacht; ich schrieb mehrere Briefe; aber
lesen mögt ich auch nicht viel; verdenkst Du mir das? Bei meinem Vater, der froh
ist, sich wieder aussprechen zu können mit dem Sohn — in und bei Niendorf
interessante Hamburgische Familien, wo ich gut gelitten bin, Hambui-g eine Stunde
von mir; und rundum mich meine liebe väterliche Gegend, daß ich da nicht viel
lesen mogte. — 0, Dir würde gewiß in Oldenburg auf eine Zeitlang das Lesen
auch vergehn! —
Begreiflich find" ichs nun aber auch sehr wie man so verschlungen werden
Kann in die Freuden und Annehmlichkeiten des Philisterlebens, daß man sie zum
Hauptzweck macht, || seines Selbst darüber vergißt, es wenigstens vernachlässigt.
Darum thut jeder der wissen will wer er ist, wohl auf eine Zeitlang mit Christo in
die Wüste, oder auch auf die Akademie zu gehen; aber 40 Tage und 40 Nächte
sind auch schon für lange Zeit genug — 3 Jahre zu viel. Sollte in 3 Jahren nicht
einmal der Versucher die Oberhand behalten? An dem Verfall desjenigen, den die
Reize des gemeinen Lebens zum gemeinen Menschen machten, glaube ich, wären
wohl hauptsächlich die Frauenzimmer schuld, die so gern und so leicht ihre Freunde
in ihre angenehme und liebenswürdige Beschrenktheit hineinziehen, ihnen auch
allenfalls des Opfer auf eine andre Art zu vergüten wissen. Lieber sind mir aber
immer noch diese artigen Wesen, als die weiblichen Stark- und Schöngeister von
Profession, die mit einigen Drachmen der erbärmlichsten Poi^ularphilosophie sich für
allgenugsam halten. Zum Glück kenne ich aber doch auch einige sehr angenehme
Frauenzimmer, die bei weniger Prätension für meine liebsten und edelsten, wenn
gleich etwas ungewöhnlichen, und nicht naheliegenden Ideen, nicht nur sehr emp-
fänghch sind, sondern sie fassen, schmücken und weiter führen mögen. Und so,
lieber Herbart, philosophirt sichs nicht übel; ich denke jeder Philosoph müßte eine
hübsche 'und geistvolle Frau haben, und alles erst mit ihr überlegen, dann würden
wir ganz andre Dinge zu sehn bekommen. — Die Wissenschaftslehre würde auch,
glaub ich, etwas anders aussehn, und das reine Ich etwas liebenswürdiger seyn.
Ich übersende Dir hier auch so ein Wesen, das wie eine Spekulation aussieht;
wenn ich es als Zuschauer von fern ansehe, weiß ich nicht recht, was ich davon
denken soll; wenn aber als Ich, so muß ich bekennen, daß meine völligste Über-
zeugung darin herrscht. Die Idee und der Anfang der Ausführung entstand schon
in Niendorf; hier erst schritt ich, weil ich meine — wie soll ich sagen — meine
Regheit und Unruhe nicht zu lassen wußte, — zur Eudigung. Es ist das Werk
einiger Stunden*); was kann ich auch weiter thun, als mich darstellen und darnach
priifen, ob ich es richtig gethan habe; beides hab' ich; vortheilhafter hätt ich es viel-
leicht darstellen können; aber durch zu vieles Wiederkäuen wird mir ein solcher,
an sich trockner Gegenstand, leicht zuwider. Sonderbar ist, daß ich wünschte oder
*) Vgl. Bd. I, 362 ff., Herbarts Bemerkungen dazu ebenda S. 5 ff.
Nachtrag zu 179Ö. 75
ahnte; das Resultat werde dahin ausfallen, wo hin es gefallen ist; im Fortgang
meiner Ideen schien gerade das Gegentheil zu resultiren ; aber das war mir gleich ;
dennoch kam es zuletzt wieder auf Vereinung der Ideale hinaus. Wenn ich
Schillere ästh. Br. gelesen hätte, würd ich vielleicht manches anders, vielleicht alles
nicht geschrieben haben; ^^elleicht aber ist es auf der andern Seite gut. Ihr habt
hier itzt mein eigenstes Produkt u. könnt mich darnach beurtheilen. Schreib mir
Deine und der Gesellschaft Meynung daräber. Glaubt aber nur nicht, daß ich ihr
damit meine Schuld für dieses Halbjahr abgetragen zu haben dächte. ||
Ich bin diesen Abend gerade 8 Tage in Kiel, die mir wunderschnell vergangen
sind. — Ganz in der regsten Fülle meiner Lebensgeister kam ich hieher. Solang
ich noch kein Zimmer hatte,, und den ei-sten Tag, als ich eins hatte, ging das alles
gut u. ich hatte Unruh und Zerstreuung die Menge; aber nun darnach, als ich
einen ganzen Vormittag, einen ganzen Nachmittag so ganz, ganz für mich allein
hatte, meynst Du, daß ich mich zu lassen wußte. Erst ward mir so trübe — dann
auf einmal so froh und so stark und so sehnend, daß ich nach Raum suchte für
meine Kraft. Ich wußte vor lauter Begierde zu arbeiten, oder vielmehr zu wirken,
nichts anzufangen, lief im Zimmer umher. Meine wenigen Bücher, die doch aber
alle classisch sind und so reichen, schönen Stof enthalten, mögt ich nicht ansehn,
— ich konnte, u. kann überhaupt noch nicht gut, und habe nie recht gut gekonnt,
über fremder Arbeit ausdauern, wo ich nur auf mir spielen lassen muß von einem
andern Geist. — Und nun hatt" ich keinen erträglichen Menschen den ich herrufen,
an dem ich mich auslassen konnte. Ich rief so ängstlich alle die Guten und lieben
her, die ich eben verlassen hatte. — Ich lief im Sturm am Meeresufer hin und
her — ; endlich fing ich aus Verzweiflung; aber mit vollem warmem Gefühl an zu
philosophiren über Stof und Form etc. In meinem Muthwillen fing ich nachher
an, den dritten Titel des ersten Buches von — Hellfelds Pandekten — zu studirenV
Xein — auswendig zu lernen? — Nein — In Hexameter und Pentameter zu
bringen, so gut es gehen wollte. Es begann.
Singe iuristische Muse den Sinn' und die hohe Bedeutung
Der dreimalheiligen Lex, weiche uns Roma geschenkt.
So gings fort; der § 83 fing so an:
Nenne sie auch die zwei Arten des nicht geschriebnen gesetzes!
herkommen so heißet die eine; man nennet die andre gewohnheit.
Du siehst lieber Herbart, wie schön man auch die trockensten Gegenstände
bearbeiten kann. Kurz ich war ganz ein andrer Mensch als sonst — wirklich so
voll Drang und Kraft; daß ich nun nicht mehr über diese gemißbrauchten ^^örter
spotten werde; aber woher kams? meinem Streben, meiner Menschheit fehlten izt
wieder die süssen Abieiter derselben; andre Menschen: sie mußte sich ganz in sich
concentriren und in sich aufreiben. — Noch izt will mir kein Buch schmecken;
u. mir ist nicht wohler, als wenn ich schmiere.
Ah -- ad vocem pandecten; nicht wahr, Du und Gries, ihr hört sie doch
auch? — Ich höre sie frischweg, bei Gramer von 8—10 in einem fort; der Mann
ist aber so vernünftig nur 1 ^'^ Stunde zu lesen und sehr oft auszusetzen ; so reiste
er am Montag, mir nichts, dir nichts weg, wir erwarten ihn am Dienstag und heute
im Auditorium; er kömmt nicht; endlich hören wir, daß er bis Sonnabend verreist
ist. — So müssen Pandekten gelesen werden! — Zu dem höre ich noch Morgens
von 7—8 4 Stunden die Woche Cameral Encyclopädie bei Niemann; etwa noch ein
publicum u. damit holla! Nach 10 Uhr ist || der ganze Tag mein. Um 1 Uhr esse
ich allein auf meinem Zimmer zu Mittag — mit einem Wort — ich thue alles allein.
Ich habe zwar schon einige zufällige Bekannte, u. ich merke überhaupt, man macht
^5 Nachtrag zu 1796.
sich hier gern an einen Jenenser; aber die Leute sind mir auch so zufällig, daß sie
mir nie nothwendig werden können. Mit der Zeit hoffe ich ein paar von den
Leuten an die mir Berger Grüße auftrug, kennen zu lernen; bis dahin muß ich
mich wohl fügen. . — Lieber Herbart, — was sind das hier für Menschen, die
Kieler Studenten, — doch gerade auch fast alle so plump, so ungesittet und so
trotzig wie ein Bauernjunge der ein halb Jahr in der Stadt gewesen ist. Un-
beschreiblich widrig ist mir so ein Hörsaal voll solcher Menschen, wogegen Kümmel-
türken u. Ungarn Götter sind. Bei ßeinhold habe ich so ein 120 — 30 zusammen-
gesehn. 0 armer Eeinhold, wie muß Dir zu Mute werden, wenn Du denkst, daß
Schmid in Jena ein honorigeres Auditorium hat, als Du!
Eeinhold liest seine Aesthetik 2 Stunden wöchentlich publice u. ich bin schon
2 mal in seinen Vorlesungen gewesen. Er hat hier großen Beifall; aber ich — auch
von allem was ich vorher von ihm gehört hatte, abstrahirt — ich mag ihn nicht.
— In seinem ganzen Wesen ist mir so etwas schlaffes, ich mögte beinah sagen —
schleichendes. — Sein Ton ist nicht menschlicher Conversationston wie Fichtes
sondern wirklich affektirt, gedehnt, schleppend und klagend. Die Verzerrungen
seines Gesichtes zeigen Kränklichkeit und Schwachheit an, — und seine Aussprache
ist so widrig wieuerisch-weimarisch, daß sie unausstehlich wird. Ueber das was er
sagte will ich noch nicht urtheilen; er muß sich auch wohl sehr zu seinen Za-
hörern herunterlassen, wenn er verstanden seyn will, vieles wenigstens hätte Schmid.
nicht weitläuftiger und ausführlicher erklären, wiederholen, umschreiben können, —
Ehe er zum Zweck kömmt holt er gewaltig weit aus. Ueber alles das aber ein
andermal mehr, wenn ich selbst mehr davon weiß. — Aergern mußte es mich aber
als gestern ein paar alberne Kerle, die Fichtes Glocken mogten in der Ferne summen
gehört haben, ganz ernsthaft versicherten: gegen Fichte sei ßeinhold doch gar nichts,
wenigstens durchaus kein systematischer und spekulativer Kopf. Ich antwortete:
Ich hätte geglaubt, daß er gerade nur das wäre. — Es scheint mir. als ob Reinhold
hier nicht so sehr affabel ist wie in Jena, wenigstens wüßte ich nicht, daß Studenten
Zutrit bei ihm hätten; er ist dafür desto mehr in Gesellschaft; läßt sich aber noch
izt Morgens durchaus nicht sprechen.
Daß ich auch noch keine Briefe von Euch habe! Gries muß meinen Brief
doch längst schon erhalten haben. — Ich bin neugierig, ob Ihr ausgereist gewesen
seid oder nicht. — ||
So spät es auch hinterher kommen mag, lieber Herbart, ich muß immer noch
bedauern, daß Du nicht noch den letzten frohen Tag, Abend und Morgen bei uns
in Gotha mit uns theilen konntest — daß Du uns fehlen mußtest! — Aber freilich,
der Montag Abend war der herrlichste aller seiner Brüder — ein unvergeßlicher,
unaussprechlicher Abend, — wie gewiß wenigen einer geworden ist. — Danke, danke
doch noch einmal und oft noch, allen den Guten und Lieben, die dabei waren, die
ihn verschönern halfen. —
Vermuthlich und wenn nicht besondre Hindernisse mir in den Weg kommen
wandre ich in Pfingsten nach Plön u. Eutin, u. spreche dort Deinen Freund Lang-
reuter. Bis dahin gedulde Dich — dann schreib ich Dir von ihm.
Herbart — wann werd' ich Dich wieder sehn? 0 — wärst Du hier, nur einer
von Euch — wie wollt ich hier glücklich loben; wie viel fester würden wir uns
aneinander schließen. — Komm, komm hieherl. Ich habe Dir noch soviel zu sagen;
und es ist hier besser Leben als in Jena, wenn man nur einen Freund hat. — Es
ist hier alles kräftiger und freier als dort; das Land, die Menschen. Hier erst, in
Holstein erst, fühl' ich mich körperlich stark und kräftig wieder. In Jena war ich
niemals krank, konnte mich aber auch keiner ächten Gesundheit, keiner Lebensfülle
freuen. — Komm — komm! — Ach, Du kömmst doch nicht! —
Nachtrag zu 1796, 77
I
Ich muß dich bitten, ob ich gleich hoffe, daß es überflüssig ist, — schreib
mir ja nicht, antworte mir nicht — bis Du mit völliger Freiheit und Freude, bis
Du mit gestärktem Auge es ohne Beschwerde kannst. Aber w^enn Du schreibst, so
schreibe mir auch von unsrer (xesellschaft — was mit ihr vorgegangen; ob jemand
aufgenommen ist?
Liebe mich, lebe wohl, grüße unsre Freunde. J. Rist.
P. S. Deine Briefe schicke nur geradeswegs nach Kiel mit der reitenden Post
Montag u. Freit. Abends. An J. Rist, addr.: H. Iverßen am Markt. Nicht wie ich
Ories geschrieben hatte, erst an meinen Bruder in Hamburg; das würde doppelte
Weitläuftigkeit geben. — Sage das Grießen auch. Inliegende Briefe darf ich Dich
ja wohl bitten zu bestellen. ^- Den für Hörn gib allenfalls nur an Gries; u. ich
lasse ihn bitten daß er ihn ihm zustellt. —
715. Ricklefs an H. (2 S. 4°. N.) Oldenburg 1. Nov. 1795
716. An Gries. (i Zettelchen. N.) (Ohne Datum. 1796?),
Lieber Gries! Ich war gestern Abend auf Deinem Zimmer der Gast
eines Dritten; bey der Gelegenheit hoffte ich einmal w^ieder — wenigstens
eine von den Kleinigkeiten von Dir zu erhalten, durch die man es sich
zu sagen pflegt wenn man einander gut ist; Du weißt warum ich jetzt
dieser Kleinigkeiten bedarf. Die Hoffnung täuschte mich. Indessen was
Du nicht von selbst giebst, das versagst Du doch vielleicht nicht, wenn
ich Dich darum bitte. Floret und Böhlendorf sind diesen Nach-
mittag bey mir. Ist Dirs recht, mit uns zu trinken, so sage der Über-
bringerin daß ich Dich um halb 2 Uhr erwarten dürfe. — Wäre es nicht,
so bitte ich Dich, mich so bestimmt als möglich die Ursache davon wissen
zu lassen. Dein Herbart.
717. Groninger an H. (2 S. 4«. N.) • Berlin 4. Febr. 96
718. J- P. E. Greverus (1789—1859) an H. (10 S. 8°. N.)
(Ohne Datum. 1796?)
719. F- Fromm an H. (4 S. 8». N.) Göttingen, 1.5. Febr. 1796.
(Einladung zu einer gemeinschaftlichen Rheinreise.)
720. Rist an H. (3 S. 4«. N.) Kiel, 1. Juni [1796]
721. Reimers an H. (3 S. 4°. N.) Dre.sdeti, 5. Aug. 96.
722. Smidt an H. (8 S. 4». N.) Bremen 10. Aug. 96
Lieber Herbaitl RecM ärgerlich ists mir daß Deine Briefe, samt dem theuern
Haushalter der nun schon 2 mal hier gewesen ist ohne daß ich ihn mit einem Auge
gesehen Labe, grade um die Zeit ankommen mußten wo ich. des schönen Nach-
sommeis auf dem Lande genoß und mich um alles was in der Stadt vorfiel nicht
bekümmerte — Wie ich vorgestern hereinkam war H. langst fort, ich gehe in
einer Stimde auch, wieder hinaus, und will bis meine Schwester und Schwager
mich abhohlen die noch übrige Zeit mit Dir verplaudern. Zu einem ausführ-
lichen Briefe, den Dein erster langer Brief herausfordert und der sich auch
stellen soll — habe ich jetzt nicht Muße — genug — er soll nachkommen — jetzt
nur einige flüchtige Beantwortungen Deiner 3 Episteln, wie mirs grade einfällt —
Haushalter wird denke icli bald wieder kommen. Dann wiü ich alles besorgen —
es ist mir selbst verdrießlich, denn ich hätte Fichte zu seiner Kindtaufe auch wohl
yg Nachtrag zu 1796.
etwas geschickt — Ich habe Dich schon einmal gebeten Dich doch zu erkundigen
ob ein Vis Mallaga und ^^g ^^t^^' Franzwein das ich diesen Frühling durch Haus-
halter an Fichte schickte richtig angekommen ist, ich babe den Blitzkerl hernach
gar nicht wieder gesehen — den Sack denke ich lassen wir so lange ruhig bey
Elt. Xirchhoff liegen oder soll ich ihn in meinen Gewahrsam nehmen so befiehl nur.
Recht sehr freut michs daß Du Deine gute Mutter bey Dir hast. Ihr seyd
mir immer vorgekommen wie ein paar Verliebte || wo jeder ganz in den andern weg
ist, aber aus Furcht der andere mögte kälter werden, es sich nicht will merken
lassen wie lieb er ihn hat, und weil es doch unmöglich ist das zu verbergen seiner
Feder Gewalt anthut um durch ein paar ernsthafte Worte alles wieder ins gehörige
Gleichgewicht zu setzen — aber so bald so ein ernstes Wort auch ein wenig kühler
zu machen scheint, so muß ein Mißverständniß daraus werden, man muß sich
zanken damit die warme Temperatur wieder da sey — daß der Zank nur die Hülse
eines Vertrags ist ahnt jeder wohl heimlich, macht aber beym finden des Kerns
doch ein Lob davon als ob sich so etwas gar nicht hätte ei warten lassen — —
Dabey ist aber gar keine Spur von Affeetation, es geht alles ganz natürlich zu —
ihr seyd verliebt in einander, das ist der Schlüssel. So habt ihr euch den ganzen
Winter hindurch vexiit, so habe ich die Sache immer angesehen, und so kannst Du
und kann aitch Deine Mutter jetzt wohl begreifen, daß es nicht Gleichgültigkeit war,
wenn ich auf die ernsthaften Briefe und auf ihre ernsthaften Gespräche nicht so
ernsthaft antwortete, wie ihr es beyde zu erwarten schient — ehe ihr euch aber
gesprochen hattet, konnte ich das aber nicht sagen — Sag das doch auch Deiner
Mutter, wenn Du es für gut findest, versteht sich auf eine feine und höflichere
Art, damit sie auf keine Weise an mir irre sey. — Solche Situation gibts nicht blos
in der Liebe y.ar iio%7]v sondern auch in der Freundschaft, unter Geschwistern,
Eltern und Kindern etc. Ich habe das auch oft erfahren. |1 Nun auch, etwas von
mir, und zwar fürs erste, daß Du Dich mit mir freuen mußt, weil meine Augen
seit 4 Wochen völlig wieder in statu quo- sind — Dreyvierteljahr hindurch habe
ich doch kein einziges Buch durchlesen können nicht mehr wie höchstens 2 Octav-
seiten hintereinander so schlimm ists mit Dir doch nie gewesen. — Daher kannst
Du nun auch begreifen — wie es mit meinen philos. Studien bis jetzt sehr gestockt
hat — Die Lust dazu ist mir aber gar nicht vergangen, ich werde mich diesen
Winter wieder mit allem Eifer darauf legen. Du thust mir den größten Gefallen
von der Welt wenn Du mir von Deinen Arbeiten der Art einiges schicken willst —
ich habe hier da ich nicht lesen konnte nicht den mindesten Anstoß der Art gehabt,
denn unter allen meinen hiesigen Freunden ist kein einziger der in diesem Punkte
gleiches Bedürfniß mit mir fühlt — Von Fichtes Naturrecht, Hülsens Prüfung
Niethammers Journal usw. habe ich noch nichts gelesen — es wird aber alles an
die Reihe kommen — ich schreibe Dir über die Aufsätze gewiß vtel ivieder und so
gut ich kann — ich werde doch auch Anstoß bekommen — Aufsätze für die Ge-
sellschaft zu verfertigen — sieh! ich kann mich nicht so hinsetzen und sagen ich.
will jetzt darüber einen Aufsatz machen — wenn er nicht alltäglich werden soll,
so müssen die Ideen eine Zeitlang in meinem Kopfe herumgegangen und sich da
fertig gemacht haben, und sich nur noch ein Stück Papier suchen um gesetzt zu
werden. || Fichte soll wie jch höre Moral lesen — kannst Du mir nicht ein Heft
oder Diktat davon besorgen — ich bin äußerst begierig darauf — Auch über seine
Freyheitslehre schreib mir etwas — ich weiß nicht wie sie jetzt aussieht, da er
sie wenigstens schon 3 x geändert hat. Das letzte was ich in Jena von ihm hörte,
war daß er mit seinen' bisherigen Ideen darüber nicht ganz mehr zufrieden sey —
was er an deren Stelle setzen würde, wußte er damals noch, selbst nicht. Im
Nachtrag zu 1796. yg
Sohelling habe ich iu Jena mir flüelitig etwas gelesen — er gefiel mir damals nicht
ganz — es schien mir als ob das absolute Ich noch etwas in seinem Kopfe herum-
spuke ohne eine eigentliche Gestalt zu haben — ich glaubte er sey zu sehr Idealist
— indeß noch einmal — ich habe ihn nicht durchgelesen — sondern nur etwa
50 Seiten darin durchblättert — Das Niethammersche Journal habe ich längst bei
"Willmanns bestellt aber die vis inertiae steht in dieser Buchhandlung auf der Tages-
ordnung — kurz ich komme mit allem etwas später, aber so werde ich mich der
"Welt nie ergeben, wie Du fürchtest — fürs erste werde ich freylich noch nicht
recht daran kommen — denn ich gehe jetzt wieder auf 14 Tage noch auf Vorck —
wo wir von mehreren Verwandten Gesellschaft haben, so daß ich nicht viel zu
einsamen Studien kommen werde — dann denk ich auf 14 Tage |1 eine Reise
nach Hamburg zu machen — und dann habe ich vollauf zu thun um von meines
Vaters Büchern einen Catalogus zu verfertigen — ehe wir umziehn, welches um
Freymarkt geschieht — wobey es allerley häusliche Geschäfte gibt — dann werde
ich aber auch Muße genug haben, und ich denke Du wirst noch Freude an mir
erleben — Sag doch, was will Kant eigentlich mit seinem Aufsatz über den vornehmen
Ton in der Phil, in der Berliner Monatsschrift worauf zielt das eigentlich?
Es freut mich daß Fichte ein Kind bekommen hat; ich hoffe die Philosophie
wird dadurch gewinnen — Du verstehst mich ! — AVas macht Floret ? Es ist nicht
erlaubt daß er mir nicht schreibt — Den Kopfputz womit ich Dicii vor einiger
Zeit begabte bitte ich an ihn zu cediren und wünsche er möge dort auch so gute
"Wirkung thun. Sag ihm daß ich mich außerordentlich danach sehne einen Brief
von ihm zu sehen — Kannst Du mir nicht Nachrichten von Breuning verschaffen,
wenigstens seine Adresse in Bonn — Ich habe ihm nach Wien einen langen Brief
geschrieben — eä könnte aber wohl seyn, daß er schon nach seiner Abreise dort
angelangt sey — Hast Du von Berger || kürzlich etwas gehört? — Du hast mich
nicht recht verstanden. Daß der Jacobinismus bey ihm gefallen, daß die Freund-
schaft mit Möller aufgehört hatte er mir vorher schon geschrieben — aber ich
wünschte theils die Ursache dieser Veränderung zu wissen — , theils was au dessen
Stelle jetzt vorzüglich Platz in seinem Kopf und Herzen bekommen habe —
Deine Verse gefallen mir — schicke mir doch mehr, und besorge mir auch
. welche von Floret Gries, ßoehlendorff etc. — Ich habe neulich an Floret einen Ein-
fall der Art, Amor ein Mahler betitelt, geschickt. Das mag er Dir mittheilen, schreib
mir doch Dein Uriheil daräber — Vor einigen Wochen habe ich es zum erstenmal
versucht ein kleines lyrisches Gedicht zu machen — einer meiner besten Freunde
in Bremen hielt mit einer meiner besten Freundinnen Hochzeit. — Die Schwester
der letzteren bat mich in ihrem Namen doch ein Gedicht zu machen — wenn mich
der Geist vielleicht einmal treiben sollte, ich schlug es ab — bis den Tag vor der
Hochzeit wo ich noch einen Einfall bekam und so wurde das Ding in aller Ge-
schwindigkeit fertig — dies zur Entschuldigung der vielen Mängel die Du darin
finden wirst, ich will es Dir mittheilen — wenn ich noch Zeit habe es weiter ab-
zuschreiben II halb habe ich es schon gethan — Vorzüglich über das möchte ich
euer Urtheil haben — denn das lyrische Gedicht ist doch wohl vorzüglich der Prüf-
stein für alles dichterische Genie. Kommt auch wieder ein Scbillerscher Musen-
almanach heraus, und wann? Schicke mir ja Deine Compos. : die Würde der
Frauen — ich lebe hier jetzt unter lauter musikalischen Leuten — Pesarov[ius] kann
Dirs bezeugen daß ich wohl mehr als eine hübsche Kehle und wohl mehr als IQ
zarte und geläufige Finger dafür zu finden weiß — Die Reichhardtsche Compos.
dieses Stückes hat auch hier gar keinen Beyfall gefunden — Pesarov[ius] kann Dir
von einem der Zirkel worin ich hier vorzüglich mein Wesen treibe viel erzählen —
8o Nachtrag zu 1796.
Du lerost durch ihn wenigstens das Personale kennen und ich kann Dir dann ein
andermal mehr davon schreiben — An Pes. bin ich hier etwas irre geworden —
obgleich nicht ganz — laß Dir Reimers davon erzählen.^) — Sag'e Reimers — P hätte
das Geld an meinen Freund %iim Theil bezahlt ■ — übrigens hätten wir die 4 Legenden
aus Höflichkeit wohl glauben müssen — da er nachdrücklich die Wahrheit derselben
vertheidigte — Unmöglich ists zwar nicht daß man auf einer Reise 4 mal seinen
Geldbeutel verliert oder sich stehlen [läßt] || wärs in England und nicht grade in Deutsch-
land gewesen — so wärs noch glaublicher, aber das: si fabula vera liegt mir doch
immer dabey in Gedanken — Hast Du nichts von Döschtg . . . gehört? Du bist
-doch mit Deiner M[utter] nach Schwarz bürg gewesen? Hat sie ihren Wohnsitz jetzt
in Uhlstedt aufgeschlagen? — Wirst Du mit ihr nach Carlsbad reisen — Warum
hat Hufeland gesagt daß ich nicht nach der Schweiz soll. Künftigen Sommer? — Hat
niemand Nachrichten von Bärhof? — Wißt ihr ihm keine Stelle in Deutschland zu
verschaffen ? — Laß mir doch einige interessante Aufsätze aus der Gesellschaft ab-
.schreiben und schicke sie mir^) ich bezahle Abschriftkosten und Porto mit Freuden —
Ich kann jetzt nicht länger — Meine herzlichsten Grüße an Deine Mutter —
wenn ich könnte so schriebe ich ihr jetzt — aber nächstens wirds geschehn — daß
■sie bey Dir ist ahnt niemand, wie ich glaube — Ich habe mehrmals ein dummes
Gerücht gehört als ob sie und Dein Vater sich getrennt hätten, dem ich aber nach-
drücklich wiedersprochen habe. — Den Brief habe ich besorgt — leb herzlich wohl
Bester — Grüß Fichte und seine Frau herzlich und sage ihm daß ich viel Antheil
nehme — schreib bald und beantworte alles ausführlich Dein Smidt.
Sag Ldsch ich würde ihm nächstens schreiben — geh doch zu Putsche^ Loders
Informator und sage ihm seine Sachen und Briefe wären richtig angekommen, und
ich hätte seinem Auftrag gemäß schon alles besorgt.
*) Pesarovius' Besuch in Bremen wiid Bd.I, S.XX VII, fälschlich später angesetzt.
-) Auf der Universitäts-Bibliothek zu Jena finden sich Papiere, die unzweifel-
haft ursprünglich dem Senator Smidt in Bremen gehörten. Da es z. T. Abschriften
sind, vermuthe ich in diesen Schriftstücken die Papiere, von denen hier die Rede ist.
Leider ist es bisher nicht möglich gewesen, die Verfasser festzustellen, da das
Protokollbuch der Gesellschaft der fr. Männer abhanden gekommen ist. FjS sind
folgende: 1. Aphorismen aus der Transcendentale. (11 §§, 8 S. 8°.)
2. Die Fortdauer. Thoma und Thebaldo. (Ein Dialog. 8 S. 4».)
3. Erinnerungen. An Ulrich Sprecher von Bernegg, zu Jenins in Graubündten.
[Über Ulrich Sprecher v. B. vgl. Allg. D. Biog. 35, 281.] (Eine Dichtung. 24 S. 8».)
Dabei liegen auch eine Anzahl Schriftstücke von Herbarts Hand, Papiere, die
Kehrbach für den 1. Band dieser Ausgabe vergeblich gesucht hatte, weshalb er nach
2illers Reliquien drucken ließ, nämlich folgende:
1. Über philosophisches Wissen etc. S. Bd. I. S. 84 ff. (Das Manuskript
hat keine Überschrift. 25 7^ S. 4".)
2. Über den Unterschied von Kantschem und Fichteschem Idealismus. S. Bd. I,
S. 115 (Überschrift fehlt im Manuskript, 2 S. 4«^).
3. Zur Kritik der Ichvorstellung (Manuskript ohne Überschrift) (4 S. 4°).
4. Einige Blätter von Herbarts Hand.
5. Mehrei-e Briefe, die in diesem Baude mit abgedruckt worden.
6. Abschriften von folgenden Aufsätzen Herbarts:
a) Versuch einer Beurtheilung von Schellings Schrift über die Möglichkeit
einer Form der Philosophie überhaupt (S. Bd. I, S. 12 ff., 14 S. 4").
b) Über Schellings Schrift vom Ich (S. Bd. I, S. 17 ff.).
0) Einige Bemerkungen über den Begriff des Ideals (S. Bd. L S. 5 ff. IV2 S. 4».)
d) Über das Bedürfniß der Sittenlehre etc. (Ohne Überschr. mit der Bemerk.:
..Angeblich von Herb, gehalten.") (S. Bd. I, S. IIG ff. 36 S. 8°.)
Außerdem liegt an selbein Orte das Manuskript von Herbarts Abhandlung de
iittentionis meusura pp. (s. Bd. V, S. 41 ff.), das Kehrbach nicht bekannt war.
Nachtrag zu 1 796. 8 I
723. C. Breuning an H. (4 S. 8". N.) [Bruchstück.] Bonn 20. Aug. 1796
724. Rist an H. (6 S. 4^ N.) Niendori in den ersten Tagen des Octobers [1796]
Auch Dich hab ich also wieder, mein Herbart — und ich triumphire — . Ich
halte Deine Worte in meinen Händen und fühle nun keine Lücke mehr unter den
Bildern meiner der theuern Entfernten, in dem Heiligthum meines Herzens. — Ich
fühle nun, daß es unfreundlich war, Dir so diese "Worte abzufordern ; aber ich freue
mich daß ich es that, denn ich habe sie. — Dein Andenken bekleidete mich in die
Einsamkeit, wo ich Dich zu mir wünschte — in die Gesellschaft der Menschen wo
ich Dich vermißte. — Die letzte Nacht träumte ich sehr lang und lebhaft von Dir
— Dein Schatten ging neben mir her, wir sahen uns an; aber wir redeten nicht;
er glich Dir noch, aber er war verändert; seiner W^ürde und Kraft entkleidet, etwa
wie die Alten uns die Schatten malen, die ängstlich an den Ufern des Styx umher-
wanken. Als ich erwachte ward meine Sehnsuclit nach Dir nur stärker, — und
Dein Bild wich den ganzen Tag nicht von mir — da erhielt ich am Nachmittag
Deinen Brief, und frohlockte; ich erbrach ihn mit der unruhigen Freude, wie der
Liebende den Brief der Geliebten — . Was soll ich Dir es beschreiben, wie ruhiger
und vollständiger, wenn ich so sagen darf, — es in meinem Herzen wurde, als ich
von Deiner Hand es las, daß ich auch in dem Deinigen noch lebe.
So komm denn her, mein theurer Herbart — laß mich die ganze Fülle des
Herzens ausschütten, wie sonst: Du hast mir geklagt Dein Leid und was Deine
Seele ti-übt — ich habe es mit Dir empfunden; nicht lauter Freude hat mir Dein
Brief gebracht; manche Stellen haben mich unruhig und traurig gemacht. — Ach
— wer könnte ohne Schmerz einen Freund zu den Todten zählen? Rähtst Du nicht
schon von wem ich rede? — Alles was Du mir von G.[ries] schreibst und mehr
als das wird mir durch andre, die ihn noch dazu von einer ganz andern Seite be-
trachten, dennoch bestätigt. — Er muß sehr — fast ganz verändert seyn. Nicht
mehr unser G. — Bald nach meiner Abreise .änderte er in seinen wenigen Briefen
den Ton schon sehr; ich begrif ihn nicht mehr: aber izt freilich ahne ich ungefähr,
wa.s geschehn seyn mag. — Ich habe mich des Gedankens nicht erwehren können,
daß es für gewisse Geister eine unübersteigbare Grenze gebe, innerhalb der sie sich
vielleicht vortheilhaft auszeichnen, und vielleicht manches trefliche leisten, über die
sie zu erheben aber auch keinem möglich ist; sie sinken zurück: denn die Fittige
ihrer Psyche sind von Wachs. Liege es an früherer Bildung; oder seien es körper-
liche Ursachen — genug Gs. Beispiel scheint den Gedanken zu bestätigen. — Du
hattest immer \-iel Hofnung zu |[ ihm — gabst sie auch mir — hast sie vielleicht
noch; aber ich fürchte: es ist alles vorbei. — Der zarte Bogen seines Geistes ward
zu stark gespannt durch Deinen, Bergers, Hülsens Umgang, durch die Art und den
Geist unsrer Verbindungen vmd Unterhaltungen — Eitelkeit hielt ihn vielleicht
noch eine Zeitlang straff; aber da erschlaffte er plötzlich, und — sank hinab in die
bequeme Sphäre der Witzlinge und Kartenfreunde, wo freilich auch er ein Wort
mitzusprechen hat. — Hab' ich hart geurtheilt? — Nun, geben die Götter, daß ich
einst ihm diese Worte abbitten müsse, daß ich geirrt habe; ich werd es mit Freuden
thun; denn was kann mehr den Geist niederschlagen und trüben, als solche Beweise
von der Ohnmacht und Hinfälligkeit der Menschenkraft und Würde. — Aber
dennoch lebe ewig in unsern Herzen dies Andenken jeder schönen Stunde die wir
mit dem Lebenden genossen — laß ruhn die Todten! —
Auch was Du von unsrer Gesellschaft mir schreibst, lieber Herbart, ist nicht
tröstlich. — Diesen Zirkel dem ich so sehr viel verdanke mögt ich beständige Blüthe
und zunehmende Würde und Vortreflichkeit gewünscht haben — und einzelne Mit-
Herbarts Werke. XIX. ^
82 Nachtrag zu 1796.
glieder sind unfrei genug gewesen um Parteigeist einreißen zu lassen statt des Ge-
meingeistes! — Ich werd es immermehr gewahr — eine solche Verbindung kann
nur iinter einer kleinen Zahl Auserlesener bestehn. Wird sie das wieder werden?
— Wird die Veränderung, die ihr itzt bei dem Abgang so mancher Glieder be-
vorsteht, Einigkeit zurückbringen? — Oder wäre es besser, als fortzuvegetiren in
dieser kränkelnden und ärgerlichen Gestalt, wenn sie sich trennte, und dann in Dir
und zwei oder 3 auserlesenen und achtungsivürdigen — nicht blos hoffnungsvollen
und guten, oder gar nur witzigen — Männern, wieder zusammenträte? — Eure /re^-
willigen mit vollem Interesse gelieferten Arbeiten, nebst den Beiträgen Entfernter
würden gewiß unendlich mehr "Wehrt und Nutzen haben, als die itzigen gezwungenen,
ohne Interesse vorgelegten und oft ohne Einsicht und mit Parteiligkeit beurtheilten
Aufsätze. Der Tag der Zusammenkunft (dieser müßte beständig fest bleiben) der
keine schriftliche Arbeit lieferte würde dennoch sehr nützlich werden, angewandt
zu bestimmter und weitläuftiger Unterhaltung über einen wissenschaftlichen Gegen-
stand, oder zu einer bedachten und absichtlichen Kritik eines Geisteswerks. — Aus
der Leichtigkeit und Nachsicht bei der Aufnahme vieler neuer Mitglieder, die oft
aus Rücksichten auf eins der älteren ratbsam — oder wegen sonst zu gehäufter be-
stimmter Arbeiten nothwendiger war, enstanden die meisten Mängel der Gesellschaft.
Durch Ereiwilligkeit der Arbeit, wobei man in einer kleinen || und für sich selbst
mit Interesse und Achtung beseelten Gesellschaft, keine Gefahr laufen würde, —
könnten diese ünbequemhchkeiten am ersten gehoben werden. — — Doch darüber
wage ich izt nicht mehr abzusprechen. Du mußt das ja am besten an Ort und Stelle
beurtheilen können.
Darf es mich wundern, daß das alles Dich verstimmt und unruhig gemacht
hat, da schon die lebhafte Beschäftigung mit diesen Ideen mich so verstimmte, daß
ich erst ein paaiTnal im Garten umher laufen und nach den Thürmen von Hamburg
sehen mußte, ehe ich wieder mich an den Tisch setzen konnte. — Alles Nicht-Ich
scheint sich ja verschworen zu haben Dich, mein Theurer, unbehaglich zu machen,
— mit Deinem Körper hattest Du immer zu kämpfen — sollten nun auch noch
äußere Verhältnisse hinzukommen? — Aber freue Dich — daß Du Kraft in Dir
selbst hast um das alles zu bezwingen und Dein Haupt aus den "Wellen empor-
zuheben. — Ja ich erkenne Dich — Du bists noch; reiner Sinn für jede Freude,
und Gefallen an allem Schönen lebt immer in Dir. — Deine ledernen Hosen und
Sporen und Deine englischen Tänze haben mir eben so viel Freude gemacht, mich
eben so in Dein "Wesen und Seyn einen Blick thun lassen, als Deine edelsten Worte,
Deine, schönsten Gedanken. So hab ich Dich Heb gewonnen; das "Walzen, das Du
damals lerntest, machte Dir Spaß — Du freutest Dich an der Hoheit uüd Schönheit
Deiner Dianenherme — und verlorst Dich in die tiefsten Speculatiouen über Seyn
und Nicht Seyn. Für alles Menschliche war in Deinem Herzen ein Berührungs-
punkt. Darum lieble ich Dich; — aber nicht nur: ich liebte Dich — — wie viele
Edle und gute Menschen hab ich nicht schon lieben müssen! — ich durfte und ich
mußte Dich auch hochachten-^ und nur das konnte mich zu Deinem Freund machen.
— In so mancher Geisteskraft mir überlegen, in so mancher Kenntniß, machte das
Herz Dir mich wieder gleich. Dir gefiel die Lebendigkeit meines Innern, so unstät
und ungerichtet sie auch, war — und ich durfte gegen Dich sie wirken lassen, denn
Du verdammtest nicht engherzig und beschränkt irgend eine Äußerung des unver-
dorbnen Menschensinnes; und darum konnte ich mich auch an Dich anschließen,
wie an keinen zuvor oder nachher — mit allen Seiten und Kräften meines "Wesens,
darum halte ich Dich noch so fest, wie je, und werde nie von Dir lassen. — Einige
solche Freunde (es ist ein großes sie gefunden zu haben) mögen dem Menschen
Nachtrag zu 1796. g.
denn zur Stütze dienen; er kann dann dreist hintreten unter die übrigen Menschen,
mit ihnen leiden und sich freuen, sie klug zu machen suchen, und von ihnen sich
bethören lassen, — er wird bei allem ziemlich ruhig seyn, denn er weiß, daß
Bessere ihn vei-stehen und lieben. — So, mein Herbart, darf ich Dir auch ohne
Furcht alles vertrauen was mir || nahe liegt, oder begegnet ist. Ich fürchte keine
Misdeutung, sondern hoffe auf Erinnerung, auf Warnung, wo sie Dir nöthig scheint.
Dein Freund ist einen Theil der Zeit die ihn von Dir trennt recht glücklich
gewesen — und zwar den größten und letzten Theil. Die Sehnsucht nach einer
Veränderung, der beschränkten und in mancher Rücksicht so zweckwidrigen Lage
des Studirenden, — nach ausgebreiteter Würksamkeit unter Menschen, und die
dadurch veranlaßte tiefe Unzufriedenheit mit mir und allen andern, die mich an-
fangs plagte, ward nach und nach abgeleitet oder gefesselt durch sanftere Bande
der Freundschaft und der Liebe, die mein Herz auch in Kiel wieder an einige
liebenswürdige und edle Menschen knüpften, und durch meine eigne Lebenskraft,
die mich selten lange ohne Stütze läßt. — Mein Herz athmete freier — es öfnete
sich den reizenden Gegenständen, den sanften Gefühlen die daßelbe wirkten; und
die Morgenröthe der Schönheit und der stillen Vernunft ging wieder in mir auf.
Ich ward wieder für alle Freuden empfänglich, obgleich die Ursache meiner Un-
zufriedenheit, die mir noch immer sehr gegründet scheint, nicht gehoben, nur palliirt
war. — Die Gegenden von Kiel sind sehr reizend, lieblicher, aber nicht so erhaben
und groß, als die von Jena: das Wesen und der Umgang der Bewohner i.st ont-
müthig. offen, und vernünftig. — meine neuen Freunde sind größtentheils frohe,
gutmüthige, treue, und gebildete Menschen; zum Theil voll reger Fülle von Natur-
genie und gefühl. — Alles dies trug dazu bei, oder vielmehr bewirkte nothwendig,
daß ich die Nachmittage und Abende des Sommers sehr angenehm meist auf dem
Lande, außer der Stadt — häufig auf den klaren Fluten der Ostsee, die Kiel an-
lockend, und sanftrauschend umspülen, — zubrachte. Bald erhielt meinen natür-
lichen Sinn wieder — und konnte wieder ernstlich an das Fortschreiten meines
Geistes denken, das mir izt einzig wichtig war. — Schon durch die Aufklärungen
des letzten halben Jahrs in Jena hatte mein ganzes Wesen und meine Thätigkeit
eine bestimmtere Richtung angenommen; meine erste Sorge war meine Zwecke mir
nochmehr zu verdeutlichen; und ich studirte die W[issensch.] L[ehre| nun mit eignem
Fleiß und eigner Thätigkeit, die mir leider oft fehlte, als ich sie mit Dir las. —
Alles erhielt izt mehrere Deutlichkeit für mich; ich drang tiefer in das Veretändniß
und den Zusammenhang, der mir vorher oft so dunkel war; und wenn ich gleich
nicht an allen Stellen dem Gange der Spekulation durch das LabjTinth der höchsten
Antithesen und Synthesen folgen konnte, so hoffe ich doch in der Hauptsache den
Genius der W. L. gefaßt zu haben. Dein Talent für die strenge Spekulation werde
ich nie besitzen, es ist eine seltne Gabe; überdem schien mir die ins uuendliche
mögliche Fortsetzung des Labyrinths von Idealismen || und Realismen auf den ver-
schiednen Reflexionspunkten für meine Zwecke noch nicht so nothwendig, dieses,
sowie die Vollendung einer deutlichen Einsicht in das Ganze der W. L., deren Ge-
schlossenheit so wie sie da ist, — und deren Einheit bei ihrer Dreispaltigkeit, wie
ichs nennen mögte, mir allerdings noch nicht einleuchten will, - bleibt dem neuen
Studium dieses Winters vorbehalten; dann werde ich dies Dir vielleicht deutlicher
atiseinandersetzen können, als ich es izt selbst einsehe.
Mein eigentliches Treiben und Streben, wie Du noch wohl weißt, war immer aufs
Praktische und auf mein Verhältniß zu mir und andern Menschen gerichtet. Dies
zu regeln und zu richten war, was mir Interesse für das Theoretische gab, das ich
immer für ein unumgängliches Erforderniß zu der Selbstständigkeit und Zweckmäßig-
3^ Nachtrag zu 1796.
keit jenes halte. So ists mir noch. Meine Empfänglichkeit und Reizbarkeit treibt
mich aus mir hinaus in die Welt — . Diese wieder auf mich zurück, Ich mich
wieder unmittelbar in die "Welt. Ich spekulire nur um zweckmäßig zu wirken;
alles also was ich auf theoretischem "Wege errungen, trage ich gleich als einen
wichtigen Schatz aufs Praktische über, wirke darnach, suche andern es mitzutheilen,
und was ich von andern empfange darnach zu ordnen. Auf diese "Weise — ich
gesteh es, bin ich ziemlich in Uebereinstimmung mit mir selbst gekommen, das
praktische Ich schlichtet völlig die nothwendigen Kämpfe des theoretischen; vielleicht
bin ich »^* unbefangen dabei; aber es genügt mir allem Geforderten nachzustreben
— dann thue ich das Memige und bin Eins mit mir, wenn ich gleich — gewiß bin
das geforderte nie zu erreichen. Aber so gewiß es ist, das das Ideal nie wird
vollendet oder aufgestellt werden, so nothwendig halte ich es doch, jeden Schritt
den wir ans ihm genähert haben, außer uns oder an uns zn realisnen; nur so kann
einst etwas ganzes werden — nur so opfern wir unsre Menschheit nicht dem Ideal
auf — . ich bedaure die Menschen die nur die Theorie vergeblich vollständig zu
machen suchen und dann im Leben so nackt und verlassen dastehn; wer wird denn
auch noch immer wirken können — ohne zugleich von außen so viel möglich nach
allen Seiten zu wirken. — Bei mir hat zum Glück der Kreis meiner Ideen so ziem-
lich den Kreis meiner Handlungen bestimmt, und gerichtet. Aber freilich fühlte
ich bald das Bedürfniß näherer Bestimmungen meiner Freiheit; zunächst also stieß
mich der Gang meines Geistes auf die besonderen Wissenschaften, die in ihrer
itzigen Gestalt so gut als gar nicht für mich da sind. — Eine besondere Ver-
anlassung kam dazu. Berger theilte mir, wie er auch Dir gethan haben wird —
seinen Plan zu einer zweckmäßigen kritischen Verbindung mit; der Gedanke ist
schön, nothwendig, und ausführbar. — Daß ich nicht die Kräfte dazu fühlte, ver-
steht sich; aber ich verzweifle an nichts; ich sagte ihm — ich woUte mich tüchtig
zu machen suchen und dann gern, Antheil an einem so edlen "Werke nehmen, das
freiüch gar manche Bedenküchkeiten und Schwierigkeiten hat, die aber billig nicht
in zu große Betrachtung kommen || sollten. (Im Vorbeigehn — ich wünsche Deine
Gedanken darüber zu hören) Dieses Unternehmen nun erfordert neben wissenschaft-
licher Bildung überhaupt, vorzügliche Rücksicht auf Kunst. Eine "Wissenschaft der-
selben war mir schon längst Bedürfniß gewesen; und ich suchte also aus meinen
eignen Fond mir den Grund zu einer zu legen. — Ich glaubte das befriedigend
gethan zu haben, ward aber so, natürlich auf die Deduktion und Anknüpfung aller
besondern "Wissenschaften geleitet. — Meine, freilich noch unausgearbeiteten Ideen
darüber — die ich selbst vielleicht in der Folge umwerfen muß, erhältst Du hiebei.
bis izt noch scheinen sie mir nothwendig. aber ich hänge nicht ängstlich an irgend
einer Idee. Was ist denn auch unser Wissen und Wirken als von einem Stand-
punkt auf den andern sich stellen — Bauen und Einreißen?
Die übrigen Beschäftigungen meines Geistes bestanden meistens in dem Genuß
und dem Studio, so wie es mir niöghch war — treflicher Kunstwerke, und Geistes-
produkte. Mehr zu leisten war mir unmöglich denn, wisse, ich hörte die Pandekten
und ein andres Collegium von 7—10 Uhr. Dann war ich abgespannt und unlustig;
dazu schien nun die Sonne unerträglich heiß bis zum Abend auf mein Zimmer, —
so daß ich oft darum allein es meiden mußte — manche gute Idee — und alle Er-
quickung und Erhebung ward mir auch im Freien. Dieser Winter soll mir das
wieder einbringen. Fichte, Schiller, womöglich Kant sollen meinen Geist beschäftigen;
Eine der ersten Arbeiten wird das Studium Schellings seyn, auf den mich die mir
von Dir gegebne äußerst interessante und wichtige Ansicht sehr begierig macht. —
Die eigenthche Kunst werde ich auch soviel möglich — sowohl redende als bildende —
Nachtrag zu 1797. 85
unter den treflichen Meistern Lessing, Winkelmann etc. etc. studiren ; aber mehr
noch — ich will nach meinen eignen Grundsätzen auch soviel ich kann, davon aus-
üben. Mit der Musik, die ich am liebsten gewählt hätte ists für mich wohl in
vollem Ernst schon zu spät, aber zeichnen tvill ich lernen — und. — lächle immer
und freue Dich — tanzen ! — und so nach und nach mehr. — Ich bin entschlossen
den ganzen Morgen völlig für mich zu haben, und da kann ich ziemlich viel aus-
richten. —
Herzlichen Dank Dir, bester Herbart, für das Übrige, was Du mir von Deinen
Arbeiten schickst. — es hatte ungemeines Interesse für mich — besonders der schöne
„Augenblick Deines Lebens".^) Ebenso das was Du über meinen Dir geschickten
Aufsatz*) sagst. Ich erwarte die Fortsetzung mit Ungeduld. — wahrscheinlich ist
auf meinen itzigen Gesichtspunkt manches unhaltbare darin; aber gewiß auch viel
Wahres, denn damals war ich völlig überzeugt davon. — Wir reden weiter darüber. —
Gries hätte gut gethan mir seine Xritik zu senden; ich brauchte sie am ersten; aber
er schreibt mir nicht — und izt würd' ich auch fürchten, einen Brief von ihm zu
erhalten.
Und nun zum Schluß des Gemäldes muß ich Dir noch sagen, Du trauter
Freund, daß ich mich wieder in der Heimath glücklichen Gefilden befinde — und
recht in meinem Element lebe, Liebe und Freude, und alles Gute und Schöne, von
Menschen aller Art zu empfangen und ganz zu geben — so viel ich nur vermag. —
Wann willst denn Du einmal wieder glücklich seyn — ? — Wann sollen wir uns
wieder sehn? Lebe wohl Dein J. R[ist.]
725. E.V. Bergerund Hülsen an H. (lOS. 4». N.) Zürich Uten Jana. 1797
Endlich also, Heber Herbart, ist meine Feder in Bewegung. Könntest Du
sehen, wie unthätig sie überhaupt diesen Winter daliegt, Du wüi-dest Dich über
mein langes Stillschweigen weniger wundern. Stillschweigen — so sollte es eigentlich
nicht heißen. Die Feder spricht doch nicht. Eher spricht der Geist, wenn er Ge-
danken an einen Freund bewegt und das that der meine oft und immer an Dich.
Und wenn vollends 2 Freunde beisammen sind, da wird doch wohl über den Ab-
wesenden und an den Abwesenden gesprochen! Dein Brief gab uns eine solche
Freude Hülsen und mir! Er kam spät, und kam doch gleich nach unserm letzten
Händedruck beim Thüringerwald ! Denn er war wie dieser Händedruck — und ich
reiche Dir hier auch wieder meine Hand und lasse die Feder fallen.
Tausend tausend Gedanken schweifen umher in meiner Seele, als Antworten auf
die Deinen. Wie mache ich es, daß Du zwei oder drei davon zu Gesichte be-
kommst? Sie müssen aber doch wohl durch ein geistiges Band in einander gewebt
seyn, und so will ich nur frei imd ohne Richtung fortdenken und fortschreiten,
und wenn nicht alle Götter zürnen erhältst Du doch wohl einige lebendige Funken
meines Daseyns. Ich will Dir aber, ehe ich weiter schreibe, gleich sagen, daß ich
wohl wahrscheinlich mehr auf Deinen Brief als auf den beigefügten Aufsatz ant-
worten werde. Welches von beiden liegt Dir selbst wohl mehr am Herzen?
— Ich hätte gi-oße Lust über so einen Brief und über so einen Philos. Aufsatz
und über beide in ihrem Yerhältniß zu einander viel schönes und beherzenswerthes
zu Philosoph Iren. Aber da ist eine Stelle in Deinem Briefe: wenn wir nur über
die Philosophischen Principien einig werden könnten; und eine andre. Du er-
waitest von uns nicht i-oti der Theorie an den goldncn Baum des Lebens ver-
tciesen xu tverden. — Wenn Du mich jetzt sähest, lieber || Herbart, Du würdest
1) Vgl. Bd. L S. 34 f.
-) Vgl. Bd. 1, S. LXXII, S. 5, 362 ff.
86 Nachtrag zu 1797.
Dich vielleicht in mir nicht mehr zu finden wissen — und doch solltest Du es
bald, so denke ich, wenn wir nur viele Tage nach einander beisammen wären.
Ich lese nicht in Kant, noch in Fichte noch in Hülsen noch in Schelling, seit ich
hier bin und lasse alle meine angefangenen Systeme im Pult ruhig liegen ohne sie
anzusehen, und bin über den ersten Grundsatz der Philos. in der seligsten Ruhe,
und doch, meine ich, würden wir uns bald und klar verstehen. Ich sorge durchaus
nicht um einen Wirkungskreis, und habe es auch nicht nöthig, weil ich mitten in
diesem Kreise inne stehe und auch in ihm wirke. Ich setze so großes Vertrauen in
mich selbst wie in irgend einen andern. Meine Ahndungen sind keine Träume,
sondern alle Tage hellere und mächtigere Wahrheiten und Wirklichkeiten. Kein
Etwas will ich seyn, sondern ein Alles, und weder ein Großes noch ein Kleines,
sondern ein Unendliches, wie die Welt, welches ich auch zuweilen wirkHch bin,
nur nicht immer. Ueber den politischen Stempel habe ich vollkommen mit meinem
Geist abgeredet, und erkenne ihn für sündliche Abgötterei. Am wenigsten würde
ich mich zu einem Lehrer, und am allerwenigsten zu einem Lehrer der Philosophie
stempeln lassen. In meinem 60sten Jahre werde ich mit Dir und mit allen meinen
Freunden ins Grüne wandern und mich freuen des Vielen Nützlichen was wir oder
doch die Menschen überhaupt auf dieser Welt zurücklassen, wenn ihre Augen sich
schließen. — Lauter Gedanken, lieber Herbart, von denen ziemlich das Gegentheil
in Deinem Briefe steht — und doch — ich sage es wieder — wir würden uns bald
und klar verstehen. Ich kann es also nicht lassen, über die Theorie und über den
Lebensbaum zu sagen, was ich nun sage:
Theorie heißt Beschauung. Beschauung aber ist das Wesen des || Menschen,
und ist sein Leben: Die Beschauung nämlich, durch die der Gegenstand zugleich
ist und wird. Wenn Du unter Theorie das Gleiche verstehst, so grüßen wir uns,
Kreund! unser Wesen ist für die Ewigkeit Eins. Ob wir das Gleiche darunter ver-
stehen? So viel ist gewiß, über mein Icli das schaut^ habe ich Dir nichts weiter
zu sagen, weil es eben das Einzige ist, ivorüber sich nichts weiter sagen läßt.
Über den Gegenstand., den wir beide beschauen das ist etwas anders! Alle Philo-
sophie als Thätigkeit unseres Geistes betrachtet, ist dieselbe, ist Versuch die Welt
anzuschauen. Die Verschiedenheit, der Qr-ad ihrer Wahrheit und Uebereinstimmung
liegt im Gegenstand, in der hervorgebrachten Natur. Frage einen Bauern, einen recht
einfältigen, über irgend einen Gegenstand des Wissens. Ich denke was er Dir ant-
wortet, wird Dir ihn gleich von dem Gehörnten Gesellen da, der seinen Pflug zieht,
deutlich genug unterscheiden. Freue Dich Lieber. Der arme Bauer denkt also
doch. Darin seyd ihr Eins. In dem, tvas ihr denkt, seyd ihr freilich weit — weit
auseinander. Alles kömmt nun darauf au, welches von beiden denn am Ende
entscheidet, das, worin ihr Eins, das worin ihr verschieden seyd. Ich meine, jenes.
— Du wolltest uns, schreibst Du, noch etwas mittheilen über die Bestimmung —
des Raums; erst aber müßtest Du sehen, welche von beiden Partheien ihr System auf-
opfern werde. Lieber, lieber Herbart — in jeder, jeder Minute meines Daseyns
macht ein System in mir einem neuen und schönern Platz. Willst Du es kennen?
Es ist die unendliche Welt. Die sucht mein Gedanke hervorzubringen ob er es
gleich nie vollenden wird. Alles opfere ich auf, was || Du willst — und was sich
aufgeben läßt. Hätte ich .aber einst etwas hervorgebracht, das wirklich Ewigkeit
hätte — da brauchte ich es denn auch weiter nicht zu schützen, es würde sich
selbst schützen. Die Quelle dieses Allen aber, die schaffende Kraft, meinen Gedanken,
oder mich^ wenn Du willst, kann ich nicht einmal aufopfern wenn ich auch wollte.
Wenn ich kein Wort ■ sage oder schreibe, treibe ich mein Wesen vielleicht gerade
am ärgsten. Ich möchte jedem rathen keine Bücher zu schreiben, dem es um freie
Nachtrag zu 1797. 87
und ewige ßlikko in die Welt zu thun ist! Mao könnte mir auch mit einem Hammer
ein wenig auf den Kopf schlagen — denn viel brauchts für eine Menschenstirue
nicht — da sagte ich denn gewiß kein "Wort mehr das in dieser Ohrenwelt zu
hören wäre. "Was ich sonst wo noch sagte — und also dächte — würde kein
Mensch wissen. Es ist mein voller Ernst, lieber Herbart — wir peinigen uns ohne
Noth. In jedem Menschen ist ein ewiges Sehnen und Ringen nach einem all-
mächtigen Gedanken, und dies Sehnen und Ringen löst sich am Ende in diesen
allmächtigen Gedanken wirklich auf. Nimm den ersten den besten und sieh ihm
ins A.uge. Nimm dann auch uns, die wir zusammen waren und die wir so immer
unsre jung feurigen Gedanken umher sandten durch die wirklichen Sterne am
Himmel und durch die vorgeblichen Sterne und Hoheiten unter den Menschen und
durch die neue tragikomische Republik mit den fünf Sternen über den Ufern der
Seine — warum so kleinmüthig, oder sind wir etwa groß- und /wcÄ-müthig? Frei-
müthig soll der Mensch seyn, freien Muth soll er haben — || also auch freien philo-
sophischen Muth. Gewiß, Du hast darin zu wenig Ruhe. Mir ist's ein schöner
und fruchtbarer Gedanke, daß alle und jede endliche Vernunft nothwendig, weil sie
Vernunft ist, sich erweitern und stärken müsse zur unendlichen, die Schöpferin
des Weltalls und der Menschen ist. Ich weiß wohl, daß das nun eben geschehen
sollte, und Da kannst mit Recht fodern von dieser Weisheit und diesem ewigen
Wissen denn etwas zu sehen. Aber siehst denn Du wirklich nichts? Ich sehe,
dünkt mich, viel — und ich selbst so scheints mir, ergreife nie mehr Wahrheit,
als wenn ich am unbefangensten bin und am wenigsten suche. Wunderbar! Der
Geist treibt sich und findet nichts, und kaum einen Trost. Er ist still und fühlt
sich nicht — da fliegen die Sonnen um ihn hin und verherrlichen ihn. Die un-
endliche Schöpfung singt ihm Lob. — Was liegt nicht — um wieder die Sonnen
und die Welt zu vergessen so schwer es mir wird, denn ich soll mit einem Wort
von 7 Buchstaben zu thun haben, das sich auf dem Papier durchaus nicht schön
ausnimmt — was liegt nicht für reine AVeisheit in dem Wort Theorie in seiner
ersten Sprachbedeutung; und wie schändlich haben es uns die Mönche und ihre
Nachkommen die deutschen Professoren der Philosophie — ich frage jeden ver-
nünftigen Menschen ob es etwas seltsameres geben könne als eine Professur der
Weltweisweit in terminis — wie schändlich und süudlich haben sie es uns ver-
dorben! Denke ich vollends an die Distinktion || zwischen der Theorie und der Praxis,
und namentlich au diese selbe in Niethammer und seinem Journal, so klappern mir die
Zähne (welches jetzt gar ein großes Unglück für mich ist, weil sie mir seit einiger
Zeit viel Schmerzen machen und erbärmlich stumpf und wund sind). Ich wende
mich aber geschwind gegen den Baum des Lebens, dessen herlicher Anblick mein
Pieber sogleich wegjagt! Du hast ihn zweimal in Deinem Brief geschrieben und ich
nun auch und nun wollen wir ihn besingen. Aber die Theorie muß im Liede auch
vorkommen, oder wenn Du lieber willst, unser Lied muß selbst eine Theorie des
Baumes vom ewigen Leben seyn. Ich liebe diesen Gedanken und übergebe ihn
Deiner Liebe. — Unter Theorie verstehe ich das bloße Sehen meines leiblichen
Auges. Du weist es. Gegen Deine Einwendungen baue ich diese Mauer: mein
leibliches Auge ist zugleich ein geistiges, welches daraus folgt, daß ich in meinem
Körper ein Geist bin. Ich habe präludirt, Lieber, und mein Lied fällt ein.
Alle Wesen der grünbekränzten Erde tanzen in fröhlicher Reihe um seinen
himmlischen Wuchs. Es fehlt keines, keines aus dem unendlichen Umkreis. Sein
stolzer Wipfel winkt weit umher und seine stille Umschattung kühlt jeder Stirne
Glühen. Seines Lebens ätherischer Duft fliegt auf Zephyrschwingen durch alle
Himmel und durch jedes blühende Thal im Schutz der prangenden Berge. In
88 Nachtrag zu 1797.
finstren Höhlen weckt er die hingebeugte Schwermuth; sie wandelt mit auf-
gerichtetem II Haupt zu seinem Feste; im ewigen Tanz der Freude lächelt ihr Blick.
Durch des Baumes liebende Zweige tönen die Stimmen der Ewigen, es schimmert
heller die Blüthe und milder ruhet das Grün. Sieh, wie Blikke ihn lieben. Blikke
des Geistes der Welt! Sie schufen seine Herrlichkeit, und sie umschattet und
kränzt den Geist der sie schuf. Der Blick, der liebend sie rief, den ergötzet und
rühret sie. Wo warst du. Blick, als die umkränzte Welt in dir nicht lebte? AVo
warst du prangende Welt, als nicht der Blick dich umfing? — —
Ich habe doch nichts gesungen. Lieber. Meine Kehle ist todt und verstimmt.
Ich habe nur etwas geschrieben, und gesagt es sey ein Lied. So kann der Mensch
Dinge, die eigentlich kein vernünftiger Mensch träumen sollte. Denke Dir die
Träume eines Menschen, wie wir leider keine sind! Welche Hebliche Sache! Ich
lobe mir die Träume! — Alles recht überlegt, der Theoretiker, und so etwas bin
ich auch so gut als Du, der Theoretiker also leht doch wohl immer fort in und
während seiner Theorie? Du räumst es ein. Ich möchte also fragen, was Dich
denn Deine Freunde, die lebenden, an jenen himmlischen Baum, Bich^ den lebenden,
erst zu verweisen brauchen? Trinkst Du doch stündlich seinen Balsam! Ich weis
wohl, was Du meinst, und habe auch darüber ein Wörtchen auf der Zunge. Von
dem vielen und verwickelten Leben, das man Welt zu nennen pflegt, von dem
vielen Thun und Genießen etc. soll die Rede seyn. Da meine ich aber auch, daß
um II aller Götter willen davon die Rede seyn müsse und nicht blos die Rede. Nur
das Ding gerade und natürlich genommen. Ich für mich greife seit einiger Zeit
nach Leben, wie ein Hungriger, und fühle deutlich daß Leben ohne Leben Tod ist.
Was man da vor Augen sieht ist nun nicht gerade, was ich am nöthigsten brauche,
sondern folgendes ist es: Ich selbst mit meinem Körper und seinen Theilen und
Oliedern^ wie man zu sagen pflegt. Mich will ich vor allen Dingen recht haben
und fühlen, — und also sehen (etwas 'schönes) hören und singen., was immer
zusammengehört dann springen tanzen, schwimmen, Traubensaft u. s. w. — So
alleine bin ich nun aber auch nichts; Ich will auch herzlich lieben und dann
eine schöne Hütte bauen. Aber da brauche ich nicht weiter zu gehen. Ueber
nichts sind vernünftige Menschen einiger als über die Liebe. Mit dem übrigen
bin ich bald fertig: Ich will die Sterne kennen und ihre Bahnen. Ich will die Erde
betrachten und sie mit meiner Hand abbilden. Die unendlicJien Thiergeschlechter,
die schattenden Bäume, die schmükkenden Blumen. Luft und Feuer und Wasser
will ich untersuchen. Ueber die Menschen habe ich eigentlich die wenigste Sorge.
Es sind alle meine Freunde und sie thun alle dasselbe, was ich thue. Dieser und
jener Nachbar stößt mich zwar zuweilen an den Arm und fragt: „was machst Du
da in Deiner Hütte? Wir machen das alles anders. In meiner Werkstatt mußt
Du die Kunst lernen." Ich lache dann oder weine: Der arme Mann geht in Ge-
danken und stört meinen Frieden. Aber Friede über ihn und über mich! Die
Götter werden uns schützen und schützen uns.
Ich habe Dir etwas über das Leben gesagt. Du verstehst mich. Ein armer
und willkührlicher. Stoff ist für den Denkenden das größte Unglück. Ich hab' es
gefühlt. II
Und hier komme ick denn auch an das: tvie gehts Dir? das uns in Deinem
Briefe so viel Freude machte. Ich will Dir etwas von unserm Thun und Lassen
erzählen. — Was mich angeht, so muß ich von mir sagen seit einiger Zeit: ich
athme auf lebe auf. Es ist buchstäblich wahr. Ich war immer ziemlich gesund
und hatte also nur 'so gerade fortleben können. Aber wie konnte ich? Meine
Phantasie, meine Vernunft oder wie Du es nennen willst, schuf immer Ungeheuer,
Nachtrag zu 1797. 8q
Chimären. "VN'ie lebt sichs in solcher Gesellschaft! Es fehlte mir durchaus an
natürlichem Muth zum Leben. Nur in meiner Chimärenwelt war ich ein Held,
und freilich ein stattlicher. Wie wohl that mir die Reise, und besonders jetxt^ da
ich recht zusehe, wie schön alles ist, und da ich unter einigen guten Menschen so
herzlich froh seyn kann. Es sind holde Freundinnen und sie sind weiser als alle
wir Theoretiker. Ich hörte es oft sagen — aber so etwas muB man selbst fühlen.
— Meine Beschäftigung wenn ich allein bin, ist mein Fortepiano — aber leider
Gottes meine Finger wollen nichts Rechtes lernen so lebendig ichs fühle! — und
dann Bäume und Menschengestalten, die ich nachzubilden versuche. Die Kunst
öfnet doch erst recht die Schranken des Lebens. Der Mensch soll Schöpfer einer
Welt seyn. In den Paragraphen da schaft man auch Sachen! Wie man nur darauf
gekommen ist! Doch das muß auch seine Bedeutung haben. Ich weis nicht ob ich
noch etwas für den Sinn — Aug und Ohr — zur Wirklichkeit bringe. Aber ich
weis doch daß ich es begehre und das bloße Bedürfniß schon ist mir unendlich
viel mehr als mein vormaliger eingebildeter Reichthum. Ich wandre nun künftigen
Sommer noch recht in der schönen Schweiz umher, und kehre dann zu einem
guten Vater zurück, dem ]] ich nah leben möchte. Ich hoffe mich durch kluge
Beschränkung und durch die hülfreiche Hand der Freundschaft von der Staats-
gewalt unabhängig erhalten zu können, und werde mich am wenigsten über einen
Wirkungskreis ängstigen. Ist er doch überall wo Menschen sind. Es ist das auch
eins von den pralenden Worten ohne Sinn und Inhalt. Wir sehen uns dann wohl
noch im Herbst in Deutschland.
Wenn dies Blatt vollgeschrieben ist, sende ich den Brief an Hülsen, der denn
wohl etwas beilegt und von sich erzählt. Mit seinen Vorlesungen ists nichts ge-
worden, und mir ists recht. Doch — er wird noch vorlesen in Zürch in einer
großen Gesellschaft von Damen und Herren, die sich alle Woche einmal von ver-
schiedenen Gelehrten vorlesen läßt. Es heißt sogar, ein junges hübsches Mädchen
werde auch vorlesen. Ich kenne die Grazie und habe sie 3 mal am Arme geführt
und einmal im Mondschein. Ob ich in sie verliebt bin, wollte ich Dir wohl sagen.
Aber ich weis es selber nicht, und so kannst Du nichts mehr fodern. Rist und
ich korrespondiren fleißig über die Liebe, und werden uns nächstens an Einem Tage
beide todtschießen, er am Ufer des tobenden Meeres und ich in einer Berghöhle. —
Lieber Herbart, ich habe die Beurtheilung von ScheUing*) mit Aufmerksamkeit
gelesen, und wie ich glaube oft Wahrheit darin gefunden, besonders in Hinsicht einer
gewissen leeren Unendlichkeit^ die mir in S's Schrift zu herrschen scheint. Im
Ganzen aber macht, wie ich glaube, Dein freier und kühner Geist, ich weis nicht
durch welchen Zauber, zu viel Umwege, und beunruhigt sich ohne Noth. Ich
möchte Dir immer zurufen: Du hast es ja, sey umfrieden'. — Meine Philos. geht
nun einmal von keinem ISatxe aus, sondern von mir, und anders, denk ich kann es
keiner machen. — Daß ich Dir übrigens eine andre Antwort auf Deinen Aufsatz
schuldig bleibe, versteht sich. Nur für heute sey zufiieden.
Ich grüße Steck und Fischer herzlich, bis im Aug. oder Septbr. bleibe ich in
ihrem schönen Lande, wenn sie etwa binnen der Zeit heimkehrten, und mich in
Zürich aufsuchen wollten. — Ich grüße noch alle übrigen Freunde die noch bei-
sammen sind. Sag mir doch auch etwas von Smidt. Du, Boehlendorff kömmst
doch gewiß, wenn die Bäume grünen? Schreibe mir doch zuvor. Im Hause, wo
ich wohne, wäre gerade für Euch 3 Freunde Platz, wenn Ihr den Sommer lieber
in Zürch bliebet. Ich bliebe dann auch wenigstens einen guten Theil des Sommers
hier. 0 kommt doch, ohne Fehl. — Schreib bald Herbart, und laß uns beide
I
^) S. Bd. I, S. 12 ff.
QO Nachtrag zu 1797.
fleißiger seyn. Ich schließe den Brief und habe so wenig gesagt. Ich glaube einen
schönen Lebensplan zu haben und möchte von Dir gerne ganz verstanden werden
und mit Dir übereinstimmen. Leb wohl. Grüß Fichte Dein E. Berger.
[Am Rande:] Schreibe mir unter der Adresse der Geßner sehen Buchhandlung.
— Solltest Du Jena vor meiner Zurückkunft verlassen, so übergiebst du wohl die
zurückgelassenen Bücher einem sichern Mann.
725b. Einlage von Hülsen an Herhart. Lieber Herbart; Sey mir noch besonders
herzlich gegrüßt! und nimm meinen Dank für Deine gegenwärtige Beschäftigung
mit meinem Buche. ^) Ich höre nehmlich von Gries, daß es in Deinen Händen ist.
Nun darf ich also wol bald Deine Bemerkungen ei-warten. Ist es wahr, daß Fichte
■damit zufrieden ist, so bin ich etwas || getröstet. Als ich einliegenden Brief schrieb,
wußte ich das noch nicht. So bald ich wieder arbeite, sollst Du von mir erhalten.
Aber erst Deine Bemerkungen! Sie sind mir gewiß in mehr als einer Eücksicht
wichtig. Schreib bald. Ich hätte Dir einen besonders langen Brief geschickt,
"wenn wir heute nicht gerade auszögen, und die Post warten wollte. Adieu
Hülsen.
726. Smidt an H. (4 S. 4«. N.) Nur zum Teil hier gedruckt.
Bremen d. 16 t Februar 1797 Abends
Lieber bestei' Herbart! Auch ohne ausdrückliche Erinnerung daran sagte mirs
die erste Hälfte Deines heutigen Briefes deutlich genug, daß ichs nur gar zu lange
versäumt haben muß an Dich zu schreiben — Was ich da nicht alles von mir zu
lesen bekam — Kaum daß ich mich selbst drin erkennen konnte — Ich der ich
mich jetzt so gesund so lebendig so kraftvoll fühle wie Du mich vieleicht nie in
Jena gesehen hast, soll mit Schwindsuchtsideen schwanger gehen, auf das Bergsteigen
resigniren, nach "Wind und Luft und Wetter sehen und mir von einem CoUegium
medicum ein Bedenken darüber ertheilen . lassen — obs wohl rathsam für mich sey
in die Schweiz zu reisen — Meine Augenkrankheit soll mir vielleicht ein wichtiges
llinderniß seyn — und nie sind meine Augen seit der Dresdener Reise besser ge-
wesen wie gerade jetzt. Habe ich doch seit November so manchen Octav- und
Quartanten durchlesen müssen — um von vier Wochen zu vier Wochen unser
Museum mit meinen Vorlesungen über die Geschichte der Jesuiten unterhalten zu
können — und kein Rückfall hat mich im vorigen Sommer belehrt daß ich so etwas
noch nicht wagen dürfe. — Endlich bemühst Du Dich mich zu etwas zu bereden
— indem ich im nämlichen Augenblick alle Gründe aufsuche, durch die ich Dich
dazu willig zu machen versuchen will. —
Kurz lieber H. ich freue mich und bin fröhlich daß die Sachen so stehen und
Du wirsts auch seyn wenn ich Dich anders kenne. Wärst Du doch hier gewesen
diesen Morgen und hättest es gesehen wie ich auf meiner Stube herumsprang, die
Feder zum schreiben |i in die Hand nahm und vor Jubel nicht dazu kommen konnte.
Große Lust hatte ich meinen Stab zu ergreifen, über Feld zu wandern und vor
Abend nicht wieder heim zu kehren — aber euere Aufträge hielten mich und es
erschien auch gleich ein Eilbote der mich nach Langes Haus citirte, — unterwegs
traf mich ein zweyter der mir L — s Brief an seine Eltern bringen sollte — ich
wußte nicht wie ich sie gestimmt finden würde, aber meine Stimmung war so daß
es mir unmöglich schien daß mir heute irgend etwas fehl schlagen könnte. Und
so gings denn auch — in weniger als 5 Minuten war die Sache entschieden. Wir
können nicht darüber urtheilen, sagten sie und fragten ob ich den Vorschlag billige.
— Nach meiner Ansicht antwortete ich wird der Aufenthalt in der Schweiz zu
') S. 0. Bd. I der Briefe S. 31.
Nachtrag zu 1797. gi
Ihres Sohnes Vortheil gereichen, wenn ich Ihnen meine Gründe näher darlege so
werden Sie wahrscheinlich eben so urtheilen. — Könnten Sie mir das glauben auch
ohne sogleich zu schauen — so sollten Sie lieber jetzt noch ein paar Zeilen schreiben
da die Post gleich abgeht — und Ihren Sohn durch Ihre Einwilligung aus der Ver-
legenheit reißen — hernach sprechen wir weiter darüber — das war ein gewagtei'
Schritt — aber er glückte — "Was die 700 Thl. betrifft und den verlängerten
Aufenthalt in Bern, so will ich das alles schon machen — Lange kann sich getrost drauf
verlassen — daß seine Eltern nicht bloß nachgeben sondern auch billigen werden, jj
Du beurtheilst Langen sehr richtig . . .
727. G. A. von Halem an H. (4 S. S".) Old. 1797 März 14
Ich höre diesen Morgen von Ihrem Herrn Vater daß Sie diesen bevorstehenden
Sommer die große Natur in ihrer Werkstatt aufsuchen wollen. Von Herzen Glück
dazu! Bios die Erinnerung an die hehren Scenen, die den fühlenden dort um-
drängen, blos die Erinnerung belebt mich und hebt meinen Geist über die Urkunden-
Siegel und den Acten-Staub auf die Höhen des Albis und des Saleve. Wie er-
quickend für Geist und Körper wird Ihnen, liebster! dann die Wirklichkeit seyn!
In Zürich sehen Sie gewiß den verehrungswürdigen Hirzel. Sagen Sie ihm, daß
ich über seine ausgebhebene Antwort auf meinen letzten Brief nicht zürne, sond.
traure. Für Lavatern würd' ich Ihnen Geld mitgeben (denn ich bin wegen der
Hand. Bibliothek in seiner Schuld) wenn Sie direct von hier gingen. Ich bin be-
^orig, welche Wirkung er auf Sie machen werde. Von irgend einem Flecke aus
der Schweiz ein Briefchen von Ihnen zu || empfangen, würde mir Freude machen.
Ich wünschte, daß meine — oft flüchtigen Reise-Briefe Sie daran erinnerten. Dann
hätten sie doch ihr Verdienst.
Die Versuche über die Krumme Linie^ auf die Hellwag begierig ist, bleiben
mm wohl hegen; so wie die Fichtische Philosophie unterm Cataracten - Donner
schweigen wird. F— s Naturrecht habe ich noch nicht gelesen. Was Wrede mir
von den Ephoren sagt, läßt mich vermuthen, daß sie ungefähr die von Siej-es^)
vorgeschlagene jurie constitutionnaire ausmachen sollen. SchHmm nur, daß alle
solche Stellen doch von Menschen bekleidet werden, und also jede Einrichtung den
Mißbrauchen unterworfen sind. Sollen die Ephoren kräftig über die Constitution
wachen kö7inen, so sind sie die Herren. Doch was Sieyes und Fichte sagen ist
immer äußerst der Beherzigung weith. Von Kants Naturrecht las ich die letzte Hälfte
mit unendl. Interesse. Gesichert hinter der Aegide seines Systems über die Unrecht-
mäßigkeit jeder Insurrection, sagt er die herrhchsten Wahrheiten, die nirgends
so 11 kurz und so bündig zusammengestellt sind. Beredter, oh nil supra, stehn sie
freyüch schon großentheils in Fichtes erstem Buche über die Fr. ßevol.. einem
Buche, was ich außerordentlich schätze.
Die Utt. Z. hat in den letztverwichenen Monaten sich mit mir beschäftiget.
Sind Sie mit der Critik der Poesie und Prosa zufrieden? Der E. versteht ziemlich
mit der einen Hand zu nehmen was er mit der andern gab. In Schlegels Critik
üb. Vossens Homer ist wie ich nicht läugne, manches mit meiner Vorstellung über-
einstimmend ; und der Gedanke, daß wenn sich das Vorzügliche der zweyten Voßischen
Übers, der Od. mit der gröfeern Simplicität in Ton und Sprache, so in der ersten
herrscht vereinigen ließe, ein vollkommenes Werk entstehen würde, ist mir aus
dem Herzen geschrieben. Ich habe Voßen redlich vor den Verrenkungen, die er
mit imsrer Sprache vornimmt, gewarnt. Er hat nicht hören wollen. Nun ist
Theokrit unter der Bracke. — Ad voceiii Theokrit fällt mir Geßner ein. Suchen Sie
1) E. J. Sieyes (1748—1836), franz. Staatsmann.
Q2 Nachtrag zu 1797.
doch, ja in Zürich seine Zeichnungen, davon jede eine Idylle ist, zu sehen. Große
Compositionen von Raphael, Lebrun, Wouwerman[s] sind mir nicht so lebendig im
Andenken geblieben, als diese gemahlten Idyllen. ||
Ihre Frau Mutter, der ich meinen ßespect bezeuge werden wir also um Ostern
wieder sehen. Mit welcher freudigen Empfindung wird sie ihren genesenen Sohn
verlassen! Mit welchem "Vergnügen werden wir gemeinschaftl. ihn auf seinem
schönen Alpenzuge begleiten! Herzlich der Ihre Halem.
728. Zu Herbarts Aufenthalt in der Schweiz teilt R. Steck im Berner
Taschenbuch aufs Jahr 1900 S. 29 u. 50 aus den Aufzeichnungen Karl von Steigers^)
noch folgendes mit:
„Erst im Frühling 1797, als Herbart, der spätere Professor und berühmte
Philosoph, von Jena her als Hauslehrer bei uns eintraf, kam ein anderes, ein regeres
Leben in unsern Unterricht. Er wußte denselben so interessant zu machen, daß
die Zöglinge den größten Nutzen davon hatten. Mit mir, damals 9^/^ Jahr und
Rudolf 7 Vo J^i-hi" 3.1t, machte er den ersten Versuch mit dem Griechischen und zwar
sogleich mit der Odyssee anzufangen, was auch vollkommen gelang, worauf der
Hesiod folgte. Mich ließ er viel Mathematik treiben und las mit mir u. a. den.
Kriton , das Symposion, die Apologie und Phädon von Plato, den Philoktet von
Sophokles u. s. w. Auch lehrte er uns Chemie und zwar zugleich praktisch mittelst
eines kleinen Apparates. Die Arbeitsstunden begannen im Sommer um 5 und im
Winter um 6 Uhr. Herbart war nicht bloß Lehrer, sondern mehr noch eigentlicher
Erzieher und zwar nach der Methode des Sokrates, indem er nicht eintrichterte,
sondern die Intelligenz der Zöglinge vorzüglich weckte und sich so von selbst ent-
wickeln ließ." — — — —
„Alle diese großen und kleinen Ereignisse hatten indessen den Studien keinen
Eintrag gethan. Allein als eben alles im besten Zuge war, wurde unser vortrefflicher
Lehrer Herbart unglücklicherweise Ende des Jahres 1799 nach Hause berufen, was
besonders auf mich wie ein Donnerschlag wirkte. Er blieb jedoch in fortwährendem
Briefwechsel mit mir und suchte aus der Ferne auf meine Bildung einzuwirken.
Ich mußte ihm mathematische Aufgaben lösen und Aufsätze über Werke von Plato,
Xenophon, Plutarch, Herodot und andern Klassikern zusenden. Pestalozzi kam oft
zu Herbart. '^) Nach des letzteren Abreise brachte ich ihm nach Burgdorf einen
schriftlichen Aufsatz desselben, wo ich aufs freundschaftlichste aufgenommen wurde
und den ganzen Tag zubringen mußte." ^)
Von Hrn. Prof. Dr. Steck in Bern erhielt ich nach Drucklegung des 1. Bandes
noch einige Angaben über Familien in Bern, die in Herbart's Briefwechsel vor-
kommen und hier noch mitgeteilt werden sollen:
1. ZehendeR; Albrecht Nikiaus, verheiratet mit Marianne v. Graffenried, Kinder:
Albertine Marianne, geb. 1. August 1795, Rudolf Friedrich, geb. 21. Febr. 1797,
Bernhard, geb. 7. Juni 1800, flSOl, Karl Albert, geb. 21. Jan. 1808, Marie.
Amalie, 26. März 1810, Cecilie Henriette Sophie geb. 5. April 1812.
^) Hr. Prof. "Steck hatte die Güte, sich neuerlich zu bemühen, noch mehr da-
von ans Licht zu ziehen, leider vergeblich.
*) Im Frühjahre 1793 hatte sich Fichte in Zürich mit einer Freundin der Frau
Pestalozzi, Johanna Rahn, der Nichte Klopstocks, fürs Leben verbunden. Bei dem
freundschaftlichen Verhältnis, das Herbart und seine Mutter mit dem Fichte sehen
Haus verband, wars Herbart leicht, in Pestalozzis Haus Eingang zu finden.
^) Zur Literatur ist zu ergänzen: ,,Wie kam Herbart zur Pädagogik? Eine-
kritische Studie von Dr. Jon. Kretzschmar in Leipzig." Allg. Deutsche Lehrerzeitung,
Lpzg. 1905, Nr. 14 u. 15.
Nachtrag zu 1797. q^
2. V. Frischin&, Joh. Rudolf, Herr zu Rilmligen, verh. mit Elisabeth Sophie
geb. V. Frisching. Kinder: Albrecht Karl Rudolf geb. 1791, 3. März, Alleta Sophie,
geb. 2. Febr. 1793.
8. V. SixxEE, Abraham Friedrich, Landvogt zu Wiflisburg (Avenches) verh.
mit Marianne Tscharner. Kinder; Abr. Ferd. Rudolf, geb. 10. August 1790, Albert
Friedrich Eduard, geb. 20. März 1794, (Karl Ludwig, geb. 7. Dezember 1786,
Friedlich Johann geb. 24. Mai 1784). —
729. E. von Berger an H. (6 S. 4°. N.) Lausanne 20 Jul. 97
Lieber Herbart, wie lebst Du? — Eben fiel mir Rists Schreiben an Dich in
die Hände, worin er Dir mit feiner Unterscheidung 6 nothwendige AVissenschaften
deducirt. "Wenn ich an Dich denke, so denke ich immer, daß die Welt nach und
nach durch Dich viel wissen wird, oder besser, daß Du selbst schon viel weißt, was
andre noch nicht wissen. Ich wollte schon lange etwas an Dich schreiben. Die
6 Wissenschaften geben mir heute bestimmtere Veranlassung. Ich denke Rist hat
jetzt auch selbst nicht soviel Wissenschaften^ und ich hoffe. Du und ich begegnen
uns in der Beurtheilung seines Versuchs. Die Reise öfnet sehr meinen Sinn, und
wekt in mir manche neue bessere Bedürfnisse. — Besonders aber fühle ich mich
täglich mehr zu einer recht ernsthaften, wissenschaftlichen Thätigkeit für die Zu-
kunft aufgefodert, und das wirst Du, denk ich, gerne von mir hören. Ich sehe
immer mehr, wie nur der recht thätige ganz und mit Vei"stand genießen könne, und
daß es überhaupt eins sey, ob man Ihätigkeit sagt oder Genuß. Aber je mehr ich
das sehe, und je heller ich in gewissen Augenblicken meine ganze Sphäre über-
schaue, desto schwerer wird mir auch der Anfang im Einzelnen und bestimmten.
Ich bin mit dem Wissen \\ des Wissens so ziemlich ins Reine, und sehe, daß man
sich diese Bemühung ersparen kann, und weis und begreife, daß das Auge nicht
sich selbst, sondern nur ein anderes Auge und eine Welt zwischen beiden sehen
kann. Aber in diesem Gefühle meiner Freiheit bin ich an Wirklichkeit arm, und
finde es sonderbar, daß mein ganzes Thun beinahe nur in Behandlung und Bestimmimg
und Ordnung der Zeichen der Dinge bestehen solle. Ich weis wohl, daß das Zeichen
zur Sache führt, aber dies geht oft gar zu langsam, und wir können, durch bloße
Zeichen nicht bestehen. Ich könnte zum Beispiel dahin kommen, die Welt richtig
zu mahlen, aber was sollte ich mit einer gemahlten Welt? Die Dichter sind auch
nur zu oft bloße Mahler, und die Philosophen bloße Messer. Es ist wohl gut, daß
man Zeichnungen und Risse macht. Aber es ist doch nicht genug, und es ist dem
Menschen nicht wohl dabei, wenn immer nur andre für seine täglichen natürlichen
Bedürfnisse sorgen. Ich könnte mich in diesen Gedanken so vertiefen, daß ich mir
gleich dies metaphysische Instrument, die Feder, wegwerfen, und hier in dem in-
dustrieusen Lausanne, irgend ein wirklich physisches Instnmient ergreifen möchte,
ein II Weberschiff, eine Feile, einen Hobel. Du hobelst mit Ludwig. Du thust
etwas sehr kluges. Hast Du auch wohl darüber nachgedacht, was denn Deine
Rand eigentlich sey? — und wozu Du sie hast? —
Ich will dies thun und jenes, tausend Dinge, ins Unendliche hinaus. Aber
immer frage ich mich, wie fängst du an? — Eigentlich hat man immer schon an-
gefangen, indem man nachfragt, irgend etwas, und jeder findet in seiner Erfahrung
irgend einen Fortschritt im Wirklichen. Von den Ideen spreche ich nicht. Was
kann ich mir bis zum nächsten Augenblick, der jetzt schon nicht mehr da ist, nicht
alles denken? — Jeder sollte auf seine entwickelten bestimmten Fähigkeiten recht
aufmerksam seyn, und sich immer sagen: ich bin und vermag doch schon etwas.
Es soU mir heilig seyn, weil es aus meiner eignen freien Kraft hervorging. Diese
Kraft bleibt mir für immer, und ich fühle es, sie und die Welt, die sie schaft.
Q4 Nachtrag zu 1797.
werden sich ewig erhöhen. — Man wäre dadurch zufriedner mit der Gegenwart
und zugleich thätiger für sein Bedürfniß. Man würde sein ganzes Wesen mehr
fühlen, und in ihm harmonischer fortschreiten. !| Schlimm, daß man diese Weisheit so
oft vergißt und wie es scheint vergessen muß. Aber man kann auch über sich wachen.
Boehlendorff wird Dir vielleicht erzählt haben von meinen Freundinnen in
Bern, die er nun auch gesehen hat. Du siehst sie wahrscheinlich einmal bei Louise
Stapfer; sie kennen Dich schon durch mich, und ich bitte Dich, auch ihre nähere
Bekanntschaft zu suchen ; sie wird Dir überhaupt angenehm seyn können, und dann
noch besonders meinetwegen. Wenn Du in dieser Freundschaft noch etwas mehr
siehst und durch Boehlendorff erfährst, so bleibe um desto mehr mein Freund, und
sey behutsam unter fremden Leuten. Ich bin dem Schreiben oft so abhold. Aber
wir sehen uns ja noch im August oder Septbr. und wir kennen uns ja. Wir
wollen das um gewisser äußerer Erscheinungen willen, die man nicht immer richtig
beurtheilt, nie unter uns vergessen werden lassen, dies : das wir uns wirklich kennen.
Es ist ein großes Wort, Lieber. Aber wer kann sich scheuen, es auszusprechen?
Du wirst mich für die Zukunft ziemHch bestimmt und entschlossen finden. Aber
Festigkeit eines jeden in sich \\ muß gewiß die Freundschaft, bei aller anscheinenden
Verschiedenheit, endlich einmal für immer bewähren. Fest ist man auch immer
nur in der Wahrheit, und eine blos individuelle Wahrheit kann es nicht geben.
Wenn zwei Freunde jeder auf seine Art fest sind, so sehen sie beide die Wahrheit
und beide dieselbe Wahrheit. — Du wirst mit dem Gange meines Lebens und meiner
Wirksamkeit auch wohl einig werden. Denn dieser Gang ist nicht willkührlich, und
es wohnt in meiner Brust Liebe zu den Mensehen und ein Trieb für sie zu handeln,
der nicht ruhen wird. Die schwere Frage ist nur immer die : wie und wodurch
wird dieser Trieb befriedigt. Eine sehriftstellerische Laufbahn war sehr lange mein
einziger Gedanke; auf die Art glaubte ich alles thun zu können. Jetzt erscheint
mir diese Thätigkeit oft so leer und so arm. Die Mittheilung an Mehrere ist indes
wichtig, und ich könnte es doch vielleicht einmal versuchen einigen Menschen be-
greiflich zu machen durch Schrift, wie wenig Schrift eigenthch sey, und daß der
Mensch lebe. So lange die Denkenden das vergessen und mit einer solchen ge-
dachten !| Entwickelung ihrer Kräfte zufrieden sind, wird ihr Beispiel wenig fruchten;
und das Beispiel ist es doch eigentlich, was in der Gesellschaft wirkt. Wie soll
man dem Worte von Harmonie der Welt mit unserm Geiste glauben, wenn keiner
diese Harmonie durch lebendige Kraft auf die Xatur in seinem eigenen bestimmten
Kreise wirklich hervorbringfi Was wären wir, was wäre unsre Freude am Daseyn,
wenn wir einzelnen sogenannten Wissenden nichts seyn sollten, als das, wenn die
wirkliche Kraft, durch welche die Natur unserm Geiste huldigt, frag-m entarisch
unter Millionen vertheilt bliebe? Aber so ist es für einen Augenblick. Der Geist
ist durch seine Thätigkeit selbst unthätig. Er sucht ein Bild seiner selbst, und er-
schafft todte Gestalten. Das lebendige unendliche Bild seines Wesens, das da ist,
kann er für einen Augenblick übersehen. Aber auch nur für einen Augenbhck, der
keine Dauer hat. Die Macht der Natur strömt ewig auf uns ein. Wir leben alle
in ihr. Sie ist nur eine., und unsre Vereinigung ist sichtbar für einen jeden, der
die Natur versteht.
Lebe wohl, lieber Herbait. Wenn wir uns noch im Septbr. sprechen, wollen
wir uns manches, was uns jetzt schon verbindet, deutlicher und verständlich sagen und
nur so eine Zukunft bereiten, die Deine seyn wird und meine. Dein Berger.
730. E. von Berger an H. (8S. 4". N.) Bern. [Ohne Datum. Winter 1796/97 ?]
731. Bonus an H. (1 S. 4". N.) Zwischenahn 28. Aug. 97.
Nachtrag zu 1797. g;
732. Gries an H. (12 S. 8°. N.) Jena, den löten Septbr. 1797.
Kein Brief für mich? rief ich gestern nach gewohnter Weise dem Briefträger
zu, ohne mich durch seine ewigen Negationen abschrecken zu lassen. „Ich habe
ihn schon abgegeben.,, erwiederte der treundliche Manu, und, als sähe er meine Ge-
danken von Ferne, setzte er hinzu: ,,Es war ein Schweizer.,, Ein Schweizer?
jubelte ich, und ehe noch der staunende Sohn der Post die demüthig abgenommene
Hauptbedectung wieder aufsetzen konnte, hatte ich mein Haus ergriffen, flog die
75 Stufen hinan und stürmte mein Zimmer, als ob ich's den Franken abnehmen
sollte. Schon sah ich das schwellende Packet von Ferne auf dem Tische liegen, ein
Ruck und — Dank Dir, Herbart! Dank Dir, Böhlendorff! ich hielt Euch, Euch.'
d. 23sten Oktbr.
Komme ich nicht fast in Deinen Orden, lieber Herbart, da ich über einen
Monat zwischen diesen beiden Absätzen meines Briefes vergehen ließ? Aber glaube
nicht, daß es absichtlich geschehen sey; ich weiche in meiner Theorie der
Korrespondenz so weit von Dir ab, daß es wirklich mein völliger Ernst war. Dir
gleich nach Empfang Deines Briefes zu antworten. Mancherlei Umstände ver-
hinderten es, und ich eile jetzt nur, Dir vor Anfang der Kollegien zu schreiben,
weil ich diesen Winter außer der Logik, Chemie || und den Institutionen des ge-
samten Rechts, ein Privatissimura über Mathematik, und ein anderes — Deinem
Wunsche gemäß — über die griechische Sprache hören will. Dennoch aber soll es
mir nicht an Zeit fehlen Deine Briefe zu beantworten, sobald sie aus dem Reiche
der Möglichkeiten in die Wirklichkeit übergegangen seyn werden, und meine Arbeitsam-
keit — si Diis placet — diene Deiner Läßigkeit nicht zur Entschuldigung!
Du fürchtest, daß Dein Brief mich nicht in Jena treffen würde ; er kam aber,
wie Du gesehen hast, lange vor den Ferien an, und obwohl meine Kollegien mich
diesen Sommer nicht sehr- genirten, so würde ich doch den Wohlstand nicht so sehr
aus den Augeu gesetzt haben, daß ich eher fortgereist wäre, als meine Herren
Dozenten ihre resp. Kollegien geschloßen hätten. Indeßen war eine Reise nach
Dresden wirklich mein Plan. Schon war alles dazu eingerichtet, als ich zwei Tage
vor meiner praesumtiven Abreise einen Brief — rathe von wem? — bekam, der
meinen ganzen Plan umstieß. Ja, Lieber, unser Berger schrieb mir, ganz un-
erwartet, er werde in den ersten Tagen des Oktobers hier seyn. Daß nun an die
Reise nach Dresden nicht mehr gedacht wurde, versteht sich von selbst; doch
machte ich noch mit Hufelands eine kleine Ausflucht nach Dessau, Wörlitz und
Halle, und wie ich zurückkehrte, fand ich Bergern zwar nicht in Jena, aber er war
schon dagewesen || und nur auf einen Tag zu Wieland nach Osmannsstädt geritten.
Ungeduldig lief ich zu Möllern., denn ich hörte, B, sey bei diesem gewesen und
vermuthete also eine Art von Aussöhnung. M. sagte mir, er erwarte Bergern noch
an diesem Abend. Was in mir vorging, beschreibe ich nicht; nach einer anderthalb-
jährigen Trennung sollte ich ihn wiedersehen, das war mein einziger klai'er Ge-
danke, aber wie? das begriff ich nicht. Bis 10 Uhr hielt ich diese peinliche Lage
aus. Jetzt sprang die Thür auf, und ich lag in seinen Armen. Nichts mehr! Du
fühlst mit mir. — — — —
Unser Beisammenseyn war kurz. Hülsen war mit Fichte nach Leipzig gereist,
Berger wollte ihnen am andern Tage folgen. Ich entschloß mich bald, ihn zu be-
gleiten. Ich sah auch Hülsen Avieder und fand ihn ganz wie ehmals, offen und
heiter. Berger aber war viel lebendiger wie sonst; es schien daß Trennung und
Wiedersehn uns einander viel näher gebracht habe. Zwei Tage verlebten wir mitten
im Geräusche der Messe, still und einsam und herrlich. Cnendliches haben Wn
beredet und doch schien es uns werüg. Berger ließ die Möglichkeit blicken, den
Q^ Nachtrag zu 1797.
Winter in Jena zu bleiben; daß ich mein Alles that, um diesen Gedanken zur
Wirklichkeit zu bringen, begreifst Du leicht. Mit mehr Besorgniß als Hoffnung
schied ich von ihm. Zwei Tage hernach schrieb er mir, ich || solle ihm ein Zimmer
miethen und Anatomie, Physiologie imd Chemie für ihn belegen. Nun erwarte
ich ihn alle Tage-, er wird mir schräg gegenüber wohnen, auf dem Zimmer, welches
ehemals Deboor bewohnte. „Wir wollen uns freuen mit einander, schreibt er mir —
tagtäglich einige Monden lang.,, Auch Hülsen kommt Weihnachten wieder. Ja,
wir -wollen das Leben erneuen, von dem Du sprichst, das Leben jener zauberischen
3 Monde, aber nicht auf immer entschwunden, wie Du wähnst, denn sie kehren
uns wieder, schöner, lieblicher. Ja, sie sollen mir eine neue Periode des Lebens
bereiten, diese glücklichen Monde; selbst ehemaliges Mißlingen hat nicht die Kräfte
gehemmt, nur geprüft und gestärkt, den Muth vei-mehrt, und von neuem soll er
sich nähren von den Aufmunterungen des gegenseitigen Beispiels. Ich will diese
Periode an jene ehemalige anknüpfen, aber ich will nicht undankbar seyn gegen
die, welche zwischen beiden liegt, sie hat mir diese Zukunft bereitet und, wenn-
gleich in trüben Stunden, mir gezeigt, welche unendliche Macht in der Freiheit
liegt, die sich siegend über die Gewalt der Zeit erhebt.
Ich gehe von hier unmittelbar zur Beantwortung eines der wichtigsten Punkte
Deines Briefes über, zum Unterschiede zwischen ehmals und jetzt. Du fragst, ob
ich diesen nicht bemerke? || Es wird mir schwer werden, Dir diese Frage deutlich
zu beantworten, weil das, worauf sie sich bezieht, schwerlich von uns beiden in
demselben Sinne genommen wird. Ich müßte mich sehr irren, oder Du verwechselst
hier wieder unsre Gesinnungen für einander, und das — wie soll ich es nennen? —
das System unsrer beiderseitigen Meinungen. Bezieht sich Deine Frage auf erstere,
so ist meine Antwort: Nein! Mag ich es bei Deinem Herzen zu verantworten haben,
wenn meine Behauptung zu kühn ist; das meinige rechtfertigt sie vollkommen.
Du liebtest mich ehmals, das weiß, ich, wußte ich längst, ehe noch Deine
schriftliche Erklärung in jenem zweiten Briefe, den Du mir an dem Abende der
Katastrophe schriebst, und den ich als ein heiliges Unterpfand der Treue aufbewahre,
mir sagte, Du habest es auf eine Art gethan, die ich, wie ich Dir schon mündlich
gestand, mit Deiner kalten Vernünftigkeit und Deinem gesetzten Karakter für un-
verträglich hielt. Jene unglückliche Periode, die auf Alles, was in ihr vorging, ein
so falsches Licht warf, bestärkte mich vielmehr in der Meinung, daß eine Freund-
schaft, die ich so bald in Gleichgültigkeit übergehen zu sehen glaubte, sich mehr
auf eine gewiße Werthschätzung des Kopfes, als auf Empfindung des Herzens
gründe. Ich hatte mich geirrt, aber es lag in der ganzen Verkettung der Um-
stände,'daß ich nicht wohl aus diesem Irrthum anders als auf eine so gewaltsame
Art herausgerißen werden || konnte. Mein Fall war anders. Die Achtung, welche
Deine erste Bekanntschaft mir abnöthigte, ward bei näherem Umgange sehr bald
w^ahre Freundschaft, welche nie Sache des Kopfes allein seyn kann. Aber der
Ernst Deines Karakters ließ diese sich nie zu jener idealischen, vielleicht schwärme-
rischen Höhe erheben, wovon ich seit meiner frühesten Jugend geträumt hatte.
Wie hernach unsere Freundschaft einen so harten Stoß zu leiden schien, schob ich
die Schuld Deiner Kälte mehr auf das Schicksal, welches Dir nun einmal nicht mehr
Empfänglichkeit gegeben hatte, als auf Dich. Meine Gesinnungen blieben im Ganzen
unverändert; ich gab Dir 'den Bundesbrief zuräck, ohne den meinigen zu zerreißen.
Und was sollte jetzt eine Aenderung derselben bewirkt haben, jetzt nachdem der
ti-ügerische Schleier unsre Augen nicht mehr verhüllt? Kaum war dieser gefallen
so war Wiederherstellung des alten Verhältnißes etwas, das uns sehr natürlich seyn
mußte. Bald kam die Trennung; aber ich wenigstens schied mit der vollen Über-
Nachtrag zu 1797. 07
I
Zeugung, daß unsre Freundschaft, fester gegründet -wie jemals, seitdem eine un-
angenehme, aber heilsame Erfahrung, gleichsam eine Kritik ihres Grundes geliefert
hatte, nur einer ununterbrochenen gegenseitigen Mittheilung, — der conditio sine
qua non aller Freundschaft, — bedürfe, um auf die ganze Folge unsrer Jahre ihren
himmlischen Glanz zu verbreiten. ||
Laß mich jetzt Deine Frage aus der zweiten Ansicht betrachten. ^^Ehmals
sagst Du, hielten wir einander für rasche Läufer in der gleichen Bahn; jetxt sind
Einem von uns die Augen aufs seltsamste verblendet,,; und der Zusatz: „Er sagt,
wir sind am Ziel und lacht über mich Keuchenden,, zeigt deutlich genug, daß ich
dieser eine Verblendete seyn soll. Lnmerhin, Lieber; wenn Du mir nur deswegen
nicht die Freundschaft aufsagst; aber ich wenigstens wüßte nicht, was diese damit
zu thun hätte.
"\A'enn es nach einem bestimmten Ziele nur eüien rechten Weg giebt, und
zwei bestimmte Läufer zwei verschiedene Wege wählen: so folge! daraus klar wie
die Sonne, daß jeder glaube, der Andere gehe den unrechten Weg. Wenn aber
der Eine, der geht, dem Andern, der auch geht, zuruft: Warum gehst Du denn
nicht? so scheint dieser Zuruf er eben der Verblendete zu seyn, es sey denn, daß
er dafür halte, ein Gehen auf einem andern Wege als auf dem seinigen, sey —
gar kein Gehen. Vergieb mir, Lieber, wenn ich einen Augenblick glauben muß. Du
seyst in diesem Falle. Oder was kann Dir ein Recht geben, mich für den „Ein-
gewurzelten am Eingange der Bahn, Zeit und Kräfte Verlierenden, gegen die
drohenden üngewitter Blinden,, anzusehen, wenn es nicht diese Meinung vom allein-
seligmachenden Wege ist, die von jeher ein gemeinschaftliches Eigenthum der
Religion und — der Philosophie war. || Wenn möglichst extensive und intensive
Bildung das Ziel' ist, dem wir beide nachstreben, so sehe ich, ohne von dem freilich
nur langsamen Erfolge meines Strebens zu reden doch nicht gerade ein, warum Du
mich für stillstehend hältst weil ich nicht gerade Deinen Weg gehe. Nicht Alle
können wir Alles, ist eine Wahrheit, deren frühere Kenntniß mir manche verlohrene
Stunde erspart hätte. Die Abgründe dei- Spekulation sind nicht mein Element, das
habe ich endlich erfahren, nachdem ich mir fast zwei Jahre hindurch die undank-
bare Mühe gegeben habe — das Kameel durch 'das Nadelöhr- bringen zu wollen.
Wir haben beide gelacht über den ehrlichen Meyer — strebenden Andenkens —
welcher sagte: Morgen will ich ein Gedicht machen; aber noch tausendmal be-
lachensvverther wäre ich, wenn ich, der ich mir durch die vollständigste Induktion
beweisen kann, daß es mir ganz an philosophischem Genie fehlt, welches doch
ebensowohl eine Gabe der Xatur ist. wie das Dichterische, wenn ich mich hinsetzen
wollte, um den ersten Grundsatz zu entdecken. Nur eins ist Noth,' Allen die auf
Menschenwerth Anspruch machen wollen, zu wissen was recht sey und gut^ und
sich dies zu beantworten verstanden die Sokrate und Aristide aller Zeiten, d. h. die
eigentlichen Menschen, lange vorher ehe der berühmte Satz entdeckt wurde, — daß
zehn nicht zwölf sey. —
Es sey fem von mir, und — sieh. Lieber, in Stücken zerriße ich gleich dies
ganze Geschreibe wenn ich fürchten müßte, Du könnest glauben, daß es mir an
Achtung fehle für jene erhabene Wissenschaft, die || ich wenigstens genugsam
kenne, um zu wissen, daß ihr Gebiet das umfassendste des menschlichen Geistes
sey, und um diejenigen zu beneiden, denen die Natur die Herrschaft in demselben
verlieh. Ja, ich würde noch jetzt keinen Augenblick anstehen, ApoUons Lorbeer,
wenn er mir geboten würde, gegen Minervens Eule zu vertauschen, wenn der gött-
liche Vogel anders noch im Besitze der Eigenschaften ist, welche die Alten ihm
zuschrieben. Doch vergeblicher Wunsch! Gönne mir also die Provinz, an welcher
Herbarts Werke. XIX. 7
qg Nachtrag zu i'J'^'J.
die Natur mir vielleicht einen kleinen Antheil vermacht hat, und verstatte mir,
mich zuweilen in glücklichen Stunden auf meinem behenden Rosse für eben so reich
und mächtig zu halten, als Du auf Deinem goldenen Tkron es zu seyn Dir immer
a priori deduziren magst. — — —
Steck hatte wohl Recht, mir war nicht wohl in Hamburg. Du fragst: ob denn
mein Vaterland ärmer geworden sey? 0 Lieber, konnte ich denn nicht reicher ge-
worden seyn? Und das war es, daß meine Münze — verrufen war in Hamburg.
Was ich empfand habe ich in dem Gedichte, die Elbe^), zu schildern versucht. Du
hast so wenig dieses, wie eins der andern, welche ich Dir schickte, Deiner Auf-
merksamkeit würdig gefunden, sonst würdest Du mir wohl das Urtheil, warum ich
Dich bat, nicht vorenthalten haben, und vielleicht hättest Du in diesen Tönen
meines Herzens manche Antwort auf manche Fragen gefunden, die Dein Brief mir
vorlegt und die ich längst beantwortet zu haben glaubte. Schiller hat seitdem
einem meiner Gedichte auf eine für mich ehrenvolle Art einen Platz in seinem
Alraanache angeboten || aber selbst das schmeichelhafte Lob des Dichters vergütet
nur nicht das Stillschweigen des Freundes, aus dessen Munde ich hören wollte,
ob ich auf meiner Bahn Fortschritte gemacht habe und der mir nun sagt, ich sey
am Eingange eingewurzelt. Oder zähltest Du mich vielleicht zu jenen Schwäch-
lingen, von denen ein neuerer Schriftsteller sagt, daß sie jede Untersuchung eine
anatomische Zergliederung nennen und kein anderes Kunsturtheil wollen als: Potz-
tausend !
Ich lese Deinen Brief noch einmal durch und finde einige Mißdeutungen ver-
schiedener Aeaßerungen von mir, über die ich nicht mit Stillschweigen hinweg gehen
kann. Meine Briefe, sagst Du, scheinen Dich zum Schuldner machen zu wollen.
Ob sie dies wirklich zu thun scheinen^ darüber kann ich nun nicht mehr urtheilen,
aber daß sie es nicht thun sollten^ das weiß ich mit festester Gewißheit. Es ist
überhaupt ein sehr zartes Kapitel, das, über die Schuldigkeit in der Freundschaft.
Meine Meinung ist die: Mittheilung ist Mittel und Zweck der Freundschaft. Wer
Freundschaft will, muß Mittheilung wollen, er ist es also sich selbst, als dem der
den Zweck will, schuldig, das Mittel zu wollen, also Mittheilung zu unterhalten und
zu befördern. Etwas Anderes haben meine Briefe nicht sagen wollen, nicht sagen
können, und ich fürchte, es sey irgend eine geheime Stimme Deines Gewissens ge-
wesen, die Du in meinen Briefen zu vernehmen glaubtest. Dies, glaube ich,
demüthiget unsre Freundschaft nicht; aber das demüthiget sie sehr, daß Du sie für
ein Produkt des Fleißes anzusehen scheinst und vom Eriverben der Freundschaft [|
redest, als beträfe es eine Anwendung irgend eines modi adquirendi. Nein, Lieber,
nichts von jener Freundschaft, die, wie Jakobi sagt, alle ihre Gründe weiß, sich
ganz durchschaut und das deutlichste Bewußtseyn hat von ihrem eigenen — Nichts !
Achtung wird erivorben sie wird abgenöthigt, es giebt ein Zwangsrecht darauf;
Freundschaft giebt sich freiwillig, sie schenkt sich. Nicht was Du hast^ was Du
Dir vorrechnen kannst, macht Dich zum Freunde des Freundes, sondern was Du
bist^ abgesehen von jenen Gütern des Erwerbes. Sey es auch uns eine tabula votiva,
die unsre Achtung bestimme und unsre Liebe:
Hast Du etwas, so gieb es her und ich zahle was recht ist;
Bist Du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus!
Über meine Schilderung des Werdens und Seyns in dem Briefe an Böhlen-
dorff, brauche ich jetzt wohl nichts mehr zu sagen. Alles bezog sich auf die falsche
Meinung vom Seyn, wo noch das Werden nicht einmal eine sichere Richtung be-
1) Gedruckt als „Der Fluß" in Gries' „Gedichten und Poetischen Übersetzungen'^
(1829) I, 87.
Nachtrag zu 1797. gg
kommen hat. Auch ich traue dem Seyn, so wenig wie Du, und bin überzeugt, daß
kein Mensch, der weiß, was er sagt, in diesem Sinne davon reden wollen kann.
Auch Berger sicher nicht, obgleich Du ihm dies fast Schuld zu geben scheinst;
aber ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht schon in den wenigen Stunden
UBsers Beisammenseyns gemerkt hätte, daß er mehr auf meiner Seite sey, als auf
der Deinigen. Bald werden wir diese Dinge in Muße abhandeln können; wie freue
ich mich darauf! Aber wie freue ich mich auch des Haders unter den Freunden,
des eigentlichen Lebens || der Freundschaft, die beim Unisono — zu Bette geht!
Wir wollen uns recht fleißig zanken diesen Winter hindurch und in der Folge,
und ich sehe einem neuen Fehdebriefe von Dir mit Verlangen entgegen.
Otth hat mir vor kurzem Deine Reisebeschreibung raitgetheilt und ich danke
Dir herzlich dafür. Ach! warum durfte ich nicht auch wallfarthen zu der heiligen
Vestalinn die in ewig reinem Gewände das heilige Feuer ernährt, das schöner von
ihrer Stirne zurückstrahlt! — —
d. 30sten Oktbr 97.
Doch diesen Winter wenigstens will ich mich hier schon zufrieden geben.
Berger ist wieder da und Hülsen kommt "Weihnachten und Ihr Schweizer werdet
auch fleißig kommen und so ist alles wieder wie vor zwei Jahren, und die beiden
Enden meines Jenaischen Lebens reichen sich freundlich die Hände und das Ganze
wird ein schön geschlungener Kranz, wenn gleich in der Mitte hie und da einige
Blumen fehlen. — —
Die Einlage an Böhlendorff von Berger, Eschen und mir wirst Du, lieber
Herbart, wohl bald besorgen. Du solltest sie auch lesen und darum schicken wir
sie Dir, denn wir glauben fast, daß auch Du Bohlend, nicht immer ganz richtig
behandelt hast. Ich freue mich darauf, ihn bald bei Dir wissen; Du kannst, Du
wirst ihm viel seyn. Lebe wohl und komme bald zu den Freunden in Jena.
Dein Gries.
733. E. von Berger an H. (4 S. 4". N.) Zürich 17. Sept. 97.
734. Böhlendorff an H. u. Fischer. (16 S. 4". N.) Bürsine), 22. Okt. 97
735. Rist an H. (4 S. 4". N.) Kiel d. 6ten November [1797]
Dein letzter Brief vom 14 Jun., lieber Herbart, war mir der erfreulichste von
allen die ich noch von Dir empfing; und ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht.
mir selbst unbewußt, darum nicht mehr eilte ihn zu beantworten, weil er mich
Deinetwegen so ruhig machte. Ich begreife wohl die unangenehme Seelenstimmung,
in die Dich das beständige zuletzt unerträgliche jeuensische Universitätsleben, nach
und nach, wie in eiserne Klammern einpreßen mußte, und noch besser begreife ichs,
wie frei Deine Brust athmete, da ein mäßig beschränkter Spielraum, nun allen
Deinen Kräften gerade soviel Freiheit und soviel Zwang, als sie zur geistigen Ge-
sundheit bedurften, gab. Du bist in mancher Rücksicht als Erzieher gerade am
rechten Platz, vorzüglich bei einem rohen Subjekt, wo Du genöthigt bist, das Fort-
schreiten des Menschengeists zum Selbstbewußtseyn und zur Freiheyt, das Du sonst
deducirtest, in der Erfahrung zu belauschen, und zu befördern. — Wenn alles wie
Du schreibst. Dir zu Deinen Absichten und Deinen Arbeiten an Deinem Ludwig
die Hände bietet, so freue ich mich seiner schon zum Voraus. Wahrlich die Schweiz
muß frei werden, wenn freie Deutsche, ihre Jugend zu bilden, das Vaterland ver-
laßen. Ich selbst sähe mich einst wohl dunkel im Hintergrund unter ihnen, es
reihten sich an die Alpen und Seen, unter denen ich mich erblickte, so viele herr-
liche Bilder; ich würde geeilt haben, den schönen Traum zu realisiren, wenn nicht
7*
jOO Nachtrag zu 1797.
das Bild der Kinder, die neben mir standen und von mir forderten, was ich mir
selbst schuldig war, — mich, lieblich wie es an und für sich ist, zurück gescheucht
hätte. — Wie geht es zu Herbart "? — ich kann — ich darf noch nicht erziehen;
ich fühle daß ich einst vielleicht Erzieher meiner eignen Kinder gern und gut seyn
werde; aber izt traue ich mir die imendliche Selbstverleugnung nicht zu, meine
Kräfte willig zu beschränken, um Wesen die erst Menschen werden sollen, mit
Liebe und Eifer in meinen Kreis zu ziehn ; und traute ich mir die Kraft zu, —
ich glaube, ich dürfte es nicht. — ich nicht — mit dem ewigen, heftigen Streben
nach außen, mit einer eher zu- als abnehmenden Lebhaftigkeit, ausgerüstet mit
Kraft, mir selbst, und Menschen zu leben die mir gleich sind; aber allenthalben
voll einzelner keimender oder halbgebildeter Kräfte die laut Ausbildung fordern, um-
geben von abgerißnen oder ungesponnenen Fäden, die mich mit der Außenwelt ver-
binden sollten, und angeknüpft oder fortgeführt werden müssen . . . ich dai'f nicht
— Aber, wirst Du sagen „ — nach der Schweiz dai'fst Du || kommen, — das Er-
ziehen wollen wir Dir erlassen; — 0 lieber Herbart, damit wenigstens schmeichelte
ich mir ; — Euch dort zu sehn war der liebliche Traum der mich vom Wachen in die
Welt des Schlafs begleitete und der wieder beim Eingang in diese Welt mich, ein
lieber Gefährt, empfing. — Aber — hör es, und schüttle Dein Haupt; aber ich
kann so bald nicht. — Das Vaterland verlaß ich bald — in einigen Wochen; aber
nach der Schweiz komme ich nicht; ich gehe nach Norden, und werde den nächsten
Sommer, statt auf den Alpen, an den blauen Fluten des Oeresunds und im An-
gesichte der schwedischen Kiiste zubringen. Wundre Dich Herbart; aber nicht
über mich, wundre Dich über den leisen, aber gewaltigen Gang des Schicksals, das
unserm Willen und unserm Vorsatz zum Trotz, sicher und unvermerkt nicht nur
die Erfüllung des Wunsches unserer Seele hindert, — das wäre wenig, und hier
würde ich siegen, — das selbst den Wunsch leise aus unsrer Brust windet, und
die Sklaven durch eigne Willkür feßelt. ■~- Hier, hier erst ist die Kraft des Menschen
zu Ende — nur hier erliegt er wirklich den Umständen. —
Und was ists denn? Wir ändern die Lage, wir ändern den Ort. Wonne und
Schmerz rinnen aus neuen Quellen über die lechzende, verdurstete Seele. Wir
streben, wir kämpfen, — wir freuen uns, wir schaffen und wir zerstören anderswo ;
weiter und weiter zu neuen Fernen treibt uns Hofnung und Ungeduld, — was in
uns ist bleibt dasselbe ; es kann äußerer Gewalt erliegen ; aber in sich selbst waltet
und wirkt es nur selbst; und da scheidet sich das Zufällige vom Nothwendigen. —
Jenes soll nicht beständig seyn, und dieses kann sein Wesen nicht ändern. — Das
macht mich ruhig und froh jedes Looß aus der Urne des Schicksals ziehn; zog ich
auch eine Niete — so spiele ich nicht länger, harre und hoffe nicht länger — und
meinen Einsatz bekomme ich heraus. — — Ich verlasse Deutschland ruhig — was
ich mitnehme ist Mein-, ob ich das zurückbringen werde weiß ich nicht; aber etwas
Eignes bringe ich wieder hieher — es geht alles mit mir was ich habe — und ich
brauche es nicht zu hüten. Wir werden uns nun fürs erste wohl nicht sehen, mein
Herbart, das ists was mich bekümmert; das allein — denn die Natur ist allenthalben
Mutter; ich brauche sie nicht in der Schweiz zu suchen; sie lächelte mir manch-
mal hier, und, da wohin ich gehe ist sie auch groß und freundlich. — Traure
Herbart, daß wir uns nicht sehen sollen; aber mehr auch nicht; sei ruhig um mich;
ich glaube daß mir wohl seyn wird, und daß ich selbst nicht verderben werde.
Aenderung der Lage || war nachgerade auch für mich Bedürfniß ; — ich sehnte mich
in die Welt; — neue, mannigfaltigere Verhältniße des Lebens waren mir noth-
wendig, selbst um das innere Leben aufzufrischen — ich wollte einen raschern,
mannigfaltigem Wirkungskreis als der Deinige, als derjenige ist, den sich Berger
Nachtrag zu 1797. joi
I
und Hülsen — zu früh — erkohren. Ich habe ihn gefunden; gern wäre ich erst zu
Euch gewandelt und hätte mich gelabt; aber er stieß mir zu frühe auf, und ich
durfte ihn nicht fahren lassen. — Seit einigen "Wochen lieber Herbart, bin ich
Privatsekretär bei dem Staatsminister, Gr. Schimmelmann, in Kopenhagen: halte
mich hier und in meiner Heimath nur noch einige "Wochen auf — und — trete
dann über in die Welt und ins Geschäftsleben. — Aber sorge nicht um mich,
Herbart; eben darum ist meine neue Lage mir angenehm weil immer noch der
größte Theil meiner Zeit den Musen gewidmet seyn wird. Meine eigentlichen Ge-
schäfte mit und für den Grafen werden etwa ein Dritttheil meiner Zeit wegnehmen,
vielleicht weniger noch, weil ich ziemlich schnell arbeiten kann; und dann bin ich
frei, bis auf einige Abendstunden, die ich. häufig mit dem Grafen und der Gräfinn,
die Abends nie ausgehn, werde zubringen müssen, und die der Unterhaltung über
interessante Gegenstände und der Lektüre gewidmet sind. Der Graf ist ein all-
gemein anerkannt rechtschaffner Mann, und wirklich Mensch, er achtet und Hebt
die "Wissenschaften, die Philosophie, und die Freiheit; eben so seine Prau; sie haben
keine Kinder und suchen in ihrem Sekretär also zugleich einen Hausfreund. Ich
glaube ich durfte nicht zaudern, den Platz der mir angeboten ward, anzunehmen.
Ich habe kein Vermögen um unabhängig zu seyn; — ich hatte ein Brodstudium
gewählt, das mich, wenn es Ernst mit der Ausübung geworden wäre, — unglücklich
gemacht hätte, das mir zwar dem Namen nach hier nützlich geworden ist, weil man
wenigstens gern halbweg einen Juristen zu haben wünschte, das ich aber von nun
an ganz und gar nicht mehr brauchen, nicht mehr cultiviren werde, da ich von
nun an mir mein Schicksal für die Zukunft, vielleicht auf eine sehr angenehme
"Weise werde bereiten können, das ist eine große Sorge vom Halse gewälzt. — Nimm
dazu die Annehmlichkeit dieses Platzes ; den "^^irbel der Menschen und ihrer Leiden-
schaften, Entwürfe und Pläne in der Nähe ruhig ansehn, und dennoch vielleicht
selbst manches Gute bewirken zu können ; die Gesellschaft mancher vorzüglicher
Köpfe, die der Graf gern um sich versammelt; eine ausgesuchte Bibliothek unter
meiner Aufsicht; vmd was mir vorzüglich lieb ist, der Sommeraufenthalt auf einem
Gut des Grafen, Seelust || ein paar Stunden von der Stadt, in einer herrlichen Gegend
am Sunde, nimm dazu daß ich einige biedre und trefliche Freunde in Kopenhagen
habe (Thaden unter andern) und daß zur Abwechselung auch die glänzenden Freuden
einer Residenz vorlieb zu nehmen sind, — etwa auf ein paar Jahre, — nimm dazu
daß ich bisher ernährt ward — izt mich selbst ernähre (das ist viel !) daß ich meinen
alternden "Vater eine unaussprechliche Freude mache, durch, diese Gewißheit einer
sichern Subsistenz ; wenn er sich gleich weil er mich kannte, schon darin gefunden
hatte, — mich ,.nie mein Glück machen,, zu sehen. — Und nun sage mir würdest
Du in meiner Stelle gethan haben was ich that? Besonders wenn der Platz Dir, wie
mir, ohne die geringste Bewerbung angetragen wäre? — Ich war zum Vergnügen
zu Michael auf ein paar "S\*ochen mit einigen Freunden nach Kopenhagen gereist;
die Stelle war gerade offen. Ein dortiger Freund von mir, den man um ein taug-
liches Subjekt befragt, nennt, ohne daß ich es weiß, mich — . ich werde zum
Grafen gebeten, speise bei ihm — und werde 2 Tage nachher engagiri, ohne daß
man Erkundigungen einzieht, ohne daß man mich weiter kennt. — Das ist äußerst
sonderbar; aber ein ächter Kosmopolit muß so ankommen; empfehlen läßt er sich
nicht. — Kurz da der Graf izt keinen Sekretär hat, so kann ich nicht einmal mein
sechstes Halbjahr auf der Akademie zubringen, sondern gehe mit 27^ Jahren von
dannen. — in 5 — 6 "Wochen bin ich sicher in Kopenhagen und dann schreibst Du
mir nach dem Schimmelmannschen Palais : bleib ja nicht lange aus. Ich glaube ich
werde Freundeszuspruch bedürfen. Dir will ich dafür treulich erzählen wie es mir
geht, was iuh erfahre und empfinde.
I02 Nachtrag zu 1797.
Und so — Herbart — reiche mir denn die Hand — um noch einmal und
noch weiter mich von Dir zu entfernen. — Ich habe der Abschiede viel — und
schwere zu nehmen; sie mahnen mich der längst vergangnen, unvergeßlichen — ;
bei jeder Zeile brüte ich starr aufs Papier geheftet halbe Stunden lang über der
Vorzeit. — "Was hilft das Reden? Lebe wohl — bleibe mir getreu. —
d. lOt. November Ganz der Deinige J. Rist.
736. Böhlendorff an H. Bürsinel Dienstag Abend. [November 1797]
Lieber Herbart, hier ist das Verlangte. Ich hätte noch einen halben Ld.
hinzugefügt, wenn ich das Porto mit Laubthalern hätte beschweren wollen. Dein
Brief traf mich reich and machte mich reicher. Aus der Fülle der Wahrheit hat
Deine gute Mutter geschrieben, und in meinem Auge hast Du manchmal gelesen,
wie ich Deine Krafft in mein Wesen aufnehme und sie so ehre. Die Wirkung
haben immer Deine Worte auf mich, daß, wenn ich trübe, oder heiter bin, sie
meinen Trübsinn oder meine Heiterkeit stärken und in beyden Fällen ists reich-
licher Gewinn, Verstärkung zu finden, denn entschiedner Verlust, ist besser, als
zweifelhafter Vortheil. Entschiedenheit macht das Herz groß und die höchste Fülle
ist nichts, ohne das herrschende, ordnende Prinzip, das ihrem Daseyn Wirklich-
keit giebt.
Du hast Recht, mein Freund, wenn Du Selbst, in Deinem guten Leben, ein
besseres ansprichst, wenn ein Miston von außen Deiner Harmonie in den Weg tritt;
aber Du hast Unrecht, den Fehler davon so gar sehr außer Deinem eignen Wesen
zu setzen. Dein Wesen ist Mann. Du bist zu Kämpfen geboren — Deine Mutter
hütete Dich, daß alle Krafft zum Kämpfen Dir aufbewahrt werde; daß Du nicht
zerstreuet wurdest, das hast Du ihr zu danken; und dieses erreichen, und zugleich
in iener Lage die physische Mobilität, die Du wohl am meisten vermissest —
Mobilität des Sinnes imd Organs, war ' unmöglich. Jetzt aber ist es in Deine
Hand gegeben — in die Hand des Kämpfers, aber in die Hand des Siegers.
Ordnung, Zweckmäßigkeit, Mäßigkeit steht in Deinem Willen. Du wirst doch nicht
über diese Freiheit klagen, mit dem Geist, sie zu gebrauchen? Ich sehe sehr wohl,
was fehlt; wir gehen nicht so schnell, als wir denken. Und hier, mein Bester,
stehe ich gegen Deine Hauptbeschäftigung auf, um Dir zu sagen, was Du mir sonst
wohl in anderem, unwürdigem Sinne sagen mußtest; daß Dein Genius zu sehr Dich
von dem Etwas entfernt, wodurch allein Du dem hohen Reinen, Dich näherst,
welches er fordert. Nichts ist größer als iene Aussage des Menschengeistes, lebe^
ohne Hoffnung! aber nichts ist schöner, als was in des Menschen Wesen, im Ge-
folge iener Größe nachtönt: Vertraue Deinem Leben! Herbart! Dein Herz sagt Dir
hierüber mehr, als ich Dir sagen kann. Aber siehe nur getrost um Dich. Es lebt
um Dich her — und durch Dich, und mit Dir — Fülle immer von neuem den
Becher aus dieser Quelle — Fülle und trinke! — Die Todten zu wecken ist kein
Werck des Zeitmoments. Es ist Werck des Göttlichen und entsteht, wie ein Blitz
sich entzündet in den Wolcken. —
Das Wahre,- Heilige, Große ist uns immer nahe, wenn wir es suchen. Wie
nahe? das möchte der Mensch so gern entscheiden, gewiß und sicher wissen —
quält sich offt darum, und weiß nicht, was er will. Das Wirken der Wahrheit
fühlen, ist besser, als darüber grübeln. Aus dem Gefühl dieses Wirkens handeln,
ist größer, als fragen, wie bald bin ich weise? Du bist keiner von denen, welche
die Weisheit mit Scheffeln messen. Du sollst keiner von denen seyn, die klagen,
daß sie nicht genug haben. Du hast genug; reine Wahrheitsliebe und unerschöpf-
liche Krafft — Stoff eine Welt hervorzubringen. Daß diese Welt Gestalt gewinne,
Nachtrag zu 1797. 103
das ist das Maaß, das Du verlangst. Aber fürchte nichts. Vollendung der Gestalt
ist gleichfalls kein Werck des Zeitmoments, sondern sie entsteht gleichfalls, wie ein
Blitz sich entzündet in den Wolken Dein Boehlendorf f. ')
737. Fr. Muhrbeck an H. (4 S. S". N.) Lausanne 3. Nov. 1797.
738. Böhlendorff an H. (8 S. 8". N.) Bürsinel 4. Dez. 97.
739. Gräfin Kameke geb. Lynar an H. (4 S. 8'J. N.)
Neu-Dietendorf d. 28 X br [Dez.] 97.
Schon lange glaubte ich, lieber junger Freund auf die Erfüllung Ihres Ver-
sprechens, verzieht thun zu müßen, und wenn Ihre liebe Fr. Mutter mich nicht
Ihres Andenkens versichert, so wäre ich vollends durch Ihr Stillschweigen betrübt
worden, urtheilen Sie nun, wie angenehm mir die Erscheinung Ihres Briefes vom
oct. wai'. Mit aufrichtigen theilnehmen vernehme ich daß Sie ganz glückl. sind
— in dem lieben schönen Lande, daß ich wohl nie wieder sehen werde, auch die
Bewohner Ihres Hauses machen Ihnen das Leben angenehm — ich segne sie dafür,
aber wie wird Ihnen das platte Oldenb. Land schmecken? und ich denke immer
Sie werden Sich nie wieder hinbegeben — und mama wird müßen Schweizer-
reisen thun. —
Den H. Schwärmer Lange stelle ich mir ganz lebhaft vor, und gönne ihm
das Vergnügen daß er jetzt genießt — der Sommer wird zu den Schwärmerischen
Streif ereyen , und der Winter zur Vermehrung seiner Kenntnisse bestimmt seyn
vermuthe ich — grüßen Sie || den lieben Jüngling recht mütterl. von mir. wenn er
mir schreiben will, sehe ichs gern. Über des vortrefl. Fischers-) fehlgeschlague
Hofnungen habe ich mich recht geärgert doch wer weiß wozu es gut ist — viel-
leicht lebt er als Pfarrer glücklicher, dieses wünsche ich ihm recht herzlich —
versichern Sie ihn ja meiner freundschaftlichen Theilnahme. Über H. Stets
Heirath werden Sie Sich wohl eben wie wir alle gewundert haben, 0 könnte er so
glücklich werden, als er es verdient — von May weiß ich jetzt nichts, aber des
guten sanften Oths Besuch habe ich hier gehabt und mich recht darüber gefreut.
Ihre liebe Mutter schreibt mir zuweilen Briefe die mich vollends den Verlust ihrer
Gesellschaft doppelt fühlen lassen, auch die Fr. v. Schüttorff hat mir sehr freund-
lich geschi'ieben. Nun von mir lieber Herbart kan ich Ihnen mit völliger Wahrheit
versichern, daß ich hier so glückl. und zufrieden lebe — als ich noch nirgends
gelebt habe — Mein Vergnügen nimmt tägl. zu || ich bin diesen Sommer häufig be-
sucht worden, denn von Fremden wird es hier nicht leer, und bin 2 mahl in Jena
gewesen auch in Gotha — auch seit dem es Winter ist fehlt es nicht an Besuch,
und die Tage verfliegen wie Augenblicke, meine Corpulentz zeigt von meiner Ge-
sundheit und Ruhe — von meinen hiesigen Freundinnen sind seit kurzen 2 ver-
heirathet, die letzte meine tägl. Gesellschafterin hat einen bildschönen klugen guten
Mann ein holsteiner Arzt in der Gemeine zu Ebersdorf 9 Meilen von hier — er ist
ein geschickter und passionirter Ciavier Spieler und componist — da haben wir
viel zusammen gesungen — abends kommen jetzt oft junge Schwestern die mir
etwas vorspielen und mit mir singen — was mich außerordentl. freut ist das genie
das meine Kl. Amelie zur musik hat — dieses bewog mich ihr jetzt schon ob sie
gl. erst 7 Jahr wird Unterricht geben zu lassen — und zum wunder profitirt sie
^) Näheres über Boehlendorff und seine Beziehungen zu Herbart bei K. Freye
„C. U. Boehlendorff, der Freund Herbarts und Hölderlins'', Langensalza, Hermann
Beyer & Söhne (Beyer & Mann) 1913.
2) Über ihn vgl. R. Steck, J. R. Fischer, Bern 1907.
I04
Nachtrag zu 1798.
— ihre aplication ist groß — und ihre kl. zarten Finger sehn recht geschickt auf
dem Claviere ans — dabey hat sie viel Gehör Takt und || reine richtige Stimme —
sie kan alle Melodien von den Chorälen fertig singen — überhaupt lernt sie alles
sehr begierig und gründlich ohngeachtet ihrer tägi. zunehmenden Wildheit — sie
wächst erschrekl[ich] und war diesen Sommer als ich sie mit in Jena hatte — dort
nicht vergnügt — sie verlangte hier her — weil sie hier mehr Freiheit hat. Von
Tscharners haben Sie noch nichts gesehn weil Sie in Aigle wohnen — meiner
Freundin Stillschweigen macht mich sehr ängstlich, laßen Sie Langen mir etwas
von ihr schreiben wenn er etwas erfahren kan — Ihre muntre Knaben, noch-
mehr aber die vortrefl. Eltern derselben, mögte ich wohl kennen — ich habe auch
die große Freude gehabt meinen liebsten Bruder Rochus aus Schleswig hier zu sehn
— den 8t. nov. hat mich mein Sohn mit einem Enkel beschenkt — den ich gern
sehen mögte^ und nicht sehe, adieu guter Herbart — schonen Sie Ihre, nicht sehr
feste Gesundheit, durch die Mäßigkeit im Arbeiten, schonen Sie vollends Ihre Augen
bey Lichte, fahren Sie fort recht sehr glücklich zu leben aber auch im Glücke ver-
gessen Sie nie Ihre alte redliche beständige mütterl. Freundin Kameke geb. Lynar.
Dr. Zickler empfiehlt sich Ihnen bestens, ich bitte mir sagen zu lassen ob
dieser Brief in der That an Sie gelangt ist.
740. Gries an Steck. Jena d. 8. Januar 1798
.... Es war ebenso wenig das Gute, was Böhlendorff von der Frau v. Simmer
[statt: Sinner], als das Schlimme, was er von ihrem Gemahle schrieb, was mich
fest entschlossen machte, mich zu dieser Stelle anzubieten Ein einstes und
schreckliches Wort aus Herbarts letztem Briefe brachte mich bald von der üeber-
eilung zurück die ich zu begehen in Gefahr stand. „Ich weiß nicht, wann ich den.
Freunden schreiben kann — so schreibt er an Eschen — alle meine Zeit gehört
den Kindern.'-^
741. Ludwig Steiger an H. (2S. 40. N.) Grains[=Grengb.Murten]d.8.Febr.98.
Lieber H Herbart Sie haben mich mit Ihrem Brief angenehm überrascht.
Konnte ich Ihnen nur öfters schreiben aber ich finde kaum einen Ort wo ich mich
ruhig hinsetzen könnte. Denn unser Quartier ist eine Scheune. Ich wollte gerne
ich könnte Zeit finden wo ich mich imgestört an meinen Horaz setzen könnte.
Aber bald zieh ich auf die Wacht wo ich einen Tag und eine Nacht zubringen
muß. Ich habe das Glück bey Soldaten zu seyn die dem Trunk sehr wenig ergeben
sind und was noch mehr das Spiel haßen bis hieher ist keine Karte noch berührt
worden es ist mir so recht wohl bey ihnen, am Morgen früh etwa um 4 Uhr —
werden wir aufgeweckt. Dann gehen wir zu dem Wachtfeuer und sind auf unserer
Hut. Denn die Franzen wie wir sie nennen pflegen um diese Zeit auszurücken;
um 7 Uhr gehen wir je drey und 4 und laßen uns Frühstück bereiten, unsere
zweite Mahlzeit ist so nachmittags von zwey Uhr da eßen wir unser Fleisch und
Brod das uns täglich zukommt. Um 7 Uhr leg ich mich ins Stroh schlafen, wir be-
kommen täghch 3 Batzen 37^ Kreuzer Sold und 2 bz. für Besorgung der Kleider diese
beziehen wir alle 3 .Tag so daß ein jeder wöchentlich 43 bz. bekommt. Einen Spaß
muß ich doch beyfügen || den ich mit ein paar Franzosen gehabt habe. Mittwoch
Nachts war ich auf der Wache und stand auf dem äußersten Vorposten Schild-
wache morgens um 7 Uhr kamen 4 Franzosen etwa 200 Schritt von meinem Posten
mit einer Wasserkeßel und waschten Hemder diese ruften mir allerhand Grobheiten
zu darauf stellte ich mich ich wollte auf sie schießen welches uns aber scharf
verboten ist und schlug auf sie an sobald sie es sahen glaubten sie es sey Ernst und
pakten alles auf und liefen davon, ich wußte mich vor Lachen nicht zu faßen. —
Nachtrag zu 1798. 105
Grüßen Sie mir ßöhlendorf und Mourbek — wenn ich Zeit hätte so wollte
ich ihnen auch schreiben vielleicht werden wir abgelößt daß wir an einen be-
quemem Ort einquartiert sodaß ich dann meine Arbeiten fortsetzen kann. Grüßen
Sie nur meine Eltern und Geschwisterten und sagen Sie ihnen ich befinde micli
recht wohl. Ihr Ludwig Steiger.
Adr. des Briefes: An Herrn Herbart Hauslehrer bey Herrn alt landvogt
Steiger von Interlaken in Bern, abzugeben am ersten Haus unter der Möhreti.
[oder: uuterher Möhren = Haus der Zunft zum Mohren, Kramgasse 12.]
742. Eschen an H. (7 S. 8". N.) Jena den 19ten Febr. 1798.
Lieber Herbart, Daß ich dem Herrn von "Watteville schon längst geantwortet
habe, weißt Du wahrscheinlich schon durch ihn selbst. Jezo harre ich seit ge-
raumer Zeit schon auf seinen letzten Entschluß, und Du kannst denken, daß mir
die Ungewisheit, worin ich schwebe, sehr peinlich ist. da ich nicht weiß, was ich
thun soll, wenn die jezigen Umstände der Schweiz meinen besten V\^unsch, für jezt
wenigstens, vereiteln sollten. Hier in Jena zu bleiben könnte ich nur mit großer
Überwindung mich entschließen, ßerger, Gries, Schildner, Otth pp. keiner von
diesen wird mich einsamen dann auf meinem Gange begleiten, und wohin ich nur
sehen und gehen werde wird mich alles an die erinnern, die nicht mehr um mich
sind, und ich werde meiner Einsamkeit dann nur gewißer werden. Von den besten
Freunden entfernt wird man es erst am lebhaftesten inne wie sehr man ihrer auf
dem Gange durch das Leben bedarf. Ohne sie wird man nur zu leicht entweder
kleinmüthig oder anmaßend und ganz auf seine eigene Individualität beschränkt.
Bey ihnen, indem man sich einander || mit der größten Liebe und mit dem größten
Zutrauen hingiebt, lernt man es schnell, was man nicht ist und wie viel dessen ist
gegen dasjenige was man ist, und was man sein Eigenthum nennen darf. Diese
Einsicht erweckt und erhält in uns fortdauernd jenes Streben und unabläßiges
Handeln auf uns selbst, was unser eigenes und wahres Leben ist. Du weißt es,
Lieber, wie ich hier zu Euch kam. Euch kennen und lieben lernte. Ihr habt es
gesehn, daß ich mein eigentliches Leben noch nicht begonnen hatte, und ihr habt
mir freundlich den 'Weg dahin gezeigt. Deshalb danke ich euch immer, wenn meine
schönsten Gedanken bey euch verweilen und ich vmifange euch mit der treuesten
Liebe und Freundschaft. Diese kann durch nichts geschwächt, durch nichts ver-
ändert werden, und wenn ich daher, welches Dir von mir zu hören leid that und
deshalb an mir tadelst, in meinem Briefe an Bölendorf nur vom Verkennen sprach
oder gesprochen hätte — denn dies that ich nicht blos — so war es deshalb, weil
ich wohl wußte, und von Bölendorf so gut wie von mir, daß unsere. Freundschaft
das nicht betreffen || konnte, was unsere gegenseitige Ansicht von einander und
unsere verschiedene "Weise durch das Leben zu gehen betraf. Des Menschen Thun
und Handeln ist unendlich mannichfaltig, aber mögen die Wege noch so sehr von
einander abzuweichen und von einander sich zu entfernen scheinen, sie führen
dennoch zu Einem Ziele an dem die ganze Men.schheit zusammen trifft. Einen
Freund auf den Weg hinüber zurufen, den der rufende giade wandelt, wäre an-
maßend, und das hat keiner von uns noch von dem andern verlangt, und verlangen
können. Ob mein Freund würklich mein Freund ist, das weiß ich, aber den Geist
des Freundes und den Weg zu berechnen, den er geht und gehen wird ist un-
möglich: denn die Kraft des Geistes ist unendlich und äußert sich auf die mannich-
faltigste Art und in den verschiedensten Formen. IS^ichts könnte daher thörigter
seyn. als die Anmaßung Bölendorf behandeln zu wollen wovon Du in Deinem letzten
Briefe redest, und die Du mir oder Gries Schuld giebst. Daß ich meinem Freunde
aber meine Meinung über sein Thun und Handeln sage, wenn ich dieses \\ zu kennen
Io6 Nachtrag zu 1798.
glaube^ dazu sollte die Freundschaft doch, wohl ein Recht geben. Hätte auch der
Freund falsch gesehen, so wird sein Freund ihm dennoch danken und auch hierin
den Freund erkennen müßen, wie ich es bey Bölendorfs erstem Briefe that, und
Bölendorf bey dem nieinigen. Daß solche Erörterungen immer früli genug kommen,
glaube ich daher nicht, wenn man nur irgend vermuthen kann etwas erörtern zu
können, denn verloren kann hierdurch nichts werden, aber manchmal wohl vieles
gewonnen. Ich habe nimmer geglaubt daß durch das, was Bölendorf mir und was ich
Bölendorf schrieb, eine Malier^ oder ein elender leicht übersteiglicher Steinhaufen
zwischen uns geworfen wäre, und es würde mir leid thun, wenn einer von euch
dies hätte glauben können. Daß Bölendorf es nicht glaubte, davon überzeugt mich
sein lezter Brief hinlänglich, den ich erst vor einigen Tagen erhielt. Doch hier-
über wie über vieles andere werden wir Tielleicht bald mit einander freundschaftlich
reden, und auch darüber, inwiefern der Freund gegen den Freund unbescheiden
seyn könne, wie Du es an meinem || vorlezten Briefe mit Recht tadeln zu müßen
glaubst, und weßen man sich dann im Urtheilen zu bescheiden habe. Bis dahin
wollen wir kein Wort mehr darüber reden, es möchten uns sonst die Nemesis
und die Grazien zürnen.
Ich sehe, daß ich von dem, was ich am Anfange meines Briefes Dir sagen
wollte, mich gänzlich entfernt habe. Wenn Du irgend kannst, so mache, daß ich
von des Hr. v. Watte ville Entschluße sobald wie möglich Nachricht erhalte. Ich
habe ihm bestimmt über alles geschrieben, wozu ich mich verpflichten könnte, über
die Zeit, welche ich für mich selbst frey haben müßte, daß ich auf sittliche
Bildung meinem Plane gemäß nicht unmittelbar wirken könne, dann über das
Honorar, das Reisegeld pp. Hr. v. Watteville erwartete freilich keine Antwort mehr
von mir, sondern mich selbst sobald wie möglich. Da ich ihm aber über alles be-
stimmter geschrieben hatte verlangte ich seinen lezteu Entschluß sobald wie möglich
zu vernehmen. Ich glaube wohl, daß je'zo alle diese || Henen in ziemlicher Un-
ruhe sind, und ich bitte Dich deshalb, wenn Du des Hr. v. W. Entschluß weißt,
und er nicht Zeit und Ruhe genug finden sollte, daß Du mir davon Nachricht gebest.
Auch mein Freund den ich als Hauslehrer bey der Frau von Sinner vorgeschlagen
habe wartet begierig auf Nachrichten aus der Schweiz. Du wirst es wißen, daß
Bölendorf mir es aufgetragen hat, nach einem solchen mich umzusehen, der fähig
wäre eine solche Stelle zu übernehmen. Ich schrieb deshalb an einen Freund in
Halle, Liebich, den ich in der dortigen litterär. Gesellschaft hatte kennen lernen
und der mir, wie Gries der ihn auch kennen lernte, sehr lieb ward. Ich trug ihm
die Stelle an und er glaubte, daß er von seinen Eltern und seinem Freunde, dem
Rektor Fischer, deßen Schüler er ist, keine Hinderniße in dem Wunsche diese
Stelle anzunehmen finden würde. Ich schrieb dieses in meinem lezten Briefe an
Bölendorf und bat ihn um |] die baldigste Nachricht. Gestern schreibt mir Liebich
aus Halle wieder, daß man seinem Wunsche keine Hinderniße entgegenseze und daß
der Rektor Fischer ihm geschrieben habe: i quo te virtus vocat tua: er erwarte daher
nur noch Nachrichten aus der Schweiz, um dann mit mir die Reise dahin anzutreten.
Von Steck jhaben wir lange nichts durch ihn selbst gehört. Durch andere
nur hörten wir neulich, daß er jezo sehr thätig ist, und wir haben uns sehr darüber
gefreut. Von Fischer haben wir ebenso lange nichts gehört. Wenn Du mir
schreibst, so sage uns doch von beyden viel Gutes und Freundliches. Berger und
Gries geben euch allen Tausend Grüße. — Lebe wohl und denke meiner mit Liebe
und Treue Dein Eschen.
Eben spreche ich Berger. Auch er bittet Dich, bald zu schreiben. Er meint. Du
müßest von der Zeit für die Erziehung auch einige für Deine Freunde übrig behalten.
Nachtrag zu 1798. 107
743. Manuskript von Böhlendorff mit der Überschrift: „Ein neuer
Lorenz Starck." (IG S. S->. X.)
Boehlendorff (dessen Handschrift unbedingt vorliegt) hat mit dem ältesten
"Steiger sehen Sohn Ludwig in seinen Mußestunden Engels ,,L. Starck" gelesen und
mit ihm zusammen (als Übung für Ludwig Steiger) den Inhalt des Lorenz Stark in
Aufsatzform erläutert. Herbart, als Lehrer des Ludwig Steiger, hat den Aufsatz
durchgelesen und zufällig zurückbehalten.
744. Brief Fr. Muhrbecks an H. (4 S. 8^. N.) Sept. 1798.
745. F- Muhrbeck an H. (8 S. 8". N.) Mit Auslassungen gedruckt.
Strasburg, Sept. 98.
Ich habe heute wieder Menschen gesehen, bei denen man sich ansiedeln kann,
•die fest stehen im Hintergrunde, fest in der Verwirrung des Zeitalters, wenn der
Gedanke den Forscher dem Leben entreißt, zu Fernen hinführt, unabsehbar dem
Auge der Gegenwart, und er fremd mit allen, was ihn umgiebt. was Menschen
schon thaten zurückkehrt. Ich sähe heute einen Mann, Adel und Kraft blickte aus
seiner wohlwollenden Miene, er faßte scharf, sprach bestimmt, wenig, voll Energie
und Drang des Herzens, dort blieb manches Wort zm-ück. — Thätig im Anfange ||
der Franz. Revolution, opferte er die Vortheile seiner Geburt, einen Theil seines
Vermögens, wagte den andern — für den Staat hatte er aus Patriotismus, aus Be-
gierde nützlich zu seyn, Kenntnisse gesammelt — er ward proskribirt benutzte
diese Zeit in Erlangen sich für seine Zwecke zu bereichern er lebte stille dort mit
seiner Familie und besuchte mit seinem Sohne die Collegien der Kameral- und
ökonomischen "Wissenschaften — Nach einigen Jahren durfte er zurückkehren,
hoffte sich jetzt dem Staate widmen zu können, was ihm die Muße seines Exils
gegeben — Überall sieht er sich von Schurken umgeben, überall findet er von
Niederträchtigen Thorhütern einer || tyrannischen Regierung die Wege zum Wirken
versperrt, er kehrt zum alten Geschäfte — an Thätigkeit hing sein Leben — ward
— wie er sich nannte — wieder ein Geldwucherer, und suchte sein Glück in dem
Schooße seiner Familie — Ich sah eine Familie, die sich zur Liebe zur häuslichen
Glückseligkeit geflüchtet, jetzt aber auch alles von ihr zu verlangen schien — Ge-
schäft des Tages zerstreute sie, jedes Verhältniß das sich weiter unter die Menschen
ausdehnte ekelte sie an — nur einigen Freunden stand ihr Kreis offen, und wissen-
schaftüche und angenehme Lektür seJimückte ihn — Meine Gegenwart mochte os
bewirken || daß die Unterhaltung unter dem politischen Druck seufzte — man
wünschte etwas näheres von der braven, so allgemein bedauerten Schweitz zu
wissen, überall brach eher Unmuth über ihr eignes Schicksal hervor — Klagen
hörte ich nicht mehr — der Mann bekannte sich einen Deutschen, bedauerte sein
Vaterland, das nun schon hundert Jahre den Druck fühle einem Fremden an-
zugehören, von seinem Einfluß beherrscht zu werden — „mein Vaterland ist nicht
in Paris" — sagte er, einige Worte bezeichneten die Thaten der Obern, dann
wandte er sich in Eckel von ihnen
Man findet hier überall noch ganz den Deutschen, nichts haben weder die
Gelehrten, noch Geschäftsleute, noch Kaufleute, jung und alt, wie ich sie sah den
Franzosen abgelernt — hervorgepreßt, verschroben drangen sie sich oft dem
Franzosen vor, wenn seine Schnelligkeit, seine Gewandtheit sie überflügelte, wunder-
bar, daß die nothwendige Mischung beider Nationen nirgends glücken will — der
Deutsche muß sich vollenden, dann wird er das Feuer des Franzosen im Innern
beleben und seine Schnellkraft erhöhen — dann werden ihre elektrischen Funken
zur raschen Handlung schlagen können || können und die verweiteten Blicke in
I08 Nachtrag zu 1799.
bleibende Ferne auf einen Punkt fixiren können. — jetzt erschrecken sie, sie
bringen sie aus der Fassung, sie werden in Falten gezogen, wenn der Französische
Strudel sie ergreift — .und sie schämen sich fest zu stehen — weil sie leer sind
— mir kommen Sie vor wie Dein Rudi, wenn er Gesichter schneidet und sich an
den Beinen zupft und liinkt, und stottert, und eilt, und endlich gewaltig laut und
gefährlich spricht. —
746. Brief Fr. Muhrbecks an H. (10 S. 8°. N.) Rast[att] Dez. 1798.
747. Ein von C Steiger [?] verfaßter Aufsatz über den Zustand Roms
zur Zeit Tiberius'. (2'4 S. 4». N.)
748. Muhrbeck an H. (8 S. 8°. N.) Hier wird nur der Anfang des Briefes
mitgeteilt. [1799 Homburg v. d. Höhe]
Lieber, unaussprechlich geliebter — nimm diese "Worte für die wärmste Um-
armung — • — Boehlendorf schrieb, er brachte mir Dein Testament — 0 Freund
Dein Brief sagt, daß die "Welt einst ein unsterbliches Testament erhalten werde.
Ich darf für ihn nicht blos danken — Du hast Dich mir in ihm selbst gegeben —
Du bist tiefer inniger in mich gekommen — ich kann Dich nur wärmer noch an
mein Herz drücken — und durch meine Achtung für Dich meinen Eifer beseelen. —
Sinclair bath mich (ihm und Hoelderlin habe ich Deinen Brief vorgelesen) daß ich
Dir schreiben mögte, wie sehr er Dich achte — sich freue einen solchen Menschen
gefunden zu [haben] — er hoffe Dir einst mit Dir selbst reden zu können. Hoelderlin
sagte: es muß ein herrlicher Mensch seyn. Ich schreibe Dir wies war, solche
Worte II aus der Ferne — auch von nichts andern begleitet thun doch wol im Augen-
blick in der Einsamkeit. — Ich habe Dir noch nichts von diesen Freunden ge-
schrieben. Boehlendorf schreibt: Die Liebe zu Dir laße ihm den Versuch eines
Gemäldes wagen. Ich liebte ihn in diesen Worten und sie erschütterten mich,
warum schwieg ich denn so lauge von ihnen? — warum faß [V] ich überhaupt so
selten zu den fernen Freunden. Daß ich oft und viel um Euch bin, das weiß ich
das könnt ihr glauben — und daß ich fühle, daß es nicht genug ist dies zu sagen
— werdet Ihr auch glauben — aber ich gestehe es, daß noch oft die Reflexion und
der Wille (der sich oft vielleicht zur Unzeit einstellt) etwas vollständiges zu thun
die Äußerung meiner Liebe schwächt — und ihi-[eni] Leben und Weben || auch im
Innern Einhalt thut — aber eine Trauer und eine Hofnung — vereinigen sich mir zu
trösten und mir Muth zu geben — wenn ich in ungehemter Thätigkeit fortgehe —
es wird einst besser seyn — und das erste wenn ich wieder mit ganzer Seele sage-
es ist besser liegt vielleicht nicht ferne. Ich sage dies in Ruhe und Festigkeit zu
mir, wenn ich vergesse, daß noch ein Schicksal über mich ist — dann fürchte und
lasse die Furcht in mich kommen (gleich dem Spartaner der ihr einen Tempel baute)
und hoffe und bitte ich von den Göttern — — — das Oebeth der Inbrunst kann
ja nur aufschweben — wenn frei die Seele sich der Endlichkeit mitschwingt || Deinen
Aufsatz, Theurer habe ich mir noch zu lesen versagt — in kurzer Zeit — vielleicht
in einigen Tagen werde ich sein Studium unternehmen.
749. G. A. von Halem-an H. (4 S. 8». N.) Oldenb. 1799 Jan. 8.
Ja, Lieber! icli habe mir wieder eine innige Freundin und Gefährtin auf dem
Lebenswege gewählt, und wundere mich jetzt in dem VoUgenusse des Glücks, wie
ich es so lange entbehren konnte. Aber freylich muß uns auch dies Glück, wie
jedes andre überraschen; denn gesucht sinkt es uns selten in die Arme. — Die
Blüthen aus Trümmern keimten und blühten auf mit der Liebe. Es würde mich
Nachtrag zu 1799. 109
freuen wenn sie Ihren Beyfall fänden, und gefallen sie nicht in Helvetiens Flui-en,
in dem Lande der Einfalt und Natur, so sind sie sicher keines Beyfalls werth.
0 daß das schöne Land mit dem Blute seiner Einwohner gefärbt werden
mußte! Innig habe ich über dies grausame Schicksal getrauert, |' und doch — wäre
nie die so nöthige Einheit in der Regierung zur Reife gekommen ohne den Sturm,
<ler dem treibenden "Willen die eine Richtxmg gab. Ich vergleiche die Schweizer-
Catastrophe mit der Wasserfluth von Anno 17. Ein jeder erkannte schon vorher
die Nothwendigkeit einer Deich-Reform. Aber es blieb beym alten, und es mußte
erst recht arg werden, ehe es besser ward. Die Eluth von 17 riß mit einemmal
alle Deiche nieder, und Tausende von Menschen wurden ein Raub der vorigen Nach-
läßigkeit. Jetzt erhob sich das Volk in Masse; und durch die Comunion-Deichung
die nun begann, erhielt das Land eine Brustwehr, die seit 80 Jahren den Stürmen
trotzet. Mit inniger Theilnahme lesen wir noch jetzt die Leiden der Ertrunkenen
und Geretteten, mißbilligen die || Versäumniße der vorigen Machthaber; klagen über
■die scüwachen, unentschlossenen, od. durch Xeid und Partheygeist getrennten
Menschen; aber gestehen uns zugleich, nur durch eine Landes-Calamität konnte das
"werden, wessen wir uns erfreun.
Auf Ihrer Frau Mutter Veranlassung entstand hier neben der alten litter. Ge-
sellschaft noch eine andei-e, die den Damen geweiht ist. Aber die Veranlasserin
selbst floh uns diesen Winter. Der Lenz bringt sie, denke ich, zurück ; und mit ihr,
hoffe ich, auch Sie. Ihr vortreflicher Vater, einer der besten Menschen die ich
kannte, wünschet es sehnlich; und Sie können denken, wie sehr ich meine Wünsche
mit dem seinigen vereine. Ihre Sehnsucht, Helvetien zu sehn, || und Ihr "Wohl-
gefallen, diese Sehnsucht zugleich mit der Cultur Ihres Geistes durch Jugend-Unter-
richt befriedigen zu können, habe ich mir leicht erklärt, habe es schon gefunden.
Aber — est modus in rebas, sunt certi denique fines. Ihr Vaterland, Ihre Freunde,
Ihre Eltern haben Ansprüche an Sie, die Sie nicht täuschen müssen, die Sie nicht
täuschen werden. Ich wiederhole es, der Lenz bringt Sie in unsre Anne; und
dann läßt sich über so manches reden, was zu schreiben zu weitläuftig ist.
"Weltmann treibt sich in Berlin herum, wo er bey dem Verleger seiner Werke,
Unger, wohnt. Er schreibt dort an der Geschichte Englands und brütet Pläne zu
Reisen in das südhche Europa. Seine Briefe an mich sind voll treffender, epi-
grammatischer Urtheile. Ein Roman: Mathilde, der um Ostern erscheint, ist die
Frucht seiner Muße des vorigen Winters, den er hier zubrachte.^)
Wer mag Verf. des Büchleins: Bemerkungen üb. die Schweiz etc., von einem
Schweizer Otficier, das mit großer Sachkunde geschrieben ist? Ihr Halem.
750. Rist an H. (8 S. 4°. N.) Kopenhagen d 19 Januar 99.
Geliebter Herbart, es sind 14 Tage verflossen seit ich Deine mir unbeschreib-
lich kösthchen Worte erhielt, die mein Wesen mit einer Freude und Erquikkung
durchdrangen, daß ich nicht an das Schreiben denken konnte, und heute noch, da
ein ruhiger Morgen, ganz der Unterhaltung mit Euch Ihr Theuern gewidmet, er-
scheint und ich nun die Feder ergreife, verwirrt mich das Uebermaaß mancher
Empfindung so daß ich wieder aufhören mögte, und doch nicht kann — . Laß mich
es Dir nur gleich sagen daß ich nicht weiß ob ich mich dem herrhchen Genuß von
Euch wie immer mit so reiner Treue geliebt zu seyn, oder dem beschämenden Ge-
fühl, daß Ihr mehr in mir seht und hebt, als ich bin und habe — hingeben soll,
daß aber immer der Gedanke an Eure Freundschaft die Oberhand gewinnt, und
mich alles andre gern vergessen macht; daß in mir für Euch eine ganze Welt von
'■) Dieser Roman ist Ut. -historisch unbekannt.
jjO Nachtrag zu 1799.
Leben die ich durchwandert und die sich in mir erzeugt, seit ich Euch nicht sähe,,
drängt um vor Euch zu treten und wie jede einzelne Erscheinung, die Eurer wehrt
ist, für Euch ans Licht zu kommen strebt, wie auch hier mich Menge und Gehalt
der Erscheinungen verwirrt, und wie ich dann doch immer wieder zurückkomme auf
den Schluß Deines Briefs: Unsere Herzen sind auf immer vereint! — Sie sinds.
Ich mag nicht mehr über Unsterblichkeit grübeln und sprechen, wie ich diese
Zeit viel mit den Freunden gethan, nachdem ich diese "Worte geschrieben'; und
wollten die Götter die mein eignes Daseyn mir zum Räthsel aufgegeben haben, mir
das Gefühl das mich in diesem Augenblicke erfüllt, in seiner ganzen Fülle erhalten,
ich würde ewig nicht wieder grübeln und davon viele Worte machen. — Aber
wahrlich — mir stehn zween Geister zur Seite. Einer ist der Geist des Lebens;
er offenbart sich in sanftleuchtenden || Feuerflammen und im Säuseln des Windes;
er gibt Kraft zum muthigen Handeln, er löst alle Räthsel und es blühet was er be-
rührt; aber der aodre Geist steht mir zur Seite in bösen Stunden, wenn keine Er-
quickung nahe ist, und wenn die Freude sich weggewandt hat. — Aus seinem Munde
geht ein kalter Hauch, der das Leben in seinem Mark erschüttert; die freundlichen
Gestalten erstarren vor ihm in ihren lieblichen Bewegungen, und die Lust des Lebens
flieht vor ihm: er höhnt die Hofnung und verschmäht den Trost. Dieser Geist ist
mir das unbegreifliche in der Natur; aber ich hoffe noch ihn zu vertilgen, denn
nun ist der gute Geist mächtig in mir, und ich will seinen bösen Gesellen nicht
durch Grübeln citiren. Er war schon im Anzüge und meine Stirn faltete sich schon.
Ich werde Dir viel, recht viel schreiben müssen, und freue mich recht dazu,
um mich Dir zu zeigen wie ich bin, in meinem ganzen Wesen, in allen meinen
Formen und den Verhältnissen des Tags. — Wisse nur zuvor, daß der alte treue,
rechtliche Sinn, der mit mir unter den Linden und hohen Eichen meines väterlichen
Dorfs aufwuchs, den Du kennst, und die unbefangne, furchtlose Vertrautheit mit allen
Erscheinungen des Lebens, die Du einst an mir liebtest, noch die Hauptbestandtheile
meines Wesens ausmachen, daß sie mit mir auf alle Ebenteuer ausgezogen sind, und
indem sie mir meist eine gute Aufnahme verschafften, wohin ich kam, mir wenigstens
zeigten, daß die Menschen nicht so sehr aufgehört haben es zu seyn, um nicht wirkliche
Menschheit zu lieben oder wo sie das nicht mehr konnten, doch zu achten. — So können
die verschiedensten äußeren, selbst oft für das Bessere in uns für den angebohrenen
Geist gefährliche Lagen, wenn dieser erst eine männliche Reife erlangt hat, wenig
Einfluß auf uns haben; es zeigen sich neue und fremde Gestalten, ungewohnte ][
Thätigkeiten werden gefordert, unnatürliche Rücksichten werden nothwendig — aber
es bleiben die alten Neigungen, die alten Gesinnungen und Gewohnheiten, und Hand-
lungsweisen, und im tiefsten Herzen die alten Wünsche; Schmuck und Schönheit
mit der Tünche der großen Welt bleiben meiner Liebe fremd. Ich hänge an der
Natur mehr wie je. Ein einzelner Baum der grünend aufstrebt in seiner Kraft
und in seiner Pracht und seine blättrigen Äste wiegt, entschädigt mich für das
Geschwätz von der Zeitung und von der Gesellschaft, heilt mich von Eitelkeit und
Begierde, die die Thorheit rege gemacht hat. — Das Licht der Sonne, die mir immer
das Urbild des Lebens und die Quelle der Freude bleibt, erquickt mich desto mehr,
da ich oft in diesen- Jahrszeit hier Wochenlang ihren Anblick entbehren muß, wenn
sie gegen meinem Fenster emporsteigt; zwar sie geht mir nicht über den Schnee-
gebirgen auf die ich oft auf La Eive's und Heßens Gemälden bei der Fr. Brau, in
Duft und Ferne gehüllt mit unbeschreiblicher Sehnsucht betrachte, wie Dir, Du
Glücklicher; aber sie steigt mir aus dem Meer auf und röthet verschönernd und ver-
kündigend die hohen Schlösser von Amalienburg. Mit ihr heben sich meine Ge-
danken froher, und sie befahl mir heute Dir zu schreiben. — Aber der heutige
Nachtrag zu 1799. m
Tag ist mir aus noch einem Grunde festlich; er ist der Nachtag eines Festes das
verdiente gefeiert zu werden, und gefeiert ward, wie es verdiente. Berger und ich
wir begingen gestern das Fest unserer Bekanntschaft vor 3 Jahren. Du erinnerst
Dich jenes Abends in T\'eimai und Hamlets; — daß Gries und ich dort zuerst Berger
und Hülsen sprachen, daß wir Champagner tranken, und in der lautesten Begeiste-
rung II mit Floret nach Kötschau, von dort später nach Jena fuhren? Und höre nun
wie wir den Tag feierten ; so hast Du zugleich ein Beispiel eines 7-echt guten Tages
hier in Kopenhagen; — auch die mittelmäßigen und schlimmen sollen Dir nicht
vorenthalten werden. — Ich hatte mich frei gemacht um den ganzen Tag mit den
Freunden leben zu können; gegen 11 Uhr Morgens war das Rendez- Vous auf dem.
— Fechtboden, den wir wöchentlich einigemal zusammen besuchen, bestimmt. Bergers
jüngerer Bruder, der Husar (Du solltest ihn kennen — ich nenne sie nur die Dios-
kuren) war allein unser dritter Mann, — Hier nun begannen wir nach griechischer
Art mit Kampfspielen allerlei Art in der Gesellschaft mancher kampflustigen Jüng-
linge die Fever; drauf ward, um dui'ch ein [maiges?] Spiel die ästhetische Stim-
mung zu erhöhen, bis zu Mittag- Billard gespielt; und dann von uns Dreien, unter
Scherz und Ernst bei freundlichen Gesprächen ein Bundesmal gehalten, wo wir an-
dächtig bei des Rheinweins milder Kraft der fernen Freunde gedachten, und wo
der feurige Portwein den Cirkel schloß. — Nun ward ein Spaziergang in der seit
langer Zeit zum erstenmal wieder frischen belebenden Luft gemacht; vom Walle
sahen wir im Westen die rothe Scheibe der Sonne sinken; und eilten nun nach
Bergers Zimmer, wo beim Kaffe die Stunden uns hinschwanden. Von dort — ja
wundre Dich nur w^ie geistig und sinnl. sybaritisch wir auf unser Vergnügen raf-
finiert halten — gingen wir zu dem gemeinschaftlichen Freunde Wolff, auf dessen
Zimmer wir bei der freundlich dampfenden Friedenspfeife, wohlschmeckenden Thee
einnahmen bevor wir uns nach 7 Uhr nach der Scene des Hauptdrama begaben,
das heißt nach Thadens Stube, wo wir 6 Freunde zum Tranke des Bischofs ver-
sammelt hatten. — Was soll iehs Dir sagen daß hier hohe Lieder gesungen wurden^
wie einst || in Jena „von einem glücklichen Volk ahnender Sterblicher,, : — daß mich
vor allem die schöne Wiederkehr der guten Stunden und der höhern Genüsse des
Lebens vertrauend in die Zukunft blicken ließ und daß ich zufrieden war in dem
BewußtsejTi, der wohlacgewandten schönen Zeit der Vereinigung, die auch hier im
-Norden einen Kreis vou Angehörigen umschließt. — : denn schon wieder naht die
Trennung von einigen, mit dem Früling. Bergern treibt der unstete Geist des
Lebens abermal in das heil. röm. Reich, und wer weiß wo son.st hin: ich bleibe
fürs erste noch hier; aber es ist eine große Frage, ob ich ihm hier wieder begegnen
werde. — Denn ich werde mein Geschick nicht an diesen Ort binden.,
,,Und was, fragst Du mich, — willst Du denn beginnen? wohin treibt Dich Dein
Sinn?,, Und Herbart — mit einem Seufzer antworte ich Dir. — Auf! fort! ruft
es oft in mir. ., Wohin — wohin? frage ich sehnsuchtsvoll; ach — und vor mir
liegt dann die ganze Welt, — liegen die sonnigen Gefilde der Kindheit in weiter
Ferne, — liegt alle Schönheit, liegt das Land der Freundschaft — die Haine der
Liebe, aus denen mir süße Töne rufen. — Alles was ich großes und Schönes je
gesehn und geahnt — der erste Frühlingstag — die Morgenröthe, Berg und Thäler
— das Meer und die Alpen — geträumte Heldenthaten — alles — alles was ein
Menschenherz erfüllen und zersprengen kann schwebt in dunkeln Bildern mit Blitzes-
schnelle vor mir auf. Ich strecke meinen Arm aus — ich stehe vor dem Universum,
fühle daß es unendlich ist — fühle daß es mein ist, und ich Kraft habe, es zu er-
messen. — Hie fallen alle Bande, alle Verhältnisse! — mich fesselt keine Gewalt;,
mich kann nicht der enge Raum Eines Landes, der enge Kreis weniger Menschen.
JJ2 Nachtrag zu 1799.
halten; luid wollte |1 die Mode, wollte die Klugheit auch immerhin. — Was ist Klug-
heit, wo es um etwas Höheres geht, wo das Leben und seine Bestimmung, seine Natur,
auf dem Spiel steht? — Ich habe noch keinen ökonomisch-politischen Plan — wiU
keinen haben; — ich zittere wenn man von meinen Aussichten spricht, und lache wenn
man fragt, in welchem Collegium ich angestellt seyn mögte? Dieses Treiben und Drängen
nach Veränderung, nach Mannigfaltigkeit — besser wohl nach Allheit und Unendlichkeit
in meinem Innern nehme ich für einen Bürgen meiner Bestimmung; — ich werde
diesem Geiste folgen, werde auf seiner Bahn gern zu Grunde gehn, wenn er es
heischt. — Du verstehst mich Herbart, (Du ahnetest sonst die Wahrheit manches
unvollkommenen Gedanken in mir) es ist lächerlich von Unendlichkeit, von aus-
gedehnter Wirksamkeit und andern Hofnungen oder Postulaten eines andern Lebens
zu sprechen, wenn wir uns hier schon früh^ eh es uns noch Bedürfniß wird, ein-
bannen wollen in einen engen Kreis der uns die Hälfte uusers Daseyns in halbem,
trostlosen Bewußtseyn hinhält. — Ich fühle nun daß mein inneres Leben durch die
Mannigfaltigkeit und den periodischen Wechsel äußerer Lagen und Gegenstände ge-
weckt wird; hätt ich die Alpen bestiegen, Euch umarmt und eine Zeitlang in Eurem
Kreise zugebracht, — ich weiß es, so war ich schon mehr — vollendeter, als ich
es izt bin, und wüi'de stärker einem andern Himmelsstrich — vielleicht mit Euch
zuwandern. Und, wie Viele trefliche leben nicht noch uns unbekannt in ihren
Kreisen! Auch sie müßten wir kennen! — Das Ziel meiner Sehnsucht, — die Be-
friedigung — II ich weiß es. — sie find ich nirgend ; — Freiheit wird mir im Fleische
nicht zu theil; kein möglicher Kreis kann sie mir bieten aber im Wechsel werd'
ich mich ihrer bewußt. Einst, wenn meine Pulse langsamer klopfen, meine Ge-
lenke sich zu verknöchern beginnen, werd ich nach Stille, und Einförmigkeit mich
sehnen — gut; ich werde dann entsagend den schönen Kranz von meinem Haupte
nehmen und dem Ruf der Natur folgen. — Aber bis dahin will ich auch die Be-
stimmung meines Wesens verfolgen. — Und warum sollte ich denn nicht zu Euch
kommen r Ich werde es. Und warum komme ich nicht schon izt? Mir fehlt nichts
als politische Unabhängigkeit; aber die ist auch beinah moralische Unmöglichkeit. Ich
ergebe mich in die Nothwendigkeit, besonders da mir mein dermaliger Kreis noch
nicht so alt und enge geworden ist, daß er keine Abwechslung, keine Anregung
mehr gäbe. — Immer aber betrachte ich meine itzige Existenz nur als einen Auf-
tritt in einem der ersten Acte eines Schauspiels von dem ich — der Schauspieler
und Zuschauer in eioer Person, noch uicht weiß — ob es Lust- oder Trauerspiel
werden will. Einerley! — weiß ich doch, daß ich auf keinen Fall un belohnt ab-
treten werde. — Dir wUl ich nun noch in aller Kürze einen Abriß von dem Schau-
platz, wo dies Drama vorgeht und den Decorationen geben. .
Die fünf schönen Monate lebe ich 2 Stunden von hier auf einem reizend ge-
legenen Landhause des Grafen: Seelust. Es liegt am Sunde und aus den Bosketts
die sich bis ans Ufer erstrecken sehe ich die schwedische Küste, und die unzäh-
ligen meerdurchwallenden Schiffe; ein schöner Wald dicht dahinter. Höchstens alle
8 — 14 Tage reite ich einmal zur Stadt, und lebe übrigens so angenehm als möglich,
und zieml. ungebunden. — Zerstreuter, aber in Rücksicht meines Umgangs auch
angenehmer im Winter, hier. || Graf Schimmelmann ist einer der seltenen höheren
Menschen, die Güte und Unschuld der Kindheit mit ins Grab nehmeu, die alle
Schlechtigkeit der Menschen, alle Thorheit der Welt, alle fehlgeschlagenen Ver-
suche zu ihrem Besten, und ein hingeopfertes Leben nicht müde oder unwillig
machen können. Ich achte ihn unbeschreiblich und liebe ihn wie meinen Vater.
Schade nur daß er Minister ist, daß seine unendlichen Geschäfte seine beßre Kraft
großentheils verzehren, und — daß ich ihm nicht helfen kann; er verdiente ein
Nachtrag zu 1799. j j -?
besseres Schicksal. Ton ihm unmittelbar erhalte ich meine Geschaffte, die, weil
alle Fächer im Staat besetzt sind, sehr mannigfaltig, und weder bestimmt noch
mechanisch und drückend sind. Sie bestehen außer dem vorlesen von einer end-
losen ilenge Briefe, Vorstellungen u. s. w., die er selbst wegen Augenschwäche und
Mangel an Zeit nicht lesen kann, und einem Theil seiner Geschäftscorrespondenz
meistens in Arbeiten, die ihm die seinigen nur erleichtern: Durchsehen und Refe-
riren von eingelaufenen Papieren, Extracte aus weitläuftigen Sachen oder Berichten,
Anmerkungen und Bedenken zu andern, Uebersetzungen, Dechiffrirangen, CalcüJs
Tabellen — mitunter auch wohl im Abschreiben von Sachen, die nicht jeder sehen
soll. Kurz — weil er ältester und erster Minister ist und 2 Departements, das
Finanz- und das Commerz CoUegium dirigirt, und außerdem noch in unzähligen
Commißiouen (unter andern der Schul- und Armencommißion sitzt) so geht eine
unendliche Menge von Gegenständen — meistens sehr cursorisch — durch meinen
Kopf — noch mehr aber durch meine Hände; vieles interessante aber auch nebenher
über innere Staatsverwaltung und äußere Verhältnisse, das er mir nicht verhehlt
weil ich sein Vertrauen besitze. Gewöhnlich arbeite ich Morgens von 7 od. 8 bis
10 Uhr bei ihm. Dann fangen seine anderen öffentlichen Arbeiten — Audienzen u. s. w.
an. Ich sehe ihn nicht wieder als 3-ühr Nachm. bei Tische. Bis dahin habe auch
ich Zeit für mich zu arbeiten — die Posttage ausgenommen arbeite ich Nachmitt.
nicht gern sondern gehe nach 3 Uhr aus oder die Freunde kommen zu mir. Wenn
ich abends nicht mit ihnen bin gehe ich gegen 9 Uhr hinunter, wo man sich in
dem Zimmer der Gräfin versammelt, wo wir oft allein sind, oft kleine Gesellschaften
von Hausfreunden sich einfinden. — Daß ich schon gar mancherlei Menschen kennen
gelernt, nachgerade assez coulamment französisch spreche, daß mein alter Adam
aber hartnäckig ist und sich nicht will aus seinem Paradiese treiben lassen, obgleich
er viel von der Klugheit leiden muß, brauch ich Dir nicht zu sagen. — Genug für
heute — lebe wohl theurer Herbart — ja wir sind auf immer vereint
Dein J. Rist.
751. L. Otth an H. [JenaJ 10. 6. 99.
Mein theurer Herbart; ich fühle mich gedrungen, diesen Brief nicht länger
.anstehen zu lassen, obgleich er Dir und mir höchst unangenehm fällt. Magst Du
mir es verzeihen, daß ich als entfernter Freund es wage. Dich über Deine Familien
Verhältnisse zu sprechen? — ich muß es dahingestellt seyn lassen, und meiner
Überzeugung folgen, die mir zu reden gebietet. — Nur noch Ein Wort zur Ent-
schuldigung: ich fühle das Beleidigende und undehcate einer solchen Einmischung,
und würde schweigen, wenn ich nur ahnden könte, daß Dich jemand davon be-
nachrichtigen würde, was ich zu sagen habe.
Ich glaube Dich lieber Herbart auch so zu kennen, daß weil ich reden muß,
ich auch ohne Schonung es thun solle.
So glücklich ich war, Deiner Mutter Gewogenheit hier immer mehr zu er-
fahren, und dadurch mit meinem ganzen Herz in das Wohlseyn und öchicksaal
Deiner Familie verweben wurde, so sind mir doch nie die häuslichen Verhältnisse
durch den Mund Deiner Mutter selbst entdekt worden, sondern, — meist nach ihrer
Abreise, — durch meinen vortrefflichen Harbauer, ihrem Arzte.
Deine Mutter, — fasse Dich für einen harten erschütternden Bericht, mußte
hier kaum erstanden aus einer tödtlichen Krankheit, sich aufraffen heimzureisen,
weil sie von Deinem Vatter durch Rückbehalt alles Geldes darzu genöthigt wurde;
denn bereits kam es so weit, daß sie, da Fichte auf seiner Abreise nicht mehr
darum zu ersuchen war, bey dem armen Harbauer borgen mußte biß Dietendorf wo
Herbarts Werke. XIX. 8
11^ Nachtrag zu 1799.
sie von der Gräfin Kameken Hülfe erhielt. || Sie war fast auf jeden Empfang in
Oldenburg gefaßt, aber er überstieg doch alle Erwartung; sie wurde in ihr, von
Eeuchtigteit und Salpeter verpestetes Zimmer geführt, wo alles was sie von jeher
besessen, theils zerstreut herumgeworfen , und großentheils fortgeschafft war, ja
sogar an allem Leinzeug gebrach. Sie fand keine Bedienung mehr für sie, — als
ein Mädchen das nun herbeygeschafft ward, und noch nie gedienet hatte. Mit einem
"Worte der Empfang Deines Vatters war der eines entfernten Bekannten: — und
gegenwärtig sehen sie sich außer der Gesellschaft, nicht mehr.
Dazu kam noch die Krankheit der Antonie, die ihrer Sorge noch unbegreiflicher-
weise, ganz allein anvertraut bleibt; Deine Mutter die so schwer krank ist, muß
jetzt noch diese kranke Tochter und eine kranke alte Magd, — und die Küche
besorgen !
Was ich gesagt, und besonders jezt noch zu sagen habe wäre schwarze Ver-
leumdung des Vatters meines Freundes, wenn ich etwas mehr unternähme, als Dir
wiederzuerxählen was mir gesagt ist. Dein Vatter verzehrt das Vermögen Deiner
Mutter allein; und für alle Kosten des Hauses und der Familie; Entzieht ihr vieles
was er ihr auf alle weise schuldig ist. Die 300. Thlr die Dein Vatter Dir senden
sollte, sendet Dir immer und allein die Mutter, aus ihrem Vermögen.
Doch, es war nicht sowohl meine Absicht, eine Aufzählung von unglücklichen
Vorfällen zu versuchen, als um Dir einige Bitten einzureichen.
Es thut mir weh, Dir zur Warnung sagen zu müssen || daß zum Theil auch Du
die Veranlassung zu ihrer gefährlichen Krankheit warst, durch einen Brief wo Du
um niittheilende Rechenschafft der Handlungen Deiner Mutter batest; Deine Mutter
handelt — jezt unglücklicherweise — nach dem Gruudsaze, was sie thue, das solle
von Deinem Vatter und Dir, stets als eine Handlung angesehen werden, die gut
und rechtschaffen gemeint, und aus Überzeugung gethan worden; — sie könne da-
her hinwiedrum verlangen daß Ihr nicht Rechenschafft davon gefordert werde. Es
ist nicht an mir, darüber zu sprechen, aber Dich zu bitten, für immer diesem Ver-
fahren zu entsagen, indem Deine Mutter nicht nur auch immer auf diesem Ver-
halten verharren wii-d, sondern sich so unendlich dadurch gekränkt fühlt, daß ihr*
Leben dabey durch ihre äusserste kranke Reizbarkeit, in Gefahr kommt.
Wundre Dich nicht wie Harbauer dieses volle Zutraueu geschenkt werden
konte. Als Arzt soll ers haben, und als der würdige Harbauer verdient er es.
Seiner unermüdeten Sorgfalt, die wirkl. über alle Beschreibung geht, verdankt
Deine Mutter ganz und vielfach ihr Leben; er war gerade der Mann, der es nicht
nur um der Arzney und Besorgung willen, sondern um der Beruhigung und Ab-
wälzung des gefährlichen ängstigenden Gemütszustandes bedorfte. Fichte hatte ihr
ihn zugesandt, und es war seine Pflicht, das Zutrauen das er sich erwarb, und das
man ihm unwillkürlich schenkt, wen man ihn kent, — darzu anzuwenden, daß er
die Quelle der Krankheit erfahre, um ihr entgegenzuwirken. Endlich kan es seyn
daß er Dir mit einiger Härte schreibt, halte es seiner Redlichkeit zu gut! Die
Briefe, die er von Deiner Mutter, und weit schlimmer noch von Antonie erhält,
enthalten Dinge die sein Herz empören, und indem er Dich nicht genug kennt,
glaubt er gegründete Unzufriedenheit || gegen Dich zu haben. Deine Mutter hat nun
einmahl in Oldenburg niemand, wem sie sich öffnen mag; und ihre Denkungsart
gestattet es ihr auch nicht, Mittheilung zu suchen, zu welcher sogar Harbauer nur
mit Mühe gelangt ist. Ich erwarte nicht von Dir den Anspruch, daß Du als Sohn
hierinn den Vorzug vor Harbauer habest, es ist nun einmahl so; Du würdest,
aller Liebe Deiner Mutter zu Dir ohngeacht, nicht dazu gelangen, und durch die
Fordrung, Deine Mutter in Gefahr sezen. Auch an Deinen Vatter wende Dich um
Nachtrag zu 1799. 115
Gottes willen vreder bittend noch mit Vorwurf, alles fiele wieder auf sie zurück.
Ich wünsche also durch diesen Brief nichts weiter zu erreichen, als Ruhe für Deine
Mutter von Deiner Seite, und daß Dir ihre Lage näher bekannt seye. 0 daß doch
ein Ausweg sich zeigte, wie Deine Mutter aus dieser Lage herauszureissen wäre;
denn es ist fast unniögl., daß sie nicht bald unter diesem Zustande erhege.
In den lezten Tagen besuchte uns Hörn auf seiner Rückreise von Rastatt,
mit Dohm. Bald verlieren wij- unsern unersezlichen Fichte, mein Bruder wird Dir
gesagt haben wohin wir seine Reise vermuthen; gegen das Ende dieses Monats kan
ich endl. auf die ankunft Böhlendorfs und Murbeks hoffen; meine Freude kan ich
Dir nicht genug dai'über ausdrüken; Ich bin hier sehr vergnügt; meine Arbeiten
gelingen wenn schon nicht nach Wunsch, doch zum Theil; und wer in Jena nicht
unschäzbare Freunde gefunden, der muß wahre Freunde nie gesucht haben.
Bleibe mir gut, geschäzter Herbart! Dein L. Utth.
752. Jenner an H. (2 S. 4». N.) Schottland am 27. Jul 99.
753. Böhlendorff an H.') Jena 30. Jul. 1799.
Indem ich eilen muß, einen Brief an Freund Fischer abzusenden, sinds nur
wenige Worte, die mein Herbart diesmal erhalten kann — und grade in dem Augen-
blick, da ich, um etwas zu schreiben durchaus sehr viel schreiben müßte. Braucht'
es nur nicht bey mir, um Gedanken, Seele wahr auszudrücken, noch immer einer
leidigen sorgfältigen Wortkunst, so schüttete ich's mit einem Male vor Dich hin,
und in Dich hinein. Deinen Brief habe ich hier erhalten und daraus gesehen, worin
Du arbeitest — und daß Du immer rüstig und herrlich bist. Ich stelle Deinem kühnen
objektiven Bau, einen stillern, innern, subjektiven entgegen, und wenn ich mir
wünsche, von iener äußern Welt (die durch das objektive Bauen wird) soviel zu
ergreifen, als mein u-irklickes, festes Eigentlmvi werden kann, so wünsche ich für
Dich, daß Deine objektiv errungene Wahrheit, . in ihrem ganzen Umfang und Tiefe
— auch Dein subjektives Eigenthum werde. || Deine Mutter in Oldenburg zu wissen,
hältst Du mit Unrecht für ein Glück. Die kranke Mutter, die ihr ganzes Leben Dir
zum Opfer brachte, brachte Dir auch mit diesem Hingehen ein Opfer — und ich
muß fürchten, daß Du mein Freund, viel mehr dadurch verlieren kannst, als mögl.
Gewinn sich erwarten läßt. Dein zweydeutiger Vater hat sie mit Hausherrnwürde
empfangen, in em nasses Dachstübchen geführt — die Thüre hinter ihr zugeriegelt
und sich entfernt. — Antonie schrieb dies Faktiun und Thränen waren auf dem
Blatt. — Daß der Mann sich übrigens nicht um sie kümmert, ist gut. Seit einer
etwa vierwöchentl. Abwesenheit desselben in Pyrmont — hat die Mutter sich etwas
erhohlt. Harbauer, ein reiner, edler Mensch, den ich hochachte, weil er der Hoch-
achtung für Deine Mutter eine ihm sehr theure, wichtige Zeit, fast gänzl. hin-
giebt, ist nach Oldenburg gereiset, und will versuchen, was noch zur Erleichterung
der herrlichen Frau, die in ihrer Krankheit erst, ganz groß und fürwahr be-
wunderungswürdig geworden ist, der Arzt thun kann. Ich werde mit Muhrbeck sie
höchst wahrscheinl. besuchen können. — |1 Fichte hat mich mit Freundschaft und
Wärme empfangen, sein edles Benehmen in semer entsetzlichen Lage, voll Ernst
und Würde, hat ihm mein ganzes Herz wieder erobert. Jakobis herrlicher, merk-
würdiger Brief an ihn, der in einiger Zeit mit seiner Antwort herauskommen wird,
hatte sichtbar auf ihn gewirkt. Dir war er ein wenig böse, und beschuldigte Dich,
1) 4 S. 8". N. Vgl. hierzu K. Freyes Buch „C U. Boehlendorff, Der Freund
Herbarts und Hölderlins''. Langensalza, Hennann Beyer & Söhne(Beyer k Mann), 1913.
8*
jl5 Nachtrag zu 1799.
ihn gänzl. misverstanden zu haben. Er versprach, Dir, statt einer bestimmten Ant-
wort, seine Antwort an Jakobi zu übersenden. Jak. Brief, den ich im Manuskripte
las, hat mir große Epoche gemacht. Mehr hievon zu sagen, behalte ich einem
längern Briefe vor, wo ich auch die geforderten Federzüge zur Vollendung der
(lemälde Hölderlins und Sinclairs versuchen werde. — Fichte ist jetzt in Berlin.
Hier, in Jena kömmt durch Stahl das mathematische Studium sehr in Auf-
nahme. Ein CoUeg von 90 Zuhörern, ist seit lang bey dieser "Wissenschaft un-
erhört. Sein Ansehen außer Jena ist gleichfalls außer ordentl. gestiegen. — Goethe,
der ihn sehr auszeichnet, hat ihn || zur Professur befördert. Ich lebe hier täglich
mit Stahl. Wäre der treffliche, geistreiche Mann, im übrigen mehr zu seiner eignen
Zufriedenheit — nach seinem starken Bedürfniß ausgebildet, so wäre seine
Wissenschaft, der er sich gänzlich opfert, seiner noch sicherer, da sie jetzt
oft schwere Kämpfe mit seinem JkferascZ/ewbedürfniß zu kämpfen hat. Er wünscht
Dir und Steck und Fischern sehr empfohlen zu seyn — wie auch den andern
Schweizern. — ■
Sage unserem trefflichen Zehender, mit meinem innigsten Gruß und Dank für
seinen Brief, den ich gewiß nächstens beantworten werde, daß sie selber meine
Bücher tasiren mögen, wovon der Preis nicht dasteht. Ich werde mich ihrem Aus-
spruch gern unterwerfen. Die Hälfte vom Kaufpreis mag bey denen, um welche
Anfrage geschehen ist, die Grundbestimmung seyn.
Muhrbeck ist noch nicht hier. Ich bin ihm ein wenig ziivorgelaufen — aber
er läßt zu lang auf sich warten, und ich warte mit Ungeduld. Indessen fürchte ich
hier keine Langeweile; das alte Jena steigt mir aus seinem Grabe hervor und die
Gesellschaft der Schatten ist zuweilen lebendig. Im Kochschen Garten habe ich
mit ein paar Jünglingen, die ich liebe, unser Bekanntwerden mit Weinchocolade und
traul. Gespräch gefeiert. Rist und Berger und Rosencranz sind z. Besuch in Holstein
wo wir sie wahrscheinlich sprechen.
Gruß und HändedruckI Dein B.
754. Muhrbeck an H. (4 S. 8«. N.) Der Schluß des Briefes wird nicht mit
abgedruckt. Berlin d. Uten Db. 99
Lieber Herbarth, Daß ich Dir seil Frankfurth nicht geschrieben, ist unrecht —
Entschuldigungen die ich aufbringen könnte sind zu klein um mich zu rechtfertigen.
Ich will ganz schweigen und der Zukunft meine Vergebuug anvertrauen, wenn Du
zürnst — wie Du es ürsach hast. Aufschub der Art zeigt die Unordnung in dem
Charakter meines Lebens — Vernachlässigung der Freundschaft durch überspannten
höheren Trieb — aber weiter auch nichts. — Daß ich mich bessre ist eben so ge-
wiß — als dieses Bekenntniß von der Vergangenheit war. — Dieser Brief hier den
ich mich || in geengter Zeit zu schreiben und — so kurz, — wie Du ihn siehst
abzusenden entschlossen — mag schon Zeugniß seyn,| das einzige, was ich jetzt
geben kann. —
Keinen habe ich in Jena gefunden, den ich Dir als Nachfolger vorschlagen
könnte — ein Landsmann dazu tr. Freund von mir: Schwarz hatte es mir gewisser-
maßen zugesagt — nahm nachher aber sein Wort zurück. In Greifswald werde
ich mich von neuem bemühn, und Dir Nachricht geben, und von Dir Antwort
erwarten. —
Ich habe Fichte hier gesprochen — ich spare auf eine Muße im Vaterland
die Resultate unsers Zusammenseyns. Mir waren sie sehr wichtig. F. fand un-
aussprechlich erhöht — wie nie ergriff mich sein Wesen — eine religiöse Heiter-
keit hat sich mildernd über den gewaltigen, || schneidenden Ernst verbreitet . . .
Nachtrag zu 1 800. 117
755. Reisepaß für Herbart. ')
N. 2530. Freyheit. (Wappen) Gleichheit.
Helvetische Republik,
ein und untlieilbar.
Canton Bern. — Distrikt Bern.
Lasset frey und ungehindert paßiren, den Bürger Johann Friedrich Herbart^
gebürtig von Oldenburg, alt 23 Jahr, von Statur rakner'^), 5 FuJ3 und 2 Zoll hoch,
hellbraune Haare, gleiche Augenbraunen, graue Augen, spixe Nase, mitlerer Mund,
rufides Kinn und in der rechten Backe eine Narbe; welcher willens ist zu reisen
durch Strasburg und Mainz nach Hause^ daß ihme keinerley Art von Uebel und
Verhiudernng, weder an seiner Person, noch an seinen Effekten, zugefügt, vielmehr
alle benöthigte Hülfe gereicht werde; welches wir von hier aus gegenseitig zu er-
wiedern uns erbieten.
Der gegenwärtige Paß, unterschrieben von obengenannten Reisenden, ist nach
dem Gesetz, auch vom Unterstatthalter des Distrikts unterzeichnet, und mit seinem
Siegel versehen.
Bern, den 24ten Xbr. 1799
Unterschrift des Reisenden {Siegel) Unterstatthalter des Distrikts Bern
gez. Joh. Fr. Herbart. gez. Anton Caderas.
756. Gries an Steck. Göttingen d. 9. Mai 1800
Herbart war vor einigen Monaten bei mir. In den zwei Tagen unsers Bei-
sammeuseyns hat er mir viel erzählt, viel von Dir Vor 8 Tagen bin
ich von Jena zurückgekehrt, wo ich einige Wochen mit Böhlendortf und
Schildener lebte.
757. Böhlendorff an H. (4 S. 8". N.) Dresden 20. Apr. 1800
758. Eschen an H. (4 S. 8". N.) Bern d. I2ten Jun. 1800.
Es war den Abend vorher, daß ich die Nachricht bekam, unser theurer Fischer
sey entschlummert und sein Geist schwebe unter den Sternen über seiner Schlummer-
stätte. Den andern Morgen erhielt ich aus unsers Zehenders Hand Deinen Brief,
"geliebter Herbart, diesen herrlichen Zeugen des Lebenden; ich ward wieder muthiger,
sah muthiger die Bahn des Lebens entlang, und ging sie mit Dir rüstiges Ganges,
die Menschen freudig anblickend, und freudig Hand und Geist zum Werke rührend.
Mag dann die längere Nacht kommen, aus welcher wir staunend mit anderen Augen
erwachen: sie ist uns willkommen, als der Ruf in das ferne Land,, das oft un-
bekannt und wunderbar vor unserer Sehnsucht daliegt; in das Land der Vereinigung.
Über dem Grabe des gestorbenen laß uns fester die Hand drücken, und größere
Lebenslust unsere Brust füllen, daß unsere Kraft zum Guten dadurch dauernder
und lebendiger werde; daß wir einst gerne von den Sternen ins verlaßene Thal
hinabblicken. — ||
Den Abend nahm ich wieder Deinen Brief und ging auf die herrlichste Höhe
von Rümligen, vor welcher die ganze Reihe der Berge alle ihre leuchtenden
Häupter hinzieht: ich rief Dich zu mir. wie sie in allem Lichte dastanden, und
mein Herz lief von Freude über und mein Auge ward feucht. Ich weilte nicht bis
^) 2 S. 2". N. Rückseite mit Visen verschiedener Orte, zuletzt steht das
im 1. Briefbaude S. 130 erwähnte darauf. Die kursiv gedruckten Wörter sind
handschriftlich eingefügt.
"■) Von düi-rer, schlanker Gestalt.
1 1 8 Nachtrag zu 1 800.
der goldne Schleier sich entfärbt hatte, und ich trug durch den dunkleren Wald
alle Freude mit mir heim. 0 theurer, theurer Herbart, warum müssen wir in
unsern schönsten AugeDblickeu so stumm seyn, warum kann ich Dir nicht mit allen
Tönen meines Gefühls, die in Freude, Wehmuth und Sehnsucht durcheinander in mir
stilrnien, Dir zurufen, was Du mir bist und was ich Dir seyn möchte. Diese, diese
Töne, und andere gleiche, sind die Boten, welche mir so oft und so schön die
Unsterblichkeit der Seele verkündigen, denn sie sind nicht der Ausdruck des ge-
sehenen, gehörten und gedachten, sondern der überirdischen Welt in und außer
uns. In ihnen finde ich die heiligsten Stunden meines Lebens, und ich habe mir
oft gewünscht, daß mein Tod in einer solchen Stunde niu' mir die Augenlieder
berührte — ||
Der Gedanke an eine mögliche engere Vereinigung zum Wirken auf die
Bildung der Menschheit, worüber Du mit Schmidt sprachst, hat mir und meinem
Freunde Ziemßen schon manche frohere Stunde gemacht, selbst indem wir den Ge-
danken blos als Gedanken mit dem Flügel der Einbildungskraft verfolgten. Was
wäre herrlichei', als eine solche unmittelbare Vereinigung zum unmittelbaren Nuzen,
und unter Freunden, die einem so ähnlichen Ziele in ihrem Wirken zuzustreben
scheinen, und unter einem Himmel, der jede Freude über Gelungenes im Guten
imd Schönen lachender aufnimmt! Wenn der Gedanke an diese Möglichkeit uns
so hinreißt, was würde nicht die Wirklichkeit? welch ein Altar der Freundschaft
würde nicht in dem Kreise sich erheben, voll von Blumen und Früchten, die unter
der Pflege der Freundschaft schneller und reicher aufwuchsen! Die Bekanntschaft
mit Pestalozzi und das Anschauen seiner Kraft und AVirkung machte uns die Idee
noch lebendiger und wir streiften über das, was im Wege zu stehen schien, leichter
und schneller hinweg. — ■ — — ||
Von den Deinen im Steiger sehen Hause und von Segelken schreibe ich Dir in
meinem nächsten Briefe. Denn seit Segelken bey ihnen ist habe ich sie wegen
lange anhaltenden schlechten Wetters, wegen einer kleinen Reise, die sie nach
Bern machten, und wegen meines jezigen Aufenthaltes in Bern, nicht gesehen.
Segelken habe ich deshalb auch nur eine kurze Zeit bey seiner Ankunft, in Rümligen
und in Rickisberg, gesprochen, doch nicht so Tiel um über ihn irgend ein XJrtheil
schon fassen zu können. Da ich heute wieder meinen Rückweg nach Rümligen
nehme, so werde ich in einigen Tagen über Segelkens Verhältniß zu den Deinen
reichere Auskunft erhalten. Ziemßen wird Dir von Segelken vielleicht bestimmteres
schreiben können, weil dieser bey seiner Ankunft und auch nachher sich einige
Tage in Bern aufgehalten hat und viel mit Ziemßen zusammen war. —
Du aber, theurer Herbart, erfreue uns bald wieder und sage uns, wo unsere
Gedanken Dir nachgehen sollen und welche Arbeiten Dir gelingen, und daß Du oft
Deine Blicke und Dein Herz zu uns wendest. Je herrlicher die Gegend ist, in der
ich lebe, je glücklicher die Arbeiten mit meinem Roudy fortgehen, um desto
lebendiger fühle ich die Gabe der Freundschaft und segne die Stunden, in welchen
sie mir ward. Dein Eschen.^)
759. Th. Zieifissen an H. (12 S. 8". N.)
Auf meinem Landhause d. 29 Aug. 1800
Betiübniß und Schwermuth umhüllen noch immer mein tiefstes Innere, und
Schwäche und Kränklichkeit lähmen meinen Körper; das einzige woran ich noch mit
Vergnügen hänge ist die Hoffnung, Dich wiederzusehen; möchte doch dieses Eine
1) Ein genauer Bericht über Escbens Tod von Ziemssen und den Schweizer
Beamten steht in Halems Zeitschrift „Irene", Jahrgang 1801.
Nachtrag zu 1 800. j i g
I
tniv noch gelingen ! Ich suche mich zu zerstreuen, ich arbeite, nehme niancherley
vor, woran ich sonst mit Interesse hing, ich treibe mich unter Menschen herum,
nehme die Miene des Frohen an, und suche lustig zu seyn, wie andere Leute, ja
ich schwinge mich durch Phantasie und momentane Begeisterung über den ge-
meinen Erdenstaub empoi ; aber der Hintergrund bleibt unveriückt immer derselbe
in mir, und ich falle nachher nur desta tiefer in den alten Kummer zurück. —
Ich sage mir: es hat eine höhere Macht geboten, die Du ja verehrst; und doch
kömt in der folgenden Minute der schwache Mensch mit seinem: aber es war doch
hart, sehr hart, nach. — Dazu bin ich denn noch so allein mit meinem Kummer;
zwar haben unsere Freunde herzlichen Antheil genommen, und meiner gepflegt,
und hauptsächlich der herzlich gute Zehender, den ich schon lange sehr, sehr||
lieb gewann, mit seiner ganzen Familie, zu dem ich jetzt auch auf einige Tage auf
den Gurniggel gehen werde, aber dabey bin ich denn doch mit meinem eigentlichen
tielern AVesen, mit dem was mir am innigsten am Herzen liegt ganz allein; und
fühle dieses Alleinseyn nur desto drückender, je inniger ich in dieser Hinsicht vor-
her mit Dir und dann mit unserm Theuren Eschen verbunden war. Mehr als ich
nur noch hoffte, fand ich hier in Euch die schönen Bilder und Ahndungen meiner
jugendlichen Seele realisirt, ich lebte ein Götterleben; aber jetzt bin ich wieder
hinaogestoßen aus dem Olymp und auf eine zwar immer noch schöne, aber einsame
Inse verbannt, woraus Du mich nur wieder zu erlösen vermagst. — Nimm deshalb
Früs;hings Anerbieten an, und kehre zu uns zurück, und mache dann dadurch diese
Fortsetzung meines vorigen Briefes unnöthig; die ich Dir deshalb mehr in der Er-
warting, daß es ihrer nicht bedürfen werde, als daß Du Gebrauch davon machen
niüi5est schreiben will. Ich sagte Dir am Ende meines vorigen Briefes, daß ich, im
Fall I"u noch nicht wiederkommen könntest, meine Stelle gegen die Dir angetragene
verfälschen wüi-de; ich konnte es Dir nur mit wenig Worten sagen, warum, und
weiß licht ob Du mich verstanden hast. Freylich ist das auch eine der schönsten
Gaben der innigem || Freundschaft, daß man sich größtentheils schon durch halbe
Worte versteht, wo man andern kaum durch' ganze Reden deutlich wird, und daß
man seh glaubt, auch wo man noch nicht sieht. Aber ich wünsche Dich hierüber
<ioch aisführlicher zu benachrichtigen, theils um Deines Rathes, theils um Deiner
Beyhüfe willen, wenn Du nicht durch Deine persönliche Gegenwart beydes über-
flüßig nachen willst.
E war eigenthch ein sehnliches Verlangen nach ruhiger Muße und nach
l'nabhä gigkeit von den Meinungen und Vorurtheilen meines Vaterlandes und meiner
Vaterstalt haupts., um über manche Dinge so viel möglich durch eignes und freyes
Xachfo rohen zu einer Entscheidung, und in meinem ganzen Seyn zu einer höheren
Einheit vid Übereinstimmung zu gelangen, und zugleich um einige bis dahin ver-
nachlässige Keime meines Wesens noch zur Entwickelung zu bringen, — was mir
<lie Idee eingab, in die Schweiz zu gehen; wo ich zugleich durch Reisen und
Wechselwirkung mit andern Menschen mich auf manchen Seiten auszubilden und
Kraft zu t^winnen hoffte. Ich fand diese Ruhe und Muße in meiner Lage nicht,
wie ich si erwartete; aber ich fand unendlich viel mehr, als ich nur noch zu
finden hoff3, ich fand zwey Freunde, was mir mehr ward und mir mehr half, als
mir vielleict || je etwas in der Welt werden oder helfen wird. Durch Deinen
Eifer und .'ein Beyspiel begeistert, und durch eignen Innern Antrieb darin be-
stätigt, fielch über mein neues Verhältniß mit meiner ganzen Kraft her, und
suchte darin ',u seyn, was ich nur vermochte. Ich hatte wahrlich, Du weißt es
ja selbst, scher zu kämpfen, aber mein Pflichtgefühl und Dein Beyspiel erhielten
mich standhal und tapfer; und mein Ringen ist gottlob lücht vergebens gewesen.
j 2 o Nachtrag zu 1 800.
ungeacMet ich auf so wenig Mitwürkung um mich her rechnen durfte. Du sahst,
wie ich Fritz fand, und du sähest meine ßetrübniß darüber, und jetzt ist Fritz ein
Mensch geworden, den ich liebe, der sich an mich anschließt und mir schöne
Hoffnungen erregt. Noch mehr, als Du es selbst sehen konntest, habe ich nachher
noch gefunden, wie sehr die beyden Jüngern nicht blos vernachlässigt, sondern in
mancher Hinsicht schon nach Berner Art verdorben waren, und wie sehr beyder AVesen
der Bildung wiederstrebe; und dennoch fangen mir in bej^den sowohl in Rücksicht
der innern Bildung, als in Rücksicht der "Wissenschaften — schon an schöne
Hoffnungen aufzukeimen. Hiedurch sollte mir also mein Verhältniß immer lieber
und interessanter werden; und das wird es mir allerdings auch; aber ich bin nun
bald 24 Jahre alt, und die besten Jahre voll der lebendigsten Kräfte zum ent-
scheidenden Würken sind und kommen jetzt, und ich || muß also wohl mit Erist
daran denken, welches ich zu meinem Hauptwürkungskreise machen will, um meine
besten Kräfte dahin zu richten. Soll ich die Erziehung dieser meiner Zöglinge
dazu machen? Dagegen streitet erstlich, daß H. [SJinner nicht der Mann ist auf iea
ich mich hiebey genug verlassen kann; ferner daß ich sowohl der äußern Um-
stände, der ganzen innern Lage dieser Familie wegen, als der Kinder selbst wegen,
hiebey nicht sicher auf einen durchaus glücklichen Erfolg rechnen darf; und daß
Fritz doch schon sehr alt, und dafür noch ziemlich zurück, und überhaupt doch
nicht ein Mensch von großem Genie ist; daß Ludwig ein sehr langsamer Kopf und
schwach ist; und daß Ferdinand noch sehr jung ist, und, wenn etwas rechte» aus
ihm werden sollte, fast durchaus in einen andern häuslichen Kreis versetzt werden
müßte, welches freylich für alle zu wünschen wäre, weil H. S. zwar ein sehr gut-
müthiger, aber auch ein sehr schwacher Mann ist; dagegen streitet ferner, daß ich
eine große Familie zu Hause habe, denen ich ihre gerechten Ansprüche auf mich
nicht absprechen kann und mag, und daß Fälle eintreten könnten, wo ich hnen,
wenn ich in keiner andern als dieser Lage wäre, zu Hülfe eilen und mein Inter-
nehraen halbvollendet zurücklassen müßte; und dann könnte mein Vater mir nicit mit
Recht sagen, ich habe Deiner mit Sorgfalt gepflegt, und Dich im Schweiße neines
Angesichts großgezogen, || und mir selbst vieles versagt, um Deine Nothdurt und
Deine Wünsche zu befriedigen, warum willst Du jetzt nicht lieber Deine eignen
Geschwister, als fremde Kinder erziehen? Und dann endlich was sollte dem nach-
her aus mir werden, wenn ich unter diesem Geschäfte freylich manche Vollkimmen-
heiten erworben, mich aber dafür auch abgestumpft,, und mich aus allen Ver-
bindungen zu meiner Beförderung herausgerissen hätte? — Ich muß also vohl auf
einen weitern Kreis zu denken anfangen; und da die schönen Pläne, wvon ich
Dir in meinem vorletzten Briefe sprach, jetzt wohl unmöglich in der Art und un-
mittelbar zu realisiren sind, so muß ich wohl noch immer in mein Vaterlan zurück-
denken, wo sich mir ein herrlicher Würkungskreis zu eröffnen scheint, vovon ich
Dir vielleicht sonst schon redete und in der Zukunft mehrreden werd. — Wie
lange darf ich aber denn noch in dieser Lage bleiben, worin ich jetzt bin? Den
eigentlichen Zweck meines Hierseyns, wovon ich Dir oben redete, kann ch in der-
selben nicht erreichen, weil mir dazu durchaus keine Zeit übrig bleibt, tud ich muß
hier also in der That schon ein eigenthches Geschäftsleben führen. Wa kann mich
hier also noch anders festhalten, als das Interesse an meine Zöglinge; lad da hoffte
ich nun Fritz den Winter hindurch so weit zu bringen, daß meine G^enwart ent-
scheidend für sie gewesen sey ; und Ludwig und Ferd. || hoffte ich während der
Zeit auf eine solche Stufe zu leiten, wo mein Nachfolger sie mit Vrgnügen und
guten Hofnungen au§ meinen Händen annehmen könnte; wenn H. S.sie mir nicht
mitgeben wollte, woran aber wohl nicht zu denken wäre; — und dnn dachte ich
Nachtrag zu 1800. 121
im folgenden Frühling zu den Meinigen zurückzukehren, den Sommer und Herbst
über mich zu sammeln, und mit mir selbst zu beschäftigen ; und dort mir dann
einen Würkungskreis zu verschaffen zu suchen, worin wenigstens die Lenkung der
Erziehung meiner Geschwister mit inbegriffen seyn würde. Und diesen Plan werde
ich walirscheinlich befolgen, wenn Herr Früsching die Erziehung seines Sohnes einem
andern, als mir übergibt oder übergeben muß; es sey denn, daß Du sie übernimmst,
und daß das Leben mit Dir mich hier noch länger festhielte, und mich für den
Zeitaufwand, den meine jetzige Lage erfordert, entschädigte. — Könntest Du aber
nicht kommen, mir aber doch einen jungen Mann, etwa den erwähnten Hörn, ver-
schaffen, der Lust und Geschicklichkeit hatte, meine Stelle einzunehmen; so würde
ich alles aufbiethen mit meinem Nachfolger in Freundschaft und Wechsel würkung
zu kommen, und dadurch auf meine Zöglinge einen Einfluß zu behalten, der ihnen
vielleicht mehr nützen würde, als wenn ich selbst bey ihnen noch einige Zeit bliebe
und dann mit einem male mich von ihnen trennte. Ich aber käme auf diese
"Weise in ein schönes Verhältniß, wo || mir nicht nur die besten Hoffnungen schon
vorausgingen, sondern wo ich auch dabey noch Muße und Ruhe genug behielte, um
selbst weiter zu kommen, um meine Nachforschungen fortzusetzen und mich auf
mein künftiges Leben vorzubereiten, wozu mir haupts. das Landleben im Sommer,
wonach ich mich von Kindheit an sehnte, sehr behülflich und heilsam seyn würde.
Und in dieser Lage könnte ich denn eher bleiben bis bestimmte Geschäfte
mich in mein Vaterland zurückriefen und würde auch wahrscheinlich bis dahin
darin bleiben.
Die Lage dieser Familie wirst Du wahrscheinlich eben so gut zu schildern
wissen als ich. Es hat sich mir noch immer mehr bestätigt, daß H. S. zwar viele
Schwächen hat, aber im Grunde doch ein herzlich guter Mann ist, der alles gute an
seinen Kindern gerne befördern hilft, und dem Lehrer, auf den er Vertrauen setzt,
hierin so ausgedehnten freyen Willen läßt, als er ihn selbst will; und dessen aus-
gezeichnetes, höfliches und artiges Benehmen gegen mich immer mehr zu als ab
nimmt. So daß ein Erzieher der mit eigner, selbstthätiger Kraft zu handeln gedenkt,
hier einen guten Würkungskreis findet.
Fritz ist jetzt durchaus willig zu allem Guten, sucht selbst besser und voU-
kommner zu werden, und wird seinem Erzieher, wenn er sich selbst dazu zu quali-
ficiren weiß, gewiß bald mehr Freund als Zöghng seyn können. Nur in || den Wissen-
schaften ist Fritz freylich nach seinem Alter immer nicht weit, doch hat er einen
ziemlichen Grund in Arithmetik und Geometrie (worin er jetzt Euklid studirt und
schon einige Bücher durch hat) gelegt; heßt den Livius im Lateinischen ziemlich
gut; ist in Geschichte und Geographie ziemlich bewandert, und wünscht diesen
Winter bei einem Sprachmeister Englisch oder Italienisch zu lernen. Französisch
hest er wie Deutsch, und spricht ziemhch. — LuD\\aGS häßliche Leidenschaftlichkeit
habe ich besiegt, und den dicken Nebel, der um seinen Verstand zu liegen schien,
zu zerstreuen gesucht; sein Fleiß und guter Wille ist auszeichnend, aber sein Genie
sehr langsam. — Ferdinand ist noch immer der lebhafte Knabe voll von Genie und
Herz, dessen Lenkung und Bildung aber in diesem Hause, wo es an einem rechten
Mittelpunkt der Familie fehlt, natürlich sehr schwer werden muß. — Beyde haupt-
sächhch Ludwig fängt jetzt nach grade an, seinen Homer ziemlich zu verstehen; doch
geht es freylich noch nicht gar zu rasch. Beyde haben einen kleinen Hintergrund für
die Mathem., haupts. für die Geometrie gelegt; wissen in der Geographie schon
ziemlich Bescheid, und haben einige Anfänge der Botanik inne; diesen Winter wollten
■wir Lateinisch anfangen, Ludwig liest auch schon ziemlich französisch. In diesejn
Kreise werde ich, wenn ich noch darin bleiben maß, gewiß noch mit Interesse und
122 Nachtrag zu 1800.
Freude, obgleich. || auch nicht ohne viele Anstrengung und Mühe, welche mein Nach-
folger auch nicht scheuen müßte, fortarbeiten, bis ich ihn veilasse. Wenn Du mir
aber einen Nachfolger in demselbea verschaffen kannst, wie ich ihn wünschen muß,
so möchte ich ihn, wie ich jetzt denke, aus den angeführten Gründen mit der
hindern Stelle vertauschen. Da ich aber meinen Entschluß bis dahin noch ändern
könnte, so bitte ich Dich einmal, weder meinen noch Hrn. S. Namen meinem Nach-
folger zu nennen, sondern ihm blos zu sagen, sein Vorgänger wäre Dein Freund,
wünschte auch der seinige zu werden und würde selbst noch in der Schweiz bleiben,
wozu Du ihm etwa, wenns nöthig ist geradezu sagen kannst, warum ich die
Stelle verlasse. Damit mein Entschluß nicht zu meinem Nachtheil vor seiner Reife
bekannt werde. Doch keine Regel ohne Ausnahme; ich verlasse mich auf Deine
Eeurtheilung; mag es, wie Du es gut findest. Ferner muß ich Dich bitten, meinen
Nachfolger zu fragen, ob er im eintretenden, obgl. weniger zu erwartenden Fall,
auch die Stelle bey Fr. annehmen möchte, wenn ich meine etwa behalten wollte.
Fehlt ihm eine oder die andere Wissenschaft für meine Stelle, so gib mir davon
Nachricht, und bitte ihn sich dadurch nicht gleich ganz abschrecken zu lassen. Wahr-
scheinlich würde Hörn wohl die Foderungen, die mit dieser || Stelle verbunden sind
befriedigen können. Auf jeden Fall wünschte ich, daß wenn Du nicht selbst komst,
derjenige der kommen will, sich bereit halten könne, auf die Beantwortung Deines
nächsten Briefes, womit wir hier nicht zögern werden, abreisen zu können, doch
kömt es nicht durchaus auf ein paar Tage oder Wochen an. Das Gehalt, das S. mir
gibt sind 26 Carolin, außerdem würde er wenigstens wohl einen Theil des Reise-
geldes ersetzen, haupts. wenn er Hoffnung hätte, seineu neuen Hausgenossen
nicht gar zu bald wieder zu verlieren; was er wohl sehr wünschen würde, und
ich mit ihm.
Noch, habe ich bis jetzt in der Hoffnung, daß Du kommen werdest, weder
Hrn. Fr. noch Hrn. S. von meinem Eütschlusse geredet; aber ich zweifle nicht,
daß H. Fr. mein Anerbieten nicht annehmen, noch daß H. S. meine Gründe nicht
triftig genug finden sollte.
Daß ich Dir, wenn Du jetzt gleich oder in einigen Wochen kommen kannst
und willst, nicht meine, sondern die Stelle bey Hrn. Fr. antrage, habe ich Dir ge-
sagt und wahrlich in vollem Ernste. Und ich hänge hier noch die Bitte an, nicht
daran zu denken für mich hierin eine Aufopferung zu machen, weil ich sie nicht
will, und Du mich, wenn ich je eine Ahndung davon bekommen sollte, mehr da-
durch kränken, als erfreuen würdest, weil ich dadurch sehen würde, daß Du meiner
Bitte Jiicht geachtet hättest. Aber || solltest Du würklich eben so gern meine Stelle,
als die andere nehmen, was doch nicht zu erwarten steht, so würde ich freylich
gerne tauschen; aber ich bitte Dich sey hier recht offen gegen mich, und kränke
mich nicht dadurch, daß Du mehr für mich thun willst, als mir lieb seyn könnte.
Ich verlasse mich auf Deine Aufrichtigkeit gegen mich, sonst hätte ich wahrlich
einen so zweydeutigen Punkt besser zu verkleistern und zu v^erhehlen suchen wollen.
— Komme Du nur selbst, so bin ich auf jeden Fall mehr als befriedigt.
So muß ich Dir mein unordentliches und verwirrtes Geschreibe, das ich kaum
zu beendigen vermochte hingeben, und Deine Freundschaft ersuchen, selbst Sinn
und Zusammenhang herauszusuchen. Ich lebe der Hoffnung Dich bald zu umarmen
» Dein Th. Ziemssen.
Wie herzlich ich an Deiner dasigen Lage Antheil nehme weißt Du; auch
Steck und Zehender nehmen herzlich Theil ohne das genauere zu wissen. — Du
schreibst mir aber: „Ich werde diesen Briefe ein Blatt beylegen, das bey meinen
., dortigen Fieunden circuliren soll, tmd worüber ich mir eines jeden Meinung aus-
Nachtrag zu l8oo. 123
..bitte, ich werde es, in möglich vorkommenden Fällen, mit jedem seinem "Willen
^.gemäß halten pp.''
Welches ich durchaus nicht zu enträtseln weiß, da ich ein solches Blatt in
meinem Briefe nicht fand. —
7(50. Böhlendorff an H. (32 S. 8^. N.) Dresden 10. Sept. 1800.
761. Fritz Hörn an Ziemssen und H.') Braunschw. 17. 7br. 1800.
Abschrift. Unser gemeinschaftlicher Freund Herbart hat mir einen offenen
Brief für meinen jüngsten Bruder Franz zur weiteren Beförderung zugeschickt,
worin er diesen fragt, ob er Neigung habe, an Ihrer Stelle bey den Kindern des
Hn. Siuner Hauslehrer zu werden, und ihm dabey die Schilderung mittheilt, die
Sie in einem Briefe an H. von Ihren jetzigen Zöglingen gemacht haben.
Mein Bruder wird in wenigen Tagen von Leipzig zum Besuch bey uns ein-
treffen und ich behalte deswegen jenen Brief bis zu seiner Ankunft bey mir. Da
ich ihn seit länger als einem Jahre nicht gesprochen, so suspendire ich auch noch
meme Meynung darüber, ob er sich schon für diese Lage passe und ob sie seinen
Fähigkeiten, Neigungen und Charakter gemäß sey. Indessen muß ich doch immer
<iiese Angelegenheit als wichtig für sein ganzes Leben ansehen. — und da von ihrer
Entscheidung es wahrscheinlich abhängen wird, ob er nach dem Schluße der Ferien
wieder nach Leipzig zurückkehrt, so wünschte ich, daß noch vorher jene Frage ent-
schieden werden könnte, und theile Ihnen deshalb vorläufig einige Nachrichten über
meinen Bruder mit.
Er hat itzt erst V/^ Jahre, und zwar zuerst in Jena, und nachher in Leipzig
studiert. Seine Studien sind Philosophie, Aesthetik, Geschichte und Sprachen und
er hat die Absicht sich dem akademischen oder dem Schulleben zu widmen. Wie tief
er eingedrungen, darüber wage ich aus oben angeführten Gründen noch kein Urtheil,
doch kann ich so viel sagen, daß er gut vorbereitet auf die Academie i| ging, vor-
zügUche Fähigkeiten und Anstrengung nicht scheut. Übrigens weiß er seine Kennt-
nisse selbstthätig zu gebrauchen. Diese letztere Eigenschaft, der ich allerdings den
ersten Rang gebe, hat indeß den Nachtheil, daß die Lükken in seinen Kenntnissen,
so wie Andern auch ihm weniger bemerklich werden, und dieser Schaden, glaube
ich, würde sein Gegenmittel am sichersten in den Beschäftigungen eines Erziehers
und Lehrers finden. Da ich ihn für den Menschen halte, der es ernsthaft mit sich
meynt, so glaube ich auch, daß er sich bestreben wird, Lükken auszufüllen, so bald
sie ihm wichtig erscheinen, wozu gleichfalls solche Beschäftigungen vorzüglich ge-
eignet seyn dürften.
Übrigens ging, [früher] wenigstens, seine Neigung vorzüglich zu den schönen
Künsten, und die Aesthetik hat ihn erst zur Philosophie geführt.
Seine Ansicht der Lebens Verhältnisse, und sein Benehmen im selbigen scheint
auch mehr auf musikalischem Gefühl, welches indeß Wohl- und Mißlaut drin emp-
findet, als auf dem bestimmten Blikte des Zeichners, der für Alles einen Maßstab
hat, zu beruhen.
Sein Character ist gut und wird durch Niedrigkeit jeder Art empört. Sonst
äußerte sich letzteres zu sichtbar und lebhaft.
Ich glaube, daß dieses noch, wiewohl in geringem Grade der Fall ist, und
würde er daher als || Erzieher mehr über sich wachen müssen.
^) 4 S. 4". H. Wien. — Vgl. den 1.; Bd. dieser Briefe S. 178 und den
Aufs, von K. Freye, Euphorien 1912, in dem mit Hilfe dieses Briefes Goedekes
Grundriß mehrfach ergänzt wird.
12A Nachtrag zu 1800.
Seine Sitten sind in jedem Betracht rein. Hienacli werden Sie ohngefähr
beurtheilen können, ob mein Bruder sich für Ihren Zögling paßt. Sobald er hier
ist, wird er Ihnen selbst schreiben.
Auch muß ich noch bemerken, daß er sich sonst zwar mit der englischen
Sprache etwas beschäftigt, auf der Academie aber, so viel ich weiß, die Sprache-
noch nicht wieder angefangen, und hierin so wenig als in der italiänischen Sprache^
welche ihm noch ganz unbekannt seyn wii'd, Unterricht ertheilen kann.
In der Mathematik hat er sich ganz vernachlässigt, weil seine Tendenz zur
Kunstschönheit ilim ehemals diese Wissenschaft als etwas dem Menschen Hetero-
genes ansehen ließ, wozu freylich die Persönlichkeit seines Lehrers viel beytragen
mochte. Ich hoffe indeß, daß das Bedürfniß nach dieser Wissenschaft, wenn es.
noch nicht erwacht seyn sollte, bey seiner übrigen Gesundheit, sich bald zeigen
wird, — verkenne jedoch die Inconvenienz nicht, die der itzige Mangel in Kück-
sicht Ihres ältesten Zöglings, der in der Mathematik schon einen ziemlichen Grund
gelegt, haben würde — ein Hindeiniß, welches vielleicht nur durch Ihre Gefälligkeit^
diesen Unterricht noch wenige Monate fortzusetzen, gehoben werden könnte. —
Bald hätte ich das Wichtigste vergessen, nemlich || daß mein Bruder sich von.
jeher gern mit Kindern, wenn solche nicht ganz uninterssant, beschäftigt hat.
Sollten Sie nach diesen Eröffnungen noch an die jetzige Ausführbarkeit einer
Idee glauben, wegen welcher Herbart und ich uns vor einigen Monaten besprochen, so-
würden Sie mir einen Gefallen thun, wenn ohne auf meines Bruders Brief zu warten,
Sie mir gleich die Frage beantworteten, wann die Ankunft des neuen Hauslehrers-
gewünscht würde V Im Falle, daß mein Bruder Neigung zu der Stelle hätte, dürfte
er freylich vorziehen, noch einige Monate sich vorbereiten zu können; jedoch würde
eine so weite Reise im Winter den Seinigen Besorgnisse erregen und darum würde
ich wünschen, daß sie nicht später als in November fiele. — Sie werden auch
pact-mäßig halten, eventuell in der Sache .vorzurükken, damit nach Berichtigung des-
Hauptpuncts Nebendinge nicht aufhalten. Ein Paß vom dortigen französischen Ge-
sandten würde wohl erforderlich seyn, und eventuell bemerke ich deshalb das Signal-
ment meines Bruders: •/•
Ich fühle es übrigens ganz, wie tieferschütternd die erste Veranlassung dieser
Correspondenz für Sie seyn mußte. Ich habe Eschen nicht gekannt, aber ich schätza
ihn als den Freund von Mehreren, die mir theuer sind. Mit Achtung •/•
Lieber Herbart, Ich habe den Brief an Ziemssen für Dich abgeschrieben,
damit Du ganz Bescheid weißt. — Meinen herzlichen Dank für- Deine Erinnerung:
meines'Wunsches. — Gieb mir doch bald mehr Nachricht, was Sinner für ein Mensch
vor und nach der Revolution war. — Mein Bruder Franz ist Verfasser des Trauer-
spiels: Der Fall der ScJnceitz. Ich habe davon an Z. nichts schreiben mögen, weil
in dem Fall der Brief erbrochen würde, diese Notiz meinem Bruder in der Schweiz,
schaden könnte.
Gern wüßte ich ob mein letzter Brief wieder nachtheilig auf Deine Mutter
gewirkt hat, welches ich doch aus Deinem Stillschweigen schließen muß. — Jeder
hat seine Sorge. Dohm schreibt mir gestern, mein Bruder sey krank und wünsche-
von meinem Bruder, dem Arzt, behandelt zu werden. Morgen hohle ich ihn auf
halbem Wege ab und bange sehe ich dem morgenden Tage entgegen. In Halberstadt
giebt es keinen vernünftigen Arzt.
Erinnere doch Steck, daß er das Kansontische Magazin an Dohm als Bremer
Bürger schicke!
762. Holz an H. (1 S. 4«. N.) Bern 7. 11. 1800
Nachtrag zu 1801/1802. 125
763. Walte über H')
Der spätere Dr. jur. J. E. Walte in Bremen, der Bd. I, S. 188, 203 und
■öfter erwähnt ist, schrieb nach Herbarts Tod u. a. folgendes über Herbart:
„Wenn ich zwar des jetzt verewigten Herbart oft und mit freudiger Anerken-
nung des Einflusses, den er auf meine Ausbildung gehabt, gedacht, und daher auch
stets mit Interesse ihn auf seiner Bahn zum Ruhme im Auge gehabt habe, so sind
doch nun schon bald 40 Jahre verflossen, während welcher ich ihn weder je wieder
gesehen, noch irgend in direkter Beziehung zu ihm gestanden habe, so daß, zumal
da meine frühere Verbindung mit ihm nur kurz und ich während derselben noch
sehr jung war, meine Erinnerung nicht mehr ausreicht, um zur Auskunft über
diesen würdigen Verstorbenen irgend etwas Bedeutendes oder nur Interessantes bei-
tragen zu können.
Sofern es aber auf etwas nur Factisches aus jener Zeit ankommt, kann ich
als durchaus bestimmt und zuverlässig angeben, daß Herbart im Laufe des Jahres
1800 hier in Bremen mein Privatlehrer wurde, indem er mir, — die neueren
Sprachen vmd Musik ausgenommen, — in allem zu meiner Ausbildung Erforderlichen
semen strengen und höchst ernsten, jedoch von aller Pedanterie und Unfreundlich-
keit freien Unterricht ertheilte, seihe übrige Zeit aber nur seinen eigenen philo-
sophischen Studien widmete und nur im Umgang mit hiesigen Gelehrten und Ge-
bildeten und am Ciavier, auf welchem er Meister war, Zerstreuung suchte.
Am Schlüsse meines I9ten Lebensjahres, um Ostern 1805, bezog ich in Herbarts
Begleitimg die Universität Göttingeti, woselbst mein bisheriges Verhältniß zu ihm
zwar vorerst noch, soweit es passend sein würde, fortdauern sollte, jedoch bereits
im Laufe des ersten Semesters meines juristischen Cursus, zwar freundschaftlich,
jedoch in Folge der durchaus verschiedenartigen beiderseitigen Sa2<p^beschäftigungen,
sich ganx, auflöste."
764. J- Fuesli [Füßli] an H. (4 S. 4«. N.) Göttingen 21. 11. 1801.
765. Zehender an H. (8 S. 8«. X.) d. 6. März 1802
Schreibe es mein theurer Herbart einzig den traurigen Umständen zu worinn
ich Deinen Brief vom Sept. erhielte, — daß ich nicht eher darauf geantwortet habe.
Der Tod meines jüngren Knaben der mir eben damals entrißen wurde, schwächte
den Eindruck welchen der Inhalt Deines Briefs sonst auf mich gemacht hätte
— in diesem Augenblick nicht wenig. Der größte Theil meiner Lebensfieuden
schien mir mit dem holden Kinde für immer verloren; ich ward zurückgezogener
in mich selbst, und auch stumpf für freundschaftl. Verhältniße. Zu meinem
Schweigen gegen Dich, mochte es auch etwas beytragen, daß ich Dir in meinem
kurz vorher geschriebenen Brief, eine ausführliche Schilderung von dem kleinen
Bernhard und meinen Hofnungen von ihm, gemacht hatte; — und nun so schnell
getäuscht — eben so schnell wiederrufen zu müßen; — das vermochte ich nicht.
Noch mehr; — Du weißt daß ich immer den Grundsatz hatte gegen meine von mir
geachteten Freunde wahr zu seyn; — wärest Du auf meinen Brief vom August
damals angekommen. Du würdest mir weit weniger willkommen gewesen sejTi, als
wenn der Kleine noch gelebt hätte. Der große Reiz den ich mir von unserm Um-
gange versprochen hatte — Unterhaltung über die Erziehung — war für mich ver-
schwunden, und für eine andere Beziehung Deiner persönl. Nähe auf mich, hatte ich
in meiner damaligen Stimmung, so wie für manches andere, keinen Sinn. Bald zer-
streuten mich indeß meine landwirtschaftl. Beschäftigungen im G[umigelj für welche
^) Gütige Mitteilung bes Hi-n. Richter Dr. Smidt in Bremen.
J26 Nachtrag zu 1802.
ich ein lebhaftes Intereße faßte. Nach meiner Zurückkunft fand ich eine andere
Zerstreuung in öffentl. Geschäften, welche nun beynahe alle meine Zeit und zwar
auf eine Art verschlangen, die mir sowenig Disposition als Zeit zu freundschaftl.
Briefwechsel übrig ließen; und dieses ist eigentlich die Ursache, warum ich Dir in
den letzten 2 Monaten nicht geschrieben; jener aber bleibt immei der Hauptgrund
meines Schweigens, weil ich Dir ohne denselben, auf der Stelle, und in einem
Moment geantwortet hätte, wo es mir weder an Lust noch Zeit dazu gefehlt
haben würde.
Nach dieser nothwendigen Erklärung meines Stillschweigens, habe ich nichts
angelegentlicheres als Dir zu sagen, daß Du mich mißverstanden hast, wenn Du
glaubtest, ich mache eigentl.e Unterrichts Ansprüche für meine Kinder, an Dich.
Unter dem was ich Dir darüber schriebe, dachte ich mir bloß den mittelbaren
Nutzen, den ich für den Unterricht und die Behandlung der Kinder aus Deinem
Umgang schöpfen würde. "Wir, die Eltern, wollten von Dir unterrichten, oder viel-
mehr erziehen lernen. Wenn nun auch diese Absicht, seit dem Verlust meines
Jüngern, weit minder lebhaft bey mir ist, so ist hingegen mein Verlangen nach
einem persönl. engen Umgange mit Dir mein Theurer nicht weniger stark, als es
im August wäre, da ich Dir mein Haus zu Deinem Aufenthalt anböte, wenn Du
wieder in Dein zweytes Vaterland zurückkehren wolltest. Zu den Gründen, die ich
Dir damals anführte, kömmt jetzt noch die nähere Aussiebt auf die Errichtung einer
Nationaluniversität, wenn anders unsere polit. Existenz gesichert bleibt, was wir nächstens-
erfahren werden. Körnt eine solche Einrichtung zu Stand — und die Frage ob
und wie, liegt bereits in Untersuchung; so ist bey dem eigentl.n Mangel an inn-
ländischen Lehrern, wohl kein Zweifel daß Du nicht eine Lehrstelle erhieltest; und
Dich zum Besten meines Vaterlandes — an einem solchen Plaz, wirken zu sehen,
ist einer meiner sehnlichen Wünsche. Da überdem die Rede von Bern ist, so
würden wir noch dazu ungetrennt bleiben.
Von den übrigen Gründen welche nach meiner Meynung auf Deinen Entschluß
wirken sollten, wiederhole ich keinen. Du hast mir Hofnung zu diesem Entschluß
gemacht und mir Stillschweigen darüber aufgelegt. Dieses habe ich gehalten, von
jener erwarte ich jetzt die Verwirklichung. Lieber Herbart, gieb mir bald Nachricht
von Dir; — schreibe mir daß Du kömmst, oder wenn Du diß nicht bestimmt thun
kannst, so entziehe mir wenigstens die Hofnung nicht, daß es noch geschehen
könne. Schließe ja nicht, ich bitte Dich darum — bey unserer Freundschaft, von
meinem Schweigen auf meine Gesinnungen; — diese sind gewiß immer die nemlichen;
keiner Deiner Landsleute die ich kennen lernte, die ich zwar auch liebe und schäze,
theilt sie mit Dir; — Du bist mir weit mehr als alle; und gerade in dem Augenblick
wo wir uns mehr näherten, wurden wir von einander gerißen. Wie oft bedaure
ich es Deine Gegenwart nicht mehr genoßen zu haben. Doch ich kann den Ge-
danken oder vielmehr eine Art v. Ahnung nicht verwerfen, daß wir uns wiederfinden.
Ueber unsere polit. Lage mag ich jetzt weniger eintretten, als je. Sie ist um
so drückender als sie wohl ihrem Entscheid nahe ist. Viele glauben, unsere Existenz
seye dahin — wir — Bern wenigstens werde jnit F[rankreich] vereiniget. Wie nur
der bloße Gedanke schmerzt, seine Nationalexistenz, einen Namen wie den unsrigen
zu verlieren, das fühlst Du gewiß ohne Beschreibung. Doch habe ich noch nicht
alle Hofnung aufgegeben. Ohngeacht sich von der Cabinets Politik alles ärgste er-
warten läßt, so sehe ich nicht Data genug um auf Inkorporation oder Theilung zu
schließen, und gegen die Ansichten von andern bin ich immer mißtrauischer. Ge-
schieht es indeß so ist es zum Vortheil von Deutschland; und in diesem Fall, wie
ungleich ist das Opfer; — in D.d wäre es bloß ein Wechsel in dem Personal der
Nachtrag zu 1802. 127
I
Reg.g wobey noch mancher kleine Staat eher gewinnen als verlieren würde, wenn
er z. B. von geistlicher unter weltliche Oberherrschaft käme. Die Schweiz würde
einen Herrn erhalten den sie bis dahin nicht hatte (die franz. Herrschaft kömmt
hier nicht in Anschlag) und Regs-Fonnen die sie nicht kannte; — selbst in demj.
Theil der unter einer solchen Herrschaft eine eigene Existenz behielte, würde sich
bald alles nationelle verlieren und in kurzem existierte kein Schweizer mehr.
Dieser kann nur unter republikanischer eigener Verfaßung gedeihen, und in dem
Augenblick wo sich eine solche Verfaßung unter liberaleren Formen als bisher
— erwarten ließe, — sollte mit einem Federzug unser Daseyn und unser Name
vernichtet wäre [!], das wäre schrecklich und die größte Infamie deren sich noch das
franz. Cabinet jo schuldig gemacht hätte, in meinen Augen weit größer als unsere
Invasion selbst, die sich noch durch milit. Absichten entschuldigen ließe. Mein
innerstes empört sich bey diesem Gedanken; ohne cosmopolitische Ideen und Grund-
sätze, oder Sinn für- die Fortschritte der Cultur und Wahrheit im allgemeinen,
wüßte ich ihn nicht zu ertragen. Mit unserem St. wünsche ich indeß daß wir
noch eine lezte Anstrengung versuchen möchten ehe wir vertilget werden, wenn
sich auch kein Erfolg davon erwarten ließe. Nichtwahr, Du bist Deutsch gesinnt,
nimmst wahres Intereße an Deinem Vaterland; aber auf Unkosten der Schweiz,
möchtest Du doch die Beybehaltg seiner jezigen Einrichtung nicht verkaufen?
Melde mir doch, was man von uns spricht und wie man unsere Lage ansieht. Die
neue Constitution, so wie Reding sie von Paris brachte, ist nun publicirt; sie ist
ihrem Wesen nach, ganz föderalistisch; ist aber so eingerichtet daß sie beständige
Zwietracht zwischen den Cantonen und der Central Reg. veranlaßt; und für die
Ausübung ein eigentliches Unding ist; indeß so sehr wir der Ruhe bedörfen will
ich mir doch lieber noch Jahre von innerm politischen Krampf, als gänzliche und
bleibende Unterwerfung unter fremde Herrschaft gefallen laßen.
Ziemßen giiißt Dich; — er studiert an demjenigen so Du überschikt hast; ich
soll Dir aber beyfügen daß sein Kopf noch schwach seye; nächstens werde er
Dir schreiben.
Steck lebt immer auf dem Lande und der Landwirthschaft. Kürzlich hat er
indeß eine Stelle in dem obersten Gerichtstribunal unsers Cantons angenommen;
welche ihn wöchentl. mehreremale in die Stadt ruft. Du winst wißen, daß seine
"Familie sich mit einem Mädchen vermehrt hat.
Sowie Du Grüße von ni einer Frau durch Böhlendorf erhältst, so grüße ich
hingegen ihn durch Dich. Sag ihm daß er mir Unrecht that wegen der Stelle bey
F[risching] — und daß ich ihm bald eine Rech, über seine Bücher schicken zu können
hoffe. Ich habe aus deren Erlös eine Rech, für Muhrb. v. L. 50 bezahlt die B.
zu gut kämen. "Wenn ich solche überschickte, könnte sich B. nicht bezahlt machen.
Bist Du in Correspondenz mit M.b — ? in diesem Fall gieb mir doch Nach-
richten von Ihm ; ich wünschte sehr ihm bald zu schreiben, mag es aber nicht
direkt thun.
Lebe wohl — mein theurer Herbart und schreibe bald
Deinem Z. v. Gl. [Zehender vom Gurnigel.j
Empfiehl mich bestens Deinem Freunde Schmidt, deßen obwohl nur kurze
Bekanntschaft, ich mich immer mit Freuden erinnere.
766. Ziemssen an H. (6 S. 8». N.) Bern 14. März 1802
Theurer Freund Obgleich ich mich noch immer in meinem alten Übel gleich-
sam nur wie ein Vogel mit eelähmten Flügeln herumschleppe, und nur sehr selten
einzelne Versuche machen kann, mich vom Boden zu erheben und zu den Regionen»
128 Nachtrag zu 1802.
worin Dein Geist jetzt wie in seinem Elemente leben wird, emporzuschwingen; so
kann ich mich doch nicht länger enthalten. Dir doch wenigstens einige Worte zu-
zurufen, nicht blos um Deinen Blick auf mich herabzuziehen, sondern um mich
auch durch Mittheilung selbst noch mehr in der Hoffnung herannahender Genesung
zu bestärken. — Die gegenwärtige Jahrszeit ist freylich auch grade der übelste
Zeitpunkt für die Rheumatismen, und mein Arzt sagt mir mit der ganzen Kälte
seines Pflegma und seiner Abgestumpftheit: ich müßte jetzt noch eine Zeitlang ge-
duldig aushalten, ehe man Bäder gebrauchen und Molken trinken könne, sey nichts
zu thun. Ich fange aber an zu fürchten, daß er mich falsch behandelt und dadurch
nur noch tiefer hineingebracht habe. Alle seine Mittel haben mich sehr geschwächt,
weil sie immer nur auflösend und abführend waren, und er hätte vielleicht mehr
darauf hinarbeiten sollen den ganzen Körper, und dadurch das Nervensystem zu
stärken; denn ich glaube der wahre Grund meines Übels liegt in durch zu heftige
Spannungen geschwächten Nerven. — Ich werde m diesen Tagen einen andern
Arzt consultiren || Je ärmlicher ich mich diese Zeit über hingeschleppt habe, desto
reichlicher ist bey Dir die Erndte gewesen. Dein Abc der Ansch. Dein Aufs, über
Charakterbildung, und Deine mathematischen Unterhaltungen mit Karl sind nicht
vergebens in meine Hände gefallen, wenn es mir gleich noch unmöglich gewesen
ist, Dir darüber würdig zu antworten. Ich habe alles gelesen und wieder gelesen,
und Deinen Aufsatz über Charakterbildung abgeschrieben, um ihn im Schreiben
selbst sowohl, als auch nachher mit aller Muße studiren zu können. Aber ich darf
es nicht wagen, mein ganzes Gemüth sehr anhaltend, ausschließend für einen solchen
Gegenstand zu sammeln; welches [ich nicht so sehr im Denken, als im Versuche,
das Gedachte schriftlich mitzutheilen fühle. Du erhältst deshalb auch nur einige
wenige abgebrochene Gedanken, die Dir vielleicht nur dazu dienen werden. Dir einen
Beweis von meiner gegenwärtigen Schwäche zu geben.
In Deinem Aufs, über Charakterbildung habe ich Dich ganz in Deinen besten
Seyn wiedererkannt, und je mehr ich ihn lese, desto treflicher finde ich ihn auch;
und mit jedem Male daß ich ihn wiederlese, verschwinden mir die etwanigen An-
stöße und Scüwierigkeiten, die ich anfangs nicht gleich ganz entfernen konnte,
immer mehr; sodaß ich beynahe ganz furchtsam geworden bin, nur ein Wort dar-
über zu sagen. ||
Ende Marx
.... Dein Aufsatz über Charakterbildung ist mir außerordentlich wichtig in
philosophischer Hinsicht sowohl, als auch ganz besonders in pädagogischer Hinsicht.
Ich trage Deine Ideen in meinem schwachen Kopfe, soviel er jetzt zu halten ver-
mag, beständig mit mir umher, und kehre dann immer wieder zur Quelle zurück.
So bald ich mich stark genug fühle, mich einmal mit ganzer Andacht auf diesem
Punkt zu sammeln, so will ich versuchen, mich genauer mit Dir darüber zu unter-
halten. Solltest Du mir aber von Deiner Seite bis dahin noch etwas mittheilen
können und wollen, was mich haupts. in den letzten Theil Deines Aufsatzes noch
mannigfaltiger hinein versetzen könnte, so weißt Du, daß Du meines innigsten
Dankes dafür gewiß seyn könntest. — Die tiefere und festere Begründung einer
wahren Erziehungskunst ist der Hauptpunkt, worum mein weniges Denken sich jetzt
dreht. Herbart, Rousseau, Pestalozzi und meine eigenen wenigen Erfahrungen und
Gedanken hierüber gehen in dieser Beziehung immer nach einander und mit einander
in mir auf und unter. Wozu ich noch wohl das rechnen darf, was ich in der
Schule ll einer seltenen Mutter, eines Weibes, das Einzig, und meine innigste
Freundinn ist (was, ich hiemit natürlich nur meinem innigsten Freunde gesagt habe)
— lerne; kurz was ich aus des guten Geßners Familie und haupts. von Wielands
Tochter mir zu eigen machen kann.
Nachtrag zu l8o2. j2Q
Da ich von Rousseau redete; Du hast seinen Emil gelesen? Antworte mir
doch auf ein paar Worte, die ich Dir ins Ohr sagen möchte. Gesetzt den Fall, die
oeconomica und einige andre Umstände wünschten eine Spekulation, die bey speciellen
und allgemeinen Nutzen einträglich und ohne Mühe ins Werk zu richten wäre,
was würdest Du sagen, wenn ich den Emil übersetzte, (im Fall ich einen Verleger
fände). Die Cramersche Übers. ^) wäre doch wohl nicht schwer zu übertreffen, die
noch dazu durch den Mißmasch von Anmerkungen fast unbrauchbar geworden ist.
Die ganze Arbeit würde mir sehr leicht werden, so daß ich sie als ein Mittel ge-
brauchen würde, mich in den Stunden, wo ich zu eignen Arbeiten nicht mehr ganz
fähig wäre, (welches bey mir oft der Fall ist) in Thätigkeit zu erhalten. — Emil
ist nicht als eigentlicher Leitfaden für einen Erzieher anzusehen, sondern nur das
Mittel einen Erzieher, haupts. wenn er jung ist, auf den Weg zu helfen seinen
Leitfaden selbst zu finden; imd also in dieser Hinsicht mehr werth, als der Leit-
faden selbst; weil er den Erzieher für sein Fach denken lehrt. — Für mich würde
diese Arbeit mannigfaltigen Nutzen haben; ich wäre dabey immer in dem Mittel-
punkte meiner Sphäre, und würde meine Ideen mit diesen gleichsam in Wechsel-
würkung setzen, und dadurch hoffentlich läutern und befestigen. Ob es dann ge-
rathen seyn könnte, einen Band mit .Anmerkungen und Abhandig. dem Werke an-
zuhängen, oder ob es besser wäre, meine Erndte fürs erste noch für mich zu be-
halten, müßte für jetzt noch unentschieden bleiben. — Gelesen ist Emil in Deutsch-
land nach meiner Ansicht noch immer nicht genug, denn Theils enthält er sehr viel
tief begiündetes Wahre, wogegen sich selbst unsere Pädagogen gröblich versündigen;
Theils sollte die Stufe, worauf man von ihm aus gelangen muß, doch wohl nicht
die sej-n, worauf unsere Pädagogik steht. Sollten unsere eignen Versuche nicht als
Versuche diese Stufe zu finden anzusehn seyn? Sollte uns deshalb eine neue Über-
setzung desselben nicht viel willkommener als neue Auflagen unsrer Pädagogiken
seyn, die doch größten theils nichts anderes, als steif frisirte Perüken mit großen
Haarbeuteln sind? -- Du lebst jetzt in Deutschland und mußt also besser wissen,
ob dieses Unternehmen rathsam wäre, oder nicht, und ob man wohl in Deutschland
einen Verleger dafür fände, denn hier, (wo man ohnehin mehr französisch als deutsch
ließt) ist der Druck (wie alles andre) theurer, und dazu müßte der Verleger noch
den Transport berechnen, da man hiebey haupts. das nördliche Deutschland im
Auge haben würde.
P. S. Der Bremenser [s. S. 131] ist bey Pestalozzi angekommen, der wohl
mit ihm zufrieden ist; ich werde nächstens suchen ihn selbst kennen zu lernen.
Es geht P. sonst wohl und das Interesse für ihn wird hier immer allgemeiner.
Die Gemähide, die mit den Rietesche nach Bremen kamen, waren auf Zehenders
Gefahr mitgesandt, wie ich Dir schon gleich anfangs schrieb, welches Du aber ver-
gessen zu haben scheinst. Da ich Z. sagte, daß Schmid sie nicht wolle, bat er
mich Dir zu schreiben, es werde ihm eine große Freude machen, wenn Du sie als
ein Andenken von ihm annelimen wolltest. Er bittet Dich ferner, mir zu schreiben,
ob Du seinen Brief erhalten habest.
767. An [den Minister von] Gr[ote], H[annnver].'') Bremen, März 1802
Statt meiner sollte sich eigentlich ein Mann vorfinden, der jede Art
von Gewicht besäße, um mit Nachdruck zu wirken, der sich überdas
^) Im Revisionswerk von Campe mit Anmerkungen von Trapp u. a.
^) 4 S. 30. N. Bruchstück, Entwurf eines Briefes. — Nach gütigen Mitteilungen
des Hrn. Graf Grote, K. Kammerherrn auf Breese, scheinen die Briefe Herbarts an die
Familie von Grote nicht mehr vorhanden zu sein.
Herbarts Werke. XIX. 9
j 30 Nachtrag zu 1802.
ganz und einzig Ihren Aufträgen widmete. Ein gewöhnlicher Aufseher
auf einer Universität ist ein armer, verlegener, hülfloser Mensch, — und
mein Aufenthalt in G. würde damit ich meine Zwecke erreichte, eigent-
lich eine ganz geschäftslose, unzerstreute Muße erfordern, i)
Indessen nach dem zu schließen, was mir von Ihrem Hn. Sohn be-
kannt geworden ist, kann sein reizbares Gemüth wol nur zufällig, nur
für eine Zeit lang, den wahren Gegenständen seiner Liebe und seines
Strebens entfremdet worden seyn; seine Aufmerksamkeit dem Ruf der
Pflicht wieder zu gewinnen, wäre ein Versuch den ich eben so freudig,
als schüchtern angreifen möchte.
Was ich vermag, — das weiß ich nicht, ich werde es erst allmählig
erfahren müssen.
Die nothwendigen Ausgaben, als Tisch, Logis u. s. w. || zu besorgen,
und die Quittungen zu übersenden, — überdas ein Collegium, wenigstens
Anfangs, mit zu hören, und die Wiederholungen in Gang zu bringen: diese
Aufträge könnte ich bestimmt übernehmen. Aber schon vor Ostern von
hier zu reisen, werden mir meine hier übernommenen Arbeiten schwer-
lich erlauben. Auch scheint mir alles, was peinlichen Zwang verursachen
könnte, mit meinen Kräften und Mitteln in keinem Verhältniß zu stehen.
Von einer Veränderung des Aufenthaltes dürfte, meiner Meinung,
wol kaum ein wesentlicher Vortheil zu erwarten seyn ; da den verirrten Nei-
gungen ihr Hauptgegenstand schon entzogen worden ist. Neue Gegen-
stände könnten sich aller Orten finden, und fänden sich wol nur leichter
am fremden Ort, als da, wo die Beobachtung schon rege ist.
Wenn die bisherigen Bemerkungen Ew. Excellenz nicht mißfallen,
und wenn Ihr Zutrauen zu mir groß genug ist, um mich, mit wenig
anderen Kräften als denen des guten Willens und einer geringen Er-
fahrung im Umgange mit Jünglingen, — mit keiner anderen Festigkeit,
als welche, das || Bewußtsein meiner selbst und meiner Unabhängigkeit,
mir einflößen kann, — mit keiner anderen Autorität als der, welche etwa
aus der Zuneigung und Folgsamkeit von ein paar jungen Leuten, die ich
schon hier unterrichtete, entspringen möchte, — um mich unter diesen
Umständen gleich wol an den Versuch gehn zu heißen: dann freylich muß
die Bedenklichkeit weichen, welche bei dem Blick aaf die Sache, und
wieder auf mich, sich gar zu natürlich aufdringt. Wenn aber Ew. Ex.
bei weiterer Ueberlegung mich zu schwach für Ihre Aufträge finden: so
werde ich dennoch es mir stets zur hohen Ehre schätzen, daß ich auch
nur einen Augenblick daran denken durfte, Verwirrungen lösen zu helfen,
welche Ihr Herz so nahe angehn.
Ich darf wol nicht vergessen, noch anzuzeigen, daß ich, meiner Ge-
sundheit wegen, darauf rechne, mich einen, oder ein paar Monate lang
auf dem Harze aufzuhalten. Dies würde indes erst die späteren Sommer-
monate seyn, da ich .mich schon wegen eines jungen Bremers, der mir
noch einigen Einfluß auf seine Studien gestatten wird, nicht sobald An-
fangs von Göttingen entfernen darf. || — Solche Hindernisse würden bey
meiner Ansicht überhaupt nicht in Betracht kommen. Kann ich den
^) Vgl. dazu den i. Band der Briefe S. 254 f.
Nachtrag zu 1802. 131
Geist, das Gemüth, nich so fassen, daß die beständige Gegenwart ent-
behrlich wird: so werde ich nie glauben, etwas gethan zu haben.
768. Smidt an H. (1 S. 4". N.) [Ohne Datum.]
Meine Mine') die jetzt alle Tage darauf sinnt, wie sie für die erste Erziehung
ihrer Kleinen nichts zweckmäßiges versäume — und wie unsre Hanne-) in dem bis-
herigen guten Gleise fortzuleiten sey, hat mir folgende drey Bitten an Dich auf-
getragen.
1) Du mögest ihr gütigst doch noch einmal deutlich beschreiben, was Du ge-
legentlich einmal von Triangel, vom blinkenden Nagel etc. die in den Gesichts-
punkte eines kleinen Kindes zu stellen seyen, gesagt habest.*)
2) Ob Du auch wieder an die Kinderorgel gedacht habest; ob dort eine solche
zweckmäßig verfertigt werden könne, und was sie etwa kosten dürfte.*)
3) Wenn Du Deinen vergebens an Böttiger gesandten Aufsatz^) nicht bald
irgendwo drucken lassen werdest — wünscht sie denselben auf eine kurze Zeit von
Dir zu leihen, um ihn was schon zur Hälfte geschehen sey, völlig abschreiben
zu können.
Ewald "^j hat einen Brief von Pestalozzi erhalten — worin er die Ankunft des
von hier zu ihm gesandten Blendermann '') meldet, sehr wohl mit ihm zufrieden ist,
und versichert, er werde bey seiner Zurückkunft diese Methode so gut inne haben,
wie er selbst. ^ Auch Blendermann hat voll Enthusiasmus für die neue Lehre an
Ewald geschrieben. — Ich hoffe Häfeli*) kommt bey seiner Rückreise mit ihm über
Göttingen — wo ich denn sehr wünschte, daß Du ihn sähest.
Meine Schwester die wie meine Frau herzlich grüßen läßt erheitert sich nach-
gerade etwas aber doch sehr langsam. — Es würde ihr große Freude machen, wenn
Du ihr einmal ein paar Zeilen schreiben könntest. — Ganz Dein S.
Daß Doct. Iken, den Du bei Stolz kennen lerntest, an die Stelle seines Vaters
hier in den Eath gewählt^) ist, wirst Du gehört haben. — Wir haben eine gute
Aquisition an ihm gemacht. —
769. Gries an H. (4 S. 8°. N.) Jena 2. JuK 1802
770. Ziemssen an H. (4 S. 8«. N.) Rümligen 19 Jul. 1802
Theurer Herbart Vielleicht wirst Du des nachlässigen Freundes seines ewigen
Stillschweigens wegen zürnen, wenn Du Dich nicht selbst erinnerst, wie unangenehmer-
es einem ist, in so einer langwierigen halben Krankheit mit gelähmten Kräften vor
einem kräftigen Freunde zu erscheinen. Ich verschob das Schreiben immer von
einer Woche zur andern, in der Hoffnung, Dir von merklichen Fortschritten in der
1) Smidts Frau.
■^) Smidts ältestes Kind, geb. 3. Dez. 1798.
^) In Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung, vergl. Bd. I dieser Aus-
gabe S. 187.
*) Allg. Päd. (Bd. II, S. 62): „Ich bringe eine kleine Orgel in die Kinder-
stube und lasse darauf einfache Töne und Intervalle minutenlang erklingen."
') Um den Aufsatz über Pest, neuste Schrift „Wie Gertiiid --" (Bd. I, S. 137)
kann sichs nicht handeln, sondern wohl um „Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung".
*) J. L. Ewald, 1796—1805 Geistlicher und Prof. in Bremen (s. Bremische
Biographie 1912, S. 129), war dort für die Einführung der Methode Pestalozzis
tätig. Vgl. 0. Willmann. Herbarts pädagogische Schriften, Osterwieck, 1913.
') Vergl. den 1. Bd. der Briefe S. 258 u. 286. (Bremische Biogr, S. 36.)
*) 1793—1805 Gei-stücher und Prof. in Bremen, s. Brem. Biogr. 1912, S. 198.
^) Am 29. Mai 1802; darnach kann man den Brief datieren.
9*
JT2 Nachtrag zu 1802.
Besserung reden zu können, und betrog mich von einer Woche zur andern. Dazu
kam noch ein andrer Umstand, der mich zurückJiielt. Es steht mir eine Unter-
haltung mit Hn. Fr[isehing] bevor (wozu ich einen Aufsatz von mehreren Bogen beynahe
schon ausgearbeitet habe) die sehr vieles für mich entscheiden wird; ob ich in der
Schweiz bleibe, oder zurückgehn werde; ob für meinen Rudi irgend einige Hoffnung
ist, u. s. w. Die Sache ist mir an sich, meines Rudis und der ganzen Frs. Familie
äußerst wichtig, und liegt mir mit innigster Wärme am Herzen; aber außerdem
entscheidet diese Unterredung auch vieles über mein künftiges Leben. Deshalb
zögerte ich immer, um Dir den Erfolg derselben und meine damit zusammenhängen-
den Pläne mittheilen zu können. Wenn ich nicht wieder einen üblen Rückfall aus-
halten muß, und also physisch verhindert werde, so ist die Sache in ein paar Wochen
entschieden. || Aber zur Sache für meinen heutigen Brief, den Du nicht als eigent-
lichen Brief von mir ansehn darfst, sondern nur als eine Benachrichtung ^ die
ich dir mit fliegender Feder zu ertheilen eile, weil Du ihrer schnell be-
dürfen könntest.
Hr. Steiger hat mit einem doppelten Plan sich schon seit einiger Zeit herum-
geschleppt. Der eine ist misxuwandern^ und der andere den Ludwig in Militärdienst
zu geben. Er wollte sich in der Gegend von Wien niederlassen und Ludwig in Wien
anstellen. Das war im Winter bestimmt f e.stgesetzt ; jetzt aber hat er seinen Ent-
schluß geändert und macht mit Ludwig und Henriette eine Reise durch Deutsch-
land (über Göttingen) nach Holland, wxa sich dort umzusehen, wie man dort leben
könne, und den Ludwig irgend wo unterzubringen. Diese Reise hat er gestern an-
getreten. Gestern Nachmittag ging ich nach Riggisberg zu Segelken, der mir dann
noch folgendes als ein Geheimniß dazu anvertraute. H. St. sey vorgestern zu ihm
gekommen, mn noch einiges über Ludwig mit ihm zu sprechen, und habe ihn dann
unter andern gefragt, was er davon halte, wenn er den Ludwig noch einige Zeit
in Göttiugen ließe, und ihn suche Deinöi- Aufsicht anzuvertrauen. — Das war mir
in Deiner Person ein Donnerschlag. |! Lebhaft schwebte mir unsere sich hierauf be-
ziehende Unterhaltung wieder vor; und wenn Du damals Ursache hattest. Dir den
Ludw. nicht auf den Hals laden zu wollen, so hättest Du es jetzt nach meiner An-
sicht gedoppelt. Seine Rohheit hat in Genf nur ein andres Gewand angezogen. Er
hat dort nichts gelernt, als etwas Hörn blasen, und seine Kleider nach der neusten
Mode machen zu lassen, dazu hat er viele Schulden gemacht, und sich in einen
solchen Ruf gebracht, daß Vorsteher andrer Institute ihren Zöglingen untersagt
haben mit ihm umzugehn. Kurz er ist nach derselben Richtung fortgelaufen, die
du ihn nehmen sähest, und ist jetzt wohl unmöglich mehr davon abzubringen,
wenigstens müßte man dann ganz andre Sprünge mit ihm machen, als Du jetzt
können und wollen wirst. — Er gefällt hier auch niemand, wenn nicht etwa seiner
Frau Mama; Segelken denkt über ihn, wie ich, und hat es Hn. St. wohl eben nicht
verhelt, der selbst über ihn sehr in Kummer und aufgebracht ist. — Segelken hat
Hrn. St. auch ofenherzig gesagt, daß er glaube, es werde Ludwig nicht gar viel
helfen, wenn er ihn auch noch eine kurze Zeit in Göttingen lasse.
Dich habe .ich aber hievon doch benachrichtigen wollen, damit Du im voraus
hierüber Deinen Entschluß fassen und Deine Verfügungen treffen könntest; denn
daß Du diesen Vorschlag annehmen werdest, daran glaube ich eben nicht; aber
eher, daß er dich etwas in Ver- || legenheit hätte setzen können, wenn er Dir so
mit einem male über den Hais gekommen wäre. — Du kennst aber Steigers wich-
tiges und geheimnisvolles Wesen; weshalb es mir aus Diskretion gegen Segelken lieb
wäre, wenn Du ihm wenigstens das nicht merken zu lassen gebrauchtest, daß Du
es gewußt habest, er werde Dir einen solchen Antrag machen.
Nachtrag zu 1802. j^^
Kall wäre gerne mitgereist, aber bei Hn. St. scheint gar nicht Question dar-
über gewesen zu sein; er muß jetzt gleichsam seine Stelle vertreten und dem ganzen
Hause vorstehen. Segelken würde es nicht gewünscht haben, weil er fürchtet, es werde
ihn zu sehr zeretreuen. Mit mir hat H. St. gar nicht darüber geredet; wie gerne
hätte ich gewünscht, er hätte Dir ihn statt des Ludw. gebracht, und gelassen; denn
ihn nur auf einen halben Tag zu sehen, würde Dir auch nicht gar viel geholfen
haben. — Er ist noch immer der Liebling aller Menschen, die ihn kennen.
Nächstens mehreres. Ich lege Dir ein veraltetes Blatt bey, damit Du siehst,
daß ich Deiner gedachte. — Mein Arzt ist jetzt der trefliche Rengger — den Du
als Staatsmann kennst; und der die Achtung aller redlichen (nicht blind wüthenden)
genießt. Es geht aber fast unmerklich mit der Genesung, doch fange ich wieder
an zu ai'beiten. Von meinen Arbeiten, Plänen u. s. w. nächstens. Willst Du mir
die Freude machen, mich durch ein paar freundschaftl. Zeilen zu erheitern?
Immer ganz Dein Th. Ziemssen.
771. Ziemssen an H. (über seine Erziehungsresultate im Frischingschen Hause).
(6 S. 8«. N.) Rümligen, Mitte Sept. 1802.
772. N. Kulenkamp an H. (3 S. 40. N.) Bremen den 18t. Septbr. 1802.
Lieber Herr Herbart I Daß meine Frau und ich unsere Reise glücklich geendigt,
und munter und vergnügt hier eingetroffen sind, werden Sie gewiß von unseru lieben
Walte schon gehöret haben. Auch sind Sie meinetwegen sehr bald durch die münd-
liche Nachricht des zurückgekommenen Fuhrmanns beruhigt worden, w-eshalb ich
auch meine damalige Unpäslichkeit nicht weiter berühre.
Wie wir am Freytag um 5 Uhr hier angekommen, bewillkommten uns sogleich
viele Verwandte und Freunde, worunter auch Senator Smidt war, den wir Gottlob
vollkommen gesund antrafen.
Die mannigfachen Zerstreuungen woiin man in den ersten Tagen der Rück-
kehr lebt, und die vielen Geschäfte die sich gehäufet haben, sollten bald eine Ver-
anlaßung geworden seyn, mein Schreiben noch etwas auszusetzen; aber ich habe
es Ihnen fest versprochen es nicht zu verschieben, und Sie könnteu auch beim Aus-
bleiben einliegender zwey Hundert Thaler Ihre Promotion verzögern müssen, welches
.ein unangenehmer Zeitverlust wäre, den ich nicht gern verursachen möchte. Sobald
Sie ein mehreres bedürfen, können Sie auf mich rechnen.
Mit Walte seinen Eltern habe ich ausführlich gesprochen, || und es wegen der
nicht fortzusetzenden Stunden, unserer Verabredung gemäs, also eingelenkt und er-
läutert, daß sie völlig zufrieden sind. Beyde und vornehmlich die Mutter äußerten
die Besorgnis, daß hierdurch das freundschaftliche Verhältniß zwischen Ihnen und
W. nun gänzlich mögte aufgehoben werden, und W. Ihreu lehrreichen Umgang nicht
weiter würde genießen und benutzen können. Ich erwiederte, daß Sie es mir in der
Hand versprochen, Sie wollten sich ihres Sohnes mit Freuden ferner annehmen,
wenn er Ihnen nur sein Vertrauen schenken wolle, Sie hegten auch die Hoffnung,
daß nach und nach die eingetretene Spannung sich verlieren, und er sich in der
Folge fester an Sie schließen würde. Sie wissen lieber Herr Herbai t! wie sehr mir
Walte am Herzen liegt, und wie Sie meiner Frau und mir keine größere Freund-
schaft erweisen können, als wenn Sie jede sich darbietende Gelegenheit ergreifen,
auf seine moralische und wissenschaftliche Bildung zu würken; wie dieses beim zu-
nehmenden Alter und wachsenden Selbstgefühl anzugreifen ist, wird Ihnen, da Sie
unsern jungen Freund so genau kennen, nicht schwer werden.
Meine liebe Frau die noch immer von unserer Reise ganz entzückt ist, läßt
Sie herzlich grüßen, sie nekkt mich, daß ich mich endlich habe bequemen müßen
I
ITA Nachtrag zu 1802.
an Sie zu schreiben. Daß ich dieses bis dahin nicht ohne Grund zu vermeiden
gesucht habe, davon überzeuget Ihnen dieser j| schwerfällige von Sprachfehlern
wimmelnder Brief. Ich verlasse mich aber darauf, Sie werden ihn keiner strengen
Kritik unterwerfen.
Leben Sie wohl lieber Herbait! Schreiben Sie uns doch sobald es Ihre Zeit
erlauben will, denn Sie wissen es ja, wie frohe Stunden Sie uns mit Ihren Briefen
machen.
Ich schließe mit der Versicherung meiner innigsten Hochschätzung
N. Kulenkamp.
773. von Grote [V] an H. (4 S. S». N.) Bruchstück. Hannover, d. 27 Sep. 1802.
Lieber, guter Herbart! Jetzt erst komme ich dazu, Ihnen zu schreiben, ob-
gleich ich schon 3 Tage hier bin, und viel früher von Braunschweig abreißte, als
Sie und ich es vermutheten. Als ich von Salzdalem zurückkam, fand ich den
Gr. Wittgenstein in dem AVirthsliause, er brachte mir ein Entrebillet zu einem Herren-
club, wovon auch H. Hofmeister Mitglied war. Er fragte nach Ihnen, und ich ent-
schuldigte Sie, wie wir es abgeredet hatten. In dem Clube war nicht viel Unter-
haltung, ein jeder setzte sich stumm hin, und laß die Zeitung, ohne nachher ein
Wort darüber zu wechseln. Am Abend nahm mich Wittgenstein mit zu einem
Traiteur um dort zu Abend zu essen, hier errichteten die H. bald eine Farobank
wobey es ziemlich scharf herging. Man || wollte mich durchaus zum Spiel bewegen,
ich entschuldigte mich aber damit, daß ich nie gespielt hätte, und ein viel größeres
Vergnügen im Zusehen fände. Bey diesen Beschäftigungen kam die Rede unter
den jungen Leuten auf den Göttinger Orden, ein Jenaer Student und Bekannter des
jungen Grafen, bezeugte seine laute Freude darüber, daß die Ordensbrüder so ritter-
lich alles abgeschwohren hätten, und sagte, daß dieser Orden mit Recht den Namen
CONSTANTIA verdiene; ich konnte es- nicht lassen, ihm zu widersprechen, und
wurde vielleicht zu heftig. Der Herr wurde aufgebracht, doch ich blieb bey meinem
Satze, daß dies Abschw Öhren immer schändlich bleibe, und als Wittgenstein auf meine
Seite trat und meinen Gegner zu besänftigen suchte, ging alles in Frieden ab. Wie
sehr ich mich von Braunschweig wegwünschte, nach diesen so unangenehm hin-
gebrachten Stunden, können Sie sich denken, und wie || sehr ich mich allein und
fremd fühlte, als ich Sie nicht fand und keinen mit dem ich freundschaftlich hätte
sprechen können. Zum Glück fand ich schon am nemlichen Abend ein Pferd aus
Hannover für mich, (doch ohne meinen Bruder) ich beschloß gleich, früh am anderen
Morgen wegzureisen, um sobald wie möglich Menschen wieder zu finden, die ich so
sehr entbehrte.
Sie können sich vorstellen, wie sehr meine Empfindungen bey der Erblickung
der Thurmspitzen von Hannover von denen verschieden waren, welche ich bei der
Erblickung von Magdeburg empfand. Ich eilte und fand mich bald mitten unter
meinen Verwandten, die sich alle mit mir freuten. Die ersten Paar Tage meines
Hierseyns fand ich es sehr unruhig in unserm Hause, es geht noch nicht alles
seinen ordentlichen Gang, ich konnte weder, meine Schwester, meine Mutter noch
meinen Bruder eine halbe Stunde lang sprechen. Gestern |i zuerst ist es mir ge-
lungen, ruhiger und länger mit den beyden Erstem zu bleiben, August ist einen
großen Theil des Tages in Hannover mit Lewis, um dort seine Reitstunden wahr zu
nehmen, er hat viel mit seinem Lewis zu thun, doch hat er mir versprochen, den
SOjälirigen Krieg von Schiller mit mir zu lesen. Er thut alles, warum ich ihn bitte,
sucht sich nach mir. zu richten, und folgt mir auf jeden Schritt — ich weiß, was
ich daher für eine Pflicht auf mir habe.
Nachtrag zu 1802. i^c
Mit meiner Mutter habe ich gestern lange über August gesprochen, sie äußerte,
daß P. Rump noch garnicht bestimmt geschrieben habe, ich möchte Sie aufmuntern,
Ihren angefangenen Brief abzuschicken.
Mit meiner Schwester war ich gestern Abend ein paar Stunden, wir sprachen
viel, auch worüber ich mit Ihnen oft sprach, wobey ich mich oft an Woldemar er-
innerte. Gewiß sie will ebenso gern weiter, wie ich es will, ich wünschte ihr herz-
lich Ihren Umgang, und Sie beneidet mich täglich darum. Sie sehen was ich darum
gebe, wenn Sie hier wären, und ich gebe den Gedanken || [noch nicht auf.]
774. Gries an H. (4 S. 8°. N.) Jena, d Isten Oktbr 1802
Ich beantworte Deinen Brief ein wenig spät; aber ich hoffe, daß Du mir
diese Verzögerung, theils um der Ursache willen nachsehen, theils um des einliegen-
den Schlüssels willen verzeihen wirst. Dieser Schlüssel ist nemlich kein andrer,
als der zu Deinem Klaviere, das in diesen Tagen die Reise nach Göttingen antreten
wird. Ich habe die erste Gelegenheit benutzt, die sich seit Deinem Briefe dar-
geboten hat, und sende Dir, wie Du verlangt hast, Deinen alten Freund, wohl ein-
gepackt und verwahrt. Es wird Dir gewiß lieb seyn, ihn wieder zu sehen. Der
Kasten freilich war sclilechterdings nicht aufzufinden, und wird vermuthlich längst
in irgend einem Ofen des Fichtischen oder Zicklerschen Hauses verbraucht worden
seyn. Ich habe also einen neuen machen lassen, und doch werden die gesamten
Unkosten des Transports etc. nicht viel mehr betragen, als Du in Göttingeu für die
halbjährige Miethe eines Instruments bezahlen mußt. ||
Was die Ursache meines laugen Stillschweigens betrifft, so hast Du sie für
diesmal — seltsam genug — bloß in meinem unmäßigen Fleiße zu suchen. Ver-
schiedene Umstände — hauptsächlich ein sehr ungebetener Rival, der mir den ganzen
Tasso auf einmal fix und fertig vor die Thür setzte — trieben mich an, meine Über-
setzung bald möglichst zu Ende zu bringen. Ich fing erst im Junius mit der Aus-
arbeitung des letzten Theils an, und siehe da! in wenigen Tagen wird der Druck
beendigt seyn. Du kannst also denken, daß ich- den Sommer über nicht viel Anderes
habe thun können, als übersetzen und korrigiren; Du kannst aber auch denken, daß
ich mich jetzt nicht wenig freue, eine so langwierige und schwierige Arbeit wenigstens
zu Ende gebracht zu haben. Denn freilich muß auch ich jetzt, wie Göthe's Tasso,
aus vollem Herzen sagen :
„Noch bleibt es unvollendet,
„Wenn es auch gleich geendigt scheinen mögte!,.
Vielleicht läßt sich das Werk künftig einmal über das Ende hinaus, und der
Vollendung näher bringen. Für jetzt bin ich zufrieden, wenn mein Bestreben nicht
ganz unerkannt bleibt. Dein Beifall, mein Freund, gehört mit zu den süßesten Be-
lohnungen, die ich für meine Arbeit empfangen habe. Ich danke Dir, Herbart;
Du weißt, für wen ich am liebsten gearbeitet zu haben wünschte. || Vergeblich habe
ich Deinen Namen in dem neuen Göttinger Lektionskatalog gesucht. Hoffentlich
ist indessen Dein Plan nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. Ich habe gar nichts
dagegen, daß Du G. zu Deinem Aufenthalte gewählt hast, wenn Du Jena nicht
wählen wolltest oder konntest. Bei allem Stolze, mit welchem die Jenenser auf G.
herab zu sehen pflegen, bin ich doch sehr der Meinung, daß G. als Universität gar
manche Vorzüge hat. Es läßt sich gewiß nirgends in der Welt besser arbeiten, wie
ich aus eigner Erfahrung weiß, und jich wäre sehr geneigt, meinem Bruder (der
in wenig Wochen nach G. kommen wird) dahin zu begleiten und den Winter bei
Dir zu bleiben — wenn nicht die verwünschte Oekonomie mich hier fesselte. Der
Gedanke, einige Monate mit Dir und meinem guten Heise (der Deiner nähern Be-
kanntschaft gewiß würdig ist) in Ruhe zu verleben, würde mich schon allein nach
Io5 Nachtrag zu 1802.
G, ziehen, wenn auch die dortige Bibliothek mir nicht so große Unterstützung bei
meinen Arbeiten verspräche. Sehr ungern habe ich diesem Gedanken entsagt. Ich
werde diesen Winter sehr einsam zubringen. Mein Bruder geht fort; sogar mein
alter Stahl, der bis diesen Augenblick so treulich bei mir ausgehalten hat, wird in
wenigen Tagen nach Coburg abgehen. Ich habe hier keinen Freund mehr, nicht
einmal einen nahen Bekannten. ||
Ich läugne es nicht, daß unter diesen Umständen der Gedanke an die Noth-
wendigkeit der itnmittelbaren Thätigkeit für bestimmte Menschen (den auch Du
mir in Deinem Briefe an's Herz legst) oft in mir sehr lebhaft wird. Aber das
gewisse Gut der goldnen Freiheit hingeben für einen ungewissen, immer be-
schränkten Zustand; meine liebsten Beschäftigungen verlassen, mich in das Joch
des bürgerlichen Lebens schmiegen — — kannst Du mirs verdenken, wenn mir
dabei ein Grauen ankommt? Da?u kommt, daß ich, um irgend einen bestimmten
Wirkungskreis zu wählen, ein völlig neues Leben anfangen, ein ganz andrer Mensch
werden und — von neuem in die Schule gehen müßte, denn Du kannst wohl
denken, daß mir die nützlichen Wissenschaften ein wenig fremd geworden sind.
Und so lebe ich denn so fort, ohne zu wissen, wohin mich dies Leben eigentlich
führen wird. — Aber am Ende — — wer weiß es?
Gönne mir, Lieber, zuweilen einige Augenblicke Deiner Zeit. Du wirst mir
eine große Wohlthat erzeigen; denn von nun an wird schriftliches Gespräch allein
mich für den Verlust des mündlichen entschädigen können. Dein J. D. Gries.
N. S. Du könntest mir einen recht großen Gefallen thun, wenn Du eine
Clementische Sonate für mich abschreiben lassen wolltest, die ich ehemals oft von
Dir gehört habe. Sie geht aus Finoll, wenn ich nicht irre, und i.st außerordentlich
schön. Ich habe sie hernach, aller Mühe ungeachtet, nie wieder auftreiben können.
2te N.S. Noch eine Bitte: Sey doch so gut, für meinen Bruder auf diesen
Winter ein recht gutes Klavier zu miethen. Vielleicht hast Du selbst eins gehabt,
das Du ihm nun überlassen kannst. Vergieb die Mühe.
775. Bonus an H. (2 S. 4°. N.) Oldenburg Oct 7. [1802?]
776. Am 7. Mai 1802 war H. in Göttingen immatrikuliert worden (Matrikel im N);
im Okt. erfolgte die Promotion (,.post adprobatam examine et disputatione eruditionem
• . . . summos in philosophia honores ac privilegia ....'• heißt es im Diplom v.
22. Okt., das sich im N. befindet).
777. An Frau Doct. C. Castendyk, Mad. Noltenius und Smidt [in
Bremen]. 1) [Herbst 1802]
Meine theuern, meine sehr verehrten, und unvergeßlichen Freundinnen!
Ich sende Ihnen mein Erstgebornes, und empfehle es Ihrer Pflege.
Die Freunde, welche so gütig seyn wollen es zu überbringen, haben mir
eine sehr angenehme Überraschung durch so viele gute und heitere Be-
richte von Ihnen, noch angenehmer gemacht. Sie leben glücklich, und
immer glücklicher! So muß es fortgehn, und das wird es! — In der
Hoffnung daß mein Andenken bey Ihnen nicht erloschen ist, werde ich
Ihnen mehr ausschütten, so bald die ersten Arbeiten einer unerwartet
früh angetretenen Laufbahn ein wenig minder drängen. Ganz Ihr H.
^) 1 S. 4". Univ.-Bibl. Jena. — Adr. nicht von Herbarts Hand. Obwohl mit
Bleistift vermerkt ist: „Vermuthlich 1804 aus Göttingen^' verlege ich den Brief in den
Herbst 1802, als H. seine Schrift „Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung"
(s. Bd. I, 151 ff.) den 3 Frauen übersandte.
Nachtrag zu 1802. 1^7
778. Ziemssen an H. (4 S. 8". N.) Rümligen, Ende Nov. 1802,
(Mit Mitteiluugen über Zehender, die Familie Geßner, bei der er den "Winter
über zubringen will.)
779. Ziemssen an H.') (4 S. 8". X.) [Dez. 1802]
Theurer Freund, es ist besser, ich sende diese Blätter so ab, wie sie da sind,
als ich warte die Zeit ab, wo ich sie fortsetzen. Dir bestimmter über mich selbst
schreiben, und es versuchen kann, Dir zu zeigen, wie Du aus üubekanntschaft mit
den Umständen in Deiner Ansicht der Lage der Dinge in der Schweiz, wenigstens
nach meinem und aller unsrer hiesigen Freunde (etwa den älteren Otth, der seit
er verheyrathet ist, täglich engherziger wird ausgenommen) — ürtheil ganz den
rechten Gesichtspunkt verfehlst, und danach in Deinen Briefen an Steigers einige
bedeutende Mißtritte gemacht, die eben so verderblich in Beziehung auf Deine
höhern Zwecke mit den Kindern dieses Hauses würken, als sie compromittirend
und ich darf wohl sagen beleidigend für Deine hiesigen Freunde, besonders für
Segelken und mich sind. — Segelken sagte sehr bescheiden von Deinem ersten
Blatte an Karl: es war wenigstens sehr unvorsichtig von H. Und unsre Freunde
wiederhohlten : es war sehr unvorsichtig. — Audiatur et altera pars; — das ist Dir
freylich bis jetzt nicht wohl möglich gewesen; aber wer hätte nicht erwarten sollen,
daß Du Dein Urtheil bis zu dieser Möglichkeit aufschieben würdest. — Freund, ich
gestehe Dir, ich finde fast keine Worte, Dir zu schreiben. Ein hoher, von aller
Eigensüchtigkeit entfernter Geist lebte bis jetzt in unserm Bunde; 0 Herbart, wird
er auch an dieser Klipppe nicht zu scheitern Gefahr laufen? Wirst Du es dulden
können, daß ich so zu Dir rede ; daß ich Dir aufdecke, was in meinem Innern vor-
geht V — Ich kann irren; aber ich rede aus fester Uberxeugung und uohlyemeinter
Absicht. II Wenn Du Dich überzeugt glaubst, daß ich irre; so halte Dich an meinem
In-thum. und laß meine Person denselben nicht weiter entgelten. — Dein letzter
Brief an Karl ist in jeder Hinsicht vielleicht das allerverderblichste, was Du an
ihm hättest thun können; seinem Verlorenseyh für ein wahres höheres Leben ist
dadurch Aielleicht das Siegel aufgedrücket. Hättest Du meinen Brief über Ludwig
beantwortet, und nicht demselben grade entgegengehandelt, ohne, ich will nicht sagen,
Dich darüber bey mir zu rechtfertigen, sondern ohne mich nur irgend einer Be-
nachrichtigung in dieser Hinsicht zu würdigen, so hättest Du schon eher mehr über
Karl gehört. — Karl wird, wenn er nicht sehr bald von Hause kömmt, ein zwar
gutgesinnter, aber bornirter, knausriger Hausverwalter, der zwar mancherley höhere
Dinge durch seine geistigen Hände hat gehen lassen, die aber nicht in ihn selbst
eingreifen, und in sein eigens inneres Leben übergehen. — Der Feldzug, die ganze
Lage der Gegenwart, und am allermeisten Deine Briefe haben ihm ganz den Kopf
verdreht, und S — vielleicht fast außer Einfluß auf ihn gesetzt. — Hast Du es so
ganz vergessen, wie Du von der Schiefheit und Engherzigkeit dieser Menschen auf-
gehalten und entgegengewürkt wurdest, daß Du oft niedergeschlagen mit dem Ent-
') Im Herbst 1802 war in der Schweiz der sog. Stecklikrieg ausgebrochen, ein
Aufstand der Altgesinnten gegen die helvetische Regierung, der mit ihrer Vertreibung
(!>kt. 1802 endete. Karl Steiger wai- offenbar mit zu Felde gezogen. AVährend.
Herbarts Freunde mit den Neuerern und Demokraten sympathisierten, stand Herbart
auf Seite der Alten. Daß nun Herb, in seinem Briefe vom 16. Nov. 1802 (s. Bd. I,.
S. 257) Karl wegen seiner Haltung lobte, ja, daß er erklärte, er wäre selber gern
mit ins Feld gezogen, veranlaßte Ziemssen, den obigen erregten Brief zu schreiben;
vielleicht ist auch sein körperliches Unwohlsein mit Schuld an den starken Aus-
drücken. — Diese Notiz und die Datierung verdanke ich Herrn Prof. Dr. Steck iuBern^
1^8 Nachtrag zu i8o2.
Schluß rangst Deine Stelle mit allen ihren schönen Hofnungen aufzugeben? und
jetzt kannst Du so leichtfertig Deinen eignen Planen das Messer an die Kehle
setzen? — Und hast Du vergessen, wie Du B[öhlendorff] tadeltest, daß er Fritz
Sinner durch eine falsche Erhebung || seines Verhältnisses mit ihm auf eine Höhe
[hinaufschraubte], deren Schwindel der Kopf deßelben noch [nicht] ertragen konnte, daß
Du selbst diesen Fehler auf einer viel gröbern und einschneidenderen Art begehst?
— — — Ich bin erstaunt, ich habe meinen Ohren nicht trauen wollen, und noch
zweifle ich aller Versicherungen ungeaöhtet gewissermaßen, da ich den Brief nicht
selbst in Händen gehabt habe. Aber Ihre triumphirende Miene haben diese kurz-
sichtigen, engherzigen, eigensüchtigen Menschen gegen uns erhoben; und uns es
gleichsam freygestellt, iinsern Freund von uns zu weisen, uns von ihm loszusagen,
oder uns selbst demuthsvoU erniedrigend, ein pater peccavi zu singen. — Theurer,
Edler, Hellsehender Freund, das kränkt mich tiefer als alles Übrige, daß die Un-
bekanntschaft mit den Umständen dir Äußerungen entlocken konnte; die Dich zum
Helden der engherzigsten Stockorthodoxen und Oligarchen machen, und Dich nur
einen Augenblick in manchen Augen ihnen gleichsetzen konnte!!
Theurer, lieber Freund, es ist spät in der Nacht und ich schreibe unter phy-
sischen Schmerzen ; ich muß abbrechen. Furchtsam und begierig werde ich Deine
nächsten Zeilen durchlaufen: ob mir noch ein Sehimvier der Hofnung eines Ein-
verständnisses unter uns hierüber leuchtet. Ich hoffe Du schenkst mir doch einmal
wieder einige Minuten, und das recht bald nach Empfang dieses Briefes. Wünscht
Du es und kann es etwas helfen, so erhälst Du eine gedrängte Darstellung || meiner
auf vierjähriger [ausgebreiteter Erfahrung und ernsten Nachdenken gegründeten
Ansicht der Sclureix ; die ich wahrscheinlich auch dem Publikum einmal mittheilen
werde. (Aber das bleibt unter uns.)
Meine Gesundheit habe ich noch lange nicht ganz wieder, und werde sie, wie
mehrere Ärzte meinen, in diesem Klima auch wohl nicht ganz wiederfinden; bis-
weilen werden meine Beschwerden empfindlich und hemmend; indessen wächst
Muth und Kraft mir wieder; und ist selbst durch das Mislingen mit meinem Rudi
gewissermaßen erhöht; sowie ich dadurch mannigfaltig belehrt, auf festere Punkte,
und zu klarer Überzeugung über den Gegenstand meiner Thätigkeit gebracht bin.
Ich bin, so viel physisch möglich, thätig. Meine alten Plane erwachen mit der
alten Lebhaftigkeit ihres Interesses für mich, aber mit mehr Bestimmtheit itnd
Festigkeit. Einige Arbeiten gelingen vielleicht schon jetzt meiner Hand. Hierüber
nächstens melir. Ich erwarte mit Sehnsucht, den Posttag', wo ich Antwort von Dir
haben, kann. Gute Nacht Dein Z.
780. Gries an H. (4 S. 8». N.) Jena, den 22sten Dezbr. 1802
Der Ueberbringer dieses Briefes ist mein Freund Möller aus Norwegen, der sich
einige Tage in Göttmgen aufhalten wird und Deine Bekanntschaft wünscht. Ich
brauche Dir nichts weiter von ihm zu sagen; er trägt seine beste Empfehlung in
seinem Angesichte, das der treue Spiegel einer reinen und freien Seele ist. Da
Philosophie sein Hauptstudium ist, so werdet ihr bald miteinander Berührungspunkte
finden. Uebrigens sage ich Dir nur noch, daß er Steffens genauer Freund ist und
auch mit unserm Böhlei^orff eine Zeit lang in Dresden gelebt hat. — —
Ich hätte Dir schon längst geschrieben, lieber Herbart, um Dir für die schönen
Stunden zu danken, die Du mir zum zweiten Male in Göttingen geschenkt hast,
wenn ich Dir nicht memen Dank auf eine thätigere Weise hätte darbringen mögen.
Dies konnte ich aber nicht vor der Beendigung des Tasso, dessen Schluß Du hiebei
erhältst. Geendigt ist das Werk nun freilich; wie wenig ich es indessen als voll-
Nachtrag zu 1802. j^g
endet ansehe, wirst Du vielleicht bei einer künftigen Auflage erfahren, wenn die
Götter es dazu kommen lassen. ||
Wie sehr hätte ich gewünscht, Deinen Umgang länger genießen zu können,
als jene wenigen, kurzen Stunden ! Gewiß, wenn irgend etwas in der Schöpfung
eine verjüngende Kraft besitzt, so ist es das Wiedersehn eines Freundes. Die
Schatten jener glücklichen, zu schnell entschwundenen Tage, die wir einst in Jena
zusammen verlebten, umschwebten mich hell und lebendig; und wenn es nur
Schaffen waren, so lag die Schuld gewiß an mir, der so lange unter Träumen und
Bildern gelebt hat, daß ihm oft die Wirklichkeit selbst zu Traum und Schatten wird.
Du wirst wohl am Ende gemerkt haben, daß ich selbst in Deiner und Deiner
jungen Freunde Gesellschaft mich in einer Art von Verlegenheit befand, die ich nur
übel verhehlen konnte. Du hegtest Erwartungen von mir, die ich nicht befriedigen
tonnte: Du kündigtest mich Deinen Freunden mit einem gewissen Pomp an, der
mich mehr beschämte als erfreute. Wie lange hätte ich diesen Kothui'n behaupten
können? Wie bald hätte die Heroenmaske fallen müssen, die Du mir geliehen
hattest und in die ich mich so schlecht zu schicken verstand! |j
Glaube mir, mein Freund, es war gut, daß ich Göttingen verließ und auf
diesen alten Schauplatz meiner Leiden und Freuden zurückkehrte. Eine Heimat
muß der Mensch haben, und diese habe ich mir gewühlt. Es kommt mir vor wie
ein Verbrechen gegen das Vaterland, wenn ich den Ort ganz verlassen könnte, dem
ich so Vieles und Großes verdanke. Auch fühle ich es lebhaft, daß es nicht bloß
Gewohnheit ist, was mich hier fesselt. Diese Gegenden waren mir wieder neu ge-
worden in den wenigen Tagen der Trennung. Der schönste Herbst, den ich jemals
erlebte, lieh ihnen ungewöhnliche Reize. Alles erinnerte mich an jenen fast eben
so schönen Herbst, der mich vor sieben Jahren in dieses Elysium einführte. Mit
welchem Entzücken strich ich auf den Bergen, in den Thälern umher!
Wie schimmernd wand sich in des Thaies Mitte
Durch Erlen hin des Flusses Silberglanz ;
Wie lachte bei des Herbstes frohem Tritte
Im Rebenschmuck der Hügel bunter Kranz!
Wie neu war alles den erstaunten Blicken;
Durch meine Brust, vom Ahnungshauch geschwellt,
Fühlt ich den Strahl des schönero Lebens zücken,
Und offen lag vor mir die Welt. — ||
Und wie lebst Du, mein Freund, bei Deinen neuen Beschäftigungen? Wie
gefällt Dir der Katheder? Wie steht es mit Deinen Vorlesungen? Billig hätte ich
schon längst von Dir wenigstens eine schriftliche Gegenvisite für meinen letzten
sowohl schriftlichen als persönlichen Besuch haben sollen. Aber leider ist die
Epistolophobie bei Dir ein so eingewurzeltes Uebel, daß ich fast zufrieden seyn
muß, wenn ich auf zwei Briefe immer nur Eine Antwort von Dir erhalte. Ueber-
haupt bin ich jetzt ziemlich übel daran mit meinen Korrespondenten. Hast Du
Nachricht von Deiner Mutter? Wo ist sie? Wie geht es ihr? Weißt Du von den
Freunden etwas, von Eist, Berger, Böhlendorff? Es herrscht jetzt ein allgemeines
Stillschweigen, und es kommt mir manchmal vor, als wäre alles aus und vorbei.
Lebe wohl. Bester, und gedenke meiner bei Deinen jungen Freunden. Be-
sonders empfiehl mich dem freimdlichen Füßli und dem wackern Gildemeister und
-dem schönen Steiger, dessen Gestalt mich an den Gott von Belvedere erinnert hat.
Plato müßte ganz Unrecht haben, wenn nicht noch irgend etv?as in ihm verborgen
läge, was Dir ^•ielleicht entgangen ist. Noch einmal, lebe wohl und schreibe bald
Deinem J. D. Gries.
I40 Nachtrag zu 1803.
781. Aus einem Briefe Ziemssens an H. (10 S. 8^. N.)
Schloß] i b. Bern 20. Jan 1803
. . . Ferner wünsche ich noch ein Angeu-Zeugniß über Pestalozzi für Deutschl.
abzulegen, wo Du eigentl. das einzige treffende Wort über ihn geredet hast.^) Aber
es scheint nicht zu aller Ohren zu kommen, und nicht allenthalben fruchtbaren
Boden zu finden. Die Urtheile Deutschlands, die hier täglich von Regierung,
Kirchen- und Schulräthen, Rectoren u. s. w. einlaufen, sind unter aller Kritik-, die
einen erheben ihn als den Einzigen Propheten ohne zu wissen, warum || es zu thun
ist, und thun der guten Sache im Ganzen vielleicht mehr Schaden, als die andern,
die s. Lehre als Unsinn oder abgeschmaktes Zeug verschreien. Glaubst Du einige
Worte als darstellenden Bericht 1. zweckmäßig oder nicht? — 2. nicht über meine
Kfte? Ich bitte um baldige Antivort. — A'orarbeiten dazu liegen da. — Ich stand
in der Nähe, und hoffe aus der Ferne zugesehen zu haben . . . "j
782. Böhlendorff an Smidt aus Berlin. 8. Febr. 1803
,,Wie erfährt man etwas von Herbart. Den Tod seiner Mutter wird er, wenn
ich ihn recht kenne, schwer fühlen. Aber sie wird der Ruhe froh seyn — Sie
war eine seltne Frau, aber sie konnte nie glücklich seyn.^'
783. Ziemssen an H. (4 S. 8«. N.) Schlößli bey Bern April 1803.
Mein theurer Herbart, es war in Burgdorf, wo ich vor einigen Tagen Deine
Zeilen erhielt, die ich wenigstens mit einigen Nachrichten beantworten muß.
Mein Vater ist in eine ordentliche theol. Professur hin aufgerückt, dadurch
eröffnen sich für mich allerhand Aussichten. Es ist wahrscheinlich, daß der Magistrat
von Gr[eifswald] mir seine ziemlich annehmliche Prediger -Stelle übertragen wird.
Ferner hat der General-Gouverneur von Pommern und Rügen meinem Vater das
Versprechen gethan, mir das Schulmeister -Seminarium des ganzen Landes, (worin
Jeder Landschulmeister ohne Ausnahme gebildet seyn muß,) zu übergeben; und sich
einen Bericht über Pestalozzi von mir erbeten. Endlieh hat derselbe meinem Vater
noch versprochen, wenn er mich dazu tüchtig finde, mir auch die erledigte Ad-
junctur der theol. Fakultät zu ertheilen. Obgleich nichts von allem dem nun ganx
sicher ist, da ich es nur mündlich von dem Hn. habe, so muß ich doch in meinen
Einrichtungen darauf Rücksicht nehmen. — Nach dem Wimsche meines Vaters gehe
ich von hier (wahrscheinlich im May) nach Paris, und von da nach Deutschland
zurück, wo ich entweder in Jena oder Göttingen in der Philos. promoviren muß. )|
Ich werde hierin wahrscheinlich Jena den Vorzug geben, theils weil ich mehrere
Professoren dort einmal genauer kenne, theils aber auch weil ich glaube, daß mir
dort das Exam en selbst leichter fallen wird, weil man in Jena wohl eher mit dem
Geiste zu befriedigen ist ohne die größte Genauigkeit im Buchstaben zur unum-
^) Über Herbarts Verhältnis zu Pestalozzi ist noch zu vergl. : „Wie Gertrud —
in der Beleuchtung eines zeitgenössischen Verehrers Pest.", Vortrag von Th. Wiget
(Schw^eiz. Päd. Zeitschr. 1912. Heft 11); ferner Th. Wiget, Pest, und Herb. (Jahrb.
des Vereins für wissensch. Päd. 1891 u. 92), Dort sind (23. Jahrg. S. 200) noch
folgende Notizen aus den Protokollen der literarischen Gesellschaft in Bremen mit-
geteilt: „Nov. 1801: Herb, las einen Auszug aus Pest. Schrift ,Wie! Gertr.', be-
gleitet von Erläuterungen. Er legt dann der Gesellschaft einen eignen Entwurf
vor. — Dez. 1801: Herb, zeigte versch. Hilfsmittel zur Ausführung der Ideen des
Pest, zur Päd."
^j Ziemssens Bericht ist erschienen. — Leider ist es nicht möglich gewesen,,
die Briefe Herbarts an Ziemssen und Muhrbeck trotz vielfacher Nachfrage auch bei
den noch lebenden Nachkommen dieser Männer aufzufinden.
Nachtrag zu 1803. j^j
gänglichen Bedingung zu machen, als in Göttingen. Könnte ich mich einige Zeit
ruhig darauf vorbereiten, so wüi-de dies weniger bey mir in ErwägTing kommen,
als jetzt da ich diese Sache mitten unter Reise und tausenderley andern Zer-
streuungen abmachen muß. Auch würde ich in Gott, vielleicht disputiren müssen,
was in Jena wegfällt. Vielleicht sind auch die Kosten in G. beträglicher.
Willst Du die Gefälligkeit haben, mir über diese Punkte einige nähere Auskunft zu
geben. Um desto länger bey Dir zu seyn, würde ich sonst G. vorziehen.
Wenn keine unerwartete Umstände mich nöthigen meinen Plan zu ändern, so hoffe
ich etwa im August bey Dir zu seyn; doch bin ich noch unschlüssig, ob ich vor-
her oder nachher nach Jena gehen werde, wenn ich dort promovire.
Am Rhein werde ich einige Zeit verweilen. Ich habe neulich in Burgdorf
seit Jahren eine |der interessantesten Bekanntschaften in einem jungen Manne
Namens KLEiNscHiHD von Heidelberg, (jetzt in Kreutznach) gemacht; || mit dem ich
mich durch Interesse des Kopfes und Herzens gleich innig verband, und den ich
besuchen werde ; er will mein Gesellschafter am Rhein seyn. Er lebt der Erziehung,
der Philos. und den Musen, und gehört in unsre unsichtbare Kirche; Pestalozzi
liebt und schätzt ihn. Von dem edlen, verehrungswürdigen Pestalozzi kann
ich mich fast nicht losreißen. Er -wird mir nach gerade in Wahrheit heynahe
ein Heiliger; Du kannst keine Idee davon haben, wie tief dieser Mann den Sinn
des Lehens aufgefaßt hat. wovon das, was er für Erziehung thut nur eine einzelne
Ausströmung ist. In ihm habe ich doch wenigstens einmal ein achtes, hohes Genie
ganz in der Nähe gesehen und an mein Herz gedrückt. AVas ich von seiner
Einseitigkeit ehemals faselte, nehme ich jetzt größtentheil zurück; es ist bey ihm
durchaus nicht von bloßem Unterricht^ sondern von der ganzen Erziehung die
Rede. — — — — ^
Doch wirst Du hoffentlich nicht glauben, daß ich zu einem iiherschicänglichen
Verehrer geworden sey (wie Jacobi sich auszudrücken pflegte). — Doch darf ich
Dir nicht verhehlen, daß wir hier mit Deiner Rec. über Ith und P[estalozzi] ') nicht
ganz zufrieden sind. Ith mbnite sie, setzte aber hinzu der Rec. hat den Nagel
durchaus nicht auf den Kopf getroffen. Zehender und einige andere sagten: sie sey
wenigstens unbedeutend und in der Eile hingegossen; und mehr dergl. Urtheile. ||
Meine und I'estalozzis Einwendungen und Antworten sind etwas weitläuftiger, so
daß ich sie vielleicht bis zur mündhchen Unterhaltung verschieben muß, wo ich
mich schmeichle von Dir angehört und beantwortet zu werden. Theurer H. ich
freue mich unendlich auf die seligen Stunden, die meiner in diesen so lange er-
sehnten Tagen harren, wo ich mit Dir die Ansichten des Lebens, der Welt und ins-
besondere der Gegenstände unserer eigentlichen Beschäftigungen austauschen, läutern
und erhellen kann. Wir waren lange getrennt, wir werden in manchen Dingen
eine von einander verschiedene Richtung genommen haben, und anfangs über
manches verschiedener Meinung seyn, laß dies kein Hinderniß zwischen uns werden.
Laß uns mit dem festen Bewußts. daß wir zu einander gehören, und mit dem Zu-
trauen und der Innigkeit, womit wir als ewig verbunden hier von einander schiedeni
uns wieder einander in die Arme fallen; laß uns nicht, einer sich an die äußeren
Ecken des andern stoßen, da unsre Herzen sicli doch gewiß, so bald wir uns ver-
stehn, gleich sind; laß uns womögl. nicht anders und nicht eher wieder von ein-
ander scheiden, als bis dieses unser Zusammenseyn uns die innigste Harmonie mit
einander von neuem documentirt, und die Fäden für die Erhaltung und Benutzung
ders. angeknüpft hat.
1) s. Bd. xn, S. 3 ff.
j^2 Nachtrag zu 1803.
784. Zehender an H. (4 S. 8^ N.) Bern, d. 11t. Aug. 1803.
Endlich mein theurer Herbart komme ich dazu, Dir wegen Deinem Auftrag in
Ansehen Deiner Bücher — zuzuschreiben. Daß es erst jetzt geschieht könntest Da
füglich einem Mangel freundschaftlicher Aufmerksamkeit zuschreiben, wenn Ziemßens
plötzliche Abreise und meine eigene dreymonatliche Abwesenheit von der Stadt,
mich nicht bei Dir entschuldigen würden. Als Du Zß. schriebest von Deinen Büchern
hier zu verkaufen was Absatz fände, nahmen wir uns vor, einen Catalog Deiner
Bücher zu machen; — uns nach den gangbaren Preisen zu erkundigen, und Dir
solchen dann zu überschreiben, ehe wir etwas veräußerten. Nun mußte aber Zß.
weit eher abreisen als er im Sinn hatte, und zu gleicher Zeit nahm ich meinen
Aufenthalt im G[urnigel] bis vor einigen Wochen, so daß ich nicht früher dazu
kommen konnte, Deine mir von Zß. zugestellten Bücher zu durchgehen und auf-
zuzeichnen. Ich benutze nun die gute Gelegenheit Dir dieses Verzeichniß durch
Herrn Seegelken zukommen zu laßen und ersuche Dich mir sobald möglich zu melden,
ob ich Dir Deine ganze Bibliothek durch einen hiesigen Handelswagen nach || Göttingen
spediren laßen solle oder ob ich einen Theii davon hier verkaufen solle. Im letzten
Fall ersuche ich Dich, die zu veräußernden Bücher zu bezeichnen, und die Preise
beyzusetzen, um welche Du dieselben lieber verkaufen als behalten willst. Mangel
an Zeit verhinderte mich die Preise der hiesigen Antiquaren zu vernehmen; doch
verlierst Du nichts dadurch indem solche Taxationen so niedrig ausfallen, daß man
sich gar nicht darnach richten kann ; — und was Dir verkäuflich ist, bei Partikularen
angebracht werden müßte.
Die Frachtpreise bis Frankfurt sind circa 7. Gld. der Centr. Von dort bis
Göttingen, wirst Du solche am letztern Ort erfahren. Du wirst bemerken daß einige
Werke inkomplet sind; — vielleicht daß Du mir sagen kannst, wo ich den Defekten
nachfragen kann. Den Atlas zu Anacharsis vermisse ich besonders; — weder Zß.
noch S.n wollten wißen solchen gesehen zu haben. Ob Nr. 109. inkomplet ist, weis
ich nicht bestimmt; — es könnte seyn daß ich den 2t. Theil übersehen hätte.
Nr. 98. ist in jedem Fall wegen seinem Gewicht kaum des Transports werth und
wird hier noch einen Liebhaber findea. ||
Mit den Büchern wirst Du denn wohl auch Deine Musikalien zurückverlangen,
welche ebenfalls bey mir liegen; — melde mir ein Wort darüber und auch ob ich
Dir die Violine zusenden solle. Es ist mir hier von einem Liebhaber 1. Louisdor dafür
geboten; er sagte mir wenn sie r[epariert] wäre, könnte sie 2. gelten; — die Reparatur
könnte aber auch 2. Laubthaler kommen. Willst Du sie hier laßen, so ist es wohl
das beste sie in guten Stand sezen zu laßen und dann gelegentl. zu verkaufen.
Soviel Deinen Auftrag betreffend worüber ich Dich bitte mir bald zu ant-
worten, damit die allfällige Spedition noch vor dem Winter vor sich gehen könne.
Zwar besorge ich dieselbe mit Wiederwillen weil ich Deine Bibliothek immer noch
als ein Unterpfand für Deine Rückkunft in die Schweiz betrachtete. Leider sehe
ich aber jezt auch gar nichts was Dich dahin ziehen könnte; und indem Dir
C. Steiger nun übergeben wird — sezst Du Dein Verdienst um uns auch im Aus-
land fort. Möchten sich bis zu seiner Rückkunft solche Auspicien in unserm Vater-
lande zeigen, die Dich bewegen könnten, auch dann seyn Begleiter zu seyn! Das
ist alles was ich || vorjezt- wünschen darf.
Du wirst wißen daß Steck nun eine ehrenvolle und seinen Talenten an-
gemeßene Stelle hat; — er ist Mitglied des obersten Appelationsgerichts des Cantons.
Auf künftigen Winter gedenkt er mit seiner Familie in die Stadt zu ziehen; eine
Aussicht die mir große Fi'eude macht. May kehrt eben von einem Smonatl. Aufent-
halt in Italien zurück; wir hoffen er werde auch eine angemeßene Anstellung er-
Nachtrag zu 1803. 142
halteu. Wenn kein Landkrieg ausbricht, so können unsere Angelegenheiten erträg-
lich gehen; nur fürchte ich alles von dem Geist des Obskurantismus der bey vielen
Regsgliedern herrscht; worunter sich wahrlich auch St.[eiger] befindt. Es bedarf
wirklich des ganzen Credits des Auslandes um P.[estalozzi] bey uns zu dulden.
Suche ja gelegentl. den trefl. Mann und seine Anstalt St[eiger] zu empfehlen; den
Gesichtspunkt dazu wirst Du schon zu wählen wißen; — überflüßig wird gewiß
Deine Bemühung nicht seyn. Was treibt Böhlendorf; — kannst Du uns nichts
näheres von ihm melden? Du mein Lieber bist wohl mit Deiner jetzigen Lage zu-
frieden; etwas näheres von Deinen Arbeiten und Beschäftigungen zu wißen, würde
Deinen Freund sehr intereßiren.
Meine Frau und ich grüßen Dich herzlich — Steck ebenfalls; — wir reden
oft von Dir. Auf immer Dein Zehender.
785. Hoene an H. (4 S. 4". N.) Huntlosen 7. Okt. 1803
786. Zehender an H.^) (4 S. 4«. N.) Bern den 30. Dez. 1803
Du wirst wohl mein theurer Herbart die Bücher Eiste, seit langem, und wie
ich hoffe wohlbehalten, empfangen haben. Billig konntest Du mit derselben einen
Brief erwarten seyn ; — allein kleine Abwesenheit, Unpäßlichkeiten und häusliche
Zerstreuungen verursachten von einer Woche zur andern Aufschub, und nun kann
ich wohl das Ende des Jahres nicht wohl beßer anwenden, als mich mit Dir mein
unvergeßlicher Freund, zu unterhalten. Zuerst von den Büchern; es sollen keine
fehlen als 10. Stück von den Hören 1795. — Böhlendorf hatte einen defekten Jahr-
gang 1796. Diß veranlaßto mich beyde zu kompletiren und zu behalten, voraus-
sezend von einem einzelnen defekten Jahrgang wüi'de keiner von Euch Nuzen
ziehen können. Ich entnchtete für den Deinigen die Fracht der Kiste bis Basel mit
66. Bazen, auf Deine Genehmigung dieses kleinen Kaufhandels hin, infolg desselben
Du die Fracht nur von Basel weg, zu zahlen hattest. Sodann fand ich lezthin mit
einiger Bestürzung unter meinen Büchern die kl-eine Schrift von Gaspari, über das
Studium der Geographie, das ich zum lesen in meinen Bücherschrank genommen
und bey Absendung der Kiste vergeßen hatte. Sollte Dir noch mehreres fehlen so
sey so gut || es mir zu melden, damit ich auf meinem Verzeichniß nachsehen könne.
Die Violine ist wirklich bey einem meiner Freunde der sie in Stand sezen wiid und
vielleicht bald verkaufen kann.
Und nun habe ich nichts angelegentlicheres als Dir zu sagen, daß ich um-
ständliche mündhche Nachricht von Dir gehabt, — mich des langen und breiten
nach Dir erkundiget habe, und innige Freude hatte, Fragen über Dich, thun, und
Antworten Dich betreffend — hören zu können. Du erräthst wohl, daß es durch
den jungen Wyß geschehen, mit welchem ich erst diesen Winter bekannt wurde
und deßen Bekanntschaft mir nun noch einmal so lieb wäre, da sie mir zu einer
Art von näheren Umgang mit Dir verhalfe. Ich hatte noch nie so stark gefühlt,
wie anziehend und erfreulich es ist, jemand zu sehen und zu hören, der mit ent-
fernten und theuren Personen in Verbindung gestanden und uns Dinge von ihnen
erzählt, die wir gerne zu vernehmen gewünscht hatten.
So viel ich daraus schließen kann, so gehst Du auf Deiner philosophischen
Laufbahn, mit immer gleichem Muth, Schärfe des Geistes und mit Erfolg vorwärts,
und Deine äußere Lage ist so angenehm || als Du .sie bey Deinen Ansprüchen wohl
wünschen wirst. Nach dem Resultat Deiner Forschungen in der Philosophie, fra^e
ich nicht, sie gehen auf ein tief begründetes System, das ich erst in seiner An-
wendung werde kennen lernen können; aber ob Du den Liebhabern der prakt.u
Philosophie nicht bald Deine Meinung über einen Theil dieser Anwendung auf die
IAA Nachtrag zu 1805.
Erziehungslehre — mittheilen werdest, ist hingegen eine Frage die mich um so mehr
intereßirt, seit Schwarz und unser Zieraßen, wie mir scheint, eine ganz neue Bahn
in diesem Falle betretteu haben, und mehr auf den in der Tiefe des Menschen
wohnenden Geist, auf das Innere, Lebendige, Individuelle, in demselben Rücksicht ge-
nohmen, als die von Basedow herkommende, bis auf Pest[alozzi] wohl allein herrschende
Schule. Noch habe ich Schwarz nur flüchtig durchgangen; aber die Seele dieser
Schrift, so weit über dem Geist von Salzmann und andern diese[r] Schule gefunden,
daß wohl ein bedeutender Fortschritt dieser Wissenschaft, durch jene Schrift mir
unverkennbar scheint. Ton Ziemßen habe ich die pädag. Vorlesungen angehört || die
jezt wie ich höre im Druck erschienen sind, und die mir auch ein ganz neues mit
Schwarz übereinkommendes Licht aufstecken. | Seit July hat niemand hier ein Wöii-
chen Nachricht von ihm erhalten ; nicht zweifelnd daß Ihr in einem wissenschaftl.n
Briefwechsel steht, ersuche ich Dich ihm zu melden daß wir seinen Nachrichten
mit Ungeduld entgegensehen. | Wenn Du also auf jene Fragen mir antworten wolltest,
so würdest Du wahren Dank von mir verdienen.
Nun eine andere Frage, die weniger eigennüzig ist; was hast Du für Nach-
richten von unserm Böhlendorf; — wo ist er — was tüut er. Wir waren hier
schon lange sehr um ihn bekümmert, und Deine letzten Äußerungen haben imsere
Besorgniße noch vermehrt. Nun wirst Du doch etwas näheres von ihm wißen, und
bist so gut uns auch davon zu benachrichtigen; es ist uns besonders daran gelegen
wegen einem Brief den Steck schon im Sommer an ihn schriebe.
Wie befindt sich Carl Steiger? meine besten landsmännischen Grüße an ihn.
Eine Unpäßlichkeit hindert mich ausführlicher zu seyn. Meine Frau und Steck
■der mit seiner Familie ganz wohl ist, — sagen Dir alles freundschaftliche durch
Demen ergebensten A. Z.
Die Bücher Kiste ist Anfangs Nov. durch das Haus Rathnau Schwarzkopf
V. Frankf. nach Gott, spediert word. [ßandbem. d. 4. Briefseite.]
787.1) Folgende Summen, deren Gebrauch ich der Güte des Hrn. Elter-
mann N. Kulenkamp verdankte, als:
seit 1802 den i8ten Sept. rthlr. 200
— 1803 „ I3ten April „ 200 —
erkenne ich hiemit als eine Schuld an, deren Rückzahlung im Lauf des
nächsten Sommers erfolgen wird.
Bremen i8ten April 1804 Joh. Friedr. Herbart.
Daß Herr Senator J. Smidt Wohlgeb. mir heute obige dem Herrn Doctor
J. F. Herbart angeliehenen Rthr. Vierhundert in Golde, richtig ausbezahlt haben, be-
scheinige hiedurch. Bremen den 30 t. Juny 1804. N. Kulenkamp.
788. J- P. A. V. Feuerbach an H.-) Landshut in Bayern d. 4. Sptmbr 1805.
Wohlgebohrner Herr! Hochzuverehrender Herr Professor! Ohne alle Vorrede
und Einleitung, wozu mir doch so manches z. B. daß ich vor mehreren Jahren als
ich eben meine Laufbahn als Lehrer anfmg, neben Ihnen in Jena zu leben, Sie da
zu sehen und Sie schon damals hochschätzen zu lernen das Glück hatte, Stoff geben
^) I S. 4". Univ.-Bibl. Jena. — Adr.: Hm Senator Smidt Wohlgebohren.
2) 3 S. 4". N. — Mit Hilfe dieses Briefs des Kriminalisten Feuerbach
(1775 — 1833) an Herbart ist festzustellen, daß die Antwort Herbarts, die im 1. Brief-
bande S. 279 mitgeteilt ist, an Feuerbach in Landshut (nicht in München) gerichtet
war und jedenfalls im Sejjtember 1805 geschrieben ist.
t
1
1
Nachtrag zu 1806. 14 c
könnte — kurz: ohne alle Umschweife dieser Art wende ich mich sogleich zum Haupt-
thema meines Briefes.
Schon vor etwa einem halben Jahre nahm ich mir die Freyheit, Sie als Lehrer
der Philosophie auf der Universität Landshut, meiner Regierung vorzuschlagen.
Gewisse Hinderniße, die Sie vielleicht — möge doch dieses der Himmel so fügen! —
einst mündlich von mir hören können, traten in den Weg und meine schöne Hoffnung
schien mir für immer verschwunden zu seyn. Jezt sind alle "Wege geebnet und
nur Sie Selbst können den Wunsch vereiteln, den mein Freund Jacobi auf das
innigste mit mir theilt — daß auch Sie der Unsrige werden, daß Sie es für eine
schöne Bestimmung || halten mögten, an dem großen und schönen Werke, das uusre
•weise Regierimg begonnen hat-, an dem Werke der Bildung und Veredlung einer
unverdorbenen kräftigen Nation, vereinigt mitzuwirken durch Wort und That. Finden
Sie überhaupt diesen Antrag nicht verwerflich, so melden Sie mir gütigst — aber
unverzüglich Ihre Bedingungen. Keine Regierung, keine Universität kann Ihnen in
öconomischer Rücksicht gewähren, was die unsrige Ihnen leisten kann. In keinem
Staat ist auch für Witwen und Waisen so gesorgt, als hier. Die Stadt Landshut
ist schön, die Gegend umher könnte der Jenaischen zuverlässig den Rang streitig
machen. Wegen der Religion dürfen -Sie unbesorgt seyn: wir Protestanten haben
zu viel Intolleranz, als daß wir uns nicht den Katholicismus noch viel intolleranter
denken — dann aber am Ende uns doch betrogen finden sollten. Ueberdieses sind
in Landshut außer mir und meiner Familie, noch drey protestantische Lehrer, Prof.
Breyer, Ast und Dr. Butte, ') wovon nur der erste ohne Familie ist. Die Zahl
unsrer Studirenden ist etwas über 550: doch dürfen Sie nicht sehr viel auf Honorarien
rechnen. Daher muß die Besoldung ersetzen, was in jener Rücksicht mangelt.
Es wird nicht fehlen; man wird Ihnen in Göttingen manches gegen Landshut,
gegen Bayern überhaupt sagen. Aber entscheiden Sie doch ja nicht gleich: denn
die Verläumdung sagt oft weit mehr, als die Wahrheit. Trauen Sie nicht genug
Unbefangenheit oder || Redlichkeit mir zu, so wenden Sie Sich nur an den ehr-
würdigen Piaton der Deutschen, imsern Jäcobi. Er wird zwar die Uebel nicht ver-
decken oder vei-schönern, die noch hier und da das Gemähide des neugeschaffenen
Bayerns beflecken: aber Er wird Ihnen zugleich sagen oder Sie Selbst werden finden,
daß diese Uebel theils überall oder auf allen Universitäten einheimisch, theils aber
nur kleine vorüberziehende Wolken sind, welche blos auf Augenblicke die unüber-
windliche Sonne verdunkeln.
Sobald ich von Ihnen Ihre vorläufige günstige Erkläiung habe, werde ich Ihnen
sagen dürfen, in welcher Eigenschaft ich diese Anfrage schrieb.
Jacobi. der nun seit 14 Tagen in München ist und mit dem ich vor einigen
Tagen die schönste Zeit meines Lebens zubrachte, grüßt Sie durch mich und ver-
sichert Sie Seiner Freundschaft und Hochachtung.
Mit ausgezeichneter Hochachtung und Ergebenheit Eurer Wohlgebohren
gehorsamster Diener J. P. A. Feuerbach Hofrath u. Professor.
N.S. Darf ich fragen: ob Sie auch Xaturrecht lesen? denn dieses ist hier
ein großes Bedürfniß.
789. Graf George Sievers an H. (4 S. 8". N.) Leipzig d. 25. Jan. 6.
Mein theurer Freund und Lehrer Dank, innigen Dank, für Ihr letztes liebes
Andenken.^) Die Zeilen von Ihrer Hand hat mir mein P[later?] überlassen. Ich
') K. W. Fr. Breyer (1771—1818). der Historiker und spätere Prinzenerzieher.
W. Butte (1772—1833), Cameralist.
■-') Die AlJg. Päd.? Vgl. Bd. I der Briefe S. 283.
Herbarts Werke. XIX. lO
j^5 Nachtrag zu 1806.
hoffe sie jedesmal ohne innren Vorwurf lesen zu können. Mich schreckt, was meine
Ueberzeugung und meine Grundsätze anlangt, die "Wandelbarkeit der menschlichen
Natur nicht mehr. Ich fürchte nicht mehr ein, von Grund aus, andrer Mensch zu
werden. Sie und Ihre Lehren werden mir ewig theuer und heilig seyn. Das Streben
den letzteren gemäß zu handeln soll nie in mir erkalten. — Von Ihrem Werke
den zweckmäßigsten Gebrauch zu machen werde ich mir eine liebe Pflicht
sein lassen.
Erlauben Sie mir dessen was mir hier vorzüghch interessant war, mit ein
paar Worten, zu erwähnen. Mit Carus habe ich öfters lange Spaziergänge gemacht.
Sehr angelegentlich erkundigte er sich nach allem was Sie betrifft. Besonders inter-
essierte er sich für Ihre theoretischen Ansichten; erscheint mit den seinigen noch
gar nicht aufs Reine, doch dem Schelling nicht abgeneigt. Indessen bin ich über-
zeugt er wird Ihre Schriften mit offnem || Sinne auffassen und mit Unbefangenheit
prüfen. — Daß er ihnen angerauthet Tilligs Arithmetik zu recensiren, müssen Sie
ihm verzeihn. Er hat von diesem eine sehr günstige Meinung, ohne seine mathe-
matischen Kenntnisse gehörig würdigen zu können. Tilligs Methode, die Lindner
in der Bürgerschule practisch übt, bewährt sich trefflich. Auffassung der Zahl-
verhältnisse durch die Anschauimg ist der Grundgedanke dabei. Die Ausführung
ist von der Pestalozzischen verschieden und scheint zweckmäßiger. ^)
Gedikes Bekanntschaft ist mir ungemein schätzbar. Er vereinigt mit der Er-
fahrung und der Festigkeit eines alten Scholarchen die größte Unbefangenheit für
Neuerungen. Dabei hat er den Grundsatz, die freie Thätigkeit der Lehrer so wenig
als möglich zu beschränken. Er achtet den Eifer derselben und die Liebe für ihr
Geschäft höher, als Mängel und Fehler in der Methode, wenn sie nicht sehr be-
währt und ei'heblich. — Mir hat er viel Zutrauen bewiesen. — Er forderte mich
sogar auf, ihm mein Urtheil über sem Institut ohne Hehl mitzutheilen. Ich war
aufrichtig, ohne, wie ich hoffe, gegen -die Bescheidenheit zu verstoßen. Auf die
schmeiclielhafteste Art würdigte der edle Mann meine Bemerkungen zu erwägen
und die stattfindenden Mängel zu motiviren. Daß ich Ihnen das sage || werden Sie
nicht mißdeuten. Am meisten haben mir Krugs Verstandesübungen und Lindners
Religionsunterricht mißfallen. Der erstere, der zwar sehr eifrig, aber ein unbieg-
samer und bornirter Kopf ist, führt den Kindern ein ganzes Heer von Kräften vor,
ohne selbst einen andern Begriff von Kraft zu haben als den einer, durch und für
sich selbst, wirkenden unergründlichen Ursache. So wird mit dem zuversichtlichsten
Selbstvertrauen von einer toten Kraft, von einer Thierkraft einer Bemerkungs-
kraft etc. etc. gesprochen. Diese trefflichen Ideen stehen in dem genauesten Zu-
sammenhange mit den religiösen Vorstellungen Lindners. Alle jene Kräfte sind nur
Modificationen einer einzigen allgemein verbreiteten Urkraft und diese ist die
Gottheit. Lassen Sie Sich doch diese Vorträge von meinem Bruder etwas mehr
ausführen. Dem Unfuge muß gesteuert werden. Ihre Metaphysik wird, hoffe ich,
ein Radicalmittel abgeben. — Doch muß ich Sie bitten die ganze hiesige Bürger-
schule nicht nach dem nächst Vorhergehenden zu beurtheilen. Im ganzen ist sie
doch eine sehr erfreuUche Erscheinung, besonders wenn man darauf Rücksicht
nimmt, daß sie erst seit 2 Jahren existirt und daß das Streben nach Vollkommenheit
das Grundprinzip dei'selben ist. ||
Gedicke hat die Gefälligkeit gehabt uns mit einem i-aisonirten Verzeichniß der
Berliner Unterrichtsanstalten nebst einer Menge Adressen zu versehen. Auch nach
Halle gab er uns die besten Empfehlungen.
') Vgl. Th. Fritzsch, E. Tillich. Langensalza, Hermann Beyer & Söhne (Beyer
& Mann), 1908.
Nachtrag zu 1806. 147
Ich ersuche Sie sehr angelegentlich, wenn Sie herkommen, der hiesigen so
genannten Bewahr- und Vorbereitungsanstalt, für Kinder von 3 — 6 Jahren/) Ihre
Aufmerksamkeit zu würdigen. Zunächst finden die Kinder hier Spielkameraden und
Aufsicht. Der Unterricht unterbricht eigentlich nur die Spielstunden und währt
nicht länger als es der Aufmerksamkeit dieses Alters angemessen ist. Er ist be-
schränkt auf die Auffassung der Maaß und Zahl Verhältniße. auf Analy.sis der Er-
fahrung (wozu man sich, da die gewöhnlichen Gegenstände im Zimmer bald er-
sphöpft, eines großen Yorraths kleiner Modelle von allerlei "Werkzeugen und Geräthen
bedient;) im Sommer wird die Botanik diese Stelle besetzen. Außerdem wird auch
das Ohr und die Stimme für die Musik geübt. Hr. Heinze, der ehemalige Associe
von Tillig, hat dieses Institut angelegt; die Aufsicht und der Unterricht der Kinder
ist einer Prediger Wittwe übertragen, die mit beharrlichem Eifer für die gute Sache,
die nöthige Geduld, Geschmeidigkeit des Geistes, zweckmäßige Bildung und ein ge-
fälliges Aeußere verbindet. In einer Stadt, wo die Sitten so verderbt und wo so
wenig gute Mütter wie in Leipzig muß eine solche Anstalt höchst willkommen seyn.
Leben Sie wohl. Unverändert Ihr herzlich ergebner Sievers.
790. F- A. Carus an H. (3 S. 8". N.) Leipzig am 18. Jan. 1806.
Sie konnten, mein theuerster Herr Professor, keinen beredtem und liebens-
würdigem Vertreter Ihres Stillschweigens in Hinsicht meines letzten Briefes an Sie
wählen als den, Ihren bildenden Einfluß ebenfalls sehr ehrenden, noch bei uns und auf
unsern Schulen weilenden, Graf Sievers. Ich traue Ihrem Wort — das Sie noch
lebendiger durch Ihn mir zusicherten — Sie werden mir baldda.fi Vergnügen machen,
recht bald, Ihre combinirende Kritik der neuesten philos. Morallehrbücher zu er-
halten und zu lesen.
Dazu füge ich nun noch eine Bitte, von deren, ebenfalls nicht zu später, Er-
füllung ich schon im Voraus gewiß zu seyn wage, da auch der treffliche Gr. Sievers
meine Hoffnung bereits bestätigt hat. Der Ihneo bekannte P. Tillich in Dessau
hat nehmlich ein ganz neugeformtes Lehrbuch der Arithmetik so eben herausgegeben,
auf welcher, wie er sagt, den längsten und ernstlichsten Fleiß verwandt und welches
er durch mehrfache pädagog. Versuche bewährt hat. || Dieser hat sich nun eben Sie
zu seinem Recensenten ausdrückhch erbeten. Da ich nun wie gesagt, hoffe, daß
Sie dies ihm und mir nicht abschlagen werden, da Sie für dessen Kritik vollkommen
geeignet sind, so lege ich zugleich eine andre Anweisung zum ßechnen von Hörn mit
bei, welche, obschon [sie] weniger Eigenthümlichkeit hat als das Tillichsche Lehrbuch,
doch sogleich schicklich mit der letztem in Einer Eecension combinirt werden könnte.
Endlich kann ich Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich Ihrer „Pädagogik" ent-
gegenfreue, zu der mir Hr. Gr. Sievers bereits die angenehme Hoffnung gemacht
hat. Ist es möglich, so recensire ich sie selbst. Geht es durchaus nicht an, so
wählen Sie sich einmal — Ihnen vergönne ich es gern — unter Schwarze in Heidel-
berg (der eben auch eine Pädag. geschrieben) und Tiluch in Dessau Ihren Recen-
senten. Sobald ich Ihren "Wunsch erfahre, so soll einer von beiden die Rec. des-
selben erhalten. ||
Und nun meine besten Wünsche für Ihr Wohl im neuen Jahre, meine Bitte
um gefällige Besorgung der Inlage, und die um die Erhaltung Ihres sehr schätzbaren
Wohlwollens für Ihren Sie hochschäzzenden Freund Carus.
Die beiden arithmet. Bücher folgen, wenn sie nicht gleich iezt mitgesendet
werden können, dennoch mit nächstem.
^) Vgl. dazu Fritzsch, Tillich, S. 9 und die „Beiträge zur Erziehungskunst"
von Weiß und Tillich ; ferner G. Müller, Die ersten Kindergärten in Leipzig (Leipz.
Zeitung, 1912, Nr. 197.)
j^g Nachtrag zu 1806
791. Casimir Plater an H/) Schloßberg den 5 Märtz 1806
Theurer geehrter Freund! Endlich sind wir zu Hause, George [Sievers] in der
Mitte seiner Familie, ich bey meinem Bruder Micheln ; ich weiß lieber Herr Professor
wie sehr Sie unser Glück theilen und sage Ihnen recht herzlichen Dank dafüi' — .
Doch schon vor dem Wiedersehen sollte mir noch eine andre Freude werden,
ich habe schon einen kleinen Schritt machen können zur Ausführung unserer Ideen,
und um mich in einem Punkte Ihnen wieder zu nähern. In dem Hause eines
meiner Onkeln braucht mann emen Hofmeister, mann hat Zutrauen zu mir, und ich
habe den Auftrag mich an Sie zu wenden — Bedingungen undj Umstände der
Familie werden Sie aus dem folgenden Zettel ersehen aus welchem Sie ohngefähr
den Geist des Hauses lesen können — Zu diesen mir aufgetragenen || Punkten will
ich noch selbst hinzufügen was ich nöthig zu seyn glaube, damit Sie noch genauer
das Bedürfuiß des Hauses beurtheilen können. —
Mein Onkel ist ein Mann von ohngefähr 40 — 50 Jahi'en, hat nie gedient, aber
gereiset, etwas geschrieben über Naturgeschichte und in schönen "Wissenschaften
imd hält auf seinen Autorruhm, — Er ist nicht im Hause diese Autorität, welche
ruhig und imposant wie das Gesetz Muster und Zügel für den Zögling wird, man
hat bey ihm zuweilen Launen auszuweichen, doch der Erziehung unbeschadet, weil
er sich beynahe gar nicht mit dieser abgiebt.
Meine Taute ist nicht gelehrt, aber vernünftig, die Seele der Hausregierung,
eine wahre Mutter für alle Hausgenossen, zu liebreich vielleicht für ihre Kinder,
doch empfänglich für jeden guten Rath — Das Präsidium über die Erziehung ist
ihr durch Vertrag völlig abgetreten — || Der 7 jährige Knabe ist lebhaft, faßt leicht,
behält gut, ist lenksam wenn man ihn mit vernünftiger Autorität behandelt, be-
herrscht aber seine Mutter die ihm nichts abschlagen kann. Er hat viel theil-
nehmendes in seinem Charakter, eine Folge seiner Umgebung, — • 2 ältere Schwestern
sind ihm ein Gegenstand der Liebe und Muster einer feinen sittlichen Aufführung —
Dies in wenig Worten ist eine Schilderung des Hauses von meinem Onkel als
Ergänzung der beygefügten Darstellung desselben die mir von meiner Tante selbst
gegeben worden.
Ich schmeichele mir, daß Sie getrost in dieses Haus einen Ihi-er Schüler selbst
würden schicken wollen, und mein Wunsch hat schon selbst Ihrer Wahl vorge-
griffen.
Wie sehr wünschte ich Ungewittern an diesem Platze zu sehen. Ich kenne
meine Tante zu gut, den großen Werth den sie auf die Erziehung ihrer Kinder legt,
die liebreiche Art mit welcher sie alle behandelt die zu ihrem || Hause gehören, die
Freundschaft die sie für mich hat und daher das Zutrauen in die für welche ich
mich interessire, zu sehr um es je bereuen zu können wenn es mir gelingt, Un-
gewittern den ich so sehr schätze in meine Nähe zu bringen.
Ich erwarte Ihre Antwort, sollte sie nicht bald erfolgen können, so bitte ich
Sie mir dieselbe durch Alexander | Sievers] zu geben — .
Ich hoffe und denke — leben Sie wohl — mögen Sie doch mit einigem An-
denken erwiedeim die Gefühle von Erkenntlichkeit und Hochachtung Ihres ewig
treuen Casimir Plater.
Meine Tante will meinen Brief besorgen und Ihre Antwort unter ihrer Adresse
erhalten. Diese ist: Mad. la Comtesse de Borch nee Comt. de Browne ä Riga.
^) 4 S. 8". N. C. Plater, den Herbart im Widinungsschreiben zu seiner Allg.
Päd. an Smidt erwähnt. S. Bd. I der Briefe S. 283. — Gleich hier sei bemerkt,
daß sichs wohl auch im Briefe Niemeyers an H. (Bd. I, S. 286) um diesen Hrn.
von Plater handelt, nicht um Hrn. von Platen, wie dort steht.
Nachtrag zu i8o8. x^g
792. Smidt an H. (4 S. 4». N.) Bremen d. 27 Jan 1808
Meinen vorgestrigen Brief liebster H. ! wirst üii richtig erhalten haben — mit
diesem erhälst Du die gewünschten 375 Thaler — Nach mehreren vergeblichen Ver-
suchen sie für Dich zu erhalten, habe ich sie für mich von einem Bekannten zu
5 Procent angeliehen der sie indeß über 3 Monate zurückbegehrt. — Hoffentlich
kannst Du gegen die Zeit Anstalt machen, wo nicht, so müssen wir suchen, sie
gegen die Zeit sonstwo aufzubringen. Bey dem hiesigen Geldmangel kommt die
Creditlosigkeit aller die wegen der Hannoverschen Contribution Geld hieselbst
suchen hinzu indem man sich einbildet, daß wegen Rückbezahlung solcher Summen
man mit Publizirung eines Indults oder dergi. — fertig bey der Hand seyn dürfte —
Ich weis daß sehr bemittelte Personen aus dem Hannoverschen hier 8, 10 Procent
Zinsen geboten haben ohne Geld erhalten zu können — || Meine Frau, Schwestei',
Thulesius und Noltenius gräßen Dich herzlich und lassen Dich dringend bitten doch
dieses Jahr nicht verstreichen zu lassen ohne hier einige Wochen bey uns zu-
gebracht zu haben. Mehrere Stellen Deines Briefes lassen mich glauben daß aucli
Dir eine solche Äußerung sehr wohlthätig seyn dürfte — ich lade Dich deshalb
dringend ein die Osterferien dazu zu benutzen — Sind die Tage dann irgend an-
genehm , so sollst Du in unserm zwischen dem Oster und Heerdenthor an der
Contrescarpe liegenden Gartenhause bey uns logireu, und wir wollen uns alle be-
streben Dir es aufs neue heimisch bey uns zu machen, — Wenn alles wie ich hoffe ||
und wünsche gut geht, so siehst Du uns dann mit 4 Kindern, da meine Frau im
März ihre Niederkunft erwartet — Hanne wirst Du sehr herausgewachsen aber doch
noch mehr Knaben als mädchenhaft finden — Unsre beyden Knaben sind ebenfalls
ein paar sehr muntere lebhafte Jungen, die Dir gewiß Freude machen werden —
Mit Petri geht es sehr gut — Meine Schwester ist außerordentlich mit ihm zu-
frieden und auch wir andern sehen ihn äußerst gern in unsern geselligen Zirkeln —
Glaube nicht daß wir Günthers Verdienste verkannt haben, das war sicher nicht
der Fall — aber er war jederzeit so einsylbig daß nichts mit ihm anzufangen war.
Thulesius arbeitet an der Schule noch immer mit Lust und redlichem Fleiß, er
läßt Dich herzlich grüßen, Hörn desgleichen, der in seinem Würkungskreise auch
das Seine thut ||
Daniel Noltenius (Friederikens Mann) der Dir sonst ein wenig indolent er-
schien, ist sehr solide geworden — Er ist seit einem Jahre Actuarius oder Secretair
des Criminalgerichts und muß von Morgen bis in den Abend sauer arbeiten welches
er sich nicht verdrießen läßt. Er hat einen niedlichen Knaben, von dem Alter
meines kleinen Heinrichs.
Kulenkamp hat seit dem Tode seiner Frau deren langwierige Krankheit ihn
sehr drückte an Gesundheit und Heiterkeit gewonnen. Ich besuche ihn etwa alle
4 Wochen einmal — Thulesius hat aus unserm Zirkel den meisten Verkehr mit ihm.
Unter unsern weiblichen Erzieherinnen hat sich ein wahres Genie aufgethan —
Es ist Demoiselle Gleim, eine Freundin von meiner Frau und ihrer Schwester —
die sie im Scherz den weiblichen Herbart nennen, weil sie alles mit dem größten
Ernst und mit seltner Gründlichkeit betreibt. Unsere Hanne hat Stunde in der
deutschen Sprache bey ihr, und ist in den Capiteln die sie mit ihr vorgenommen
schon so fest, daß sie sich mit jedem Tertianer examiuiren lassen könnte.
Aber komme zu uns, so sollst Du noch allerley mehr sehen und hören.
Hzl. Dein S.
Ende dieser Woche gehe ich wahrscheinlich auf 14 Tage in Geschäften nach
Hamburg — Schreib mir aber darum nur unter meiner Adresse nach Bremen, ob das
Geld richtig übergekommen — Wenn ich nicht hier bin, wii-d mir tägl. alles nachgeschickt.
I CQ Nachtrag zu 1808.
793. An Freih. von Richthofen in Barzdorf. ^) Göttingen, Ende Sept. 1808.
Der Auftrag einer Dame gibt mir die willkommene Gelegenheit, Sie
durch ein paar Zeilen an mich zu erinnern. Die Frau Ministerin Grote
hat den Gedanken gefaßt, auf ihrem Landgute den Versuch mit der
Fabrikation des Runkelrübenzuckers zu machen. In Schlesien sollen
Fabriken der Art existiren; unter andern wird ein Major von Koppy
(wenn ich nicht irre) genannt, der sich der Achard sehen Methode'-^) mit
Vortheil bedient. Es käme nun darauf an, sichere und zureichende Nach-
richten von dort zu erhalten. Vielleicht würden Ihre Verbindungen Sie
in den Stand setzen, uns dergleichen zu verschaffen. Dürfte ich in diesem
Falle auf Ihre Gefälligkeit hoffen? Runkelrübenzucker ist zwar kein be-
sonders reizender Gegenstand für Ihre Aufmerksamkeit ; käme es aber
darauf an, Sie zu reizen, so dürfte ich Ihnen nur sagen, daß die treffliche
Frau, von der ich Ihnen öfter sprach, den Winter hier in der Stadt zu-
bringen will, und daß die Bekanntschaft ihres Hauses denn wohl eine der
angenehmsten sein möchte, die hier in Familien gemacht werden können.
Was aber eigentlich in Frage komme, nach welchen und wievielen
Dingen man sich zu erkundigen hätte, dies hüte ich mich Ihnen näher
zu bestimmen. — Ohne Zweifel weiß man in der Fabrik selbst am besten,
was alles demjenigen zu wissen noth thut, der eine ähnliche anlegen will.
Nur eines fällt mir doch ein, zu fragen: Sollte wohl ein Arbeiter zu er-
halten sein, der mit allem umzugehen wüßte, wenn etwa die Frau Ministerin
einen solchen verlangt? — Der nächste Monat wird Sie uns hoffentlich
gesund und heiter zurückbringen. Dann sprechen wir uns weiter über
andere Dinge. Bis dahin wünsche ich Ihnen alle Freuden des heimischen
Bodens und des väterlichen Hauses. Der Ihrige Herbart.
794. Auerswald an H.^) Königsberg, den 2Sten Novbr. 1808.
Wohlgeborner Herr! Besonders hocliEuehrender Herr Professor! Ew. Wohl-
geborn gefälliges Schreiben vom 24. v. M. [vgl. Bd. XIV, S. 7 ff.] ist mir um so
angenehmer gewesen, da es meine Hofnung, Sie hieher versetzt zu sehen, und zu-
gleich meine Erwartung, von dem für die hiesige Universität dadurch entstehenden
'•) Aus dem Briefwechsel ergibt sich, daß eine Anzahl von Briefen Herbarts an
Karl Ernst Friedrich Freiherrn von Richthofen vorhanden sein muß. Meine Nach-
forschungen führten mich zu Hrn. Freiherrn von Richthofen-Damsdorf auf Kohlhöhe.
Er hatte die Güte, mir mehrfach Mitteilungen zukommen zu lassen. Leider aber wurde
ich von dem vermutlichen derzeitigen Besitzer der Briefe ohne Antwort gelassen. Ich
muß mich daher begnügen, mit fr. Erlaubnis des Herrn von Richthofen aus einem als
Manuskript gedruckten Buche die Stellen auszuziehen, die sich auf Herbart beziehen.
Die Schrift führt den Titel: ,,Aus dem Leben des Karl Ernst Friedr. Freih. v. Richt-
hofen auf Brecheishof. Geschrieben von seinem Sohne Bolko für dessen Kinder.''
Aufmerksam wurde ich auf das Buch durch Hrn. Oberlehrer G. Krusche in Leipzig und
durch Hrn. Rektor B. Clemenz in Liegnitz, der in einem interessanten Buch (Wandern
und Schauen in der Heimat. Dorf-, Stadt- und Landschaftsbilder aus Schlesien. Lieg-
nitz, Krumbbaar) einiges aus jener Biographie mitteilt. In Zukunft werden die betr.
Stellen ohne Quellenangabe zitiert
^) Ein Exzerpt Herbarts über Rübenzuckerfabrikation findet sich bei den Königs-
berger Manuskripten. ,
3) 3 S. 4». N. — H. J. V. Auerswald (1757—1833), Kurator der Univ. Königs-
berg (1806—19).
Nachtrag zu 1809. j c j
Gewinn, vermehrt und beinahe zu völliger Gewißheit gebracht hat. Desto mehr
freut es mich Ew. Wohlgeborn jetzt benachrichtigen zu können, daß des Königs
Majestät Ihre Berufung hieher völlig und unter sämtlichen vorgeschlagenen Be-
dingungen durch die Cabiuets Ordre vom 18. d. M. allergnädigst genehmigt hat.
Um Ew. "Wohlgeborn Wünschen nach Möglichkeit zu willfaliren, ist die Ein-
richtung getroffen, daß Sie nur das eine von Ihnen vorgeschlagene Publicum über
Logik und eine damit verbundene Einleitung in die gesammte Philosophie zu lesen
verpflichtet werden, statt des unentgeltlichen in Ihren Lehrplan nicht passenden
Collegii über Xaturrecht oder Moral aber das Collegium über Pädagogik publice über-
nehmen müssen, und hiefür die in meinem || Schreiben vom 3. v. M. erwähnten
150 Rthlr. erhalten.
Ew. Wohlgeborn Idee eines pädagogischen Seminarii wird, wenn gleich unab-
hängig hievon, hoffentlich ausgeführt werden können, da dieselbe mit dem jetzigen
Plan zu Verbesserung der hiesigen Universität sehr glücklich zusammentrift.
Als Reisegeld, dessen Ew. Wohlgeborn erwähnen, sind Ihnen 300 Rthlr. be-
stimmt, und es wird von Ihnen abhängen, wenn und auf welche Weise diese
Summe Übermacht werden soll.
Zu Beantwortung der übrigen in Ihrem Schreiben enthaltenen Fragen bemerke
ich noch, daß, nach der Verfassung der hiesigen Universität, jedes Mitglied der philo-
sophischen Facultät alle zu derselben gehörigen Wissenschaften vorzutragen be-
rechtigt ist, mathematische Vorlesungen zE. Ew. WohJgeborn also unbedenklich
frey stehen werden. Und ferner: daß gewöhnlich zu den zwey zu haltenden Dis-
putationen zwey Dissertationen geschrieben werden; doch möchten, meines Erachtens,
auch bloße Theses hinreichen.
In Absicht der Einkünfte der Professur bleibt es ganz bei dem Innhalt meines
Schreibens vom 3. v. M. Daß die Thaler nach dem || hiesigen, nicht nach dem
hannoverischen Münzfuß zu verstehen sind, bedarf wohl kaum einer Erwähnung.
Ausdrücklich und auch auf höhere Vorschrift muß ich aber noch die Bedingung
anführen, daß Ew. Wohlgeborn gleich am Anfange des Sommer Halbenjahrs Ihre
Vorlesungen eröfnen, Ihre Reise also darnach einrichten müßten.
Alles Vorstehende wird Ew. Wohlgeborn beweisen können, mit welcher Bereit-
willigkeit die etwanigen Hindernisse entfernt werden. Um desto mehr darf ich wohl
einer baldigen und den hiesigen Wünschen ganz entsprechenden Antwort ent-
gegen sehen. .
Mit der vorzüglichsten Hochachtung habe ich die Ehre zu seyn Ew. Wohlgeborn
gez. ganz ergebenster Diener Auerswald.
795. Auerswald an H. (2 S. 4". N.) Koenigsberg den 19ten Januar 1809.
Sehr angenehm ist es mir gewesen, in Ew. Wohlgebornen Schreiben vom
30ten Dezbr, das ich heute erst erhielt, das Versprechen der Uebernahme der Ihnen
übertragenen Professur der Philosophie auf der hiesigen Cniversität bestimmt wieder-
holt zu finden.
Die Vorlesungen für das nächste Sommerhalbjahr nehmen hier den 17ten April
den Anfang: ich wünsche und rechne darauf, daß Ew. Wohlgebornen sich, wenn es
angeht, zu dieser Zeit hier einfinden werden; die Rücksicht auf Conservation Ihrer
Gesundheit geht dabei indessen freilich allen übrigen vor. In jedem Fall bitte ich
Ew. Wohlgebornen aber mir, und zwar mit umgehender Post, das Verzeichniß der
Vorlesungen zu schikken, die Sie hier halten wollen, um dies dem Lections Catalog
einrükken zu lassen. Das unentgeltliche Collegium über Logik muß Verfassungs-
mäßig des Morgends von 7 bis 8 gelesen werden, die Stunden zu allen übrigen
JC2 Nachtrag zu 1809.
Vorlesungen hängen aber ganz von Ihrer Wahl ab. Ew. Wohlgebornen Reisegeld
betreffend; so würde die Uebersendung nach Göttingen kostbar und schwierig seyn:
ich würde es Ihnen daher, wenn Sie es wünschen || in Berlin anweisen, und behalte
mir alsdann vor Ihnen das Handlungshaus oder die Kasse wo die Zahlung geleistet
werden soll, noch näher anzuzeigen. gez. Auerswald.
796. An A. Kühnel in Leipzig [?]i) Göttingen sosten Jan. 1809.
Ew. Wohlgeboren erhalten hiebey wiederum das Manuskript einer
Sonate; die mit der aus Adur zusammen, oder auch, wenn Sie lieber
wollen, einzeln kann gestochen werden. Diese hier hat besonderen Eey-
fall gefunden, vielleicht zum Theil wegen des Rondo's, das aus Variationen
auf ein bekanntes Liedchen zusammengesetzt ist.
Für die übersandten Nachrichten über Fortepiano's nehmen Sie
meinen Dank, Ich hatte die Idee, mein jetziges ein Schanzisches zu
verkaufen und ein neues mit nach Königsberg zu nehmen; da aber ihre
Antwort sich verzögerte, schickte ich mein Instrument zu dem Herrn
Krämer, und ließ eine Verbesserung des Mechanismus versuchen, die
recht gut ausgefallen ist. Ein besseres Wiener Instrument zu bekommen
habe ich nicht viel Hoffnung, mein jetziges ist durch die Güte des Herrn
Musikdirektor Müller zu Leipzig ausgesucht, und ich hätte Ursache ge-
habt sehr für die Wahl zu danken, wenn nicht, was Herr Müller wahr-
scheinlich nicht wissen konnte, der Kasten des Instruments so nachgiebig ||
gegen die Einflüsse der Kälte und Ofenwärme gewesen wäre, daß im
ersten Winter tausend Risse entstanden, die stärksten Balken sich zogen,
und alle Theile aus der rechten Lage kamen. Dabey war freilich der
Mechanismus sehr plump gearbeitet, und nachdem dieser Fehler durch
Krämern gehoben ist, bleibt noch der zurück, daß das Instrument nicht
Stimmung hält, obgleich es einen guten Platz hat und immer hatte. Dies
soll bey den meisten Wiener Instrumenten der Fall seyn.
Ob ich noch dazu kommen werde, ein neues Instrument zu ver-
schreiben: dies steht jetzt in mehr als einer Hinsicht in Ihrer Gewalt.
Zuerst kommt es darauf an, ob meine Compositionen mir bey Ihnen ein
bedeutendes Honorar verdienen können, was dann gegen den Preis des
Fortepiano aufgerechnet werden würde. In diesem Falle stehen Ihnen
noch -mehrere Sonaten zu Diensten. Dann ferner würde ich um ein seht
vorzügliches Instrument bitten müssen, \ vom stärksten und schönsten Ton,
dem feinsten touchement, und der dauerhaftesten und zuverlässigsten Bauart,
Würden Sie mir ein solches mit völliger Zuversicht anzubieten haben, so
fände ich wohl noch in Königsberg Gelegenheit, mein jetziges gut zu
verkaufen; und alsdann würde ich auch sehr gern alles anwenden, um
dort, und wo ich sonst Bekannte habe, den Ruf Ihrer Instrumente zu
verbreiten.
Wegen der Sonaten erbitte ich mir nun vor allen Dingen nächstens
Nachricht. Die beykömmende kann übrigens, so wie die vorige, ohne
*) 3 S. 4". Univ.-Bibl. Jena. Ob der Brief, der an den Verleger der Sonate
Herbarts (s. o. Bd. II, S. 13) gerichtet zu sein scheint, überhaupt abgegangen ist, war
nicht zu ermitteln. Noten von Herbart, die Bagier (s. o. Bd. II, S. 13 Anm.) noch
nicht kannte, finden sich im N.
Nachtrag zu 1809. i^^
Verabredung des Honorars gestochen werden. Ich bin es gern zufrieden,
daß meine Compositionen sich Zeit nehmen, um zu versuchen, ob sie
sich im Publikum einen Weg machen können. Auch Ihren Tadel, wenn
Sie solchen nöthig finden, werde ich mir gern gefallen lassen, und, falls
Sie diese Sachen der Herausgabe nicht werth finden, mögen dieselben
immerhin unterdrückt werden. Ergebenst Herbart.
[Randbemerkung auf der Schlußseite:] Ich reise vielleicht schon bald
von hier, und muß um so eher um schnelle Antwort bitten.
797. Unterholzner an Frh von Richthofen über Herbart.
„Daß Herbart Göttinseo verläßt, muß Dir freilich, äußerst unangenehm sein,
wie gut, daß Du noch alle seine Vorlesungen hast hören können. Am politischen
Horizont sieht es trübe aus!"
798. Gries an H. (1 S. 4". N.) Jena d. 17ten Februar 1809
Vor wenigen Tagen, lieber Herbart, erhielt ich unter andern noch in Heidel-
berg zurückgebliebenen Sachen Deinen- Brief vom 16teu Julius vorigen Jakrs nebst
einem zweiten Exemplar Deiner Sonate. Letztere ist also nun, durch Deine freund-
liche Sorgfalt, gedoppelt in meinen Händen, und es steht gänzlich bei Dir. ob und
wie Du über das Eine Exemplar weiter disponiren willst.
Der in Deinem Briefe enthaltene Auftrag in Ansehung des Verlags Deiner
Schrift gegen Niethammer läßt es mich sehr bedauern, daß Du ihn nicht ein wenig
früher absandtest; denn ich verließ Heidelberg erst am Isten Julius. Da Du in
Deinem letzten Briefe vom 22sten Xovbr. dieses Auftrags mit keiner Silbe erwähnst,
so ist es mir sehr wahrscheinlich, daß Du bereits einen Verleger gefunden hast.
Ich habe indessen, um Deinem Auftrage noch jetzt, so weit ich konnte, ein Genüge
zu leisten, mit Frommann gesprochen, aber von ihm die Antwort erhalten, die ich
voraussah. Du hast nemlich, wie ich vermuthe, nicht gewußt, daß Frommann selbst
Verleger des Niethammerschen Buches ist, also nicht wohl eine Schrift in Verlag
nehmen konnte, die gegen dieses Buch gerichtet ist, zumal bei dem persönlich, freund-
schaftlichen Verhältniß, in welchem er mit Niethammer steht. Indessen sagte er
mir, daß die • Erscheinung Deines Werks ihm sehr angenehm sein würde, weil er
davon einen bessern Absatz der erstem Schrift hoffte, womit es bis jetzt noch ein
wenig zu hapern scheint.
Meinen Brief vom 23sten Januar hast Du doch bekommen? Ich hoffe, bald
von Dir einen zu erhalten. Leb wohl und vergib die sündliche Eile, mit welcher
ich heute schreiben muß. Dein J. D. G.
799. Richthofen an H. (2 S. 4». N.) Göttingen d. 5ten Juni 1809
Es sind bald 3 Monden her, daß Sie von uns sind, mein theurer Herbart, und
noch immer erhielten wir nicht das geringste von Ihrer Hand. Ich kann nicht
glauben daß Sie mich, daß Sie uns alle, die wir mit so reiner Liebe an Ihnen
hängen vergessen haben: mein Herz sagt es mir, es ist nicht möglich, daß Sie mein
Freund zu seyn aufgehört haben. Sie müssen mismuthig seyn da Sie nicht schreiben,
aber um so mehr bekümmert es mich; ich glaube das Recht zu haben auf Ihr Ver-
trauen Anspruch machen zu dürfen, und gewiß in keinen treuem Busen als den
meinen können Sie Ihren Schmerz, es sey was es sey, ausschütten. Auch hat Ihr
Bedienter her geschiiebeu, daß Sie nicht zufrieden seyen, also ums Himmels willen
schreiben auch Sie. Verachten Sie eine Bitte nicht, die so sehr von Herzen geht.
ICA Nachtrag zu 1809.
Kann Ihnen mein Briefwechsel auch sonst nichts seyn, so hat doch auch das Herz
seine Rechte, und ich bitte, nehmen Sie mir den Glauben nicht, daß das Ihrige
mich liebt.
Auch an die Grotesche Familie oder wenigstens an sie, müssen Sie einige
Worte richten; alle und vorzüglich Therese und ihre Mutter sind herzlich || besorgt
um Sie, und falls Sie nicht eilen, erhalten Sie auch von ihnen einen zweiten Brief.
Übrigens ist die Familie wohl, und die gute Mutter so heiter als es ihr ein
tiefer und bleibender Schmerz erlaubt. Nur Therese kränkelt zuweilen und geht
auf meine Bitten mit Tante Wilhelmine und August diesen Sommer auf einige Wochen
nach Pyrmont. Ich werde sie daselbst besuchen, und 0 könnte ich doch auch zu
Ihnen auf eine gleiche Weise!
Tief geschmerzt hat mich des edlen Müllers Tod; auch Sie fühlten ihn gewiß
tief; immer weniger werden der edlen Männer um uns her. Wir haben hier in
Göttingen doppelt an ihm verlohren; wer wird seinen Platz erhalten? man sagt
Leist, und selbst das wäre vielleicht noch zu wünschen. Wie geht es in Preußen?
Ach, könnte ich Ihnen, doch sagen wie ich Sie liebe.
Allein leben Sie wohl, und schreiben Sie bald dem, der ewig der Ihre bleibt.
C. Freiherr v. Richthofen.
800. W. von Grote an H. (1 S. 4P. N.) Medsen d. 5. Jul. 1809.
Theuerster Freund ! Nur wenige eilige Zeilen kann ich Ihnen heute schreiben,
nachdem Sie solange von mir nichts gehört haben; aber diese wenigen Zeilen sagen
Ihnen, daß ich so glücklich bin, als Menschen es nur werden können. Julie ist
mein! Gestern habe ich auch die Einwilligung des Vaters erhalten, und weniger
Schwierigkeiten gefunden, als ich glaubte. Der unglückselige Prozeß mit dem älteren
Bruder ist noch nicht beendigt, und das ist das Einzige, was uns noch Hindernisse
in den Weg legt. Mein Ferdinand, der -mich schon in Petersburg aufsuchte, hat
sich bei allen Gelegenheiten als mein wahrer Freund gezeigt. Er empfiehlt sich
Ihnen herzlich. Gestern gab er mir mehrere Briefe, welche Sie, Bester! damals in
meiner Angelegenheit geschrieben hatten. Ich habe es von neuem gefühlt, wie viel
ich Ihnen zu verdanken habe, mein lieber, lieber Freund! Möchten Sie doch recht
zufrieden seyn, in Ihrem neuen Würkungskieise. AYann ich Sie dort besuchen
werde, weiß ich noch nicht bestimmt. Schreiben Sie mir bald ein paar Zeilen,
auch wo ich Sie finde in der großen Stadt. Leben Sie wohl, Theuerster! und freuen
Sie sich mit Ihrem glücklichen W. Grote.
801. 'F- Kohlrausch an H. (3 S. 4». N.) Göttingen, den 8ten Octbr. 1809.
Indem einige meiner hiesigen Bekannten zu Urnen nach Königsberg reisen,
hochgeehrter Herr Professor, erinnere ich mich Ihrer gütigen Versicherung bei
Ihrer Abreise von hier, daß Sie nicht ungern etwas weiteres von mir schriftlich
hören würden. Zugleich beschäftige ich mich eben jetzt mit einer Arbeit, zu der
Sie im vorigen Jahre die Veranlassung gaben, und vielleicht ist es Ihnen lieb, von
der Fortsetzung derselben Nachricht zu haben. Es ist dieses, wie sie vermuthen
werden, das Lesebuch aus dem A. Test., und obgleich ich noch keinen Verleger
dazu habe, so bin ich doch in diesen Ferien von Neuem eifrig daran gegangen, und
denke den ersten Theil deeselben, nebst dem dazu gehörigen Bande mit Anmerkungen
für den Lehrer, noch vor Weihnachten zu vollenden. Die Arbeit [interessirt mich
außerordentlich, und je mehr ich darin einheimisch werde, desto mehr sehe ich
unseren Grundgedanken bestätigt, welcher diese Elemente an die Spitze eines Haupt-
zweiges der jugendlichen Bildung stellte. In meiner gegebenen Probe ist manches
noch nicht gehörig herausgehoben, wie ich bei weiterem Studio jetzt sehe; und ich
Nachtrag zu 1 809. j r c
hoffe, der Theil, welcher für die Lehrer bestimmt ist, soll die Aufmerksamkeit der
Erzieher für die ganze Arbeit am meisten gewinnen. Ich sammle jetzt alles, aus
einer Menge von Büchern, die mir die Bibliothek liefert, was die Gestalt des Lebens
in jenem Kindesalter der Welt recht anschaulich machen kann, sodaß ein nicht
ganz ungeschickter Lehrer mit leichter Mühe das Kind hinein versetzen wird. Zu-
gleich soll die Einleitung zu dem Ganzen den Standpunkt klar machen, auf welchem
der Lehrer selbst stehen muß, um dieses einzelne Element gerade als ein solches
und in dem Ganzen der Erziehung zu sehen. Gelingt die Arbeit nur überhaupt, so
kann sie zugleich als ein Beispiel dastehen, wie nun auch für so viele andere
classische Schriften, die wir beim Unterrichte gebrauchen müssen, pädagogische
Commentare auszuarbeiten sind; eine Arbeit die nützlicher seyn möchte, als die
meisten philologischen, die jetzt geliefert werden. (|
Eür dieses mein erstes literarisches Auftreten, sowie für mein ganzes Schicksal,
ist Müllers Tod sehr nachtheilig gewesen. Er war noch wenige Wochen vor seinem
Tode hier in Göttingen; ich machte ihm meine Aufwartung, und er empfing mich
gleich außerordentlich freundlich mit einem Lobe meiner kleinen Schrift, und zwar
auf eine Weise, daß ich sah, er habe sie gelesen und billige sie würklich; er ver-
sicherte mich mehr als einmahl, sie sey ganz im Geiste des Alteithums gedacht,
und so recht seynen eignen Ansichten gemäß; ich möge ja den Gedanken ausführen.
Darauf erkundigte er sich nach meiner Lage und Aussichten, und bot mir unauf-
gefordert an. auf jede Weise für mich zu sorgen, wenn ich eine Anstellung wünsche.
Ich wollte ihm eben von dem Schullehrer-Seminario reden, welches er hier an-
zulegen dachte, als mehrere Menschen dazu kamen; er wiederhohlte mir aber noch-
mahls, ich solle mich nur an ihn wenden, wenn ich etwas wünsche, und ich wai"
im Begriff, ihm zu schreiben, als sein unerwarteter Tod dazwischen kam, welcher
auch meine mit so vieler anderer Hoffnungen zerstörte. Die Ursache desselben
verdient einen Platz in der künftigen Geschichte unserer Tage; der Überbringer
-dieses Briefes wird Ihnen wohl etwas näheres darüber sagen können. — Zunächst
wäre es mir schon durch Müllers Verwendung leicht geworden, einen Verleger zu
meinem Lesebuche zu bekommen, welches mir jetzt schwer wird; die hiesigen Buch-
händler unternehmen Nichts mehr. Ich habe mich nun an Frommann gewandt,
aber noch keine Antwort.
Die Aufhebung der übrigen westfälischen Universitäten außer Göttingen und
Halle hat im Staats-Rath die Mehrzahl der Stimmen gegen sich gehabt, und ist dann
füi-s Erste aufgeschoben; ganz unerwartet, denn der König hatte schon bei seinem
letzten Hiersein bestimmt erklärt, sie sollten aufgehoben werden, und zwar auf
Leist's Vorschlag, denn Müller sey gar zu gut gewesen, er habe nicht nur alle er-
halten wollen, sondern ihm gern noch ein paar dazu aufgeschwatzt. Es freut mich
außerordentlich, daß doch auch hierin Müllers Manen gesiegt haben; obgleich sich
für die Aufhebung manches sagen ließ. |l
Gehört habe ich, daß Sie Fichte in Berlin gesehen haben, aber nicht, wie Sie
ihn gefunden, wie es ihm geht, und ob er irgend etwas für den Druck arbeitet;
ich möchte gern etwas von ihm wissen, und wenn Sie mir ja einmahl von sich
einige Nachricht geben, so bitte ich, mir auch von Fichte etwas näheres zu sagen.
Auch habe ich noch eine große Bitte an Sie, die Sie vielleicht ohne große Un-
bequemlichkeit erfüllen können. Ich habe bey meiner Abreise von Berlin, im Sommer
1805 ein Heft über Fichte's Vorlesungen über Theologie Moral und Rechtslehre an
■den Hofmeister des Kronprinzen, H. Delbräck geliehen und nicht wieder erhalten.
Der Krieg führte Delbrück von Berlin weg und ich habe nachher wenig Gelegen-
heit gehabt, ihn fragen zu lassen, ob jenes Heft noch existirt; und auf ein paar
j c5 Nachtrag zu 1809.
solcher Anfragen habe ich keine Antwort erhalten. Doch ist mir an dem Hefte
würklich etwas gelegen, und wenn Sie vielleicht Gelegenheit haben sollten, H. Del-
brück zu sehen, so würden Sie mir einen sehr großen Gefallen erzeigen, sich da-
nach zu erkundigen. Ist es noch vorhanden, so nehmen Sie es gütigst m Empfang
und Verwahrung, es findet sich dann wohl eine Gelegenheit, es mir zu senden. Da
Fichte jene Vorlesung nie hat drucken lassen, so begreifen Sie wohl, daß jenes Auf-
geschriebene Werth für mich haben kann, und verzeihen gewiß meine dreiste Bitte.
Von Ihren hiesigen Freunden haben Sie gewiß bessere Nachricht, als ich
Ihnen geben könnte; ich bin diesen Sommer genau mit dem vortrefflichen Grote-
schen Hause und mit Richthofen bekannt geworden, und theile vollkommen Ihre
Liebe und Achtung für diese Menschen, die Ihnen gewiß dort in Königsberg fehlen,
so zufrieden Sie übrigens, den Briefen zufolge, dort zu sein scheinen. Graf Bau-
disin und Richthofen sind sehr vertraute Freunde geworden; und Ersterer empfiehlt
sich Ihrem Andenken sehr angelegentlich. Auch ich bitte um ihre fernere Freund-
schaft, theuerster Herr Professor und bin Ihr ergebenster F. Kohlrausch.
802. C. W. Pape, Cand.theol., anH. (9S. 4«. N.) Flögein 21. Aug. 1809.
803. Catharina Castendyk an H. (4 S. 4°. N.) Bremen 22. Sept. 1809.
804. Wardenburg an H. (8 S. 8°. N.) Neuenburg 4. Nov. 1809.
(Mit Abschriften den Nachlaß des Vaters betr )
805. Unterholzner an H. (4 S. 4». N.) München, den 6 Nov. 1809.
Wohlgeborner Herr Hofrath! Da ich weiß, daß Sie an meinem Schicksale
theilnehmen, so kann ich hoffen, daß es Ihnen nicht ganz gleichgültig sein wird, wenn
Sie hören, wie es mir geht. Vermuthlich .werden Sie mich schon in voller Thätigkeit
glauben, begriffen im schönen Wirken für die Wissenschaft und die Wahrheit.
Leider aber bin Ichs noch nicht, wenigstens nicht in dem Grade, wie ich es
wünschte. Nach meiner Riickkehr von Heidelberg hemmte der verderbliche Krieg
meine Aussichten. Ungewiß über mein Schicksal, kämpfend für meine Existenz,
mußte ich daher den Sommer in München zubringen, zwar nicht in gänzlicher ||
Unthätigkeit lebend, aber doch auch bei weitem das nicht wirkend, was ich unter
günstigeren Verhältnissen hätte thun können. Jetzt freilich sind die Nebel, die über
meinem künftigen Schicksale schwebten, verschwunden, und die Aussicht hat sich
geöffnet, wenngleich minder heiter als ich es wünschte. Meine Hoffnung, sogleich
als außerordentlicher Professor angestellt zu werden, hat mich getäuscht, und ich
gehe morgen als Privatlehrer nach Landshut, zwar durch eine königliche Unter-
stützung der dringendsten Nahrungssoi-gen enthoben ; aber denn doch ohne sehr er-
freuliche Aussichten auf baldige Beförderung. Was noch überdieß meine Heiterkeit
trübt, ist die Furcht vor Chicanen, vor denen in Landshut auch diejenigen nicht
geschützt sind, deren Glück eben nicht beneidenswerth ist, und die bange Er-
wartung, ob sich mir auch sogleich ein hinreichender || Wiikungskreis für meine
Thätigkeit darbieten wird. Ich gedenke diesen Winter Philosophie des Rechts und
Institutionen zu lesen. Finde ich Zuhörer und Empfänglichkeit für meine Vorträge,
so will ich nicht weiter- klagen; und wie sehr mich auch meine Hoffnungen ge-
täuscht haben mögen — ich will zufrieden sein, wie ein Gott.
Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen hiemit meine juristischen Abhandlungen
überschicke. Es soll mir schmeichelhaft sein, wenn sie einigennaßen Ihren Beifall
erhalten, und Sie mit das Zeugniß geben, daß ich den Geist Ihrer Vorträge richtig
verstanden habe.
Nachtrag zu 1810. j ry
Durch Eichthofen erfahre ich, daß es Ihnen in Königsberg recht wohl geht.
Wie sehr ich an Ihrem Glücke Antheil nehme, brauche ich Ihnen nicht zu sagen.
Mögen Sie immerhin recht viel Einfluß erhalten; der Einfluß eines solchen Mannes
muß nothwendig der Menschheit || und der "Wissenschaft wohlthätig sein.
Leben Sie wohl und verschließen Sie mir nicht Ihr Andenken und Ihr Herz.
0 wären doch Sie in Landshut oder könnte ich anstatt nach Landshut nach
Königsberg gehen. Ihr Umgang wüi-de mich entschädigen für das Ungemach des
Lebens. Wie so \ieles hätte ich Ihnen zu sagen. Sie würden meine Ueberzeugungen
befestigen, meine Zweifel lösen. Noch einmal leben Sie wohl.
Mit innigster Verehrung Ihr dankbarer Schüler Dr. Unterholzner.
806. Wardenburg an H.*) Neuenburg am 1. Dec. 1809.
.... Die Nachrichten vom Kronprinzen, welche Ihr Brief enthielt, erfreuten
besonders meine Frau recht herzlich. Sie — eine ehemalige Unteithanin des
Königs — ist noch eine sehr treue Auhängerin desselben, wie fast alle Ostfriesen.
Die ungünstigen Eecensionen machen doch auf die, welche die Sache nicht
verstehen — und dieß sind ja, in Ansehung eigentlich philosophischer Werke, fast
alle Geschäftsmänner — immer Eindruck und schwächen das Vertrauen. Ich
wünschte, ein Dritter ließe eine ruhig-gründliche Widerlegung erscheinen.
Ihre dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse sind wirklich neidenswerth. Hrn
Humboldt habe ich schon vorher sehr geschätzet; nach Ihrem Briefe verehre ich
ihn aber noch weit mehr.
Darf ich mir noch eine Frage erlauben? — VTeßhalb haben Sie unsern Herzog
bey seinem Aufenthalt in Königsberg, bey Gelegenheit seiner Petersburger Eeise,
nicht gesehen? Mir ward dieß neulich als eine, vielleicht absichtliche Ver-
nachlässigung erzählt und ich konnte nicht widersprechen, weil ich die Umstände
nicht kannte. Nur um dieß gelegentlich zu können, steht meine Frage hier, welche
Sie, das weiß ich, auf jeden Fall nicht mißdeuten werden. Ihre Briefe bitte ich
nicht weit zu frankiren, weil doch der Name des entfernteren Ortes nur ausgestrichen
und ein näherer an dessen Stelle gesetzt wird ....
807. Dorn an H. (3 S. 4». N.) Königsberg, den 13. Januar 181Ü.
Ew. Wohlgebohrn kennen zu lernen, war schon mein Wunsch, als ich Ihre
in Leipzig gestochne Sonate zu Gesicht bekam, und Ihren hiesigen Aufenthalt er-
fuhr. Da ich indeß nichts mehr, als Zudringlichkeit hasse, so wartete ich eine
günstige Gelegenheit ab. Diese fand sich zwar, als ich Herrn Eiel veranlaßte, Ew.
Wohlgebohrn zu einer seiner musikalischen Versammlungen einzuladen'; allein, ob-
gleich ich dadurch den Zweck erreichte, Ihr treffliches Pianoforte Spiel zu hören,
so konnte ich doch nicht in nähere Berührung mit Ihnen kommen. Jetzt bietet
sich mir eme zweite Gelegenheit dazu dar. [Folgt eine Aufforderung zur Gründung
eines „Vereins wahrer Musikfreunde".]
Ich wünsche, daß diese Veranlassung der Faden seyn möge, der mich Ihnen
näher biingt, da ich so gern einem Mann mich nähern möchte, dessen Bekannt-
schaft mir in der Kunst, die ich leidenschaftlich hebe, soviel Nutzen verspricht.
Ich empfehle mich als Ew. Wohlgebohren ergebenster Dorn,
wohnhaft am schiefen Berge, neben der franz. Schule bei Herrn Eector Merguet.
808. Hasse an H. (3 S. 40. N.) Markmen den 3. Februar 1810.
^) 6 S. 8". N. Voraus gehen Mitteilungen über den Nachlaß des Vaters, den
Wardenburg zu ordnen hatte.
j cg Nachtrag zu 1810.
809. Casimir Plater an H. (3 S. 4». N.) St. Petersburg d. 2 April 1810
Nach Jahren eine Gelegenheit wieder, meinem theureu geschätzten Lehrer
einen Wiak des Lebens zu geben, Ihn meiner gedenken zu lassen. Welche un-
ruhige, Unglück- und gehaltreiche Zeit hat sich zwischen uns während der Jahre
unserer Trennung gelegt — wie viel habe ich seitdem lernen, wieviel Sie vergessen
müssen — .
Es sind nun schon 4 Jahre geworden aus den zweyeu die ich dem practischen
Leben widmen wollte, und noch lieber Freund noch kann ich mich der gehoffien
Muße nicht erfreuen ! —
Und Sie fern von den Gegenden wo Familie und Freunde Sie auf immer zu
fesseln schienen — nicht freye Wahl hat sie gewiß dahin verweht — — Sie
scheinen sich den äußersten Ort gewählt zu haben wo noch Deutschlands Genius
ruhet doch schon beynahe außer der Sphäre des schweren Nebels der es jetzt um-
hüllt — . II Und auch hier gewiß — auch diese unnatürliche Lage hat ihr Geist
schon gewiß in seine Begriffe in seine Formen gefaßt, auch hier haben Sie gewiß
schon viel gewürkt, viel geschaffen. Sollen aber Ihre Freunde nichts von Ihnen
erfahren? — Schreiben Sie nicht an einen Ihrer Zuhörer die sich in unserem Lande
befinden — an wen? — wo kann ich Nachrichten über Sie einziehen? oh nur das
melden Sie mir mit ein paar Zeilen — zu Sievers etwa nach Petersburg — .
Ich schreibe Ihnen jetzt aus dieser Hauptstadt — nicht wohnhaft bin ich hier
— auch nicht angestellt, ich lebe nicht dem Staate — habe aber seit unserer
Trennung ihm einen Augenblick gedient — es war im Aufgebote als die französi-
schen Truppen die Grenzen des Reichs bedrohten — von der Zeit aber bin ich
wieder wie vom Anfange meines Hierseyns im Lande Landwirth und Geschäfts-
führer meiner Familie — Und in dieser stürmischen Zeit, bey dem gänzlichen Kuin
unserer Provinzen, bin ich auch nur Landwirth und Geschäftsführer. Dennoch
sind sie nicht verloren für mich die wohlthätigen Eindrücke des deutschen Himmels.
— Die Stimme meiner ehrwürdigen Lehrer hallt noch in meinem Gemüthe nach;
und die Erinnerung der theuren Freunde die ich unter Ihnen zählte, bleibt mir ein
werthes Erbtheil jener Zeiten, das mir noch enger anzuhören scheint als meine
Existenz, weil ich an ihr erst gelernt habe mein Leben zu schätzen. — Oh bleiben
Sie mir immer dieser werthe unschätzbare Freund und laß [!] in Ihrem Andenken
nie vergehen Ihren treuen und ergebenen Schüler Casimir Plater.
810. G.? an H. (1 S. 40. N.) Königsberg, den 4. Mai 1810.
Ich kann nicht anders — ich konnte nicht anders. Was ich ersticken zu
müssen und zu können glaubte, weil ich so oft mich getäuscht sah, die Glut meines
Busens, wenn sich das Bild eines herrlichen Menschen in ihn drängte, brach heute
in einen seit Jahr und Tag zurückgehaltenen Händedruck, in einen warmen Dank,
in kindliche Ergebung und Verehrung gegen Sie aus. Und jetzt, hier einsam
sitzend, mich fremd fühlend unter den Menschen, mit denen ich unter einem
Dache wohne, treibt mich mein Herz, Ihnen zu sagen: Mann des Geistes und
des Lebens, nimm mich an Deine Brust! — Ich bin Ihrer nicht unwerth. Eine
andere Welt steht mit Klarheit und Bestimmtheit vor meinem Geiste, als die
ist, von der mir Menscheji und Bücher reden, ein höheres Leben hat sich mir aus
der Todtenasche der Welt entwickelt. Ich danke es der Liebe — nehmen Sie als
Pfand meiner grenzenlosen, vertrauungsvollen Hingebung das Geständnis meines
heiligsten Geheimnisses hin — und Ihnen. Ich bedarf eines höheren Menschen,
eines Menschen, der> denkt und fühlt wie Sie, und ich trete Sie flehend an, nicht
achtend Weltsitte und W^eltsinu. Sie werden mich nicht verstoßen. Sie vernichten
Nachtrag zu i8lo. 159
dadurch freilich nicht mein Leben — ich bin in einem zu sichern Besitz meines
Lebens; das muß ich Ihnen auch sagen — aber Sie lassen mich verschmachten in
meiner Sehnsucht die so ewig ist wie meine Welt und meine Liehe. Sagen Sie
nicht zu mir: Sonderbarer Mensch, wer bist Du? Sagen Sie zu mir: Lieber Mensch,
ich verstoße Dich nicht! G-
Adr.: Herrn Professor Herbart, Wohlgeboren.
811. Griepenkerl an H.') Bruchstück aus d. J. ISIO [?] Aus Hofwyl?
.... Gestalt hätte ich dem Ganzen geben können, wußte ich von Ihren Planen! —
Schleiermacher hält etwas auf die Familie, diese spielt, wie hillig, in meiner
Dai-stellung (im 2ten Theile) eine große Rolle — sollte er nicht gewonnen werden
können ? — Wolf ist der größte Philologe — ich fürchte, nicht \iel mehr — sollte
es nicht ein Mittel geben, ihn durch eine entgegen kommende Darstellung zu ge-
winnen? Beide Männer können nicht etwas gar unvernünftiges wollen, wenn sie
ii-gend wollen — es kommt nur darauf an, daß man sich verständige. Ist dazu
keine Gelegenheit? Ließe sich diese Gelegenheit nicht machen? — Freilich wenn
sie weiter nichts wollen als hindern^ so müssen sie durch sich selbst zu Falle
kommen. — Ihre Pädagogik ist so allgemein, daß Alles, was man gutes pädagogisches
machen kann, mit in ihr enthalten ist. Sollte man das den Leuten nicht begreiflich
machen können? Freilich wenn sie nicht hören wollen, so muß man über ihren
Köpfen wegschreiten. — Die Form wird dieser und jener anders haben wollen, er
wird in Einzelheiten stecken bleiben — könnte man sich über die Form nicht ver-
einigen? Freilich, wenns niemanden Ernst ist, wenn er nicht denken will, wenn er
die Hand nicht bieten will — so mag Gottes Erde sich öffnen und die Unwürdigen
verschlingen. Besser dann noch, daß der Xrieg sie zusammen mähe, daß National-
Ehre und alles ihnen verloren gehe, damit sie unfähig werden, diese auch dem
künftigen Geschlechte, das noch im Mutterschooße ruht, zu rauben. || ich glaube
nicht, daß sich Wolf und Schleiermacher so weit herabsetzen können, um mit ein-
seitigem Eigensinne eine so wichtige Sache zu betreiben. Beide haben durchaus
kein pädagogisches Gewicht, sie ließen besser ihre Nasen daheraus. Wollen Sie,
daß es ihnen gesagt werde? Wünschen Sie einen anständigen Sturm in öffent-
lichen Blättern? — Soll ich meinen Schwager, den Staatsrath Ribbentrop mit Feuer
für Ihre bessere Sache erfüllen? Hilft es, wenn solcher Männer auf Ihrer Parthei
mehrere sind? Wollen Sie überhaupt eine Parthei? Kann ich dazu helfen? —
Schreiben Sie mir augenblicklich, was ich, und wie ich es thun soll, ich habe bei
dem allen nicht Ihre Person, sondern Ihr großes Werk im Auge. Für dieses große
Werk nehmen Sie mich in Anspruch, wenn ich etwas Wüi'diges dazu thim kann.
Thun Sie das, nicht um meiner Person dadurch irgend etwas Gutes zu erzeigen, ich
befinde mich hier wohl und habe nicht Ursache es anders zu wünschen. Kann aber
ein Mal meine Person dort mehr nützen, als hier, so gehe ich dem größeren Werke
nach. — ich kann unter Ihnen arbeiten; aber niemanden als Sie leide ich über mir;
ich kann keine anderen Gedanken ausführen, als die Ihrigen und die meinigen.
^) 6 S. 40. N. Vielleicht ist dieser Brief das im 1. Bd. der Briefe S. 60 erwähnte
lange Schreiben. Die Antworten Herbarts sind leider nicht mehr vorhanden. Prof.
Lazarus, Griepenkerls Schüler, hat sie im Auftrage semes Lehrers, wie er mir selbst
erzählte, vernichten müssen. S. auch N. Lazarus u. A. Leicht, Lazarus' Lebens-
erinnerungen, Berl. 1906. — Zu den Briefen Griepenkerls an Herbart ist zu vergl.
G. WiGET, Das pädagogische Leben an der höheren wissenschaftlichen Anstalt zu
Hofwvl. Jahrb. d. Vereins für wissensch. Päd. Bd. 11 u. 14. Langensalza 1879,
1882."^ Die Briefe Griepenkeris bilden eine wertvolle Ergänzung dieser Arbeit, auch,
des Aufsatzes „Fellenberg-' in Reins Enz. Handbuch.
l()Q Nachtrag zu 1810.
Aber wie? wenn Sie nun mit einem Male an die Spitze des ganzen Preußischen
Kultursystems (denn etwas geringeres will ich nicht hoffen daß es werde) gestellt
würden — sind Sie mit allem gerüstet, was im Augenblick || dazu nöthig wird?
Haben Sie Männer die mit Ihren Ansichten vertraut sind, und denen Sie sogleich
verschiedene Zweige übergeben könnten? Sind die Unterrichtsmittel im ganzen
nach Ibren Ansichten ausgearbeitet, so daß mit einem Schlage die Reform über die
ganze Preußische Kinderwelt ausgebreitet werden könnte? Besitzen Sie Männer,
denen der ganze Bestand, die ganze Art und Weise des bisherigen Schulwesens in
Preußen bis zur Lokalkenntniß hinab, genau bekannt ist?
Nicht langsam, um Gottes Willen, nicht langsam! Es sei alles vorher in Ge-
danken völlig fertig — ich schwärme nicht — und dann mit Blitzes Schnelle.
Mögen Konvenienzen dabei zertrümmern! Was sind Konvenienzen gegen den Un-
geheuern Werth der Sache!
Aber hat auch der König Geld? Es wird dessen viel erfordert. Ist auch die
übrige Organisation des ganzen Staates so, daß jene beabsichtigte Einrichtung sich
Dauer versprechen kann? Lieber gar nicht angefangen, wenn mau nicht den
ungehinderten Fortgang auf wenigstens fünfzig Jahre voraus berechnen kann. —
Sie tadeln mich dieser Äußerungen wegen? Sie meinen „lieber etwas als nichts''- — ?
0, ein so glücklicher Zufall ereignet sich in Jahrhunderten nicht wieder, er muß
ganz, ganz genutzt werden, || alle Gegner müssen vor der Gewalt der guten Sache
verschwinden, siegend muß sie auftreten in Riesengestalt, daß der schwache Haufen
erzittert. — So etwa sagte ich neulich dem Regierungsrath Minuth aus Berlin, er
war hier und besuchte mich. Der Mann riß die Augen weit auf und war aus seinem
gewohnten Gleise geschüttelt. Was würde geschehen, wenn man die Kollegien alle
mit völligem Übergewichte angriffe? Die Weltklugheit wagt es nicht, ihre Stimme
dagegen zu erheben, sie ist still und besinnt sich — unterdessen aber ist der Sieg
erfochten. Der ehemalige Regierungspräesident von Vincke war auch hier, zwei
Tage; er hat sich ganz für meine Meinung erklärt. Sie sehen, mit solchen Männern
geht es, der Ton ist nicht zu stark. — — — — — ^- — — — — — —
Nun ein weniges von unserem Institute. Alle die es besuchten, erklären es
für das Beste, was sie sahen. Der General Graf von Wrede besuchte vor acht
Tagen seine Söhne und uns, und wurde bewogen, seinen dritten Sohn auch zu uns
zu senden. — Die Anschauungsübuugen haben eigentlich erst vor einem halben
Jahre mit den jüngeren Zöglingen begonnen; von der Lektüre des Homer schrieb
ich Ihnen schon. Der analytische Unterricht hatte bisher die Hauptrolle gespielt,
weil wir || erst den ganzen geistigen Besitz unserer meist ganz verdorbenen Kinder
in uns'ere Gewalt bekommen mußten; und er geht noch immer neben der Synthesis
sehr ausgedehnt. Letztere aber gewinnt ein immer breiteres Feld, und bald werden
beide, besonders bei den jüngeren Kindern, im völligen Gleichgewicht miteinander
sein. Auf Ihre Fortführung der Anschauung bis zu sphärischen Dreiecken') bin
ich sehr begierig, auch möchte ich gern die analytischen Übungen für 7— 8jährige
Knaben schon besitzen. Außerdem habe ich über Musik etwas gearbeitet, was viel-
leicht den Anfang zur Bildung des ästhetischen Urtheils am besten macht. Mit
den Farben habe "ich etwas Ähnliches im Sinn. Vielleicht wissen Sie schon, was
ich nur noch ahnde, daß die Gesetze des ästhetischen Urtheils, welche Sie in den
Hauptpunkten einer künftigen Psychologie entwickelten, auf Krümmungen angewandt,
eliptiselic Krümmungen geben: ich habe im Sinn das durchzufuhren und daraus
eine Lehre der ästlietischen Formanschauung hervor zu spinnen. Für körperliche
Anschauung habe ich ein Mittel gefunden, welches zwar bei weitem nicht die große
^) Anschauungslehre der sphärischen Formen, in dieser Ausg. Bd. XX.
Nachtrag zu i8lO. i6l
Bedeutung hat, wie ihre Dreiecke, doch aber gute Dienste leistet. Meine weitesten
Mathematiker führe ich nach Schiceins System der Geometrie. Zugleich || haben
diese üfflackers Exempelbuch, herausgegeben von ELellwig. ganz durchgerechnet
und sind mit der Berechnung der Logarithmen und ihi'er Behandlung fertig ge-
worden. Wenn das Ganze noch einmal revidirt ist, sollen sie nach Eulers großem
Werke zu den Funkzionen übergehen. — Von dem übrigen was wir treiben würde
die Beschreibung zu weitläuftig. — — — — — — — — — — — — — — —
An Ihrer pädagogischen Zeitschrift ^) will ich mitarbeiten, schreiben Sie mir
nur was? und wie? — Schacht taugt noch nicht dazu. — Mit meinen hiesigen
Freunden gebe ich selbst eine pädagogische Zeitschrift heraus, in welcher alle Zweige
der Pädagogik nach meiner aufgestellten Ansicht nach und nach weitläuftig bearbeitet
werden sollen, so daß es ein Ganzes giebt. — Ist das W^erk im Gange, so werde
ich wohl zu einigem literarischen Ansehn kommen, wie Sie es zu der vorgeschlagenen
Vereinigung wünschen müssen. — Kenne ich das Publikum recht, so macht mein
jetzt erscheinendes Werk Glück. Warten Sie mit Ihrer Zeitschrift, bis es in öffent-
lichen Blättern zur Sprache gekommen ist, welches gewiß gleich vor oder nach
Neujahr geschehen wird. — Stellen Sie uns dann ve?-eimgt dar. Wie Sie sich die
Art dieser Vereinigung denken, wie Sie sie machen wollen, überlasse ich ganz
Ihnen; denn ich möchte Ihnen ganz augehören. F. Griepenkerl.
812. -iui 11- Juli 1810 wird H. o. Mitglied der Königl. Deutschen Gesellschaft zu
Königsberg. (Urkunde darüber im N.)
813. A. H. L. Heeren an H. (3 S. 4». N.) Göttingen d 23 Juli 1810.
Ich nütze die schöne Gelegenheit, die sich darbietet, mein theurer unver-
geßlicher Freund, Ihre beyden, mir so angenehmen Briefe zu beantworten. Mit
Freuden sehe ich daraus, daß es Ihnen in Königsberg gefällt: daß Sie in angenehmen
Verhältnissen leben. Ich habe das im voraus nicht bezweifelt; denn Sie verstehn
die Kunst sich einen Kreis zu bilden, wo keiner- war; allerdings hat aber auch das
Glück das seinige gethan, da es Ihnen so würdige CoUegen zuführte. Keinen von
diesen kenne ich persönlich: der Hr. Prof. Vater gehört zu denen, um die ich Sie
beneide; oder beneiden würde, wenn es keine Sünde wäre.
Nun zu Ihrer Anfrage wegen D. Meyer'). Ich kenne diesen Mann sehr genau,
da er in meinem Hause wohnte. Er ist ein Mann von einem durchaus reinen und
untadelhaften Gemüthe; hüch.st gewissenhaft in der Erfüllung seiner Pflicht 1| und so
verträglich, daß man keinen Streit mit ihm haben kann, wenn man nicht durchaus
will. Er ist ohne Zweifel einer unsrer gelehrtesten Theologen; vor allem in der
Exegese; aber auch in andern Fächern der Theologie. Auch ist er gar nicht ohne
Sinn für practische Theologie; und würde für ein Predigerseminar oder ein ähn-
hches Institut brauchbar seyu. Er hat als Docent einen sehr klaren und deuthchen
Vortrag; und eben dieß ist auch der Character seiner Predigten, auf die er immer
vielen i^leiß verwendet. Nur Eins muß ich hinzusetzen. Man muß sich bey diesem
Allen nichts Brillantes denken. Aber daß er einer der gelehrtesten, fleißigsten und
brauchbarsten Theologen seyn würde, dafür stehe ich ein. Seine jetzige Lage könnte
vielleicht seine Berufung erleichtern. Er hat zwar in Altorf seine Einkünfte be-
halten; allein seine F'reunde sind versetzt worden; wie ich von seinem lüesigen
Schwager höre.
^) Von diesem Plane Herbarts ist sonst nichts bekannt geworden.
^) Gemeint ist wohl G. W. Meyer (1768—1816), seit 1805 Prof. in Altorf,
der Verfasser der Geschichte der Schrifterklämng. S. Perthes. Handlexikon f. ev.
Theol. Bd. IL S. 574.
Herbaüts Werke. XIX. II
l52 Nachtrag zu i8lO.
Daß es hier noch so ziemlich beym Alten ist, werden Sie durch H. Mulert
hören. Meiners ist gestorben. Um eben die Zeit kam Schulz aus Helmstädt her;
der mit || Beyfall lieset. Als Sie weggegangen waren, war hier in philosophicis
eine völlige Pause eingetreten; wenn nicht der wackere Bissen die Köpfe in Übung
gehalten hätte. Auch jetzt bleibt ihm, wie ich höre, fortdauernd sein Kreis.
Ihre ZusammenwirkuDg mit andern tüchtigen Männern für practische Bildung
muß viel dazu beytragen, Ihnen Ihre Lage angenehm zu machen. Bey dem vielen
Vortrefflichen, das ich von Hrn. Nicolovius höre, befürchte ich nicht, daß der
Abgang des Hrn. von Humboldt Veränderungen machen werde. Möge das Eeich
der Philosophie fortdauernd in Königsberg blühen, wo sie ja ihren Thron sich er-
richtet hat.
Meine Theilnahme an Ihren Arbeiten kennen Sie. Wenn Sie Ihren Plan für
die Psychologie durchgeführt haben, so haben Sie eine Aufgabe gelöset, deren Folgen
nicht zu berechnen stehn.
Von meiner Frau soll ich Ihnen die herzlichsten Empfehlungen bestellen. Sie
erinnert sich Ihrer immer am Fortepiano. Das müssen Sie sich selber zuschreiben,
Sie haben es darnach gemacht. i
Heyne ist gottlob! diesen Sommer recht munter. Leben Sie wohl, mein [
theurer Freund! Ganz der Ihrige Heeren. \
814. Nicolovius an H. {2 S. 40. N.) Berlin d. 6. Oct. 1810. i
Sie werden es mir erlauben, daß ich den üeberbi'inger dieses, Hrn. Prof. 1
Zachariä, Ihrer freundlichen Aufnahme und Theilnahme empfehle. Er freut sich, i
da er Sie kennt und sehr hochschätzt,' mit Ihnen in collegialische Verbindung zu '
treten. Bewirken Sie durch Ihren Umgang und die Bekanntschaft Ihrer Freunde, j
daß er sich nicht in einer Wüste fühle, wozu seine nächste Umgebung in der i
Facultät leicht Anlaß geben könnte. Er gehört zu den Beßern und wird gern und
ganz diesen sich anschließen.
Ihr letztes Schreiben bedarf wohl keiner Antwort mehr, da seitdem Vieles '
durch neuere Anordnungen der Section sich aufgeklärt haben wird, was Ihnen zwey- '■
deutig und beunruhigend oder verwerflich schien. Rechtfertigt die Section sich bey '
Ihnen aber nicht durch den Zusammenhang ihres Verfahrens, so würde jede Recht- i
fertigung durch Worte, die ich etwa versuchen möchte, wenig bedeuten und wirken. |
Auf meinem Staudpunkt gehört die Erfahrung unbilliger Beurtheilung und Mis- ■
deutung zwar zu den alltäglichen, und ich habe sie tragen gelernt. Doch || leugne j
ich picht, daß Ihr Schreiben meinen Gleichmuth anfocht, Theils weil Sie einer Be- ■
hörde, deren reines, rücksichtloses, und von jeder beschränkenden Föi'inlichkeil un- <
befangenes Verfahren mir täglich klar vor Augen liegt, das hölzerne, sinnlose Wesen i
eines gottlob! aussterbenden, weiland gepriesenen, aber immer verderblich gewesenen
Geschlechts von Reformatoren beylegten; Theils weil Sie mir, einem (wie Sie wollen, '
gottlob oder leider!) der unwandelbarsten menschlichen Wesen, flüchtigen Wechsel ;
von Ueberzeugungen zuschrieben, Thoils weil Ihre Heftigkeit mir Ihr mit Liebe aus- .
gebildetes und im Herzen getragenes Bild etwas zu entstellen drohete. Jetzt aber ;
ist, hoffe ich, Wohlwollen wieder in Ihnen herrschend, und ich darf mit altem Ver- ■
trauen an Sie denken. _ Möchte Muth und Freude Ihr Geschäft begleiten und der
Kreis durch Sie zu höherm Leben geweckter Jüngünge sich immer erweitern! ,
Nicolovius. I
*
815. Halem an rt. (1 S. 4«. N.) Old. 1810. Nov. 17. \
Unser Wardenburg wird Ihnen sagen, mein verehiter alter Fi'eund! daß ich 1
lebe und gesund bin, umringt von fünf Kindern, 10 bis 1 Jahr alt. Da ich Ihnen i
Nachtrag zu 1 8 1 o. j 5 ^
keines der leiblichen Kinder schicken kann (vielleicht doch den Ältesten nach
8 Jahren) so kommt hiebey ein geistiges, das letzte, was ich zeugen werde. Die
Idee dazu, od. manche Bruchstücke daraus kennen Sie schon. Möchte auch das
Ganze, das ich mit Liebe dichtete, Ihr Inneres ansprechen! Lesen Sie Ihrer lieben
Braut, vielleicht schon Frau, die Stelle Ges. IV v. 151 bis 248 und reden Sie ein
Wort der Freundschaft von mir. Möchte ich die Gefährtin Ihres Lebens persönlich
kennen lernen! Aber dazu rauben mir die 100 Meilen Zwischenraums und mein
Sechziger Alter fast die Hoffnung. Einen Schattenriß verlange ich von Ihnen, und
mit dem bischen Phantasie, das mir noch blieb, will ich ihn schon zu beleben
suchen. Sie leben ganz in meiner Erinnerung. Vergessen auch Sie nicht
Ihres Halem.
816. A. Luber an H. (4 S. 4«. N.j Tilse, 28. Dez. 1810.
817. Graff an H.') M[arieuwerder], 4t. Jan. 1811.
Ich muß in Bezug auf meinen letzten Brief an Sie Ihnen einen 2ten
schicken — Sie haben wahrscheinlich die Anzeige von der Einrichtung des Luisen-
thums*) gelesen. Sollte sich dergleichen nicht in K. zu Stande bringen lassen und
ich dabei mein LTnterkommen finden? Kennen Sie Klewitz oder Janke, Sack, Rosen-
stiel, Nolte, die die Stifter sind? Wollen Sie in diesem Falle nicht diesen o. jenen
auf mich aufmerksam machen, mit dem Wunsche, mir die Stiftung und Leitung
einer solchen Anstalt in Königsberg zu übertragen — denn, wenn der Vorsteher
nicht wirklich Erzieher von Wissenschaft und Each ist, so gehts doch nicht —
Möge mein Hintreten zu Ihnen so ganz ohne Umstände und Einleitung Ihnen sagen,
wie hoch ich Sie schätze, wie innig ich Sie liebe, wie fest ich Ihnen vertraue —
möge aber auch meine offene Darlegung meines mich allein rettenden Entschlusses,
nach K. zu gehen Sie thätig für mich wirken lassen — Ich kenne alle Reize, die
meine jetzige Lage für Hunderttausende haben muß; aber ich kann nur in K. und
überhaupt nur an einem Orte mich vor mir selbst retten, wo ich wahrhaft nützlich
wirken kann — Diese Flickereien, diese unvernünftigen Halbheiten und Widersprüche
reizen durch ihre ärgerliche Seite mein Inneres zu sehr, als daß es, an sich schon
der Zeriiittung nahe, nicht über kurz oder lang zerstört würde — . Theilen Sie
diesen Brief Bobrik mit und überlegen Sie gemeinschaftlich mit ihm und mit den-
jenigen, die helfen können — . Zunächst beten Sie zum Himmel, daß er nur V* Jahr
noch meine [Gesundheit] erhalte; dann hoffe ich. wirds heller vor mir seyn — .
Ich drücke Sie an mein Herz und sauge aus Ihren blauen Augen Kraft und Muth —
Ihr G[ra]ff.
Ich bitte Sie dringend um eine baldige, baldige Antwoi-t! —
818. ^) Daß der Professor der Philosophie an der hiesigen Universität Herr
Johann Friedrich Herbart, mit Demoiselle Mary Jane Drake des Negocianten Herrn
James Laurence Drake eintzigen ehelichen Tochter in der hiesigen reformiiien
Parochial Kirche drei Mahl ohne Behinderung proclamirt worden sei, bescheinige ich
^) ] S. 4». N. E. G. Graff (1780—1841), erst Schulrat in Marienwerder,
dann in Arnsberg und Koblenz, später Prof. der deutschen Sprache. Die beiden
Briefe Grafts sind sehr schwer zu lesen.
*) Luisenstiftung zur Erziehung junger Mädchen, am 10. März 1811 eröffnet.
*) IS. 4". N. Die Hochzeit Herbarts mit der Tochter des Kaufmanns und
Konsuls Drake hat am 13. Jan. 1811 in Memel stattgefunden. (Dahin muß Bd. 11,
S. 80, Anm. 1 berichtigt werden.) Ein Hochzeitsgedicht, datiert 13. Jan. 1811, ist
im Besitze der Frau Geh. Rat Albrecht, der wir diese Mitteilung verdanken.
II*
j54 Nachtrag zu 1811.
hierdurch, behufs der anderweitigen Copulation, mit herzlicher Anwünschuiig einer
glücklichen und gesegneten Ehe.
Königsberg den 7ten Januar 1811.
A. Weyl
Köuigl. Preuß. Hofprediger und Superintendent.
819. ^lai 1811.
Herbart bietet Eichthofen (wie in dessen Biographie mitgeteilt wird) schon
in dieser Zeit sein eignes Vermögen (6000 Thaler) an, daß es mit zu dem Ankauf des
Gutes diene, um dann daselbst ,,eine echte Erziehungsanstalt gründen zu helfen". —
820. J- A. Gotthold an H. (1 S. 2». N.) Königsberg 4. Mai 1811.
821. Richthofen an H. (3 S. 40. N.) Dammsdorf bei Jauer d. 12. Mai 1811
Aeußerst erfreulich war mir Ihr Brief vom 3ten Mai als ein neuer Beweis
Ihrer, mir schon so oft an den Tag gelegten, vielen Güte für mich. Dankbar nehme
ich Ihr gütiges Versprechen an, indem ich keinesweges den neulichen Plan aufgegeben
habe, und wenn er auch misglücken sollte, ich doch bei den so vielen vortheilhaften
Gelegenheiten, die sich mir jetzt darbietheu, irgend etwas anderes unternehmen
würde, wenn auch für meine Zwecke kein anderer Ort so geeignet wäre als Wahl-
statt (derselbe Ort wo 1241 die Tartaren schlugen, und später fronmie Mönche
beteten). Auf einer fruchtbaren Höhe ragt weit ins Land hinaus das Klostergebäude,
25 Fenster in der Fronte; 16 die Seiten; 75 Gemächer, ungeheure Säle und Kreuz-
gänge enthaltend; im fernen Halbkreis von || den blauen Riesenbergen umringt. Wie
lebendig steht jnir oft das Bild v^or Augen, wie die Schaar der munteren Buben
darinnen herumtobt! Vielleicht gelingt die Erfüllung meines Wunsches, weil vielen
das Gebäude lästig wäre.
Haben Sie dalier theuerster Freund die Güte das versprochene Geld sobald als
möglich abzusenden; noch diese Woche ist der Biethungstag. Ich würde Ihnen
sogleich die nöthigen Papiere zusenden, aber theils bestimmten Sie die Summe nicht
ganz genau, theils kenne ich nicht alle nöthigen Förmlichkeiten; darum warte i(;h
noch. Meine Adresse ist ganz so wie Sie sie jüngst bezeichnet; das Geld aber
würde ich lieber bitten, wenn es Ihnen gleichgültig, an || meinen Freund, den Dok-
toren der Medizin Herrn F. F. Guttentag zu Breslau, Nikolaistraße Nr. 161 zu
schicken, da alle Zahlungen dort gethan werden.
-An Assessor Wardenburg werde ich sogleich schreiben; sollte vielleicht selbiger
Ihnen einige Bedenklichkeiten vorher noch geäußert haben, so sind Sie wohl so
gütig dieselben so schnell als möglich zu beseitigen, da mir viel darauf ankömmt.
Jede Nachsendung wird mir immer willkommen seyn, da natürhch vieles auch erst
später gezahlt wird; ich nehme daher auch dieß mit Dank an.
Innig freut mich daß Sie eine brave Frau gefunden, und die Ueberzeugung
haben, daß Sie noch ebenso handeln würden. Es kennen wenig Menschen eheliches
Glück in so voUem Maaße wie ich, und darum freut sich auch unmöglich jemand
herzlicher über das Ihre. Von mir und Theresen die herzlichsten Grüße für
Ihre Marie.
Die Damen empfehlen sich. Auch Heinrich liebt den Mann, dem er verdankt,
was ich ihm bin. Ihr Freund C. Freiherr von Richthofen.
822. Witt an H. (3 S. 4". N.) [Bitto um ein Darlehn.]
Königsberg, den 15ten Juni 1811.
Nachtrag zu i8if. 165
823. Richthofen an H. (4 S. 4». N.) Damsdorf d. 20ten Juni 1811.
Ich habe Ihuen, liebster Herbart, eine selir traurige Nachricht mitzutheilen,
von der ich weiß Sie werden sie nicht ohne die innigste Betrübniß, nicht ohne die
herzlichste Theilnahme an meinem traurigen Looß vernehmen. Es ist fürchterlich wie
nahe Freude und Schmerz aneinander grenzen; wie alles auf Erden so schwankt,
wie uns nichts bleibt als das Gefühl unserer Selbst, und die Erinnerung an die
Freuden der Vergangenheit. "Was könnte mich jetzt wohl vor Verzweiflung schützen,
wäre es nicht die üeberzeugung, daß wenn auch das Glück von mir geschwunden,
mir doch die Hoffnung bleibt, wenn auch später, Gutes zu wirken, und dem Vater-
land auch mein Theil von Kraft redlich zu seinem besten zu weihen. Wahrlich
ich habe nicht geglaubt daß es soviel Unglück in der Welt geben könne. ||
Am SOsten vergangenen Monaths, schenkte mir Therese zur Vollendung
meines Glückes einen blühenden gesunden Knaben; und am 7ten verlohr ich sie die
mir alles war. Alle Anstrengungen der Aerzte waren vergeblich, und immer brach
ein neues Uehel hervor, bis ihre Kräfte unterlagen. Alle Verwaisten und Ver-
wittweten rülimen ihre Verlohrenen, aber wer hat mehr Grund dazu denn ich?
0 es war ein herrlicher Engel, wie es vielleicht keinen zweiten mehr giebt; ich
habe an ihrer Seite, durch meiner Therese innige Liebe das höchste menschliche
Glück genossen, wir waren ein Herz und eine Seele, ganz eins, und jetzt bin ich
getrennt von ihr und soll ohne sie ein langes Leben noch hinbringen, denn erst
24 Jahre zähle ich; es ist unendlich schwer dieß zu tragen, ohne zu Boden sinken,
ohne irgend einen Punkt, auf den ich mich stützen könnte. |j
Mit meines holden Weibes Tode bin ich wieder in die weite Welt hinaus-
geworfen: die unglückliche Mutter und Großmutter gehen mit meinem Knaben
nach Jülinde, ich nach der Schweiz von dort nach Italien oder wo mich sonst das
Schicksal hinführt.
Mein Bruder begleitet mich; seine Bildung und einige philosophische Bücher
werden mich ausschließend beschäftigen. Alle P.läne (nur mein großer Erziehuugs-
plan nicht) sind fürs erste aufgegeben. Schreiben Sie mir liebster Freund bald, so
ist es möglich daß Sie mich noch treffen, sonst schicken mir meine Eltern den
Brief nach; bitte senden Sie mir doch einige empfehlende Worte an Steiger in der
Schweiz, und [wenn] Sie dort sonst Freunde haben, deren Bekanntschaft Sie mir
wünschen. Bei Pestalozzi und Fellenberg werde ich länger verweilen. || Was
unsere Geldangelegenheit betrifft, so bedarf ich für mich gegenwärtig nichts; ich
bin aber zu Ihrem Besten mit meinen Eltern über folgendes übereingekommen.
Meme Eltern nehmen statt meiner, Ihr Geld, und zwar gegen 6 pr. ct. jährliche
Zinsen, da Sie sonst wahrscheinlich nur 4 oder 5 erhalten haben. Es steht Ihnen
frei ob ich oder meine Eitern Ihr Schuldner seyn soll; aber da Sie wahrscheinlich
lieber mit mir als einem Fremden zu thun haben so erbiethe ich mich dazu ; die
Sicherheit ist die größte, da meiner Eltern jährliche reine Einkünfte ungefähr
20000 Thlr. betragen dürften (dieß versteht sich,, bleibt unter uns). Wenn Sie das
Geld aber noch nicht abgeschickt haben, so müßten Sie es mit umgehender Post an
Guttentag senden, weil eben jetzt ein Zahlungstermin ist, und sonst meinen Eltern
das Geld weniger nützen würde. Nach Oldenburg werde ich von Neuem schreiben.
Möge Sie Gott vor einem ähnlichen Unfall schützen als mir begegnet; es ist
das größte Unglück; erhalten Sie mir wenigstens Ihre Freundschaft und Liebe
ßichthofen.
824. An Freih. von Richthofen. [M '^ii]
„Sie wollen reisen? Da Sie Vater sind, werden Sie es da lange aus-
halten zu reisen? Ein Ausflug in die Schweiz und zu Fellenberg und
l66 Nachtrag zu 1811.
Pestalozzi wird Ihnen wohltun. Ernste Dinge und eine ernste Natur
können Ihren Schmerz lindern. Aber Italien? Sagen Sie: Jühnde! Möchten
Sie es sagen! Vielleicht wäre es auch so der Mutter und Großmutter
leichter zu tragen, die zwar geübt sind im Leiden bis zum Übermaß.''
825. Carl Steiger an H. (3 S. 4". N.) Appelterea Ende August 1811.
Nach einem so langen Stillschweigen, bester Herbart, wirst Du nichts ge-
ringeres von mir zu vernehmen gewärtig seyn, als daß ich zum wenigsten iu den
Stand der heiligen Ehe getreten bin, — und diesmal wirst Du wohl gerathen haben
— denn bereits schon seit dem Monat Aprill wandele ich an der Seite einer lieben
ja innig geliebten Gattin die mich uneudlich glückhch macht, was Du mir nun um
so eher glauben sollst, da ich es Dir nicht mehr in dem sogenannten ersten Taumel
der Liebe schreibe. Hier kurz meine Geschichte. Du erinnerst Dich wohl mein
Theurer einer Reise die ich vor fünfthalb Jahren von Göttingen aus nach Holland
machte und auch daß ich damals einige Wochen im Hause der Gräfin von Rechteren
zubrachte. Nun schon zu der Zeit, ohne jedoch an weitere Folgen zu denken,
konnte ich mir selbst nicht verhehlen, daß dießer zweyte Schwester einen tiefen
Eindruck auf mich machte, der sich selbst bei meiner Zurückkunft im Vaterlande
erhielt und auch dort durch keinen anderen verdrängt wurde. Als ich vor emem
Jahr, wie ich Dir zur Zeit schrieb, eine zweyte Reise nach Holland unternahm um
unseren 83jährigen Oheim in Nimwegen |1 abzuhohlen erneuerte ich diese alte Be-
kanntschaft und fand mich nun vom Gegenstand meiner Liebe so angezogen und
gefesselt daß mein einziger Wunsch dahin ging mich mit ihr auf immer zu ver-
einigen. Ich war glücklich genug nicht zu mißfallen. Im Herbst führte ich den
alten Onkel nach der Schweiz und kehrte im Januar an die Ufer der Maaß zurück,
wo ich mich zu jeder andern Zeit, nur nicht damals an den Nordpol versetzt ge-
glaubt hätte. — Die flüsse waren eben ausgetreten und hatten das ganze Land
überschwemmt, so daß nichts als Himmel, Wasser und Eis und nur wenig trockene
Stellen zu sehen waren. Dies wilde Element hatte uns noch nicht verlassen als
meine Schicksale an die meiner treuen Gefährtin geknüpft wurden die mir innig
zugethau ist. — Von Mutter Natur nicht vernachläßigt vereinigt meine neue Freundin
eine hmimlische Sanftmuth und Güte mit einer gewißen Festigkeit des Charakters
der mir vielleicht auch deswegen so sehr gefiel, weil er wirklich viel überein-
stimmendes mit dem Meinigen hat — eine Äholichkeit welche Andere sogar auf
unser Aeußeres ausdehnen wollen. Als Musikliebhaber muß ich noch für Dich
hinzufügen daß sie eine || sehr hübsche Stimme hat. Unser Plan war dieses Jahr
noch nach der Schweiz zu gehn, allein allxunatürliche Ursachen und Folgen ver-
schieben diese Reise fürs erste noch. Indessen lebe ich hier sehr angenehm im
Hause meiner Schwiegereltern auf einem ihrer Güter drey Stunden von Nimwegen.
Von Hause habe ich gute Nachrichten: meiner theuren Mutter bekommt ein Auf-
enthalt zu Interlacken sehr wohl, dessen ihre zerüttete Gesundheit sehr bedurfte. —
Rudolf ist immer in Sizilien und Ludwig verheyrathet in London: ohne daß wir aber
etwas näheres von Letzterm wissen.
Sehr gerne mein Lieber vernehme ich nun auch bald wieder etwas von Dir
und Deinen Verhältnissen. Mögest Du so glücklich und zufrieden seyn als Du es
verdienst und es von Herzen für Dich wünscht ganz der Deinige Steiger.
P. S. Rechteren empfiehlt sich Deinem Angedenken. — Was machen die
Grote, Rahden u. s.w. — Meine Adresse: N. N. aux soins de P. v. Aalst. Rue des
moulins ä Nimegue.
Nachtrag zu i8i2. 157
826. Graff an H. (1 S. 4». N.)
Eben habe ich die 2. Hälfte der Recension Ihrer Pädagogik') gelesen. Nein,
es ist zu arg! Da ist Dummheit, Unwissenheit und Bosheit. Ich bitte Sie, lesen Sie
dies Pasquill der Jenaei- Zeitung und fertigen Sie kurz und derb die boshaften
Dummereien ab, oder lassen Sie in die gelehrten Zeitungen eine dringende Auf-
forderung an den Redakteur der Jenaer Zeitung ergehen, nicht jedem Burschen eine
Recension anzuvertrauen, der sich dazu drängt. Ich wette, das ist hier der Fall
gewesen. Übrigens könnte man den Recensenten durch eine Zergliederung seiner
Recension prostituiren, wie so leicht keinen — so verargt er Ihnen, daß Sie es Ver-
tiefung nennen wenn mau sich mit Liebe irgend einem Gegenstand der Kunst hin-
gibt und, wünscht, auch die Natur mit begriffen — Ich glaube, der Kerl ist ein
Hurenbock! verzeihen Sie das Wort, ich bin wirklich ärgerlich. Die herrlichsten,
geistreichen Stellen Ihrer Bücher übergeht er mit Stillschweigen oder macht sie ver-
dächtig und schließt:
Schiiften, über deren Inhalt ihre Verfasser auf öffentlichen Lehrstühlen Vor-
träge halten, machen eine starke Kritik nothwendig und es war daher verdienstlich,
„die Hülle, mit welcher dieses Buch bisher bedeckt zu sein schien, zu lüften und
es den Männern, welche die Pädagogik studiren und praktisch üben, in seiner wahren
Gestalt vor Augen zu stellen". ^)
Sie müssen etwas sagen, nicht Sich und Ihr Buch zu vertheidigen, sondern den
Menschen an den Pranger zu stellen und Redaktionen und Leser gelehrter Zeitungen
zu warnen. Ich wette, der Kerl ist ein Bekannter. Ihr Graff.
827. Richthofen an H. (1 S. 4'. N.) Barzdorf den I2ten März 1812
Schon vor längerer Zeit habe ich an Sie geschrieben, mein verehrter Freund,
aber noch keine Antwort erhalten; nun ist zwar keineswegs meine Sitte Sie mit
Briefen zu bestürmen, aber da es möglich wäre, daß Sie meine Bitten, mir wenn
Sie jene Geldsummen noch vorräthig haben selbige zu leihen, erfüllt hätten, und
das Uebersandte verlohren ging, so halte ich es für meine Pflicht Ihnen zu schreiben,
Sie deshalb zu fragen, Sie nochmahls um die Ueberseudung zu bitten, da ich dessen
bedarf. — Wozu Ihnen schreiben wie es mir in meinem Vaterlande geht? Die Ver-
gangenheit war schön, die Gegenwart ist trübe, die Zukunft wird vielleicht wieder
freundlich seyn; drum lebe ich in der ersten und letzten, gedenke mit Liebe
meiner Geliebten, meiner Freunde und Pläne! Ewig der Ihre Richthofen.
Am Rande: An den Freiherrn v. R. auf Brecheishof zu Barzdorf bei Strigau
in Schlesien.
828. An Freih. von Richthofen. 20. Mai 1812.
[Herbart schreibt, er sei entschlossen, seine Professur in Königsberg
aufzugeben und zu von Richthofen nach Brecheishof zu kommen, um dort
an dessen pädagogischer Schöpfung thätig zu sein.] „Regen Sie das päda-
gogische Interesse des Departements auf! — Zeigen Sie sich als einen
Freiwilligen im Dienst der allgemeinen Angelegenheit, „Volk.sbildung'" ge-
nannt. Sie werden Beifall und Unterstützung (wenn Sie sie brauchen)
vom preußischen Gouvernement eher gewinnen, als Fellenberg und Pesta-
lozzi vom bayrischen. Ich wollte und will nicht zudringlich sein. Ihre
Schöpfung kann und muß das Werk Ihres Geistes und Ihres Willens
^) Von Jachmann. Bd. 11, S. 146 ff.
') In dieser Ausg. Bd. II, S. 162.
l58 Nachtrag zu 1812.
sein. Sehe ich mich aber jemals im Fall, entweder auf Ihren Gütern,
oder an irgend einer Schulanstalt ein häusliches Unterkommen zu suchen,
so rechne ich dabei zunächst auf die Lehrstunden, die ich gebe, auf die
wirkliche und unmittelbare Tätigkeit, die ich bringe, nicht auf meine
Ideen, sondern auf meine Arbeit. Brauchten Sie jetzt schon mehrere Lehrer,
so könnte ich vielleicht auf Michaelis oder auf Ostern ein paar talent-
volle junge Leute schaffen. Ich könnte in Berlin allenfals auf ein Jahr
Urlaub bitten.''
829. Richthofen an H.^) Brecheishof bei Jauer in Schlesien den 2ten Juni 12.
Könnte ich Ihoeu doch beschreiben, Geliebtester, in welchen Taumel der mannig-
faltigsten Gefühle mich Ihr mit letzter Post eingetroffener Brief versetzt hat; mir
ist als hätte ein Zauberschlag mich plötzlich aus dem tiefsten Todesschlaf erweckt,
zu einer Zeit da ich eben traurig der Erinnerung lebte, wie ein Jahr früher mir
das Herbste wideifuhr. Ich fühle ich muß kurz seyn, aber womit beginnen? von
Ihnen, um dann freiem Herzens von mir und meinem Besten reden zu können.
Sie wollen Ihren Standpunkt verlassen, vielleicht zum Besten von uns allen
und der guten Sache zugleich; aber warnen muß ich Sie dennoch, muß Sie an
Johannes Müller erinnern, der an meinem Vaterlande verzagte, wie Sie an Ihrer
Stadt, und dann erst, wenn auch seine Lage sonst mit der Ihrigen nicht zu ver-
gleichen, mit seinem Vermögen in die vergeblich gefürchtete Zerrüttung kam, da
das 'gesunkene Pr.[eußen] einzelne Gelehrte mit 6000 Thlr. fortwährend besoldete;
muß Ihnen vorzüglich den schnellen Lauf unserer Kriege zu bedenken geben, daß
meist die Gefahr, ehe der Flüchtling entronnen, vorüber ist. Auch die ungewohnte
Stille des Landes ist einem Mann, der nach tiefen Studien, an den Mittelpunkt
einer größeren || Anzahl junger feuriger. Männer gewöhnt war, vielleicht oft lästig,
wenn auch zu anderer Zeit wohlthätig. Das Geschäft des Erziehers auf einem
weiteren Standpunkt ist in meinen Augen das Kösthchste, aber es wirkt langsam,
überall sind Steine des Anstoßes, und an eine Entzückung wie sie der Vortrag der
Katheder erregt, und oft plötzlich den Mann umwandelt, ist bei Knaben nicht zu
denken. Aber in Breslau wäre Ihre Lage wie dort? Noch ehe Sie nach Königsberg
gingen gab ich mir Mühe Sie dorthin zu ziehen, allein die Errichtung der Universität
verzögerte sich, und als sie nun wiiklich gegründet ward, glaubte ich Sie duich
Ihre Gattin gefesselt, waren alle Gerüchte ungewiß, bis endlich mit dem Tode
meiner GeHebten mir Schlesien fremd ward wie jedes andere Land, ich in der Un-
ruhe einzig Ruhe finden zu können wähnte. Vielleicht hätte ich doch etwas ver-
sucht, wären nicht alle Ernennungen in Berlin geschehen wo ich gänzlich unbekannt
bin; vielleicht auch daß ich Ihren Anblick scheute, der Sie mich in besserer Zeit
kannten. Ist auch eine neue Universität für einen Lehrer der Philosophie zu
wünschen? war nicht bei leicht excentrischen jungen Leuten Steffens zu fürchten,
schon früher in Schlesien von Halle her bekannt? Sonst ist Niemand von Bedeutung
dort, und ich bin zweifelhaft ob ich nun nicht gradezu an || Nikolovius schreiben
soll, wiewohl ich ihn nicht kenne, wollte Sie aber zuvor fragen. Mit welcher
Stirn hätte ich aber mich und mein dereinstiges Beginnen als einen Grund anführen
können? Noch habe ich nichts gethan, das Zutrauen der Eltern zu verdienen;
einzelne Knaben fänden sich wohl, aber ein Institut das nicht von vorn seine Er-
*) 4 S. 40. N. Im 2. Bande der Briefe S. 80 ff. steht ein Bruchstück
eines Briefes ohne Datum. Ich habe es mit „Juni 1812'' datiert. Jetzt findet sich
im N. der Anfang des Briefes. "Wie sich ergibt, war die Datierung richtig, er ist
am 2. Juni 1812 geschrieben.
Nachtrag zu 1812. j5q
Ziehung beginnt scheint mir wie das von Fellenberg einzig dadurch verdorben, und
weiche ausgebreitete Bekanntschaft gehört nicht dazu, nur ein Dutzend von gleichem
Alter zusammenzubringen! Wäre ich jetzt so wohlhabend als ich es einst wahr-
scheinlich seyn werde, wäre nur mein Gut in gehöi-igem Stande, so würde ich unter
die Kostgänger ärmere Knaben mischen, aber das kann ich jetzt nicht, bei zwanzig
Tausend Thaler die mir als Aussteuer gegeben wurden, und wenn ich auch bei
meinem Gutskauf vielleicht das Doppelte gewonnen, so ist dieser Gewinn doch erst
dann möglich, wenn ich dem König meine Schulden bezahlt, dem ich bis dahin
seine niedrigen Papiere zu 4pr.ct. verzinße, und Brecheishof sich durch eine höhere
Kultur auszeichnet, wo es denn freilich mich einzig und allein reich macüen könnte.
Büchei- schreiben, aus fremdeni Grund, um bekannt zu werden, mag ich nicht, und
überdieß scheinen mir meist alle Bücher so weitschweifig, daß mich Niemand lesen
würde. Ich hatte mir daher vorgenommen || einstweilen aufs Frühjahr eine Armen-
sehule zu errichten, und durch höhereu Landbau wie Fellenberg die Aufmerksamkeit
meiner Mitstände zu erregen, zugleich auf bessere Zeiten und mehr Geldkräfte
wartend; ich hätte überdieß dann mehr Kenntnisse und vielleicht auch eine bessere
Stimmung besessen. Wie nahe mir aber mein Plan jederzeit war, davon sey Ihnen
die Freude Zeuge in die mich Ihr Vorschlag versetzt. Gern und freudig trete ich,
wenn Sie noch wollen, mit Ihnen zusammen, wenn es möghch ist etwa ein Dutzend
gleichaltriger Knaben aufzutreiben; in die Geschäfte der Direction theilen wir uns,
ich übernehme überdieß alle ökonomischen Angelegenheiten, während Sie möglichst
viel Zeit für Ihre Studien retten, wenig Stunden geben, dafür aber in Zeiten der
Muße einzelne Unterrichtsfächer vorläufig ausarbeiten, und die nöthige Schriftstellerei
des Instituts übernehmen. Für mich würde ich die ersten religiösen und histori-
schen Vorbereitungen und den Homer den ich schon einmabl mit meinem Bruder
las, wünschen, Ihnen übrigens völlig freie Wahl überlassend, selbst diese zwei Dinge
nicht ausgenommen. Unfähig bin ich vielleicht, zu den früheren Vorbereitungen
der Mathematik, würde mir aber Gewalt anthun; Musik, Zeichnen, Naturkunde ver-
stehe ich nicht. Neben uns noch zwei Lehrer (Fortsetzung Bd. IL S. 80 ff.j.
830. Karoline von Grote an Freih. von Richthofen über Herbart.')
„Mit welchem Verlangen ich auf Herbarts Antwort harre, kann ich Dir gar
nicht beschreiben. Mir ist nur vor einer Sache bange, daß nämhch Herbarts Frau,
an das Stadtleben in Königsberg gewöhnt, Herbart mehr ab- als zuraten und so
doch wenigstens die Sache in die Länge ziehen wird, wodurch auch Dir die Freude,
recht bald in diesem erwünschten Kreise zu leben, geraubt wird. . . .
Ich habe nur einmal mit der Großmutter von Herbarts Vorschlägen gesprochen
sie freute sich darüber, weil wenn alles zu Stande käme, dies Dir ein recht lebendiges
Interesse geben würde, nur fürchtete sie mit mir, daß es doch Herbart vielleicht
schwer werden würde, diesen festen Entschluß zu fassen.''
831. Freih. von Richthofen an Karoline v. Grote über Herbart.
2. Juni 1812.
„Ich muß gestehen, daß ich manches von Herbart übel Berechnetes, manches
Chimärische darin zu sehen glaube, aber Du kannst leicht denken, mit welchem
Entzücken ich auch nach dieser leisesten Hoffnung hasche. Meinen heutigen Morgen
habe ich verwandt, Herbarts meist nur angedeutete Vorschläge ausführlich zu be-
•) Nr. 830, 831. 832. 834 sind der oben S. 150 Anm. 1 erwähnten Biographie
ßichthofens entnommen.
I70 Nachtrag zu i8l2.
antworten, und wenn es geht, wie es doch nicht unmöglich ist, so bin ich übers
Jahr bereits in dem schönsten Wirkungsijreise. Daß ich auch auf Dich, mein
süßestes Kind, dabei rechne, wie bei allem, begreifst Du. Vielleicht reiht sich dann,
unter der weiblichen Leitung einer tüchtigen, kinderlosen Vorsteherin, auch eine
weibliche Anstalt an die größere an, und mannigfache Versuche mit Armenschulen
gehen daneben fort. Ich weiß, es sind wahrscheinlich Phantasieen, aber wenn ich
bedenke, was ich mit Herbart leisten könnte, so schwillt mein Herz in der schönsten
Hoffnung, so sehe ich im Geiste Brecheishof als einen ijädagogischen Mittelpunkt
von hoher Bedeutung für das Wohl der Menschheit. Du fragst, wie Herbart darauf
gekommen? (Alles sind nur noch leise Andeutungen.) Bedeutender Verlust, den
das Vermögen seiner Frau erlitten, der drohende Krieg mit seinen Übeln, ein ihm
verderbliches Klima (in Königsberg), der Wunsch, mancherlei pädagogische Er-
fahrungen zu machen. — — — Aber ich fürchte, er kann die Stadt und den
Katheder nicht entbehren! Das Institut kann seinen Unterhalt nicht bestreiten, und
die Regierung wird jetzt nichts darauf verwenden können, und so zerschlägt sich
wohl das Ganze; — auch auf meinen Vater ist Rücksicht zu nehmen. — Aber was
sagst Du dazu? Du hast meine Pläne gewußt. Du hast mein Zusammentreten mit
mehreren Männern erwarten müssen; was solltest Du gegen meinen und Eures
Hauses alten Freund haben? Seine Frau scheint sehr liebenswürdig, und mein
Glück wiegt die Unbequemlichkeiten gewiß auf. Ich bin fortwährend in der höchsten
Bewegung. Freude und Trauer und Sorgen und Gleichgültigkeit, alles geht durch-
einander."
832. An Freih. von Richthofen. i5- Juni 1812
,,Der treue Ausdruck echt freundschaftlicher Gesinnungen, in Ihrem
gedankenreichen Briefe, mein Teurer, hält mich dafür schadlos, daß
fürs erste wenigstens die Möglichkeit verschwindet, aus meinen neulich
hingeworfenen Gedanken einen Plan zu bilden. Wir haben in diesem
Augenblick Beide nicht die nöthigen Mittel in 'den Händen. Zweierlei
ließ sich denken: entweder Sie errichten eine große Anstalt, die mir
einen Platz und die gewünschte Gelegenheit darböte, Ihr Wirken zu
fördern, oder aber ich wagte eine Unternehmung, wozu ich denn außer
meinen Kapitalien noch beträchtliche Vorschüsse von Ihnen bedurft hätte,
deren Erstattung mir der Gewinn der Anstalt nach einigen Jahien mög-
lich gemacht haben müßte. Auf beide Fälle wäre die Last einer ersten
Auslage auf Sie gefallen. Daß Sie diese jetzt nicht tragen können, legt mir
Ihr Brief klar vor Augen."
833. Richthofen an H. (1 Kärtchen. N.) [Ohne Datum, Juni 1812?]
Tages darauf
Ich schrieb gestern in solcher Bewegung daß es sich wohl ziemt heute noch
ein ern.stes Wort hinzuzufügen. Der Gedanke Sie wollten eine Zeitlang meinem Ziel
gemeinschaftlich leben, es befördern und mir die nöthige Hilfe schenken, hatte mich
entzückt, das Gegentheil betrübte mich; aber wenn dieser Entschluß Ihnen nur leine
Stunde lang ernst war, so- müssen Sie denke ich darauf zurückkommen. Zusammen
können wir mehr wiiken als allein, und Sie können sich mit nichts als den Wissen-
schaften beschäftigen || alle widrigen Aeußerlichkeiten sind nicht für Sie. Pestalozzi
kam dadurch in die größte Verlegenheit, sah sein Vermögen verlohren, seine Wirk-
samkeit vernichtet, war dem Wahnsinn nahe! Sie sind freilich der Gefahr nicht aus-
gesetzt. So glaube ich denn noch nicht alles aufgeben zu müssen; höchstens wäre
Nachtrag zu 1812. jyj
die Saclie verschoben, aber womöglich nicht zu lange; möge Sie Ihnen fortdauernd
am Herzen liegen, und sie in die Wirklichlceit eingeführt werden.
In Jühnde siehts traurig aus; ich war jüngst einige "Wochen dort. Die Groß-
mutter steht am Rande des Grabes, eine der herrlichsten Frauen. Wilhelms Frau
erhohlte sich langsam von gleicher Gefahr. Augusts Brust ist sehr angegriffen. R.
834. Karoline v. Grote an v. Richthofen.
„Wie leid hat mir's gethan, daß Herbarts Antwort so wenig Deinen Wünschen
und Hoffnungen entspricht. Ich gestehe, daß ich nicht recht begreife, was Herbart
darunter versteht, Du könntest nicht hinlänglich darauf verwenden. Er kannte ja
Deine Umstände, warum zweifelt er denn nun auf einmal? Der Himmel gebe, daß
die zweite Antwort besser ausfällt; ich wünsche es von ganzem Herzen nach allem
Betrübten, was Du erlebt!"
835. Carl Steiger an H. (4 S. 8*. N.)
Appelteren bey Nimwegen d. lOten Juliy 1812
Bester Freund! Obschon ich keiner Antwort mehr von Dir gewürdigt werde,
kann ich nicht umhin mich dieser Gefahr noch einmal auszusetzen. Im Begriff
dies Land mit Frau und Kind zu verlaßen um nach der Heymath zurück zu kehren,
muß ich Dich dessen berichten in der Hoffnung Deine Briefe werden vielleicht den
alten Weg nach der Schweiz besser finden als nach HoUand. — Bald wird unsere
Familie wieder beynahe ganz in Riggisberg vereinigt seyn mit. Ausnahme des guten
Rudolf, der noch in Cadix ist und uns letzthin von Tanger aus geschrieben hat.
Er ist übrigens zufrieden und gefällt sich in der belagerten Stadt, wo BäUe, Concerte,
Maskeraden und Lustbarkeiten dieser Ait keineswegs durch das Bombardement der |j
Franzosen gestört werden. Der Junge ist nun schon weit in der Welt herum ge-
kommen. Jedermann der ihn gesehen hat spricht mit sehr viel Lob von ihm, er
soll sich unter den Offizieren seines Eegiments auf das Vortheilhafteste auszeichnen
von denen er geschätzt und geliebt wird. In Messina wollte ihn der dort comman-
dircnde Engl. General eben zu seinem Guide de Camp, machen als unglücklicherweise
das Regiment Befehl erhielt sieh einzuschiffen. — Ludwig ist endlich mit Frau
und Kind auf dem Continent angekommen, vor ein paar Tagen erhielt ich einen
Brief von ihm mit dieser Nachricht von Paris, wo er einige Wochen sich auf-
zuhalten dachte ehe er seine Reise nach dem Vaterlande fortsetzen würde. Er
scheint in jeder Rücksicht auch glücklich verheyrathet zu seyn. Du kannst Dir
denken, mein Lieber, wie sehr unsere || heben Eltern sich auf den Augenblick freuen
so viel Kinder und Kindeskinder in ihre Arme zu schließen. Mein guter Vater ist
letzten Winter hindurch sehr krank gewesen, und beginnt erst seit wenigen Monaten
sich wieder zu erhohlen. Die Gesundheit meiner Mutter wechselt immer noch sehr.
Die bevorstehende Vereinigung der Ihrigen wird die beste Arzney für sie seyn. —
In dieser ganzen Zeit habe ich nur indirecte Nachrichten von Dir gehabt, durch
einen jungen Menschen aus Gotha den Professor Benecke als Hauslehrer für meinen
jüngeren Schwager hieher geschickt hat. Dieser sagte mir Du seyest heftig von
Deinen Gegnern angegriffen worden, daß aber Dissen und Thiersch sich anschickten
Deine Vertheidigung zu übernehmen. Ich hörte übrigens mit \-iel Freude daß
Dissen || fortfährt Deine Collegien mit großem Beyfall in Göttingen zu lesen und
unter den philosophischen Docenten der geschätzteste ist. Was ist doch aus Tölken
geworden? ich dachte er würde nicht so lange wai-ten in der literarischen Welt
aufzutreten. Ich frug Dich auch schon mehrmal nach Grote und Rahden; aber
vor allem nur frage ich nun nach Dir und Deinen Verhältnissen von denen ich
nichts weiß. Ich fange beinahe an zu glauben Du seyest auch verheyrathet, oder
j-2 Nachtrag zu i8i2.
wenigstens im Begriff es bald zu seyn. Du würdest vielleicht noch mehr eilen
in diesen Stand zu treten, wenn Du wüßtest wie glücklich ich mich darin befinde.
Meine kleine Sophie wird alle Tage artiger und verspricht sehr viel. Sie entzückt
Vater und Mutter gleich\iel. — Möge der alte Lehrer doch einmal dem Beyspiel
des alten Schülers nachfolgen. Ganz der Deinige Steiger.
836. E. H. Toelken^) an H. Göttingen den 20. Juli 1812.
Hochzuverehrender Herr Professor, Schon anderthalb Jahre bin ich jetzt aus
Italien zurück, und von Monat zu Monat habe ich seitdem es verschoben Ihnen
Nachricht von mir zu geben. Je lebhafter ich fühle, was ich Ihnen verdanke, um
so schwerer wird es mir nach so langer Trennung den ersten Brief anzufangen und
mein Stillschweigen zu entschuldigen. Vor drei Jahren schrieb ich Ihnen indeß aus
Kom, welcher Brief aber mit noch zwei anderen an Dissen und noch einen Freund
verloren gegangen seyn muß. — Die fünf vergangenen Jahre waren die glücklichsten
meines Lebens, reich an Erfahrungen und Freude; jetzt kommen Arbeit und Ernst
an die Reihe. Seit der Veränderung des Schicksals meiner Vaterstadt habe ich den
Entschluß gefaßt, ganz den V^issenschaften zu leben und bin jetzt in der Absicht
hier, Collegia zu lesen, und zwar diesen Winter insbesondere die praktische Philo-
sophie nach Ihren Grundsätzen. Vorigen Winter las ich über einen Zweig der
Archäologie öffentlich. ||
Jetzt muß ich wegen eines kleinen Geschäftes von Ihnen mir Auskunft er-
bitten. Der Hej'r Prof. Dissen hatte bei seinem Abgange nach Marburg mir auf-
getragen, eine kleine Summe, welche der Jude Meyer seit mehreren Jahren Ihnen
schuldig gewesen, für Sie einzukassiren. Ich habe Mos das Kapital, 40 Thlr. Münze^
erhalten können; Zinsen zu bezahlen weigerte er sich durchaus, weil er bei den
Staatspapieren, die er damals von Ihnen gekauft, ganz entsetzlichen Schaden gehabt
habe. Jetzt bin ich aber in Verlegenheit, 'wie ich dies Geld Ihnen übermachen soll.
Es baar der Post anzuvertrauen, ist wol nicht zu wagen, und dazu würden die
Eeisekosten das kleine Sümmchen beinahe verzehren. Ich bitte Sie also mir doch
ein Königsberger Haus zu nennen, welches Verbindungen in einer Westphähschen
Stadt hat, um Ihnen einen Wechsel senden zu können.
Mein Leben hier ist nicht eben das erfreulichste. Seit Dissen's Abgang hatte
ich nur noch einen herzlichen Freund hier, den Prof. Goede. Seit 3 Wochen hat
der Tod mir ihn entrissen. Diesen Winter lebte ich sehr glücklick im Umgang mit
dem ältesten H. v. Grote und seiner liebenswürdigen Gemahhn, welche ihn hier mit
einer zweiten Tochter erfreute. Jetzt sind beide Brüder, der jüngere, August, nach
Wiesbaden, Wilhelm nach Driburg ins Bad gereist; so daß auch Jühnde verfassen
ist. ;| Die gewöhnliche Gesellschaft in Göttingen kennen Sie, wie kalt, wie ab-
schreckend sie ist. Dies macht, daß ich beinahe Lust hätte, Göttingen zu veriassen
und nach Berlin zu gehen. Außerdem hat noch manches mich hier gekränkt..
Diesen Sommer wollte ich Archäologie lesen; allein man machte mir so viele Be-
schwerden, wegen des Benutzens der Kupferstiche auf der Bibhothek, daß ich meinen
Plan lieber aufgab. Auch wissen Sie, wie fest eingewurzelt hier der Gebrauch ist,
daß jeder sich nur. auf seine Brodstudien beschränkt, so daß selbst mit philosophi-
schen Vorlesungen ich einen ausgebreiteten Wirkungskreis mir schwerlich ver-
sprechen darf. In der That in Beriin zu leben, und dort dem immer überhand
nehmenden philosophischen Traum- und Schaumwesen nach bester Kraft mich zu
widersetzen, erscheint mir mit jedem Tage wünschenswerther. So vieles, was ich
1) 4 S. 4°. N. — E. H. Tölken (1789—1869), später Prof. der Kunstgeschichte-
und Abteilungsdirektor am Königl. Museum in Berlin.
Nachtrag zu 1812. lyi
mit großer Anstrengung in mir auszubilden gesucht habe, muß hier gänzlich ver-
gehen. Machen vielleicht Ihre Verbindungen es Ihnen möglich mir einen ßuf dort-
hin zu verschaffen, wenn auch mit noch so geringem Gehalt, oder selbst mit dem
bloßen Titel als Professor: so würden Sie nicht blos mich glücklich machen, sondern
ich schmeichle mir auch, einen angemesseneren Wirkungskreis zu finden, als ich
hier hoffen darf.
Vielleicht erinnern Sie sich in der Jenaischen Zeitung eine Erklärung gelesen
zu haben, daß zwei Ihrer || Schüler Ihre Pädagogik gegen eine hämische Recension
vertheidigen würden. Es waren Dissen und ich. ^) Wir glaubten, es sey irgend ein
berühmter Mann, der diese Kränkung Ihnen bereitet hätte, und dachten gegen einen
ehrenvollen Gegner die Sache der Wahrheit aufs beste zu verfechten. Seitdem
aber ein so obscurer Mensch wie der Jeukauer Rector sich zu dieser Recension
öffentlich bekannt hat, so sind wir fast der Meinung, daß es sich nicht der Mühe
verlohne, durch eine ernsthafte Antwort jenem leeren Gerede eine unverdiente
Wichtigkeit zu geben. Auch macht der Buchhändler H. Röwer mancherlei Schwierig-
keiten. Indeß soll es auf Ihre Entscheidung ankommen ; und auf jeden Fall bitte
ich mir Ihren Rath aus, auf welche Art Sie glauben, daß den Lehren Ihrer Päda-
gogik, durch eine neue Darstellung ,am besten Eingang zu verschaffen wäre. Es
ist mein einziger Wunsch wenigstens die wissenschaftliche Ehre unserer Nation zu
retten; denn wie jetzt die Dinge verhandelt werden, ist sehr zu fürchten, daß wir
im Glauben der Ausländer auch diese letzte Ehre verlieren.
Meine Wünsche wegen eines Rufes nach Berlin empfehle ich Ihrer Freund-
schaft, und bin mit der herzlichsten Verehrung und Liebe der Ihrige
E. H. Toelken, Dr.
Den plötzlichen Tod Heynens werden Sie aus öffentlichen Blättern wol schon
erfahren haben.
837. Clemens-) an H. (4 S. 4«. N.) Gumbinnen d. 9. Novb. 12.
Verehi'ungswürdigster Herr Professor! Mein ausführlicher Entwurf des Lehr-
plans für die hiesige Schule wird Ihnen wohl schon zu Gesicht gekommen sein.
Ich wünsche, daß der Aufsatz wenigstens einigermaßen Ihren Beifall erhalten möge.
Mühe habe ich mir zwar gegeben, verschiednen Lehrfächern eine andre Stellung an-
zuweisen und auch die Lektionen in eine genauere Verbindung zu bringen; aber
noch ist alles nicht so, wie ich es wünsche. Es war durchaus meine Absicht, der
Odysee wenigstens eine Stelle in Tertia in 4 St. wöchentl. einzuräumen; aber auch
das ließ sich vorläufig noch nicht thun. In Quarta wünschte Beckers Erzählungen
aus der alten Welt zu benutzen; aber da mußte ich noch auf die Erzählungen aus
dem alten Testament in historischer Beziehung Bedacht nehmen.
Man hat in der That in öffentl. Schulen mit sehr großen Schwierigkeiten zu
kämpfen, die noch größer sind, wenn mit den unteren Klassen zugleich eine höhere
Bürgerschule verbunden seyn soll.
Hoffentlich wird doch auch durch den von mir entworfenen Lehrplan schon
sehr viel Gutes bewirkt werden, und ich werde mich sehr freuen, von der wissen-
schaftlichen Deputation Belehrungen zu erhalten. Es wird mir auch sehr angenehm
sein, wenn Sie die Güte haben, mir noch besonders || Ihre Bemerkungen mitzutheilen.
Das mir vorgesteckte Ziel die Odyssee wenigstens in Tertia lesen zu lassen,
hoffe ich nach einiger Zeit zu erreichen; denn ich bin ganz überzeugt, daß Homers
^) Dahin sind Kehrbachs Bemerkungen in Bd. IT, S. X zu berichtigen, bezw.
zu ergänzen.
-) An den Reg.- und Schul-Rath Clemens in Gumbinnen hat Herbart die Bei-
lage zur 2. Ausg. der Einl. i. d. Phil, gerichtet. S. Bd. IV, S. 271 ff.
jjA Nachtrag zu 1812.
Odyssee io Betreff des erziehenden Unterrichts bei einer zweckmäßigen Behandlung
von der größten Wichtigkeit ist.
Es wäre nur zu wünschen, daß mit dem Griechischen in öffentlichen Schulen
noch vor dem Lateinischen der Anfang gemacht werden möchte: Alles ließe sich
dann im Lehrplan besser anordnen.
Der Rec. der Geschichten und Lehren von Kohlrausch in dem 31ten Stück
der Göttinger Anzeigen meint zwar, daß das Latemische schon deshalb früher an-
gefangen werden müsse, weil es nach dem ganzen Zustande unserer wissenschaft-
lichen Kultur bei der lat. Sprache Bedürfniß ist, sie nicht blos zu verstehen, sondern
auch zu sprechen und zu schreiben; das Bedürfniß dieser größeren Fertigkeit setze
auch ein früheres Anfangen des Erlernens voraus. Ich kann dem wol nicht ganz
beistimmen und bin auch überzeugt, daß durch das Griechische dem Lateinischen
sehr vorgearbeitet wird.
Möchte die wissenschaftliche Deputation nur die Güte haben in ihrem Ant-
wortschreiben das frühere Anfangen der griechischen Sprache sehr zu empfehlen,
damit ich mich auf dieses Urtheil auch hier bei der Regierung berafen kann. Denn
es gibt in dieser Provinz leider gar zu viele graecarum litterarum rüdes.
Noch bemerke ich, daß Kohlrauschs Geschichten und Lehren nebst dessen An-
leitung für Volksschullehrer auf meine Veranlassung in allen Volksschulen des
Departements g-braucht worden sollen und daß zu diesem Behuf voriäufig bereits
200 Exemplare aus der Waisenhausbuchhandlung |] für einen etwas wohlfeileren Preis
verschrieben worden sind. Die Geschichten werden aber auch mit Benutzung des
Handbuchs in den gelehrten Schulen gebraucht werden.
Da durch die Beförderung des Gebrauchs die erste Auflage bald vergriffen
sein wird: so werden Sie sich, verehrungswürdigster Herr Professor ein großes Ver-
dienst um die gute Sache erwerben, wenn Sie die Güte haben, den Verfasser noch
auf einige Verbesserungen aufmerksam zu machen und ihn zu einer genauen Revision
aufzufordern.
Doch ich komme zu dem eigentlichen Zweck meines Schreibens.
Ich habe bereits die wissenschaftliche Deputation ersucht für die Ausmittelung
Tüchtiger zu sorgen. Da die hiesige Regierung glaubt, daß im Königreich Westphalen
vielleicht geschickte Subjekte werden zu haben sein; so habe ich den Auftrag er-
halten, mich deshalb mit einer Bitte an Sie zu wenden, da Sie vielleicht mehrere
von den ehemaligen Mitbürgern der Göttinger Universität kennen werden, die als
geschickte Männer zu empfehlen sind und die auch einen auswärtigen Ruf annehmen
möchten. Es sind hier jetzt 3 Lehrstellen zu besetzen.
1. eine Oberlehrerstelle mit 600 Thlr. fixierten Gehalt für die griechische und
lateinische Sprache und Religion.
2. eine ünterlehrerstelle mit 500 Thlr.
3. eine Unterlehrerstelle mit 400 Thk.
Es gibt aber keine Emolumente weiter. Die Lebensmittel sind hier aber nicht
sehr teuer. Für einen freien Postpaß wie für Reisegeld wird auch noch gesorgt
werden. ||
Vielleicht würde H. Doktor Lünemann in Göttingen die Oberlehrerstelle an-
nehmen. Vielleicht sind auch in Ihlefeld tüchtige Subjekte, denen es auch nicht an
Erziehertalent fehlt.
Weil die baldige Besetzung der Stellen sehr dringend ist: so habe ich auch
schon früher an den alten Professor Heyne geschrieben.
Ihre Verwendung wird aber für unsere Friedrichsschule am wohltätigsten sein,
w-eil Sie am besten wissen was für Eigenschaften tüchtige Schulmänner haben müssen.
Nachtrag zu 1812. 17 s
Ich bitte Sie nochmals recht sehr, sich unsrer Schule anzunehmen und für
tüchtige Lehrer mit zu sorgen.
In der Hoffnung, daß Sie meine gehorsamste Bitte erfüllen werden, habe ich
die Ehre mit größter Hochachtung zu sein Ihr ganz ergebener Clemens.
838. Richthofen an H. (4 S. 4». N.) Berlin Hotel de Russie 28stenDec. 1812.
Fast sollte ich mich schämen, Ihnen theuerster Freund so lange kein Wörtchen
gesagt zu haben ungeachtet Ihres so freundlichen Geschenks, allein anfänglich
raubten mir verschiedene Reisen die zu einem solchen Buch nöthige Ruhe, und bald
darauf traf mich ein Unfall, der meinen guten Muth, ohne den ich ungern vor
Ihnen erscheinen wollte, niederdrückte. Kaum war meine erste Erndte geborgen,
so verzehrten Flammen meine sämtlichen Oekonomie-Gebäude mit ihrem Inhalt,
und ich sehe mich nicht nur um 20 000 Thlr. ärmer, sondern auch in den alier-
unangenehmsten Verlegenheiten. Vergeblich hatte ich mich in eine Assekuranz-
Gesellschaft begeben; erst emige Wochen später würde ich davon Vortheil gezogen
haben; mein reizendes Brecheishof ist ein Aschenhaufen. Eine Reise nach Berlin
war unvermeidlich; Sie wissen wie wenig ich zu dergleichen geeignet bin, und
schon treibe ich || mich seit drei Monden in widrigen Kreisen umher. Der Zeitpunkt
meiner Erlösung sollte auch der eines Briefes an Sie seyn; aber noch trat sie nicht
ein. Unterdeß ist Weihnachten herbeigerückt; und mit ihm der Termin meiner
Zahlungsverbindlichkeiten. Ich eile um so mehr Sie zu befriedigen, da die jetzigen
Zeitverhältnisse auch für Sie wahrscheinlich bedeutende Opfer herbeiführen, und da durch
die leidige Vermögenssteuer auch Ihre Forderungen an mich geschmälert wurden, so
glaubte ich Ihnen einen Gefallen zu erweisen wenn ich die Interessen des nächsten
halben Jahres praenumerando hinzufügte. Sie werden laut beiliegender Berechnung
die Summe von 231 Thlr. 12 ggr. courant gegen Quittung von Herrn Wolf Oppen-
heim ohne weiteres ausgezahlt erhalten. Weil die Wege vielleicht nicht mehr ganz
sicher seyn dürften || so schien dieß das zuverläßigste Mittel der üebersendung.
Ich habe das Geld hier an das Haus Oppenheim und Wolf gezahlt, und dieß bereits
an das obengenannte seine Anweißung an Sie ertheilt. Haben Sie die Güte das
Geld bald möglichst einzufordern, und mich mit umgehender Post von der erfolgten
Zahlung zu unterrichten. Verzeihen Sie doch ja daß ich die bewußte Obligation
über die neuen eilfhundert Thaler Ihnen noch immer nicht sandte; sie sollte jenen
Brief begleiten, und dieß schien mir heute gefährlich. Sobald die Wege wieder
sicher sind, sollen Sie sie gewiß erhalten, bis dahin sind Ihnen meine Briefe, mein
und der Meinigen Leben Bürge.
Um Sie und Ihre Frau ist mir sehr bange; möge es Ihnen gut gehen mögen
Sie weder von Freund noch Feind Ungemach erleiden. Das Übelste sind Krank-
heiten, die Ihnen bei Ihrer Kränklichkeit leider so sehr drohen: aber Sie müssen
noch leben, Geliebtester, um Ihres Werkes und um Ihrer Freunde willen; vielleicht
daß auch uns ein günstiges Geschick dereinst noch zusammenführt. Es ist mir
gelungen hier manche Bekanntschaft anzuknüpfen, die vielleicht auch für meine
Pläne für die Zukunft gut seyn mögen. Zwar neigt sich manches zu Grabe, das
nun schon so viele meiner Geliebten umschließt, aber in der Ferne leuchtet ein
gutes Gestirn. Es ist schwer sich der Melankolie zu erwehren, und zugleich schlägt
die Brust voll Hoffnungen der Zukunft und Gegenwart.
Leben Sie wohl, Freund, seyn Sie glücklich im Stillen, und lieben Sie Ihrea
herzlichen Freund. C. FreiheiT v. Richthofen.
An Ihre Frau herzliche Grüße.
j-^ Nachtrag zu 1813.
S39. Frau Herbart an H. (2 S. 4°. N.) Memel, den Datum weiß ich nicht
der Tag ist aber Dienstag 1813.
Liebster einziger Herbart Zuerst will ich Dir erzählen, daß ich Sonntag Abend
glücklich in Memel angekommen bin, und denn um Entschuldigung bitten wenn ich
in meinem Briefe Sprachfehler mache, ehe ich weiter schreibe; ich wollte morgen
mit dem alten Herrn Ruppel zurückreisen, aber meine Geschäfte sind so im Hinter-
grunde, daß es mir unmöglich ist. Diese Woche muß ich noch hier bleiben, weil Herr
Wolfgram verreist ist, und ich bitte sehr um einen Brief, und himmelhoch am
etwas anderes; nemlich Meines Vaters Bruder will mir seine älteste Tochter in
Pension geben, sie kann bei dei Anna in der Stube schlafen, und muß das auch
weil sie nicht allein sein kann, ich habe nur eine mäßige Forderung gemacht, aber
eine die mich unterstützt; es ist ein liebes Mädchen von acht Jahren, und hättest
Du meine Freude gesehen Du könntest es unmöglich abschlagen — Das Kind hat
Fähigkeiten ist aber krank gewesen — und hat wenig gelernt, sie hat viel Talent
und Lust zur Musik. Anna möchte doch sagen lassen, wie es dem Herrmann geht,
wir sind beide gesund wie es mir weiter geht, werde ich Dir mündlich sagen, und
aufhören muß ich, weil ich bei Madam Hölsche zum Kaffee bin. Du Einziger
ängstige Dich || nicht, ich muß noch bleiben und kämpfen, denn sie wollen mit
Gewalt Vermögens-Steuer von den Zinsen bezahlen. Lebe wohl Du Guter, wenn
ich komme, habe ich vieles zu erzählen; ach Gott, wie werde tch gerne kommen.
Schreibe doch nur und sage wie es Dir geht, ich verbleibe
Deine Marie bis in den Tod, lieber lieher Herbart.
Adr.: Des Herrn Professor Herbart auf dem Roßgärtschen Markt No. 31 bei
dem Stadtrath Wittulski Königsberg.
840. A. Luber an H. (4 S. 4". N.) [über eine von ihm verfaßte Meta-
physik]. Libau den I9ten Märtz 1813.
841. Richthofen an H. (4 S. 4". N.) Barzdorf den 5ten Apr. 1813.
Ihren Brief mein verehiter Freund und Lehrer, habe ich empfangen, mich
herzlich darüber gefreut, und danke Ihnen nunmehr auf das innigste dafür. So
erfreulich mir auch seine Beilage war, so versteht sich wohl von selbst daß dieser
Dank vorzüglich, die Versicherungen Ihres Wohlwollens betrifft; seyn Sie mein
theurer Herbart überzeugt, daß ich Ihre Freundschaft zu schätzen weiß, und daß
ich nie aufhören werde Ihnen im Innern meiner Seele zu danken, gleich sehr für
die Einführung in den Tempel der Philosophie und die in das Grotesche Haus.
Aber herzlich wehe thut es mir, daß Sie die Welt aus einem so getrübten Gesichts-
punkt anzusehen scheinen; auch Sie haben manches traurige erfahren, aber Ihnen
ist noch viel geblieben, Sie besitzen eine geliebte Gattin, und das Bewußtseyn Ihre
Wissenschaft gefördert zu liaben, und sejm Sie überzeugt es wird so mancher
Keim sich entwickeln und Früchte tragen; freilich thut uns Ihre Hülfe noch Noth,
und müssen Sie darum Ihr Leben schonen. ||
Es wird mich freuen Ihre gegenwärtigen Arbeiten kennen zu lernen, mich
beschäftigen jetzt .welche anderer Art, die wenn auch freilich nicht von gleicher
Höhe, doch vielleicht ein Mittel zu künftiger Wirksamkeit sind, ßrechelshof erfreut
mich sehr, und ganz vorzüglich weil seine üpi)ige Fruchtbarkeit eine Gelegenheit
geben wird nach Fellenbergs glückhchem Beyspiel arme Kinder zu beschäftigen und
zu erziehen; ich werde damit vielleicht schon künftiges Jahr beginnen, wo vielleicht
auch mancher andere Plan näher rückt. Ueberall giebt es so viel zu thun; alle
meine Kraft will ich dem Vaterland weyhen, aber sie ist oft sehr schwach, und
die Mattigkeit groß.
Nachtrag zu 1813. 177
Pestalozzi thun Sie wohl Unrecht, wenn Sie Zeller der dort verachti-t wird,
als einen Sprößling seines Instituts betrachten ; erinnern Sie Sich wohl wie einst Ihr
Abc der Anschauung zu einem Linienmessen herabgewürdigt worden? Sonderbar
daß man diesen glücklichen || Einfall später im Institut so ganz verkannt, daß er
erst jetzt wieder eingeführt werden soll. ') Kein Pädagog scheint mir leicht erbärm-
licher als jener Schmidt.
In Breslau hat Steffens viel Aufsehen gemacht; ein Philosoph ist aber noch
nicht da; wie glücklich würde ich mich achten, wenn Sie die neue Universität mit
dem kriegerischen Königsberg vertauschen wollten. Dann sollte mein Institut unter
Ihrer Leitung emporbiühen, und es wird einer Meisterband bedürfen, denn wie un-
endlich viel ist noch zu thun, um die Stufen der Zeit und die der Kultur der ver-
schiedenen Völker auszugleichen — vieles ist ganz unmöglich zu erreichen!
Mein Vater läßt sich entschuldigen, daß er nicht antwortet, da ich es über-
nommen. Der Wechsel ist zwar acceptirt aber noch nicht ausgezahlt; gelegentlich
sende ich Ihnen das weitere. Wenn Sie noch mehr haben und schicken wollen, so
soll es mich freuen, ich || bedai-f dessen noch viel, sowohl jetzt als auch später.
Als Freund kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß Sie mir Ihr Vermögen
ruhig vertrauen können. Haben Sie Dank für das Übersandte.
ünterhülzner hat Ihre Idee des Rechts zur Begründung einer Einleitung ins
Recht worüber er liest, recht brav benutzt, wiewohl es nicht schwer war. Da er
jetzt in Breslau ist, so hoffe ich ihm einige begangene Irrthümer gelegentlich dar-
legen zu können.
Grüßen Sie Ihre Frau, und sagen Sie Ihr daß ich gern nach Königsberg
kommen möchte, Sie zu bitten, meinen Freund recht glücklich zu machen. Wohl
dem, dessen Glück so gesichert ist! Ewig der Ihre Richthofen.
Am Rande: Breslau ist auch darum eine gute Universität, weil sie so sicher
fundirt ist.
842. Richthofen an H. (4 S. 4°. N.) Altwasser d. löten August 13
Vor einigen Tagen erhielt ich von Ihnen verehrter Freund einen gütigen Brief,
und ich eile Ihren Wünschen gemäß Ihnen das verlangte Dokument zu senden.
Schon früher würde es geschehen seyn, hätte ich nicht vergeblich auf eine Antwoii
von Ihnen auf meinen Brief Ende Dezembers gewartet, von dem ich auch jetzt
noch nicht weiß ob Sie ihn erhalten haben. Er enthielt zugleich eine Berechnung,
vermöge deren die Ihnen heute unter dem vorjährigen Dato übersandte Obligation
zur Ausgleichung der Ihnen schuldigen Summe um 100 Thlr. höher ausgestellt ist,
wie wir früher ausgemacht, und aus der hervorging daß ich, weil ich glaubte Sie
könnten damahls wegen dem Krieg in Geldverlegenheiten gerathen zugleich die
diesjährigen Johannis-lnteressen praenumerando berichtigt und die Vermögenssteuer
nicht in Anrechnung gebracht habe. So weit von unseren Geldgeschichten. Eine
für meinen Freund wichtige Nachricht habe ich Ihnen über mich selbst mitzutheilen.
Als ich meine unvergeßliche Therese verlohr machte mich ein Freund aufmerksam,
wie sie sichtbar eine Verbindung mit ihrer Schwester gewünscht, und wiewohl mich
dazumahl der Gedanke einer neuen Verbindung empörte, so vermochte mich doch
die Ueberzeugung daß wenig Familien solche Frauen || aufzuweisen vermöchten wie
*) Die Biographie Richthofens (s. 0. S. 150 Anm.) ist bisher in der Pe.stalozzi-
literatur nicht bekannt gewesen, auch Israel führt sie in seiner Pest. -Bibliographie
nicht mit auf. Das Buch enthält einen Brief Pestalozzis und Mitteilungen über
Richthofens Aufenthalt bei dem großen Schweizer.
Hfrbarts Werke. XIX. 12
jyg Nachtrag zu 1813.
die meiner Therese, überdieß die sichtbaren Fortschritte Linchens und ihre Neigung-
für mich, desgleichen Rücksichten auf mein Kind und gleich große Scheu ihm eine
Fremde zur Mutter zu geben, als mein Schmerz mäßiger geworden, mich schon
vor längerer Zeit mit ihr zu verloben. Die Sache blieb ein Geheimniß, weil mir
das Gerede der Menschen widrig ist, und ward erst bekannt, als sie sich ent-
schlossen da mir die politischen Verhältnisse eine Reise unmöglich machten, selbst
zu kommen, und wir am 6ten August unsere Verbindung vollzogen.
Meine treffliche Schwiegermutter und die brave Tante Karoline haben sie be-
gleitet, die herrliche Tante Mine und die von Ihnen nicht genug geschätzte ja sogar
verkannte über alles ausgezeichnete Großmutter sind nicht mehr. Vor allem erfreut
mich mein Knabe; die Lieblichkeit und Lebendigkeit selbst, der mir stündlich das
Andenken der vielgeliebten Mutter zuräckruft, und mir die schönsten Hoffnungen
macht. Linchen ist so daß ich glaube Ihnen zurückschreiben zu dürfen, was Sie
mir einst über Ihre Verbindung schrieben, mein vielgeliebter Freund! ||
Sonst ist es mir freilich nichts weniger als gut ergangen ; als ich voriges Jahr
meine Erndte in die Scheunen gebracht, brannten sie mit allen Vorräthen nieder,
und ich sah mich in einer Nacht um 20000 Thlr. ärmer. Ein langer Aufenthalt
in Berlin um den Schaden zu mildern, war meist ohne Folgen, und gab mir nur
Menschenkenntniß. In dieser Hinsicht war es freilich interessant den Winter als
Rußland triumphirte dort zuzubringen; aber seine Armee war zu schwach und
unsere Rüstung noch zu wenig zum erwünschten Ziele gelangt um den Franzosen
zu wehren. Sie drangen in Schlesien ein und auch Brecheishof ward von ihnen
und den w-ilden Kosakenhaufen aufs Neue verwüstet. Ich ward flüchtig und bin
es jetzt bei Wiederausbruch der Feindseligkeiten von Neuem, doch mit der Hoffnung |
jetzt werde alles gut gehen. So mannigfach auch die Unfälle sind die mich ge- ■
troffen so kann ich dennoch wohl sagen, daß nur Theresens Verlust meine Gemüths-
ruhe auf längere Zeit zu stören vermochte. Alles andere trug ich ruhig und es
war mir meist nur in sofern schmerzlich als meine Erziehungspläne dadurch ver-
zögert wurden. || Doch habe ich die Gewißheit, daß sie mir einst möglich seyn
werden, und nur von dem Früheren oder Späteren ist die Rede. j
Ich habe Ihnen mein theuerster Hei hart manches über mich geschrieben; 1
möchten auch Sie mir über sich recht vieles und erfreuliches schreiben. Zum '
wenigsten wurde Ihnen nicht Ihre Zeit wie mir durch Erbärmlichkeiten geraubt. '
Meine Verwandten lassen Sie vielraahls grüßen, und meine Schwiegermutter I
Sie um gütige Besorgung des inliegenden Briefes an ihre älteste Tochter Lotte ]
Palmedo bitten. Ihre Freundschaft für uns wird Ihnen gewiß Mittel an die Hand ■!
geben, diesen Brief sicher nach England und von dort nach Sardinien zu bringen. .
Sollten Sie Briefe von Lotte erhalten, so haben Sie wohl die Güte das Porto aus- 1
zulegen und mir sie nach Brecheishof zu senden, wohin ich hoffentlich in einigen
Tagen zurückkehre, da man versichert die Franzosen zögen sich zurück. ,
Leben Sie wohl und seyn Sie ferner mein Freund! |
Der Ihrige Richthofen zu Brecheishof bei Jauer. ;
843. Richthofen an H. (4 S. 4«. N.) Brecheishof den 3ten Dec. 13.
Wahrscheinlich haben Sie, verehrter Freund, schon oftmahls auf meine Nach-
läßigkeit gescholten, ehe Sie endlich meinen Brief und das verlangte Attest erhalten |
werden. Hievon war der einzige Grund daß der Kommissarius gegenwärtig das |
Eichsfeld verwaltet, und sein Stellvertreter in die etwas verworrenen Papiere
keine Ordnung zu bringen wußte; bis ich endlich das nöthige Attest selbst aufsetzte, 1
und er nach einigen Wochen hin und her redens sich zu dessen Unterzeichnung ,
Nachtrag zu 1813. 17g
entschloß. Wenn Sie nicht etwa nöthig Geld brauchen werde ich Ihnen daher
dieß Mahl nichts senden: das nach Abzug der 2 7.2 '^'on den sämtlichen 3 noch
übrige 72 P'"- ct. ist wohl nicht der besonderen Sendung werth. Doch bin ich
auch zu Vorschuß wie Sie wissen erböthig. Es ist mir dieser Abzug sehr un-
angenehm, und ich sehe mich nur durch die Betrachtung dazu bewogen, daß wenn
auch Ihr Geld noch in Oldenburg stünde, Sie doch dasselbe zahlen müßten.
Daß es mir sehr übel gegangen darin haben Sie allerdings Recht. So wieder-
hohlte Verluste konnten nicht anders als mich in große Verlegenheit bringen, und
was dabei übler ist als alles andere || ist der große Geldmangel, so daß unter keinen
Bedingungen hier Geld zu haben ist, so sehr ich mir auch Mühe gegeben. Dabei
betrübt mich hauptsächlich meine einst schon so nahen Pläne ganz ins Unbestimmte
hinausgeschoben zu sehen. Doch sind sie darum falls ich meinen Vater überlebe
nicht minder gewiß, und gelingen durch meine alsdann hervorgehende Fälligkeit
zu desto gi-ößeren Opfern um so schöner. Oft schwebt mir auch jetzt noch das
schöne Bild eines vielleicht gemeinschaftlichen Arbeitens mit Ihnen vor meiner
Phantasie, für deren Lebendigkeit ich dem Schöpfer nicht genug dankeu kann.
Haben Sie ja die Güte liebi'ter freund mir alles was sie schreiben und drucken
lassen sogleich zu senden ; ich nehme- an allen Ihren Arbeiten den größten Antheil,
und der Buchhandel liegt jetzt ganz danieder. Wie glücklich sind Sie, während
ich mich in verdrießlichen Dingen umhertreibe! || Sie wünschen uns Glück zu dem
herrlichen Sieg, und ich freue mich mit Ihnen; wird aber je das alte Deutschland
hervorgehen? Napoleons Beispiel, die Kraft seiner Tyrannei, werden auch nach
seinem Falle noch fortleben. Ich kenne zu viele Verhältnisse zu genau, habe zu
viel selbst gesehen, um nicht in diesen Betrachtungen ein starkes Gegengewicht
meiner sonst unbegrenzten Freude zu finden. Gott gebe daß wir einen wahren
Freiheitskampf kämpfen, denn in meinen Augen ist fremde Knechtschaft nicht das
einzige Uebel.
Karl Grote, wohl der ausgezeichnetste seiner Brüder, steht bei dem Wall-
modenschen Korps; "Wilhelm ist nach Oldenburg zurückgekehrt, während die übrigen
dem Herzog treu gebliebenen Räthe sich noch in Eutin befinden. Ich freue micli
daß er endlich wieder thätig geworden, denn er versteht nicht die Muße zu nützen.
August steht an der Spitze der zu Göttingen errichteten || Provinzialbehörde; seine
sehr üble Gesundheit bessert sich. Wilhelms Frau bleibt diesen Winter noch in
Jühnde, und vielleicht thut auch diese Trennung gut, nachdem der erste Rausch
der Liebe längst verflogen.
Unsere herrliche Mutter und Tante Karoline werden hoffentlich für immer bei
uns bleiben, schon meines Kindes wegen, das die Lieblichkeit selbst und der Mittel-
punkt unseres kleinen Kreises ist. So lange dieser währt, wenn ich mein Kind
täglich an mein Herz drücken kann, kann ich alles ertragen, und dieß liebster Freund
war wohl, der Trefflichkeit meiner Frau unbeschadet, der Hauptgrund der Heiterkeit
meines vorigen Briefes!
Empfangen Sie, und bestellen Sie die herzlichsten Grüße; leben Sie wohl und
glückÜch und heben Sie Ihren Freund Richthof en.
844. A. H. Niemeyer an H. (1 S. 4". N.) 11. Dez. 1813
Heute, mein hochgeehrtester Herr und Freund, das ist d. 11t. Dec. 1813, er-
halte ich Ihren heben Brief vom 20 Dec. 1812. Eine lange Reise! Wundern Sie
sich demnach nicht, daß Sie vielleicht kaum noch in diesem Jahre eine Antwort er-
halten. Der Brief begleitete das Buch, dessen Ankündigung Sie dem Brief beygelegt
hatten. [Das Lehrbuch zur Anleitung in die Philosophie.]
12*
jgQ Nachtrag zu 1814.
Auch nach diesem langen Verzug hat mir Ihr gütevolles Andenken wohl ge-
than und ich danke Ihnen aufs herzlichste für jeden Ausdruck Ihres Wohlwollens.
Gewiß haben Sie auch in der Ferne an allem was uns in diesem verhängnißvollem
Jahr Gutes und Böses wiederfahren ist, Antheil genommen. Gott lob daß es besser
endet als es begonnen und — wenn man nicht an allem irre werden soll — das
kommende noch mehr die Leiden der Vergangenheit ins Vergessen bringen wird.
Nach der Ihnen gewiß schon durch die Zeitungen bekannten Cabin. Ordr. darf
auch unsere Univ. die der letzte Bannstrahl Napoleons traf, sich wieder an ihre
Schwestern anreihen. Wir werden wohl mit sehr Wenigem anfangen müssen; aber
auch das haben wir ja nun mit ihnen gemem. Überhaupt dürfte zunächst alles,
was Materie und Form der Wissenschaften betrifft wenig zu Worte kommen. Aber
das Bedürfnis kann nicht untergehen, und wird vielleicht bey denen die übrig bleiben,
um desto mehr wieder erwachen.
Ich kann — erst seit 4 Stunden im Besitz Ihrer Ankündigung und Ihres
"WTerks — heute gar nichts daiüber sagen. Aber es wird ein hohes Interesse für
mich haben. 0 wie ganz einig bin ich vorläufig mit Ihnen, daß bei allem Lehren
viel zu sehr die Methode des Lehrens unbeachtet bleibt, und daß auf Schul- und
ak. Kathedern oft die meisten genuch von der Sache, viel zu wenig von der Lehrart
verstehen, in ihrem Wissensdünkel über alles weg sind, was sie darüber belehren
könnte, nur sich hören, aber nicht nachfragen was sie wirken, wie sie verstanden
werden und was der Anfänger, der oft wildfremd zur Wissenschaft kommt mit dem
anfangen soll, was sie ihm vortragen. Ich bin oft verstimmt, wenn ich aus den
Katheder-Heften der herrlichsten Gelehrten gesehen habe, was sie bey ihren Schülern
voraussetzen, und wie sie sie betäuben. Daß dies den spekulativ. Phl. am ersten
begegnet liegt in der Natur der Sache.
Über Zeller habe ich nachdem ich s. Schriften gelesen nie anders urtheilen
können, als das Pub!, nun urtheilt. Das ist aber eben traurig daß die Scherze so
viel Eingang finden und auch die Wackern bethören, worüber dann die Verständigen
aber Ruhigen zurückgesetzt und muthlos werden. — Geben sie acht, das Niederer-
Pestal. Wesen wird nicht lange bestehen, und wir werden zu dem durch alle Er-
fahrung bewährten zurückkehren. In diesem Fach bin ich des Sieges der Empirie
über die Spekulation gewiß, weit entfernt der letzten ihren wahren Werth am rechten
Ort schmälern zu wollen.
Ihre Pädagogik wird eben weil sie spekulativer ist als eine populäre Erziehungs-
lehre weniger gelesen; aber gewiß von den Kennern nicht weniger gesehätxt^ und
sie wird unvergessen bleiben, wozu ich in meinem kleinen Kreise mit aller Kraft
mitwirke. — Mit H. Jachmann und dem ganzen Journal würde ich mich nie in
einen Streit einlassen, so wenig als mit Niederer, so nahe er's mir gelegt hat. Wie
bald wird solcher Zan[k] vergessen! Gehe es Ihnen ferner wohl, und möge uns, die
nun wieder durch eine Regierung vereinten, bald das Aufblühen alles Geistigen
erfreuen.
Mit warmer Ergebenheit Niemeyer.
845. F. Rahden an H. (4 S. 4". N.) Libau, den 2 Julius 1814
Sie haben sich ein neues Verdienst um mich erworben, kann ich schweigen?
Wenn die Stimme meines Inneren, was ich Ihnen als Lehrer und Freund danke,
lebendig mahnend ausspricht; so ruft mir auch der Einfluß, den Sie sichtbar auf
meinen Schwager übten zu ,,die Entfernung hemmt den Edlen nicht, Dir auf die
dauerndste Weise wohlzuthun".
Sie haben den jungen Mann, mit Ihren geistigen Armen mächtig ergriffen,
für das Gute, Wahre und Schöne gestärkt, von Irrthümern befreit und so kräftig
Nachtrag zu 1 8 14. 181
an sich gefesselt, daß ich um den Erfolg unbekümmert bin. Ich spreche nicht für
mich allein, mein Schwiegervater ein trefflicher, kräftiger Greis, hat sich mit Vater-
sinn der Veränderung gefreut, Sie aus meines Schwagers Briefen als die Ursache
kennen gelernt und fordert, daß ich Ihnen seinen Dank biinge, rein und innig, wie
den des Vaters, dem ein teures Kind gewonnen wurde für Wahrheit und Welt.
Das Gute hat mein Schwager immer gewollt — der Einfluß der Zeit zeigte
sich bei ihm — es mangelte ihm an Klarheit beim Auffassen der Erscheinungen in
der politischen Welt, an Bestimmtheit des Willens und an Kraft, sich selbst heraus-
zuhelfen aus Irrthum und Finsterniß. Er bedurfte der Nähe eines mit sich einigen,
lichten Denkers, auf den die Begebenheiten unserer Tage nur als Bestätigung längst
erkannter Wahrheiten wirken .konnten, der über alles Schwanken erhaben mit Ge-
wissenhaftigkeit und Strenge, den längst bezeichneten Weg wandelte. Ich wünschte
ihn in Ihre Nähe. Mir schien es für ihn entscheidend: ob Sie ihn bildsam finden
und fortleiten würden? Es währte lange, ehe ich es erfahren konnte. Jetzt weiß
ich es — freue mich dessen und danke es Ihnen wahrhaft. || Er will in Königsberg
bleiben um Sie nicht zu verlieren. Er wiid Ihre Mühe lohnen durch Erfolg und
Dankbarkeit — widmen Sie ihm besondere Sorge, die Stunden welche Sie ihm opfern,
sind nicht verloren. Hält Sie nicht Beruf oder eine wichtigere Beschäftigung ab,
so schildern Sie mir in ein paar Zeilen meinen Schwager; sie werden in mir zu-
gleich den Glauben erneuern, daß mein Andenken bei Ihnen nicht erloschen; einen
Glauben, dem ich nicht entsagen kann. Sie haben mir in Göttingen gesagt, „daß
die Liebe mich entweder beglücken oder vernichten werde". Das Erstere ist ge-
schehen. Freuen Sie sich Freund meines Glückes, es ist selten, mein Wirkungskreis
klein aber schön.
Mir ist keine Kunde von Ihren Verhältnissen, die den Freund interessiren,
geworden. 0 wie gern hätte ich genaue! Daß Sie verheirathet sind, habe ich erfahren,
ich entsinne mich auch der Gefährtin Ihres Lebens. Sie sang zu Ihrer Begleitung
bei der Consistorial-Eäthin Hasse und war dort in Pension. Hat Ihre Psychologie
schon durch den Druck Publicität? Wie steht es' um Ihren Wirkungskreis in Königs-
berg? Wenn man mir gleich, das Horazische „beatus ille qui prooul negotiis" zu-
rufen kann; so ist doch das Interesse für Wissenschaften und ihre Fortschritte in
mir lebendig geblieben und schmerzlich fühle ich die Abgeschiedenheit vor der
literarischen Welt zu der wir hier verdammt werden.
Bruschius und Günther sind die einzigen, deren Nähe ich mich in dieser Rück-
sicht freuen darf. Beide betreiben noch mit Liebe ihre Geschäfte. Leben Sie wohl
Freund — wer ein so reiches Leben führt wie Sie, dem ist nur Gesundheit und
Dauer zu wünschen.
Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft und glauben Sie an meine Dankbarkeit
und herzhche Anhänglichkeit. Ferdinand Eahden.
846. Richthofen an H. (2 S. 40. N.) Brecheishof bei Jauer d. ITten Juli 14
Nur wenige Worte, verehrter Freund, zur Begleitung der an beyf olgenden Inter-
essen. Bei Abrechnung der 2^2 pr. ct. Vermögenssteuer war ich Ihnen wegen der
zum besondern Schicken allzugeringen Summe mit '/^pi.ct. im Rest geblieben;
daher sende ich Ihnen dießmahl S'^ pr. ct. oder 140 Thlr. in Golde.
Mir geht es recht gut, denn ich bin in meinem Hause recht glücklich, aber
sehr drücken mich äußere Verhältnisse und Mangel an Muße. Auch i.st das sieg-
reiche Preußen meinem Herzen noch nicht genügend; so mancher faule A.st [?] läßt
mich wenig Glück für die Zukunft ahnden; und nun erst dieser Friede, dieser Apfel
dei- Zwietracht, der zugleich alle alteuropäischen Verhältnisse untergräbt, der Oestei-
jg2 Nachtrag zu 1814.
reich das Jalirbunderte für Teutschland standhaft gefochten trotz aller Bündnisse
nur zu Teutschlands und Preußens Feinden zu machen scheint, weil ihr Interesse
nicht mehr dasselbe seyn wird — ich mag daran nicht denken, ich mag nicht
denken an die überallumsichgreifende Fürstenmacht, die 1| schon durch Napoleon,
und jetzt durch die Hingebung aller Guten, und die patriotische Larve aller
Schlechten, zu wahrer — Tyrannen Macht emporgewachsen ist, aber dennoch plagt
mich dieses alles täglich und stündlich. So entbehre ich die rosenfarbigen Hoff-
nung so vieler, bin aber um nichts ruhiger als sie.
Von meiner Frau von meiner Schwiegermutter die herzlichsten Orüße.
Ihr P>eund Richthofen.
847. Graf George Sievers an H. (3 S. 4«. N.) Hofwyl d. 2. Aug. 1814
Verehrter Freund. Durch meinen Bruder, dem ich aufgetragen, Ihnen alles
mitzutheilen was mich betrifft, werden sie erfahren haben, daß ich von unsrem
Kaiser die Erlaubniß erhalten habe, die vorzüglichsten Unterrichts- und Erziehungs-
Anstalten in der Schweitz und in Deutschland zu besuchen. In Folge derselben bin
ich seit einigen Tagen hier bei dem trefflichen Fellenberg, der sich das wichtige
Frobiem der Verbesserung der Cultur des Menschengeschlechts in ihrem ganzen
Umfange vorgelegt und die Auflösung desselben, mit Einsicht, Wohlwollen und Be-
harrlichkeit, zum Zweck seines Lebens gemacht hat. Es ist mir eine unbeschreiblich
wohlthätige Freude gewesen ihn und was er gethan kennen zu lernen. Zur Be-
förderung seiner edlen Absichten, die so sehr mit den Ihrigen übereinstimmen, mit-
zuwirken, wäre mir das höchste Gut. Ich werde meine gegenwärtige pädagogische
Reise mit mehr Muße ausführen als die erste und hoffentlich auch mehr Gelegen-
heit haben von den Resultaten derselben Gebrauch zu machen, da der Kaiser meinen
Zweck kennt und ihn auf eine sehr erfreuliche und für die Zukunft viel versprechende
Weise billiget. || Hier werde ich mehrere Wochen zubringen, dann Pestalozzi und
Türk besuchen, wieder herkommen und dann nach Deutschland gehn, um die Er-
ziehungsanstalten in Bayern, Sachsen und Preußen kennen zu lernen, von denen
einige ich schon früher gesehen habe. Wie freue ich mich Sie dann wiederzusehen,
Ihnen die Resultate meiner Reise vorzulegen und mit Ihnen über die zu nehmenden
Maßregeln Rücksprache zu nehmen. Doch früher schon erwarte ich von Ihnen
einige Anleitung und manche Winke, so wie auch manche Empfehlungen zur zweck-
mäßigeren Bewerkstelligung meiner Reise. — Ausnehmend erfreulich ist es mir ge-
wesen hier die Bekanntschaft von Hrn. Griepenkerl zu macheu. Er ist unstreitig
einer Ihrer talentvollsten und eifrigsten Jünger und zugleich Ihr großer Verehrer,
wiewohl Sie in Folge eines Mißverständnißes, wie es scheint, seiner — Persönlich-
keit etwas zu nahe getreten sind und wenn ich nicht irre, ist er auf diesem Punkte
etwas zu empfmdlich. Dem ungeachtet erinnert er sich Ihrer mit hoher Achtung
und innigem Dankgefühl, ist ganz von Ihrem Geiste und Ihren philosophischen An-
sichten durchdrungen und realisirt mit außerordentlichem Erfolg Ihre pädagogischen
Ideen. Fellenberg hat volles Vertrauen zu ihm und läßt ihm fast unbeschränkten
Willen in i| seiner Wirksamkeit an der Spitze des Erziehuugs-Instituts für höhere
Stände. Für dieses giebt es jetzt Ferien, daher ich mich jetzt fast ausschließlich mit
der Anstalt für arme Kinder beschäftigt habe. Um diese ganz kennen zu lernen
empfehle ich Ihnen den eben bei Cotta herauskommenden „Bericht über die Armen
Erziehungs Anstalt in Hofwyl, von Renggei"'.
In Carlsruh habe ich eine sehr gute weibliche Erziehungs Anstalt kennen
gelernt. An ihrer Spitze steht die Frau v. Graimberg, eine geb. Budberg, deren
Vater General in preußischen Diensten war; sie ist die Stifterin dieses noch neuen
Instituts, eine vortreffliche Frau von hellem Geiste, zartem Gefühl und voll hoher
Nachtrag zu 1 8 14. 183
h'eligiösität. Sie ist von der Würde ihres schönen Berufs durchdningen, erfüllt ihn
mit Liebe und gänzlicher Hingebung und fühlt sich höchst glücklich dabei. Auf
mich hat ihre Bekanntschaft ausnehmend wohlthätig gewirkt. Einer der vor-
züglichsten Lehrer an diesem Institute ist der wackre Ewald. —
Erfreuen Sie mich bald durcli einen Brief, den ich nach Basel an Hrn. Jean
Jacques Merian zu adressiren bitte. Ihrer lieben Frau Gemahlin bitte ich mich
bestens zu empfehlen und den Gruß der innigsten Verehrung zu empfangen von
Ihrem herzlichst ergebnen Freund ' George Sievers.
848. Grote an H. (4 S. 4«. N.) Oldenburg, den 21. Oktob. 1814.
Sie, mein Theurerl haben. mir eine große Freude gemacht, ohne es zu wissen.
Vor 8 Tagen erhalte ich durch '^"ardenburg Ihren Brief an ihn vom 11. v. M. und
— die mit übersandten Werke. Detmers den ich gleich nach seiner Rückkunft aus
Königsberg nach Ihnen fragte, konnte mir ebenso wenig etwas Befriedigendes sagen,
als der gute Zehender, der Sie im vorigen Jahre oft dort gesehen hatte. Nun er-
fahre ich endlich, wonach ich mich lange sehnte, Sie sind wohl und zufrieden, Sie
haben mächtige Schritte gethan, aui Ihrer herrlichen Bahn. Im Drange der wichtigsten
Geschäfte und mitten im Wogen und Strudeln einer neuen, seit dem ersten d. M.
eingeführten Staats-Organisation, habe ich Ihre Einleitung gelesen. Mehr darf ich
nicht sagen. Aber doch war manches mir nicht fremd, und es traten klar und
deutlich Erinnerungen jener glücklichen, unvergeßlichen Zeit vor meine Seele, wo
ich an Ihrer Seite da.s schöne Leinethal durchwandelte, wo Sie mir Aussichten und
Blicke in das Leben zeigten, Ahndungen und Ideen in meinem Geiste erweckten, die
kein Schicksal und keine Zeit und keine Erfahrung zu zerstören vermögen. Die
Resultate Ihrer Speculatiou haben mich unbeschreiblich interessirt, hätte ich nur
Verstand und Muße genug, um auch der Speculatiou selbst folgen zu können ! Wäre
ich bey Ihnen, so würde ich nicht verzweifeln, so aber muß ich fürs erste mich
begnügen, zu glauben. Die mir merkwürdigsten Stellen des Buches habe ich mir
ausgeschrieben, weil ich nicht weiß, ob ich das von Wardenburg mir mitgetheilte
Exemplar behalten darf, oder ob das Werk schon jetzt in hiesigen Buchhandlungen
zu haben ist. Gern möchte ich. daß Sie oder ich dem Herzog ein Exemplar mit-
theilten. Ich möchte ihm einige Stellen anstreichen, und mir diese zu lesen, von
ihm verlangen. Ich habe, sonderbarer Weise, vorigen AVinter mit ihm sehr eifrig
drei volle Stunden über methaphysische Gegenstände disputirt. Wie wir eigentlich
dazu kamen, weiß || der Himmel; daß wir beyde, ungeübt im höheren Denken, end-
lich nicht ein noch aus wußten, ist natüj-lich; aber jeder hatte seine fixe Idee und
blieb unerschütterlich. Es war eine sternhelle Decembernacht, wo ich allein mit
dem Herzog von Bremen hierher fuhr; für mich eine höchst merkwürdige Nacht,
denn das freye Gespräch und die Vertiefung in dasselbe hatte die strengen Ver-
hältnisse der Etiijuette vergessen lassen, und ließ mich die tiefsten Blicke thun in
den herrlichen Geist dieses Mannes. Ich dachte oft an Sie, ich wollte Sie wären
unsichtbarer Zeuge unserer Gespräche gewesen. Der Herzog hat viel gedacht, er
hat sich selbst Prinzipien gebildet, aus denen sein edles, consequentes Handeln fließt;
er ist, ich bin es fast überzeugt, der vollkommenste Regent seines Zeitalters. Darf
ich mich nicht unbeschreiblich glücklich schätzen, grade unter diesem Regenten,
unter der speciellen väterlichen Leitung dieses Fürsten, einen Würkungskreis gefunden
zu haben, der meinen Wünschen völlig entspricht? Mein früheres Ideal vom Regenten,
vom Staate, von der Würksamkeit des Staatsdieners, ich sehe es fast in der AVirklich-
keit vor Augen. Durch die Wiedergeburt unserer Verfassung, wobey die alten Mängel
leichter vermieden werden konnten, hat der kleine Staat in seiner ganzen weisen
j84 Nachtrag zu 1814.
Oi'ganisation große Vorzüge vor allen seine Nachbarn bekommen, und er wird bald als
ein reizendes kleines Modell zu neuen Organisationen aufgestellt werden können,
und die Aufmerksamkeit des übrigen Deutschland auf sich ziehen. Doch ich darf
wohl nicht weiter loben, es möchte zu partheyisch scheinen, weil ich selbst nun
bald ein Jahr lang angestrengt mit daran gearbeitet habe. Hier geht zwar alles
Gute aus vom Centro und wir Handlanger und Gesellen haben gewöhnlich nur die
kostbaren Materialien in die gehörige Form zu bringen. — Im November v. .T.
suchte ich den Herzog in Berlin auf; ich hatte einen Brief verfehlt, worin er mich
zum Regierungs-Rath ernannt und mich eingeladen hatte mit ihm sobald als möglich
nach Oldenburg zurückzukehren. Um so willkommener war es ihm, daß ich miclv
auch unaufgefordert einfand. Eine Einladung von Hannover aus, im Göttingschen
die erste Ordnung wieder herzustellen, mußte ich ausschlagen, weil ich noch immer
in Dienstverbiudung geblieben war mit meinem Fürsten. Im November kam ich
hier in Oldenburg an; || ich begleitete den Herzog von Berlin aus. Je mehr wir
uns dem Lande näherten, je lauter und herzlicher ward der Jubel des Volkes,
schon im Hannoverischen. Eine herrliche, unvergeßliche Reise. Ich habe einen
alten Bauern mit grauem Haare gesehen, der mit Thränen im Auge seinem Fürsten
entgegen rief: „Herr! es ist uns, als ob der liebe Gott sich herabließe unter das
Volk!-' Jeder war tief erschüttert, und in meinen Gedanken schwebten die Heroen
der griechischen Zeit vorüber.
Gleich nach unserer Ankunft ward unter dem Vorsitze des Herzogs eine
provisorische Regierungs - Commission niedergesetzt, deren Mitglied ich wuide.
Es vereinigte sich hier die ganze Landesregierung um das Geschäft der Organi-
sation. So schwierig die Arbeiten, so interessant und vielseitig waren sie auch.
"Wie oft habe ich hier die Weisheit und hohe Tugend unseres Fürsten zu be-
wundern Gelegenheit gehabt. An Trauer und Sorge fehlte es mir aber auch nicht
in dieser Zeit. Ich mußte mich trennen" von meiner geliebten Frau, weil es hier
noch zu unsicher und der Feind uns in der Zeit noch zu nahe war. Sie blieb fast
6 Monathe in Göttingen zurück. Ich selbst unterlag im März der Anstrengung und
ward recht ernstlich krank. Kaum war ich etwas hergestellt, so mußte ich zu
meiner armen Julie eilen , um sie aufrecht zu erhalten in dem härtsten Schicksale
was Aeltern erleben können. — AVir verlohren unsere zweyte Tochter. — Nachdem
wir, um uns von so tiefem Schmerze zu erholen, den schönen May in Jühnde zu-
gebracht, führte ich meine Frau, meine älteste Tochter und meinen Carl (das Klee-
blatt meiner Kinder war zerrissen) nach Oldenburg zuräck; von wo wir vor
3 Jahren mit Gefahr geflohen waren. Meine Gesundheit und auch die meiner Frau,
hat sicih wieder bevestigt, und ich habe diesen Sommer tüchtig arbeiten können.
Seit dem 1. d. M. ist die Regierungs -Commission in eine permanente Landes-
regierung (^getrennt von der Jufiti:ü-K&nz\ei) verwandelt worden, deren Mitglied ich
geworden mit einem Gehalte von 1000 Thir. Ganz viel im Vergleich mit meiner
Arbeit, aber viel zu wenig um hier ohne Sorgen mit einem ansehnlichen Haushalt
leben zu können. Die Teuerung nimmt hier täglich zu und Geldnoth ist fast das
Einzige, was mich bisweilen ernsthaft plagt. Mit und hauptsächlich sind daran die
seit Jahren ausgebliebenen Zinsen meiner Frau schuld. Mein Schwager Ferdinand
ist zu sehr mit seiner Frau beschäftigt, um unsere Angelegenheiten dort ernsthaft
zu betreiben, und so müssen wir uns plagen, von einem Tage zum anderen,
schreiben, und hoffen, daß endlich Geld ankomme. — Die übrigen Mitglieder der
Regierung, welche bis jetzt ernannt sind, zu erfahren, interessirt Sie vielleicht.
Als Oberlanddrost der Baron von Brandenstein, ein sehr braver und gescheuter
Mann, der sonst Landvogt in Delmenhorst war; der alte Consistorial-Rath Lentz; der
Nachtrag zu 1 8 14. jg^
Geheim-Kamaier-Rath Mentz und der Justizrath Runde. || Die Letzteren sind zugleich
Directoren, respective in der Kammer und Justizkanzlei. Halem. der Justiz-Rath, ist
als solcher in die Regierung nach Eutin versetzt. Der Justiz-Rath Scholz ist an des
sei. Bergers Stelle Landvogt in Oldenburg geworden. Der Kriegs -Rath Halem ist
seiner in der franzs. Zeit begangener Verbrechen wegen landesflüchtig geworden, und
der Concours über sein sonst so großes Vermögen erkannt. Der ehemalige Secretair
und nacliraalige Auctions- Verwalter Halem hat auch Concours gemacht, wird aber
wieder Bibliothekar werden. Der Dichter Gramberg ist wieder Kanzlei-Assessor
neben Onder und Cordes geworden, welche Kanzlei -Räthe sind. Der Geheim-
Kainmer-Rath Romer ist mit ansehnlicher Pension in den Ruhestand versetzt. Er
hätte das nicht verdient. r Die Geschäfte der Regieraug ist [!] hauptsächlich die
Aufrechterhaltung der ganzen Verfassung, die Controlle des gesamten Dienstes, die
Dienstanstelluugs- und Gesetzes- Vorschläge, die Entscheidung über Dienstverbrechen
und Vergehen, die Hoheits-Rechte, innere und äußere, alle Verhandlungen mit dem
zu erwartenden deutschen Bunde, die höhere Landes-Polizei im weitesten Umfange.
Die Verwaltung der Letztem ist mir ausschließlich zu theil geworden; die übrigen
Geschäfte sind aber größteutheils nach Distrikten verrheilt. Die Kammer (sonst
die Allmächtige) hat jetzt nur mit Fipanz-, Steuer- Wesen und Staats-Oekonomie zu
thun. Die Justiz-Kanzlei ist nur mit Civil und Crimminal -Justiz beschäftigt, und
die letzte Instanz bildet das ganz neu geschaffene Ober -Appellations- Gericht. Für
die Beamten, die auf fixes Gehalt gesetzt worden, ist eine sehr zweckmäßige
Instruction ausgearbeitet. Ein neues Strafgesetzbuch ist eingeführt, welchem das
Baiersche zum Grunde legt. Hieran hat besonders Feuerbach gearbeitet, weswegen
hier manches hat gemildert werden müssen. Im Ganzen ist es das Vollkommenste
was ich von einer neuen Legislation dieser Art kenne. Ich wünschte Dir Urtheil
darüber. Die ausführliche Bearbeitung eines allgemeinen Hypotheken -Concours-
und Vergantungs-Gesetzes nebst den dabey nöthigeu transitorischen Bestimmungen
ist mir zutheil geworden, ich habe die Sache in 3 Monathen geliefert und bin nun,
nachdem alles geprüft und wieder geprüft und verbessert worden, mit der Correctur
des Druckes beschäftigt. — Da haben Sie allerley von Oldenburg und von unserem
hiesigen Treiben und Wirken ; belohnen Sie mich dafür recht bald durch einen Brief,
den ich mit Sehnsucht erwarten werde. In Hannover sieht alles unordentlich aus,
und Alles ist mißmutbig über den grenzenlosen AdelstoU und Nepotismus. Mein
Bruder August ist noch Titulardrost ohne Gehalt in Göttingen. Mein jüngster
Bruder Carl wird ein ganz ausgezeichneter herrlicher Mensch. Er hat glücklich
und tapfer mitgefochten zur Wiedereiiangung deutscher Freyheit. Jetzt ist er zu den
Studien nach Göttingen zurückgekehrt. Er sucht für die Zukunft eine Anstellung auf
dem Harz. Ich hätte ihn sehr gern hier her gehabt. Daß meine Schwester Caroline,
Richthofen mit einem Sohn beschenkt, werden Sie wissen. Meine gute Mutter ist
jetzt in Schlesien. Richthofens Lage und Abhängigkeit von einer nie glücklichen
Oeconomie will mir eigentlich garnicht gefallen. Er kommt nicht weiter. Wissea
Sie etwas von Carl Steiger? ich schriebe ihm gern, wenn ich wüßte, wo ich ihn
suchen sollte. Ist es gegründet, daß der älteste Sievers tot ist? Es wäre mir sehr
leid! — Meine Julie trägt mir auf, Ihnen viele Empfehlungen zu bestellen; Sie
möchte Ihnen gern meine Lotte zeigen und den derben Jungen. Erstere ist nun
bald 4 Jahr alt und verräth viel Verstand aber auch bey großer Lebhaftigkeit viel
Zerstreutheit. Es ist ein wundei-schönes Kind und unsere größte Freude. Möchten
wir sie nur gut erziehen können! Empfehlen Sie mich Ihrer Frau, und behalten
Sie lieb Ihren h'euesten Freund* Grote.
l85 Nachtrag zu 1815.
849. Griepenkerl an H. (3 S. 40. N.) Hofwyl am 3teii Jenner 1815
Lieber Hei-i' Professor, ich wartete nur darauf, daß der Graf Sievers über
Königsberg hinaus sein möchte, um Ihnen anzuzeigen, daß ich im October 1814
von dem Preußischen Ministerium des Inneren die Versicherung einer passenden
Anstellung in Preußen erhalten habe, und zwar, wie mir dies Ministerium schreibt,
besonders durch Ihre Empfehlung. Sievers darf dies nicht erfahren, weil er sonst
Fellenbergen Nachricht davon giebt, dem es aus guten Gründen noch Geheimniß
bleiben muß. — Weshalb?ich Hofwyl verlasse, würde Ihnen Sievers am besten haben
sagen können, wenn er ein scharfes Auge für die hiesigen Verhältnisse mitgebracht
hätte. Auch wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die Misverständnisse, die zwischen
Ihnen und mir obwalteten, zu zerstreuen; ich werde dies durch einen Brief nicht
versuchen, besonders da Ihi'e harten und auffallenden Äußerungen über mich mir
gegenüber stehen. Ein wenig mehr Rücksicht auf etwanige Umstände, die, Ihnen zwar
unbekannt, aber dennoch eintreten und vieles verspäten, ja ganz verhindern konnten,
wie sie es denn gethan haben — hätte Ihnen und mir diese grundlose Zerwürfniß
ersparen können, die mir unter mancherlei Widerwärtigkeiten nicht die geringste
war. ich lasse die Sache so lange auf sich beruhen, bis Sie mir Geneigtheit zeigen,
meine Erklärung zu vernehmen.
Vor einem Jahre war mein Entschluß reif, Hofwyl zu verlassen. Zuerst
wandte ich mich nach Braunschweig. Wie aber die Sache sich dort verzögerte und
zuletzt nicht nach meinem Wunsche ausfiel, so schrieb ich am 4ten Oktober an
Hr. von Schuckmann in Berlin, der mir durch das Ministerium des Inneren mit
umgehender Post die oben genannte Erklärung geben ließ. Sehr bemerkenswerth
scheint mir, daß Ihre Empfehlung darin namentlich aufgeführt wird. Hat dies eine
weiter greifende Bedeutung, so muß ich, der guten Sache wegen, ein Glück rühmen,
das ein lästiges Bestreben des BeifallerwerJ^s für Sachen und Personen, die darüber
hinaus sind, überflüssig macht. Wissen Sie nähere Auskunft darüber zu geben und
vermögen Sie es, Ihren Entschluß || mir nicht früher zu schreiben, als bis Sie von
mir ein tüchtiges pädagogisches Werk in Händen haben, um der größeren An-
gelegenheit willen zu ändern, so theilen Sie mir alles mit, damit ich im Stande sei,
richtig zu handeln. Vermögen Sie es nicht, ist ein bloßer Aufruf nicht hinreichend,
Ihr Vertrauen wieder zu gewinnen, das doch, wie sich zeigen wird, grundlos ver-
sagt wurde — : so geben Sie dem Graft den Auftrag, mir zu schreiben, ich will
mit Ihnen und den Ihrigen verbunden bleiben und blieb es, der Gesinnung und der
That nach, bis auf diesen Tag. Stoßen Sie mich immer aus der vorderen Thür
hinaus, ich komme durch die hintere wieder herein und zwar so lange, bis Sie ge-
lernt halben, treuen Eifer nicht mehr zu verschmähen. Zeigt sich dieser auch nicht
immer Ihrem Sinne gan% gemäß und verhindern auch die Umstände den ganzen
Erfolg der Ihnen gegebenen Ei Wartungen; so darf das für unser Verhältniß im
Ganzen nicht viel verschlagen. Auch solch eine Abhängigkeit wie sie Ihr Brief an
Sievers von mir zu fordern scheint, ist wohl unerreichbar; ohne daß ich die Gründe
dafür anzuführen bedürfte.
Tölken und Dyssen hatten Unrecht, die verheißene Schrift gegen die unred-
liche Rezension Ihi'er Pädagogik von Jachmann nicht erscheinen zu lassen; denn
diese hatten indeß keine Erziehungsanstalt durch die That selbst vor dem inneren
Verkommen zu sichern, ihnen konnte das Thun nicht übers Schreiben gehen, wie
mir. Neulich ist wieder eine solche Rezension in der Hallischen Literaturzeitung
gewesen von Jhrer Einleitung in die Philosophie. Auch über diese muß ein Buch
geschrieben werden. Penn die Leute wissen gar nicht, wie sie mit Ihrer Philo-
sophie daran sind. Statt ehrlich zu bekennen: „wir verstehen nichts davon, gebt
Nachtrag zu 1815. i8r
uns nähere Auskunft" tadeln sie lieber auf so bemitleidensweithe Weise. Gewiß
schriebe ich dies Buch gegen jene Eezension, wenn ich nicht eben jetzt mit der
endlichen Vollendung meines Erziehungsplanes für die hiesige Anstalt beschäfftigt
wäre, der vor meinem Abgange gefertigt sein muß. Ich beklage dieses widerwärtige
ZiLsaninioiitref f eu .
ich kann nicht umhin zu bemerken, daß Ihre Art des Philosophirens, welche
die Kantischen und Fichteschen |j Bestrebungen zu einem großen Ziele führt, in die
unglü(;klichste Zeit gefallen ist, die nur zu ersinnen gewesen wäre. Die nach-
ahmenden Köpfe waren mit der schweren Arbeit noch nicht fertig Kants Weise
und Grundsätze durch die übrigen Wissenschaften zu verbreiten, als Fichtes un-
geheurer Scharfsinn aus einem einzigen Probleme hervorbrach, viel zu gewaltig, als
daß er nicht viel mehr hätte abschrecken, denn gewinnen sollen. Und dieser Starke
glaubte noch nicht die letzte Hand an sein Werk gelegr zu haben, als Sie, scharf
trennend, unbetretene Pfade zeigten und verfolgten und die- Vorgänger und ihre Arbeiten
als Vorübungen hinter sich zurück ließen. Wie konnte der Haufe von so unerwarteten
und gewaltigen Fortschritten Notiz nehmen!'? Viel mehr, einmal geblendet zog er
sich in den unteren Nebel zurück, in welchem sich eine dunkle GäJiiung indeß er-
zeugt hatte, die, als bloßes Phantasienspiel, aller ernsten Wahrheitsforschung bar,
um so leichter ergötzen und bethören konnte. — Und dazu noch Deutschlands
Unterjochung und Befreiung, welche alle edleren Gemüther unfehlbar für sich hin-
raffte . Lassen Sie uns dieses als ein Schicksal tragen und einander nicht
zürnen, wenn so gewaltige Streiter in kleineren und größeren Kreisen unsere ernst-
lichen Bemühungen erechweren! Mir hat man in meinem kleinen Kreise nichts ab-
gewonnen als Zeit; aber wahrlich, viele Wunden trage ich aus dem Streite. Eine
Bitterkeit des Gefühles, herrührend von so manchem vereitelten Bestreben, vom
vergeblichen Kampfe gegen Dünkel, Dummheit und Schlechtigkeit, von Ihrer Mis-
billigung — — eine Bitterkeit, die erst spät vernai'ben wird. Und selbst der
1200 Thlr. die ich zusetzte, weil ich mit meinem Gehalte nicht auskommen konnte,
darf ich nicht vergessen, weil meine Familie unter deren Verluste leidet.
ich reiche Ihnen die Hand zu herzlicher Versöhnung und Ausgleichung. Ver-
sagen Sie die Ihrige nicht Ihrem treuen F. Griepenkerl.
-850. Richthofen an H. (4 S. 4". N.) Brecheishof den 26sten Febr. 1815
Wenn jemand in Hinsicht des allerfreundlichsten Briefes ein Recht auf baldige
Erwiederung hat, so sind Sie es mein vielverehrter Freund; und wenn jemand
wegen Nichtschreibens Vorwürfe verdient, so bin ich es; darum gar keine Ent-
schuldigung!
Ihr letzter Brief regte aber einige politische Punkte an, und deshalb wünschte
ich mein gegenwärtiges Schreiben bis zur Bekanntmachung der Resultate des Kon-
gresses zu verzögern. Fürs erste dennoch meine Erklärung, daß ich nie an ein
Supremat Österreichs als etwas wünschenswerthes gedacht, im Gegentheil wäre in
meinen Augen die Unterjochung unserer kleineren Staaten das Mittel die Reste des
wahrhaft teutschen Geistes völlig zu vernichten; ja vielleicht ist schon das Ueber-
handnehmen dieses Wunsches ein Beweis, daß diese Ueberbleibsel nicht mehr allzu
groß sind ; und vielleicht reichen eben danim auch andere Mittel zu diesem Ziele
schon hin ! Ja ich läugne nicht daß wenn die Wendung die die Dinge genommen,
auch nicht die schlechtmöglichste ist, sie mir doch eine sehr üble scheint. Oesterreich
ist in Wahrheit keine teutsche Macht; so wenig als ich die teutsche Nation in
Siebenbürgen eine teutsche nennen kann; nicht weil andere Völker mit Oesterreich
verbunden sind, sondern weil es in jedem Stück hinter Teutschland zurück und
mit ihm außer Verbindung ist, und verweigerte doch auch Sparta und Athen dem
jgg Nachtrag zu 1815.
syrakuschischen Könige im persischen Kriege den Oberbefehl ! || So lange Oesterreich
aber die Niederlande besaß, und dort Teutschland vertheidigte, war wenigstens ein
Grund der Vereinigung, jetzt ist aucli dieser verschwunden. Darum ist Preußen an
Oesterreichs Stelle nunmehr wirklich getreten, nachdem es schon lange darnach ge-
strebt. In dem Verhältnisse Preußens mit den kleineren Fürsten Teutschlands scheint
mir aber einige Ähnlichkeit mit den Verhältnissen Englands zu liegen. So lange als
die Stuarts dort gegen den Willen und die Vortheile des Volkes kämpften, war
England schwach und verächtlich; jetzt haben Englands Könige eine heilige Ehr-
furcht vor den Rechten eines jeden, und haben ihre Entwicklung befördert, seitdem
ist England mächtig und stark. So würde es Teutschland seyn [und wer eben da-
durch wiederum mehr als Preußen?) wenn jeder teutsche Bürst bei uns die Politik
fände, die nur Friedrich der Einzige in den letzten 10 Jahren seines Lebens befolgt;
aber leider sind wir auch jetzt noch nicht dazu zurückgekehrt. Dann wären alle
Arrondissements unnütz, denn Preußen und Teutschland wäre eins. Um dahin zu
gelangen müßte die alte teutsche Verfassung möglichst wieder hergestellt werden,
(natürlich mit Verbesserung des Militärwesens,) und zwar eben darum weil in ilir|[
viele Keime lagen, und hier dasselbe gilt, was Savigny bei einer anderen Gelegenheit
so trefflich gesagt, weil neue Gesetzgebungen die Möglichkeit des Fortschreitens so
leicht abschneiden, und wir jetzt dazu nicht reif sind. Auch war hiezu vor allem
nöthig das ein längerer Zeitraum den hier projektirten neuen Geist der preuß.
Regierung dem gesammten Volke darthat. Statt dessen haben wir uns Sachsens be-
mächtigen wollen, und dadurch weil es nicht gelungen ist, noch außer dem Mis-
trauen die Ueberzeugung unserer Schwäche geweckt. Statt daß sonst jeder teutsche
Fürst unsere Macht vermehren helfen mußte, haben wir nun in Sachsen einen Feind, der
vielleicht nur scheinbar schlummert, und gehen die projektirten Protektorate wirklich,
hervor, so steht von nun an jedes für sich im europäischen Staatensystem ; und
wiewohl ich einzelne Kriege in Teutschland und das vergießen des Bruderbluts nicht
wie manche andre scheue, so kann ich doch ein Institut nicht billigen, das vielleicht
unter dem Schein anfänglicher Eintracht das Prinzip, ewiger Spaltung verbirgt.
Allein leider scheint die Vernichtungssucht des Bestehenden noch immer das endemische
Uebell II In meinem letzten Briefe beklagte ich mich über die zunehmende Despotie
der einzelnen Regierungen; seitdem hat die darin ausgezeichnetste, Würtenberg
seinem Volk eine freie Verfassung gegeben, demungeachtet nehme ich meine Be-
merkung nicht zurück. Es scheint mir nähnilich überall in Teutschland ein sonder-
barer Zwiespalt zu seyn; während das Volk von einem neuen Geiste beseelt wird,
stehen häufig Männer an der Spitze die in der franz. Revolution ihre Bildung ge-
funden;' von der Zeit lebt in ihnen noch die Verachtung des bestehenden, sind sie
selbst noch immer die Sklaven einzelner Ansichten ; beides spricht sich in der Sucht
Gesetze zu machen und in ihrer Beschaffenheit aus, und so kann es durch die Ein-
wirkung der jetzigen Zeit wohl kommen, daß sie selbst freie Verfassungen schaffen,
die sie aber ganz unvermögend sind und sein werden durch ihr Benehmen in den
ersten Decennien zu bekiäftigen, und leider ist just dieß, das was noth thut. Ich.
könnte dieß mit Beispielen belegen !
Was mich und die Meinen anbetrifft so leben wir still und zurückgezogen
aber glücklich; auch hat mir meine Frau im Herbst' einen zweiten Knaben geschenkt!
Alle empfehlen sich Ihnen 'und Ihrer lieben Frau.
Zugleich übersende ich Ihnen die Weihnachtszinsen mit 120 Thlr. Gold. Ver-
zeihen Sie daß es erst jetzt geschieht, aber die Verzögerung meines Briefes war
Schuld. Zeitlebens Ihr Freund C. Freiherr v. Richthofen.
Nachtrag zu 1815. ign
851. Remer an H.') Breslau d 11. Novbr. 1815.
Hoffentlich sind Dir, mein lieber Herbart, meine bisherigen Briefe nach
Königsberg, so weit sie die Geschichte meines hiesigen Aufenthalts betreffen, mit-
getheilt, und Dir folglich mein bisheriger hiesiger Zustand nicht fremd. Vielleicht
mögte mein Brief an Willudraus [?] davon eine Ausnahme machen, indem dieser
manches enthielt, was nur für den Empfänger bestimmt war, und der unglückliche
Zustand des annen Mannes, wenn er überhaupt noch lebte, als mein Brief ankam,
ihn gehindert haben wird, Mittheilungen zu machen. Ich bin aber auch nicht eitel
genug, um zu verlangen, daß Du, und überhaupt irgend einer meiner dortigen
Freunde gerade fordern solle, jede Kleinigkeit von mir zu wissen, wenn ich gleich
Eurer Freundschaft für mich- es zutrauen darf, daß Ihr jede von diesen Kleinig-
keiten gerne, wenigstens willig leset.
Im Allgemeinen habe ich bisher mein hiesiges Leben mit Zufriedenheit ge-
schildert, und muß dieses auch ferner thun, denn ich finde in Vielem meine Er-
wartungen erfüllt, in Manchem übertroffen. Daß nicht Alles gut und trefflich seyn
würde, konnte ich vorher wissen; so habe ich es auch gefunden. Krause, dem ich
Vieles über das Personal und über manche Einrichtung bei der hiesigen Universität
geschrieben habe, wird Dir dieses mrtgetheilt haben; ich fahre darin fort.
Im Ganzen ist wenig gelehrtes Treiben bei uns. Die Größe der Stadt, die
mancheilei Vergnügungen, die vielen Gelegenheiten zum Essen, welche sich hier
finden, zerstreuen uns zu sehr, als daß wir Zeit zum Arbeiten hätten. Auch merkt
man es an der Art, wie jeder von seinen Vorlesungen redet, daß es ihm mehr um
das Honorar dafür, als um das was er damit ausrichtet zu thun seyn mag. Ich will
nicht sagen, daß dieses ganz ohne Ausnahme Statt finde, aber wenigstens scheint es
ziemlich die Regel zu sejTi. Da nun die hiesigen Studenten auf eine beispiellose
Weise dreist in dem Freibitten der CoUegien sind, so wird manches darum nicht
gelesen, wie z. B. v. Raumer zwar sein Publikum, Reformationsgeschichte, gedrängt
voller Zuhörer hat, sein Privatum, neuere Geschichte, aber gar nicht zu Stande
brachte. Augusti hat in 4 Jahren überhaupt 104 rthr für Collegia aufgenommen.
Ich selbst habe ein Beispiel davon. In meiner allgemeinen Therapie habe ich
14 Zuhörer, allein nur 5 haben bisher bezahlt, im Clinico sind etwa 12, und bis
jetzt hat sich noch keiner mit dem Honorar eingefunden. Man hat, um diesem
Unwesen Einhalt zu thun, die Anordnung getroffen, daß alle Studenten sich bei
dem Quästor melden, und zu dem Collegio unterschreiben müssen, hier sollen sie
auch das Honorar entrichten, und von da wird es. mit einem geringen Abzüge, der
dem Quästor zu Gute kommt, an uns gezahlt. Allein das hilft fast gar nichts, da
sich manche der Herrn Coilegen durch große Freigebigkeit, oder durch öffentliche
Vorlesungen über Hauptcollegien Zuhöi-er verschaffen, auf Kosten der übrigen. So
wird z. B. jetzt Materia medica. privatim von Benedict, und publice von Wendt ge-
lesen. Das Unangenehme daran springt in die Augen, das Schädliche wird uns
selbst wohl fühlbar, aber schwerlich den Personen einleuchtend seyn, die wohl den
Befehl zur Errichtung von Universitäten geben können, aber selbst nicht ganz deutlich
zu wissen scheinen, was und wie eine Universität seyn soll. Am wenigsten werden
wir selbst dagegen vornelimen können, denn wir können überhaupt nicht viel, be-
sonders wenn wir etwas gemeinschaftlich thun sollen, weil wir kein Gemeinschaft-
liches haben. Das ist hier wenigstens eben so arg, als in Kbrg, und wird nicht
abnehmen, sondern sich vermehren.
^) 3 S. 4". N. — W. H. G. Remer, Studienfreund Herbarts aus Jena, später
Kollege an der Universität in Königsberg, dann in Breslau Geh. Medizinalrat usw.
IQQ Nachtrag zu 1815.
Wenigstens höii und sieht man das ziemlich an allen Ecken. Zwar klagt alles über
Mangel an Gemeinsinn, und findet das peinlich Drückende, was daraus entsteht,
aber ich sehe nicht, daß irgend einer einen Schritt dazu thut, um diesem Übelstande
abzuhelfen. Die fehlerhafte Art, wie unser Senat construirt ist, der beständig
wechselt, trägt vieles dazu bei diesen Zustand von Unsicherheit || zu unterhalten.
Ich habe indessen nicht viel Lust mich viel um diese Dinge zu grämen, ich will
sehen, wie ich für mich fertig werde. Denn, ist eine solche Schlaffheit bei einer
neu gegründeten Universität, man kann sagen, mit ihr gegründet, wie soll ein Ein-
zelner, besonders wie soll ich das abändern, oder zu dessen Abänderung beitragen?
Ein deutlicher Beweis von diesem trägen Geiste zum Guten ist die geringe Lust,
welche man hier hat, etwas Öffentliches zu thun, und wenn man es ja thun muß,
ihm den rechten Anstand zu geben. Gewiß bin ich weit entfernt von aller Pedanterie,
aber hier ist's doch gar zu arg. In einem Saale, dem man, wenn er ein kleines
wenig minder bunt wäre, wahrlich keine Zierde mehr hinzufügen könnte, um ihn
sehr schön zu nennen, in unsrer Aula Leopoldina — Du kennst die Berechnung
nach welcher die sämmtlichen Londner Kirchen Platz in der Peterskirche zu Rom
finden, und man dann bequem die Paulskirche unter den Hochaltar schieben kann;
so etwa würde man das Auditorium maximum Academiae Albertinae auf den Kaum
stellen, welchen hier die Rednerbühne cum pertiuentiis einnimmt; — in diesem
Saale wohnte ich neulich einer medicinischen Disputation bei. Der Präses, der
Doctorand und beide Opponenten erschienen in Stiefeln, in langen Beinkleidern,
kurz in ihren gewöhnlichen Kleidern, ein extra ordinem Opponirender, der D. Guttentag
den Du kennst, saß eine Zeitlanp; zwischen den Studenten, auf den Stufen die zu
den Tribünen führen, welche für die Piofessoren bestimmt sind, und die Sache
selbst war innerlich auch schlecht. Kurz die ganze Historie mißfiel mir gewaltig.
Der Rector war da, ohne Ornat, kein Pedell, kein Scepter, kurz Nichts, was einiger
Maaßen den summis in utraque medicina honoribus oder der Würde des Ortes ent-
sprach. Das ist so ohne Zierde von der rustiken Universität zu Frankfurt zu dem
alten Jesuitenwesen in Bieslau gekommen, von welchem letzten, da die sonst zier-
lichen Jesuiten nicht mehr existirten, nicht viel Gutes und nichts Elegantes, aber
alles Schlimme übrig geblieben ist, und nun ist die Sache gemacht.
Unsre Hörsaale auf dem Universitätsgebäude sind groß und schön. Es ist
etwas Bequemes für die Studenten darin, daß sie nicht in der ganzen Stadt umher-
zulaufen brauchen, um Collegien zu hören, allein für uns ist's höchst beschwerlich,
daß wir dort lesen müssen. Denn es ist verboten in seiner Wohnung zu lesen,
und wird, selbst wenn man darum nachsucht, nicht nachgegeben, wovon Beispiele
vorgekommen sind. Wer nun gerade dort wohnt, dem ist dabei recht wohl, aber
wer weit davon sein Logis hat, wie mehrere von uns, der hat keine Freude dabei.
Ueberhaupt hat man es hier eben so gut verstanden, die Institute weitläufig aus-
einander zu legen, als in Kbrg. So habe ich z. B. 20 Minuten gebraucht, um von
dem Universitätsgebäude bis zum chirurgischen Clinico zu gehen, und das medi-
cinische Clinicum liegt von dem letzten gewiß noch weiter ab. Da man hier alles
neu geschaffen hat, so sind Fehler dieser Art nicht zu verzeihen.
Dagegen aber haben wir recht Vieles, und recht viel Gutes. Es existirt hier
ein reiches physikalisches Cabinet, eine wohlversehene Sternwarte, ein schönes
mineralogisches Cabinet, ein gut, jedoch noch nicht ganz vollständig versehenes
chemisches Laboratorium, außer der bändereichen und nicht ganz armen Bibliothek.
Ein zoologisches Museum ist angelegt, und soll — selbst gesehen habe ich es noch
nicht — schon recht artig seyn. Dagegen hat die Universität kein eignes anatomisches
Theater, sondern muß sich mit dem behelfen, was der, nicht gar freundhch gegen
Nachtrag zu 1815. igr
uns gesinnten Regierung gehört, auch — sag' doch dieses unserm Freunde Burdach,
zum Tröste; solamen niiseris, socios habuisse maloruml — keinen Prosector, wenn
gleich die Regierung einen solchen hat. Sie steht in demselben Verhältnisse, in An-
sehung des Entbindungshauses. Der Professor Andree, dessen Vorsteher ist halb
akademischer, halb Regierungs-Officiant. Schwerlich wird es möglich seyn, hierin
jemals eine Änderung zu treffen, die Sachen mögen sich stellen, wie sie wollen. ||
Auf der andern Seite ist hier auch nianches recht Gute. Es ist z. B. vorteil-
haft, daß die uns zunächst vorgesetzte Person, der geh. Reg. Rath Neumann ein
Bürgerlicher, und nicht von so hohem Range ist, daß man sich zu weit unter ihm
fühlt. Es läßt sich mit ihm vertraulich reden, wie ich in dem Augenblicke in
welchem ich dieses schreibe, .erfahren habe. Meine Collegen glauben das nicht alle,
vielen von ihnen geht es wie den Fröschen in der Fabel, die einen König ver-
langten; sie wollen durchaus einen excellenten Curator haben. Es kann sich etwas
der Art machen, aber ich. glaube nicht, daß die Weisheit eine nothwendige Eigen-
schaft der Excellenz ist. — Indessen ist es just nicht räthlich, jetzt viel über diesen
Gegenstand zu reden, weil gerade eine Krise dieser Gattung \ielleicht mit dem
nächsten Neujahr eintritt. Es ist sehr bequem, daß die Institute keine eignen
Rechnungen ablegen, sondern daß dieses durch die Quästur geschieht, auf welche
die Anstalten bloß Anweisungen schreiben. Man erspart uns auf diesem Wege
viele unangenehme Arbeit, und überhebt uns einer Responsabilität, welche höchst
drückend ist.
Doch genug davon für heute! Noch ein Paar Worte von mir selbst, die Deine
Freundschaft gütig aufnehmen wird. Im Ganzen gefalle ich mir hier, und glaube,
wenn die Fortsetzung meines hiesigen Aufenthalts dem Anfange entspricht, daß ich
zufrieden seyn werde. Das Klima ist deutlich müder als das Preußische, wir haben
den ersten Schnee am 2ten Nov. gehabt, und den ersten [Frost?] am 5ten. Beides
ist aber wieder fort; es regnet. Nur zuweilen, sagt man mir, gebe [der Winter]
einen Monat hindurch Schhttenbahn, und im März blühen die Veilchen. Das Obst,
die Gartenfrüchte sind trefflich und wohlfeil, ' wobei ich mir sehr gefalle. Ich bin
von meinen Collegen freundlich aufgenommen, imd werde fortwährend so behandelt.
[Dein Freund] und Schüler, Unterholzner, ist ein vorzüglicher Mann, dessen Ge-
wogenheit ich mir zu erwerben hoffe. Er ist verheirathet, ob ganz glücklich, kann
ich noch nicht wohl bestimmen, seine Frau scheint mir nicht ganz seiner Weise zu
entsprechen, und man will wissen, daß er viel außer dem Hause sey. Doch ist
das leider hier Sitte bei vielen, läßt sich folglich auf den Einzelnen nichts daraus
schließen. Meine Frau leidet, seit ihrer Entbindung, noch immer viel an rheumatischen
Schmerzen am Kopfe, und Marie hustet viel, so daß ich sie in's Zimmer sperren
muß. Julius ist auf die Empfehlung des alten Schneiders, den ich sehr hochachte
und dem ich viel Dank schuldig bin, in eine Unterrichtsanstalt, zu einem Prof.
Reiche, Lehrer am Maria-Magdalena-Gymnasium gebracht, wo er zum Gymnasium
vorbereitet wird. Der vormalige Untersecundaner, als er 10 Jahr alt war, kann
jetzt, da er 13 alt ist, noch nicht auf Secunda kommen. Du siehst, daß mein
Jammern über die Treibhauszucht im Fridericiano nicht ohne Grund war, denn
dieses ist weder des Knaben, noch seines bisherigen Lehrers Schuld. Hannchen
habe ich nicht so gut versorgt als in Kbrg, das fühle ich täglich, und weiß, da wir
hier keine sonderhche Töchterschule haben, mir doch nicht besser zu helfen. Doch
ist diese Parthie noch zu neu, als das ich urtheilen dürfte. Uebrigens fahren beide
Kinder fort mir Freude zu machen, Julius mehr, als ich gehofft habe. Hierin hast
Du wieder recht. Die beiden ganz kleinen sind, bis auf etwas Husten, gesund.
Hannchen und Marie grüßen Deine Natahe herzlich. Meine Frau und ich Deine
2Q2 Nachtrag zu 1816.
liebe Frau und Dich, und alle unsre dortigen Freunde. Besonders bitte ich Dich
Krause und Hüllmann herzlich zu grüßen, und dem letzten zu sagen, daß ich
nächstens an ihn schreiben würde.
Die Einlage empfehle ich Dir, zu gütiger Besorgung. Dein W. Remer.
Du verlangtest, ich solle Dir genau schreiben, was mich die Reise gekostet
habe, um vielleicht danach einen Etat für künftige eigne Reisen zu machen. Ich
bin dabei zu lebhaft interessirt, als daß ich es nicht pünktlich erfüllen sollte. Ich
habe beständig 5 Pferde bezahlt, auf einer Station 6, und habe passende Menschen
im Wagen gehabt, in jedem Gasthofe wo ich übernachtete 2 Zimmer und, wo sie zu
haben waren ö Betten gebraucht, bin 9 Tage unterwegens gewesen, und habe
235 rthr 19 ggr. ausgegeben. Dieses beträgt, 3 Kinder für einen Erwachsenen ge-
rechnet, auf die Person noch nicht voll 48 rthr für die Person. Merke Dir das,
und vergiß die Nutzanwendung nicht!
852. Süvern an H. (2 S. 4°. N.) d. 12t. März 1816
AVohlgeborener Herr, Hochgeehrtester Herr Professor! Ew. Wohlgeboren danke
ich recht sehr für Ihr Lehrbuch zur Philosophie, so wie ich es erhalte, weil ich
einen freien Augenblick Ihnen zu schreiben, habe. Daß ich Ihnen noch mehr
Dank wissen werde, wenn ich es gelesen habe, weiß ich im voraus. — In Ihre
Klage stimme ich mit voller Ueberzeugung ein. Es sind die Aussichten sehr ge-
trübt! und wohin die Verwirrung enden wird ist nicht zu sagen. — Indeß kommt
es uns zu, uns um jenes inconsequente Wesen nicht weiter zu kümmern, als es
uns widerstrebt und wir es nicht zu bezwingen vermögen, da aber auch nur uns
zurückzuhalten und fest in unserm System zu handeln. So erscheint doch noch
manches, obwohl fragmentarische, Gute. — Daß Ihr Aufsatz über den Unterricht
in der Philosophie auf Schulen irgend einen ungünstigen Eindruck gemacht hätte,
wüßte ich nicht. Vielmehr ist er beherzigt und wird nicht unbenutzt bleiben.
Antworten wir auch nicht auf alles, was von der wissensch. Deputation kommt,
so ist es darum doch nicht in den || Wind geredet. Wenn mau uns nur die
wissensch. Deputation noch stehn läßt, und nicht die lieben Consistorien mit an
ihre Stelle setzt, wozu der Anschein ist. Zwar wird entgegengearbeitet — aber
leise, leise, denn wir treten jetzt gewaltig sacht auf! — Um Ihnen doch etwas An-
genehmes zu sagen — der König hat der dortigen Universität einen bedeutenden
jährlichen Zuschuß bewilligt. Davon wird Ihr didaktisches Institut den gewünschten
Zuschuß von 500 Thlr. jährlich erhalten, der Sie in den Stand setzen wird es zu
einem .pädagogischen, nach Ihren Gedanken, zu erweitern. Ein sehr geeignetes
Wohnungsgelaß dazu bemühen wir uns zuvor auch Ihnen zu verschaffen. Ich
zweifle aber sehr daß es gleich gelingen wird. Doch soll der Gedanke daran nicht
aufgegeben werden. — Graff habe ich zu einer Schulrathsstelle vorgeschlagen, ich
weiß noch nicht ob etwas daraus wird. Sagen Sie ihm noch nichts. Es gefällt
mir, daß er sich nicht mehr so unruhig regt, und ich lasse ihn, gern dabei.
Leben Sie recht wohl und meiner aufrichtigen Hochachtung versichert.
Süvern.
853. Graf George Sievers an H. (4 S. 8". N.) St. Petersb.d. 1/13 Juni 1816.
Theurer innigst geehrter Freund. Erlauben Sie mir, um die Beförderung der
Inlage und um Unterstützung des in demselben eröffneten Vorschlages, Ihre freund-
schaftliche Gefälligkeit in Anspruch zu nehmen. Der letztere besteht darin, ob Hr.
Lottermoser nicht Theil nehmen will, an der hiesigen Erziehungsanstalt des Hrn.
Muralt. Lassen Sie Sich meinen Brief, an den mir von Ihnen empfohlenen jungen
Nachtrag zu 1816. iq^
Mann, mittheilen. Ich brauche den Inhalt desselben nicht zu wiederholen. — Wohl
aber muß || ich, im Vertrauen, zu Ihrer Notiz, die Aeußerung hinzufügen, daß, ob-
gleich ich mit der Anstalt des Hrn. Muralt sehr wohl zufrieden bin, ich doch, so-
wohl zum allgemeinen Besten, als auch insbesondere, da ich meinen Neven dort
erziehen lassen will, den Wunsch hege, einen Ihrer würdigen Schüler als Mitglied
dieser Anstalt zu sehn. Dazu kömmt, daß Hr. Muralt, durch seine Amtsgeschäfte
als Prediger, nicht ungetheilt sich der Anstalt widmen kann und nicht ungeneigt
scheint, seine Stelle in derselben, noch mehr als bisher, durch einen wackren
Pädagogen, vertreten zu lassen, ja ihm mit der Zeit sie vielleicht ganz einzuräumen.
Sie können Sich denken wie sehr es mir am Herzen liegt einen solchen Wirkungs-
kreiß für einen Mann zu gewinnen, der mit mir in einer Schule gebildet sey.
Meine bisherigen Bemühungen für Begründung einer zweckmäßigen National
Bildung in meinem Vaterlande haben zwar noch keinen bestimmten Erfolg gehabt.
Ich habe aber nicht nachgelassen meinem Ziele mit desto größerer Besonnenheit
und Beharrlichkeit entgegen zu gehn. Ich bin fest überzeugt || meine Bemühungen
für einen so schönen und großen Zweck werden nicht ohne Erfolg bleiben. Mein
Eespect für den Begriff der Causalität gestattet in dieser Rücksicht keine ängstliche
Besoigniß.
Zur zweckmäßigeren Anordnung des mathematischen und des damit in Ver-
bindung stehenden Unterrichts biethet mir die Direction der Ingenieurschule eine
sehr günstige Veranlassung.
Empfehlen Sie mich gefälligst dem Andenken der würdigen Männer die mir
so viel Beweise ihres Wohlwollens gegeben, vorzüglich Krause, Scheffner, Weiß. Mit
inniger Verehrung und herzlicher Ergebenheit Ihr Freund George Sievers.
Ihre Antwort bitte ich nach Riga an Hrn. Klein zu addr.
Ihrer vortrefflichen Frau Gemahlin meinen achtungsvollsten Gruß. Wie ist
es mit ihrem Befinden? Ist Ihr häusliches Glück nicht durch neue Gefühle
erhöht worden?
854. Schläger an H. (2 S. 4». N.) Lauterberg 9 Junii 1816
855. Richthofen an H. (2 S. 4». N.) Brecheishof d. 17ten Juni 16.
Unser dereinstiger Briefwechsel mein verehrtester Freund ist dermaaßen ins
Stocken gerathen, daß es fast aussieht, als wäre unsere Verbindung eher auf der
Hamburger Börse, als unter den Dächern der Georgia Augusta geschlossen worden,
wiewohl freilich die Zeit Ihres dortigen Lehrens ausgenommen, beiden die wahr-
hafte Philosophie gleich fremd seyn mag. Auch ich bin durch Widerwärtigkeiten
mancherlei Art ihr allerdings auf eine Zeitlang ziemlich entrissen worden, aber noch
sind beide, die Wissenschaft und ihr Lehrer, meinem Herzen und meinem wieder
emportauchenden Geiste gleich nah; und darum dräckts und betrübts mich doppelt
von Ihnen so gar nichts zu hören.
Ihre angekündigte Psychologie hat mich mit Begierde erfüllt; es wird mich
freuen wenn ich sie recht bald selbst zu Händen kriege.
Gegenwärtig gehe ich mit meiner Frau nach Reinerz. einem schlesischen Bade
und Molken-Ort. Wenige Tage nachdem sie mir diesen Winter ein Mädchen, mein
drittes Kind gebohren, trat zu manchem andern Uebel eine Lungenentzündung, so
daß wir lange für ihr Leben und mein wiederhergestelltes Lebensglück fürchteten;
möge Reioerz ihr völlige Wiederherstellung geben. || Im Herbst mache ich mit
meiner Frau einen Besuch in Jühnde, wo ich seit vier Jahren nicht war. Vorher
erhalte ich von Ihnen hoffentlich noch Nachricht, was mich sehr freuen würde.
Anbei die dießmaligen Johannis Zinsen. Auf immer der Ihre! Richthofen.
Herbarts Werke. XIX. 13
jQ. Nachtrag zu 1816.
856. Süvern an H. (1 S. 4°. N.) Berlin, d. 7ten Jul. 1816-
Ew. Wohlgeboren mir äußerst schätzbare Zuschriften würde ich früher be-
antwortet haben, hätten die Geschäfte mir dies erlaubt, und hätte ich den Gedanken,
Sie an Delbrücks Stelle an die dortige Regierung zu ziehn, so ersprießlich seine
Ausführung auch gewesen seyn würde, für ausführbar halten können. Jetzt
wünschen Sie meine Meinung, über die Möglichkeit eines nicht zu verzinsenden
Vorschusses zum Ankauf eines Hauses aus der Universitätskasse, zu erhalten, ich
will Sie mit falschen Hoffnungen nicht hinhalten. Denn wiewohl ich weder die
Möglichkeit noch die Unmöglichkeit zu verbürgen im Staude bin, so ist mir doch
die letztere aus manchen Gründen viel wahrscheinlicher. Ich glaube, daß selbst
das Curatorium zu einem solchen Antrage schwer zu bewegen seyn würde. Da-
gegen halte ich es viel wahrscheinlicher, daß Ihnen ein Miethsersatz eines Gelasses-
für das pädagogische Seminanum, welches doch zugleich Ihre Wohnung wäre,
würde bewilligt werden. Wenn Sie darum anhalten, so bedarf es etwa der Er-
wähnimg des Planes mit dem Kypkiano, den ich Herrn Graft nur vertraulich mit-
getheilt habe, durchaus nicht. Sollte dies einmal offen werden, so wird sich das
Weitere finden. Es ist mir aber lieb, daß ich für diesen Fall von Ihren Wünschen
unterrichtet bin. Seyn Sie überzeugt, daß ich gern alles fördern werde was zu
Ihrer Zvifriedenheit gereichen kann, und meiner unveränderlichen Hochachtung
versichert. Süvern.
857. Reichhelm an H. 4 S. 4". N. Bromberg den 13ten Juh 1816^
Wenn ich, mein höchst verehrter Gönner und Freund nicht länger warten
kann, um ein freundliches Wort mit Ihnen auszutauschen, so schieben Sie diese-
Ungeduld theils auf die übergroße Güte, mit welcher Sie mich in unserem früheren
Zusammenseyn fast verwöhnt haben, theils auf den natürlichen Drang meines Herzens,
das im Schriftwechsel doch einigen Ersatz suchen will für das, was es in Ihrer
Person verlor.
Bromberg gewährt durch örtliche Lage und innere Wohlhabenheit einen an-
genehmen Aufenthaltsort für den Gewerbetreibenden; für den Offizianten werden
diese Vorzüge durch die bedeutende Theuerung, durch den Mangel der kaum zu er-
haltenden Wohnungen, und durch eine gewisse Zurückgezogen heit sehr geschwächt,
welche sich zwischen den Einsassen und den Fremden erzeugt hat. Gründe genug
zum Mißfallen für Viele.
Zu der Zahl dieser gehöre aber ich nicht; || denn die schmerzhafte Rück-
erinnerong an das Verlorene macht mich anderer Seits nicht stumpf für die Auf-
fassung des Gewonnenen.
Zunächst sind unsere collegialischen Verhältnisse nicht aufmunternd; die erste-
Abtheilung der Regierung, in welcher ich sitze, wird während der Abwesenheit des
Directors,° H. v. Leipziger, vom Chef.-Praesid. unmittelbar geleitet und zählt einige
recht helle Köpfe. Die Formen des Geschäftsganges, welche im Ganzen nur auf-
merksame Achtung erfordern, habe ich bald erlernt; und die Geschäfte, welche jetzt
freilich überhäuft sind, werden sich hoffentlich mindern, wenn, was Gott gebe, eine
bessere Gestaltung der Dinge herbey geführt seyn wird.
Denn freilich in meinem eigentlichen Wirkungskreise sieht es unbeschreibbar
wunderlich aus. Während der Superint. und landräthl. Offizial die Schulen in
der Provinz vorläufig untersuchen, laufe ich täglich in allen Straßen umher, und
finde statt der Schulen recht närrische Gebilde. Da giebt es keine städtischen
öffentl. Anstalten, wohl aber 16—18 höhere, niedere, niedrigste Knaben und Mädchen-
Privat II Institute für alle Religions- und National-Parteien. Soeben bin ich mit einer
Nachtrag zu i8l6. jq^
ausführlichen Schilderung dieses unerhörten Gemisches beschäftigt, welcher ich einen
Plan für die Einrichtung des Elementar- Schulwesens der Stadt Br. anfügen will.
Der höhern Genehmigung, auch durch die Zusicherung d. Hrn. Jerbori di Sporetti
gewiß, hoffe ich die thätigste Unterstützung der Einwohner, weil das Bedürfnis fast
schreiend ist. Jedoch die Fonds abgerechnet, macht hier uns wieder die Noth-
wendigkeit, in beiden Sprachen unterrichten zu müssen, große Schwierigkeiten. Aber
Zeit und Eifer vermögen viel, wenn die Noth drängt.
Nicht besser steht es um unser Gymnasium: mein Bericht über den inneren
Zustand desselben klingt unglaublich. Etwas Mathematik wird gelernt, aber Ge-
schichte und vomämlich Sprachen ! ! Dabey in den beiden obern Classen (die unteren
zählen nur deutsche) das Gemisch beider Fnterrichtssprachen , gehandhabt von
Männern, denen Paedagogik eben so fremd ist, als deutsche Gelehrsamkeit. Sie
mögen erachten, wie viel ich in dem entworfenen Etat habe fordern müssen; || einen
Director, 3 Oberlehrer, 3 Unterlehrer, einen für den technischen Unterricht. Und
wenn alles gewährt werden könnte, will ich zunächst Gott danken, wenn aus Prima
ein ziemliches [Teitia] wird. Die Sachen sind bald zum Abgange nach Posen und
Berlin reif; allein der gute Wille hilft hier nicht, es kommt auf Geld an. Wir
hatten Hoffnung den Finanzminister hier zu sehen, aber sie scheint nach neueren
Nachrichten zu schwinden. Große Hoffnung ist von dem Bedürfniß zu hegen^
welches die Offizianten selber haben. Bitten muß ich Sie aber, diese unsere
Umstände alle für Sich zu behalten; die Politik befiehlt hier, zart aufzutreten und
zu sprechen, aber wahr und stark, doch geheim zu schreiben. Über den Erfolg für
die Zukunft; halten Sie nur hin und wieder ein Subjekt im Auge.
Zum Schluß eine Bitte: empfehlen Sie mich doch an [WalsJ; lassen Sie meinen
Schwager kommen und sagen Sie ihm, daß ich auf Nachricht von ihm harre, die
er gemeinschaftlich mit Diestels Bruder, doch sobald als möglich ertheilen möge;
Sie selbst schreiben, wenn es irgend angeht, auch wohl über den paedag. Stand der
Dinge seit der neuen Regierung Hrn. Schulraths Beweis. — vornämlich aber empfehlen
Sie Amalien aufs herzlichste Ihrer theuern Gattin und vergessen Sie nicht Ihrem
dankbar verpflichtetsten Keichhelm.
N. S. Literarisches Leben ist hier herzlich wenig, vielmehr bei natürlich guten
Köpfen Entgegenstellung gegen das streng — Wissenschaftliche vorherrschend. Die
Einlage sind Sie wohl so gütig sogleich zu befördern. — Leben Sie doch recht wohl,
körperlich und geistig wohl. R.
858. Reichhelm an H. (4 S. 4«. N.) Bromberg den 2lsten Novbr. 1816
Mein innigst verehrter Gönner und Freund! Fast verdanke ich es nur Hrn.
L. K. Scheffner, wenn ich hin und wieder eine fröhliche Kunde über Sie und Ihr
Wirken vernehme. Und doch ist der Gedanke an Sie oft so recht lebendig in mir,
daß es mir vorkömmt, als triebe es mich zu Ihnen zu eilen, um so wie sonst, aus-
zuschütten, wovon meine Seele voU ist. Lassen Sie mich mit Einigem anfangen,
was Ihre eigne Person berührt.
Kürzlich empfing ich von Nicolovius und von Süvern Briefe. Der letztere
sagt: „ich habe um so bereitwilliger mitgewirkt, als Hm. Prof. Herbait Empfehlung
mir viel gilt." Obgleich N. viel gütiger, ich darf sagen, zutraulicher an mich ge-
schrieben, S. dagegen nur beabsichtigt zu haben scheint, mir seine Zufriedenheit
wegen der Einrichtungen in Bezug auf das hier beabsichtigte Gymnasium zu er-
kennen zu geben und hauptsächlich einen Director und die Oberlehrer für dasselbe
zu empfehlen, so hat doch die obige Äußerung S. Brief mir || unendlich lieb ge-
macht. Seme Wünsche in Hinsicht des Gymn. werden wohl für mich Befehle seyn;
13*
jq5 Nachtrag zu i8iti.
ungeachtet mein Schwager mir leid thut, den ich werde aufgeben müssen, da S. mir
sehr dringend den Dr. Zumpfs, Oberl. am F. Werd. Gymn. in Berlin, als Philologen
nahmhaft gemacht hat. — Der Minister des Innern und der Finanz Minister haben den
König in einem Immediat Bericht um 3000 Thlr. jährl. Zuschuß für die hiesige gelehrte
Schule, meinem Antrage gemäß, gebeten und zwar vom Iten Jan. h. ab, weil eben
4000 Thlr. zum Ausbau des Gebäudes nothwendig sind. — Die hiesigen städtischen
Schul- Anstalten warten von Woche zu Woche auf die Gewährung des Carmeliter-
Kloster-Gebäudes, ohne welches mein Plan, der Fonds wegen, nicht würde ausführbar
seyn. Ungern möchte ich ihn verdrängelt sehen. Herrn Junker habe ich zwar
der städtischen Schul. -Dep. mit vorgeschlagen, aber ich fürchte sehr für ihn und
kann nichts mehr thun, denn sein Zeugniß ist zu schlecht und überdieß meinen die
Leute hier: das Polnisch was er könne, sey kein achtes Polnisch und doch darf
dieß mein einziger Unterstützungs- Grund seyn, denn für die Stellen, wo Polnisch
nicht II gefordert wird, sind bessere da. —
Die Hälfte unseres Regier. Bezirkes bin ich durchreiset und an die andere
geht es binnen einigen Wochen. In den Kreisstädten, vornämlich in Gnesen, habe
ich Schul. - Confr. mit den Geistlichen abgehalten. Im Ganzen sind sie herzlich
dumm und überdies die kathol. und die prot. in heftiger Reibung gegen einander, nur
an dem Bischof Szieminrei, Official des Erzbischofs, habe ich glücklichen Beistand
gefunden; freilich auch mehr, weil er meine Persönlichkeit lieb gewann, und die
Wissenschaften achtet, als aus paedag. Neigung.
Hier muß alles erst lernen; Schul -Inspektor, Pfarrer und Schullehrer. Wie
das zu machen sey, habe ich kürzlich unserm Praesidenten auseinander gesetzt, der
dies pro memoria dem Ober-Praes. persönlich übergeben wird, damit es durch ihn,
der nach Berlin reiset, gehörige Unterstützung fände. Mein Vorschlag reiht sich
an die erbetene und im allgemeinen versprochene Errichtung eines SchuUehrer-
Seminariums für unsere Provinz an; er geht von dem Grundsatz aus, daß Männer,
wie ich sie vor mir habe (und wie sie überall wohl nicht viel besser seyn mögen)
das Bessere schauen müssen.
Jeder andere Versuch würde vergeblich seyn, und sonst werden meine an-
zustrebenden Schul-Inspectoren auch nichts helfen, da sie wissen müssen || was sie
sollen und wozu sie Prediger und Lehrer zu ernmntern haben. Wie gräulich es
mitunter aussieht, sähe ich vorzüglich in Pakocc '). Ein Gymn. von 300 Z. (zwischen
8 — 25 Jahren) in den Händen von Franziskanern; der Prof. gram, in [Ima] las
etwas von Cicero ohne Sicherheit in den Formen des Latein; der Prof. mathes. war
bis zu den arithm. und geometr. Proport, gekommen! Aber das ist ein Wespennest,
wo man sehr behutsam zu Werke gehen muß. Hin und wieder, besonders in den
deutschen Kreisschulen, fand ich es besser, — etwa ähnlich den höheren Büi'ger-
schulen in K.
Seit mehreren Wochen hüte ich die Stube einer Fußwunde wegen, die, ich
weiß nicht wie, entstanden ist. Das hat mir denn vergönnt, um einen Ruck in
meinem Schreiben vorwärts zu kommen, was bei den überhäuften Geschäften, den
Geschäftsreisen und den mancherlei Planen, die sich in meinem Kopfe kreuzen,
eine Wohlthat für mich war.
Mein übriges Leben in Br. ist gerade nicht sehr erfreulich; ich muß vielen
Popanz mitmachen, der Zeit und Kosten nicht werth ist. Nur bey sehr überdachter
häusl. Einschränkung wird es mir möglich auszukommen und wenn meine Familie
•) Pakocc, Pakosch oder Pakose, Stadt im Reg.-Bez. Bromberg a. d. Netze,
mit Kloster.
Nachtrag zu 1817. jgy
sich mehrt, wozu nahe Hoffnung vorhanden ist, so muß ich für die Zukunft auf
die Liberalität des Min. rechnen. Der Himmel gebe nur, daß an den Veränderungen
in demselben, wovon man viel spricht, wenig Wahres sey.
Nun rechne ich mit Sicherheit auf ein freundliches Wort von Ihnen; vor
allem darf nicht fehlen, was Ihr didakt. Institut macht. Meine Frau schreibt der
Ihrigen, der icli mich, so wie Krause's herzlich empfehle.
Mit ganzem Herzen Ihr treuer Reichhelm.
N. S. Was macht Stiemer? Von S. aus habe ich zuletzt an ihn geschrieben,
ohne eine Erwiedening empfangen zu haben. Fast hoffte ich, er würde sich zum
Rectoral der städtischen Schulen melden; er hat es nicht gethan. R.
N. S. vom 22. Der König hat das Geld fürs Gymn. bewilligt; ich soll meinen
Plan zu seiner Einrichtung (nach den Principien der Ihnen bekannten Ministerial
Verfügung) entwerfen und Vorschläge für die Lehrerstellen thun. Die Ober-
lehrer hat, wie gesagt, Hr. Süv. mir genannt — unter den Cnterlehrern muß
wenigst, einer polnisch können und kathol. seyn. Auch eine erfreuliche
Nachricht wegen Überlassung des Carmeliter Gebäudes für die Stadtschule und des
Kloster-Vermögens für den Gymnasial-Fond ist eben angekommen. Wüßte ich nur,
was mit den gegenwärtigen Lehrern zu machen?
859. Reichhelm an H. (4 S. 4«. N.) Biomberg den I6ten Januar 1817.
Mein höchst verehrter Gönnerl Ihre beiden sehr lieben Briefe v. 26ten Decbr.
V. und 9ten Januar d. J. habe ich mit Freude empfangen. Sie vergönnen mir
wohl, um Herrn Zauder nicht in Ungewißheit zu lassen, Ihnen zuvörderst zu
eröffnen: Daß die Wahl der hieher zu berufenden städtischen Elementar -Lehrer
bereits Ausgangs Novbr. v. J. vollzogen worden. Die Rector-Stelle ist Hr. Prof.
Müller in Biaunsberg (auf Krause's und Scheffner's an mich gerichtete Empfehlung)
angetragen worden; zwar hat sich derselbe noch nicht bestimmt erklärt, vielmehr
unterhandelt er, wie ich weiß, mit dem Ministerio um die etwanige Verleihung einer
Director- Stelle an einem Schles.- kathol. -Gymn., indessen wenn auch Hr. Müller,
was immer nicht wahrscheinlich, die Stelle ausschlagen sollte, || so haben nach der
getroffenen Wahl-Einrichtung seine beiden Mit-Canditaten, Herr Latzel aus Bieslau
-und Hr. Dr. Kühner aus Berlin, unausweichbares Recht an die Stelle. So bin ich
außer Stande, für Herrn Zander wirksam zu seyn; hätte derselbe seinen Wunsch
Ihnen vor ein paar Monaten eröffnet, so würde auf Ihre Empfehlung, deren ent-
scheidendes Gewicht bei mir Sie kennen, die Wahl wahrscheinlich ihn getroffen
haben. Für das Gymnasium kann ich natürlich auf Herrn Zander nicht rücksichtigen;
und ihn als Elementar-Lehrer anderswo eben so vortheilhaft. wie hier in Bromberg,
anzustellen, dürfte mir sehr schwer werden. Indessen ist die Notiz selber, da ich
den Mann achte, mir heb, und wer weiß, wie die Um.stände es fügen. —
Die Nachricht über H. v. N. ist mir, ich weiß selbst nicht recht, ob mehr
niederschlagend oder mehr lächerlich gewesen. Was ist doch der Mensch, wenn er
andern zum Spielballe dient? Freilich steht |1 es um die Wissenschaft tief beträbend,
wenn das Ihre öffentlich redenden Zöglinge sind. Ein Glück für uns, daß Gedanken,
welche eine Zeit, wie die unsrige, leicht unbeachtet läßt oder absichtlich miß-
verstehen will, nicht verloren gehen, vielmehr die Hoffnung einer Erfolgreicheren
Wiederanknüpfung gewähren. Wir kranken überall sehr; Schwindel und Ver-
zückung sind die Hauptcriterien des ansteckenden Fiebers. Gott sende bald den
Arzt, sonst folgt dumpfe Ermattung! Em gewisser Harnisch der sich von Breslau
aus mit mir in Briefwechsel gesetzt hat. will durch die Herausgabe „eines fünfzig-
jährigen Hauslehrers", die veralteten Niemeier und Pestalozzi todt machen —
jgg Nachtrag zu i8i;
Meine amtlichen Arbeiten, die mitunter von ungemeiner Schwierigkeit sind,
haben so überhand genommen, seit ich überall gerührt, daß ich kaum die nöthige
Zeit für eine Bewegung im Freien gewinnen kann. Je weniger ich, außer dem
Nothwendigsten, lesen kann, um so mehr sehne ich mich nach einer Zeit, wo ich |1
einen freiem Spielraum für mein Selbst-Studium gewinnen kann. Etwas verspreche
ich mir von den künftigen Lehrern am Gymnasio; mindestens dürfte mir dadurch
einiger wissenschaftlicher Umgang werden, der mir jetzt ganz fehlt und den ich
schmerzlich entbehre.
Mein Schwager hat mir soeben geschrieben; er ist in seiner Wahl sehr un-
schlüssig, und wahrlich es wird schwer, ihm zu rathen. Denn die erste Oberl.
Stelle kann ich ihm aus Gründen, die ich ihm mittheilen werde, nicht geben; bey
der zweiten, für die ich ihn vorzuschlagen gedachte, hat er 620 Thlr. und ^/j^ des
Schul-Geldes. Aus eigner Erfahrung weiß ich, was es heißt, sich hier mit 800 Thlr.
durchstümpern und fast kann ich es nur mit Hülfe meines Pensionairs. — Besser
fast sind die beiden ersten Unterlehrer-Stellen dotirt wegen der freien Wohnungen,
die sie genießen
Meine Frau und ich wünschen herzlichst, daß Ihre Gattin wohl seyn möge;
unserer verehrenden Liebe sind sie gewiß.
Ihr treu gehors. Freund Reichhelm.
Zur Direktion der 2. l'rüf. Commission wünsche ich Glück; mir thut es nur
doppelt leid, daß unsere armen Cand. statt nach K., nach Breslau zum gel. Schul.
Cand. Ex. gewiesen sind. R. Einen herzl. Gruß an Krausen.
860. Graf George Sievers an H. (4 S. 8". N.) St. Petersburg d. 24 Jan. 1817.
Verehrter Freund. Obgleich ich auf zwei meiner Briefe an Sie vom 2. Juni
und vom 8. Nov. v. J. noch keine Antwort erhalten habe, muß ich Ihnen doch
wieder schreiben. Jene Briefe betrafen vorzüglich Hrn. Lottermoser, der gegen-
wärtige betrifft Sie Selbst. Fellenberg hat nehmlich bei mir angefragt, ob Sie Sich
wohl entschließen würden Ihren jetzigen Aufenthalt gegen den in der Schweitz zu
vertauschen? und welche Bedingungen wohl zu diesem Zweck vorzuschlagen wären?
Ich glaube diese Anfrage nicht besser || beantworten zu können als indem ich mich
an Sie selbst wende. F. wünscht Sie bei seiner Erziehungsanstalt, die durch die
Gegenwart mehrerer deutschen Fürsten Kinder, für einen deutschen Vateriands-
freund ein höheres Interesse gewinnt, zu fixiren. Sind Sie nicht abgeneigt den
schönen Wirkungskreiß, der sich Ihnen dort darbiethet anzutreten, so bitte ich Sie
mir als Freund freimüthig darüber zu schreiben. Sie können das um so unbedenk-
licher', als ich F. Ihre Forderungen als die meinigen (für Sie) vorschlagen würde
und Sie auf diese Weise keineswegs gebunden wären, sondern es Ihnen, wenn ||
sich F. hierauf an Sie wenden würde, völlig frei stünde, nach Ihrem dermaligen
Gutdünken die Vocation zu erwiedern.
Damit dieser Brief Ihnen sicher zugestellt werde, schicke ich ihn unter Adresse
des Hrn. Beetz. Ihre Antwort adressiren Sie gefälligst unmittelbar au Ct. S. General
Major commandant le corps des Ingenieurs ä la le armee ä St Petersbourg. Mit
Ungeduld werde Ich derselben entgegensehen.
Empfehlen Sie meinen Bruder und mich bestens Ihrem vortrefflichen Freunde
Krause. Die Sache des ersteren ist endlich vom Senat zu seiner völligen Recht-
fertigung entschieden. — Bald wird sie dem K. vorgestellt. || Ich lebe gesund und
meinem Berufe, der mir Freude gewährt, treu. Durch die mich getroffene Wahl
eines Patrons der hiesigen lutherischen Gemeinde der Petri Kirche an die Stelle
des verstorbenen Prinzen von Oldenburg, habe ich auch Einfluß auf die sehr wohl-
Nachtrag zu 1817. jqq
thätig würkcnde Schule derselben erhalten. Durch Beharrlichkeit und Benutzung
jeder günstigen Gelegenheit hoffe ich noch manche Schwierigkeiten zu beseitigen.
Ihrem und Ihrer werthen Frau Gemahlin Andenken mich bestens empfehlend bin
ich mit herzlicher Verehrung Ihr innigst ergebener Freund George Sievers.
861. C. Steiger an H. (6 S. 8". X.) Riggisberg Ende März 1817
Bester Freund! Unsere alten Verhältnisse so Jahrelang vernachlässigen — nein
das kann länger nicht gehn! — Vieles mag wol, durch äußere umstände veranlaßt,
zu dieser Unterbrechung beygetragen haben; indessen zu rechtfertigen ist sie doch
im Grunde nicht, nur zu verzeih'n, wohin wenigstens ich meinerseits, mein Lieber,
die Zuflucht nehme. — Womit soll ich nun aber anfangen ? — Von Dir oder den
Deiniyen weis ich nichts, ^- nichts von Deiner gegenwärtigen Lage. — Auf
egoistische "V^'eise bleibt mir also nur übrig Dich indessen von mir selbst zu unter-
halten, von meinem Treiben und Lassen und was mich, sonst etwa umgiebt, und
Dich interessiren mag. —
Ersteres erstreckt sich nicht weit. Es war wider meine Grundsätze und Ge-
fühle unter der Mediation irgend eine Anstellung anzunehmen. Diese Regierung
zu stüi-zen bin ich in den Jahren 1813 und 14 in den Augen |i Vieler, beyläufig
zwar auf Gefahr meines Kopfes, zu -eifrig und zu thätig gewesen, der Hoffnung
mit ihrem Sturtz würde auch der alte Geist wieder erwachen, zu rächen die
Schmach, die langerduldete. Allein der "^'echsel der Form zog den des Geistes
nicht nach sich; denn an gleicher Stelle blieben die Machthaber, gegen deren
förmlichen Willen und Streuben die Veränderung geschehn. So in meinen schönsten
Hoffnungen getäuscht, die Schweiz und voran Bern am heiligen Kampf theilnehmen
zu sehen, zog ich mich heraus aus dem kleinsichtig politischen Wirrwar, zu ver-
schmerzen meinen Gram im häuslichen Glück und der freyen Natur. — Ich warf
mich in mein altes Lieblingsfach die Landwirtschaft, und fand darin die gesuchte
Befriedigung; denn zuwider war mir alles was nur auf Politik von weitem Bezug
hatte. Bios speculative Wissenschaften ohne Anwendung wollten meinem Alter
auch nicht mehr genügen. — Oft war || ich im Begriff die Feder zu ergreifen, den
beßeren Theil der Nation in den Augen der Nachwelt zu rechtfertigen; allein die
großen Schauspieler sind noch sämtlich auf der Bühne, sowol hier als im Auslande
.und Klugheit gebietet einstweilen noch Stillschweigen. (Ich befand mich damals im
groß. Hptquartier der Allirten in direkten Unterhandlungen mit den Ministern.)
Im Jahre 1815 stand ich mit meinen drey Brüdern mit auf französischem
Boden. — Die Stimmung hatte sich in der Zwischenzeit merkUch gebessert. Be-
sonders fingen unsere hochv.-eisen Herren in Bern endlich an einzusehn das Ver-
säumte; allein der rechte Moment war vorüber um nicht wiederzukehren. — Eine
nothweudige Folge war, daß man begann minder ungerecht zu .seyn gegen mich;
es blieb nur noch ein Gefühl von verwundeter Eitelkeit. Doch blieb fest mein
Entschluß mich zu keiner öffentl. Stelle zu melden. — Indessen da man mich
seither |] mehrmal selbst darum anging, habe ich ohne mich zu binden, die Relationen
beym Obersten Justiz Tribunal über mich genommen. — Bey der vorjährigen Er-
gänzung der 200, um einige Monate zu jung um direkt einzutreten ward ich ein-
hellig unter die Zahl der Candidaten aufgenommen, die bey erledigten Stellen dem
Alter nach in den großen Rath einrücken. —
Dies ist alles was ich Dir von meinem öffentl. Leben sagen kann. — Glück-
licher bin ich in meinem häuslichen. Ein munterer Junge und 3 ebenso muntere
Mädchen lassen mich mit ihrer zärtlichen Mutter hierin nichts zu wünschen übrig.
— Mein Yater seit 1814 wieder im Kleinen Rath und daher an die Stadt gebunden
ist noch immer gleich thätig und rüstig, obgleich ein vor l^a Jahren durch FaiUite
200 Nachtrag zu 1817.
eines Hauses in London erlittener Veilust von Hunderttausenden ihn stark an-
gegriffen hat. Von meinen Brüdern lebt der älteste mit || seiner Familie in Paris
wo er großes Haus hält und eine Stelle in der Schweizer Garde bekleidet. Rudolf
seit 1815 zurück aus Englischem Dienst, in dem er Wellingtons Feldzüge mit Aus-
zeichnung und Glück mitgemacht hat, ist nun auch, in den heiligen Ehestand ge-
treten und bereits Vater. Seine Gemahlin eine Neuenburgerin. Du würdest ihn
ebensowenig wiedererkennen als Ludwig, beyde völlig Engländer aber vom gebildeten
Schlag, von Innen und Außen und dabey so corpulent daß ich daneben winzig dünn
aussehe. Franz ein guter Junge von viel Geist und Verstand, treibt sich seit
einigen Jahren in Deutschland herum zur Erlernung des Forstwesens und Camerale.
In Göttingen hat er ein Jahr zugebracht und diesen "Winter in Berlin. Durch
einen unglücklichen Pferdesturz verlor er einen guten Freund, den Sohn des
Deinigen Zehender. || Fellenberg in Hofwyl dessen persönl. Bekanntschaft ich erst
vor ^4 Jahr machte, sagte mir gleich viel Schönes über Deine Pädagogik, gestand
aber die Metaphysik nicht verstanden zu haben. Erstere scheint er mir in seinen
Erziehungsanstalten zum Theil zu benutzen. Ich kenne den weltberühmten Manu
noch zu wenig um ihn zu beurtheilen. Bis jetzt kommt er mir aber noch so
ziemlich als ein Compositeur vor.
Nun mein Bester, nun erwarte ich auch von Dir mit Verlangen, ein Näheres
zu hören, vorzüglich sollte es mich unendlich freuen zu vernehmen, daß Du zu-
frieden und glücklich bist und es Dir ivohlergehe. im praktichen Leben doch nicht
zu verachtende Dinge. Ganz der Deinige C. Stgr.
862. Fr. Thiersch an H. (1 S. 4'J. N.) München d. 12 April 1817
Mein Bruder, der Dr. Bernhardt Thiersch, geht über Königsberg nach Gum-
binnen als Lehrer an das Gymnasium daselbst, und ich nehme durch ihn Ver-
anlassung, mein Andenken bey Ihnen, vielverehrter Herr und Freund, zu erneuern,
zugleich auch Sie für den Bernhardt bey semem kurzen Aufenthalt in Königsberg
um eine gütige Aufnahme zu bitten. Ich habe zuweilen von Reisenden aus Ihrer
Gegend, zuletzt von Berner Collegen [Vj über Sie erfreuliche Nachrichten eingezogen,
und freue mich, daß ich Ihnen ähnliche von mir geben kann. Ich bin seit dem
Anfange dieses Jahres glücklich verheirathet, und lebe fortdauernd in sehr an-
genehmen Verhältnissen. Die Krone und die Vereinigung unseres Kreises bleibt
immer der ehiwürdige Jacobi, und ich wünsche mir Glück, zu einem engen Verein
von Familien zu gehören, der sich um ihn gebildet hat. Sein Alter ist im Ganzen noch
frisch, obgleich öfter von den unzertrennlichen üebeln der siebziger Jahre getroffen.
Schelling scheint von seiner herben Stimmung vieles nachgelassen zu haben, und
ist in einer glücklichen Ehe und als Vater von nun schon 3 Kindern um vieles
menschlicher geworden. Seine Frau ist die älteste Tochter von Gotter aus Gotha,
die meinige eine Tochter des sei. Löffler eben daselbst, und das gute Verhältniß
zwischen beyden sehr vorzüglichen Frauen hat auch die Männer einandei' näher
gebracht. — Meine Wirksamkeit für Philologie wird leider durch die falschen
Maasregeln der oberen Behörden vielfach gehemmt. Doch habe ich nie Hoffnung
und Vertrauen verloren. — Von Dissen bekomme ich seltener Nachricht, als ich
wünsche, aber was seine litterarische Thätigkeit anbelangt, immer gute. Allgemein
gilt er als eine Zierde .der Universität von Göttingen. Schade daß Griepenkerl
seine größte Kraft in der Sache eines Mannes verwendet hat, der am Ende doch
ein Charlatan ist, und vorzügliche M. zu egoistischen Zwecken misbraucht. Ich habe
noch Auftrag, Sie auf das angelegentlichste von unserem Jacobi zu grüßen. Leben
Sie wohl und seyen Sie meiner fortdauernden unbedingten Verehrung versichert.
Fr. Thiersch.
Nachtrag zu 1817. 201
863. Graf G. Sievers an H. (4 S. 8». N.) St. P(etersburg) 13/25 Aprill 1817
Für Ihr freundschaftliches Schreiben vom 17. Febr. eile ich Ihnen meinen
herzlichsten Dank zu bezeugen. Ich bin abgehalten worden mir dieses Vergnügen
früher zu gewähren, durch eine Arbeit die mich ganz in Anspruch genommen. In
meinem letzten Briefe glaube ich Ihnen gesagt zu haben, daß ich, nach meiner
Zurückkunft aus dem Ausland, zu Anfang des vorigen Jahres, einen Bericht über
die Benutzung der im Auslande bewährten Verbesserungen des Elementarunterrichts
zur Reorganisation unserer ßildungs-Anstalten der Soldatensöhne, deren Anzahl sich
auf 80 beläuft, gemacht habe. Vor 6 Wochen erhielt ich vom Kaiser den Auftrag
ein Reglement zu diesem Zweck zu entwerfen. Nach Beendigung desselben ist es
von mehreren fachkundigen Männern geprüft und vollkommen gebilligt || worden.
Ich darf erwarten, daß es bald auch die Genehmigung des Kaisers erhalten werde.
Wie Sie Sich leicht denken werden, ist die wesentlichste, zur Ausführung unum-
gängliche Maßregel die Errichtung eines Seminars. Aber auch zu diesem fehlt es
uns an Lehrern. Ich habe vorgeschlagen, sechs junge Leute, die sich, mehr durch
Fähigkeiten und Sittlichkeit als durch Kenntnisse, auszeichnen, zur Erlernung einer
besseren Methode, auf ein preußisches Seminar zu schicken. Es kömmt hier alles
darauf an eine gute Wahl zu treffen und da bitte ich mir, verehrter Freund, Ihren
gütigen Rath aus. Seit vorigem Jahre ist, unter H. Türks Leitung, eine neue Anstalt
dieser Art in Frankfurth a. d. 0., sowie auch ein Seminar in Bunzlau, entstanden.
Erweisen Sie mir die Freundschaft mir, sobald wie möglich, zu || schreiben, was Sie
von diesen Anstalten wissen und ob Sie irgend einer anderen den Vorzug vor ihnen
geben? — Mit innigem Vergnügen vergegenwärtige ich mir jetzt das lebhafte
Interesse, mit dem ich, vor 11 Jahren, das Lehrer -Seminar in Hannover und die
Industrie Schulen in Göttingen, besuchte, da ich jetzt dem, damals nur sehnsuchts-
voll geahndeten, Ziele, ähnliche Anstalten in meinem Vaterlande zu errichten, wahr-
scheinlich nahe stehe und wenigstens gewiß bin, in meinem Streben nach diesem
Ziele, nie nachzulassen. Das lebhafte Vergnügen, welches mir diese Ueberzeugung
gewährt, vereinigt sich in meinem Gemüthe mit dem innigsten Dankgefühl für Sie
meinen verehrten Lehrer und Freund.
Aber bei meinem lebhaften Wunsche eine bessere Bildung der Jugend in
meinem Vaterlande zu befördern, darf ich mich nicht blos auf || die niedrige Klasse
Beschränken. Die Bildung der höheren Stände erheischt nicht minder Verbe.sserung.
Und da muß ich noch mehr Ihre gefällige Mitwirkung in Anspruch nehmen, wenigstens
in so fem, als Sie, mehr als irgend jemand, geeignet sind, mir Männer zu empfehlen,
deren Hülfe mir unentbehrlich ist. Mit meinem Antrage an H. Lottermoser ist es
mir sehr Ernst; ich wiederhole ihn nochmals. Es ist mir au.snehmend wichtig einen
Ihrer würdigen Schüler in meiner Nähe zu haben. Ich bitte Sie inständigst, H. L.
zu bereden die Stelle anzunehmen. Sie verdient einen solchen Mann, sowohl un-
mittelbar, als auch in so fern als er, durch Rath und Muster, sich einen noch aus-
gebreiteteren Wirkungskreis schaffen würde. Auch unsere Petri Schule, die bis
■ jetzt das vorzüglichste deutsche Gymnasium in Rußland war, erfordert bedeutende
Verbesserungen, die nicht ohne Wechsel des Personals Statt finden können. Würden
Sie mir nicht z. B. einen tüchtigen Lehrer für Geschichte und Geographie vor-
schlagen? Das bisherige Gehalt ist zwar nur 1500 R. B. A. gewesen; der Posten
wird aber durch eine schöne Wohnung in der Schule selb.st, welche die Gelegenheit
gewährt, Pensionaire anzunehmen, sehr einträglich. — Ich begreife sehr wohl, daß
es eigentlich eine sonderbare Anmuthung scheinen könnte, die ich mir erlaube,
indem ich Sie bitte mir tüchtige Lehrer zu empfehlen, die Sie in Preußen selbst
brauchen können. Allein ich rechne dabei auf Ihre cosmopolitischen Ansichten,
2Q2 Nachtrag zu i8i8.
•welche die Menschlieit umfassen und die Sie auch für Ihre eigene Person nicht
auf immer an den preußischen Staat fesseln — nicht minder aber auch auf Ihre
freundschaftlichen Gesinnungen für mich, der ich mit ganzer Seele bin Ihr ergebenster
Freund George S.
864. An Fr. Thiersch.i) Königsberg 15 Jul 1817
Ihr Herr Bruder hatte vor ein paar Monaten die Güte, mir einen
Brief von Ihnen, mein hochgeschätzter Herr Professor! zu überbringen,
den ich jetzt auf ähnliche Weise erwiedern kann, indem ich Ihnen einen
jungen Gelehrten zuführe, der Ihnen von dem Zustande des philologischen
und mathematischen Studiums auf unserer Anstalt keinen Übeln Begriff
geben wird. Herr Lottermoser geht in die Schweiz zu Fellenberg,
wohin der Prof. Schweigger, mein College, ihn empfohlen hat. Sie scheinen
in München besondere Nachrichten über den berühmten Mann zu haben,
von denen Sie Herrn Lotterm. wohl nur das Gewisseste mittheilen werden.
Wenn es Ihnen möglich ist, Herrn Lottermoser als einen Reisenden
mit dem was München einen solchen darbietet, einigermaaßen bekannt zu
machen, so werden Sie mich verbinden. Er mag Ihnen dagegen von
Königsberg, und falls Sie wollen, von meiner hiesigen Lage erzählen.
Von Ihrem Herrn Bruder habe ich zwar, seit er in Gumbinnen ist,
nichts gehört; ich kann aber vermuthen, daß es ihm wohl geht, denn ich
kenne sowohl den Director des dortigen Gymn., Hrn. Reg. R. Clemens,
als einen sehr würdigen Mann, wie auch die Anstalt selbst als eine solche,
die in allgemeiner Achtung steht. Auch die Gegend ist angenehm, so
fern das auf flachem Boden möglich ist.
Jakobi'n bitte ich meine Ehrerbietung zu bezeugen. Sollten Sie
Koppen aus Landshut sehn, so ersuche ich Sie, mich auch diesem, freund-
schaftlich zu empfehlen.
Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlseyn und Ihr Wirken, und
mit der Bitte um Ihr ferneres gütiges Andenken — ganz der Ihrige
Herbart.
865. Richthof en an H. (4 S. 4». N.) Brecheishof d. 25sten Maerz 1818.
Wie eine freundliche Erscheinung ans früherer Zeit war mir Ihr Brief; denn
wenn auch ein freundschaftliches Verhältniß der Gemüther ohne jVIittheiluug fort-
bestehen kann, so ist doch der wechselseilige Verkehr gewiß eins der Haupt-Elemente,
dessen gänzliches Aufhören vielleicht zuletzt nur noch eine liebliche Erinnerung
zurückläßt. Dabei schwebte mir zuweilen eine von Ihnen einst gemachte Aeuße-
rung vor, daß niemand Sie ganz kenne, wiewohl Sie jederzeit Freunde gehabt, denen
Sie Sich für die Gegenwart hingegeben und vertraut. Aber Ihr Brief ist mir ein
Beweis daß Sie mich auch jetzt noch lieben, und daß wären wir vereint, unser
früheres Verhältniß vielleicht bald noch inniger werden würde.
Auch um Ihretwillen thut mir Ilir früheres Nichtschreiben sehr leid; als ich im
letzten Frühjahr mit Nikolovius sprach, und ihn fragte warum man Ihnen nicht Fichtes
Stelle gebe, und ihm auf. die Erklärung „man bedürfe Sie in Königsberg" erwiederte,
dort würden Sie vermuthUch nicht bleiben, sondern eher ins Ausland gehen, meinte
er jetzt seyen Sie zufrieden, und würden ein Institut errichten; mußte es nicht
1) I S. 4". K. Hof- und Staatsbibliothek in München. - Adr.: Herrn Prof.
Thiersch in München.
Nachtrag zu 1818. 203
fast scheinen als habe ich mich fälschlich Ihrer Freundschaft gerühmt, da er mir
dieß zuerst niittheilte? uud konnte ich nun noch ein Wort sagen? Übrigens ist
allerdings die Frage ob Sie Sich in Berlin glücklich fühlen würden. In einem Zeit-
alter der Frömmelei ist Schleiei-maoher, der ja zugleich eleganter wiewohl nicht mehr
ganz modischer Prediger ist, ein gefährlicher Gegner; während dieß die Mystiker be-
sticht, gewinnt er durch witzige Dialektik in Streitschriften (imd darin scheint er mir
allerdings meisterhaft) die Verstandesmenschen; und dazu noch sein Schutz- und
Trutzbündniß mit andern Häuptern der Universität, die durch gemeinsamen Kampf
abgeschlossene Parthei, die dann nothwendig in allem helfen muß. Mit Solger
fi-eilich wäre der Kampf für Sie leicht, wiewohl er auch ein Frömmler ist. || Für
jetzt also wollen Sie in Königsberg bleiben! Dennoch bitte ich Sie jetzt, sowie vor
einigen Jahren nicht an Ihrer Stadt zu schnell zu verzweifeln, sich nicht gai- zu
sehr zu binden. Vorzüglich muß ich Sie davor warnen, in Geldsachen keiner Behörde
zu trauen. Ich selbst bin gegenwärtig iu einen unangenehmen Prozeß verwickelt,
wo in Gemäßheit von Hardenbergschen Verfügungen von einer Behörde mit mir
ein Contrakt abgeschlossen ward, den bei dem ewigen Behördenwechsel, zwar die
zweite billigte, aber die dritte nach ganz veränderten Umständen plötzlich brechen
will; es betrifft eine Zahlungssache voa Brecheishof, und eine vor fünf Jahren
^geschehene Umwandlung einer Schuld iu Staatspapieren in Geld nach dem damahligen
Kurs und Ueberweisung an andere Kreditoren. Da die Ministerien nur Organe der
niederen Behörden sind, und die arbeitsscheuen Minister die Geschäfte nicht selbst
einsehen, so ist mir zuletzt nichts übrig geblieben als es auf den richterlichen Aus-
spruch ankommen zu lassen, wenn nicht wie es jetzt scheint, unsere hiesige Re-
gierung wieder einmahl umgestaltet wird, weil es in der That nicht länger so geht.
Welcher Schmerz für den Freund seines Vaterlandes! Sie sprechen vom Ersatz
von Bauunkosten; das scheint mir höchst gefährlich, besser die Eegierung baute
selbst; auf jeden Fall würden Sie davon sehr- viel Unannehmlichkeiten haben.
Ueberhaupt kann ich Ihren Hauskauf nicht ganz billigen, Sie schneiden Sich dadurch
zu sehr andere Auswege für die Zukunft ab.
Wann ich mein pädagogisches Ziel erreichen werde weiß ich nicht, aber
aufgegeben ist es keineswegs. Mein Vater ist durchaus dagegen, und weil er sonst
so sehr freundlich gegen mich ist. und mir in so hohem Grade in allen Dingen sein
unbedingtes Vertrauen schenkt, endlich meiner Mutter wegen, mag ich nichts wider
seinen Willen thun. || Sie wissen ja selbst, theurer Freund, wie Eltern ihre Kinder
in ihren Handlungen binden, und wie nirgends mehr, als wenn Kinder sich von
ihnen geliebt sehen. Vermögensrücksichten finden dabei nicht statt, indem ich
schon jetzt durchaus unabhängig bin, und ich nach meines Vaters Tode ein Majo-
rat Ton 250000 Thlr. Kaufwerth auf jeden Fall erbe. So bin ich denn also ent-
schlossen wenn sich nicht ein anderer Ausweg darbiethet für jetzt noch zu warten,
und wenn sich dann kein Hinderniß findet wenigstens später einen Versuch zu
machen. Da ich die Zusammensetzung eines neuanfangenden Instituts von Kindern
von allen Altern und Bildungsstufen für die Pest einer solchen Anstalt halte, und
auf eine hinlängliche Anzahl von Zöglingen anfänglich nicht glaube rechnen zu
können, so will ich denn diese Zahl aus armen Kindern auf meine Kosten ergänzen,
und wenigstens eine Klasse durchzuführen versuchen; von dem Publikum würde es
abhängen ob es meine uneigennützige Gesinnung dadurch belohnen woUte, daß es
mir Gelegenheit böthe jährUch neue Klassen aufzunehmen. Vielleicht nur zu sehr
ins praktische Leben eingetreten, kommt es mir dabei doch vorzüglich auf die Kunst
und Wissenschaft an, und ich möchte deshalb fast bedauern, daß Sie mir den Vor-
sprung abgewinnen wollen. Im Gegentheil hatte ich bishei- stillschweigend gehofft,
204 Nachtrag zu 1819.
wir wollten uns dereinst noch einmahl dazu vereinigen, und lassen Sie michs nur
gestehen, auch jetzt gebe ich die HoffnuDg noch nicht auf, sondern habe sie nur
um so fester auf den traurigen Pfeiler Ihrer Unzufriedenheit mit Königsberg ge-
gründet. Ich bin zwar nur ein Privatmann aber für unsere Zwecke habe ich mehr
Geld als die Regierung.
Eine andere Aussicht mein Ziel zu erreichen biethet mir eine 3 Stunden von
mir gelegene Anstalt die Ritterakademie zu Lignitz dar. Mit einem Fond von mehr
als II 30000 Thlr. Revenuen ausgerüstet war diese Anstalt so tief gesunken, daß
kein Vater mehr für seine Söhne die Freystellen wollte. Leider etwas zu zeitig
für mich im Jahre 10 wurde die Anstalt etwas gehoben. Jetzt ist sie einerseits in
eine recht gute Schule verwandelt, wenn man auf einzelne Lehrer und Schüler sieht,
aber der Geist der "Wissenschaft hat noch nicht über die edle Reitkunst gesiegt;
andrerseits ist sie eine Ei Ziehungsanstalt in der 14 Schüler sehr splendid frei ge-
halten werden, und noch einige Pensionäre sind, die den Eltern sehr viel kosten.
Wie viel ließe sich hier nicht ausrichten! Leider hat man den Fehler begangen
einen besonderen Studiendirektor neben dem (adlich seyn sollenden) Akademie-
direktor anzustellen und dadurch sogar der Zukunft Fesseln angelegt; dennoch würde
ich mich im Fall einer Vakanz um diesen 2ten Posten bewerben, um mit dem
Studiendirektor einen Kampf zu versuchen, der hoffentlich das Resultat haben sollte
Sie wenn Sie wollen auf diesen einträglichen Platz zu bringen. Vielleicht lachen
Sie über dergleichen Pläne, aber die Möglichkeit statt 14 schlecht gezogener arro-
ganter Burschen 100 Knaben dem Vaterlande fortwährend unentgeltlich aufzu-
ziehen, und noch mehreren andern eine wohlfeile Gelegenheit zu biethen, ist der
Luftschlösser werth !
Staunen würden Sie freilich wenn Sie jetzt hier nach mir f rügen! „Er hat
unter mir Philosophie studiert;" „davon weiß ich nichts, aber er ist ein ziemlich
bekannter Oekonom;" „er will ein Erziehungsinstitut errichten;" ,,auch das ist mir
unbekannt, aber seine Schafzucht ist im ganzen Lande bekannt, und seine Schafböcke
sind von vorzüglicher Schönheit;" und dennoch mein Freund bin ich wahrlich noch
derselbe wie sonst. Ich habe aber gefunden, daß der Landbau doch besser ist, als ich
früher geglaubt, und es ist eine große Freude, auf einer Flur die doppelten Früchte
gegen sonst prangen zu sehen, und mein Geldbeutel befindet sich dabei sehr wohl.
866. Am 23. Juni 1818 wird H. Bürger der Stadt Königsberg (Bürgerbrief im N.).
867. Richthofen an H. [2 S. 40. N.) Breslau d. 28sten Nov. 1818
868. ' Richthofen an H. (4 S. 4". N.) Brecheishof d. 25sten April 19
Verehrter Freund! Ihrem Wunsche gemäß empfangen Sie beigehend 300 Thlr.
Gold, mit der Bitte die durch eine meinerseits vergeblich erwartete Zahlung ver-
anlaßte 14tägigte Zögerung zu verzeihen. Rechnen Sie wie Sie wollen; aber wenn
Sie das alte Kapital wieder herstellen wollen, so summt es sich wohl am bequemsten
durch die Zinsen wieder auf. Möge Ihnen in Ihrem. Garten ein recht glückliches
Frühjahr aufgehen, und Sie die Philosophie der Peripatetiker wiederherstellen. Wie
würde ich mich freuen ein wenig an Ihrer Seite herumwandeln zu können! Schreiben
Sie mir doch recht viel von Ihren Arbeiten, vorzüglich von Ihrer Einführung der
Pädagogik in die Praxis. Wie geht es nahmentlich mit dem Abc der Anschauung?
In diesen Tagen habe ich mit meinem ältesten Knaben den Homer angefangen.
Entschuldigen Sie daß ich Ihnen nichts wegen Holäufer geschrieben; || Ihr
Brief verrieth durchaus keine Eile, ich verschob also die Sache auf eine mündhche
Unterredung, und bin zufällig in der ganzen Zeit nicht nach Breslau gekommen;
Nachtrag zu 1819. 20S
zuerst wegen der Entbindung meiner Frau von einem Mädchen (meinem 4ten Kinde),
dann wegen dem Tode meines von mir früher erzogenen Bruders, zu dem eine gleich-
zeitige gefährliche Krankheit meiner Schwester Auguste sich gesellte, so daß ich
sehr oft bei meiner armen Mutter war. Auch muß ich mich noch genauer über
Holäufers Zahlungsfähigkeit erkundigen, gegen die ich jüngst einen Zweifel hörte; das
soll alles geschehn sobald er von der Messe zurückkehrt. Ihre Worte über die Bres-
lauer Tollheiten, hat seitdem Kotzebues Tod bewährt; ich zweifle nähmlich gar nicht,
daß wir die Sache aus gleichen Gesichtspunkten betrachten. Nicht als hätten die
Professoren den Mord angestiftet, aber der Mysticisnius und die Deutschheit hätten
nimmermehr die Köpfe der Jugend dergestalt verrückt, wären die Alten nicht mit
dem üblen Beispiel vorangegangen. Welche Verdrehtheit || Knaben zu Richtern zu
machen. Eine Viertelstunde von hier ward voriges Jahr die Schlacht an der Katz-
bach von Deputationen aller schlesischen Turner gefeiert; der Professor Scholz aus
Lignitz hielt eine vortreffliche Rede, die mich wahrhaft begeisterte, weil sie über
das Unglück der Unterdrückung aller Freiheit mit Kraft und Würde sprach; ge-
hörte sie aber vor das Forum der Knaben? Und nun erst diese unausstehlichen
Breslauer Klatschereien, die verwichenen Herbst die Gemüther aller erfüllten, und
feindselig in alle Verhältnisse eingriffen. Denn der bittere Passow, der leidenschaft-
liche Wachler, der charakterloß geschwätzige Steffens, der schwulstige unsinnige
Kayßler, (unbegreiflicher Weise ein sehr guter Schulmann,) der eitle eingebildete
Menzel und verschiedene andere, standen sich nicht allein gegenüber, sondern die
ganze Stadt, wenigstens alle Gelehrten theilten sich in zwei Partheien. ^) Und so
wird denn vieles Gute und Schöne vergeblich vorübergehen, und die schöne Begeiste-
rung unserer Jugend, wegen dem durch ihre Verführer nöthig gewordenen Druck
von Außen, sich in eine unglückliche Erbitterung ihrer Gemüther umgestalten. || Ich
lebe ziemlich still und glücklich ; meine Schwiegermutter ist diesen Winter wieder
bei mir. Auch Karl Grote ist hier, um sich von einer Knie Geschwulst durch
einen hiesigen Bauern heilen zu lassen, nachdem sie den Bemühungen der hannoveri-
schen und Bremer Aerzte getrotzt. Die Sache war sehr übel, aber bessert sich jetzt
durch die Behandlung dieses wirklich merkwürdigen Mannes. Meine beiden Schwäger
Wilhelm und August Grote betrauern diesen Winter den Tod jeder von einem
Kind; Wilhelms Kleine ging gesund schlafen, und ward todt im Bette gefunden.
Das sind Leiden die Sie zugleich mit unendlichen Freuden entbehren; könnte ich
Ihnen doch einmahl meine Kinder zeigen, die mir die schönsten Hoffnungen machen.
Meine Frau ist ziemlich wohl und wird sich hoffentlich noch mehr durch das Früh-
jahr erhohlen; alles blüht und grünt, nur ist es seit einigen Tagen wieder kälter;
Ihr Königsberg denke ich mir aber recht frostig.
Viele Gi-üße; leben Sie wohl und bleiben Sie mein Freund, v. Richthofen.
Weil sich Professor Remer früher sehr über Ihr Stillschweigen beklagt, so
habe ich ihm jüngst Ihre Grüße aus dem Briefe an mich ausgeschnitten und zugesandt.
869. Richthofen an H. (4 S. 4«. N.) Brecheishof d. 9ten Juli 19.
Verehrter Freund ! In Ihrem Briefe liegt eine Unbestimmtheit, die mich ver-
anlaßt Ihnen das Geld noch nicht zu schicken, sondern Sie erst nochmahls zu fragen.
Sie fragen mich nähmlich er.st, ob Sie auf mich in Hinsicht neuer 300 Thlr. nach
Ihrem Ausdruck, zählen können ? Soll das heißen, Sie haben das Geld von mir
nöthig, so werde ich es Ihnen schicken; liegt aber der Sinn drunter, wenn es mir
^) Vgl. Herbarts Anzeige der Schriften zur Turnkunst Bd. XIII, S. 343 f., wo
dieses Streites, der sog. „Breslauer Turnfehde'', gedacht wird.
2o5 Nachtrag zu 1819.
nicht wohl thulich sey, so würden Sie es sich lieber von jemand anders geben lassen^
so wünsche ich das letztere. Der Grund ist, daß hier alle Preise dieß Jahr so
niedrig gewesen sind, daß meine Einnahmen schon darum weit geringer waren, als
sonst, daß zweitens ich an den 2 Eubriken Branntwein und Wolle auf meinem
einzigen Gut wegen Mangel ao Absatz für circa 9000 Thlr. Waren liegen habe, und
endlich aus demselben Grunde alles Geld in diesem Augenblick sehr selten ist, lun-
somehr da jetzt soeben wieder || der 2. Haupttermin des ganzen Jahres gewesen.
Also nochmahls wenn Sie Sich anderw.eitig arrangiren können, so ist es mir lieb,
wenn aber Ihnen viel dran liegt, so werde ich Ihnen das Geld schicken, warte dann
aber natürlich noch einen Brief ab, und auf jeden Fall bin ich überzeugt, daß Sie
mir über meine Offenherzigkeit nicht böse sind.
Was sind Sie für ein echter Königsberger geworden; ich bin begierig ob Sie
die bekannte Stelle Kants über Königsberg nicht aus seiner Anthropologie in Ihre
Psychologie aufnehmen werden, da Sie sich schon so offenbar zum Hassenschen
Königsberger Paradiese hinwenden. Wer könnte sein Land mit den glückseligen
Hügeln der Nehrung vergleichen; unsere Berge waren Anfang Juni noch weiß!
Ihr Schriftchen ^) habe ich gelesen, nachdem ich mich offenherzig gesagt über
seine Erscheinung ein wenig geärgert hatte; denn Sie glauben nicht was mich die
geschwätzige Flachheit dieses Steffens und endlich nun erst der Turnstreit schon
lange, geärgert nie, aber doch angeekelt hatte. Es war mir daher verdrießlich Sie
in die Schranken treten zu sehen ; |1 um so mehr hat es mich gefreut, daß Sie den
Streit so und nicht anders geführt daß heißt sich in der Wissenschaft gehalten
haben, nicht aber das jetzige Unwesen berührten; empfangen Sie dafür meinen
herzlichen Dank; denn wahrlich der Turnstreit ist tief unter Ihnen. Darinn
stimme ich mit Ihnen vollkommen überein, daß Steffens zu den Sündern gehört,
wenn er auch jetzt statt pro contra ist; das einmahl ausgestreute Unkraut läßt sich
nicht wohl unterdrücken, um so mehr wenn man täglich neuen Samen in alle
Winde wirft.
Ich war mit Steffens am selbigen Tage in einer ganz kleinen Gesellschaft zu-
sammen als ich Ihre Schrift gekriegt; er weiß wohl daß ich Ihr Freund bin; ich
mochte aber nicht davon anfangen, denn wo ist der Punkt, von dem man ausgehen
kann? auf den sich stützen? und er unterließ es auch. Aber seyen Sie überzeugt
er wird nicht unterlassen einigen Unsinn zu schwatzen, und stolz und verächtlich
zu thun.
Herzlich amüsirte ich mich dagegen jüngst als einer unserer würdigsten Be-
amten im Staat, der aber Turnfreund ist, und mich mit seiner Freundschaft ehrt,
(und zur Ehre rechne ich mir's aus vielen Giünden, wenn er auch in der || einen
Sache seltsam irrt,) mir gutmüthig sagte, er habe Ihr Buch gelesen, aber es enthalte
nichts für (wie er meinte) unsere Sache.
Mit Hohläufer ist es nichts ; er hat vorige Messe nicht ordentlich bezahlt und
unternimmt zu vielerlei.
Seyen Sie mir ja fleißig über Ihrer Psychologie; darauf warte ich seit vielen
Jahren, aber doch will ich lieber noch länger warten als daß Sie es zu sehr sind.
Reiten Sie auch noch? das ist die köstlichste Bewegung ohne die ich schon längst
zum Hypochonder geworden wäre; damit erhalte ich mich gesund, nur jetzt bin ich
ein wenig krank, zum erstenmahl seit unserer Trennung, mir tun so unangenehmer
da meine Frau verreist ist. Doch ist wie gewöhnlich meine Schwiegermutter bei mir.
Leben Sie wohl, seyn Sie glücklich und ferner mein Freund. ßichthofen.
0 Über die gute Sache, Bd. IV, S. 557 ff.
Nachtrag zu 1819. 207
I
870. Richthof en an H. (4 S. 4«. N.) Brecheishof d. 20sten Dec. 19.
Sehr verehrter Freund! Beigehend erhalten Sie, Ihrem Wunschgemäß, wiederum
150 Thlr. Gold. Dabei bemerke ich um der Sicherheit willen, daß ich Ihnen
Michaelis eine gleiche Summe übersandt habe, welche auch ohnfehlbar in Ihre
Hände gekommen seyn wird. Die nöthige Abrechnung nächstens.
In IhrtMu letzten Schreiben wünschten Sie Nachrichten über die Grotesche
Familie, die ich wegen zu großer Eile zur Zeit meiner Antwort verschob. Die
Mutter lebt seit einem Jahre wiederum bei mir, und altert zwar, ist aber doch
ziemlich wohl, und wenn sie auch noch dem Andenken Ihres Mannes lebt, so wissen
Sie ja wie jeder Schmerz sich mildert, und bei frommen Gemütheru die noch
manches andere Interesse belebt eine heitere Ruhe nicht ausbleibt.
Ihre älteste Tochter Lotte, lebt fortdauernd in Korsika wo ihr Mann Petri
(genannt Palmedo) englischer General Konsul ist. || Sie scheint die sorgsamste vor-
trefflichste Mutter zu seyn, und in der Hinsicht für ihre Unruhe und Lebendigkeit
unglaubliches zu leisten. Der A'erlust 3er Kinder hat sie tief gebeugt: doch besitzt
sie deren noch 4. Auch die beiden ältesten Brüder haben mit ihren Kindern Un-
glück gehabt, voriges Jahr ging ein Mädchen Wilhelms gesund zu Bett, und war todt
als es des Morgens geweckt werden sollte; ein Kind Augusts starb fast ebenso
plötzlich. Außerdem geht es beiden gut. Wilhelm ist in einer sehr angenehmen
Lage, fortdauernd in Delmhorst, wiewohl er von einem Onkel ein Gut bei Braun-
schweig geerbt, und August scheint eine sehr glänzende Laufbahn zu machen. Er
war jüngst im Vorschlag zum Präsidenten des Obersteuerkollegii, und ist auch ein
anderer ernannt worden, so giebt dieß doch Hoffnungen für die Zukunft. Leider ist
er sehr kränklich, sonst ganz gut zum Geschäftsmann gemacht und auch das ist
ein eigenthümliches- Talent. Er war diesen Sommer mit Frau und Kindern bei uns
zu Besuch.
Der jüngste Karl litt lange an einem Knieschaden, ist aber durch einen Bauers-
mann in der hie.sigen Nähe meist hergestellt worden, ohne diesen hätte ihm sein
Uebel \ielleicht zuletzt den Fuß gekostet. Dieser Bauer ist mir in Verrenkungen
und dergleichen lieber als alle Chirurgen. || Karl i.st ein tüchtiger Mann geworden,
und ein leidenschaftlicher Mineralog und Chemiker, er envartet täglich eine Anstellung
als Drost auf dem Harz, und wird dort gewiß sehr gut wirken. Unsere liebe Philo-
sophie ist ihm leider fremd geblieben.
Indem Sie diesen Nahmen lesen, machen Sie vielleicht über mich die Bemerkung,
daß wenn Sie mich auch in ihr eingeweiht, ich sie dennoch fast vergessen zu haben
scheine. Aber wenn Sie erwägen, wie durch Zurückgezogenheit von allen Gleich-
gesinnten ein solches Studium wenig gefördert wird, wie nachtheilig zumahl manche
äußere Störungen darauf einwirken so entschuldigen Sie mich gewiß. Und habe
ich auch für die Philosophie nichts gethan, so bin ich ihr doch im wahren Sinne
des Wort wahrlich nicht untreu geworden. Diesen Winter beschäftigt mich aber
fast ausschließend Mathematik.
Unter den kleineren Schriften die Sie in der letzten Zeit bekannt gemacht haben,
hat mich vorzüglich Ihr Gutachten über Schulklassen erfreut, weil ich darin so
manchen eignen Gedanken bestätigt gefunden. In manchem divergire ich freilich
etwas, so z. B. was die Übungsklassen betrifft. Derjenige der seinen Mitschülern
auch überall möglichst grade zu schreiend nicht Schritt halten kann, thut besser zu
entsagen, oder sich privatim lehren zu lassen. Und was die Haupt- I| schulen an-
betrifft; meinen Sie denn wohl, daß ein deutscher Homer jemahlen den griechischen
so weit ersetzen werde, um nicht größeren Nachtheil zu erzeugen, als die Last der
zu erlernenden Sprachen beträgt? In diesem Augenblicke wenigstens giebt unsere
2o8 Nachtrag zu 1820.
üebersetzungskuDst dazu wenig Hoffnung. Ist denn endlich die Zeit der Kindheit
wirklich dermaaßen beschränkt, daß nicht vieles vielleicht weniger nützliche un-
schädlich in den Lehrkui'sus aufgenommen werden könne? Gesetzt auch es würde
für eine Masse Realien Zeit gewonnen ist denn der Nutzen wirklich so groß? Das
glauben Sie gewiß nicht und zur Ausbildung aller Arten von Interesse bleibt Zeit
genug, wenn das Kind nähmlich seine ganze Zeit seiner Bildung widmen kann.
Aber wie vieles haben Sie mir nicht wie aus der Seele geschrieben! Haben Sie
denn aber ganz verschworen jemahls etwas über Frauenbildung zu sagen?')
Mir und den Meinen geht es leidlich gut; aber manchmahl wird einem freilich
das Herz schwer, wenn es so rings um immer finsterer wird; wo ist die schöne
Zeit der Begeisterung von 13 hin ! Wahrlich ich gehöre nicht zu den Stürmern aber
dennoch blutet mir mein Herz über so manche gebrochene Blüthe unseres Volkes.
Schon ist die Zeit für vieles vorüber, und das ersehnte Gute nicht mehr anwendbar;
denn selbst unser Ministerium sagt, die Unzufriedenheit sey zu einer Wahlverwandschaft
der Gemüther geworden: AVehe denen die es verschuldet! Die Turner haben manches
Ueble gethan, aber dennoch halte ich sie hieran für unschuldig, denn sie haben nicht
jene Unzufriedenheit erzeugt; so wenig als der oder jener die französische Revolution;
sie selbst sind erst Sprößlinge einer allgemeineren Saat. Doch lassen Sie mich ab-
brechen und bleiben Sie mein Freund. Wenn das Ganze bricht muß ein um so
festeres Band die einzelnen umschlingen. Der Ihrige Richthofen.
:871. Am 17 März 1820 wird Herbart 0. Mitgl. der Ostpr. Physikalisch - Oekono-
mischen Gesellschaft zu Königsberg. (Patent iin N.).
872. Aus einem Briefe G. Bielensteins an H. (3 S. 4". N.)
Mitau 4/16 Juli 1820
. . . Die Saat, die Sie vor 15 Jahren in Göttingen ausgestreuet, hat gewiß auch
■durch mich hier seit 10 Jahren viel Gutes hervorgebracht, das darf ich mit edlem
Stolze und erlaubtem Selbstgefühl sagen. Seit mehr als 3 Jahren verbinde ich,
neben meinen Lehrergeschäften an zwei verschiedenen Anstalten, auch noch die,
eines 2. Predigers der hiesigen lettischen Gemeine, die gegen 13 000 Seelen zählt,
Ueberall, soviel nur frommt, Licht und Wärme zu verbreiten, dahin strebe ich aus
allen Kräften ; und Ihr Unterricht gab mir dazu die Liebe und in der Liebe die
Kraft, ihm schreibe ich vorzüglich die Anordnung meines Lebens zu, und er führte
mich zu dem Urquell himmlischer Weisheit, aus dem ich nun zu schöpfen und mit-
zutheilen berufen bin. Zürnen Sie nicht, mein würdiger Freund, daß || ich rede,
wie mir das Herz eingiebt; Sie lehrten mich ja selbst der Wahrheit vor allem die
Ehre geben. Aber nicht blos Thätigkeit und ein großes Maß von Kraft zur Arbeit,
auch ein großes Maß von Geduld, zu tragen, was sich nicht ändern läßt, verdanke
ich Ihnen. Noch blutet die Wunde, die der Tod mir durch den Verlust meiner
innigstgeliebten Gattin geschlagen, der mich so früh zum Wittwer und meinen
einzigen Sohn, einen Säugling, zur Waise gemacht. Ueberbriuger dieses, der meiner
seligen Emilie Pflegevater gewesen, kann Ihnen sagen, wieviel ich durch ihren Tod
verloren! Sie sehen, mein hochgeschätzter Freund, dessen Theilnahme ich anspreche,
in welcher Stimmung mein Gemüth ist, und daß ich kein Schmeichler sein kann, wenn
ich bekenne, daß ich nächst dem, was die Religion mir Tröstliches sagt, ich solchen
Schmerz auch durch Ihre Grundsätze und Ansichten sehr vermindert habe. . .
^) Richthofen selbst hat eine Abhandlung über Frauenbildung auf Grund der
Pädagogik Herbarts geschrieben; sie ist mitgeteilt von Th. Fritzsch in der Zeitschr.
„Frauenbildung" 1912, Heft 1.
Nachtrag zu 1820. 200
873. 21. Juli 1820. Vertrag zwischen Herbart und der Societaet der Unter-
nehmer der Jenaischen Allg. Lit.-Zeitg. (gez. „Dr. H. K. A. Eichstädt, Großh. S.
Geh. Hofrath, 0. Prof. und Oberbibl. zu Jena"), Rezensionen in dem Fache der
Philosophie zu liefern. (Urkunde im N.)
874. Reichhelm an H. (4 S. 4«. N.) Bromberg den Iten Ootbr. 1820
Mein hoch verehrter Lehrer und Freund! Der Landgerichts Referendarius
Koenig will nach Königsberg reisen, und erbietet sich, ein paar freundliche Worte
an Sie mitzunehmen.
Daß das Schreiben keinen vollständigen Ersatz für die mündliche Mittheilung
darzubieten vermag, das erfahre ich an mir im Verhältniß zu Ihnen. Nicht selten
ist mir so, als möchte ich nach alter Weise Sie suchen, um mich auszusprechen,
und ein belehrendes Wort von Ihnen zu hören. Aber viva vox und littera scripta!
Meine Amts -Verhältnisse sind fortdauernd dieselben. Die Arbeit ist vermehrt
worden seit mir die Errichtung eines Stadt- und Landschullehrer -Seminars für das
Departement gelungen. Noch fehlt es an Gelde, um das Institut dem Bedürfnisse
angemessen zu erweitern; und mindestens so lange, bis wir etwa einen Klosterschatz
erbeuten, muß ich den Commissarius .und Director der Anstalt in einer Person un-
entgeldlich spielen. Doch darf ich nicht leugnen, daß die Sache mir große Freude
bereitet, weil der Anfang sehr glücklich || geht und ich hoffen darf, mittelst des
Seminars nach und nach auf das Innere des hiesigen Volksschulwesens ähnlich ein-
zuwirken, als ich es bisher hauptsächlich auf das Äußere nur zu thun vermochte.
Könnte ich nur mit meiner ökonomischen Lage und mit der Abgeschiedenheit von
allem wissenschaftl. Leben zufriedener seyn! Vor etwa einem Jahre war mir eine
Versetzung mit 400 Thlr. Zulage angetragen, allein der von mir genau gekannte Ort
(Posen) schreckte mich zurück. Zu einiger Ansicht des hiesigen paedagogischen
Treibens lege ich Ihnen das letzte Programm des Directors Müller bei. Einiges,
-was Sie am Lektions-Plan vielleicht vermissen oder verändert wünschen werden,
habe ich umzustalten nicht vermocht, weil die Herren von der Wissenschaftl.
Commission in Breslau (wohin ich den Lektions-Plan zur Prüfung senden muß) und
im Ministerio ihre eingewurzelten Ansichten haben, denen man sich fügen muß.
.Bei den Bürger- und Landschulen habe ich freien Spielraum; aber da fehlt es, mit
Ausnahme der Bromberger Stadtschule, hauptsächlich am Gelde i| und Lehrern. So
suche ich seit mehrer Zeit vergebens nach einem zweiten Seminar-Lehrer, dem ich
nur 500 Thlr. bieten kann, der aber Catholik und des Polnischen kundig seyn muß.
Sie rathen mir wiederholt zum Schreiben. Aber was soll man denn heute
schreiben, sofern es nicht etwas Philologisches oder Mathematisches ist? Philosophie,
Geschichte, Politik, Paedagogik — alles ist bedenklich, und obenein fehlt es an Zeit
und vornehmlich an Büchern. So lange ich in dieser geistig armen Gegend ver-
bleibe, werde ich mich beschränken müssen, zu lesen, was ich irgendwo bekommen
kann, und in praktischer Thätigkeit das Mögliche zu leisten. Leider stehe ich auch
in letzterer Hinsicht vereinzelt, denn um Schul- und Erziehungs- Wesen bekümmert
sich hier niemand; es sei denn, daß man einmal Auctorität bewirken will. Hier
habe ich begreifen gelernt, was ich in K. niemals verstand: wie leidlich gescheute
Leute Stock - Philologen (im bewegten Sinne des Worts), wie redliche Menschen
Mystiker werden können! Sie kennen meine Ansichten in beiderlei Hinsicht. Und
so vermuthen Sie denn wohl nicht, daß man mich hier für einen ausgemachten
Humanisten in paedagogischer, || und für einen etwas bewegten Mann in religiöser
Beziehung halten mag. —
Herbarts Werke. XIX. ^4
2 I o Nachtrag zu 1 8 2 1 .
In meinem Hause ist alles wohlauf. Meine Frau empfiehlt sich herzlichst der .
Ihrigen, die auch meinen ehrerbietigen Gruß gütigst aufnehmen möge. "Wie sehnlich
verlangt uns Sie wieder zu sehen. Aber sollten auch meine Finanzen im künftigen
Sommer eine Reise erlauben, so werde ich die Frau mit ihren Kopfschmerzen in's
Seebad nach Stolpmünde schicken müssen. Vielleicht würde ich in diesem Falle
Schlesien, sein Gebirge und seine Unterrichts- Anstalten besuchen; welches letztere
mir in mehrfacher Beziehung nützlich zu seyn scheint.
H. Vater ist nach Halle gegangen? Der berühmte Mann. Hörte ich doch statt
dessen, Sie seien nach Berlin versetzt. Die kleine Zahl der Studirenden in K. muß
Ihnen widerlich sein, und alles größere Wirken hemmen.
Habe ich nicht Hoffnung, bald eine erquickende Zeile von Ihnen zu lesen?
Mit innigster Ehrerbietung und Liebe ihr treu -gehorsamer Reichhelm.
N. S. Ein paar Tage vor seinem Tode hat Krause an mich sehr liebevoll ge-
schrieben. Auch Scheffner ist dahingegangen! — [Kopp?] hat an mich geschrieben;
er spricht viel von Ilinen.
875. Aus einem Briefe Richthofens an H. (2 S. 4". N.);
ßrechelshof den 28sten Dec. 1820
. . . Haben Sie wohl zufällig die Vorrede zur zweiten Ausgabe von Fischers
mechanischer Physik gesehen? Ohne Ihr System zu kennen ertheilt er Ihnen den
Preis, indem er mit wenigen Worten die jetzt allgemein vernachläßigte Nothwendigkeit
der Übereinstimmung der Natur mit den philosophischen Systemen hervorhebt, und
mit mehrei-en gegen die Misbräuche der sogenannten Naturphilosophie eifert. Und
eben darauf baue ich meine Hoffnung, daß Ihre Philosophie dereinst noch in
verdientem Glanz strahlen werde, während das Geflacker der Naturphilosophie nur
vorübergehend blenden kann. Daß Ihre Schüler sich von jeher mit wachsendem
Eifer den mathematischen und philologischen Studien zugewandt, ist der schönste i
Prüfstein Ihrer Lehre ... ;
876. Richthof en an H. (2 S. 4". N.) Brecheishof d. 24sten Juni 21
877. Richthofen an H. (3 S. 4°. N.) Brecheishof den 26sten Dec. 21. ;
Gewiß werden Sie mein verehrter Freund, mein dießmahliges Begleitungs- ;
schreiben der gewöhnlichen Geldsendung, nicht ohne innige Theilnahme lesen. Zwei |
Todesfälle haben uns tief betrübt. Nach langem Leiden ging am 7ten Dec. meine
geliebte Schwiegermutter zu einem besseren Leben über. Sie haben Sie gekannt,
Lieber, und begreifen unsern Verlust; und seitdem die lindernde Zeit ihien Schmerz
um den vorangegangenen Gatten besänftigt, war sie um so viel theilnehmender ge- i
worden, daß durch ihre Freude am Leben auch unser Besitz und jetzt unser Ver-
lust um so größer ward. Auch war sie meist immer bei uns; in den mehr als j
8 Jahren meiner jetzigen Ehe nicht den 4ten Theil abwesend, sie war mit meinem
Hause verschmolzen; meine Frau fast nie ohne sie gewesen, meine Kinder unter
ihren Augen emporgeblüht. || Einige Monathe früher ging ihr ihre älteste Tochter in
Genua voran; eine schlechtbehandelte Brustentzündung hatte einen tödtlichen Absceß
gebildet. Fünf verwaiste Kinder beklagen kaum noch ihren unersetzlichen Verlust.
Wenn sie früher von den Regeln des gewöhnlichen Lebens hin und wieder abge-
wichen, so hatte sie es später auch in der Ertragung großer Entbehrungen, in der
unermüdesten Sorgfalt für ihre Kinder gethan ; zumahl ihre äußere Lage fortdauernd
ungünstig war, und die Scham sie zurückhielt Hülfe zu fordern. Petri, der Pseudo-
Palmedo, ist noch immer Konsul im unwirthbaren Korsika, jetzt zugleich bei der
Gesandtschaft in Turin. Er glaubt die Kinder ohne weibliche Hülfe zumahl in seiner
Nachtrag zu 1823. 211
Lage nicht erziehen zu können, und wird sie zu den Verwandten nach Deutsch-
land bringen. ||
Dagegen hat meine Frau mir abermahls einen blühenden Koaben, mein fünftes
Kind geschenkt, und die bei ihrer Kränklichkeit sehr gefürchtete Gefahr glücklich
überstanden; meine beiden Mädchen w^aren sehr krank am Kroup, und haben be-
deutende Gefahr glücklich überwunden.
So wechselt das Leben in Freude und Leid, und wären die allgemeinen Er-
eigniße der Weltgeschichte nicht hinreichend uns zum Blick nach etwas höhern
zu zwingen, so gäbe das eigne Haus täglichen Grund. In welcher großen Zeit
leben wir nicht; mit dem Gedanken an das sich freikämpfende Griechenland ent-
schlummerte meine gute Schwiegermutter.
"Wir leben einsam und still nur die Krankheit meiner verewigten Mutter hat
uns diesen Sommer den Besuch Ihres ältesten und jüngsten Sohnes verschafft.
Möge es Ihnen besser und so gut gehen als es herzlich wünscht
Ihr Kichthofen.
878. Richthofen an H. (4 S. 4^. :n.) [Ohne Datum. 1823?]
Mein sehr geliebter und verehrter Freund! Mein Dank für Ihren so freund-
lichen und unterrichtenden letzten Brief kömmt ziemlich spät und doch ist das ihm
zu Grunde liegende Gefühl recht innig und herzlich. Ein großer Theil meines
ganzen Seyns ist durch Sie begründet worden, und zahllose Ennnerungen an eine
der schönsten Zeiten meines Lebens führen Ihr Bild mir unaufhörlich vor, und trotz
Ihrer Psychologie und Mathematik glaube ich doch, daß hier die Schwellenberech-
nung über Ihre Kräfte gehen möchte, und wie viel mehr werde ich nicht eben in
Kurzem wieder in ihrem Andenken leben, da ich in diesen Tagen eine Reise an-
treten werde, die mich auch durch Göttingen führen wird; Sie werden der Gegen-
stand meiner liebsten Gespräche mit Dissen sein, von dem ich leider höre, daß er viel
kränkeln soll. Von Göttingen aus will ich dann nach Stuttgardt und an den Rhein,
vielleicht wenn ich Zeit habe in einige Theile Frankreichs und der Niederlande. Im
Monath October || denke ich dann über Delmhorst und Hannover, wo sich indeß
meine Familie aufhalten wird, zurückzukehren. Wollen Sie mich vielleicht einmahl
in dieser Zeit mit einigen Zeilen erfreuen, so bitte ich Sie an meine Frau nach
Claußthal, Delmhorst oder Hannover zu senden, wo sie von Mitte Juli der Reihe
nach an jedem Ort einen Monath bleibt. Vielleicht ließen Sie mich dann zugleich
wissen, wo gegenwärtig Ihr alter Zögling Steiger ist; im Fall nähmlich es wahr ist,
daß er sich in Holland aufhält.
Ihre Recension über Steffens') hat in Breslau den größten Eindruck gemacht, wenn
auch Hr. St[effens] sich auf seine gewohnte vornehme Weise darüber geäußert hat. Seit-
dem hat er fortdauernd alles mögliche gethan um seinen philosophischen Bewunderern
den Staar zu stechen ; das Nähere werden Sie in seinem Buch über das Abendmahl
finden, und ich fordere Sie auf in dem Buch gleichen Inhalts seines Apostels
Scheibel die interessante Darstellung der Scheibeischen Philosophie in der Vorrede
nachzulesen. Es ist unbegreiflich wohin ein so gescheiter Mann als Steffens kommen
kann. Scheibel ist der ärgste Zelot, den es giebt. Seine Vorlesungen öffnet und
schUeßt er mit Gebet; dabei hat er öffentlich die reformirte Kirche eine babylonische
Hure genannt. Wissenschaftlich ist er völlig nichtig, als Redner weiß er seine Zu-
hörer zu ergreifen; dabei ist er fortdauernd (nach vertraulichen Mittheilungen seines |
alten Arztes) dem Wahnsinn nahe, und für diesen tritt Steffens als Köhder [?] auf!
zugleich hat dieß Veranlassung zu der Erneuerung eines durch alle Tagblätter
') S. Bd. XU, S. 189 ff.
14^
212 Nachtrag zu 1824.
gehenden Streites mit Schulz gegeben, der beide erniedrigt. Dennoch ist Steffens
golden gegen Hinrichs. Wie das auf die Breslauer Studenten wirkte, können Sie
denken. Leider ist die schlechte Beschaffenheit der vielen katholischen Theologen
ohnehin höchst traurig, und nun solche Philosophen, als Steffens, Hinrichs, Thilo,
Keisler, Rochowski! auch dauert das Partheiwesen noch immer mehr oder minder
fort; jetzt soll Groß ein Schleiermacherscher Theologe zu ihnen, wogegen er
sich sträubt.
Erlauben Sie mir in betreff Ihrer Mittheilungen über das umgewandelte ABC
der Anschauung die Frage, ob Sie wohl daran gedacht haben, dadurch die Geometrie
descriptive der Franzosen pädagogisch zu begründen? Diese scheint mir weit be-
deutender in wissenschaftlicher und vielleicht auch pädagogischer Hinsicht als die
sphärische Trigonometrie ; aber freilich muß man sie nicht aus dem etwas trivialen
Lacroix beurtheilen, in dem sie zu einzeln steht; vielleicht kennen Sie aber des
herrlichen Poisson Mechanik, in der alles darauf gebaut ist. Vielleicht wäre es eine :
passende Aufgabe, für einen geneigten Schüler Herbarts und Bessels dieselbe mit ;
Rücksieht dessen was Sie im Seminar leisten, zu bearbeiten. Wenigstens scheint .;
mir daß Ihre Anschauungslehre, die Geometrie descriptive und die Mechanik || ge- ;
hörig aneinandergereiht eine ebensowohl pädagogisch als wissenschaftlich schöne >
Reihe bilden würden. 1
Auf die Odyssee lasse ich bei meinen Kindern die Anabasis, und den Arrian
folgen; bei den Römern halte ich Cäsar für eines der Hauptbücher. Die Gründe
leuchten ein. Überall der Gegensatz der Kultur und Unkultur, der Sieg der Ord-
nung, Tugend und Tapferkeit. Es ist eine Reisebeschreibung aus verschiedenen
Zeiten. Bei Heiodot ist mir die Sprache zu hinderlich, bei dem unendhchen Reich-
ihum an vielen trefflichen Dingen. Was den [Kampf?] der [Gracchen?] anbetrifft,
so füllt der Kornel die historische Lücke ziemlich aus, und ist mindestens erträg-
licher als Eutrop.
Meine Kinder gedeihen insgesammt aufs beste, und nachdem mir das Leben
in mancher Hinsicht etwas Resignation gelehrt, fühle ich mich zufiieden. Auf daß
aber die Lebensgeister wieder einmahl durcheinander gerüttelt werden, will ich
einige Monathe Deutschland durchstreifen, und bedaure nur daß Ihr Königsberg
jenseits der Wüste liegt. Möge es wenigstens Ihnen jederzeit eine glückliche Oase
seyn. Und mögen auch Ihre Rückerinnerungen zuweilen freundlich den großen Raum
überfliegen. Mit wahrer Freundscnaft der Ihrige Richthofen.
879. J- Osten an H. (1 S. 4". N.) Königsberg den 1 sten April 1824
[Osten jr. war in dem Herbartischen Pensionat.]
880. Eio nicht abgesandter Brief Boehlendorffs an Herbart vom 2. April 1825
aus Marggrafen in Kurland ist zu finden in Freyes Schrift über Boehlendorff.
(Original im Provinzialmuseum zu Mitau.)
881. Richthofen an H. (1 S. 4o. N.) Brecheishof den 19ten Juni 24.
882. Süvern an H. (1 S. 40. N.) Berlin Sten Febr. 1825.
Wohlgeborner Hochgeehrtester Herr Professor! Den verbindlichsten Dank
sage ich Ew. Wohlgeborn für Ihre mir gütigst zugesandten Schriften, die ich mit
derselben Aufmerksamkeit wie Alles, was von Ihnen ausgeht, lesen werde. Jetzt
eile ich nur die in Ihrem Schreiben enthaltene Anfrage zu beantworten, kann dies
aber nach dem bisher befolgten Grundsatze der Behöide nicht bejahend thun. Ein
officieller Antrag deshalb würde, soviel ich urtheilen kann, nicüt angenommen
Nachtrag zu 1811. 213
werden und wie sehr ich ihn auch, der großen Erwartung wegen, die ich gerade
von Ihrer speculativen Psychologie hege, unterstützen mögte, so würde dies doch
wahrscheinlich fruchtlos seyn. Tndeß werde ich die nächste schickliche Gelegenheit
nutzen, die Behörde von der Existenz dieser Schrift zu unterrichten, von welcher
ich nicht deu mindesten Zweifel hege, daß sie auch auf anderem Wege nach Ihren
Wünschen zu Tage werde gefördert werden. — Hoffentlich wird das jetzt an-
gefangene Jahr auch Ihre Wünsche in Ansehung einer Pflanzschule für Erzieher
erfül'en, da wieder für die Universität etwas Bedeutendes geschehn soll. Möge der
Friede uns nur erhalten werden! — Wie gern ich Graff helfen möchte weiß der
Himmel! auch wie ich mich darum bemühe. Aber noch zeigt sich mir keine Aus-
sicht. Man muß abwarten bis sich die Eingenommenheit des Herrn Ministers gegen
ihn etwas gelegt hat, die von anderen angefacht ist; ich schöpfe Hoffnung, daß
dies bald geschehn werde. Leben Sie wohl und seyn Sie meiner größten Hoch-
achtung versichert. Süvern.
883. G- E- Schulze an H.^) Göttingen den 1. Junius 1825.
Wohlgeborner, hochverehrter Herr Professor, Die Gesinnungen gegen mich,
welche Sie in Ihiem Schreiben zu erkennen geben, haben in meinen Augen einen
ganz vorzüglichen Werth, daher Sie mir auch große Freude machten. Denn ob-
gleich unsere Ansichten von manchen Dingen in der Philosophie bedeutend von
einander abweichend seyn mögen, so habe ich doch Ihre Untersuchungen dieser
Dinge von ieher als Erzeugnisse eines ächten und tiefeindringenden philosophischen
Geistes betrachtet. Zum Beweise hievon kann ich anführen, daß ich fast alle Ihre
philosophische Schriften besitze; ich schaffe mir aber kern philosophisches Werk
an, worin ich nicht Belehrungen oder fruchtbare Anregungen zu weitern Nach-
forschungen über Gegenstände, die mich interessiren, antreffe. ||
Über den Dr. Beneke denken wir wohl ziemlich übereinstimmend. Der Mann
trägt in schnell aufeinander folgenden Schriften bekannte Dinge sehr breit vor und
bildet sich ein darüber ein neues Licht angezündet zu haben. Wie er dazu ge-
kommen ist, eine Recension des ersten Theils Ihrer neuen Bearbeitung der Psycho-
logie für die hiesigen Anzeigen zu verfertigen, ob er darum gebeten hat, oder sie
ihm vom G. J. R. Eichhorn aufgetragen worden sey, ist mir unbekannt. Mein Antheil
an den hiesigen Anzeigen ist ein sehr geringer. Das Recensiren war nie für mich
ein angenehmes Geschäft. In unsern gelehrten Anzeigen muß man sich überdies
kurz fassen, und da kann es eben keine Freude gewähren, selbst über interessante
Schriften als Rpcensent oder Referent zu sprechen. Auch ist es in unsern Anzeigen
noch nie geschehen, daß die frühere und nicht gut ausgefallene Recension eines
Werkes dui"ch eine spätere von einem anderen Verfasser 1| berichtiget worden wäre,
und Eichhorn würde wohl nicht zugeben, daß die Recension des 2ten Theils Ihrer
Psychologie eine Zurechtweisung des Recensenten des Iten Theils enthielte. Der
Dr. Beneke würde aber ein solches Verfahren als eine aus feindseliger Gesinnung
gegen ihn herrührende Kränkung ansehen. Und obgleich sein philosophisches
Treiben mir garnicht gefällt, so mag ich doch nicht der Urheber irgend einer
Kränkung für ihn seyn, für ihn, der in Berlin durch einen Machtspruch schon so
sehr gekränkt worden ist.
Nach Erwägung des Vorgeführten werden Sie es gewiß entschuldigen, daß ich
Ihren Wünschen in Ansehung der Recension des 2ten Theils der Psychologie zu
entsprechen mich nicht entschließen kann. Seyn Sie aber versichert, daß ich
') 4 S. 8». N. Aenesidemus-Schulze (1761—1833), dessen Nachfolger Herbart
in Göttingen wurde.
214 Nachtrag zu 1826.
llinen mit der aufrichtigsten Hochschätzung zugetlian bleiben und mich für alle Auf-
klärungen in den verschiedenen Theilen der Philosophie, die wir noch von Ihnen
zu erwarten |i haben, aufs Lebhafteste interessiren werde. Erhalten Sie mir Ihr
werthes Andenken. G. E. Schulze.
884. Richthofen an H. (2 S. 4». N.) Brecheishof den 23sten Dec. 1825
885. Richthofen an H. (1 S. 4«. N.) Brecheishof den 24sten Juni 1826
886. An Freih. von Richthofen. 9- Sept. 1826.
„So leicht kommen Sie diesmal nicht los, obgleich Sie meine Psycho-
logie weggeschenkt haben und sich nun mit naivem Ernst zu den Gewerb-
leuten zählen. Wo treiben Sie denn Ihr Gewerbe? Vermutlich an sechs
Orten zugleich; auf Berg und Thal, beim Zink und bei den Schafen, ist
es nicht so? Und daß Zmk und Wolle zugleich im Preise gefallen sind,
ist vermuthlich ein großes Unglück für Sie? Verschmähen Sie nur nicht
über dem Gewerbe einen Dank dafür, daß Sie meine Abhandlung ,de
attentionis mensura' zu rezensiren bereit waren. Haben Sie meine Psycho-
logie gelesen? so werden Sie mich desto mehr verbinden, je offener Ihre
Rede fließt. Geben Sie mir in Ihren Briefen Ersatz für die versprochene,
aber durch Eichstätts — fast möchte ich sagen, — Inkonsequenz nicht
zu Stande gekommene Rezension. Mein Manuskript liegt nur in zwei
Bänden geschrieben, aber nicht gedruckt und kann noch manche Be-
richtigung annehmen."
887. V. Wrangel an H. (2 S. 4». N.) Posen den 25ten Oktober 1826
Ew. Wohlgebohren danke ich so innig als ganz ergebenst für die (!] mir in Ihrem
gefälligen Schreiben vom 17ten d. gemachten umstäudJichen Bericht über meinen
Sohn, aus dem ich mit wahrer Freude ej'sehen habe, daß sich Gustav doch in den
mehrsten Forderungen, Ihre Zufriedenheit erworben hat. Ihre unausgesetzte sorg-
same Berücksichtigung von Gustavs Körper -Kräften, was mich und meine Frau so
sehr beruhigt, verpflichtet uns zum wärmsten und innigsten Dank, und gerne werde
ich es einzuleiten suchen das Gustav während den nächsten Sommer in den Hunds-
tagferien, auf 3 AYoclien das See-Bad zu besuchen Gelegenheit erhält. —
Jetzt komme ich noch mit einer neuen Bitte, || die darin besteht, ob Sie wohl
die Geneigtheit hätten, auch meinen zweiten Sohn Carl, der jetzt 10 Jahre alt ist,
in Ihrer Erziehungs-Änstalt aufzunehmen.
Carl ist in den zwei ersten Jahren seines Lebens, sehr kränklich gewesen,
wodurch er im Wachsthum zurückgeblieben ist, nach der Zeit, ist er aber immer
gesuud gewesen und hat jetzt Gott sei Dank eine feste und eiserne Körper- Be-
schaffenheit; von seinen Kenntnissen kann ich bei dem höchst mangelhaften Schul-
wesen der hiesigen Provinz nicht viel rühmliches sagen; — doch könnte und müßte
er auch in seinem Wissen weiter sein, wenn er [!] nicht durch meine öfteren Eeisen
nach P]-(iußen und im Bade, wie in diesem Jahre, sein Unterricht unterbrochen
wäre. Sollten Sie meinen Wunsch, wegen Annahme von Carl gütigst willfahren,
welches mich unendlich glücklich machen würde, so sehe ich Ihrer weiteren Be-
stimmung wegen der Zeit seiner Annahme entgegen, und bin ich so wohl jetzt, als
auch im nächsten Frühjahr bereit, meinen Sohn Carl persönlich Ihren Händen zu
übergeben. —
Ihrer Frau Genjahlin bitte ich meine Hochachtung zu versichern, mit der ich
die Ehre habe zu sein Ihr ganzergebenster v. Wrangel.
N. S. Meinen Sohn Gustav bitte ich herzlich zu grüßen.
Nachtrag zu 1827. 215
888. Konflikt mit K. Lehrs.
Der Philolog K. Lehrs hatte in seiner Lebensbeschreibung im Progr. des Colleg.
Fridericianum zu Königsberg 1S26 gesagt, er wäre vor dem Abwege bewahrt ge-
blieben, „seine Zeit mit dem Studium der Pädagogilc, wie sies nennen, zu zersplittern
oder zu verschwenden. '^ Auch sonst war er ausfällig gegen Herbarts Thätigkeit ge-
worden, ohne dessen Namen zu nennen. Herbart scheint sich darüber beim Ministerium
beschwert zu haben, worauf die Behörde ihr Mißfallen an der Stelle des Programms
dem Verfasser Lehrs gegenüber aussprach. Unterm 23. Jan. 1827 richtete nun
Lehrs an das Ministerium ein Schreiben, das in seinem Wortlaut mitgetheilt ist in
den „Ausgew. Briefen von und an Lobeck und Lehrs" (von A. Ludwich, Leipzig,
1894, I. Bd. S. 82 ff.) Uerbart habe sich, schreibt er, weder erlaubter noch
würdiger Mittel bedient, um das Urtheil des Minist, gegen ihn einzunehmen. Er sei
Herbart nicht zu Dank verpflichtet. Dieser habe die Stelle aus dem Zusammenhange
gerissen, nicht verstanden und ihre Konstruktion verfehlt! Übrigens hätte H. keinen
Anstand genommen, Kant Ungereimtheiten vorzuwerfen. — Es scheint, als habe
sich Lehrs bei Abfassung dieser Beschwerdeschrift selbst in „gereizter Stimmung"
befunden, wie er von Herbart behauptet.') — — K. Bachmann schreibt am
3. Apr. 33 an Lehrs: „Daß Herbart nach Göttingen ging, war für ihn gut und für
Oöttingen, wie Sie auch aus alter Freundschaft, meinetwegen auch mit Recht, über
ihn urtheilen mögen." (Ebenda S. 148, s. auch S. 191 u. 0.)
889. F- Nasse an H."') Bonn den 18. Maerz 1827
Verehrtester Herr College! Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen ganz ergebenst
das beiliegende Heft zu überreichen, worin ich meinen physiologischen Collegen,
denen Ihre Psychologie etwa noch unbekannt geblieben, von diesem herrlichen Quell
der Belehrung und frei machenden Erhebung zur Erkenntuiß berichtet und dort
tiefer zu schöpfen — nach meinen Kräften — und zunächst für den Gesichts Kreis
des Physiologen, sie anzuregen mich bemüht habe. Nehmen Sie die Sendung gütig
auf und schenken Sie den Bemerkungen, die ich dem von Ihnen raitgetheilten bei-
zufügen so dreist gewesen, freundliche Nachsicht.
Das Dankgefühl für alles das, was mir Ihr Buch geworden, die innige Ver-
ehrung für den Mann, aus dessen tiefen Forschungen es hervorgegangen, treibt mich
" noch eine Bitte hinzuzufügen. Wem möchte eine der Anthropologie gewidmete
Zeitschrift ü ehrenvoller für diese, darzubringen seyn, als dem, der den Anthropologen
und Physiologen Licht gebracht hat, der ihnen den Weg zeigt, um sie heraus-
zuführen aus den psychologischen Verwirrungen, worin sie befangen sind? — Ver-
gönnen Sie denn gütigst, daß ich den diesmaligen Jahrgang der Zeitschrift mit der
verehrungsvollen Zueignung an Sie zieren darf!
Gehngt es mir dann, Ihrer gütigen Aufmerksamkeit ein Unternehmen näher
zu bringen, für das ich mir recht viel Belehrung, wenn auch tadelnde, von Ihnen
■wünschte, so nähere ich mich vielleicht der Erfüllung einer anderen Bitte, die
schon in den ersten Zeilen, die ich mir an Sie zu richten erlaube, zu gestehen zu
dreist seyn würde. Möge mir nur erst aus den Ihnen ganz Fremden in den Kreis
derer, die sich Ihres Wohlwollens erfreuen, wenn auch nur in || dieses Kreises äußersten
Bing, zu treten vergönnt seyn! Verehrungsvoll Ihr ergeben.ster Nasse.
1) Vgl. dazu Paulsens Gesch. des gel. Unterrichts IL Bd. S. 275 Anm.: „Lehrs'
Verantwortung an das Mmisterium ist voll übermütigen Hohns." — Paulsens Buch
enthält auch sonst vielfach Stellen, die zum Briefwechsel herangezogen werden
können, z. B. II S. 274 eine Notiz von Prutz, Univ. Königsberg (1894), betr.
Herbarts Verhältnis zu den Studierenden und Kollegen u. a.
■') 3 S. 4". N. Über den Prof. der Medizin Nasse s. Bd. II der Briefe S. 257.
2i6 Nachtrag zu 1827.
890. An Freih. von Richthofen. 3°- März 1827.
„Länger warte ich nun nicht auf Ihre Rezension. Sie haben tiefer
in meine Psychologie eingehen wollen. Ich wünsche, daß Sie über meine
Psychologie schreiben. Wenn Sie nicht über meine Psychologie schreiben,
so kann ich demjenigen, der mir weissagt, in zehn Jahren werde meine
Hauptarbeit vergessen sein, nicht viel entgegensetzen. Wenn Sie aber
darüber zu schreiben Lust haben, so lassen Sie sich nur ja nicht durch
irgend eine Besorgniß abhalten, als könnte mir irgend ein Widerspruch
empfindlich sein."
891. An Freih. von Richthofen. 29. Apr. 1827.
,, Unterdessen ist Ihre Rezension in meine Hände gelangt, und ich
sage Ihnen meinen herzlichen Dank. Ihre unveränderte Freundschaft, spricht
darin fein und klug. Habe ich etwas zu vermissen, so liegt das an Ihrem
Skeptizismus, und dieser liegt, glaube ich, an Ihrer nicht häufigen Be-
schäftigung mit bloßer Philosophie." (Worauf eine kurze Gegenrezension
folgt, die leider nicht mit in Richthofens Biographie abgedruckt ist.)
892. Frau v. Wrangel an Frau Herbart. (4 S. 8". N.)
Posen deu 4ten Mai 1827.
Meine verehrteste Frau Professorin, die vielfachen Beweise von Liebe, mit welchen
Sie meinen Sohn Gustav überhäufen, und wovon mein Mann sich erneut bei seiner
letzten Anvv-esenheit in Königsberg überzeugt hat, erlauben es meinem Herzen nicht
länger Ihnen meinen innigen Dank dafür unausgedrückt zu lassen; nicht genug hat
er mir davon erzählen können, wie wahrhaft Mütterlich, Sie Sich seiner annehmen,
und an ihm handeln, daß dies der wohlthuendste Balsam für mein Herz und der
einzige Trost und Ersatz für die Trennung von diesem lieben Kinde für mich ist,
werden Sie begreifen, auch könnte ich sonst wohl keinen ruhigen Augenbhck haben,
wüßte ich ihn bei Ihnen nicht so gut aufgehoben; nie werde ich also genug es Ihnen
danken können, was Sie an ihm thun, und die Ueberzeugung, das Sie mit Freuden
und aus Liebe es thun, macht mich nun auch noch so dreist, eine Bitte an Ihnen
zu wagen — um dem Wunsch llires Herrn Gemahls, dem ich || mich sehr zu empfehlen
bitte, nachzukommen, daß Gustav diesen Sommer, das Seebad während den Ferien
gebraucht, welches auch ganz mit unseren Wünschen übereinstimmt; von hier aus,
es uns aber beinah unmöglich ist eine recht passende Gelegenheit dazu zu finden,
wo wir überzeugt wären, daß er phisisch und moralisch gut aufgehoben wäre; ich
hatte 'gehofft, daß sich vielleicht eine Gelegenheit mit meiner Tante dazu finden
würde, durch die Kränkhchkeit meiner armen Mutter bin ich hierüber leider aber
noch ganz ins Ungewisse, und möchte doch nicht gern, daß die Zeit ein arrangement
dazu zu treffen verlohren ginge. Die Obersten Groeben, welche sich Ihrer Freimdlich-
keit gegen sie noch lebhaft erinnert und mir die herzlichsten Empfehlungen für
Sie aufträgt, emphahl mir in dieser Hinsicht einen Doktor Ebert Lehrer am CoUegium
Fridricianum, der dies Jahr wiederhohlentlich das Seebad in Kranz gebrauchen würde,
wenn er sich dazu verstünde meinen Gustav unter seiner Aufsicht dahin zu nehmen.
Da weder ich noch mein Mann diese Familie kennen, so wage ich meine liebe Frau
Professorin an Ihnen die Bitte, ob Sie es gütigst übernehmen, entweder auf diese ||
oder eine andre Weise, es einrichten zu wollen, wie Sie es am Besten finden werden;
ich bin überzeugt daß ich vertrauungsvoU die Wahl in Ihre Hände legen kann, da
Sie ja immer so mütterlich an ihn gehandelt haben, ich fühle aber auch ganz das
imbescheidene meiner Bitte, Ihnen noch eine neue Sorge und Verantwortlichkeit
Nachtrag zu 1827. 217
aufzulegen, aber ich weiß mich wirklich nicht anders zu helfen, da gerade ein Kind
während einer Badekur eine so große Aufmerksamkeit, sowohl während des Bades
als auch während der übrigen Tageszeit bedarf. Nicht wahr meine liebe Frau
Professorin, Sie sehen meine Verlegenheit ein, in einer Entfernung von 50 Meilen
.so etwa'* passend abzumachen, und schlagen mir die Bitte nicht ab; — und sollte
Herr Ebert oder wen Sie passend dazu bereit finden, darauf eingehen, so hätten
Sie auch wohl die Güte alles Uebrige mit ihm abzumachen, da wir zu jeder Kosten-
vergütigung höchst dankbar bereit sind, und so bald wir den Betrag erfahren es
gern und gleich erstatten werden.
Mein Mann der schon wieder auf Reisen ist hat mir noch seine ergebenste
Empfehlung für Sie und Ihren Herrn Gemahl aufgetragen, und Sie meine liebe
Frau Professorin, sehen || mein unbegrenztes Vertrauen, welches ich in Ihre Güte
setze, ich kann daher nur bitten meinem Gustav immer so gewogen zu bleiben da
ich hoffe, daß er es immer mehr einsehn und zu verdienen suchen wird; noch
füge ich hinzu, daß ich keine Antwort von Ihnen erwarte. Gustav kann mir das
Resultat mittheilen, ich konnte aber nicht, nachdem was Wrangel mir von Ihrer
innigen Liebe und Güte für meinen Gustav als Beweise mitgetheilt hatte, länger
schweigen, und verzeihen Sie mir schon den Erguß meiner Dankbarkeit, der nur
ein schwacher Abdruck meiner Gefühle für Sie ist, mit welchem ich Hochachtungs-
voll mich unterzeichne als
Ihre ergebenste und ewig dankbare L. [oder B.] v. Wrangei geb. v. Below.
893. An Freih. von Richthofen. 9- JuH 1827.
„Sie wollen sich auch der Herausgabe meiner Metaphysik annehmen?
Gewiß erkenne ich Ihre Freundschaft, und gut wird es für mich sein,
wenn ich die Last abwälzen darf, denn meine Gesundheit leidet. Warum
aber schreiben Sie nicht ein Buch? Mir ahndet, ich werde das noch erleben;
Sie werden nicht immer die Welt gleichgültig mit ansehen. — Die große
Neuigkeit, Schelling habe auf sein System resignirt zu Gunsten des Evan-
gelii, wird Ihnen schon bekannt sein. — Mein Werk ist getan."
.894. Ferdinand Rahden an H. (4S. 4". N.) Funkenhof d. 21. August 1827
Jahre sind verflossen seitdem wir nicht unmittelbare Kunde von einander
haben und dennoch hoffe ich zuversichtlich, daß Sie, mein hochverehrter Freund
und Lehrer, dessen Andenken ich ehrend bewahre, auch immer freundlich meiner
gedenken und mir Ihr Wohlwollen erhalten haben. Diese meine Zuversicht ist so
stark, daß ich zu Ihnen in einer großen Verlegenheit meine Zuflucht nehme. Ein
trefflicher Mann leitete die Erziehung meines Sohnes, meine Wunsche waren auf
die schönste Weioe erfüllt; er muß mich aber verlassen, weil es sein Vater ver-
langt, der ihm im Vaterlande (Hannover) wo er Superindendent ist, eine ehrenvolle
Anstellung verschafft hat. Kennen Sie Niemand, den Sie verehrter Freund, mir
zum Erzieher meiner Kinder vorschlagen könnten und der gesonnen wäre, eine
sorgfältig begonnene Erziehung fortzusetzen und durchzuführen? Die preußischen,
besonders die ostpreußischen Schulen, sollen ja jetzt vortrefflich seyu — es müssen
also vorbereitete junge Männer die Academie beziehen und sicher haben Sie welche
für das paedagogische Fach erzogen oder gebildet oder unter Ihren vielen Zu-
hörern Subjekte gefunden, die auch der Gewissenhafte empfehlen kann. |! Ihnen Ver-
ehrter braucht Ihr vormaliger Schüler nicht zu sagen, was er von dem Erzieher
seiner Kinder fordern zu müssen glaubt ; noch bedarf es zwischen uns der Ver-
sicherung, daß der Lehrer meiner Kinder die Stellung in meinem Hause einnehmen
2i8 Nachtrag zu 1827.
■werde, die zum Gedeihen seynes mühevollen, aber ehrenvollen Geschäftes unumgäng-
lich erforderlich ist. Er wird der geachtetste Freund unseres Hauses seyn und
■darf der kräftigsten Unterstützung von Seiten der Aeltern unfehlbar gewiß sein.
Mein ältester Sohn ist 13 Jahre alt; ein glückliches Gedächtniß, schnelles und scharfes
Auffassen zeichnen ihn aus und seine Interessen haben bereits (es ist dadurch nicht ■
zu viel gesagt) eine streng wissenschaftliche Richtung genommen. Aeltere Sprachen
scheinen mir die Basen aller wissenschaftlichen Bildung; er hat sie also gründlich
erlernt; frülier den Homer imd Xenophon jetzt den Herodot gelesen; sowie er
Livius und Virgil mit Leichtigkeit lieset. Geschichte und andere Schulwissenschaft
sind ihm von frühester Jugend an gelehrt. Arithmetik und Buchstabenrechnung;
äowie Geometrie ist ihm nicht fremd geblieben.
Mein Pflegesohn ist einige Monathe jünger — lernt nicht griechisch, weil der I
Vater es nicht will — ein guter lieber Knabe, aber oft zerstreut — dem es nicht |
an gutem Willen fehlt — sowie an Fleiß. Er kann nicht in || eine Klasse mit meinem
Sohn gestellt werden, theilte aber den Unterricht in deutscher Sprache, Geschichte i
und Geographie mit meiner 9jährigen Tochter, die ein talentvolles, fleißiges, guth-
niüthiges Kind ist. Diesen Kindern würde der Erzieher Unterricht zu ertheilen
haben, Französisch lehrt oder braucht der Lehrer nicht zu lehren, oder zu ver- 1
stehen, da diese uns sehr wichtige Sprache sowie die russische meinen Kindern |
von einer Schweizerm und einem Russen gelehrt worden sind und gelehrt werden. '
Die Kenntuiß der englischen Sprache ist für uns keine nothwendige Bedingung .
wie es die gründliche Kenntniß der älteren Sprachen und der Mathematik ist, die \
wir machen, wäre aber eine erwünschte Zugabe träfe man sie bei dem gewünschten 1
Lehrer an. I
Da H. Brackebusch, so heißt der Lehrer meiner Kinder, welcher mich ver- j
läßt, sobald als möglich abzureisen wünscht; so muß ich Sie, verehrter Freund, er- I
suchen mir baldmöglichst gefällige Auskunft zu ertheilen, was ich von Ihren freund- |
schaftlichen Bemühungen für mich zu hoffen habe! 0 möchte es Ihnen gelingen! ■
Sie würden der Wohlthäter der Aeltern und Kinder. Vierhundert Rubel Süber
jährlich, freie Station, Bedienung und Equipage biete ich an, bemerke, daß in
meiner Nähe treffliche Bibliotheken zur freien Benutzung offen stehen und
mancher Verkehr mit gelehrten und gebildeten Männern sich leicht eröffnen lassen
wird. II Die Ungewißheit, wie und durch wen ich den gießen Verlust, den ich durch j
Brackebuschs Fortgehen erleide, ersetzen kann und werde, setzt mich in die pein- 1
liebste Lage. Gott! ich lebe nur der Erziehung meiner Kinder, meine Frau theilt
mein Interesse und fördert alles auf die kräftigste Weise und nun sollte alles in ^
Stocken gerathen und das schön Begonnene aufhören? Dringend bitte ich Sie, mir i
Ihre Theilnahme nicht zu vei'sagen. >i
In meinem Gewühl von Geschäften, ist mir Ihre Psychologie nicht fremd !
geblieben — sie die Jean Pauls letztes Studium war') und er eine Terra incognita 1
nannte, die Sie erobert haben und eine spätere dankbare Nachwelt anbauen wird, |
den neuen Columbus dadurch das würdigste Denkmal setzend. „Den Bessern seiner 1
Zeit genügt zu haben, dies heißt gelebt zu haben für alle Zeit.''
Wie sind Sie, verehrter Freund, mit Ihrer academischeu Wirksamkeit zu-
frieden? wie mit Ihren Collegen? giebt es ein gemeinsames Wirken?
Ihre Gemahlin, die ich sah, als Sie mich einmal zu der Cons. R. Hasse führten,
obwohl ich damals nicht wußte, daß ein so inniges Band Sie verknüpfen werde,
bitte ich mich gehorsamst zu empfehlen. Als Gatte und Vater bin ich glücklich.
1) Vgl. R. 0. Spazier „J. P. Fr. Richter in s. letzten Tagen" (1826), S. 44. j
Nachtrag zu 1827, 2 lg
Erhalten Sie mir verehrter Freund Ihr Wohlwollen und denken Sie zuweilen an
Ihren aufrichtigsten Freund und Verehrer Ferdinand Raliden.
Nochmals die Bitte um baldige Autwort.
894: b. Beilage xu dem vorhergelienden Brief. ^)
Jean Paul über Herbart. Unter die originellsten Ausnahmen gehört Herbart
in Königsberg, ein kecker, auf-, um- und einblickender, mathematisch und philologisch
gewappneter Perlentaucher und Goldbergsteiger mit seinem philosophischen Muster-
stii. Besonders die Psychologie — welche zu Fichtes Zeiten und später als unwissen-
schaftlich verachtet wurde, als ob nicht alle äußeren Erscheinungen uns nur ver-
mittelst unserer innern etwas angingen und darstellten — hat an Herbart in Rück-
sicht auf das Entstehen, Wachsen, Verdichten und Versinken der Voi'stelluugen
einen seltenen Landmesser und Physiokraten ihres Gebietes gefunden. Die Nach-
welt wird sein erobertes Reich anbauen.
895. An Freih. von Richthofen. 9- Sept. 1827.
„Von Jena schreibt man mir, Ihnen sei die Rezension eines meiner
Bücher übertragen — wahrscheinlich des größeren psychologischen Werkes.
Ich muß Sie bitten, mich jetzt nicht zu vergessen.''
896. Richthofen an H. (3 S. 4». N.) Brecheishof den 6ten Nov. 27.
. . . Von Eichstädt habe ich noch keine Antwort.
Wenn Sie einen Augenblick Muße haben, so schreiben Sie mir doch, wie Sie
mit den Folgen unserer neuern Schul-Einrichtungen zufrieden sind. AVenn auch
nicht zu läugnen ist, daß unsere Gymnasien seit den letzten 20 Jahren, sich be-
deutend gebessert haben, so höre ich doch manche Klagen, die mir gegründet scheinen.
Unsere Schulen sind und bleiben nur Unterrichts- Anstalten. Die vei langte Viel-
seitigkeit besonders in den sogenannten Wissenschaften, und die Langsamkeit des
alten Schlendrians zu Gunsten der Faulen und Dummen, macht die Fortschritte so
langsam, daß auch der bessere Kopf erst spät die lange Laufbahn durch alle Klassen
zurückgelegt hat, während sonst die auf die Sprachen \\ konzentrirte Kraft ihn bei
aller nnläugbaren Einseitigkeit schneller förderte. Wir alle kennen die wunderbare
Einwirkung die die Universität auf bessere Köpfe hat, und wissen wie beschränkt
darin die Mittel der meisten Schulen sind. Diese Einwirkung ist aber nur in einer
gewissen Lebeusperiode möglich; ist diese auf der Schule bereits vorübergezogen,
so neigt sich auf der Universität der Geist zu sehr auf das Nützliche, er verfolgt
nur noch den Brodt-Erwerb, und wird höchstens ein gelehrter Philister. Danach
würde auch der beste Schuhmteiricht durch Anhäufung noch so vieler Kenntnisse
(mit denen es übrigens auf unseren Schulen noch nicht so gut steht, als man glauben
sollte;) wenn er zu lange ausgedehnt wird, mehr schaden als nützen. Ich fürchte
wir untergraben in Preußen, durch die verbesserten Schulen, das durch die Uni-
versitäten bedingte Eigenthümliche [desj deutschen wissenschaftlichen Sinnes; wir
gehen unabsichtlich zu den französischen Einrichtungen über, indem wir unseren
Jünglingen in der wichtigsten Periode die Universität entziehen, und sie diese, mit
Surrogaten wahrer Wissenschaft auf der Schule wohl ausgerüstet, nur noch als
Special-Schulen betrachten machen. Sind doch selbst die in den Brodtfächern zu
gut besetzten Universitäten der Philosophie selten förderlich gewesen! Aber genug
^) Die Beilage ist von anderer Hand geschrieben. Das Exzerpt entstammt dem
1822 im Morgenblatt veröffentlichten Aufsatz Jean Pauls „Vermählung der zwei
höchsten Mächte der Erde".
2 20 Nachtrag zu 1828.
von einer Ansicht, die vielleicht falsch ist, weil ich nicht genug Schulen kenne, j
und endlich weil ich selbst das Glück hatte, meine Schuljahie unter den Augen
eines Eektors zuzubringen, wie es deren gewiß wenige gibt, und der mich als Ge-
lehrter und väterlicher Freund auf das Kräftigste anregte. — Leben Sie wohl,
Lieber! Der Ihrige Richthofen.
897. V. Wrangel an H. (2 S. 4». N.) Posen, den 5ten November 1828
Ew. Wohlgebohren im letzten Sommer, an meiner [!] jetzt verstorbenen Schwieger-
Mutter gemachten freundlichen Mittheilung, in Rücksicht des Stufen Grades der j
Kenntnisse meines Sohns Gustav hat mir viel Freude gemacht zu empfangen, indem j
ich aus selbigen mit besonderem Vergnügen ersehen habe — daß Gustav im nächsten
Jahr so weit sein wird, um in Secunda eintreten zu können — und erkenne ich
hierin einzig Ihre Mühe und unausgesetzte Sorgfalt, mit der Sie die Erziehung |
meines Sohnes geleitet haben. — Ja mein verehrter Herr Professor Worte des
Dankes vermögen nicht, die Gefühle meiner aufrichtigen Erkenntlichkeit so aus-
zudrücken, als ich mich von selbigen durchdrungen fühle — und kann ich mir die
Freude nicht \ersagen, selber nach Königsberg zu kommen, um mir aus Ihren
Händen meinen Sohn zu erbitten — denn da nach Ihrem Urtheil Gustav kommendes ,
Jahr soweit sein wird um in Secunda eintreten zu können, so beabsichtige ich ihn ;
im Monat September k. J. in das hiesige Gymnasium eintreten zu lassen. — j
Zuförderst wünschte ich jedoch daß er in Königsberg eingesegnet werden 1
möchte — und bitte ich das einliegende Schreiben an den Hr. Prediger Weil ein- ,
händigen zu lassen || und mit Letztern über die dem Gustav zu gebenden Religions- I
stunden — das Weitere gefälligst verabreden zu wollen — Meine Frau empfiehlt i
sich Ihnen auf das angelegentlichste und wollen Sie gütigst Ihrer verehrten Frau |
Gemahlin die Versicherung meiner aufrichtigen Hochachtung erneuern mit der «ich j
die Ehre habe zu seyn
Ew. Wohlgebohrn ganz ergebenster Freund und Diener v. Wrangel. ;
898. Eichstädt an H. (2 S. 4P. N.) Jena, 8 December 1828 1
Verehrtester Herr Professor, in der letzten Michaelismesse habe ich Hn. Drobisch I
in Leipzig selbst aufgesucht, und die Wünsche Ihres letzten gütigen Briefes vom
20. Sept. ihm in meinem Namen neuerlich vorgelegt. Er hat mir auch versprochen,
den 2ten Band der Metaphysik zu übernehmen. Daß Hr. v. Richthofen in dem an-
gefangenen nicht fortgefahren hat, ist unsere Schuld nicht; er ist gebeten, er ist
erinnert worden. Vielleicht könnten Sie selbst bey Beiden durch ein Privat-Compelle
mehr ausrichten, als durch unsere officiellen Mahnungen.
Es liegt mir selbst sehr daran, daß Ihren Schriften auch in unserer A. L. Z.
volle Gerechtigkeit widerfahre. So wenig ich auch in das Innere Ihrer Wissenschaft
eingedrungen bin: so habe ich doch die Alten insoweit kennen lernen, daß ich Klar-
heit im Denken und Vortrag von räthselhafter Dunkelheit, Gründlichkeit von Schiefheit
zu unterscheiden weiß; und darum ist mir alles werth, was Sie schreiben.
Ihre Recensionen sind nun sämtlich abgedruckt, und wir bitten um baldige
Einsendung neuer. Schlegels Vorlesungen sind von einem anderen Hr. Rec. an-
gezeigt worden: aber von Bachmanns Logik möchten wir Sie nicht gern entbinden.
Sie können ganz freimüthig und unverhohlen Ihr Urtheil aussprechen. Ebenso werden
zur Rec. theils angetragen, theils erinnert:
Schlegels Philosophie der Geschichte, 2 Bde., Beneke psychologische Skizzen,
Krug, Geschichte der Philosophie, Michelet über die Nikomach. Ethik, Dirz An-
wendung der Moral, Betrachtungen über das Wesen des Menschen. Und vielleicht
Nachtrag zu 1829, 22 1
haben Sie auch selbst eins und das andere philosophische AVerk, das Sie vorzüglich
anziehet und zu einer BeurtheiluDg einladet.
Mit der aufrichtigsten Hochachtung Eichstädt.
899. V. Wrangel an H. (2 S. 4». N.) Posen den 8ten Dezber. 28
900. Richthof en an H. (3 S. 4".) Brecheishof den Uten Dec. 28.
... Sie haben also Ihr Institut wieder aufgegeben; Schade und unerwartet!
Was hatten Sie für Grände? nach früheren Briefen zu urtheilen veimuthlich öko-
nomische. Soll dergleichen recht gelingen, so muß man vermögend genug seyn,
um eine größere Zahl wenigstens anfänglich auf eigne Kosten zu erziehen. Nur
durch eine Mehrheit von Schülern geht ein größeres Gemeinwesen und damit ein
Gemein -Geist hervor; (das engere Familienleben ist doch ia keinem Institut zu
ei-setzen) nur durch eine Menge von Schülern können die Kosten erleichtert werden. . .
901. An Freih. von Richthofen. ^9- Dez. 1828.
„Soll ich meine Zudringlichkeit an Sie wiederholen? Daß Ihre jetzt
übernommenen Geschäfte meinem Wunsche sehr entgegenstehen werden, weiß
ich, und bei allem Vertrauen, was ich auf Ihre lang gehegte Freundschaft
für mich setze, ist es doch schwer und kaum erlaubt, um das zu bitten,
was Sie mir früher schon zugedacht hatten. Nur das will ich Ihnen sagen,
daß in diesem Augenblick für mich vieles auf dem Spiele steht. Sie selbst
und Drobisch haben schon vorgearbeitet. Nun gerade bedarf ich Hilfe.
Sagen Sie mir nicht, Ihr Skeptizismus stehe mir im Wege. Sehr hilfreich
wäre es mir, wenn eine Rezension der Psychologie von Ihnen in Jena
mit dem Märzstück könnte ausgegeben werden."
902. Gruber an H. (3 S. 4». N.) Halle d. 17. Jan. 29.
Ew. Wohlgeboren sage ich für die eingesendete Rec. über Troxlers Metaphysik
meinen verbind'ichsten Dank. Weit entfernt dieselbe nicht aufnehmen zu wollen,
habe ich vielmehr, wie Sie an der Beilage sehen, den Jahrgang mit ihr eröfnen
lassen. Mit Vergnügen sehe ich Ihrer Rec. über Mehrings Schrift entgegen. Von
neu erschienenen philosophischen Schriften würden Sie vielleicht die in der Beilage
verzeichneten nicht ungern zu recensiren übernehmen, ich aber von Ihnen sie sehr
[gern] recensirt sehen.
Über Recensionen Ihrer Schriften gestehe ich Ihnen offen, mich ia Verlegenheit
zu finden, weil der rechte Mann dafür so schwer zu finden ist. Der erste Band
ist einem Mann übertragen, zu welchem ich ein großes Vertrauen habe; wie
es aber mit dem zweiten, der nicht blos einen Kenner der Geschichte der
Philosophie erfordert, ergehen werde, weiß ich nicht. Es würde mir daher
sehr lieb seyn, wenn Sie selbst mir einige namhaft machen wollten, denen die
Anzeige Ihrer Schriften anzuvertrauen wäi-e. Herr Griepenkerl ist von Ihren
Principien ausgegangen. Eine Re(;. seiner Schrift ist in meinen Händen; obgleich
aber der Rec. nach bestem Wissen und Gewissen verh hren ist, so weiß ich doch
nicht, ob er Sie zufrieden gestellt haben wird. Er ist |i indeß mit Hochachtung für
Sie, und mit Unparteilichkeit gegen Hrn. Gr. zu Werke gegangen. Auf alles solche
Einzelne kommt es nun aber nicht an, wenn von Beurtheilung Ihi-er Schriften
die Rede ist, sondern darauf, daß Ihr richtig aufgefaßtes System dargestellt weide.
Wen halten Sie dessen fähig? Zu einer Anzeige Ihrer Abb. de atientionis mensura
— die übrigens meines Wissens nicht an die Expedition der A. L. Z. eingesendet
222 Nachtrag zu 1829.
worden ist — wünschte ich dies zu wissen. Auf jeden Fall ist bei jedem Nicht- j
Mathematiker Misverständniß Ihres Systems zu besorgen, und diesem möchte ich
um der Sache und um Ihretwillen gern vorbeugen.
Hier unterbrach mich Freund Wegscheider, der mir aufgetragen hat, Sie
herzlieh zu grüßen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung Ew. Wohlg. ganz ergebener Gruber.
Bormann, Die metaph. Lehre v. d. Verh. des AU.
Heinroth über die Hypothese der Materie [Fußnote Herbarts: „Nur diese
habe ich übernommen"]. Mußmann, Grundlinien der Logik etc. Hinrichs, Grund-
linien der Phil.. Bachmann, System der Logik.
903. Graf Buquoy an H. (4 S. 4". N.) Prag d. 12t Märtz 1829.
Euer Wohlgebohren I Mit innigem Vergnügen las ich in der Leipziger Litteratur-
zeitung die mit Ihrer Unterschrift gezierte Recension meiner Anregungen für phil. \
iviss. Forschung}) Es freute mich dieß umsomehr, als ich seit ganz kurzer Zeit an-
gefangen hatte, mich mit Ihrer Psychologie ernstei' zu beschäftigen. Sie hatten
zwar vor einigen Jahren schon die Giite mir selbe einzusenden \ allein ich konnte j
damals dieselbe nur durchblättern, und mußte auf ruhigere Augenblicke das Studium ]
eines so wichtigen und gediegenen Werkes verschieben, da ich seit mehreren Jahren
an einem sehr abstrakten reinmathematischen Werke arbeite, das ich späterhin (denn 1
geschwindschreiben ist meine Weise nicht) bekannt zu machen gedenke, und wodurch ;
ich eine ganz neue Methode, der bisherigen weit vorzuziehen, für die höhere analytische i
Dynamik der Welt mittheilen werde, da ich kühn behaupten darf, daß erst ich die j
analytische Dynamik, die höhere Mechanik, zu einer systematischen in sich ge- \
schlossenen Wissenschaft umgeschaffen habe, das selbst einem Delagrange nicht
gelingen mochte. Klinge dieß meinerseits auch noch so anmaßend, so wird die
Folge lehren, daß ich kein Windbeutel oder Großsprecher, sondern daß ich nur ohne i
Rückhalt, ohne falsche Modestie, die auch in Ziererey ausarten kann, ankündige,
was mir zu leisten geglückt ist.
Da ich aber nun der Vollendung meines streng mathematischen Werkes mich '
nähere, so biethe ich mich Ihnen, mein hochzuverehrender Herr Professor, durch I
Ihre Recension dazu ermuthigt, treuhei-zig an, j| noch nicht für diesen Augenblick, j
wo ich noch zu sehr mit meinem Werke beschäftigt bin, aber für die Folge, als !
Ihr Waffenbruder mit dazu beizutragen, der Philosophie in Deutschland einen mehr i
mathematischen Kaiakter zu ertheilen, unter welcher Bedingniß allein, sie etwas |
Tüchtiges werden kann. Wenn ich mich nicht ganz mit Ihrer Methode gleich anfangs |
verständigen konnte, und mich darüber freimüthig äußerte, so geschah Letzteres
eben aus Hochachtung für Sie, und weil ich Ihre Art zu philosophiren als die
einzige hielt, die einer Beachtung weith zu halten ist, für emen von Jugend an :
das strengste mathematische Denken Hingegebenen, wie ich Emer bin. Ich habe
mir vorgenommen, für die Zukunft eine Arbeit zu unternehmen, bei der ich mich \
recht nahe an Sie anschheßen will und wo ich Sie bitte, mich redlich und kräftig ]
zu unterstützen; , diese Arbeit soll nehmlich darin bestehen, auf ähnliche Weise als |
Neuton seine philosophiae naturalis principia mathematica schrieb, meinerseits ein '•.
Werk zu verfassen, das dahin gehen soll die principia mathematica einer syste- j
tnati.sch streng wissenschaftlichen Psychologie, mit allen Kunstgriffen der höheren
Analysis und des höhern Kalküls durchzuführen.
') S. Bd. Xlir,'S. 97 ff.
Nachtrag zu 1829. 22
O
In einem früheren Werke unter dem Tittel: Ideelle Verlierrliehung des
mpyrisch erfaßten Katurlehens, habe ich manchen Wink zu einer einstmaligen
Bearbeitung, der Philosophie im || Geiste der Mathematik, gegeben. Sehr freuen
■würde ich mich, wenn Sie jenes Werk Ihrer Aufmerksamkeit würdigen, und etwa
einiges darüber als Würdigung, bekannt machen möchten. Wenn meine Schriften
durch die Mitwirkung irgend Jemandes an Verbreitung und Eindringen gewinnen
sollen, so kann es mir durch Niemanden willkommener seyn, als durch einen Mann
wie Sie, dessen Wissen und Karakter ich in hohem Grade achte, der. des wahren
Forschei-s würdig, auf der Bahn der Wahrheit fortschreitet, ohne sich darum zu
kümmern, wie dieß dort oder da aufgenommen werden möchte. Soll ich Ihnen bei
dieser Gelegenheit ein offenes. Bekenntniß ablegen, so gestehe ich Ihnen ganz un-
verhohlen, daß mir, seit Napoleons Sturz, und dem wieder hervorgesuchten und mit
aller Gewalt den Menschen aufgedrungenen Veralterten, die deutschen Gelehrten
und Philosophen, im Durchschnitt genommen, im hohen Grade verächtlich geworden.
Ich klage sie ohne weiteres einer Untreue eines Verrathes gegen Philosophie und
Wissenschaft, und eines niederträchtigen üebertretens dahin, an, wo Geld, Güter,
Würden, Tittel, Auszeichnungen die die Geschichte einst verachten wird, etc. um
feile Worte erhalten werden können. |J
Also nochmals trage ich mich Ihnen zum Waffenbruder an, und versichere
Sie wiederholt meiner ausgezeichnetsten Achtung, womit ich verharre Ihr ergebener
Graf Buquoy.
P. S. Wenn Sie mich zuweilen mit einem Schreiben erfreuen wollen, so bitte
ich, es nicht durch die Post zu thun, sondern an die Buchhandlung Breitkopf und
Härtel Ihr Schreiben zu senden, mit dem Auftrage an jene Buchhandlung, Ihren
Brief an mich nur durch H. Cobler in Chemnitz zu schicken. Bei uns werden die
Briefe aufgemacht, und von den naseweisen Polizeiagenten beschnüffelt, was für
Jeden sehr unangenehm ist, der mit jenem schlechten Volke nicht unter einer
Decke steckt.
904. Taute an H. (S'/a S. 40.) Königsberg den Slsten März 1829
Höchstverehrter Herr Professor. Offen und unumwunden, wie ich's mündlich
den Tag vor Ihrer Abreise auf Ihrem Zimmer gethan, will ich mir erlauben, da ich
auf gütiges Gehör bei Ihnen zu rechnen habe, noch ein Paar Worte in meiner Sache
an Sie zu schreiben.
Das Mißliche, welches es hat. Jemand beim Ministerium zu empfehlen, der
noch nichts geschrieben, erkenne ich vollkommen an; sowie aber meine Bitte an
Sie eine durchaus gelegentliche, durch Ihre Reise nach Berlin veranlaßte, gewesen,
so erwartete ich Gewährung auch nur in so fern, als Sie selber fänden, daß sich
etwas dafür thun ließe, und die Umstände in Berlin einem solchen Unternehmen
Raum geben, oder es gar begünstigten.
Daß das Ministerium auf Ihre gütige Fürsprache sich entschließen sollte, mir
eine Unterstützung von dreihundert Thalern zu bewilligen, erschien mir, gestehe ich
offen, wenn ich das, was das Ministerium seit einigen Jahren für Privatdocenten
und junge Gelehrte überhaupt zu thun gewohnt ist, überdachte, sehr unwahrschein-
lich; eher wollte ich glauben, würde es gesonnen sein, wenn bei dem Gewicht, mit
welchem Sie in Berlin auftreten, bei der so großen allgemein bekannten Willfährig-
keit des Ministeriums gegen Gelehrte von bedeutendem Rang, bei der Sorgfalt, mit
welcher dasselbe die Studien auf Universitäten zu fördern bemüht ist. die, Herr
Professor, es irgend wünschten, einen i| Gehülfen für Logik, Geschichte der Philo-
sophie, Religionsphilosophie u. s. w. neben sich in Königsberg zu sehen, daß, sage
2 24 Nachtrag zu 1829.
ich, das Ministerium Ihnen einen solchen beiordnen würde: denn im ersten Falle
geschähe etwas Außerordentliches, was man nicht gern tliut, in diesem zweiten aber
gäbe es nur einen Professor extraordinarius mehr in Königsberg, und mit denen
pflegt man, wenn sie auch nichts Bedeutenderes, als eine Habilitirungsdissertation
haben drucken lassen, eben nicht sparsam zu sein.
Seit Jahren gehe ich mit einer größeren dem ■ philosophischen Publikum zu
übergebenden Arbeit um, bin aber bisher von der Ausführung theils durch die
Studien, die ich schlechterdings machen mußte, theils durch den Wunsch, Ihre
Metaphysik zuvor gelesen und noch einmal Ihr System im Zusammenhang und in
seiner ganzen Vollendung übersehn zu haben, abgehalten worden. Ich betrachte
den transcendentalen Idealismus als den Tummelplatz der Philosophen seit Kant;
steht Ihrem System ein Kampf bevor, so glaube ich, wird er besonders auf diesem
Gebiete geführt werden. Seine metaphysische und historische Herleitung, wie das
philosophische Denken auf ihn kommen mußte, und auch wirklich gekommen ist,
seine Umgestaltungen, seine Unzulänglichkeit, die Widersprüche, in welche er geräth,
die daraus hervorgehende Noth wendigkeit einer Umformung desselben; dieß, giebt
den Stoff für meine Arbeit und bestimmt die zu lösende Aufgabe. Wie Sie, Herr
Professor, von dem Gegebenen, von den Formen der Erfahrung ausgehen und deren
Umarbeitung vollziehen; so, glaube ich, könne man umgekehrt von den Höhen des
durch Kant und || seine Nachfolger ausgebildeten und dem Denker fertig und klar
vorliegenden Idealismus die Nothwendigkeit seiner Umgestaltung darthun und zur
Erfahrung hinabsteigend ihn mit Naturphilosophie und Psychologie aussöhnen. Hat
die Philosophie bei Begriffen, wie die des Seins und Werdens, den sogenannten
Kategorien überhaupt, die sämmtlich nicht gegeben, sondern gedacht sind, eben so auch
bei den Formen der Anschauung, die psychologische Richtung genommen, scheint
dieser Weg sogar in der Natur der Sache zu liegen; so begegnet man, wird die Be-
arbeitung jener ßegiiffe und Formen von diesem Standpunkte bewerkstelligt, den
Freunden und Anhängern der Transcendentalphilosophie auf ihrem eignen Gebiete
und hat somit leichteres Spiel. Erst nach einem vollkommen, mehrfach dargethanen
\md auch von den Gegnern zugestandenen Umsturz des transcendentalen Idealismus,
bildete ich mir ein, werde Ihr System, Herr Professor, seine Triumphe feiern.
Daß sich das Ministerium von der Zweckmäßigkeit einer solchen Arbeit über-
zeugen, oder gar Geld auf ein AVerk, das sein Risiko hat, werde anlegen wollen, be-
zweifelte ich wiederholentlich. Nachdem ich also meine Lage nochmals überschaut;
wenn ich fühle, daß es mir angenehmer sein würde, keine Verpflichtungen zu über-
nehmen, sondern aus eignen Kräften und auf eigne Gefahr etwas, das brauchbar,
hinzu-stellen; wenn ich's tiberdieß ganz in der Ordnung finde, daß, wer ein öffeat-
liches Lehramt in Anspruch nimmt, sich zuvor müsse gezeigt und bewährt haben:
so denke ich daran, Hochgeschätzter Herr Professor, Sie ganz ergebenst zu bitten,
für mich keine Schritte beim Ministerium zu thun, namentlich || aber auf keine Geld-
unterstützung anzutragen. Indem ich nichts Außerordentliches zur Hebung meiner
Verhältnisse erwarte, werde ich mich freuen und glücklich schätzen, wenn diese
Zeilen nur zugleich eine Rechtfertigung wegen dessen enthalten, was ich fortan für
mich zu thun genöthigt bin.
Aber wie sehr wünsche ich, daß Sie, Herr Professor, den Zweck Ihrer Reise
vollkommen erreichen mögen! Der Ruhm des Lehrers und Meisters hat Glanz genug,
um auf die Schüler und Nachfolger einige Strahlen zu werfen! Vergeben Sie, wenn
auch ich mich dazu dränge, einige derselben zu erhaschen. Schon darum wünsche
ich Ihnen den besten Erfolg und verbleibe mit vorzüglichster Hochachtung und Ehr-
erbietung Ihr ganz ergebener Taute.
Nachtrag zu 1829. 22^
905. Süvern an H. (1 S. 4». N.) B. 11/4 29
Ew. Wohlgeborea hatte ich so sehr gewünscht einmal in Ihnen angenehmer
Geseilschaft bei mir zu sehn. Unpäßlichkeit meiner Frau und andere häusliche Un-
ruhe, die aus dem auf übennorgen oder Mittwoch uns angekündigten Ankunft meiner
Schwägerin aus Marienburg entsteht, hindern mich leider daran. Macht es Ihnen
aber nicht zu viel Mühe, mich außerdem zu besuchen, so werde ich Sie übermorgen,
Dienstag, um 10 Uhr erwarten, ich möchte Sie doch zu gern sprechen und habe
Sie auch schon aufgesucht, aber nicht gefunden. Vorläufig meinen herzlichsten
Dank für Ihre Psychologie und Metaphysik, in deren ersterm Theile sich allenfalls
noch blättern läßt, was ich auch so oft ich Muße habe und aufgelegt bin thue.
Hochachtungsvoll Süvern.
906. Kamptz') an H. (1 S. 4°. N.) Berlin d. 11 1829
Euer Wolgeboren bezeige ich den verbindlichst-gehorsamsten Dank für die so
interessanten literarischen Geschenke, womit Sie mich heute so reichlich zu er-
freuen, die Güte gehabt haben. Wenn die mir verehrten Werke mir schon wegen
ihres gediegenen Inhalts unendlich schätzbar sind, so wird ihr Werth so bedeutend
dadurch erhöht, daß sie mir zugleich Beweise des mir so unschätzbaren, wohl-
wollenden Andenkens des hochverehrten Verfassers sind. Mit dankbarer An-
erkennung desselben werde ich diese Werke stets nur zur Hand nehmen. Ew.
Wolgeb. bezeige ich wiederholendlich meine Freude über die Ehre Ihre persönliche
Bekanntschaft gemacht zu haben und hoffe, wenn meine Gesundheit es mir irgend
gestattet, Ihnen diese Freude noch einmabi persönlich auszudrücken und der Fort-
dauer Ihres gütigen Andenkens mich zu empfehlen.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung ganz ergebenst Kamptz.
907. Richthofen an H. i,3 S. 4«. N.) Ohne Datum. Poststempel 28. April [29 ?]
Mein sehr verehrter Freund! Mit wahrem Vergnügen habe ich Ihr letztes
Schreiben empfangen und mich durch dasselbe für Ihr langes Stillschweigen voll-
kommen entschädigt gefühlt. Sie haben mir dadurch wiederhohlt bewiesen, daß Sie
zu der kleinen Zahl derer gehören, bei denen es nicht täglicher Erinnerung, nicht
eines täglichen Verkehrs bedarf, um die alte Herzlichkeit ungeschwächt zu bewahren;
daß Sie, was so selten, Tiefe des Gefühls mit philosophisch-mathematischem Tiefsinn
vereinigen. Aber vielleicht erschrecken Sie, während ich Ihren Brief rühme, über
den meinigen, beklagen Sie, daß auch in mir jene alte, vielgescholtene Psychologie
spucke, und daß ich noch oben ein statt den gereichten Finger die ganze Hand fasse,
und nicht nur Ihre Schrift sondern Sie selbst, meinen philosophischen Freund der
Kritik unterwerfe. So möge Sie denn die schnelle Versicherung trösten, daß ich
zwar bereit bin, Ihre Schrift, wenn es die Redaktion begehrt, in der Jenaer Zeitung
anzuzeigen, daß das gewöhnliche Meistern des Kecensenten- Volkes gegen meinen
alten Freund und Lehrer mir aber völlig unmöglich sein würde. Zwar fühle ich
daß ich auch hiezu keineswegs ganz geeignet bin, nahmentlich bin ich im Philo-
sophiren zu wenig geübt, um mich einer Gedankenfolge mit dem entschiedenen
Vertrauen || hinzugeben, daß der mangelnde Ausweg ein jederzeit schlagender Beweis
der Richtigkeit des erwählten Pfades sey; indem ich an mir selbst zweifle, will ich
mich von der Richtigkeit der Gedanken reihe auch objektiv überzeugen; aber ich
würde mich bemühen auf das Eigenthümliche Ihrer Psychologie hinzuführen, was
so leicht hervorspringt, und vorzüglich die Freunde der Mathematik, die schon durch
^) K. Chr. A. H. von Kamptz (1769—1849), preußischer Staatsmann.
Herbarts Werke. XIX. 1 5
2 2() Nachtrag zu 1829.
Bessels Äußerung gewonnen werden müßen, auf Ihr Bestreben aufmerksam zu
machen, die Psychologie ihrem Gebieth zuzugesellen. Ich glaube übrigens nicht
daß hiezu eine große Weitläuftigkeit Noth thue, ja vielleicht würde sie sogar schaden;
lange Recensionen werden in der Regel, wenn sie nicht zänkischer Art sind, nur
von denjenigen gelesen, in denen das Interesse nicht erst erweckt werden soll,
sondern die es schon besitzen; demungeachtet würde ich einiger Zeit bedürfen, um
mich in Ihrer Philosophie erst wieder hinlänglich zu befestigen, zumahl es im
Sommer nicht an Unterbrechungen fehlt. Endlich finde ich soeben in Becks Reper-
torium daß in den Göttingischen Anzeigen eine von mir nicht gesehene ausführliche
Beurtheilung Ihrer Schrift durch Herrn Beneke steht. Sollte Ihnen vielleicht diese
zu mehreren Bemerkungen Anlaß geben, so bin ich gern erböthig, wenn Sie es
wünschen, selbige in die von mir gewünschte Anzeige zu verflechten; versteht sich
wenn die Wahl der Redaktion auf mich fällt, und sie bei dem Nahmen eines Land-
mannes nicht ein horror vacui ergreift. |1
Noch erwünschter als Ihr erster gütiger Vorschlag war mir freilich der zweite ;
es würde ein von mir längst gehegter Wunsch dadurch in Erfüll ang gehen, und die i
kleine Entfernung ist durchaus kein Hinderniß. Aber lieber Freund, im letzten 1
Drittel des Juli erwartet meine Frau eine abermahlige Entbindung; Sie wissen ich ■
habe früher bei dieser Gelegenheit meine unvergeßliche Therese verlohren, und noch 1
vor Kurzem meine jüngste Schwester in der Blüthe der .lugend. Selbst zu mir :
kann ich Sie daher in dieser Zeit nicht einladen, aber herzlich würde ich mich 1
freuen wenn Ihre Geschaffte Ihnen erlaubten Ihre Reise in den Herbst zu verlegen, i
und dann bin ich erböthig Sie überall diesseits der Wüste zu empfangen. So sehr I
sollte Sie Ihr Seminar doch nicht hemmen ! Aber vielleicht geben Sie noch manchen
Rückerinnerungen Raum, und frohlocken würde ich wenn die etwas komplicirte Vor-
stellung des Seminars dennoch hinlänglich verdunkelt würde, um mir möglich zu 1
machen Sie persönlich meiner alten Freundschaft zu versichern. :
Ganz der Ihrige Richthofen. '
908. Richthofen an H. (1 S. 4". N.) Brecheishof den 20sten Juni 29. j
909. An Freih. von Richthofen. 9- Juli 1829. !
„Wenn Sie meinem Schweigen ein wenig zürnen, so schieben Sie die :
Schuld auf eine unrichtige Ursache. Ich brüte nicht über einer Antikritik j
und bin auch nicht darum, weil Ihre Rezension mich nicht mehr in Berlin '
erreichte, minder dankbar dafür. In Berlin fand ich die größte Gefällig- ;
keit von meinen alten Bekannten bis zum Minister und zum Kronprinzen |
hinauf. Auch bei Schulz und Altenstein. Es schien Absicht, mir zu be- ;
weisen, daß man bei der Gunst für Hegel nicht unbillig gegen andere sei.
Da ich den Wunsch ausdrückte, zu Drobisch und Brandis (in Bonn) zu
reisen, wurden dazu gleich 300 Thaler bewilligt. — Doch ist es Zeit, ';
daß ich von Ihrer Rezension spreche. Da ich an Reichhelm, der alle ;
Verhältnisse in Berlin sehr genau kennt, wegen der Schwierigkeiten schrieb, j
die eine Reise in diesem Herbste nach Frankfurt a. M. (wohin mich '
Brandis auf den 6. Oktober bestellen wollte) für mich haben würde, '
antwortete er mir: ,Sofern Sie es wünschen, wird man Ihnen statt einer
Reise nach Frankfurt wohl eine zu Herrn von Richthofen gestatten. Denn j
Richthofens Rezension hat im allgemeinen hier Anerkennung gefunden. '
Gegen Einzelnes werden Bedenken geäußert.' Mit Bedauern muß icn j
hinzufügen, daß ich zu einem Reiseplan nach Brecheishof mich — sa ]
Nachtrag zu 1829. 22'
gern ich käme — noch nicht berechtigt finde. Eine Reise zu meinem
ahen Freunde wäre eine Reise in meinem ahen Kreise, wenigstens möchte
sie leicht so angesehen werden.'- — [Herbart schlägt deshalb Richthofen
vor, nächstes Jahr mit ihm und Drobisch in Leipzig zusammen zu kommen.
Eine persönhche Zusammenkunft Herbarts mit seinen philosophischen
Freunden war nämlich deshalb gewünscht worden, um dem ausgezeichneten
aber in seiner Tätigkeit als Professor und Leiter seines pädagogischen
Seminars in Königsberg in allerlei Verlegenheiten und Mißverhältnisse ge-
ratenen Gelehrten zu raten und ihn zu neuer wissenschaftlicher Tätigkeit,
vielleicht auch durch eine Versetzung, anzuregen. Eine solche Zusammen-
kunft erschien aber besser in Berlin als in Leipzig.]
910. Bräuer') an H. (3 S. 4«. N.) Breslau, den 2. August 1829.
Hochzuverehrender Herr! Ew. "Wohlgeboren werden verzeihen, daß ich mir
die Freiheit nehme an Sie zu schreiben. Gänzlicher Mangel an Unterstützung
machten es mir unmöglich, meinem Fach, der Historienmalerei frei nachzugehen.
Der mir inne wohnende Ernst und die Liebe für Kunst trieben mich daher auf
eine andere "Weise thätig zu sein, nämlich für allgemeine Bildung des Kunstsinnes
den Weg des Unterrichts zu verfolgen. Seit Jahren beschäftige ich mich mit Zeichen-
unterricht, und ich fühle einen Beruf, meine Unterrichtsweise öffentlich mitzutheilen.
Ihr ABC der Anschauung ist mir auf meiner Bahn ein großer Schatz geworden,
es ist mein Lehrbuch, welches mich fortwährend anregt — Oft habe ich mich in
Ihre Nähe gewünscht, um Sie über dieses und jenes zu fragen, Ihnen meine beim
Unterricht gemachten Erfahrungen und meine Zeichnungen (Studien für den Unter-
richt) vorzulegen — ||
Ich gebe nun von meinem ABC der Anschauung denjenigen Theil, welcher
den elementarischen Unterricht befaßt, mit 12 Bogen Lithographie heraus; ich habe
mir die Freiheit genommen, an verschiedenen Orten Stellen aus Ihrem Werk ein-
zurücken, und bin sehr begierig, ob und wie Sie, hochzuverehrender Herr! damit
zufrieden sein werden.
Da es mit dem Druck meines elementarischen Unterrichts so langsam geht,
kann ich nicht länger warten, mich Ihnen schriftlich vorzustellen, und Ihnen einst-
weilen einige Proben von meiner Bestrebung mitzutheilen.
Es sind folgende drei Sachen: Erstens: Ein kurzer Aufsatz über Zeichenunter-
richt in Dr. Hoffmanns schlesischer Monats.schrift,^) zweitens, der Leitfaden zu meinem
Unterricht, drittens, ein Entwurf zu einer Arbeit, die ich dem elemeutarischen
Theil meines ABC der Anschauung, unter dem Titel Zauberschrank nachzusenden
gedenke.^) ||
') Karl Bräuer, Zeichenlehrer a. kath. Schullehrerseminar und a. d. Wilhelms-
schule m Breslau. Daß er der Erste gewesen ist, der Herbartische Grundsätze
auf den Zeichenunterricht anwandte, war noch nicht bekannt, bisher galt Flinzer
als solcher.
■^) Monatschrift von und für Schlesien, herausg. von H. Hoffmann. Breslau,
Jahrg. 1829. I, S. 31.5—320.
^) Von diesen Arbeiten scheint nur erschienen zu sein: „Die Theorie der
freien Auffassung. In einer lithographischen Übersichtstafel enthaltend die wesent-
lichsten Hilfsmittel beim Unterricht im Zeichnen." (Breslau, ohne Jahr.) Dort
wird S. 31 auf Herbarts Buch „Pest. Idee eines ABC pp." verwiesen. Dem Buche
„verdanke er die meiste Anregung fürs freie Zeichnen, es handle so viel und klar
von der künstlerischen Tätigkeit beim Auffassen und von der Auffassung einer ver-
wickelten Form durch Hauptpunkte".
15*
2 28 Nachtrag zu 1829.
Ich bitte Sie, hochzuverehrender Herr! diesen Dingen einige Aufmerksamkeit
zu schenken, und mich recht bald mit einigen Worten darüber zu erfreuen.
Ihrem Wohlwollen mich bestens empfehlend, verbleibe ich mit der größten
Hochachtung Ihr ganz ergebenster Karl Bräuer.
Zeichenlehrer in Breslau (Wohnhaft Katharinenecke am Neumarkt).
QU Berlin, 9. Aug. 1829
„Patent für den Prof. Herbart in Königsberg als Schulrath und Ehrenmitglied
des dortigen Consistorü und Provinzial-Schul-Collegü" („mit Sitz und Sthume, jedoch
ohne Gehalt"). N.^)
912. Bobrik an H. (2 S. 4". N.) Berlin den 26. Septbr. 29.
Herr Professor! Indem ich mir die Freiheit nehme, mit dem ganzen Gefühle
der innigsten Verehrung, das mich gegen Sie stets erfüllt hat und beseelen wird,
schon eines von den hier vorgefundenen Exemplaren zu überreichen, habe ich zu-
gleich das ausgezeichnete Vergnügen, Ihnen die ausgezeichnete und wohlwollende
Aufmerksamkeit zu berichten, mit der sich sämmtliche Herren Ministerialräthe nach
Ihrem Befinden erkundigten, und mir auftrugen Ihnen ihre Empfehlungen zu sagen.
Der Staatsrath Süvern war ein wenig zu kränklich, um über die äußersten Anfangs-
punkte eines Gesprächs hinauszugehn, dennoch trug er mir dasselbe auf; von
St. Nicolovius war die alte freundschaftliche Stimmung zu erwarten, mit der er
Ihrer stets zu gedenken pflegt; Hr. v. Kamptz übertrug mir mit seiner grandiosen
Feinheit in den schmeichelhaftesten Ausdrücken seine Empfehlung an Sie; Geh. R.
Schulze aber unterhielt sich fast eine Stunde mit mir, und gab mir in dem herz-
lichsten Tone, in den er allmälilig gerathen war, nicht nur die freundschaftlichsten
Empfehlungsausdrücke an Sie, sondern auch den Auftrag „Sie zu einer baldigen
Wiederherkunft aufzufordern''. Den Minister selbst habe ich nicht abwarten können,
da man seiner Ankunft erst gegen Ende dieses Monats entgegensieht.
Herren Reg. Reichheim habe ich nur erst einmal sprechen können, da die
Abiturientenexamen der hiesigen Gymnasien ihn jetzt zu sehr beschäftigen. Dies
hindert ihn vielleicht auch Ihren Brief sogleich selbst zu beantworten, und in dei
Voraussetzung, daß ich früher das Vergnügen haben würde mich schriftlich mit
Ihnen zu unterhalten, hat er mir über zwei Angelegenheiten seine Meinung Ihnen
mitzutheilen aufgetragen. Ueber die erste, mir völlig unbekannte, sprach er, natür-
lich für mich räthselhaft, daß er wisse: die Sache sei bei dem Minister eingelangt,
aber durch dessen Krankheit, Verlust des Sohnes, Krankheitsrückfall, und Abreise
wabrscheinlich ins Stocken gerathen, und also erst nach seiner Rückkunft resultorisch
erkenntlich. Die zweite wegen Voigt, stellte er so dar: Es liege außer dem Be-
reiche des Ministeriums irgend einem Consistorium in der Wahl eines Predigtamts
Candidaten Einspruch zu thim, wenn keine gesetzlichen Hinderniße vorhanden sind.
um so weniger werde sich der Minister der etw anigen Renitenz der dortigen Regie-
rung aussetzen, daher habe nur das unglückliche Zusammentreffen der beiderseitigen
■) An dieser Steile sei Herbarts Anteil an der Einrichtung einer neuen Schui-
gattung mitgeteilt. Die Anregung ging 1828 von Bessel aus. „Herbart, mit dem
über die Sache ausführlich verhandelt wurde, schlug vor, die neue Schule: ,Hohe
Volksschule' zu nennen. Wie die Gymnasien vorzugsweise die Aufgabe haben,
Leiter und Führer des Volks für die Universität vorzubereiten, so wäre die Auf-
gabe dieser hohen Volksschule, den edleren Teil des Volks selbst zu bilden. . . ,
Alexander von Humboldt erkannte die Notwendigkeit der Errichtung solcher Schulen
vollständig an und verlangte die Publikation des Plans. . . ." Nach „Aus den Papieren
des Ministers Th. von Schön" 2. Teil, 3. Bd. S. 103 f. (Berlin 1876.) — S. 0. Bd. U
der Briefe S. 251.
Nachtrag zu 1829. 220
"Wahl diese Schwankung herbeigeführt. Doch glaube er daß Ihre Anzeige von Voigts
interimistischen Anstellung im Seminar (bis das Wonndittische Gehalt regulirt ist)
und die Sorge, während seiner Anwesenheit ein anderes Subjekt zu finden und vor-
zuschlagen, die nächstzuergreifenden Maaßregeln wären. Daß das lebhafteste [Wohl-
wol]len für Sie bei dem Ministerium vorherrsche || meinte er eben so sicher behaupten
zu können, als ich es jetzt glaube bei den persönlichen Aufwartungen erfahren
zu haben.
Uebermorgen, Mondtag, setze ich meine Reise fort, hoffe bald von Bonn aus
mich wieder bei Ihnen zu melden, und empfehle mich für jetzt mit dem Wunsche
Ihrer vollkommensten Gesundheit, in kindlicher Ehrfurcht Ergebenster Bobrik.
913. Bobrik an H. (2 S. 4". N.) Bonn den 17 Nvbr 1829.
Verehrtester Herr Professor! Mit dem ergebensten Danke habe ich so eben
Ihr gütiges Schreiben vom 9ten dies. Mon. gelesen, und erkenne die väterliche
Sorgfalt für mich darin, doch hebt es meine Hoffnung nicht wieder auf. Doch ehe
ich damber meine Ueberzeuguug ausspreche erlaube ich mir anzuzeigen, daß ich in
der Logik, 4 und in der Einleitung 10 Zuhörer bekommen habe. Auch habe ich
auf mehrseitige Veranlaßung die Mathematische Bearbeitung der Psychologie an-
gekündigt und schon zweimal gelesen, 20 Mathematiker haben bei mir unterschrieben
aber in beiden bisherigen Vorträgen waren über 30 Zuhörer.
Dieses Gelingen macht mich insofern ruhiger, als ich nun weiß, wie ich bei
günstigem äußeren Verhältnissen jetzt auf meinem Platze stünde, und daß ich ohne
weitere eigne Schuld dem äußern Drange nachzugeben gezwungen sein werde. Da
hier in der Philos. Facultät einige Extraordinarien ohne Gehalt sind, so darf ich
von Seiten des Ministeriums gewiß nichts erwarten, selbst wenn der Minister auf
Augenblicke vergessen könnte, daß ich kein Schüler Hegels bin. H. Geh. R. Hüll-
mann ist durch sein häusliches Unglück zu sehr darnieder gedrückt, als daß er
irgend tiefere TheiJnahme an einen fremden Hülfsbedürftigen nehmen könnte, doch
selbst in diesem Falle könnte er nicht helfen, da die hiesige Universitätscasse in
keiner Rücksicht schnelle Hülfe zu leisten vennag.
An H. Prof. Brandis werde ich die erfreuliche Empfehlung noch heute bringen.
^- In Berlin sowohl als hier hörte ich, daß das Ministerium zur Absicht gehabt
habe, an die Stelle des zuletzt von hier abgegangenen Elvenich, einen Schüler
Hegels herzuschicken, welcher Absicht ich wahrscheinlich unwillkommen entgegen-
getreten bin, und daher von dort keinen Halt zu erwarten habe. Den eigentlichen
Werth des Faches, dem ich mich ergeben, habe ich nun zu sehr schätzen gelernt
als daß ich ohne die höchste Noth davon mich sollte abdrängen laßen. In die vorige
Art des gedrückten Zustandes mag ich unmöglich zurück, vorwärts kann ich vorm
ersten des nächsten Monats nicht, mich zu vergeblichem Hülfeflehen || auszusetzen
halte ich mich zu gut, und würde meine hiesige Stellung dadurch in jeder Hinsicht
.verderben. Daher muß ich ruhig und mit möglichster Fassung dem Herannahen
des nächsten Monats entgegensehen, bis dahin wird mich nie der Wille verlassen
mich hier Ihrer würdig zu zeigen, wie es bisher mir gelungen zu sein scheint.
Mit aller Ergebenheit Ihr gehorsamster Bobrik.
914. E. Erdmann an H.^) Wohnar 6 Dec./24 Nov. 1829.
Hochwohlgeborener Herr Professor Hochverehrter Herr Doctor Mit dem herz-
lichsten Dank für Ihr geehrtes Schreiben beginne ich diese Zeilen, die Ihnen zu
*) 3 S. 40. N. — J. E. Erdmann (1805—1892), später Prof. in Haue, wai-
damals Geistlicher in seiner Vaterstadt Wolmar in Livland.
2XO Nachtrag zu 1829.
senden ich umsoniehr für meine Pflicht halte als ich Ew. Hochwohlgeboren nicht
nur in Ihren Geschäften unterbrochen, sondern auch in einer Unpäßlichkeit gestört
habe. Den herzlichsten Dank bin ich Ihnen aber schuldig, theils überhaupt der er-
langten Auskunft wegen, theils aber und insbesondere über Ihre Ansicht den In-
halt meiner Dissertation betreffend. Kann ich nun gleich eine Scheidung der
Theologie und Philosophie nicht für möglich, viel weniger für rathsam achten, so
ist es ja offenbar, daß ein solches Vorurtheil — denn das ist ja meine Meinung
solange ich sie nicht erwiesen habe — mir nicht das Recht giebt mit einer Disser-
tation solchen Inhalts, wie die meinige hat, mich zur Erlangung einer philosophi-
schen Würde zu melden. Ich kann also nicht anders als Ew. Hochwohlgeboren
meinen herzlichen Dank abstatten, daß Sie mir das Zurückschicken der Abhandlung
erspart haben, und ich denke ich kann meines Dankes Aufrichtigkeit nicht besser
zeigen als wenn ich Ihnen das mittheile, daß ich gewiß mit einer ganz andern
Dissertation mich bei Ihnen melden werde. Thut es mir gleich leid, daß die, zu-
nächst für mich selbst ausgearbeitete Abhandlung, wenn auch nicht für mich unnütz,
so doch ohne den gewünschten Zweck zu erreichen, eine gänzliche Umarbeitung
erlitten hat, so kann mich das nicht hindern eine andere Abhandlung die zum Theil,
wenn auch noch nicht ganz scliriftlich, schon entworfen ist, zu beginnen, und ich halte
es für meine Schuldigkeit, Ew. Hochwohlgeboren den Inhalt derselben anzuzeigen,
umsomehr, da eben Ihr geehrtes || Schreiben der Wahl gerade dieses Gegenstandes
den Ausschlag gegeben hat. Seit lange nämlich schon beschäftigte ich mich mit
dem so viel besprochenen Gegensatz von Glauben und Wissen, und wenn ich nun
auch dieses Thema in seiner ganzen Ausführung für ein zu weitschichtiges ansehe,
das einer ausführlichen und streng systematischen Ausführung bedarf, so ist doch ein
Gegenstand mir dabei sehr wichtig geworden, den ich eben zu bearbeiten längst
vorhatte, und nun der Prüfung Ew. Hochwohlgeboren |vorlegen will und das ist
eben: Ob und welchen Unterschied es zwischen Philosophie und Theologie gäbe. —
Ich bin fest überzeugt Ew. Hochwohlgeboren werden, wenn ich, nach Ihrem werthen
Schreiben, ein solches Thema wähle, in meinem Entschluß nur das sehen, was wirk-
lich darin liegt, theils die gerechteste Hochachtung gegen Sie, die mich nicht zweifel-
haft oder ängstlich werden läßt, eine Arbeit zu beginnen, und Ihrem ürtheil zu
überlassen, in der ich vielleicht von Ihrer Ansicht sehr abweiche, theils aber auch
eine Rechtfertigung für meine früher angekündigte Dissertation, in dem ich nämlich
durch Darlegung meiner Ansicht Ihnen zu zeigen hoffe, wie ich darauf kam eine
so theologisch klingende Arbeit Ihnen einsenden zu wollen. Wenn nun auch Ew.
Hochwohlgeboren vielleicht ungehalten darüber sind daß ich ein solches Thema er-
wähle, so halte ich es umsomehr für meine Pflicht, gerade mit solch einer Arbeit
bei Ihnen einzukommen, als mir sehr viel daran liegt, bei Ew. Hochwohlgeboren
nicht in den schlechten Credit zu kommen, als wollte ich zwei ganz heterogene
Gegenstände mechanisch miteinander zusammen mengen, oder auch nur amalgamireu.
Und so hoffe ich denn auch daß bei dieser Arbeit mich der Vorwurf nicht treffen
wird als sei dies eine theologische Abhandlung, denn sollte ich auch Ihrer Meinung
nach den Unterschied zwischen Philosophie und Theologie — den ich übrigens sehr
anerkenne — zu gering anschlagen, so könnte ich doch zu meinem Resultate nimmer-
mehr auf theologischem Wege gelangen. Ich fürchte kaum, daß dieser Titel als
nicht in || die philosophische Sphäre gehöi-end, von Ihnen verworfen werden sollte,
sonst indeß könnte ich allerdings vielleicht einen anderen wählen, der indeß kaum
etwas ändern würde.
Und so hoffe .ich denn, in nicht gar langer Zeit mich wiederum bei Ihnen
zu melden, indem ich die Dissertation mit gerichtlich anerkannter Handschrift Ihnen
Nachtrag zu 1830. 23 I
einsende, ich kann dabei nur wünschen, in Ew. Hochwohlgeboren einen nachsichtigen
Beuitlieiler zu finden, der wenn auch nicht ganz und gai- meint, in magnis voluisse
sat est, so doch auch das, was mich überhaupt bewegt, den Trieb nach Walirheit und
den Duret nach "Wissenschaft, als die beste captatio benevolentiae ansieht. Kann
ich doch so keine andere bei Ihnen anwenden, da ich wohl schon durch meinen
vorigen Brief kein günstiges Vorurtheil bei Ihnen erregt, und durch den itzigen
meinen Fehler vielleicht nicht gut gemacht habe.
Mit Wiederholung meines Dankes für die mir gefälligst gegebene Auskunft,
und die "Winke über die Beschaffenheit einer solchen Arbeit bin ich mit der ge-
rechtesten Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster Diener
E. Erdmann.
915. F. Osten an H. (4 S. 4". N.) Jannewitz den 17ten Decbr. 29.
[Eine Schilderung seiner Erlebnisse seit seinem Fortgang von Königsberg, wo
er Herbarts Schüler und Zögling war.]
<)16. Richthofen an H. (2 S. 4". N.) Brecheishof den 22sten Dec. 29.
Mein verehrter Freund! Ich ha'be manchmal mich über Ihr seltenes Schreiben
zu beklagen Grund gehabt, dießmal haben Sie es; denn auf ein sehr freundliches
Schreiben das ich diesen Sommer erhielt, habe ich Ihnen noch immer nicht ge-
antwortet. Eine kleine Entschuldigung möge mir gewähren, daß ich hoffte wenn
die von Ihnen beabsichtigte zweite Reise nach Deutschland vollführt würde, Sie
mir davon Anzeige machen würden, und dann hatte ich einen von mannigfachen
Geschäften höchst bewegten Sommer.
"V\"as jene wissenschaftliche Zusammenkunft anbelangt, da finde ich mich frei-
lich nicht geeignet, unter riiilosophen zu sprechen und mit Ihnen zu deliberiren ;
ein anderes Ding ist, den nicht philosophischen Leuten von einem Denker zu sagen,
den ich innig verehre, wenn ich auch manchmal ein ,,ich kann nicht veretehen'-
einschalten muß. Fremde |1 sagen dann vielleicht, warum schweigt er nicht lieber;
aber Sie mein Freund wissen wohl, daß mich nicht Anmaaßung zum Sprechen
treibt. Aber mit großer Freude würde ich Sie wiedersehn, würde Sie hören, und
- mich belehren lassen, wenn ich auch manchmal einen kleinen Zweifel einschieben
sollte. Daß dadurch aber für die "\A^issenschaft nicht viel gewonnen wird, darin
haben Sie freilich vollkommen Recht ; suum cuique . . .
917. An Freih. von Richthofen. 3i- Jan. 1830.
,,Nach Drobischs Benachrichtigung erscheint Berlin lür die Zusammen-
kunft genehmer. Ich fürchtete, er wüide als Mathematiker meine Meta-
physik kaum lesen oder durch die scheinbar antigeoraetrischen Begriffe
zurückgestoßen werden, aber im Gegentheil, er ist zugänglich für alles und
ich darf in den reinen Spiegel eines unbefangenen, aber durchaus fähigen
Geistes zu schauen hoffen, indem ich seine mündlichen Zweifel oder weiteren
Vorschläge vernehmen werde. Mögen Sie nun, mein alter f'reund, der
dritte Mann sein, so kommt doch noch einigermaßen zustande, was ich
wünschte und wollte. Reisen Sie mit nach Bonn, so würden wir gemein-
schaftlich erst Drobisch, dann Brandis, den besten Kenner der Geschichte
der Philosophie, sprechen. Ihre große Güte, auf meine "Veranlassung nach
Berlin zu kommen und dort die alte persönliche Bekanntschaft zu erneuern,
was nach zwanzig Tahren wahrlich Noth thut, kann ich nicht genug danken."
2^12 Nachtrag zu 1830.
[Zugleich schickte Herbart an Richthofen seine Encyklopädie.
Solchem tiefen Vertrauen glaubte Richthofen freudig nachkornmen zu
sollen und reiste nach Berlin, wo ihn nicht bloß jene Zusammenkunft mit
den Männern der Wissenschaft, sondern auch mit den Räten des Ministe-
riums, namentlich mit den Geheimen Räten .Schulz und Nicolovius, in
nähere Berührung brachte, welche ihm mit großer Hochachtung entgegen
kamen.]
918. Schwatio an H. (28 S. 4». N.) Schippenbeil 10. X. 1829. 6. I. 30.
919. Hüllmann an H. (1 S. 4". N.) Bonn 6 Febr. 30.
Es hat den erfreulichen Anschein, sehr verehrter Freund, daß der junge Ge-
lehrte, an dem Sie eine so väterliche Theilnahme beweisen, sich hier einen Wirkungs-
kreis bilden werde. Schon in der kurzen Zeit ist ihm gelungen, sich unter Jer
Schaar von Privatdocenten bemerkt zu machen; seine Vorträge werden von den
"Wenigen, mit denen er allerdings den Anfang machen mußte, gern gehört. Auf
den nächsten Sommer kömmt es entscheidend an, ob sein Stuhl fest stehn werde.
Mit seiner Kasse steht es freilich nicht sonderlich. Ich habe ihm kürzlich 16 Thlr.
geliehn. Er ertheilt Privat -Unterricht an einen Engländer, und an Brandis Bruder,
wodurch er sich Einiges verdient. Die bewußten 50 Thlr. wird er nicht zurück-
zuzahlen haben: dafür ist gesoi-gt. Ihren Wunsch, von ihm selbst bald Nachricht
zu erhalten, habe ich ihm bekannt gemacht. Er besucht mich zuweilen; ich habe
ihm Schneiders Wörterbuch gegeben, da er Plato lesen will. Dann bin ich auch in
eine Art von literarischem Verkehr mit ihm gekommen. In Gesellschaften, und bei
den Frauen, ist der philosophische Seemann wohl gelitten.
Soviel über den Schüler, nun über den Lehrer. Führen Sie nur aus. wozu
Sie in Ihrem vorgestern eingegangenen Briefe Hoffnung machen. Ich will Sie so
herzlich und freundlich empfangen, Theuerster, als ich Sie ungern vor beinah 13
Jahren verlassen habe. Auch andere werden sich Ihres Hierseyns freuen, darunter
Delbrück. In dieser frohen Aussicht, und mit der Bitte, die Einlage gefälligst abgeben
zu lassen, ganz der Ihrige. Hüllmann.
920. Eichstädt an H. (3 S. 40. N.) Jena, 17 Februar 1830
Euer Wohlgeboren gütige Zuschrift vom 7 d. M. hat mich sehr erfreut,
vorzüglich auch, weil ich aus derselben auf Ihre hergestellte Gesundheit schließen
zu können glaube. Der Himmel erhalte Ihnen dieselbe noch recht lange, zur
Freude Jhrer Freunde und zum Besten der Wissenschaften!
Der kleine Aufsatz, den Sie nicht gern eine Anticritik nennen wollen, ist sofort,
ohne alle vorherige Mittheilung an den Hr. Rec, in die Drukkerey gegeben worden.
Eine ßecension der Bachmann -Logik wird uns noch jetzt willkommen sein,
Sowie auch anderer Bücher, welche auf dem Rückblatt verzeichnet sind. Es sind,
dünkt mich, unter denselben auch einige, die Sie bereits früher abgelehnt haben.
Vielleicht entschließt sich Herr Dr. Taute, te auspice, einige davon zu übernehmen.
Jedenfalls ersuche ich Sie, ihn zur || Beurtheilung eines dieser Bücher bald zu ver-
anlassen, damit wir dann, wie ich hoffe und wünsche, eine genauere Verbindung
mit Ihnen eingehen können.
Würden Sie oder Er vielleicht auch die neue Gesch. der Philosophie von Ast
und Ritter zu recensiren geneigt seyn? Die neue Ausgabe von Tennemann sen. von
Wendt, sowie die von Reinhold, sind zwar schon vertheilt, aber leider noch nicht
recencirt, sodaß auch diese, wenn die Recension bald erfolgte, mit dazu genommen
werden könnten.
Nachtrag zu 1830. 233
Mit unserem Her. Prof. Keinhold kam ich neulichst fa.st in einige Differenz.
Er hatte von Beneke's Skizzen ebenfalls eine, aber sehr lobpreisende, Rec. geliefert,
nachdem die Ihrige bereits abgedruckt, aber ilim noch nicht zu Gesicht gekommen
war. Vielleicht, daß er künftig eine andere Gelegenheit wahrnimmt, sein Urtheil
über Hr. B[eueke] zu publiciren. Jeder der Herren Recensenten, möge dann,
wenn es nöthig sein sollte, sein Urtheil vertreten: ich für meine Person kenne
Herrn B. blos aus einigen, von ihm gefertigten Recensionen und stimme Ihnen bei
— Hr. Drobisch möge nur wegen der Metaphysik "Wort halten! Uns soll es recht
erfreulich sein. Hochachtungsvoll Eichstädt.
872
37 963 Bachmann, System d. Logik. Leipzig, b. Brockhaus 1829. (3 Thlr.)
40 122 Briefe gegen die Hegeische Encj'clopädie der philosoph. Wissenschaften.
Berlin, b. Enslin 1829, (10 gr.)
40 5.Ö4 Metz, über den Begriff der Naturphilosophie. "Würzburg. (6 gr.)
40 626 Schirlitz, Propädeutik d. Philosophie. Cöslin, b. Hendeß 1829. (8 gr.)
39 730 Schubarth u. Carganico, über Philosophie überhaupt, und Hegels Ency-
clopädie. Berlin, in d. Enslinschen Buchhdlg. 1829. (1 Thlr. 6 gr.)
40 579 Ueber Seyn, Nichtseyn und Werden. Berlin, b. Mittler 1829. (1 Thlr. 4 gr.)
40 583 A.st, Hauptmomente der Geschichte der Philosophie. München, b. Weber, (8 gr.)
40116 Ritter, Geschichte der Philosophie I. Hamburg, b. Perthes 1829. (3 Thlr.)
27 245 Salat, die Religionsphilosophie 1821.
33 773 Krugs System der theoretischen Philosophie 1825.
33 774 Ohlert, Grundriß der allgem. Logik 1825.
921. Drobisch an H. (3 S. 40. N.) Leipzig d. 2. März 1830.
Hochverehrter Herr Professor! Der Grund, der mich heute veranlaßt, mich
noch einmal schriftlieh an Sie zu wenden, liegt in dem Umstände, daß ich nicht
durch längeres Stillschweigen eine freundschaftliche Verpflichtung, die Sie mir
in Ihrer letzten Zuschrift gütigst aufzulegen versuchen, wirklich zu übernehmen
scheine — die Recension Ihrer Metaphysik. Ich glaube nämlich dieses Werk nun
so weit kenneu gelernt zu haben, daß mir zugleich mit der aufrichtigsten Bewunde-
rung des eindringenden Scharfsinns und der umfassenden Gelehrsamkeit seines Ver-
fassers meine eigene Untauglichkeit zu einer Anzeige desselben völlig klar geworden
ist. Beides bitte ich nicht für Eedensart. sondern für meine wahre Überzeugung
zu halten. Wer sich zum Recensenten eines Buches auf wirft, muß sich entweder
ein vollständiges Urtheil darüber abzugeben getrauen, d. h. über dem Buche zu stehen
glauben, oder, wenn er sich auf eine Anzeige beschränkt, dasselbe in allen seinen
Theilen mehr als andre zu verstehen meinen und durch Erläuterungen und Auf-
stellung von lichten Ansichten über Zweck und Gehalt desselben zur Aufnahme
desselben behülflich zu sejTi suchen; jede andre Art von Recension ist Buchhändler-
anzeige oder literarische Sünde. Es bedarf keiner Erörterung, daß ich in Bezug auf
Ihre Schriften immer nur der zweiten Art zu recensiren mich habe für fähig halten
können; allein bei der Metaphy.sik kann ich auch nicht einmal diese Stelle einnehmen.
Um bei diesem Werke au fait des Verständnisses zu seyn, bedarf man dreierlei,
wie mir scheint: 1. hinlängliche philosophische Ausbildung, um die gegebenen neuen
metaphysischen Theorien mit Klarheit auffassen und sich aneignen zu können ;
2. philosophisch historische Kenntnisse, um den Standpunkt des neuen Unternehmens
gegen die früherer und gleichzeitiger Vei'suche gehörig zu würdigen; 3 genaue Kennt-
niß des gegenwärtigen Zuslandes der Naturwissenschaften, namentlich der Physik,
Chemie und Physiologie. Es fehlt mir aber, wenn ich nicht Sie und mich täu.schen
will, in allen drei Punkten gar Vieles; und obgleich ich weiß, daß in dem ersten
2 7,4. Nachtrag zu 1830.
durch Anstrengung Vieles beseitigt werden kana, so bin ich doch, seit mehreren 1
Jahren vorzugsweise dem so reißend vorwärts schreitenden Studium || der Mathematik ;
aus Beruf und Neigung zugewendet, im zweiten uud dritten Punkte zu weit zurück-
geblieben, als daß ich die Stirn haben könnte, mich zum Eecensenten einer Schrift
aufwerfen zu wollen, die so viel voraussetzt. Was namentlich die Naturphilosophie
betrifft, auf deren Beurtheilung oder Exposition Sie vorzüglich gerechnet zu haben
schienen, so muß ich offen bekennen, daß ich in den neuern Ansichten über Wärme,
Elektricität, üalvanismus etc. viel zu sehr zurück bin, als daß ich eine Vergleichung
zwischen Ihren Erörterungen und den neuern Erfahrungen und Lehrsätzen anzu-
stellen im Stande wäre. Ich kann aus Ihrem Buche nur lernen, aber nichts be-
urtheilen; ich bin hier nicht auf einem mir bekannten Terrain, und ich kann mich
daher auch nicht anbieten, um andre orientiren zu wollen. Dies gilt in steigender
Progression von dem chemischen und physiologischen Theile der Naturphilosophie. ,
Mit diesen Zweigen habe ich mich nie viel beschäftigt und meine Kenntnisse von ■
ihnen sind daher die oberflächlichsten. Mein Wissen von dieser Seite zu erweitern, j
daran kann ich jetzt nicht denken. Sie werden vielmehr es selbst billigen, wenn \
man seine Kräfte bei dem gegenwärtigen Fortschritte der Wissenschaften mehr \
konzentrirt als dilatirt. Meine Ablehnung, hoffe ich, werden Sie nicht ungütig auf- '■
nehmen. Sie werden erkennen daß ich es mit dem Recensiren redlich meine, und' :
daß mir die Grenzen meiner Fähigkeit nicht fremd smd. Erinnern Sie .sich, wie i
ich in den psychologischen Anzeigen alles Metaphysische bei Seite geschoben habe, 1
weil ich mich da weniger heimisch fühlte, wie ich nur eine Darstellung des Statischen |
und Mechanischen versuchte etc., so wird Sie mein Geständniß und mein Entschluß :
nicht befiemden. Sollten auch wie Sie fürchten, einige Federn über Ihr Werk ;
Urtheile niederschreiben, wie sie Partheisucht eingeben mag, so muß doch die Wahr- ]
heit endlich durchdringen. Ein Werk wie Ihre Metaphysik zu verstehen, zu kommen- ;
tiren, zu prüfen ist nicht die Sache einer auf Nebenstunden beschränkten || Lieb- j
liaberei, es erfordert vielmehr, wie mich dünkt, die ganze Aufmerksamkeit desjenigen, ■
der sich ungetheilt dem Interesse der Philosophie gewidmet hat. Einzelnes besser ,
Verstandene aber herauszuheben und daraus ein kümmerliches Machwerk zusammen-
zusetzen kann niemand frommen. Es ist dies der erste Weg, die Sachen, aus ihrem ,
Zusammenhange gerissen, zu entstellen. Also: ne sutor supra ciepidam ! Dies lassen]
Sie mich mir selbst zurufen, ehe ich es vielleicht von andern hören muß. j
Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebenster Drobisch.
922. Jäsche an H.') Dorpat den 20ten März 1830.^
Hochverehrter Herr Professor! Soeben war ich in den Morgenstunden eines ,
Sonntages mit der Leetüre der, in die allgemeine Litter. Ztg. eingerückten Recension (
vom ersten Bande Ihrer Metaphysik beschäftigt gewesen, und hatte mir auch, mit j
lebhaftem Intereße und aus eigener innerer Ueberzeugung theilnehmend an den ]
Äußerungen von gerechter und unbefangener Würdigung des vielfachen und viel- ;
bedeutenden Worthes Ihrer tief eindringenden kritischen Untersuchungen im Gebiete |
der metaphysischen Spekulation, einige Auszüge aus der gedachten Recension gemacht, ,
als ein Diener aus einem hiesigen Handlungshause, welches mit der Deubnersclien '
Buchhandlung in Riga in Geschäftsverbindung steht, mir den zvveyten Band Ilirer
Metaphysik einhändigte, welchen ich. gleich dem ersten, als ein mir überreichtes, 1
und mir überaus werthes Geschenk Ihrer Güte verdanke. — Mein bisheriges sorg- '
fältiges und, so viel mir, dem alten, am Leitfaden der kritischen Methode in dem ,
. ^ (
^) 4 S. 40. H. Wien. i
Nachtrag zu 1830. 2^5
langgewohnten Gleise der metaphysischen Speculationen einhergegaogenen Kantianers,
nur immer möglich, auch unbefangenes Studium Ihrer Metaphysiic läßt mich nun
auch ohne Bedenken in den von Ihrem Kecensenten laut und öffentlich ausge-
sprochenen Zuruf des freudigen Willkommens Ihres "Werkes einstimmen. Denn
auch ich mag zu denjenigen mich bej'gesellen, welche wie unser Reo. sich aus-
drückt: „nach altvaterischer Weise dafür halten, die meta|)hysischeu Begriffe seyen
zuerst thatsächlich in der Erfahrung aufzufinden, dann als vollständige und noth-
wendige Bedingungen derselben nachzuweisen, und durch Lösung der Widersprüche,
die sich ihnen, wie auch immer — angesetzt haben, denkbar zu machen.'" Wie
dieses günstige Urtheil über ein metaphysisches System, das in der Erfahrung die
Anfangspuncte metaphysischer Untersuchungen findet, um reale Begriffe anstatt
leerer Abstractionen zu erhalten; so unterschreibe ich im Gegentheil auch das
ungünstige Urtheil der Mißbilligung und Verwerfung, welches derselbe Recensent
über diejenigen unter unsern modernen Metaphysikern fällt, die als absolute AU-
wissenslehrer im Besitz einer Dialektik zu seyn wähnen, mit deren Hülfe sie sich
zu dem Standpuncte von ihrer sogenannten metaphysischen oder absoluten Idee
erhoben haben, welche sie in das Himmelreich der absoluten, die Einheit und Iden-
tität der Erkenntniß und des Gegenstandes begreifenden Wahrheit und Gewißheit
einzuführen verheißt. Kenntlich genug hat Ihr Reo. mit w'enigen Grundzügen die
speculative Denkart und Manier derjenigen Schule bezeichnet, in deren Geiste die
in den Berliner Jahrb. für wiss. Kr. befindliche Recension Ihrer Met. verfaßt wor-
den. Auch wenn der Vf. dieser Rec. sich nicht genannt hätte, würde man doch
sogleich haben errathen können, bey welchem Meister dieser Jünger in die Schule
der Logik und Metaphysik gegangen sey. — Diese ganze, ihrem Tone und ihrem
Inhalt nach mir gleich widerwärtige Kritik hat mich eben auch in der schon ge-
faßten Ueberzeugung bestärken müssen, wie wenig oder gar nichts man mit allem
nüchternen und besonnenen Philosophiren gegen solche transscendente Metaphysiker
auszurichten vermag, in deren Köpfen eine fixe Idee herrschend geworden, die sie
unfähig macht, aus ihrer Gedankensphäre herauszutreten und in die Denkart und
Methode Anderer einzugehen, um deren Ansichten und Grundlehi-en auch nun richtig
auffassen und auf eine gründliche, anständige und liberale Weise beurtheilen zu
■können. Also unsre, mit speculativer Blindheit geschlagene Reflexionsphilosophie
soll sich über ihren beschränkten Standpunkt erheben, das abstracte, unterschieds-
lose Seyn, als ein Gedankenloses von sich werfen, und statt dessen die speculative
Idee emes von dem Begriffe selbst erfüllten Seyns ergreifen. Mit dem Ergreifen
und Zueignen dieser Idee würde dann unfehlbar wohl die speculative Blindheiti
welche uns der, von der Willkühr der Abstraction geborne und darin verhärtete
Verstand der kritischen Philosophie zugezogen hat, augenblicklich von uns genommen
werden, und wir würden nun in klarem Licht die absolute Wahrheit und Gewißheit
jener Idee des allein wahren Seyns erblicken, als eines Seyns, welches selbst sich
in den Gedanken hineinlegt, im Gegensatze mit unserm Kantischen durch Abstrac-
tion von allem Wechsel, und von aller Veränderung und Bewegung festgehaltenen
Seyn, welches ja nur eine abstracte, aber nicht die concreto unterschiedene Einheit,
welche allein die wahre J'.inheit ist, zuläßt. Mit der Dialektik der, beym Lichte
jener speculativen Idee des allein wahren Seyns, welches sich selbst mit dem Ge-
danken erfüllt, alles so klar und hell sehenden Metaphysiker, ausgerüstet, würden
wir dann auch wohl das Kunststück verstehen lernen, ja selbst ausüben können;
wie der Ge^ ensatz und Widerspruch durch sich selbst sich müsse auflösen lassen, so
•daß die entgegengesetzten und widersprechenden Bestimmungen als solche erkannt
"Werden, die durch sich selbst zu Momenten einer und derselben Einheit, oder zu ihrer
2:2 6 Nachtrag zu 1830.
innern Einheit, sich auflösen. — Doch wir'kennen ja nur zu gut schon die Kunstgriffe
der neuesten Dialektik und ihrer wunderthätigen Kraft; sie sind uns noch in ganz
frischem Andenken aus der Zeit der Fichteschen und vornehmlich der Scheiling'schen
Art und Methode der Speculation. Es ist doch immer dieselbe Leyer auf welcher die
Speculation ihr altes Lied von der Einheit der Einheit und des Gegensatzes, fortspielt.
Das Lied ist in der neuesten Schule des absoluten Wissens durch die Logik derselben
nur prosaischer und die Melodie härter und unmelodischer geworden. Leider aber
ist zu besorgen, daß dieses Lied in derselben Melodie noch eine lange Zeit wird
fortgesungen werden von den andächtigen Jüngern der Schule. Man wird — um
mich Ihres Gleichnißes zu bedienen — mit des Columbus Ey noch lange ein
wichtiges Spielwerk treiben, ehe man zur Besinnung und zur Einsicht kommen
wird, daß es geknickt werden müsse, um es zum Stehen zu bringen. Auch sucht
man ja recht geflißentlich das speculative Lied zu einem altgläubigen, erbaulichen
Kirchenlied, einzurichten. Hat doch bereits der Meister der Schule selbst in der
Schrift: Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen, als Referent derselben,
gar freundlich und freudig die Morgenröthe des Friedens zwischen der Philosophie
(der seinigen versteht sich) und dem christlichen Glaubenserkentniße begrüßt, und
bey dieser Gelegenheit dem Rationalismus, als dem gemeinschaftlichen Antipoden
der Philosophie und des Glaubens, sein nahes Verscheiden angekündigt. — Bey all
dem tröste ich mich indessen mit der Hofnung, welche Deuerlichst auch der nun
verewigte Bouterwek in einem Schreiben an mich äußerte: daß aus der Verwirrung,
in welche die Philosophie durch ihre speculative Tendenz als Trausscendenz, unter
uns Deutschen gerathen ist, am Ende doch noch etwas herauskommen werde, das
für Gewinn gelten kann''. — Das Preußische Ministerium ehrt, wie Sie in Ihrem
letzteren Schreiben mich versichern, in Hegel die Wissenschaft. Diese Gesinnung
ist gewiß höchst achtungsw erth ; wie wohl freilich so manche Gelehrte, als Männer
von Welt und von gründlichen und vielumfassenden Kenntnißen im Gebiete der
Naturwissenschaften in das Urtheil unseres berühmten Humboldts einstimmen
möchten, welches derselbe neuerlichst gegen uns über die Hegeische Philosophie
als eine solche aussprach, die doch gar ivenig wissenschaftlichen Werth habe: Daß
das Preußische Ministerium Ihren wahrhaft wissenschaftlichen und eben darum auch
verdienstlichen und fruchtbringenden Bemühungen Gerechtigkeit widerfahren läßt,
gereicht ihm zur Ehre, und bestärkt mich auch in der guten Meinung von der
Liberalität seiner Denkungsart in Begünstigung und Beförderung eines freyen wissen-
schaftlichen Strebens. Und gewiß thun Sie, Verehrtester! wohl daran, daß Sie dieser
Gesinnung zu entsprechen suchen. Was würde auch eine bittere und beyssende
Polemik helfen zum Behuf einer direkten Bestreitung der Dogmen einer Schule,
welche im stolzen Selbstgefühl ihrer Unfehlbarkeit des Alleinbesitzes absoluter
Wahrheit und Herrlichkeit sich rühmt. Die prüfende Aufmerksamkeit, worauf Ihre
für die Wissenschaft bisher unternommenen, und auch guten Theils schon aus-
geführten Bestrebungen so wohl gegründete Ansprüche machen dürfen, werden sie
mit der Zeit ohnfehlbar schon finden, wenn nur unsre, von ihrer absoluten Idee
trunkenen und bethörten Schwindelköpfe erst ausgebraust haben werden.
Was meine eigenen geringen Bemühungen betrifft, die im Wesentlichen von
bloß negativem Werthe, auch nur auf eine Darstellung und Bestreitung eines specu-
lativen Hauptirrthums abzwacken: so darf ich mir sicherlich für die Gegenwart und
auch, die nächste Zukunft noch weit weniger versprechen , die transscendenten, von
der absoluten Idee ergriffenen und gefesselten metaphysischen Dogniatiker imsrer
Zeit zur Erkenntniß und zu unbefangener Revision ihrer speculativen Dogmatik zu
veranlassen. Das soll mich indessen nicht abhalten, das bereits Angefangene und
Nachtrag zu '1830. 2^7
bis zu einem gewissen Puncte auch bereits Ausgeführte zur Vollendung zu bringen,
so schwierig das Letzte, was noch dabey zu thun übrig ist, mir auch immer werden
möge. Genug zu meiner Aufmunterung, daß ein Denker von Ihrer energischen
und von reichen und gründlichen reellen Kenntnißen jeder Art unterstützten Denk-
kraft, meinen Bemühungen seinen Beyfall nicht versagt hat. Diesen Bej-fall er-
höüen Sie, mein Verehrtester nun noch durch die Äußerung eines für mich höchst
schmeichelhaften Vertrauens, als könne auch meine öffentlich verlautbare Stimme
über Ihre Arbeit dazu beytragen, daß derselben eine prüfende Aufmerksamkeit zu
Theil werden möge. Sollte denn auch meine Stimme nicht vernommen werden,
von denen allen wenigstens nicht, die so hoch über uns sich erhaben dünkeu: so
werde ich es mir doch angelegen seyn lassen, so viel nur immer in meinen Kräften
steht, und so weit meine geprüften Ueberzeugungen es verstatten die Anspmche
auf unbefangene und sorgfältige Prüfung, welche die bisherigen Erzeugniße Ihrer
wissenschaftlichen Untersuchungen in so vielen Rücksichten verdienen, von meinem
genommenen kritischen Stai;dpuncte gegen die absoluten Allwissens Lehrer geltend
zu machen, indem ich dabey nur den Forderungen meines eigenen "Wahrheitstriebes,
und des reinen Intereße für Wahrheit folgen darf. Zu diesem Vorhaben bietet
sich mir dann von selbst die schicklichste Gelegenheit dar in der, an || meine geschicht-
liche Darstellung des Pantheismus sich anschließende Kritik der verschiedenen miß-
lungenen Versuche, auf diesem Wege die Grenzen unseres Wissens zu überschreiten.
Aber ich muß mir dazu nur noch mehr Zeit nehmen, und vornehmlich ein noch
genaueres und gründlicheres Studium auf Ihre Metaphysik verwenden, als es bis
jetzt bey mancherley Störungen, theils durch meine gewöhnlichen Berufsgeschäfte,
theils durch die Familienangelegenheiten, theils durch eine Krankheit, die vor kurzem
mich betroffen und meine litterarische Thätigkeit eine Zeitlang unterbrochen, hat
geschehen können, üeberdies begreifen Sie mein Verehrtester' auch gar wohl, daß
man in einem Lebensalter, welches dem 7ten Decennium bereits nahe gerückt ist,
die Leichtigkeit und Gewandtheit nicht mehr besitzt, sich auf den Standpunct Anderer
zu versetzen, und mit ihrer eigenthümlichen Denkens- und Gedankensphäre sich
vertraut zu machen. In Ansehung der wesentlichen Hauptpuncte, worin unsre
philosophischen Ansichten und Ueberzeugungen zusammentreffen, glaube ich jedoch
schon im Reinen und Klaren zu seyn. Zu Ihrem Bekenntniße (ausgesprochen in
den in der Isten Au.sg. Ihres Lehrb z. Eltg. i. die Philus. befindlichen Dedication an
Ihren verewigten Collegen Krause): „Mein Erstes kann es nicht seyn, nach dem in der
höchsten Höhe Verborgenen zu greifen'' u. s. w. spreche ich mit voller Ueberzeugung
mein Ja und Amen! Auch für meine philosophische Wissens- und Glaubenslehre ist das
Höchste nicht der teiTninus a quo, sondern der terminus ad quem. Ihr genommener
religiöser Standpunct ist auch der meinige, indem ich die Ueberzeugung mit Ihnen
theile, daß alles das Wissen, welches sich über die Sokrat. und Piaton. (teleologische)
Vorstellungsart erheben will, theils übel begründet und nichtig, theils mit einen?
Mißverständniß behaftet ist. ja überhaupt — wie man wohl noch hinzusetzen düi-fte
— aller Schwärmerey, allem Aberglauben, aller Idololatrie und Bigotterie ein weites
Thor öffnet. — Was Sie in den Umrißen der Naturphilosophie gleich am Eingange
(S. 428 — 432) zur Ehrenrettung der Teleologie sagen, hat mir darum auch besonders
gefallen müssen. Wohl war diese Betrachtungsweise der Natiir- und Menschen-
Welt schon von Kaut, weit mehr aber noch von Fichte herabgesetzt worden; auch
Fries läßt ihr, in gewisser Beziehung wenigstens, nicht genug Gerechtigkeit wider-
fahren. Und doch wird die Teleologie nach allen ihren Seiten und Beziehungen als
physische, aesthetische und, auf ihrer Vollendungsstufe als ethische Teleologie ge-
wiß immer die sichere Grundlage unsrer religiösen Ansichten und Ueberzeugungen
238 Nachtrag zu 1830.
bleiben. Noch möchte ich über den einen und den andern Punct von besondrer
Bedeutung und Wichtigkeit für die Begründung und Ausbildung Ihres metaphysischen
Systems mich weiter mit Ihnen besprechen, in bestimmter Beziehung auf die Haupt-
aufgabe dieses Systems; nämlich die Kluft,,, welche Kant zwischen der Erscheinung
und dem Realen befestigt, auszufüllen durch Erklärung des Bunten in der Er-
scheinungswelt aus dem Einfachen, und der äußern Zustände der realen Wesen
aus ihren Innern Zuständen. Aber ich muß mir dieses für ein anderes Mal vor-
behalten, wenn Sie mir anders vergönnen wollen, gelegentlich wieder einmal mit
einer philosophischen Zuschrift Sie zu behelligen. Hier nur noch die Bemerkung:
daß Ihre Syuochologie mich an ein Urtheil Kants wieder erinnert, welches Er in
seinen metaphysischen Vorlesungen (S. 329) über Zeit und Raum ausgesprochen,
als aus welchen wir unsere Begriffe nicht herausbringen können. —
Leben Sie wohl! Ihr aufrichtiger Verehrer Jäsche.
923. C. H. Froelich an H. (4 S. 4". N.) Danzig 22. März 1830.
924. An ? 1) Potsdam 8 Juni 30.
Noch ehe mich Berlin nach verschiedenen Richtungen auseinander-
zieht, schreibe ich an Sie, hochgeehrter Herr Professor! ein Wort des
aufrichtigsten Danks für die so sehr gütige Aufnahme die ich bey Ihnen
gefunden! Daß dies Licht durch einen dunkeln Schatten stark hervor-
gehoben wird, mag meine eigene Schuld seyn; allein da es einmal so ist,
so wünschte ich nur um desto lebhafter, unsre Bekanntschaft hätte bis zu
einiger Gemeinschaft des Forschens und Wirkens durchdringen können.
Wer so lange Jahre hindurch allein gestanden hat wie ich: der müßte
von Natur ganz hölzern oder steinern seyn, wenn er nicht Wohlthat !
darin fände, sich anschließen zu können ; — und verlassen von aller Welt- :
kenntniß, wenn er nicht einsähe, wie ungereimt es ist, sich absondern zu ,
wollen, um, so Gott will! Mehr zu sevn als andre Sterbliche. — Doch :
davon ein andermal. Für jetzt bin ich froh, überall wohin ich kam, eine ■
zuvorkommende Güte über Erwartung gefunden zu haben, und mich den
Empfindungen einer vielfachen Dankbarkeit einmal ganz hingeben zu können.
Selbst TiEK in Dresden hat daran Theil; und zwar einen ganz vorzüglichen ;
Theil — vielleicht weil mir Jean Paul einige Gunst verschafft hatte. Ihnen 1
wünsche ich diese Bekanntschaft. Möchten Sie auch Drobisch, den Mann '
vom vielseitigsten speculativen Talent, näher kennen lernen! Nicht weiter ;
kann ich für heute. Leben Sie recht wohl; empfehlen Sie uns angelegentlich '
Ihrer Frau Gemahlin! Hochachtungsvoll Ihr Herbart. '<
925. J- L. Ideler an H. (2 S. 4". N.) Königsberg, den 3. 9. 1830. !
926. Hendewerk an H. (3S. 4». N.) Wittenberg den 13ten Octbr. 30.
Hochgeschätzter Herr. Hochzuverehrender Herr Professor. Es war schon j
längst mein Wille, an Sier zu schreiben; theils weil Sie, als ich Königsberg verließ,
noch nicht von Ihrer Reise heimgekehrt waren, und es mir so nicht vergönnt war,
I
^) S. 4*^. Groß. Hof- und Landesbibliothek Karlsruhe i. B. — Der Empfänger i
des Briefes war nicht zu ermitteln, doch scheint einer der im 2. Bd. des Briefwechsels
S. 214 ff. genannten Herren in Frage zu kommen. ;
Nachtrag zu 1830. 2^0
auch von Ihnen Abschied zu nehmen, verbunden mit dem innigsten und aufrichtigsten
Danke für all das Wohlwollen, daß Sie so reichlich und so schön mir schenkten;
theils weil ich mir hier immer klarer und deutlicher des hoiien Glückes bewußt
wurde, von Ihnen in die höchste Wissenschaft eingeweiht zu sein. Darum sage ich
Ihnen, theurer Herr Professor, jetzt, wenngleich spät, so doch mit einer umso
tieferen Hochachtung und Verehrung meinen innigen Dank für alles Schöne und
Gute, welches mir durch Sie in Gesinnung, That und Lehre zu Theil geworden
ist, und bitte Sie inständigst, daß Sie stets sich dieser meiner gebührenden Gesin-
nung gegen Sie versichert halten mögen. Denn nie, nie werde ich es vergessen,
welch ein erhabenes Leben, welch ein reger Eifer für alles Schöne, Große und
Gute, welch eine wahre Begeisterung für alles Göttliche und Heilige durch Sie in
mir erweckt wurde, als ich Sie hörte. Auf welche Höhe || des Bewußtseins ward
ich nicht durch Sie gehoben! Welche Klarheit des Erkannten, welche Bestimmtheit
der Ueberzeugungen. welche Festigkeit des sittlichreligiösen Glaubens, welche herr-
liche Aussicht für meine wissenschaftliche und reinpraktische Thätigkeit ward mir
nicht durch Sie gegeben, sodaß ich in manchen Stunden hochseligen Lebens die-
jenige künftige Generation glücklich pries, welche den segensreichen Einfluß Ihrer
Lehre in Verbindung mit dem christlichen Glauben allgemein erkannt und an sich,
erfahren haben wird. Freilich diesen christlichen Glauben und das in ihm be-
gründete tief religiöse Leben muß jeder schon in sich tragen, wenn er den hohen
Werth und d'e tiefe Bedeutung Ihrer Wissenschaft vollkommen erkennen will, denn
das kann ihm keine Philosophie geben, am allerwenigsten der Pantheismus, der von
neuem mit kecker Vermessenheit unter der Larve eines sogenannten Idealrealismus
so recht in Ihrer Nähe aufgetreten ist. und mich, als ich das neue Büchlein las, mit
Unwillen erfüllte und den Verfasser desselben ob seiner Denkkraft nicht sehr
bewundern ließ. Ist aber in Jemands Gemüthe der christliche Glauben lebendig
entzündet, wie es bei mir durch meinen unvergeßlichen Lehrer im Christenthume
geschehen war, als ich zu Ihnen kam, dann treten, wenn die gewaltigen Stürme
der ersten Zeit ausgehalten und die unvermeidlichen Stunden großer Bangigkeit
überstanden sind, die wahrhaft christlichen Ideen nach Absondernng aller Schlacken
eines Afterchristenthums in einer Klarheit und Bedeutsamkeit hervor, daß man Ihre
Wissenschaft in der Form, wie Sie sie neu begründet und ausgebildet haben, für
die zweite || wesentliche Seite der christlichen Offenbarung und so erst beide zu-
sammen für ein vollständiges Ganzes halten könnte und mögte. Es war daher schon
auf der Universität in mir der Plan entstanden, ein ächtwissenschaftliches Werk zu
liefern unter dem Titel: Principia ethica, a priori reperta, in libris sacris.V. et N. T,
obvia, an welches sich dann noch so manches andere, wenn es die Umstände erlauben
würden, anschließen sollte. Wären Sie demnach, inniggeliebter Herr Professor,
vielleicht geneigt, meinem wissenschaftlichen Streben einige Theilnahme zu schenken,
so würde mich dies mit unendlicher Freude erfüllen, sodaß ich Sie um die Erlaubniß
. bitten mögte, Sie noch über so manchen Punkt befragen zu dürfen. Nie aber wei-
den mich der Friesianismus des Herrn Rödiger. dessen Recension über Ihre Meta-
physik ich sorgsam gelesen, rühren, und noch viel weniger der schon genannte
Ideal realismus, dessen schauende Vernunft Widersprüche nicht zu kennen scheint
und sich etwas ungeziemend gebärdet, weil (Ihre) Metaphysik nicht auch zugleich
praktische Philosophie ist; sondern von dem hohen Werte eines nüchternen und
gediegenen Denkens nur zu sehr überzeugt, werde ich mich stets, wenn es die
Wissenschaft gilt, an dieses halten, andern ihr Schauen gern überlassend. Um Ihr
ferneres Wohlwollen bittet in größester Hochachtung C. Hendewerk.
240 Nachtrag za 1830.
D27. Hendewerk an H. (3 S. 4". N.) Wittenberg, den 6ten Nobr. 30.\
Hochgeschätzter Herr. Hochzuverehrender Herr Professsor. Eben notirtei
ich zu dem Ihnen nun schon bekannten Zwecke eine Stelle aus dem Propheten'
Jesaias auf, als ich Jhr Antwortschreiben vom 20sten v. M. erhielt, das mir
einen herrlichen Genuß gewährt. Das Sittliche und Religiöse, mit einem Worte
■das Heilige, in seiner tiefspeculativen Auffassung ist so sehr der Lieblings-
gegenstand meines Denkens und Sinnens, daß alle meine Studien sich mehr oder
weniger darauf beziehen, und mich wohl nichts so sehr erfreuen und erheitern
kann, als neue Anregungen und belehrende Winke in dieser tiefern Erforschung
der ewigen Wahrheit. Darum danke ich Ihnen innig und aufrichtig für das, was
Sie in Ihrem Briefe mir gegeben, und kann Sie nur bitten, mir noch, fernerhmj
Ihre Unterstützung gütigst angedeihen lassen zu wollen. Freilich wollen Sie keine
Stelle unter den gelehrten Theologen einnehmen, und keine Stimme haben, wo die
Rede von christlicher Offenbarung ist, doch dieses kann, wie ich glaube, von Ihnen;
nur formell, nicht aber materiell gemeint sein. Oder sollten Sie wirklich zugeben,,
■daß der Inhalt des Gedankenkreises, der die christliche Religionserkenntnis aus-'
macht, bei einem wahrhaften Theologen ein anderer sein könne und dürfe, als bei;
Ihnen, und umgekehrt? Und sollten Sie wirklich meinen, daß man historische!
Thatsachen von reintheologischem Standpunkte aus anders auffassen werde, wie von|
dem Ihrigen, als wären beide specifisch verschieden? Ich für mein Theil muß ge-
stehen, daß nach meiner Ueberzeugung in dem Begriffe des Theologen der der
tiefesten und gesundesten Speculation || ein wesentliches Merkmal ist, und nur voa
dieser Seite her mit der tiefesten und hellsten Einsicht zugleich auch Eintracht und
Einheit, soweit sie nur möglich ist, unter die Theologen kommen kann. In diesemj
Glauben habe ich mich der Speculation unter Ihrer Leitung hingegeben und ich
kann sagen, ich bin in meinen Erwartungen nicht getäuscht worden, im Gegenteil
•eröffneten mir Ihre praktische Philosophie und rationale Psychologie die glänzendsten.
Aussichten, da ich bei dem hitzigen Kampfe der rationalistischen und supranatura-
listischen Theologen inne wurde, wie jene, was auch Sie in ihrem Schreiben hinsicht-1
lieh der Psychologie bemerken, beim Mangel acht systematischer Speculation so vieles!
in der christlichen Religionslehre verflachen und anderes ganz niederreißen, ohnei
es richtiger und schöner wieder aufzubauen, wie diese dagegen bei ihrer Eugherzig-i
keit wenig oder nichts für die freie wissenschaftliche Entwickelung derselben leisten,^
sodaß nicht nur der Plan zu der genannten Arbeit in mir entstand, sondern'
ich mich noch außerdem beschäftige mit dem Entwurf zu einer wissenschaft-j
liehen Dai-stellung der christlichen Ethik als einer Aesthetik des Willens oder einer
Kunsttheorie des menschlichen Lebens, die in zwei Theile, die reine und angewandte,:
zerfallen soll. Natürlich weiden Ihre praktische Philosophie und Ihre Psychologie;
die Grundlinien zu dieser Darstellung hergeben, jedoch beide, namentlich letzterej
"weiter ausgeführt und durch ihre innige Verschmelzung mit der Bibellehre mehr
ins Licht gesetzt werden. Daß Ihre Psychologie der weiteren Ausführung fähig;
sei, ja sie zum Theil bedürfe, namentlich in sittlicher und religiöser Hinsicht, ist;
.gewiß und wodurch könnte man jungen Theologen als einstigen Seelsorgern und|
Seelenärzten mehr zu Hilfe kommen, als gerade durch Arbeiten dieser Art, die mir für|
unsere Zeit ein nothwendiges Bedürfniß zu sein scheinen. Denn es ist doch, streng,
genommen, arg, heutzutage sich noch Seelenarzt nennen zu wollen, ohne die eigent-i
liehe Natur des Sitthchen und |1 den Organismus des Menschengeistes zu kennen und]
so eigentlich gar keinen Begriff zu haben von dem, worin die Kunst eines wahrenj
Seelsorgers und Seelenarztes besteht. Zu demselben Zwecke beabsichtige ich auch,
inoch bei meinen Studien einen prautischpsychologischen Kommentar zum Römer-!
Nachtrag zu 1831. 241
briefe. wobei ich Sie beiläufig fragen mögte, ob man nicht auch von der Rom. 2, 7
{7, 20 0. 1, 20?] angegebenen Thatsacbe des Bewußtseins ausgehend zu denselben
Gi-und begriffen der Psychologie gelangen könnte, als wenn man, wie Sie, vom Ich
ausgeht? Ich habe es noch nicht versucht, es würde aber für mich ungemein er-
freulich sein, wenn es anginge.
Genug! Sie sehen, theurer Herr Professor, zu wie reicher wissenschaftlicher
Thätigkeit Sie mich geführt haben, und ich sollte mich nicht verpflichtet fühlen?
nicht gegen die Wahrheit? nicht gegen Sie? denn daß manche Sie für- einen
bloßen Theoretiker halten, wäre noch wenig im Verhältniß zu dem, daß einige
Ihre Lehre als feindselig dem Christenthum betrachten und ich gewarnt würde,
mich ihr nicht zu eifrig hinzugeben. Oder wie? War es nicht Kleinert, hier
an Ort und Stelle, wo ich jetzt bin, der, wie Sie mir einstens sagten, noch im
Streite mit sich liege hinsichtlich seiner sittlichreligiösen Ueberzeugungen? Und
was war der Grund ? Nichts anderes, als weil er Ihre Lehre nicht mit dem Christen-
thume vereinigen konnte. Darum hat er, um nur zum inneren Frieden zu ge-
langen, Ihre Lehi-e verworfen und so einen Gewaltstreich der Verzweiflung gethan
gleich dem von Bouterwek. Doch mir ist es gelungen vom inneren Brausen zur
Klarheit hindurchzudiingen. weil ich 'fest und entschlossen war, die Wahrheit also
zu nehmen, wie ich sie erkennen würde und nicht wollte, daß sie sei, wie ich sie
etwa zu finden wünschen mögte. So habe ich denn von Neuem ihr mein Leben
geweiht und ihre Klarheit in vielen tausend Seelen zu begründen, ist der einzige
Zweck meines zeitlichen Daseins und das Ziel alles meines Strebens. Wie viel ich
freilich von alledem, was ich mir vorgenommen, zu Stande bringen werde, weiß
ich nicht und ebenso wenig, wie glücklich es gelingen werde. Was ich zunächst
zu liefern gedenke, wissen Sie, und ich behalte mir eine weitere Rücksprache dar-
über, die Sie gütigst gestatten wollen, noch vor, nachdem Sie mich freundlichst wissen
lassen haben werden, was Sie zu diesem allem sagen.
In reiner Liebe und Hochachtung Hendewerk.
928. Gerlach an H. (2 S. 4». N.) Braunsberg 7. Jan. 31.
[Empfehlungsschreiben für einen Studenten.]
■929. Hendewerk an H. (3 S. 4". N.) Wittenberg d. 13ten Febr. 31
Hochzuverehrender Herr. Theurer Herr Professor. Ihr Schweigen auf meinen
letzten Brief an Sie macht mich schon lange besorgt, und läßt mich befürchten,
daß ich etwas in demselben versehen habe, was Sie hindert, mich weiterhin noch
mit einem Schreiben zu erfreuen. \\ irklich finde ich nun auch, daß allerdings
manches sowohl in materieller als formeller Rücksicht Ihnen hat mißfallen können.
Dieses beunruhigt und schmerzt mich, so oft ich daran denke.
Bei der freudigen und erhebenden Stimmung, in die mich Ihr höchst schätz-
barer Brief versetzte, und durch den ich mich noch mehr zu Ihnen hingezogen
fühlte, mogte ich mich wohl leicht etwas zu frei ausgesprochen haben, und nicht
überall ganz angemessen verfahren sein. Namentlich könnte wohl der Schluß
meines Briefes einen unangenehmen Eindruck auf Sie gemacht, und er vorzugsweise
Sie zu schweigen bestimmt haben, wenn Sie nicht nachsichtsvoll berücksichtigt
haben mögen, daß das sichere Zutrauen zu Ihnen und die feste Hoffnung, auch
auf diesen Brief mit einer wertheu Antwort von Ihnen beehrt zu werden, wie ich
sie unbefangen in jenen Worten aussprach, durch Ihr schönes Zuti-auen und durch
den Reichthum Ihrer Güte und Freundlichkeit, die Sie mich von Anfang an, da ich
Ihr Schüler ward, und noch zuletzt in Ihrem schönen Schreiben, so unverdient
and doch so reich haben erfahren lassen, hat erzeugt werden können. Doch viel-
Herbarts Werke. XIX. 16
242 Nachtrag zu 1831.
leicht hat Ihnen auch mißfallen, wie ich Ihrer Anfrage hinsichtlich eines Buch-
händlers in Leipzig, der etwa Ihr Verleger sein könnte, zu genügen gesucht habe.
Hier fürchte ich allerdings, Sie mißverstanden, und überhaupt zu leichtfertig ge-
handelt zu haben, sowie es mir auch leid thut, Sie nicht um die Correctur der
ersten Druckbogen gebeten zu haben. Indessen schien ich mir in dieser An-
gelegenheit II nur wenig thun zu können, und wie hätte ich auch glauben mögen,
daß es Ihnen auch nur die allergeringste Schwierigkeit machen sollte, einen ge-
eigneten Verleger zu finden, zumal da Sie schon einen Brief dieserhalb geschrieben
hatten; wiewohl ich nicht weiß, welche Anforderungen Sie in dieser Beziehung
machen. "Wie hätte ich aber nicht auch in dieser, wie in jeder anderen Rücksicht
auf Ihre gütige Nachsicht rechnen dürfen, ohne welches Vertrauen ich mich Ihnen
wohl nie so hätte nahen mögen, wie ich es zu thun den Muth gehabt habe.
In der festen Zuversicht, Sie werden mir Ihr volles, mir so theures Wohl-
wollen nicht entziehen, kann ich nun nicht umhin, Sie, hochzuverehrender und
wahrhaft hochgeschätzter Herr Professor, um die Erlaubniß zu bitten, Ihnen und
meinem theuern und iuniggeliebten Religionslehrer die wissenschaftliche Arbeit, die
ich bei meinem jetzigen Schriftstudium zunächst bezwecke, zum öffentlichen Aus-
druck meiner ganzen Ehrerbietung und innigsten Dankbarkeit gegen Sie Beide,
meine theuersten und hochgeehrtesten Herren Lehrer, zueignen zu dürfen. Denn
was des Wahren, Schönen und Guten in mir auch sein und werden, oder durch
mich geschehen möge, der größte Theil davon mögte doch wohl nur durch Sie beide,
trefflichste Männer, veranlaßt sein. Die Idee zu jener Arbeit, wie ich Sie schon
gegen Sie ausgesprochen habe, erscheint mir zu nothwendig und bedeutungsvoll, als
daß ich nicht glauben sollte, sie werde auch ohne mich einst früher oder später
ihren Bearbeiter finden. Doch will ich es zuerst versuchen, und allen Fleiß darauf
verwenden, daß nicht nur der Gedanke, sondern auch seine Ausführung so hoher
und mir theurer Namen würdig sei.
Schleiermachers Kritik der Sittenlehre und Fichtes System der Sittenlehre be-
schäftigen mich schon seit längerer Zeit in meinen frühesten Morgenstunden, und der
Gedanke einer Geschichte der Ethik von dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft
aus [ist] durch jenes Werk vorzüglich in mir veranlaßt und höchst anziehend für mich
geworden Wenn ich Ihnen aber offen gestehe, daß ich selber nicht üble Lust
habe, auch dies noch auszuführen, so werden Sie es wohl nicht schwer haben, dem
jugendlichen Unterneh- || mungsgeiste das etwanige Zuviel zu Gute zu halten, selbst
wenn ich noch hinzufüge, daß ich auch den orientalischen Boden neben dem Felde
der Speculation nicht verabsäumen darf, sollte ich auch nicht gerade Willens
sein, im Koran, den zabischen Büchern, und vielleicht noch anderen Religionsurkunden
des Morgenlandes durch Aufsuchung und Nachweisung der praktischen Ideen den
etwanigen Walzen aus der übrigen Spreu herauszusondern und so ihr reelles Ver-
hältnis zu unserer heiligen Schrift zu bestimmen. Denn jene ewigen Richter über
Wahrheit und Irrthum werden ja stets die wesentlichsten und fast einzigen Kriterien
des Richtigen und Falschen in jeglicher Religionslehre sein, unbeschadet der vollen
Richtigkeit Ihrer Erinnerung, daß philosophische Kritik in ihrem Haupttheil allemal
theoretisch ist. Hiernach darf ich Sie, theurer Herr Professor, wohl nicht noch
erst bitten, für meine sittlichen und religiösen üeberzeugungen doch ja nicht auch
nur irgend etwas von meinem Aufenthalt in dieser Anstalt zu befürchten.
Wie sehr aber auch schon jene beiden Felder meine Thätigkeit in Anspruch nehmen,
so werde ich doch auch nie das Interesse für die anderen Zweige der Kunst und
Wissenschaft, das Sie so lebhaft in mir angeregt haben, verleugnen können. So
war es für mich höchst befremdend, wie die Entdeckung des Herrn Professor
Nachtrag zu i<?3i. 24^
Schulz aus Berlin hinsichtlich der Säftehewegung in den Pflanzen in Paris so be-
sonderes Aufsehen erregen konnte. Die Sache scheint mir auch ohne sie durch
ein noch so herrliches Mikroskop gesehen zu haben, wie z. B. Herr Dr. Meyen
das Wollastonsche preist, mit welchem, sowie mit der Sapphirlinse ihm Herr
Schuhmacher in Hanihurg die selbstbeweglichen (?) Moleculen des Herrn Rob. Brown
zeigte, so natürlich und die mannigfachsten Beziehungen zwischen der Pflanzen-
und Thierwelt so wesentlich, daß gewißlich Ihre Metaphysik und Naturphilosophie
das Auge der Herren Physiker wird werden müssen, um auch das zu sehen, was
ihnen kein Mikroskop zeigen kann. Vielleicht ist diese Zeit nicht mehr weit ent-
fernt. "Wenigstens werden Sie mit der ßecension Ihrer Metaphysik in der
Jenaischen A. L. Z. zufriedener sein können, als mit der Ihrer Psychologie in der
Hallischen, (die in der Leipziger habe ich nicht gelesen) ohschon sie von einem
Ihrer werthen Jugendfreunde ist. Wer freilich noch in dem Glauben an die tran-
scendentale Freiheit befangen ist, und in ihr jene Eechnungen findet, der muß wohl,
wie es auch bei Ihrem Herren Eecensenten der Fall gewesen zu sein scheint, einen
geheimen horror empfinden. Für mich aber wird es stets, wenn andere Sie und
den Geist Ihrer Speculation verkennen, eine um so innigere Freude sein, mit un-
verkünsteltem Verstände und redlichem Willen zu Hinen gekommen zu sein, sodaß
ich, Ihnen meine ganze höhere Geistesbildung verdankend, Sie nur wiederholentlich
bitten kann, die Versichening meiner lebhaftesten Hochachtung und Verehrung,
Liebe und Dankbai'keit gütigst annehmen zu wollen. Hendewerk.
930. Richthofen an H. (3 S. 4». H. Wien.) Brecheishof, 21. Juni 81.
931. Hendewerk an H. (3 S. 40. N.) Wittenberg, 7ten August 31.
Hochzuverehrender Herr. Mein theurer und inniggeliebter Herr Professor.
Möge Sie dieser Brief in vollkommenem Wohlbefinden antreffen, und Sie ihn gütigst
und nachsichtsvoll entgegen nehmen; es ist vielleicht der letzte, den ich an Sie in
dieser verhängnißvollen Zeit und meiner sorgen- und kummervollen Lage zu schreiben
im Stande bin.
Zunächst habe ich an Sie noch aus den Pfingstferien her einen schönen Gruß
zu bestellen von Herrn Professor Hahn in Leipzig, der mit hoher Achtung und
herzlicher Liebe von Ihnen zu mir sprach und sich in Sonderheit auch Ihrer ge-
meinschaftlichen Wirksamkeit im Schulwesen mit vieler Freude erinnerte.
Zugleich und vor allem entledigte ich mich auch in jenen Ferien Ihres ehren-
vollen Aufti'ages an Herrn Professor Drobisch'); in der That, ein vortrefflicher Mann.
Ich besuchte ihn zweimal und nach meinen Unterredungen mit ihm kann es mir
wohl nicht mehr zweifelhaft sein, daß nicht blos übler Wille Ihrer Zeitgenossen die
Ursache ist, daß man nicht mehr auf Ihr System eingehen mag, sondern auch die
gi'oße Schwierigkeit, Ihnen auf Ihrer neuen und ganz ungewöhnlichen Bahn zu
folgen. Nun muß ich zwar gestehen, daß auch mir das Verständniß Ihrer metaphysi-
schen Vorlesungen ungemein schwer geworden ist und ich würde auch vielleicht
nie etwas davon verstanden haben, hätte ich nicht die einzelnen Gedanken, wie sie
^) Zu Herbarts Brief an Drobisch v. 26. Aug. 31 im 2. Briefbande S. 252
sei hier nachgetragen, daß die dort erwähnte Zeitschrift den Titel führt: ., Pallas.
Staats- und Naturwissenschaft, Philosophie und Praxis. Satynsche Handgranaten.'-
Herausgeg. von F. E. Johannes Müller. Leipzig, E. Klein. Im 1. Heft, Juli 1831.
S. 20 steht folgender Pa-ssus über H.: „Und der Scharfsinn ig,ste und nüchternste allei-
jetzt lebenden Metaphysiker, Herbaet in Königsberg, leugnete gleichfalls den Be-
griff Kraft. Wir werden sehen, daß indem dieser tiefe Denker den Begriff Kraft
gänzlich abzuweisen meinte, er dessen Definition am nächsten kam.-'
16*
244 Nachtrag zu 1831.
Ihr Vortrag in mir veranlaßte, mit der größten Anstrengimg festzuhalten und be- j
stimmt aus einander zu halten gesucht, sodaß Sie mir in ihren gegeuseitigen Be- '
Ziehungen die Gestalt bestimmter Figuren und Bilder anzunehmen schienen, die ich
mir leichter und sicherer vergegenwärtigte, um beim Beginne der nächsten Vor-
lesung meine Gedanken schon gehörig disponiert zu haben, und neue Bestimmungen
für sie aufnehmen zu können. Indessen glaubte ich immer, daß jeder andere, der
schon anderweitige philosophische Bildung erhalten hätte und besonders in der
höheren Mathematik gut bewandert wäre, es viel viel leichter haben müßte. Es be-
fremdete mich daher nicht wenig, als ich von Herrn Professor Drobisch erfuhr, wie I
ungemein schwer es ihm geworden ist, in Ihre Metaphysik einzudringen und selbst '
Ihre mündlichen Unterstützungen in Berlin lange nichts fruchten wollten. "Wie gut I
er sie aber bald da- || rauf verstanden hat, davon zeugt die Recension. Indessen I
war ihm, wie Sie vielleicht noch wissen werden, bei dem Verhältnisse der Folgen ;
zu den Gründen noch etwas dunkel geblieben, dessen Beleuchtung ihm wünschens-
werth schien. Es freute mich, auch insofern den Zweck meines Besuches erreicht ■
zu haben, als ich diesen Wunsch des trefflichen Mannes erfüllen konnte, indem ich
ihn hinwies auf den Unterschied zwischen Ideal- und Realprinzipien, Ideal- und ;
Eealfolgen. Bei diesem kann von keinem Widerspruche und dessen Aufhebung durch !
Ergänzungsbegriffe die Rede sein, sondern nur bei jenen, da die Widersprüche nicht;
in den Dingen, sondern nur in unseren ursprünglichen Begriffen von denselben |
liegen. Nun verhalte sich N. allerdings als Folge zu (den) M., aber als Eealf olge i
zu seinem Realgrunde, sodaß hier gar kein Widerspruch, der durch eine Ergänzung j
des Grundes als Folge aufzuheben wäre, Statt findet. Dagegen ist der Begriff A. |
das Idealprinzii«, der gegebene sich widersprechende Begriff, da er nach seiner!
Gültigkeit die Identität von M. und N. fordert und nach seiner Denkbarkeit ihrej
Verschiedenheit, sodaß der hierin liegende Widerspruch nur durch den nach der!
Methode der Beziehungen als (Ideal-)Folge sich ergebenden Begriff des Zusammens ,
der mehreren M. ergänzt und aufgehoben wird, welcher also gewonnene Begriff zu- |
gleich den Realgruud der Erscheinung bezeichnet, denn von dieser muß ja, als demj
allein uns ursprünglich Gewissen, ausgegangen werden, um durch gesunde Schlüsse]
zur Kenntnis des Realen zu gelangen, von dem wiederum auf einem ganz anderen;
Wege zur Erscheinung zurückgekehrt werden muß. Kaum hatte ich diese Aus-j
einandersetzung beendigt, so war schon alles klar und deutlich, und diese gegen-!
seitige Aussprache und Uebereinstimmung war mir so angenehm und erfreulich, daßi
es augenblicklich mein sehnlicher Wunsch wurde, mich nach vollendetem Examen;
in Berlin in Leipzig zu habilitiren und dort theologische und philosophische Vor- 1
lesuDgen zu halten. Dazu schienen mir auch die akademischen Verhältnisse daselbst
sehr günstig für meinen Zweck und — doch ist es wohl nur ein frommer Wunsch, '
ein schöner Traum, denn es verläßt mich immermehr die Hoffnung, in dieser:
schweren Zeit einen || vermögenden Mann für mich und meine wissenschaftlichen !
Bestrebungen also zu gewinnen, daß er mich solange unterstützte, bis ich irgend!
wohin berufen ihm dankbar alles entgelten könnte. Dazu droht die bösartige Krank- j
heit noch vor der Zeit mich auch der ruhigen Muße zu berauben, wie ich sie hierj
nur haben kann", denn sobald sie hier ausbricht, wird unser Seminargebäude ein !
Lazarett. Ich will daher so schnell als möglich die beiden angefangenen Arbeiten!
(ich weiß nicht, ob ich"lhnen von der zweiten: Die christliche W^iedergeburt in:
Ihrer Entstehung, Entwicklung und Vollendung, ein psychologischer Versuch, schon ,
etwas mitgetheilt habe?) zu Stande zu bringen suchen, um, wenn auch ich ein Opfer!
werden sollte, oder. meine künftige Lage mir jede ernstliche Beschäftigung mit der!
Wissenschaft unmöglich machen sollte, wenigstens einen Nachfolger anzuregen, das]
Nachtrag zu 1831. 2A'\
angefangene Werk ganz zu vollenden, wie es der vollständige Begriff desselben und
sein Zweck erfordert, oder auch dieses noch selbst bei einer zweiten Bearbeitung
unter günstigeren Umständen [zu EndeJ fiihren; sowie ich stets alle meine Kraft
daran setzen werde, meine [wissen-Jschaftliche Laufbahn, wenn es irgend möglich
sein sollte, zu vervol[gen ich] will daher, wenn es angeht, das theologische Licentiaten-
Examen in Berlin [in einem] Jahr zu machen suchen, und da wir vor diesem schon
das philosophische [Doktor Examen] gemacht haben müssen, so mögte ich mich in
dieser Beziehung vorerst mit der ergebensten Frage an Sie wenden, welche un-
erläßliche Forderungen ich zu erfüllen hätte, um von Ihnen und Ihrer Facultät das
philosophische Doctordiplom zu. erhalten; ich will sehen, ob ich Ihnen genügen kann.
Sollte mir indessen mein eigentlicher Plan nicht gelingen, so mögte ich mich wohl
am liebsten dem Schulfache für einige Zeit widmen und in einem Gymnasium den
Religionsunterricht, sowie den hebräischen und philosophischen, wenn es je zu einem
solchen, wie Sie ihn schon so lange laut wünschen, irgend wo kommen sollte, geben
zu können, würde mir dann höchst erwünscht sein. Ich bitte Sie daher, Herr
Professor, inständigst, wenn irgendwo eine Gelegenheit dieser Art sich Ihnen dar-
bieten sollte, mich gütigst berücksichtigen zu wollen.
Der Ausbruch der Cholera in meiner theuren Vaterstadt hat mich mit leb-
haftem Schmerz erfüllt und verursacht mir vielen Kummer. Möge der Herr
Himmels und der Erden Sie und Ihr ganzes Haus wohl bewahren, dies ist die innige
Bitte und das aufrichtige Gebet Ihres in voller Hochachtung und Liebe Sie hoch-
verehrenden Hendewerk.
932. Behnisch an H. (3 S. 4», N.) Bartenstein den 20ten August 183L
Wohlgeborner Herr Hochzuehrender Herr Schul -ßath! Euer Wohlgeboren
nehmen es einem Ihrer ersten Zuhörer in Königsberg und stets dankbaren Verehrer
wohl nicht übel, wenn er sich, in einer Angelegenheit des hiesigen Schulwesens mit
voller Zuversicht an Sie wendet und um Ihren Eath ganz gehorsamst bittet. Wahr-
scheinlich ist Ihnen bekannt, daß unsere Stadt eines Eectors für die hiesige Bürger-
schule bedarf. Durch die Empfehlung des hiesigen Predigers und zweiten Lehrers
der BiLi'gerschuie HeiTn Siugelmann wurde ein gewisser Herr Mex vorgeschlagen,
der mir weiter nicht bekannt ist, von dem ich aber um des Herrn Singelmanns
Willen eine gute Meinung faßte, nach dem bekannten Grundsatze: noscitur ex socio
etc. und hatte gegen die Wahl desselben nichts einzuwenden, ob er gleich keine
Probelexionen hier gehalten hatte. Die Hohe Königl. Regierung hat aber vor der
Hand die Wahl des Gedachten H. Mex nicht genehmigt, weil er sein Examen noch
nicht gemacht hat und daher noch nicht prä.ssentations- und wahlfähig sey. Sie
schlägt uns aber mehrere andere Herren vor, die uns am hiesigen Orte völlig un-
bekannt sind. Es sind folgende: Herr Hecht, welcher zugleich Candidat i-st, || Herr
Dr. Jacobi, Herr Witt und Herr Castell. Da ich nun weiß, daß kein Schulamts-
candidat von der Köuigl. Regierung vorgeschlagen wird, der nicht in dem Seminar
gebildet ist, welches unter Ihrer Leitung steht, und weü ich selbst aus Ihren päda-
gogischen Collegien weiß, daß derjenige gewiß ein tüchtiger Lehrer ist, welcher den
Anforderungen genügt, welche Sie an einen Lehrer machen: so gehet meine gehor-
samste Bitte dahin, mir unter den gedachten 4 Herren, oder vielleicht sonst einen
von Ihrer Bekanntschaft nahmhaft zu machen, unter dessen Leitung als Rector
unsere Stadt -Schule am besten gedeihen würde und auf welchen ich die Wahl beim
liiesigen Magistrate leiten könnte.
Diese "Vorsicht ist hier um so nothiger, weil der vorige Rector, welcher in
Kreutzburg und Drengfurt sich Lob von der Behörde erwarb, hier alle Achtung
246 Nachtrag zu 1832.
verlor, wegen seiner Oberflächlichkeit, sodaß die Bürger ihre Kinder lieber in der
Elementarschule zurückhielten, als sie in die Bürgerschule schicken wollten, sodaß
er im vergangenen Jahre hat emeritirt werden müssen, ob er gleich erst in den
ersten vierziger Jahren ist. Sein College, der Conrector wurde 1803 hier angestellt
zwar auch Litterat aber || von so geringen Lehrergaben, daß er schon lange ein
Spott der Schüler war und der sei. H. C. R. Dinter, schon vor ein paar Jahren
von ihm berichtete, daß er schon vor 10 Jahren hätte emeritirt werden sollen, weil
er seit der Zeit der Schule nur geschadet habe. Aus diesen Gründen ist Vorsicht
in der Wahl doppelt nöthig. Das Gehalt wird anfänglich 400 Thlr. seyn, es wird
aber bey Benutzung der Zinsen eines Kapitals von 8000 Thlr. welches vor einigen
Jahren unserer Schule vermacht ist, und worüber noch Verhandlungen stattfinden,
weil es in Schlesien aussteht, noch ansehnlich erhöhet werden. Demnach wiederhole
ich meine obige Bitte um einige Zeilen über diesen wichtigen Gegenstand. Bitte
zugleich um Vergebung dieses geäußerten Wunsches in der Ueberzeugung, daß es
gewiß zu Ihren ersten Wünschen gehört, das Schulwesen unserer Provinz möglichst
zu heben. Endlich füge ich noch hinzu, daß da am hiesigen Ort sonntägl. 3 Predigten
gehalten werden und zuweilen wohl eine Unpäßlichkeit einem Prediger begegnet,
so wäre es wünschenswerth, wenn der künftige Rector — ceteris paribus, denn das
Schulwesen muß Hauptsache sein — licentiam concionandi hätte. i
Mit den Gesinnungen wahrer Hochachtung empfehle ich mich Ihnen und habe I
die Ehre zu sein Ew. Wohlgeboren gehorsamster Diener 1
der Pfarrer Behnisch. j
933. Gerlach an H. (1 S. 4". N.) Braunsberg den 7ten October 1831 !
Verehrtester Herr Schulrath! Beigehend habe ich die Ehre die Zeugnisse für |
die Abiturienten zur gefälligen Unterschrift ganz ergebenst zu überreichen, ich bitte ;
mir dieselben durch die Post geneigtest zurücksenden zu wollen, und erlaube mir ;
zu bemerken, daß die Censuren, für die einzelnen Lehrgegenstände mit pfhchtmäßiger
Berücksichtigung der bei dem Unterrichte bemerkten Fortschritte und der Ergebnisse !
der Endprüfung entworfen worden sind. j
In freudiger Erinnerung an die schönen Stunden, welche Sie uns geschenkt '
haben, erfülle ich die angenehme Pflicht. Ihnen nochmals meinen gefühltesten j
Dank auszusprechen für die gütige und nachsichtsvolle Weise, auf welche Sie unsere '
geringen Bemühungen und die Leistungen unserer Abiturienten beurtheilt haben. '■
Ihre Gegenwart hat äußerst wohlthätig und einflußreich gewirkt; mir aber gereicht ,
es zu^ wahrer Freude, einem Manne haben näher treten zu können, dessen Geist und
ausgezeichnete Wirksamkeit für die Wissenschaft mich schon längst lebendig ;
angezogen hat. ich muß es sehr bedauern, daß Ihr Aufenthalt bei uns so kurz :
gewesen ist, lebe aber in der angenehmen Hoffnung, daß wir öfter das Vergnügen '
haben werden, Sie hier zu sehen.
Mit wahrer Hochachtung und treuer Anhänglichkeit habe ich die Ehre zu seyn ;
Ew. Wohlgeboren ergebenster Gerlach. j
934. Hendewerk an H. (3 S. 40. N.) Wittenberg, den 16ten Januar 1832 i
Hochverehrter Herr. Theurer und inniggeliebter Herr Professor. Für Ihren letzten !
Brief muß ich Ihnen noch, wie spät es auch ist, meinen innigsten und aufrichtigsten ,
Dank sagen. Er ist mir ein neuer Beweis Ihres reichen und schönen Wohlwollens gegen
mich gewesen. Dieses Ihres hohen Wohlwollens finde ich mich nun zwar nicht I
unwürdig, denn auf die Universität gekommen, habe ich stets nur nach dem Höchsten |
und Schönsten mit so hoher Begeisterung gestrebt, wie sie nur ein Jüngling in dieser I
Zeit für Religon und Tugend, Kunst und Wissenschaft in sich bergen mag; und
Nachtrag zu 1832. 24'
dieselbe hat mich noch so wenig verlassen, daß es nur auf die Umstände und Ver-
hältnisse ankommt, um sich von neuem lebhafter, denn je zuvor, zu zeigen. Doch
die Besorgnis, Ihren Erwartungen von mir, ja Ihren gerechten Ansprüchen an mich
vielleicht garnicht, oder doch wenigstens nicht in der Art und sobald, wie Sie es
wohl wünschen durften und fordern könnten, genügen zu können, ist mir oft recht
schmerzlich, wie denn auch der von Ihnen ausgesprochene Gedanke: „Es ist kein
"Wunder, wenn eine Kraft sich verzehrt und erschöpft, indem sie arbeitet, ohne die
nothwendigsten Hilfsmittel zu besitzen," so oft ich ihn auf mein wissenschaftliches
Streben anwende, mich nur zurAVehmuth stimmt, doch keinen Trost mir giebt. —
Gleich nachdem ich meinen letzten Brief an Sie abgeschickt hatte, that es mir
fast leid, es gethan zu haben. Denn nach wiederholter Ueberlegung meiner Ver-
hältnisse und der mir zu Gebote stehenden Mittel d. h. deren gänzlichen Ermangelung
wollte es mir ganz unmöglich erscheinen, das Ziel, das mir so schön vorschwebte, und
wozu mir die philosophische Doctor-AVürde ein Mittel sein sollte, je zu erieichen,
oder es wenigstens so direkt, wie bis dahin, länger verfolgen zu können. Um also
in der mir hier geschenkten MuEe doch noch etwas wenigstens einigermaßen ganzes
zu Stande zu bringen, machte ich mich unverdrossen an meine Principia Ethica,
und habe diese Arbeit bis auf sehr Weniges zu Ende gebi'acht. Es hat sich auch ||
ein Leipziger Buchhändler auf mündliches Anfragen für bereit erklärt, dieselbe zu
verlegen. Wie groß indessen auch mein Verlangen ist, sobald als möglich meinen
innigen Dank und meine hohe Verehrung gegen Sie öffentlich auszusprechen, auch
vielleicht hoffen darf, durch Veröffentlichung dieser meiner Arbeit Ihren Bestrebungen
für die Wahrheit ein Weniges zu Hülfe zu kommen, so darf ich beides doch nicht
auf eine zu unvollkommene und voreilige Weise thun woUen; daher ich denn, wenn ich
auch nicht schon diesmal die horazische Norm für mich in Anspruch nehmen mögte,
doch nur zu gern Ihnen die ganze Arbeit, ehe sie öffentlich erscheint, vorzulegen
wünsche, zumal da ich noch vor Ostern in meiner lieben Vaterstadt wieder ein-
zutreffen gedenke. Das Ganze ist zu einem Handbuch für eine ethisch biblische
Vorlesung bestimmt und ich kann es vielleicht auch für mein theol. Licentiaten-
Examen, wenn ich es soweit noch werde bringen können, gebrauchen. Mit der
Erlangung der philosophischen Doctor- Würde werde ich es auch noch einige Zeit
-anstehen lassen müssen, indessen habe ich mir de libertatis notione eine Dissertation
zu schreiben zu diesem Zwecke vorgenommen. Vor allem aber drängt es mich
innerlich wie äußerlich einen bestimmten und sicheren Wirkungskreis zu gewinnen
zu suchen, und zu dem Ende zuerst mein 2tes Candidaten - Examen zu bestehen, um
eine Anstellung als praktischer Geistlicher in meiner Vaterstadt, wenn es möglich
ist, abwarten zu können. Durch Privatstunden und Schulunterricht, vielleicht auch
als Hauslehrer gedenke ich mir bis dahin meine Subsistenz- Mittel ei-werben zu
können. Es tritt jetzt fürmich die höchste Nothwendigkeit ein, meine Studien und Arbeiten
um des lieben Brodes willen zu bestimmen, womber ich mich bis jetzt zu erheben,
noch immer den Muth gehabt habe. Diesen Muth werde ich freilich in seiner freien
und kräftigen Erhebung durch Religion und Wissenschaft stets in mir zu erhalten
suchen, obschon ich auf eine Unterstützung des hohen Ministerii, selbst im günstigsten
Falle nicht glaube rechnen || zu können; hat es mir doch nicht einmal eine halb-
jährige Prolongation meines Aufenthalts in dieser Anstalt, um mein wissenschaftlich
praktisches Streben zu unterstützen, bewilligt, obschon ich ihm die von mir bezweckten
wissenschaftlichen Arbeiten selbst nannte und näher bezeichnete, auch an Xicolovius
mich noch ganz besonders wandte tmd ihm ganz aufrichtig meine Bestrebungen
und meine Lage darstellte. — An Herrn Professor Drobisch mich näher anzuschließen
wäre nur dann möglich, wenn ich den von mir geäußerten Wunsch in Leipzig mich.
248 Nachtrag zu 1832.
habilitiren zu können, um dort unter andern auch philosophische Vorlesungen nach
Ihren Lehrbüchern zu halten, welche Aeusserung der ausgezeichnete Mann mit vieler
Freude aufnahm, ausführen könnte. "Wie aber die Sachen jetzt stehen, kann ich \
nur den bezeichneten Weg einschlagen und ich werde mich noch glückhch schätzen, '
wenn Sorge und Arbeit es mir erlauben werden, mich noch einmal so manches
schöne Stündchen zu ihren Füßen zu setzen, obschon ich Sätze, wie z. B. der Ihres
Jenaischen Rec. in seiner Erklärung gegen Ihre Bemerkungen: „Durch apriorische,
meth aphysische Behandlung wird der Psychologie mehr geschadet als aufgeholfen" '
nicht mehr in ihrer Absurdität kennen und verstehen zu lernen nöthig habe, wenn-
gleich ihre Encyclopädie mich noch Manches zu fragen wünschen ließe.
Dieses ungefähr wünschte ich Ihnen, mein inniggeliebter und hochverehrter 1
Herr Professor, noch mitzutheilen, ehe ich vor Ihnen wiederum erscheine, was für ,
mich gewiß einer der freudenreichsten Lebens -Momente sein wird, wenn ich mich
der Hoffnung sicher hingeben darf, Sie werden auch unter solchen umständen einen J
kleinen Theil Ihres Wohlwollens und Ihrer Achtung mir erhalten. "Wie Sie aber
auch immer mich betrachten mögen, so wird doch stets meine Seele an Ihnen, als
einem meiner theuersten und höchstzuverehrenden Lehrer, hangen, in treuer j
Liebe und Dankbarkeit, sodaß ich, für Ihre Encyclopädie Ihnen noch meinen ganz i
besonderen Dank sagend, in diesem Sinne stets sein und bleiben werde
Ihr ganz ergebenster Hendewerk.
I
935. Reichhelm an H. (1 S. 4». N.) Berlin, d. 18. Juli 1832. :
Auch jetzt, mein verehrter Freund! schreibe ich nur, weil ich Ihre fr. Zeilen |
v. 5. d. M. nicht ohne Erwiederung lassen mag. Neues habe ich nicht zu melden, j
Für Hrn. Steffens ist eine Art Professur der Physik neu fundirt, und Hrn. Gablers
Angelegenheit, in Bezug auf die "Wiederbesetzung der Hegeischen Stelle, noch immer
nicht entschieden. Vielleicht soll der Mann sich erst der gelehrten "Welt bekannt
machen.
Man kann nur abwarten, daß der Krug solange zu "^"asser gehen werde, bis
er bricht. Inzwischen hat Hr. G. in Königsberg den Orden fest, den man Ihnen
seit vielen Jahren schuldig ist; und Hr. G. in Jena kann Hegels Platz einnehmen,
sofern nicht anderweitige Besorgnisse höchsten Ortes entstehen sollten.
Kleinmuthig bin ich deshalb nicht, aber ärgerlich, zumal ich nicht erkennen
kann, daß auch die Besseren den Bruch mit der Macht mehr scheuen, als die Lau-
heit im Bekenntniß ihrer Grundsätze. Habeat sibi. Griepenkerl gefällt mir; und
auch sein Buch ist nicht ohne einige Aufmerksamkeit verblieben. Möge Drob[isch]
Ihre Hoffnungen ganz erfüllen. Von außenher muß der Stoß jetzt kommen, der
die Leute zur Wachsamkeit und zum Nachdenken aufrütteln soll. Was Sie mir
über Sich zu sagen gebieten, ist längst und laut gesagt. Ihre Würde ist überall
gesichert. Schade nur, daß. meine Zeit seit dem neuen Stadt-Regiment so übermäßig
in Anspruch genommen wird, daß ich an manchen Tagen kaum eme freie
Viertelstunde enibrigen kann. Aber niemals werde ich Ihre Sache aus den
Augen verlieren.
Gesund sind wir im Hause, trotz des schlechten AVetters. Auch habe ich von
dort aus die Herren Ulrich, Dieckmann und [Weismisch?] gesprochen. Der erste
geht nach Cöslin, der zweite kömmt zu Michael nach Kgsbg.
Die herzlichsten Empfehlungen an ihre 1. Frau
Mit treuer Verehrung Ihr R.
Hrn. Hinrichs L^ngezogenheit verdient eine ernste Züchtigung. — Der junge
V. R[ichthofen] studirt jetzt hier, und hat uns einige Male besucht. Die eigentliche
Nachtrag zu 1832. 249
Gesinnung des Vaters ist zweifellos die alte, aber er hofft auf Neumann's Abgang
in Breslau und Anstellung als Eeg. Bevollmächtigter bei der dortigen Universität. ')
936. von Sanden an H. (4 S. 4». N.) Tussainin b. Ragnit 28. Aug. 1832
l\\\\[ seinen Sehn Herbart zur Erziehung übergeben.]
937. An Brandis.-) Königsberg 3 Nov. [1832?]
Sie schon wieder zu stören, mein hochverehrter Herr und Freund!
ist eine offenbare Unbescheidenheil; die jedoch durch den Anlaß ent-
schuldigt wird.
Eine Tante meiner Frau, Madame Ruppel aus Memel, ist wegen
ihres jüngsten, etwa 17jährigen Sohnes, der in Bonn bey einem Professor
logiren soll, in Sorgen. Sie hat von Berlin aus, wo sie sich im Frühjahr
einige Wochen aufhielt, den jungen Mann einem Offizier, den sie Bruns-
wiKER nennt, zur Führung anvertraut; jetzt erfährt sie, der Offizier sey
durch die eingetretenen Umstände genöthigt worden, wieder in eine Activität
zu treten, deren er sich schon überhoben glaubte; und so fehle ihrem
Sohne der Führer. Hätte sie nun den Namen des dortigen Professors,
bei welchem der junge Ruppel logiren soll, anzugeben gewußt, so ginge
mein Brief an diesen. Statt dessen kommt nach einem kurzen Gespräch,
was ich mit der ^Nladame Ruppel führte, ohne gerade um eine Erkundi-
gung von ihr gebeten zu seyn, — jetzt meine Frau, die ihre durchreisende
Tanie ein paar Stunden später sprach, mit der Bitte, ich möge doch
nach Bonn schreiben, und mich nach dem jungen Ruppel, nach dem
Hause wo er sev, nach seiner dortigen Lage, erkundigen. Meine Hoff-
nung ist, daß Sie, Yerehrtester, wenn Sie die Pedellen sprechen, diesen
auftragen werden, den Professor auszumitteln, bey welchem sich der junge
Ruppel aufhält, — und daß, wenn etwas Umständliches darüber zu sagen
seyn sollte, etwan Hr. Dr. Bobrick die Gefälligkeit für mich haben wird,
mich davon in Kenntniß zu setzen. Wäre ich gewiß genug, daß Bobrick
noch in Bonn ist, so hätte ich Sie um desto weniger belästigt, da mir
eine Veranlassung, an Hm Bobrick zu schreiben, ohnehin angenehm ge-
wesen wäre. Bekomme ich aber weder auf diesem noch auf einem andern
Wege Nachricht, so werde ich im Stillen voraussetzen, daß sich Ihnen
nichts, was der Mutter des jungen Mannes gemeldet werden niüßte, dar-
geboten hat; meine Sache ist in diesem Augenblick nur, daß ich nicht
ungefällig gegen meine Frau und deren Tante seyn will. — Möchten Sie
Sich einigermaßen erhohlt haben. Doch nichts weiter. Meinen früheren
Brief nach Bonn werden Sie empfangen haben.
Hochachtungsvoll Herbart.
938. Hendewerk an H. (2 S. 4". N.) Kgsbg. d. 2. Decbr. 32
Verehrungswüi-diger Herr Professor. Hätte ich es mit Gewißheit vorhersehen
können, wie große Schwierigkeiten sich meinem wissenschaftlichen Bemühen ent-
gegenstellen würden, so würde ich mich wohl gehütet haben, Sie, meinen mir so
theuem und unaussprechlich werthen Lehrer, zu etwaigen Hoffnungen zu ver-
^) Näheres darüber in Richthofens Biographie.
-) I S. 4". — Durch Hrn. Dr. Brandis in Jena. S. Bd. II der Briefe S. 186 Anm.
250 Nachtrag zu 1833.
anlassen, die zu erfüllen mir so schwer, wo nicht gar unmöglich gemacht wird, ob-
schon der Ausspruch jenes alten Weisen: 6 fis?J.aig ngazzaiv^ firj npolsys- dnotv/ojv
yaQ ytXaa&Tjatj- in diesem Falle wohl schwerlich eine Anwendung finden dürfte.
Nachdem ich die Arbeit, die Sie von einem Ihrer Schüler schon so lange und
mit Recht erwartet haben, mit möglichster Ausdauer und Sorgfalt zu Stande ge-
bracht, übergab ich sie der hiesigen theol. Facultät, um mich auf Grund derselben
zum theo!. Licentiat - Examen zulassen || zu wollen, wenn meine Bitte um einst-
weilige Stundung der Gebühren auch statthaft wäre. Hier nun ganz rücksichtslos
zurückgewiesen, übergebe ich Ihnen die Arbeit, um zu erfahren, wie Sie mit ihr
zufrieden und ob Sie wohl geneigt sind, mich in der Veröffentlichung derselben
durch den Druck huldreichst zu unterstützen, wobei ich aber noch bemerken muß,
daß mein Religions Lehrer nicht irgend ein akademischer Lehrer, sondern der Pre-
diger Ebel gewesen ist, ohne den ich wohl weder zum Studium überhaupt gelangt,
noch auch, selbst wenn dieses geschehen wäre, Ihr Schüler insbesondere geworden .:
wäre, woraus Sie leicht entnehmen werden können, wieviel wohl von den Urtheilen ■
und Sagen, die über ihn ergehen, begründet sein möge. Doch was die Welt und die '
Befangenheit von ihm wie auch von Ihnen immer sagen möge, ich ward es nie '
vergessen, was er und Sie, verehrungswürdige Männer, mir geworden und es auch i
gern vor aller Welt bekennen. Ihr Hendewerk. ]
939. Jäsche an H. (3 S. 4«. N.) Dorpat d. 6/18. Januar 1833.
Hochzuverehrender Herr Professor! In den ersten Tagen des, nach unserni \
alten Calender erst am letzt vergangenen Sonntage begonnenen neuen Jahres, ge- ''
denke ich vornehmlich auch Ihrer, mein Verehrtester! mit inbrünstigen Wünschen ,
für die ungestörte Fortdauer Ihres Wohls, Ihrer Heiterkeit imd Zufriedenheit; und
zugleich mit den Gesinnungen und Empfindungen aufrichtiger Hochachtung und
Dankbarkeit, die ich Ihnen, theils überhaupt im Namen der Wissenschaft, um welche '
Sie sich bis hieher so ausgezeichnete und gewiß auch bleibende Verdienste erworben, ■
theils für meine eigene Person ganz insbesondere, als einen schuldigen Tribut zu '
entrichten, mich aufgefordert fühle. Zugleich erinnere ich mich aber auch, nicht :
ohne Bedauern, wiederum an Ihren, neuerlichst gegen mich geäußerten Entschluß
.,daß von Ihrer schriftstellerischen philosophischen Thätigkeit hinfort, in einem ge-
wissen Falle, nichts mehr zu erwarten sey". Fast muß ich befürchten, daß Sie 1
diesen Vorsatz in aller Strenge erfüllen wollen; wenigstens habe ich seit dieser Zeit j
Ihre öffentliche Stimme in keinem litterarischen Blatte mehr vernommen, und eben
so II wenig haben Sie unsere philosophische Welt, mit einem neuen Producte Ihres
wissenschaftlichen Genius beschenkt. Sie haben freilich Ihre litterarischen Ange-
legenheiten in wüi'dige Hände niedergelegt, indem Sie Herrn Strümpel die weitere '
Fortführung des Werkes Ihrer bisherigen philos. Leistungen anvertrauen. Auch wird
jener andere ältere Freund und gründliche Kenner Ihrer Philosophie,^ welcher, als ~
Verfasser der kleinen, in Briefform verfaßten, überaus interessanten Schrift, welche ,
ich vor kurzem, sowie mein Freund und College M orgenstei'n, mit ungemein vielem
Vergnügen gelesen, von seiner Kennerschaft Ihres Systems, und von seinem
lebendigen Interesse für dasselbe, dem Publicum eine vortheilhafte Probe gegeben ^
hat, gewiß auch mit Gesichicklichkeit und Eifer das Werk Ihrer vieljäbrigen und '
angestrengten philosophischen Leistungen zu fördern sich bestreben. Ich werde !
mich dessen innig freuen, und an jedem günstigen Fortgänge Ihres Werkes den leb-
haftesten und aufrichtigsten Antheil nehmen, da auch ich ja den hohen Werth und
gediegenen Gehalt Ihrer Philosophie, in theoretischer, wie ganz insbesondere in
^) Griepenkerl.
Nachtrag zu 1833. 2^1
praktischer Beziehung zu schätzen weiß; obschon ich, wie ich Ihnen selbst bereits
offenherzig bekannt, mich unfähig fühle, in die Tiefen Ihrer psychologischen und
metaphysischen Foi-schungen Ihnen zu folgen. Dieses Ungeschicks ohngeachtet
haben Sie doch auch meinen bisherigen Arbeiten an dem "Werke der Wahrheit und
Wissenschaft, meinen selbsteigenen philosophischen Ansichten und Ueberzeugungen
angemessen, Ihre thätige, öffentliche Theilnahme || und Billigung nicht versagt. Darf
ich, zutrauungsvoll hierauf gestützt, die nicht unbescheidene Bitte an Sie wagen:
mir Ihr freymüthiges Urtheil auch über den 3ten Theil meiner pantheistischen
Schrift zu meiner eigenen Belehrung und Zurechtweisung nicht vorzuenthalten;
sollten Sie mir auch sagen müssen, daß dieser Schlußtheil des Ganzen, seiner vielen,
und wesentlichen Mängel und Gebrechen wegen, weit unter Ihren Erwartungen und
Forderungen von Ihnen befunden worden. — Ein Exemplar davon muß längst schon
in Ihren Händen seyn, von meinem Verleger Ihnen zugesandt zufolge meines ihm
ausdrücklich deshalb gegebenen Auftrags. Leider nur ist der Druck des Buches
durch so viele grobe, den Sinn so sehr entstellende Fehler verunstaltet worden,
worüber ich auch gegen Reimer, dem ich ohne Verzug eine Anzeige der nöthigsten
Verbesserungen zugeschickt, gerechte .Beschwerde geführt. —
An jene soeben an Sie gerichtete Bitte schließe sich nun auch die an die
fernere Fortdauer eines freundlichen und wohlwollenden Andenkens an Ihren auf-
richtigen Verehrer Jäsche.
Noch eins! meinen letzten Brief an Sie, Verehrtester! vom August oder Sept.
— denn des bestimmten Datums kann ich mich nicht genau mehr erinnern —
haben Sie doch auch mit der Post richtig erhalten? —
940. Bei der Feier des Krönungs- und Ordensfestes vom 18. Jan. 1833 erhält H.
den roten Adler-Orden 4. Klasse. (Patent vom 24. Jan. 33 im N.)
941. Hendewerk an H. (3 S. 4". N.) Kgsbg. den 2ten März 33.
Verehrungswürdiger Herr Professor, indem ich Ihnen noch einmal meine
Arbeit zusende verbunden mit einem Schreiben an die Facultät, erlaube ich mir,
auch an Sie noch ins besondere mich zu werden, und Sie um Ihre gütige Nachsicht
■zu bitten, wenn ich etwas in der Form versehen haben sollte. Auch muß ich be-
merken, daß Ihre letzten Worte zu mir mich so zuversichtlich gemacht haben, daß
ich meine Arbeit Herrn Professor Lobeck noch nicht mitgetheilt habe. Sie werden
dieselbe nur- um sehr weniges verändert finden; doch ist mir der Gedanke, im
zweiten Theile derselben, statt des hebräischen und griechischen Grundtextes nur
die lateinische Uebersetzung zu geben, mit Einschaltung der einzelnen Worte, auf
die es vorzugsweise ankommt, so wesentlich erschienen, daß ich diese Veränderung
alsbald nach glücklich überstandenem Examen vornehmen und die Veröffentlichung
des Ganzen durch den Druck bei Ihrer so theilnamsvoilen Unterstützung auf das
eifrigste betreiben will. Ein Tentamen, || von dem ich einst gesprochen, erscheint
mir nicht mehr nöthig, ich hoffe, Sie werden mich auch ohne dieses in den Haupt-
sachen Ihres Systems, das ich noch immer für die wahre Philosophie halten zu
können mich freue, wohl begründet finden, was nach meiner Ansicht auch ohne
tiefe mathematische Kenntnisse geschehen kann, auf die Sie bei mir ja nie rechnen
konnten, üeberdies wissen Sie, wie sehr ich die Philosophie liebe und achte, wie
sollten Sie mir also nicht das Zutrauen schenken, daß ich ihr fort und fort obliegen
werde, soviel es mir vergönnt ist? Ich werde nicht den Muth verlieren, solange
noch ein Funke wahrer Begeisterung für Religion und Wissenschaft in mir auf-
blitzen mag, aber ich bitte Sie auch, mein hochverehrter Herr Professor, mir Ihre
■wohlwollende || Unterstützung auch fernerhin nicht zu versagen. Um diese bitte ich
2^2 Nachtrag zu 1833.
Sie zunächst für meine bevorstehende Promotion, die mir jetzt wünschenswerth im
höchsten Grade sein muß. Sollten Sie dieselbe vielleicht schon künftigen Sonnabend
vollziehen können, so würde mich solches sehr freuen. Sie werden mir diese An-
deutung wohl verzeihen, da ich die Schulstunden im altstädtischen Gymnasium nicht
gern dieserhalb ausfallen lassen mögte; doch ergebe ich mich gerne auch hierin
Ihrem Willen mit vollestem Vergnügen, wie ich ja stets sein und bleiben werde in
aufrichtiger Hochtung und Verehrung Ihr Hendewerk.
942. Hoppenstedt an H.i) (4 S. 4". N.) Hannover, d. 28. Apr. 1833.
Hoch Wohlgebohiner Herr, Hochzuverehrender Herr Schulrath und Professor.
Mit großer Freude habe ich von dem Herrn Professor Dißen in Göttingen die be-
stimmte Nachricht erhalten, daß Euer Hoch Wohlgebohren die definitive Ent-
schließung gefaßt hätten, den Ruf nach Göttingen anzunehmen. Obwohl ich nun
den H. P. Dißen bereits ersucht habe. Euren Hoch Wohlgebohren zu erwiedern, daß
das K. Universitäts Curatorium mit Gewißheit nunmehr darauf rechne, daß Sie nach
Göttingen kommen und Ihr Amt daselbst um Michaelis d. J. antreten || werden; so
ist diese Sache doch zu wichtig und für unsere Georg Augusts Universität zu er-
freulich, um darin nicht eine Aufforderung zu tiuden, mich unmittelbar an Sie
gegenwärtig zu wenden, und Ihnen Namens des K. Curatorii zu bezeugen, wie höchst
angenehm es demselben ist, daß Eure Hoch Wohlgebohren Sich jetzt fest dafür ent-
schieden haben, der Universität Göttingen künftig wiederum angehören zu wollen.
Je mehr in der bewegten Zeit, in welcher wir leben, die studirende Jugend
geneigt ist, ihre wahre Bestimmung zu verkennen und ohne gründliche Kenntnisse
und ohne Einsichten und Erfahrungen in das Gebiet der Politik sich zu verirren,
um so mehr thut es noth, den Sinn für die höheren Ideale des Lebens durch geist-
volle, kenntnißreiche und wohlgesinnte Lehrer bei den Studirenden zu erwecken
und zu II beleben und sie für ein acht wissenschaftliches Studium immer mehr
empfänglich zu machen. Das feste Vertrauen, welches das Curatorium hat, daß
Eure Hoch Wohlgebohrn in allen Beziehungen Großes und Vorzügliches leisten
und daß Ihre Wirksamkeit in Göttingen von allgemein wohlthätigem Einflüsse seya
werde, hat den Wunsch, Sie für Göttingen zu gewinnen, in uns erregt und erfüllt
uns jetzt, da wir denselben erreicht sehen, mit lebhafter Freude. Auch hoffe ich.
mit Zuversicht, daß von anderer Seite auch Ihnen es nicht gereuen wird, nach.
Göttingen gekommen zu seyn. Ist auch mancher von denen, die früher hier die
Zierde von Göttingen waren, dahin geschieden, so sind doch auch andere Männer
von Geist und Herz wieder an deren Stelle getreten und Göttingen enthält noch
immer einen Verein ausgezeichneter Gelehrter, denen es um die Wissenschaften
Ernst ist. Kommen denn auch Sie mit Vertrauen || zu uns. — Ich darf voraus-
setzen, daß der H. Prof. Dißen Euren Hoch Wohlgebohren den Inhalt meines an ihn
gerichteten Schreibens vom 28ten Feb. d., welches die Bedingungen des an Sie er-
gangenen Rufes enthält, vollständig migetheilt haben wird; es wird daher genügen,
solche Namens des K. Curatorii hiemiit ausdrücklich zu bestätigen und damit die
Anheimgäbe zu verbinden, nunmehr um Ihre Entlassung aus dem K. Preußischen
Dienste nachsuchen und mich davon gefälligst in Kenntniß setzen zu wollen. Es
wird sodann von hiesiger Seite sofort an des Königs Majestät nach London be-
richtet werden, um Ihre "förmliche allerhöchste Ernennung zu erwirken, indessen
darf ich versichern, daß solche einem Zweifel überall nicht unterliegt.
— Mit wahrhaftem Vergnügen ergreife ich diese Veranlassung zur Bezeugung
der vollkommensten Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu verharren
Eurer Hoch Wohlgebohren gehorsamster Diener Hoppenstedt.
') Ergänzt das im XV. Bd. S. 271 ff. Mitgeteilte.
Nachtrag zu 1833. 253
943. Richthofen an H. (2 S. 4». N.) Brecheishof den 18ten Juni 1833.
. . . Herzlich freut mich daß Ihnen in Königsberg noch freundliche Beweise der
Anerkennung zu Theil wurden ; die Stimme der Universität d. h. der Professoren
und Studenten ist überall die werthvoUere. Leider werden die neuen Studenten-
überspannungen zwischen Preußen und dem Auslande für jetzt eine unangenehme
Scheidewand aufführen. Auf meinen ältesten Sohn der schon in Göttingeu ist, wird
es zwar hoffentlich keine Folgen haben, da einem älteren Studenten, der bestimmte
wissenschaftliche Zwecke verfolgt, man eine solche Erlaubniß wohl nicht abschlagen
kann. Was freilich den Fleiß der Studenten und bessere Sitte anbetrifft, so scheint
auch Göttingen in den letzten. 20 Jahren nicht gewonnen zu haben; es ist unglaub-
lich welche Männer dort oft ohne Zuhörer sind, wenn auch bei einzelnen die Dar-
stellung Mitursacbe seyn mag. Karl schreibt || mir vorzüglich entzückt über Otfried
Müller, meinen Landsmann, dessen Bruder auch einmal bei mir Hauslehrer war;
und dann über Ribbentrop, zu dem er in ein näheres freundschaftliches Verhältniß
^getreten. Dissen ist leider durch Krankheit und Hypochondrie vernichtet, was mich
von dem trefflichen lieben Mann in der Seele schmerzt. Unsere älteren Be-
kannten sind freilich zum Theü sehr a\i geworden. Um Karls willen hat mir Leid
gethan daß Sie nicht schon Ostern hingegangen, wie ich geglaubt; bleibt er auch
länger in Göttingen, so wird ihn später die herannahende Zeit der Promotion doch
immer mehr an sein specielles Fach fesseln; dazu kommt daß Grimm und Benecke,
wegen denen er eigentlich großentheils nach Göttingen ging, dieses Semester nicht
lesen, und Herbart fand er noch nicht dort! — Wenn Sie in Göttingeu Aufträge
haben, wird er sie Ihnen gewiß gern und nach Kräften gut besorgen.
Nach Zürich zu gehen, wüi'de ich doch keinem jungen Manne rathen ; ich
fürchte die Schweizer Händel lassen nicht viel Guts aufkommen; die Schweiz trennt
sich von Deutschland, und zeifällt in ihre einzelnen Kantone. Endlich soll Zürich
schlecht dotirt seyn; wird Bern nicht eifersüchtig seyn? und dann, wie wenig
Schweizer studiren überhaupt!
Leben Sie wohl, lieber Freund, und zürnen Sie weder Preußen noch lassen
Sie mich den Unmuth theilen; Gegebenenfalls reisen Sie zur Abwechslung doch
einmal über Schlesien. Ihr Freund Richthofen.
944. Gerlach an H. (1 S. 4». N.) Braunsberg, den 4ten Juli 1833.
Verehrtester Herr Schul rath ! Ew. Hochwohlgeboien haben mir meinen letzten
Aufenthalt in Königsberg so angenehm und genußreich gemacht, daß mir die Er-
innerung daran immer lebendig bleiben ^\4rd.
Erlauben Sie, daß ich meinen Dank noch in dieser Zeile ausspreche. Diesen
zu bethätigen wird mir zu meinem größten Bedauern die Gelegenheit nicht mehr
zu theil : aber tieu will ich nach meiner schwachen Kraft mitwirken, die Ideen,
■welche ich Ihnen verdanke, ins Leben zu führen. Ihr Abgang ist ein unersetzlicher
Verlust für unsere Provinz, und wir können uns über denselben nur mit der Hoff-
nung trösten, daß unsere Wünsche für ein Ihnen in jeder Hinsicht zusagendes
Leben in Erfüllung gehen mögen.
Beigehendes Heft bitte ich an v. Sauden mit meinem Danke gefälligst abgeben
zu wollen, ich werde dasselbe mit Direr Erlaubniß bei dem Unterrichte benutzen.
Meine Frau versichert mit mir Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin die
tiefgefühlteste Hochachtung. In unwandelbarer Treue Ihr ergebenster Gerlach.
^45. Am 1. Aug. 1833 wird Herbart vom Könige von Großbritannien und Hannover
zum Hofrat ernannt. („Patent, geg. Windsor Castle" — N.)
2 54 Nachtrag zu 1833.
946. Hoppenstedt an H. (2 S. 4". N.) Hannover d 19t Aug. 33
Hochwohlgebohrner He)T, Hochzuehrender Herr SchulRath und Professor,
Eurer Hochwohlgebohrn gefällige Zuschrift vom 6 t. d. M und 13 t d. M. habe ich,
und zwar die letztere heute zu erhalten die Ehre gehabt und ich beeile mich, darauf
zu erwiedern, daß das K. Cabinets Ministerium bereits wegen Ihrer Berufung nach
Göttingen an des Königs Majestät berichtet hat. Ich habe solches nach Empfang
Ihres Schreibens || vom 6 ten d. M. sofort veranlaßt, da ich nach dem Inhalte des-
selben mit einiger Zuversicht glaubte darauf rechnen zu dürfen, daß Eure Hoch-
wohlgebohren binnen kurzem definitiv acceptiren würde. — Ich freue mich aus
Eurer Hochwohlgebohren späterer Zuschrift zu ersehen, daß wir dieser Hoffnung
uns in der That überlassen dürfen. — Da, wie ich schon letzthin angeführt habe,
die Königliche Genehmigung gewiß eifolgen wird, so zweifle ich nicht, binnen wenigen
Wochen Eurer Hochwohlgebohren die förmliche und officielle Vocation mittheilen
zu können. Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung empfehle ich mich
Eurer Hochwohlgebohren ganz gehorsamst Hoppenstedt.
947. 2 Briefe an Griepenkerl. i)
I Kgsb. 6 Sept 33.
Nur wenige Worte, wahrscheinlich die letzten von hier, mein theurer
Freund! um Sie nicht länger auf Nachricht warten zu lassen.
Mein Wagen aus Berlin soll am 11 oder 12 d. M. hier ankommen;
dem gemäß reise ich vermuthlich am 14, 15, oder 16 ab. Acht Tage
brauchen wir bis Berlin. Dort rechne ich drey oder 4 Tage; dann gehe
ich wahrscheinlich gerade über Magdeburg und Braunschweig.
Genaueres kann ich nicht sagen. Unaufhörlich bin ich belagert. Ein
großer Studentenaufzug kommt in wenigen Stunden, darauf folgt die
nächsten Tage in der buntesten Reihe der Genuß des Abendmahls und
ein Gastmahl das mir die Mehrzahl der Professoren giebt; die Auction
und die Abschiedsvisiten. Möchte ich erst ruhig in Göttingen sitzen! In
Berlin gebe der Himmel nur Geduld, und möge meine Frau den Ab-
schied aushalten! Auf baldiges Wiedersehen! Ihr H.
II [Ohne Datum. 1839?]
Mein theurer Freund! Schon seit ein paar Wochen erwarte ich
entweder Sie, oder einen Brief, der mir Ihre Ankunft meldet . . Haben
Sie die Güte uns Nachricht zu geben.
') Gütigst zur Verfügung gestellt von Frau Nahida Lazarus. Der erste Brief ist
bereits gedruckt in M. Lazarus' Lebenserinnerungen. Von N. Lazarus und A. Leicht,
Berlin 1906, S. 479. Dort finden sich auch S. 476 f. nähere Aufschlüsse über die
Vernichtung der Briefe Herbarts an Griepenkerl. „Sie waren durchweg von so intimem
Inhalt durchsetzt .-. ., auch von kritischen, vielleicht stellenweis allzu herben Be-
merkungen über Universitätsangelegenheiten u. a. erfüllt, daß die Gefahren einer Irre-
führung und eines Mißbrauchs nahe lag. . . . An eine Veröffentlichung war schon aus
dem Grunde nicht zu denken, weil nicht bloß die in politischer Beziehung, sondern
auch sonst ungeeigneten Details über die Versetzung Herbarts nach Göttingen, die
Handhabung drückender bureaukratischer Tyranneien mit einer Bitterkeit zur Sprache
gebracht waren, die man sonst an Herbart nicht kannte. Es schien wohlüberlegt und
wahrhaft pietätvoll von Griepenkerl, daß er das harmonische Charakterbild seines
Lehrers nicht durch nachträgliche Indiskretionen entstellt sehen wollte."
Nachtrag zu 1833. 255
Inzwischen habe ich Ihre Bemerkungen drucken lassen, und so lang-
sam auch diesmal die Presse gewesen ist — es soll an Papier gefehlt
haben, mirabile dictu, denn davon, sollte man meinen sei heutigen Tages
niemals und nirgends Mangel: — so ist doch endlich wenigstens der Auf-
satz über die Tonlehre') fertig.
An Ihren Bach bin ich wohl nicht viel gekommen. Das Meiste
muß ich bloß lesen. Kein Instrument und keine Finger stehen mir da-
für zu Gebote. Aber tausend Dank für die schöne Mittheilung!
Die letzten Wochen waren unfruchtbar bey mir; bald Hitze, bald
Kälte; für solchen Wechsel bin ich zu alt. Komme ich indessen noch
einmal mit dem zweyten Heft meiner psychol. Abhandlung zu Stande, so
leidlich wie mit dem ersten, so werde ich mir auf meine eigene Hand
einbilden, etwas gethan zu haben, wäre auch wiederum das Ganze vor-
läufig nur Futter für Polemik. Nun, bitte bitte — um erfreuliche Nach-
richt von Ihrem Kommen! Ganz Ihr H.
948. ■ Königsberg den 25ten Aug. 1833.
Beim Abschiede Herbarts von Königsberg überreichten die Freundinnen der
Frau Herbart dieser einen Haarkianz. Im N. befindet sich ein Bogen mit Proben
von den Haaren, wovon die Blumen im Kranz gemacht sind, mit den Namen der
betr. 51 Damen imd Kinder. Darunter steht: „Für meine innig geliebte und ge-
schätzte Fr. Herbart, von Ihren zurückgelassenen Lieben Freunden und Bekannten
gesammelt von Ihrer dankbaren Amalie Toussaint."
949. Königsb. 13. Sept. 33
Bei Mitnahme Otto Stiemers nach Göttingen hat Herbart
folgendes Schriftstück -) aufgesetzt :
,,Die Frau Oberlehrer Stiemer hat im Sinn, ihren unglücklichen Sohn
Otto Stiemer meiner Frau zum Mitnehmen nach Göttingen anzuvertrauen.
Indem ich dies zulasse: erkläre ich ausdrücklich und auf das Be-
stimmteste, hiemit auf keine Weise eine Verpflichtung der Sorge für
künftiges Fortkommen des Knaben übernehmen zu wollen.
Vielmehr hat die Frau Oberlehrer Stiemer schon jetzt Ursache darauf
zu denken, auf welche Weise sie den Knaben nach Einem oder zwey
Jahren von Göttingen wieder abhohlen lassen wolle; indem der Zweck,
einige Fähigkeit zum Lernen in dem Knaben zu erwecken, in ein paar
Jahren muß erreicht seyn, falls er überhaupt kann erreicht werden.
Überhaupt behalte ich mir vor, den Knaben lediglich nach meinem
Willen aus meiner Wohnung zu entfernen, welches auch der Grund davon
•se}Ti möchte; jedoch versteht sich von selbst, daß ich alsdann der Frau
Oberlehrer Stiemer oder ihren Verwandten oder Bekannten Nachricht
geben und Anstalt treffen werde, damit anderweitig für den Augenblick
das Nöthige geschehe, und für das Abhohlen des Knaben gesorgt werden
könne. ||
Frau Oberlehrer Stiemer giebt hiezu ihre Zustimmung; sie bescheinigt
dieselbe durch eigenhändige Unterzeichnung ihres Namens.
^) S. Bd. XI, S. 50 ff., gedruckt 1839, darnach kann man den Brief datieren!
-) 3 S. Fol. N.
256 Nachtrag zu 1833.
Sie sorgt überdies dafür, daß zwey angesehene, in öffentlichen
wichtigen Ämtern stehende Herrn mit unterzeichnen und siegeln, welche
hiemit erlauben, daß ich mich in Angelegenheiten dieses Knaben an Sie
wenden, wenn dessen Abhohlung nöthig wird, mit ihnen correspondiren,
und das Erforderliche verabre len könne."
Frau Stiemer bemerJct daxu : Königsberg, 13. Sept. 1833.
„Indem ich dieses mit dem tiefgefühltesten Danke, welchen ich weder schriftlich
noch mündlich auszudrücken vermag, den aber Gott, der die tiefsten Tiefen des
Herzens durchschauet, kennet, unterzeichne: erkläre ich hiemit noch freywillig
und aus eignem Antriebe, daß ich zu dem, was Herr oder Fj'au Prof. Herrbarih je
2um Wohl meines unglücklichen Kindes beschließen mögen, nicht allein aus Grund
meines Herzens, auch ohne vorheigeliende schriftliche Anfrage, meine Zu- || Stimmung
gebe, sondern auch alles, was sie hiezu von meiner Seite beyzubringen bestimmen
werden, auf das genauste befolgen will; da ich das felsenfeste Vertrauen zu dem
selten edlen Herzen meiner und meines Kindes "Wohlthätern habe, daß sie nur das
wählen werden, was zu dem uahren ^^'ohle meines geliebten Kindes führt.
Charlotte verw. Stiemer geb. Wiebe."
Mitunterschrieben und gesiegelt von Cons. -Rat Kaehler und Prof. Hagen.
950. H ende werk an H. (3 S. 4». N.) Königsberg, den 29sten Septbr. 1833
Es darf Sie, mein hoch und theuer geachteter Herr Professor, nicht Wunder
nehmen, daß ich Ihnen sobald ein Briefchen nachschicke. Sie vor Ihrer Abreise
nicht noch einmal gesprochen zu haben, der ich Sie vielleicht nicht mehr wieder-
sehen werde auf diesem Planeten, wai' mir zu schmerzlich und die Hinterlassung
Ihres werten Geschenkes war als ein neues Zeichen Ihrer mir so feuern Liebe, für mich zu
erfreulich, als daß ich nicht in der Rückkehr meines lieben Nachbars, Hrn. Steinhaus,
die günstige Gelegenheit wahrnehmen sollte, indem ich Ihnen wohl noch so manches
mitzutheilen hätte. Einmal nemlich mögte ich Sie fragen, was Sie wohl von einer
Arbeit halten würden, die unter dem Titel erschiene: ,,Herbart und Hegel in ihrem
Verhältnisse zueinander als systematische Denker."? Eine solche Darstellung zu
beabsichtigen, wage ich kaum zu sagen, da meine äußere Lage zu bedrängt ist, um
■die zu solchem Unternehmen nöthige Ruhe imd Muße zu besitzen, indessen der
Gedanke derselben hat mich in der letzten Zeit Ihres Hierseins, wo er zuerst deutlich,
hervortrat, lebhaft beschäftigt, und thut solches jetzt fast noch mehr, da mir der
Prediger Ebel vor einigen Tagen ßachmanns Schrift: „lieber Hegels System und die
Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestaltung der || Philosophie" zuschickte. Stimmte
ich nun freilich mit Herrn Bachmann darin überein, was er über Ihr System S. 152
sagt, so müßte wohl alle Lust mir schwinden, Ihren Gedankenkreis der Welt näher
zu bringen. Indessen dergleichen Ansichten, wie sie auch dort ausgesprochen sind,
haben für mich immer, von einem Manne, wie Bachmann ausgesprochen, etwas
fratzenhaftes an sich. Sollte der Gedanke: Es habe der menschliche Geist deswegen
mehrere Jahrtausende forschen sollen, um mit Ihrer Philosophie zu endigen, für
den, der Sie und Ihr Verhältniß zur christlichen Offenbarung wirklich kennt, etwas
schreckliches haben, so könnte es nur die Vorstehung der laugen Zeit sein, die der
Menschengeist brauchte, um selbständig auf den richtigen AVeg zur Erkenntniß
■der Wahrheit zu kommen, wodurch natürlich der Werth des Christenthums für
ihn um so bedeutsamer werden muß. So oft mich daher in manchen trüben Stunden
der Gedanke kränkt,- nichts in der Art, wie Sie, für die Wahrheit thun zu können,
dann rufe ich mir immer scheinbar tröstlich zu: Nun wohl! so wollen wir denn
Nachtrag zu 1833. 2^7
doch ganz stille sein und warten, was denn für eine Gestalt die Philosophie durch
Herrn Bachmann und die anderen gewinnen werde, um endlich die wahre zu sein.
Ich dente überdies, ein paar Jahrtausende wird es wohl nicht mehr dauern, bis
man das. was Sie geleistet haben, vollkommen anerkennen und in der von Ihnen
angegebenen Richtung fortarbeiteu wird. Ilir || jetziges Wii-ken in Göttingen muß,
so hoffe ich mit frohem Herzen, Hirer Sache wohl bald ein entschiedenes üeber-
gewicht verschaffen, und diese Hoffnung erhebt mich oft recht sehr und thut mir
wohl, wie schmerzlich mir auch auf der anderen Seite die weite Trennung von Ihnen
sein muß. Nun kann ich ja wohl nicht mehr über Christus und sein wahres Wesen,
über die christliche Wiedergeburt und Ähnliches zu Ihnen reden. Indessen wie
dem auch immer sei, so werde ich doch nie! nie! vergessen, wie tief ich alles dieses
durch Sie zu tieferm und geordnetem Denken angeleitet, in meinem Geiste bewegt,
[und] wie oft Sie mich daher begeistert und beseligt haben, so [daß] ein neues
Licht auf diese Gegenstände durch Ihre Worte und Gedanken unerwartet fiel.
Mögte es mir nur nicht an Kraft fehlen, die gewonnenen Gedanken in ihrer vollen
Klai-heit festzuhalten, um sie, wenn die rechte Zeit für mich gekommen, vollständig
zu entwickeln. Da denke ich denn bisweilen, ob es nicht auch in dieser Beziehung
besser wäre, wenn ich die academische Laufbahn aufgebend, mich um eine Land-
pfarre bewürbe, um da meine ländliche Muße in stiUer Einsamkeit schriftstellerisch
zu nützen.
Indem ich Ihnen nun noch für Ihr liebes mir sehr teures Geschenk, bei dem
es mir nur leid thut, daß ich doch vielleicht nicht den würdigsten Gebrauch von
ihm werde machen können, meinen muigen Dank bezeuge und Ihnen zu gestehen
mir erlaube, daß ich sehr gerne auch noch ein Bildniß von Ihnen hier zurück
behalten hätte, rufe ich Ihnen noch aus tiefer Seele ein Lebewohl! nach und darf
wohl kaum noch versichern, daß Sie stets bis an das Ende meiner Lebens -Tage
sein und bleiben werden der unvergeßliche Lehrer Ihres Sie hoch und innig ver-
ehrenden - Hendewerk,
951. Hoppenstedt an H. (1 S. 4". N.) Hannover 11 Oct. 33.
Eurer Hochwohlgebohren bezeuge ich meine Freude über Ihre glückliche Ankunft
zu Göttingen und -«-iederhole den angelegentlichen Wunsch, daß Sie stets mit größter
Zufriedenheit des Tags gedenken mögen, an welchem Sie zu unserer Georgia Augusta
wieder zurückgekehrt sind. — Wegen der Anweisung der Umzugsgelder habe ich
das Erforderliche sofort besorgt und Sie dürfen auf deren unverzügliche Übersendung
rechnen. Mit ausgezeichnetster Hochachtung empfehle ich mich
Eurer Hochwohlgebohren ganz gehorsamst Hoppenstedt.
952. Dissen an H. (2 S. klein 4°. N.) den 7ten Dec. [1833]
Was Sie mir von den Plänen und Wünschen des Hm. Doctor Stümpel*) mit-
theilen, mein verehrtester Herr Hofrath, interessirt mich sehr und ich würde
mich recht freuen, wenn ich zur Realisirung derselben etwas beitragen könnte.
Was nun erstlich die ausgearbeitete Schrift betrifft, so wünschte ich wohl eine
nähere Ansicht davon zu haben, nicht aus Mistrauen gegen Hrn. Stümpel, sondern
weil sonst nicht möglich ist allerlei wahrscheinliche Fragen des Verlegers zu be-
antworten. Dann wäre allerdings sehr wünschenswerth, wenn Hr. Stümpel bald
■einen Platz für seine Tbätigkeit finden könnte; da er aber nirgends durch bloße
Yorlesungen anfangs eine unabhängige Stellung finden wird, so wäre eine Auskunft
1) statt ,,Sü-ümpell".
Herbarts Werke. XIX. 17
258 Nachtrag zu 1833.
vielleicht da, wenn er zugleich etwa an dem Gymnasium der Universität Unterricht
geben möchte. Für diesen Fall müßten wir dann Hrn. Stümpel fragen, ob und
was er an einem solchen Gymnasium zu lehren geneigt sei. Es sind ein paar süd-
liche Universitäten, wo sich vielleicht auf diese Weise ein Platz eröffnen ließe.
Gehorsamst Bissen.
953. Taute an H. (3 S. 4». N.) Königsberg den Uten December 1833
Hochverehrtester Herr Hofrath, Meinen vorigen Brief hatte ich mich bemüht,
zusammenzudrängen, und doch war er kaum auf die Post gegeben, als ich mich
erinnerte, wesentliche Dinge, von denen ich hätte sprechen müssen, übergangen zu
haben. Das Wichtigste davon war, daß ich keine ausdrücklichen Empfehlungen an
die Frau Hofräthin meinerseits hinzugefügt. Womit ich also hätte schließen sollen,
fange ich dießmal an. Einigermaaßen konnte ich mich trösten, weil mein Brief
einem großen Theile seines Inhaltes nach als eine Empfehlung augesehen werden
mochte. Aber wie lebhaft muß ich die Schuld fühlen, als der 18 te December
heranrückt, an welchem sich unsere ganze Anhänglichkeit an die Frau Hofräthm
kundzugeben pflegte, und wie sonst, so besonders an diesem Tage sich concentrirte
und ihren Ausdruck suchte. Die große Gesellschaft, die von selbst zusammentrat,
Freundinnen, Schüler und Schülerinnen, Ihre eigene Familie möchte man sagen,
die unter Ihren Augen und Ihrem Einfluß aufgewachsen, und von Ihnen liebevoll
gehegt wurde ; die lange Tafel, mit ihren Blumen, Aufsätzen, bunt und reich durch-
einandergeschichteten Speisen; die Gesundheiten und Wünsche welche dargebracht
wurden, Spiel und Tanz, die sich unbefangen regten, Sie selbst Herr Hofrath, der
Beredteste unter Allen, immer neu und groß in der Weise, wie Sie Sich gaben, und
die Frau flofräthin mit jedem Jahre liebenswürdiger und verjüngt für uns, weil
unser Gefühl Ihnen immer näher treten , sich stärker und unumwundener aus-
sprechen durfte — alles dieß tritt heute so lebendig vor meine Seele, daß Sie die
Erinnerung daran als Glückwunsch zu dem Tage annehmen, und meine innige Theil-
nahme mögen genehmigen wollen. Das Fest ist für uns in seiner Größe dahin —
wer hätte es vor Einem Jahre, da wirs zum letzenmale begingen, glauben sollen?
— aber gefeiert wird es auch hier in kleinern Zirkeln werden, und sein Andenken
uns nimmermehr erlöschen. Und wir dürfen darauf rechnen, daß Sie künftigen
Mittwoch lebhaft gedenken werden, wie wir uns in Ihren Zimmern herumtummelten
und uns Ihres Glückes freuten.
Auch über unser pädagogisches Seminarium hätte ich Ihnen Mehreres mit-
theilen können. Es ist wirklich seelig entschlafen. Der Plan des Consistoriums ist
als unsinnig bei Seite gelegt. Die Herren forderten 8000 Rthlr. zu seiner Dotirung
und das bot Grund genug dar, die Sache abzulehnen. Gewiß nur ein Vorwand;
denn wie wollte doch ein Herrscher, der seinen Willen hat, eine Macht dulden
und begründen, die seine Eifersucht so stark erregt? Er mußte fürchten, was wir
hofften, daß sich Gelegenheit darbieten würde, unserer Wissenschaft irgend einen
Eingang zu verschaffen. Von allem Anfang schien mir die ganze Sache nur eine
Spiegelei zu sein. Die Art wie der Minister sich darüber an Schubert ausgesprochen,
der für die Beibehaltung des Seminariums in seiner früheren Weise sich angelegent-
lich verwendete, zeugt davon. Ein naturhistorisches, ein mathematisches Seminarium
will uns der gnädige Herr schaffen, und dazu werden wahrscheinlich imsere Fonds
verwendet werden. Reusch ist bereits aufgefordert, darüber zu berichten. So wenig
Vernunft giebt es in Preußen, || das sich rühmt, seine Augen aufs Bessere gerichtet
zu haben! Es ist blind geworden aus Leidenschaft und Eifersucht!
Hier in Königsberg scheint man darauf gespannt zu sein, welchen Einfluß die
in unsere Mitte verpflanzte Hegeische Philosophie gewinnen, wie weit und in welcher
I
Nachtrag zu 1833. 25Q
Art sie wirken werde. Vor allen Dingen glaubte man Reibungen zwischen Ihren
Anhängern und den Hegelianern erwarten zu dürfen. Etwas der Art ist auch wirk-
lich vorgefallen. Herr Dr. Freystadt hat die erste Opposition gegen Herrn Rosen-
kranz geübt. Er hörte bei letzterem die anfängliche Vorlesung über Logik und Ein-
leitung zur Philosophie, und Herr Rosenkranz war so unvorsichtig, irgend welche Be-
leidigungen gegen das Judenthum auszusprechen. Die Sache wird verschieden erzählt,
und mit Freystadt bin ich nicht zusammengekommen, um sie von ihm zu hören.
Einige sagen, R. habe den Standpunkt der gemeinen Erkenntniß mit der philosophi-
schen verglichen, jene als die Gotteserkenntniß eines geboren Juden bezeichnet, die
zu einer höheren werde, wenn der Jude zum Christenthum übergehe. Philosophie
und gemeine Erkenntniß also gleich der christlichen und jüdischen Gotteslehre,
beide dasselbe nur- auf verschiedene Weise enthaltend. Andere dagegen erzählen,
daß einem Juden wahres Christenthum abgesprochen wurde, wenn er sich auch
taufen lasse. Kurz, Herr Freystadt machte die Sache öffentlich, indem er ein paar
Distichen gegen Herrn Rosenkranz in das hiesige Haberlandsche "Wochenblatt ein-
rücken ließ : so wurde sie zum Skandal. Einen anderen veranlaßte Herr R. selber.
Nämlich bei einer Zusammenkunft mit Prof. Jacobi, dem Mathematiker nahm dieser
den Universitätskatalog zur Hand und sagte: Nun Herr CoUega, wir wollen einmal
sehen, was Sie für Genossen unter uns vorfinden. Dieser Erste hier ist ein Esel, dieser
— ein halber Esel — und so heißt es, kamen noch Viertel und Fünftel Esel und
wer weiß welche andere Brüche der Art vor. Rosenkranz war auch hier wieder
vorlaut und erzählte die Geschichte weiter. Damit gab es einen zweiten Skandal,
der übles Blut setzte.
Nehmen Sie nicht ungütig, daß ich Sie mit dergleichen Dingen unterhalte. Aber
der Fortgang der Begebenheiten hat oft sehr gemeine Wiu'zeln. Die hiesigen Facultäts-
gelehrten versichern, daß Herr R[osenkranz] und die Hegelei sie nicht leicht bekehren
werde. Gleichwol ist die Weltherrschaft der Hegeischen Philosophie hauptsächlich auf
Herrn R. gegründet: „Ich gebe Euch Königsbergärn. glaubt es mir, das Beste, was ich
habe" sagte Herr S[chulze] zu Schubert. Ebenderselbe hat Henning und Hotho auf-
gegeben, sprach von Hinrichs geringfügig und von Michelet sehr übel. Nach Aussage
des Prof. Sachs, der beim Verein der Naturforscher in Breslau gewesen und seinen
Rückweg über Berlin genommen, wird Hegeische Philosophie in Berlin zum Gespött.
Zerstören ist leichter als Bauen. Doch spricht der Minister selbst von Philosophie
in hohem Tone. Alle Wissenschaften müßten von ihr ausgehen und durch sie be-
gründet werden. Es spukt ihm wie man meint, die Fichtische Wissenschaftslehre
im Kopfe; denn von Hegelscher Lehre soll er eben nicht viel verstehen.
Auf die öffentUche Disputation des Herrn R. ist die Erwartung ebenfalls ge-
richtet. Man wirft Fragen || auf, wie's wol da hergehn werde. Nun, ich glaube,
die Sache wird recht solenn abgemacht werden, wenn Herr Prof. Jacobi oder sonst
ein Facultist dem sie gleichgültig ist, die Opposition übernimmt, und dem Ritus
•Genüge geschieht. R. wird im März, wie es verlautet, disputiren und den heiligen
Abälard, wies ihm von BerUn aus insinuirt worden, zum Gegenstand nehmen. Über
speculative Theologie, Trinität, Vemunfterkenntniß Gottes werden wir dann etwas
zu hören bekommen. Die Philosophie wird pfäffisch.
Auch Ihre höherstehenden Freunde erfahren die Ungunst des Ministeriums.
So ist es Prof. Schubert ergangen, er ist seiner Function bei der Prüfungscommission
eben entbunden worden. Dieß wäre an sich nichts Erhebliches; denn der Minister
übt das Recht, jährlich, werm's ihm beliebt, neue Mitglieder zu ernennen. Aber
unmittelbar nachdem Seh. von Berlin gekommen und dort für die gute Sache frei-
müthig gesprochen — kann man sich der Nebengedanken kaum erwehren.
17*
25o Nachtrag zu 1834.
An Herrn v. Schön, den Kanzler v. Wegnern und Reusch habe ich nicht ver-
säumt, Ihre Empfehlungen darzubringen. Sie wurden nicht bloß sehr gnädig auf-
genommen, sondern man schien auf die Aufmerksamkeit gerechnet zu haben. Alle
die Herren sagten fast einstimmig: Wir haben den Herrn Hofrath ungern verloren,
wenn es aber geschehen mußte, so wünschen wir daß es demselben in jeder Hinsicht
wohlgeh n möge.
Auch von Gregor und Vogdt habe ich angelegentliche Empfehlungen zu be-
stellen, sowie von anderen Herren die ich bereits in meinem vorigen Briefe ge-
nannt. Wie ich hoffe, werden diesmal mehrere Briefe von hier aus bei Ihnen an-
kommen. Lobeck sagte mir, er werde nächstens an Sie schreiben und seine Frau
müßte dann, wenn nicht einen besonderen Brief, so ein tüchtiges Postscriptum
dazu fügen.
Sowohl neulich als heute, Herr Hofrath, habe ich mir erlaubt, Namen zu
nennen und Thatsachen anzuführen, die sich auf Ihre früheren Verhältnisse zum
Preußischen Ministerium beziehen. Aber dergleichen sind wie glühende Metall-
stücke ; man darf sie mit bloßen Händen nicht berühren
Mit größtem Dank für Ihren letzten Brief, der mich so sehr überraschte, da
ich kaum den meinigen in Göttingen wähnte ; mit treuester Anhänglichkeit und dem
lebhaftesten dankbaren Gefühle für Sie und die Frau Hofräthin schließe ich und
empfehle mich Ihrer fortwährenden Gewogenheit. Ihr ergebenster Taute.
954. Strümpell an H. (IS. 4». N.) Braunschweig d. 29. Dec. 1833.
Verehrtester Herr Hofrath ! Durch die Güte des Herrn Professor Griepenkerl
habe ich die Summe von 30 Rthlr. erhalten, und erlaube mir, Ihnen nochmals
meinen erkenntlichsten Dank dafür zu sagen.
Bei meiner Anwesenheit hier in Braunschweig war Gr. ferner so gütig, mir
den an ihn geschriebenen Brief von Ihnen vorzulesen. Obgleich ich die Noth-
wendigkeit dabei fühlte, für jede Zeile meines frühern Schreibens an Sie um Ent-
schuldigung zu bitten und es lieber ungeschrieben zu wünschen — : so giebt mein
Bewußtsein mir doch keine Veranlassung, mir eine solche Lehre zu fernerm Ge-
brauche anzueignen, wie Sie die Güte hatten durch Ihre Briefprobe in jenem
Schreiben anzuempfehlen. Ich könnte das Misverstehen bei jedem Satze darin nach-
weisen: aber ich befürchte, sowohl langweilig zu werden wie das Verhältniß da-
durch noch ärger zu machen, abgesehen davon, daß ich gern jede Schuld auf mich
nehme, um der Unlust einer Rechtfertigung überhoben zu sein. Meine Hochachtung
gegen- Sie beruht auf zu sehr unpersönlichen Gründen, als daß diese jemals leiden
könnte; daher bewegt mich nur das Gefühl, Urnen so vielfach und so sehr ver-
pflichtet zu sein, zu der nochmaligen Bitte, sowohl jenen früheren wie auch diesen
Brief entschuldigen zu wollen.
Mit vollkommener Hochachtung und Ergebenheit verbleibe ich, Ihr Str.
955. Schubert an H. (4 S. 4". N.) Kgsbrg, d. 10t. Jan 1834
Hochgeschätzter Freund und Herr, WLr haben in diesen Tagen mit wahrer
Bangigkeit auf eine Nachricht aus Göttiugen geharrt, denn mit großer Betrübniß hatten
wir aus einem Briefe des Hr. Thomas von Ihrer heftigen Krankheit in den Weihnachts-
feiertagen gehört und die daran geknüpfte tröstliche Beruhigung über Ihre Genesung
wurde leider durch ein Gerücht aus anderer Quelle widerrufen. Indeß erfahre ich
soeben zu meiner größten Freude, daß dieses zweite Gerücht lediglich aus einem
Mißverständnisse durch Verwechselung des Namens sich herschreibt, und so zögere
ich keinen Augenblick durch Absendung dieses Briefes eine Antwort von Ihrer
Nachtrag zu 1834. 26 1
eigenen Hand herbeizulocken, in der zuversichtlichsten Hoffnung, Sie werden meine
Zeilen schon völlig wiederhergestellt lesen können.
Ihr ausführlicher Brief vom löten Dec. hat Ihre früheren näheren CoUegen
sehr erfreut, denn er gab uns allen den lebhaftesten Beweis, in welchem guten
Andenken wir bei Ihnen stehen und wie gern Sie auch jetzt noch an unser früheres
Zusammenleben und Zusammenwirken Sich, erinnern lassen, ich habe von allen den
angelegentlichen Auftrag er- || halten, herzUche und treu ergebene Empfehlungen
bei Ihnen auszurichten. Daran schließt sich auch der Oberregierimgsrath Reusch
an, der überdies mir beiliegenden Brief schon vor 14 Tagen hat zustellen lassen,
um ihn gelegentlich an Sie abzusenden.
Neuigkeiten kann ich Ihnen von hier aus wenig senden. Olshausens Recht-
fertigung über seine Mitwirkung bei der hiesigen Prediger- Conferenz, die er
schon im Sommer noch bei Ihrer Anwesenheit geschrieben hat, erzeugt noch
immer eine sehr scharfe Gegenwirkung sowohl der Rationalisten, wie der Ortho-
doxen und Ebelianer. Namentlich hat von der letzteren Seite der Prediger
Diestel eine bittere und an manchen Stellen tief verwundende Replik ge-
richtet. Olshausen hat sich selbst durch unüberlegte Äußerungen und gehässige
Insinuationen sowohl hier als in Berlin geschadet, das ist gewiß. Er scheint auch
jetzt dringend zu wünschen, aus seiner hiesigen Stellung versetzt zu werden: doch
dürfte ihm das wohl nicht so leicht gelingen, da er in Preußen kaum eine passendere
Stellung vom Ministerium erhalten würde und außerhalb unseres Landes seine
exegetischen Ansichten jetzt schwerlich Beifall finden dürften. Kahler hat nicht
die Stelle des General-Superintendenten erhalten, sondern es wird zu Ostern ein
Herr Müller aus Erfurt, ein ganz unbekannter Mann, für dieses einflußreichste
Kirchenamt unserer Provinz erwartet. Lehnerdt ist in Olshausens Stelle in die
wissenschaftliche Prüfungs-Commission |1 getreten, sowie auch Professor Rosencranz
sogleich seine Stelle in diesem Geschäfte statt Gotthold gefunden hat, selbst mit
Umgehung des vorhandenen Gesetzes, das einen practischen Schulmann in diesem
Quinquevirate verlangt. Dr. Taute habe ich in diesen Wochen zu einer Professur
nach Dorpat vorechlagen können, da der alte emeritirte Jäsche nicht mehr wieder
gewählt ist, und ein neues Russisches Gesetz bei den emeritirten Professoren dem
-Universitäts-Conseil die jährliche Erneuerung ihrer Wahl anbefiehlt. Möchte es
ihm gelingen hier anzukommen, vielleicht daß ein ihm anvertrautes Lehramt eine
ersprießlichere Regsamkeit in ihm erweckt und ihn auch literarisch thätig macht.
Von Bobrick aus Zürich habe ich in diesen Tagen einen Brief gehabt; er schreibt
zufrieden und giebt kein unerfreuliches Bild von dem Zustande der neuen Universität,
ich will hoffen, daß dieses Bild ein wahres ist und er sich nicht selbst täuscht.
Wir haben auf seinen Wunsch den von ilim vorgeschlagenen Prof. Hottinger, einen
tüchtigen Historiker, der mir persönlich achtungswerth bekannt ist, zum Dr. unserer
Facultät proraovirt.
Von mir selbst weiß ich kaum etwas Bemerkenswerthes zu melden; meine
Reise äußert noch ihre gute Wirkung für meine Gesundheit fort ich lasse jetzt ein
Handbuch der Staatskunde Europas in 2 Bänden bei Bornträger drucken und habe
in diesem Winter viel zu dociren, da ich außer 14 academischen Stunden noch vor
einem gemischten Auditorium von 160 Zuhörern im Hause des commandirenden
Generals über vaterländische Geschichte lese. Es geschieht || dies wöchentlich am
Montage in anderthalb Stunden ohne Unterbrechung, und ich freue mich, daß der
Obei-praesident und alle übrigen Praesidenten, Generale und Staabsofficiere so eifrige
und aufmerksame Zuhörer sind, daß ich mir nur einmal auch von meinen Commili-
tonen ein ganzes Halbjahr hindurch ein Gleiches erbitten würde.
202 Nachtrag zu 1834.
Beiliegende 66 Thlr. sind die Getreidegelder für ^4 Jahre, die Sie bis Michael
noch zu beziehen gehabt haben, der Scheffel ist diesmal mit 1 Thlr. 3 ggr. bezahlt.
Wegen der Reste des Rhodiani werden im nächsten Monate Zahlungen erwartet.
Frau Oberlehrer Stiemer legt den Brief an Ihre Frau Gemahlin bei.
Mit den angelegentlichsten und herzlichsten Empfehlungen von Seiten meiner
Frau an Ihre hochverehrte Gemahlin, denen ich mich mit allen meinen Kindern
von ganzer Seele anschließe, bitte ich recht sehr und bald um eine freundliche
Erwiederung und verharre ganz der Ihre Schubert.
Der alte v. Knobloch. Ihr Einwohner, ist vorige Woche im 90ten Jahre ge-
storben. — Eine Quittung für die Getreidegelder ist nicht nöthig, da ich in Ihrem
Namen und Auftrag ein umgehendes Circular quittiren muß. Nur gelegentlich den
Empfang im Briefe zu vermerken bitte ich.
956. Richthof en an H. (2 S. 4». N.) Brecheishof den IGten Jan. 1834.
So oft ich in meinem Leben auf Sie. mein verehrtester alter Freund, im Stillen
gescholten, daß Sie in Ihrer Korrespondenz ziemliche Lücken nicht achteten, so
nehme ich doch jetzt in ähnlicher Noth wegen meinem Sohn zu Ihnen meine Zu-
flucht. Sonst ein fleißiger Briefschreiber und wissend wie leicht ich in Sorgen
gerathe, wenn mich meine Lieben ohne Kunde lassen, hat^er doch dießmahl auf zwei
Briefe nicht geantwortet, und da sonst 14 Tage die gewöhnliche Schreihperiode unter
uns ist, 4 Wochen vergehn lassen. Ich fürchte daher in der That, er sey krank, und
ein an ihn unmittelbar addressirter Brief sey vielleicht vergeblich; also die doppelte
Bitte, wenn er gesund ist, so schelten Sie ihn in meinem Nahmen etwas aus, wenn
er aber krank ist, so nehmen Sie sich seiner freundväterlich an, und geben Sie mir
selbst schleunig Nachricht über ihn, und veranlassen Sie dazu möglichst oft alle die
mir und ihm wohlwollen; freilich wäre das Uebel bedeutend, was Gott verhüten
wolle, so hätte ich nichts Eiligeres zu thun, als selbst nach Göttingen zu eilen. Aber
Sie sind ja dort, mein alter Freund, meine treffliche Schwieger, Minna Grote ist in
der Nähe, und der liebe Junge hat so vielfache Freunde gefimden, daß er gewiß
nicht verlassen seyn würde; vorzüglich hat er mir Ribbentrop vielfach als seinen
Freund gerühmt; — hoffentlich thut aber alles das noch nicht Noth; auch würde
ich weniger ängstlich || seyn, wenn er nicht so überaus vollblütig und auch sonst
reizbar wäre. Gott erhalte mir ihn! Mit dem herzlichsten Gruße der Ihrige!
Richthofen.
957. Ungewitter an H. (4 S. 4». N.) Schenssel d. 21. Januar 1834.
! . . So lächerlich es Ihnen auch erscheinen mag, so muß ich es Ihnen doch
bekennen, daß früher (ich glaube im Jahre 1832) ich mich veranlaßt fand, als ich
in den Zeitungen las, daß Hegels Stelle in Berlin noch nicht besetzt sei, mich nach
Berlin in Ihrer Angelegenheit erschrecken Sie nicht! — an den Professor Heng-
stenberg II (den einzigen der dortigen academischen Lehrer, dem ich eingermaßen
bekannt war) zu wenden und ihn auf Sie aufmerksam zu machen und auf Ihre
Schriften hinzuweisen, indem ich mit besonderer Heiterkeit und Klarheit Ihr System
in metaphysischer und moralischer Hinsicht ihm darstellte und frei Ihren Gegensatz
gegen Hegel und Schleiermacher aussprach. Damit verband ich denn die Bitte von
meiner Darstellung möglichst Gebrauch zu machen, und dahin mitzuwirken, daß Sie nach
Berlin berufen würden. — Auf diesen Brief habe ich gar keine Antwort bekommen.
— Ich aber freue mich noch darüber, daß ich eine so schöne Gelegenheit gehabt
habe, für Sie zu zeugen, wenn es auch für den Augenblick nicht anerkannt seyn mag.
In diesen letzten 14 Tagen hat mich Wolfs Leben von Körte, das ich mit dem
lebhaftesten Interesse und zu großer Belehrung gelesen habe, oft an Sie erinnert. . .
Nachtrag zu 1834. 263
958. Taute an H. {3 S. 4". N.) Königsberg den 5ten März 1834.
Hochverehrtester Herr Hofrath, Wunderbar wurde ich von Ihrem gütigen, so
sehnsüchtig, ich möchte sagen, so schmerzlich erwarteten Briefe überrascht! Denn
eben den gegenwärtigen, den ich die Ehre habe, Ihnen zu überschicken, und ihn nun
bloß mit ein paar Abänderungen umschreibe, in der Tasche und zur Thür hinaus-
tretend, um ihn selbst auf der Post abzugeben, wird mir der Ihrige überreicht.
Das Stillschweigen mußte ich endlich brechen, und versuchen, ob es vielleicht
möglich wäre, durch eine dringende Bitte Ihre gütige Aufmerksamkeit wieder auf
Königsberg zu wenden und siehe da, Sie kommen mir so erfreulich entgegen!
Herrn Prof. Schubert hatte ich's zu Anfange des Jahres überlassen, Ihnen zu
melden, wie sehr wir durch üble Gerüchte, Ihre Gesundheitsumstände betreffend,
hier gequält wurden, und wie man sich von allen Seiten an Schubert und an mich
wendete, um bestimmte Kachrichten über Sie zu erhalten. Die Gerüchte sowohl,
als die Anfragen bewiesen mindestens, welches Interesse man an Ihnen fortwährend
bei uns in Königsberg nimmt. Höhere Beamte, Professoren, Studenten, Bürger aus
allen Ständen sprachen von Ihnen; wir mußten schweigen, und trösteten uns damit,
was auch der Erfolg bestätigt, daß Sie, wohl, wie's im Winter oftmals der Fall war,
leiden vmd darum nicht aufgelegt sein möchten, an uns zu denken. Unter solchen
Umständen wollte ich Ihnen meinerseits mit Briefen nicht beschwerlich werden,
aber schon dachten wir daran, uns in Göttingen einen Korrespondenten, unabhängig
von Ihrem Hause, für Ihr Haus zu bestellen.
So vielen und so stark aufgeregten Erwartungen konnte ich bei dem Hm. Geh.
R. Lobeck und Prof. Schubert nur dadurch genügen, daß ich diesen Herrn Ihren
Brief ganz mittheilte. Das, bitte ich Sie ergebenst, mir nicht übel zu nehmen.
Unsere Stadt ist die alte, weiB wenig von Wechsel und bedeutenden Ereignissen ;
die Leute leben still fort und wundern sich, wenn mal Einer aus dem gewöhnlichen
Gleise heraustritt und laut spricht oder öffentlich handelt. Eines interessanten Auf-
trages muß ich mich indessen zunächst an Sie entledigen. Hrn. v. Schön hatte ich,
Ihrer Aufforderung gemäß, besucht und war nochmals bei einem seiner Abendthees
zugegen. Herrn Jachmann fand ich mit andern Herrn anwesend, und wir sprachen
über Philosophie, besonders die neuern Systeme seit Kant. Jener erste Herr tmg
kein Bedenken, rücksichtslos seine Unkunde an den Tag zu legen und über alle
Fortschritte der Wissenschaft abzusprechen. Er ist Kantianer, Herr v. Schön *) gleich-
falls. Aber auch aus Kant machen sich die Leute gewöhnlich, was sie wollen; seine
Ideen gefallen ihnen mehr, als die Kategorien und Verstandesgrundsätze; Erfahrungs-
erkenntniß bedeutet wenig, man liebt das Gebiet, wo man schwärmen und sich eine
Welt willkührlich ausbauen kann. Vornehmlich staunte ich auch über die Unwissen-
heit des Hm. v. Schön in Ihren Lehren. „Wieviel praktische Ideen giebt es?*'
„Ja, wamm nicht Eine bloß? Warum nicht zehn?'' „Da kommt ein anderer Philo-
soph, der Eine mehr oder weniger nach Gefallen aufstellt!" ,,Der Eine nennts Häns-
chen, der Andre nennts Fritzchen, und am Ende gehts auf dasselbige hinaus."
Solche Fragen und Bemerkungen wurden nacheinander gemacht, ohne mal Antwort
II und Gegenvorstellung abzuwarten. Mit Nachdruck versicherte Hr. v. Schön, sich
nicht den mindesten Begriff davon machen zu können, wie Mathematik auf geistige
Thätigkeiten anzuwenden sei. Ich erlaubte mir von Vorstellungen als Kräften zu
reden, fand aber wenig Eingang. — Doch das will ich lassen und zu meinem Auf-
trage kommen. Mit dem lebhaftesten Interesse äußerte sich Hr. v. Schön über einen
Vortrag, den Sie, Herr Hofrath, bei der letzten Feier des Kantischen Geburtstages
^) Vgl. „Aus den Papieren des Ministers Th. von Schön''.
264 Nachtrag zu 1834.
hierselbst gehalten — eine Zusammenstellung, wenn ich nicht irre, philosophischer
Streitfragen. Nun sagte Hr. v. Schön, er habe Sie ersucht und Sie ihm nicht
völlig abgeschlagen, einen förmlichen Krieg der Philosophen niederzuschreiben und
das nächstemal vorzulesen; mir aber trug er bestimmt auf, Sie von ihm recht sehr
zu grüßen und in seinem Namen an das Versprechen zu mahnen, die Schrift würde
dann hier bei der bevorstehenden selbigen Festfeier vorgetragen und das Andenken
an Sie dadurch lebendig und dankbar aufgefrischt werden. Ob Sie wol dem Hrn.
V. Schön den Gefallen thun und mich beehren wollten, ihm den besagten Krieg auf
harmlosem Papier zu überreichen V
Die hiesigen Mystiker führen auch noch fortdauernd Krieg und liefern einander
Schlachten mittelst Di-uckschriften. Sie erinnern Sich gewiß, Hr. Hofrath, noch an
die berühmten 100 Thlr. und die Geisteszerrüttung, die dadurch soll verschuldet
worden sein. Andere Fälle der Art kamen bekanntlich mehrere vor; das Publikum
schien eine üble Meinung von der Frömmigkeit zu fassen, worauf sich Olshausen ver-
anlaßt gefunden, eine Broschüre in die Welt zu schicken, in welcher er unter Mehrerem
den Satz aufstellt, daß das Christentum kein Freibrief gegen den "Wahnsinn sei. Da-
gegen schrieb Prediger Diestel, behauptete gerade dieß, griff Olshausen's Persönlichkeit
stark an, indem er dessen unchristlichen Sinn aufzudecken meinte. Vor einigen
Tagen erschien nun wieder eine ßeplik von Olshausen, mit gleicher Münze zahlend,
so daß der Streit ganz individuell und persönlich wird. Der Hauptvorwurf ist der,
daß Diestel *ein Schüler des bekannten Sch'önherr sei, dessen System in Olshausens
Schrift breit auseinander gesetzt sein soll. Vielleicht platzt das Geschwür, wenn
er sich rührt.
Auch unser Hr. Prof. Eosenkranz bereitet einen Krieg vor, nämlich ein
polemisches "Werk gegen Bachmann als Erwiederung auf dessen neuliche Angriffe
der Hegeischen Schule. Die Arbeit mag nicht schwer auszuführen sein. Sonst
giebt Eosenkranz wenig von sich zu hören; selbst von einem lebhaften Besprechen
Hegelscher Wahrheiten, die er lehrt, habe ich nichts vernommen.
Ihr Programm, Hr. Hofrath, über das princ. excl. med. habe ich mit großem
Vergnügen gelesen; nur fürchte ich fast, Ihre Gegner möchten die Feinheit und
Milde der Behandlung kaum zu schätzen wissen.
Ihre Wohnung hierselbst ist nach dem Tode des Hrn. von Knobloch aufs
Neue vermiethet und zwar an den Landstallmeister Hrn. von Burgsdorf, das Mittel
und Dachgeschoß zusammen mit 456 Thlr. von Michaelis ab.
Dann muß ich Ihnen ergebenst anzeigen, das es dem Auctionskommissarius
Lockmann durchaus unmöglich ist, die Tische und Bänke Ihres Auditoriums los-
zuschlagen, es bleibt fast nur übrig, sie als bloßes Material an einen Tischler zu
verkaufen, wobei freilich wenig, kaum das Stück mit 5 Slbgr. herauskommen wird.
Mögen Sie darüber gefälligst bestimmen wollen, damit endlich auch der Erlös für
die bereits verkauften Möbeln von Lockmann eingehe.
Hr. Unzer freute sich sehr, von Ihnen zu hören. Brockhaus ist bereits an-
gewiesen, 6 Ex. auf ;Druck- und ebensoviel auf feinem Papier an Sie zu verab-
folgen. Hrn. Unzer mußte ich alles von Ihnen und Ihrem Hause mittheilen, was
ich nur wußte. "Selbst nach Ihrem Hunde, den Sie von hier aus mitgenommen, er-
kundigte er sich und meinte, Sie würden eine Anfrage gewiß nicht übelnehmen, ob
denn der wirklich todt sei. „Es war doch ein gutes Thier; zum ersten Mal bellte
es den Fremden an, wer aber zum zweiten oder dritten Mal kam, dann behandelte
es die Gäste als Bekannte und Freunde."
Von Dorpat wird wol für mich nichts werden. Sonst müßte ich den Euf
schon haben. Wäre er gekommen, so hätte ichs als eine Nothwendigkeit angesehn,
ihm zu folgen; nun freue ich mich, hier bleiben zu können.
Nachtrag zu 1834. 26 K
Grüße habe ich von allen Ihren hiesigen Freunden aufs Angelegentlichste zu
bestellen, und nenne besonders die Herren Lobeck und Schubert und deren Damen^
die sich recht herzlich und recht innig an die Frau Hofräthin empfehlen lassen.
Lobeck leidet körperlich sehr, namentlich an den Augen, sodaß ihm der Arzt das
Lesen untersagt. Schubert hofft im April den Rest des Ehodianum/) einziehn und
Ihnen zustellen zu können.
Mit der festesten Hoffnung, daß wir recht bald erfreuliche Nachrichten über
Ihre Gesundheitsumstände hören werden, gehorsamste Empfehlungen meinerseits an
die Frau Hofräthin hinzufügend, verbleibe ich Ihr treuergebenster Taute.
Noch eine ergebenste Anfrage. Wer ist wol der Erfinder des Multiplikators,
nicht des elekti'omagnetischen, von Schweizer angegebenen, sondern des zur "Wahr-
nehmung geringer Grade der Elektricität. Dulk wußte mir nichts Bestimmtes darüber
zu sagen, er meinte aber, Sie selbst, Hr. Hofrath.
959. Schubert an H. (4 S. 40. N.) Königsberg d. 4ten Mai 1834
Hochgeehrter Herr College, Gerade an dem heutigen Tage, an welchen im
vorigen Jahre ich im Kreise Ihrer vormaligen Amtsgenossen zuerst die traurige
Stimmung des Abschieds bei dem herzlichsten Glückwunsche fühlte, kann ich mir
eine schriftliche Unterhaltung mit Ihnen nicht versagen. Mögen Sie den heutigen
Tag in kräftig emeuter Gesundheit genossen haben, wie ich das sicher von Ihrer
Reise nach dem Rhein in dem diesjährigen so ausgezeichnet schönen Frühlinge er-
warten darf, mögen Sie durch das freundlichste und angelegentlichste Entgegen-
kommen von Seiten Ihrer jetzigen Collegen und Zuhörer überzeugt. Sich jetzt schon
so einheimisch in Göttingen fühlen, wie bei uns, aber mag auch dieser theui-e Tag
in seiner noch recht oft erneuten Wiederkehr Sie jedesmal recht lebhaft daran er-
innern, daß in Königsberg das ehrenwertheste Andenken Ihrer gesegneten Thätigkeit
Ihnen stets rein erhalten bleiben wird. Dies ist mein innigster Wunsch, indem ich
mich und die Meinigen auch heute Ihrem wohlwollenden Andenken herzlichst
empfehle.
Auf unserer Universität geht es auf die Ihnen bekannte Weise ohne irgend
eine wesenthche Veränderung weiter fort. Geh. R. Reusch war in diesen Tagen in
Berlin, indem er mit Bessel die Reise dorthin gemeinschaftlich machte. Er wünschte
mehre Universitäts-Angelegenheiten || zu finalysiren, unter andern auch die all-
gemeinen Statuten unserer Universität und das vielfach besprochene Universitäts-
gebäude. Er hatte nobis invitis das alte Schauspielhaus in Vorschlag gebracht und
die Pläne zum Ausbau schon mitgenommen. Das Ministerium ist aber darauf nicht
eingegangen. — Unter den Professoren sind ic den letzten Monaten viele heftige
Krankheiten gewesen; Ihr treuer Arzt Elsuer ist leider nach einer nur fünftätigen
Bettlägerigkeit am Nervenfieber vorigen Sonntag erlegen. Olshausen kämpft schon
seit mehreren Wochen mit heftigen Rückfällen, stets mit Lebensgefahr. Mit einem
Blutsturz hat seine Krankheit begonnen, ein nervöses Fieber ist dazu getreten. Mehr
als gewöhnlich kränkelt jetzt Lobeck; und wenn auch nicht gefährlich, so ist er
doch dadurch fast immer in eine sehr trübe Gemüthsstimmung versetzt, da seine
Augen stets mitleiden, und ihm den Trost der Erholung in der Arbeit versagen.
Der diesjährige Sommer wird bei uns sehr unruhig werden, da bereits den 16ten
Juni der Kronprinz mit seiner Gemahhn nach Königsberg kommen und hier volle
drei Tage sich aufhalten wird. Von hier geht er zu Lande nach Memel und dann
mit dem Dampfboote nach Petersburg, wo er gegen 6 Wochen verweilen wird.
^) Vgl. den folgenden Brief.
2 66 Nachtrag zu 1834.
Wahrscheinlich kehrt er in Begleitung der kaiserlichen Familie in der zweiten Hälfte
des August hieher zurück, wo dann eine Zusammenkunft unseres Königs mit ||
Kaiser Nicolaus einige Tage lang stattfinden soll. Die Anwesenheit des Königs ist
aber noch von seiner Gesundheit abhängig, da ein Anschwellen des rechten Fußes
den Leibarzt "Wiebel wegen der Reise bedenklich gemacht haben soll.
Herr Ohlert hat sich „wegen seiner großen Verdienste um das Schulwesen"
auf Antrag des hiesigen Schul-Collegii vom Ministerium das Prädicat eines Professors
geben lassen, ist aber aus der Reihe der Docenten bei der Universität getreten.
Taute verharrt ungeachtet alles freundlichen Zuredens in seiner schriftstellerischen Un-
thätigkeit; er geräth aber vregen seiner bürgerlichen Lage in peinliche Verhältnisse,
da das Schulkollegium die Aufforderung erhalten hat, ihn in der ersten besten
Lehrerstelle zu versorgen, die einen Gehalt von 400 Thlr. abwirft. Er könnte also
leicht in eine Stellung kommen, wo einer seiner früheren Schüler als höher ge-
stellter Lehrer ihm voransteht. Schaub hat mir zwar versprochen, es so lange als
möglich hinzuhallen ; vielleicht daß es ihm inzwischen noch möglich wird, die Stellung
eines Extraordinarius zu erhalten. Rupp ist nicht ohne Glück als Docent und auch
jetzt mit einer kirchenhistorischen Monographie, „Gregor von Nyssa" als Schrift-
steller aufgetreten.
Doch Sie dürften, verehrter Herr und Freund, der Thatsachen selbst vom
Historiker genug haben und ich wende mich daher zum Berichte über die inzwischen
bei mir eingegangenen Gelder, welche Sie noch bis Michaelis zu beziehen hatten.
Es ist leider diesmal sehr wenig, da die Hauptsumme der letzte Rest des Rhodiani
erst im Juni vom Gerichte gezahlt werden soll. Es sind
4 Thlr. 25 gr. 9 Pf. [Gröh?]
6 „ 28 „ 6 „ Fischer
25 „ — „ Gert Jans,
12 Thlr. 18 gr~
welche ich in zwölf Thaler C. Anweisungen beilege, das kleine Geld habe ich dem
Ueberbringer Borchard überlassen. Die Casse hat mir zugleich kleine Schemata || zu
Quittungen ausgestellt, die ich zu unterschreiben und mir recht bald mit einem aus-
führlichen Briefe zu senden bitte. Es liegt außerdem noch eine Quittung über die
Getreidegelder bei, welche ich bereits vor zwei Monaten gesandt habe, auch diese
bitte ich mir unterschrieben mitzusenden.
Mit der ergebensten Bitte, mich und die Meinigen bei Ihrer hochverehrten
Frau Gemahlin angelegentlichst empfehlen zu wollen, verharrt Verehrter Herr und
Freund Ihr ganz ergebenst verpflichteter Schubert.
960. Strümpell an H. (IV2 S. 4«. N.) Wolfenbüttel d. 1. Juü 1834.
Ihr letzter Brief, verehrtester Herr Hofrath, hat mir eine Freude gemacht,
wie ich sie lange nicht empfunden habe, und stimmte mich dadurch nicht allein zu
einer neuen Danksagung, sondern auch zum Verlangen, meine Arbeit möglichst
bald zu Ende zu bringen.
Ich erlaube mir, Ihnen das M. S. zum ersten Heft druckfertig zu überschicken,
mit der Bitte, dasselbe doch gütigst weiter zu befördern.
Titel und Vorrede fehlen noch. Den erstem überlasse ich ganz der Wahl
des Verlegers, nur daß er ihn nicht gar zu unwissenschaftlich nehmen möchte.
Sobald ich ihn weis, werde ich zur Vorrede nur noch wenige Worte niederschreiben,
die sich zugleich auf die Reihenfolge der Hefte beziehen sollen. Der Inhalt muß
noch seitenweise markirt werden.
Nachtrag zu 1834. 267
Ihren Rath, das Alte, soweit es anging, beizubehalten, habe ich befolgt.
Schneidende Schärfe wird man nirgends finden. Das Ganze hat, wie schon der
Inhalt zeigen kann, einen überwiegend didaktischen Charakter. Nur das letzte
Kapitel ist eigentlich, auch nur gelind, polemisch: wer aber das Vorangehende ge-
lesen hat, wird es nicht niisdeuten können.
Nun hätte ich über das Äußere des Drucks, abgesehen von dem "Wunsche daß
er selbst möglichst bald möchte angefangen werden, noch manches Andre zu erinnern:
doch wußte ich noch nicht, an wen ich mich deshalb zu wenden habe, und ich
möchte Sie hierüber um eine gelegentliche Nachricht ersuchen. So z. B. würde ich
gern sehn, daß das Format groß oktav sei, die Lettern etwas zusammengedrängt
(mindestens 40—44 Zeilen auf der Seite) und wenn der Herr Verleger mir zu Ge-
fallen sein wollte, würde er auch lateinische Lettern nehmen. Und noch manches
Andre, sowie ich auch nicht weis, wie es mit der Korrektur wird.
Zugleich möchte ich mir noch eine Frage erlauben: würden Sie es für werth
halten, daß ich mich bemühte, durch diesen Verleger zugleich noch meine Disser-
tation in den Buchhandel zu bringen? und würde derselbe sich wohl dazu verstehn,
sie in Kommission zu nehmen? Sie hat mich viel Geld gekostet, und ich möchte
gern wenn auch nur Etwas davon wieder haben. Sollte es geschehen, alsdann würde
ich S. 9 wieder die Anmerkung hinzufügen, die ich deshalb, weil ich über diese
Sache noch nicht gewiß war, so lange ausgestrichen habe.
Endlich bin ich so frei, in diesem Briefe zugleich noch eine andere Sache zu
erwähnen, welche meine Person betrifft. Es ist nämlich vielleicht möglich, daß
sieb meinetwegen in dieser Zeit an Sie eine Frau von Grothe(?)^) wendet. Ich hatte
einen Freund in Braunschweig um seine Verwendung wegen einer Hofmeisterstelle
gebeten: dieser schreibt an jene Dame und erwähnt (aber ohne mein Wissen), daß
man von Ihnen würde über mich näheres Zeugniß bekommen können ; die Dame
schreibt zurück, und macht die Hoffnung, daß sie in dieser Angelegenheit meinem
Wunsche nicht unwahrscheinlich würde genügen können. Sollte dies nun der FaU
sein, und sollte man sich an Sie wenden, so möchte ich Sie nun wohl bitten, des-
halb nicht ungünstig für mich zu stimmen, da an der Erreichung dieses Wunsches
mir mehr als je gelegen ist. —
Von Professor Drobisch habe ich kürzlich einen Brief erhalten. Ich hatte
auch ihm in der zuletzt genannten Angelegenheit geschrieben. Er klärt mich über
den Grund seines Nichtantwortens auf meinen ersten Brief an ihn auf, und sein
Ton ist so freundlich, wie ich es erwarten konnte; er hat mir gleichfalls seine Be-
mühung versprochen, meinen Wunsch zu befriedigen. —
Ich schließe mit der Bitte, daß Sie mich bald mit einer gütigen Antwort er-
freuen möchten, und mit der Versicherung meiner unveränderlichen Hochachtung
und Ergebenheit. Strümpell.
P. S. Verzeihen Sie mein flüchtiges und undeutliches Schreiben: ich wollte
nicht gern noch einen Posttag vorüber lassen.
961. Keber (?) an H, (3 S. 4«. N.) [Bittschrift.] Bromberg 26. JuU 1834
962. L. Strümpell an H. (IV4 S. 4". N.) Braunschweig d. 14. Aug. 1834.
Ich nehme mir die Freiheit, verehrtester Herr Hofrath, Ihnen ein Buch vor-
zulegen, mit der Bitte, demselben, wenn es Ihre Zeit erlaubt, einige Aufmerksam-
keit zu schenken. Meine Gründe dazu sind folgende:
') Das Fragezeichen steht im Original.
208 Nachtrag zu 1834.
Der Verfasser, ein noch jüngerer Mann und bis jetzt Lehrer in Oldenburg,
ist einer Seits von der Schelling sehen sowie von der Hegel sehen Naturansicht
durchaus entfernt, zeigt aber anderer Seits in einer Reihe eigener Reflexionen aufs
deutlichste, daß er sich mit dem gewöhnlichen Empirismus ebensowenig begnügen
kann: er hat, mit Einem "Wort, philosophische Bedürfnisse.
Aus vielen Stellen glaubte ich auf einen solchen Zustand in ihm schließen zu
dürfen, daß es meistens schon durch eine geringe Anstrengung dahin gebracht
werden könnte, sein Denken völlig auf unsere Bahn zu führen. Er ist sich allein
überlassen gewesen: daher noch das Unentschiedne und Ungewisse, womit er viele
der vortrefflichsten Überlegungen abbricht, und andrerseits noch in falschen Be-
griffen stecken bleibt. Dies aber grade ist es, was günstig könnte benutzt werden.
Diese Yorzüglichkeit aber ist es nicht allein, welche mich zu dem Wunsche
gebracht hat, daß Sie insbesondre dies Buch einer näheren Ansicht würdigen
möchten: auch die Persönlichkeit des Verfassers und seine wahrscheinliche künftige
Stellung hier in Braunschweig trägt dazu bei. Sie würden überall die entschiedenste,
offenste und vorsichtigste "Wahrheitsliebe finden, die sich sehr gern belehren läßt.
'W&s ich aber mit seiner künftigen Stellung meinte, bei-uht darauf, daß er höchst
wahrscheinlich als Direktor einer neuen Anstalt wird hierher berufen werden; das
Gerücht ist wenigstens allgemein für ihn. Diese Anstalt wird aus dem hiesigen
CoUegium herausgebildet, und soll insbesondre mit den Naturwissenschaften und der
Mathematik zu thun haben. Sie werden mir darin gewiß beistimmen, daß diese
Sache für die Folge unter gewissen Bedingungen wichtig werden könnte.
Bis jetzt ist mir noch keine Recension des Buchs zu Gesichte gekommen:
würden Sie Sich nicht zu einer solchen entschließen? Es würde mich freuen, wenn
Sie mein Urtheil als wahr finden sollten, noch mehr aber, wenn dadurch Vortheil-
haftes bewirkt würde. — Die Vorrede sowie die Einleitung möchte ich bitten an-
fangs ganz zu überschlagen, wenn Sie das Buch näher ansehn sollten. —
In der angenehmen Erwartung, daß Sie mich bald mit einer Antwort erfreuen,
grüße ich aufs Herzlichste!
Mit unveränderlicher Ergebenheit Ihr Strümpell.
963. Dissen an H. (1 S. 4». kl. F. N.)
Da auf jeden Fall ein Versuch gemacht werden muß dem Doctor StümpeP)
zu helfen, so habe ich, verehrtester Gönner, gestern an Jacob Grimm geschrieben,
nur gleichsam anfragend, wie es wohl zu machen sejTi düiite, daß der Minister
Hassenpflug auf den Doctor Stümpel aufmerksam würde. An eine Vocation als
Professor ist sofort noch nicht zu denken, ich habe daher die Sache nur erst so
gestellt, daß ihm eine Unterstützung möchte gegeben werden um zuerst als Privat-
docent auftreten zu können. Grimm schreibt mir heute, er wolle es unternehmen
an den Minister zu schreiben, in diesem Sinne; es sei vor der Hand nur ein catho-
Uscher Professor Senger mit der Philosophie beauftragt, und das gehe doch nicht.
Nun wollen wir also sehen. D.
964. L. Strümpell an H. (1 S. 4". N.) Braunschweig d. 10. Sept. 1834.-
Ich erlaube mir, verehrtester Herr Hofrath, Ihren letzten Brief sogleich zu
beantworten, und zwar zuerst dadurch, daß ich Ihnen für den mir darin gütigst
mitgetheilten Rath danke. An der Ausführbarkeit desselben zweifle ich nicht,,
dennoch aber kann ich mich nicht darauf einlassen, aus dem Grunde, weil dadurch
^) statt ,, Strümpell''.
Nachtrag zu 1834. 269
Doch nichts Andres gewonnen und die Hauptsache, die Möglichkeit nämlich, mich
für etwas Höheres und Nützlicheres vorzubereiten, immerhin noch verfehlt wäre.
Das Dilemma, wenigstens entweder zu bleiben, wo mein Denken jetzt steht, oder
in einen Zustand zu kommen, von wo man sich einer academischen Thätigkeit nähern
oder wenigstens sonstwie forträcken tonnte, wäre dadurch nicht gelöst. Das Erste
würde ich mit Anstrengung auch hier, das Zweite wahrscheinlich in Leipzig, das
Dritte vielleicht, wenn ich es mit Bedacht anfinge, in Rußland können.
Es bedarf gewiß der Versicherung nicht, daß nach Rußland zu gehen, das
letzte seyn wird, da mir das Üble dieser Sache vollkommen einleuchtet; dennoch
aber sehe ich bis jetzt noch nicht ein, wie ich dieses letzte vermeiden soll. Für
den Augenblick suche ich es noch möglich zu machen, den Gedanken mit Leipzig
auszuführen, und wenn mir dies gelingen sollte, so würde ich, wie mir scheint, das
Heilsamste gethan haben. Alles würde bleiben, wie es jetzt ist, die Hauptrichtung
meines Denkens und meiner Erstrebungen, die mir liebste, wäre noch dieselbe, ja
ich hätte die Mittel, sie zu vervollkommnen, dadurch, daß ich mit Männern von
Geist und Kenntnissen zusamenkänie, daß mir die Bücher jeder nöthigen Art zu
Gebote ständen, daß ich in der philosophischen Welt jeder Zeit einheimisch bliebe,
daß ich endlich mit vollkommen sicherem Selbstvertrauen, wenn das Glück mir wohl-
wollte, den Beruf eines öffentlichen Lehrers erfüllen könnte.
Unter dieser Unbestimmtheit und stets kann ich mich nur bemühen, nach
meiner möglichen Einsicht und möglichst gut zu handeln. Indem ich um die Er-
haltung Ihres mir so werthen Wohlwollens bitte, empfehle ich mich mit dem herz-
lichsten Gruße als • Ihr Strümpell.
965. Hendewerk an H. (3 S. 40. N.) Königsberg, den 14ten Sptbr. 34.
Mit einer Schrift gegen Herrn Prof. Rosenkranz und 0. F. Gruppe beschäftigt,
wende ich mich an Sie, hochgeehrter Herr Professor, mit der ergebenen Anfrage, ob
Sie mich wohl in der Veröffentlichung derselben unterstützen mögten, da ich hier
doch wohl keinen Verleger finden werde?
Es wird Ihnen wohl schon die Dissertation unseres Hegelianers über die
Integrität der Natur bekannt sein. Ich opponirte ihm bei seiner Disputation darüber
mit allem nur möglichem Nachdruck, indem ich ihm und allen Anwesenden die
gröbsten "NViderspi-üche bemerklich machte. Indessen der Decan entzog mir bald
das Wort und da Herr Rosenkranz meine gewünschte Fortsetzung der Disputation
privatim abzumachen nicht geneigt war, so blieb mir nichts übrig, als gegen ihn zu
schreiben. Hiemit kaum beschäftigt, fällt mir die neueste Schrift des Herrn Gruppe
in die Hände, der bekanntlich gegen alles, was bis dato Philosophie geheißen, los-
zieht und daher auch zwischen Ihnen und Hegel nicht den geringsten Unterschied
macht. Bei der Durchlesung dieses Buches wurde mir nun recht klar, || wie innig
das Christenthum mit der alten Logik verbunden ist, sodaß jede Verwerfung dieser
auch eine Lossagiing von jenem nothwendig zur Folge hat. Dieses Verhältniß
zwischen beiden in seinen einzelnen Beziehungen zu einander ausführlich darzu-
stellen, verbunden mit einer Nachweisung, wie jede Sünde gegen die Logik auch
eine Sünde wider das Christenthxmi zur Folge hat und dieses am grellsten bei Hegel
und seinen Schülern sich zeigt, wäre in der That eine interessante Aufgabe. Ein
kleines Vorspiel hievon soll nun meine jetzige Schrift sein, die unter dem Titel:
„Die Logik, die Natur und das Chiistenthum gerechtfertigt gegen Herrn Prof.
Rosenkranz und 0. F. Gruppe"' erscheinen zu lassen von mir beabsichtigt wurde.
Sollten Sie sich dafür interessiren und vielleicht einen Verleger gewinnen können,
so würde ich sie Ihnen mit dem größten Vergnügen zuschicken und Sie zugleich
2 70 Nachtr^ zu 1834.
bitten, zu ändern und hinzuzufügen, was Ihnen noch passend 1| erscheint. Könnte
ich ein kleines Honorar für meine Arbeit erhalten, so wäre es mir sehr lieb, da
meine Lage hier etwas kümmerlich ist; geht es indessen nicht an, so ergebe ich
mich auch schon gern darein.
Mit Herrn Dr. Freystadt bin ich auch hart zusammen gerathen, wie Sie
solches aus meinen beiden Aufsätzen in dem diesjährigen August- und Oktober-
Heft der [preuß.] Provinzial - Blätter ersehen können. Es wäre mir sehr lieb, Ihre
Meinung darüber zu vernehmen, obschon ich nicht fürchten darf, an Achtung und
Wohlwollen bei Ihnen verloren zu haben, da ich weiß, wie hoch Sie die christliche
"Wahrheit achten, sodaß ich mich mit voller Aufrichtigkeit unterzeichnen kann als
Ihr Sie innigliebender und hochverehrender Hendewerk.
966. Hendewerk an H. (3 S. 4». N.) Königsberg, den 29.st. Octbr. 34
Die Absicht, innigstverehrter Herr Professor! mit meinem zweiten Briefe an Sie
die Arbeit gleich mitzuschicken, hat meine Antwort auf Ihren ersten mir sehr werthen
Brief bis jetzt zuiiick gehalten, doch Ihr zweites Schreiben läßt mich nicht länger
schweigen, obschon ich meine Absicht noch nicht ausführen kann. Zunächst sage
ich Ihnen meinen innigsten Dank für das Interesse sowohl und die Theilnahme, die
Sie meinen Bemühungen schenken, als auch für die Eathschläge, durch die Sie jene
zu unterstützen suchen, und die ich als meiner vollsten Beachtung werth anerkenne.
Aber es geht mit meinen Arbeiten etwas langsam und ich fürchte, ich werde Ihnen
zu saumselig und zu träge erscheinen. Nun muß ich gestehen, daß ich die günstige
Gelegenheit, die sich mir durch Ihre große Güte dai'bietet, nicht gerne voiiiber
gehen lassen mögte, aber ich mögte mich auch nicht gerne bei meiner Arbeit über-
eilen, da ich ihr doch gerne mehr als einen blos ephemeren Werth verschaffen mögte
und meine Zeit durch das Stundengeben so in Anspruch genommen wird, daß mir
nur wenige Stunden zur productiven Thätigkeit, wenn ich sie so nennen darf, übrig
bleibt [!]. Indessen will ich schon gerne einen Theil der Nächte zu Hülfe nehmen,
wenn die Eile so noth thut. Wenigstens habe ich so einiges verstanden. || Was
meine Arbeit außerdem so sehr verzögert hat ist der Umstand, daß sie mir, als ich
meinen Brief an Sie absendete, in der ganzen Anlage mißfiel, sodaß ich sie um der
Form willen verwarf und wieder von vorne begann. Sie zerfällt jetzt in drei Theile,
von denen der erste über die Logik, der zweite über die Natur und der dritte über
das Christenthum handelt, und es ist mein Streben dabei gewesen, sie so reichhaltig
als möglich zu machen; denn es gelingt mir vielleicht, Ihren Beifall zu gewinnen,
und auf lir Urtheil lege ich einen sehr großen Werth. Sollte die Arbeit auch
Herrn Prof. Gieseler zusagen, so würde dieses meine Freude erhöhen. Indessen
jetzt kann ich darauf noch nicht achten, sondern arbeite nach bestem Wissen und
Vermögen. Das Schwerste habe ich, wie ich glaube, bereits hinter mir, indessen
die gänzliche Beendigung des dritten Theils und das Abschreiben des Ganzen, sowie
das Aufschlagen mehrerer Bücher wird wohl noch einen Monat erfordern, sodaß Sie
jedenfalls zum Anfange des December meine Arbeit fertig erhalten werden. Zehn
Bogen stark wird sie schwerlich werden, indessen behalte ich es mir vor, bei einer
zweiten Bearbeitung derselben mich nicht blos mit Herrn Prof. Eosenkranz imd
Herrn Gruppe abzugebeni sondern mich gegen überspannte Speculation und miß-
verstandene Empirie überhaupt zu richten. ||
An Herrn Prof. Gieseler werde ich schreiben, wenn ich meine Arbeit schicke,
wenn ich Sie aber darum bitten darf, so bezeugen Sie schon jetzt dem wohlgesinnten
Manne meinen aufrichtigen Dank; und wenn er etwas im Ausdrucke zu bessern
finden sollte, so kann ich solches nur mit Dank annehmen. Sie aber, Herr Professor,
Nachtrag zu 1835. 27 I
würde ich bitten, an der Arbeit soviel zu streichen, oder hinzuzufügen, als Ihnen
angemessen erscheint.
Was Hr. Dr. Taute macht, weiß ich nicht zu sagen, da ich mit demselben
weiter in keiner Verbindung stehe und ihm nur auf Spaziergängen bisweilen begegne,
doch will ich ihn besuchen, um Ihnen soviel ich erfahren kann, mitzutheilen. Womit
der Mann sich beschäftigt und was er anstrebt, ist mir ein ßäthsel. Ob Sie und
Ihre theure Gemahlin vergessen sind, weiß ich nicht, glaube es aber nicht, wenigstens
kenne ich Jemanden, der Sie nie nie vergessen wird da ihn zuviel an Sie erinnert.
Bleiben Sie nur demselben wohl geneigt, es bittet Sie darum
Ihr Ihnen sehr ergebener Hendewerk.
967. 30. Jan. [35] meldet Carl Eeichhelm den am 25. Jan. erfolgten Tod seines
Vaters. Der Brief (3 S. 4°) befindet sich im N.
968. Taute an H. (3 S. 4». N.) Königsberg, den Isten Febr. 35.
Hochverehrtester Herr Hofrath, Frau Justizräthin Hahn ist ganz Nachbarinn
von mir, gleich die erste Thür; darum bin ich im Stande, obgleich ich Ihren gütigen
Brief nur eben vor Einer Stunde erhalten, die gestellten Anfragen sofort zu be-
antworten. Hr. Dr. Thomas ist Ursache der Ungewißheiten und Besorgnisse, in
welche die Frau Hofräthin versetzt worden; die Briefe nach Göttingen sind von
den hiesigen Damen bereits vor drei Wochen geschrieben und an H. Th. zur Ver-
sendung übergeben. Aber Th. hat seine Dissertation^) drucken lassen, schickt davon
Exemplare an Sie, und so mag er mit der Expedition nicht schnell fertig geworden
sein, oder die Sachen gehen vielleicht gar durch ßuchhändlergelegenheit, — daher
die Verzögerung.
Daß Frau Justizräthin Hahn ihren Sohn verloren, lange schon vor Weih-
nachten, ist Ihnen ohne Zweifel gemeldet. Fräulein Hahn hat darauf, oder ziemHch
gleichzeitig, die Masern gehabt, hat nur langsam, sich erholen können, und darf auch
jetzt noch dem üblen Wetter, wie's diesen Winter bei uns herrschend ist, nicht
trotzen. Gleichwol ist das Fräulein ziemlich wiederhergestellt, und scheinbar ganz
munter; eben sprach ich selbst mit dem Fräulein. Die übrigen Frauen aus dem
Umgange der Frau Hofräthin sind sämmtlich wohl auf; im Namen aller habe ich von
der Frau Justiziäthin Giüße und Empfehlungen zu bestellen. — Mittheilungen aus
den Briefen der Frau Hofräthin habe ich vor einiger Zeit H und neuerdings wieder
erhalten. Den größten und gehorsamsten Dank dafür! Jene Briefe sind die er-
freuliche Quelle, aus der wii Königsberger Beruhigung über Ihi- beiderseitiges Be-
finden geschöpft. Durch die Sendung des H. Th. wird die Güte der Frau Hof-
räthin reichlich vergolten werden!
Neuigkeiten gibts hier vor der Hand nicht. Der akademische Senat weiß noch
immer nicht, wo Er sein Universitätsgebäude anbringen soll: Die Stadt scheint zu
groß, um zum Entschluß zu kommen, oder vielleicht auch zu klein ; denn, ich glaube,
es fehlte wenig daran, so hätte man es bis über den sogenannten Butterberg hinaus
placirt. Gegenwärtig ist man für die Königsstraße gestimmt, Kalthöfsche Straßen-
ecke, so daß das Czudnochowskische Gebäude mit dazu gezogen wird. Doch will
ich nicht bürgen, daß es dabei verbleibt. — Hr. Prof. E[o]s[enkran]z hat uns am
18ten Jan. wieder eine höchst wunderliche Vorlesung in der Deutschen Gesellschaft
gehalten, über die Verdienste der Deutschen tmi die Philosophie der Geschichte;
Dietze's berufenes Buch galt als Pröbchen einer solchen Philosophie ! Bs. R. scheint
sich in der Meinung der Gelehrten vollkommen ruiniren zu wollen!
^) Spinozae systema philosophicum delineavit.
272 Nachtrag zu 1835.
Ihre gütigeü Mittheilungen, Herr Hofrath, sind für mich von größtem Inter-
esse. Wäre es mir doch vergönnt gewesen, Ihre ästhetischen Vorlesungen mit an-
zuhören! Wenigstens sehe ich, was zu thun sei! — Daß Prof. Drobisch Psychologie
liest, sogar in derselben Stunde, wo ich diese Vorlesung halte, an den 4 Haupttagen
von 11 — 12, wußten mir meine eignen Zuhörer zu erzählen. Meine Psychologen
sind gereifte junge Männer, die mit größter Aufmerksamkeit dem Vortrage folgen,
von den Rechnungen habe ich mehr geben || müssen, als das Compendium enthält.
Außerdem lese ich Logik 4 St. und Pädagogik 2 St., und bin im Ganzen mit dem Fleiß
zufrieden.
Empfehlungen von Ihren hiesigen Verehrern kann ich heute nicht anbringen,
weil ich schleunig schreibe; aber schon freue ich mich auf den Empfang, der den
neuen Nachrichten von Ihnen zu Theil werden wird.
Indem ich denn von der gütigen Erlaubniß, mit flüchtigen Zeilen nahen zu
dürfen, Gebrauch gemacht, empfehle ich mich, wie immer, der Frau Hofräthin und
Ihrer eigenen Gewogenheit. Ihr treuergebenster Taute.
969. An Taute, (i S. 4". N.) [Ohne Datum]
Nur ein flüchtiges Lebenszeichen, mein theurer Freund! kann ich
Ihnen heute, gleich nach Empfang Ihres lieben Briefes, geben, ich muß
es noch mit einer Bitte beschweren.
Umstehend finden Sie ein Attest, welches die Frau Oberlehrer Stiemer
sehr nötig haben wird, um das Erziehungsgeld für den Otto zu heben.
Belieben Sie ihr dabey zu sagen, Sie möge es 7iicht hieher senden; meine
Frau verlangt es nicht für sich, aber sie hat bestimmt, daß es in die
Hände der Frau Justizräthin Hahn abgegeben werde; welcher letztern, so
wie der Frau Oberlehrer Stiemer wir uns bestens empfehlen.
Otto nimmt zu. Er hat rothe Backen, und plaudert viel, freylich in
einer Sprache ohne Flexion, aber die Wortstärome weiß er doch anzu-
bringen. Mit dem Lesen quält sich meine Frau täglich; irgend einmal
wird er soweit kommen. Seine Phantasie ist die eines fünfjährigen Kindes.
Meine Gesundheit stärkt sich allmählig. Meine Vorlesungen gehn
diese Woche zu Ende. Die Psychologie hat sich von allen am Besten
gehalten. Die Einleitung verhältnißmäßig am schlechtesten; doch waren
vor ein paar Wochen noch 60 — 80 Zuhörer beysamen, und im Ganzen
bin ich nicht unzufrieden.
"Nur immer mehr Königsberger Nachrichten, mein theurer Freund!
Alles ist willkommen. Nächstens denke ich Griepenkerl und später Drobisch
auf ein 24 Stunden zu sehen. Dann gehts zu den Verwandten meiner
Frau am Rhein.
[Am Rande:] Herrn Unzer viele Empfehlungen; vielen Dank für die
Frey exemplare ; aber ich wünsche er möge es so einrichten, daß er Ihnen
eins verschaffe; ich möchte daß Sie die Veränderungen ansehen, ohne sich
in Kosten zu setzen. Viele Empfehlungen an Lobek, Schubert, Gregor,
Sauter, Hendewerk, Voigt — an wen nicht? Wo man einen Gruß von
mir annehmen und mich in gutem Andenken behalten will.
970. K. Thomas an H. (2 S. 4". N.) Königsberg den 14ten April 1835.
Hochverehrter Herr Hofratii! Sehr betrübt hat es mich, der nicht ganz schuld-
lose Grund einer Beunruhigung Ihres ganzen von mir so sehr geachteteu Hauses
Nachtrag zu 1835. 27^
gewesen zu sein, und ich fürchte, Sie werden die Vorwürfe, die ich mir deswegen
gemacht habe, nicht für die alieinige Bestrafung meines langen Zögerns gelten
lassen. Doch hoffe ich noch nicht ganz das "Wohlwollen Ihrer Frau Gemahlin und
das Ihrige verscherzt zu haben, und diese Hoffnung möge die Freiheit entschuldigen,
die ich mir nehme, Ihnen wiederum zu schreiben. Durch eine Undelikatesse eines
Freundes wurde ich vor einigen Monaten verleitet meine baldige Abreise nach Peters-
burg lange Zeit für gewiß zu halten. Es wurde mir nemlich unter vortheilhaften
Bedingungen eine Hauslehrerstelle daselbst angeboten, die ich annahm. Mit der
Nachricht hiervon wurde aber gleichzeitig der Entschluß eines andern, jene Stelle
unter weniger vortheilhaften Bedingungen anzunehmen, dorthin gemeldet, und ich
hiervon erst unterrichtet, als ich nach langem Warten es nöthig achtete, mich
nach der Antwort aus Petersburg zu erkundigen. Ich hatte keine Lust noch weniger
zu bieten, und ließ die Sache sich also zerschlagen. Ich leugne nicht, daß ich sehr-
gerne dorthin gegangen wäre. Jetzt habe ich mich zum Eeferendariatsexamen bei
der Regierung gemeldet, und werde zum Behufe desselben einige Monate auf das
Land gehen. Lieber wäre mir es freiUch, wenn meine Verhältnisse mir erlaubten
noch mehrere Jahre ganz unabhängig den Studien zu leben, doch bin ich leider
gezwungen einer anderen Nothwendigkeit nachzugeben, und den praktischen Staats-
dienst meinen Neigungen angemessener gefunden [!] als das Verhältnis eines Schul-
lehrers, bei welchem wahrscheinlich ich und die Schüler bei weitem mehr Un-
annehmlichkeit als Nutzen haben würden. Jedoch gebe ich die Absicht, einmal
als akademischer Lehrer auftreten zu können, keineswegs auf, und betrachte das
Arbeiten bei der Eegierung in dem Verhältniß zur praktischen Philosophie, in
welchem das Studium der Naturwissenschaften zur Naturphilosophie sich befindet.
Ob sich mir darin die Mittel darbieten werden, muß ich freilich von der Zukunft
erwarten. Was nun andere Verhältnisse anbetrifft, so wünschte ich Ihnen schreiben
zu können, daß Königsberg mir besser gefällt, als ich es erwartet habe. Der
Göttinger Kuhreigen wäre im Stande Gefühle -der Sehnsucht in mir zu erwecken,
und ich glaube beinahe jeder wird durch eine Reise nach Königsberg von dem
Göttinger Mißbehagen geheilt werden können. Jetzt kommt mir Göttingen lange
nicht mehr so übel vor, als damals, und ich wünschte nur, ich könnte auch
in Rücksicht auf Königsberg von dieser Krankheit des Mißbehagens geheilt
werden, da die Wahrscheinlichkeit eines langen Aufenthaltes daselbst nur zu
gewiß ist.
In Königsberg selbst ist alles beim Alten. Rosenkranz hat in seiner Aesthetik||
eine große Zuhörerzahl gehabt, und viele mit einem Enthusiasmus beseelt, der eine
bewunderungswürdige Standhaftigkeit erregte. Hat er sie in Art seiner Geschichte
der Poesie gehalten, von der er es selbst sag-t, daß sie die Ansprüche der Hegel-
schen Schule am wenigsten befriedigen werde, so ist der ihm gespendete Beifall
nicht ganz grundlos. Als ich ihn neulich sprach, meinte er, Bobrik hätte in seinen
Vorlesungen über Aesthetik die ganxe Aesthetik geliefert, und eine gute Metajjhysik
der Ästhetik aufgestellt. — Ohlert ist in seiner Religionsphilosophie mit dem Be-
kenntniß aufgetreten, daß Christenthum Pantheismus sei, die Pfarre aber, die er
erhalten, ist von einem bedeutenden Brande beschädigt, der Heiligenbeil in die Reihe
der Dörfer setzen wird. So wird ihm ja Zeit bleiben, noch öfter seinen Ideal-
Realismus in eignen Büchern zu citiren, da noch kein anderes ihn einer solchen
Benutzung werth gehalten. Die besten Genüsse, die mir in Königsberg zu Theil
geworden, habe ich dem Lesen Ihrer Schriften zu danken. Soweit ich es wage,
mich mit denselben zu beschäftigen, denn die mathematische Psychologie muß leider
Hbrbarts Werke. XIX. 18
2 74 Nachtrag zu 1835.
aus dem Kreise meiner Bemühungen entfernt bleiben, wünschte ich gern ganz in
ihr Verstäadniß eindringen zu können, so muß ich doch gestehen, daß ich bei dem-
jenigen Punkte der Synecholugie mich aufgehalten finde, der zur Construction des
intelligibelen Raumes den untheil baren Punkt als Bild des realen Wesens voraus-
setzt. Ich verzweifle daran, durch eigne Anstrengung über diesen Punkt hinaus
zu kommen, und möchte gern fremde Hilfe in Anspruch nehmen.
Gerne würde ich Ihnen aus Königsberg Nachrichten von Ihren Freunden und
Bekannten mittheilen, zwängen mich nicht die mangelnden Berührungspunkte mit
denselben ihnen die Erfüllung dieser Pflicht selbst zu überlassen. Das wissen-
schaftliche Leben ist hier noch das regste, und läßt nicht unbedeutende Resultate
erwarten. Neumann droht durch die Entdeckung, daß das Kochsalz zur Wärme
sich ebenso verhalte, wie das Glas zum Lichte, die üblichen Theorien von der
Wärme umzustoßen , und Jakobis elektro-magnetische Maschine eine ähnliche Re-
volution im Maschinenwesen vorzubereiten. Außerdem ist ein physikalisches Seminar
in der Entstehung begriffen, die Erbauung des üniversitätsgebäudes durch Zurück-
weisung des dazu bestimmten Platzes in eine unbestimmte Zeit verschoben. Sämann
wird zu Pfingsten das zweit-erste Ostpreußische Musikfest geben, da Riel ihm mit
dem ersten zuvorgekommen. Man hofft, der Kronprinz werde es mit seiner Gegen-
wart beehren.
Ich schließe diese Zeilen mit der nochmaligen Bitte, mir nicht zu
zürnen und verbleibe mit der innigsten Hochachtung
Ihr ergebenster Karl Thomas, Dr.
971. An Taute. (3 S. 4». N.) Göttingen 20 Aug 35
Nichts Angenehmeres kann ich vornehmen, mein theurer Freund!
als Ihnen Nachricht geben von der Art, wie Drobisch sich, einstimmig
mit Ihnen, über die bekannte Recension — die ich zwar nur aus Be-
richten Anderer kenne, — geäußert hat. Er findet darin Ehrlichkeit, und
mehr Studium meiner Schriften, als man von jener Parthey erwarten sollte;
aber auch die gewöhnliche Verblendung deren, welche die Vergleichung
der Qualitäten realer Wesen, die nur im Denken geschieht, für Be-
stimmung des Realen selbst nimmt. Übrigens betrachtet er die Recension,
in Ansehung ihrer wahrscheinlichen Wirkung, als durchaus vortheilhaft;
und als ermuthigend für meine Freunde. Möge dies auch bey Ihnen die
Wirkung seyn! So kann ich ruhig seyn wegen der Besorgniß, daß Sie
mehr als Ihren Verhältnissen zuträglich wäre, für mich hervorgetreten
seyen. Dabey vergesse ich nicht, daß Sie wirklich hervortraten zu einer
Zeit, wo es mislich genug aussah! — Aber wem möchte man nun diese
Ermuthigung lieber gönnen, als Strümpelln! Und wie hat er sich sein
Verhältniß verdorben! Drobisch geht leicht darüber weg; er bemerkt,
auch bei Hartenstein scheine Str. kein Gehör gefunden zu haben. —
Sein opus habe" ich theilweise wieder angesehn; es liegt noch bey mir, weil
ich seine Adresse nicht weiß; schickt er diese nicht selbst, wie ich be-
gehrt habe, so muß ich Sie darum bitten, da ich mögliche Irrungen der
Post nicht veranlassen will. Auch hatte ich mir vorbehalten, nochmals
die Sache in Betracht zu ziehen; aber leider, der erste Blick zeigt mir
eine solche Schwäche, daß ich nur die Meinung fassen kann, Strümpell
würde diesen Aufsatz, falls ihn irgend ein Anderer geschrieben hätte,
Nachtrag zu 1835. 275
[selbst] leicht zu widerlegen wissen. Ein schlimmer Umstand ist der
überflüssige Wortreichthum. Gesetzt einmal, es wünsche Jemand wirklich
mein Gutachten: so muß nicht ein Langes und Breites, sondern etwa ein
Quartblatt ohne Vornehmthuerey an mich gesendet, und || dann erwartet
werden, ob ich unmittelbar antworte, oder mich fragend näher erkundige,
wie mau dies und jenes verstanden wissen oder beweisen wolle. Bequemte
sich Strümpell noch jetzt zu solcher Mittheilung: so würde ich ihm ant-
worten; wiewohl ich der Meinung bin. das minimum von Nachdenken,
was gegen seine sogenannten Beweise nöthig ist, könnte man füglich von
ihm erwarten. Wie die Sache mir jetzt vorliegt, kann ich nur seine Ver-
kehrtheit und seine Schwäche gleich groß schätzen. — Wem? Röer, wie
ich vermuthe, von der Sache schon durch St[rümpell]n selbst unterrichtet
ist, so brauchen Sie ihm von dem was ich hier geschrieben habe, kein
Geheimniß zu machen. Übrigens wird Röer wohl von selbst wissen, daß
man den Begriff" des Ich als ein selbständiges Problem behandeln muß,
welches die Unterscheidung zwischen Vorgestelltem und Vorstellendem
nicht erst aus der Ontologie entlehnt, sondern üi dieselbe als nähere
Bestimmung der dortigen Begriffe einzuführen gebietet; ferner, daß lediglich
da, wo unmittelbar der Begriff des Seyn paßt, von Selbsterhaltung die
Rede seyn kann; hingegen unter entgegengesetzten Zuständen des nämlichen
Realen nothwendig eine Störung des wirklichen Geschehens eintreten muß.
die gar nicht abgelehnt werden kann, sondern wobey bloß die Frage offen
bleibt, ob man den Begriff dieser Störung aus rein ontologischen Gründen
näher zu bestimmen unternehmen dürfe, oder sich begnügen müsse, dem
genus: StöTiwg hier für den Fall des Ich die species: Verdunkelimg, und
zwar aus bekannten Gründen parliale Verdunkelung, zu subsumiren. Hätte
sich Strümpell das Wenige, was ich hier hingeschrieben, selbst gesagt: so
hätte er nun einen Versuch, die rein ontologische Betrachtung weiter zu
führen, daran knüpfen können; und dann möchte sich wohl gefunden
haben, daß die ontologische und die psychologische Betrachtung so genau
als man wünschen mag zusammentreffen. Statt dessen hat er |[ nicht bloß
die ersten Fundamente der Psychologie umzustürzen gesucht, sondern auch
die Metaphysik dergestalt auf die Seite des reinen Seyn hinübergeneigt,
als ob er die Vermengung des reinen Seyn und des wirklichen Geschehens
dadurch erneuern wollte, daß er das wirkliche Geschehen wie reines
Seyn behandelt, während die Zeitphilosophie das Seyn wie ein Ge-
schehen behandelt. Nun frage ich Sie: was soll ich von einem ehe-
maligen Zuhörer denken, der mit solchen Dingen quasi re bene gesta vor
mir auftritt?
Wenn Röer den Strümpellschen Aufsatz noch nicht gesehen hat: so
können Sie ihm auch vom Vorstehenden nichts mittheilen. Es dient dann
bloß für Sie zur Nachricht. Verfahren Sie nach eignem Ermessen; ich
will nur nicht Strümpelln in den Weg treten, wofern er es noch nicht
selbst nothwendig gemacht hat. Will er noch umkehren: desto besser.
Das aber ist klar, daß, wenn Str. nicht umkehrt, und wenn er irgendwo
Anklang findet oder gefunden hat, die Sache zur Sprache kommen muß.
Denn aus bloß persönlichen Rücksichten verschweigt Niemand seine
276 Nachtag zu 1836.
spekulativen Meinungen, und soll es auch nicht. Gefälligkeiten der Art
will ich nicht; aber wer meine Arbeiten in Verwirrung bringt, der mag
sich vor mir hüten! Was anderes kann nun daheraus kommen, als öffent-
licher, lebhafter Streit? Und dennoch, welche Thorheit für die, welche
mich aus meinen Principien bestreiten, noch ehe diese Principien ein
allgemeines Interesse im Publicum gewonnen haben ?i) Dadurch schwächen
sie den Fußboden, auf dem sie selber stehen! sie schaden mir; aber sich
selbst noch weit mehr. Und das alles, warum? Weil es Strümpelln nicht
beliebt hat, nachzudenken!
Zur Berichtigung einer Stelle in Ihrem Briefe muß ich übrigens
sagen, daß weder Bachmann noch Beneke je meine Zuhörer waren; auch
habe ich nie mit diesen Leuten im Privatverhältnisse gestanden. — Von
Herzen wünsche ich, daß die Nachwirkung Ihrer Brunnenkur Heiterkeit
an die Stelle der Abspannung setzen möge. Der Pyrmonter macht heiter
für ein paar Tage; er überspannt; und hintennach folgt Schwäche, von
der man sich erst wieder erhohlen muß. Indessen haben sich Schlaf
und Appetit bey mir gebessert; und Ihre Briefe, nebst dem von Drobisch,
halfen mir, den Str[ümpelljschen Verdruß zu überstehen. Die merkwürdige
Stelle in den Zeitungen, wonach Gabler in B. wenig Beyfall finden soll,
werden Sie wohl gelesen haben. Jedenfalls ein indiskretes Geschwätz;
worüber wir ja nicht triumphiren wollen. Vielleicht ist Gabler im Nach-
denken begriffen, und vielleicht hat man einen ganzen Hegel gefodert,
während leicht der halbe besser sein kann als der ganze. Möglich wäre
aber auch, daß der Nachdruck, der Hegeln von außen erhob, matt ge-
worden wäre. — Unverändert Ihr H.
972. Dissen an H. (2 S. 4«. kl. F. N.) [Febr. 36?]
Mit der allergrößten Freude erfahre ich, mein theurer verehrter Gönner, daß
Sie wieder oben auf Ihrem Zimmer sind und es nun doch entschieden besser geht.
Tag und Nacht habe ich Sie in Ihrem Unfälle mit innigster Theilnahme begleitet
und lange schon schmerzlich Ihre Gegenwart entbehrt; aber doch bitte ich Sie nun
auch nicht zu rasch vorwärts zu gehn, sich nicht zu schnell hervorzuwagen, und
besonders beunruhigt es mich sehr daß Sie mit einemmahl drei CoUegia lesen wollen.
Die Studenten sind es überall gewohnt daß man in solchen Fällen allmählich wieder
anfängt. Thun Sie es doch auch. Ueberall hat man lebhaften Antheil an Ihrem
Unfall genommen, und es war eine Freude für mich zu hören von vielen, wie so
^) Hier wird bestätigt, was 0. Bd. III der Briefe S. 161 Anm. angegeben ist.
Zur Differenz zwischen Herbart und Strümpell sei noch folgendes bemerkt: Sowohl
in Reins Enc. Handbuch der Päd. (2. Aufl. Art, „Strümpell") als in der 2. Aufl. der
Psychol. Päd. von Strümpell wird von einem Schriftstücke gesprochen, das durch
Kehrbach verloren gegangen sei. Nun hat aber Kehrbach im 8. Bande vorliegender
Ausg. S. 440 f. ein Schriftstück Strümpells mit Herbarts Gegenbemerkungen ver-
öffentlicht. Nach S. Xli dess. Bandes hat Strümpell das Origmal zur Verfügung
gestellt. Es bestand aus einem Quartbriefbogeu, „dessen erste 3 Seiten fast ganz
von Strümpells Text eingenommen werden. Unmittelbar darunter beginnt Herbarts
den übrigen Raum ausfüllende Entgegnung." Es fragt sich nun, ob noch ein anderes
Schriftstück dieser Art vorhanden war, oder ob das eben erwähnte das vermißte
ist. Nach dem, was sonst über die Differenz zwischen den beiden Gelehrten be-
kannt geworden ist, scheint die letztere Annahme die richtige zu sein.
Nachtrag zu 1836. 277
allgemein man sieh für Ihre Gesundheit und glückliche Wirksamkeit interessirt.
Seyn Sie denn recht vorsichtig anfangs, so werden Sie bald in rüstiger Kraft wieder
dastehn. Mit der größten Liebe der Ihrige Dissen.
973. Brief eines Vetters von H. an H. (2 S. 2». N.) Eutin 3 März 1836
974. Ungewitter an H. (4 S. 4°. N.) Scheessel d. 25. April 1836.
,.Fustem tarn durum non invenies quo me a te abigas," sage ich mit Diogenes
in Bezug auf Ihr Stillschweigen. — Neulich hörte ich, verehrtester Herr Hofrath,
daß Sie bedenklich krank gewesen seien, und daß Ihr Kranksej'n große Besorgniß
und Theilnahme in Göttingen erregt habe, was ich nicht ohne Freude hören konnte,
so wie es mir erfreulich war, von Ihrer Genesung zu hören, wiewohl ich im eigent-
lichsten Sinne mir deßhalb keine großen Sorgen habe machen können, weil ich es
mir nicht denken konnte, daß Sie jetzt schon aus diesem Leben .scheiden würden.
Es ist noch zu viel unaufgelöset in Ihrem Wirken. — Diesen Morgen kam || der
Gedanke an Sie zu schreiben in mir auf, als ich Heynens 2ten Salon las, der mich
ergötzt und stärkt. Ich suchte vergebens nach Ihnen. — Was er über Luther,
über Spinoza usw., namentlich über Fichte noch, sagt, hat mir wohlgethan, wenn
gleich manches bizarre dabei zu übersehn ist. Es ist viel schlagendes bei diesem
Manne. Ich freue mich, daß er das alte Christenthum so zusammenschlägt: dem
echten hat er damit nur den falschen Ueberbau genommen. In wie fern er der
echten Philosophie Dienste gethan, vermag ich, -wenigstens jetzt nicht, zu || be-
urtheilen: mir aber hat er, über manches viel Licht gegeben.
Ich lese jetzt Ihre Umrisse zu pädagogischen Vorlesungen und freue mich
über den gesunden Sinn, der mir so oft aus dem frischen Leben heraus darin ent-
gegentritt. — Meinen 13jährigen Knaben, dessen Gesundheit sich verbessert, der
aber meine ganze pädagogische Umsicht und Gewandtheit fortwährend in Anspruch
nimmt, wird es mir nach Ihren Darlegungen sicherer zu behandeln. Sie sind mir
hier näher, als in Ihrer früheren Schrift. Herrlich ist das, was Sie über den Ge-
schichtsvortrag sagen. Vortrefflich das über Erdkunde. — Ich bin noch nicht || zu
Ende mit dem Buche. — Ich habe mir kürzlich die apologetischen undj erleuternden
Schriften, die über Ihre Philosophie herausgekommen sind, verschrieben — mit Aus-
nahme von Griepenkerl, den ich schon kenne, der mir bei großer Feinheit zu wenig
Macht und Gewalt hat, als daß er viel wirken könnte — und werde mit Interesse
vernehmen, was diese Vertheidiger mir darbieten. Wir haben in meiner Nähe, in
Kotenburg, schon eine kleine Schaar von Verehrern. Ihre (meine) Encyclopädie ist
dort mit großer Anerkennung aufgenommen. — Im ganzen höre ich nur zu Un-
befriedigendes von Ihnen. — Sie sind noch immer der unerkannte Prophet. —
Neulich sagt mir jemand: Herbart verfährt zu .sprungweise in seiner Philosophie.
— Ich bin kein Freund von Schriftstellerei ; aber ich mag doch gern bei Vertrauten
mich aussprechen und hören lassen. So lassen Sie es denn gelten, daß ich Ihnen
auch ohne weitere Erwiederung darauf, einen kleinen Aufsatz mittheile, den ich
kürzlich in einem Rotenburger Cirkel, der hier zu Tische war, vorlas, und der An-
klang fand, und über den meine kleine Tochter mir nun interessante Noten gab.
Mit Verehrung Ihr J. G. Ungewitter.
[Am Rande:] Nachdem ich nochmal in Heyne gelesen und mit Lachen und
Wehmuth sein 2tes Buch beendigt, kann ich nicht umhin mit Börne Ihnen zu-
zurufen: Ach! warum schweigest du immer? Laß doch mal etwas von dir hören,
imd schweige nicht länger — wie ein Diplomat!
278 Nachtrag zu 1836.
975. Schubert an H. (2 S. 8». N.) Königsberg d. 27st. Apr. 183ü.
Hochverehrtester Herr College! Wie lange ich auch schon die unverzeihliche
Sünde auf mich geladen habe, Ihren letzten Brief ein ganzes Jahr lang unbeant-
wortet gelassen zu haben, so war doch in der That mein Wille zum Schreiben
ohne Schuld dabei, und nur die mit jedem Jahre mehr bei mir sich häufenden
literarischen und academischen Arbeiten machen das Verschieben der liebsten
Wünsche zur leidigen Gewohnheit. Darum aber bleibt nicht minder die regste
Theilnahme an Ihrem allerseitigen Ergehen bei mir und den Meinigen stets dank-
bar erhalten, und als eine theure Erinnerung wird jedes Ihrer und Ihrer verehrten
Frau Gemahlin Jahresfeste an meinem Tische mit einem kräftigen Lebehoch jährlich
gefeiert. Und solch ein kräftiges Lebehoch dem wahrhaft von mir innig verehrten
und hochgefeierten Manne zu dem nahen 4ten glücklichen Mai! Ist das sechszigste
Jahr ein Stufenjahr, so mag es Ihnen noch ein Paar Zehner in gleicher Fülle der
Kraft zur Beglückung der Ihrigen, zur wahren Förderung der Wissenschaft, zum
Segen der Ihres Unterrichts sich erfreuenden Studirenden reichlichst verheißen!
Wir Königsberger, die wir fünf und zwanzig Jahre des Glücks theilhaftig geworden
sind, Sie als den Unsrigen zu ehren, wollen vor allem, da es nun einmal nicht
anders sein sollte, ohne Eifersucht ein gleiches Glück den Göttingern wünschen.
Bei unserer Universität geht es namentlich in unserer Facultät den stillen
wissenschaftlichen Gang ruhig fort. Außerdem daß mit dem früheren Eifer von den
Studierenden in Philologie und Geschichte gearbeitet wird, bemerkt man jetzt nicht
minder angestrengtes Arbeiten in den mathematischen und Naturwissenschaften, wo
neben dem alten bewährten Meister, jetzt Jacobi, Neumann und Moser auch im
Unterricht besonders durch das neu errichtete mathematisch-physicalisohe Serninarium
sich trefflich bewähren. Moser hat die Aussicht nächstens als zweiter Ordinarius
der Physik ernannt zu werden. In Bezug auf das gegenwärtige philosophische
Studium bei uns wird Taute besser und begründeter Bericht erstatten können, ich
schweige daher ganz- || lieh damber, und bemerke nur, daß es noch ganz ungewiß
ist, ob Rosencranz nach Heidelberg geht, oder hier verbleibt. Von Ihren ehemaligen
Schülern hat Händewerk jetzt sich entschlossen zur theologischen Facultät über-
zugehen, wo er als Lehrer des Hebraeischen sich recht nutzbar machen wird;
Lehmann aus Danzig ist Gymnasial Direktor in Marienwerder geworden; Rupp hat
das Amt des Ellendt an dem Altstädtischen Gymnasium erhalten; Prediger Voigt
wird wahrscheinlich das Friedericianum verlassen und eine Divisionspredigerstelle
annehmen, zu seinem Nachfolger ist der junge Dr. Simsen bestimmt.
-Es freut mich recht sehr, daß sich jetzt eine angemessene Gelegenheit dar-
bietet, Ihr Haus zu einem guten Preise zu verkaufen. Der General-Superintendent
Sartorius wünscht es zu haben und die Regierung wird darauf eingehen, da oben
jener und in der unteren Etage der zweite Schloßprediger wohnen soll. Ich höre
aber auch, daß der jetzige Miether Oberlaudforstmeister v, Burgsdorf wohl die Absicht
hat, das Haus zu kaufen. Bei dieser Rivalität dürfte Ihr Geschäftsführer wenigstens
den von Ihnen festgesetzten Preis halten und erlangen können. Auch sprach man
von dem Ankauf -des Gebäudes als Haus des Gouverneurs, da jetzt die Aussicht vor-
handen ist, auf Herzogs Acker den Paradeplatz hinzuverlegen. — |In diesen Tagen
habe ich seit der letzten- Geldsendung, das erste Honorar für Ihre Rechnung emp-
fangen, aber leider nur ein einziges von Herrn Jensen, das nach Abzug der Tantieme
des Rendanten auf 3 Thlr. 24 gr. gezahlt ist. Ich habe es bei der Geringfügigkeit
der Summe wegen des Portos nicht mitgesandt und denke, es würde am bequemsten
sein wenn ich es ah Ihren hiesigen Geschäftsführer zur gelegentlichen Absendung
auszahlte. Ich wünschte nur, daß es mehr sich häufen möchte.
Nachtrag zu 1836, 270
All Ihre hochverehrte Frau Gemahlin bitte ich von mir, meiner Frau und
Kindern die angelegentlichsten Empfehlungen zu machen. Mein Conrad der dankbarst
Ihrer treuen Fürsorge sich zu erfreuen hatte, lebt jetzt wieder in meinem Hause und
ist nun ein Jahr Tertianer im Friederioianum. Älit der herzlichsten Bitte um Er-
haltung Ihres mir unschätzbaren Wohlwollens Ihr ergebenst verpflichteter
Schubert.
Im September künftigen Jahres hoffe ich einige Tage in Göttingen zu
verleben.
076. Gregor an H. (3 S.. 4». N.) Königsberg d. 4ten May 1836.
Hochgeehrter Herr Professor! Was könnte ich Ihnen zu Ihrem werthen Ge-
burtstage dies Mal wol besseres wünschen, als daß der Allgütige Sie und Ihre Ver-
ehrungs würdige Frau Gemahlin für einander noch recht lange gesund und wohl er-
halten möchte? Ich für mein Theil bin durch den Tod meiner innig geliebten Gattin
noch zu sehr gebeugt, um anderen W'ünschen einen angemessenen Werth beilegen
zu können; aber von Ihrer stets gleichen, freundlichen Theilnahme darf ich ja Ver-
zeihung hoffen. Meine liebe Frau schlummerte am 28sten März d. J. gegen 10 Uhr
Abends nach einem zweijährigen Leiden an der Abzehrung sanft ein — für sie
zur Befreiung von vielen Schmerzen; für uns zur tiefsten Trauer. Die seltene
Frische des Geistes, und Gemüths, die sie bis zum Abschied am Morgen ihres letzten
Tages, bewahrte, erleichtert mir das freundliche Andenken an sie, bringt mir aber
auch den unersetzlichen Verlust immer wieder auf das Lebhafteste in Erinnerung.
Ja, ich leide unaussprechlich; es ist mir oft zu Muthe, als müßte mich diese Wunde,
die nicht aufhören will, zu bluten, endlich tödten. So lange sie lebte, ließ mich||
die Sorge um sie nicht zum Bewußtsein der Öde und Leere kommen, die mich nun
so furchtbar umfängt, da mir das Liebste überall fehlt. Um so wohlthuender ist
es für mich, von dem Bilde, das sich in alle meine Gedanken mischt, auch durch
Ihr und Ihrer lieben Frau Gemahlin Wohlwollen, welches sie der Verstorbenen
schenkten, Übergänge zu finden, die mich dem Leben allmälig wieder zuwenden
werden. Ach, sie hoffte noch den 4ten May zu überleben, fragte mich, ob ich an Sie
schreiben wüi'de; rrug mir schon im Voraus herzliche Grüße auf; und erging sich
sehr heiter in den Erinnerungen an die Festlichkeiten, die Ihre liebe Frau Gemahlin
zu dem Tage zu veranstalten pflegte. Das geschah ein Paar Tage vor ihrem Tode.
Mir liegt nun zwiefach die ernste Pflicht ob, für die Erziehung der vier Kinder,
die sie mir hinterlassen hat, zu sorgen: dadurch will ich ihr Andenken ehren, so
lang es Gott gefällt. Meine Schwester, die mir || während der Krankheit meiner sei.
Frau so treulich zur Seite stand, will mich auch nun nicht verlassen, sondern die
Häuslichkeit aufrecht erhalten, und damit zugleich auch mich. Wäre sie selbst nur
gesünder! Heilung suche ich jetzt vor allen Dingen im Arbeiten, so uninteressant
es mir auch meistens vorkommt, dann in der frischen Luft, im Umgange mit meinen
hiesigen Freunden, in stillen Erhebungen zu Gott, in dessen Macht auch die Dahin-
geschiedenen bleiben; — kann sie aber noch nicht finden. Wie weit schwächer
bin ich doch als ich es mir vorgestellt habe! — Dessenungeachtet erhalten Sie mir
gütigst Ihr so äußerst schätzbares Wohlwollen und nehmen Sie meinen herzlichen
Glückwunsch freundlich auf. Ihr Sie hochverehrender Freund Gregor.
977. Richthofen an H. (4 S. 4». N.) Brecheishof den 24sten Juni 36.
Mein verehrter Freund! Der wiedergekehrte Johannistermin mahnt mich an
eine andere lange aufgeschobene und doch angenehme Verpflichtung, — die Antwort
auf Ihi-en freundlichen Brief, vom 5ten März, wie ich mit Schrecken und Ver-
2 8o Nachtrag zu 1836.
wuDdenmg über die flüchtige und immer eiligere Zeit ersehe! Sie schrieben damals
besorgt um ihre Gesundheit, und auch mein Sohn hat mir einmal darüber weniger
gute Nachrichten ertheilt, doch hoffe ich aus dem Mangel fernerer Mittheilungen,
daß das Uebel wieder vorübergegangen sey. Soll doch wie Sie selbst mein ver-
ehrter Freund bemerkten, die Gicht eine wenn an sich auch nicht erfreuliche Bürg-
schaft eines höheren Alters seyn; aber allerdings werden Sie wohl thun dieß Jahr
an die Stelle Pyrmonts ein Schwefelbad treten zu lassen, oder auch beide Mittel zu
verbinden. || Mir geht es diesen Sommer so gut, daß ich mich genüge meine vor-
jährige Brunnenkur in meinem eignen Garten zu wiederhohlen, und rücksichtlich
der Bäder der Apotheker die Natur vertritt; und auch dieß ist vielleicht unnütz.
Ich bin nach Jahren wieder zum Reiten zurückgekehrt, und das bekommt mir so
auffallend gut, daß ich die Abweichung einzelner Organe, durch dieses allgemeine
die Lebenskraft aufregende, und ins Gleichgewicht setzende Mittel auszugleichen
hoffe, — überdieß ist es aber wohl ein Beweis, daß meine vorjährige Nieron-
Entzündung ein mehr zufällig erzeugtes Uebel seyn mochte, und wenn mein Körper
auch zu jener Abnormität hinneigen sollte, diese doch wenigstens noch nicht aus-
gebildet ist. Von meinem Schwager Wilhelm nach dem Sie fragen, weiß ich wenig
oder nichts; da sein Sohn wieder in Göttingen,, so werden Sie wenigstens mehr als
ich von diesem erfahren können. Ihr Urtheil über diesen bestätigte das frühere
meiner Söhne; wohl möglich daß später das praktische Leben mit seinen kräftigen
Einflüssen der Erziehung nachhilft; doch freut mich, daß mir gelang meinen Kindern
schon von früh an einen ernsten und wissenschaftlichen Sinn einzuflößen; wenigstens
in dieser Hinsicht haben Sie, mein Freund, sich Ihres alten Schül&rs nicht zu
schämen. ||
Ob aber die Kraft der Jugendbildung nicht eine vorübergehende, mit der eignen
Jugend zusammenhängende seyn sollte? Bei meinen Kindern merke ich Gott sey
Dank noch nichts davon ; aber allerdings bildet sich allmählig ein bestimmter Familien-
sinn, der das Erziehungswerk überaus erleichtert.
Dagegen machen mir meine mancherlei Geschäfte eine anderweitige bessere
Thätigkeit unmöglich, oder sie ist es wenigstens bei dem Grade der Kraft, der mir
zu Theil geworden ist; denn leider entgeht mir die Gabe mich nach mancherlei
Störungen sofort gleich wieder sammeln zu können. So sind mir denn auch die
neuesten Arbeiten Ihrer Schüler noch unbekannt geblieben, wenn ich ihren Nahmen
nicht schon vorher kannte; Sie erwähnen eines Hr. Hartenstein? Theilen Sie mir
wenn Sie Muße haben darüber und die eignen Arbeiten doch Näheres mit.
Gewiß haben Sie auch die neuen Forschungen über Optik beachtet; vor mir
liegt „Schwend über Beugungserscheinungen." Die Undulationstheorie dürfte doch
allmählig wohl allgemein Anerkennung finden; wie ist es mit Ihnen? und haben
Sie wohl Ihre Aufmerksamkeit auf die merkwürdigen Erscheinungen einer Farben-
oktave gerichtet, oder vielmehr auf die Wiederkehr dieses Schwingungsverhältnisses
der Töne bei den Farben; aber freilich nur eine Oktave? || Hält die Sache Stich so
müßte man auch andere Farbenharmonien nachweisen können; aber wie die Musik
mit einer einzigen Oktave eine wenig genügende Kunst seyn würde, so auch die
Farben. Dieß würde dann auch vielleicht eine psychologische Weisung über die
Einwirkung der Harmonie geben, als durch wechselsweise kommensurable Intervalle
beförderte Auffassung und vermiedene Hemmung; derselbe Punkt worauf ja auch
die praktischen Ideen hinzuweisen scheinen. Aber trage ich nicht Holz in den
Wald, oder noch schlimmer muthe ich Ihnen nicht ungeachtet Ihres Reichthums
zu, einen schlechten von einzelnen Pflanzenfasern [hergestellten] Torf zu
brennen.
Nachtrag zu 1838. 28 1
Der arme Bissen! wie leid thut er mir doch! auch Sie klagen über Hypo-
chondrie? wer ist wohl ganz frei davon, aber das Maaß entscheidet; ich fühle selbst
wie viel von Nebenumständen abhängt. Ihr Göttingen wird für Preußen wohl wahr-
scheinlich wieder geöffnet werden; unterdeß ist mein zweiter Sohn zu alt geworden;
ich habe den allerdings nachgewiesenen Funken bei unserem Mangel an Brennstoff
nie für so gefährlich gehalten.
Im Herbst habe ich Lust einmal eine Reise zu machen, um mit meinen beiden
ältesten Söhnen einige Alpenthäler zu durchwandern; ohnehin kenne ich bis jetzt
nur die Schweiz. Meine Frau hatte allerdings Lust einmal nach Göttingen zu
kommen, aber auch ihr würde dort wohl manches Fremde begegnet seyn. Die alte
Zeit kehrt nicht mehr zuriick, und ich bin leider etwas unbeweglich. Dieß soll
aber hoffentlich nicht für immer der Fall seyn!
Mit Freundschaft der Ihrige v. Richthofen.
978. An Doctor Reiche zu Adelebsen, i) 8 Juni 38.
Ihr gütiger Besuch hat mich verfehlt, darum statte ich schriftlich
meinen Dank ab für Ihr Geschenk! und frage zugleich an, wem ich das
Hauptexemplar Ihres Diploms abliefern solle? Am liebsten Ihnen Selbst,
falls Sie bald wieder nach Göttingen kommen.
Um Ihnen für eine deutsche Schrift (durch welche Sie sich ohne
Zweifel bald dem größten Publicum bekannt machen werden) Bahn zu
schaffen, — vor allem einen willigen Verleger: — muß Ihre Dissertation
angezeigt werden, und ich zweifle nicht, daß Heeren eine Anzeige von
mir für die hiesigen Blätter annehmen wird, wenn dies gleich jetzt ge-
schehen kann. Es fehlt an einer Kleinigkeit; Sie haben keine Buch-
handlung bestellt, welche die noch übrigen Exemplare (nach Seemanns
Angabe 50) in Commission hätte. Eine ordentliche Buchhandlung aber,
wo die Dissertation zu haben sey, muß ich in der Anzeige nennen;
daher möchte ich Ihnen anheim geben, hierüber so bald irgend möglich
zu bestimmen. Wenn Sie die Dieterich sehe Buchhandlung wählen, so
können Sie sich auf mich berufen, und ich werde nöthigen Falls selbst
mit Hrn. Schlammer darüber sprechen. Ganz ergebenst Herbart,
979. Herbarts Tagebuch. Wo mag es geblieben sein? Es ist wohl wie so
vieles andere der Vernichtung anheim gefallen. Herbarts Frau hat versucht, Aus-
züge davon zu machen. Von diesen befinden sich sechs Blätter im N. Nur eine
Notiz daraus ist für uns von Wert. „H. wurde Anfangs März 1798 ins Oberland
geschickt. Im Städtchen L'nterseen konnte er mit seinen Knaben fortarbeiten.
Einmal mußte er eines blinden Lärmes wegen mit einigen Listen der Frau Steiger
über den ßrienzersee. Bei der Gelegenheit machte er einen Spaziergang nach
Meyringen. Den 2L März war er wieder zurück in Bern."
980. bn N. befinden sich noch: 1.) Einzelne Blätter von Herbarts Hand aus
Manuskripten zu seinen Werken. 2.) Exzerpte oder eigne Entwürfe, von ihm und
anderen geschrieben. — Zum Schlüsse sei darauf hingevriesen, daß sich auf der
^) Fr. zur Verfügung gestellt von Herrn Leo Liepmannssohns Antiquariat in
Berlin SW. 1 1 , Bemburgerstr. 1 4.
282
Nachtrag.
Universitäts - Bibliothek zu Königsberg folgende Manuskripte befinden, die noch
nicht verwendet worden sind: 1) Aus Herbarts frühester Zeit in Jena: Betrachtung
über das Ich und Nicht-Ich (2609, VI). 2) „Kurze Sätze" aus der Metaphysik mit
..Fragen" (2609, VII). 3) Die ältesten Aufzeichnungen über die Grundlagen der
Psychologie und die ersten Versuche psychologischer Rechnungen (24 S. 4". 2609, XI).
(Vergl. dazu Hartensteins Herb. KI. Schriften I, S. LIV).
— Hr. Dr. P. Schumann macht mich noch aufmerksam auf K. Fr. Burdach,
Rückblick auf mein Leben. (Leipzig 1848.) Dort finden sich auf S. 325 — 327 und
353 Bemerkungen über Herbart.
Namen - Register.
Die römischen Ziffern bezeichnen den Band der Briefe, die arabischen die Seiten. Stehen
zwei römische Ziffern beieinander, so bezeichnet die erste den Band, die zweite die Seite.
Band I — TV der Briefbände entsprechen Band XVI — XIX der sämtlichen Werke.
A.
Achard IV, 150.
Achelis I, 58.
Aeschylos III, 288.
Agelander 11, 320.
Ahlwardt II, 11.
Albrecht III, 251, 312. — IV, 163.
Albrecht, Frau Geh. Rat I, XIV.
d"Alembert TV, 18, 19, 24.
Allihn II, 161, 195. — III, 290, 295.
AUwUl I, 108.
Altenstein v., Minister II, 119, 190, 319. —
m, 7, 138, 188, 253. — IV, 44, 226.
Anacharsis I, 174.
Ancillon II, 261, 297, 299, 306, 312, 316.
- III, 17, 138.
Andree IV, 191.
Antigene III, 282.
Apel II, 102.
-Apollo IV, 72, 97.
Archimed III, 195. — IV, 68.
Argand I, 130.
Ariost I, 304, 305. — II, 12, 25, 26, 116,
198, 201.
Aristoteles 11. 213, 224, 268, 291, 323,
325. — ni, 4, 35, 113, 170, 195, 285,
316. _ IV, 51.
Arrian IV, 212.
Ast rV, 145, 232, 233.
Attila II, 115.
Auerswald v. II, 28, 30, 62, 64, 92, 94,
103. — IV, 150, 151, 152.
Amswaldt HI, 284.
Augusti n, 318, 322. — III, 5. — IV, 189.
B.
Baader II, 145.
Bach, Seb. H, 50, 168. — III, 282. —
rv, 255.
Bachmaim ET, 97, 119, 180, 201, 220, 297.
- in, 42, 94, 163, 168. — IV, 215,
222, 232, 233, 256, 257, 264, 276.
Bader I, 126.
Baer LEI, 26, 28, 250.
I Baerensprung v. 11, 261.
' Ba^esen I, 57.
Bagier II, 13. — IV, 152.
Bardili II, 29.
Bartelmann I, 3.
Barth III, 274, 275, 276, 278.
Bardielemy I, 103.
Bartels III, 305.
Basedow IV, 144.
Basse I, 251.
Baudissin III, 158.
Baumgarten IV, 15.
' Baumann I, 188.
Bay I, lOi.
Bäre'nhoff oder Baerenhoff I, 15, 20, 26, 29.
— IV, 68, 69, 72, 80.
Beck, Ch. D. 11, 16, 120. — HI, 41. —
TV, 226.
Becker III, 4, 118.
Beer I, XI.
Beethoven m, 282.
Behnisch IV, 245, 246.
Beier II, 221.
Beindorf I, 22.
Bekedorf I, 15, 34. 35.
Bekenn I, 193. — II. 14.
Below IV, 195, 217.
Beizer III, 232, 233.
Benedict IV, 189.
Beneke II, 50, 120, 126, 127, 130, 203,
207, 321. — ni, 56, 98, loi, 163, 168,
258, 289. — IV, 171, 213, 220, 226,
233' 253, 276.
Berg II, 46.
Berger v., Kanzleidirektor, I, 4.
Berger, J. E. v. I. 6, 8, 17, 26, 33, 34, 35,
36, 50, 52, 56, 61, 63, 64, 67, 73, 76,
79, 113, 122, 126, 254, 305. — n, 25,
26, 40, 216, 224, 276, 304. — rv, 54,
62, 64, 68, 69, 70, 76, 79, 81, 84, 85,
90, 93. 94. 95. 100. i05> 106, HO, 116,
139. 185.
284
Namen-Register.
Bergmann I, 306.
Berghaus IV, 37.
Bergler II, 88.
Bernhard III, 289.
Bemoulli I, 286, 287.
Bernstorff v. II, 129.
Bertheau II, 134.
Bessel II, 119, 132, 154, 166, 232, 245,
274' 275, 303, 317. — III, 26, 28, 99.
IV, 212, 226, 228, 265.
Beßer II, 274.
Bettina III, 186.
Bey, P. I, XI.
Bever, H. I, IX.
Beyer, J. L. IV, 63.
Beyme II, 324.
Bielenstein IV, 208.
Bigeleben I, 15.
Bilh-oth III, 69, 86, 94.
Blankenburg v. II, 47.
Blendermann I, 258, 286. — IV. 131.
Blösch III, 153.
Blume 111, 37.
Blumenbach II, 5.
Bobrik II, 195, 196, 198, 200, 204, 223,
259. 306, 307, 312, 315, 317, 318, 322.
323. — III, 5, 8, 9, 31, 32, 34, 43, 45,
100, 103, 105, HO, 133, 147, 148, 155,
156, 201, 212, 231, 232, 257, 283, 289,
298, 299, 300, 302, 303, 304, 308, 313,
315, 316. — IV, 6, 35, 36, 37, 42, 48,
163, 228, 229, 249, 261, 273.
Boccaz 11, 117.
Bohlen v. II, 317. — III, 26, 28, 289.
Bohtz V. III, 318.
Boimelburg I, 143.
Bonaparte I, 57. — II, 98.
Bonitz III, 113, 128, 183, 196, 285, 286,
295-
Bonnel III, 283.
Bonus I, 18. — IV, 94, 136.
Borchard IV, 266.
Bormann IV, 222.
Bomträger II, 109, 229. — IV, 60, 261.
Borowsky II, 302. — III, 300.
Bossuet II, 118.
Bouquoi II, 133, 183, 190. — IV, 222, 223.
Bouterweck I, 280. — II, 5, 16, 46, 68.
131, 143, 169, 171, 180, 184, 236, 300.
— III, 24. — IV, 236, 241.
Böckh II, 3, 29, 42, 49.
Boehlendorff I, XI." — I, 6. 27, 31, 34,
35, 36, 38, 44, 47, 50, 53, 54, 55, 58,
65, 66, 72, 73, 74, 75, 79, 80, 81, 82,
91. 97, 98, 99. ioi> 102, 112, 113, 115,
117, 118, 119, 122, 123, 126, 128, 138,
149, 151, 171, 178, 188, 201, 204, 214,
215, 218, 226, 234,. 237, 253, 259, 261,
267, 301, 305. — II, 25, 26. — IV, 54,
68, 79, 89, 94, 95, 98, 102, 103, 104,
105, 106, 107, 108, 115, 117, 123, 127,
138, 139, 140, 143, 144, 212.
Böttger III, 165.
Böttiger IV, 131.
Börne IV, 277.
Brandes H. W. I,- 306. — II, 30, 165, 166,
175, 216, 273. — ni, 69, 70, 71, 107,
269.
Brandenstein IV, 184.
Brandis, Chr. A. II, 157, 158, 184, 186, 187,
188, 190, 191, 192, 193, 195. 196, 197, 198,
199, 200, 203, 214, 218, 221, 222, 225,
226, 231, 232, 233, 235, 246, 248, 252,
253. 257, 258, 261, 264, 265, 266, 268,
273, 274, 276, 277, 282, 285, 286, 287,
296, 297, 298, 306, 323, 325. — III,
4, 5, 7, 13, 20, 32, 35, 144, 100, 196,
201, 231, 253, 290, 308. — IV, 226,
229, 232, 249.
Brandis, K. G. I, X. — I, 5. — II. 186,
215, 218, 257, 259, 263, 264, 269. —
IV, 249.
Brakebusch IV, 218.
Braumüller I, IX.
Braun II, 71.
Braunschweig IV, 52, 53.
Bräuer IV, 227, 228.
Bredenkamp I, 278.
Breitkopf II, 309.
Breslau III, 121.
Bretschneider III, 266.
Breuning I, 15, 26, 29. — IV, 62, 68, 69,
72, 79, 81.
Breyer IV, 145.
Brockhaus II, 104, io6-, 107, 108, iii,
112, 113, 114, 297, 299, 309, 314. —
III, 14, 15, 40, 109, 161, 166, 168, 261,
263, 264, 300. — IV, 264.
Brohm I, 134, 139, 143.
Brohme I, 151.
Brown II, 137. — IV, 243.
Browne II, 316.
Brun IV, 1 1 o.
Brunswirker IV, 249.
Bmschius I, 296, 298. — II, 68, 304. —
IV, 181.
Brussius III, 4.
Brutus III, 203.
Brzoska II, 242. — III, 191. 229, 241,
242, 255, 260, 261, 273, 277, 278, 283,
284, 285, 299.
Buchen v. III, 262.
Buchner II, 1 1 o.
Budberg IV, 182.
Buffon II, 118.
Buhle II, 153.
Burdach II, 20I. — IV, 282.
Burgsdorf IV, 264, 278.
Büß I, 164.
Butte IV, 145.
Namen-Register.
285
Bülau III, 232, 244, 248.
Bühlniann I, 81.
Bülow V. II, 167.
Büsching IV, 15.
Byron III, 266.
Calderon II, 117, 201.
Calka II, 316.
Calker II, 120, 131.
Callisen I, 283. — II, 16. — IV, 68.
Campanella 11, 278.
Campe, Elise I, 54, 55, 253. — II, 12,
201, 224.
Campe IV, 129.
Campenhausen v. II, 67.
Cai^anico II, 203, 220.
Carl der Große II, 115.
Carlblom U, 319.
Carlowitz III, 218.
Cartesius II, 136, 138. — IV, 17.
Carus, F. A. I, 277, 281, 282, 284, 285,
290, 292, 293, 294, 297. — IV, 146,
147.
Caspari II, 64.
Castendyk I, 150, 202, 204. — IV, 136,
156 (s. auch Kastendyk).
Castell IV, 245.
Cäsar IV, 212.
Chamisso 11, 259.
Cid II, 117.
Cicero III, 214. — IV, 64.
Clauren II, 242.
Clemens II, iio, — IV. 173, 175, 202.
Clemenz IV, 150.
Clement! s. Kiemen ti.
Clodius III, 42, 55, 86, 122, 183, 191,
196, 202, 203.
Cnobloch II, 227.
Cobler IV, 223.
Cochet I, 21.
Colsmann I, 176.
Columbus IV, 236.
Conrad! III, 96, 255, 263.
Copemicus III, 122.
Cordes IV, 185.
Cotta II, 59.
Cramer I, 15. — IV, 68, 75, 129.
Creuzer I, 268, 273. — II, 42.
Curtius III, 133.
D.
Dahlmann III, 11, 96, 285, 293, 318. —
IV, 5, 6, 28.
Dankwerts I, 303, 304.
Dante II, 1 16.
Daub m, 250.
Da\'id II, 128.
Deboor IV, 96.
De Borch IV, 148.
Deetz II, 98. — IV, 198.
Delagrange IV, 222.
Delbrück 11, 62, 63, 64, 84, 85, 198, 199,
259, 261. — IV, 155, 156, 194.
Des-Cartes II, 156, 159. — III, 16. —
IV, 30.
Deuerlich III, 82.
DeukaUon III, 63.
Deutsch III, 305.
Diekmann II, iio, 133. — III. 310. —
IV, 27, 248.
Diestel III, 256. — IV, 195, 261, 264.
Diesterweg III, 276.
Dieterici III, 7, 17, 35, 47, 124, 159, 188.
— IV, 32, 33-
Dietrich III, 24.
Dieterichsche Buchhandlung III, 83, 84, 87,
90, 109, HO, 204, 285. — IV, 35, 37,
38, 281.
Ditrich, Dittrich III, 94, 280.
Dietze IV, 271.
Dilthey II, 41.
Dinter 11, 246. — IV, 246.
Diogenes IQ, 271. — IV, 277.
Dirz IV, 220.
Dissen I, 299, 307. — II, 30, 36, 37, 41,
44, 45, 46, 47, 49, 50, 52, 54, 55, 57,
58, 61, 67, 68, 69, 73, 82, 88, 91, 94,
95, 98, 100, 122, 128, 146, 147, 148,
153, 194, 213, 299, 300, 304. —
ni, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 10, II, 12, 18,
19, 20, 22, 24, 35, 36, 37, 58, 82, 102,
172, 175, 187, 188, 204, 205, 242, 249,
263, 287. — IV, 162, 171, 172, 173,
186, 200, 211, 252, 253, 257, 258, 268,
276, 280.
Dittes II, 153.
Dix I, 61.
Dohn rV, 1 15, 124.
Dohna, Graf v. II, 319. — III, 289. —
IV, 27.
Dobritzsch II, 221.
Dom IV, 157.
Dorther III, 169.
Döderlein IV, 61.
Drake II, 84, 93. — IV, 163.
Dresler IV, 68.
Drobischl, IX, XIV;II, 161, 162, 165, 166,
172, 175, 177, 181, 187, 188, 189, 190,
191, 192, 193, 198, 203, 204, 205, 207,
208, 211, 214, 216, 217, 219, 220, 221,
224, 226, 230, 231, 241, 244, 245, 247,
248, 250, 254, 269, 271, 273, 274, 275,
277, 281, 282, 285, 306, 311, 313, 318,
323. — III, 5, 9, 13, 2T, 32, 34, 40,
41, 43, 45, 48, 49, 51, 52, 53, 55, 56,
59, 61, 64, 65, 67, 69, 70, 71, 12, 73,
74. 75. 77. 80, 85, 87, 89, 90, 91, 92,
93. 95. 97. 98, 99. 100. loi- ^o^, 107,
108, HO, III, 113, 114, 115, 118, 119,
286
Namen-Register.
I20, 122, 123, 124,
133, 134. i35> 137,
149, .151, 153, 154,
168, 170, 172, 175,
181, 184, 185, 186,
193, 196, 197, 198,
209, 210, 211, 212,
218, 223, 226, 228,
238, 241, 242, 244,
253- 257, 260, 261,
267, 268, 269, 270,
279, 280, 281, 282,
292, 293, 295, 296,
112, 313, 315, 31;
126, 127, 128, 132,
138, 145, 146, 147,
160, 165, 166, 167,
176, 177, 178, 179,
187, 188, 189, 191,
200, 202, 204, 206,
213, 215, 216,. 217,
231, 232, 233, 237,
245, 248, 249, 252,
262, 263, 264, 265,
271, 272, 277, 278,
286, 287, 290, 291,
297, 300, 302, 305,
— IV, 2, 4, 7, 8,
20, 22, 24, 28, 33,
46, 49, 50, 51, 52,
231, 233, 238, 243,
272, 274.
274.
240.
II, 13, 17, 18, 19,
34, 40, 41, 43, 44,
220, 221, 226, 227,
244, 247, 248, 267,
Droste v. II, 316.
Droz II, 183.
Diigend I, 21.
Duckmann III, 289.
Dulk III, 28, 48, 255. — IV, 265
E.
Ebel IV, 250, 256, 261.
Ebell I, 251.
Ebert IV, 216, 217.
Echtermeyer III, 317.
Eckermann IV, 64.
Edler III, 170.
Edelsheim v. I, 269, 273,
Ehrenberg II, 97. — III,
Ehrhardt II, 13 1.
Eichhorn I, 299. — III, 125, 159. —
IV, 213.
Eichstädt II, 131, 132, 133, 148, 155, I
177, 183, 184, 187, 198, 201, 202,
207, 211, 213, 219, 274, 275, 297,
318. — III, 5, 85, 89, 100, 211,
277. — IV, 209, 214, 219, 220,
232, 233.
Eilers, G. I, 139. — II. 132.
Ehlers IV, 64.
Eisner III, 71, 96. — IV, 265.
Ellendt III, 106, 222, 251, 277,
IV, 41, 278.
Eltermann IV, 144.
Engel IV, 107.
Erdmann III, 306. — IV, 229,
Erichson I, 66. — IV, 68.
Erlach v. I, 226.
Eschen I, 38, 56, 64, 74, 78,
116, 121, 128, 131,-132,
137, 138, 140, 143. 144.
151, 154. 155- 156, 167,
209, 2X1, 240. II, 25
206,
314.
262,
221,
83-
231-
ii3>
135,
147,
207,
IV,
79>
1X2,
133,
134.
145,
146,
172,
177,
22S
.
68, 99,
119, X24.
Eschen biirg IT,
104, X05, X06, 117, 118,
'DJ-
Eschenmayer 11, X07, 108, 112, 1x3, X31,
132, 238, 300.
Euklid I, 106. — III, 194, 199, 304.
Eulers IV, 161.
Eutorp IV, 2x2.
Ewald, H. I, 202, 287. — II, 3x9. —
IV, 13X.
Exner IV, 5X.
Eychsen v. II, 49.
F.
Fabian III, 25 x.
Fabri I, 40.
Faradey III, X46.
Fellenberg I, 307. — II, 8, 9, xo, 23, 24,
37, 45, 87, 90, 103, 152, 153, 308. —
IV, 159, 165, X67, X69, 176, 182, 186,
X98, 200, 202.
Feuerbach, P. A. v. I, 273, 279. — II,
38, 57. — IV, 144, 145, X85.
Fichte I, 5, 7, 8, 9, 10, X5, 17, 19, 22,
24, 2-], 28, 29, 31, 32, 37, 38, 40, 4X,
42, 43, 44, 46, 50, 54, 55, 57, 63, 66,
68, 72, 73, 74, 76, -]-], 84, 94, 95, 97.
lox, 102, X06, 107, 109, 110, 1x5, 121,
X22, X28, 129, 2-]\, 280, 29X, 292, 294,
298, 303, 308. — II, X6, 2X, 22, 24,
29, 30, 41, 42, 53, 68, 71, 97, 121,
X47, 163, 2X9, 22X, 238, 240, 250, 282,
284, 293, 296, 298, 3x0, 314, 3x6. —
III, 6, 14, 89, 93, 108, X09, 122, X41,
X56, 163, 207, 209, 2XX, 214, 215, 219,
220, 226, 231, 232, 247, 253, 256, 257,
288, 290, 300, 304, 3x5. — IV, 43, 55,
65, 70, 72, 76, ll, 78, 79, 80, 84, 86,
90, 9X, 92, 95, X13, X14, X15, 1x6, X35,
X55, 156, X87, 202, 2x9, 236, 237, 242,
259, 277-
Fichte, Frau I, 33, 58.
Fichte, Sohn I, 29, 41, 43, 74.
Fick V. II, X5X.
FioreUi II, 50.
Firks V. I, 55, 72, 301. — II, 26.
Fischer I, 29, 31, 38, 39, 48, 49, 51, 52,
53, 54, 55, 56, 57, 58, 60, 62, 65, 66,
71, 74, 75, 76, 80, 81, 91, 94, 99, xoi,
116, X17, X2X, X28, X59, 167. — II, 25,
325. — IV, 68. 89. 99, X03, 106, 115,
X16, 1x7, 2x0, 266.
Fleischer II, i xo.
Flinzer III, 267. — IV, 227.
Floret I, 6, 15, 20, 26, 27, 31, 35, 36,
66. — IV, 62, 68, 69, 70, 72, -]-], 79, II I.
Florian I, 187.
Flügel, O. II, 21, 2x4, 228. — III, 284,
29X. — IV, 4X, 53.
Focke II, 36.
Fortlage III, 70.
Forkel II, 50.
Förster IT, 149, 150.
Namen-Register.
287
Frank III, 87.
Franke, F. I, XHI.
Frankh II, 182.
Freye, K. I,'XI; IV, 56, 103, 115, 123, 212.
Freystadt IV. 259, 270.
Friedländer II, 279.
Friedrich August, GrolJherzog von Olden-
burg I, V.
Friedrich der Große IV, 188.
Friedrich Wilh. IV. II, 84, 261. — UI,
293, 296.
Friedrich Wilhelm, Kronprinz \on Preußen
IV, 274.
Fries I, 120, 275, 298. — II, 8, 17, 45,
HO, 120, 131, 133, 157, 162, 171, 179,
180, 198, 201, 208, 216, 235, 237, 275,
300. — m, 6, 14, 195, 209, 210, 211,
212, 218, 220, 258, 316. — IV, 20, 21,
24, 39, 40, 41, 237.
Frisching I, 136, 137, 175, 176, 207, 209,
219, 227, 228, 236. — IV, 93, 119,
121, 127.
Fritzsch, Th. I, 261, 284. — II, 108, 300,
IV, 146, 147, 208.
Fritzsche III, 267.
Fromann II, 12. — IV, 153, 155.
Fromm I, 6. — IV, 62, 77.
Fröhlich H, 133. — IV, 238.
Fuchs m, 86.
Funke I, 252.
Füessli II. 127, 128, 130. — IV, 125, 139.
Fürstin von Lippe-Bückeburg III, 193.
G.
Gabler U, 285, 311, 312, 320. — UI, 17,
161, 166, 170, 191. — IV, 248, 276.
Gall I, 277. — II, 153.
Galilei 11, 275.
Gans III, 191.
Garve II, 244.
Gaspari II, 66.
Gauß II, 166. — III, 7, 98, 99, 100, 146,
181, 220, 232, 271, 313, 315. — IV,
20, 21, 24.
Gebier III, 227.
Gedike IV, 61, 146.
Gerlach III, 258. — IV, 241, 246, 253.
■ Germar IV, 68.
Gert Jans IV, 266.
Gesner IV, 61.
Geßner I, 163, 207, 210, 211, 218. —
IV, 90, 91, 128, 137.
Georg I, 264.
Gerard II, 128.
Gergonne III, 239.
Gesehen I, 21.
Gether I, 16, 17, 20, 31.
Gevers EU, 280.
Geyer C. I, XIV.
IV, 21, 139.
— IV, 270.
216. —
135-
- IV,
Ghard, v. III, 289.
Gildemeister I, 253. —
Giese I, 17, 56, 59.
Gieseler III, 130, 257.
Gilhes I, 103.
Glayre I, 214.
Gleini IV, 149.
Glöckner II, iio.
Goedeke IV, 123.
Goethe I, 2, 10, 32, 40, 46, 47, 71, 167,
262, 265, 276. — II, 2,21,143,
III, 98, 126, 282. — IV, 116,
Gotthold II, 56, 57, 64, 68, 1 10.
164, 261.
Gotter IV, 200.
Gognetius II, 66.
Goldsmith I, 174.
Goumocns, v. I, 92, 204.
Göde, Chr. Aug. Gottl. II,
Görres II, 42.
Göschen III, 287.
Graefe III, 274, 276, 283.
Graff n, 106, 107. — IV,
192, 194, 213.
Graffenried IV, 92.
Graimberg, v. IV, 182.
Gramberg IV, 185.
Gramzow IV, 47.
Gräbner I, X.
Gregor II, 156, 157, 159;
ni, 63, 64, 106, 251,
3/ ■
IV, 172.
163, 167, 186,
160, 166. —
2^2,
256,
IV, 7. 13. i4> 29, 41, 49,
308.
260,
310.
272, 279.
Gretry I, 130.
Grevenis IV, 77.
Griepenkeril, 307. — 11, 8, 9, 10, 23, 24,
32, 37, 41, 52, 54, 58, 60, 69, 72, 76, 82,
84,87,88, 114, 120, 142, 143, 144, 151,
153. 154' 155. 159. 160, 166, 168, 182,
265, 293, 299, 300, 301, 302, 305, 307,
313, 314, 318, 323. —
, 25, 30, 34, 38, 43, 44,
52, 84, 87, 100, 103,
140,
208,
21,
308, 311, 312,
III, 3, 4, 7, 18
45. 46, 49> 51.
138,
141, 147, 171, 179,
212, 249, 287, 295.
43.
123, 126
188, 189, 207,
— IV, 2, 5, 7,
182, 186, 187, 200, 221,
272, 277.
Gries I, 7, 15, 20, 26, 27, 31, 35, 44
55. 56, 59. 65, 66, 72. 73, 94, 103,
119, 121, 122, 123, 126, 128, 135,
46,
250,
159,
254.
161,
260,
54.
"3.
149.
150, 196, 240, 253, 254, 261, 265, 276,
300, 304, 305. — n, 12, 13, 25, 26,
38, 40, 197, 198, 201, 216, 224. —
IV, 68, 75, 76, 77, 79, 81, 85, 90, 95,
98, 99, 104, 105, 106, III, 117, 131,
136,
138, 139, 153.
Grimm III, 11, 229. -
Groeben IV, 216.
Groeber III, 289.
IV, 253, 268.
288
Namen-Register.
Grolp II, HO, 134, 318, 319. — III, 29,
30, 122, 123, 126, 127, 129, 133, 138,
190.
Groninger IV, 77.
Groß IV, 212.
Großmann III, 312, 314. — IV, 41.
Grote, V. I, XIV; I, 252, 253, 254, 262,
274, 277, 280, 301, 306, 307, 308. —
II, 5, 7, 10, 12, 14, 27, 36, 43, 44,' 47,
50, 52, 57' 58, 64, 65, 94, 95, 105,
129, 130, 148, 155. — III, 38, 40,
88. — IV, 55, 129, 134, 150, 154,
156, 166, 169, 171, 172, 179, 183, 185,
205, 207, 262, 267.
Grotius III, 205, 214.
Gröh IV, 266.
Groninger I, 31.
Gröning I, 214.
Gmbe III, 231.
Gruber II, 216, 274, 275, 285. — III, 85,
— IV, 221, 222.
Grüner I, loi.
Gmnert III, 148.
Gruppe IV, 269, 270.
Gutzeit III, 222.
Guttentag II, 45, 149. — IV, 164, 195.
Günther I, 264, 278, 286, 300, 306, —
II, 5. — III, 113. — IV, 40, 149, 181.
Gwinner, W. v. II, 113.
H.
Haack II, 62.
Haberland IV, 259.
Haedenkamp II, 251, 252, 300.
Hagen von der II, 115.
Hagen III, 28, 229, 250. — IV, 16, 256.
Hagenauer II, 98.
.Hahn III, 258, 277, 278. — IV, 243, 271,
272.
Halem v. I, 5, 9, 18, 20, 45, 77, 92, 196,
214, 215, 246, 250, 251, 255, 260. —
II, 10, II, 32, 36. — IV, 91, 92, 108,
109^ 118, 162, 163, 185.
Haller II, 11, 136. — III, 95.
Hammerstein v. II, 12.
Hamlet III, 303.
Hand (Herndt) III, 242.
Harbaur I, 115, 119, 125, 126. -- II, 128.
— IV, 113, 114, 115.
Hardenberg IV, 203.
Harnisch II, 149.
Hartenstein I, XIV; I, 3, 6, 10, 11, 98. —
n, 7, 27, 54, 161, 216, 308. — III, 42,
69, 86, 88, loi, 103, III, 112, 113, 117,
118, 120, 126, 138, 145, 147, 149, 153,
156, 157. 158, 160, 166, 170, 172, 183,
184, 185, 186, 187, 188, 189, 191, 192,
I93i 196, 198, 199, 200, 201, 202, 203,
206, 207, 209, 211, 212, 213, 214, 216,
217, 219, 220, 226, 229, 231, 232, 238,
241, 244, 246, 248, 249, 252, 253, 254,
257, 258, 261, 263, 264, 265, 266, 268,
269, 270, 271, 272, 273, 278, 279, 280,
281, 286, 287, 289, 290, 292, 294, 297,
298, 300, 302, 312, 318. — IV, 7, 8.
22, 34, 40, 42, 45, 46, 51, 53, 54, 57,
58, 274, 280, 281.
Hartmann I, 5. — II, 179.
Hase II, 214.
Hasse IV, 157, 181.
Hassenpflug IV, 268.
Haushalter I, 16, 22, 29, 30, 38. — IV,
72, 77-
Hausmann III, 23.
Havemann III, 318.
Häfeli IV, 131.
Härtel III, 82, 86.
Häseler IV, 61.
Hecht III, 257. — IV, 245.
Hedden I, 19.
Hedemann III, 124.
Heeren I, 271, 273, 280. — II, 5, 38, 46,
49, 57, 61, 65, 67, 84, 92, 93, 214,
306. — III, 7, 24, ro8, HO, 209, 251,
253, 318. — IV, 42, 161, 162, 281.
Hegel II, 119, 120, 124, 125, 169, 180,
183, 184, 191, 193, 195, 198, 201, 203,
208, 215, 219, 223, 224, 231, 232, 234,
235, 236, 238, 239, 240, 241, 243, 246,
250, 260, 263, 266, 271, 275, 281, 285,
286, 291, 293, 296, 297, 298, 303, 305,
308, 310, 313, 320, 323, 324. — III,
4, 6, 7, 17, 21, 30, 31, 35, 42, 43, 63,
64, 70, 94, 97, 115, 118, 121, 138, 141,
149, 156, 163, 170, 183, 184, 193, 195,
196, 210, 215, 216, 217, 218, 220, 229,
...233, 247, 254, 255, 256, 257, 268, 282,
298, 304, 306, 307, 309, 312, 315, 316,
317. _ IV, 14, 25, 28, 43, 44, 48,
229, 233, 236, 248, 256, 258, 259, 262,
264, 268, 269, 273, 276.
Hegekorn I, 20.
Hegewisch IV, 64.
Heidel I, XIV.
Heiden v. II, 95, 96.
Hein I, XI.
Heine, H. IV, 279.
Heinrich II, 199.
Heinroth II, 190, 191, 203, 209, 300. —
III, 262. — IV, 222.
Heinze II, 309. — III, 145. — IV, 147.
Heise I, 268, 269, 272, 273. — III, 23.
IV, 135-
Hellfeld IV, 75.
Hellwag I, 37, 45. — IV, 91.
H6ndewerk II, 224, 232, 242. — III, 3,
127, 130, 134, 135, 257.
Hengstenberg IV, 262.
Henke II, 257.
Henning III, 113, 166. — IV, 259.
Namen-Register.
289
Hennicke III, 266.
Hensler II, 17, 23.
Henseler IV, 64.
Hentzschel III, 283.
Her II, 46.
Heraclit II, 100, 206.
Herbarts Frau I, 3. — IV, 55, 176, 255.
(s. auch Drake.)
Herbarts Mutter I, 15, 17, 18, 20, 23, 24,
30, 32, 38, 41, 44, 47, 53, 54, 55, 56,
57. 58, 70, 71. 79. 81, 82, 117, 119,
135. 139. 193. 195. 259-
Herbarts Vater I, 19, 54, 58, 82. — II, 46.
Herbarts Vorfahren I, 3,
Herbart, W. III, 300. — IV, 3, 4, 47.
Herder I, 32.
Hermann III, 'loi, 113, 170, 183, 300.
IV, 61.
Hermes II, 316. — III, 195.
Herrmann I, 181.
Herodot I, 200, 257, 306. — II, 64, 68,
— III, 300. — IV, 36, 92, 212.
Herzc^ von Oldenburg II, 27.
Herzog von Weimar I, 9.
Hesse II, 82, 83, 84, 120, 121, 122.
Heße IV, HO.
Hesiod IV, 61, 92.
Hey II, 214.
Heydenreich II, 1 1 o.
Heyne I, 278, 299, 307. — II, 5, 10, 28.
30, 45, 46, 49, 57, 60. — IV, 61, 162,
173. 174-
Hildebrand II, 120.
Hillebrand II, 203.
Hindenburg I, 285.
Hinrichs II, 232, 233, 271, 302, 303, 306,
307. 312, 320. — III, 85, 169, r96. —
IV, 212, 222, 248, 259.
Hippokrates II, 137.
Hirzel I, 78. — IV, 91.
Hitzig II, 259.
Hoene IV, 143.
Hofer I, 269, 272.
Hofmann III, 124.
Hoffmann, E. T. A. II, 259. — IV, 227.
Hofmeister I, 65. — IV, 68, 134.
Hogarth II, 75.
Hohn, J. I, 5.
' Holäufer IV, 204, 205, 206.
Hollenbach I, 3.
Hollinger, Julchen II, 318.
Hollmer, Graf I, 252.
Holstein III, 124.
HoUwag IV, 64.
Holz IV, 124.
Homer I, 102, 118, 146, 170, 229, 231,
284, 299. — II, 24, 37, 49, 60, 64,
68, 81, 82, 88, 94, 115, 152. — III,
241, 252, 288, 310. — IV, 40, 61, 91,
160, 173, 204, 207, 218.
Hbrbarts Werke. XIX.
Hoppenstedt III, 9, 10, 12, 18, 19, 32,
36, 40, 41, 138. — IV, 252, 254, 257.
Horbo IV, 65.
Hern I, 30, 40, 79, 81, 94, 102, 178,
179, 263, 264, 300. — II, 5. — IV,
54, 68, 70, 72, 77, 115, 121, 122,
123, 149.
Homeyer II, 159, 160, 166, 198.
Horaz I, 134. — IV, 104, 181.
Hotho IV, 259.
Hottinger IV, 261.
Hölderlin I, IX; IV, 69, 103, 108, 115,
116.
Hölsche IV, 176.
Hörmann III, 107.
Huber I, 307. — II, 8, 9. — HI, 250.
Hufeland I, 17, 31, 32, 38, 46, 47, 50,
73. 218, 307. — II, 137, 310. — IV,
80, 95.
Hugo I, 252. — II, 38, 214, 310. —
m, 7, 37. 38.
Hume IT, 206, 315. — III, 15, 114.
Humboldt, v. II, 61, 62. — III, 35, 124,
127, 129. — IV, 157, 162, 228, 236.
Hunziker II, 53.
Huygens III, 128.
Hüffel I, 7.
Hülle I, 258.
Hüllmann II, 62, 164, 200, 201, 223, 259.
— III, 32, 308. — IV, 192, 229, 232.
Hülsen I, 8, 26, 31, 33, 34, 37, 42, 56,
64, 68, 73, 74, 76, 79. — II, 25, 26.
— IV, 54, 68, 78, 81, 85, 86, 89, 90,
95. 96, 99. loi, III-
Hüße III, 270.
Hüttner v. IV, 18.
I.
Ideler H, 218. — IV, 238.
Iffland I, 58.
Iken IV, 131.
Israel II, 98. — IV, 177.
Ith I, 248.
Iverssen IV, 77.
Jablonowsky III, 204.
Jacob II, 88.
Jacobi s. Jakobi.
Jachmann II, 91, 92, 94, 319. — III, 300.
— IV, 167, 180, 263.
Jahn, Julie I, 193.
Jakobs I, 55.
Jakobi I, 37, 58, 66, 67, 106, 108, 112,
115, 121, 122, 279, 281, 298, 307. —
II, 8, 88, 89, 170, 171, 232, 251, 274,
275. — III, 28, 42, 149, 189. — IV,
18, 28, 98, 115, 116, 141, 145, 200,
202, 245, 259, 274, 278.
19
290
Namen-Register.
Janke IV, 163.
Jäsche II, 151, 168, 172, 179, 181, 183,
193, 194, 233, 234, 241, 249, 250,
281, 284, 296, 300, 319, 322. — III,
182, 305, 307. — IV, 234, 238, 250,
251, 261.
Jean Paul II, 143, 167, 215. — III, 282.
— IV, 57, 218, 219, 238.
Jenner IV, 115.
Jerbori di Sporetti IV, 195.
Jessel III, 29.
Joinvilles II, 116.
Jördens I, 11, 82, 83.
Jung I, 130.
Junker IV, 196.
Jupiter III, 149.
Just I, 3. — III, 276.
K.
Kahl, W. III, 30, 305.
Kahle IV, 15, 31.
Kaiser I, 278.
Kalka II, 199.
Kalker II, 198.
Kameke, Gräfin I, 32, 39, 44, 54. —
IV, 103, 104, 114.
Kamptz II, 167, 199. — IV, 225,
228.
Kant I, IX; I, 32, 37, 46, 84, 97, 109,
110, 129, 277. — II, 20, 28, 29, 30,
42, 64, 68, 69, 92, 106, 120, 125,
133, 136, 147, 157, 162, 163, 166,
170, 171, 179, 180, 183, 191, 206,
207, 212, 217, 221, 228, 233, 235,
236, 237, 238, 240, 262, 267, 284,
292, 293, 301, 310, 314, 316, 320,
322. — III, 2, 15, 16, 22, 24, 29, 63,
107, III, 126, 130, 140, 141, 142,
143. 151. 156, 169, 170, 189, 195,
197, 213, 214, 219, 222, 229, 233,
239> 300, 304, 316, 318. — IV, 47,
60, 71, 79, 80, 84, 86, 91, 187, 206,
215, 224, 235, 237, 238, 263.
Kappe III, 126.
Karabacek, Ritter v. I, XI.
Kartin III, 273, 276, 277, 284.
Karstein IV, 68.
Kaskorbi, Felix II, 149.
Kastendyk I, 233, 264 (s. Castendyk).
Kayssler II, 97, 108. — IV, 205.
Keisler IV, 212.
Kahler II, 110. — IV, 49, 256, 261.
Kästner I, 94, 95, 130. — ' IV, 68.
Käuffer III, 165.
Keber IV, 267.
Kehrbach I, 42. — 11, 269, 308. —
IV, 58, 80, 173, 276.
Keller I, 308. — II, 311, 317, 322.
Kepler II, 164. —
Keppler III, 33.
Kiesewetter II, 17, 131, 151.
Kilian II, 138.
Kirchhoff I, 30. — IV, 78.
Kirnberger I, 249.
Klein I, 277. — II, 252. — IV, 193,
243-
Kleinert II, 319. — IV, 241.
Kleinschmidt IV, 14 1.
Klementi I, 59, 126.
Klopstock IV, 92.
Klewitz IV, 163.
Klügel III, 148. — IV, 68.
Knack I, XI.
Kneschke II, 221.
Kniewel II, 106, 107.
Knigge I, 202.
Knoblauch III, 289.
Knobloch IV, 262, 264.
Knös I, 308.
Kocher IV, 68.
Koehler III, 289.
Koenig IV, 209.
Kohlrausch II, 7, 44, 50, 52, 73, 82, 86,
87, 88, 90, 122. — III, 3, 9, 278. —
IV, 15, 42, 154, 156, 174.
Konschel III, 213.
Kopp III, 285. — IV, 210.
Koppy IV, 150.
Kornel IV, 212.
Korthaus II, 260.
Kotzebue I, 58, 263. — IV, 21, 205.
König I, 256, 278, 279.
König von Preußen II, 30.
Koppen I, 6, 15, 30, 51, 55, 58, 63, 113,
284, 298, 299, 300, 301, 302. — II,
5, 13, 91. — IV, 68, 72, 202.
Körber II, 1 10.
Körte IV, 262.
Kraus II, 94.
Krause, G. I, 3.
Krause II, 64, 88, 92, 109, iio, 144,
172, 203. — IV, 189, 192, 193, 197,
198, 210, 237.
Krämer IV, 152.
Kretzschmar, J. IV, 92.
Kriton IV, 92.
Krone III, 181, 220.
Krug II, 28, 106, HO, 112, 120, 163,
171, 191, 198, 214, 216, 218, 231, 233,
235. 243. 275. 285. — III, 6, 34, 41,
42, 54, 56, 61, 69, 70, 85, 86, 92, 95,
99, loi, 107, 108, III, 112, 117, 118,
120, 183, 196, 229, 232, 239, 312. —
IV, 146, 220, 233.
Krummacher IV, 43.
Krusche IV, 150.
Krule II, 23.
Kruse I, 4. — IV, 56.
Krüger I, 15. — IV, 68, 72.
Namen-Register.
2gi
Kulenkamp I, 202, 234, 248, 253, 254,
258, 263, 264, 279, 284, 294, 302. —
n, 4, 5. — IV, 133, 134, 144, 149.
Kummer II, 98.
Kunze III, 146.
Kühn I, 9.
Kühnel 11, 13. — FV, 152.
Kühner IV, 197.
Kaufmann IV, 68.
Kvaöala II, 168.
L.
Lachmann II, 127.
Lacroix III, 314. — IV, 212.
La Eive IV, iio.
Lamberts I, 94.
Lang in, 286.
Lagrange III, 232.
Lange, J. G. L 38, 39, 4°, 41, 43, S^.
52, 53. 58, 63, 72, 74, 81, 119, 249,
— IV, 90, 91, 103, 104.
Langenbeck IV, 28.
Langener v. III, 113.
Langreuter I, 32, 34, 37, 38, 47, 71, 78,
247. — rv, 63, 65, 76.
Langx^-erth v. H, 54, 71, 153, 299, 300,
301. — in, 149, 151, 223, 224.
Lantsch I, 19, 24.
Laplace II, 288.
Lassert II, 127.
Latour HI, 132.
Latzel IV, 197.
Lavater I, 67, 78. — IV, 91.
Lavoisier III, 221.
Lazarus I, XFV. — II, 155. — IV, 41,
53. 56, 159. 254.
Lebrun IV, 92.
Lehnerdt II, 201. — FV, 261.
Lehnert EU, 134, 288. — IV, 14.
Lehrs III, 186. — IV, 215.
Leibniz I, X; I, 31. — II, 20, 53, 164,
275. - m, 15, 128. - IV, 17.
Leichhardt m, 133.
Leicht IV, 53, 56, 159, 254.
Leist II, 49. — IV, 154, 155.
Lengerke v. HT, 28.
Lentz IV, 184.
Leopold III, 113.
Lessing I, X; 11, 256. — IV, 71, 85.
Leukippos II, 164, 280.
Lewitz m, 222.
Lewis IV, 134.
Lichtenberg II, 121. — III, 24.
Lichtenstein II, 218.
Liebener III, 257. — IV, 53.
Liebich IV, 106.
Liedelof v. I, 24.
Liepmannsohn IV, 281.
Linne II, 136.
Lindenau v. U, 249. — III, 95, 98, 99,
107, 109, 202, 206, 211, 212, 218,
219, 246.
Lindner I, 15, 35, 60. — II, 119. —
III, 262. — IV, 68, 146.
Livius I, 133, 187, 200, 201. — rv, 121,
218.
Lobeck 11, 132, 154, 186, 219, 223. —
III, 26, 28, 97, 106, 108, 186, 222,
250, 299, 318. — IV, 49, 53, 215,
251, 260, 263, 265, 272.
Locke II, 315. — III, 15.
Lockmann IV, 264.
Loder I, 31, 32. — IV, 62, 80.
Lorenz II, 274.
Lorinser III, 252.
Lossius rv, 72.
Lot III. 151.
Lott III, 146, 147, 279, 281, 282, 317.
— IV, 17, 20, 23, 46.
Lottermoser II, T03. — HE, 289. —
IV, 192, 198, 201, 202.
Lovzow n, II.
Löffler IV, 200.
Luber IV, 163, 176.
Lucas III, 251, 252, 300, 310.
Luden III, 277.
Ludwich III, 186. — IV, 215.
Luise, Königin v. Preußen II, 63, 85.
Luther IV, 277.
Lücke III, 209, 256. — IV, 14.
Lünemann IV, 174.
Lützow III, 125.
Lykui^ L 103, 233.
M.
Mably I, 103.
Machiavelli II, 116.
Mai IV, 68.
Mais III, 17.
Mann I, IX.
Manso J. S. I, 4, 5. — IV, 62.
Marheinecke II, 125, 302, 303.
Martens IV, 55.
Martin II, 216.
Marotzky III, 38, 56, 58.
Mars III, 149.
Massenbach III, 289.
Maurenbrecher III, 312.
Max II, 155, 158.
May I, 65, 66, 126, 204, 211. — II, 25.
— IV, 103, 142.
Mayer II, 65, 68, 119.
Mechehi v. I, 277.
Medem III, 182.
Meding III, 124, 126.
Meen I, 15, 18, 19, 24, 38. — IV, 60, 62.
Mehring II, 182, 203. — III, 9. — IV,
221.
19*
292
Namen-Register.
Meier III, 28.
Meiners I, 19. — IV, 162.
Meinen IV, 68.
Meisner I, 204.
Meister I, 15. — II, 128. — IV, 68.
Mellin I, 37. — II, 133.
Mencik I, XI.
Mendelsohn IV, 60.
Mentz IV, 185.
Menzel, W. II, 284. — IV, 205.
Merckel III, 188.
Mereau, Sophie I, 6, 22, 32.
Merguet IV, 157.
Merian IV, 183.
Metsch III, 242.
Metz II, 203. — IV, 233.
Meus III, 280.
Meusebach v. in, 285.
Mex IV. 245.
Meyen IV, 243.
Meyer I, 31, 36, lOO, 203. — II, 57, 147.
— III, 24. — IV, 68, 161, 172.
Michael III, 264.
Michel I, 204.
Michelet III, 298. — IV, 220, 259.
Millot I, 133. — IV, 61.
Minerva IV, 72, 97.
Minuth IV, 160.
Mirbach III, 305.
Mitscherlich 11, 45, 218.
Mittermaier III, 312. — IV, 34.
Mohr II, 26.
Moier 11, 181.
Moldenhauer IV, 64.
Moliere I, 130.
Montesquieu II, 118. — III, 44. — IV, 44.
Morgenstern 11, 169, 179, 284. — III,
305. — IV, 250.
Moser III, 28. — IV, 34, 41, 278.
Mozart I, 126. — II, 26.
Möbius III, 107.
Möller I, 26, 35, 73. — IV, 68, 69, 79,
Mönnich IV, 68.
Muhlert I, 293, 294. — IV, 162.
Muhrbeck I, 4, 44, 50, 51, 54, 58, 60,
63, 66, 72, 73, 74, 75, 76, 79, 80, 81,
82, 91, 94, 102, 103, 112, 117, 118,
121, 122, 127, 227. — n, 25. — IV,
68, 103, 105, 107, 108, 115, 116, 127,
140.
Mundt II, 110.
Muralt I, 39. — III, 103. — IV, 192, 193.
Mußmann IV, 222.
Muthesius I, X; II, 186.
Mühlenbruch III, 23, 196, 257. — IV, 28.
Müller, A. 11, 97.
Müller, E. I, 125, 167. '
Müller, F. E. J., IV, 243.
Müller, Georg IV, 147.
Müller, Hofrat III, 287. — IV, 14.
Müller, Joh. II, 7, 28, 30, 37, 44, 45, 46.
— IV, 168.
Müller, Mathem. III, 149, 284.
Müller, Sachs. Minister III, 99, 165, 202.
Müller, Musikdir. IV, 152.
Müller, Ottfried III, lOi, 102. — IV, 34,
35. 36. 37, 154. 155, 253.
Müller, Prof. IV, 197, 209.
Müller, Gen.-Sup. IV, 261.
Müllner II, 143, 152.
Münchow V. II, 199.
N.
n, 98.
^v^ 179,
IV, 215.
Napoleon I, 57.
180, 223.
Nasse II, 198, 199, 257, 299.
Nägeli II, 53, 317, 322.
Neander III, 57.
Neubeck I, 46.
Neubert-Drobisch II, 161, 162, 177, 189,
217. — III, 282.
Neumann III, 28. — IV, 49, 249, 274,
278.
Newton I. 106. — II, 275, 288. — III,
128.
Nicolovius II, 62, 64, 65, loi, 102, 103,
187, 261, 299, 306, 317. — III. 7, 35,
124, 300. — IV, 162, 168, 195, 202,
228, 232, 247.
Niebuhr II, 219, 223, 232, 233.
Niederer I, 261. — II, 24, 53, 87. —
IV, 180.
Niehans I, 179.
Niemann IV, 75.
Niemeyer, A. H. I, 286, 287, 291. — II,
5, 58. - III, 284. - IV, 148, 179.
180, 197.
Niethammer I, 10, 31. — II, II, 13, 29.
IV, 78, 79, 153.
Nikolai II, 183. — IV, 61.
Nikolaus, Kaiser IV, 266.
Nieuwenhuis III, 45, 51, 108.
Nolte IV, 163.
Noltenius I, 202, 204, 244, 261, 279. —
II, 5. — IV, 136, 149.
Nowenschiht v. II, 319.
o.
Oelrich I, 150, 202, 263.
Oelsner I, 251.
Oesterlei IV, 14.
Ohlert II, 145. — IV, 233, 266, 273.
Oken II, 40, 139. — III, 5, 231.
Olbers I, 23, 263, 300.
Olivier I, 285.
Olshausen III, 28, 134. — IV, 261, 264,
265.
Namen-Register.
293
Onder IV, 185.
Opelt III, 128, 132, 136.
Oppeln III, 289.
Oppenheimer IV, 175.
Orelli II, 317.
Ossian II, 39.
Osten V. der II, 318. — ITI, 252. — TV,
212, 231.
Otth, C. I, 56, 65, 74, 126, 128, 144,
151, 152, 211, 212, 218, 236, 237. —
n. 25. — IV, 99, 103, 105, 113, 115,
137-
Otto III, 144.
Ovid III, 310.
Palmedo, Gräfin, II, 27, 40, 94. — IV,
178, 207, 210.
Pape IV, 156.
Parmenides I, 289. — II, 206.
Paschley in, 186.
Passow II, 92, 108. — IV, 205.
Paul Friedrich August, Großherzog von
Oldenburg, I, 83.
Paulsen IV, 215.
Paulus I, II, 285.
Pauw, K. V. II, 88.
Pavenstedt I, 176.
Paw II, 88.
Pätz I, 268, 273.
Peinemann I, 306.
Pfeiffer IV, 68.
Perthes n, 214, 249, 315. — III, 161. —
IV, 161, 233.
Pertz IV, 42.
Pesarovius IV, 68, 79, 80.
Pestalozzi I, 29, 78, 156, 157, 158, 159,
163, 164, 176, 210, 216, 220, 225, 236,
24b, 247, 248, 254, 255, 256, 257, 258,
261, 262, 287. — II, 8, 9, 10, II, 24,
37, 41, 45, 52, 53, 62, 69, 71, 82, 83,
86, 87, 90, 98, 106, 107, 127, 149. —
rv, 92, 118, 128, 129, 131, 136, 140,
141, 143, 144, 146, 165, 166, 167, 177,
180, 182, 197.
Peter, Herzog von Oldenburg I, XIV. —
IV, 56, 198.
Petersen IV, 68.
Petrarca II, 116.
Petri I, 306, 307. — II, 5, 149. — III,
59. — IV, 149, 207, 210.
Petz II, 46.
Pfnor III, 9.
Pfrogner I, 292, 293, 294.
Phädon I, 170, 289.
Pictet n, 70.
Pindar 11, 46.
Planck I, 300, 304. — n, 5.
Platen v. I, 286. — IV, 148.
Platter I, 204.
Plater I, 283. — U, 24, 38. — IV, 145,
148, 158.
Plato I, 115, 118, 136, 141, 170, 181,
200, 256, 268, 281, 287, 288, 289, 290,
292, 293, 306. — n, 22, 27, 29, 62,
99, 100, 157, 213, 230. — m, 112,
113, 126, 142, 170, 184, 195, 204, 205,
2x5, 285, 286. — IV, 68, 92, 139, 232,
237-
Plotin I. 293.
Plutarch I, 136, 140. 141, 170, 187, 200,
201, 257. — rv, 92.
Poel, G. V. I, 6, 33.
Pohl I, 3.
Pohrt IV, 68.
Pommer III, 104, iio.
Poppe I, 93.
Porret IV, 68.
Posselt m, 306.
Pölitz m, 41, 47, 232, 244, 276, 283.
Pöschmann II. 66.
Presse, v. I, 285.
Preus II, 65.
Protagoras I, 289.
Proteus II, 141.
Prutz IV, 215.
Puchta in, 121.
Pudor III, 123.
Pustkuchen 11, 107.
Putsche IV, 80.
Racin I, 276.
Radzivil, Fürst II, 63.
Rahel III, 186, 282.
Rahden v. I, 82, 262, 263, 264, 265,
266, 267, 275, 277, 301. — n, 38,
44, 47, 64, 94, 95, 105, 130. —
III, 307. — IV, 166, 171, 180, 181,
217, 219.
Rahn II, 129. — IV, 92.
Raison I, 51, 63.
Raumer v. II, 215. — FV, 189.
Ranke III, 284. — IV, 4, 6, 40, 41, 53.
Raphael IV, 92.
Ratho III, 250.
Ratjen, H. I, 6.
Rauschelbach I, 249.
Rebhuhn IV, 47.
Rechteren IV, 166.
Re^ger IV, 133.
Rengger IV, 182.
Reichard I, 22, 55, 74. — FV, 79.
Reiche HI, 220, 298, 310, 311. —
IV, 38, 39, 40, 191, 281.
Reichhelm II, iio, 134, 188, 260, 261,
298, 299, 306, 318. — III, 17, 18,
'9. 40. 45. 124, 126, 133, 135, 138,
2Q4
Namen-Register.
139. 159- — IV, 194, 195, 197, 198,
209, 210, 226, 228, 248, 271.
Reicke, R. v. II, 113.
Reichlin-Meldegg III, 311.
Reimers I, 27, 34. — IV, 68, 77, 80.
Rein II, 161, 207, 242. — III, 30, 191,
273. — IV, 159, 276.
Reinhold I, 76, 97, 298. — II, 14, 16,
17, 21, 22, 27, 29, 151, 166, 198, 201,
216, 232, 235, 262, 267, 292, 297. —
in, 2, 133, 136, 195, 196, 244, 261,
264. — IV, 65, 76, 232, 233.
Reiz IV, 61.
Rehberg III, 47.
Rehfus II, 199, 316.
Rembold IV, 51, 52.
Remer II, 38, 62. — IV, 68, 189, 192.
Rettig III, 231.
Reusch IV, 258, 260, 261, 265.
Ribbentrop II, 54. — III, 39. — IV,
159, 253, 262.
Richelot III, 28.
Richter, J. P. Fr., s. Jean Paul.
Richthofen v. II, 8, 38, 42, 43, 45, 50,
51, 52, 57, 58, 60, 61, 68, 82, 86, 87,
89. 90, 91. 94. 96, 122, 123, 133, 147,
149, 150, 154, 156, 158, 159, 183,
184, 187, 203, 206, 211, 306, 311, 312.
— in, 7, 17, 33. 39. 49, 50, 88. 124,
125, 158, 160, 188, 310. — IV, 24,
25, 150, 153, 154, 156, 157, 164, 165,
167, 168 — 171, 175 — 179, 181, 182,
185, 187, 188, 193, 202, 204 — 208,
210 — 212, 214, 216, 217, 220, 221,
225—227, 231, 232, 248, 253, 262,
279, 281.
Ricklefs I, 256. — IV, 77.
Riel IV, 157, 274.
Rist, J. G. I, 6, 15, 26, 30, 33, 36, 55,
58, 60, TZ, 73, 97, 98, 99, 126, 188,
305. — II, 26, 59, 224. — IV, 54,
68, 73. 77. 81, 89, 93, 99, 102, 109,
113, 116, 139.
Ritscher I, 250.
Ritter II, 71, 171, 180, 183. — III, 56,
86, 99, 107, 196, 207, 211, 268, 270,
279, 280, 282, 294, 318. — IV, 6,
39, 41, 232, 233.
Rittmüller III, 144.
Rocco III, 206.
Rochowsky IV, 212.
Roer II, 144, 154," 157, 160, 166, 168,
296, 301, 304, 308. — III, 5, 9, 31, 34,
41, 49, 89, 100, 110, lii, 123, 134,
139, 146, 166, 302, 303, 304. — IV, 275.
Rohde I, 204.
Rohde, Metta I, 278.
Rohde, Wilhelmine I, 79.
Rohmeder II, 153.
Romang HI, 153, 154, 312.
Romer IV, 185.
Röscher IV, 42.
Rosencrantz I, 189.
Rosenkranz III, 63, 70, 94, 96, 102, 123,
130, 170, 216, 222, 229, 250, 252,
253, 300, 309, 318. — IV, 14, 17,
44, 48, 68, 116. 259, 261, 264, 269,
270, 271, 273, 278.
Rosenstiel IV, 163.
Roth II, 121.
Rougemont II, 128, 129, 130.
Rousseau I, 154. — II, 33, 118. --
IV, 128, 129.
Roux I, 37.
Röbitz III, 276, 283.
Rödiger IV, 239.
Röhr II, 216.
Römer v. I, 195. — II, 11.
Röwer IV, 137.
Rüge III, 317.
Rump I, 145. — n, 129. — IV, 135.
Rumpf, A. F. I, 5, 9.
Runde I, 126. _ n, 11. — IV, 185.
Runge I, 17.
Runike II, 128.
Rupp III, 123, 126. — rv, 266, 278.
Ruppel IV, 55, 176, 249.
Rückert II, 151, 300.
Saalfeld I, 296.
Sachs, L. II, 135, 142, 210, 246, 286,
297. 324- — III. 14. 26, 28, 97, 106,
240, 250, 253, 255, 308. — IV, 18,
28, 49, 259.
Sack IV, 163.
Sacken, v. I, 306.
Salat II, 131, 151. — IV, 233.
Sallust I, 133, 166, 187.
Sallwürk v. I, 61, 269.
Salzmann IV, 144.
Sauden v. III, 252. — IV, 249, 253.
Sander I, 244.
Sanders I, 244.
Sanio II, 200. — III, 14, 16, 28, 106,
208, 213. 257, 259, 308, 318. — IV, 7,
29, 32, 41, 49, 53.
Sartorius I, 266. — IV, 278.
Sauerländer II, 73.
Sauter III, 257, 258. — IV, 272.
Savigny II, 149, 187, 218. — III, 7. —
IV, 188.
Sämann IV, 274.
Schacht II, 54, 153, 299, 300, 304. —
III, 69, 96. — IV, 161.
Schaller III, 124.
Schalpe II, 319.
Schaub II, 319. — IV, 266.
Scheibel IV, 211.
Namen-Register.
295
Scheidler ITI, 195.
Scheffner, J. G. II, 62, 85, 109. — IV, 193,
195, 197, 210.
Schellenberg IV, 69.
Schelling I, 12, 31, 36, 37, 39, 42, 43,
44, 66, 73, 74, 94, 97, 293. — II, 21,
22, 88, 94, 96, 104, 106, 107, 133,
137, 147, 169, 180, 210, 215, 219, 221,
238, 239, 240, 250, 271, 291, 293, 299,
311, 312, 313. — III, 6, 21, 45, 63,
70, 115, 118, 119, 120, 121, 146, 149,
156, 160, 163, 210, 217, 218, 219, 220,
227, 240, 253. 304, 315. — IV, 43, 79,
80, 8;^, 86, 89, 146, 200, 236, 268.
Schenk IH, 268.
Schepp II, 318.
Scherer I, 121.
Schick III, 24.
SchiferH I, loi.
Schildener I, 65, 66, 73, 112, 122, 149.
— IV, 68, 105, 117.
.Schiller I, 10, 17, 31, 32, 40, 46, 73,
123, 125, 126, 167, 262, 265, 275. —
n, 21, 290. — III, 195, 282. — IV, 75,
79, 84, 98, 134.
Schilling III, 267, 280.
Schimmelmann, Graf I, 98. — IV, 10 1,
112.
Schirhtz IV, 233.
SchlabemdoriF I, 277.
Schläger IV, 193.
Schlemmer III, iio, 204. — IV, 38.
Schlegel I, 46, 47. — H, 163, 199, 215,
282, 317. — rV, 91, 220.
Schleiermacher I, 282, 308. — II, 48, 58,
174. 323- — ni, 42, 57, 93, 131, 132,
151, 189, 197, 200, 201, 205, 214, 247,
256, 261, 264, 268, 272, 273, 282. 316.
— I'^^ 43- 159, 203, 212, 242, 262.
Schlichtegroll l, 55.
Schleifer I, 21. — IV, 60.
Schmauß III, 37.
Schmedes I, 22.
Schmid I, 5. — II, 24, 53, 69, 120, 171.
— III, 307. — IV, 76, 129.
Schmidt, Eduard II, 309.
Schmidt, H. I, 263. — III, 134, 289. —
IV, 62, 127.
Schmit V. I, 233, 234.
Schnaubert I, 11.
Schneider I. 133. — IV, 232.
Schoen III, 288, 309.
Schoepflin IV, 61.
Scholz II, II. — IV, 185, 205.
Schopenhauer II, 108, 109, iii, 112, I13,
114.
Schön V. IL 317, 319. — IV, 228, 260,
263, 264.
Schönherr IV, 264.
Schröder I, 17, 18, 24.
Schröder, G. I, 31.
Schröder, Annette I, 19, 54.
Schubarth II, 203, 220. — IV, 233.
Schubert, Mlle. I, 55.
Schubert II, 229, 288. — III, 26, 28, 46,
49, 92, 96, 105, 106, 124, 221, 249,
251, 271, 299. 300, 317. — IV, 7, 29,
35—37, 41, 42, 48, 49, 258 — 260, 262,
265, 266, 272, 277, 278.
Schuckmann IV, 186.
Schuhmacher IV, 243.
Schulmaim IV, 49.
Schulrath II, 317.
Schultheis 11, 304.
Schulz II, 57, 100, 166, 214, 236. —
III, 31, 159. — IV, 162, 226, 232,
243-
Schulze II, 68, 147, 260, 261, 281, 316.
— III, 4, 5, 17, 30, 46, 165, 280. -
rV, 68, 213, 228, 259.
Schuster, Georg II, 62, 63, 64, 84, 85, 10 1.
Schüttdorf IV, 103.
Schüu I, II, 32, 47, 78.
Schwarz I, 268. — II, 275. 281, 305. —
III, 166. — rv, 116, 144.
Schwatlow IV, 232.
Schweigger IV, 202.
Schweins II, 69.
Schweizer III, 261. — IV, 265.
Schwetschke 11, 224, 227, 231, 245, 275,
285. - III, 283, 284. - IV, 7, 27,
29, 41, 48, 49-
Scott II, 242.
Seckendorf II, 153.
Seemann IV, 281.
Seeny III, 250.
Segelken I, 143, 144, 150, 151, 152, 155,
165, 166, 168, 171, 187, 189, 197, 201,
206, 211, 218, 223, 232. 241, 249, 257.
— IV, 118, 132, 133, 137, 142.
Seidel II, 145.
Seidler 1, 37.
Seien II, 147.
Senger IV, 268.
Sengsten, H. I, 176.
Shakespeare II, 50, 53, 117, 215.
Sieffert III, 16, 28, 48, 106, 207, 209,
256, 257, 308, 318. — IV, 7, 27, 29,
41, 48, 49.
Sieges IV, 91.
Sieveking, K. II, 40.
Sievers I, 277, 283, 284, 293, 296. —
II, 8, 37, 44, 45, 65, 67, 97, 98, 105.
— III, 59. - IV, 145, 147, 148, 158,
182, 183, 185, 186, 192, 193, 198, 199,
201.
SigA^art n, 120, 131.
Simon II, 131.
Simson IV, 32, 41, 278.
Sinclair II, loi. — IV, 69, 108, ii6.
296
Xamen-Register.
Singelmann IV, 245.
Sinner v. 1, 138, 155, 176, 178, 212. —
IV, 93, 104, 106, 120, 123, 124, 138.
Skrczecka II, 318.
Smidt, Richter, Dr. I, XIII; I, 17, 33, 60,
97, 180, 193, 244. — II, 163. — IV, 68,
125-
Smidt I, XII; I, 6, 11, 12, 13, 15, 17,
19, 22, 23, 24, 25, 26, 29, 30, 38, 39,
40, 42. 43, 50, 53, 54. 58, 63, 79. 82,
93, 94, 102, 113, 116, 117, 121, 126,
\27, 139, 149, 150, 158, 187, 193, 202,
203, 204, 213, 214, 216, 223, 226, 234,
252, 257, 262, 263, 264, 278, 279, 283,
285, 293, 299. — II, 3, 5, 13, 33, 129.
— ni. 39, 135. — IV, 21, 43, 54, 55,
62, 68, 69, -jz, 77, 80, 89, 90, 131,
133. 136, 140, 144, 148, 149.
Snell II, 16. — III, 105.
Sokrates I, 115, 181. — IV, 92, 237.
Solger II, 215. — IV, 203.
Solor I, 103.
Sonnenschein I, 130, 139, 203. 212, 233,
234-
Sophokles I, 118. — II, 85. — III, 282,
288. — IV, 92.
Spazier IV, 218.
Speransky II, 67.
Spiegel I, 6, 11, 30. — IV, 68.
Spinoza I, 12, in, 285, 291, 293, 294.
— II, 157, 169, 194, 217, 221, 240. —
ni, 16, 47, 126, 133, 140, 141, 151,
184, 189, 198, 210, 211, 214, 256, 282.
— IV 16 17 277.
Spitzner, A. I, X; III, 30, 69, 82, 84, 88,
89, 90, 103, 114, 161, 167, 179.
Stackeiberg, Otto Magnus v. II, 27, 216.
- ni, 59.
Sprecher IV, 80.
Stahl I, 245. — IV, 116, 136.
Stapfer IV, 94.
Stark III, 276. — IV, 107.
Starklof II, II.
Stäudhn II, 5.
St^emann III, 124.
Steck, Prof. Dr. R. I, XIII; I, 29, 61,
68, 78, 213, 218. — II, 37, 129, 317.
— III, 153. — IV, 92, 103, 137.
Steck, Joh. Rud. I, 29, 31, 33, 38, 39,
44, 47, 53, 54, 55, 56, 58, 60, 64, 68,
69, 72, 73, 74, 75^ 76, 79, 80, 81, 91,
94, 97, 99, 100, loi, 112, 113, 121,
126, 128, 150, 166, 167, 2.10, 213, 214,
232, 235, 236, 237, 259, 261. — II, 25.
— IV, 68, 89, 98, 103.
Steffen IV, 138.
Steffens II, 108, 120, 299. — III, 63, 64,
191. — IV, 168, 177, 205, 206, 211,
212, 248.
Stefiens, Maler I, XIV.
Stegemann IV, 68, 69.
Steibelt I, 39.
Steiger 1,4, 48. 49, 51, 54, 61, 62, 63,
68, 71, 74. 77, 78, 79, 81, 82, 86. 87,
88, 90, 92, 94, 99, 118, 119, 121, 129,
131, 132, 133, 134, 136, 139, 140, 146,
147, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 165,
166, 167, 170, 171, 174, 175, 180, 189,
200. 201, 203, 206, 207, 208, 211, 217,
223, 233, 237, 241, 248, 250, 252, 256,
262, 264, 265, 277, 294, 295, 298, 305,
307. — II, 6, 26, 37, 40, 46, 47, 61,
92, 93, 103, 128. — III, 154. — IV, 92,
104, 105, 107, 108, 118, 132, 137, 139,
142—144, 165, 166, 171, 172, 185, 199,
200, 281.
Stein, L. I, 61.
Steinacker II, 107.
Steinhaus IV, 256.
Steinworth, Gymn.-Dir., I, 4.
Süeglitz III, 186.
Stiemer II, iio, 133. — III, 47 —
IV, 54, 197, 255, 256, 262.
Stock I, 17, 30.
Stollberg II, 148.
Stolle I, 23.
Stolz I, 143, 151, 166. — IV, 131.
Stolze I, 41, 2x8.
Storf III, 289.
Storve III, 106.
Stoy III, 268, 280, 303.
Strackerjan I, 259. — IV, 53.
Strahl II, 199.
Strahlenheim v. III, 10. — IV, 42.
Stroth IV, 61.
Struve II, HO, 168, 229. — III, 310.
StrümpeU I, X; II, 251, 252, 263. 265,
279, 286, 296, 300, 301, 302, 303, 304,
306, 308, 312, 318, 319, 320. —
III, 5, 8, 9, 17, 19, 22, 26, 27, 30,
31, 33, 34, 35, 43, 44, 4^, 51, 69,.
82, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 96^
97, 100, 103, 107, 108, 109, 110, III,
1X2, X13, 114, 117, 120, 128, 130,
134, 136, 137, 139, 146, X56, 159,
x6o, 161, 166, X67, 168, 171, 172,
175, 176, 179, 180, 181, 182, 184,
187, 188, 189, 191, 198, 201, 212,.
216, 218, 2x9, 223, 231, 254, 262,
268, 302, 303, 304, 305, 306, 307.
— IV, 34, 39, 46, 250, 257, 260, 266
bis 269, 274 — 276.
Studenroth II, 124, 126, 173, 175.
Stuerke II, 260.
Stülpnagel IV, 32, 33.
Suabedissen III, x86.
Sulkowsky I, 262, 263, 264.
Suphan, B. II, 21, 216, 2x8.
Süvem II, 41, 62. — IV, 192, 194, 195,
X97, 212, 213, 225, 228.
Namen-Register.
297
Sydow in, 289.
Szieminrei IV, 196.
Szykler I, 39, 54.
Tacitus I, 170, 174. — in, 203.
Tappolet II, 317.
Tasso I, 253, 305. — n, 25, 116. —
IV, 138.
Taute II, 207, 220, 315, 318. — ni, 5,
4/' 63, 97, 106, 127, 13.6, 201, 207,
208, 209, 254, 256, 257, 259, 285, 289,
293, 30O' 308, 309, 318. — IV, 5, 14,
27, 30—34, 38—41. 43—45, 47, 48,
50, 223, 224, 232, 258, 260, 261, 263,
265, 266, 271. 272, 274, 278.
Telesio II, 278.
Teilkampf IV, 26, 27.
Tennemann I, 287, 290, 291, 293, 298.
— n. 92, 131, 145. — IV, 232. ■
Thaden IV, loi, ili.
Thibaut I, 266, 271, 273, 280. — n, 67.
— in, 4, 24, 249, 312.
Thiel I, 15. — IV, 68.
Thil n, 91.
Thilo II, 119, 149. — IV, 212.
Thienemann I, X; II, 186.
Thiermann HI, 253.
Thimne III, 292.
Thiersch II, 41, 54, 58, 73, 88, 89, 92,
94. — IV, 171, 200, 202.
Thomas III, 47, 106, 133. 136, 318.
— IV, 16, 17, 260, 271, 272, 274.
Thomasius III, 270.
Thucydides I, 306.
Thulesius, Heinr. I, 39, 149, 150, 158,
202, 299, 300. — II, 5. — IV, 149.
Thune n, 47, 61.
Tiberius IV, 108.
Tieck II, 215, 218, 219. — IV, 238.
Tieftrunk I, 283. — II, 16.
Tillich I, 261, 284, 291, 293, 294. —
IV, 146, 147.
Tischbein n, 60.
Tittmann III, 193, 195.
Toelken I, 296, 299, 308. — H, 8, 27,
49, 54, 58, 68, 71, 83, 92, 93, 94, 95,
96, 100. 143, 153, 160. — m, 59. —
IV, 171 — 173, 186.
Tomman TL. 129.
Toussaint in, 300. — IV, 255.
Tralles I, 53.
Trapp I, 261. — IV, 129.
Trechsel v. I, 179.
Trendelenburg UI, 184. 196. — IV, 50.
Tripplin IV, 68.
Troxler n, 181, 183, 284, 300. — IV, 221.
Tschamer IV, 104.
Türk V. n, II. — IV, 182. 201.
T Westen n, 199. — IV, 33.
u.
Ulimann III, 291.
Ulrich I, 32. — IV, 248.
ÜlUen I, 4, 216. — IV, 57—60.
Umbreit III, 291.
Unger II, 107. — IV, 109.
Ungewitter I, 296, 299, 302. — II, 163,
301, 306. — III, 59. — IV, 15, 16,
148, 262, 277.
Ungleich III, 30, 69, 82.
Unterholzner I, 307. — n, 8, 38, 41, 42,
52, 57, 61, 95, 149. — III, 30. —
IV, 153. 156, 157, 177, 191.
Unzer U, 108, 109, 112, 113, 126, 131,
166, 172, 179, 229, 309, 315. — III,
253' 255, 258, 263, 264. — IV, 264,
272.
V.
Vasari II, 116.
Vater II, 56, 64. — IV, 161, 210.
Vegesack IV, 68.
Velthusen I, 15.
Viebes II, 134.
Vierling I, 249.
Vieweg II, 154. — III, 83.
Villani, Giovanni II, 116.
Vincke v. n, 119, 122. — IV, 160.
Virgil I, 166, 187. 200. — III, 310. —
IV, 64, 218.
Vogel III, 267, 274, 275, 276. 283, 298.
Vogt, Th. I, X; ni, 146.
Vogtmann ni, 267.
Voigdt III, 63, 287, 290, 308. — IV, 49,
53, 260.
Voigt in, 24, 26. — IV, 49, 68, 228,
229, 272, 278.
Vollgraf m, 312.
Voltaire I, 154. — II, 118, 293.
Voß I, 21, 25, 46, 47, 78, 167, 218, 229.
240, 265, 276. — in, 300. — IV,
64, 91.
Voßmann I, 273.
Völsch IV, 14.
w.
Wachler II, 149, 150. — IV, 205.
Wachowsky IV, 32.
Wachsmuth III, 268.
Wademeyer in, 23.
Wagemann I, 250, 252.
Wagner I. loi. — II, 119, 133, 154.
IV. 35'
Wahn II, 317, 323. — III, 5.
Wahnig TI, 161.
Waitz m, 193, 195, 202, 203, 266, 267.
Wals IV, 195.
298
Namen-Register.
Walte I, i88, 235, 247, 250, 252, 254.
— IV, 125, 133.
Walter v. II, 196.
Wappäus IV, 42.
Ward m, 203.
Wardenburg I, 16. — II, 3, 13, 29, 34.
— IV. 64, 156, 157, 164, 183.
Wasiansky III, 300.
Wattenwyl v. Montbenay I, 74. — IV,
105.
Wächter III, 196.
Weber III, 11, 24, loi, 138, 145, 147,
282.
Wedemeyer III, 282.
Wegener, Ph. II, 244.
Wegener v. IV, 37, 260.
Wegscheider II, 216, 221, 225, 226. —
IV. 222.
Weicher, Th. III, 109, 204. — IV, 35, 37.
Weil IV, 220.
Weyl IV, 164.
Weiller, Cajetan v. II, 89.
Weineke I, 4, 249.
Weiße II, 281, 296, 305, 308, 324. —
III, 42, 55, 69, 86, 94, 107, 117, 122,
128, 169, 170, 171, 174, 229, 232, 270,
304-
Weismisch IV, 248.
Weiß I. 261. — III, 283. — IV, 147.
Welcker II, 199. — III, 58.
Wellington II, 103.
Wendt, H. II, iio, 131, 214. — III, 4,
23, 37. 40, 42, 47, 54- 86, 90, 94, 97,
191. 223, 238, 249, 282. — IV, 189,
232.
Werner II, 109, 259.
Wiehert II, 113. — HI, 258.
Widersprecher I, 23, 45, 72, 251.
Wiebe IV, 256.
Wiebel IV, 266.
Wiedemann I, 218.
Wiget, Jh. IV, 140, 159.
Wiek III. 82, 86, 88, 91, 93, 94, 95.
Wieland I, 25, 32, 2IO. — IV, 95.
Wilhelm I., II, 84.
Willmann, O. II, 73, 107. — IV, 13 1.
Willmanns IV, 79.
Willudraus IV, 189.
Windischmann II, 199, 316.
Winer III, loi, 262.
Winkelmann IV, 85.
Winterl II, 22.
Wirz II, 129.
Witt IV, 164, 245.
Wittgenstein IV, 134.
Woide III, 106.
Woldemar IV, 135.
Wolf I, 31. — II, 71, 153- — in, 63,
189, 217, 316. — IV, 159, 175, 262.
Wolff, C. F. II, 136. — IV, 17, III.
Wolff, Nelly I, XI.
Wolfgramm IV, 176.
Wollaston IV, 243.
Wolmerange II, 98.
Weltmann I, 10, 11, 16, 17, 19, 22, 40,
55, 196. — IV, 109.
Wouvermann IV, 92.
Wörlein II, 281.
Wrangel v. IV, 214, 216, 217, 220, 221.
Wrede IV, 91, 160.
Wunderlich I, 299. — II, 99. — III, 23,
24, 35. 36, 103, 104, 287.
Wundt, W. I, 290.
Wuttiiiski rv, 176.
Wünsch I, 133.
Wyhs, G. V. II, 317. — III, 5. — IV,
143-
Wyttenbach I, 10 1. — II, 26.
Xenophon I, 136, 141, 166, 170, 174,
182, 187, 256, 257. — IV, 92, 218.
z.
Zachai-iä III, 312. — IV, 162.
Zander IV, 197.
Zedelius I, 22.
Zeender I, 49, 62, 179.
Zehender I, 33, 56, 74, 81, 91. 99, 100,
loi, 128, 139, 166, 167, 174, 176, 178,
207, 210, 211, 212, 218, 219, 223,
224, 226, 232, 235, 236, 259. — II,
46, 47. — IV, 92, 116, 117, 119, 122,
125, 127, 129, 137, 141— 143, 183, 200.
Zeerleder I, 93. loi.
Zeise III, 37.
Zeller II, 10, 41, 52, 53, 58, 76, 152. —
IV, 177, 180.
Zeno III, 162.
Zerrener III, 87.
Zickler IV, 104, 135.
Ziegler III, 299.
Zielinski II, 250.
Ziemssen I, 103, 121, 130, 131, 132, 135,
137, 140, 143, 144, 145, 147, 150, 156,
157, 167, 170, 172, 174, 180, 191,
204, 214, 216, 218, 225, 226, 231,
235, 237. 239, 246, 249. — IV, 56,
68, 118, 122—124, 127, 131, 133, 137,
140, 144.
Ziller I, X; I, 4, 9, 45, 55, 61, 78, 82,
92, 97, 127, 129, 215, 252. — II, 30,
31. 73,93. 155. — in, 133, 140. —
IV, 53, 54, 80.
Zimmer II, 12, 71.
Zimmer, Hans II, 16, 219.
Zimmermann, R. I, IX, X; I, 73, 76, lOi,
102, 115, 119, 144, 146, 171, 189,
Namen-Register. 200
279, 286, 287. — n, 12, 17, 38, 55, iZippcl ir, 97.
88, 91, 126, 145, 197, 213, 293, 299, Zoephl III, 311, 312.
301, 302. — III, 5, 7, 14, 18, 20, 22, Zöllich n, 145.
25' 45^ 51, 52, 84, 87, HO, 138, 146, Zschokke I, 99, 100,
205, 213. — rV, II, 21, 46, 51. Zumpf n\ 196.
Zimmermann, Hans II, 120. |
Berichtigung:
Bd. III, S. 284 muß es Arnswald statt Auerswaldt heißen.
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Druck Ton Hermann Beyer A Söhne (Beyer A Mann) in Langensalza.
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