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HIHRHIIIMIII
8000520S7S
mr^r^^^
SOLDAN'S GESCHICHTE
DER
HEXENPROZESSE.
NEU BEARBEITET
VON
DR. HEINRICH HEPPE.
ERSTER BAND.
STUTTGART.
VERLAG DER J. G. CO TT Aschen BUCHHANDLUNG.
1880.
2:23 .
L .
Druck von O t* b r ü d e r K r 6 k «• r in Stutt^urt.
VORREDE.
ine Geschichte der Hexenprozesse gehört unter die
längst ausgesprochenen Bedürfnisse. Ihre Noth-
wendigkeit ist nicht nur in verschiedenen Zeiten
von Thomasius, Semler, Jean Paul, Jarcke und
Andern anerkannt worden, sondern es hat auch nicht an
vielfachen Bestrebungen zur Herstellung derselben gefehlt.
Ein reicher Stoff liegt bereits in den Sammelwerken von
Reiche, Hauber, Reichard und Horst aufgehäuft
und mehrt sich fortwährend durch schätzbare Lokalbei-
träge, die bald einzeln, bald in historischen und krimina-
listischen Zeitschriften erscheinen. Zudem sind in Deutsch-
land Schwager, Horst undScholtz, in England AV al-
ter Scott, in Holland Scheltema, in Frankreich Ga-
rinet mit pragmatischen Bearbeitungen des Gegenstands
hervorgetreten.
Dem Bedürfhisse ist indessen noch nicht abgeholfen.
Die Gegenwart will das Ganze im Zusammenhange be-
greifen ; man hat ihr jedoch selbst die äussere Erscheinung
meist nur fragmentarisch vorgeführt und lässt den Schlüssel
zum Verständnisse vergeblich suchen. Wo auf den Hexen-
prozess die Rede kommt, durchkreuzen sich die wider-
sprechendsten, oft sehr wunderliche Ansichten, ja selbst
hinsichtlich der einfachen Thatsachen werden noch täglich
die irrigsten Voraussetzungen laut. Unter den oben ge-
nannten Geschichtschreibem hat Scholtz unstreitig mit
IV Vorrede.
historischem Geiste gearbeitet ; seine Schrift ist jedoch zu
sehr Skizze, um alle Partien in's nöthige Licht zu stellen.
Horst's Dämonomagie enthalt im Einzehien Danken»^
werthes, es fehlt aber an Ueberblick und Zusammenhang.
Durch die spätere Herausgabe seiner Zauberbibliothek hat
er selbst die Nothwendigkeit einer „Revision des Hexen-
prozesses" anerkannt. Schwager's unvollendetes Werk
leidet an Einseitigkeit und handgreiflichen Verstössen.
Walter Scott und Scheltema sind ohne Quellenstudium
und voll von Unrichtigkeiten ; jenem galt es mehr um eine
anziehende Unterhaltung, diesem mehr um die Verherr-
lichung des holländischen Volkes, als um die Erforschung
der Wahrheit. Gar in et beschränkt sich auf sein Vater-
land. Im Allgemeinen lässt sich behaupten, dass man in
einem nach Raum und Zeit viel zu enge gezogenen Kreise
sich bewegte, als dass eine freie Uebersicht des Ganzen
hätte gewonnen werden können. Der Hexenprozess ist
nicht eine nationale, sondern eine christenheitliche Erschei-
nung; soll er begriflFen werden, so darf seine Darstellung
weder auf ein einzelnes Volk sich beschränken, noch mit
demjenigen Zeitpunkte beginnen, wo er als etwas schon
Fertiges hervortritt.
Durch eine zufallige Veranlassimg zur näheren Beach-
tung des Gegenstandes hingeführt, habe ich mich bald von
der Nothwendigkeit einer neuen Bearbeitung überzeugt
gesehen; es zog mich an, die eigene Kraft daran zu ver-
suchen, und so entstand die Schrift, welche ich hiermit
der Oeffentlichkeit übergebe.
Wurden die hierbei zu besiegenden Schwierigkeiten
gleich Anfangs nicht gering angeschlagen, so haben sie
sich im Verlaufe der Arbeit noch grösser dargestellt. Es
war hier nicht nur eine lange Reihe von Jahrhunderten
und Völkern zu durchforschen, sondern diess musste auch
in den verschiedensten Richtungen geschehen. Die Er-
scheinungen des Zauberglaubens sind nicht etwas Isolirtes:
sie stehen nicht bloss mit dem allgemeinen Stande der
Bildung in stetem Zusammenhange, sondern verzweigen
sich auch in zahlreichen Berührungen mit der Kirchen-
Vorrede. V
geschichte, der Geschichte des Strafrechts, der Medizin
und Naturforschung, — Fächern, in denen der Verfasser
zum Theil Laie ist und nur mit Mühe die nöthigen Auf-
schlüsse sich verschaffen konnte. Eine umfassende Lek-
türe hat oftmals nur dazu gedient, um einen einzelnen
Umstand sicher zu stellen, oder für die weitere Forschung
den richtigen Standpunkt zu gewinnen, ohne eine einzige
Zeile Text zu liefern. Zudem ist die Literatur des eigent-
lichen Zauber- imd Hexenwesens eine sehr reichhaltige
und der Weg durch das endlose Gewirre der dogmatischen,
polemischen und praktischen Werke oft eben so dunkel,
als ermüdend. Historische Quellenschriften standen für
Deutschland viele, für das Ausland wenigere zu Gebot;
es musste darum für das letztere öfters zu Nachrichten
aus zweiter Hand gegriffen und die Glaubwürdigkeit der-
selben einer nicht immer leichten Prüfung unterzogen
werden. Möge darum der billige Beurtheiler die aus der
Sache hervorgegangenen Un Vollkommenheiten dieser Schrift
mit Nachsicht aufnehmen.
Eine Gesammtgeschichte des magischen Aberglaubens,
so dass auch die sogenannten geheimen Wissenschaften
eingeschlossen wären, gehört nicht in den Plan dieser
Schrift; dieselbe behandelt, der obigen Ankündigung zu-
folge, nur den Hexenprozess oder, mit andern Worten,
den Zauberglauben, insofern er ein Strafverfahren zur Folge
hatte, imd hat darum alles dasjenige, aber auch nur das-
jenige in ihr Gebiet zu ziehen, was dazu fuhrt, denselben
in's rechte Licht zu stellen. Lediglich in dem ausgespro-
chenen Zwecke findet der Gang, den wir durch Völker,
Zeitalter und Stoffe zu nehmen haben, seine Richtung,
vsrie seine Ausdehnung und Beschränkung vorgezeichnet.
Der Leser erwarte auch weder psychologische Deductionen
über die letzten Gründe des Zauberglaubens überhaupt,
noch Excurse über das mögliche naturwissenschaftliche
oder das m5rthologische Fundament einzelner Zauberideen,
welche wir in letzter Listanz bis zum griechischen oder
romischen Alterthum zurückführen werden. Wie der
Grieche zu dem Glauben kam, dass ein Mensch sich in
'*X,'*-!
. ' -x— >■ - .tri ÄÄi-ieln könne, warura er sich die Er-
'',r*»:l\-r^'' der Zukizrt aus dem Mun-ie eines Tc*iteii mog^
T: :i -i^i'r.Zr^ t i^rauf der Römer seine Vor>ieIlune von den
''*r'z^:J2^hrerjien StrSe^en gruniete, ob bei den Pfaütren
"^''jfi^^ trrz. Cerem.':n:ell zuweilen aiicb arzneüirb wirkende
SiVc^:r-Z/^n AT.^-'eTre:: iet vurien, und welche es sein
-ZjjryrjfT. -— ^- w., — ciess alles wird ims um so
'^S'jLsrjfz. llrfen, als Erönemn^en darüber theils
» ^irrrh.',*r:ti, iz^rrLb auf g^anz unsicfcerem Boden sieb benim-
t'*- -^s^ tr.rrlls er. ü: ib . was hier die Hanptsacbe ist , fSr
',-' -^--^ Ztt^' iL n'-r vm ui:terg"eordneteTa Beiarge sein
\'\'^.^. Vrir "Brerfen. anstatt zu deuten und zu muth-
"-i. ^^. *.'/.:he Vi^r^teHunzen, wo und wie sie uns zuerst
>'*-i;"'*r . g['i:z^ e:r-fä.cb als Tbatsacben nebmen und dafür
I ',-^/v l--r.^. ihre Verpflanzung-, ihre Verscbmelzui^
V i^'..'It.*rm t:nd ihre praktische Bedeutung" • soweit
. ^'.ri '.',?- er OeTB*i* sr.eit oder Wahrscbeinlicbkeit ge-
i'i^—.. 'ie-^o re:--:<'er verfolgen.
? '>m: cT.hpelargt, so ergab es sieb von selbst,
' -,. ' e '.e V'-:n. -aelir-e theils Unsicheres feststellen, tbeils
: ^-..-r- ^^ z:.r Arschd.--rg bringen sollte, halb Forscbung",
' i \ Ij>j^ ^«-' -r ;f -werden mu^sste. Femer waren, weil von
i \yy ' H / ^ "rAß-y': e. vr/n Volk zu Volk gleichsam ein Kassen-
■'*•'/ '->* -" la-f'rr.'ler- 1 Jeenkapitals nothig schien, häutigere
V.' « ';*'rV/.-';'en nicht zu vermeiden. Um wenigstens der
• "^ ' *' 1^, Vi':'":*rrh'y>-r.g zu entgehen, zugleich um einen
*'« ^«-^e* /. -rl^^^k der Zeit zu geben, sind an gr^eigneten
i p^t^^ /^ ^ ^*'-y.'-ri d'rr betretenden Schriftsteller bald un-
."•^V --/♦.. S-^M iTj A'--/-ge eingereiht worden. Kürze und
A - • ,' •^'•' 'Ve:* der Darstellung überhaupt schien je nach
'.'*'r ^*'-. .';|f '-er e:r,/'''.r.en Theile zum Ganzen abgemessen
l'i A /v." -^;f L«^d Unheil habe ich nach Unbefangen-
• ' ♦ jV' •,'r.rr//'^<':t '-r,d Mä^^igung gestrebt. Ich habe aber
r '• .'-^'T v'vu v"rr"x hl. mit dem Aberglauben zu lieb-
;--;";ri uzA *l\*' h^'-'^-irf-'i tt.:i d^-r Barbarei zu rechtfertigen.
Vi''>hj in.i;' '.'"r I, .:/"''•" ri' ht verdammt werden, wenn er
fr .t w'ir,**rri Voll:«- .•-'t: aV-r f-in vorh ergebendes Zeitalter
. . <. . '- e
Vorrede. VII
der Besonnenheit vermag einem nachfolgenden der Unver-
nunft das Urtheil zu sprechen, und ein einziger Weiser
unter einem ganzen Volk von Thoren liefert den Beweis,
dass die Thorheit keine absolute „welthistorische Berechti-
gung" auf die Beherrschung der ganzen Generation hat.
Wäre es nur Thorheit allein ! Es sind aber auch schmutzige
Motive, welche die Thorheit gängeln und ausbeuten. Für
diese ist auch das finsterste Zeitalter verantwortlich. Möge
man mir daher nicht den Vorwurf machen, als ob ich mich
nicht genug in die Vergangenheit versetze. Ich habe es
gethan für die Erkennimg und Erklärung des Faktischen ;
was das Urtheil anbelangt, so habe ich immer lieber die
einzelnen, fast in jedem Menschenalter hervortretenden
Bekämpfer des Unwesens gelobt, als die Panierträger des-
selben sammt ihrem Trosse mit der Zeitgemässheit ihres
Treibens entschuldigt.
Schliesslich erfülle ich die angenehme Pflicht, für die
zuvorkommende Güte, mit welcher mir von Seiten zahl-
reicher Privaten des In- und Auslandes, so wie von ver-
schiedenen Bibliothek- imd Archivbehörden, insbesondere
von den loblichen Bibliothekverwaltungen zu Darmstadt
und Giessen, in der Herbeischaffung von Materialien Vor-
schub geleistet worden ist, meinen Dank hiermit öffentlich
auszusprechen.
Darmstadt, den i. Mai 1843.
Dr. W. G. Soldan.
X Vorwort,
Einen besseren Wunsch kann Unterzeichnete, welcher
die traurige Mission zu Theil geworden, diese Worte zu
schreiben, einem Werke, welches die Namen zweier ihr
nahestehenden Verklärten, ihres Vaters und ihres Mannes,
auf seinem Titelblatte trägt, nicht mit auf den Weg
geben.
Marburg, im Oktober 187g.
Henriette Heppe
geb. Soldan.
INHALT.
Seite
Erstes Kapitel : Einleitung l
Zweites Kapitel: Der heidnische Orient 14
Drittes Kapitel: Das Volk der Hebräer 25
Viertes Kapitel: Griechenland 35
Fünftes Kapitel: Die Etrusker und Römer 52
Sechstes Kapitel: Die alte Kirche 86
Siebentes Kapitel: Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. . 104
Achtes Kapitel: Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten
Jahrhundert 144
Neuntes Kapitel: Der Teufelsbund 164
Zehntes Kapitel: Die Teufelsbuhlschaft 172
Elftes Kapitel: Die öffentliche Meinung der Kirche und das Gesetz im
dreizehnten Jahrhundert • i8<^
Zwölftes Kapitel: Die Inquisition im dreizehnten Jahrhundert. Aus-
bildung des Hexen Prozesses in Frankreich 207
Dreizehntes Kapitel: Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich. Ueber-
gang derselben in die angrenzenden Länder 239
Vierzehntes Kapitel: Die Hexenbulle von Innocenz VHI. Der Malleus
maleficarum 267
Fünfzehntes Kapitel: Das Verbrechen 290
Sechszehntes Kapitel: Das gerichtliche Verfahren und die Strafe . . . 327
Siebeniehntes Kapitel: Allgemeine Grunde der Verbreitung der Hexen-
prozesse und des Glaubens an Hexerei im sechszehnten
Jahrhundert 418
Achtzehntes Kapitel: Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien,
Spanien, England. Schottland und Frankreich bis zur Mitte
des sechszehnten Jahrhunderts 458
ERSTES KAPITEL.
Einleitung.
it besonderem Interesse verweilt der Blick des
Kulturhistorikers bei der grossen Reihenfolge der
mannigfaltigsten, welthistorischen Vorkommnisse,
deren Zusammenhang die glänzende, lebensvolle
Geschichte des fünfzehnten Jahrhunderts ausmacht. Das
imter dem wilden Ansturm der Osmanen zusammenge-
brochene Griechenreich sandte die Apostel einer neuen
wissenschaftlichen Aera, in der sich die seit vielen Jahr-
hunderten verschütteten Quellen klassischer Bildung der
abendländischen Menschheit aufs Neue aufthun sollten,
nach Italien und Deutschland; Guttenberg erfand seine
gewaltige Kunst, die bald die mächtigste Grossmacht
aller Kulturvölker werden sollte; Columbus und Vasco
de Gama erschlossen der europäischen Menschheit ganz
neue Welten, von deren Dasein man bis dahin nichts
geahnt hatte; Kaiser Maximilian beschwor den rohen
Geist mittelalterlicher Gewalt, brach dessen Burgen und
that den ersten wirksamen Schritt zur Herstellung eines
öffentlichen Rechtszustandes im deutschen Reiche, und in
allen Landen Europa's traten Männer auf, welche die der
Christenheit längst unverständlich gewordene Gottessprache
8oi4a n-Heppe, Hexenprozesse. I
2 Krstes Kapitel.
ihres Evangeliums redeten, den Bruch mit einer mehr als
tausendjährigen verkehrten Gestaltung des Christenthums
anbahnen und die welthistorische Epoche der Reformation
vorbereiten halfen. Aber in düsteren, unheimlichen Zügen
fallt auf diese glänzenden Seiten der Geschichte des Abend-
landes der Schlagschatten eines Ungeheuers, das an Furcht-
barkeit alle Gräuel des früheren Mittelalters weit überragt.
Es ist dieses der Hexenprozess. Vorlängst — im Wider-
spruch mit dem bestehenden Kirchenrecht — im Schoosse
der geistlichen Inquisition erzeugt, gewinnt er im fünf-
zehnten Jahrhundert Abschluss und feste Gestaltung, und
wird als legitimes Kind der Kirche anerkannt, um eine
Barbarei ohne Gleichen in stets wachsender Verbreitung
auf zwei volle Drittheile derjenigen Geschichtsperiode zu
vererben, die sich so gern als die der Geistesmündigkeit
und Humanität preisen lässt. Und er contrastirt nicht
nur mit dem, was die Zeit bewegt, er wuchert auch
darin. Das Grösste, Edelste musste ihm dienen. Aus den
wiedereröffneten Hallen der altklassischen Literatur schuf
er sich ein reiches Arsenal von Schutz- und Trutzwaffen;
Guttenberg's Erfindung, zum Heile der Menschheit erdacht,
hat gleichwohl im Jahrhundert ihrer (Jeburt schwerlich
irgend ein Buch in grösserer Anzahl vervielfältigt, als
Sprenger*s berüchtigten Hexenhammer; am Bord der Welt-
umsegler drang der Hexenprozess nach Mexico und Goa,
nebst der Inquisition das erste Geschenk, das die europäische
Civilisation den beiden Indien für ihr Gold und ihre Edel-
steine geboten hat. Karl's V. peinliche Gerichtsordnung,
im Uebrigen eine vielfach dankenswerthe Reform de.s
Kriminal Wesens, stempelte durch allgemeines (fesetz die
Zauberei zum todeswürdigen bürgerlichen Verbrechen, wie
sie seit den letzten Jahrhunderten als kirchliches gegolten
hatte. Und selbst die Reformation hat das Uebel nicht
gebrochen. Luther, Zwingli, Calvin, Heinrich VII L kämpften
gegen grosse und kleine Auswüchse des Pfaffenthums ;
dem bizarresten und blutigsten derselben, dem Hexen-
pro/esse, hat kein Reformator die Maske abgezogen, viel-
mehr fuhren die Protestanten — nach kurzem Besinnen —
Kinleitung. x
fort, mit den Katholischen in unsinniger Verfolgningswuth
zu wetteifern, und England hat sogar ein gekröntes Haupt
aufzuweisen, das neben dem Schwert und dem Feuerbrande
auch die Feder gegen den imaginären Frevel führte.
Tausende und aber Tausende von Unglücklichen fielen
fortwährend in allen Theilen der Christenheit durch Henkers-
hand ; die Stimme der Wenigen, die Geist und Herz genug
besassen, dem Unwesen entgegenzutreten, verhallte unge-
hört oder rief Verfolgung gegen sich selbst hervor. Das
siebzehnte Jahrhundert sah einen dreissigjährigen Glaubens-
kampf die Eingeweide Deutschlands zerfleischen, und, als
wäre es am Kriegsjammer noch nicht genug, erreichte
gerade um diese Zeit das deutsche Hexenwesen den höchsten
Grad seiner Intensität; ganze Gemeinden, Herrschaften
und Fürstenthümer wurden dadurch geplündert, entsittlicht
und entvölkert, die Familienbande zerrissen, das Vertrauen
zwischen Nachbarn und Freunden, Obrigkeiten und Unter-
thanen vergiftet und die Summe des moralischen, wie des
physischen Elends bis zum Unermesslichen gesteigert. Und
alle diese Grässlichkeiten wurden im Namen Gottes und
der Gerechtigkeit verübt ! — Kaum ist ein Jahrhundert ver-
gangen, seitdem in unserem Vaterlande, und kaum ein
ganzes Menschenalter, seit im übrigen Europa die letzten
Scheiterhaufen verglimmten. Noch reibt sich die europäische
Menschheit die Augen, wie neu erwacht aus einem bösen
Traume, und kann es nicht fassen, wie es kam, dass dieser
Traum so schwer und unsinnig war und so viele Jahr-
hunderte andauern konnte. Aber schon beginnt auch der
finstre Aberglaube, der dem Ganzen zur Unterlage diente,
seine scharfen, schroffen Umrisse in den zarten Nebelduft
der Poesie zu verstecken ; das kaum erst Ueberlebte ist
plötzlich zur halbbekannten, nach Ursprung und Wesen
vielfach missdeuteten Antiquität geworden. Weil Goethe
das lebensfrische Bild seines Faust auf jenen düstem Grund
gezeichnet, weil Shakespeare im Macbeth und Heinrich VI.
den spröden Stoff poetisch bewältigt hat, werfen sich Manche
als Apologeten des Zauberglaubens auf; in der sagenmässigen
Seite des Gegenstandes festgefahren, reden sie, als wäre
^ Erstes KapiteU
niemals Blut geflossen, von frommheiterem, an sich schon
dichterisch gestaltendem Volksglauben; ja man ist so weit
gegangen, diese Blume aller pfaffischen Missbildungen für
uralt-germanisch zu erklären und mit einer Art patriotischen
Stolzes in den dahin einschlagenden Volkssagen, die man
zufallig in England, Frankreich oder Italien entdeckte, nur
Reminiscenzen aus der Zeit der Völkerwanderung zu er-
kennen. Aber Deutschland weist den Vorwurf, die Mutter
dieser Geistesverirrungen zu sein, trotz der beliebten Schlag-
worte Faust und Blocksberg und seiner zahllosen
Teufelssagen mit gerechtem Unwillen von sich ab. Wahr
ist es, dass auch Deutschland gleich andern Völkern seinen
Aberglauben gehabt und demselben drei Jahrhunderte hin-
durch Molochsopfer dargebracht hat; aber nichtsdesto-
weniger hat jene grosse Seuche, die seit Innocenz VIII.
ihren verheerenden Gang durch Europa machte, auf Gründen
beruht, die mit dem problematischen Zauberglauben der
germanischen Urzeit durchaus nichts gemein haben.
Auf einer andern Seite hat man darauf zurückgewiesen,
dass bereits die Griechen und Römer ein Strafverfahren
gegen Zauberei kannten, und dass dieselbe sogar schon
im mosaischen Gesetze als todeswürdiges Verbrechen be-
zeichnet ist. Und allerdings finden wir hier Dinge, die den
genannten Erscheinungen in vielen Punkten analog, zum
Theil selbst ursächlich verwandt, in vielen aber auch an
Charakter, Zweck, Form und praktischer Bedeutung gänz-
lich fremd sind. Zeit, Ort und Verhältnisse gestalten ja
bei Vergehen, die als deutlich erkennbare, scharf begränzte
Thaten vor das Auge treten, die gesetzliche Auffassung
verschieden : um wie viel mehr bei Dingen, die mehr dem
stets veränderlichen und vielgestaltigen Reiche der Ein-
bildungskraft, als der Wirklichkeit angehören!
In welchem Maasse aber die zauberischen Begehungen,
die einst das Strafrecht als reale voraussetzte, wirkliche,
oder eingebildete gewesen sein mögen, auch darüber
hat die neueste Zeit wiederum zu streiten angefangen, und
OS sind uns sogar aus dem dunkeln Gebiete des thierischen
Magnetismus Aufschlüsse darüber verheissen, wiewohl bis
Einleitung. c
jetzt keineswegs in befriedigender Weise gegeben worden.
Anderwärts hat man in dem Hexenwesen bald Maskeraden
von Wolllüstlingen, bald Conventikel von Muckern, bald
sogar Complotte von Giftmischern und Getreidewucherem
als realen Kern erkennen wollen, ist aber auch dafür die
Beweise schuldig geblieben.
Die Hexenprozesse der letzten vier Jahrhunderte haben
bei aller Verschiedenheit der Auffassung die Aufmerksam-
keit der Gegenwart lebhaft erregt. Ihre Darstellung muss
an sich schon ein sehr interessantes Kapitel in der Kultur-
geschichte dieser Periode bilden. Es verbindet sich aber
hiermit für den Augenblick noch ein praktisches Interesse.
Nichts ist so geeignet, mit den Mängeln der Gegenwart
zu versöhnen und zugleich auf die Zukunft warnend und
anregend hinzuweisen, als der Rückblick auf die Schatten-
seiten der nächsten Vergangenheit. Schlosser's Geschichte
des achtzehnten Jahrhunderts ist manchem Schwindelkopf
des jimgen Deutschlands, dem der Fortschritt zu langsam
ging, vmd manchem Thoren, der den Rückschritt wollte,
eine kräftigere Arznei geworden, als alle publicistischen
Diatriben für und wider. Die Schwärmer auf dem Nacht-
gebiete der Natur, die in unsere Zeit wieder eine Geister-
welt hereinragen und die Gespenster zu Prevorst am hellen
Tage spuken sehen, die modernen, auf Kanzeln und in
Conventikeln sich als angebliche Vertreter des rechten
Glaubens breit machenden Halbmanichäer , die — wie
Vilmar — ohne Teufel keine Religion kennen, — diese alle
mögen zurückblicken auf die Zeiten jener gepriesenen Alt-
gläubigkeit, und ihre Jeremiaden werden verstummen bei
dem Anblick der Früchte, die auf dem Boden des Dämonen-
glaubens wachsen und gedeihen konnten. Auf der andern
Seite werden aber auch die Zweifler am Fortschritt zum
Bessern, die Ungenügsamen, denen überall des Lichts noch
zu wenig und des Alten zu viel ist, die Aengstlichen, die
von jeder vorüberziehenden Wolke eine Sonnenfinsterniss
besorgen, die Ungestümen, die in ihrem Phaetonseifer die
Welt in Flammen zu setzen drohen, beim Hinblick auf das
Ueberwundene sich beruhigen und anerkennen, dass der
5 Erstes Kapitel.
menschliche Geist nicht gefeiert hat ; sie werden vertrauen,
dass er auch in Zukunft seinen Gang gehen wird, der zwar
nicht ohne Kampf, aber auch nicht ohne Ruhe und Stetigkeit
der Entwicklung sein kann.
In dem Folgenden soll es versucht werden, die Hexen-
prozesse in ihrer Entstehung, ihrem Fortgange und Ver-
schwinden pragmatisch und übersichtlich zu behandeln. Da
sie indessen nur eine einzelne und zwar die letzte Phase
in der Geschichte des Zauberglaubens überhaupt bilden,
so kann ihr Wesen ausser dem Zusammenhange mit den
früheren Erscheinungen desselben nicht richtig gewürdigt
werden. Desshalb ist es nothig, eine Darstellung des Ver-
hältnisses, welches dieser Zauberglaube auch im Alterthum
und bei den Völkern des Mittelalters dem Gesetze, der
Religion und der öffentlichen Meinung gegenüber ein-
genommen hat, voranzuschicken und die Formen und Ver-
zweigungen desselben bis zu einer gewissen Grenze zu
verfolgen.
Es gibt nicht leicht einen Begriff, der sich schwerer
in wenige Worte zusammenfassen Hesse, als der Begriff
der Zauberei oder, — was wir gewöhnlich als gleich-
bedeutend nehmen, — der Magie. Die uns bekannten
Definitionen sind fast durchgängig entweder zu weit, oder
zu eng. Ersteres lässt sich von Tiedemann's '), letzteres
von Jakob (xrimm's*) Definition behaupten. Im AUge-
') Magia est ars sive malueris scientia perpetrandi mira , i. e. quae
superant leges et vires corponim et antmalium rerumque earum, quas huic
mundo ines&e ibique aliquid efficere experientia aut ratio certa docuit ( Tiedt'
maftn de quaestione, quae fuerit artium magicarum origo etc. Marburg 17B7.)
Hier ist das Wunder nicht ausgeschlossen.
') «Zaubern heisst höhere geheime Kräfte schädlich wirken lassen.*
(Deutsche Mythologie S. 579.) Hierunter wären die zauberischen Heilungen
nicht begriffen. — Richtig ist. was ^r. AW/tr, Gesch. und System der all-
deutschen Religion, Ontt. 1844« S. 357 sagt: »Zauberei heisst durch irgend-
welche geheime Mittel oder Künste, die man erlernen oder mit Hilfe von
Geistern sich aneignen kann, Wirkungen hervorbringen, welche die gewöhnliche
menschliche Kraf^ Qbersteigen. Dass man dadurch Anderen schadet, liegt
ursprünglich nicht darin, obgleich .sich diese Idee später gewAhnlich damit
verband.*
Einleitung. j
meinen darf man annehmen, dass derjenige, der dieses
Wort gebraucht, an die Bezweckung von Erkenntnissen
oder Wirkimgen denkt, die das natürliche Maass der
menschlichen Kraft übersteigen und zugleich ausser dem
Gebiete dessen liegen, was ihm als Religion gilt. Aber
wie heterogen sind nicht die Objekte, die man in ver-
schiedenen Zeiten als dem Zauberwesen angehörig be-
trachtet hat ! Bald sind es die sinnlosen Heilungsceremonien
des Schamanen, bald die mathematischen Speculationen
eines Gerbert und DschafFar; bald die phantastischen Me-
tamorphosen eines orientalischen Märchens, bald der
wirkliche Eintritt einer Sonnen- oder Mondfinstemiss; bald
die marktschreierischen Goldmacherkünste eines Raimund
LuUus, bald die ehrwürdigen, aber von der Menge nicht
begriffenen Anfange einer richtigeren Einsicht in Chemie,
Physik und Medicin. Hier weist man hin auf die angeb-
liche Fascination eines Kindes durch den Blick des bösen
Auges, dort auf die verbrecherische Erregung der Wollust
durch wirkliche Reizmittel, oder auf einen heimtückischen
Giftmord. An einem dritten Orte sind es die erträumten
Gräuel der Hexensabbathe , an einem vierten die nächt-
lichen Brudermahle der christlichen Urgemeinden; dann
wieder hier die frechen Betrügereien eines Cagliostro, und
dort die ewig denkwürdigen Heldenthaten, durch welche
eine begeisterte Jungfrau ihr Vaterland aus Schmach und
Noth befreite. Ja, dsiss dem Heiden von seinem Stand-
punkt aus selbst die Wunder Jesu unter den Begriff der
Magie fielen, ist eine Thatsache, die sich nach den vor-
handenen Nachrichten nicht bezweifeln lässt. — Nicht
weniger ins Unbestimmte gerückt ist die Basis aller Zau-
berei. Hier träumt man von den verborgenen Kräften der
Kräuter, Steine und Metalle; dort sollen Formeln und
Ceremonien die Seelen der Abgeschiedenen und selbst die
dämonischen Mächte zum Erscheinen zwingen ; anderwärts
leitet man die Macht des Zauberers einzig und allein aus
einem Bündniss mit dem Satan ab. In dem einen Zeit-
alter scheint die Zauberei unzertrennlich mit dualistischen
Religionsansichten verflochten, in einem andern schlägt sie
8 Erstes Kapitel.
mitten in dem erklärtesten Polytheismus Wurzel, im dritten
heftet sie sich unmittelbar an die Mysterien des christlichen
Kultus. So entzieht sie sich als ein vielgestaltiger Proteus
fast jedem Versuche, ihr Wesen durch eine einfache Be-
griffsbestimmung erschöpfend auszudrücken. Wer sie theo-
retisch beleuchten will, der muss sich auf den dogmati-
schen Standpunkt stellen, d. h. er muss an ihre Realität
glauben, wie Bodin, Delrio und Carpzow; vom
historischen aus erscheint sie ihrem Gehalte nach nur
als ein abenteuerliches Gemenge aus Aberglauben, absicht-
lichem Betrug und natürlichen, aber in ihrer Causalität nicht
begriffenen Wirkungen.
Der dem Menschen eingepflanzte Trieb, die Dinge
ausser ihm im Zusammenhange zu erkennen und sich unter-
than zu machen, seine Abhängigkeit von Natur und Schicksal
zu vermindern oder zu modificiren und so den höheren
Wesen, die er über sich ahnt, durch Wachsen in Erkennt-
niss und Vermögen näher zu treten, — dieser Trieb ist
von jeher die Quelle der edelsten Bestrebungen und der
erfreulichsten Resultate gewesen; aber er hat auch, wo
Beobachtimgsgabe und Kritik nicht zur Seite stand, wo
Vorurtheil, Selbstsucht und Hass ihn missleiteten, zu den
bizarrsten Phantomen, zu den unseligsten Täuschungen
gefuhrt, die in ihren Wirkungen oft um so verderblicher
wurden, je geschickter sie ein kleines Theilchen Wahrheit
in ihr Gewebe zu verschlingen wussten. Auf diesem
Boden wurzelt auch der Zauberglaube. Er ist das
Ergebniss einer verirrten Reflexion über die Causalität
der Naturerscheinungen und über die Bedingungen und
Schranken, innerhalb deren sich der Mensch zur Ausübung
seiner Herrschaft über die Dinge der sichtbaren Welt be-
rufen weiss ^).
*) Im Wesentlichen dasselbe sagt Aifred Maury in der lehrreichen Schrift
»La niagie et Tastrologie dans l'anliquite et au moyen age, ou
^tude sur les superstilions paTennes. qui sc sont perpeluees jusqu'k nos jours*
(Paris, 1860), indem er dieselbe mit den Worten einleitet: Les sciences
physiques n'etaient & Torigine qu'un amas de supcrstitions et de procWes
empiriques, qui constituaient cc que nous appelons la magie. L'homroe avait
Einleitung. n
Je naeh dem Maasse seiner Bildung und Erfahrung
zieht sich der Mensch einen engem oder weitem Kreis,
innerhalb dessen ihm dasjenige liegt, was er das Natürliche
nennt. Auf dem Standpunkte des grossen Haufens fällt
das Natürliche mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zu-
sammen; denn es ist in der That nicht sowohl die deut-
lichere Erkenntniss der waltenden Gesetzmässigkeit, als
vielmehr eben nur die gewohnte Wiederkehr und Ver-
breitung, was der Masse eine Erscheinung weniger auf-
fallend erscheinen lässt, als die andre. Das Seltene, im
Grade Höhere und darum Imponirende stellt sich ihr gern
ausserhalb dieses Kreises. Je beschränkter nun das Gebiet
ist, welches ein Volk dem Natürlichen zuweist, desto mehr
füllt sich ihm das Gebiet des Uebernatürlichen. Ueberall
nimmt es dann wirkliche Erscheinungen wahr, die ihm,
obgleich imzweifelhaft von Menschen hervorgebracht, doch
das Maass menschlicher Kraft zu übersteigen scheinen und
für welche es also die Mitwirkung höherer Kräfte voraus-
setzt. Man denke an die Sagen von Deutschlands Riesen-
domen und von der Teufelsbrücke ! Hierbei bleibt man
indessen nicht stehen. Ist einmal jene Mitwirkung höherer
Mächte anerkannt, so lässt die gemeine Meinung den
Menschen vermittelst derselben auch solche Wirkungen
vollbringen, die in der Wirklichkeit entweder gar nicht,
oder wenigstens nicht in der vorausgesetzten Weise von
ihm erzielt werden können. So gibt sie auf der einen
Seite dem menschlichen Vermögen zu wenig, auf der
andern zu viel.
Jenseits der Grenze des Natürlichen bewegt sich einer-
seits das Wunder und andererseits die Zauberei. Hier
si bien conscience de l'empirc, qu'il etait appele a exercer sur les forces de
la nature que dds qu'il sc mit en rapport avec elles, ce fut pour essayer de
les assujettir ^ sa volonte. Mab au lieu d'^tudier les ph^nom^nes, afin d'en
saisir ses lois et de les appliquer h ses besoins, 11 s'imagina pouvoir, a Vaide
de pratiques particuli^res et de formules sacramentelles, contraindre les agents
physiques d'ob^ir h ses d^sirs et ä ses projets. Tel est le caract^re
fundamental de la magie.
lO Krstes Kapitel.
Stellt sich indessen abermals eine Relativität des Begriffes
dar. Ob eine übernatürliche Handlung* zauberisch, oder
wunderbar sei, darüber entscheiden die herrschenden Re-
ligionsvorstellungen : was diesen genehm ist, fallt dem
Wunderbaren, was ihnen widerstrebt, dem Zauberischen
zu. So haben die Kirchenväter die heidnischen Orakel
und Weihungen, und die Heiden wiederum die christlichen
Wunder zauberisch gefunden ^).
Dass da, wo der Glaube an die Wirksamkeit über-
natürlicher Mittel Wurzel geschlagen hat, auch der Wille
und der Versuch sich einstellen könne, durch dieselben zu
wirken, ist begreiflich. Irrthum und Eigennutz leiten darauf.
Es folgt aber daraus nicht der Schluss, dass je zahlreicher
irgendwo die Zaubersagen, um so verbreiteter auch die
Zauberübungen sein müssen. Ist doch auch die Menge
der Gespenstermärchen von der Zahl der Gespenster un-
abhängig. Oft sind es vergangene Zeiten, entlegene Länder,
die einem Volke den Stoff zu seinen Zaubergeschichten
liefern. Fremde Länder sind Wunderländer, weniger durch
das, was sie wirklich haben, als durch das, was die Phan-
tasie des Auslands ihnen verleiht. Graue Zeiten sind glaub-
würdige Zeiten; eine alte Fabel kann dem Volke zur Ge-
schichte werden, und ist sie das geworden, so reproducirt
sie sich mit Anschmiegung an das Lokale überall, wie die
Abderitenweisheit in den Gasconaden, Schwabenstreichen
und Irish buUs -).
') Von Christus selbst sagt es Celsus bei Ori genes (contra CeK I.
6 u. 68), und Arnohius (adv. gentes Hb. L p. 25. ed. Lugd. Bat. 1651).
Dass den Aposteln Zauberei beigemessen ward, ergibt sich aus Jrtn^ adv.
haeres. I. 20 und Augustin. <ie Civ. Dei XVII I. 53. — Auch den Juden er-
schien es so. Justin, Martyr, Dial. cum. Tryph. pag. 269 ed. Colon. I686. —
JrenÄus (adv. haeres, II. 58) beruft sich im Gegensatze zu der Magie der
Ketzer auf die Wunder der wahren Christen: sie treiben Dä-
monen aus, heilen Krankheiten durch Auflegen der Hand, weissagen ZukQnftige^
und erwecken Todte. Dass er dieses als in seiner Zeit fortdauernd betrachtete,
beweist folgende Stelle: Jam autem, quemadmodum diximus. et mortui resur-
rexerunt et perseveraverunt nobiscum annis multis.
') Die Diffamation eines Landes hAngt oft von ZuHilligkeiten ab und wird
zuweilen nirgends weniger geahnt oder beachtet, als gerade in dem l)eschrieenen
Einleitung. 1 1
Vermog'e jener doppelten Relativität der Begriffe ist
eine vielfache Verschränkung der Gebiete des Natürlichen
und Uebematürlichen, des Wunderbaren und Zauberischen
denkbar. Was dem Einen auf vollkommen natürlichem
Boden sich bewegt, kann dem Andern als Wunder, dem
Dritten als Zauberei erscheinen. So war die Jungfrau von
Orleans, bei beiderseits unbezweifelter Uebematürlichkeit
ihrer Thaten, bloss durch Subsumtion unter verschiedene
Gesichtspunkte den Engländern Hexe, den Franzosen
Wunderthäterin, während sie der heutigen Welt keins von
beiden ist. So hat femer mancher wahre Naturforscher
sich als Zauberer behandelt gesehen, Astrologie, Alchymie
und Chiromantie haben sich zeitweise als höhere Natur-
kunde, gewisse Sortilegien und Amulete durch Anschmiegen
an den herrschenden Kultus als Wunderwirkungen zu le-
gitimiren gesucht.
Trotz dieser Wandelbarkeit der Gesichtspunkte finden
sich zwischen den verschiedensten Völkern und Zeiten im
Stoffe, wie in der Auffassung zahlreiche Analogien, und es
könnte gefragt werden, ob sich hierin eine historische,
oder nur eine psychologische Verwandtschaft zeige.
Wahr ist es, der Zauberglaube ist jederzeit und überall
verbreitet gewesen: kein Volk steht in der Geistesbildung
so niedrig, dass es sich nicht zu demselben zu erheben
vermöchte, keines so hoch, dass es ihn ganz aus sich ver-
Lande selbst. Der Oesterreicher erzählt dieselben gutmüthigen Etourderien,
die der RheinlSader ihm nachsagt» ganz arglos von dem Ungar*, so voll der
Harz von Teufelssagen ist, so bedient sich doch der Harzbewohner, wenn er
einen Erzhexenmeister bezeichnen will, des Ausdrucks Venediger; gleich-
wohl hat man sich vielleicht in keinem europäischen Staate weniger von der
Nothwendigkeit der Hexen Verfolgung Oberzeugen wollen, als eben in Venedig.
Als unsere deutschen Truppen 1809 in das Wunderland Spanien einzogen,
begegnete ihnen als grAssles Wunder, dass sie selbst als Wunderthiere ange-
gafft wurden, und mancher Wirth hat später seinem Einquartierten gestanden,
dass der gemeine Mann sich einen Lutheraner als ein geschwänztes Ungeheuer
vorgestellt habe. Mögen wohl die Kolcher an ihr goldenes Vliess, die Thracier
an ihre Symplegaden und die Hyperboreer an ihren ewigen Frühling i^eglaubt
haben?
l 2 Erstes Kapitel.
bannen könnte. Schon diese Allgemeinheit spricht dafür,
dass er auf einer allgemeinen Disposition des menschlichen
Gemüthes beruhe, und der Versuch, alle Erscheinungen
desselben auf eine gemeinschaftliche historische Quelle, —
wo und in welcher Zeit diese auch gesucht werden möge, —
zurückzuführen, würde hier nicht weniger unfruchtbar aus-
fallen, als bei Religion und Sprache. Doch gilt diess nur
vom Zauberglauben im Ganzen und Grossen. Denn eben
so, wie einzelne Religionen und Sprachen weit über die
Grenzen ihrer ursprünglichen Heimat hinausgedrungen
sind und die Religionslehren und Sprachen andrer Völker
auf die entferntesten Zeiten hin umgestaltet oder gänzlich
verdrängt haben, ebenso lassen sich zwischen einzelnen
Zauberformen und ganzen Zauberdoktrinen unbezweifelbare
historische Zusammenhänge nachweisen, die bald in dem
unmittelbaren Verkehr der Nationen, bald in literarischer
Vererbung und sonstigen Einflüssen ihre Erklärung finden.
Die Verkennung solcher historischen Verwandtschaften
hat oft der Aufklärung und Humanität wesentlich geschadet,
indem man da, wo nur Nachtreterei vorlag, einen auf die
Realität und Evidenz des Gegenstandes selbst gegründeten
consensus gentium wahrzunehmen wähnte. So ist z. B.
ein grosser Theil des magfischen Unsinns, der im Mittel-
alter und später die Köpfe des Abendlands füllte, römi-
schen oder griechischen und sogar noch weit älteren Ur-
sprungs. In den Klöstern, wo man so trefflich die Kunst
verstand, überall die tauben Nüsse aufzulesen und den
gesunden Kern liegen zu lassen, hatte man diese Ausbeute
aus der Lektüre der Lateiner gewonnen und suchte sie
nun in Lehre und Leben anzuwenden. Später traten die
Inquisitoren mit der Folter hinzu und torquirten einen
überall gleichmässigen Glauben an die Wirklichkeit dieser
Dinge in die Völker hinein. Als nun dieser Glaube im
Laufe der Zeit ein wirklich volksthümlicher geworden und
sein römischer, griechischer und asiatischer Ursprung ver-
gessen war, da traten, wo sich Widerspruch erhob, die
Apologeten des Hexenprozesses wieder mit den Alten in
der Hand hervor und machten das, was die eigentlichen
Einleitung. I ^
Quellen jener Vorstellungen enthielt, zu eben so vielen
neu aufgefundenen Beweisen für die Wirklichkeit und das
hohe Alter der vorgestellten Dinge selbst. — Auf der
andern Seite ist aber auch oft eine historische Verwandt-
schaft angenommen worden, wo sie entweder gar nicht
oder wenigstens nicht in der angenommenen Weise be-
standen hat. Auch hierfür werden sich Beweise ergeben.
ZWEITES KAPITEL.
Der heidnische Orient.
Betrachten wir den Aberglauben, auf welchem der
Wahn der Magie und der Hexerei beruht — ein Wahn,
dem wir noch heutigen Tages bei allen christlichen Völkern,
namentlich in den niederen Volksschichten begegnen, —
und verfolgen wir dessen Geschichte rückwärts von Jahr-
hundert zu Jahrhundert, so will es uns doch nicht ge-
lingen, irgendwo in der Geschichte der abendländischen
Welt eine Stelle aufzufinden, wo sich derselbe zuerst
gestaltet und von wo aus er sich imter den Völkern ver-
breitet habe. Denn die grausige Zeit des siebzehnten
Jahrhunderts, in welchem fast alle Lande Europa's von den
die Opfer heidnischen Aberglaubens verzehrenden Flammen
der Scheiterhaufen widerleuchteten, weist uns zurück über
die Reformation hinaus (die an diesem Molochsdienst gar
nichts änderte) in das Mittelalter hinein, wo man hin und
wieder auch weidlich „gebrannt" hat und von da in die
Zeit der Kirchenväter, welche denselben Aberglauben ver-
treten, den das römische, und den schon früher das grie-
chische Heidenthum gepflegt, und den dieses aus den
Landen am Euphrat und Tigris fast unverändert über-
kommen hat, wo wir das Bestehen der dämonischen Magie
bis hinauf zum Anfange der eigentlichen Geschichte und
der lebendigen Erinnerungen des Menschengeschlechts ver-
Der heidnisclie Orient. I ^
folgen können. Wo aber diese aufhören, da führen uns
die Hieroglyphen der Pyramiden Aegyptens und die Keil-
schriften-Literatur der Lande am Euphrat in eine graue
Vorzeit ein, von der jedes Gedächtniss erloschen ist, und
zeigen uns, dass schon in ihr, schon wenigstens ein Jahr-
tausend vor dem Beginne der eigentlichen Geschichte hin-
durch, im Wesentlichen derselbe Aberglaube bestand, den
wir in der Geschichte aller Völker Europa's zu allen Zeiten
nachweisen können, dass daher die Spuren desselben ge-
rade soweit hinaufreichen, wie die Spuren der Menschheit
selbst. —
Erst in der allerjüngsten Zeit ist es der Wissenschaft
gelungen, die Geheimnisse, welche der Bibliotheksaal im
Palaste der Könige zu Ninive in sich barg, zu erschliessen,
indem Henry Rawlinson, der grosse englische Orien-
talist, aus demselben im Jahr 1866 im zweiten Bande der
Cuneiform inscriptions of Western Asia (Taf. 17 u. 18)
eine grössere Tafel mit achtundzwanzig Zaubersprüchen
mittheilte, und hernach in der Bibliothek des alten Königs-
palastes unter Tausenden von Bruchstücken thönerner
Täfelchen die Fragmente eines umfangreichen Werkes
magischen Inhalts, welches in seiner Vollständigkeit nicht
weniger als zweihundert Tafeln umfasste, auffand. Diese
unschätzbaren Urkunden sind, wie alle auf Magie sich
beziehenden Dokumente Chaldäas in akkadischer ^), d. h.
in der den finnischen und tartarischen Idiomen verwandten
turanischen Sprache abgefasst, welche der ursprünglichen,
vorgeschichtlichen Bevölkerung der Ebenen des un-
*) Die Quelle, nach der wir hier über die Akkader berichten , ist die klas-
sische Schrift des gelehrten Professors der Alterthumskunde an der Nalional-
Bibliothek zu Paris, Frartfois Lenormant: „Die Geheimwissenschaften Asiens.
Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer (Jena, 187 ß 6^4 S.)** Es ist dieses
eine „autorisirte, von dem Verfasser bedeutend verbesserte und vermehrte Aus-
gabe** der beiden, Qbcr die Sciences occultes en Asie vor einigen Jahren französisch
erschienenen Werke „La Magie chez les Chaldeens et les origines accadiennes"
(Par. 1874) und „La divination et la science des presages chez les Chaldeens**
(Par. 1875). Ausserdem kommt hier noch Lenormant' s „Essay de commentaire
des fragmens cosmogoniqucs de B^rose (Par. 1871)'* in Betracht.
l5 Zweites Kapitel.
•
teren Euphrat (Chaldäas) eigen war. Der assyrische Konig-
Assurbanhabal Hess dieselben im siebenten Jahrhundert
V. Chr. mitsammt der assyrischen Interlinearversion, mit
der sie überliefert waren, abschreiben und seiner Palast-
bibliothek einverleiben. Denn ohne diese Interlinearversion
wäre das alte Buch Jedermann in Assyrien unverständlich
gewesen, indem die Sprache der Akkader *) damals schon
seit etwa einem Jahrtausend ausgestorben und todt war.
Diese Hinterlassenschaft der Akkader, — welche wohl selbst
wieder auf älteren allmählich zu einem Ganzen zusammen-
gestellten Ueberlieferungen beruhen mag, — weist daher
hoch hinauf auf eine Zeit, in welcher unter den Akkadem
wie unter den Aegyptem der Glaube an die Einheit und
reine Geistigkeit des göttlichen Wesens — trotz des auf-
gewucherten Kultus der Naturgewalten — noch nicht ganz
erloschen war ^). Die Masse der Urkunden dagegen zeugt
*) Dieselbe wird auch die sumerische Sprache genannt. Die Assyrer
selbst bezeichneten jedoch das vorsemitische Idiom Chaldfias als Sprache von
Akkad. Siehe Lenormant, S. 261.
^) In einzelnen Bruchstücken des grossen magischen Sammelwerks finden
sich die reinsten und erhabensten religiösen Vorstellungen vor. Es wird aus-
gesprochen, dass der Mensch ursprünglich makellos aus der Hand des Schöpfers
hervorgegangen und durch eigene Schuld den Verlockungen der finsteren Mächte
des Chaos erlegen und gefallen sei . wesshalb er in Reue und Busse sich aufs
Neue Gott zuwenden müsse. Lmormant berichtet S. 62*. „Wir besitzen die
Bruchstücke einer besonderen Zusammenstellung von Gebeten im ursprünglichen
akkadischen Texte nebst interlinearer assyrischer Uebersetzung, welche mit dem
gemeinsamen Titel .Klagen des reuevollen Herzens* bezeichnet waren. e$
sind dieses förmliche Busspsalmen, deren hoch poetischer Geist nicht selten an
jene Psalmen, welche die jüdische Tradition dem König David zuschrieb«
erinnert." Krankheiten werden auf diesen Tafeln oft als Strafen bezeichnet«
die den Sünder getroffen haben, und zur Befreiung von denselben und von den
Dämonen, welche die Plage verursacht haben , wird reuevolles Bekennen der
Schuld empfohlen. — Lenormant ist nun geneigt, diese im Zusammenhange
mit der monotheistischen Gottesidee hervortretenden erhabenen religiösen Vor-
stellunßen als die jüngsten Bestandthelle des akkadischen Sammelwerks anzu-
sehen , indem er sie als Ergebnisse eines allmählichen Entwickelungsprotesses
zum Monotheismus auffasst. Wir sehen die Sache jedoch gerade umgekehrt
an. Denn 1) liegt nicht die geringste Nachricht von einem solchen unter den
Völkern Chaldäas vor sich gegangenen Entwickelungsprozesse vor; vielmehr
cischeinen dieselben mit dem Beginne der historischen Zeit vom Monotheismus
Der heidnische Orient,
17
(wie Lenormant S. 23 sagt), „von der Existenz einer so
künstlichen und zahlreichen Dämonologie bei den Chal-
däem, wie sie sich ein Jakob Sprenger, Joh. Bodin, Wier
oder Pierre de Lancre wohl nimmer vorgestellt hätten.
Es erschliesst sich uns darin eine ganze Welt von bösen
Geistern, deren Rangordnung mit vieler Gelehrsamkeit
festgestellt, deren Persönlichkeiten sorgfältig unterschieden
und deren besondere Eigenschaften scharf präzisitt sind."
Zuoberst werden . zwei Klassen von Wesen gestellt,
welche als Genien oder Halbgötter erscheinen ^). Unter
ihnen stehen die guten Geister und die Dämonen, welche
letzteren (akkadisch: utuq) gewöhnlich an wüsten, unbe-
wohnten Stätten hausen. Die mächtigsten und gefürchtet-
sten derselben sind diejenigen, deren Macht sich über die
vollstHndig abgewendet; und 2) bezüglich der Aegypter erkennt Lenormant
sehr bestimmt an, dass der Entwicklungsgang der religiösen Vorstellungen der-
selben nicht vom Polytheismus zum Monotheismus, sondern gerade umgekehrt
gegangen ist. Er sagt nämlich S. 86: „die Idee der göttlichen Einheit findet
sich bereits in den ältesten Dokumenten der ägyptischen Religion ausgesprochen.
Herodot berichtet, dass die Aegypter in Theben an einen einzigen Gott ohne
Anfang und Ende glaubten. Und diese Angabe des Vaters der Geschichte
bestätigen auch die heil. Hieroglyphentexte, in denen es von diesem Gotte
heisst, ,dass er der einzige Gott ist, der in Wahrheit lebt, — der Alles er-
schaffen hat und doch selber nicht geschaffen worden ist.* — Aber diese
erhabene Vorstellung wurde bald verdunkelt und entstellt. Die Vorstellung
von Gott vermengte sich mit den Offenbarungen seiner Macht, seine Eigen-
schaften wurden in einer Menge secundärer Kräfte personifizirt, — und so ent-
stand der Polytheismus, der in seinen mannigfaltigen und seltsamen Symbolen
schliesslich die ganze Natur umfasste." — Derselbe Entwicklungsgang, den
hier Lenormant in Aegypten nachweist, ist auch in Akkad vor sich gegangen. —
Dass auch bei den Hellenen ganz derselbe Entwicklungsgang vom ursprung-
lichen Monotheismus zum Polytheismus (nicht aber umgekehrt) war, bezeugt
Carl BöUicher, dessen treffliches Werk „der Baumkultus der Hellenen"
(Berlin .1856) mit den Worten beginnt: „Soweit die heil. Sage der Hellenen
ihre Spuren in die Vorzeit hinaufträgt, verehrte das Gesammtgeschlecht der
Vorhellenen nur Einen Gott, namenlos, bilderlos, wie tempellos: den un-
sichtbar und allgegenwärtig im weiten All der Natur herrschenden Zeus.** —
Was Heget in seiner Philosophie der Religion I, 219 Ober die allmähliche Ent-
wicklung des religiösen Geistes aus einem ursprünglichen wirren Naturkultus
sagt, lässt sich historisch nicht rechtfertigen.
*) Ueber das Nächstfolgende s. Lenormant, S, 16 — 79.
Sol dan-Heppe, Hexenprosesse. 2
l8 Zweites Kapitel.
Ordnung der Natur erstreckt, in die sie oft zum Nachtheü
des Menschen störend eingreifen, während die Thätigkeit der
übrigen unmittelbarer auf den Menschen gerichtet ist, dem
sie unablässig Unheil und Schaden bereiten. Von allen
Einwirkungen der Dämonen auf den Menschen ist die Be-
sessenheit die gefiirchtetste. Zur Bannung dieser Krank-
heit hatte man daher vielerlei Formeln. Waren aber die
Dämonen aus dem Körper eines Besessenen vertrieben,
so gab es nur Ein sicheres Schutzmittel gegen ihre Wieder-
kehr : es musste durch Anwendung anderer Formeln dahin
gewirkt werden, dass sich nun gute Geister des von den
Dämonen befreiten Menschen bemächtigten.
Eine andere Klasse der Dämonen sind diejenigen Geister,
welche ohne unmittelbar verderbliche Handlungen zu ver-
richten, in schreckenerregenden Erscheinungen hervortreten.
Solcher Art sind z. B. der innin und der „gewaltige uruku",
welche beide zu den Nachtgeistem und Gespenstern zählen.
Die drei hervorragendsten Wesen dieser Klasse sind das
„Schreckgespenst" oder „Schattenbild" (akkad. dimme,
assyr. lamastuw), das „Gespenst" (akkad. dimmea, assjT.
labasu) und der„Vampyr" (akkad. dimmekhab, assyr. abharu).
Von diesen dreien erschrecken die beiden ersteren nur
durch ihre Erscheinung, wogegen der Vampyr „den Men-
schen anfällt". Der Glaube, dass die Todten als Vampyre
aus dem Grabe steigen und Menschen anfallen, war über-
haupt in Babylonien und Chaldäa ganz allgemein. — Als
besondere Gruppe werden ferner die „Dämonen der nächt-
lichen Samenergüsse", die bald als Nachtmännchen (akk.
lillal, assyr. lilu), bald als Nachtweibchen (akkad. Kiel-lillal,
assyr. lilituv) erscheinen und deren Umarmungen sich weder
Männer noch Frauen im Schlafe zu erwehren vermögen, —
Allgemein herrschend war ausserdem die Furcht vor dem
„bösen Blick", sowie vor dem „bösen Wort" oder „bösen
Mund" d. h. vor der unheilvollen Wirkung gewisser Wörter.
Zur Abwehr und Bekämpfung dieses dämonischen
Zaubers gebrauchte man vor Allem Beschwörungs-
formeln, und wie jene Vorstellungen von den Dämonen
und deren ve»rderblicher Wirksamkeit sich bei (rriechen
Der heidnische Orient.
19
und Römern und im Mittelalter wiederfinden, so zeigt sich
auch zwischen jenen Beschwörungen und z. B. der (Pa()^«a-
xsvTQta des Theokrit und der achten Ekloge des Vergilius
die auffallendste Aehnlichkeit.
Als die ältesten, mit der monotheistischen (oder wohl
richtiger: monolatrischen) Gottesidee im Zusammenhange
stehenden Beschwörungsformeln stellen sich diejenigen dar,
in denen „der grosse Name," „der höchste Name" den ^fea
allein kennt, gebraucht wird. Vor diesem Namen beugt sich
Alles im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt ; selbst
den Göttern legt dieser Name Fesseln an und zwingt sie
ihm imterthan zu sein. Aber nur fea kennt diesen Namen.
Die Masse der Beschwörungsformeln ist indessen anderer
Art. Zuerst werden in ihnen die zu beschwörenden Dä-
monen genannt, ihre Machtsphäre wird angegeben und die
Wirkung derselben geschildert. Es folgthierauf der Wunsch,
dass sie vertrieben werden und dass man vor ihren Nach-
stellungen bewahrt bleiben möge, was häufig in geradezu
kategorischer Form verlangt wird. Den Schluss der Be-
schwörung bildet endlich die stets wiederkehrende Formel :
„Geist des Himmels beschwöre sie, Geist der Erde
beschwöre sie!"
Ausserdem gebrauchte man zur Abwehr dämonischer
Zauberei (in Akkad geradeso wie hernach in Griechenland
und Rom) Zaubertränke, Zauberknoten oder Schlei-
fen, Talismane von allerlei Art, auch zum Tragen am
Halse eingerichtet, und mit akkadischen Inschriften ver-
sehen, und insbesondere Zauberstäbe (letztere von Cicero
virgnlae divinae genannt).
Dieses war die gute, die göttliche Magie, welche in
den Priesterschulen der Akkader gelehrt und gelernt wurde.
Neben derselben gab es aber auch eine dämonische, teuf-
lische Magie, welche verboten war und verfolgt wurde,
die natürlich in den offiziellen Urkunden nicht beschrieben
ward, die aber doch aus denselben erkannt werden kann ^).
Es gab in Akkad, wie man aus den gegen die dämonische
*) Ltnormant, S. 68 — 79.
20 Zweites Kapitel.
Zauberei aufgestellten Beschworungen ersieht, eine Menge
Zauberer und Zauberinnen, welche als „Bösewichte",
„boshafte Menschen" bezeichnet werden, deren Thun und
Treiben man aber nur in sehr verschleierter Weise anzu-
deuten wagte, weil die Furcht vor demselben die Gemüther
Aller beunruhigte. Denn es war gar kein Uebel denkbar,
das der Zauberer nicht auszuüben vermocht hätte. Er be-
zauberte durch den bösen Blick und durch Unglücksworte,
und zwang durch seine Zauberformeln die Dämonen nach
seinem Willen zu thun. Dabei waren es in Akkad und
Chaldäa (geradeso wie später in Thessalien) namentlich
Frauen, welche diese dämonische Zauberei trieben, zu denen
sie Zauberformeln, zauberische Knoten, Zaubertränke und
namentlich von ihnen angefertigte Bildnisse der betreffenden
Personen verwendeten. Uebrigens war bereits in Akkad
der Glaube verbreitet, dass die Hexen ihre Versammlungen
hielten und zu denselben auf einem „Stück Holz" (Besen-
stiel) ritten. —
Diese Magie beruhte bei den Akkadem auf einem
vollständigen, in allen seinen Theilen zusammenhängenden
mythologischen System, welches die auffallendste Ueber-
einstimmung mit der Mythologie der Finnen erkennen
lässt *) , was uns zur Herleitung dieses Dämonenglaubens
und der mit ihm zusammenhängenden Magie aus einer
Urzeit des Menschengeschlechtes berechtigt, in welcher die
am Euphrat und Tigris lebenden Akkader mit den Finnen
im hohen Norden Europa*s noch Ein Volk waren ^).
') Dagegen ist zwischen dem akkadischen System und dem der Aegypter
keine Verwandtschaft nachweisbar. Lenormant weist als Grundlage der »gypli-
sclten Magie den Gedanken nach, dass die Menschenseele die Bestimmung habe,
nach dem Tode dem Üsiris gleich zu werden. Zur Bef6rderung dieser Apo-
tlicose wurde der Leichnam durch die Anwendung magischer Formeln gegen
schädliche, zerst^irende Einwirkungen gefeit, andern die Erhaltung des Leibes
die Bedingung der Apotheose der Seele war. Ausserdem legte man den Zauber-
formeln aber auch die Kraft bei, dem Lebenden, der sie sprach, göttliche Voll-
kommenheiten zuzul Ohren. Der Gedanke eines Unterschiedes b5ser und guter
DAmonen ist dem Ägyptischen System fremd. Der Zauberer, durch seine Magie
auf eine höhere, göttliche Stufe erhohen, geliiclet den GAltern.
*; l.tnormattt, S, 2,V>,
Der heidnische Orient, 2 l
Wie es scheint, so geschah es im dritten Jahrtausend
vor Christus, dass in das von den Akkadern bewohnte
nachherige Chaldäa sowie in die umliegenden Lande ku-
schitische Semiten einwanderten, welche die Nationalität,
die Sprache und die Religion der Akkader allmählich mehr
und mehr zurückdrängten. In Chaldäa und Babylonien
gestalteten sich so verschiedenartige Kulte, aus denen um
das Jahr 2000 König Sargon I., der beide Reiche be-
herrschte, ein einheitliches Religionssystem herstellte, das
nun in Chaldäa und Babylonien, und hernach auch in
Assyrien als Staatsreligion galt ^). Dasselbe beruhte we-
sentlich auf der der syrischen und phönizischen verwandten
Religion der Kuschiten. Daher begann jetzt die bis zur
Zeit Alexanders d. G. dauernde Periode der „Chaldäer"
d. h. der Priesterkaste der chaldäisch-babylonischen Staats-
religion, die wie in Chaldäa imd Babylonien so auch im
assyrischen Reich als Vertreter der Staatsreligion galt*).
Die gelehrte Staatsreligion nahm nun allerdings in Chaldäa,
Babylonien und Assyrien die alten akkadischen Beschwö-
rungsformeln mit dem denselben zum Grunde liegenden
Dämonismus in den Kanon ihrer heiligen Schriften auf,
so jedoch, dass die in denselben angerufenen Geister in
der Staatsreligion eine untergeordnete Stellung* erhielten.
Daher bestanden neben den Priestern der Staatsreligion
besondere Körperschaften von Zauberpriestem fort, die als
untergeordnete Schriftgelehrte die alte Magie ausübten und
aufrecht erhielten ^). Indem nun dieselben hierbei nach
wie vor die alten akkadischen Formeln gebrauchten, so
besass in Chaldäa die Magie ihre eigene Sprache, die zwar
vom dreizehnten Jahrhundert an (wo der Name Akkad als
Bezeichnung Chaldäas nur noch eine Reminiscenz war *),)
nicht mehr verstanden, die aber gerade darum von dem
assyrisch oder chaldäisch redenden Volke als mit einer
*) Lenormant, S. 157, 334-
^) Lenormant, S. 422.
') Lenormantf S, 109.
*) Lenormant, S. 335.
2 2 Zweites Kapitel.
besonderen , geheimnissvollen Macht ausgestattet ange-
sehen wurde.
Hoch über diese Zauberpriester stellte sich nun die
Genossenschaft von Priestern und Schriftgelehrten, welche
den Namen (des ursprünglichen Volksstammes) der „Chal-
däer** mit einem gewissen Stolze von sich gebrauchte,
indem sie als gelehrte Astronomen und Astrologen ur-
sprünglich wenigstens mit Zauberei unverworren sein
wollten ^). Sie betrachteten die Sterne nicht nur als die
Lenker des Weltalls, sondern auch als die Verkünder aller
Vorkommnisse, gaben sich daneben aber auch mit allerlei
anderer Weissagerei ab.
Neben ihnen erhob sich jedoch etwa seit dem siebenten
Jahrhundert in den in Rede stehenden Landen von Medien
her eine ganz verwandte Erscheinung, der Magismus,
so genannt nach dem medischen Stamme der Magier*),
der in Medien das ausschliessliche Privilegium besass, das
Priesteramt auszuüben. Dieselben waren keine Anhänger
der von dem Zauberwesen und den Wahrsagerkünsten
ursprünglich ganz freien Lehre des Zoroaster in Persien,
waren vielmehr Gegner derselben *), wesshalb sie, mit ihrem
Stemenkultus und ihrer Weissagekunst anfangs auf Medien
*) Lenormant, S. 422,
*) Das Wort Ma};ier (inAß) ist nicht aus dem Indo-GernianischeD, sondern
aus dem Akkadischen abzuleiten. In der Sprache der Akk<ider lautet es ur-
spriinslich emga d. i. (nach Lenormant, la ma^ie chez les Chald. S, 33t»,
367, 435) erhaben, oder (nach Schrader, die Keilinschriften und das A. 1.
S. 275) tiefanda chtiK, tiefgelehrt. Der in den Keilinschriften sich
vorfindende Titel Kubu-einga, Hauptma^ier, entspricht genau dem Titel 3^3^
(Jtr. 39, 13). Tebrigens vgl. Herodot, I, 10 1, und SckraJer, die Keilinschriften
und das A. Testament, Giessen, I872, S. 274 u. 275.
•) Lenormant sa^l S. 212: „Lanj-e Zeit ist der Magisnius der Relipum
des Zoroaster beinclent worden; es ist das aber eine Verwechselung;, deren
erste Urheber die griechisciien Schriftsteller waren, von Herodot an, der Medien
und nicht «las eigentliche Persien bereist hatte; und sie beruht auf einem
furnilichen Irrthum , da die neuesten Forschungen ergel)en haben , diiss diese
beiden Religionssysteme nicht nur als verschiedenartige, sondern sogar als ein-
ander entgegcngcsetste zu betrachten sind."
Der heidnische Orient. ^ ^
beschränkt, von den persischen Königen verfolgt wurden,
bis es ihnen unter der Regierung des Xerxes gelang auch
am persischen Hofe sich einen immer mächtiger werdenden
Einfluss zu verschaffen. Bald standen sie hier an der Spitze
des gesammten Kultus ^). Sie bildeten jetzt die nächste,
angesehenste Umgebung des Königs; ihnen als dem ein-
sichtsvollsten Stande stand der ehrenvolle Beruf der Prinzen-
erziehung zu 2), und der Thronfolger musste sich über die
in ihrem Unterrichte erworbenen Kenntnisse vor seinem
Regierungsantritt ausweisen ^). Eben damals begannen aber
die Chaldäer und Magier ganz ineinander überzugehen.
Im Buche Daniel werden sie D'»1t!^3 (chald. J^XltJ^S) neben
anderen Klassen von Zauberern und Wahrsagern zugleich
(Dan. 2, 4. 5. lo) als Repräsentanten der Magie undMantik
überhaupt erwähnt. Dieselben müssen also wohl als mit
Magiern identisch angesehen werden. Der Name Magier
war eben längst ein gewöhnlicher Titel der chaldäischen
Gelehrten geworden. Ihre astronomischen Beobachtungen
und Traditionen reichten schon damals in das graueste
Alterthum hinauf, was schon aus der völlig glaubwürdigen
Nachricht erhellt, dass Callisthenes bei der Einnahme Ba-
bylons durch Alexander daselbst auf Backsteintafeln astro-
nomische Beobachtungen von 1903 Jahren vorfand, die er
an Aristoteles einsandte *).
«) Xenoph Cyropaed. VllI, 3, 6; VIU. 1. 8
*) AU tnzä ^l '^zvo\iv/(ü^ fettüv t6v realSa (den Thronfulger) irapaXotjjLßa-
voaatv, 00^ sxelvot ßasiXstouc; Krx'.^rx'^ui'(Of)<; ovojidCouatv slal 81 e^£tXeY|i.evot
IlEp'üüv ol aptoTO». 865'xvxe? Iv YjXixtot texxapei; , o xs ao'f ojxaxo^ xal 6 oixato-
xaxo(; xal ö otui;ppove3xaxo? xal 6 avSpetoxaxo?* tuv 6 pilv ^rx-^sioi^ xe diBdoxei X7)v
Zcopoasxpou toö 'Qpo}i.d{oü — laxi Zk xoDxo ^stuv ^spaTieta — , StSdaxst 81 xal xd
ßaatXtxd* h 8fe Sixaioxaxo^ dX-yiiJ-eoeiv Std TCdyxo(; xoö ßtoo etc. P/at. Alcib. Pririi.
c. 17. — Zwar hat Ast (Plalon's Leben und Schriften S. 439) das bei Piaton
ausserdem nicht wieder vorkommende Wort [tafeta und die in obiger Stelle
ausgesprochene Hochstellung der Magie als dscüv d-eprxreeta mit unter die Grunde
gezählt , wesshalb er den ganzen Dialog Alcibiades für unächt hält ; dass er
aber an Beidem mit Unrecht Anstoss genommen habe, ist von Stall bäum
in seinen Anmerkungen z. d. St. zur Genüge nachgewiesen werden.
*) Cic. de divinat. 1.. 23. Philo de spec. leg. 792. Ed. Francof. 1691.
*) Simplicii comment. ad Arist. de coelo p. 123.
2A Zweites Kapitel.
Auch in den nächstfolgenden Jahrhunderten finden wir
die Bezeichnungen „Chaldäer" und „Magier", im Abend-
lande namentlich, ganz synonym und beide in gleich ehren-
voller Weise gebraucht.
Das Ansehen dieser Chaldäer-Magier beruhte — abge-
sehen von der astronomischen und sonstigen wissenschaft-
lichen Bildung, die man ihnen zutraute, — auf ihrer angeb-
lichen Weissagekunst, die sie ganz in derselben Weise wie
die alten Chaldäer ausübten. Hierbei diente ihnen alles
Mögliche als Mittel zur Erforschung der Zukunft *). Die
Chaldäer und Magier weissagten nämlich nicht nur nach den
Sternen, sondern auch mit Anwendung yon Loosen oder
Pfeilen (Belomantie) ; sie beobachteten hierzu den Flug be-
stimmter Wahrsagevögel , untersuchten die Eingeweide,
insbesondere die Leber von Opferthieren (Hepatoskopie),
sie wahrsagten nach der Wolkenbildung, nach den Blitz-
strahlen, nach dem Rauschen und den Bewegungen von
Bäumen und Sträuchem, nach den Bewegungen und dem
Verhalten gewisser Thiere (Schlangen, Hunde, Fliegen,
Fische u. s. w.), nach zufalligen Wahrnehmungen und Vor-
kommnissen (z.B. nach der Bewegung von Hausgeräthen etc.),
nach überraschend klingenden Worten, die man zufallig
hörte, nach dem Vorkommen von Missgeburten, (indem
z. B. die Geburt eines Kindes mit weissem Haare dem
Landesfürsten hohes Alter versprach). Ganz besonders
legten die Chaldäer und Magier ausserdem den Träumen
eine prophetische Bedeutung bei.
In der römischen Kaiserzeit änderte sich jedoch der
(lobrauoh beider Bezeichnungen. Chaldäer und Magier galten
im Morj^cMi- wie im Abendlande als umherfahrende Gaukler,
die für Cfeld wahrsagten und ihre Heilmittel anboten und sich
bei Leichtgläubigen durch geheimniss voll aussehende Ope-
rationen Ansehen zu verschaffen suchten. Die öffentliche
Meinungbetrachtete bald beide als Schwindler und Betrüger*).
•| Ltnt*rm<iut, S. 4.U> — 524.
*i \\i}. P. \. 7is':, (t«'»tii*mlienNt um! Zaulw rwcsen bei den alten Hebriem
un»! den hcn.uhlMrtcn Völkern. Rc^en^h. 1877. S, 87 — 89, wo die Belege
nuilwuNctten xinJ.
D R I T 1^ E S KAPITEL.
Das Volk der Hebräer.
Der englische Reisende J. Roberts sagt (in den
Oriental illustrations of Scriptures, S. 542): „Das Hinduvolk
hat es mit einer so grossen Anzahl Dämonen, Göttern und
Halbgöttern zu thun, dass es in beständiger Furcht
vor der Macht derselben schwebt. Es gibt in seinem Lande
keinen Weiler, der nicht wenigstens einen Baum, eine ge-
heime Stätte besässe, welche als Sitz böser Geister gelten.
Mit der Nacht verdoppelt sich aber der Schrecken des
Hindu, und es kann ihn sodann nur die dringendste Noth-
wendigkeit bewegen, seine Wohnung nach Sonnenunter-
gang zu verlassen. Muss dieses geschehen, so schreitet
er mit äusserster Vorsicht von dannen. Er beachtet das
geringste Geräusch, er murmelt Beschwörungen vor sich
her, die er immerfort wiederholt; er hält Amulete in der
Hand, betet ununterbrochen u. s. w." — Lenormant,
welcher S. 41 diese Mittheilung Robertos anzieht, bemerkt
dabei (S. 42): „Diese Beschreibung der heutigen Hindus
passt nicht allein aufs Genaueste auf die alten Chal-
däer, sie vermag auch den Zustand abergläubischen
Schreckens zu veranschaulichen , in welchem letztere
durch ihre besprochenen Vorstellungen beständig erhalten
werden mussten."
20 Drittes Kapitel.
Zu dieser Bemerkung Lenormants können wir hinzu-
fugen, dass der abergläubische Schrecken, die grausige
Furcht vor der überall drohenden, unheimlichen Macht der
Dämonen und deren Diener, der Zauberer, zu allen Zeiten
das Erbtheil und Loos aller Völker des Heidenthums ge-
wesen ist. Unter diesem Fluche des Dämonismus lag die
ganze antike Welt gebannt, der die stoische und epikureische,
überhaupt die philosophische Weltanschauung keine Er-
lösung von diesem Fluche bringen konnte. Nur Ein Volk
des Alterthums finden wir von demselben befreit , — das
Volk, welches sich Gott erwählt hatte, um in ihm seine
Heilsrathschlüsse zur Ausfuhrung zu bringen, — das Volk
der Hebräer.
Auch in diesem Volke begegnen wir allerdings allerlei
zauberischem Treiben wie bei allen anderen Völkern des
Alterthums, jedoch mit dem Unterschiede, dass während
bei den letzteren der Glaube an Magie und Mantik in ihrem
ganzen religiösen Denken und Leben beg^ndet und an
ihre „religio" angeschlossen war, der Aberglaube bei den
Hebräern nur als eine von Aussen hereingekommene Al-
terirung des nationalen Gottesglaubens und Kultus her-
vortrat.
Im Allgemeinen erscheint nämlich die Zauberei und
Wahr'sagerei bei den Hebräern als ein mit dem Jehovah-
kult unvereinbares heidnisches Unwesen, das vorzugsweise
von Aegypten und Chaldäa her eingedrungen war '). Was
aber die Darstellung der Zauberei und Wahrsagerei in der
hebräischen Sprache betrifft, so ist zu beachten, i) dass
unter den vielen Ausdrücken, welche zur Bezeichnung der
Magie und Mantik gebraucht wurden, die gebräuchlichsten
*) lieber das /auberwcscn bei den Hebrüem ist zu vergleichen das Haupt-
werk: P. Scholz, GAtzcndienst und Zauberwesen bei den alten HebrSem und
den benachliarten Völkern, Reji<*nsb. 1877; sodann: C F. Keil, Handb. der
bibl. Arch.HoluRie, Krankf. a. M. i875. S. 475—47^; ät li'etU , Lehrb. drr
hebr.-jfidischen Archäolo^iie . 4. Aufl. bearbeitet von Ä\Uij^er , I.eips. IH64,
S. :i57; BauJissin, Studien zur semitischen Religionsj;esch. Heft L u. IL
Lc'ipz. 1876 u. I878; Saalschütz, Mosaisches Recht, S. ftlO und der Art.
„Wahrsager'* in Herz«>g*.s theol. Rcalencyklop. B. XVll. von /., Diesttl,
Das Volk der Hebräer.
27
die Grundbedeutung von Lispeln, leise Sprechen und Beten
hatten, — weil die Zauber- und Beschwörungsformeln leise
und geheimnissvoll gesprochen wurden; und 2) dass die
Pielform, in welcher die betreffenden Verba vorkommen
(nach Diesters richtiger Bemerkung) auf den Begriff des
Technischen hinweist, der sich an die iterative Bedeutung
des Piel anlehnt.
Als die allgemeinste Bezeichnung für Zauberei ist wohl
das Wort Q^3l£^3 , vom Piel t\^^^ , flüstern , leise beten
(Ethp. im Syr. : ethkaschaf = anflehen) anzusehen. Daher
wird ^E'^Sp und nSlS^DS) = Zauberer und Zauberin , in der
LXX mit cpaQ^ay,6^, in der Vulg. mit maleficus übersetzt.
Daneben kommt auch iyfifi^ (Dan. i, 20; 2, 10) und ^"Z^H
(Dan. 2, 27; 4, 4; 5, 7. II. 15) vor, ohne dass sich sagen
lässt, wie sich die Aschapsim und die Mekaschschephim
von einander unterschieden. Nur steht sprachlich fest, dass
*12?N d5® Grundbedeutung von Flüstern, Hauchen hat.
Dasselbe gilt auch von dem Ausdrucke tJ^ni 1 der
ebenfalls zur Bezeichnung der Zauberei gebraucht wird.
Dieses Verbum ist sicher kein Denominativum von ^Z^Hj =
TT
Schlange, so dass es die Bedeutung hätte „aus den Be-
wegungen der Schlange weissagen" ; denn keine Stelle, an
der es sich vorfindet, weist auf Ophiomantie hin, und
1 Mos. 44, 5 (wo es von der ägyptischen Sitte, aus dem
Becher zu wahrsagen, gebraucht wird,) spricht geradezu
dagegen. Die Sache ist vielmehr umgekehrt. ^*ni ist =
ßfn? = lispeln, zischen, wovon die Schlange im Hebr. ihren
Namen hat, und tt'rU ist eine Bezeichnung für Zaubern
überhaupt^). Vgl. auch i Mos. 30, 27; i Kön. 20, ^;^,
Ganz unsicher ist die Herkunft und Bedeutung des
Verbums Tjiy, mit welchem die Namen □'^33^ (Jes. 2, 6
und Q^iiJJD Mich. 5, 1 1) = Zauberer zusammenhängen.
') Vgl. Knobel, Prophet ismus der Hebräer, B. 1. S. 243 und Bauäissin, 1.
S. 287.
2S Drittes KapileL
Da es fast nur mit Verben zusammeng-estellt wird, welche
auf die di\inatorische Magie hinweisen (z. B. Jerem. 27, 9),
i*o konnte daraus gefolgert werden, dass es von der opera-
tiven Magie nicht zu verstehen ist, womit dann allerlei
Bedeutungen, welche man dem Worte hat unterlegen
wollen, — mit bösem Blicke (^^) behexen, Wolken zu-
sammengehen imd Regen machen, etwas verdeckt treiben
oder schwarze Künste praktiziren, — in Wegfall kommen
würden. — Von r^J kann das Wort immoghch herkommen,
da neben dem hebr. TJj^y das targumisch-chaldäische TjJ^
hergeht , wesshalb die Bedeutung von „beäugen", oculo
maligno petere et fascinare auch hierdurch ausgeschlossen
ist. — Diestel leitet das Wort von dem arabischen *^
= sonum stridulum edidit, susurra\it ab, — Die 0^ii>!D
werden bei den Cananitem ^IVut, 18, 14^ imd Philistern
enn-ahnt. Die Zauberer-Ton^iinthe (0^üi>*S TT^N) *« ^^^
Nähe von Sichern ^Riohu o, 37^ hatte daher (nach Scholz
S. 74"» wohl ihren Namen von der bei ihr getriebenen
canaanitischen Zauberei.
Einer der allgemeinsten Ausdrücke für Zauberei war
Onp odo^ DD?^' ^ur Wahrsagen CDp o^^^ CCp. ÖDp
und für Wahrsager QC^r. Die (irundbedeutung des Ver-
bums DCp ^^^ "»^^'^ Kwald (Prophet, i, lö) scheiden,
dann entschiMden, woraus ^naoh Fleischer bei Delitzsch zu
Jes^ij. 3, 2, vS. 73, Anme^k.^ die Beileutung von Einem
einten Zwang anthun. ihn bo/aubem, beschworen, überhaupt
**chworon hervorgegangen ist. Die Thätigkeit der Kose-
mini Ix/og sich auf die Erforschung der Zukunft; auch
entschied ihr Spruch Cw?^ » ^^'^^^ ""^ einem einzelnen E^alle
* •
zu thun sei. Doch galt ihr Wahrsagen bei allen Frommen
als Trug und l.uge ^F/eoh. 13, n; 21. 2S; 22, 28). Aus
E/eoh. 2\, 2(^ erfahnMi wir, davs der Kasam bei dem Konige
von Uabel in tlnM vt^rschitnlenen Formen ausgeübt w\irde:
I • als UeliMnanlie und Rhabdomantie. d. h. Pfeile, die mit
irgenihvt»lilien Namen niarkirt waren, wurden in einen
Das Volk der Hebräer. 2Q
Köcher gethan, der Köcher wurde geschüttelt und irgend
ein Pfeil wurde dann herausgezogen, woraus man ersah,
welchen Staat man anzugreifen habe; 2) als Befragen der
Teraphim (Hausgötter); und 3) als Beschauen der Leber
(iJnaroaxoTiIa, extispicium) — was jedoch in Israel nicht vor-
kam. Aus I Sam. 28, 8 geht hervor, dass die Todten-
beschwörung eine spezielle Form des Kasam war.
Gewisse Zauberer, Wahrsager u. s. w. werden im
A. T. auch Q'^ÖDn (LXX : (royoi, acxfiarai) genannt. Sie
treten zunächst als ägyptische, hernach auch als babylonische
Zauberer, Beschwörer u. s. w. hervor. Lenormant (La
magie chez les Chald^ens, S. 14) will die chaldäischen
pp^Sn auch als Aerzte aufgefasst wissen, die durch Zauber-
künste Krankheiten heilten. Für diese Auffassung kann
angeführt werden, dass bei den Arabern das Wort chakim
zunächst Aerzte und dann erst Philosophen bedeutet. Im
A. T. wird jedoch PDSn zur Bezeichnung von Zauberern
im Allgemeinen gebraucht, so dass der Begriff derselben
neben den vorgenannten Klassen von Zauberern auch noch
eine andere, die □'»DlOiri» umfasst. Diese letzteren waren
• • • ^
ursprünglich ebenfalls ägyptische Zauberer, welche Träume
deuteten (i Mos. 41, 8. 24), Stäbe in Schlangen (Ex. 7, 1 1 ff.),
Wasser in Blut verwandelten (Ex. 7, 22) und Frösche über
das Land kommen Hessen (Ex. 8, 3).
Als eine Zauberei besonderer Art wird noch im A. T.
(5 Mos. 18, II ; Ps. 58, 6) der IDn ibfl» der Kartenbinder
genannt, der einen zauberischen Knoten knüpft und durch
denselben Personen oder Sachen bindet und bannt.
Eine andere Art babylonischer Zauberer, mit denen
die Israeliten in Berührung kamen, waren die ?>*1T3, welche
' TT
(Dan. 2, 27; 4, 4; 5, 7. 11) mit den anderen Zauberern zu-
sammen, aber stets an letzter Stelle genannt werden. Da
die Vulg. das Wort mit haruspices übersetzt, so hat man
darunter Eingeweidebeschauer verstehen wollen. Nach
Scholz (S. 89) waren die jntJl solche Zauberer, welche
die fe<1T3 (Dan. 4, 1 4) d. h. den unwandelbaren Entscheid
IQ Drittes Kapitel.
oder die Bestimmung" des Schicksals von Seiten der Götter
aus den Gestirnen erkennen wollten, nach Diestel waren
sie geradezu Nativitätssteller.
Eine ganz besondere Form der Zauberei war die durch
das ganze Alterthum hin verbreitete Todtenbeschwo-
rung. Die substantivischen Bezeichnimgen für diese Wahr-
sager sind "»j^T» und DIJ^. Das erstere Wort (welches
• • •
Delitzch zu Jesaj. 8, ig von p^T^ ableitet, ähnlich wie
Plato dai^icov mit darJ/Kav zusammenstellt,) ist = der Wissende,
der Geheimwisser, und bezeichnet also den Zauberer selbst
und nicht etwa den aus ihm redenden Geist. Dagegen ist
das (bis jetzt jeder Ableitung spottende, vielleicht auf
akkadischen Ursprung zurückzuführende) 31{< zunächst
nicht ein Zauberer, sondern ein unsauberer Geist, ein
Todtengeist, der dem Körper eines Mannes oder einer
Frau einwohnt und von hier aus Verborgenes offenbart
(Deuter. i8, lo; Jesaj. 8, 19; Levit. 20, 27; i Sam. 28, 7;
Deuter. 8, 10). Der Mensch, der von einem solchen Geiste
besessen ist, heisse Di{<"7y3» bezw. DlN'Tl^JJS- Sodann
aber wird mit ^^^t ebenso wie mit ^jjjn** (welche beide
Ausdrücke fast immer zusammen vorkommen,) der Wahr-
sager, — imter dem man sich also einen Besessenen dachte,
— selbst bezeichnet. Unter denselben hat man Bauch-
redner zu verstehen, wesshalb die Septuaginta und Hierony-
mus das hebr. ^^J^ mit nv^ioi übersetzen, auch erklärt es
sich daher, dass die Stimme des heraufbeschworenen
Geistes als gedämpft und leise ertönend bezeichnet wird
(Jesaj. 8, 19^) und dass die Septuaginta wiederholt 3i{<
auch mit eyyaaTQ^tvd-og übersetzt. Die bekannte Schilderung,
die I Sam. 28 von dem Zusammensein Sauls mit der Py-
thonisse zu Endor entworfen wird, beweist übrigens, dass
die niDlN mit ihrer Bauchredekunst auch Todtenbeschwö-
^} Deiitzscht zu Jesaj. 8, 19 (2, Aufl.) sagt: ^IJJH^ sei Ableitung von
fiiKMu J*|{i{TJ> = <*«••* Vielwivscn,
I T.
Das Volk der Hebräer.
31
rungen verbanden, kraft deren sie die Seelen Verstorbener
citirten ^).
Als harmlosere Art der Wahrsagerei kommt im A. T.
die Traumdeutung vor, d. h. die Deutung der Träume
Anderer und das Wahrsagen aus eigenen Träumen (i Mos.
40, 12 ff.; 41, 25; Dan. 2, 4 ff.; 4, 5 ff . ; 4 Mos. 12, 6;
Joel 3, I ; I Dan. 7, i).
Von den im heidnischen Orient üblichen mantischen
Künsten sind also un jüdischen Volk nur wenige nach-
weisbar, und von operativer Magie findet sich im A. T.
kaum eine Spur vor. Nirgends ist die Rede von magischen
Heilungen, Beschädigungen von Menschen, Thieren und
Feldern, Liebeszaubem, Erregung von Gewittern, Beherr-
schung der Planeten, Verwandlungen in Thiergestalten,
Luftflügen oder gar Bündnissen mit dem Satan, wie diess
in dem späteren Zauberwesen geschieht. Nichtsdestoweniger
hat man wegen der in die Uebersetzungen eingedrungenen
Ausdrücke qrap/iaxog, maleficus und Zauberer die Zauberei
überhaupt, wie sie später gefasst ward, als den alttestament-
lichen Schriften bereits bekannt vorausgesetzt und hierin
nicht nur für ihre Existenz und Wirksamkeit, sondern auch
für ihre Strafbarkeit eine heilige Autorität gefunden. Die
Hexenprozesse sind dadurch nicht wenig gefordert worden.
Der verhältnissmässig geringe Einfluss, den die orien-
talische Magie und Mantik auf Israel in seiner früheren
Zeit gewann, erklärt sich aus der ganz einzigartigen Stellung
der hebräischen Religiosität zu derselben. „Alles Zauber-
wesen ist Heidenthum und ist darum Sünde und zwar eine
der furchtbarsten Sünden, die mit der Ausrottung des
Frevlers bestraft werden muss," das war der Gedanke, den
die Träger der Theokratie in Israel, vor Allem die Propheten
*) Bei allen alten Völkern des Alterthums galten die Bauchredner für
Besessene, in deren Bauchhöhlen der Geist eines Verstorbenen hause, der ganz
unabhängig von dem Willen des Verstorbenen seine Stimme vernehmen lasse.
In Griechenland z. B., wo man die ^yt^'^'^P^P-^^^' ^^^^ Sat^ovoXfjTCtot nannte,
stand dieser Glaube ganz fest. Vgl, darüber Lenormant , die Magie der Chal-
däer, S. 513—515.
2 2 Drittes Kj|:itrL
vertraten. Allerdings wird von Manasse berichtet, dass er
Zauberei und Zeichendeuterei trieb und Todtenbeschworer
und „klug*e Männer** sogar anstellte (2 Kon. 21, 6; 2 Chron.
^^, 6) ; allein unter Josia sehen wir dieselben wieder be-
seitigt. Denn das Gesetz 3^Ioses will nun einmal sowohl
die Wahrsager und ^lekaschephim selbst, als auch die-
jenigen, welche sich ihrer Hilfe bedienen, mit dem Tode
bestraft und ausgerottet wissen (2 Mos. 22, 18; 3 Mos. 20,
6 und 27; 5 Mos. 13, 5). Als Art der Hinrichtung er-
scheint 3 Mos. 20, 27 die Steinigung. Das Gesetz fasst
nämlich diese Begehungen als götzendienerische Gräuel
der umwohnenden Heiden auf, wodurch der Israelit, der
abgesondert von den Völkern dem Herrn leben soll, sich
verunreinigen, von Gott abfallen würde (3 Mos. 19, 3 1 ; 20,
27 ; 5 Mos. 18,9 ff.). Dem auserwählten Volke sollen
Jehovah's Diener, die Propheten, verkünden, was ihm
frommt (5 Mos. 18, 15); götzendienerische Wahrsagimg
musste in dem theokratischen Staate als Empörung gegen
das Staatsoberhaupt, als Hochverrath angesehen und als
solcher bestraft werden *) ; auf jeder Beleidigung Jehovah's
stand die Steinigung *). Rücksicht auf die Schädlichkeit
der Handlung an sich oder auf das einem Individuum zu-
gefugte Unrecht tritt in diesen Gesetzen nirgends hervor.
Trotz der Strenge des Strafgesetzes neigten sich in-
dessen die Juden fast jederzeit zu der ausländischen Wahr-
sagerei, wie zum Götzendienst überhaupt hin, und da die
Könige oft selbst diesem Hange folgten, so scheinen die
gesetzlichen Strafen selten zur Vollziehung gekommen zu
sein. Saul hatte sich zwar in der Ausrottimg der Wahr-
sager thätig gezeigt (i Sam. 28, 9), doch griff er zuletzt
selbst zur Todtenbefragung. Ueber Götzendienst und
Wahrsagerei in Israel und Juda erhoben die Propheten
wiederholte Klagen, und die Bücher der Könige geben in
dieser Beziehung traurige Schilderungen von den Zeiten
Hosca's und Manasse's (2 Kön. Kap. 17 u. 21). Der Ver-
^) Knobel, Proph. d. llcbr. I. 233.
•) h'tfifr, Uibl. Realwr>rlerl). Art. Steinigung.
Das Volk der Hebräer.
33
kehr mit den heidnischen Nachbarvölkern, später beson-
ders die Berührung" mit dem babylonischen Wesen wirkte
sehr nachtheilig" ; unter dem Einflüsse der aus dem Exil
mitgebrachten Dämonenlehre bildete sich das Zauberwesen
immer mehr aus, erhielt in den durch das Buch Henoch
verbreiteten Vorstellungen von dem Umgange übermensch-
licher Wesen mit dem Menschen beträchtlichen Vorschub
und strebte durch die Kabbalah nach Legitimation und
wissenschaftlicher Gestaltung. Das Exil, in welchem das
jüdische Volk sich mit dem Dämonismus ganz und gar
vertraut gemacht hatte, war für dasselbe in dieser Be-
ziehung verhängnissvoll geworden. Zur Zeit Christi finden
wir daher die Juden von dem Dämonenglauben vollständig
beherrscht. Die Stelle i Mos. 6, i flF. galt als Grundlage
desselben *). Besessene sah man überall; doch war die
Frage, ob dieselben von eigentlichen Dämonen oder von den
Geistern verstorbener böser Menschen geplagt würden,
offen. Josephus entschied sich für die letztere Ansicht *).
Zahlreiche Beschwörer rühmten sich der geheimen Kunst,
die Dämonen bannen und austreiben zu können. Derartige
jüdische Zauberer durchzogen bald alle Lande ^). Zur
Heilung der Dämonischen gebrauchten sie gewisse For-
meln (die sie auf König Salomo zurückführten), Räuchereien,
auch besondere Medikamente, zu deren Herstellung man
sich der Wurzel einer selten vorkommenden Pflanze, einer
Art 71 rjyavov, bediente*). Die Christen stellten diese
*) Philo, de gieantibus. erzählt im Eingänge, dass als die Menschen sich
mehrten und ihnen Töchter geboren wurden, die <5YYeXot toö ^eoö diejenigen
unter den letzteren, welche sch5n waren, sich zu Weibern auswählten. Die-
selben nämlich, welche von anderen Philosophen SaipLovsg genannt werden,
nennt Moses SyT^^*^'* ^'^ ^'"^ «J^o^al xaxa xöv öilpa Tcsxo^evat, die Bewohner
der Luftsphäre. Durch ihre Hingabe an die fleischliche Lust sind sie gottlos
geworden u. s. w.
*) Bell. jud. VII. 6. 3 : Ta ^ap xaXoüftsva 5at|ioyia novfjptüv eaxtv ftvO-pci»-
Kiov :cve6(JLttxa, tote C*"Otv Bl^SüOjjLev« xal xxsivovxa xoix: ßo7]t)*eiac p.*^ xo^x*-
vovxa^.
») Juvenal, VL 542 ff.
*) van Dale, de divinatione idolol. c. VI. p. 519 ff.
Boldan-Heppe, Uexenprozesse. 3
-uc.iz .m ^ im-^ii itt^ -fTTTTir^tn .-.in?^ -^^rr-'iiiiKasr -. Auch !
n Ji-ir «:•= :»i^*r p«.c >u-!i ^»::i x'ftrrcfr^rt r^ Tr^fr'crvineii,
a.'r- >rTr:er^rr: k,^r: ::nrircü:::»er ~ii:b^:»e>it:i*er 5«=: Feld von
'-itiH-rL -r^i^imea. Iair-!*r*i -^-tlTe^ -. Inc*f>'?«f?t mied: >icii das
>
I>rh»eTi i-rT'T^ritrn i-i:Hj-T^:^«->^<f^n sdjr. ?^' ^jcei^erte skrh die
}»«^tvr-^^ l'^.-?*:-l~r»rn rz. ^■riieLZi»f:zr Trerrec und. zur Aus-
z'JZZi.T,^ ie:* Arerjüi-i'z'rnri' i»rr •ZTir^:?c-n :necr und mehr.
Im rir-r-rr-rn ilirr-elili'er f-LTd^en ^i•:h lihter in den Juden-
W'a.n-^m i-?r ^.s-i^n ScIIt-r £j.::.rer7er v.r. üe -rwar nur
Ä'^.r.z im Verb*. r< enen Arreirec-en. irer i-jch. -.^rrojcses An-
-i^r.^^L ^ent.-^-sen: ^::zi »il^ .c*^cen C-l< Ende ies fünfzehnten
Jahrr.-r.'I«^rt.s die tibroli>d>ohe Prilc-:>c»w hie den Christen
b^lcamter ward, zi.-'^ r^Ap sih V:rüebe hebriische Xaxnen
und f orrr.'irln in da^ srelehrtere ZjLuber.ve^ea herüber. Schon
^orYi^fT hatie da-s Juienihum durch seine auf die Christen
L'r,*'r^^*'Zä,ni{fme Dämun^-^Io^r-e die chri>tliche Grundansicht
von xaur>^ri"-chen Ehneen hervorbilden helfen.
Cv/V. yy/: «> /'i^/i'fity, xai xiTi^srav-; l>j\vckei»*ntcn ysävt«: und ßhn
'Itr»r, fort, t-»/ ^s xaT« sivto^ öwxiT^ TÖv sai -juilv y*T^'*'J*'^^'*** ^« ?*5^«»v
fi't^A* '.ut0 ^yi.:*y» /'Au'0' fiij' •• ajra s^osxi^o: f.^ -><uö> xa?a to*» ^o5 ^A^p^S}!
'^ //«///<, Cor.cilien^f^h. B. I. S. I48-
I
VIERTES KAPITEL.
Griechenland.
Lange Zeit hindurch wurde fast allgemein angenom-
men, dass die Zauberei der Griechen aus Persien stamme,
dass Zoroaster ihr Erfinder, dass sie zur Zeit des Krieges
mit Xerxes durch einen gewissen Osthanes nach Griechen-
land verpflanzt und von da über den ganzen Occident ver-
breitet worden sei. Den Ergebnissen der neueren Ge-
schichtsforschung gegenüber kann jedoch dieser Meinung
nur noch als einer Antiquität gedacht werden ^). Dem
Glauben an Zauberei begegnen wir in Griechenland schon
im ersten Anfange seiner Geschichte. Es ist möglich, dass
*) Wie weit der Zoroastrismus von den schauerlichen Dingen entfernt
war, deren Vorstellung sich in der Folgezeit mit dem Namen Magie oder Magier
verbindet, wie grundlos es also ist, Zoroaster zum Erfinder oder Bearbeiter
jener unheimlichen Künste zu machen , — wird durch die heiligen Urkunden
des Parsisinus selbst in den gegen dieselben ausgesprochenen Verdammungen
klar bewiesen. „Die Zauberei**, sagt der Vendidad (Fargard. 1.) „ist eine
hässliche Kunst, vom todschwangeren Ahriman ins Leben gebracht. Sie macht
allerlei Blendschein und gibt Alles. Sie scheint gross, aber wenn sie sich auch
in der höchsten Gewalt aufstellt, so kommt sie doch vom Urgründe des Bösen,
vom Vater alles Unglücks.** Dieses bestätigen unter den Griechen auch
Aristoteles und der in den persischen Verhältnissen so glaubwürdige Dinon,
(Diog. Laert. Prooem. : rfjv Se '^tir^vt.^ [tavtstav ohV eYvtuoav, «pfjalv 'Api^xo-
•ci).Tj5 ev t<ji MaYix<|», xal Aecvcuv ev x^ irejjLitx^ täv btopiÄv. — Das Mägikon wird
freilich von Anderen nicht dem Aristoteles, sondern dem Antisthenes oder dem
Philosophen Rhodon zugeschrieben.)
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Z-^:r-< k::r:n:t hi-^r ür Er:r:K^:kI-z:<: der rhüosophi-
-"-cnffTi Ans:r-i--.:r.^'en n; rk^err-i^i-er: r: Ferricni. Hier hatte
z-f:r< Thale-^ ife Fra^e n^rh dem l.'r^:»^der Weh, dem
Prrnirrp all*-s S^ien^i^^n an^rere-^ ur>d haue dieses in der
Mat^e, und zn-ar izn \VaN>er r-ächruwessen versucht,
'K'^hTfm'l nach ihm Heraklit um ^jo vor Chr. dasselbe
im Feuer ^nden zi; mü-^sen <lai;bie. Bald nach den Perser-
krie;,ren erhob sich dann Anaxaeoras in Klazomena, —
der erate ^irieche, der eine Inielüg^enz als Weltursache
erkannte . während ziemlich g^Ieichzeiti^j Empedokles
-um 4;o vor Chr.i mit einem dem heraklitischen sich
nähernden Sy>teme auftrat, in welchem er zuerst die für die
Magie erforderliche dualistische Weltanschauung lehrte ')
und das Da:>ein einer Dämonenwelt anerkannte. Auch
•»tand er selbst in dem Rufe eines Wunderthäters und
Zauberers. Von da an crewann die Dämonenlehre, die
schon von den ältesten Zeiten her im griechischen Volke
gelebt hatte, eine bestimmtere Gestalt und grossere prak-
tische Bedeutung ^). Gleichzeitig kam Griechenland mit
den Magiern und der medisch-persischen Magie in Be-
rührung, die anfangs als eine im Abendlande noch ganz
unbekannte höhere Weisheit angestaunt und gepriesen
ward. Von grossem Einfluss war ein während der Perser-
^) S. die NathweisuriKen bei O. MulUr und Duckt, die Etni&ker.
S. 1H7 18H.
'} //fr mann, die «ot lesdien st 1. AlterthOmer der Griechen, S. 213,
■) Vitn OorM, De Godsdienst der Grieken niel hunne volksdeokhreiden,
Haarl. 18^14. S. *n ff.
Griechenland. i-r
kriege nach Griechenland gekommenes Buch, welches von
einem Magier Osthan es herrühren sollte. Soviel wir von
dem Buche wissen, lehrte es als höchste Geheimnisse der
Magierkaste auch allerlei Zaubereien und Wahrsagerkünste,
selbst das Citiren der Verstorbenen und der infernalen
Dämonen. Plini us berichtet ^), dass das Buch den Griechen
nicht eine heftige Begierde, sondern geradezu einen rasenden
Heisshunger nach der Magie eingeflösst habe. In Griechen-
land trat daher jetzt die medische Magie an die Stelle der
rohen und primitiven Gebräuche der griechischen Goeten ^).
Bald aber stellte sich die Magie, die man anfangs als eine
auf der Sternenkunde beruhende Geheimwissenschaft be-
wundert und deren Vertreter man als den Göttern näher
stehend verehrt hatte, in einem ganz anderen Lichte dar.
Griechenland ward von wirklichen und angeblichen Magiern,
die von Osten her kamen und allerlei elende Gaukeleien
trieben, überschwemmt und bald erschien daher der Mdyog
im griechischen Sprachgebrauch synonym mit yvt]Q ^) und
mit der ganzen Schmach dieses Ausdrucks behaftet, so
sehr auch die Anhänger der Magie beide Begriffe ausein-
ander zu halten suchten*). Inzwischen hatte die Mantik
und Auguralkunst in Griechenland eine neue Stütze durch
die Philosophie erhalten, indem die Stoiker dieselben mit
ihren fatalistischen Lehren in Zusammenhang brachten,
den Aberglauben philosophisch begründeten und zu dem-
selben nicht nur bei dem Volke, sondern auch in den ge-
bildeten Ständen neues Vertrauen erweckten *). Der erste
Stoiker, der sich mit Aufstellung einer solchen Theorie
befasste, war Zenos zweiter Nachfolger Chrysippus
(t um 208 v. Chr.), der unter Anderem zwei Bücher über
Orakel und Träume schrieb. Nach Chrysippus verfasste
dann dessen Schüler Diogenes ein ausführlicheres
*) Hist. nat. XXX. 2.
•) Lefiormant, S. 22 Q.
*) Sophocl. Oed. Tyr. 887, Aeschin. c. Ctesiph. §. 137.
*) A' F, Hermann^ GoUesdienstl. Alterthümer, S. 213.
*) Lenormant, S. 488.
^3 Viertes Kapitel.
augxiralwissenschaftliches Werk, welches anscheinend nicht
allein die alte griechische Wahrsagerei, sondern auch die
fremdländischen Wahrsagegebräuche behandelte ^). Der neue
Aufschwung, den somit die Mantik und Auguralkunst in
den Kreisen der Gebildeten nahm, trug aber den Unge-
bildeten nur eine neue Steigerung des Hanges zur Zauberei
ein, zvmal da die gleichzeitigen Vorgänge in Asien dem
Dämonenglauben und der Magie in Griechenland den wirk-
samsten Vorschub leisteten. — Nachdem nämlich Alexander
d. G. den Orient mit dem Occident verbunden hatte, war
in Asien unter den Seleuciden die bisherige Scheidewand
zwischen der babylonischen Bevölkerung und den griechi-
schen Ansiedlern fast völlig gefallen. Griechen nahmen
babylonische Namen an, es gestaltete sich eine griechisch-
babylonische Literatur (Berosus u. s. w.) und die Lehren
der chaldäischen Schulen fanden unter den Griechen in
Asien und hernach auch im alten Stammland überall Ein-
gang •). Kräftiger als je vorher wucherten daher jetzt
unter den griechischen Völkerschaften aller mögliche Dä-
monenspuk und alle nur erdenkbaren Praktiken der Be-
zauberung und Beschwörung auf, und zwar waren es ganz
besonders Frauen, die sich diesem Treiben (namentlich dem
Mischen von Liebestränken ^) ergaben. So nahm jetzt der
chaldäische Dämonismus mit Allem, was sich im Laufe der
Jahrhunderte und unter den vielfachen vorgekommenen
Völkermischungen an denselben angesetzt hatte, von Grie-
chenland und von der ganzen abendländischen Welt Besitz.
Chaldäer und Magier (welche Bezeichnungen längst als
Synonyma galten) zogen in den Landen hin xmd her, mit
ihnen auch Juden, welche ihre Zauberformeln vom Könige
Salomo haben wollten. Leichtgläubige täuschend und die
Hoffnungen und Wünsche der Einzelnen zu ihrem Vortheil
») Cicero, de divinat. 1, 3; H 43.
>) Lenormant, S. 488->489.
•) Josephus, Antiq. XVII. 41. Ausserdem vgl. was K» F, Nermamm
a. a. O. S. 213, Anmerk. 14 Ober da» Treiben der *fp&K unter den Griechen
nachweist.
Griechenland. -jq
ausbeutend^). In Kleinasien galt insbesondere Ephesus
als" der Hauptsitz untrüglicher und wirksamer Magie Be-
rühmt waren namentlich die *Eq>iaia yga^tnara d. h. Zauber-
formeln, die auf Pergament geschrieben entweder herge-
sagt oder am Körper als Amulete getragen wurden ^). —
Sehen wir uns nun nach diesem Ueberblick über die
Entwicklung des Aberglaubens der griechischen Volks-
stämme im Allgemeinen nach den Erscheinungen desselben
im Einzelnen um , so bietet sich uns bereits bei Homer ^)
und Hesiod gar Vielerlei dar. Bei Homer erscheint ja
schon Circe, die der späteren Zeit als Königin aller
Zauberinnen gilt, mit ihren bethörenden Säften und ihrem
klassischen Stabe, der lange Zeit ein fast unzertrennliches
Attribut des Zauberers bleibt *). Was ihr naht, wird in
Wölfe, Löwen oder Schweine verwandelt; den Gegen-
zauber kennt nur Hermes im Kraute Moly. Agamede in
der Dias ist so vieler Pharmaka kundig, als die weite Erde
trägt *). Auf der Eberjagd am Parnasse stillen des Auto-
lykos Söhne das Blut des verwundeten Odysseus durch
Besprechungen *). Helena mischt den bekümmerten Gästen
im Palaste zu Sparta einen Wundertrank aus ägyptischen
Kräutern, der das Herz selbst gegen die härtesten Schläge
des Schicksals stählt '); Here fesselt den kalten Gemahl
durch den von Aphrodite entliehenen Zaubergürtel ®). Wir
') Üeber das Ansehen, in welchem bei Vielen gerade die judischen Zau-
berer, auch in viel spaterer Zeit standen, vgl. Juvenal, Sat. VI. 543 ; Josephus,
Anttq. VIll. 2. 5» XVUI. 3. 5 und Augustin, de civ. Dei VI. 11.
*) Winer, Biblisches RealwOrterbuch, Art. Zauberei.
') üeber Homer vgl, /% G. Welcher' 5 kleine Schriften, III. und zwar Ober
Medea oder die Kräuterkunde bei den Frauen, S. 20 — 26, und ober die Epoden
und das Besprechen S. 64 — 88.
*) Odyss. X. 212 ff.
») II. XI. 740.
*) Odyss. XIX. 454. enaoidiQ V aiiia xeXaivöv Is^^sö-ov.
') Odyss. IV. 220 ff. Dieselbe homerische Stelle gebraucht Lucian
im Pseudomantis, um das Treiben der Zauberer zu persifliren.
•) 11. XIV. 214. 'H xal öiTtö orfji*)'83^iv eXo^ato xeoxiv tjiavTa,
TcotxtXov fvO-a Se ol freXxrrjpta TreivTa tetüxto*
?v^' EVI [liv «ptXoxfjC, ev V TpiEpo;, ev V oapioxo?,
irdpsf-aotg, Yjx' exXE'^e voov ^6xa zsp ;ppoys6vtu>v.
IQ Viertes Kapitel.
erinnern ferner an die A^erwandlungen des untrüg'lichen
SeegTeii>es Proteus und an den sinnbethorenden Gesang"
der Sirenen. Und vollends die nekromantischen Scenen
der Odyssee mit ihrer \-iereckicren Grube, ihren Libationen
und schwarzen Opferthieren, wo des Tiresias Schatten her-
beibeschworen wird und die kraftlosen Häupter der Todten
sich versammeln ! — Hesiod kennt Tagrwählerei. Er lehrt,
an welchen Tag^en Knaben , und an welchen Mädchen zu
guter Vorbedeutunj^ g^eboren werden und an welchen sie
heirathen sollen M. Die Verfasser der Xosten erwähnen
Aeson's Yerjüngfung" durch Medea, wiewohl diese letztere
als vollendete Zauberin erst bei den Tragikern erscheint.
Ueberhaupt zeigt uns ein Blick auf den Charakter der
nächsten Jahrhunderte nach Homer Verwandtes in Menge.
Es ist die von Hesiod und den Cyklikem eingeführte Pe-
riode der Dämmerung, wo, wie Lobeck sagt -), die Dichter
zu philosophiren und die Philosophen zu dichten anfingen,
wo aus der einfachen, kindlichen Religionsansicht der he-
nnschen Zeit sich das S\Tnbolische , Mystische und Phan-
tastische jeiler Art hervorbildete, diis später besonders in
den orphischen Gaukeleien und in dem Institute der P)rtha-
goräer seinen Abschluss erreichte, der Zeitraum der
Katharten, Jatromanten und AgNTten, in welchem jene
wunderbaren Gestalten wie Abaris, Aristeas, Epimenides
und Bronchus auftreten. Xach Wegräumung des geheim-
nissvollen Nebels, den die spätere Legende um diese Fi-
gun^n ge/ogen hat, bleibt uns wenigstens das als histori-
sches Faktum, dass Abaris mit Sühnungen und Weis-
sagimgen GritHrhenland durch/v>g, um die Hj-perboreer
von der Pest /u iH^fnnen; dass Epimenides in Athen eine
Seuche durv^h Mittel /u siilltMi versuchte, die man als ausser
ilem Knn>e dt^s gewohnlichen Tempelkults liegend be-
trachtete, und tlass Bronchus in Milet, obgleich Priester
und Prophet Api^llon>, elHMifaU> bei einer Epidemie ein
hövh^t ^HniderKin^s AbraoaiUibra in die SGhnungsformeln
'» v»j. e: • CN T' '» ^ .
Griechenland. ^I
mit einmischen liess *). Von der geheimen Kraft des Kohls
spricht Hipponax, um die Zeit des Cyrus; von Pisistratus
ist es nach einer Stelle bei Hesychius wahrscheinlich, dass
er an der Akropolis zu Athen ein grillenartiges Insekt
zum Schutze gegen Fascination anbringen liess ^). Die
Keime des astrologischen Aberglaubens bei den Lace-
dämoniern zeigen sich deutlich in ihrem Benehmen vor der
Schlacht von Marathon, und wenn wir Lucian glauben
wollen, so hatten die Griechen ihre Sterndeuterei überhaupt
nicht von aussen, sondern von ihrem Orpheus erlernt^).
Doch war die Sterndeutung in Griechenland nie recht
heimisch, wogegen die Traumdeuterei eine bedeutende
Rolle spielte ^). Nehmen wir hiezu noch den schon frühe
in Arkadien einheimischen Glauben, dass ein Mensch sich
in einen Wolf verwandeln könne (Lykanthropie) ^) , und
das in Schauerlichkeiten eingehüllte Todtenorakel am See
Aomos in Thesprotieh, das um*s Jahr 600 vor Christus
schon Periander befragte ^) : so haben wir der Beweise
genug, dass lange vor den Perserkriegen ein ansehnlicher
') S. (Soidan's) Abhandl, über das Orakel der Branchiden in Zimmer-
mann's Zeitschrift für Alterthumswissenschaft, 1841, Nr. 66 ff.
*) Hcsych. V. KaxayTjVYj. Lob eck Agiaoph. p. 970 ff.
•) Lucian. de Astrol. lü.
*) F, G. Welcher, Griech. Götterlehre. 11, S. 139: „Die Traunuvahr-
sagung hat eine sehr bedeutende öffentliche Wirksamkeit gehabt von dem
Heiligthum des dodonäischen Zeus in Phthia, wo sie wenigstens wahrscheinlich
ist, und von dem berühmten des Amphiaraos an bis auf die Incubation in den
Aesculapstempeln , die erst im zweiten Jahrhundert nach Christus die höchste
Stufe ihres Ansehens und Glanzes erreicht haben. Im Privatleben wurde be-
kanntlich der Eingebung der Träume ganz gewöhnlich Folge gegeben, — so
dass die Symbolik der Träume wohl einem grossen Theile der gebildeten Welt
anlag. Traumdeuter zogen mit ihren Bettcltafeln (aYüpttxol TCtvotxs;), wonach
sie jeden Traum fQr zwei Obolen auslegten, im Lande umher.**
*) Fiat, de Republ. VIII. 16. Fausan. VHI. 2. Fun. H. N. VHl. 22.
Vgl. Böttiger , Ueber die ältesten Spuren der Wolfswuth in der griechischen
Mythologie, in Sprengel's Beiträgen z. Gesch. der Medizin, B. L.St. 2, und
R, Leubuscher, Ueber die Wehrwölfe und Thierverwandlungen im Mittelalter.
Berl. 1850, S. 1—3. — Werwolf (wie das Wort nach historischer Ortho-
graphie zu schreiben ist, heisst M a n n w o 1 f (gothisch vair ^ lat. vir).
«) Herod. V. 92. 7.
^.2 Viertes Kapitel.
Vorrath von Zaubervorstellungen und damit verwandten
Gebräuchen bei dem griechischen Volke aufgehäuft war,
ohne dass wir zu den späteren Sagen unsere Zuflucht zu
nehmen brauchten, die z. B. schon Melampus als eigent-
lichen Zauberer behandeln, Odysseus als Verehrer der Le-
kanomantie und Orpheus als Verfasser einer Schrift über
talismanische Gürtel darstellen.
Sehen wir jetzt auf die Zustände nach den Perser-
kriegen. Das aus der früheren Zeit Ueberlieferte wurde
verbreitet, modificirt, zum Theil zu einem hohen Grad von
Abenteuerlichkeit gesteigert; wesentlich Neues kam bis auf
Alexander wenig oder gar nicht hinzu. Plato redet davon,
dass nicht bloss Privatleute, sondern sogar ganze Städte
sich von einer Menschenklasse bethören liessen, die er so
charakterisirt, dass eine Art von Zauberern in ihnen nicht
zu verkennen ist ^). Sie ziehen, sagt er, vor den Thüren
der Reichen umher und wissen die Leute zu überreden,
dass sie die Kraft von oben haben, durch Opfer und Be-
sprechungen die Sünden der Menschen selbst und ihrer
Vorfahren zu sühnen ; wünscht Jemand einem Feinde Uebles
zuzufügen, so versprechen sie für geringe Kosten durch
Götterbeschwörungen imd Bannflüche diesen Wunsch zu
erfüllen. Das Ganze gilt von den sogenannten Orpheo-
telesten, deren Lehre sich an die schon im früheren Zeit-
alter aufgekommene Ansicht von der Kraft der Sühnungen
anschloss. In ähnlicher Weise klagt der Verfasser der Schrift
„de morbo sacro** über die gewinnsüchtigen Täuschungen
der fahrenden Wunderthäter ; zu den Sühnungen eigner
und fortgeerbter Blutschuld fügt er noch ihre vorgebliche
Kunst, Sturm und heiteren Himmel, Regen und Dürre,
Unsicherheit des Meeres und Unfruchtbarkeit der Erde zu
machen. Besonderen Beifall fand diess Sühnwesen samrat
seinem Anhange von geheimem Kult und Liederlichkeit
bei den Weibern. Strabo nennt sie die Oberanfiihrer aller
Deisidämonie *). Das klassische Land der griechischen
») De Republ. II. 7. ed. Stallb.
2) Strab, VlI. pa«. 297. Casaubon.
Griechenland. ^ 2
Zauberei ist Thessalien *). Thessalische Weiber sind
es, deren Salben bei Lucian und Apulejus den Menschen
in einen Vogel, Esel oder Stein verwandeln; sie selbst
fliegen durch die Lüfte auf Buhlschaften aus 2). Hekate,
ursprünglich als eine unheilentfemende, segenverbreitende
Göttin gedacht und noch von Hesiod als solche gepriesen 3),
tritt jetzt nach mehrfachen, zum Theil durch die Mysterien
bedingten Metastasen ihres Wesens als die grauenvolle
Göttin der Unterwelt und Vorsteherin des Zauber-
wesens auf*). Sie erscheint, wo sie gerufen wird*), in
finsterer Nacht mit Fackel und Schwert, mit Drachenfüssen
und Schlangenhaar, von Hunden umbellt, von der ge-
spenstischen Empusa begleitet ^). An Hekate hingen sich
allmählich alle Arten von Zauberei an. ' Von ihr hatte
Medea die Gifte und Zauberkräuter kennen gelernt. Die
Zauberinnen schwuren bei ihr und beteten zu ihr. Auch
krankhafte, nächtliche Schrecknisse, die aus dem Bette
trieben, böse Träume u. dgl. galten als Anfalle der Hekate').
») P/in. XXX. 1. J/oraf. Epod. V. 45. Lucan. Pharsal. VI. 452 ff.
*) Salben, LuftflOge und Unzucht sind auch auf die späteren Hexen Ober-
gegangen.
^) Wenn (worauf Htyne und Göttling hingewiesen haben), die Stelle der
hesiodischen Theogonie von V. 41 1 — 452 ein späteres Einschiebsel ist, so war
dieses auch noch später der Fall.
*) Maury, la magie S. 54*. Cette divinit^ (Hecate), personiücation de la
lune, qui projette ses rayons mysterieux dans les tendbres de la nuit, ^tait la
patronne des sorci^res. C'est h eile, que Ton rapportait le den des prodiges
et la d^ouverte des enchantements; c*est eile, que Ton supposait envoyer les
spectres et les fantömes qu'evoque la peur dans l'obscurite. Medea und Circe
gelten bei Einigen als ihre Tr>chter, Diodor, IV. 45. Schol. Apoll. Rhod. III. 242.
Bei Euripides (Medea 395) sagt Medea:
— — — — ^Jv V[^ aißü)
MaXtata 7taycü»v xal (ovspy^v elXo^Yjv,
'Exdttjv — — — —
*) Eine Formel, mit der man die Hekate anrief, wird von Hippolyt in
den Philosophoumena (Ausg. von Miller, S. 72) mitgetheilt. — Fast in der-
selben Weise lässt auch Euripides die Medea an der eben angezogenen Stelle
(v. 395 ff.) sich ausdrücken.
•) M. s. unter andern Schol. Aristoph, Ran. 295. Ecclessiaz. 10; 9. Horat,
?at. 1. 8. 38. Lucian. Philopseud. 14, Ed. Lehmann.
'} /". G, Welcher, Griechische Götterlehre, B. U. S. 412— 416.
^^ Viertes Kapitel.
Es kommt hier nicht darauf an, alle Einzelheiten der
Zauberkünste durchzugehen, die Hauptsache derselben be-
zieht sich auf Weissagung durch Todtenbeschwörung und auf
Liebeszauber; die Mittel sind fortwährend die altüblichen
Formeln und Pharmaka. Der eilfte Gesang der Odyssee
ist der Prototyp aller Todtenbeschwörungen und was dahin
einschlägt; die Grube, das blutige Opfer \viederholen sich
immer wieder ; nur ist bei Homer die Grube quadratformig,
bei ApoUonius rund ^), in den orphischen Argonauticis aber
dreieckig, worin die Beziehung auf die dreifache Natur der
Hekate angedeutet scheint. Das Blut, welches bei Lucan
die thessalische Erichtho dem Leichnam eingiesst *), erin-
nert wieder ganz an dasjenige, welches bei Homer der
Schatten des Tiresias trinkt, bevor ihm der Mund zum
Weissagen geöffnet wird. Auch in Lucians Menippus,
obgleich ein zoroastrischer Magier als Führer einge-
mischt wird, sind alle nekromantischen Einzelheiten aus
der Odyssee entlehnt. — Unter den Philtren kennt Pindar
den Vogel Jynx; Aphrodite bringt ihn, gebunden an die
vier Speichen des unauflöslichen Rades, den Sterblichen
und lehrt Jason Zaubersprüche, um Medea's Herz zu be-
siegen, dass es dfer Eltern vergesse und nach Hellas sich
sehne ^). Die Anwendung von Fischen, Eidechsen, Wolfs-
haaren, Krötenknochen, Taubenblut, Schlangengerippen,
Eulenfedem, Resten Verstorbener u. s. w. wird bei den
Römern vielfach erwähnt; es möchte indess zweifelhaft
sein, ob diess alles auch schon bei den Griechen im Ge-
brauche gewesen sei. Bei Theokrit wenigstens sind die
Mittel weit weniger unpoetisch. — Noch ist des Zaubers
zu gedenken, durch welchen die Thessalierinnen selbst den
Mond vom Himmel herabziehen zu können (xav^ai^flv njr
aeXi^vtfV) im Rufe standen *). Der Schlüssel hierzu scheint
*) Argonaut. 111. 1032.
*) Pharsal. VI. 554 ff.
•) Pylh. IV. 214.
*) Hermann, S. 212. Horat Epod. V. 45. V^l. TihuU , I. 2. 45 und
8. 21. VirgU, Eclog. VIII. 6^^. Lucan, Phars. VI. 420. Brttnck. An-
thol. III. 172.
Griechenland. 45
nicht schwer zu finden. Dass Hekate, die (in Thessalien
geborene) Zaubergottin herbeigeschworen wird, ist in der
Ordnung. Hekate ist aber in der späteren Mythologie zu-
gleich auch Selene d. h. die personificirte Fernwirkung des
Mondes ^) und es bedarf mithin nur eines kleinen Schrittes,
um von der mystischen Gottheit zu dem von ihr repräsen-
tirten Planeten überzugehen, um so mehr, da man bei den
jeweiligen Verfinsterungen desselben eine Ursache seines
Verschwindens suchte. Zauberinnen mussten dann die
Schuld tragen, und um deren Bemühungen zu vereiteln,
um ihre Worte nicht bis hinauf dringen zu lassen, machte
man Lärm mit Erzplatten und Trompeten ^). Wenn
Horaz ^) den Mond aus Scham und Entsetzen über die
Beschwörungen der Zauberer verschwinden lässt, so ist
diess natürlich nur die Auffassung des Satyrikers, nicht
die des Volkes *).
Unter allen diesen Zaubereien nun, die in den nächsten
Jahrhunderten nach den Perserkriegen im Gange waren,
findet sich schwerlich eine einzige , die nicht mit den vor
dieser Epoche herrschenden oder in den benachbarten
Landen heimischen als spezifisch verwandt betrachtet werden
könnte.
Unter den Zauberkräutem sind bei den Dichtem keine
häufiger, als die kolchischen und iberischen^); neben
diese werden die thessalischen gestellt^). Merkwürdig
genug aber leiteten nach Tacitus die pontischen Iberier
ihren Ursprung aus Thessalien her ^). Den Glauben an
') K, F, Hermann f Lehrbuch der gottesdienstlichen AlterthOmer der
Griechen (Heidelberg 1846). B. H. S. 209.
*) TaciU Annal. 1. 28.
*) 1 Satir. 8. 36.
*) Nach Pluiarck (de conjugal. praec. p. 428 ed. Hütten) soll der
Glaube daher entstanden sein, dass die sternkundige Thessalierin Aganice,
Hegetor's Tochter, wenn sie den Augenblick einer Mondfinstemiss berechnet
hatte, den Weibern vorspiegelte, sie selbst ziehe durch ihre Kunst den Mond
vom Himmel herab.
*) Z. B, Horat, Epod. V. 2 l ff. Ovid. Remed. amor. 261. TibuiL 1.2.53.
«) Ovid, Metamorph. VII. 224.
») Annal. VI. 34-
^5 Viertes Kapitel.
Lykanthropie fand Herodot ebenfalls am Pontus ^). Auch
die Thibier, die in jener Gegend wohnten, galten für ein
Volk, das durch Berührung, Blick und Hauch Kinder und
Erwachsene bezaubern könne ^). Assyrische Pharmaka
erwähnt Theokrit *). Unter den magischen Ringen ist
ohne Zweifel der unsichtbar machende des lydischen
Gyges, dessen Piaton gedenkt, der älteste*). Von be-
sonderem Gewichte aber ist's, dass die von Piaton erwähnten
Gaukler ihre Künste aus Schriften von Orpheus und
Mus aus geschöpft zu haben vorgaben. Von der Aecht-
heit dieser Schriften kann freilich nicht die Rede sein;
aber das wenigstens ist gewiss, dass sich etwas ganz Neues
und Landfremdes nicht sogleich als altnational unterschieben
lässt. Auch bei Euripides, im Cyklopen, findet sich eine
kncoörj *Og^'ixr}y durch welche ein Feuerbrand zum Laufen
gebracht werden soll. Die orphischen Sühnungen und
Heilungen aber hingen, wie Lobeck mit hoher Wahr-
scheinlichkeit nachgewiesen hat ^) , mit dem früher aus
Phrygien herübergekommenen Kult der Cybele zusam-
men. Der frühzeitige Verkehr der Phrygier mit den Hellenen
ist durch das Alter der kleinasiatischen Ansiedelungen
hinlänglich bestätigt. Cybele galt mit ihrem Gefolge,
dem Pan und den Korybanten, für die Haupturheberin
von Schrecken und Krankheiten. Ihre Priester, die Metra-
gyrten, eine Art von herumziehenden Bettelmönchen, be-
schäftigten sich daher besonders mit der mystischen Heilung
der sogenannten heiligen Krankheiten. Bei Aristophanes
findet sich schon eine Andeutung hiervon, und Antiphanes,
ein Schriftsteller der mittleren Komödie, lässt in seinem
') Die dortigen Scythen und Griechen glaubten von den benachbarten
Neuren, dass jeder derselben alljährlich auf etliche Tage ein Wolf werde.
Herod. IV. 105.
«) Plutarch, Sympos. V. 7. /V/«. H. N. VII. 2, Plinius erwähnt von
den Thibiern weiter, dass von ihnen der Glaube herrschte, sie gingen auf deiu
Wasser nicht unter.
•) Thtocr, W. 162.
*) De Republ. II. 3.
^) Agiaophana. Lib. il. Gap. 8. g. 6.
Griechenland.
47
Metragyrtes durch blosses Bestreichen mit geweihtem Oele
die plötzliche Heilung eines paralytischen Greises be-
wirken ^). Auch Philo redet von diesen Priestern als
Zauberern, und es ist aus der Stelle, wo er diess thut,
wenn nicht mit Gewissheit, doch mit Wahrscheinlichkeit
zu entnehmen, dass sie es besonders waren, denen man
die Kunst durch Philtra und Beschwörungen Liebe und
Hass zu erregen zuschrieb *).
So rückte der Zeitpunkt heran, wo Hippokrates
(um 400 V. Chr.) sein grosses Reformwerk an der Arznei-
kunde unternehmen sollte. Diese war bisher fast aus-
schliesslich in den Händen gewisser Priestergeschlechter
und unzertrennlich an das religiöse Dogma und die Formen
des Terapelkultus geschmiedet gewesen. Sogar die einzeln
auftretenden, wandernden Aerzte hatten zugleich immer
die Mantik mit ihrem Geschäfte verbunden. Kaum dass
man die einfachsten chirurgischen Operationen im Kreise
des Natürlichen liess; alles Uebrige gehörte ins Gebiet
des Mystischen, Wunderbaren. Die Götter erregen die
Krankheiten, — das w^ar der Glaube, — und entfernen
sie wieder, wenn sie versöhnt werden. An Päon, Aeskulap,
Machaon, Podalirius, Chiron, Melampus, Bacis, Aristäus,
die geheimnissvollen Kabiren und die koboldartigen . Dak-
tylen knüpfte sich eine Kette von Legenden, deren Register
umfangreicher sein mochte, als die gesammte Pharmakopoe
manches berühmten Heiltempels. Die Erfahrungen, welche
die Geschlechter der Asklepiaden und Chironiden gemacht
hatten, waren durch furchtbare Eide an die Tempelstätten
gebannt. Pythagoras, durch seine Reisen in der Heilkunst
bewandert, verbreitete dieselbe durch seine Schüler schon
in etwas weiteren Kreisen ; aber erst dem grossen Hippo-
krates, der zum Theil als Demokrit's Schüler gilt, war
ihre völlige Emancipation aus den Händen der Priester
vorbehalten. Ihn sah man zuerst bei der grossen Pest zu
Athen den althergebrachten Weg der Sühnungsceremonien
») Athen. Deipnos. XII. 553. (Cap, 78 Schweigh.)
*) Leg. spec. H. 792.
48 Viertes Kapitel.
verlassen, und das, was bis auf ihn nur eine Mischung aus
albernem Ritual und fragmentarischer Kunst gewesen war,
zum Range einer allgemein zugänglichen Wissenschaft
erheben. Wie Hippokrates die Medizin, so brachte mit
ihm gleichzeitig Sokrates durch seine Schüler die Philosophie
zu wissenschaftlicher Gestaltung.
Es ist Thatsache, dass man zoroastrische, orphische,
pythagoräische und hermetische Schriften schmiedete, und
Plinius selbst erzählt von angeblich demokritischen Zauber-
büchern, deren Aechtheit schon damals bestritten wurde.
Aulus Gellius handelte später in einem eigenen Kapitel
„de portentis fabularum, quae Plinius Secundus indignissime
in Democritum confert** ^). So ist es vollkommen im Ein-
klang mit den Ansichten jener Zeit, dass Plinius nicht nur
viele einzelne Zaubermittel auf Zoroaster's unmittelbare
Empfehlung zurückführt, sondern auch die gesammte Zau-
berei aus dessen System sich über den Occident verbreiten
lässt. Für Griechenland zunächst muss ihm Osthanes zu
diesem Zwecke dienen, obgleich es schwer fallt, einzusehen,
wie bei den erweislich so zahlreichen Berührungspunkten
beider Völker sich hier Alles an eine einzelne Persönlich-
keit knüpfen soll, und sich in der That auch bei Plinius
selbst schon die Bemerkung findet, dass von besser Unter- *
richteten einem etwas früheren Prokonnesier, den erZoroaster
nennt, ähnliche Einflüsse zugeschrieben werden. Ein zweiter
Osthanes um Alexanders Zeit dient ihm nun weiter, um
die Verpflanzung der Magie nach Italien, Gallien, Britan-
nien und den übrigen Theilen der Erde zu erklären. Der
ältere Osthanes wird aber auch als Verfasser eines Buches
genannt, in welchem ausser verschiedenen andern Arten
der Weissagung gehandelt werde „de umbrarum infero-
rumque coUoquiis." Wäre diese Schrift wirklich acht, so
enthielte sie doch wenigstens in diesem letzten Punkte
etwas, was, unseren obigen Erörterungen zufolge eines
Theils den Griechen nicht neu und anderen Theils dem
Zoroastrismus völlig fremd wäre.
•) Noct. Alt. X. 12.
I
I
Griechenland.
49
Wenn aber , wie wir nachzuweisen versucht haben,
der Einfluss der persischen Magie nur ein wohlthätiger
sein konnte, wie kam es, dass Name und Sache dennoch
so bald in Misskredit geriethen? Hierauf ergibt sich die
Antwort aus der Natur der damals waltenden Verhält-
nisse. Das Volk vermochte nicht die philosophischen
Abstraktionen über das Göttliche und die Natur der Dinge
mit seinen plastisch-sinnlichen Religionsvorstellungen in
Einklang zu bringen ; die Priesterschaft aber sah durch
diese Lehren und durch die Fortschritte der Natur- und
Heilkunde ihr Ansehen als Kultvorsteher und Aerzte in
Gefahr. Und gerade dieses ist's, was auf die persische
Magre und diejenigen, die aus ihr schöpften, besondere
Anwendung findet. Pythagoras und seine Schüler hüllten
ihre Heilkunst in sorgfaltiges Dunkel; Demokrit wurde
verkannt und legte aus Verdruss sein Amt nieder; Prota-
goras, sein Schüler, entging dem Tode, der ihm als Gottes-
läugner zu Athen drohte, nur durch die Flucht; Aehn-
Hches wiederholte sich bei Anaxagoras, dem Naturforscher,
der die Sonnen- und Mondfinsternisse erklärte, und Dia-
goras, der ebenfalls der Beschuldigung des Atheismus
erlag. Die Epikuräer, deren Verdienste um die Bekämpfung
des Aberglaubens nicht zu verkennen sind, sahen sich aus
Messenien vertrieben, und bei Sokrates waren es ja die
beiden wichtigsten Anklagepunkte, dass er die Natur-
erscheinungen aus natürlichen Gesetzen ohne persönliche
Einmischung der Götter erklärte und das Göttliche aus
dem Sinnlichen ins Abstrakte zog.
Was nun endlich das Strafverfahren anbelangt,
das bei den Griechen gegen Zauberer gesetzlich Statt
gefunden haben soll, so haben sich zwar Delrio und andere
Koryphäen in der Literatur des Hexenwesens mehrfach
auf dasselbe berufen und hierin einen schlagenden Beweis
für die Allgemeinheit und das hohe Alter solcher Prozesse
zu finden geglaubt. Die vSache ist indessen sehr zweifel-
haft. Die ganze Behauptung gründet sich eigentlich nur
auf einen einzelnen, sehr kurz berührten und noch keines-
Soldan-IIeppe, Hoxenprozcsse. 4
^O Viertes Kapitel. i
wegs mit Sicherheit ermittelten Vorfall in Athen. In einer
angeblich demosthenischen Rede wird nämlich ein lem-
nisches Weib, Theoris oder Theodoris, beiläufig erwähnt,
welches von den Athenern sammt seiner ganzen Familie
zum Tode geführt worden sei *). Zwar ist sie als eine
9ap/iaxlg bezeichnet, deren Pharmaka späterhin sich auf einen
athenischen Bürger vererbten, und auch von Formeln, die
als Zaubersprüche betrachtet werden dürfen, ist die Rede.
Aber das eigentliche Verbrechen, das ihr die Strafe zuzog,
bleibt nichts desto weniger im Zweifel. War es die Zauberei
an sich, die man hier verfolgen zu müssen glaubte, war
es gemeine Giftmischerei, oder ein schädliches Philtrum,
oder eine unter dem Deckmantel eines quacksalberischen
Ceremoniells verübte Tödtung, — über dieses alles gibt
die Fassung der Worte keinen Aufschluss. Noch zweifel-
hafter wird die Sache, wenn wir von Plutarch vernehmen,
dass in dem Prozesse dieser Theoris, die er als eine
Priesterin bezeichnet, gar eine Häufung von Verbrechen
zur Sprache kam , unter welchen namentlich die Auf-
wiegelung der athenischen Sklaven an sich schon als be-
deutend genug erscheint *). Nehmen wir hierzu noch die
weitere Notiz, dass Theoris wegen der Verachtung der
Landesgötter (daeiisux) den Tod erlitten habe ^) , so haben
wir hiermit eine Divergenz der Nachrichten, die sich xnel-
leicht nur durch die Annahme ausgleichen lässt, dass
Theoris die Vorsteherin irgend eines verbotenen Geheim-
dien.stes gewesen sei. Wenigstens ist es erwiesen, dass
an 'solche aus der Fremde gekommene Kulte oft genug
Dinge der genannton Art, wie Zauborbogehungen, Sklaven-
•) Demosth, in Arislogit. I. p. 424 cd. Planclic. t^' o'; a^t:':
h.T>.rv*y anexteivats, laota Xa^uiv td '^ d|ijtaxa xat td; ciccuod^ itapd vi^:^ iHpa-
itatvTj? '»^Jtf^?f 'S xat 'sxtivY^; tox' ijiYjV03Sv. s; rjanep 0 jidoxavo; outuisi ncicat-
JoitoiYjtai, jiafY«veor. xal ^r/axiCei, xii too; tntX-fjKTOf*; ^r^-lv lötstH-at, ai?o;
«7>v tniXT|Rto( ndajj itovY|pilf etc.
'*) Piut, Vit. Demosth. 14.
•) liarpocrat, v. Hiüipt^.
Griechenland. ^ t
verfuhrung, Verachtung der Landesgottheiten und Ver-
schworungen sich angeschlossen haben.
Schliesslich bemerken wir, dass Piaton in seinen Ge-
setzen eine schwere Gefangnissstrafe für die trügerischen
Gaukler beantragt, welche sich auf Nekromantie und der-
gleichen Künste zu verstehen vorgeben. Es wird die Asebie
und Gewinnsucht dieser Menschen hierbei hervorgehoben ^•)
*) Lcgg. X. 15. ed. Ast.
FÜNFTES KAPITEL.
Die Etrusker und Römer.
l^vx Zeit, wo Italien in der Geschichte des Abend-
lands her\'ortritt und die Zustande der mannigfachen itali*
sehen Völkerschaften durchsichtig'er zu werden beginnen,
finden wir, dass die Etrusker, Sabiner, Marser und die
latinische Stadt Gabii wegen ihrer Kunde von gottlichen
Dingen zu Rom in besonderem Ansehen standen *). Die
Marser, die von der Circe abstammen wollten, waren wegen
ihrer Kunstfertigkeit in der Beschwörung von Schlangen
besonders berühmt ^); die Marsae voces und die Sabella
carmina waren fast sprüchwörtlich, und in Gabii war Ro-
mulus, den man in Rom als den Urheber der Augural»
Wissenschaft ansah, der Sage nach erzogen worden ^). Doch
galt als italischer Ursitz aller mantischen Weisheit das
Land der Ktrusker, bei denen darum die patrizische
Jugend Roms lange Zeit in die Schule zu gehen pflegte.
Wie im Orient die Chaldäer, so standen nämlich im
Orrident (li(? Etrusker überhaupt in dem Rufe einer vor-
zügliclKMi (TOttesv(»n*hrung und des Besitzes einer auf der-
selben beruhenden l)(*sonders tiefen Einsicht in die Ge-
heimnisst» des Weltlaufes und der Zukunft, indem „die tUN-
') i'Umtm, Alex. Strom. L. 111, iJorat,, Kpod. V. 7^) u. XVII 28 H. ,
\'<rf*, Arn. VU. 75H nml ih'uL, Art. «in. II. lo2.
•; AhL CstiL N. A. XVI. II; /V/>/. XXVlll. 2.
■) iUopiYs. l. H4 ; Plutarih, Rom. 6 u. Steph. B. s. v. Ta^ioi.
Die EtrusVer und Römer. c^
kische Divination der am meisten charakteristische Zug-
der Nation, seit alten Zeiten ein Hauptpunkt ihrer Geistes-
thätigkeit und Erziehung war'* *), wesshalb in Etrurien die
Divination namentlich von den Söhnen der Edlen erlernt
zu werden pflegte. Die Abkunft dieser etruskischen Mantik
aus dem Orient kann nicht mehr bezweifelt werden. Dass
freilich die Kunstwerke der Etrusker in auffallendster
Weise ihrfen Zusammenhang mit der babylonisch-assyrischen
Kunstthätigkeit erkennen lassen, war längst bekannt. Auch
hat schon Herodot die Abkunft eines Theils dieses Volks
von den Lydiern berichtet. „Gegenwärtig aber sind wir
im Stande , eine solche Uebereinstimmung zwischen der
Haruspizin der Etrusker und der chaldäischen Wahrsagerei
nachzuweisen, dass über den innigen und nicht etwa zu-
falligen Connex beider Disciplinen wohl kaum noch ein
Zweifel bestehen kann. Die Conformität beider Lehren
erstreckt sich in der That nicht allein auf die Gesammtheit
der Mantik beider Völker überhaupt, sondern speziell auch
auf solche Nebenzweige der Divination, die von den älteren
Schriftstellern als vorzugsweise etruskische bezeichnet
werden. Wir finden auf beiden Seiten eine entsprechende
Beobachtung und Auslegung aller abnormen Erscheinungen,
eine übereinstimmende Fulgurallehre und Opferschau, eine
gleiche Deutung des Vogelfluges und der Vogelstimmen,
eine ähnliche Auslegung der Missgeburten und Prodigien,
eine gleiche Eintheilung der Bäume in günstige und un-
günstige, ja sogar eine gleiche Neigung, mitunter sehr
wichtige Prophezeiungen aus dem Verhalten der Pferde
abzuleiten u. s. w. Wir werden daher nicht fehlgehen,
wenn wir die Etrusker geradezu für Schüler und direkte
Erben der chaldäischen und babylonischen Deuter und
Wahrsager erachten" *).
Am entwickeltsten waren unter den verschiedenen
Zweigen der etruskischen Divination *) die Beobachtung
') O. Müller, die Etrusker, neu bearb. von Deeke (Sluttg. 1877), B. U.S. 1.
') So sagt Lenormant, S. 487 u. 461.
*) MülUr u. Decke, S. 1 65— 195.
^4 Fünftes Kapitel.
des Blitzes und der Eingeweide von Opferthieren. Die
erstere war zu einer eigentlichen ars fulguritorum ent-
wickelt, welche in besonderen Fulguralbüchem niedergelegt
war. Zur Zeit des Diodorus waren etruskische Blitzseher
über den ganzen Erdkreis verbreitet. Die Eingeweide-
schau oder die Haruspizin') im engeren Sinne des Worts
hing mit dem eigentlichen Kultus der Etrusker zusammen,
indem dieselben ganz ausserordentlich fleissige Opferer
waren.
Ueber etruskische Zauberei liegen Nachrichten nicht
vor. Allerdings glaubten die Etrusker an eine Unterwelt,
die sie sich mit finsteren, den Menschen feindlichen Mächten
bevölkert dachten *). Unter diesen furchtbaren Wesen
werden genannt die Mania, die Acca Larentia, eine Menge
von Furien u. s. w. Zu ihrer Versöhnung und zum Schutz
gegen ihre Verderben bringende Macht brachte man ihnen
sogar Menschenopfer dar ; dagegen von der alten Dämonen-
lehre und der Zauberei Chaldäa's zeigt sich ebenso wie
von der Sternseherei der Chaldäer in dem Etruskerlande
nirgends eine Spur.
Anders aber war es in Rom. In der ältesten Zeit
glaubte man hier allerdings für die l.eitung der öffentlichen
Angelegenheiten und für den Bedarf des Privatlebens durch
das althergebrachte, heimische Auguralwesen (in welchem
Jeder, der auf Bildung Anspruch machte, unterwiesen sein
musste) und durch die Haruspizin der Etrusker (der man
unbedingt vertraute) hinlänglich versorgt zu sein. Es war
ganz gewöhnlich, dass vornehme römische Jünglinge nach
Etrurien reisten und sich dort in den mannigfachen Zweigen
der Seherkunst unterrichten Hessen ; und ausserdem pflegte
man bei allen öffentlichen Vorkommnissen bedenklicher
Art etruskische llaruspices (und zwar deren immer mehrere
zusammen) nach Rom kommen zu lassen. Nur vorüber-
gehend sahen sich die letzteren durch die Chaldäer — die
zur Zeit der punischen Kriege unter dem prunkenden
*) Ueber die Etymologie des Wortes Haruspex s. Müller u. Dteckt, S. 1 3«
Anroerk. 39.
•) Ebendas. S. 10 1 ff.
Die Etrusker und Römer. ec
Namen der Mathematici auftraten, sonst aber auch Geneth-
liaci und Magi genannt wurden — in Schatten gestellt.
Lange Zeit hindurch war daher Rom von dem Aberglauben
und Zauberspuk der späteren Zeit frei. Allein bald fanden
in Rom allerlei fremde Kulte bei Einzelnen Eingang, ohne
dass sich der Staat darum kümmerte. Praktisch, wie die
Richtung des Volkes war, fassten seine gesetzlichen Be-
stimmungen vor allem das Staatsganze, nächst diesem die
Rechtsverhältnisse der Einzelnen ins Auge; was beiden
zur Seite lag, nahm die Aufmerksamkeit wenig in An-
spruch. Um seiner Meinungen willen wurde vor Nero
Niemand verfolgt , nur die That unterlag richterlichem Er-
kenntnisse. Darum hat das Fremde in Religion und Philo-
sophie zu Rom stets willige Aufnahme gefunden; der Ver-
such, den der Staat einst machte, als er noch klein war,
sich auf seine einheimischen Götter zu beschränken, war
kurz und erfolglos ^). Im Laufe der Zeit wichen die alt-
italischen Gottheiten der griechischen Mythologie, der kory-
bantische Kultus der Cybele kam aus Kleinasien herüber,
der Isisdienst schlich sich aus Aegypten ein, und selbst
das verachtete Judenthum wusste sich in einzelnen Punkten
eine Geltung zu verschaffen, welche die Satyriker der
Aufmerksamkeit würdig fanden. Waren die Bacchanalien
verboten, so war es hauptsächlich desshalb, damit sie nicht
zu staatsgefährlichen Anschlägen den Deckmantel her-
geben möchten. So bestanden auch neben denjenigen
Arten der Mantik, die der Staatskult durch die Auguren
und Haruspices verwalten Hess, ungestört eine Menge von
abergläubischen Uebungen, welche theils auf Divination,
theils auf praktische Wirkungen berechnet waren. Die
mantischen Künste der Griechen, die Todtenbeschwörungen
und Liebeszauber füllten nicht allein die Phantasie der
Dichter, sie schlugen auch im Volksleben Wurzel. Auf
Strassen und Märkten trieben die Sortilegi ihr Wesen ^),
auf Scheidewegen und Begräbnissplätzen ereigneten sich
*) Liv. IV. 30.
^ Tibull, I. 3. Juvenal. VI. 588.
c5 Fünftes Kapitel.
die nächtlichen Schauerscenen einer Sagana und Canidia.
Bald goss auch der Orient seine entarteten Sitten und
seinen Aberglauben über Rom aus. Als man anfing, den
(xlauben an die Eingeweide der Opferthiere und den Vogel-
llug als altvaterisch zu verlachen, blendete der Schein einer
tieferen Wissenschaftlichkeit , die aus den Sternenbahnen
die Zukunft zu enthüllen oder geheimnissvolle Mächte dem
Willen des Menschen dienstbar zu machen verhiess. Zwar
hat Rom< sobald es einmal der Kindheit entwachsen war,
jederzeit Männer gehabt, die mit hellerem Blicke das
Nichtige solcher Künste durchschauten , wie Ennius '),
Cicero ^), Seneca ^), Tacitus**); aber auf der andern Seite
zeigen wiederum die zahlreichsten Beispiele, wie selbst die
trefflichsten Köpfe Roms sich nicht über den Glauben
an magische Dinge vollkommen zu erheben vermochten.
Cato Censorius, der geschworene Feind aller griechischen
Charlatanerie , war gleichwohl ein Verehrer höchst aber-
gläubischer Hausmittel ^); Sulla Hess sich von sogenannten
Magiern unter den parthischen Gesandten aus gewissen
Zeichen seines Körpers wahrsagen^); der gelehrte Varro
empfahl geheime Sprüche gegen das Podagra '); Juliui>
Cäsar bestieg seinen Wagen nicht, ohne eine bestimmte
Formel dreimal auszusprechen, die eine glückliche Reise
') Non habeo denique nauci Marsum augureni,
Non vicanos haruspices, non de circo astrologus,
Non Isiacos conjectores, non interpretes soniniilui ;
Ni)n enim sunt ii scientia aus arte divini,
Scd superstitiosi vales inipudentesque harioH,
Aut inertes, aut insani, aut quibus egestas tnipcrat.
yui sibi semitam non sapiunt, alteri monstrant viam;
(Quibus divitias pollicentur. ab Vis drachmani ipsi ])etunt.
De bis divitiis sibi deducant drachniam. reddant cetera.
*) Cum poflarum auteia errore conjungi-re licet pciricnta Magorum Afg.vp-
liorunique in eodcm genere dementiani, tum etiam vulgi opioioncs, quar in
riiaxima inconstantia. veritatis ignuratione vcrsantur. — De Nat. Deor. 1.
») Nat. Quaest. IV. 67.
*) Hist. 1. 22.
*) De rc rust. l6o. /V/». H. N. XXXVIII. 2.
•) fV//. Pa/frc, lib. 11. p. 32, cd. Lips. U>27.
') /y/«. n. N. xxxviii. 2.
Die Etrusker und R(Smer. 57
verbürgen sollte ^); der Kaiser Vespasian gab sich den
Priestern des Serapis zu Alexandria zum Werkzeug einer
magischen Kur an einem Blinden her 2).
Die ursprüngliche Heimat und die Epoche des ersten
Hervortretens für die zahllosen Arten des Aberglaubens,
die sich in der Hauptstadt des römischen Weltreiches fast
von allen Seiten her zusammenfanden , im Einzelnen zu
erörtern, ist nicht Aufgabe dieser Darstellung und möchte
überhaupt grossen Schwierigkeiten unterliegen; ja in vielen
Fällen dürfte selbst kaum die Grenze zu erkennen sein,
wo das Einheimische aufhört und das Uebernommene an^
fängt. Auch soll hier nicht eine vollständige Aufzählung
aller magischen Einzelheiten, wie sie in Glauben und Uebung
im Schwünge waren, versucht werden ; es kommt vielmehr
nur darauf an, einige theils für die Charakterisirung des
römischen Zeitalters an sich, theils für die spätere Fort-
bildung der Sache interessante Momente hervorzuheben.
Die Tradition rückt die Zauberkunde in Italien bis in
die ältesten Zeiten hinauf. Selbst Faunus und Picus werden
von der späteren Sage zu Inhabern magischer Künste ge-
macht ^). Ihr Herbeibeschwören des Jupiter Elicius für
Numa, wie es Ovid erzählt % ist, wenn auch hier in durch-
aus frommem Sinne vorgenommen, doch ein Vorbild der
späteren Theurgie, welche die Götter zwingt. TuUus Ho-
stilius soll vom Blitze erschlagen worden sein, weil er bei
einem ähnlichen Versuche gegen den Ritus fehlte ^). Ein
sehr alter Glaube war es, dass man durch Zauberkunst
das Getreide von fremden Aeckem zu sich herüber locken
könne (alienos fructus excantare, alienam segetem pelli-
cere); bereits die zwölf Tafeln kennen ihn, Virgil ®) und
TibuU ') spielen darauf an. Hieran knüpft sich das will-
kürliche Herbeiziehen und Entfernen von Regengüssen
') P/in. ibid.
*) Tacif. Hist. IV. 81. Sueron. vit. Vespas. 7.
•) Plutarch. v. Num. 15.
*) Fast. III. 321 ff.
*) Plin, H. N. XXVI II. 2.
«) Eclog. VIU. 99.
^ El. I. 8. 19.
58 Fünftes Kapitel.
und Hagel durch Beschwörungen, das bereits dem Ver-
fasser der Schrift de morbo sacro bekannt ist, von Seneca
als Albernheit einer längst zu Grabe gegangenen Zeit
verlacht, aber vom Kaiser Constantius wiederum mit der
Todesstrafe bedroht wird *). Gewisse Arten magischer
Heilungen sind ebenfalls alt. Als Lehrer in der Kunst.
Krankheiten durch Sprüche zu vertreiben, erkannten die
Römer die Etrusker an 2); die Astrologie wurde erst von
dem massilischen Arzte Krinas in die Medizin eingeführt ^).
Im Liebeszauber, dessen sich die Poesie mit Vorliebe be-
Qiächtigte, hielt man sich meistens an griechische Muster,
eben so in der Nekromantie, obgleich für diese letztere
auch auf Hetrurien hingewiesen wird ^). Ueberhaupt trugen
sich fast alle griechischen Vorstellungen von der Macht
der Zauberer auf die Römer über. Der Zauber erforscht
das Verborgene, gebietet dem Monde, beherrscht die
Natur, heilt, verwandelt, beschädigt und tödtet, erregt Liebe
und Hass und lähmt die intellektuellen Fähigkeiten des
Menschen. Voll genug klingt es, wenn Ovid seine Medea
sagen lässt *) :
— — — -- — - — G6tter der Nacht, o erscheint mir!
Ilir schuft, dass, wenn ich wollte, den staunenden Ufern die Flusse
Aufwärts kehrten zum Quell; und ihr, dass geschwollene Meerfluth
Stand, und stehende schwoll die Bezauberung. Wolken vertreib' ich.
Mir durch Wort und Gemurmel zerplatzt der Rachen der Natter;
Auch den lebenden Fels, und die Eich', aus dem Boden gerflttelt,
Kaff ich, und Wälder, hinweg; mir hebt der bedräuende Berg auf;
Mir auch brüllet der Grund, und Gestorbene geh'n aus den Gräbern.
Selbst dich zieh* ich, o Mond, wie sehr temesäisches Erz auch
Dir Arbeitendem hilft; es erblassl der Wagen des Ahnen
Unserm Gesang; es erblasst vor unseren Giften Aurora.
U. s. w.
') Scn^c, Quaest. nat. IV. 7. tW. 7«.»/. lib. IX. TiU 18 de malef. et
niathem. Vgl. Gothofred. ad Cod. Theodos. IX. 16. ö. —- Auf der gallwchen
Insel Sena (Isle de Sains bei Brest) gab es Prieslerinnen, welche Wind und
Meer erregen zu kennen im Rufe standen. Pompon. Mel. 111. 6. War diess
gallischer Glaube, oder nur römische Schiffemachricht ?
') Dionys. Halicarn^ 1. p. 24.
•) Piin, H. N. XXIX. 1. Sprengel, Gesch. der Medizin Th. 11. S. 13.
*) Clem» Strom. 111. redet von Topp*r]V(MV vtxoo|iavTsiai(.
*) Mctaiuorpb, VII, 199 ff. Nach Voss.
Die Etrusker und Rftmer. 5q
Aehnlich schildert Lucan die Macht der thessalischen
Zauberinnen i), und doch hat man nicht anzunehmen, dass
hier der Dichter durch seine Phantasie im Wesentlichen
über die Höhenlinie des herrschenden Zauberglaubens empor-
getragen worden sei. Arnobius sagt allen Ernstes: Quis
magos nesciat aut imminentia studia praenoscere , quae
necessario velint nolint suis ordinationibus veniunt? aut
mortiferam iramittere quibus libuerit tabem ; aut familiarum
dirumpere caritates; aut sine cla^ibus reserare, quae clausa
sunt ; aut ora silentio vincire ; aut in curriculis equos- de-
bilitare, incitare, tardare; aut uxoribus et liberis alienis
sive illi mares sint, siv-e feminei generis, inconcessi amoris
flammas et furiales immittere cupiditates ; aut si utile aliquid
\4deantur andere, non propria vi posse, sed eorum, quos
invocant, potestate ? ^)
Wie die Mag^e auf die geistigen Vermögen des Men-
schen einwirke, zeigt uns nicht nur TibuU an dem Bei-
spiele des Hahnrei's, der durch Zauberkünste in Blindheit
erhalten werden soll ^), sondern auch Cicero in der drolligen
Anekdote, die er von dem Redner Curio erzählt *). Dieser,
dessen Gedächtniss so schwach war, dass er zuweilen, wenn
er in einer Rede drei Theile angekündigt hatte, entweder
den dritten schuldig blieb, oder noch einen vierten zugab,
sollte einst vor Gericht auftreten. Es war der Prozess der
Titinia; Cicero hatte bereits für dieselbe gesprochen und
Curio war Anwalt der Gegenpartei. Kaum aber hatte er
die Rednerbühne betreten, so fühlte er sich vom Gedächt-
nisse in dem Grade verlassen, dass ihm kein einziger Um-
stand des Rechtshandels mehr gegenwärtig war; es blieb
ihm nichts übrig, als sich un verrichteter Sache zurückzu-
ziehen, und er that es mit der Entschuldigung, dziss Titinia
diess Unglück durch Zauberei über ihn gebracht habe.
Von dem fortlebenden Glauben an Thierverwandlungen
geben Apulejus und Petronius Proben. Bei ersterem, der
*) PharsaK VI. 452 ff.
*) Adv. gentes lib. , p. 25. Lugd. Bat. 1651.
•j Tidu/l 1. 2. 55 ff.
*) Cic. Brut. 60.
6o Fünftes Kapitel.
ein griechisches Muster vor sich hatte, sehen sich die
Feinde der Zauberinnen plötzlich in Biber, Frösche, Böcke
und andere Thiere umgestaltet. Der Lykanthropie gedenkt
Petronius im Gastmahle des Trimalchio. Niceros erzählt
daselbst*), wie ein Mensch, der mit ihm wanderte, die
Kleider auszog, ein Wolf wurde und in die Wälder lief.
Als Niceros nach Hause zurückkehrt, wird ihm berichtet,
dass ein Wolf das Vieh angefallen habe, aber von einem
Knechte mit der Lanze in den Hals gestochen worden sei.
Niceros findet hierauf seinen Gefährten wieder als Menschen
im Bette, wo ein Arzt den verwundeten Hals behandelt.
Diese Erzählung ist das Muster der zahlreichen Wehr-
wolfsgeschichten der späteren Zeit. Plinius läugnet die
Lykanthropie; aus dem herrschenden Glauben an dieselbe
aber leitet er das Schimpfwort versipellis ab *).
Ein Glaube, der mit dem neueren Hexenglauben we-
sentlich zusammenhängt, ist der an die Strigen, Lamien
und Empusen.
Der Name Strix, der heutzutage auf das Eulengeschlecht
übergegangen ist, gehörte im Alterthum weit mehr dem
Reiche der Träume, als der Ornithologie an. Zwar wissen
die Poesien eines Ovid, Horaz und Seneca von den Federn,
Eiern und Eingeweiden der Strix zu reden ^) ; aber es ge-
schieht jedesmal mit Bezug auf unheimlichen Nachtspuk,
und Plinius, der Naturhistoriker, bekennt offen, dass er
sich hinsichtlich der Einverleibung der Strigen in irgend
eine der bestehenden Vögelklassen in Verlegenheit be-
finde *), Der gewöhnlichen Sage zufolge , bemerkt er
weiter, pflegten diese Vögel den Säuglingen ihre Brüste
zu reichen, und ihr Name war schon von den Alten bei
Verwünschungen gebraucht worden. Auf dieses Säugen
spielt auch Serenus Samonicus in seinem Gedichte von
') Cap. 61.
*) r/m. H. N. VIII. 22.
•) Ovid. Amor, I, 12. 2t). Metain. VU. 26«;. //ora/, Epod. V. 20, S^n/f
.Med. IV. 731.
•) H. N. XI. 39.
Die Etrusker und Römer. 6i
der Heilkunde an; er legt ihnen eine giftige Milch bei *).
Als gefrässige Wesen in Eulengestalt, den Harpyien ver-
wandt, finden wir die Strigen wiederum bei Ovid ^). Nachts
fliegen sie zu den Wiegen der Kinder; aber statt der
Ammendienste saugen sie ihnen Blut und Eingeweide aus.
In solcher Absicht erscheinen sie auch beim neugebomen
Procas in Alba und richten ihn zu, dass seine Gesichts-
farbe fahl wird, wie erfrorenes Laub. Auf des Kindes
Geschrei läuft die Amme hinzu; die Nymphe Grane, von
Janus mit der Obhut der Thürangeln betraut und in dieser
Eigenschaft Carna genannt, wird herbeigeholt, sühnt das
Haus mit Weihungen, opfert den Strigen die Eingeweide
eines Schweins und steckt ihren Weissdomstab an das
Fenster ^). Procas ist nun vor aller Anfechtung sicher und
sein Antlitz röthet sich wieder. — Auch ein todter Knabe
erleidet bei Petronius einen solchen Ueberfall; seine Ein-
geweide werden aufgezehrt, eine Strohpuppe an seine
Stelle gelegt. Ein Sklave, der mit dem Schwerte nach
den Unholden haut, um sie von der Leiche zu treiben,
wird am Körper blau und grün, als wäre er gegeisselt
worden, verliert die Gesichtsfarbe und stirbt nach wenigen
Tagen. Eben so wurde bei Erwachsenen auch plötzliche
Kraftlosigkeit, besonders das Versiegen der männlichen
Kraft, der Bosheit der Strigen zugeschrieben. Quae striges
comederunt nervös tuos? wird bei Petronius der untüch-
tige Polyänus gefragt *). Der Koch im Pseudolus des
Plautus, indem er die schädlichen Wirkungen schlechter
und übermässiger Gewürze schildert, sagt von den pfuschen-
den Köchen:
') Praetcrea si forte premit strix atra puelloK,
Virosa ininiulgens exsertis ubera labris, etc.
De medic. 59. IO44.
*j Fast. VI. 131 ff.
*) So vertreibt spHter der aufgesteckte Stab des heiligen Bernhard den
Incubus. Nidei\ Formicar. p, 777.
*) Petron. 134.
62 FOnftes Kapitel.
— — '■ — — cum condiunt,
Non condimentis condiunt, sed strigibus,
Vivis convivis intestina quae exedint *).
Zum Präservativ gegen diese innere Aufzehrung durch
die Strigen genoss der Römer Speck und Bohnenbrei an
den Calenden des Junius ^) ; dieselbe Kost erhielt auch
Polyän bei Petronius von der Priesterin des Priap als
Heilmittel gegen den schon wirklich eingetretenen Schaden.
Dass nun diese Strigen nicht etwa als blosse ge-
spenstische Ungethüme, sondern als boshafte Zauberinnen
zu fassen seien, wird sich leicht darthun lassen. Zwar will
Ovid in einer dem Dichter sonderbar anstehenden An-
wandlung von kritischer Vorsicht die Frage nicht ent-
scheiden, ob die Strigen, die zu Procas kamen, natürliche
Vögel, oder durch Zaubersprüche in Vogelgestalt verwan-
delte Weiber seien ^); doch bekennt er sich selbst ander-
wärts zum Glauben an Zauberinnen, die als Nachtvögel
umherstreichen. So sagt er von der alten Kupplerin
Dipsas *):
Hanc ego noctumas versam volitare per umbras
Suspicor, et pluma corpus anile tegi.
Suspicor et fama est.
Eben so verwandelt sich bei Apulejus Pamphile, indem
sie auf nächtliche Liebesabenteuer ausgehen will, in eine
Eule (bubo). Ueber allen Zweifel aber wird die Sache
durch Festus erhoben *) : Strigem , ut ait Verrius , Graeci
syrnia (zu verbessern ar^iyya) appellant, quod maleficis
mulieribus nomen inditum est, quas volaticas etiam vocant.
Hiermit stimmt überein, was Trimalchio bei Petronius von
ihnen sagt: Sunt mulieres plus sciae, sunt noctumae, et
quod sursum est, deorsum faciunt ^).
*) Pseudol. 111. 2, 31.
•) Ovid. Fast. VI. 170.
•) Fast. VI. 141.
*) Amor I. 8. 13.
») />//. Fragm, e. cod. Farn. L. XVIII. ed. MuUer.
*) Torreblanca, der im 17. Jahrhundert Ober die Zauberei schrieb,
beruft sich fQr den Satz, dass die Hexen den ungetauflen Säuglingen nach-
stellen, auf Ovid. Fast. VI, 13r>: Noctc vdlant puerosqut* petunt etc.
Die Etrusker und Römer. 63
Das Aussaugen menschlicher Körper dient den Zau-
berinnen zu einem doppelten Zwecke : entweder zum Liebes-
zauber für Andre, wie in der fünften Epode bei Horaz,
wo aus dem Mark und der Leber des verhungerten Knaben
ein Philtrum bereitet werden soll, — oder zur eignen Er-
nährung, wie bei Ovid, wo den Strigen von der Masse
des getrunkenen Blutes der Kropf schwillt. In letzterer
Beziehung findet sich hier also schon bei den Alten die
Grundlage des Vampyrglaubens. Das Blut galt den Philo-
sophen, namentlich Empedokles, als Prinzip der Lebens-
kraft, diente also den alten Zauberweibern als Mittel der
Verjüngung, wie es in der Nekromantie den herbeige-
zogenen Schatten Kraft und Sprache wiedergeben sollte.
Nahe verwandt, oder fast gänzlich identisch mit dei^
Strigen sind anderwärts die Empusen oder Lamien *). Die
Empusa tritt bald als Einzelwesen in Hekate's Gesellschaft,
oder als Hekate selbst auf, bald findet sich der Name von
einer ganzen Gattung von Unholden in der Mehrzahl ge-
braucht. Bei Aristophanes *) erscheint Empusa mit einem
ehernen und einem Eselsfusse, feurig leuchtend im ganzen
Gesichte; sie verwandelt sich in rascher Folge in die Ge-
stalt eines Ochsen, eines Maulthiers, einer schönen Frau
und eines Hundes. Auf seiner Wanderung zum Indus
findet sie ApoUonius von Tyana eben so vielgestaltig; er
schilt sie und gebietet seinen Gefährten, dasselbe zu thun,
da verschwindet das Ungethüm mit schwirrendem Ge-
räusche 3). Aber in Korinth ist es dem Wunderthäter
abermals beschieden, ein Wesen dieser Gattung zu bannen*).
Menippus, sein Schüler, in allem Uebrigen ein wackerer
Philosoph, nur in der Liebe nicht, lässt sich mit einem
fremden Weibe von wunderbarer Schönheit ein, isst, trinkt
und buhlt mit ihr und steht bereits auf dem Punkte, seine
wirkliche Vermählung zu vollziehen. Diess merkt Apollo-
^) Vgl. Stephan. Thesaur. v. "EiiTcooGa.
*) Ran. 295. Schol. Ecclesiaz. 1049.
') Pkilostrat. vit. Apollon. 11. 4.
*) Ibid. IV. 25.
64 Fünftes Kapitel.
nius, erscheint unangemeldet beim Hochzeitmahle und fragt
nach der Braut. Sie wird ihm vorgestellt. „Das ist eine
von den Empusen, — sagt er, — die man sonst auch La-
mien nennt. Es ist ihnen weniger um Liebeslust zu thun,
als um den Genuss des Menschenfleisches ; sie locken durch
Liebreiz denjenigen, den sie aufzehren wollen." Hiergegen
will die Empuse Einwendungen machen; da aber Apollonius
auf seinem Satze besteht, so verschwinden plötzlich Gold-
und Silbergeräthe, Mundschenk, Koch und die übrige
Dienerschaft, und der Unhold selbst bittet mit Thränen
um die Erlassung eines beschämenden Geständnisses. Aber
es hilft nichts, er muss bekennen, dass er eine Kmpusa ist
und an des athletischen Menippus Körper nur einen treff-
lichen Schmaus gesucht hat; denn schöne Jünglinge sind
diesen Wesen am liebsten, weil ihr Blut am reinsten ist ').
So treffen die Strigen, I-amien und Empusen zusam-
men in den wesentlichen Stücken der Verwandlungsfahig-
keit, des Ausgehens auf Liebesabenteuer und der Begierde
nach dem Blute und den Eingeweiden des Menschen.
Wenn nun in einigen andern Punkten Abweichungen be-
merkbar sind, wenn z. B. die Strix an die Eulengestalt
gebannt scheint, während den Lamien und Empusen alle
Formen gerecht sind, wenn femer die Schriftsteller in dem
Treiben dieser Unholde bald mehr menschliche Zauber-
kunst, bald mehr dämonischen Spuk hervortreten lassen:
so darf nicht vergessen werden, dass für das Reich des
Aberglaubens keine Physiologie geschrieben ist und daher
bei allem Durchleuchten wesentlicher (xrundzüge Spielraum
genug bleiben musste, um die Einzelheiten nach Laune
verschieden zu gestalten, wie es eben Zeitalter, Lokalität
oder die Phantasie des einzelnen Dichters mit sich brachte.
Uebrigens soll in dem Namen der Strigen entweder das
schwirrende (Jeräusch ihres Fluges, oder ihre kreischende
Stimme sich aussprechen -j. Derselbe Ton wird von Philu-
*) Vgl. Ihrat, A. P. 340. Neu prans^ie I^imiae pucruni vivum extrahat aho.
*J ^tlxpifi ' *lrix von stpiCtu = "tf/'.Cw» lat. stridcre. - Est illi.s MrtgHm«
nomcn; »«ti nominis huju« Cau.ssa, qucxl horr«nUa strUett noctc soleut. ih'U,
Käst. VI. 139.
Die Etruskcr und Römer.
65
stratus der Empusa beigelegt ^), deren Name jedoch nach
seiner eigentlichen Bedeutung bis jetzt nicht genügend
festgestellt ist. Die Lamien aber sind, wie bereits die
alten Grammatiker annahmen, von ihrer Gefrässigkeit be-
nannt *). Auf den dumpfen, murmelnden Ton der Unholde
scheint auch der Name Mormolykia sich zu beziehen,
welchen Philostratus als synonym mit Lamia und Empusa
bezeichnet. Mormo war ein weiblicher Popanz, mit welchem
man die Kinder schreckte; davon bildete sich das Verbum
ßOQfioXvaaeiv t erschrecken, und das Hauptwort fioQ^toXvxia^
Schreckbild. Mormo wurde aber auch bei den Griechen,
des furchtbaren Aussehens halber, eine Theatermaske mit
weit aufgerissenem Munde genannt. Im Latein des Mittel-
alters sind nun strix oder striga und masca auch wieder
gleichbedeutend; beide bezeichnen ein nächtliches Zauber-
weib.
Es möge bei dieser Veranlassung zweier verwandter
Gegenstände gedacht werden, der römischen Larva und
der griechischen Gello. Dass larva eben so, wie das an-
geführte longobardische masca diejenige Vermummung
des Angesichts bedeutet, die wir noch heute Larve und
Maske nennen, ist bekannt. Beide Wörter bedeuten aber
auch einen Nachtspuk, mit dem Unterschiede, dass die
masca, wie bereits bemerkt, eine Strix oder ein lebendes,
auf Menschentödtung ausgehendes Weib, also eine Zau-
berin, ist, die larva aber eine abgeschiedene Menschen- j
seele, die zur Strafe umherwandelt, allen Menschen ein |
Schrecken, den Sündern gefahrlich, den Reinen unschäd-
lich '). Gello, die bei den neueren Griechen Gillo heisst *), ,
war nach dem Glauben der Lesbier eine frühverstorbene
Jungfrau, die nach dem Tode umging und Kinder tödtete.
Schon Sappho soll ihrer gedacht haben. Insofern sie als
Todte auf Menschenmord ausgeht, stellt sich Gello aller-
*) Kai x6 (pdo^a 'fo^'S H'X^'^® teiptfö?- Vit. Apollon. II, 4.
*) Aa|io^, Xatpi6<;, Hfthlc, Schlund. Schol. Horat. Kpist. l. 13.
■) Augustin. de Civ. Dei IX. U, mit Bezu^ auf Piaton.
*) S. Stephan, Thesaur. v. FeXXu).
Boldnn-Ifeppe, Hexenproxesse. 5
66 Fünftes Kapitel.
dings dem Vampy rismus näher, als der eigentlichen Zauberei,
aber es ist schon oben darauf hingedeutet worden, wie
auch die lebenden Hexen des Alterthums den Vampym
der neueren Zeit in der Begierde nach der Restauration
ihres Lebensprinzips durch Menschenblut begegnen. Uebri-
gens wird der Name Gellus (Fe'k'kovg), der ohne Zweifel
nur eine andere Form für Gello ist, von den Griechen des
Mittelalters ganz auf die eigentlichen Strigen übergetragen.
Bei Johannes von Damask kommen die Gelluden durch
die Luft geflogen, dringen durch Schloss und Riegel und
fressen die Lebern der Knaben ^).
Die Mittel, die man zur Verwirklichung des Zaubers
empfahl, waren eben so zahlreich, als mannichfaltig. Als
Cagliostro einst nach der Grundlage seiner Kunst gefragt
wurde, antwortete er, ihre Kraft beruhe in verbis, in herbis,
in lapidibus ^), Die römische Magie bestrich ein grösseres
Gebiet, sie zog auch das Thierreich, die Sterne und ge-
wisse symbolische Zeichen oder Charaktere in ihren Kreis.
Vor Allem freilich war die Kraft des Wortes hochge-
achtet (Carmen, incantatio, deprecatio) *). Gesprochen, ge-
sungen, gemurmelt, geschrieben, diente es zum Zauber,
wie zum Gegenzauber ; es machte Schnee, Sonnenschein
und Regen, und lockte das Getreide ^). Selbst den Himm-
lischen war es furchtbar und brachte sie zum Erscheinen *).
Das fromme Vertrauen, welches eine frühere Zeit auf die
Kraft des Gebets gesetzt, hatte sich längst in den Rechts-
anspruch umgewandelt, durch Bannformeln die Götter nach
*) Joann Damasc, Tractat. de strigibus. Ob diese Abhandlung wirklich
von Joh. V. Damask, oder von einem andern Griechen des Mittelalters herrOhre.
kann uns hier gleichgiltig sein.
') Diese Dreiheit findet sich auch schon in Jakob* s I. DSmonologie
(lil). I. cap. 4.), wo sie freilich nur als das ABC der Zauberei bezeichnet wird.
») riin. H. N. XXVUI. 2.
*) Z. B. TihuU. I. 2. 45 f. 8. 20 fr. Virg. Eclog. VIU. 64 ff.
*) vo\ Lelhacos cunctis poUentior herbis
Kxcantarc deos Lucan, Phars;)!. VI. 685.
Omne nefas superi prima jam voce precantis
(^)nccdunt, carmeiique timcnt audire secundum.
Lncan, Phars. VI. 527.
Die Etrusker und Römer.
67
menschlichem Willen nöthigen (numini imperare), und mit-
telst symbolischer Handlungen selbst in weite Femen auf
Personen wie auf die leblose Natur nach Gefallen ein-
wirken zu können ^). Alte oder ausländische Worte galten
für die kräftigsten *), jedem einzelnen wurde seine bestimmte
Wirkung beigelegt. Aegyptische, babylonische, chaldäische
Sprüche waren berühmt ^) , besonders verehrt die soge-
nannten *E(peaia yQüifi^iara^). Zettel und Bleche, mit ge-
wissen Buchstaben beschrieben, dienten als Amulete, oder
sollten Gegenliebe erwecken. Durch die an die Thüre
geschriebenen Worte Arse vorse glaubte der Römer sein
Haus gegen Feuersgefahr sicher zu stellen ^), Gegen Ver-
renkungen empfiehlt Cato unter anderem die Formel: Huat
hanat huat ista pista sista domiabo damnaustra*). Aehn-
liches gebrauchte man gegen Fieber, Herzweh und andere
UebeP). Unter den Kräutern galt die Verbena fast für
') Hermann, gottesdienstl. Altcrth. der Griechen S. 210 und die Belege
daselbst.
*) — — — eirsl xotl xa^ et)*/ac 6fi.oXoYOöaiv ol avO*piüTcoi Süvatcüiepa^
slvat xd? ßap^dpü) ^wvy] )vSYop.8va<;. Clem. Alex. Strom. I.
•) — — — 6 ol cpouvd^ Ttva? da*rj}j.oo(; ^^%Y{^^'^^^i<^-, otat '^v*f^\'^'€ 5v
'Eßpatuiv ^j <I>oivtxü)V, e^eTrXYjixe xoo»: ftvO-pwitoo?, oOx elSoxac 5 xt Xsfoi etc.
Lucian. Pseudomant. 13.
*) S. Eustath, ad Odyss. XIX. 247. Hesych. v. 'E^p^ota Ypd|X[iaxa. Man
trug sie, wie schon die Griechen gethan, zum Schutze gegen allerlei Uebel in
ledernen GQrteln und dergl. auf dem Leibe.
Xtov TCtvwv xal :rpo<; xoüxok; ev oxüxaptot?
'^Paitxoloiv 'spopiüv 'E!:plaia Ypd|J.|JLaxa xaXd.
Athen. Deipnos. XH. p. 548.
*) Fest, V. Arse.
•) R. R. cap. 160. Er empfiehlt auch die Formel: Huat haut haut ista
sis far sis ardannabon dannaustra.
') Zur Heilung des hemitritäischen Fiebers schreibt Serenus Sanioni-
c u s vor :
Inscribas chartae, quod dicitur Abracadabra,
Saepius et subter repetas, sed detrahe summam,
Et raagis atque magis desint elementa figuris,
Singula quae semper rapies et cetera figes,
Donec in angustum redigatur litera conuni.
His lino nexis Collum redimire memento.
Marcellus Empiricus empfiehlt Folgendes gegen das Herzweh : In lamella
stannea scribes et ad collum suspendes haec, antea vero etiam cane : Corcu ne
68 FQnftes Kapitel.
eine Panacee ^). Fieber kurirte man auch mit dem g^e-
salzenen rechten Auge des Wolfs, mit dem Kothe der
Katzen oder den Zehen des Uhu's. Oder man knetete die
Abschnitte der Nägel von den eigenen Händen und Füssen
in Wachs, klebte sie vor Sonnenaufgang an die Thürt?
des Nachbarn und übertrug so die Krankheit auf diesen.
Ein Regenwurm, in eine zersprungene Schüssel gelegt,
dann mit Wasser übergössen und wieder vergraben, ver-
treibt Lendenschmerzen. Eine Räucherung mit der Galle
eines schwarzen männlichen Hundes, oder die Vergrabung
seiner Geschlechtstheile unter der Thürschwelle gilt als
Verwahrungsmittel fiir das ganze Haus. Wer von Nacht-
gespenstem geplagt wird, dem ist Zunge, Auge und Galle
des Drachen heilsam; man kocht diess in Wein und Oel,
lässt es des Nachts im Freien kalt werden und streicht es
als Salbe auf. Gegen Kopfschmerz hilft der Strick eines
Gehängten, gegen Kröpfe und Ohrengeschwüre die Hand
eines Früh verstorbenen , gegen Zahnweh Holz, das vom
Blitze getroffen ist.
Eine ganz besondere Rolle spielten in dem Aber-
glauben der Alten die Zaubernägel ^). Die von den
Etruskern stammende Sitte des clavum figere hatte nicht
allein den Zweck die Jahre zu zählen, sondern auch Krank-
heiten Halt zu gebieten. Schon der bei den Römern
übliche Ausdruck defigere für „bezaubern" weist darauf
hin, dass zum Zaubern und darum auch zur Abwehr eines
Zaubers Nägel vielfach verwendet wurden, (xanz beson-
incruito, Cave corcu ne niergito cantorcm, ulos, utos, utos, praeparavi tibi
vinum lene, libidinem. discode a nonita, in nomine Dei Jacob, in nomine Del
Sehaoth ! — UlutflQsse stillt eben derselbe durch die Formel: Sicucunia, icu-
cumu, cucuma, ucuma, cunia, unia, ma, a. — Dergleichen Kuren mit An-
hiinKSi'ln und barbarischen Worten hat Lucian im Philopseude.s verspottet.
*) Plifi, H. N. XXV. 9. Die folgenden Mittel sind, wo es nicht anders
bemerkt ist, aus den bereits oben bezeichneten Kapiteln des Alteren Plinius
entnommen.
'^) Das NAcbstfolgende theilen wir nach der vortreflflichen AbhandluDK
Jahns „Ueber den Aberglauben des b^sen Blicks bei den Alten** (in den
Heriehten Ober die Verhandlungen der Kgl. sitehsischen (lesellschaft d«r
Wi^senschalten zu Leipzig von 1854, S. U8 -llo) mit.
Die Etrusker und Rftmer. 69
dere Kraft legte man aber Nägeln bei, mit denen Jemand
ans Kreuz geschlagen war, oder die von gescheiterten
Schiffen herrührten.
Ein Mittelpunkt vieler abergläubischen Anschauungen
und Operationen war bei den Alten die Vorstellung von
der Macht des bösen Blicks. Man glaubte (und glaubt
in Italien noch heute), dass Neid und Missgunst im Stande
wären, auf das Wohlbefinden und Glück eines Anderen
Einfluss auszuüben, und dass ganz besonders die Augen
das Organ wären, durch welches diese Wirkung ausgeübt
würde. Unter allen übrigen abergläubischen Vorstellungen
der Alten trat dieser Gedanke mit solcher Stärke hervor,
dass man die Worte ßaaytalvetv, fascinare, ganz besonders
von dem bösen Blick gebrauchte ^).
Diese unheimliche Gabe des bösen Blicks wurde als
in manchen Familien, ja in ganzen Völkerschaften erblich
angesehen. Als am meisten von demselben bedroht be-
trachtete man das Vieh und die Kinder ; aber auch Sachen
galten als der verderblichen Einwirkung des bösen Blicks
ausgesetzt. Daher suchte man Sachen wie lebende Wesen
dagegen zu schützen, theils durch mancherlei sühnende
Handlungen im einzelnen Falle, theils durch schutzge-
währende Symbole , Amulete , welche man am Hals oder
auf der Brust trug oder an Gebäuden, Mauern u. dgl. an-
brachte (ns^ianTcif Tieptcf^ijUQra, Anhängsel). Bei der Auf-
merksamkeit, mit der man die Kinder zu hüten suchte,
fiel natürlich ein grosser Theil dieser Fürsorge den Wär-
terinnen zu. Auch von hier aus begreift es sich daher,
dass bei dem Bezaubern und Entzaubern Weiber, insbe-
sondere alte Weiber, eine grosse Rolle spielten ^).
Die schädliche Kraft des bösen Blickes glaubte man
aber auch dadurch brechen zu können, dass man denselben
auf irgend eine Weise, durch ein Schreckbild (Gorgoneion),
*) Die sonstigen Ausdrücke waren: ocptS-aXuö? Tcovfjpoc, 'fi>ovep6;, oculi
maligni. invidi, urentes u. dgl.
^) Theocrit. II, 91 : ^^ «ota< e).iirov YP'*ta<; 86|j.ov &xic ^nä^sv; VI. 40,
VII. 126 flf. Theophr. char. 16. Plut. de superstitione 3, 6. Hermann^ Griech.
Anüq. n. 42, 14.
yo Fünftes Kapitel.
durch einen kräftigen Fluch oder durch andere Mittel
störte, und den Neidischen verhinderte, den fraglichen
Gegenstand zu fixiren. Namentlich galt dcis Bild des Auges
selbst als ein wirksames Gegenmittel gegen den Zauber,
indem nach antiker Anschauung das, was den Zauber her-
vorbringt, denselben auch aufheben kann, wesshalb das
ßaaxdvLoVf fascinum, nicht nur Zauber, sondern auch Heil-
mittel bedeutet. Ausserdem aber glaubte man den Zauber
durch das Bild des Unanständigen, Obscönen als eines
yelolov und äronov zerstören oder abwehren zu können, und
in dieser Beziehung galt als Hauptmittel gegen den Zauber
der Phallus, das männliche Glied, welches desshalb bei
den Römern geradezu fascinum hiess und ganz gewöhn-
lich in irgendwelcher Darstellung an Häusern angebracht,
auch auf der Brust getragen wurde. — Ein anderes Mittel
dieser Art war das Ausspucken in den eigenen Busen.
Eben darum nämlich, weil das Ausspeien gegen Andere
als schwere Beleidigung galt, glaubte man durch das ei^
xoXnov TiTvsiv, in sinum spuere irgend eine Schuld sühnen
oder ein bevorstehendes Unheil abwenden zu können. In
jedem Falle galt dieses als eine Versöhnung der Nemesis,
welche man bei jedem Worte, das als vermessen erscheinen
konnte, mit den Worten „ijQoayivvco *jiv8gdareiav** oder mit
ähnlichen Ausdrücken anrief ^).
Die Zahl der sonstigen abergläubischen Vorstellimgen
war Lcgio. Die verschiedenen Jaspisarten machen beredt,
schützen gegen Trunkenheit, Hagel und Heuschrecken.
Das äthiopische Kraut trocknet Flüsse und öifnet Schlösser.
P'in Uhuherz, auf die linke Brust eines schlafenden Weibes
gelegt, entlockt ihr alle Geheimnisse. Die Asche der
Sterneidechse, um die linke Hand festgebunden, erregt
den Geschlechtstrieb, um die rechte, stillt sie ihn. Fleder-
mausblut unter dem Kopfkissen des Weibes wirkt stimu-
lirend, und die Haare der Mauleselin verbürgen die Con-
c(*ption. Die Proceduren für den Liebeszauber sind aus
Theokrit, Horaz, Virgil, Ovid, TibuU, Properz u. A. allzu
*) Die Belege für diese Angaben s. in der angezogenen Abhandlung Jahns,
Die Etrusker und Römer.
71
bekannt ^), als dass sie einer umständlicheren Darstellung
bedürften. Schmilzt man das wächserne Bild des Ge-
liebten am Feuer, so wird dieser zur Gegenliebe gezwungen ;
auch Puppen von Wolle oder Thon werden in gleicher
Absicht zu symbolischen Handlungen gebraucht und Venus-
knoten aus farbiger Wolle geschlungen oder Fäden um
den Zauberhaspel gewickelt. Theile vom Kleide des Ge-
liebten verbrennt man oder vergräbt sie unter der Schwelle.
Als ganz besonders wirksam zur Entzündung unwider-
stehlicher Liebesgluth gilt Leber und Mark des Menschen,
ein Glaube, den Horaz bis zum abscheulichsten Knaben-
morde führen lässt ^). Ausser der gewöhnlichen Nekro-
mantie, wie sie so häufig von den Dichtern nach griechi-
schen Mustern angedeutet wird *) und wie sie unter Andern
auch von Cicero's Freunde Appius wirklich geübt worden
zu sein scheint **) , gab es auch eine Art verruchter Exti-
spicien aus menschlichen Leichnamen. Cicero wirft solche
dem schändlichen Vatinius vor^), Juvenal spielt darauf
an®), und noch in der späteren Kaiserzeit finden sich
Spuren davon '). Den Tod eines Feindes glaubte man zu
') //orai. Sat. I. 8. Epod. V. u. XVI 1. Fir^r. Eclog. VIII. Theocrit. Id. II.
Ovid, Heroid. VI. Amor 1. 8. TibulL L 2 u. 8. PropcrL III. 5. Z//^fl;i. VI. 460.
«) Epod. V.
') Virg. Ecl. VIII. 98. Aeneid. IV. 490. Horat, Sat. I. 8. Ovid, Met. VIF.
243. TihulL I. 2. 45. Scneca Oedip. 547. Lucan. Phars. VI. 550.
*) Cic, Tusc. Quaest, I. 16. De divinat. L 58. Ein anderes Beispiel:
Tac, Annal. II. 28.
*) In Vatin. VI. — — Cum inferorura animas elicere, cunj pueroruni
extis deos manes mactare soleas.
•) Peclora pullorum rimabitur, exta catelli, Interdum et pueru Sat. VI.
550. Einen schauderhaften Commentar hierzu liefert Lucan VI. 554 ff., vvo
es von Erichtho heisst :
Nee cessant a caede manus, si sanguine vivo
Est opus, erumpat jugulo qui primus aperto.
Nee refugit caedes, vivum si sacra cruorem
Extaque funereae poscunt trepidantia mensae.
Vulnere sie ventris, non, qua natura vocabat,
Extrahitur partus, calidis ponendus in aris.
Et quoties saevis opus est ac fortibus umbris,
Ipsa facti manes: hominum mors omnis in usu est.
'} Cassiodor, Hist. tripart. VI, 48,
j2 Fünftes Kapitel.
erzielen, indem man dessen Namen in eine Metallplatte
einschnitt oder sein Bildniss mit einer Nadel durchbohrte ^).
Ein ähnliches Verfahren sollte auch dazu dienen, die männ-
liche Kraft zu rauben *). Dass wirklichen Giftmischereien
zuweilen auch magisches Beiwerk zugesellt wurde, ist sehr
wahrscheinlich. In der späteren römischen Zeit bildete
sich auch der Glaube an die Macht eines spiritus familiaris
oder Paredros aus^), dergleichen Simon der Magier und
ApoUonius von Tyana gehabt haben sollen. Ersterer rühmt
sich bei Clemens von Rom *), er habe sich die Seele eines
unschuldigen, gewaltsam ermordeten Knaben dienstbar ge-
macht. Mit Hilfe solcher Geister glaubte man nicht nur
die Zukunft erforschen, sondern auch die Zunge eines Geg-
ners vor Gericht hemmen, Pferde vor dem Wagen fest-
bannen *), einem Feinde Krankheiten und böse Träume
zusenden und mancherlei andere Beschädigungen zufügen
zu können **). — Noch könnten gar manche andere Zauber-
*) Reperiebantur (beim Tode des Gernianicus) solo ac parietibus enitac
hunianorum corporum reliquiae, carniina ac dcvotiones, et nonien Geniianici
plunibeis tabuli.s insculptuin . .seniiusti cineres ac tabe (labo?) obliti. aliaque
nialcttcia. «juiü creditur aninias numinibus infernis sacrari. Tucii. Anoal. II. 6<).
•) So kla^l Oz'iJ, Amor. III. 7. 29.
Sana VC Poenicea deßxit nomina cera,
Kt medium tenues in jecur egit acus?
Das Nehmen der männlichen Kraft findet sich schon bei Herod, II. 181. wo
jedoch das Mittel nicht naher bezeichnet ist. Amasis sagt zu Ladike : 'Ü j Ovat,
») Justin, Apol. II. p. 65. Tertullian. Apologet. 23. Irtnacuj 1. 24.
Arnoit. adv. ^enl. I. p. 25.
*) dem, Rom. Recognit. II. pag. 33. Ed. Basil. 1526.
*) Der Sieg im Wettrennen wurde der Zauberkunst so häufig beigemessen,
dass die aurigae oder agitatores dcsshalb wahrhaft verrufen waren. S. Gotkt*-
fr ed. ad Cod. Theodos. üb. IX. Tit. 16. Leg. II.
•j Simon der Magier prahlt in den Clementinischen Recognitionen (lib. II.
p. 32} folgendermassen : Possum facere, ut volentibus nie coiiiprchendere non
appaream, et rursus volens videri palam sim. Si fupere velim. montes per-
fr)rem et saxa i|uasi lutum pertranseam. Si me de monte excelso praecipitem,
tanquam subvectu.s ad terras illaesus dcferar. Vinctus niemet ipsum solvam,
cos ven). qui in vincula injecerint, vinctos reddam. In carcerc conligatus,
claustra sponte patefieri faciant; statuas animatas reddam. ita ut putentur ab
Die Etrusker und Rftnier,
73
mittel erwähnt werden ; wir gedenken jedoch hier nur noch
der vielgepriesenen magischen Ringe, welche theils der
Mantik dienten, theils dem Körper Gesundheit, Kraft,
Schönheit imd Unverwundbarkeit geben sollten^).
Da es dem Römer an einem Begriffe fehlte, welcher
die in ihrer Erscheinung und Absicht so verschiedenen
Zauberübungen in der Art zur Einheit hätte verbinden
können, wie diess in der christlichen Zeit durch die Vor-
stellung von dem Bündnisse mit dem Teufel geschehen ist,
so konnte er auch kein allgemeines Gesetz gegen Zauberei
haben. Die Strafbestimmungen aus der vorchristlichen Zeit
sind desshalb ganz speziell gehalten und gehen sämmtlich
von dem Gesichtspunkte des durch zauberische Hand-
lungen oder durch Zauberer selbst verursachten Schadens
aus. Sie sind theils wirkliche Gesetze, theils vorüber-
gehende Polizeimassregeln. Schon die zwölf Tafeln ent-
halten eine Bestimmung, welche den Schutz des Eigen-
thums bezweckt *). Es wird eine Strafe gegen denjenigen
verhängt, welcher die Erzeugnisse des Bodens durch ex-
cantatio von fremden Aeckem zu sich herüberlockt. Bei
Plinius findet sich ein Beispiel, dass auf den Grund dieses
Gesetzes eine wirkliche Anklage erhoben wurde ^). Seneca
berichtet (Quaest. nat. IV, 7), dass auf Veranstaltung der
Decurionen Feldhüter zur Strafe gezogen worden seien,
weil sie deis zauberische Verhageln von Saaten und Wein-
pflanzungen nicht verhindert hätten. — Plinius (Hist. nat. 28)
theilt mit, dass ein ganzer Oelberg, der einem Verwalter
üs, qui vident, horoines esse ; novas arbores subito oriri faciam , et repentina
virgulta producam. In ignem mcmet ipsum projiciens, non ardeam ; vultum
meum comiuuto, ut non agnoscar, sed et duas facies habere nie possum ho-
minibus ostendere. Ovis aut capra efficiar, pueris parvis barbain producam ;
m acrem volando invehar, auruni plurimum ostendam; reges faciam eusque
dejiciain. Adorabor ut deus, publice divinis donabor honoribus , ita -ut simu-
lacrum mihi statuentes tanquam deum colant et adorent. Et quid opus est
inulta dicere? quidquid voluero facere, potero. Etc.
*) C/em, Alex, Strom. I. /.ucian. Navig. 42 f. Philostr. vit. Apoll. III.
*) Seneca Quaest. nat. IV. 7.
») PUn, H. N. XVlll. 6.
^4 Fünftes Kapitel.
des Kaisers Nero gehörte, infolge einer excantatio sich
plötzlich sammt den auf ihm stehenden Wirthschaftsge-
bäuden erhoben und, die öffentliche Strasse innehaltend,
sich anderswohin geschoben habe ^). Viele italische Flur-
gesetze verboten, eine Spindel im Freien zu drehen oder
auch nur un verdeckt zu tragen ^) ; man glaubte nämlich,
dass dadurch die Hoffnungen des Landmanns vernichtet
würden. Den Schutz der Person beabsichtigte die Lex
Cornelia de sicariis et veneficis. Tödtung durch Zauberei
sollte nach derselben mit der höchsten Strafe belegt werden ^).
Nach Marcian^) bestand die ursprüngliche Strafe in De-
portation und Gütereinziehung; die spätere Praxis verfugte
bei Niedrigen die Tödtung durch wilde Thiere, bei Vor-
nehmeren die Verbannung auf eine Insel. In den Zeiten
des Freistaats wurde mehrmals polizeilich eingeschritten,
wenn gewinnsüchtige Betrüger die öffentliche Meinung
durch fremde Vaticinien irre zu leiten suchten *). Eine
solche Massregel war schon im J. 425 v. Chr. nöthig ge-
worden. Im Jahre 139 verwies ein Edict des Prätors
Cornelius Hispallus die Chaldäer unter ausdrücklicher Her-
vorhebung ihrer habsüchtigen Betrügereien aus Italien •).
Sulla, obgleich Urheber des Gesetzes gegen zauberische
Tödtung, war ein Verehrer der magischen Weissagungen ;
tlagegen sahen sich unter August (t 14 nach Chr.) wie-
derum die Astrologen durch Agrippa vertrieben '). Ihre
Schicksale unter den folgenden Kaisem hingen haupt-
') Die Belege für diese Mittheilungen s. in der angezogenen Abh«in(ilun};
Jahn's.
2j Ptin. H. N. XXVllI. 2.
^) Kadern lege et venefici capite daninantur, qui artibus odiosis, tani
venenis, quam susurris magicis homines occiderint, vel mala medicamenta
publice vendiderint. Institut. IV. Tit. XVlIl. 5.
*) Digest. XLVIII. Tit. VIII. 2. 4.
*) Liv, W, 30. XXV. 1. — Vaticinatores. qui se deo plenos adsimuUnt.
idcirco civitate cxpelli placuit, ne humana credulitate publici mores ad speni
alicujus rei corrumperentur. vel certe ex eo populäres animi turbarentur. Paul,
Sentent. V. 21. 1.
•) Valir. Max, I. 3.
") />/i> Cafs. Lib. 4C). pag. 60. ed. Rcimar,
Die Etrusker und Rftmer.
75
sächlich von persönlichen und politischen Verhältnissen
ab; aus vorkommenden Ereignissen nahm man bald zur
Unterdrückung, bald zur Begünstigung des magischen
Treibens Veranlassung. Alles, was die Geschichte hierüber
gibt, scheint zu dem Ergebnisse zu fuhren , dass nirgends
die Magie an sich bestraft wurde, sondern nur da, wo sie
mit eigentlichen Verbrechen, wie Mord, Aufruhr und ganz
besonders mit der Beleidigung der Person des Kaisers, in
Verbindung trat ^). Wie die Staatsmantik den Zwecken
der Regierung diente, so mussten die chaldäischen Künste
in den Händen von Privaten durch Verführung der leicht-
gläubigen Masse leicht feindselig wirken können 2); darum
gebot die Politik, die Inhaber und Benutzer derselben ent-
weder durch Verfolgung unschädlich zu machen, oder durch
Belohnungen an den Thron zu ketten. Sobald aber ein-
mal auf die Denunciation geheimer Künste verfahren wurde,
war die Möglichkeit gegeben, dass Argwohn, Habsucht
imd Feindschaft auch abergläubische Begehungen von ganz
unschuldiger Art zur Strafe zog.
Tacitus berichtet von nicht weniger als drei ver-
schiedenen Verordnungen, welche die Verbannimg der
Magier verfugten, und bei der Erwähnung der dritten drängt
^) Tertull, Apologet. 35. — Eadem ofRcia [impietatis in Principem] de-
pendunt et qui astrologos et haruspices et augures et magos de Caesarum
capite Consultant Cui autem opus est perscrutari super Caesaris salute,
nisi a quo aliquid adversus illam cogitatur, vel optatur ? aut post illam speratur
et sustinetur? Non enim ea mente de caris consulitur, qua de dominis ; aliter
curiosa est sollicitudo sanguinis, aliter servitutis. — Paui, Sentent. I. V. tit. 2 1 .
§. 3. Qui de salute principis vel de summa reipublicae mathematicos, ariolos,
ani5pices« vaticinatores consulit, cum eo, qui respondcrit, capite punitur. —
Diesem analog wurden die Sklaven, die Ober das Schicksal ihres Herrn (de
salute domioorum) Wahrsager befragten, gekreuzigt. Patil, Sent. lib. V.
tit. 21. §. 4.
*) Darauf machte Mäcenas den Kaiser Augustus aufmerksam. Dio Cass, LIT,
p. 68q, ed. Reimar. — — ixavTixv] |jlIv y«P ftva^xald saxt, xal ^dvitü^ xivdc
■jtai Up'jiccac xat otcuvtaxd«; öcTcoSst^ov, toüc oe S"f) i^aY^utd? Kdvu
oäx elvai itpooTjXfif koXXoü? y^P '^oXXdxt^ ot xotootoc, xot jj.sv xtva aX-yj-d^, xa
%& ^Tj icXeio) 4/6u3y2 Xl^ovxe«;, veo)(jj.oöv Jitatpoüat. — Auch vor den Philo-
sophen wird unter diesem Gesichtspunkt gewarnt.
y6 Fünftes Kapitel.
ihm sein patriotischer Grimm die Bemerkting ab, dass man
diese schädliche Menschenklasse in Rom stets verdamme
und doch niemals von ihr loskommen könne *). Tiberius
(14 — 37) hatte ganze Schaaren von ihnen in Caprea um
sich versammelt; als aber Libo Drusus, dufch ihre Weis-
sagungen verlockt, mit Neuerungen umging, wurden zwei
Mathematiker hingerichtet und die übrigen durch Senats-
beschluss aus Italien verwiesen 2). Beim Tode des G e r-
manicus fiel der Verdacht des Meuchelmordes auf Nie-
manden mit mehr Grund, als auf den Kaiser selbst ; man
fand es jedoch angemessen, das Gerücht zu verbreiten,
dass Piso durch Zaubersprüche und den in eine Bleitafel
eingeschnittenen Namen des Ermordeten die Uebelthat be-
gangen habe^). Sehr gehässige Anklagen kamen auch
imter Claudius (41 — 54) vor. Furius Scribonianus ward
verbannt, weil er über den Tod, Lollia, weU sie über die
Vermählung des Kaisers die Chaldäer befragt haben sollte *).
Letztere fiel als Opfer von Agrippina's Eifersucht. Erwägt
man aber, dass eben diese Agrippina, die hier die An-
klage der Magie erhob, selbst diesem Aberglauben er-
geben war und noch bei des Claudius Tod sich auf Sprüche
der Chaldäer berief ^), so ergibt sich daraus, dass an Furius
und Lollia nicht die chaldäische Kunst an sich, sondern
das mittelst derselben verübte Majestätsverbrechen bestraft
wurde. Diess wird noch einleuchtender dadurch, dass neben
den Magiern und Chaldäern auch das Orakel des kla-
rischen Apollon als von Lollia befragt genannt wird,
eine Handlung, die unzweifelhaft nur wegen des Gegen-
stands der Frage zum Verbrechen gestempelt werden
M (jcnu-s hominuni potentibus infidum, sperantibus fallax, quod in civiut^
noslra et vctabitur semper, et retinebitur. Hist. I. 22.
■) Tac, Annal. IL 32. Tiberius verbot selbst, die Uaruspices insge-
heim und ohne Zeugen zu befragen, und liess die in der Nähe der Stadt j:r-
IcKencn Orakel zerstören (Suiton, Tiber. 63). Es iJVsst sich hierin nur die
Furcht vor Befragungen ober seine eigene Person erkennen,
») lac, Annal. II. 69.
*) Tac, Annal. XII. 22 u. 52.
») Tac. Ann. XU. 68, vgl. XIV. 9.
Die Etrusker und Römer.
77
konnte. Das Senatusconsult zur Vertreibung der Mathe-
matiker unter dem schwachen Claudius ^) war eben wegen
der Vorliebe der Kaiserin für dieselben ohne Erfolg. Unter
Nero (54 — 68), obgleich auch er eine Zeitlang der ge-
heimen Kunst anhing *) , wiederholten sich Anklagen in
ähnlichem Sinne. Zwei Bürger, deren Treue verdächtig
schien, sollten aus dem Wege geräumt werden; man ver-
urtheilte sie unter dem Vorwande, dass sie die Nativität
des Kaisers gestellt hätten, zum Tode; sie kamen der
Vollstreckung des Urtheils durch Selbstmord zuvor ^). Ser-
vilia, die Tochter des unschuldig verfolgten Barea Soranus,
musste den Tod leiden, weil man ihr Schuld gab, ihr Ge-
schmeide hergegeben zu haben, um von den Magiern über
die Wendung des Schicksals ihres Vaters und die Dauer
des kaiserlichen Zornes Aufschluss zu erhalten *). An
Otho fanden die Chaldäer wiederum einen eifrigen Jünger;
durch ihre AVeissagungen bestärkt, hatte er sich ja zu
Galba's Sturze erhoben •^) ; nichts war darum natürlicher,
als dass sie nach seiner kurzen Regierung vor Galba's
Rächer Vitellius das Weite suchen mussten ^). So zeigt
uns Tacitus die Schicksale der Magier fast durchgängig
in nächster Beziehung zur Person des Regenten ; nirgends
gibt er ein Beispiel, dass die Anklage der Magie an sich
erhoben worden wäre. Bei Mamercus Scaurus unter Ti-
berius erscheint sie im Gefolge des Ehebruchs mit Livia ^),
bei Statilius Taurus, nach dessen schönen Gärten Agrip-
pina strebte, wird sie dem crimen repetundarum beige-
geben *) ; in beiden Fällen lässt es die Kürze des Geschicht-
schreibers zweifelhaft, ob nicht auch hier Majestätsbeleidigung
mit ins Spiel kam. Im letzteren Falle drang die Kaiserin
') rac, Ann. XII. 52.
*) Nemo unquam ulli artium validius favit. P/m. H. N. XXX. 2.
*) Tac, Ann. XVI. 14.
*) Tac, Ann. XVI. 30.
*) Tac, Hist. I. 22.
•) Tac. Hist. II. 62.
») Tac, Ann. VI. 29.
•) Tac, Ann. Xlf. 59.
1
y8 Fünftes Kapitel.
nicht einmal durch ; ihr Werkzeug", der nichtsj^ürdige Tar-
quinius Priscus, wurde aus der Kurie gestossen.
Die folgende Zeit zeigt unter den Kaisem weit mehr
Freunde, als Feinde des magischen Unwesens. Hadrian
(117 — 138)*), Marcus Aurelius (161 — 180) *) und Ale-
xander Severus {222 — 235) ^) werden unter den ersteren
genannt; Maximin verschleuderte an die Gaukler, die ihn
missbrauchten, die angesehensten Staatsämter ^); Maxen-
ti u s (1312) schnitt schwangeren Weibern und neugeborenen
Kindern den Leib auf, um seine verruchten Extispicien
anzustellen ^).
Dabei ist aber zu beachten, dass die Kaiser immer
im Alleinbesitz der Kenntniss der Zukunft zu sein wünsch-
ten. Daher zogen dieselben eine Menge von Sterndeutern
u. dgl. an ihre Höfe, während sie dieselben in den Pro-
vinzen verfolgen oder sie wenigstens in dieselben ver-
bannen Hessen *).
Während so die divinatorische Seite der Magie am
meisten hervortrat, blieb jedoch auch die operative nicht
ohne Anwendung. Die Veneficien zur Tödtung und zum
Liebeszauber ^), zusammengesetzt aus leeren Formeln und
wirklichen Mitteln, wurden von den höchsten Personen
geübt, wussten sich aber sorgfaltiger in die Nacht des
Geheimnisses zu verstecken. Caligula's ungebärdiger Wahn-
sinn wurde zum grossen Theile einem Philtrum zuge-
*) Ae/. Spartian, vit. Adrian. 2 u. l6. Mathesin sie scire sibi visus est,
ut sero Calendis Januariis scripserit, quid ei toto anno passet evenire.
«) yul, CapitoHn. v. Marc. Aurcl. 19. Vgl. Dio Cass, LXXI. p. U87.
Reimar.
') Aruspicibus et rnathematicis salaria instituit et auditoria decrcvit.
Lamprid 44.
^) pMseh. Uist. Eccles. VlII. 14.
''j Eus€b a. a. (). und IX. y.
•) V^I. Maury, Histoire de la Magic (Paris, l86t)), eh. IV.
') Hie niagicos aflfert cantus, hie Thessala vendit
Philtra, (|uit)us valeant mentein vexarc inariti.
Juvifuti. VI. 6oi^.
Die Etrusker und Römer. yn
schrieben, das ihm seine Gemahlin Cäsonia gegeben ^) ; die
wollüstige Agrippina verstand für ihre Buhler das Hippo-
manes eben so geschickt zu bereiten, als den giftigen Pilz
fiir ihren schwachköpfigen Gemahl 2). Zwar fing man an,
die Lex Cornelia de sicariis nun auch auf die Zauber zur
Todtungund die Lieb estränke auszudehnen 3); aber der son-
stige Gebrauch magischer Mittel, namentlich zu Heilungen,
blieb unbestraft. Doch findet sich bei Ulpian die Bestim-
mimg, dass denjenigen, welche magische Heilungen ver-
richten, keine Klage auf Honorar zustehe *).
Unter den Prozessen wegen Bezauberung von Men-
schen ist in der Kaiserzeit einer der merkwürdigsten der-
jenige, in welchen sich der im zweiten Jahrhundert lebende
platonische Philosoph und Sachwalter Apulejus aus
Madaura in Afrika, der auf Reisen durch Griechenland in
die dortigen Mysterien eingeweiht war, verwickelt sah.
Nach seiner Vermählung mit der reichen Wittwe Puden-
tilla wurde er vor. dem Proconsul von Afrika angeklagt,
die Liebe derselben durch böse Kunst erworben zu haben.
Dieser Anklage verdanken wir die schätzbare Apologia de
magia, in welcher Apulejus nicht nur mit siegenden Gründen
darthut, dass die Liebe einer Wittwe auch ohne Zauberei
zu gewinnen sei, sondern auch treffliche Mittheilungen über
die geistigen Zustände seines Zeitalters gegeben hat. Der
Prozess endigte mit der Freisprechung des Angeklagten.
*) — — — — — Tarnen hoc tolerabile, si non
Et furere incipias, ut avunculus ille Neronis,
Cui totam treniuli frontem Caesonia pulli
Infudit. Quae non faciat, quod Principis uxor?
Juvenal, VI. 614.
*) Juvenal. VI. 133. Ueber das Hippomanes s. Saimas, Exerc. Plin.
p. 659 ff.
') S. oben^ ausserdem Paul. Sentent. V. 23 ad leg. Cornel. Si sacra
impia nocturnavc, u^ quem obcantarent, interficerent, obligarent, fecerint facien-
dave curaverint, aut cnici suffiguntur, aut bestiis objiciuntur. — Qui abortionis
aut amatoriuni poculum dant, etsi dolo non faciant, tarnen quia raali exempli
res est, humiliores in metalluni, honestiores in insulam, amissa parte bonorum,
relegantur. Quodsi eo mulier aut honio perierit, summo supplicio afficiuntur.
*) Digest, V. Tit. XIII. 3.
8o Fünftes Kapitel.
Der dreihundertjährige Kampf, welchen die christliche
Religion durchzukämpfen hatte, ehe sie ihren Sieg feierte,
bietet Momente dar, die auch für die Gestaltung der Magie
von Belang sind. Es ist besonders die theurgische Seite
derselben, welche seit dem dritten Jahrhundert auffallend
hervortritt.
Wenn eine herrschende Religion mit dem Zeitgeiste
in Widerspruch zu treten anfängt, so sucht sie, sofern ihr
nicht die öffentliche Gewalt mit despotischem Schutze zur
Seite stehen will oder kann, ein Abkommen mit dem Zeit-
geiste zu treffen, indem sie entweder Begriffe und An-
sichten der Zeit unter möglichster Belassxmg der alten
Formen in sich aufnimmt, oder die alten, in Misskredit
gerathenen Lehren auf dem Wege einer bald sophistischen,
bald schwärmerischen Spekulation als vernunftgemäss dar-
zustellen imd von Neuem zu begründen strebt. Nachdem
in Alexandria das absterbende Judenthum durch die Be-
mühungen eines Philo und Josephus in den aufgenommenen
Ideen griechischer Philosophen, namentlich Platon's, eine
neue Stütze gewonnen, ja sogar schon früher durch Ari-
steas und Aristobulus alles Gute der griechischen Philosophie
als ursprünglich hebräisches Eigenthum reklamirt hatte,
wurde in den Träumereien der Kabbalah die schon seit
dem Exil einheimische Dämonenlehre so scharf ausgeprägt *),
dass dies(»s Gemisch excentrischer Ideen noch vor wenigen
Jahrhunderten nicht nur als die wissenschaftliche Grund-
lage gewisser Arten der Magie , sondern auch als Quelle
höherer Weisheit überhaupt angestaunt werden konnte.
Doch war dieses für die weitere Entwicklung des
Aberglaubens im Abendland von geringerer Bedeutung.
Dim belangreichsten Einfluss übte dagegen auf die Vor-
stellungswelt der abendländischen Christenheit nicht nur
durch das Mittelalter hindurch, sondern auch bis in die
neuere Zeit hin der letzte Entwicklungsgang der griechi-
schen Philosophie aus.
Der Verfall d(;r alten Welt, die Auflösung der relif^os-
*) Knorr de Roacnrotk Kalil>ala (k-iuid.ila. Krancof. 1684.
Die Etru3ker und Römer. gl
sittlichen Grundlagen derselben war im Skepticismus zu
Tage getreten. Alle diejenigen, welche, philosophisch ge-
bildet, diese Thatsache erkannten, fühlten sich hierdurch
zu dem Streben angeregt, die Anschauungen der älteren
(griechischen) Philosophie mit der modernen, von dem
alten polytheistischen Volksglauben sich abwendenden Bil-
dung so zu vermitteln, dsiss diese wiederum in jener ihre
Grundlage finden konnte. So entstand die Schule der
Neu-Pythagoräer, deren Heros Apollonius von
Tyana, und deren wissenschaftliche Vertreter Plutarch
von Chäronea und Numenius von Apamea waren, —
jener als Anhänger Plato's, dieser als Vertreter der orien-
talischen Denkweise. Unter ihnen bemühte sich namentlich
Plutarch um die Ausbildung der Dämonenlehre *), indem
er die Nachweisimg einer Dämonen weit, welche zwischen
Göttern und Menschen stehe und beide miteinander ver-
mittele, als das bedeutendste Ergebniss der philosophischen
Forschung ansah. Doch war der Neu-Pythagoräismus nur
der Vorläufer einer anderen Erscheinung, mit welcher die
Entwicklung des philosophischen Geistes der alten Welt
zu Ende ging. Es war dieses der Neuplatonismus *).
Derselbe war der letzte, wesentlich durch die Geistes-
macht des Christenthums sollizitirte Versuch der antiken
Welt ein philosophisches System zu liefern, welches an-
geblich auf Plato beruhend, alles Sein und Denken in
seiner Einheitlichkeit darstellen und dem menschlichen
Geiste ein allen skeptischen Einwürfen entrücktes Erfassen
der absoluten Wahrheit gewähren sollte. Nicht ausser
sich sondern in sich selbst, nicht durch Vermittlung des
Denkens, sondern durch mystisches, ekstatisches Sich- Ver-
senken in die Tiefen des Absoluten sollte der Mensch
zum unmittelbaren Erfassen und Anschauen des Einen,
allgemeinen Grundes alles Seins gelangen. Von diesem
*) Frud!änder, Darstellungen aus der Sittengesch. Roms (Leipz. 1871),
B. III. S. 431.
*) Vgl. über denselben Ritter, Gesch. der Philosophie, Th. IV. und Zellcr,
die Philosophie der Griechen, Th. III.
Ao1dan>Ueppe, Uezenprozesse. ^
82 Fünftes Kapitel.
Gedanken aus ward das System des Neuplatonismus zuerst
von Plotin (t 270 nach Chr.), dem Schüler des gefeierten
Ammonius Sakkas, aufgeführt, und hernach von Por-
phyrius (t 304 zu Rom), Jamblichus und Anderen
weiter ausgebaut. Aber schon bei Porphyrius zeigte sich
die Hinneigung des neuplatonischen Geistes zu einer aber-
gläubigen, in allerlei Beschwörungen, Exorcismen, Reini-
gungen etc. arbeitenden Theurgie , von welcher späterhin,
namentlich seit dem Auftreten des Proclus, der Neu-
platonismus vollständig beherrscht und absorbirt wnrde.
Porphyr erhob sich bereits zum Vertrauten und Priester
der Gottheit, der aus unmittelbarer Anschauung über die
tiefsten Geheimnisse Aufschluss geben könne, Idassifizirte
die Geister aufs Genaueste, bezeichnete die Erscheinungen
der einzelnen Dämonen nach ihren verschiedenen Merk-
malen und stellte die Theurgie, als Wissenschaft des Ueber-
natürlichen, über die Philosophie und alles übrige mensch-
liche Wissen. Sie ist ihm die Wissenschaft geheimniss-
voller Gebräuche, Worte und Opfer, vermittelst deren die
Götter und Dämonen zur Erscheinung gezwungen werden *).
Angebliche hermetische Schriften, aus denen auch Pytha-
goras und Piaton ihre Weisheit gezogen haben sollen, sind
ihm die Quellen, aus welchen die Rechtfertigung seiner
Schwärmereien fliesst. Die Procedur, welche zur Vereini-
gung mit der (xottheit führen soll ^) , ist später von den
Romandichtern oft kopirt worden. Zuerst Reinigung durch
Besprengung und Räuchern mit geheimnissvollen Kräutern
und Steinen, vermuthlich von narkotischer Wirkung; dann
Beschwörung der oberen und unteren Götter imter furcht-
baren Drohungen; dann die geheimen Zeichen der gött-
lichen Mächte, Charaktere genannt, nach den Vorschriften
*) Das Zwingen der Däinunen unter den Willen des Magiers erscheint
Übrigens schon weit früher, nur weniger im Gewände des Systeme. Bereits
Clemens von Alexandrien sagt : Ma^oi Si r^tT^ a^sßsla; t9j^ o^äv abtiov hirr^
petag Saijxovoi^ afV/oo^iv. oixeTa; «arütoü^ fea'jtol;; xaTai^pi']^avttg , tot»^ x»rr-
va^xotapivo');, ?iO''Ao'); Tat; r::ao'.5at; ittTCotYjXovt^. Admonit. ad gentes, piig. 3*^
od. Svib.
') Lobffk Aglaopham. p, 104 ff.
Die Etruskcr und RAmer. g^
der Kunst angewendet; auch das geweihte, Rad oder der
Zauberhaspel darf nicht fehlen. Nun verfinstert sich der
Himmel, die Erde bebt, feurige Erscheinungen blenden das
Auge der Anwesenden, hüpfen als Lichter umher oder
nehmen Thiergestalt an; endlich lässt sich die donnernde
Götterstimme hören und offenbart das Verborgene. Dieses
nannte man eine Weihung (reXfir?)), und dem so Einge-
weihten versprach man unmittelbaren Verkehr mit dem
Himmel, Freiheit von allen Schwächen und Widrigkeiten
dieses Lebens, ja selbst die leibliche Unsterblichkeit. Der
Abkürzung und Bequemlichkeit halber liess man auch zu-
weilen den Einzuweihenden nicht mit eigenen Augen sehen ;
der Beschwörer übernahm diess Geschäft für ihn und spielte
dann dieselbe Rolle, die der Schauspieldichter oft einem
Wächter anweist, der, von einer Mauerbrüstung herab
hinter die Coulissen schauend, dem Zuhörer einen See-
sturm oder ein Schlachtgetümmel schildern muss. In
diesem Falle hiess der Eingeweihte nicht Autopt, son-
dern Epopt^). Solche Heiligthümer waren es, für welche
der Kaiser Julian sich vom Christenthum lossagen mochte.
Doch wohl ihm, wenn er nur bei diesen stehen geblieben
wäre! Aber wenn wir Cassiodor glauben dürfen, so fand
man nach dem Tode des Kaisers unter seinen Zauber-
geräthen auch ein an den Haaren aufgehängtes Weib, dem
er den Leib geöffnet hatte, um aus der Leber den Erfolg
des persischen Feldzugs zu bestimmen ^).
Die Wirkung, welche der Neuplatonismus im religiösen
Leben und Denken der alten Völker hervorbrachte, war
daher nicht die von demselben angestrebte Neubelebung
des antik-religiösen Geistes, sondern die gänzliche Auf-
lösung des griechisch-römischen religiösen Bewusstseins.
Denn an Stelle der alten Mythologie wurde ein religions-
') Auch Lucian's Pseudomantis unterschied zwischen den mittelbaren
Orakeln und den unmittelbaren ()^pYjo|iot<; aöto'^wvrjt;) , d. h. denjenigen, die
sein weissagendes Schlangenbild mit eigenem Munde zu verkünden schien, indem
ein versteckter Mensch mittelst einer künstlich eingefügten Kranichgurgel durch
den Kopf desselben sprach.
') Cassiodor, Hist. tripart. XI. 48.
g^ Fünftes Kapitel.
philosophisches System substituirt, in welchem wohl von
der absoluten Einheit, von dem Urgründe alles Seins, von
der Urvemunft, und von der in die Einzeldinge hinein-
gebildeten Weltseele, dagegen von den konkreten Ge-
stalten des alten Mythus gar nicht die Rede war. Daher
wurde durch den Neuplatonismus, indem er als Prinzip
seines Systems die monistische Gottesidee geltend machte,
die ganze griechisch-römische Gotterwelt prinzipiell in eine
unter der Gottheit stehende, zwischen Himmel und Erde
schwebende Dämonenwelt umgesetzt. Je weniger aber sich
der Heide von dem abstrakten und leeren Ur-Eins, welches
der Neuplatonismus als Gott bezeichnete, innerlich berührt
fühlen konnte, um so stärker musste in ihm das Gefühl
der Abhängigkeit von der ihn überall umgebenden, xui-
heimlichen Dämonenwelt erregt werden. Eine ganz neue
Steigerung der Furcht vor den Dämonen war daher die
wesentlichste Wirkung, welche der Neuplatonismus im
religiösen Leben der alten Völker hervorbrachte. Wusste
man doch, däss es aller Orten Zauberer gab, die mit den
Dämonen im Bunde standen und welche mit deren Hilfe
Krankheiten und Plagen aller Art über den Menschen
bringen, seinen Geist mit trügerischen Bildern verwirren,
vor Gericht seine Zunge und in der Rennbahn seine Pferde
lähmen, ihn in ein Thier verwandeln, welche mit Sturm,
(Jewitter und Hagel seine Felder verwüsten und ganze
Städte und Lande mit der Pest heimsuchen konnten ! Die
dsuTidamovla — die Dämonenangst oder der Angstglaube —
die uns Plutarch geschildert hat, erfüllte die ganze griechisch-
römische Welt, soweit sie nicht in den bodenlosesten Ni-
hilismus gefallen war. Das griechisch-römische Heiden-
thum war zum reinsten Dämonismus geworden *). AUer-
') Vgl. die Nachweisungen bei ßuchmann, die unfreie und die freie Kirche,
lireslau 1875, S. 230 ff., insbesondere aber die Citate aus PluUrch bei
F. G. Weicker, Griech. Gfttterlehre U, S. 141— 142: ..Die Leute (die Jjt^.
oaljxove;) beten Gotterbildchen von Stein, Erz oder Thon an, gehen mit einem
Lurbeerzweig im Munde den Tag herum, nachdem sie sich am Morien mit
i^ewascbcnen Hunden mit Weihwa.sser besprengt haben, reinigen oft das Hau««
)0HHvn sich von Weibern beschwpfeln und mit Wasser aus drei brunnen niil
Die Etrusker und Römer.
85
dings wurde der Glaube an Schutzgötter noch aufrecht
erhalten; allein das geringste Versehen, welches bei dem
Anrufen derselben mitunterlief, bewirkte es, dass nicht sie,
sondern die „Antithei" zur Stelle kamen, „täuschend, be-
trügend, irreführend", wie Arnobius (Adv. gentes, IV.,
cap. 12) sagt, der dieses Vorkommniss als ein nicht sel-
tenes den Heiden zu Gemüthe führt. Vor der Tücke der
Dämonen wusste sich der Heide in keinem Augenblick
mehr sicher. Denn dass auch die draconischen Gesetze
der Kaiser gegen dieselben- keinen Schutz gewähren und
dem Unwesen der Magie kein Ende machen konnten, wusste
man längst. In Furcht und Schrecken erzitterte darum
die ganze antike Welt und Verzweiflung, Furöht und
Schrecken war das Ende, in welches das Leben derselben
auslief.
Salz und Linsen darin begiessen , fragen nach jedem Traum den Traumdeuter,
Montis und Vogelschauer, zu welchem Gölte oder zu welcher Göttin sie beten
sollen, gehen mit der Frau, oder, wenn diese verhindert ist, mit der Amme
und den Kindern monatlich zu den Orpheotelesten, um sich weihen zu lassen.
Wenn dem 8ei3iSac|i.u>y eine Maus den Mehlsack durchbissen hat, fragt er den
Exegetes, und wenn dieser ihm räth, ihn flicken zu lassen, so thut er dieses
nicht einmal, sondern opfert dennoch; bricht ihm beim Anbinden des Schuhes
der Riemen, so erschrickt er, und weiss nicht, was er thun soll. Wenn ihm
das geringste Uebel zustösst, sitzt er hin und klagt, dass er gottvertiasst sei,
gestraft werde, thut nichts gegen den Schaden, damit er nicht gegen die gött-
liche Zuchtruthe sich aufzulehnen scheine, weist jeden Zuspruch zurück („Lasse
mich den Göttern und Dämonen Verhassten Strafe leiden"), setzt sich ausser
dem Hause, einen Sack umgehängt oder mit schmutzigen Lumpen umgürtet,
wälzt sich nackt im Koth und verkündigt dabei gewisse Sünden und Versehen
von sich, als dass er diess oder das gegessen oder getrunken habe oder einen
Weg gegangen sei, den das Dämonion nicht wollte, oder sitzt wenigstens zu
Uause und lässt sich von alten Weibern mit Anhängseln (iiEpid|JL{iaTa) aller
Art versehen. Wenn die Irreligiösen über Feste, Weihungen und Orgiasmen
lachen, so sind jene bleich unter dem Kranz, opfern und fürchten sich, beten
mit bebender Stimme und räuchern mit zitternden Händen. Auch im Schlafe
haben sie keine Ruhe, sondern träumend sind sie so unvernünftig wie im
Wachen, sehen alle Strafen, wie sie am „Orte der Gottlosen" drohen, wenden
sich dann in ihrer Angst an Agyrten und Gaukler, die sich mit Koth be-
schmieren , auf der Erde sitzen , und in das Meer untertauchen lassen ; und
wachend fürchten sie sich vor dem Tode und vor seinem nie endenden
Schrecken."
SECHSTESKAPITEL.
Die alte Kirche.
Inzwischen war bereits in der Geschichte des Men-
schengeschlechts die Wende der Zeiten erfolgt. Von
Morgen her hatten die Völker des römischen Weltreiches
die Botschaft verkündigen hören, dass der ewige Sohn des
Einen allmächtigen und heiligen Gottes, der den Himmel
und die Erde erschaffen, vom Himmel her in die Welt
gekommen sei, dass er die Welt von Sünde und Tod er-
löst, die Macht des Satans und der Hölle gebrochen und
sich hier auf Erden ein Reich gestiftet habe, dessen König
er sei; und mit Staunen hatten Griechen und Römer die
Christen davon reden und rühmen hören, dass ihr gen
Himmel erhöhter Erlöser allewege mit seiner Gotteskraft
bei ihnen sei und ihnen über alle Teufel und Dämonen
Gewalt gegeben habe, so dass sie als Genossen des neuen
Gottesreiches gegen alle Anläufe der Höllengeister für die
Ewigkeit gesichert wären.
Es war dieses eine Sprache, wie sie die Welt noch
nie gehört hatte. Seit Jahrtausenden hatten die Völker
des Erdkreises in grausiger Furcht vor den unsichtbaren
Mächten des Dämonenreiches erzittert; und zum ersten
Male hörte man es verkünden, dass alle Furcht vor Teufeln
und Dämonen eitel Thorheit sei, indem es Einen Namen
— den herrlichen Namen Jesu Christi — gebe, vor dem
Die alte Kirche. gy
alle Bosheit der Dämonen zu Schanden werde, und Ein
Reich — das Reich Gottes, die Kirche Jesu Christi — das
allen seinen Angehörigen einen unbesiegbaren Schutz gegen
die geheime Tücke der bösen Geister, ja sogar eine un-
überwindliche Gewalt über sie gebe.
Der Eintritt des Christenthums in die Geschichte der
Menschheit war daher der Anbeginn einer völlig verän-
derten Stellung derselben zu dem Jahrtausende alten Dä-
monenglauben.
Allerdings wurde die Dämonenlehre an sich von
den Christen unverändert festgehalten; sie nahm sogar
unter denselben eine noch erweiterte Gestalt an, indem
von ihnen der gesammte heidnische Götterglaube, das
ganze Heidenthum unter dem Gesichtspunkt des Dämonis-
mus aufgefcisst wurde; aber soweit die Herrschaft des
Kreuzes vordrang, soweit war auch die Furcht vor dem
Teufel und seinen Dämonen aus der Welt verschwunden,
und von dem Fluche des Dämonismus war die Christen-
heit erlöst^).
Der Erlöser hatte der Welt in seinem Evangelium
eine Kraft Gottes gegeben, welche die Menschheit in alle
Wahrheit führen sollte; aber die Menschheit selbst sollte
mit dieser Gotteskraft sich von der Macht des Wahnes
und der Lüge frei machen. Darum hatte der Erlöser über
den Dämonenglauben, der die Welt beherrschte, Beleh-
ruiig'©^ g3,r nicht gegeben; er hatte vielmehr zu seiner
Zeit in der Sprache der Zeit geredet — damit sie seine
Worte fassen könnte. Daher begreift es sich, dass die
Kirche der ersten Jahrhunderte den bestehenden Dämonen-
glauben nicht nur festhielt, sondern ihn sogar in neuer
Weise zu begründen suchte.
Fassen wir nämlich zunächst die drei ersten Jahr-
*) Graf Champagny sagt in der Schrift Les Antonius, Par. 1866, T. II.
S. 340 sehr richtig: La vie chr6tienne ^tait une vie dure, mais c'^tait une
vic libre. — Le paTen avait et^ l'esclave du dömon sous la forme d'idöles,
d*oracles, de divination, de sortil^ges, d'astrologie; le demon gouvernait toutes
ces imes, y compris les plus hautes, les plus orgueilleuses, Celles m£me des
athee«.
88 Sechstes Kapitel.
hunderte der Kirche ins Auge, so finden wir, dass alle
Kirchenväter, welche den Ursprung der Dämonen berühren
— Justinus Martyr*), Athenagoras*), Tatian'),
Minucius Felix*), Tertullian*), Irmäus®) — an die
jüdische Theologie jener Zeit sich anschliessend, als bib-
lische Grundlage der kirchlichen Dämonenlehre die Schrift-
stelle Gen. 6, i — 4 betrachten. Dieselbe lautet: „Und es
geschah, als die Menschen begannen sich zu mehren auf
Erden imd ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die
Söhne Gottes die Töchter der Menschen, dass sie schön
waren, und nahmen sich Weiber von Allen, die ihnen ge-
fielen. — Zur selbigen Zeit waren Riesen auf der Erde;
und auch nachdem die Söhne Gottes den Töchtern der
Menschen beigewohnt, so gebaren sie ihnen (Söhne); das
sind die Helden, die von Alters her Männer von Ruhm
gewesen." Nach allgemein herrschender Ansicht waren
nämlich die „Söhne Gottes" Engel, welche sich mit Töch-
tern der Menschen vermischt hatten, welche dadurch ge-
fallen und von Gott Verstössen und zu Dämonen geworden
waren und Dämonen erzeugt hatten. Das Alles sollte auf
Anstiften des Teufels geschehen sein, der seitdem (mit
göttlicher Zulassung) das Haupt eines grossen Dämonen-
reiches geworden war. — Von der erwähnten Schriftstelle
ausgehend entwickelten nun die Väter der drei ersten
Jahrhunderte eine Dämonenlehre, deren Hauptgedanken
folgende sind:
Die Dämonen wohnen (nach Origenes u. A.) im
dichteren Dxmstkreise der Erde. Da sie Leiber besitzen,
so bedürfen sie auch der Nahrung, die sie aus dem Qualm
der heidnischen Opfer einsaugen ^. Ihre Körperlichkeit
ist aber unvergleichlich feiner und dünner als die der
*) Apol. IL c. 5.
*) Oratio ad Graec. c. 12.
*) Octavius, c. 26 u. 27.
^) de idoL c. 8 u. 9 und an anderen Stellen.
•j Adversus heureses, L. IV, c. 16, 21.
^) Orig. c. Cehum V. 579. Minuc. Fei., Octav. c. 27. Tertull. Apolog. c. 22,
Die alte Kirche. 3q
Menschen, wodurch es ihnen möglich wird, in den Geist
wie in den Leib des Menschen einzudringen. Nach Tatian
sind die Dämonenleiber luft- und feuerartig ^). Nach Ter-
tullian ist der Dämon, wie jeder Geist gewissermsissen
ein Vogel xmd mit einer solchen Schnelligkeit der Bewe-
g^Mig begabt, dass er in jedem Momente an jedwedem
Orte sein kann. Diese gar nicht vorstellbare Schnelligkeit
in der Bewegung der Dämonen ist auch eine der Ursachen
gewesen, wesshalb die Völker ihnen den Charakter der
Göttlichkeit beilegten^).
An Macht und Wissen sind die Dämonen den Men-
schen unendlich überlegen, woraus Tatian folgert, dass
sie nicht (wie Joseph us annahm) für Seelen verstorbener
böser Menschen zu halten wären ^). Origenes meint (im
Commentar zur Genes.), die Dämonen wüssten vieles Zu-
künftige aus der Bewegung der Gestirne; Tertullian
nimmt an (Apolog. c. 22)y dass sie ihr ausserordentliches
Wissen de incolatu aeris et de vicinia siderum et de com-
mercio nubium hätten.
Die Wirksamkeit der Dämonen wird von Tertullian
am concisesten so bezeichnet, dass er sagt (Apolog. c. 22):
i) Operatio eorum est hominis eversio und 2) aemulantur
divinitatem, — namentlich dem furantur divinationem (in
oraculio).
In letzterer Beziehung steht es für alle Kirchenlehrer
der drei ersten Jahrhimderte ganz unzweifelhaft fest, dass
die Götter der Griechen und Römer nichts anderes als
Dämonen waren, dass sie es gewesen sind, welche als ver-
meintliche Gottheiten sich mit Weibern vermischt haben,
dass die Namen der heidnischen Götter dieselben Namen
sind, welche sie sich selbst beigelegt haben und dass sie
') Orat. ad Graec, 154.
^ Tertull. Apolog. c. 22: Suppetit illis ad utramque substantiam hominis
laedendam subtilitas et tenuitas sua multum. — Omnis spirikts ales est;
hoc angeli et daemones. Igitur momento ubique sunt. Totus orbis
Ulis locus unus est. Quid ubique geratur, tarn facile sciunt, quam ennuciant.
Velocitas divinitas creditur, quia substantia ignoratur.
•) Orat. ad Graec. 154.
QO Sechstes Kapitel.
daher als die eigentlichen Urheber des Heidenthums mit
seiner Mythologie und seinem Kultus gelten müssen*). Die
Dämonen sind es gewesen, welche zur Begründung des ab-
göttischen Glaubens an ihre vermeintliche Gottheit schein-
bare Wunder thaten, welche ihre Stimme aus den Orakeln
ertönen Hessen, welche bei den AugTirien in Vogel und
andere Thiere eindrangen, welche in den Tempelstatuen
sich verstritten und sich daselbst einen Kultus darbringen
Hessen, und welche die Menschen zur Astrologie und Magie
verführten *).
Der Teufel und dessen Dämonen sind unablässig be-
müht, ihr Reich zu erweitem, indem sie die ihnen zugäng-
lichen Menschen in ihre eigene Gottlosigkeit imd Ver-
dammniss zu verstricken suchen*). Doch ist ihnen dieses
nur bei Denjenigen möglich, welche gottlos leben und um
ihr Seelenheil imbekümmert sind, die sie daher namentHch
durch Träume und Trugbilder zu bethoren und an sich zu
locken suchen. Insbesondere sind sie bestrebt, durch ihre
Eingebungen die Menschen vom Lesen solcher Bücher
^) Die diessbezQglichen ältesten patristischen Zeugnisse liegen in yustm's
Apologia I. vor. In derselben heisst es : c. 5, dass die Menschen Sht Oüvr^
:caofiivoi xal pL"}] sniOT «{levoi $ai[j.ova( elvai ^txuXoo^, dtoi>c ]ip03a>>
p.6^aCov, xal ovopiati ixaoTov, icpoGT|Y6peoov, 6nep ixaoto^ ^aüTiji tüiv $atp,6va>y
ett^to. — In c. 21 spricht Justin von den Unsittlichkeiten des mythologischen
Zeus und anderer Götter mit dem Bemerken, dass eine reine Seele so etwa.s
von göttlichen Wesen gar nicht denken könne, und ßlhrt dann fort: aXX% u»^
Kpot^Yjjj.ev, ot ^aöXot ^atjjLOVc^ laöta eicpa^av, (nämlich das, was von Zeus etc.
<*rzählt wird). — Ebenso in der Apologia II, c. 5: notY|tat xal jj.od«X6yot,
flif V00ÖVT6«;, too^ aYY^Xotx; xal xoö^ l^ah'zGiy ^tvrT[^iyx''i.^ ^aipiova; Taöta icpa^ot
— Susp 3üviYP»a'{^av, i\^ a?»TÖv t6v O'eiv xal T0Ö5 ü»? an' a(>xoö aicop^ f*^^*
{levoof üloü< xal twv Xs^O'^vrcttv sxeivoo &$eX(piuv xal Trxvuiv 6^oiu>c tutv itiC
sxeivuiv, in 03610(1) vo^ xal flXootcuvo^, ävYivr^xav. 'Ovojjiatt f ftp ixaotov, 8mp
e;ca3T0( eaatm xu»v dtYf^Xaiv xal tot? xixvotg i^sto, icpoOTjoptosuv. — Ebenso
sprechen sich die anderen Kirchenlehrer aus: Barnabas in seiner epist. 16, ift,
Tatian, c. 12, Athenagoras , Legatio, c. 26, Minuc, FeU, Octav. c. 27, l»
Origenes, contra Celsum III. 28. 37 flf.
') Justtnus, Apol. l. c. 26 u. 26. Athenag, Legatio 29«. Clemtns AUx^
Cohort. ad gente!>, 52, Origenes, Homil. 16 in Ezech. und c. Celsum an xahl-
reichen Stellen, Tertull, Apolog. c. 23. Clement, Strom, l, 17 u. s. w,
') Cyprian, de varitate idol., 13 und Justin, Apol. I. c. 13.
Die alte Kirche. gi
abzuhalten, welche die göttliche Wahrheit enthalten und
welche zu deren Vertheidigung verfasst sind ^).
Die Christen freilich sind gegen die Anläufe des Sa-
tans und der Dämonen ein für allemal sicher gestellt. Vor
ihnen müssen. dieselben weichen, aber gerade darum ist
die Bosheit des Dämonenreiches vor Allem gegen die
Christen und gegen die Kirche gerichtet, die sie fort-
während in allerlei Weise zu schädigen und zu verderben
suchen, vor Allem dadurch, dass sie die Heiden mit einem
teuflischen Hasse gegen die Christen erfüllen und in allen
Landen Christenverfolgungen veranlassen, sowie auch da-
durch, dass sie in der Kirche Streitigkeiten, Spaltungen
imd Ketzereien hervorrufen*). Ausserdem aber sind die
Dämonen, weil sie Feinde Gottes sind, auch Feinde des
Menschengeschlechts überhaupt, wesshalb sie den einzelnen
Menschen unablässig auflauern und sie auf allen nur er-
denkbaren Wegen zu schädigen und zu verderben suchen.
Ihre Wirksamkeit üben sie in allen Unheil bringenden
Naturphänomenen aus, sie verursachen Misswachs, Dürre,
Pest und andere Krankheit, dringen in reissende Thiere
ein, durch welche sie Schaden stiften, während sie die dem
Menschen nützlichen Thiere zu Grunde richten, und schlei-
chen selbst in die Gedanken des Menschen ein, um diese
zu verwirren, von Gott abzulenken und daraus für den von
ihnen angefallenen Menschen wie für Andere Unheil an-
zurichten ^). Um ihre heillosen Anschläge zur Ausführung
zu bringen, theilen sie ihre geheimen Kenntnisse nament-
lich gottlosen Weibern gern mit*).
Dieses war die Dämonenlehre der drei ersten Jahr-
hunderte der Kirche, die nach Lage der Dinge nothwendig
eben in der vorliegenden Gestalt sich darstellen musste.
') Justin, Apol. I, c. 12 u. 13.
*) Justin, Apol. I. c. 5. 11, 9. 26. Minuc, Felix, Octav 1. Origenes
Exhort. ad martyres 18, 32. 42. Clemens Alex, Strom. II. 489. Cyprian{i^^
unitate eccles. 105) erklärt den Teufel geradezu für den Urheber aller Ketzereien
und Schismen.
*) Origenes c. Cels. 8. 31 u. 32. Tertullian, Apolog. c. 22.
*) Cleuuns Akx., Strom. 5, 650.
Q2 Sechstes Kapitel,
Es war der alte Dämonenglaube, wie er die jüdische und
die heidnische Welt beherrschte, nur an eine Erzählung*
der h. Schrift angeknüpft und nach Massgabe der Stellung,
die das Christenthum zum Heidenthum einnahm, erweitert
und modifizirt. Das wesentlich Neue, was das Evangelium
zur überlieferten Dämonenlehre hinzugebracht hatte, lag
in dem durch dasselbe erweckten Bewusstsein der Sicher-
heit, welche der Christ gegenüber dem Teufel imd den
Dämonen habe.
In einer der allerältesten Urkunden der Kirche, in
dem (nach den neuesten Untersuchungen) zwischen den
Jahren 140 und 145 geschriebenen^) „Hirten" des Hermas
wird es wiederholt und nachdrücklichst verkündet, dass
dem Teufel über den Christen keine Gewalt zustehe, dass
dieser vielmehr alle Anschläge des Teufels zu Nichte
machen könne, wesshalb den Gläubigen wiederholt geboten
wird, sich aller Furcht vor dem Teufel zu entschlagen,
und denselben als einen todten Feind zu verachten*).
Alle Glieder der Kirche waren daher von dem Be-
wusstsein erfüllt, dass der Teufel und dessen Dämonen vor
ihnen fliehen müssten, dass sie dieselben aus den Besessenen
vertreiben, dass sie mit Anrufung des Namens Jesu Christi
allen Dämonen- und Teufelsspuk zu nichte machen \md
die Dämonen, welche von den Heiden für Götter gehalten
würden, zwingen könnten sich selbst als Dämonen zu be-
kennen *).
^) Vgl. die khuslsche Ausgabe der Patrum apostolicorum opera von Geb-
hardt, Ilarnack u. Zahn, B. III. S. LXXXII.
') Es heisst hier mand. VIU. 8: Töv ^idßoXov \i.y\ foßirjd^c* foßooiuvo^
'(cip tov xüpiov, xataxüpisuocif to& BiaßoXou, hxi Sapiapiif 6va&tij> o5x fativ; —
fj o£|i*rj t)^aiv $uvoip.'.v ütc^ Kdvtwv xaxa^povsttau — Mand. XII. 4: M*}j ^opYp
ftnrjTS tiv SidßoXov, 6xt tva'jTtj» Suvapii^ oüx eaxiv Xad-* 6^<»v. — *() Sm^oXo^
jiovov (poßov r/ei. M*/] ?poß-f|frTjTe oov aaxov xtt ^ ea^ttai äf* öpiutv. — XII. 6 ;
Myj 'foßvjdirjXK x6v otaßoXov. — "Oxt iav tTc'.oxpa^-ijxe npö^ töv xuptov ij BXi^^
xr,; xap»oia; u|jLttiVy — — «{exe Suva^iv xoo xaxaxopieoaai täv Ipfütv to5 ita-
ßo/.o'j. TyjV ^e oi7retXr|V xoo StaßoXou oXiuc jit^ ^o^rj^^^xt' äxovo^y^P *'ttv
uj3nep vtxpou veüpoi.
•) Vgl. «. B. 7«//. Apol. I. 30. 61. Apol, IL 30. 86. 121. Ttriuliiam,
Apolog. c. 33t Jrenäus, II. c. $2. 4I.
Die alte Kirche. n^
Ganz dieselbe Dämonenlehre, welche wir in den drei ersten
Jahrhunderten der Kirche von den Lehrern derselben ent-
wickelt sehen, finden wir nun auch in den nächstfolgenden
Jahrhunderten von den Kirchenvätern vertreten. Lac-
tanz z. B. , der als kaiserlicher Prinzenerzieher zu Nico-
medien lebte und i. J. 330 starb, spricht sich so aus^):
„Als sich die Zahl der Menschen gemehrt hatte, schickte
Gott, damit sie nicht dem Trug des Teufels (dem er von
Anfang an über die Erde Gewalt gegeben hatte,) erliegen
mochten, zu ihrem Schutze Engel auf die Erde. Diese
Engel aber erlagen im Verkehr mit den Töchtern der
Menschen selbst, indem sie sich mit denselben vermischten
und Söhne erzeugten. In Folge dessen wurden die ge-
fallenen Engel, aus dem Himmel Verstössen, zu Dämonen
des Teufels. Die von ihnen erzeugte Brut war nun eine
zweite Art von Dämonen, unsaubere Geister, vom Volke
malefici genannt, welche ebenfalls dem Teufel angehörten.
Das ganze Streben dieser Dämonen und unsauberen Geister
geht dahin, Gottes Reich zu zerstören und die Menschen
zu schädigen. Zu diesem Zwecke haben sie durch schein-
bare Wunder und Orakel den Völkern den Wahn bei-
gebracht, dass sie Götter wären und haben das Heiden-
thum mit seiner Mjrtholog^e und seinem Kultus geschaffen.
Auch sind sie die Urheber der Magie, Necromantik, Haru-
spizin, der Auguralkunst und Astrologie. Ausserdem
richten sie in allerlei Weise Verderben an. Doch braucht
der Christ ihre Tücke nicht zu fürchten, indem vielmehr
der Teufel und dessen Dämonen vor dem Christen fort-
während in Furcht sein müssen ^). Denn der Christ kann
*) In dem Divinarum instilutionum LL. VII., und zwar namentlich in
L. n. c. M — c. 18 u. IV.. c. 26—27.
') Lactanz sagt Lib. IL c. 15: Nocent illi quidem , sed iis, a quibus
timentur, quos manus Dei potens et excelsa non protegit, qui profan! sunt
a sacramento veritatis. Justos autem, i. e. cultores Dei metuunt, cuius
nomine adiurati de corporibus excedunt, quorum verbis taDcjuam flagris ver-
b«rati non modo daemonas esse se confitentur, sed ctiam nomina
sua edunt, illa, quae in tcmplis adorantur, — quia nee Deo, per
quem adiurantur, nee iustis, quorum voce torquentur, mentiri possunt. Itaque
Q^ Sechstes Kapitel.
sie nicht allein überall austreiben, sondern er kann sie
auch zwingen, ihre Namen zu nennen und zu gestehen,
dass sie (als Jupiter, Juno, Merkur etc.) gar keine Gotter
sind, obschon sie in Tempeln verehrt werden" ^).
In derselben Weise und in demselben Sinne reden
auch die übrigen Kirchenlehrer des vierten Jahrhunderts
über die Dämonen. Alle erkennen in ihnen die Ange-
hörigen des Satans, die Anstifter und Urheber des Heiden-
thums, dessen Gottheiten nichts anderes als Dämonen
waren und die geheimen Peiniger der Menschheit; alle
aber erkennen auch an, dass der Christ über das Reich
des Satans Gewalt hat, dass er von den Dämonen ge-
furchtet, gemieden und vertrieben wird, und dass das
Zeichen des Kreuzes und der Name Christi ein ganz sicheres
Mittel zur Bewältigimg der Dämonen und zur Durch-
kreuzung ihrer Anschläge ist 2). Namentlich wurde von
maximis saepe ululatibus editis verberari sc et ardere et iam iamque exire
prociainant. Tantum habet Dei cognitio ac iustitia potestatis! Cui ergo no-
cere possunt nisi iis, quos habent in sua potestate?
') Der Gedanke, dass die angeblichen G5tter der Heiden nichts anderes
als Dämonen sind , wird von Lactanz zum Oefteren hervorgehoben , z. B.
Lib. IV. c. 27: Uli enim nequissimi spiritus, ubi adiurantur, ibi se dae-
monas confitentur, ubi coluntur, ibi se Deos mentiuntur, ut crrores
liominibus inimittant et avocenta veri Dei notione, per quam solam potest
mors aeterna vitari. lidem sunt qui deiiciendi hominis caussa varios
sibi cultus perversa religione condiderunt, mentitis tamen assurop-
tisque nominibus, ut fallerent. Nam quia divinitatem per se ipsos aflectare
non poterant, adsciverunt sibi nomina potentium regum , subquorum titulb
honores sibi Deorum vindicarent.
•) Der „Vater der Orthodoxie" Atkanasius (f 373) z. B. sagt in der
Schrift de incarnatione verbi Dei (Basel. 1604, S. 42) : Quid quod et ad eam
impietatem devenerint, ut etiam daemones coluerint eosque Deos appellarint,
eorum libidinibus omnibus modis inservientes ? Brutorum enim et hominum
mactationibus. prout congruum erat, daemonibus sacra obierunt, in dies roaf^
ac magis eorum furiosis stimulis sese abnoxios reddentes Quoctrca et artes
magicae apud illos professores erant, hariolique omnibus in locis exeriebant. —
In kürzester Form stelh der Patriarch von Alcxandrien, Cyrillus (f 444) die
wesentlichsten Satze der altkirchlichen Dämonenlehre in der Schrift contra
Julianum Lib. VI. (Paiis, 1572, S. 608) so zusammen: Nihil auteni animi
nobis est erga factitios Deos. Nam quamvis oh'm conspicui fuerint in chons
sanctorum angelorum, mali facti sunt et apostatae et principatu suo non ser>
Die alte Kirche.
95
Allen anerkannt, dass schon in unzähligen Fällen die Haru-
spicien und andere Opferhandlungen der Heiden durch die
Anwesenheit von Christen oder durch den Gebrauch des
Kreuzeszeichens vollständig zu nichte gemacht worden
wären ^).
Unter den Kirchenlehrern des nächstfolgenden Jahr-
hunderts begnügen wir uns damit allein Denjenigen her-
vorzuheben, der unter den grossen Vätern der vormittel-
alterlichen Kirche des Abendlandes unbestritten als der
grosseste dasteht, nämlich den Bischof von Hippo-Reg^us,
Aurelius Augustinus (t 430), indem derselbe wie kein
anderer auf die Entwicklung der Theologie in den nach-
folgenden Zeiten eingewirkt hat. Auch in ihm sehen wir
einen klcissischen Zeugen der Thatsache, dass in der Kirche
des vierten und fünften Jahrhunderts eine Dämonenlehre
bestand, welche nichts anderes als die kirchliche Umge-
staltimg heidnischen Glaubens und Aberglaubens war und
welche diesen in die mittelalterliche Welt hinein fort-
pflanzte.
Nach Augustin bestehen vom Anbeginne der Welt
zwei von Gott prädestinirte und durch die Geschichte hin-
durch sich verwirklichende Reiche, die civitas Dei,
welche alle guten Menschen und Engel, und die civitas
Diaboli, welche das gesammte Dämonenreich umfasst.
Zu der letzteren gehorte auch die civitas terrena Roms
mit dem in ihr herrschenden Kultus der Dämonen. Dieses
Dämonenreich, diese civitas Diaboli besteht noch jetzt;
aber die Kirche ist ihre Besiegerin^). — Die Dämonen
sind ihrer Natur nach Wesen, die einen Luftkörper (corpus
vato exciderunt quidam, nc sint ultra cum Deo, et prorsus alieni facti sunt a
famUiaritate illius, seduxerunt niunduin, terruerunt homines et in barathra in-
scitiae illos imniiserunt; et abstraiientes a melioribus peiora adornarunt sequc
omnis malitiae amatores declaraverunt ; persuaserunt autem non soluni ipsos
adorari scd etiam ipsae clementa mundi et brutorum aninialium siniulacra,
volatniumque et marinorum.
') Ueber derartige, aligemein geglaubte Vorkommnisse berichten Eusebitts,
Histor. eccles. Vll. 17 und Lactanz, Instit. IV, 27.
*) Vgl, A. Dorner, Augustinus, sein theologisches System und seine
rcÜRionsphilosophKche Anschauung (Berl. 1873) S.S. 97, 299 ff., 313.
g6 Sechstes Kapitel.
aerium) besitzen, wesshalb sie mit einer gar nicht vorstell-
baren Sinnesschärfe (acrimonia sensus) und Schnelligkeit
der Bewegung (celeritas motus) ausgestattet sind. Hierzu
kommt, dass sie bei der langen Dauer ihres Lebens eine
Erfahrung gewonnen haben, zu welcher der Mensch in
seinem so kurzen Leben niemals gelangen kann. Diese
natura aerii corporis macht es nun den Dämonen möglich,
Künftiges vorhersagen und Wunderbares thun zu können
(non solum multa futura praedicunt Daemones, verum etiam
multa mira faciunt). Indem daher die Menschen in den
Dämonen ein übermenschliches Vermögen wahrnahmen,
so haben sie dieselben für Götter gehalten und ihnen einen
Kultus dargebracht ^). Dieser Kultus ist das Heidenthum.
— Die Dämonen besitzen namentlich das Vermögen (po-
testatem accipiunt) Krankheiten zu verursachen, die Luft
zu verpesten und die Gottlosen zu Maieficien (malefacta)
anzuregen. Das Letztere thun sie so, dass sie in die ihnen
infolge ihrer Gottlosigkeit zugänglichen Menschen, sowohl
im wachenden als im schlafenden Zustand eindringen (was
ihnen durch die subtilitas ihrer Luftkörper ermöglicht wird),
ohne dass die Betreffenden es merken, — wobei sie ihre
Gedanken in die der Menschen einmischen^).
Dieses sind die Grundgedanken der Dämonenlehre
Augustins, mittelst deren derselbe sich mit der ganzen
Vorstellungswelt des Heidenthums so abfindet, dass ihm
die heidnische Mythologie nicht auf Imagination, sondern
auf Wirklichkeit und Thatsächlichkeit beruhend erscheint.
Die diomedeischen Vögel sind seiner Meinung nach so
entstanden, dass die Dämonen die Menschen bei Seite
schaffen und aus fernen Landen die Vögel an deren Stelle
brachten. Wenn nun diese Vögel, von den Dämonen dazu
erregt, in ihren Schnäbeln, wie man sage, Wasser in den
Tempel trügen, den Griechen schmeichelten, Fremde da-
gegen misshandelten, so sei das gar nicht zu verwimdem.
') De (livinatione daemonum, cap. 3.
■') Ebcndius. cap. 5. — In einem Hriefi* an Rebridius sucht Au);ustin nach-
/uwfiseo, wie es den Düinonen möglich ist. in dem schlafenden Men^^chen hp>
stimmte IVrtume und Gedanken hervorzurufen.
Die alte Kirche. n»?
da es das Interesse der Dämonen mit sich bringe die
Welt zu überreden, dass Diomedes ein Gott geworden
sei, damit dieselbe nicht aufhöre, falschen Göttern zu dienen^).
Das ewige Licht in dem Venustempel, dem kein Unwetter
etwas anhaben konnte, erkläre sich so, dass ein Dämon
unter dem Namen Venus entweder den Eindruck eines
brennenden Lichtes hervorbringe oder das Brennen be-
wirke 2), Was von der Circe erzählt werde, das sei zwar
an sich unglaublich; allein es gebe noch jetzt glaubhafte
Leute genug, welche Derartiges in zuverlässigster Weise
von Anderen als deren Erlebniss hätten berichten hören,
oder die Aehnliches selbst erlebt hätten. Während seines
Aufenthaltes in Italien will Augustin erfahren haben, dass
es daselbst Gastwirthinnen gegeben habe, welche sich auf
die Kunst verstanden, die bei ihnen einkehrenden Reisen-
den mittelst Käse, den sie ihnen zu essen gaben, ganz
nach Belieben und Bedarf in Zugthiere und diese nach
Erledigung der ihnen auferlegten Arbeit wiederum in Men-
schen zu verwandeln*). Daher war Augustin mit dem
Gedanken der Thierverwandlung ganz vertraut.
Augfustin warnt nun allerdings nachdrücklichst vor
allem Zauberwerk, weil die Magie nur mit Hilfe der Dä-
monen ausgeübt werden könne; er geisselt den Aber-
glauben, die Heilungen durch Sprüche und Charaktere,
den Gebrauch von Amuleten, die Stellung des Horoskops
u. dgl. m. Aber die Möglichkeit und Wirklichkeit der
Magie erkennt er an. Mit Hilfe der Dämonen können die
Gottlösen zukünftige Dinge vorhersagen und verderbliche,
den Menschen sonst unmögliche Malefizien ausüben; mit
Hilfe der Dämonen können die Gottlosen Andere nament-
lich auch durch den bösen Blick schädigen*), Erntefelder
') De civiUte Dei, XVlll, 18.
*) Ebendas« XXI, 6.
») Ebendas. XVIII. 17.
*) De doctrina Christ. II. lo ff. — Confes. I. 7.
Soldan-Heppe, Hexeoprozesse.
gS Sechstes Kapitel.
ZU ihrem Vortheil versetzen^), Hagel und böse Wetter
machen u. s. w. Namentlich erkennt er auch an, dass
Dämonen, in denen er die Silvani und Fauni der Heiden
wiederfindet, als incubi mit Frauen Unzucht treiben können*).
Dabei aber kennt Augustin auch sehr wohl den Trost, den
der Christ gegenüber dem Treiben der Dämonen aus dem
Evangelium gewinnt. In seiner Schrift de civitate Dei
ruft er daher (XVIII. i8) den Gläubigen zu: „Je grösser
die Gewalt über die irdische Welt ist, die wir den Dä-
monen verliehen sehen, um so fester lasst uns an dem Er-
löser halten, durch den wir uns aus dieser Tiefe nach Oben
hin erheben sollen." —
Indem ntm diese Dämonenlehre zur Zeit kirchlich an-
erkanntes Dogma war, so musste die Stellung der ersten
christlichen Kaiser zum Dämonismus, zur Zauberei
u. s. w. tiothwendig die sein, welche wir in den Gesetzen
derselben ausgesprochen fanden. Für sie war die Auf-
fassung der Götter des alten Heidenthums als böser Da«»
monen gegeben. Dazu kam, dass viele geheime Anhänger,
die das Heidenthum namentlich in den Volksmassen hatte,
jetzt nach der Unterdrückung des bisherigen heidnischen
Kultus gerade in dem Gebrauche der Zauberei ihre heid-
nische Religiosität ausübten und befriedigten*). Daher
begreift sich die enorme Strenge und Härte, mit welcher
die christlichen Kaiser gegen die Zauberei als heidnisches
Teufelswerk einschritten. Constantin befahl, dass jeder
*) Augustin zieht (Civ. Dei. Vlll. 19) den Vers an :
Atque satas alio vidi traducere messes,
indem er sich auch fQr die Wirklichkeit dieses Maleßzium auf Augenzeugen
beruft,
') Quoniam fama est roultique se expertos vel ab iis qui experti essent.
dequorum fide dubitandumnonest, audisse confirinant , Sil-
vanos et Faunos, quos vulgo incubos vocant, improbos saepe exti-
tisse mulieribus et earum appetiisse et peregisse concubitum et quosdam daemo-
nes quos Dusios Galli nuncupant, hanc assidue immunditiam et tentare et
efRcere , plures talesque assevcrant , ut hoc negare impudeiitiae
videatur.
') Eusebi$is (Vita Const. Lib. I. c. 16) zählt die Untersuchung der Wahr-
sagerei zu den gegen das Heidenthum gerichteten Massnahmen Constantins.
Die alte Kirche.
99
Haruspex, der sich in das Haus eines Bürgers rufen lasse,
um Haruspizien anzustellen, lebendig verbrannt, das Eigen-
thum des Bürgers confiszirt, die Denuncianten aber belohnt
werden sollten *). Doch beschränkte ein zwei Jahre später
erlassenes milderes Gesetz diese harte Strafe auf Die-
jenigen, welche durch magische Künste der Gesundheit
Anderer zu schaden oder in unschuldigen Gemüthern
Wollust zu erwecken suchten. Dagegen sollte der Gebrauch
magischer Mittel, welche Heilung von Krankheit oder den
Schutz der Fluren gegen Wind und Wetter bezwecken,
als straflos gelten*).
Dieses Schwanken Constantins erklärt sich aus seiner
inneren Stellung zum Christenthum, dem er sich in Wahr-
heit doch fremd fühlte. Anders aber war es bei Con-
stantius, der mit der Magie und dadurch mit dem Heiden-
thum gründlichst aufräumen wollte. In einem der Gesetze,
welche er desfalls erliess, klagt er, dass viele Magier vor-
handen wären, welche mit Hilfe der Dämonen Stürme er-
regten und Andere an Leib und Leben schädigten. Die
in Rom eingefangenen Zauberer sollten wilden Thieren
vorgeworfen, die in den Provinzen aufgegriffenen gemar-
tert und ihnen, wenn sie beharrlich leugneten, mit eisernen
Haken das Fleisch von den Knochen gerissen werden.
In diesem Sinne erliess Constantius Gesetze gegen Haru-
spices, Auguren, Chaldäer, Magier, Todtenbeschwörer,
Traimideuter und solche, die gegen die Menschen und die
Elemente freveln. Alles Weissagen ohne Ausnahme wird
verboten, und selbst Personen aus dem Gefolge des Kaisers,
*) Cod. Inst. IX., Tit. 18 de malef, et mathemat. (letztere = Astrologen).
Dabei werden jedoch die öffentlich angestellten Haruspizien nur als veralteter
Aberglaube bezeichnet und nicht bedroht. (Cod. Theod. Lib. IX. Tit. l6. i u. 2.)
*) Eorum est scientia punienda et severissimis raerito legibus vindicanda,
qui magicis acciocti artibus, aut contra salutem hominum moliti, aut pudicos
animos ad libidinem deflexisse detegentur. Nullis ^vero criminationibus impli-
canda sunt remedia humanis quaesita corporibus, aut in agrestibus locis inno-
center adhibita suffragia, ne maturis vindemiis metuerentur imbres, aut ventis
grandinisque lapidatione quaterentur*. quibus non cujusquam salus, aut aesti-
matio laederetur, sed quorum proficerent actus, ne divina munera et labores
horoinum stemcrentur. God, Just, IX. Tit. i8. 4.
IQQ Sechstes Kapitel.
wenn sie betheiligt sind, sollen der Tortur unterworfen
werden *). Die Furcht vor Complotten hatte ihren wesent-
lichen Antheil hieran *). Nach dem kurzen Wiederaufleben
des Heidenthums unter Julian (361 — 368) ehrte Valen-
tin i an I. (364 — 375) die alten Erinnerungen der Nation
und selbst die noch gegenwärtigen Ueberzeugiingen eines
grossen Theils derselben, indem er nach seinem allge-
meinen Toleranz-Edikt noch in einem besonderen Rescripte
erklärte, dass die Kunst der Haruspices an sich mit der
Zauberei keinen Zusammenhang habe und nur dann einer
Strafe unterliege, wenn man sie zum Schaden Anderer
missbrauche. Freilich wurden der uralte Baumkultus*),
nächtliche Opfer imd das mit denselben so oft verbundene
Zauberwesen (magici apparatus) neuerdings verboten*).
Die von Valentinian nachgesehenen Uebungen mussten
aber seit Theodosius (379 — 395) wieder verschwinden.
^) Aus diesen Gesetzen (CoU. Theod. Lib. IX. tit. 16. I. 4. 5. 6.) geht am
klarsten hervor, wie wenig damals im Sprachgebrauche die Bedeutung gewisser
Ausdrücke fixirt war. Es heisst nämlich in denselben : Nemo aruspUtm consulat,
aut mathematicum y nemo ariolum, Augurum et vattim prava confessio con-
ticescat. Chaldaei, ac tnagi ac ceteri , quos 'maleßcos ob fascinorum magnitu-
dinem vulgus appellat, nee ad hanc partem aliquid moliantur. Sileat omnibus
perpetuo divinandi curiositas. Etenim supplicio capitis ferietur gladio ultore
prostratus, quicunque jussis nostris obsequium denegaverit. Coä, yust. IX.
Tit. 18. 5. — Multi magicis artibus usi. elementa turbare, vitam insontium
labefactare non dubitant, et manibus accitis audent ventilare, ut quisque suos
conficiat maus artibus inimicos: hos, quoniam naturae peregrini sunt, feralis
pcstis absumat. Cod. IX. Tit. l8, 6. Weitere Bestimmungen im folgenden
Paragraphen. — Hinsichtlich des Verhältnisses der verschiedenen Namen sagt
Hieronymus Qommtni. in Daniel. II.: Quos nos Ariolos, ceteri «icaot^t»^ inter-
pretati sunt, i. e. incantatores. Ergo videntur mihi incantatores esse, qui verbis
rem peragunt; magi, qui de singulis philosophantur ; malefici, qui sanguinc
utuntur et victimis et saepe coiitingunt corpora mortuomm. Porro in Chal-
daeis YEved-XtaXofö'J^ significari puto, quos vulgus roathematicos vocat; con-
suetudo autem et sermo communis magos pro maleficis accepit, qui aliter
haben tur apud gentem suam, eo quod sint philosophi Chaldaeorum ; et ad
artis hujus seien tiam reges quoque et principes ejusdem gentis oninia faciunc
•) Gothofred, ad Cod. Theodos. lib. IX. tit. 16. 6.
») C, BöttUher, der Baumkultus der Hellenen (Berl. 1856). S. 63».
^) Cod, Thtodos. lib. IX. tit. 16. 7 u. 9. Nee haruspicinani reprehendi-
mus, sed nocenter exerceri vetamus.
Die alte Kirche. lOi
Honorius (395 — 423) behandelte die Sache schon mehr
von dem kirchlichen Standpunkte. Er gebot den soge-
nannten Mathematikern, ihre Bücher vor den Augen der
Bischöfe zu verbrennen und unter Verwerfung ihres Irr-
thums zu den Religionsgebräuchen der katholischen Kirche
sich zu verpflichten; wer sich dessen weigerte, sollte aus
den Städten verwiesen und im Wiederbetretungsfalle de-
portirt werden *). So schwanken die Bestimmungen man-
nichfaltig, und die justinianeische Sammlung enthält noch
kein Gesetz, in welchem sich die den christlichen Kirchen-
lehrern eigenthümliche Ansicht von dem Dämonischen der
Zauberei vollständig ausspräche. Dieses geschieht erst in
einer vom Kaiser Leo dem Philosophen erlassenen Ver-
ordnung (zwischen 887 und 893). Dieselbe hebt in ihrem
Eingange die Inconsequenz des früheren Gesetzes hervor,
das auf Beschädigungen Strafen setze, hingegen den Schutz
der Saaten und Weinberge, Heilungen u. s. w. erlaube.
Man habe die Erfahrung gemacht, dass alle Zauberübungen
(incantamenta, ^tayyavsiai) den Menschen von Gott entfernen
und dem Dienste gräulicher Dämonen zuführen; Schaden
am Seelenheil sei davon unzertrennlich, und es würden
daher alle zauberischen Begehungen ohne Unterschied
verboten. Der Uebertreter dieses Verbotes soll als Apostat
den Tod leiden*).
Unter den Prozessen gegen Zauberer aus der Zeit der
christlichen Kaiser möge hier nur desjenigen gedacht
werden, der zu Antiochia unter den Augen des Kaisers
Valens (364—378) vorging. Auch bei diesem concurrirte
das Majestätsverbrechen. Wegen seiner Ausdehnung, der
Willkürlichkeit und Grausamkeit des Verfahrens, der Hab-
sucht und Arglist der Ankläger und Richter nimmt er
unter allen ähnlichen Ereignissen des Alterthums die erste
*) Coä, jfust. Üb. I. tit. 4. de episcopali audientia. 10.
*) Itnp. Leon. Const. nov. LXV. EI Tic S-rj 8Xü)C xotaÖTa (püDpaö-etf)
jiaYf avfioofjLevo?, ette :cpo^aae'. tyj? toö 0(i)|jtaxo(; O-epaiteta^, stxe äiroxpoTcrj^ xy]^
TÄv xapittfjKfjv ßXdpTj^, x4jv ^oydxYjv eloirpaxx^o^u* irotv^jv , xtjv xäv Äirooxaxdiv
I02 Seclistes Kapitel.
Stelle ein und k^nn als ein würdiges Vorbild der Hexen-
prozesse des siebenzehnten Jahrhunderts gelten.
Mehrere Männer von Bedeutung wurden angeklagt,
durch mantische Künste den Namen desjenigen, der des
Kaisers Nachfolger sein würde, erforscht zu haben. Im
Verhöre gestanden sie, mittelst eines Zauberringes, der über
einem mit dem Alphabet beschriebenen Becken schwebte,
gefunden zu haben, dass ein gewisser Theodorus, ein Jüng-
ling von ausgezeichneten Gaben, dieser Nachfolger sein
werde. Wirklich schien hier, einem von Theodorus ge-
schriebenen Briefe zufolge, eine Verschwörung gegen Va-
lens vorzuliegen, und das ganze Orakel mochte nur vor-
gespiegelt sein, um Anhänger zu gewinnen. Aber das
desshalb eingeleitete Verfahren war durchaus formlos und
gewaltsam. Tausende von Personen wurden auf die nich-
tigsten Judicien hin verhaftet, masslose Folterqualen an-
gewendet*), Schuldige und Unschuldige, zum Theil ange-
sehene Staatsbeamte und Philosophen, unter Einziehung
ihrer Güter als Theilnehmer oder Mitwisser erdrosselt, ent-
hauptet oder lebendig verbrannt. Hierauf warf man, gleich-
sam zur Rechtfertigung vor dem über solche Gräuelthaten
aufgebrachten Volke, die Bibliotheken der Hingerichteten
in*s Feuer; denn sie enthielten, sagte man, nichts als Zauber-
bücher. Während dieses Prozesses hatten zwei Nichts-
würdige, die denselben, als sie selbst wegen Zauberei ver-
haftet waren, durch Denunciationen veranlasst, Palladius
und Heliodorus, die unbegrenzte Gunst des Kaisers und
bedeutende Reichthümer erschlichen; es lag ihnen jetzt
nichts näher, als das Erworbene auf demselben schänd-
lichen Wege zu behaupten. Darum traten die beiden Hof-
sykophanten stets wieder mit neuen Denunciationen her\'or.
Sie machten, wie Ammianus Marcellinus sagt, eine
f[>rmliche Jagd auf ihre Opfer. Häuser wurden versiegelt
und bei der Versiegelung wurde allerlei Zauberapparat,
wie Formeln und Liebestränke, untergeschoben, ^länner
*) E.S werden als Folterwerkzeuge genannt : cculei, pondera pluml>ea cum
fidiculis et verberibus.
Die alte Kirche. 103
und Weiber, Vornehme und Geringe wurden verhaftet, die
Folter ruhte nicht, Güter wurden eingezogen, Menschen
verwiesen und enthauptet. Eunapius vergleicht dieses
Morden mit dem Hühnerschlachten bei Festgelagen, und
Ammianus versichert, dass damals im Orient Jedermann
in der Angst seine Bücher verbrannt habe, um nur keinen
Stoff zum Argwohn übrig zu lassen. Als Heliodorus starb,
zwang Valens die Honoratioren, und unter diesen zwei
Consularen, die als Angeklagte nur durch seltene Stand-
haftigkeit in der Folter dem Tode entgangen waren, die
Leiche zu begleiten. Um aber die absolute Bodenlosigkeit
imd Dummheit seines Despotismus zu beurkunden, begna-
digte Valens um dieselbe Zeit den Kriegstribunen Pollen-
tianus unter Belassung seines grossen Vermögens und
seiner Würde; und doch war dieser überwiesen und ge-
ständig, ein schwangeres Weib geschlachtet zu haben, um
mit der ausgeschnittenen Leibesfrucht nekromantische Be-
fragungen wegen des künftigen Regierungswechsels anzu-
stellen! Unter den Hingerichteten aber war ein Jüngling,
dessen ganzes Verbrechen darin bestand, dass er im Bade
unter Hersagung der sieben Vokale die Finger zwischen
seiner Brust und der Marmorwand hin und her bewegt
hatte, weil ihm diess als ein Mittel gegen Magenschmerz
empfohlen worden war. Bei einem Andern hatte man das
Horoskop eines gewissen Valens gefunden. Man bezog
dieses auf den Kaiser, und der Unglückliche musste ster-
ben, obgleich er durch volle Beweise darzuthun versprach,
dass derjenige Valens, den das Horoskop betreffe, sein
verstorbener Bruder dieses Namens sei ^).
*) Ammian, Marcellin» XXIX. 1 u. 2. Eunap, vit. philos. et sophist.
p. 62 ed. Boissonade. Amstelod. l822.
SIEBENTES KAPITEL.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert.
Die Dämonenlehre und der auf ihr beruhende Glaube
an Zauberei war also von den Kirchenvätern in die Doktrin
der Kirche aufgenommen worden. Daher kann es uns
nicht Wunder nehmen, wenn wir auch bei den germani-
schen Völkern, sobald dieselben in die Geschichte imd in
die Kirche eingetreten waren, einem Aberglauben begeg-
nen, der seinen griechisch-römischen Ursprung nicht ver-
leugnen kann.
Einige Hauptpunkte müssen hier kurz angedeutet wer-
den; Anderes wird später zur Sprache kommen.
Den Glauben an das Wettermachen haben wir sowohl
im Griechenthum, als in Roms frühesten und spätesten
Zeiten gefunden ; von seiner Fortdauer im Mittelalter geben
die sogenannten Leges barbarorum, namentlich die der
Westgothen, mehrere Concilienschlüsse und die fränkischen
Capitularien den besten Beweis '). Der Gedanke des Herüber-
*) Lex Visigothorum, üb. VI. 3. ConciU Bracar, v. 563. PoinittntinU
Roman, bei Burch. IVormat, Decr. X. 8. Capitul, cccUsiast, KarKs d. («.
V. 789. Decretutn synodale Episcoporum v, 799. Agobard von Lyon «gt:
In \\\s, re^ionibus paene omnes honiines, nobiles et ignobiles, urbani et nistict,
senes et juvenes, putant« grandines et tonitrua hominum libitu po^se firri.
Dicunt enim, mox ut audierint tonitrua et viderint fulgura : Aura Itvatitia est,
Interrogati vero, quid sit aura levatitia, alii cum verecundia, parum remordente
conscientia, «ilii autem conRdenter, ut iniperitorum ODoris esse solet, coQfimi&Dt,
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 105
lockens fremder Ernten, welches schon von den Decem-
viralgesetzen verboten war, und von Tibull und Plinius
erwähnt wird, trat im neunten Jahrhundert mit solcher
Starke hervor, dass man in Frankreich von einer gefähr-
lichen Zaubergesellschaft träumte, welche das Getreide
massenweise in Schiffen durch die Luft nach dem Fabel-
lande Magonia führte*). Die Thierverwandlimgen ^), na-
mentlich die Lykanthropie, die Philtra und das Nestel-
knüpfen ziehen sich durch das Mittelalter und die neuere
Zeit; ebenso die Astrologie, Lekanomantie, Stichomantie,
die Augurien aus dem Angange «nd andre Arten der
Mantik, die Wachs- imd Bleibilder, durch welche man
Menschen umbringt, die Fascination durch Lob und durch
das böse Auge, die Amulete, Kräuter und Salben, Steine
und Ringe, die Galgennägel und Todtenglieder, das ma-
gische Ungeziefer und eine Menge andrer Dinge, die ent-
weder unverändert, oder mit geringen Modifikationen von
den Alten herübergenommen wurden 2). Burkhard von
Worms gibt davon in seinem Dekrete eine reiche Samm-
lung *).
incantationibus hominum, qui dicuntur tempestarii ^ esse levatam et ideo dici
levatitiam auram. — Agobardi über contra insulsam vulgi opinionem de
graodine et tonitruis, Cap. I.
*) Agobard a. a. O. Cap. II,
') Bei Wilhelm von Malmesbury findet sich unter andern eine dem Asinus
aureus des Apulejus nachgebildete Geschichte von der Verwandlung eines
Menschen in einen Rsel, von deren Wahrheit der Kardinal Damiani den Papst
2u überzeugen sucht. S. Vincent, Spec. Nat. IL log.
•) Es ist unnöthig , das Einzelne hier zu belegen , da sich dasselbe im
weiteren Verlaufe oft genug finden wird. Hinsichtlich der Augurien aus dem
Angange, von welchen Grimm in der Mythologie viele zusammengestellt hat,
ist nachträglich zu bemerken, dass eine Menge der sogenannten evooiu aufjißoXa
der Alten, und was dahin einschlägt, noch in dem heutigen Köhler- und Jäger-
glauben fortlebt. Man sehe in den Charakteren des Theophrast das Kapitel
de superstitione. Augustin berührt diesen Gegenstand de doctr. Christiana II.
19 ff. His adjunguntur roillia inanissimarum observationum, si membrum ali-
quod salierit, si junctim ambulantibus amicis lapis, aut canis, aut puer medius
intervenerit. . . . Hinc sunt etiam illa : limen calcare, cum ante domum suam
transit, rediread lectum, si quis, dum se calceat, sternutaverit, redire domum,
st procedens oflfenderit etc.
*j Decret. üb. X. u. XIX.
lo6 Siebentes Kapitel.
Von besonderer Wichtigkeit sind uns die Nachtfahrten
der 2^uberweiber. Zwar ist es bezweifelt worden, dass
auch diese auf altklassischem Boden fiissen, und noch
Jakob Grimm hat ihren Ursprung lieber an das deutsche
Alterthum angeknüpft^); nichts desto weniger sprechen
sehr gewichtvolle Gründe für jene Annahme. Nicht nur
ist der Glaube an die Hexenfahrten kein den germanischen
Völkern eigenthümlicher, sondern seine Grundlagen treten
auch bei den Römern in ungleich älterer Zeit hervor, als
er sich bei den Deutschen nachweisen lässt, und die Ueber-
gänge und Anknüpfungspunkte sind ziemlich deutlich be-
zeichnet. Dass die Zeit in den Einzelheiten Einiges änderte,
kann nicht auffallen. Bei den Alten zieht schon Hekate,
die Zauberpatronin, mit nächtlichem Spuke umher. Dort
ist sie Gottin, den Christen musste sie zum Dämon werden.
Aber auch menschliche Zauberinnen wirken in der Nacht,
Wir erinnern uns, wie Canidia zum nächtlichen Zauber
schreitet, wie Pamphile bei Apulejus, gleich den späteren
Hexen, zur geheimnissvollen Salbenbüchse greift und durch
die Luft auf Liebesabenteuer ausschwebt, wie die Strigen
geflogen kommen imd ohne sichtbare Waifen den Men-
schen beschädigen, wie sie ihm Mark und Blut, Herz,
Leber und Nerven rauben und den Defekt mit Stroh füllen,
dass der Mensch langsam hinwelkt. Und diese Strigen
des römisch-griechischen Heidenthums treten, wie sie im
Glauben der griechischen Christen fortleben *) , mit unver-
änderten Namen und Attributen und fast ohne chrono-
logische Unterbrechung auch in den Gesetzen der zum
Christenthum bekehrten Germanen auf, namentlich bei den
salischen Franken, den Longobarden und in Karls d. G.
Capitularien ^). Insbesondere redet die Lex Rotharis von
einem innerlichen Aufzehren (intrinsecus comedere) durch
die Strigen, wie diess von Plautus und Petronius ange-
deutet wird. Das Latein des Mittelalters bildete übrigens
'l Deutsche Mythologie, im Kapitel von der Zauberei.
*) Als Gelluden. S. oben.
*) Lex. Sa/. I.XVll. 3. Le^. Rothar, CCCLXXIX, Capitul. Cüroli .V.
de part. Saxon.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 107
die Form Strix oder Striga öfters in Stria um. Strega
ist die Benennung, mit welcher noch jetzt der Italiener
eine Hexe bezeichnet. Dem Herzrauben und Strohein-
legen begegnen wir später wieder bei Burkhard von
Worms ^), bei dem Stricker oder einem seiner Zeitgenossen *)
und im Volksglauben der Bayern und Oesterreicher, wo
Frau Berchta mit der langen Nase den faulen Knechten
d^n Leib aufschneidet imd wieder mit Häckerling füllt ^);
am beharrlichsten aber scheint gerade in diesem Punkte
der serbische Hexenglaube gewesen zu sein.
Eine besonders merkwürdige Stelle über den Glauben
an die Nachtfahrten findet sich auch in der Sammlung des
kanonischen Rechts. Es ist der vielfach besprochene und
commentirte, bald als Beweisstelle angerufene, bald in
seiner Authentie bestrittene und wieder vertheidigte Ka-
non Episcopi^)^ auf den wir weiter unten noch eingehender
zurückkommen werden. Es wird darin den Bischöfen zur
Pflicht gemacht, auf die Ausübung magischer Künste ein
wachsames Auge zu haben und die Schuldigen aus der
Kirchengemeinschaft auszuschliessen. Insbesondere habe
man zu achten auf gewisse gottlose Weiber, welche, vom
Teufel imd seinen Dämonen verblendet, sich einbilden und
behaupten, dass sie zur Nachtzeit mit der Heidengöttin
Diana, mit Herodias und einer Schaar andrer Weiber, auf
gewissen Thieren reitend , grosse Länderstrecken . durch-
fliegen und in bestimmten Nächten der Befehle ihrer Herrin
gewärtig sein müssen. Dieses alles sei heidnischer Unsinn
imd werde vom bösen Geiste nur ihrer Phantasie vorge-
gaukelt.
Dass der in diesem Kanon erwähnte Aberglaube dem
römisch- Christ liehen (imd nicht dem germanischen)
Alterthum zu vindiziren ist, kann leicht erwiesen werden.
Dafür spricht nämlich vor Allem die Beziehung der fahren-
den Weiber zur Diana, in welcher ihre zauberische Doppel-
») Decret. XIX. 5.
^ Grimm deutsche Myth. S. 589.
») Ebendas. S. 170.
*) Duret, Gratian. Part. IL Caus. XXVI. Quaest. V. c. 12.
lo8 Siebentes Kapitel.
gängerin Hekate nicht leicht zu verkennen ist*^). Die ro-
mische Diana hatte auch nach Deutschland ihren Weg
gefunden. Noch ira sechsten Jahrhundert zerstörte der
Einsiedler Wulfilaich ein Standbild derselben bei Trier,
das von dem heidnischen Landvolke eifrig verehrt wurde *).
Bei den romanischen Völkern erscheint im Mittelalter an
Stelle der Diana oft die Herodias, — welcher der Teufel
für den an dem Täufer begangenen Mord den dritten Theil
der Welt geschenkt hatte, und welche nach Gottes Straf-
gericht ruhelos umherziehen musste'). Die um sie ge-
schaarte Hexengesellschaft wurde auch ludus Dianae, so-
cietas Dianae, ludus bonae societatis genannt. Die Theil-
nahme an dieser Gesellschaft hiess später in Florenz und
sonstwo andare in corso, andare alla brigata.
Sodann bezeichnet Burkhard von Worms in einer
andern Stelle, die auf den obigen Kanon offenbar Bezug
nimmt, in den Nachtweibem die Strigen des römischen
Volksglaubens unverkennbar *). Es zeigt sich daselbst der
Nachtflug, wie bei Apulejus, das Aufzehren von innen, wie
bei Plautus, Petronius und den auf römischem Grunde ein-
gebürgerten Longobarden, endlich das Stroheinlegen, wie
ebenfalls bei Petronius. Es könnte nur etwa das Reiten
der Hexen neu erscheinen. Aber auch dafür findet sich
') Die nächtlich über Berge und durch WSlder umherstreifende Diana
wird p.a'.ya(, omnivaga genannt. Von der pergSischen Artemis sagt Suidas:
xdzztzoLi £sl TÄv aY'Jpttüv xal itXav*r|xu>v, itaposov xal -rj ^eög TcXavttsd^i vojxl-
Cstot:. Die ephesischc Artemis wurde mit uniüchtigen Tänzen von den Weibern
verehrt. Artemis und Diana als Zauberg6ttin mit der Hekate vertauscht
findet sich öfters. S. hierüber Lobeck Aglaopham. p. 1086 ff. Bei Horax
(Epod. V. 51) ruft die Zauberin:
— -- — — — O rebus mcis
Non infideles arbitrae,
Nox et Diana, quae silentium regis,
Arcana quum Bunt sacra,
Nunc, nunc adeste.
«) Gregor, Turon, Hist. Franc. Vlll. 15.
') Ueber den an den Namen Herodias aHmählich angeschlossenen Sagen-
kreis vgl. /r. MülUr (icsch. u. System der altdeutschen Religion (Gfttt. 1844)
S. 112—113.
*) Decret. hb. XIX. 5.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. log
im klassischen Alterthume nicht nur Analoges, wie denn
bei Ovid Medea nach Hekate's Anrufung in ihrem Drachen-
wagen über die Berge hinschwebt ^) und Canidia bei Horaz
auf des Dichters Schultern rittlings emporzusteigen droht 2);
sondern es scheint auch in der That die Sache selbst ganz
in der bezeichneten Weise den Römern bekannt gewesen
zu sein. Wenn nämlich die Lebensbeschreibung des Papstes
DamcLsus, welche man in einem sehr alten Codex (de vitis
Sanctorum) in Sta. Maria Maggiore zu Rom aufbewahrt,
Glauben verdient, so ist schon auf der römischen Synode
im Jahr 367 von Weibern , welche mit der Herodias und
andern Weibern auf Thieren zu reiten und weite Reisen
zu machen wähnen, die Rede gewesen^).
Aus diesen Gründen müssen wir daran festhalten, dass
der Kanon keinen anderen als römischen Aberglauben
bespricht. Uebrigens scheinen auch für die Annahme der
Abfassung des Kanons auf anderem als römischem Boden,
eben weil die Priorität der Sache für die Römer streitet,
durchaus keine nöthigenden Gründe zu sprechen. Dass
die Stelle zuerst in deutschen Sammlungen angetroffen
wird, beweist nichts, weil diese Sammlungen Nichtdeutsches
in Menge enthalten. Wenn ferner Burkhard anderwärts
ein Excerpt aus einem Beichtbuche gibt, das von dem-
selben Aberglauben redet, aber an Diana's Stelle die
deutsche Holda nennt*), so haben wir hier ohne Zweifel
nur eine von denjenigen Uebertragungen auf germanische
Verhältnisse, deren das weitergreifende Christenthum so
manche mit sich brachte. Und ausserdem ist zu beachten,
dass Burkhard in seinem Corrector den Aberglauben an
*) MeUmorph. VII. 220 ff.
») Epod. XVII. 74-
') S. die Anmerkungen der römischen Correctoren zum Kanon Episcopi.
*) Decret, XIX. 5. Credidisti, ut aliqua femina sit, quae hoc facere
possit, quod quaedam a diabolo deceptae se affirmant necessario et ex prae-
Cepto facere debere, id est cum daemonum turba in similitudinem mulierum
transforroata, quam vulgaris stultitia Holdam (eine andre Lesart ist Unholdam)
vocat, certis noctibus equitare debere super quasdam bestias et in eorum se
consortio annummeratam esse.
HO Siebentes Kapitel.
die drei Schwestern, welche man Parcen nenne, und die
auf demselben beruhende divinatorische Magie als einen
im Volke üblichen Unfug bezeichnet und denselben zu
strafen befiehlt^). Wenn aber Böhmer insbesondere in
einem sächsischen Glauben die Veranlassung" des Ka-
nons sucht, so rührt diess von dem gewöhnlichen Irrthum
her, welcher die Wiege alles Hexenglaubens auf den
Brocken verlegt^). Die Vorstellung von den Nacht ritten
war auf italienischen und gallischen Concilien schon um
mehrere Jahrhunderte früher besprochen worden, als die
Sachsen sich dem Christenthum zuwandten*); ja die schrift-
lichen Denkmäler, welche den Brocken zu einem unter den
isahllosen Schauplätzen der Hexenfahrten machen , reichen
sogar nicht einmal bis über das fünfzehnte Jahrhimdert
zurück *).
Das Angeführte möge genügen, um an einigen we-
sentlichen Stücken zu zeigen, wie der Aberglaube der
heidnischen Römer und Griechen sich auch auf ihre christ-
lichen Nachkommen und durch diese auf die Christen über-
haupt vererben konnte *). Auch bei den germanischen
') Bei IVasser schieben , Bussordnungen S. 657 u. 658. — Hier spricht
Burkhard auch von dem Aberglauben an die agrestes foeminae, quas
silvaticas vocant, quas dicumt corporeas esse, et quando voluerint, Osten-
dant se suis amatoribus etc.
*) S. Böhmer Jus ccciesiast. Protestant. Tonn. IV. p. 468, wo als StOtze
dieses Glaubens eine Stelle aus Rolevinck angefQhrt wird, die nichts weniger
als diess enthftlt.
*) Z. B. auf der oben berührten römischen Synode von 367 und dem
Concilium von Agde (5^)6), dessen hierher gehöriger Beschluss sich bei Burk-
hard X. 29 findet.
*) Gtimm, deutsche Mythol. S. 591.
•) Dasselbe sagt auch \y. E. Hartpole Lecky in seiner History of the
rise and influence of the spirit of Rational ism in Europe (3. Aufl. London.
18^6). Qbers. v. Jolowicz, S. 28: „Das Heidenthum als besonderes System
wunle vernichtet, al>er seine verschiedenen Grundbestandtheile blieben in um-
gewandelter Korm und unter neuem Namen stehen. Viele Theile des Systems
wunirn von tlem neuen Glauben aufgenommen. — Ein anderer Theil d^
Ht-i<icnthums wurde eine Art Auswuchs des anerkannten Christenthums. —
Ein «intter Theil behielt dauernd die Form der magischen Gebrtuche. Diese
B'iu:he bilden natürlich nur ein, und vielleicht ein nicht sehr henrorragendes
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. m
Völkern ist allerdings nach ihrer Bekehrung* ganz ohne
Zweifel ein guter Rest alter Vorstellungen geblieben. Dass
zu diesem Reste aber auch noch Griechisch-Römisches in
Menge aufgenommen werden musste, liegt theils in dem
vielfachen Verkehr mit den Römern selbst, theils in dem
grossen Einflüsse, welchen griechische und römische Bil-
dung auf die Gestaltung des kirchlichen Lehrstoffes ausübte.
Aber neben imd mit dem Glauben fanden auch
Uebungen, die in demselben Wurzel schlagen, bei den
Christen Eingang. Die Concilienschlüsse und die Schriften
der Kirchenväter liefern hierfür deutliche Beweise. Es ist
hier nicht bloss die Rede von den zahlreichen Ketzern
\md Sekten der früheren Zeit, welchen oft dergleichen
Dinge vorgeworfen wurden, wie Simon dem Magier, den
Basilidianem, Karpokratianem , Marcioniten, Montanisten,
Manichäem und Priscillianisten *). Die Nachrichten über
Element in dem Systeme der Hexerei; aber jede Erörterung, welche es unter-
lassen würde, davon Notiz zu nehmen, würde unvollständig sein. Alle jene
fratzenhaften Ceremonien» welche Skakespeare im Macbeth schildert, sind dem
alten Heidenthum entlehnt. In den vielen Beschreibungen des Hexensabbaths
kommen Diana und Herodias zusammen als die zwei hervorragendsten Ge-
stalten vor, und unter den gegen die Hexen vorgebrachten Anklagepunkten
finden wir viele alte Gebräuche der Auguren aufgeführt.** — In demselben
Sinne sagt A. Maury (La magie et l'astrol. S. 184): Tous les contes debites
au moyen äge sur les revenants avaient ete apport^s de la Gr^ce,
de Tita IIa ou des contr^es germaniques ; — S. 186: Ainsi peu a peu les
antiques divinit^s de l'Orient et de la Gr^ce furent, en r^alite, r^duites k la
condition de g^nies dechus et malfaisants, d'esprits surnaturels encore, mais
d'un ordre inferieur, et dont la puissance ^tait limitee aux mal^Rces et aux
encbantemens. Ccs dieux, qui se montraient jadis — sous les trais d'un g^nie
protccteur, ne s'oflfraient plus aux sorciers du moyen äge que sous la figure
de d^mons. — Ebenso sagt Schindler (Der Aberglaube des Mittelalters S. 325 :
„Wir finden in der christlichen Hexerei jeden Zug römischer Zauberei reprodu-
zirt", und schliesst die Anziehung einer Reihe von Stellen, die er aus römi-
schen Dichtem hervorhebt (S. 328) mit den Worten: „Diese Stellen, welche
noch bedeutend vermehrt werden könnten, wo römische Schriftsteller eine
Schilderung der heidnischen Hexerei gaben, stimmen so vollkommen mit der
des Mittelalters überein, dass es seine Augen absichtlich verschliessen hiesse,
wenn man nicht den inneren Zusammenhang beider anerkennen wollte."
*) Notata sunt etiam commercia haereticorum cum magis plurimis, cum
circulatoribus, cum astrologis, cum philosophis. Tcrtull, de praescript. adv.
baeret. cap. 43. Das Einzelne wird weiter unten berührt werden.
112 Siebentes Kapitel.
dieselben sind theils so allgemein gehalten, dass man über
die Gattung der ihnen vorgeworfenen Magie im Unge-
wissen bleibt und nur bei einigen etwa auf Philtra, astro-
logischen Aberglauben, Amulete und magische Ringe
schliessen darf; theils rühren sie von den Gegnern her
und stimmen mit dem sonst bekannten Lehrsystem der
Betheiligten wenig überein. Wir reden hier ganz beson-
ders von demjenigen, was unter ganz rechtgläubigen
Christen selbst im Schwange war.
Betrachten wir zunächst die Heilkunde !
Bereits seit dem vierten Jahrhundert galt es als eine
lächerliche Behauptung, dass die Krankheiten nicht von
dämonischer Einwirkimg, sondern von Verderbniss der
Säfte und andern organischen Störungen herrührten ^). Die
Annahme des Dämonischen in den Krankheiten, von welcher
alle theurgische Therapie ausgeht, lauft rückwärts bis zu
den Akkadem, den Urbewohnem Chaldäa's. Agobard
von Lyon, der alle dämonischen Krankheiten leugnete,
steht noch im neunten Jahrhundert hierin eben so verein-
zelt unter seinen Zeitgenossen, wie in allen übrigen Er-
kenntnissen seines klaren Geistes. Darum gebrauchte man
selten wirklich arzneiliche Substanzen, und in diesen sel-
tenen Fällen waren es auch nur die im achten oder neun-
ten Jahrhundert entstandenen Rezeptensammlungen, welche
man zu Rath zog, missrathene Compilationen grober Em-
piriker, die ihrerseits wiederum den älteren Plinius ausge-
beutet hatten ^). Desto häufiger behandelte man dafür die
Kranken mit Chrisam, Handauflegen, Besprengung mit
Weihwasser, Formeln u. s. w. Diese Art liturgischer oder
ritualistischer Medizin war frühzeitig zum Monopol des
Klerus oder der Mönche geworden'). Essenische und neu-
') Sprengel Gesch. d. Mcdicin, Th. II. S. 170.
*) Sprengel Gesch. d. Med.. Th. II. S. 178. Auch im späteren Mittel-
alter war Plinius wohlbekannt; von Johann von Salishury und Roger Bacon
wird er mehrfach citirt.
•) Sprengel a. a. O. S. 150 ff. — Erst als die Medictn einen wissen*
schaftlicheren Charakter annahm, wurde den München und Kanonikern die
Ausübung derselben verboten, wie auf dem Concil zu Reims 1131 und der
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 1 1 ^
platonische Theurgie hatte sich mit untergemischt und
selbst die Kunstgriffe der Asklepiaden wurden nicht ver-
schmäht: wer nicht geheilt war, der hatte den Glauben
nicht. Solche Mittel Hessen sich Theodosius und Justinian
gefallen ; ja zuweilen traten christliche Kleriker mit solchen
Waffen gegen heidnische Zauberer in die Schranken, wie
denn der Bischof Maruthas den persischen König Jezderd-
gerd, der von den Magiern bereits aufgegeben war, mit
Gebet und Sprüchen heilte. Mit Gebet und geweihtem
Oele bringt der heilige Martin bei Venantius Fortunatus
eine Gelähmte, die schon in den letzten Zügen liegt, zu
augenblicklicher Genesung^); mit Chrisam und Kreuzes-
zeichen behandeln Hospitius, Eparchius und andre Ein-
siedler die Taubstummen, Blinden, Blatterkranken und
Aussätzigen, und bei Gregor von Tours ist zu lesen, dass
die Kranken unmittelbar darauf hörten, sprachen, sahen
und rein wurden*). Durch den Exorcismus erhoben sich
die Geistlichen zu Gebietern der Dämonen ; den Reliquien,
dem Rosenkranze, dem Agnus Dei legten sie Schutzkräfte
bei, wie kein Römer jemals einem Phylakterium. — Als
der Bischof Gregor von Tours (t 594) — so erzählt er
selbst in seinem zweiten Buche von den Wundem des
heiligen Martin ^) — an einer schweren Ruhr damiederlag
und alle ärztliche Kunst erfolglos aufgeboten worden war,
sandte er einen Diakonus und Hess etwas Staub vom Grabe
Martins holen. Daraus musste der Arzt nach Vorschrift
einen Trank bereiten, der Kranke genoss davon, fühlte
sich erleichtert und begab sich desselbigen Tages drei
zweiten Lateransynode 1239. Die Lateransynode von 1215 verbot alle
chirurgischen Handlungen, in denen gebrannt und geschnitten wird. Indessen
wurden in vielen Ländern noch immer die Aerzte als Kleriker angesehen; in
Frankreich erhielten sie erst im fünfzehnten Jahrhundert die Erlaubniss zu
heirathen.
0 Vita S. Martini lib. L
•) Gregor, Turon, Hist. Franc. VI. 6.
*) Das Werk umfasst vier BÖcher, die Gregor in den Jahren 576 — 594
verfasst hat. Vgl. Löbell, Gregor v. Tours und seine Zeit. Leipz. 1839.
8oldan-He ppe, HexenproKcsae. ^
11^ Siebentes Kapitel.
Stunden nach der Anwendung des Mittels vollkommen
gesimd zum Mahle, fest überzeugt, dass er seine Genesimg
nur der Kraft des heiligen Staubes verdanke. — Die Ver-
ehrung solcher Heilungen stieg bis zu dem Grade, dass
sie dem ärztlichen Heilverfahren feindlich entgegentrat
und den Gebrauch natürlicher Mittel als strafwürdigen
EingriiF in das Gebiet des Göttlichen erscheinen Hess. Wie
er selbst bloss um eines frevlerischen Gedankens willen
bestraft wurde, erzählt der gläubige Gregor im 60. Ka-
pitel des angeführten Buches. Neunundneunzig Wunder-
thaten des heiligen Martin hatte er bereits beschrieben
und sah sich eben nach der hundertsten um, da wurde die
linke Seite seines Kopfes plötzlich von so heftigem Schmerze
befallen, dass die Adern ungestüm schlugen und die
Thränen rannen. Einen Tag und eine Nacht hindurch
ertrug er diese Leiden, begab sich dann in die Kathedrale
zum Gebete und berührte die kranke Stelle mit dem Vor-
hange, der das Grab des Heiligen verbarg. Im Augen-
blick erfolgte Linderung. Nach drei Tagen befiel dasselbe
Leiden die rechte Seite, und dasselbe Mittel half zum
zweitenmale. Als er aber einige Zeit darauf einen Ader-
lass angewandt hatte, da gab ihm drei Tage nach dem-
selben der Böse, wie er meint, den Gedanken ein, dass
sein früherer Kopfschmerz nur vom Blute hergekommen
sein möge und ohne Zweifel durch unverzügliche Oeffhung
einer Ader auf natürlichem Wege eine baldige Abhilfe
gefunden haben würde. Aber noch während dieses Ge-
dankens fühlt Gregor seinen ganzen Kopf von dem alten
Schmerze wieder furchtbar zerrissen. Er eilt reuig zur
Kirche, fleht um Vergebung, berührt das Haupt mit dem
Vorhange und sieht sich in Kurzem vollkommen herjfe-
stellt, — Das Seitenstücjc hierzu liefert die Geschichte des
Archidiakonus Leonastes zu Bourges'). Dieser litt
am Staar, und kein Arzt vermochte ihm zu helfen. End-
lich begab er sich in die Basilika Martins und brachte
daselbst zwei oder drei Monate unter beständigem Fasten
*) Grf^. Tur, HIsi. Fr. V. 6.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. n ^
und Beten zu. Da ward ihm an einem Festtage das
AugenKcht wiedergegeben. Er eilte nach Hause, bestellte
einen jüdischen Arzt und setzte auf dessen Rath zur Voll-
endung der Kur Schröpfköpfe an den Hals. Nun ereig-
nete es sich aber, dass in demselben Maasse, wie das Blut
floss, die Blindheit wieder einzog. Voll Scham kehrte
Leonastes zur Kirche zurück, betete und fastete wie zu-
vor, ward aber der "Wiederherstellung nicht gewürdigt.
„Jeder Mensch," — schliesst Gregor seine Erzählung, —
„möge aus dieser Begebenheit die Lehre ziehen, dass er,
wenn ihm einmal die Wohlthat wurde, himmlische Arznei
zu erhalten, nicht wieder zu irdischen Künsten seine Zu-
flucht nehmen solle." — So Hess der Geist der Zeit die
religiöse Therapie ihre Triumphe feiern über die pharma-
kologische, dass es scheinen möchte, als wäre die alte
Zeit der griechischen Heiltempel jetzt in die christlichen
Dome eingezogen, nur glänzender und mächtiger. Glaubten
die Alten, durch Beschwörungen, Namen, Bilder und Zeichen
Wirkungen, die ausser dem Kreise der täglichen Erschei-
nungen lagen, hervorbringen zu können, so überbot sie
der christliche Klerus noch um Vieles, und zwar bis in
die neuere Zeit herab. In den Exorcismen, herüberge-
nommen aus dem Judenthum schon in den frühesten Zeiten
und später mannichfaltig erweitert und verändert, tönen
die Namen Gottes und der heiligen Jungfrau durch alle
Zungen und Synonymen hin; mit ihnen trieb man Teufel
aus, gab dem Wasser die Kraft, im Gottesurtheil den
Schuldigen, wie man wollte, zu verschlingen oder auszu-
stossen, nahm dem Feuer seine Gluth, wenn es die Glieder
des Unschuldigen berührte, imd stählte die Waifen des
Kämpen zum Siege für die gerechte Sache. Aberglauben
gegen Aberglauben stellend, empfehlen noch die Jesuiten
Schott und David gegen Bezauberungen Heiligengebeine,
Weihwasser und Agnus Dei. Papst Sixtus IV. erklärte
durch eine Bulle vom 22. März 1471 das Verfertigen imd
Vergaben solcher Gotteslämmer für ein ausschliessliches
Recht des Papstes. Ihm zufolge erwirkt das Berühren
derselben ausser der Sündenvergebung auch Sicherheit
1 1 6 Siebentes Kapitel.
gegen Feuersbrunst, Schiffbruch, Sturm, Gewitter und
Hagelschlag *). Solche heilige Amulete, wie sie der Jesuit
Delrio nennt, hing man später auch den verstockten Hexen
im Verhöre um, und die Gesellschaft Jesu versichert, dass
dann bei Anwendimg der Folter alle vom Teufel ge-
schenkte Unempfindlichkeit gegen den Schmerz ver-
schwunden sei.
Wie die Priester mit der Divination verfuhren, lehrt
eine Erzählung, welche der Bischof von Chartres Johan-
nes von Salisbury (t 1181) mit vieler Unbefangenheit
aus seinem eignen Leben mittheilt *). Als er die Psalmen
lernte, liess der Priester, der ihn lehrte , ihn und einen
andern Eaiaben zuweilen in ein spiegelblankes, mit Chrisma
bestrichenes Becken schauen, um gewisse Aufschlüsse, die
andre Personen begehrten, darin zu finden imd mitzutheilen.
Der Mitschüler zeigte sich anstellig und redete von allerlei
Gestalten in nebelhaften Umrissen ; Johann aber sah beim
besten Willen nichts, als ein blankes Becken und wurde
in der Folge nicht mehr zugezogen. Wir haben hier ganz
die alte Katoptromantie, nur mit dem Zusätze des ge-
weihten Oeles.
Mag es sein, dass Fälle, wie der erwähnte, mehr ver-
einzelt und ohne kirchliche Auctorität vorkamen; es ist
hier aber doch noch eines Gegenstandes zu gedenken, bei
welchem weder die allgemeine Verbreitung, noch die Ge-
nehmigung der höchsten Kirchenlehrer zweifelhaft ist. Es
sind dieses die sogenannten Sortes Sanctorum, zuweilen
auch Sortes Apostoloriun oder Prophetarum genannt. Wie
die Griechen ihre Stichomantie aus Homer, die Romer
ihre virgilischen Loose hatten, so suchten die Christen
Rath in den zufallig aufgeschlagenen Stellen der Bibel.
Schon Augustin kennt diese Gewohnheit. Nach seiner
Lehre zeigt das Loos dem zweifelnden Menschen den gött-
lichen Willen an; er bezeichnet auch die Sortilegien aus
der Bibel als göttliche Orakel, missbilligt aber, dass man
*) Raymaiä. Annal. Eccles. ad ann. I471.
•) PoUcraticu» I. 28.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. ny
dieselben in weltlichen Geschäften zu Rathe ziehe*). In
Gallien wurden sie indessen in weltlichen wie geistlichen
Dingen bald so allgemein, dass die Concilien auf Be-
schränkung denken mussten. Bei Gregor von Tours
finden sich Beispiele in Menge.
Als Prinz Merowig, Chilperichs I. Sohn, auf Befehl
des Vaters zum Priester geschoren , im Dome zu Tours
eine Freistätte gesucht hatte, begab er sich, irre geworden
an einem bereits von einer Wahrsagerin erhaltenen Aus-
spruche, zu dem Grabe des heiligen Martin, legte auf
dasselbe die Psalmen , die Bücher der Könige und die
Evangelien und betete zu dem Heiligen, dass er ihm mit
Gottes Hilfe offenbaren möge, ob er einst den Thron be-
steigen werde, oder nicht. Nach dreitägigem Fasten trat
er abermals zum Grabe, schlug die drei Bücher nach ein-
ander auf und wurde über den Inhalt der gefundenen
Stellen so bestürzt, dciss er mit seinem Guntram wegzog
und sich bald darauf von einem vertrauten Diener mit dem
Schwerte durchbohren liess^).
Als Prinz Chramnus seinen Vater Chlotar stürzen
wollte, liess auch er sich auf diese Weise ein Orakel geben.
Es geschah unter den Augen des heiligen Tetricus zu
Dijon von drei Priestern, welche aus drei Abschnitten der
auf dem Altare liegenden Schrift einen Vers aufschlugen
und unter der Messe ablasen; es geschah mit der aus-
drücklichen Bitte, dass die göttliche Allmacht erklären
möchte, ob Chramnus glücklich sein, oder wenigstens zur
Regienmg kommen würde').
Wir übergehen andre zahlreiche Beispiele dieser Art.
Mehr mit Augustins Ansicht von der Heiligkeit der gött-
lichen Orakel mag der Gebrauch übereinstimmen, den man
bei streitigen Bischofswahlen von denselben machte. Durch
sie wurde Martin auf den Stuhl von Tours, der heilige
Anianus auf den von Orleans erhoben. Aber auch in nicht
*) Die betreffenden Stellen aus Augustin sind zusammengestellt Decr.
GraL P. 11. Gaus XXVI. Qu. H. III. IV.
') Grfg* Tur, Hist. Fr. V. 14 u. 19.
*) Grtg, H. Fr. V. 16.
1 1 8 Siebentes Kapitel.
streitigen Fällen pflegte man bei der Einweihung von Bi-
schöfen und Aebten unter bestimmten Feierlichkeiten die
Schrift aufzuschlagen, um, wie man es nannte, dem Neu-
gewählten das Prognostiken zu stellen. Hiervon berichtet
als von einer althergebrachten Sitte das Capitel von Orleans
an Alexander III. ; Gleiches erzählt Wilhelm von Malmes-
bury von der Einweihung der berühmten Kirchenlehrer
Lanfranc und Anselm von Canterbury ^).
Die Entscheidung zweifelhafter Fälle aus Zetteln, die
man, mit Ja und Nein oder andern kurzen Antworten be-
schrieben, unter dem Altartuche hervorzog, ist ebenfalls
alt und von den angesehensten Männern ausgeübt worden.
Durch sie bestimmt, eilte der heilige Patroklus von
Bourges in die Einsamkeit^), durch sie wurde auch der
Leichnam des heiligen Leodegar dem Bischof von Poi-
tiers zugesprochen, als sich die Bischöfe von Autun und
Arras mit ihm um denselben stritten^). Ja, dass man im
neunten Jahrhundert in England selbst vor Gericht das
Loos zum gewöhnlichen Entscheidungsmittel gemacht hatte,
beweist ein Verbot, welches desshalb von Leo IV. an die
britische Geistlichkeit erlassen wurde*).
So trieb man eine Art christlicher Magie mit dem
Ritual der Kirche*).
') De Pontif. Angl. üb. 1. p. 214 u. 2 19.
*) Gregor, Tur, vila S. Patrocli.
') Baldrici Chronicon Camerac. I. 21.
*) Gratian. Decret. P. II. Caus. XXVI. Qu. V. Cap. 7.
*) Das sah auch im vierzehnten Jahrh. der Kanzler GVrj^« (-j- 1363) ein und
suchte, was er nun einmal nicht abschaffen konnte, wenigstens zum Besten
zu kehren. Arguunt (die der Magie Ergebenen) iterum et nos in sinülem
causam trahere satagunt. Nonne, inquit, talia similiter fiunt, aut tolcrantur
ab ecclesia in peregrinationibus certis, in cultu imaginum, in cereis aut ceri*>
aut aquis bencdictis et in exorcismis? Nonne dicitur quotidie, %\ noveni die^
perduret in hac ecclesia. si ex aqua illa perfundatur, aut si tali se vovrat
imagini, aut si aliquid talium faciat, ipse uiox sanabitur vel optato potietur^
Fateor, ac negare non possumus. multa inter Christianos simplices sub %pec»c
religionis introducta esse , quorum sanctior esset omissio. Tolerantur tarnen.
quia nequeunt funditus erui, et quia fides simplicium, quamquam minus in
aliquibus benc sapiat, regulariter tarnen et quodammodo rectificaiiir salvaturque
in fide majorum, qujm fidem generali saltem intentione in onmibus suis ob»er-
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. ng
Betrachten wir nun die Stellung, welche die Kirche
zur eigentlichen Zauberei und zum Zauberglauben einnahm !
Sobald die Verfolgung der Christen aufhörte und die
Kirche zum Frieden gelangte, so dass sie auf Synoden
ihre Angelegenheiten ordnen konnte, sahen wir dieselbe
auch sofort dem Aberglauben und der Zauberei, Wahr-
sagerei u. s. w. als heidnischem Unwesen eifrigst entgegen-
treten, wobei freilich anfangs von der Kirche der Glaube
an die Möglichkeit wahrer Zauberei und magischer Male-
fizien nur allzu stark ausgesprochen wurde *). Schon die
Synode zu Elvira (von 305 oder 306) verordnete in Kan. 6,
dass wenn Jemand durch ein „maleficium" (d. h. durch
Zauberkünste) einen anderen tödte, derselbe bestraft werden
sollte, „weil ein solches Verbrechen ohne Götzen-
dienst nicht möglich sei". Ebenso bedrohte die Sy-
node zu Ancyra im Jahr 314 „alle diejenigen, welche wahr-
sagen imd den Gewohnheiten der Heiden folgen oder Leute
(Zauberer) in ihr Haus aufnehmen behufs der Entdeckung
von Zaubermitteln oder zum Zwecke von Sühnungen" mit
kanonischen Strafen ; worauf die hochwichtige (im Anfange
der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts versammelte)
S)mode zu Laodicäa in Kan. 36 dekretirte, „dass die
höheren und niederen Kleriker keine Zauberer, Beschwörer,
Mathematiker oder Astrologen sein, noch auch sogen.
Amulete fertigen sollen, welche Fesseln für ihre eigenen
Seelen sind" — bei Strafe der Excommunication.
Auch in den folgenden Jahrhunderten sehen wir die
Synoden der Kirche dieselbe Stellung zur Zauberei und
Wahrsagerei einnehmen, wie auf der Synode zu Elvira,
indem sie dieselbe als Ueberbleibsel des Heidenthums (die
meistens sich noch mit Resten heidnischer Kulte in Zu-
vationibus praesupponunt, si pie et humiliter h. e. Christiane sapiunt et si ad
ostensani veritatis normain obedire parati sunt, Haec autem intentio, ut talia
suscipiantur aut fiant non tanquam necessario efficacia, aut tanquam spes princi-
paus in talibus posita sit, Deo postposito, sed quod pietas fidei per ista nutritur
et augetur et exaudiri meretur.
*) Die angezogenen Synodalbeschlüsse finden sich in He/ele's Concilien-
gcsch. C. 1— 8 vor.
I 20 Siebentes Kapitel.
sammenhang erhalten hatte) verpönte und verfolgte. Der
Gebrauch der sortes sanctorum zur Erforschung der Zu-
kunft wurde von der Synode zu Vennes im Jahr 465
(Kan. 16) den Klerikern, und von der Synode zu Agde
in Südgallien im Jahr 506 (Kan. 42) auch den Laien, bei
Strafe der Excommunikation untersagt. — Die erste Sy-
node zu Orleans im Jahr 511 untersagte (Kan. 30) alle
„Wahrsagerei, Augurien und sortes sanctorum". — Die
zu Konstantinopel gehaltene Sjmodus quinisexta oder
trullanische Synode von 692 verbot in Kan. 61 und 62 die
Wahrsagerei, das Nativitätstellen, Wolkenvertreiben, Zau-
bern, Vertheilen von Amuleten und allerlei andere Reste
des griechisch-römischen Aberglaubens, die Kaiendenfeste,
die Bota (zu Ehren des Pan), die Brumalia (zu Ehren des
Bacchus), die Versammlungen am i. März, öiFentliche
Tänze der Frauen, die Verkleidungen von Männern und
Weibern, das Anziehen komischer, satyrischer und tragischer
Masken, das Anrufen des Bacchus beim Weinkeltern etc. —
Beschlüsse in ähnlichem Sinne hatten schon vorher die
Synoden zu Tours von 567, zu Auxerre von 578, und zu
Lenia um 630 gefasst. Aus dem Jahr 693 liegt ein Be-
schluss der sechzehnten Sjniode zu Toledo vor, welcher es
den Bischöfen, Priestern und Richtern zur Pflicht macht,
die in Spanien noch immer vorhandenen Reste des Heiden-
thums als: Verehrung von Steinen, Bäumen und Quellen.
das Anzünden von Fackeln, Wahrsagerei, Zauberei u. dgl.
gänzlich auszurotten. Ebenso untersagte es eine römische
Synode im Jahr 743 die Kaienden des Januar und die
Brumalien (Bacchusfeste am 25. Dezember) nach heidnischem
Aberglauben zu begehen.
Daneben regte sich in der Kirche aber auch
jetzt schon der Gedanke, dass alle Zauberei nur
nichtiger Teufelsspuk sei. Die zweite spanische Sy-
node zu Braga (Bracara) im Jahr 563, welche sich na-
mentlich mit dem Priscillianismus beschäftigte, dekretirte
nämlich im Kan. 8: „Wer da glaubt, dass der Teufel,
weil er einige Dinge in der Welt hervorgebracht hat, auch
aus eigener Macht Donner und Blitz, Gewitter
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 121
und Dürre mache, wie Priscillian gelehrt, der sei
verflucht."
Unter den Kirchenlehrern des fünften und sechsten
Jahrhunderts waren sogar nicht wenige, welche vor aller
Zauberei, auch vor der, welche mit christlichen Formeln
und Amuleten getrieben wurde, nachdrücklichst warnten.
Dahin gehört z. B. der erleuchtete Patriarch Chrysosto-
mus von Konstantinopel (t 407), der gefeiertste Kanzel-
redner der alten Kirche, der in seinen Predigten und
Tractaten zum Oeftem den unter den Gliedern der Karche
herrschenden Aberglauben ins Auge fasst. „Du ge-
brauchst," sagt er z. B. in seiner Schrift ,von dem Schmucke
der Weiber*, „nicht nur Amidete, sondern auch Zauber-
formeln, indem du trunkene und taumelnde alte Weiber
in dein Haus einführst. Und du schämst dich nicht bei
dem christlichen Unterrichte, den du empfangen, dich zu
solchen Dingen zu wenden? Ja, man glaubt sich noch
damit zu entschuldigen, dass das Weib eine Christin ist
und nichts anderes spricht als den Namen Gottes ! Gerade
desshalb hasse und verabscheue ich sie um so mehr, weil
sie den Namen Gottes schändet und, während sie eine
Christin ist, heidnische Werke treibt." An einer andern
Stelle (30. Homilie zum Ev. des Matth.) sagt er: „die Priester
hängen dem Menschen Phylakterien um den Hals, einige
auch ein Stück des Evangeliums. Sage, du thörichter
Priester, wird nicht täglich das Evangelium in der Kirche
gelesen und gehört ? . Wenn nun das Evangelium , das zu
seinen Ohren dringt, nicht nützt, wie wird es ihn retten,
so es ihm um den Hals gehängt ist? Femer: worin be-
steht die Kraft des Evangeliums, im geschriebenen Buch-
staben oder im Geiste ? Wenn im Buchstaben, dann hänge
es fuglich um den Hals ; wenn aber im Geiste, dann ist es
heilsamer, wenn du es zu Herzen nimmst, als wenn du es
um den Hals hängst."
Die Frage nach den gegen die Zauberei zur Anwen-
dung zu bringenden Strafmitteln konnte die Kirche bei
der in ihr feststehenden Auffassung der Zauberei kaum
einer Erwägung bedürftig erachten. Dieselbe galt als
122 Siebentes Kapitel.
heidnisches Unwesen; daher konnte die Kirche, wenn
kirchliche Belehrung und Warnung erfolglos blieben, gegen
Zauberer und Zauberinnen nur mit dem Ausschluss aus
ihrer Gemeinschaft vorgehen. In dieser Beziehung ge-
wahren wir in den Beschlüssen der zahlreichen Synoden
des fünften, sechsten und siebenten Jahrhunderts die vollste
Uebereinstimmung.
Dagegen lassen die bürgerlichen Gesetze dieser
Periode gegen die Zauberei eine solche Uebereinstimmung
weniger erkennen. Allerdings war es natürlich, dass sich
bei denjenigen germanischen Völkern, welche durch die
grosse Wanderung mit den Römern in die nächste Be-
rührung kamen, auch Abhängigkeit von römischem Wesen,
insbesondere von den Bestimmungen der christlichen Kaiser,
zeigen musste ; aber nach und nach sehen wir das Gesetz
der emporstrebenden Völker sich frei machen und christ-
licher Erleuchtung sich öffnen. So adoptirte der Ostgothe
Theodorich ganz die in Rom für die Magier bestehenden
Strafen, drang aber auf den Schutz der unschuldig Ange-
klagten^). Wer durch Zauberei Felder und Weinberge
mit Hagel beschädigte oder einen Menschen krank machte,
dem bestimmte das westgothische Gesetz 200 Peitschen-
hiebe , Abscheeren des Haars und Gefangniss oder Ver-
weisung *). Wer einen Zauberer zur Hilfe nahm , erlitt
ebenfalls körperliche Züchtigung und durfte vor Gericht
nicht mehr zeugen 3); betraf es aber eine Anfrage wegen
des Todes des Fürsten oder überhaupt eines Menschen,
so fiel der freie Mann noch ausserdem mit seinem ganzen
Vermögen dem Fiscus anheim'*). In ähnlicher Weise war
auch die Gewohnheit der Richter verpönt, bei ihren Unter-
suchungen sich zur Ermittlung des Thatbestandes der Hilfe
von Wahrsagern zu bedienen*). Im bayerischen Gesetz-
») Cassiodor. Var. IV. Epist. 12. Edict Theodorici Regh 108.
^) Lex VisiiToth, üb. VI. tit. 111.
3) Lib. II. tit. IV. de testibus. Lib. VI. til. II. 4.
^) Lib. VI. tit, II. 1.
*) Lib. VI, Tit. IL Ks wird im Gesetz der Gedanke durchgeOQhrt: die
Wahrheit komme von Gott, die Löge vom Teufel; man solle die verborgene
Wahrheit nicht durch das Prinzip der LQge aufsuchen.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrliundert. 123
buche suchte man besonders zwei Arten von Malefizien
vorzubeugen: der zauberischen Weihung der Waffen vor
dem Wehadinc oder gerichtlichen Zweikampfe, und der
Bezauberung der Ernte auf einem fremden Acker, welche
das Gesetz Aranscarti nennt ^). Die Lex Salica setzt die
Möglichkeit, dass eine Stria einen Menschen aufzehren
könne, voraus und bestimmt für den Fall der Ueberführung
eine Geldbusse von 200 Solidi, also die Strafe des Todt-
schlags; eine fast eben so hohe Strafe stand aber auch
auf der falschen Beschuldigung der Theilnahme an zau-
berischen Handlungen ^). Bei den Longobarden verordnete
Rothar's Gesetz für die Beschuldigung der Hurerei und
Zauberei die Probe des Zweikampfs und setzte eine Strafe
für die Ueberfuhrten an; es erhebt sich aber schon hoch
genug über das salische, um den Glauben, dass eine Striga
oder Masca den Menschen innerlich aufzehren könne, für
imgereimt und unchristlich zu erklären und jede imer-
wiesene Beschuldigung oder eigenmächtige Tödtung einer
angeblichen Striga mit angemessener Strafe zu belegen^).
Eine spätere Verordnung Liutprands bestraft denjenigen,
welcher Wahrsager befragt oder verbergen hilft, auch die
Richter, Schultheissen und Decane, die sich in der Auf-
spürung lässig zeigen, um die Hälfte ihres eignen Wehr-
geldes*). Auch sollte es nicht gestattet sein, vor dem
Gottesgerichte Chrisma zu trinken, um dadurch gegen
Recht und Wahrheit sich einen g*ünstigen Ausgang zu
bereiten *).
Wie oft oder selten, wie strenge oder gelind diese
Strafbestimmungen zur wirklichen Anwendung gekommen
>) Lex Bajuvar, Tit. XII. Cap. 8. Decrcta Tassilonis, IV. Vgl. Du-
fresne Glossar, v, Aranscarti.
«) Lex. SaL XXI. u. CXCVIII.
•) Ux Rotharis CXCVIII. u. CCCLXXIX. — Christianis mentibas nulla-
tenus est credendum, nee possibile est, ut hominem mulier vivum intrinsecus
possit comedere.
*) Liutprandi Leg. LXXXI. u. LXXXIII.
') Hierauf bezieht sich auch bei Burkh. XIX.; Bibisti christiia ad sub-
veriendum Dei Judicium.
124 Siebentes Kapitel.
seien, darüber geben die Geschichtsschreiber vor Karl d. G.
nur unvollständige Auskunft. Glücklicherweise aber sind
wir bezüglich desjenigen Volks, das unter allen europäischen
bald die erste Stelle einnehmen sollte, nicht ohne die
nöthige Auskunft. Was Gregor von Tours in zerstreuten
Mittheilungen über den Zustand der Dinge unter den
Franken berichtet, lässt eine ganz auffallende Milde und
Mässigung erkennen. Zwar fehlt es nicht an Beschuldi-
gungen der Zauberei, aber sie führen nur dann zu blutigem
Ende, wenn das Pelopidenhaus der Merowinger unmittelbar
dabei betheiligt ist. Es mögen einige Vorfalle kurz be-
rührt werden.
Als die Königin Fredegund zwei Söhne, die Prinzen
Chlodobert und Dagobert, an einer Epidemie verloren hatte,
liess sie sich nicht ungern überreden, ihr verhasster Stief-
sohn Chlodowig habe die Kinder durch die bösen Künste
der Mutter seiner Buhlerin aus dem Wege geräumt. Das
Weib wurde eingezogen und liess sich unter den Qualen
einer langen Folter ein Geständniss abpressen. Fredegund
erhob jetzt ein Rachegeschrei und brachte Chilperich,
ihren Gemahl, dahin, dass er seinen Sohn der Wüthenden
Preis gab. Der Prinz fiel unter den Messerstichen ge-
dungener Mörder, das verhaftete Weib aber ward trotz
ihres Widerrufs an einen Pfahl gebunden und lebendig
verbrannt ^),
Bald darauf raffte die Ruhr einen dritten Sohn Frede-
gundens hin. Nach diesem Todesfalle äusserte der Major-
domus Mummolus gelegentlich bei Tische, als er Gäste
hatte, er habe ein Kraut, dessen Absud auch den hoff-
nungslosesten Ruhrkranken in kurzer Zeit wiederherstellen
könne. Fredegund erfährt diess, greift etliche Weiber auf
und zwingt sie durch die Folter zu dem Geständnisse, dass
sie den Prinzen durch Zauberkünste für das Wohlergehen
des Majordomus hingeopfert haben. Sie werden theils
verbrannt, theils gerädert; die Reihe der Tortur kommt
nun an Mummolus. Doch dieser bekennt nichts , ausge-
») Grf^. Hist. Fr. V. 40.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 125
nommen dass er von jenen Weibern zuweilen Salben und
Getränke erhalten habe, die dazu dienen sollten, ihm die
Gnade des Königs und der Königin zu erwerben. Von
der Folter gespannt, sagt er zum Büttel: „Melde dem
König, meinem Herrn, dass ich nichts Uebeles empfinde
von dem, was man mir zugefügt hat.** Da sprach Chil-
perich: ,,Muss denn dieser Mensch nicht ein Zauberer sein,
wenn ihm alle diese Strafen nicht wehe gethan haben?"
Und Mummolus wird von Neuem gegeisselt und soll, nach-
dem man ihm Pflöcke unter die Nägel getrieben hat, ent-
hauptet werden; doch die Königin verfügt endlich seine
Begnadigung und verweist ihn nach Bordeaux. Mummo-
lus aber starb auf der Reise an den Folgen der erlittenen
Peinigimg ^).
Schon die Verschiedenheit in den Bestrafungen, das
Erdolchen, Verbrennen, Rädern und Enthaupten, würde,
wenn auch eine andere als Fredegxmd hier handelte, hin-
länglich darthun, dass mehr nach der Laune der Macht-
haber, als nach gesetzlichen Bestimmungen verfahren wurde;
wir werden aber um so mehr mit der fränkischen Praxis
ausgesöhnt werden, wenn wir mit diesen vereinzelten Aus-
brüchen merowingischer Grausamkeit das milde Verfahren
der geistlichen Behörden zusammenhalten.
Eine Leibeigene in der Diöcese von Verdun hatte sich
aufs Wahrsagen gelegt. War irgendwo ein Diebstahl be-
gangen worden, so gab sie den Thäter, den Hehler und
das Schicksal des gestohlenen Gegenstandes an. Sie er-
warb sich dadurch ihre Freilassung, Gold und Silber in
Menge und zog in kostbarem Schmucke umher. Tausend
Jahre später würde sie vor geistlichen und weltlichen Ge-
richten einen harten Stand gehabt haben; der Bischof
Agerich aber, dem sie vorgeführt wurde, behandelte sie
als eine Besessene, versuchte den Teufel durch Salbungen
auszutreiben, brachte denselben auch zu lautem Aufschreien,
da er aber doch nicht weichen wollte, liess er das Mäd-
chen in Frieden ziehen *).
») Hist. Fr. VI. 35.
•) Hist. Fr. VII. 44.
126 Siebentes Kapitel.
Ein andermal erschien zu Tours ein gewisser Desi-
derius, der sich grosser Wundergaben rühmte und mit den
Aposteln Petrus und Paulus einen Botenwechsel zu unter-
halten vorgab. Blinde und Lahme strömten zu ihm; er
liess sie durch seine Diener an Armen und Beinen zerren
und recken, dass etliche unter der Kur den Geist auf-
gaben. OeiFentlich erschien er in einem Gewände von
Ziegenhaaren und war enthaltsam in Speise und Trank,
in seinem Zimmer aber schlang er mit so grosser Gier,
dass der Diener kaum genug herbeischaflFen konnte. Ob-
gleich man nun die Ueberzeugung hatte, dass dieser Mann
durch teuflische Nekromantie seine Kuren betreibe, so be-
gnügte man sich doch mit einfacher Verweisung aus dem
Weichbilde der Stadt i).
Wieder ein andermal zog ein gemeiner Abenteurer
im Lande umher mit Kreuzen, Flaschen mit geweihtem
Oele und vorgeblichen Reliquien von spanischen Märtyrern.
Sein anmassendes Benehmen gegen die Geistlichkeit ver-
anlasste seine Verhaftung und die Untersuchung seiner
Reisetasche. Man fand darin Kräuterwurzeln, Maulwurfs-
zähne, Mäuseknochen, Klauen und Fett von Bären, erkannte
diess für Zauberapparat und warf es in die Seine. Er
selbst wurde aus Paris verwiesen, blieb aber dennoch,
wurde desshalb eingesperrt und endlich, nachdem er selbst
die Kirche von St. Julien in der Trunkenheit verunreinigt
hatte, auf Geheiss des Bischofs einfach fortgejagt 2).
In eine andre Kategorie gehört die Bestrafung eines
Betrügers aus Berry, der in Velay seinen Unfug trieb.
Zwar berichtet Gregor auch von ihm Kuren und Weis-
sagungen durch Teufelskünste; aber als sein Hauptver-
brechen erscheint, dass er sich für Christus ausgab, mit
bewaffneten Volksmassen raubend und plündernd umher-
zog und den Bischöfen förmlichen Krieg ankündigte. Der
Bischof Aurelius schickte ihm einige entschlossene Männer
entgegen, die ihn vor den Augen seiner betrogenen Heerde
^) Hist. Fr. IX. 6.
*) Ebendaselbst,
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 127
niederstachen ^). Diese Maassregel kann natürlich nicht als
Strafe der Zauberei erscheinen.
Die angeführten Züge charakterisiren hinlänglich den
Geist, der schon vor Karl d. G. bei den Franken im
Kirchenregimente waltäte. Die Zeit war arm an Einsicht
in den einfachsten Zusammenhang der Dinge und war
darum geneigt, in allem einigermassen Auffallenden, was
sich ihrem Blicke darbot, Wunder zu erkennen; aber dem
Wunderglauben, der dem rohen Menschen natürlich ist,
wohnte, eben weil er damals aus dem Volksgeiste selbst
hervorging und nicht erst durch künstliche Mittel geschaffen
und erhalten wurde, etwas Harmloses inne. Je weniger
die Kirche ihre geheimnissvollen Heilwirkungen durch
Zweifel und Unglauben bestritten sah, desto weniger be-
durfte sie für dieselben eines Reliefs durch den Gegensatz
diabolischer Gräuelthaten. Der Klerus, damals noch nicht
zu ungemessener Machtausdehnung emporstrebend, war desto
thätiger in seinem beschränkteren Kreise und achtete es
für christlicher, durch Lehre und gemässigte Zuchtmittel
den Fehlenden noch für diese Welt zu bessern, als den
sterblichen Körper den Flammen zu überliefern und der
unsterblichen Seele das Gefühl erlittenen Unrechts ins
ewige Leben mitzugeben. Dieser gesunde Sinn, der sich
auch in den Verfügungen der gallischen Concilien vielfach
ausspricht, mag wohl beachtet werden, wenn bei der
Würdigxmg des merowingischen Zeitalters die demselben
allerdings nicht ohne Grund vorgeworfenen Gebrechen
über Gebühr hervortreten wollen.
Die entschiedenste Stellung zum überlieferten Zauber-
glauben nahm aber das Frankenreich unter der Herrschaft
der Karolinger ein, indem in dieser Periode der deutsche
Geist — der damals gegen den byzantinischen Bilderdienst
die kräftigste Opposition machte, — nicht nur die Reinigung
der Klirche und des Volkslebens von allem Zauberwerk
mit der grössten Energie anstrebte, sondern auch mit dem
Zauberglauben selbst ein für allemal brechen zu wollen
*) Hist. Fr. X. 25.
128 Siebentes Kapitel.
schien. Das im Jahr 742 unter Karlomann versammelte
erste deutsche Nationalconcil , gfewohnlich Concilium Ger-
manicum genannt, befahl in Kan. 5: „Jeder Bischof soll
in seiner Parochie mit Beihilfe des Grafen, welcher der
Schützer seiner Kirche ist, darauf bedacht sein, dass das
Volk keine heidnischen Gebräuche mehr beobachte, als
da sind : heidnische Todtenopfer, Loosdeuterei, Wahrsagerei,
Amulete, Augurien, heidnische Opfer, welche die Thoren
oft neben den christlichen Kirchen den Märtyrern und Be-
kennern darbringen, oder die sakrilegischen Feuer, welche
sie ,Nodfyr* nennen." — Karl der Grosse wiederholte
diese Bestimmungen *), ging aber in seiner Auffassung der
Zauberei — und die Kirche des Frankenreiches mit ihm —
noch weiter. Er bestätigte nämlich den Beschluss, welchen
die im Jahr 785 zu Paderborn versammelte Synode in
Kan. 6 aufgestellt hatte: „Wer vom Teufel verblendet
nach Weise der Heiden glaubt, es sei Jemand
eine Hexe und fresse Menschen und diese Person dess-
halb verbrennt oder ihr Fleisch durch Andere essen lässt,
der soll mit dem Tode bestraft werden."
Hier wird also mit dem Tode nicht die Zauberei, son-
dern der Glaube an dieselbe bedroht. Dass aber diese
Stellung der fränkischen Kirche zum überlieferten Zauber-
glauben nicht auf der Auctorität des grossen Kaisers be-
ruhte, sondern in dem Geiste des fränkischen Staats- und
Kirchenwesens begründet war, wird durch die Aeusserungen
des angesehensten und hervorragendsten Geistlichen be-
wiesen, den die fränkische Kirche unmittelbar nach Karls
Tode aufzuweisen hatte.
Agobard, aus Spanien gebürtig, von 816 bis zu
seinem Tode (840) Erzbischof von Lyon — imter den Geist-
') Card, M, Capitul, ann. 769i c. 7: Statuimus, ut singulis annis unus-
qui5(]ue episcopus pamchiam suam solHcite circumeat et populum confirmart
et plebem docere et invesligare et prohibere paganas obsen'attones, divinav^ue
et sortilegos. aut auguria, phylacteria, incantationes vel omnes spurcitias gen-
tiliuro studeat. — Capitul. ann. 789. c. 4 : Ul nullus in psalterio vel in evau-
gelto vel in aliis rebus sörtire praesumat ncc divinationes aliquas observare.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. 120
liehen des fränkischen Reiches nach Karls d. G. Tode
unstreitig der hervorragendste — war (trotz der Beschlüsse
des Nicäner Concils von 787), wie aus seiner Schrift de
imaginibus zu ersehen ist, der entschiedenste Bekämpfer
des Bilderdienstes (indem die Bilder der Gotteshäuser wohl
zur Erinnerung, nicht aber zur Verehrung dienen sollten),
der Ordalien (insbesondere der gerichtlichen Zweikämpfe)
und des Aberglaubens jeder Art. Aus einer Schrift Ago-
bards contra insulsam vulgi opinionem de grandine et
tonitruis ersieht man, dass damals in Lyon und Umgegend
der Hexenglaube als Glaube an Wettermacherei bestand.
Gegen diesen Wahn hebt nun Agobard hervor, dass Gott
nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Lenker aller
Dinge sei, dass alle Naturereignisse ihren Grund in der
göttlichen Weltregierung, nicht aber in menschlichem Be-
mühen hätten, und dass darum Alles, was man über an-
gebliche Tempestarier sage, welche das Getreide stehlen
und nach Mangonia zum Verkauf bringen sollten, nur
Thorheit sei. Namentlich beklagt er die Verblendung des
Pöbels, der einst vier Unglückliche aufgriff und steinigen
wollte, weil er glaubte, dass sie aus den mangonischen
Wolkenschiffen herabgefallen wären. Aus der genannten
Schrift ersieht man auch, dass damals viele Personen zwar
Zehnten und Almosen an Geistliche und Arme nur ungern
gaben, dagegen unter dem Namen eines Kanons eine Ge-
treideabgabe an Betrüger entrichteten, die sich die Miene
zu geben wussten, als vermöchten sie die Fluren vor den
Einflüssen des Wetters zu schützen. „So weit," sagt Ago-
bard am Schlüsse des Schriftchens, „ist es mit der Dumm-
heit der armseligen Menschen gekommen, dass man jetzt
unter den Christen an Albernheiten glaubt, die in früheren
Zeiten niemals ein Heide sich aufbinden Hess.**
In demselben Sinne schrieb Agobards Schüler und
(seit 840) Nachfolger im Erzbisthum zu Lyon, Amolo,
an den Bischof Theutbold von Langres, dass man Re-
liquien, durch deren Berührung nach des Letzteren Mit-
theilung Weiber und andere Personen von Zuckungen
t<oldaii-Heppe, Hexeoprozease. 9
I^O Siebentes Kapitel.
befallen worden wären, ausserhalb der Kirche begraben
sollte , damit der Aberglaube nicht genährt werde *).
Daher war es ganz dem Geiste des karolingischen
deutschen Staats- und Kirchenwesens entsprechend, dass
auf der Reformsynode zu Paris im Jahr 829 die Hexerei
nur als ein im Volke spukender Aberglaube er-
wähnt wird, indem die Synode sagt, dass es angeblich
Leute gebe, welche durch teuflische Künste das Wetter
ändern, Hagel machen, den Kühen die Milch nehmen
könnten u. s. w. ^).
Zur Kennzeichnung der Stellung, welche die Kirche
in der nachkarolingischen Zeit, im zehnten, elften und
zwölften Jahrhundert zur Hexerei und zum Glauben an
dieselbe einnahm, kommt vor Allem der berühmte sogen.
Ancyranische Kanon Episcopi in Betracht, den wir mit
Sicherheit zuerst ums Jahr 900 in der Kirche hervortreten
sehen. Der Kanon ist allerdings nicht von der Synode
zu Ancyra (3 1 4) aufgestellt, — wesshalb er sich weder in
dem von He feie in der Conciliengeschichte B. I. S. 190
bis 210 edirten Abdruck des griechischen Textes, noch in
den alten lateinischen Uebersetzungen desselben (z. B. in
V. Espen, Commentar. in canones) vorfindet, — sondern
er ist späteren Ursprungs*); aber er ist der klassische
>) Magna Bibl. T. XIV. f. 324.
*) Uebcr die hier angezogenen SynodalbeschlQsse vgl. HefiUt Concilien-
gesch. B. III. u. IV.
') Der Kanon kommt zuerst in einer Anweisung zur Visitation einer
Di5cese vor, welche der 915 al« Abt des Klosters zu PrQm verstorbene
Regino um 906 geschrieben hat; vgl. Reginonis Libri duo de synodalibus
caussis et disciplinis ecclesiasticis. recens. F, G, A, IVasserschleben (Lips. 1840),
wo er sich in Lib. II. cap, 371 abgedruckt findet. Er wird hier von Regino
mit der Ueberschrift „unde supra** mitgetheilt, womit gesagt sein soll, djiss
die Erörterung derselben Materie, von welcher das cap. 370 handelt, in cap. 37 t
fortgesetzt wird. Diese beiden Artikeln gemeinsame Materie ist die Mag;ia
muliebris.
Aus der Schrifl Regino's nahm spSter (zwischen den Jahren 1012 und
1022) der Bischof Burckkard von Worms (f 1025) vielerlei in sein Sammel»
werk „Decretum" auf, wobei er jedoch (wie lyasstrschlebef» in seinen „Bei-
trftgen zur Gesch. der vorgratianischen Kirchenrechtsquellen'* , Leipz. 1839.
S. 30—31 bemerkt) mit grosser WillkQr und Leichtfertigkeit verfuhr. £r
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i ^ j
Kanon über die eigentliche Stellung der Kirche
jener Jahrhunderte zum Hexenglauben.
In diesem für die Kirchengeschichte so bedeutungs-
vollen (von den Kirchenhistorikern jedoch bis jetzt wenig
beachteten) Kanon wird den Bischöfen zur Pflicht gemacht,
den Glauben an die Möglichkeit dämonischer
Zauberei und an eine Möglichkeit von Nachtfahr-
ten zu und mit Dämonen als baare Illusionen in
ihren Diöcesen und Gemeinden energisch zu be-
kämpfen und die demselben Ergebenen als Frev-
ler am Glauben aus der Kirchengemeinschaft
auszuschliessen. — Die Hauptstelle des Kanons lautet
nämlich: „Es gibt verbrecherische Weibsleute, welche durch
die Vorspiegelungen und Einflüsterungen des Satans ver-
fuhrt, glauben und bekennen, dass sie zur Nachtzeit
mit der heidnischen Göttin Diana oder der Herodias und
erlaubte sich nicht selten Aendeningen im Texte, und nahm an den bei Regino
so oft vorkommenden Worten „unde supra", „ut supra** (welche sich auf den
Inhalt und nicht auf die Quelle eines vorhergehenden Kapitels beziehen) Ver-
anlassung , eine ganze Anzahl falscher Inscriptionen und Kirchenrecht einzu-
schmuggeln, wobei sein Widerwille gegen alle weltliche Gesetzgebung das ihn
bestimmende Motiv war.
Burckhard fand nun bei Regino den ersteren der beiden erwähnten Artikel
mit den Worten Oberschrieben „ex concilio Anquirensi**. Daher setzte er in
seinem Dekret (Lib, X. cap. I.) Ober den zweiten Artikel, bei welchem Regino
„undc supra*' notirt hatte, und in welcher er eine Bezeichnung der Quelle
finden zu müssen glaubte, die Worte: „ex concilio Ancyrano", mit welcher
Ueberschrift dann der Kanon Episcopi in die Sammlungen Ivo's von Charters
und in das Decret Gratians überging.
Woher Regino den Kanon genommen hat, ist zweifelhaft. Baluze in
seinen Noten zu Regino, ferner Böhmer und Richter in ihren Ausgaben des
Corp, iur. can. zur Stelle des Dekrets nehmen an, dass er aus einem älteren
fränkischen Kapitulare herrühre. Nach den Notationes correctorura des Corp.
iuris can. (bei Richter I. S. 894) ist ein Theil des Kanons, — aber der Haupt-
theil -— nämlich die Worte quaedam scleratae bis cum Ezechiel, aus einer im
sechsten Jahrh. dem h. Augustin untergeschobenen Schrift De spiritu et anima
(c. 28) entlehnt.
Der bei Regino unmittelbar vorausgehende Kanon ist dem Briefe des
Rhabanus Maurus an den Bischof Heribald von Auxerre (cap. 25) entnommen.
Hier wird derselbe mit den Worten „ex concilio Ancyrano*' angeführt. Dieses
die erste Quelle des ganzen Irrthums !
1^2 Siebentes Kapitel.
einer unzählbaren Menge von Frauen auf gewissen Thieren
reiten, über vieler Herrn Länder heimlich und in aller
Stille hinwegeilen, der Diana als ihrer Herrin gehorchen
und in bestimmten Nächten zu ihrem Dienste sich auf-
bieten lassen. Leider haben nun diese Weibsleute ihre
Unheil bringende Verkehrtheit nicht für sich behalten;
vielmehr hat eine zahllose Menge , getäuscht durch die
falsche Meinung, dass diese Dinge wahr seien, vom
rechten Glauben sich abgewendet und der heidnischen Irr-
lehre sich hingegeben, indem sie annehmen, dass es ausser
Gott noch eine übermenschliche Macht gebe. Daher sind
die Priester verpflichtet, den ihnen anvertrauten Gemeinden
von der Kanzel herab nachdrücklichst einzuschärfen, dass
alles Dieses durchaus falsch und ein Blendwerk sei,
welches nicht vom Geiste Gottes, sondern von dem des
Bösen herrühre. Der Satan nämlich, der sich in die Ge-
stalt eines Engels verkleiden könne, wenn er sich irgend
eines Weibleins bemächtige, so unterjoche er sie, indem
er sie zum Abfall vom Glauben bringe, nehme dann sofort
die Gestalt verschiedener Personen an und treibe mit ihnen
im Schlafe sein Spiel, indem er ihnen fernab bald heitere,
bald traurige Dinge, bald bekannte, bald unbekannte Per-
sonen vorführe. Dabei bilde sich dann der ungläubige Sinn
des Menschen ein, während der Geist dieses erleide, dass
dieses doch nicht in der Vorstellung, sondern in Wirklich-
keit geschehe. Wer aber (heisst es weiter) ist nicht im
Traume so aus sich herausgefahren, dass er Vieles zu sehen
geglaubt hat, was er in wachem Zustand niemals gesehen
hat? Und wer sollte so bornirt und thöricht sein, dass er
glaube, alles das, was nur subjektives Erlebniss ist, habe
auch objektive Wirklichkeit ? Ezechiel hat Gott nur im Geiste
und nicht mit dem Körper geschaut. Es ist daher allen Leuten
laut zu verkündigen, dass Derjenige, der dergleichen Dinge
glaubt, den Glauben verloren hat. Wer aber den
wahren Glauben nicht hat, der gehört nicht Gott, sondern
dem Teufel an** ^).
*) In seinen Haupttheilen lautet (ier Kanon wörtlich: Episcopi «forumqur
niinlstri omnit)us modis elaborarc studeant, ut perniciosam et a Diabolo in-
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i^^
So lautet der Kanon, in welchem wir die Grundlagen
des späteren Hexenwahns (und zugleich das damalige Ur-
theil der Kirche über denselben) deutlich genug erkennen.
Derselbe mag seinem Haupttheile nach vielleicht frühestens
im siebenten Jahrhundert, oder vielleicht auch erst in der
karolingischen Zeit entstanden sein: so viel steht jeden-
falls fest, dass er im zehnten Jahrhundert allgemein in der
Kirche in unbestrittenem Ansehen stand.
Der Bischof Burckhard von Worms nahm daher
denselben nicht nur in sein Sammelwerk auf, sondern grün-
dete auf denselben auch in einem besonderen Pönitential,
ventam sortilegam et magicam artem ex parochiis suis pcnitus eradicent ; et si
aJiquem viriim et mulierem huiuscemodi sceleris sectatorem invencrint, tur-
piter dehonestatum de parochiis fuis ejiciant. — lilud non est omittendum,
quod quaedam sceleratae mulieres — daemonum illusionibus et phantasmatibus
deductae credunt et profitentur, se nocturnis horis cum Diana, dea paganorum,
vel cum Uerodiade et innummera multitudine mulierum equitare super quas-
dam bestias et multarum terrarum spatia intempestae noctis silentio pertransire
eiusque iussionibus velut Domino obedire, et certis noctibus ad eius servitium
cvocari. — Innumera multitudo hac falsa opinione decepta haec vera esse cre-
dunt et credendo a recta fide deviant et errore paganorum involvuntur, cum
aliquid divinitatis aut numinis extra unum Deum arbitrantur. Quapropter
sacerdotes per ecclesias sibi commissas populo Dei omni instantia praedicare
debent , ut novcrint, haec omnino falsa esse, et non a divino sed a
maligno spiritu talia phantasmata mentibus fidelium irrogavi. Siquidem ipse
Satanas, — cum mentem cuiuscunque mulierculae ceperit et hanc sibi per
iofidelitatem subiugaverit, illico transformat se in diversarum species personarum
atque similitudines , et mentem, quam captivam tenet, in somniis debudens
modo laeta modo tristia, modo cognitas modo incognitas personas ostendens
per devia quaeque deducit ; et cum solus spiritus hoc patitur , infidelis mens
hoc non in animo sed in corpore evenire opinatur. Quis enim non in somniis
et nocturnis visionibus extra se educitur et multa videt dormiendo, quae nun-
quam viderat vigilando? Quis vero tarn stultus et hebes sit, qui haec omnia,
quae in solo spiritu fiunt, etiam in corpore accidere arbitretur, cum Ezechiel
propheta visiones Domini in spiritu non in corpore vidit et Johannes apostolus
sacramentum in spiritu non in corpore vidit et audivit? — Omnibus itaque
9
publice annuntiaiidum est, quod qui' talia et his similia credit, fidem
perdidit; et qui fidem in Domino non habet, hie non est eius, sed illius,
in quem credit, i. e, Diaboli. — Quisquis ergo aliquid credit posse fieri,
aut aliquam creaturam in melius aut in deterius immutari, aut transformari in
aliam speciem vel similitudinem, nisi ab ipso creatore, qui omnia fecit et per
quem omnta facta sunt , pro cul dubio infidelis est et pagano de-
lerior. —
l XA Siebentes Kapitel.
dem sogenannten Corrector (welches sich als neunzehntes
Buch an das ganze Werk anschliesst, aber auch abge-
sondert vorkommt,) eine Reihe von Fragen, durch welche
ermittelt werden sollte, ob die Leute etwa an die Wirk-
lichkeit der Hexerei glaubten, wobei zugleich von ihm die
Strafen angegeben werden, mit denen dieser Aberglaube
gesühnt werden soll *),
Derartige Bussordnungen wurden von den Bischofen
durch das ganze Mittelalter hin aufgestellt. In allen finden
sich Fragen vor, welche sich auf den Glauben an Zauberei
und Hexerei beziehen und bei denen zugleich die kanonische
Bestrafung dieses Aberglaubens angegeben wird^).
Noch höher aber erhob sich das Ansehen des Kanons
Episcopi, indem der Camaldolenser Mönch im Kloster
*) Vgl. WasserschUben , die Bussordnungen der abendländischen Kirche
(Halle 1851), wo S. 624 ff. der Corrector Burchardi abgedruckt ist. Hier
wird S. *644 ff. der Glaube an die Nachtfahrten, an die
Wetter macherei und Schädigung Anderer mit dämoni-
scher Hilfe für eitel es Hirn gespinn st erklärt. Wir wollen hier
nur folgende beide Fragen hervorheben, die sich S. 660 und 66 1 abgedruckt
finden: Credidisti, quod quaedam credere solent, ut in quamcumque donium
intrauerint, pullos ansarum — et aliorum animalium foetus verbo et visu vel
auditu obfascinare et perdere posse affirmant? — Credidisti, quod multae mu*
lieres — credunt et affirmant, verum esse ut credas, in quietae noctis silentio.
cum te collocaveris in lecto tuo, et maritu tuo in sinu tuo jacente, dum cor-
porea sis, januis clausis exire posse et teixarum spatia cum aliis simili errore
deceptis pertransire valere et homines — sine armis visibilibus interficerc ctc.^
') Vgl. z. B. den aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts
stammenden „Beichtspiegel'*, welchen W. Moll in den Studien en Bydragen
op 't Rebied der historische Theologie, verzameld door W. Moll en J. G. de
lloop Schiffer (II. 1872, S. 387) mittheilt. In derselben Zeitschrift (S. 397 ff.)
berichtet Eelco Verwys in einer Abhandlung unter dem Titel: Bydrage tot de
kennis van het oude volksgeloof auch Ober andere „BeichlhQcher*. welche
sich ober den Völksaberglauben verbreiten. Ueber eines derselben kann Hoff-
manns (von FalUrsUben) Monatsschrift von und für Schlesien, l, 2. 753 ver-
glichen werden. — Auch das im fünfzehnten Jahrhundert in Ober- und Nieder-
deutschland viel gelesene Buch „der Seelen Trost" enthält vieles r)ahingchftn>;e.
— Als klassische Quelle zur Kenntniss des während des Mittelalters m den
Niederlanden aufgewucherten Aberglaubens wird von Verwys (S. 407) die 1475
zu Brügge erschienene Schrift Les Evangiles des Quenouilles (im Jahr 1850
von Jannet zu Paris in der Biblioth^que Klzevirienne neu aufgelegt) erwähnt,
die in Holland als das Boek van den Spinrock bekannt ist
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i7c
des h. Felix zu Bologna um 1 1 50 aus den vorhandenen
kirchenrechtlichen Sammlungen sein Dekret aufstellte imd
in dasselbe auch den Kanon Episcopi aufnahm ^), wodurch
derselbe in dem von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
an erwachsenden Corpus iuris canonici der Kirche seine
Stelle erhielt. —
Der Glaube an Hexerei galt also in der Kirche im
Anfange und noch in der Mitte des Mittelalters als ein
nichtiges Himgespinnst, als eine Illusion, welche vom
Teufel herrühre, mit welcher der Teufel aber nur Die-
jenigen berücken könnte, die sich in ihren Herzen von
Gott ab- xmd dem Teufel zuwendeten, und welche eben
darum strafbar wären. Daneben kamen in der Kirche
allerlei Zauberversuche vor, die als Ueberbleibsel des alten
Heidenthums angesehen wurden. Genau dem entsprechend
richtete nun die Kirche ihr Strafverfahren gegen Zauberei
und Hexerei ein. Noch immer galt die Handhabung der
Kirchenzucht, eventuell die Excommunication als das eigent-
liche Strafmittel gegen Zauberei. In diesem Sinne sprechen
sich alle Synoden jener Zeit aus. Sie verfügen meistens
Pönitenzen von vierzig Tagen bis zu sieben Jahren, wobei
es aus lokalen und zeitigen Verhältnissen zu erklären sein
mag, dass dieselbe Sache bald strenger bald milder ge-
nommen wird. Der Gedanke einer kriminalrechtlichen
Verfolgung abergläubischer Uebungen war der Kirche
ganz fremd. Die Synode zu Riesbach imd Freisingen von
799 dekretirte in Kanon 15: „Zauberer, Zauberinnen etc.
sollen eingekerkert imd durch den Archipresbyter wo
möglich zum Geständniss gebracht werden; aber am
Leben darf ihnen nichts geschehen." Dieses wardie
schärfste Synodalverfügnng, welche in dieser Zeit vorkam.
Dass die Strafe fiir Geistliche schärfer sein sollte als fiir
Laien, kann nur als angemessen erscheinen; aber auch
hierin war nicht ein Jahrhundert dem andern gleich.
Während das vierte Concil von Toledo (633) den Kleriker,
welcher Magier befragt, ohne Weiteres mit Absetzung
^) Decretum Gratiani, Pars II. caus. XXYI. Quaest. V. c. 12.
I ^5 Siebentes Kapitel.
und lebenslänglicher Klosterhaft bedroht *) bestrafte Papst
Alexander III. (t 1181) einen Priester, der, um gestohlenes
Kirchengut zu entdecken, bei einem Wahrsager in ein
Astrolabium gesehen hatte , nur mit ein- bis zweijähriger
Suspension, — indem der an sich gute Wille dabei in
Anschlag gebracht wurde ^). Niemals ist es aber in der
langen Periode vom Untergange des weströmischen Reiches
bis zur Einführung der delegirten Inquisition vorgekommen,
dass die Kirche den weltlichen Arm zu blutiger Ver-
folgung der Zauberei angerufen hätte ; wohl sind dagegen
Päpste und Synoden zum öfteren der barbarischen Strenge,
mit welcher die Staatsgewalt hin und wieder die Zauberei
verfolgte, entgegengetreten. Der Papst Nicolaus 1.(858 bis
867) z. B., „einer der klügsten und kühnsten Priester, die
je die Welt gesehen", erklärte sich in einem Schreiben
an den Bulgarenfürsten nachdrücklichst gegen den Ge-
brauch der Folter, welche man unter den Bulgaren gegen
die des Diebstahls Beschuldigten anzuwenden pflegte. Ein
solches Verfahren, schrieb er ihm, sei gegen alles göttliche
und menschliche Gesetz. „Und wenn ihr nun durch alle
von euch angewandten Strafen kein Bekenntniss von dem
Angeklagten erpressen könnt, schämt ihr euch nicht dann
wenigstens imd erkennt ihr dann nicht, wie gottlos ihr
richtet? Gleicherweise wenn Einer durch die Marter dazu
gebracht worden, sich dessen schuldig zu bekennen, was
er nicht begangen, wird dann nicht die Schuld auf den
fallen, welcher ihn zu einem solchen lügenhaften Bekennt-
nisse zwingt? Verabscheut also von ganzem Herzen, was
ihr bisher in eurem Unverstände zu thun pflegtet!**^) —
In demselben Sinne forderte Gregor VII., der gewaltige
Hierarch, den König von Dänemark auf, es zu verhindern,
dass in seinem I.ande bei eintretenden Unwettern imd
Seuchen unschuldige Frauen als Zauberinnen, welche solches
Unglück verursacht hätten, verfolgt würden 3).
*) Decret. Gregor. Lib. X, Tit, XXI. de sortilegiis, cap. 3,
*) Neander, Allgemeine Gesch. der christl. Religion u. Kirche, 3. Aufl.,
B. II. S. 170.
') Neander, eben das. S. 380.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i^y
Auch von Seiten der weltlichen Gewalten kam
übrigens ein peinliches oder blutiges Einschreiten gegen
Zauberei nur gar selten vor. Die Nachricht der sogen.
Annalen von Corvey, dass im Jahr 914 in Westfalen viele
Hexen verbrannt worden seien, ist theils der Unechtheit
dringend verdächtigt), theils enthält sie nichts, was ein
solches Ereigniss als gerichtliche Handlung hinstellen könnte.
Ebenso ist mit Grund bezweifelt worden, was Mariana im
dreizehnten Jahrhundert meldet, dass bereits unter dem
König Ramirus (neuntes Jahrh.) in Spanien Zauberer zum
Scheiterhaufen gefuhrt worden seien. Sehr vereinzelt stehen
historisch beglaubigte Beispiele von Hinrichtungen da, wie
dasjenige, welches sich nach Lambert von AschafFenburg
im Jahr 1004 zu Köln zutrug. Eine Frau wurde von der
Stadtmauer herabgestürzt, weil sie im Rufe stand, durch
Zauberkünste den Verstand der Menschen verwirren (de-
mentare) zu können 2). Ueber das Nähere lässt uns der
Schriftsteller im Dunkeln. Auch in den Gesetzen Hein-
rich's I. von England blieb vorausgesetzt, dass durch einen
Zauber, den man in vultu nannte, d. h. durch Verfertigung
eines Bildes von Wachs oder Lehm (welches man durch-
stach etc.) ein Mord begangen werden könnte^). Ob es
die Furcht vor Zaubereien solcher oder anderer Art war.
*) Nach Wigand (das Chronicon Corb. , Leipz. 1841) sind diese An-
nalen ebenso, wie das sogen. Chronic. Corb. ein Machwerk Paullini's. An
der hierher gehörigen Stelle hatte schon Leibnitz Anstoss genommen. Er
sagt hierüber im Vorw. zu B. II. der Braiinschw. Geschichtsquellen: Sagas
iam a. 915 (muss heissen 914) in territorio Corbeiensium combustas in hoc
codem Chronic© notari miror; neque enim alias observo tarn vetustum fuisse
morem crüdelis credulitatis.
■) Lamb, Schafnab, p. 208 (Ausgabe von Krause, S. 136).
') Joh. V. Saiisbury (Polier. I. ll) redet von dieser Art des Zaubers, die
sich ganz auf Römisches gründet und auch auf die Neigungen des Menschen
wirken sollte: Vultivoli sunt, qui ad affectus hominum immutandos in
moUiori materia, cera vel forte limo, eorum, quos pervertere nituntur, effigies
exprimunt, cuius illusionis in pharmaceutria Virgilius meminit : Limus ut hie
öurescit etc. Nase quoque in libro Heroidum. — Die Zauberer selbst hiessen
vultuarii. Im Französischen begegnet uns dieselbe Sache unter dem Ausdruck
envoüter.
138 Siebentes Kapitel.
wesshalb es den Juden xrnd Weibern verboten wurde, bei
Richard's I. Krönung zugegen zu sein, lässt sich aus der
allgemeinen Angabe, die sich bei Matthäus Paris über
diese Massregel findet, nicht entnehmen ^).
Vollkommen klar liegen die damaligen Verhältnisse
im Königreich Ungarn vor.
In der Gesetzgebung des Königs Stephan L von
Ungarn (997 — 1038) wird nämlich zwischen Hexerei und
Wahrsagerei einerseits und Zauberei andererseits unter-
schieden. Der Zauberer — der veneficus aut maleficus — ,
der Menschen an Leib oder Leben schädigt, begeht ein
bürgerliches Verbrechen, und soll darum dem Geschädigten
oder den Angehörigen desselben zu beliebiger Behandlung
übergeben werden. Dagegen galt die Hexerei als Dä-
monendienst und als rein kirchliches Vergehen. Daher
bestimmt das Decretum Sancti Stephani (L. 11. c. 31), dass,
wenn man eine Hexe finde, sie in die Kirche gefuhrt und
dem Geistlichen empfohlen werden solle, der sie zum Fasten
und zur Erlernung des Glaubens anhalten werde; nach
dem Fasten möge sie nach Hause gehen. Werde sie zum
anderen Mal über demselben Vergehen ergriffen, so solle
sie wieder fasten, darauf aber mit dem glühend gemachten
Kirchenschlüssel auf der Brust, an der Stirn und zwischen
den Schultern in Kreuzesform gebrandmarkt werden. Bei
dem dritten Betretungsfall dagegen möge man sie dem
weltlichen Gericht übergeben. Wer Wahrsagerei treibe
(sortilegio utentes, ut faciunt incinere et his similibus), solle
vom Bischof mit Geisseihieben auf den rechten Weg zu-
rückgebracht werden.
Im Wesentlichen hielten diesen Standpimkt für die
Auffassung der Sache auch König Ladislaus der
Heilige (1077 — 1095), der (im S. Ladislai Decretum 1. 34)
die Hexerei auf Eine Linie mit der Hurerei stellte, imd
König Koloma nn (1095 — H14) fest, welcher letztere (im
Decretum Colomanni Regis I. 57) alle Zauberer dem Archi-
diaconus und dem Kreisgrafen zur Bestrafimg zuweist.
') Uist. major ad ann. 1188.
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i^g
dagegen bezüglich der Hexen sagt: „Ueber die Hexen,
die es nicht gibt, soll keine Untersuchung angestellt
werden** ^).
Gerade in diesen Gesetzen des Königreichs Ungarns
können wir die Ergebnisse der Einwirkung des christlichen
Geistes auf den überlieferten heidnischen Aberglauben am
klarsten und sichersten erkennen. Die$elben berechtigten
zu der Hoffnung, dass es dem Evangelium in nicht allzu-
ferner Zeit gelingen werde, die Völker des Abendlandes
aus den Banden des heidnischen Dämonismus ganz zu
befreien.
Im griechischen Kaiserreiche freilich sah es an-
ders aus. Am Hofe von Byzanz, dem elenden Hofe der
Grünen und der Blauen , der Bilderstürmer und Säulen-
heiligen, der Regenten mit geblendeten Augen und der
Kriegsmänner mit Kaftan und Stock, der schreibenden
Prinzessinnen und der disputirenden Kaiser, — an diesem
Hofe sah man die nothwendigen Consequenzen der Gesetze
Constantin's und der Nachfolger desselben in grausiger
Wirklichkeit hervortreten*). Im Abendlande dagegen
waren die drakonischen Gesetze der christlich-römischen
Kaiser längst vergessen. Staat und Kirche hatten sich
hier zu ernster aber menschlicher Gegenwirkung gegen
*) „De strigis vero, quae non sunt, nulla quaestio fiat.*' Der Sinn der
Worte ist übrigens nicht ganz klar. Vgl. F, Müller, Gesch. d. Hexenglaubens
in Siebenbürgen, S. 9.
•) Einige Beispiele von Verfolgung angeblicher Zauberer gibt Nicctas
Chüniata im Leben des Manuel Komnenus (Lib. IV. Cap. 6. ed. Bekker). Der
Protostrator Alexius wurde unter solcher Anklage von dem habsächtigen
Kaiser seiner Güter beraubt und ins Kloster gesteckt. Der Dolmetscher Aaron
Isaacius, welcher Legionen von bösen Geistern zu seinem Dienste citiren
können sollte, wurde geblendet und später noch von Isaak Angelus mit Ab-
schneiden der Zunge bestraft. Die Strafe der Blendung erlitten auch Sklerus
Scth und Michael Sicidites, jener wegen Liebeszauber, den er durch eine
Pfirsich verübt, dieser wegen seiner dämonischen Verwandlungskünste, durch
welche er einst in einem mit Töpfen beladenen Nachen eine ungeheuere
Schlange erscheinen liess, so dass der Eigenthümer in dei Angst der Selbst-
vertheidigung seine säramtliche Waare zerschlug. Auch der Kaiser Theodor
Laskaris, der seine Krankheit der Bezauberung zuschrieb, stellte Verfolgungen
an, bei denen er sich der Feuerprobe bediente.
I40
SaebcBtes KsDiteL
den althergebrachten Unfug- des Zauberwesens vereinigt,
und erleuchtete Kirchenlehrer konnten es kühnlich aus-
sprechen, dass der Glaube an die Wirklichkeit der
Hexerei Sünde wäre, welche von der Kirche be-
straft werde.
In Wahrheit lag aber im Glauben, Denken und Leben
der Christenheit während der drei ersten Jahrhunderte des
rweiten Jahrtausends ein tief gehender Gegensatz vor, aus
welchem neben den frohesten Hoffnungen für die Zukunft
der abendländischen Volker auch Gespenster auftauchten,
die Schreckliches ahnen Hessen.
Jene Zeit war eine Zeit der Rohheit und Finstemiss
in aller Wissenschaft für das christliche Abendland. Die
sparsamen Lichtstrahlen, die für Mathematik, Naturkunde
und Medizin aus dem muhammedanischen Südwesten herüber-
blitzten, fanden selten dankbare Aufnahme. Sie verblüfften
und schreckten durch ihre Unbegreiflichkeit die dumme
Volksmasse, störten den Klerus aus seiner bequemen Träg-
heit auf, bedrohten sein Ansehen und selbst sein Einkom-
men. Wie er bisher in fast ausschliesslichem Besitze eines
eigenthümlichen Heilverfahrens gewesen war, ist oben be-
rührt worden. Jetzt erfuhr man durch einige Wissbegierige,
die bei den Arabern und Juden Spaniens gelernt hatten,
von Hippokrates und Galen, Aristoteles und Maimonides,
Dschaffar, Ebn Sina und Averroes, und die neue Kunde
schien die ganze bisherige Mönchsgelehrsamkeit aus dem
Sattel zu heben. Darum gebot der eigene Vortheil, die
unwillkommenen Lehren als unchristlich und magisch zu
verdächtigen; aber die Wahrheit wusste dennoch ihren
Weg zu finden. Gerbert, in Sevilla und Cordova ge-
bildet, wegen seiner mathematischen und physikalischen
Kenntnisse als Schwarzkünstler verschrieen, bestieg nichts
desto weniger als Sylvester IL im Jahr 999 den päpst-
lichen Stuhl und arbeitete mit seinem Freunde Otto HI.
rüstig für das Emporkommen der Wissenschaft. Con-
stantinus Africanus, der getaufte Jude, bei den Ara-
b<»rn in Kairo mit medizinischen Kenntnissen bereichert,
nach seiner Heimkehr ebenfalls verfolgt, fand freudige
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i^j
Aufhahme bei den aufgeklärten Mönchen von Monte-Cas-
sino, wo er dem Abendlande griechische und arabische
Schriftsteller durch Uebersetzungen zugänglich machte und
zur Hebung der neuen Arzneischule von Salerno nicht
wenig beitrug *). Ueberhaupt erhob sich der Benediktiner-
orden über das gemeine Vorurtheil. Etwas später war
es abermals ein Angehöriger desselben, Adelard aus
England, der in Spanien physikalische und medizinische
Schriften der Araber übersetzte. Freilich war es Schade,
dass aus der arabischen Medizin sich auch das astrologische
Element herüberschlich und von den Christen nachgerade
eifriger gepflegt wurde, als selbst das System der arabi-
schen Aerzte gestattete^); aber magischer wurde darum
die christliche Medizin nicht, als sie in ihrer früheren
theurgisch-rituellen Behandlungsweise gewesen war. —
Auch gegen Gregor VU. und alle seine Vorgänger bis zu
Sylvester 11. hinauf ist das Geschrei der Zauberei erhoben
worden. Es war ein Nothschrei des schismatischen Kar-
dinals Benno, der seiner Partei einen Stuhl durch Ver-
leumdung zu erwerben gedachte, welchen der Sohn des
Zimmermanns aus Saona durch böse Kunst bestiegen haben
sollte; aber ruhig hätte dieser auf seinem Sitze bleiben
mögen, bis ein Höherer ihi\ abrief, wären die Waffen des
deutschen Heinrich nicht schärfer gewesen, als die Zunge
des ränkesüchtigen Priesters.
Es standen sich eben damals in der Kirche geistvolle,
angesehene Männer von ganz entgegengesetzter Geistes-
richtung einander gegenüber, von denen die einen es als
ihre Aufgabe ansahen, das Denken und Leben des Volkes
von dem Dämonen- und Hexenglauben frei zu machen,
während die anderen die Vertretung desselben als ihre
kirchliche Pflicht betrachteten.
Johannes von Salisbury, Bischof von Chartres
') Doch verwarf auch Constantin nicht ganz die incantationes , adjura-
tiones und colli suspensiones gegen Krankheiten. £})ist. ad filium.
') Sprengel Gesch. der Med. Th. II. S. 413.
142 Siebentes Kapitel.
(t ii8i), welcher der einreissenden Finstemiss gleichsam
den letzten Damm entgegenzusetzen suchte, sagt in seinem
„Policratic^s" (II. 1 7) : „Manche behaupten, dass die sogen.
Nachtfrau oder die Herodias nächtliche Berathungen und
Versammlungen berufe, dass man dabei schmause, allerlei
Dienste verrichte, und bald nach Verdienst zur Strafe ge-
zogen, bald zu lohnendem Ruhme erhöht werde. Ausser-
dem meinen sie, dass hierbei Säuglinge den Lamien bei-
gegeben und bald in Stücke zerrissen und gierig ver-
schlungen, bald von der Vorsitzerin begnadigt und in ihre
Wiegen zurückgebracht werden. Wer wäre so blind, um
nicht zu sehen, dass dieses eine boshafte Täuschung der
Dämonen ist ? Dies geht ja schon daraus hervor, dciss die
Leute, denen dieses begegnet, arme Weiber und einfaltige,
glaubensschwache Männer sind. Wenn aber Einer, der
an solcher Verblendung leidet, von Jemandem bündig und
mit Beweisen überfuhrt wird, so wird augenblicklich der
böse Geist überwunden oder weicht von dannen. Das beste
Heilmittel gegen solche Krankheit ist, dass man sich recht
fest an den Glauben hält, jenen Lügen kein Gehör gibt
und solche jammervollen Thorheiten in keiner Weise der
Aufmerksamkeit würdigt."
In ähnlichem Sinne sprachen sich auch viele andere
erleuchtete Kirchenmänner im zwölften und sogar auch
im dreizehnten Jahrhundert über die Nichtigkeit des
Zauberspuks aus. Aber derjenige Scholastiker, der unter
allen Kirchenlehrern des dreizehnten Jahrhunderts unbe-
stritten als der angesehenste hervorragte, Thomas von
Aquino (t 1274), den Johann XXII. im Jahr 1323 unter
die Heiligen erhob und den Pius V. im Jahr 1567 zum
Doctor ecclesiae proclamirte, verkündete, dass es ein Irr-
thum sei, wenn man den Dämonenglauben aus Illusionen
und die Malefizien aus dem Unglauben herleiten wolle,
indem es wirklich ein unter dem Teufel als seinem Ober-
haupte stehendes Dämonenreich gebe, und dass der Teufel
und dessen Dämonen mit göttlicher Zulassung die Macht
besässen, böse Wetter zu machen, Eheleute an der Aus-
übung der Geschlechtsgemeinschaft zu hindern xmd den
Das Mittelalter bis zum dreizehnten Jahrhundert. i^^.^
Menschen sonst noch in allerlei Weise Schaden zuzu-
fügen ^).
Kalt und grausig blickte es aus dieser Doktrin des
grossen Kirchenlehrers der abendländischen Menschheit
ins Angesicht. Denn schloss sich diese Dämonenlehre mit
dem im Volke heimischen Aberglauben zusammen, so war
die Möglichkeit gegeben, dass dem Zauberspuk von der
Kirche volle Wirklichkeit zuerkannt ward, und dass sich
aus jener Lehre der ganze Dämonismus des Heidenthums
als Wahn von einem in der Kirche bestehenden Reiche
des Satans erhob , gegen welchen dann alle christlichen
Gewalten, vor allem die Kirche, zu einem Vemichtungs-
kampf von Gott verpflichtet erscheinen konnten.
^) De maleficiis autem sciendum est, quod quidam dixerunt, quod
maleficiuoi nihil est, et quod hoc proveniebat ex infide-
litate: quia volebant, quod daeraones nihil sunt, nisi imaginationes hominum, in
quantum scilicet homines imaginabantur eos et ex illa imaginatione territi laedeban-
tur. Fides vero catholica vult, quod daemones sint aliquid et
possint Docere suis operationib us et impedire carnalem co-
p u 1 a m. T h o m. A q u i n. Quodlib. XI. art. lo. — Ferner Thom. Aquin. Com-
ment. in Job cap. I. : Considerandum est, quod necesse est confiteri, quod Deo
permittente daemones possunt turbationes afris inducere, ventos concitare et
facere, ut ignis de coelo cadat. Quam vis enim materia corporalis non obediat
ad nutum angelis neque bonis, neque malis ad susceptionem fonnarum, sed soli
creatori Deo, tarnen ad motum localem natura corporea nata est spiritali naturae
obedire; cujus indicium in homine apparet. Nam ad solum Imperium voluntatis
moventur membra , ut affectum voluntate dispositum prosequantur. Quaecunque
igitur solo motlocali fieri possunt, haec per naturalem virtutem non solum spiritus
boni, sed etiam mali facere possunt, nisi divinitus prohibeantur. Venti autem et
pluviae et aliae hujusmodi a^ris perturbationes ex solo motu vaporum resolutorum
ex terra et aqua fieri possunt. Unde ad hujusmodi procreanda naturalis virtus
dacmonb suflicit; sed interdum ab hoc divina virtute prohibentur, ut non
Ikeat iis facere omne quod naturaliter possunt. Non est autem contrarium,
quod dicitur Hier. 14. „Numquid etc." — Aliud enim est naturali cursu
pluere, quod soli Deo convenit, qui causas naturales ad hoc ordinavit; aliud
arHJicialiUr uti aliquo ad pluviam, vel ventum interdum quasi extraordinarie
produccndum. —
ACHTES KAPITEL.
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum drei-
zehnten Jahrhundert.
Mit dem dreizehnten Jahrhundert haben wir einen
Wendepunkt in der Geschichte des Zauberwesens erreicht.
Es beginnt eine kurze Periode des Uebergangs, die mit
einer überraschenden Erscheinung endigt. Am Schlüsse
derselben sehen wir den bisher von der Kirche in seiner
Realität oft bekämpften Zauberglauben kirchlich ge-
boten und den Zweifel an dieser Realität als
Ketzerei hingestellt. Der Umfang der Zauberei hat sich
erweitert , ihr Charakter ist ein anderer geworden. Es
handelt sich nicht mehr um Beschädigungen von Menschen,
Thieren und Fluren, Liebeszauber, Luftfahrten, geheimniss-
volle Heilungen , Sortilegien und Wettermachen , als ein-
zelne, unter einander unverbundene Künste : vielmehr sam*
mein sich alle diese Begehungen und noch andere, neu
hinzutretende von nun an als Radien um einen gemein-
schaftlichen Mittelpunkt, der nichts anders ist, als ein voll-
endeter Teufelscultus. Das ausdrückliche oder still-
schweigende Bündniss mit dem Satan, die ihm dargebrachte
obscöne Huldigung und Anbetung, die fleischliche Ver-
mischung mit ihm und seinen Dämonen, die Lossagung
von Gott, die förmliche Verleugnung des christlichen
Glaubenb, die Schändung des Kreuzes und der Sacramente,
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh. i^e
— dieses alles ist wesentliches Attribut der neueren Zau-
berei und stellt dieselbe scheussfieher hin, afs alles, was
die alte Zeit jemals unter diesem Namen begriffen hat.
Jetzt erhebt die Kirche das Panier einer blutigen Ver-
folgung und das bürgerliche Gesetz trägt ihr eine Zeitlang
das Schwert vor, um dieses zuletzt selbstständig zu führen.
Was früher neben der Magie den verfolgten Sekten vor-
geworfen worden war, wie z. B. abscheuliche Einweihimgs-
ceremonien, Kindermord, Unzucht — das wurde jetzt in
den Begriff der Zauberei mit hereingezogen. Man liess
jetzt die Zauberei in der öffentlichen Meinung als die
praktische Seite der Ketzerei hervortreten und erhob sie
selbst zur Häresis.
Das Vorbild der Anklagen, die man gegen die Ketzer
erhob, können wir nämlich im Wesentlichen in dem finden
was einst Min ucius Felix seinen Cäcilius, als Repräsen-
tanten der heidnischen Volksmeinung, gegen die christ-
lichen Urgemeinden sagen liess. Die Christen erscheinen
dort als eine verworfene, verzweifelte und lichtscheue
Faction, zusammengesetzt aus verdorbenem Gesindel und
leichtgläubigen Weibern, die gegen das Göttliche wüthet,
gegen dcis Wohl der Menschen sich verschwört und der
Welt Verderben droht. Sie gemessen in ihren nächtlichen
Versammlungen unmenschliche Speise, verachten die Tem-
pel, speien die Götter an und verspotten die heiligen Ge-
bräuche; ihr eigner Kult ist nicht Gottesdienst, sondern
Ruchlosigkeit. Sie erkennen sich an geheimen Zeichen,
nennen sich unter einander Brüder und Schwestern und
entweihen diesen heiligen Namen durch Gemeinschaft der
Unzucht. Sie beten einen Eselskopf an, oder wie Andere
behaupten, die Genitalien ihres Oberpriesters *). Vor allem
abscheulich ist die Aufnahme in ihre Gesellschaft. Ein
Kind, mit Mehl überdeckt, wird dem Aufzunehmenden
*) Cehus (Orig. c. Cels. III. 17) vergleicht den christlichen Kult mit
dem Gflttendienste der Aegyptier, wo Katze, Affe, Krokodil, Bock und Hund
als Götter verehrt werden.
Soldan-Beppe, Hexenprozease. ^^
146 Achtes Kapitel.
vorgesetzt. Derselbe muss wiederholt in das Mehl stechen
und tödtet das Kind; das fliessende Blut wird von den
Christen gierig aufgeleckt, die Glieder des Kindes werden
zerrissen und so wird durch dieses Menschenopfer ein Pfand
hergestellt, welches der Gesellschaft die Verschwiegenheit
der Einzelnen verbürgt. Am Festtage versammeln sich
alle mit ihren Schwestern, Müttern und Kindern zum ge-
meinschaftlichen Mahle. Wenn bei demselben durch im-
mässiges Essen und Trinken die Wollust gereizt ist, so
wird einem an das Lampengestell festgebundenen Hunde
ein Bissen hingeworfen, den er nicht erreichen kann, ohne
durch Zerren und Springen das Gestell umzuwerfen. Sind
nun auf diese Weise die Lichter erloschen, so gibt sich
die Gesellschaft, wie eben der Zufall die Personen zu-
sammenführt, der abscheulichsten Unzucht hin.
Ein ganz auf dasselbe hinauslaufendes Gemisch von
Anschuldigungen stellte sich nun in der öffentlichen Mei-
nung der Kirche bezüglich der in ihr hervortretenden
Ketzer und Sekten zusammen, so dass neben der Ge-
schichte der Ketzereien auch eine Geschichte der düsteren
Sagenkreise hergeht, in denen die öffentliche Meinung der
Kirche bezüglich jener zum Ausdruck kam. Nur die letz-
tere, nicht die eigentliche Ketzergeschichte kommt für
unsere weitere Darstellung in Betracht.
An der Spitze des Ketzerkatalogs erschien seit Ire-
näus ^) als Erzketzer und Erzzauberer Simon Magus, der
eben darum auch als der Erstgeborene des Satans galt *).
Seine Anhänger sollen, wie Irenäus sagt, mit Liebeszau-
bem, Familiargeistern und dem Bewirken von Träumen
umgegangen sein. Mit Simon Magus und seinem Schüler
brachte man frühe die ganze heidnische Gnosis in Zu-
sammenhang, deren phantastische Lehren und geheimniss-
vollen Kulte und Uebungen zu den seltsamsten Ver-
') Irenäus adv. haeres. l. 20: Universam magiam adhuc amplius inscru-
tans, ita iit in stuporem co^erot multos hominum, — Eusthius (H. E, 11. 13)
nennt ihn raaY,^ 0'f'y.''iY^^ aipiattu;.
'} Ignatius nd Trall.
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh. 14^
dächtigungen Anlass gaben. Von den Ophiten berichtete
Origenes*), dass sie, bei der Abendmahlsfeier eine ge-
zähmte Schlange gebrauchend, in dieser den Teufel ver-
ehrten. Das Wunderlichste aber erzählte man sich von
dem Schüler des Gnostikers Valentinian, Marcus, dessen
Anhänger Marcosier genannt wurden. Irenäus legt ihm
einen Dämon Paredros (Spir. famil.) bei, mit dessen Hülfe
er allen möglichen Zauberspuk getrieben haben soll. Na-
mentlich wird gesagt, dass er seine Anhänger, meistens
Weiber, durch Zauberei gewonnen habe. Bei der Abend-
mahlsfeier verwandelte er den weissen .Wein in drei Glas-
bechem in rothen, violetten und blauen Wein, und goss
den Inhalt des weit kleineren Bechers in einen viel grös-
seren und zwar so, dass dieser dennoch überlief. Die
Weiber, welche diese Magie mitansahen und sich durch
dieselbe gewinnen Hessen, betrachtete Marcus als sein
Eigenthum, indem sie ihm zur Befriedigimg seiner Lüste
dienen und alles Eigenthum ihm überlassen mussten. Ueber-
diess rühmten sich die Marcosier, dass sie sich unsichtbar
machen könnten*).
Ueber Lehre und Leben der Marcosier und einzelner
anderer gnostischer Sekten liegen allerdings wenige zu-
verlässige und sichere Nachrichten vor. Von einer anderen,
gleichzeitigen Sekte, nämlich von der der Montanisten,
wissen wir auf das Sicherste, dass in ihr die rigoroseste
Sittenstrenge waltete; gleichwohl wurden gerade ihnen die
entsetzlichsten Gräuel nachgesagt. Sie sollten alljährlich
ein Kind schlachten oder wenigstens am ganzen Körper
mit ehernen Nadeln durchstechen und das abgezapfte Blut
unter Mehl kneten, um daraus das Abendmahlsbrot zu
bereiten. Ausserdem wurden die Montanisten, weil sie
sich des Besitzes einer ekstatischen Prophetin rühmten, als
vom Teufel Besessene verschrieen^).
Begreiflich dagegen ist es, dass das manichäische
») Contra Celsum, VI. 28,
*) Irenäus, adv. haeres. I, 8 u. 9; Epiphanius, Haeres. XXXIV. 1.
») Euseb. H. E. V. 16 ff.; Epiphan. Haeres. XLVIII. 14.
1^8 Achtes Kapitel.
Lehrsystem, — dieses glühend prächtige Natur- und
Weltgedicht, wie man es genannt hat, — bei seinem streng
dualistischen Aufriss als die Brutstätte einer spezifisch
ketzerischen Dämonenlehre gelten konnte. Man sagte von
den Manichäern, dass sie Amulete und Zauberformeln ge-
brauchten, dass sie allerlei böse Wetter machen konnten,
und dass in ihren Versammlungen ein geheimnissvoller,
blasser Mann erscheine, — nach der Meinung der Einen
der Häresiarch, nach der Anderer der TeufeP). — So
ziemlich in demselben Rufe standen auch die Priscillia-
nisten in Spanien (um 400), deren System ein Gemisch
gnostisch-manichäischer Gedanken war. Namentlich sollten
sie böse Wetter, Sturm und Hagel mit Hilfe des Teufels
zu bewerkstelligen versuchen *). — Im Gerüche eines eigent-
lichen Satansdienstes (durch welchen sie sich gegen dessen
Tücke schützen wollten), standen die Messalianer (im
vierten Jahrhundert), sowie späterhin (ums Jahr 1000) auch
die Bogomilen. Unter den ersteren (griechisch auch
„Euchiten" genannt), wollte man sogar eine Fraction von
„Satanianem" entdeckt haben, — die jedoch nie existirthat').
Es erhellt hieraus, dass die Stellung der öffentlichen
Meinung der Kirche zu den im Orient und in Griechen-
land auftauchenden Häresieen zu allen Zeiten dieselbe war.
Auch in den späteren Jahrhunderten traute man den Sekten
ganz dasselbe zu, was man schon im zweiten Jahrhundert
von denselben erzählt hatte. Aber Eine Thatsache war
dabei vorgekommen, deren gleichen die Kirche vordem
noch nicht gesehen, auch nicht für möglich gehalten hatte :
Priscillian war im Jahr 385 zu Trier hingerichtet worden*
Das war das erste Mal, dass ein Christ wegen Ketzerei
am Leben gestraft ward. Ein Schrei des Entsetzens gin|^
damals durch die Kirche. Der Bischof Ambrosius von
Mailand donnerte in dieselbe hinein. Allein die Thatsache
•) Epiphan, Hacrcs. LXVI. 13. 21. 88.
*) Concil. Braccar. c. 9 u. 10. Vgl, ausserdem Orosii Consult. de crrari-
bus Priscillianistarum.
') Vgl. den Art, „Messalianer" in Herzogs Iheol. Realen cyclopÄdie, B. *>.
Das Kelzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh, i^g
lag doch vor, dass wegen Ketzerei — mit welcher der
Verdacht der Zauberei immer verbunden war, — ein Christ
am Leben bestraft werden konnte.
Uebrigens trat die Häresie im Abendlande während
des ganzen ersten Jahrtausends der Kirche nur in einzelnen
sporadischen und vorübergehenden Erscheinungen auf.
Anders aber wurde der Stand der Dinge, als das erste
Jahrtausend der Kirche abgelaufen war.
Als der Schluss desselben herannahte, war die ganze
abendländische Christenheit voll banger Erwartung des
bevorstehenden Endes der Welt. Denn was die Apoca-
lypse von dem tausendjährigen Reiche Christi auf Erden
verkündet hatte, das wurde auf die bestehende Kirche be-
zogen. Unzählige, die sich um ihr ewiges Seelenheil Sorge
machten, haben damals mit ausdrücklicher Hinweisung auf
das herannahende Ende aller Dinge ihr Hab und Gut der
Kirche geschenkt. Aber die gefürchtete Wende der Zeiten
ging vorüber, und Alles war geblieben, wie es gewesen
war. Der Gedanke an das Ende dieser Welt schwand
daher sofort, imd fester und immer fester richtete sich da-
her der Blick aller kirchlich Gläubigen auf die sichtbare
Ordnung, die Gott angeblich für seine Kirche auf Erden
aufgerichtet hatte. Die Hingabe an die Autorität der
Kirche, an die Hierarchie, an das Papstthum galt nun
denselben als Bedingung alles Heiles. Denn mit derselben
Gewissheit, mit der man vorher das Ende aller Dinge er-
wartet hatte, glaubte man jetzt an den unvergänglichen
Bestand der Ordnung, die man faktisch im Reiche Gottes
auf Erden sah.
Aber es gab auch unzählige Gemüther, es gab ganze
Massen, welche durch den ungeheueren Ernst dessen, was
sie geglaubt und erwartet und durch die gewaltige Ent-
täuschung, die sie erlebt hatten, in ganz anderer Weise
gestimmt wurden. Nach der Meinung derselben war die
Zeit der Kirche, des hierarchischen Kirchen- und Christen-
thums nun zu Ende gegangen, wesshalb sie, der Kirche
den Rücken kehrend, nun* in voller Unabhängigkeit von
derselben über die ewigen Grundprobleme aller Religiosität
v%'/%*-.*iir»';.;(^ /,u ^l^rr/ic*^, -r.l *r/n zu g^anz nei:«i ReIigioii>-
;(<rn^<^vrr»v.h-afvm zj ^Hnij^en be^anr.en. Es war die Idee
#';ri<-r v'Al'/'rTi N^r-.2'ruryi..n2' des Reiches Gottes, der diese
Kreivr h^r-i^hafli^/t/?; ur.d z^ar g'eschah dieses so, dass ihnen
'Lih'fi d'rr Oe^lanke an das Bestehen eines gottfeindlichen
X^'j/ tii'v, rjijii Satans, zu welchem Gottes Reich im schroffsten
G<*^err.;it/e sU;hen müsv5, vorschwebte. Je schroffer aber
tlt*r Gej^ensaU war, an den man dachte, um so stärker,
^/«♦walti^er und umfänglicher hob sich in den Gedanken
(\U*^,t*r KrrriM* die Idee der satanischen Macht und ihres
l<t*'u'.hi*H hervor. lis gestaltete sich in denselben eine ge-
riuU*/M dualistische Weltanschauung, welche den Satan
♦ils rtwiges Wesc»n wie Gott betrachtete, und welche —
iJ^iiUA ^nostisirend, — das Alte Testament mit seinem Je-
hnviihkult und die ganze äussere Kirche dem Reiche des-
sflbrn zuwies. Denn in beiden war allerlei Unreines ge-
he«! und gei)fl(»gt worden, während in dem Reiche Gottes
nur reines Leben vorhanden sein darf.
So cMitsUind vom Anfange des elften Jahrhunderts an
von (l(Mi V(Tschic»densten Punkten aus (ähnlich wie im
/wi'ittMi Jahrhundert die Gnosis) die Sekte der „Reinen**
(«ai'ht^M»/) Oller das Katharerthum, welches noch im Laufe
ih»s Jiihrhunderls, alle romanischen Volker, auch die Dal-
n\atit»ns und ilt*r umliegenden Lande durchdrang und selbst
tuuh DtnUsohland hin Kingang fand *). Das Katharenthum
r%n\>» baKl lior Kirche gan/e Gebiete ab, hatte einen eigenen
aus IUm hüten unii IMaoonen bestehenden Klerus, zahlreiche
Ptoct^stMi» trat auf Synoden zusammen und 20g fort xn>i
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh. lei
fort immer zahlreichere Massen — auch aus dem Adel und
der Geistlichkeit — an sich. Da sie die Materie vom
bösen Prinzip herleiteten, so forderten sie völlige Welt-
entsagnng als Bedingung des Eintritts in ihre Gemein-
schaft. Die Wassertaufe (als durch ein materielles Mittel
verrichtet) verwarfen sie ; dagegen behaupteten sie eine
Geistestaufe zu haben, die vermittelst einfachen Auflegens
der Hände verrichtet ward , und welche sie Consolamentum
nannten. Durch den Empfang dieses Consolaments wurde
der Einzelne ein Perfectus, ein Catharus.
Es begreift sich, dass die Hierarchie die drohende
Gefahr, die gegen sie heraufzog, nicht gleichgiltig über-
sehen konnte. Sie sah bald ein, dass es sich für sie um
Sein und Nichtsein handeln werde. Der grimmige Hass,
der sich in den Herzen der Katholiken gegen die Neuerer
ansammelte, machte sich daher zunächst in allerlei Schimpf-
namen, mit denen man sie bezeichnete, Luft. Man nannte
sie Bougres (Bulgaren, d.h. Bogomilen, zugleich = lieder-
liche Menschen), Poblicants (Verstümmelung von Pauli-
ciani im Sinne von Publicani = Zöllner und Sünder), Albi-
gen ser (von dem katharischen Bisthum zu Alby in Süd-
frankreich), Pat arener (nach dem Revier der Lumpen-
sammler zu Mailand, Patavia), am gewöhnlichsten aber
Manichäer. Bald waren aber auch über die Sitten, über
das Treiben derselben bei ihren gottesdienstlichen Ver-
sammlungen die boshaftesten imd ungeheuerlichsten Ge-
rüchte in Umlauf gesetzt, und rasch nahm daher die Ver-
folgung der Ketzer ihren Anfang, wobei es sich zeigte,
dass der Gedanke, Ketzer müssten ausgerottet, am Leben
gestraft, verbrannt werden, der Kirche und den derselben
dienstbaren weltlichen Machthabern nicht mehr fremd war.
Schon um 1020 (unter dem Könige Robert) nahm die
Verfolgxmg in Orleans ihren Anfang. An der Spitze der
dasigen Katharergemeinde standen einige Kanoniker, an-
gesehen durch Bildung, Frömmigkeit und Stellung'). Im
*) Füesslin, Kirchen- und Ketzerhistorie der mittleren Zeit, Th. I. S, 31.
Glai^er, Hist. L. HI. c. 8.
I SJ2 Achtes Kapitel.
Gegensatze zur katholischen Lehre verwarfen sie nament-
lich die Transsubstantiation, die Wassertaufe und die An-
rufung der Heiligen. Sie redeten in schwärmerischen Aus-
drücken von einer himmlischen Speise und der Ertheilung
des heiligen Geizes durch Auflegung der Hände. Ein
normannischer Graf, Arefast, schlich sich, als wollte er ihr
Proselyt werden, in ihre Versammlung, denuncirte sie dann
beim König und veranlasste so eine Untersuchung. Die
Verhafteten bekannten freimüthig ihren Glauben und wiesen
die Bekehrungsversuche des Bischofs von Beauvais mit
Würde zurück. „Spare, — erwiederten sie auf seine ge-
lehrten dogmatischen Beweisführungen , — spare deine
vergeblichen Worte und thue mit uns, wie es dir gut dünkt.
Schon schauen wir unsem König, der im Himmel gebietet
und mit seiner Rechten uns aufnimmt zu unsterblichen
Triumphen und uns himmlische Freuden schenkt." Die
Angeklagten wurden hierauf degradirt und verbrannt, eine
Nonne und einen Geistlichen ausgenommen, die sich be-
kehrt hatten. In dem Benehmen dieser Unglücklichen liegt
nichts, was den Gottlosen bezeichnet ; auch redete Arefast
vor dem König lediglich vom Dogmatischen, und nirgends
ist überliefert, dass die Beschuldigten ausser ihrer Lehre
irgend etwas bekannt, oder zu bekennen gehabt hätten.
Aber schon der Mönch Glaber Radulf, ein Schriftsteller
eben desselben Jahrhunderts, beschuldigt sie des Epiku-
reismus und leitet ihre Ketzerei von einer Italienerin ab,
die, voll vom Teufel, Jedermann mit unwiderstehlicher Ge-
walt verführt habe. Noch weiter geht schon der gleich-
zeitige Ademar^). Nach ihm waren die Kanoniker von
einem Bauern betrogen , der den Menschen Asche ver-
*) Bei Zadfii Nov. Bibl. mscrpt. T. 11. p, l8i). Nam ipsi decrpti a
quodam rustico, <iui sc dicebat facerc viitutes, et pulverem ex mortuis pueri*.
secum deferebal, de quo quem po.sset coniniunicare , mox Manichaeum facir-
bat, adorabant diaboUim , qui primo eis in Aethiopis, dcinde Angeli luci*
fi^urationc apparebat et eis multum (juotidie argentum defercbat, cujus verbi-v
(ibcdientes, pcnitus Christuni latenter rcspuerant , et abominationes et crimina,
quae dici etiani fla^itiuni est, in occulto exercebanl , et in aperto Giristiaii^is
vciub tallcbant.
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zura dreizehnten Jahrh. j c -t
storbener Knaben eingab und sie durch die Kraft derselben
zu Manichäem zu machen verstand. Waren sie einmal
eingeweiht, so erschien ihnen der Teufel bald als Mohr,
bald als Engel des Lichts, brachte alle Tage Geld und
befahl ihnen, Christus äusserlich zu bekennen, im Herzen
aber zu verabscheuen und im Verborgenen sich aller Laster-
haftigkeit zu ergeben. Am weitesten ausgeführt sind in-
dessen diese moralischen Gräuel in einem Aufsatze, den
d'Achery aus dem alten Archive von St. Peter zu Chartres
raitgetheilt hat^). Weis den Verlauf der Entdeckung, des
Verhörs und der Hinrichtung, so wie die den Kanonikern
vorgeworfenen Glaubenspunkte betrifft, so scheint er sicherer
zu fuhren, afs Radulf und Ademar ; sobald aber der Ver-
fasser auf die himmlische Speise kommt, welche Arefast
verheissen wurde, kann er sich nicht enthalten, über die
Art ihrer Bereitung ein höchst abenteuerliches Märchen
einzuschalten. Doch muss bemerkt werden, dass er dabei
wenigstens nicht thut, als sei Arefast sein Gewährsmann;
er gibt es auf seine eigene Autorität, augenscheinlich aber
ist es den von Psellus erzählten Messalianergräueln nach-
gebildet. Man versammelt sich in der Nacht, jeder mit
einem Lichte, die Teufel werden in bestimmten Formeln
angerufen und erscheinen in Thiergestalt, darauf folgt Aus-
löschung der Lichter, Unzucht und Blutschande. Die er-
zeugten Kinder werden verbrannt und die Asche derselben
wie ein Heiligthum aufbewahrt. Diese hat eine so teuf-
lische Kraft > dass, wer auch nur das Geringste davon
kostet, unwiderstehlich an die Sekte gebannt ist. Der Ver-
fasser schliesst seine Episode mit einer treuherzigen Auf-
forderung an alle Christen, vor solchen Verführungen auf
der Hut zu sein.
In Italien begann die Verfolgung um 1035, indem der
Erzbischof Heribert v. Mailand (t 1044), in dem Schlosse
») IXAcherii Spicileg. T. I. p. 604. E vet. Chartulario S. Petri Carnot.
io Valle, Diplomatisch genau ist diese Erzählung abgedruckt in Cartulaire de
TAbbaye de Saint-P^re de Chartres, public par M. Gucrard (im ersten Band
der Collection des Cartulaires de France, Paris 1841) Tom. 1. pag. 108 flf.
ic^ Achtes Kapitel.
Monteforte bei Turin eine Katharergeraeinde aufspürte,
welche nicht an die Brotverwandlung- glaubte, dem Kreuze
keine Ehrfurcht bezeigte und sonstiger Ketzerei ergeben
war. Heribert liess sie verhaften, und da die Bekehrungs-
versuche seiner Priester so wenig frfolg" hatten, dass die
Standhaftigkeit der Leute sogar in den neugierig herbei-
strömenden Bauern noch Prosel3rten gewann, so errichteten
die Turiner einen Scheiterhaufen imd ein Kreuz daneben
und gaben die Wahl zwischen dem Feuertode und der
Anbetung des letzteren. Wenige wurden abtrünnig, die
andern Alle stürzten sich (mit ihrem Haupte Girardus) in
die Flammen.
Wie aus den Akten der späterhin eingesetzten Inqui-
sition zu ersehen ist, musste das unter den Katharem
übliche Consolamentum zu argen Verleimidungen Anlass
geben. Der in die Gemeinde Aufzunehmende näherte sich
nämlich dem Bischof vorschriftsmässig mit gesenktem
Haupte, kniete nieder, küsste ein Buch und erhielt durch
Handauflegung den Segen oder die sogenannte Geistes-
taufe und den Bruderkuss. In zahlreichen Untersuchungs-
akten ist nun von der Ceremonie des Kniebeugens als einer
Adoration die Rede, und es ward derselben gewohnlich
die Auslegung gegeben, dass die Katharer ihre Bischöfe
anbeteten^). Aber schon bei Alanus von Ryssel ist
*) Eine Zeugenaussage vor der Inquisition zu Toulouse, bezQglich auf das Jahr
1231, beschreibt das Consolamentum folgendcrmassen : [Testis dixit] quod
venit in Lantares et ibi ipse testis infirmatus fuit in quodam manso, — —
et ibi Poncius Guilaberti et socii ejus haeretici consolati fuerunt et receperunl
eundem testein in hunc modum : Impositis in quodam banco manutergiis albis
et desuper librum, (juem vocabant textum» quftesiverunt ab eodero teste, difle-
rente a libro aliquantulum , utrum volebat ordinationem domini recipere. et
ipse testis dixit, quod sie. Postmodum reddidit ^e Deo et evangelio et pro-
mlsit, quod ulterius non esset neque comederel sine socio et sine orattone. et
quod captus sine socio non comederet per triduum , neque carnes comederrt
ulterius, neque ov.i, neque cascum, necjue aliquaro veneturam, nisi de oleo et
piscibus, neque mentiretur, neque juraret, neque aliquani libidinem exerccrr^t,
(Juo facto ipse vcnil per aliqua intervalla ante ipso*, dicens Bencdicite ter
flexis i;cnibus, et postmodum osculatus fuit librum dictorum haereticonim « et
bis completis imposuerunt librum et manus super caput ipsius et legenint
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh. i^^
diess dahin entstellt, dass man in ihren Versammlungen
den Teufel selbst in der Gestalt eines Katers erscheinen
lässt, um einen obscönen Huldigungskuss zu empfangen.
Schandbare Wollustsünden sollen nächstdem aus Grundsatz
geübt werden und die Ehe desshalb von ihnen verdammt
sein , weil sie der Unzucht Abbruch thue ^). Dasselbe
wiederholt später der Dominikaner Yvenot (um 1278) mit
dem hier nicht zu übergehenden Zusätze, dass vor dem
Beginne der Hurerei die Lichter ausgelöscht werden.
Mitten in dieser das ganze Volksleben, namentlich
evangeliuni et consequenter ipsi haeretici fecerunt apparellamentum et fecerunt
pacem ibi osculantes sese invicem ex traverso. (Histoire de Languedoc Tom. 111.
Prcuves pag. 386.) — Etwas anders lautet ein zu Carcassonne 1244 gethanes
Geständniss. das sich auf 1204 bezieht: Zuerst das Gelübde wie oben. Dann
heisst es: Hb ouinibus praemissis, dixerunt orationem, scilicet Paternoster, se-
cundum modum haereticoruro. — Deinde haeretici imposuerunt manus et libruin
super capita eorum, et legerunt et dederunt eis pacem, primo cum libro, conse-
quenter cum humero, et adoraverunt Deum, facientes venias et genuflexiones
nmltas ; et interfuerunt illi consolamento ipse testis et Raymundus Rogerii,
comes Fuxensis, avus istius comitis Fuxensis, et quod milites et barrani,
et ibi omnes , tarn ipse testis, quam alii viri et mulieres, et singuli, praeter
comitem Fuxensem, adoraverunt ipsos haereticos. Et post adorationem acce-
perunt pacem ab ipsis haereticis, osculantes eos bis in ore ex transverso, deinde
se ipsos alter alterum ad invicem simili modo. (Kist. de Languedoc, Tom. 111.
Prcuves p, 437, aus d. Archives de l'Inquis. de Carcassonne.) Auf 1209 be-
zieht sich Folgendes : Et qualibet vice post praedicationem .... universi et
singuli adoraverunt dictos haereticos ter fiexis genibus ante ipsos; in qualibet
genufiexione dicebat quilihet per se : Benedicite , et addebant post ultimum
Benedicite: Deum rogate pro isto peccatore, quod faciat me bonuni Christia-
num etc. (Archives de iTnqu. de Toulouse in Hist. de Langued. III. Prcu-
ves p. 438). Wir haben diese Stellen angeführt , weil sie weit deutlicher
die jSache beschreiben , als die bekannteren bei Limborch in dem Liber Sen-
tentiarum Inquis. Tolos., welches einer etwas späteren Zeit angehört. In
demselben heisst es z, B. p. 10 : Bernardus de Barrio — — — semel au-
divit dictum Jacobum legentem in quodam libro de evangeliis et epistolis, ut
dicebat, et post illa dictus Jacobus haereticus voluit, quod ipse et alii ad-
orarent eum , et ipse cum aliis adoravit eum inclinando se super unam ban-
cam ter et dicendo Benedicite , et haereticus respondebat: Deus vos benedicat.
Aeholich pag. 15 und öfter.
*) Alant [ab Insulis] insignis theologi opus adversus haereticos et Valden-
s^s, qui postea Albigenses dicti etc. Ed. Masson. Paris. 1612. p. 145 sq.
I c6 Achtes Kapitel.
Frankreichs, in allen Schichten erregenden Bewegung er-
wuchs 'nun allmählich eine neue religiöse Genossenschaft,
von der anfangs nur zu sagen war , dass sie dem in den
Kreisen der Katharer erwachten Eifer für Verbreitung des
Verständnisses der Schriftlehre zu entsprechen mit beson-
derem Interesse befnüht war, die aber allmählich selbst
mehr und mehr von der Macht des Schriftwortes erfasst,
zuletzt zu einer Zeugin der evangelischen Wahrheit wurde,
so dass sie als eine Vorläuferin des Protestantismus ange-
sehen werden kann. Es waren dieses die in der zweiten
Hälfte des zwölften Jahrhunderts in Lyon hervortretenden
Waldenser^), ursprünglich eine Congregation von Evan-
gelisten, die sehr bald in den weitesten Kreisen einen in
der katholischen Kirche noch nie gesehenen Hunger nach
dem Worte Gottes erweckte , wesshalb überall Ueber-
setzungen einzelner Bücher der heiligen Schrift in der
Landessprache begehrt wurden. In demselben Maasse
aber als die heilige Schrift in der Landessprache Ver-
breitung fand und ganz von selbst zu Vereinigungen gleich-
gestimmter frommer Seelen führte, trat überall eine mehr
und mehr anwachsende und immer kühner sich erhebende
Opposition gegen die Kirche hervor, in welcher Waldenser
und Katharer (in Frankreich „bons hommes** genannt) ein-
ander die Hand reichten, und der selbst Grosse, wie die
Grafen von Toulouse und von Foix, Schutz gewährten.
Die Landschaft Albigeois galt jetzt als ein Hauptsitz der
Ketzer, der Name Albigenser kam zur Bezeichnung der
französischen Katharer und angeblichen Manichäer in Um-
lauf. Die Priester der Kirche, — so klagen gleichzeitige
Schriftsteller^), — waren so in der Achtung gesunken,
dass sie, wenn sie über die Strasse gingen, die Platte mit
den übrigen Haaren bedeckten, um nicht dem Hohn des
Volkes ausgesetzt zu sein ; die Edellcute gaben nicht mehr
ihre Söhne, sondern nur ihre Leibeigenen zu Geistlichen
^) Tcber dieselben vj;l. den Artikel Hcrzox^s in dessen iheol, Rcalcncy-
clopldic. B. XVU.
') Quitt Im, Je Podio Laurent, in der Vorrede.
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zuro dreizehnten Jahrh. i ^ y
her^), selbst Bischöfe hielten es mit den Ketzern, der
Zehnte wurde verweigert, die Seelmessen brachten nichts
mehr ein. Im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts zählten
fast sämmtliche Fürsten, Grafen und Barone im südlichen
Frankreich zu den bons hommes, die in Schlossern und
Städten öffentlich ihre Versammlungen hielten, an vielen
Orten auch ihre wohlbekannten Bethäuser und Schulen
hatten. Die katholische Kirche war hier zum Gespötte
geworden, sie war zu einem veralteten Institute herab-
gesunken, das man mit Verachtung ignorirte.
Da bestieg im Jahr iigS Innozenz IQ. — die persön-
liche Verkörperung der Idee des Hierarchismus — den
Stuhl Petri, der dem seit anderthalb Jahrhunderten hin
xmd her wogenden Kampf des Katholizismus mit der Hä-
resie durch Anwendung jedes Mittels und um jeden Preis
ein Ende zu machen beschloss. Im Jahre 1 209 begann die
grausige Arbeit, die bis zum Jahre 1229 dauerte. Innozenz
bewaffnete die Habsucht der Grossen gegen die Grossen
und den Aberglauben gegen die Freiheit. Ein Kreuzzug
wurde gepredigt unter Verheissung gleicher Privilegien,
wie für die Streiter gegen die Saracenen ; waren ja, nach
des Papstes eigener Verkündigung, die Albigenser noch
weit ärger als diese ^) ! Die Unterthanen der ketzerischen
Grafen wurden der Treue gegen ihre Herren entbunden;
wer das Land eroberte, sollte es besitzen. Der zwanzig-
jährige grausame Religionskrieg, erst von Simon von
Montfort, dann von Ludwig VIII. geführt, raflFte Tau-
sende dahin und endete mit fast gänzlicher Ausrottung der
Albigenser^). Auch die Waldenser wurden theils nieder-
') Es war so weit gekommen, dass man nicht mehr sagte: Ich wollte
lieber ein Jude werden, als diess thun, — sondern: Ich wollte lieber ein
Kaplan werden u. s. w. Guil, de Podio Laur. a, a. O.
') Seitdem öfter wiederholt und weiter ausgedehnt. Infidelitas haereti-
corum est pessima (schlimmer als die der Heiden und Juden) Vincent. Bello-
vac. Spec. moral. II. Dist. 29, p. 3,
•) Egit ergo misericorditer divina dispositio, ut, dum Legatus hostes fidei,
qui Narbonae erant congregati , alliceret et compesceret fraude f>ia, Comes
Mootis fortis et peregrini, qui venerunt a Francia, possent transire ad partes
158 Achtes Kapitel.
gemacht, theils versprengt. Viele von ihnen fanden eine
Freistätte in den Bergen von Piemont und Savoyen, später
auch anderwärts; in Frankreich konnten sich nur in der
Provence und Dauphin^, zum Theil aber nur unter hartem
Drucke, auf längere Zeit ihre Gemeinden erhalten. Zur
Vertilgung der zerstreuten Reste und zur Unterdrückung
jedes neuen Auftauchens antihierarchischer Bestrebungen
ward am Schlüsse des Krieges das ständige Inquisi-
tionsgericht zu Toulouse, dann an vielen andern Orten
eingerichtet. Zwei Monarchen von übrigens erhabenen
Eigenschaften, Ludwig IX. von Frankreich und Kaiser
Friedrich 11., erniedrigten, durch die Macht des Vorurtheils
und der äusseren Umstände verleitet, in einer Reihe von
Edicten die weltliche Macht zur Schergin des geistlichen
Despotismus. Die Ketzerei galt von jetzt an als
eines der ärgsten öffentlichen Verbrechen, das
bürgerliche Gesetz bestrafte sie mit Ehrlosigkeit,
Kerker, Tod und ■ Confiskation der Güter. Die
Obrigkeit verfolgte und verhaftete, das geistliche Gericht
entschied über Schuld und Unschuld, und der weltliche
Arm ging blindlings zur Vollstreckung vor.
Auch Deutschland war , indem die katharische
Bewegung in seine Gauen Eingang gefunden hatte, alsbald
zum Schauplatz der rohesten Verfolgung derselben ge-
worden. Schon 1052 wurden zu Goslar Katharer zum
Tode verurtheilt. Im Jahr 1 1 46 disputirte Evervin, Propst
von Steinfelden, mit mehreren Häuptern der Sekte zu
Köln, konnte sich jedoch nicht vor der Wuth des Pöbels
retten. Auch 11 63 kamen in Köln Verbrennungen vor.
Im Jahr 121 2 Hess der Bischof von Strassburg an Einem
Tage gegen hundert Menschen verbrennen*). Im Jahr
1232 erfolgte endHch die Reichsacht gegen die Ketzer im
Reiche. Schon vorher hatte Konrad von Marburg als
Caturccnses et Aginnenses et suos, immo Christi impugnare tnimica^. O Le-
gati fraus pia! o pietas fraudulenta! /V/r« Ka//, Cern. cap. 78, sagt diess
nicht als Ironie, es ist die Au fTassungs weise jener Zeit.
*) Afn/it, Germ. Chron. Lib. XIX. hei Pistor. Gernian. Script T. II. p. 809.
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh. i eg
Generalinquisitor (inquisitor generalis haereticae pravitatis)
für ganz Deutschland seine Blutarbeit begonnen. Unter
den Zeitgenossen herrscht über ihn fast nur eine Stimme.
,,Wer ihm in die Hände fiel, so berichtet der Erzbischof
von Mainz an den Papst i), — dem blieb nur die Wahl,
entweder freiwillig zu bekennen und dadurch sich das Le-
ben zu retten, oder seine Unschuld zu beschwören und
unmittelbar darauf verbrannt zu werden. Jedem falschen
Zeugen ward geglaubt, rechtliche Vertheidigung war Nie-
mandem gestattet, auch dem Vornehmsten nicht ; der An-
geklagte musste gestehen, dass er ein Ketzer sei, eine
Kröte berührt, einen blassen Mann oder sonst ein Unge-
heuer geküsst habe. Darum, sagt der Erzbischof, Hessen
sich viele Katholische lieber um ihres Läugnens willen
unschuldig verbrennen, 'als dass sie so schändliche Ver-
brechen, deren sie sich nicht bewusst waren, auf sich ge-
nommen hätten. Die Schwächeren logen, um mit dem
Leben davonzukommen, auf sich selbst und jeden beliebigen
Andern, besonders Vornehme, deren Namen ihnen Konrad
als verdächtig suggerirte. So gab der Bruder den Bruder,
die Frau den Mann, der Knecht den Herrn an; Viele
gaben den Geistlichen Geld, um Mittel zu erfahren, wie
man sich entziehen könne, und es entstand auf diese Weise
eine unerhörte Verwirrung." Dass Konrad ganz gegen
die kirchlichen Gesetze die Probe des heissen Eisens vor-
zimehmen pflegte, erzählt Trittenheim ^). Konrads Gewalt-
thaten, die ihm bekanntlich selbst ein gewaltsames Ende
zuzogen, hatten besonders im Elsass, im Mainzischen und
Trierischen ihren Schauplatz ; das merkwürdigste Ereigniss
jedoch, in welchem er als mitwirkende Person auftritt, ist
der Kjreuzzug gegen die Stedinger^).
Die Bewohner des Gaues Steding im heutigen Ol-
denburg und Delmenhorst, ein freiheitsliebender, kräftiger
^) Albtrici Monachi Chronicon ad. ann, 1233.
*) Chron. Hirsaug. ad ann. 1215 u. 1233.
'} Schminckius de expeditione cruciata in Stedingos. Marb. 1722. RitUr
de pago Steding et Stedingis, saeculi Xlll. haereticis. Viteb. 1751-
l6o Achtes Kapitel.
Menschenschlag, lebten bereits seit vielen Jahren in Zwistig-
keit mit dem Erzbischofe von Bremen , der nicht nur in
manchen ihrer Wälder das Jagdrecht, sondern auch auf
ihren Aeckern den Zehnten in Anspruch nahm. Einige
Geistliche dieses Prälaten, die des Zehntens wegen im
Jahre 1197 an sie abgesandt waren, wurden misshandelt.
Dieses Vergehen betrachtete der Erzbischof als Ketzerei,
weil der Zehnte von Gott eingesetzt sei, und als er auf
seiner Wallfahrt nach dem Orient durch Rom kam, erwarb
er sich die Erlaubniss zu einem Kreuzzuge gegen die Un-
gehorsamen. Aus dem Kreuzzuge wurden jedoch vorerst
nur kleine Fehden, die von den Stedingem mit Tapferkeit
ertragen und zuweilen durch Vergleiche beigelegt wurden.
Da fiel 1207 der Erzbischof Hartwig ins Land ein, be-
trachtete, als man ihm eine Summe Geldes zahlte, seinen
Zweck als erreicht und fiihrte das Heer zurück. Im Jahr
1219 bestieg Gerhard II. den Stuhl von Bremen. Um
diese Zeit gibt ein habsüchtiger Priester, unzufrieden mit
dem von einer adeligen Frau ihm dargebrachten Beicht-
pfennig, beim Abendmahl eben diesen Pfennig anstatt der
Hostie der Frau in den Mund. Der Gemahl der Frau er-
schlägt den Priester, wird excommunicirt, trotzt dem Banne
und findet Anhang. Aehnliche Vorfälle reizen einen gros-
sen Theil der Bewohner auf. Gerhard fallt jetzt mit den
benachbarten Fürsten ins Land, das Volk aber vertheidigt
sich so hartnäckig, dass dessen Besiegung unmöglich
scheint. Der Erzbischof wendet sich daher an den Papst
und schildert die Stedinger als arge Ketzer. Da erscheint
im Jahr 1232 eine Bulle von Gregor IX. an die Bischöfe
von Minden, Lübeck und Ratzeburg mit dem Befehl, das
Kreuz predigen zu lassen ^). Ein Kreuzheer von 40,000
Mann überschwemmt in Folge dessen im Jahr 1233 das
Land, ein Theil der Stedinger fällt im Kampfe, die übrigen
*) Diese Bulle wirft den Stedingern nur vor: Geringschätzung und Feind-
seligkeit \n'^cn die Freiheil der Kirche, wilde Grausamkeit, l>esonders ^c^n
die Geistlichen, Herabsetzung des Ahendniahls, Verfertigung von Wachsbildern
lind Befraj-cn von Dämonen und Wahrsagerinnen.
Das Kelzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh. i6i
versprechen dem Erzbischofe Ersatz und Gehorsam und
werden hierauf vom Banne losgesprochen.^
DiiBSS ist in wenigen Worten der Hergang des in sei-
nem Anlass und Verlauf sehr einfachen Streites. Er be-
ginnt mit Zehntverweigerung und Ungehorsam, wird zeit-
weise durch Zahlungen beigelegt, erwacht wieder bei er-
neuerter Verweigerung, die Dominikaner predigen während
des Kreuzzuges nur von Zehnten und Abgaben, und als
die Stedinger zuletat wieder in Gnaden aufgenommen
werden, ist ebenfalls nur von Zehnten und Rebellion die
Rede.
Der Erzbischof von Bremen und der Papst hatten sich
zwar thunlichst bemüht, die ehrlichen Stedinger als Ketzer
hinzustellen; aber sie waren gar Ijceine Ketzer. Wären sie
dieses gewesen, so würden wir in der Bulle von 1232 eine
ähnliche Schilderung von Ketzergräueln zu lesen haben,
wie wir sie in einer Bulle desselben Gregor IX. aus dem
Jahr 1233 vorfinden*). In dieser letzteren erkennen wir
den Wiederhall der nichtswürdigen Berichte des Gross-
inquisitors Conrad von Marburg über die sonst in
Deutschland von ihm angeblich entdeckten Ketzereien,
in denen sich ein eigentlicher Teufelsdienst darstellen sollte.
Die Bulle *) ist an die Bischöfe von Paderborn, Hildes-
heim, Verden, Münster und Osnabrück gerichtet, ettheilt
dem Erzbischof von Mainz und dem Konrad von Marburg
besondere Aufträge und befiehlt ebenfalls gegen die Ketzer
das Kreuz predigen zu lassen. — Nach einem sehr rhe-
torisch gehaltenen Eingange klagt Gregor IX. über die
Ketzer : „Wenn ein Neuling aufgenommen wird und zuerst
in die Schule der Verworfenen eintritt, so erscheint ihm
eine Art Frosch, den Manche auch Kröte nennen. Einige
geben derselben einen schmachwürdigen Kuss auf den
Hintern, Andre auf das Maul und ziehen die Zunge und
') Bis auf die neuere Zeit ist die Bulle auf die Stedinger bezogen worden,
(Liss dieses unrichtig war , hat Schumacher (die Stedinger S. 225 flf.) gezeigt.
•) Vgl. öher dieselbe Epist. Gregorii IX. bei Raynald, ad a. 1233, Nr. 42;
Thom. RipoU, Bullarium Ord. praedicat. 1. 52 u. Epist. Greg. IX. ad Hen-
ricum, Friderici Imper, FiJiom in Martcne, Thcsaur. 1. v50.
8oldan-Heppe, Uexenprozesse. 1 1
l52 Achtes Kapitel.
den Speichel des Thieres in ihren Mund. Dieses erscheint
zuweilen in gehöriger Grösse, manchmal auch so gross,
als eine Gans oder Ente, meistens jedoch nimmt es die
Grösse eines Backofens an. Wenn nun der Noviz weiter
geht, so begegnet ihm ein Mann von wunderbarer
Blässe, mit ganz schwarzen Augen, so abgezehrt und
mager, dass alles Fleisch geschwunden und nur noch die
Haut um die Knochen zu hangen scheint. Diesen küsst
der Noviz und fühlt, dass er kalt wie Eis ist, und nach
dem Kusse verschwindet alle Erinnerung an
den katholischen Glauben bis auf die letzte Spur
aus seinem Herzen. Hierauf setzt , man sich zum Mahle,
und wenn man sich nach demselben wieder erhebt, so
steigt durch eine Statue, die in solchen Schulen zu sein
pflegt, ein schwarzer Kater von der Grösse eines mittel-
massigen Hundes rückwärts und mit zurückgebogenem
Schwänze herab. Diesen küsst zuerst der Noviz auf den
Hintern, dann der Meister und so fort alle Uebrigen der
Reihe nach, jedoch nur solche, die würdig und vollkommen
sind ; die Unvollkommenen aber, die sich nicht für würdig
halten, empfangen von dem Meister den Frieden, und
wenn nun Alle ihre Plätze eingenommen, gewisse Sprüche
hergesagt und ihr Haupt gegen den Kater hingeneigt
haben, so sagt der Meister: „Schone uns!** und spricht
diess dem Zunächststehenden vor, worauf der Dritte ant-
wortet und sagt : „Wir wissen es, Herr !** und ein Vierter
hinzufugt: „Wir haben zu gehorchen!** Nach diesen Ver-
handlungen werden die Lichter ausgelöscht und man
schreitet zur abscheulichsten Unzucht ohne Rücksicht auf
Verwandtschaft. Findet sich nun, dass mehr, Männer als
Weiber zugegen sind, so befriedigen auch Männer mit
Männern ihre schändliche Lust. Eben so verwandeln auch
Weiber durch solche Begehungen mit einander den natür-
lichen (jeschlechts verkehr in einen unnatürlichen. Wenn
aber diese Ruchlosigkeiten vollbracht, die Lichter wieder
angezündet und Alle wieder auf ihren Plätzen sind, dann
tritt aus einem dunklen Winkel der Schule, wie ihn diese
Verworfensten aller Menschen haben, ein Mann her\'or.
Das Ketzerwesen in der Kirche bis zum dreizehnten Jahrh., 163
oberhalb der Hüften glänzend und strahlender als die Sonne,
wie man sagt, unterhalb aber rauch, wie ein Kater, und
sein Glanz erleuchtet den ganzen Raum. Jetzt reisst der
Meister etwas vom Kleide des Novizen ab und sagt zu
dem Glänzenden: „Meister, diess ist mir gegeben, und
ich gebe dir's wieder," — worauf der Glänzende antwortet:
„Du hast mir gut gedient, du wirst mir mehr und besser
dienen; ich gebe in deine Verwahrung, was du mir ge-
geben hast," — und unmittelbar nach diesen Worten ist
er verschwunden. — Auch empfangen sie jährlich um
Ostern den Leib des Herrn aus der Hand des Priesters,
tragen denselben im Munde nach Hause und werfen ihn
in den Unrath zur Schändung des Erlösers. Ueberdiess
lästern diese Unglückseligsten aller Elenden den Regierer
des Himmels mit ihren Lippen und behaupten in ihrem
Wahnwitze, dass der Herr der Himmel gewaltthätiger, un-
gerechter und arglistiger Weise den Lucifer in die Hölle
hinabgestossen habe. An diesen letzteren glauben auch
die Elenden und sagen, dass er der Schöpfer der Himmels-
körper sei und einst nach dem Sturze des Herrn zu seiner
Glorie zurückkehren werde; durch ihn und mit ihm und
nicht vor ihm erwarten sie auch ihre eigene ewige Selig-
keit. Sie bekennen, dass man Alles, was Gott gefallt, nicht
thun solle, sondern vielmehr das, was ihm missfallt u. s.w. — "
So weit das Wesentliche aus der päpstlichen Bulle.
Man sieht, dass hier ohne erhebliche Veränderung das-
selbe Lied wiedertönt, das den christlichen Urgemeinden,
den Gnostikern und Manichäern, den Montanisten, Pris-
cillianisten, Messalianem und Katharern gesungen wurde.
Uebrigens blieb die päpstliche Bulle für Deutschland
ohne alle Bedeutvmg; Als der Generalinquisitor Kon rad
von Marburg am 30. Juli 1^33 seines Wegs von Mainz
kommend, um gen Paderborn zu ziehen, auf der Haide bei
Marburg (oberhalb des Dorfes Kappel) überfallen und er-
schlagen ward, hatte diese Gewaltthat wenigstens die heil-
same Folge, dass in Deutschland die Inquisition vor den
Drohungen der Volksjustiz zurückbebte und ihre Blutarbeit
für immer einstellte.
NEUNTES KAPITEL.
Der Teufelsbund.
Ks kann dem Leser nicht entgangen sein, dass bei
einigen der zuletzt besprochenen Sekten zu den alten
Ketzergräueln ein neuer hinzugekommen ist, nämlich die
dem Satan personlich und förmlich dargebrachte
Huldigung. Die Idee eines Pactums und Homagiums war
schon in der Versuchungsgeschichte Jesu ausgesprochen.
,, Dieses alles will ich dir geben, so du niederfällst und
mich anbetest", hierin liegt das Pactum, sofern die Lei-
stungen beiderseitig sind, das Homagium, sofern die Ho-
heit des Teufels anerkannt werden soll. Die Heiligen-
legende bildete diess vielfältig nach ; ihre Helden triumphir-
ten, wie der Heiland. Nun musste aber auch ein Unter-
liegen gedacht werden können; ja, in dem Schwachen,
dessen höchstes Ziel das Glück dieser Erde war, konnte
der Wunsch nach einer solchen Versuchung und die Ge-
neigtheit, derselben zu unterliegen, im voraus vorhanden
sein. Diesen Fall veranschaulicht die Geschichte des Vice-
dominus Theophilus in Cilicien, für deren Glaubwürdig-
keit der Patriarch Eutychius als Augenzeuge einstehen
muss '). Allgemein geschätzt und selbst des Bischofsstabes
*) S. »iic Sage in ihrer ausKelnldctcn (jcsIäU bei l'inrf/t/, M/tn*, Sf.M.
Iiist. XXI. 6<>. Theophilus erscheint hier vor dem Teufel, der von ^rinrn
Dienern, welche Lichter hallen. uiimeUen ist . kfl«t ihm die FQ«e und ilber-
Der Teufelsbund. 155
für würdig geachtet, verlor Theophilus unter Justinian I.
um niedriger Verleumdung willen sein Amt als Oekono-
mus der Kirche zu Ada und liess sich in der Verzweif-
lung von einem jüdischen Zauberer verfuhren, einen form-
lichen Vertrag mit dem Teufel einzugehen. Eür das Ver-
sprechen seiner Wiedereinsetzung sagte er sich von Christus
und den Heiligen los und gab sich dem sichtbar erschei-
nenden Teufel durch eine Handschrift zu eigen. Nur nach
aufrichtiger Zerknirschung und langwieriger Busse gelang
es ihm später, durch die Fürsprache der heiligen Jungfrau
seine Verschreibung wieder zu erhalten und mit Gott sich
auszusöhnen. Diese Theophilussage erscheint nun mit ver-
schiedenen Ausschmückungen im Abendlande bei Hros-
witha, dem Kardinal Damiani, Sigebert von Gemblours,
Vincentius von Beauvais und vielen Andern. Einmal von
den Mönchen aufgenommen, musste der Glaube an die
Teufelsbündnisse bald genug, auch unter dem Volke sein.
Ueberall nistete sich mit der Verbreitung der Theophilus-
sage die Vorstellimg ein, dass der Mensch mit dem Satan
einen Vertrag schliessen, dadurch mancherlei Ausserordent-
liches und Wünsch enswerthes erreichen und namentlich in
den Besitz übermenschlicher Kräfte kommen könnte. Ca-
sarius und Vinzenz von Beauvais brachten die ersten Be-
richte von solchen wirklich zu Stande gekommenen Teufels-
pakten, und bald theilten päpstliche Geschichtsschreiber
selbst (Martin der Pole u. A.) mit, dass wirklich ein Papst,
Sylvester 11. (999 — 1003) — der als Mönch Gerbert etwas
mehr gelernt hatte als die meisten Anderen seiner Zeit —
durch einen mit dem Satan abgeschlossenen Bund auf den
Stuhl Petri gekommen sei ') ! — doch beschränkte sich der
Glaube an die Tqufelsbündnisse zunächst auf das Verhältniss
der Zauberer zum Teufel, deren Gemeinschaft mit demselben
reicht ihm ein untcrsiegeltest Chirographuni. — Eine Uebersicht über den
Legeodenkreis , der sich im Mittelalter allmählich um den Namen des Theo-
pJkihis gezogen hatte, gibt Cahier in den Caracteristiques des Saints. Paris, 1867,
vol. 1. s. V. Demon.
*) „Der Papst und das Concil von Janus" (Leipz. 1869) S. 271 — 272.
l56 Neuntes Kapitel.
schon von Augiistin mit einem Bündnisse verglichen wor-
den war.
Hierzu trat aber Entsprechendes aus dem Ketzerwesen.
Die Ketzer waren bereits von den Kirchenvätern als Werk-
zeuge, Kinder, Diener oder Krieger des Satans betrachtet
worden ; den Manichäern und den von diesen abgeleiteten
Parteien hatte man sogar eine Verehrung des bösen Prin-
zips vorgeworfen. Auf der andern Seite erscheint eben-
falls schon bei den Kirchenvätern der Teufel als der Affe
Gottes, bemüht, das Göttliche zu verzerren , indem er ein
teuflisches Gegenstück dazu gibt'). Das Christenthum
kennt einen alten und einen neuen Bund Gottes mit den
Menschen und heilige Mysterien dieses Bundes; es schien
daher nahe zu liegen, auch dem Teufel einen solchen mit
den Ketzern unter bestimmten Formen zuzuweisen. Ebenso
wurde es den Leuten allmählich begreiflich gemacht, dass
ganz ebenso wie Gott seinen Sabbath angeordnet, auch
der Teufel seinen Sabbath habe, und dass alle in den
Bund des Teufels Aufgenommenen zur Feier dieses Sab-
baths mit dem Teufel zusammenkämen. Doch bildete
sich das Alles nur langsam aus. Bei Tertullian findet
sich von dem Gedanken des Teufelsbundes eine erste
Spur*), indem er vom Teufel sagt, dass er beim Götzen-
dienste die Sacramente nachahme, seine Gläubigen und
Getreuen taufe und seine Krieger auf der Stime zeichne.
Bei den Messalianem lässt man die persönliche Dahin-
gebung an die sichtbaren Dämonen schon deutlicher her-
vortreten. Der förmliche Akt der Huldigung kommt je-
doch erst im Abendlande zum Abschlüsse, nachdem die
Geschichte von Theophilus solche Vorstellungen bereits in
Beziehung auf die Zauberei verbreitet hatte.
') Schon bei Justin. Martyr. dial. cum Tryphone.
^) A diabolo, — — qui ipsas quoque res sacranicntoniui divinoruni in
idoloruni mysteriis aemulatur. Tingit et ipsc quosdam utique credcntei H
fidcles suos, expiationem deiic forum de lavacro repromittit. et si adhuc iiienitnit
Mythrae, signat illic in frontihus milites suos; celebrat et pamis ühiationrm t\
imagimm rtssurrectionis inducit et sub gladio redimit coronam. (De prae-
Script, hacrct. Cap. 40.)
Der Teufelsbund. 167
In der That hatte die abendländische Ketzerei eine
so feindliche Stellung gegen die römische Kirche einge-
nommen, dass sie alles bisher Erlebte zu überbieten schien.
Schon der heilige Bernhard findet zwischen den alten und
neuen Ketzern den Unterschied, dass diese nicht, wie jene,
einen menschlichen Stifter haben, sondern von unmittel-
barer satanischer Eingebung herrühren; ja schon vorher
hatte die Sage die Abtrünnigkeit der Chorherren zu Or-
leans von der Wirkung eines eingenommenen Pulvers ab-
geleitet. Dass man aus einem andern als einem diaboli-
schen Grunde Brodverwandlung, Heiligenkult und Mirakel-
wesen, Fegfeuer und Exorcismus verwerfen, die römische
Kirche der Entartung zeihen und einem sittenlosen Klerus
den Gehorsam aufkündigen könne, — diess wollte natür-
lich der Klerus unter Allen am wenigsten zugeben. Nun
aber ist nichts gewisser, als dass einige jener Parteien,
namentlich die Katharer, eine bestimmte Feierlichkeit hatten,
in welcher der Uebertretende sich von jenen Lehren und
dem ganzen Verbände der römischen Kirche lossagte ^).
Diese Lossagung vom Papstthum aber und die Verwerfung
der seligraachenden Kraft der Wassertaufe erschien den
Katholiken als Lossagung vom Christenthum und von Gott,
als das diabolische Gegenstück zur abrenunciatio diaboli.
*) Unter Verweisung auf das, was bereits oben von dem Consolanientum
gesagt worden ist, fuhren wir hier noch eine Stelle an , in welcher besonders
die abrenuntiatio am deutlichsten beschrieben wird : (Juando aliquis se reddit
haerelicis, ille dicit, qui recipit eum: Amice, si vis esse de nostris, oportet ut
renuncies toti fidei, quam tenet Romana ecclesia, Respondet: Abrenuncio.
Ergo accipe Spiritum sanctum a bonis hominibus, — et tunc aspirat ei septies
in ore. Item dicit illi : Abrenuncias cruci illi, quam tibi fecit sacerdos in
baptismate, in pectore, in scapulis et in capite de oleo et chrismate? Res-
pondet: Abrenuncio. Credis, quod aqua illa operetur tibi salutem? Respondet:
Non credo. Abrenuncias velo illi, quod tibi baptizato sacerdos posuit In ca-
pite? Respondet: Abrenuncio. Ita accipit ille baptismum haereticorum et ab-
negat baptismum ecclesiae; tunc ponunt omnes manus super caput ejus et
osculantur eum et induunt cum veste nigra, et ex illa hora est quasi unus ex
ipsis. ~ Petri Monachi coenobii vallium Cernaii Historia Albigensium Cap. 2,
bei Duchcsne Tom. V, p. 557. Petrus war übrigens der Lobredner Simons
von Montfort und ist mithin mit Vorsicht zu gebrauchen, wo er gegen die
Albigenser spricht.
l68 Neuntes Kapitel.
Inquisitoren wussten bald das ausdrückliche Geständniss
zu erpressen, dass der Aufzunehmende Christum ver-
leugnen müsse *). Hierauf bekannte sich der Neuling zu
den Gesetzen der Gemeinschaft durch die Ad oratio n und
erhielt durch Handauflegiing die sogenannte Geistestaufe,
— womit die Aufnahme beendigt war. „Wenn der No-
vize den blassen Mann geküsst hat, — sagt die Bulle von
1233, — so verschwindet das Gedächtniss des katholischen
Glaubens gänzlich aus seinem Herzen." In den Katharern
des Mittelalters wollte man die alten Manichäer wieder
erkennen; von dem diesen zugeschriebenen Glauben an
zwei Grundwesen bedurfte es nur eines kleinen Schrittes,
um auch eine Anbetung des Bösen zu folgern, obgleich
dieselbe in dem Sinne des Dualismus keinesweges liegt
und bezüglich der Katharer insbesondere reine Verleum-
dung war. Dieser Anbetung lieh man nun die Form des
skandalösen Kusses. Derselbe ist offenbar nichts anders,
als eine Verdrehung des Bruderkusses bei der Adoration.
Die alten Heiden liessen die Urchristen die Genitalien ihrer
Priester verehren; die Ketzermacher des Mittelalters sind
erfindsamer, indem sie ihre Mitchristen dem Teufel selbst
den obscönsten Körpertheil küssen lassen. Jene erdich-
teten nur eine Unflätherei, diese legten in die Uriflätherei
noch die abscheulichste Sünde; denn der Kuss ist das
Zeichen des Homagfiums, nach ihm und durch ihn ist der
Ketzer der Mann oder Vasall (homo) des Teufels. Der
Erste, der von diesem Kusse erzählt, ist (so viel man weiss)
Alanus von Ryssel, der ihn den Katharem aufbürdet
„Catari dicuntur a cato, quia osculantur posteriora cati, in
cujus specie, ut dicunt, apparet eis Lucifer." Ueber die
Bedeutung des Aktes spricht sich deutlicher die Anklage
') Verordnung Philipp' s des Schönen gegen den Inquisitor Fulco i;|ü) .
A captionibus, quaestiunibub et inexcogitatis tormentis incipiens, pcrsonas,
quas pro libito asserit haeretica labe notatas, abnegasse Christum elc. vi
vel nietu torroentorum fateri compi'llit cl . . . . lestes fallaciter subomato^
inducit ad perhibendum tcstimonium falsitati. Hist. de I^nguedoc, Toni IV.
Preuvcs pag. I18.
Der Teufelsbund. 169
gegen den Bischof von Coventry (1303) ans, quod diabolo
homagium fecerat et eum fuerit osculatus in tergo. Thier-
gestalten und andere abenteuerliche Formen hatte man
schon in früher Zeit den erscheinenden Dämonen beigelegt ;
bei Jamblich treten sie als Löwen, Säcke und Geschirre
auf, bei Basilius d. IL fallen sie als Katzen, Hunde und
Wiesel die Menschen an. In den Ketzerorgien begegnen
wir den Dämonen zuerst bei den Messalianern, dann bei
den Chorherren von Orleans, wo der Graf Arefast weiss,
dass sie allerlei Thiergestalten annehmen. Dass Alanus
bei den Katharem gerade die Katzengestalt wählt, ge-
schieht offenbar nur, um den Namen derselben von cattts
ableiten zu können. Dieser etymologische Einfall machte
indessen das Glück des Katers, den wir gleich darauf auch
in der Bulle von 1233, im vierzehnten Jahrhundert in dem
Prozesse der Templer und so öfter wiederfinden ^). Noch
im siebenzehnten Jahrhundert leitet der Jesuit Gretser
die Namen Katharer und Ketzer von Kater und Katze
ab. Statt des Katers erschien .aber anderwärts auch ein
Frosch, eine Kröte, ein Hund, ein Bock, ein blasser Mann
oder die imzweideutige Gestalt des Satans selbst, um die
HuldigTing zu empfangen. Diese Huldigimg ist in der an-
gegebenen Weise ständiger Artikel im späteren Ketzer-
und Hexenwesen und wird als die regelmässige Form be-
trachtet, wodurch das Pactum mit dem Teufel abgeschlossen
oder erneuert wird.
Wir müssen noch eines andern einer Missdeutung
fähigen Gebrauchs der Katharer gedenken. Das Consola-
mentum verhiess dem Aufgenommenen Vergebung aller
begangenen Sünden und legte ihm für die Zukunft ein sehr
') Bei dem nur wenig späteren Vincentius (Spec. bist. XXX. 76) zeigt
Dominicus einigen Ketzerinnen den Teufel in Katzengestalt. — In Trier
waren zu Konrads von Marburg Zeiten verschiedene Ketzer: alii pallidum
hominem vcl etiam cattum osculabantur , et adhuc pejora faciebant. (Gesta
Trcviroruui, cd. IVyttenback et Müller, Tom. I, cap. 104.) Der Teufel als
Katze in einem deutschen Hexenprozesse vopa Jahr 1628, Monc Anzeiger
1839. s. 127.
lyo Neuntes Kapitel.
enthaltsames Leben auf. Da nun mancher Katechumene
weder der Sündenvergebung verlustig gehen, noch einem
freieren Leben frühzeitig entsagen wollte, so verschob man,
wie erzählt wird, das Consolamentum öfters bis zum Sterbe-
lager, machte aber der Sicherheit wegen im Voraus mit
einem Eingeweihten der Sekte (Perfectus) einen Vertrag
wegen Ertheilupg desselben *). Auch dieser Vertrag (con-
venientia, pactum), obgleich nicht mit dem Teufel abge-
schlossen , musste natürlich von den Orthodoxen auf den
Teufel bezogen werden, und trug so vielleicht dazu bei,
die Vorstellung von Bündnissen mit dem Satan selbst in
weiteren Umlauf zu bringen.
Neben dem Homagium durch den Kuss findet sich
für den Ketzerbund auch die Form des Chirographums,
späterhin freilich immer seltener und mehrentheils nur für
die Teufels verbündeten höheren Rangs, ohne Zweifel dess-
halb, weil die geringe Verbreitung der Schreibekunst unter
dem gemeinen Volke von selbst zu solchen Unterschei-
dungen führte.
Zwei Ketzer, — erzählt Cäsarius von Heisterbach *), —
kamen nach Besan^on, thaten Wunder und fanden viele
Anhänger. Voll Angst über ihren Erfolg forderte der Bi-
schof einen in der Nekromantie bewanderten (leistlichcn
auf, durch Teufelsbeschwörung zu ermitteln, was jenen
Leuten die Kraft gebe, im Wasser nicht unterzugehen. und
im Feuer nicht zu verbrennen. Es ergab sich, dass sie
die Chirographa, worin sie dem Teufel das Homa-
gium geleistet hatten, zwischen Haut und Fleisch
') Liber. Sentent. bei Limborch. p. 13. Guilielmus FalqucU — — -
fecit pactum haeteticis, quod ipsi vocant h comitnensa, quod reciperetur ab
eis in finc suo secunduni pessiniani consiietudinem eorundcni, — Ibid. p. 4I ^q.
Petrus Salas (20 Jahre alt) - pluries audivit praedicationeni et doctrioam
haerelicoruni et fecit pactum seu coftvtntiontm eisdeni. quod vellel rccip» in
finc ad ordinen» enrum. — Sibylla Salas (15 Jahre alt — — - fecit com-
venientiam seu pactum haereticis, quod vellet recipi in fine suo ad sectain
et ordineni ipsorum. Hiess wiederholt sich häufig , fast mit denselben Aus-
drücken.
•) Il]u!»tr. niirac, V. IH.
Der Teufelsbund.
171
unter der Achsel trugen und dadurch sich schützten. Der-
selben beraubt, wurden sie verbrannt. — In andern Er-
zählungen desselben Schriftstellers, die der Versuchungs-
geschichte Jesu nachgebildet sind, erscheint der Teufel mit
der Frage : Vis mihi facere homagium ? ohne die Art weiter
zu bezeichnen. — Die Verschreibungen geschahen mit dem
eigenen Blute des Menschen. In den Hexenprozessen findet
sich späterhin auch d i e Form des Pactums, dass man et-
was von seinem Blute in ein mit Todtenknochen unter-
haltenes Feuer laufen lässt.
So sind es besonders die Katharer und die mit den-
selben verwandten Ketzer, an welchen das Vorurtheil oder
der Hass ihrer Feinde die förmliche Lossagung- vom
Christenthum, die Umtaufung zur Apostasie und den feier-
lichen Teufelsbund mit dem Homagium sich feststellen
liess, — drei Punkte, welche in dem späteren Hexenwesen
als regelmässige Erscheinung hervortreten.
ZEHNTES KAPITEL.
Die Teufelsbuhlschaft.
In den Gräueln, welche man von den Katharern und
von den Ketzern in Deutschland erzählte, hatte sich die
Phantasie der Feinde derselben noch keineswegs erschöpft;
das Jahrhundert war im Fortschreiten. Der Vorwurf ge-
meiner Unzucht war bereits an den altern Ketzern ver-
braucht worden, den deutschen Ketzern hatte man dann
schon das Verbrechen der Sodomie aufzubürden gewagt.
Was blieb daher noch übrig, als der Vorwurf des (ie-
schlechtsverkehrs mit dem Teufel selbst ? Von diesem gibt
das grosse Auto da Fe, welches 1275 zu Toulouse unter
dem Inquisitor Hugo von Beniols gehalten wurde, so viel
man weiss, das erste Beispiel. Unter den lebendig Ver-
brannten war auch die sechsundfünfzigjährige Angela,
Herrin von Labarethe. Alan hatte sie gestehen lassen,
allnächtlich fleischlichen Umgang mit dem Satan gepflogen
zu haben; die Frucht desselben sei ein Ungeheuer mit
Wolfskopf und Schlangenschwanz gewesen, zu dessen Er-
nährung sie in jeder Nacht kleine Kinder habe stehlen
müssen *).
*) LamotkC'lAiti^oft Ili^t. de rinquisition en Franci', Paris l8*J<>. Tome U,
|), 014. Ilist. de r.an(;acd«»c Tc»nif IV p. 17.
Die Teufelsbuhlschaft. ly?
Mit der Beschuldigung der fleischlichen Vermischung
mit den Dämonen war ein entscheidender Schritt weiter
gethan; sie erscheint bald darauf wieder im Gefolge der
Anklagen, unter welchen der Templerorden erlag, und
wiederholt sich in allen folgenden Hexenprozessen. Die
Vorstellung von einem solchen Umgange war weit älter,
als ihre Anwendung.
Der vielfache Liebesverkehr der Himmlischen und
Halbgötter mit den Menschen , von dem das klassische
Alterthum zu erzählen weiss, blieb, wohin er gehörte, inner-
halb der Grenzen der Mythologie, Poesie und Volkssage.
Keinem Lebenden in Rom und Griechenland hat man
hieraus jemals einen Vorzug oder ein Verbrechen abge-
leitet. Alexander's Komödie im Ammonstempel steht isolirt
und war nicht auf sein Volk berechnet; Numa's Egeria
gehört der späteren Tradition an. Als aber in den ersten
Jahrhunderten des Christenthums Kirchenlehrer, Rabbinen
und heidnische Philosophen sich fast um die Wette in dä-
monologische Speculationen vertieften, ward der Grund zu
einem Systeme gelegt, das, unter mancherlei Widerspruch
ausgebildet, die gerichtlichen Anklagen begründete, wie
wir sie so eben kennen gelernt haben.
In dem späteren theurgischen Wesen der Griechen
war nicht nur von männlichen und weiblichen Göttern und
Dämonen, sondern auch von doppelgeschlechtigen und
zwiefacher Geschlechtsfunktion die Rede ; so bei Selene
und Bacchus*). Wie bei Philostratus eine Empusa einen
buhlerischen Umgang mit einem Jünglinge anknüpft, ist
oben erzählt worden.
Mehr Anhaltspunkte geben die Schriften der Juden.
Das Buch Henoch kennt" den Umgang der Geister mit
Gott, und wie sehr der Glaube an Dämonen und andere
Geister im jüdischen Volke verbreitet war, zeigen uns viele
Stellen im Talmud, wie Chagiga i6a, Erubim i8b, Chul-
lin 105b, Pesachim 1 1 o a , Sabbath 67 a, Erubim 1 8 b.
*) O///. Hymn. 4I. 4. Macrob. Saturn. III. 8. — In agendo scilicet
mares, in patiendo fcminae.
in^ Zehntes Kapitel.
Gittin 13b u. a. m. *). Allerdings suchte der Talmud im
Interesse einer streng monotheistischen Weltanschauung
die Dämonen wie die Engel thunlichst als Personificationen
von Ideen hinzustellen ^) ; allein zwei Wesen waren es, an
welche sich nicht nur in der Volksüberlieferung, sondern
auch in Lehrdarstellungen der Rabbinen allerlei wunder-
liche Erzählungen anknüpften, die wir hier beachten müssen,
nämlich die Lilith und die Sehirim.
Lilith, ein Nachtgespenst, welches als daemon suc-
cubus unter der Bezeichnung Kielgelal bei den Akka-
dern vorkommt und von den Assyrem den Namen Lilit
erhielt^), findet sich — nachdem Vorstellung und Name
von den Assyrem zu den Hebräern gelangt war — bei
Jesaias (34, 14) und wird bei den Rabbinen das kinder-
fressende Seitenstück zu den Lamien, Strigen und Empusen.
Nach Rabbi Bensira war Lilith Adams erste Frau und
verliess ihn aus Hochmuth, um ihm nicht unterthan zu
sein. Drei Engel, auf Adams Klage von Gott nachge-
sandt, holten sie am rothen Meere ein und drohten, wenn
sie die Rückkehr verweigere, sie selbst ins Wasser zu
werfen und täglich hundert von ihren Kindern zu tödten.
*) Z. Munk, Targum Scheni zum Buche Esther (Berl, 1876), S. 17.
^) Emanuel Detitsch zu London sagt in seiner, in zahlreichen Aasgaben
des englischen Originals und in ebenso zahlreichen Uebersetzungen verbreiteten
Schrift „Der Talmud" (2. Aufl. der autorisirten deutschen Uel^ersetzung.
Berl. 1869, S. 54): „Ueberaus charakteristisch fQr die Tendenz des Talmud
ist die Weise, in der er diese Engels- und DAmonenlehre in den Dienst
des strengen Monotheismus zu pressen sucht. Die Engel werden ihm einfach
zu Trägern von Gedanken, Gefühlen, göttlichen Idealen. Die Dämonen ihrer-
seits sind die unsichtbaren Schädiger, im Menschen mehr denn ausser ihm.
Satan nimmt allerdings genau die Stelle des „bösen Geistes" der persischen
Mythologie ein. Er ist VerfOhrer, Ankläger und Todesengel; allein der Talmud
erklart das Wort absolut als „Leidenschaft", die da reiit, CJewissrnsbitse
schafllt und tAdtet. Satan nimmt darum proteusartig allerlei Gestalten an.
Ihn tum , .Gegner" Gottes zu machen, lilieb der urchristlichen Anschauung
vorbehalten. Dem Talmud hatte dieses nichts Geringeres als Gotteslast eruiiK
erschienen."
*) Scholz, Götzendienst und Zauberwesen bei den alten Hebräern; Re-
gensb. 1877, S« 84. Ausserdem vgl. Ober Lilith A, van DaU , de origine ac
progressu idololatriae et superstitionum. Amstel. 1696, S. 111 ff.
Die Teufelsbuhlschafl.
175
Lilith ging die Bedingung hinsichtlich der Kinder ein und
sprach: „Lasst mich ziehen, weil es nun einmal meine Be-
stimmung ist, Kindern nach dem Leben zu trachten, den
Knaben nämlich vor dem achten Tage nach der Geburt,
den Mädchen aber vor dem zwanzigsten. Doch verspreche
ich und schwöre bei dem lebendigen Gotte, dass ich die
Kin.der verschonen will, so oft ich entweder euch selbst,
oder eure Namen oder euer Zeichen auf einem Amulete
erblicke.** Diess wurde genehmigt, und daher kommt es,
dass alle Tage hundert Teufel sterben und dass man den
neugeborenen Judenkindem ein Amulet mit den Namen
der drei Engel Senoi, Sansenoi und Samangaloph umhängt
und eben dieselben Namen in den vier Ecken der Wochen-
stube anschreibt. — Lilith erscheint hier also auch als
Mutter von Teufeln. Hierüber sagt Rabbi Elias weiter,
Adam habe während der 1 30 Jahre nach dem Sündenfalle,
in welchen er im Banne und von Eva getrennt lebte, mit
vier Müttern, Lilith, Nahamah, Ogereth und Machalath,
sämmtliche Dämonen gezeugt. Andre wiederum behaupten,
während dieser 1 30 Jahre habe sich Adam mit weiblichen
und Eva mit männlichen Dämonen vermischt, so dass von
jenem die weiblichen , von dieser die männlichen Geister
abstammen. — Es verdient bemerkt zu werden, dass die
Lilith bei Jesaias in der Vulgata durch Lamia übersetzt
wird, wodurch nun auch in der Schrift ein dauerndes Zeug-
niss für die Realität des römisch-griechischen Glaubens
niedergelegt erschien. In dem Glauben der neueren Juden
ist Lilith noch immer ein Buhldämon, der die Welt fort-
während mit jungen Teufeln erfüllt.
Wir müsS^en hier femer der Sehirim gedenken*).
Dieser Ausdruck, welcher zunächst von Böcken zu ver-
stehen ist (wie 3 Mos. 4, 14 und 16, 9), bezeichnet ander-
wärts einen Gegenstand abgöttischer Verehrung (3 Mos.
17, 7). und bei Jesaias (13, 21 und 34, 14) sind die Se-
hirim Bewohner der Wüste, welche tanzen und einander
zuschreien. Obgleich nun einige Ausleger, wie Van Dale,
*) P'an Dale a. a. O. Gap. 6.
I yt) Zehntes Kapitel.
in den Jesaianischen Stellen unter diesen Wesen nur ei-
gentliche wilde Thiere oder Waldthiere ver-
stehen wollen , so wird doch das Wort bereits von den
alten Erklärem auf Dämonen gedeutet, und auch Ge-
senius ist der Ansicht, dass hier von bocksgestaltigen
Waldmenschen, den Satyrn der Griechen ähnlich, die Rede
sei, wie dergleichen Fabelgestalten sich auch bei den Ara-
bern finden. Auch eine Sekte der Zabier verehrte, nach
Maimonides, Dämonen unter Bocksgestalt ^). Die ursprüng-
liche Bedeutung des hier auf Dämonen bezogenen Aus-
drucks scheint über die Grundlage der späteren christlichen
Vorstellung vom Teufel in Bocksgestalt Licht zu verbreiten.
Diese Vorstellung, schon frühzeitig in einzelnen Spiu-en
vorhanden *), konnte erst dann recht allgemein werden, als
der Glaube an die fortwährenden Beweise von der Bocks-
natur des Satans sich begründet hatte; die Bibel und die
heidnische Mythologie schienen hier einander abermals zu
bestätigen, denn in dem Incubus erkannte man den lüsternen,
bocksfussigen Faun wieder*).
^) Ebendas. S. 29. Vgl. auch Scholz, Götzendienst bei den alten He-
hülern, S. 137.
') Als der h. Antonius durch die Slgyptische WQste zieht, um den Err-
miten Paulus aufzusuchen, sieht er grandcm homunculum aduncis naribus.
fronte cornibus asperata, cujus extrema pars corporis in capranim pedes dc-
stnebat. Der Heilige fragt, wer er sei, und erhält zur Antwort : Mortalh eRo
sum et unus ex accolis eremi.^quos vario errore delusa gentilitas Faunos Sa-
lyrosque et Incubos colit etc. — Gleich darauf rechnet der Heilige diese Er-
scheinung unter die daemonia; nichtsdestoweniger setzt Vincentius hinzu, da««
man ein solches Geschöpf einfing und in Alexandrien zuerst lebendig zeigte,
dann, nachdem es gestorben war, einbalsamirte. Vincefü, Bdlov. Spec bist.
XI. 86. Was ist hier alt, und was hat Vincentius aus dem Seinigen hinzu*
gethan? — Wilhelm den Kothen von EnglAnd, der im Jahr 1 loo durch Ver-
sehen auf der Jagd erschossen wurde, tr5gt der Teufel als grosser, haariger,
schwarzer Dock (magnus, pilosus et niger hircus) zur Strafe seiner SQnden in
die Hölle. Matth. Paris Hist. maj. ad ann. lioo. — Ob bei Jamblich (Ra-
bylonica apud Phot. Bibl.), wo es helsst: x^^ttn ti ^d3{jia ip^ Sivwvt^o^, lu-
nächst Griechisches, oder Orientalisches vorwaltet, kann ich nicht entscheiden
der ßuhlteufel der späteren Zeit ist aber darin zu erkennen.
') Quem autem vulgo incubonem vocant, hunc Komani Faunum Ficarium
dicunt. IsiJor, Ktym. bei Vincent. Bell. 11, 112.
Die Teufelsbuhkchaft. I «7 y
Auf den Grundlagen der heidnischen und jüdischen
Vorstellungen hat sich die Ansicht der Kirchenlehrer über
solchen Geschlechtsverkehr, jedoch nur allmählich und nicht
ohne Widerspruch, ausgebildet. Galten einmal die mytho-
logfischen Wesen im Allgemeinen für Dämonen, so mussten
die in den gangbarsten Bibelübersetzungen aufgenommenen
Namen der Lamien, Sirenen, Onokentauren und Faune auch
zu spezielleren Anwendungen führen. Es ist bereits bei
einer früheren Gelegenheit bemerkt worden , wie schon
Justin der Märtyrer und Lactanz die Stelle i. Mos. 6, i ff.
auf eine Vermischung der Dämonen mit den Töchtern der
Menschen deuteten. Andere Kirchenväter thaten dasselbe,
und man verschmähte es hierbei nicht, sich auf Analogien,
wie den Besuch der Schlange bei Alexander's d. G. Mutter,
zu berufen. In Chrysostomus *) , Cassian ^) u. a. fand nun
zwar die Vernunft bessere Vertreter, auch schüttet der
sonst so leichtgläubige Epiphanius seinen Unwillen über
die Behauptung der Gnostiker aus , dass ein weiblicher
Dämon vom Propheten Elias habe gebären können ^) ; aber
in Augustin erhielt dafür der Aberglaube der Folgezeit
eine desto glänzendere Autorität. Obgleich in der Er-
klärung der mosaischen Stelle selbst zurückhaltend, läugnet
Augustin doch nicht die Möglichkeit einer Vermischung
der Dämonen mit den Menschen im Allgemeinen und ver-
weist ausdrücklich auf die Faune, Sylvane und gallischen
Dusii, welche solchen Verkehr treiben'*). Dass Drachen
in Menschengestalt mit Weibern buhlten, war ebenfalls ein
im Orient verbreiteter Glaube , welcher schon früher in
') Homil. 22 in Genes.
») CoIIat. VIIT. 21.
') Haeres. XXVI. l.S. Hie Zeugung sollte durch das im Schlafe ver-
gossene und vom Dämon geraubte scmen virile erfolgt sein. Kpiph^inius sagt
hierüber: Welche alberne Behauptung! Wie kann ein unreiner und körper-
loser Geist sich in irgend einer Weise an KArperlichom betheiligen ?
*) De Civ. Dei XV. 22 f. — Diess erweitert hiiior, Oig. Vlil. Pilosi
(«Hess entspricht den Sehirini), qui graece Panilae, latine Iticubi a|>pellantur,
sive Inivi . ab ineundo passim cum animalibus, unde et Incubi dicuntur ab
incumt>endo h. e. stuprando etc.
8ol4an-Heppe, Ilexenprozesse. 1 2
1^3 Zehntes Kapitel.
in einer eigenen, angeblich von Johannes von Damask
herrührenden Schrift einer Widerlegung gewürdigt wor-
den war ^).
Als ein besonders wichtiger Zeuge der Anschauungs-
weise seiner Zeit ist hier der jüngere Michael Consta n-
tinus Psellus (t um 1106) zu nennen, — der fruchtbarste
theologische Schriftsteller der griechischen Kirche im
Mittelalter und von seiner Zeit als Polyhistor bewundert.
Unter seinen zahlreichen (theilweise noch nicht veröffent-
lichten) Schriften findet sich ein Gespräch De operatione
daemonum vor (161 5 von G. Gaulmin zu Paris heraus-
gegeben). Psellus theilt in dem Buche mit, dass ein
Grieche, Namens Marcus, der niemals an das Dasein von
Geistern geglaubt, sich in die Einsamkeit zurückgezogen und
sich dabei alsbald von Geistern umringt gesehen habe.
Marcus habe mm den lebhaftesten Verkehr mit den Geistern
gehabt und habe ihm deren Aussehen, Leben und Treiben
auf das Genaueste beschrieben. Auf Grund dieser Mit-
theilungen will nun Psellus ein philosophisches, im We-
sentlichen neuplatonisches System der Lehre von den
Geistern und deren Hierarchie geben. Dieses System hat
sein Fundament in dem Satze, dass alle Dämonen Körper
haben, was er aus der kirchlich anerkannten Lehre folgert,
dass sie die Feuerqual erdulden. Doch haben ihre Körper
nicht bestimmte, feste Gestalt, sondern sie sind den Wol-
ken vergleichbar, indem sie bei der Feinheit ihrer Materie
jede beliebige Gestalt annehmen und in jede Oeffnung ein-
dringen können. Sie haben darum auch keinen bestimm-
ten Geschlechtscharakter, aber sie können bei ihrer Be-
weglichkeit sowohl männliche als weibliche Gestalt an-
nehmen. Einige Arten der Dämonen können sich auch
besamen , woraus dann ein eigenthümliches Gewürm ent-
steht ( — was an die Eiben in den Hexenprozessen erin-
nert). Von Natur kalt suchen sie gern Lebenswärme in
Badestuben und in menschlichen und thierischen Körpern,
') Tractat. de Draconibus in Jo. Damasc, Üpp, ed. Lcqaien Tom. l
p. 471 sqq.
Die Teufelsbuhlschaft. I yo
in welche sie einzudringen pflegen. Daher die vielen Be-
sessenheiten und deren Folgen, der Wahnsinn. — Auch
das Wesen und Treiben der Incubi wird von Psellus
erwähnt.
Es konnte nun nicht fehlen, dass die Kreuzfahrer mit
diesen griechischen Speculationen , so wie mit den sehr
materiellen Geistern des Muhammedanismus , namentlich
den Dschinns, welche den Mädchen nachstellen, bekannt
wurden; und vielleicht lieget hierin eine Hauptursache,
wesshalb mit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
auch das Abendland fast plötzlich mit zahllosen Buhl-
geschichten von Dämonen und Feen überfluthet ward.
Solche erzählt schon Cäsarius von Heisterbach*) in
Menge aus seiner eigenen Zeit. Doch gab es vorerst noch
unter den Gelehrten verschiedene Ansichten. So führt
Vincentius Autoritäten an, welche die Zeugungsfahigkeit
der Dämonen schlechthin läugtien und den wunderbaren
Ursprung Merlin's entweder auf Selbsttäuschung der Mutter,
oder Unterschiebung und Blendwerk zurückfuhren ^), Da-
gegen hat sich Cäsarius von' den Gelehrten eine Theorie
mittheilen lassen, in welcher, so sehr sie der von Epi-
phanius verworfenen gnostischen nahe kommt , die Grund-
zuge des späterhin allgemein geglaubten Incubenwesens
vorgezeichnet sind®). Es machte in der Sache keinen
Unterschied, dass die Theologen des Abendlands, abwei-
chend von den älteren Kirchenvätern, Muhammedanern
und Byzantinern, die vollkommene Körperlosigkeit der
Dämonen und damit deren ursprüngliche Zeugungsunfähig-
keit zu behaupten anfingen ; das Vermögen einen fremden
*) S. unten am Schluss des Kapitels.
') Spec. nat. II. 128. Selbst durch üebertragung des Samens, heisst es
dort, wOrden immer nur solche Wesen hervorgebracht werden kr)nnen, die aus
FSuloiss entstehen, wie Frösche, Fliegen und gewisse Schlangen.
') Crementum humanum, quod contra naturam funditur, daemones colli-
gunt, et ex eo sibi corpora, in quibus tangi viderique ab hominibus possint,
assumunt, de masculino vero masculina , de feminino Feminina ; sicque dicunt
magistri in his, qui de iis nascuntur, veritatem esse naturae humanae eosque
in judicio ut verc homines resurgere. (Illustr. mirac. III. 12.)
K'/r\ß^ iiZjCMrt^T.zr^ßfn •-'»fi c-j'ch die^^en aiif cSe Sbs:
/j lÄ— V'^i. rwk'b a-'.h bei d»m Schola*cikcrT* tk^ü LtasK^T.
■»'#ffA<T >su*rrkcinrrt ' .
Arn io\^*irirfiri<,Y^<hn *^,Y,*f:zn j^fwf**-en zu -«--^n. dAss ^acb
litoma,^ v//ri Aquino, der SujIz d**r Kirche und ii>
^>rakeJ d'^r Dominikaner '/. welche aK Inqui^öofnen die
lj'}inf /M**r^X praktisch g^emachl haben, die Exi^enz der
I>uhl^«-i''Ufr im alum Testament benfröndet zu nnden irl^iibte.
lU'\u*m*ßX\\ und I>f viathan Hx-i Jf^^aias 4» » ■ deutet er auf
d'-n Satan, d^rr hi^^r der Ueberleg-enheit seiner Bosheit
•A'#'j/#*ri unt<-r dem Bilde der g^ewaltig^sten Thiere des Landes
und d'*s VVa^vrs, des Klephanten und des Wallfisches.
b'*v hrieNrn wt^nUi, Die einzelnen Theile in der Beschrei-
\tiiui( (U:r 1 hiere \v<?rden hierbei vom Auslegfer den ein-
/<'lnen Verhält nissim des Satans ang'epasst, somit auch die-
jiMii^'* Stelle, wo der Text von den j^eschlechtlichen Be-
/.M\uui(i*u des Behemoth spricht. Hierbei nun wird mit
Au^ustin der Coitus der Dämonen mit den Weibern ein-
^(eräumt, jedoch so, dass es dem Dämon nicht um E^
friedijfun^' der eijfentlichen Wollust zu thun sei, sondern
<liiss, wenn Aug'ustin von der Lust desselben bei diesem
Akte rede, figürlich nur dasjenige Vergnügen verstanden
werden müsse, das dem Teufel aus der Verführung der
Menschen zum Laster und seiner dadurch vergrösserten
llerrsrhiift erwachse-*). — Die Frage, wie sich der Teufel
seine I lexen zur Stelle schaffe, machte dabei keine Schwierig-
keil. Na(^h dem Kvangelium hatte der Satan den Erlöser
durch die Luft getragen und ihn auf eine Zinne des Tem-
') Nach «In %|iiU('ren '1 licnric . wir sie /r /,<»r/*r gibt, onrhcint (irr Teufel
»Irin MciiHchrn, iiiilnu vr rnt\vc*<lrr l) «lurch WrflnderuiiR iler Säfte die I>inj»e
inis>rt unn in eine anilcre (SeMalt vei wandelt, oder 2) unsere Sehof^sane v^t-
Willi, so d.iss wir das Utile als I>unkeles. das Dunkele ah Helles elc. an-
sflu'n. cidri ;0 einen Urlirhi^rn belebten oder iinhelebten K^irper annimmt. /,/
/••!'.» llivttHie Ars s|»ectres eti". p. m7 IV.
*) Tuis V. hat ihm unlei den Lehrern der katholischen Kin he den n^nfien
K.ihu .n»»;r wiesen, hie viel ersten sind: And>rosius. Aut(ustin. H»en»nvinu%
m>d (.M'»;t»r d, (i.
*} i'onuucnt. ad Je< 40.
Die Teufelsbuhlschaft. l8i
pels gestellt. Thomas von Aquino meinte daher, wenn
der Teufel dieses mit Einem Körper zu thun vermöge,
so könne er es auch mit vielen und mit allen Körpern
thun. — Ueber die Frage, ob aus einem solchen Coitus
auch eine Zeugung erfolgen könne, waren zu Thomas'
Zeit die Meinungen noch immer getheilt; er selbst bejaht
dieselbe. Nach seiner Theorie hat der unkörperliche Geist
die Fähigkeit einen Körper anzunehmen und mittelst des-
selben den Coitus zu üben ; die hierdurch erfolgende Zeu-
gung wird jedoch weder durch den aus dem angenommenen
Körper abgesonderten Samen, noch durch den eigenen
Organismus des Dämons bewirkt, sondern auf die Weise,
dass der Dämon sich erst einem Manne als Succubus
hingibt und dann den in diesem Beischlafe in sich aufge-
nommenen Samen in ein Weib überträgt, mit welchem er
sich als Ine üb US vermischt. Der Einwurf, dass zwischen
den beiden Vermischungen der Samen erkalten und die
belebende Kraft verlieren könne, wird durch die Annahme
beseitigt, dass der Dämon durch Schnelligkeit der Bewe-
gung und Anwendung von erwärmenden Mitteln diesem
Schaden zu begegnen verstehe. Den auf diesem Wege
erzeugten Sohn betrachtet Thomas zwar ganz folgerichtig
als den Sohn desjenigen Mannes, von welchem der ver-
wendete Samen stammt, räumt jedoch ein, dass solche
Kinder an Grösse und Stärke die gewöhnlichen übertreffen
können, weil der dämonische Erzeuger vermöge seiner
höheren Kenntnisse den günstigen Augenblick richtiger
treffe.
Von einem solchen Incubuskinde, das 1249 in Herford-
shire geboren worden, berichtet Matthäus Paris, dass es
vor Ablauf eines halben Jahres vollkommen ausgezahnt
und die Grösse eines siebenzehnjährigen Jünglings erreicht
gehabt habe. «Die Mutter aber sei sogleich nach der Ge-
burt schwindsüchtig geworden und auf eine jammervolle
Weise gestorben.
Vor dem oben erwähnten Inquisitionsfalle finden wir
kein Beispiel, dass das Strafrecht sich um dämonische
Buhlschaften bekümmert hätte ; sie gehörten bis dahin der
l32 Zehntes Kapitel.
Volkssage, der Legende, der Poesie und der Speculation
einiger Gelehrten an. Bald hatte die fromme Einfalt einen
Kirchenheiligen verherrlicht, indem sie seine Keuschheit
von Dämonen in Frauengestalt versuchen liess; bald war
von der Stammeitelkeit das Geschlecht der Häuptlinge an
die Unsterblichen geknüpft worden , wie im Norden an
Odin, in Sachsen an Wotan ^) ; bald hatte der Volkshass
am P'einde Rache geübt, wie an den Hunnen, denen man
vertriebene Zauberweiber und unreine Geister der Wüste
zu Ahnen gab ^) ; bald war es die schrittweise aus dem
Einfachen ins Wunderbare übertretende Volkspoesie, die
in der übernatürlichen Zeugung geheimnissvoller Männer,
wie des Zauberers Merlin, Ergötzung gesucht hatte. So
war das dreizehnte Jahrhundert herangekommen, unter allen
Jahrhunderten, wie Leibnitz sagt, das dümmste, wenn ihm
nicht etwa das nächstfolgende den Rang streitig macht.
Vergebens hatte Johann von Salisbury, der am Schlüsse
der bessern Zeit steht, den Verächtern und Verderbem der
gründlicheren Wissenschaft seinen Metalogicus entgegen-
gesetzt. Vor dem vollendeten römischen Geistesdespotis-
mus mit seinen Interdicten, Ketzerkreuzzügen und Inqui-
sitionen musste jede freiere Regung verstummen und der
Aberglaube wucherte desto üppiger ; früher heftig bestrit-
tene Lehren fanden jetzt im Lateran ihre • unantastbare
Sanction, die Philosophie ward Magd der Theologie^),
Bettelmönche mit ihren Wundergeschichten waren die Ge-
bieter des Zeitalters. Selbst der Minnegesang wurde zum
Prediger des lächerlichsten Wunderglaubens *). Diese all-
gemeine Verdummung machte die Menschen selbst zur
Erkennung des Faktischen ihrer eigenen Zeit unfähig. Die
Kirchengeschichte ward in dem Mirakelwesen des he51ig"en
*) Grimm, d. Mythol. S. llo. ♦
*) Jornanä. de reb. Goth. cap. 24.
■) Auf die Philosophie seiner Zeit wendet Matthäus Paris den Vers an
Prostat et in pretio pro meretrice sedet. (Ad ann. 1254.)
**) Wie sich das Wunder- und Legendenwesen des 13. Jahrhunderts auch
in der französischen und deutschen Poesie wiederspiegelt, s. Gervinus Gesch.
d. poet. Nationaihteratur Th. 1. S, 424 ff. 440 f.
Die Teufelsbuhlschaft. ig-i
Franciscus und der Legenda aurea des Jakob de Voragine
zum Märchen, der Profangeschichte ging's kaum besser.
Während Konrad von Marburg durch Feuerprobe und
Tortur die abgöttische Verehrung des Satans in Kröten-
gestalt zur gerichtlich erhobenen Thatsache stempelte, er-
zählten Schriftsteller wie Gervasius Tilberiensis und Cäsa-
rius von Heisterbach unter dem Ansprüche auf historische
Glaubwürdigkeit Wunder- und Schauergeschichten als selbst
erlebt, die noch kurz vorher der gesundere Sinn eines
Abälard, Johannes von Salisbury oder Otto von
Freisingen als alberne Fabeln verworfen haben würde.
Beide Schriftsteller charakterisiren ihre Zeit und mögen
daher an dieser Stelle eine flüchtige Beachtung finden.
Gervasius, Marschall des arelatensischen Reiches,
ein Mann nicht ohne Gelehrsamkeit und Einsicht in bürger-
lichen Dingen, widmete um 1 2 1 1 seine Otia Imperialia dem
Kaiser Otto IV. ^). Er hat die Alten gelesen , namentlich
Virgil und Apulejus, und gibt viele Geschichten derselben
fast nur mit der einzigen Verändenmg wieder, dass er sie
in sein Land und seine Zeit verlegt. Bei ihm liest man
von Störchen, die in fremden Ländern Menschen sind, von
Sirenen im britischen Meere, von Männern ohne Kopf,
Weibern mit Barten oder Ziegenzähnen und Ochsenschwän-
zen. Die Wehrwolfsgeschichten des Apulejus ereigtien
sich bei ihm zu Vienne, in der Auvergne oder in England.
Die Weiber Griechenlands und Jerusalems lässt er die
Verächter ihrer Reize in Esel verwandeln; die Fabel von
Amor und Psyche wird für die Abenteuer eines Ritters
Raimund zugeschnitten. Hinsichtlich der Nachtweiber (la-
miae, mascae, Striae) kennt er zwar die Behauptung der
Aerzte, dass solche nächtliche Schreckbilder auf eine er-
hitzte Einbildungskraft, dicke Säfte und daher rührende
Beängstigungen zurückzuführen seien; aber sogleich be-
weist er dann wieder das Dämonische dieser Erscheinungen
aus Augustin und mengt die kinderfressende Lamia der
•) Bei LeUmitz Script. Rer. Brunsvic. Tom, I,
184 Zehntes Kapitel.
Romer mit ein, die er a laniando lieber Lania genamit
wissen will. Nachdem er hierauf von den nachtfahrenden,
Laternen anzündenden und Kinder raubenden Weibern in
einer Weise gesprochen hat, als wolle er sich nur zur aU-
gemeinen Sage herablassen, stellt er es wiederum als eine
unbezweifelte , tägliche Erfahrung hin, dass Männer von
Feen geliebt, bereichert und im Falle der Untreue em-
pfindlich gestraft werden. An einer andern Stelle fuhrt
er Weiber als Zeugen an, dass sie selbst dem Flug der
Lamien über Berg und Thal beigewohnt haben und dass
diejenige, die den Namen Christus ausgesprochen, sogleich
herabgestürzt sei; ja er selbst will eine Frau gesehen
haben, die bei solcher Veranlassung um Mittemacht in
die Rhone herabfiel. Auch laufen Weiber des Nachts in
Katzengestalt umher, und wenn man sie verwimdet, finden
sich am Morgen nach ihrer Rückverwandlung noch die
Spuren. Leibnitz spricht unsem Schriftsteller nicht frei
von einer gewissen Lust am Lügen. In der That leuchtet
aus vielen seiner Erzählungen eine imangenehme Absicht-
lichkeit hervor, wie z. B. aus der folgenden: Die edle
Frau V. Espervel pflegte bei der Messe sogleich nach Ver-
lesung des Evangeliums sich zu entfernen, denn die Con-
secration des Leibes Jesu war ihr zuwider. Als nun eines»
Tages, während der Priester consecrirt, der Gemahl die
Dame mit Gewalt zurückhalten will, wird sie plötzlich von
einem teuflischen Wehen (spiritu diabolico) emporgehoben,
reisst einen Theil der Kapelle mit sich in den Abgrund
und ist auf immer verschwunden. „In dieser Geschichte,
o glücklicher Kaiser, — fahrt Gervasius fort, — magst
du ein Zeugniss finden für diejenigen, die an die gott-
lichen Sacramente glauben, und gegen jene, die in der
Unreinigkeit so weit gehen, dass sie die durch die Hand
der heutigen Priester verwalteten Sacramente» verachten.
als wenn die Würdigkeit oder Unwürdigkeit dos Mini-
stranten auf die Wahrheit und Kraft des Sacramcnts irgend
einen Einfluss übte.** Der Christ, — heisst es am Schlüsse,
- soll sich nicht mit dem blossen Evangelium, dem Gc»-
hrir und (Ut Epistel zufriedenstellen, er soll auch die ihm
Die Teufelsbuhlschaft. 785
obliegenden Leistungen nicht vergessen, insbesondere den
Zehnten gehörig entrichten.
Ein noch bedeutenderer Zeuge des Teufels- und Dä-
monenglaubens seiner Zeit ist der Cisterciensermönch Cä-
sarius, der den Nam^n des ELlosters Heisterbach bei
Bonn trägt, und zwischen den Jahren 1240 und 1250 ge-
storben ist ^). Derselbe hielt es für ganz nützlich , den
Unterricht, welchen er als Mönch des Klosters den No-
vizen desselben ertheilte, durch Vorführung von Beispielen
aus dem Leben und durch sonstige Erzählungen, die er
aus dem Munde der Leute gesammelt hatte, lebendig zu
machen. Auf Befehl seines Abtes trug er (um 1222) nun
alle diese Erzählungen in ein Manuscript zusammen, dem
er die (freilich wenig gelungene) Form eines Gesprächs
zwischen einem Mönch und einem Novizen gab. So ent-
stand sein zwölf Abtheilungen (Distinctiones) umfassender
Dialogus miraculorum *). Es gibt kaum ein zweites Werk
des Mittelalters, welches mit solcher Anschaulichkeit das
Denken und Leben der Zeit darlegte wie dieser Dialogus
des Cäsarius von Heisterbach. Die Distinctio „de daemo-
nibus" lässt ims namentlich den Teufelsglauben, der die
abendländische Christenheit in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts beherrschte, auf das Genaueste erkennen. Wir
ersehen es hier aus einer Legion von Erzählungen, wie
nach der Ueberzeugung aller Schichten der Gesellschaft
jener Zeit der Teufel mit seinen Dämonen überall in die
Angelegenheiten des Menschen eingreift und überall die
Hand im Spiel hat. Er erscheint bald in Thier- (Kröte,
AflFe, Hund, Katze etc.) bald in Menschengestalt, und zwar
ebenso als Weib wie als Mann. Ist es ihm um die Ver-
*) V^l. die beiden gleich tüchtigen Schriften ; /4. Kaufmann, Cäsarius von
Heisterbach, ein Beitrag- zur Kulturgesch. des 12. und 13. Jahrhunderts. 2. Aufl.
Cftln, 1862 und De dialogus Miraculorum van Caesarius von Heisterbach —
door Aem. W. IVybrands (letztere in den Studien en Byd ragen von W. Moll
en de Hoop Scheffer, II. 1871, S. 1 — 1 16).
*) Neueste Ausgabe der Schrift : Caesarii Heisterbacensis Monachi ordinis
Cisterciensis Dialogus niiracutorum, recogn. Joscphus Strange, Coloniae, 1851.
Ueber die älteren Ausgaben vgl. Potthast's „Wegweiser" S. 179.
l36 Zehntes Kapitel.
fühning einer Frau oder eines Mädchens zu thun, so tritt
er als schmucker Reitersmann hervor. Sonst erscheint er
auch als Mohr, als Drache etc., immer aber fehlt ihm der
Rücken. Macht er sich mit Weibern zu schaffen, so ist
er ein Incubus, während er sich bei Männern zum Jucubus
macht. Die Unzucht ist überhaupt eine Hauptseite im
Verkehr des Teufels mit Menschen. Dabei werden Frauen
oft von Teufeln gemissbraucht, ohne dass die daneben im
Bette liegenden Ehemänner etwas davon merken. Der
Teufel und die Dämonen, — die immer um uns herum
sind, — können dem Menschen an Leib und Seele und
an Allem schaden, was er hat. Schutzmittel gegen die
Anläufe der Bösen sind: das Zeichen des Kreuzes, Weih-
wasser, geweihtes Wachs, Weihrauch, Gebet und das Aus-
sprechen des christlichen Glaubensbekenntnisses.
Der Teufel, den uns Cäsarius malt, ist aber nicht ein
Mephistopheles voll Menschenkenntniss, Erziehung und
feiner Berechnung; er ist gleichsam der Teufel in den
Flegeljahren, plump, hochfahrend und trotzig, prahlend,
gewaltthätig wie ein nordischer Recke, oft linkisch in der
Wahl seiner Mittel und zuweilen sogar so schwach, dass
er das geg"ebene Wort hält oder Gnade für Gewalt er-
gehen lässt. Er buhlt mit Männern als Weib und mit
Weibern als Mann, misshandelt die Widerstrebenden mit
Fauststössen, und betet, wenn er Jemanden treuherzig machen
will, das Vater Unser, jedoch mit Auslassungen und gram-
matischen Fehlern , auch das Credo, aber falsch '). Viele
Geschichten haben es zur besondern Aufgabe, den Cister-
cienserorden auf eine nicht sehr bescheidene Weise anzu-
preisen *).
*) So verhAhnt er auch bei Matthäus Paris (ad ann. I151) den chmt-
liehen Kulttis, indem er beim Hochamte auf Pfingsten in Gegenwart Kon>
rad's HI. plötzlich in den Gesang einfallt und den letzten Vers der Se<]UeDZ
parodirt.
*) Ks mA^en noch einige Proben im Auszuge folgen.
Lib. 1. cap. 32. Einem schwer begreifenden Studenten zu Paris erscheint
der Satan: Visne mihi facere homagium? et ego tibi dabo scientiam omniuni
litcrarum. Der Student leistet zwar das Homagium nicht, erh&U aber doch
einen Stein, dessen Kraft ihm bald im Wissen einen Vorsprting vor allen
Die Teufelsbuhlschaft. 187
Dieser Teufelsgflaube, dem wir vom Anfange des drei-
zehnten Jahrhunderts die ganze abendländische Christen-
Uebrigen gibt. Er wird krank, beichtet und stirbt. Die Teufe! werfen seine
Seele wie im Ballspiele über das Thal Gehenna herüber und hinüber. Der
Herr erbarmt sich und befiehlt, die Seele loszugeben, diese kehrt in den Körper
zurück, worauf der Mensch Cistercienser wird und durch sein strenges Leben
bis zum Abte steigt.
Cap. 33. Zwei junge Leute studiren zu Toledo die Nekroniantie. Der
eine stirbt und erscheint dem andern, während dieser in der Kirche vor dem
Marienbilde Psalmen fiir die Seele des Verstorbenen liest, offenbart ihm, dass
er selbst wegen der erlernten Teufelskunst ewig verdammt sei, und mahnt den
Gefährten zu aufrichtiger Bekehrung. Auf die Frage nach dem besten Heib-
wege erwiedert er: Non est via securior, quam Ordo Cisterciensis, neque inter
oinne genus hominum pauciores descendunt ad infcros, quam personae re-
ligionis illius. Der Freund gibt also die Nekroniantie auf und wird Cister-
cienser.
Cap. 34. Landgraf Ludwig HL von Thüringen setzte ein Gehöfte als
Belohnung für denjenigen aus, der ihm Ober die Seele seines verstorbenen
Vaters, Ludwigs des Eisernen. Nachricht bringen würde. Ein in der Nekro-
mantie erfahrener Pfaffe rief den Teufel und stellte ihm die Sache vor; dieser
gab sein Wort, den Clericus nicht in Gefahr zu bringen, trug ihn rittlings
an eine Art von Brunnenschacht, aus dem die höllischen Flammen schlugen
und wo er ihn gegen die Angriffe der andern Teufel schützte. Jetzt erschien
die Seele des Landgrafen im Feuer und verordnete zu ihrer Erleichterung
die Röckgabe der mit Unrecht der Kirche entzogenen Güter, Der Clericus
brachte die Botschaft zurück, war aber durch den Anblick der Höllenstrafen
so erschüttert worden, dass er sich bekehrte und in den Orden der Ci-
stercienser trat.
Lib. III. cap. 6, Der Teufel erscheint einer frommen Jungfrau in Bra-
bant als schöner, geschmückter Mann und will sie durch Geschenke zur Un-
zucht verführen. Sie widersteht und er muss bekennen , dass er der Teufel
ist. Sie fragt dann : Quid ergo exigis carnale conjugium , quod naturae tuae
dinoscitur esse contrarium ? At ille : Tu tantum mihi consenti, nihil aliud a te
nisi copulae consensum requiro. Er wird mit dem Kreuzeszeichen verjagt,
kommt aber von Zeit zu Zeit wieder. Dieser Teufel ist's, der keinen Rücken
hat und das Vater Unser betet,
Cap. 7. Ein Weib bei Nantes hat sechs Jahre lang Umgang mit dem
Teufel, der sie Öfters sogar ungesehen an ihres Mannes Seite besucht. Im
siebenten Jahre beichtet sie und wird durch den heil. Bernhard gerettet.
Cap. 8. Der Teufel verführt eines Priesters Tochter zu Bonn; diese
gesteht endlich dem Vater den schändlichen Umgang und wird über den
Rhein geflüchtet. Der Teufel erscheint dem Priester: Male sacerdos, quare
abstulisti mihi uxorem meam? und stösst ihm auf die Brust, dass er nach
drei Tagen stirbt«
l88 Zehntem Kaiiitd.
heit ergeben sehen, war die Basis, auf der sich der Hexen-
glaube und der Begriff des Hexenwesens gestaltete. Zur
Zeit jedoch war dieser noch nicht entwickelt. In Heister-
bach's Auseinandersetzungen und Erzählungen tritt, was
wohl zu beachten ist, die Idee eines eigentlichen, dauern-
den Teufelsbundes noch nicht hervor. Allerdings sucht
sich der Teufel des Menschen zu bemächtigen, und ist ihm
dieses gelungen, so verlangt er von demselben das Ho-
magiura. Auch erinnern die seltsamen Gaben, welche er
dafür bietet, an die im sechzehnten Jahrhundert landläuBg
gewordenen Vorstellungen von der Dankbarkeit des Teu-
fels. Auch der Gedanke der Teufelsbuhlerei ist bereits
vollständig ausgebildet; die übrigen Momente des Hexen-
glaubens dagegen fehlen noch. Man weiss noch nichts von
einem Teufelsbündniss, durch welches sich der Mensch
für immer von Gott los- und dem Teufel zusagt , man
nimmt auch nicht an, dass die, welche sich dem Teufel
ergeben haben , mit Hilfe desselben oder mit teuflischen
Hilfsmitteln Anderen Schaden thun , sondern man weiss
nur, dass es Besessene gibt, in deren Körper der Teufel
oder dessen Dämonen so Eingang gefunden haben, dass
sie nun das Böse und Boshafte durcli diese als durch ihre
Werkzeuge selbst thun.
Ca[). lo. Zu Prüm htxttlll rin liiderliclirr Schola-slicus via \\ti\i lu
sicli. Sl.iU ilin-r koiuiiit ilci leuM ; am aaJcni Morien rra^I er ilru Men-scIiFii .
Cum i|U(i pulas ic hac imcte jaciiissi-' — ..tum tali reniina." — Nf'iua^kwm,
!icd cum dtaboUi '.
Cjp. 11. Der Teufel will lu Sucsl nh Weib mit oini-iii Manne buhirn.
da dieser sich wtinnt, tOhrl er ihn iluich dk l.uR und wirft ihn lu Boden.
dju nach Jalircsfri.tl der l'i»! erfulRl.
Lili. V. cap. 4. Deul.tehe JüduIiiikc , fu Toleilu dem Studium der Ne-
Itromantic cruelicn. lassen sich aus NeiiKictdt- vom Meisler die Teufel citiren.
einer streikt den Kinuer Ober den /auhvrkrcis hinaus, v/M erKrüIen und in
KCsclilcppt. Zwar ward er auf Verwenduni; des Mcislert wieilci
frtrl, lirlliL-ll iber ein blasses Ucsiclil.
Cap. .Vi. Ein Glrvckner lu Kfi\a trill in die Kirche, um den Uomen
Hüten. Ucr Teufel in Ochse n^ei^tall cntlühn ihn und slelll ibn auf dw
Zinne lies Schloswi lienbui):^ F«c mihi hnni.-if{ium. et c)^ le dep(>nani. Der
bleibt standhält und tiehl «ich difQr ziemlich unsanlt auf» Feld niejei-
gewurlvD.
ELFTES KAPITEL.
Die öffentliche Meinung der Kirche und das Gesetz
im dreizehnten Jahrhundert.
Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich die religiösen
Vorstellungen der abendländischen Christenheit unter der
Leitung der Hierarchie allmählich vielfach, zum Theil von
Grund aus geändert. Namentlich war dieses bezüglich
der kirchlichen Lehre vom Teufel und dessen Dämonen
der Fall. Das eigentlich christliche Element, welches die
ursprüngliche Lehre der Kirche vom Teufel und dessen
Dämonen charakterisirt hatte, war durch die Hierarchie
aus derselben entfernt worden. Die evangelische Ver-
kündigung der Väter und der Kirche in den ersten Jahr-
hunderten: „Unser Glaube ist der Sieg, der alle Teufel
und Dämonen überwindet,*' war zum Schweigen gebracht,
und das Gebot des Kirchenvaters Hermas : „Ihr sollt den
Teufel nicht furchten" hatte die Hierarchie in das ent-
gegengesetzte Gebot umgewandelt. Die alte Kirche war
von dem fröhlichen Bewusstsein erfüllt gewesen^ dass der
Christ über Dämonen Gewalt habe und dass der Teufel
vor ihm fliehen müsse; in der Kirche des Mittelalters da-
gegen ging der Glaube um, dass der Teufel und dessen
Dämonen mit göttlicher Zulassung in allerlei Weise auch
über den Christen Gewalt hätten, w esshalb der Christ vor
der Tücke derselben und ihrer Verbündeten unter den
IQO Elftes Kapitel.
Menschen nirgends sicher wäre. — An die Stelle der
christlichen Lehre von dem Teufel und dessen Reich
gewann daher allmählich, mit Verdrängung derselben, der
heidnische Dämonismus wieder Platz.
Hierdurch allein wurde es möglich, dass auf der Grund-
lage der Lehre vom Teufel die Lehre von der Zauberei
und Hexerei, welche in späteren Jahrhunderten die Völker
des Abendlandes beherrschte und zerfleischte, erwachsen
und dass sie die Bedeutung und Ausdehnung gewinnen
konnte, in der sie sich uns geschichtlich darstellt. Doch
hat dabei die Stellung , welche die Hierarchie zur Ketzerei
einnahm, wesentlich mitgewirkt.
Auf die bisherigen, in der öiFentlichen Meinung der
Kirche feststehenden Ketzergräuel war freilich der Name
der Zauberei zur Bezeichnung des Ganzen noch nicht
angewandt worden; nur Gerüchte von einzelnen Zauber-
übungen wurden im Gefolge der übrigen Beschuldigungen
laut, wie denn unter Anderen bezüglich der Stedinger
neben den angeblichen Beweisen von trotzigem Ungehor-
sam, thierischer Rohheit und Mordlust auch das Befragen
von Wahrsagerinnen und das Verfertigen magischer Wachs-
bilder genannt wird. Doch haben wir uns, indem wir die
progressive Ausbildung der Ketzermärchen schrittweise
begleiteten, zu einem Punkte hingeführt gesehen, von wel-
chem aus es nicht mehr als Sprung erscheinen darf, wenn
zu jenen Gräueln jetzt auch noch der Vorwurf verderb-
licher Zauberkünste als wesentliches und sogar überwie-
gendes Moment in der Weise hinzutritt, dass er dem aus
dieser Vermischung entstehenden Ganzen den Namen gibt,
und dass unter der generalisirten Benennung der Zauberei
jene Ketzerlaster hinfort in der Regel als mitinbegriflFen
verstanden werden. Vernehmen wir zuvörderst, wie der
Dominikaner Nicolaus Jaquier, ein Schriftsteller des
fünfzehnten Jahrhunderts, die Ketzereien seiner Zeit charak-
terisirt ^) ! Er berichtet von einer neu entstandenen Sekte,
die an Verruchtheit alle bisherigen Ketzer weit überbiete:
*) In s, Flagellum haereticorum fascinariorum, geschrieben 1458.
Die öffentl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. igi
bei ihr gehe alles aus bösem Willen, nichts aus Irrthum
hervor. Sie versammeln sich an bestimmten Tag'en zu
einem Teufelskulte (synagoga diabolica), wo man den Bösen
in Bocksgestalt anbete und Unzucht mit ihm treibe. Ihr
Hauptbestreben sei, im Dienste des Teufels den katholischen
Glauben anzufeinden, weil dieser allein selig mache. Darum
werde zwar von dem aufzunehmenden Juden und Muham-
medaner die Verläugnung des väterlichen Glaubens nicht
gefordert, der Christ dagegen müsse, wie er einst bei
der Taufe dem Teufel entsagt, nun Gott und seinem Dienste
absagen, das Kreuz anspeien und treten, Abendmahl und
Weihwasser lästern, dem Teufel durch Kuss und Knie-
beugen Ehre erweisen, ihn als Herrn erkennen und nach
bestem Vermögen mit Opfern bedenken. Bis hierher hat
sich Jaquier noch nicht von Bekanntem entfernt; nun fügt
er aber hinzu, dass diese Ketzer in ihren Teufelssynagogen
vom Satan allerlei Zaubermittel empfangen und sich ver-
pflichten, durch dieselben ihren Mitmenschen in jeder Weise
zu schaden, indem sie Krankheiten, Wahnsinn, Sterben
unter Menschen und Thieren, männliches Unvermögen und
weibliche Unfruchtbarkeit, Verderben der Saaten und an-
derer zeitlichen Güter veranlcissen. Diejenigen Menschen
nun, die sich zu dem beschriebenen Kultus bekennen, bil-
den nach Jaquier's Ausdruck die Ketzer- und Zauber-
sekte (secta et haeresis maleficorum fascinariorum). Auch
in den angeführten magischen Wirkungen ist, wie man
sieht, nichts Neues; eine geschlossene Zaubersekte
aber mit festbestimmtem Kult und Streben war den früheren
Zeiten ein eben so undenkbares Ding, als eine Häresis
der Mörder, Diebe imd Brunnenvergifter. Auch ist sich
Jaquier dessen wohl bewusst; die Zauberketzer sind, wie
er selbst bemerkt, erst in neueren Zeiten (modernis
temporibus) entstanden. Gewinnen wir für diese wichtige
allgemeine Zeitangabe eine* nähere Bestimmung durch den
Inquisitor Bernhard von Como*), welcher die Sekte der
*} „Praedicata auteni strigum secta pullulare coepit tantuinmodo a cen-
tum quinquaginia annis citra, ut apparet ex prucessibus Inquisitorum antiquis.
IQ2 Elftes Kapitel.
Hexen (secta strigarum), — was mit obiger Bezeichnung
gleichbedeutend ist, — aus der ersten Hälfte des vier-
zehnten Jahrhunderts datiren lässt, so ist hiermit im
Allgemeinen die Epoche bezeichnet, in welcher zuerst aus
Ketzerei und Zauberkünsten jenes eingebildete Monstrum
zusammengesetzt worden ist, das unter dem Namen der
Hexerei mehr als vierhundert Jahre hindurch so vieles
unschuldige Blut geopfert hat.
Das traurige Verdienst, das Ketzer- und Zauberwesen
zu dem Ganzen der Hexerei theoretisch vereinigt und die
Hexenprozesse der neuern Zeit in Gang gebracht zu haben,
gebührt den Inquisitoren und ihren gelehrten Schildträgem.
Um diesen Satz in helleres Licht zu stellen, werden wir
zuvor auf das Verhältniss der Magie zu der öffentlichen
Meinung und dem Strafgesetze in der den Hexenprozessen
zunächst vorangehenden Zeit einen Blick werfen, um so-
dann aus der eigenthümlichen Lage der Inquisitoren die
Ursachen zu entwickeln, welche so Verderbliches zur Er-
scheinung gebracht haben.
Die Kreuzzüge haben der christlichen Welt unter an-
dern auch den wesentlichen Dienst erwiesen, dass sie die-
selbe der arabischen Bildung näher brachten. Um die
Wette sieht man Deutsche, Franzosen und Engländer zu
den Schulen von Toledo und Cordova wallfahrten und be-
reichert an mathematischen, physikalischen, mechanischen,
chemischen und medizinischen Kenntnissen heimkehren.
An die Namen eines Roger Baco , Albert von Bollstädt,
Raimund Lullus, Peter von Apono, Arnold von Villeneuvc
u. A. knüpfen sich dankbare Erinnerungen in dieser Be-
ziehung. Die bequemeren arabischen Zahlzeichen kamen
jetzt in allgemeineren Gebrauch, gleichzeitig bemächtigte
sich die Scholastik durch Alexander von Haies der Ar-
beiten der Araber über den noch kurz vorher zum Feuer
()ui sunt in archivis Iniiuisitionis nostmc Comensis." Bernard. Comens. Trac-
tat. de Strigibiis, in den Ausgaben des Malleus maleficaruni t^ewöhnlich mit
ahwcdruckt. — Bernhard wirkte in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahr-
hunderts; seinen Tod setzt Que/if (Script, ordinis Praedicat, reccns rom. 11.
pag. 22) ungefähr ums Jahr 1510.
Die ftffentl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. igi
verurtheilten Aristoteles, und Friedrich IL verbreitete die
Schriften dieses Philosophen nach Uebersetzungen aus dem
Arabischen. Wenn sogar der Dominikaner Raimund von
Pennaforte das Studium der arabischen Literatur empfeh-
len konnte und die Synode zu Vienne, wo Clemens V.
den Templerorden verdammte, Lehrstühle für dieselbe zu
errichten beschloss, so erhellt daraus, dass man selbst von
Seiten der Kirche die Nothwendigkeit der Sache tief ge-
nug fühlte, um sie nicht aus dem einseitigen Grunde zu
verdammen, weil sie gerade von den Ungläubigen stammte.
Aber mit dieser Ausbeutung des Orientalischen war
das doppelte Uebel verbunden, dass nicht nur die Ge-
lehrten selbst mit dem Guten auch mannichfache Ver-
irrungen herüberbrachten, sondern dass auch das Richtige,
das sie gaben, bei der Menge vielfaltiger Missdeutung
unterlag. So heftete sich an die Fortschritte einer erleuch-
teteren Medizin die Verbreitung der Astrologie; Alphons X.
war ihr grosser Verehrer, Friedrich IL vollzog sein Bei-
lager mit Lsabelle von England genau in der von den
Astrologen bestimmten Stunde, und es war damals über-
haupt verbreitetes Vorurtheil, dass der Arzt ohne Merkung
der Constellation weder Brechmittel, noch Aderlass ver.
ordnen dürfe '). Die Chemie, so verdient um die Pharma-
kologie, konnte sich nicht losringen von dem alchymisti-
schen Anstriche, den ihr schon Dschaffar gegeben hatte;
man träumte fortwährend von der Möglichkeit der Metall-
verwandlung und der Gewinnung eines lebensverlängemden
Elixirs oder einer Panacee, welche einige sogar in einer
*) Der Glaube an Astrologie, Alchymie, Amulete und die ausserordent-
lichen Heilkräfte gewisser Kr5uter und Steine wurde l»esonders von All>ert d.O.
«eslötzt. indem er zwar in Umfang und Begründung von den arabischen Lehrern
abwich, aber das Wesen dieser Künste in der Hauptsache gelten liess. S. Mei-
ntrs Histor, Vcrgleichung der Sitten etc. des Mittelalters, Th. 11. S. 694.
Ucljer die Geltung der Astrologie inst>esondere im dreizehnten Jahrhundert s.
Mtiners Th. Hl. S. 198 ff. Nicht minder war Baco . der neben der Macht
4er Sterne die Freiheit des menschlichen Willens bestehen licss, der Astrologie-
ergeben.
6ol4an-Heppe, Hexenprozesse. ^ 3
X QA Elftes Kapitel.
Goldauflösung u. dergl. gefunden zu haben wähnten. Der
Physik und Mechanik mass selbst der scharfsinnige Roger
Baco in ihrem damaligen Zustande Wirkungen bei, wie
sie die Montgolfieren und Dampfmaschinen der heutigen
Zeit noch bei weitem nicht erzielt haben.
Aber auf der andern wSeite, welche imponirenden That-
sachen hatte nicht die Wissenschaft jener Zeit in Wirk-
lichkeit dem Volke entgegenzuhalten ! Wenn die fortge-
schrittene Pharmakologie Wunden heilte, wo der Grabes-
vorhang des heiligen Martin vergebens aufgelegt worden
war, war diess nicht schon ein halber Beweis für den Satz
von der Lebenstinktur? Wenn Baco kühn die Ahnung
aussprach, dass auch ein schwererer Körper unter gewissen
Bedingungen sich in die Luft zu erheben vermöge, schien
er damit nicht sagen zu wollen, dass er diess mit seinem
eigenen Leibe könne, wie einst, der verbreiteten Sage zu-
folge, der Magier Simon zu Rom gethan? Wenn Arnold
von Villeneuve den Weingeist oder dessen Eigenschaften
zuerst kennen lehrte, schien er nicht im Besitze der Kunst
Wasser zu verbrennen ? Und wenn Baco vollends yon
einer chemischen Mischung, in der wir eine schiesspulver-
ähnliche Substanz erkennen müssen, Donner und Blitz, die
Vernichtung eines Heeres und die Zerstörung einer Stadt
verspricht, thut dann der Unkundige zuviel, wenn er an
die furchtbarste Entladung eines landverheerenden Ge-
witters denkt? Gewiss, der Gedanke an magische Künstt»
musste hier um so eher kommen, da die Gelehrten sehr
oft nur mit den Wirkungen prunkten und die Mittel dazu
in unverständHche Formeln hüllten. Man nehme z. B. das
Rezept zu Baco's explodirender Substanz ^), oder dasjenige,
worin Raimund LuUus Anweisung gibt, wie man aus dem
Merkur der Weisen in verschiedenen Durchgängen grüne
und rothe Löwen, cimmerische Schatten, einen Drachen.
der seinen Schweif verschlingt, und endlich brennendes
') SchI taincn salis petrae /.//r« vo/>o vir can ##/r/>/ sulphuris, et sie facic«
l'»nitrum et coriiscationeni, si scias artificium. y, Dumas die Philosophie «Ict
Clu'niic Ufher^et/.l von lyammclshcr'r. Erste Vorlesung S. 17.
Die Öffentl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. jqm
Wasser und menschliches Blut gewinnen soll, womit, nach
Dumas, nichts anders als die Gewinnung des Brenzessig-
geistes aus Blei dargestellt ist^)! Die arithmetischen Ta-
bellen, die mit ihren wenigen, krausen, ausländischen Zeichen
auf die schwierigsten Fragen augenblickliche Antwort ga-
ben, waren schon ihrer Natur nach für die Menge ein
unauflösliches Räthsel. Hieran heftete sich nun das ver-
grössernde Gerücht. Gerbert*s metallener Kopf, der vor-
gelegte Fragen beantwortet, im zwölften Jahrhundert zu-
erst erwähnt 2), wiederholt sich dann bei Roger Baco und
wird bei Albert d. G. gar zu einem vollständigen Men-
schen, der das Verborgenste enthüllt, um später im Pro-
zesse der Templer wieder zum redenden Kopfe herabzu-
steigen. Arnold von Villeneuve bildet bei Mariana gleich-
falls einen Menschen auf künstliche Weise. Peter von
Apono, weil er in den sieben freien Künsten so sehr be-
wandert war, muss sieben Familiargeister in einer Flasche
aufbewahren. Gerbert's Rechentisch, den er den Saracenen
gestohlen haben sollte, musste jetzt Belehrungen über die
Bedeutung des Bingens und Fliegens der Vögel und über
die Heraufbeschwörung der Schatten aiis der Unterwelt
enthalten '). Von Albert d. G. lief die Sage, er habe einst,
um den Kaiser Wilhelm von Holland zu bewirthen, mitten
im Winter auf einer Schneefläche den Frühling mit seinen
') Dumas a. a, 0. S. 26.
').... de Gerberto fama dispersit, fudisse sibi statuae caput, certa in-
Npectione siderum, cum videlicet omnes planetae exordia cursus sui meditaren-
tur, quod nonnisi interrogatum loqueretur, sed verum vel affirmative, vel ne-
gative pronunciaret. Guil. Malmesb. 11. p. 67. Ueber diese astrologischen
Rüder sagt Johann von Salishury (Policrat. I. 11.); Ad tantam deniqiie tjui-
dam pcrvencre vesaniam, ut ex diversis stellarum positionibus dicant iniagincin
ab honiine posse formari, quae si per intervalla temporum et quadam pro-
portionum ratione in constellatione servata formetur, stellarum nutu recipicl
^plritum vitae et consulentibus occultae veritatis manifestabit arcana.
') Gerbcrtus ibi (in Sevilla) quid cantus et volatus avium portendit, di-
dicit; ibi excire tenues ex Inferno figuras, ibi postremo quidquid vel noxium
vel salubre curiositas humana deprehendit. Abacum certe primus a Saracenis
rapiens. regulas dedit, quae a sudantibus abacistis vix intelliguntur. Guil.
Malmesbur, 11. p. 64. Vgl. Vicent Bellovac. Spec. bist. XXIV. 9«.
iq5 Elftes Kapitel.
Blüthen und Genüssen hervorgerufen und sogleich nach
der Aufhebung der Tafel wieder verschwinden lassen*).
Ja, von Artephius, der im zwölften Jahrhundert gestorben
war, wollte man wissen, dass er mit ApoUonius von Tyana
eine Person gewesen sei und folglich durch geheime
Künste über tausend Jahre sein Leben hingehalten habe.
So warf sich auf diese Männer selbst und ihr Treiben
ein Schein des Wunderbaren, Uebermenschlichen, und es
fragte sich nur, ob ihre Wirkungen von Gott, oder vom
Teufel stammten; denn dass sie die Frucht des eigenen
Nachdenkens und der Naturbeobachtung sein könnten, fiel
nur Wenigen ein. Auch Thomas von Aquino glaubte ent-
schieden an die Wirklichkeit der Magie; was er mit Eifer
gegen die Erlaubtheit derselben vorbringt, ist zum Theil
so subtil, dass es von manchen Verehrern der geheimen
Wissenschaften zu Gunsten derselben umgedreht wurde.
Für den Teufel, von dem das Jahrhundert voll war, ent-
schied man sich immer am liebsten, und jedenfalls dann,
wenn der Inhaber jener Geheimnisse zugleich auch einige
wSelbstständigkeit in Religionssachen mitgebracht hatte und
es sich herausnahm, dem Pfaffenthum und der Orthodoxie
entgegenzutreten, wie Roger Baco, Peter von Apono und
Arnold von Villeneuve. Zu milderem Urtheil war man
geneigt, wo etwa scholastische Verdienste um die Stützung
d(*s Dogma's vorlagen, wie bei Albert d. G., oder ein Re-
kehrungseifer wie bei Raimund LuUus. Wusste man ja
von Alb ort, dem grossen Lehrer des noch grösseren
Thomas, dass die heilige Jungfrau ihm die Gnade verliehen
hatte, alle Wissenschaft der Philosophen zu lernen, ohne
am wahren (xlauben Schaden zu nehmen, und dass er über-
(lic»ss fünf Jahre vor seinem Ende seine ganze Weisheit
*) TritUnheim (T7.ähll <liess in Chron. Uirsau^;. ad ann. 1254 nach Jt^anm
.//' I^crka (^hronicon Kpiscopor. Traject. T>cruleichcn zauberische IVncht-
ni.ililr knnntc licreits «las Altcrthun». r>asjrniKo, wcichfs hei Phihttratm (im
I.'lirn iWs Apnlloniu««) <lic Knipu^n it»rcm BrSntiKaiii Mrnippus >:iM, '\<i ot^n
tTW;Uint wcnlrn. Atirh d<*r Ki/./aiihcpr Pases war ah ein v>loher Ga*5ig^h«T
iM'kaniit iStti,/ r*. IIot-^Yj^K vt>n den .»i:yp(i<cli*'n Zaul»erem erzählt Aehnlich*^
t>/ /;,.»/«•' c. L>U. I. 3H2.
Die 6ffentl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. igy
freiwillig wieder vergessen hatte, um eines christlichen
Todes desto sicherer zu sein. Seine Magie ward darum
auch für eine natürliche erklärt, wie er selbst diese Be-
zeichnung schon gebrauchte*).
Das Beispiel reizte zur Nachahmung. Viele wären
gerne im Besitz der Künste gewesen, die mah an Albertus
und Anderen pries; was diese auf dem von der Menge
ungeahnten Wege der Forschung erreicht hatten, erstrebte
man auf dem Wege abergläubischer Gebräuche; man
suchte die alten theurgischen Uebungen hervor, mischte
sie mit dem Ceremoniell , mit welchem die Priester seit
Jahrhunderten Geister gebannt und andern Unfug getrieben
hatten, und gedachte hiermit zur Herrschaft über die
Geister und die von diesen repräsentirten Naturkräfte sich
zu erheb.en. So kam dasjenige in Gang, was man weisse
Magie oder weisse Kunst nannte. Trotz ihrer steten
Bemühung, sich einen christlichen Anstrich zu geben, und
trotz dem, dass sie sich längere Zeit auf einzelnen Uni-
versitäten, namentlich zu Salamanca und Krakau eines ge-
wissen Rufes erfreute, hat es indessen dieser weissen
Magie in ihren verschiedenen Erscheinungen als Theurgie,
Theosophie, Rosenkreuzerei u. s. w. niemals recht gelingen
wollen, von der Kirche anerkannt zu werden. Ein Be-
zwingen der Dämonen kann nach Thomas von Aquino^)
nur durch die Kraft Gottes geschehen, und wo diess ge-
schieht, da ist überhaupt keine Magie, sondern eine Wir-
kung der göttlichen Gnade vorhanden. Hiernach sei, fährt
Thomas fort, dem König Salomo, den man so gerne zum
Erzvater der weissen Magie machte, entweder alle Magie
abzusprechen, sofern man von seinen Geisterbezwingungen
aus derjenigen Zeit rede, wo er im Stande des Heils war,
oder er habe gleich jedem Andern durch die Kraft des
Teufels gewirkt, sofern er zur Zeit seines Götzendienstes
Uebernatürliches gethan. Diess stimmt mit Augustinus
Ansicht überein, der zwischen Goetie und Theurgie nur
in der Benennung einen Unterschied findet.
«) S. Trithem. Chron. Hirsaug. T. I. p. 593 cf. T. 11. p. 4^».
*) Quaest. dbp. VI. de mirac. art. 4.
200 Elftes Kapitel.
weise an römische Muster. Bezauberung durch das böse
Auge, geschmolzene Wachs- und Bleibilder, magische
Ringe , Stricke , Haare und Nägel von Gehängten , Erde
von Begräbnissplätzen , Turteltaubenblut, Kräuterabsude
und Aehnliches kommt in Acten aus der ersten Hälfte des
vierzehnten Jahrhunderts vielfaltig vor und mag zum Theil
schon vorher praktisch versucht worden sein. Den Hass
Philipp August's gegen seine verstossene Gemahlin Inge-
burg leitet schon Vincentius von einer Bezauberung her*);
der Glaube an die Möglichkeit einer solchen hatte bereitb
in Gratian's Dekret eine Auctorität gefunden.
Längst war nämlich die Einwirkung auf die Leiden-
schaften des Menschen , die Erregung unüberwindlichen
Abscheus oder der leidenschaftlichsten Liebe gerade in
solchen Lebensverhältnissen, wo die Natur und das Gebot
Gottes den entgegengesetzten Affekt forderten , als eine
der gewöhnlichsten Uebelthaten der Zauberer allgemein
anerkannt. Nicht selten sollte ein boshaftes Weib ein
irdisches Feuer in der Brust eines Mönches entzündet und
ihn zu Falle gebracht haben. Auch nahm der Böse wohl
bei seinen Bewerbungen die Gestalt eines angesehenen
Geistlichen an, dessen Ruf der Heiligkeit er dadurch für
immer zerstört. Daneben machten sich Zauberer und Zau-
berinnen ein besonderes Geschäft daraus , Neuvermählte
an ihrer geschlechtlichen Vereinigung zu hindern. Eine
ganze Reihe von Synoden und Concilien hat alle L^rheber
einer solchen Unthat mit dem Banne beilroht-)? Die
Furcht vor den geheimen Malefizien der Werkzeuge Sa-
tans, welche sich der Gemüther bemächtigte, wurde noch
durch den (z. B. auch von Thomas Aquino bestätigten^^
weit verbreiteten Wahn gesteigert, dass die Dämonen die
Körper ihrer Werkzeuge verändern könnten, worauf na-
') S|»rc. nalur^l X.WIII. »K». S. auch AV^».''./W.^ de leb, i:r>ti\ l*hil
\a»;t»>i bei /*«• •• •«« T. l. p. 37.
•\ tt .». '. .< /.. ^1 S. M.
't Oni:)<x j'i^tli U>ni ii in.«h r\ virtutr ».ilurali hahrni p«>lfsUtrm
Die öffentl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. 201
mentlich der Glaube an die Lykanthropie — der Ver-
wandlung der Hexen in Wölfe beruhte ^).
Auf diese Weise hatte sich im dreizehnten Jahrhun-
dert Vieles vereinigt, um zahlreiche einzelne Vorstellungen
von magischem Wesen in Umlauf zu bringen, welche sich
mehr und mehr im tiefsten Schwarz zusammenzogen und
welche den Begriff der Hexerei und der Hexe zum Ab-
schluss bringen sollten. Die Schriftsteller verunstalteten
ihre Werke mit den aberwitzigsten Geschichtchen, und
mancher betrogene Bösewicht mag in jener Zeit den wirk-
lichen Versuch gemacht haben , durch die ihm angeprie-
senen Zauberkünste seine Feinde zu verderben oder sich
selbst emporzuschwingen; wenigstens finden sich dergleichen
Klagen bald nachher selbst am päpstlichen Hofe zu Avig-
non. Noch aber ist die Sache nicht zur Festigkeit ge-
langt; obgleich man das Pactum mit dem Teufel kennt,
so bildet dasselbe doch noch nicht den gemeinschaftlichen
Mittelpunkt zu einem Ganzen verbundener Zaubergräuel,
wie im späteren Hexenwesen. Der Zauberer des drei-
zehnten Jahrhunderts treibt das Eine oder das Andere;
er ist noch weit mehr Gelehrter, den der Bund mit dem
Satan des Studiums . nicht überhebt; die spätere Hexe er-
hält ihr ganzes Können durch den Bund mit einem Male*);
jener steht für sich, diese ist nur Glied einer grossen Ge-
sellschaft.
Wie übrigens der Glaube an die nachtfahrenden
St r igen schon in Synodalbeschlüssen und fränkischen
Kapitularien als ein unchristlicher und sündhafter erklärt
worden war, so fand er auch jetzt noch, wo man ihn aus
den Schriften der Römer hervorzusuchen anfing, Wider-
^) Hartpole Lecky, S. 58—59.
') So sagt noch ioi sechzehnten Jahrh. Thomas Erasius über diesen Un-
terschied: His addi potest aliud, quod Magi ex libris et magistris suas ple-
rumque ineptias hauriunt dih'gentique studio libros conquirunt praeceptoresque
conducunt, e quibus mysteria , quae scire desiderant, discant, Striges contra
nullo vcl libro, vcl praeceptore utuntur, sed ab ipsomet diabolo brevi tempore
de Omnibus si non vere, falso tarnen erudiuntur, Tract. de lamiis im Malleus
Malcf. p. 529.
202 Elftes Kapitel.
Spruch. Merkwürdig ist in dieser Beziehung eine Stelle,
welche Grimm aus einer Wiener Handschrift des Striker
oder eines von dessen Zeitgenossen mitgetheilt hat *) :
Ich hin gewesen ze Portigal
und ze Dület sunder twal,
mir ist kunt Kalatr.^ daz lant,
i\ä man die besten Meister vant.
ze Choln und ze Paris
d.1 sint die pfafTen harte wis
die besten vor allen riehen.
dar fuor ich waer Heben
niwan durch diu maere,
waz ein unholde waere ?
duz gehArt ich nie gelesen.
waz ein unholde mOge wesen.
daz ein wlp ein chalp rite,
daz wären wunderliche site,
ode rit üf einer dehsen,
f)de uf einem liQspesem
nsich salze ze Halle ffiere ;
oh des al diu weit swQere
doch wolde ich sin nimmer gejehen,
ich enliet ez mit minen ougen gesehen.
wand .s^) würde uns nimmer tiure
daz salz von dem ungehiure.
ob ein wlp einen ovenstap über schrite
und den gegen Halle rite
über berge und Über tal,
daz sie taete deheiDen val,
daz geloube ich niht, swer daz seit,
und ist ein verlorniu arbeil;
und daz ein wip ein sib tribe
sunder vieisch und sunder lil)e,
da niht inne waere,
daz sint allez gelogniu marrc
daz ein wlp ein man über schrilc
und im sin herze üz snite,
wie zacme daz einem wlbc,
daz sie ein herze snit üz einem Hbe
und stieze dar In strA.
wie mfthter leben ode werden frA?
ein mensche niuoz ein herze haben.
ez habe saf od M beschaben u. v w
*) Deutsche Mytholugic S. r,Ht;.
Die öffentl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. 203
So erklärt auch Vincentius diese Nachtflüge für eine
Täuschung, die der Mensch im Traume erleide*); eben so
der Roman de la Rose:
niaintes gens por lor folie
Cuident estre par nuU estries
Errans avecques darae Uabonde,
Et dient que par tout le nionde
Li tiers enfant de nacion
Sunt de ceste condicion etc. ^)
und weiter:
D'autre pait que li tiers du nionde
Aille ainsinc avec danie Habende
Si cum folUs vicllis U pruevent
Par les visions qu'eUs trutvent,
Dont convient-il sans nule faille
Que trestous li mondes i aille,
Qu'il n'est nus, soit voir- ou nienconge,
Qui mainte vision ne songe,
Non pas trois fois en la semaine,
M^s quinze fois en la quinzaine,
Ou plus ou liioins par aventure,
Si cum la f antaste dure^).
Indessen konnte doch über das Mass des Sündhaften
in der Beschäftigung mit der Magie jene Zeit noch keine
feste Ansicht haben, eben weil sie über die Wirklichkeit
und Natur jener Künste noch nicht im Klaren war. Im
Ganzen liess man den guten oder schlimmen Gebrauch
den Ausschlag geben, und selbst die so arg gebrandmarkte
Nekromantie unterlag in geeigneten Fällen einer milderen
Beurtheilung. Zwar fahren bei Cäsarius und seinen Zeit-
g-enossen die Seelen der verstorbenen Nekromanten zum
Teufel; aber das hatten sie nicht nur mit den Seelen an-
derer Sünder imd selbst mit leblosen Gegenständen ge-
mein*), sondern man hat sie sogar aus der Holle zurück-
kehren und Cistercienseräbte werden sehen. Erinnern wir
') Spec. moral. Hb. II. dist. 17. part. 3..
*) Vers 18625 ff.
») Vers 18686 ff.
*) Ein Mensch, dem der Stiefel nicht angehen will, wünscht, dass der
Teufel denselben holen möge; sogleich fliegt der Stiefel durch die Luft fort.
Vincent, Bell. Spec. mor. Lib. III. Dist. 8. part. 5.
204 SL^r^si KjgiE-^ I
I
uns weiter, wie l>ei eben cerrtselbea Casarius ein Xrfo'O-
mant al^ g^läubi^er Kaih.lik vc-r 6em Büie der Jungfrau
für die Seele Neirje> verst :-T*>e'r>en Getihrten Psalmen liest,
und wie !5-elb<t der Bi>ch;: vcn Bes^Än^porj durch einen ne-
kromanti>cben Prie^ier 'sinter Zu-icberung' de> Sünden-
e^las^e*> zwei Ketzerbäupter entlarven läsat. Thomas von
Aquino ges-tattet s^hües^Iich ^ogar den Besitz magischer
Kenntnii'>e als un^ündÜch, M:»fem man dieselben nicht zur
Au>übuns^, iondem zur Widerlegung' der Magie anwenden
will '). Hieraus g'eht her\-or, das> Thomas^ obgleich auch
er im Allgemeinen einen TeutVl^bund kennt *>. dennoch
denselben zur Erwerbung magi?H:her Kenntnisse nicht un-
bedingt nothwendig hält ; bonst häne er die letzteren nicht
erlauben dürfen.
Was die kirchlichen Strafmas^regeln gregen Zauber-
übungen betrifft, io finden sich zur Zeit noch keine Ab-
weichungen von den früheren Disciplinarbestimmungen.
indem als eigentlich kirchliches Strafmittel noch immer
die Excommunikation gilt: wohl aber entschliesst sich
das bürgerliche Gesetz in Deutschland zu einer
Neuerung. Der Sachsenspiegel sagt: „Swelk ker-
stenman [oder wif] ungelo\-ich is unde mit tovere umme-
gat , oder mit vorgiftnis5>e [unde des verwunnen wirt], den
sal men upper hört bemen." Eine Neuerung nennen wir
diess, weil vor dem Sachsenspiegel in Sachsen keine Spur
einer gesetzlichen Verbrennung der Zauberer gefunden
wird, und besorgen hierbei nicht den Einwurf, dass diese
Sammlung nur Altüberliefertes aufgenommen habe.
Nicht um das, was einst gegolten hatte, sondern um das-
jenige, was galt oder gelten sollte, hatte sich der Samm-
ler für praktische Zwecke zu kümmern, und sein Werk
trägt in der That das Gepräge des Neuaufgenomraenen
auch sonst noch, z. B. in seinen Sympathien für die ro-
misch-hierarchischen (rrundsät/e von den zwei Schwertern,
die den alten Sachsen vollkommen fremd waren. In der
') (Juodlih. IV. <Ju. 9.
') Ad Jesaj. XXVIU. 15.
Die öflfcntl. Meinung der Kirche und das Gesetz im 13. Jahrh. 205
Zeit, wo der Sachsenspiegel entstand, fing der Teufel
überall wieder zu spuken an. Damals gerade erzählte
Cäsarius seine Geschichten von den Homagien, unte^-hielt
Gervasius seinen Kaiser, den Sachsen Otto, mit seinen
Wehrwölfen und Weibern in Katzengestalt, galt Philipp
August für behext und stand christliches Gesinde in Juden-
häusem im Verdachte, vom Glauben abzufallen und mit
den Juden, den berüchtigten Magiern und Brunnenver-
giftern des Mittelalters, im Einverständnisse zu sein imd
selbst zu ihnen überzutreten '). Besonders aber ist zu be-
achten, was jene Zeit von den Magistern aus Toledo, den
bleichen Männern, bei deren Kusse der Glaube aus dem
Herzen weicht, und der Betreibung nekromantischer Stu-
dien in den muhammedanischen Ländern fabelte. Eine
solche Zeit konnte auch wohl einem Gesetze, wie das
obige ist, sein Entstehen geben. Zauberei und Apostasie
sind hier in Verbindung gebracht; ob dieser Abfall aber
als formliches Teufelshomagium, oder einfach als Ueber-
tritt zum Judenthum oder Islam sich darstelle, muss bei
der Kürze der Wortfassung unentschieden bleiben. Für
den späteren BegriflF der Hexerei zeigt sich übrigens hier
noch keine Spur gesetzlicher Anerkennung.
Der Schwaben Spiegel hat das besprochene Gesetz
fast mit denselben Worten, in seinen späteren Redaktionen
jedoch mit manchen Erweiterungen und mit deutlicher
Hereinziehung des Homagiums, aufgenommen^).
*) Die zahlreichen Juden zu Paris hatten christliche Knechte und Mägde,
qui, a fide Jesu Christi manifeste rec^dentes, cum ipsis Judaeis judaiza-
bant. Rigord. de reb. gest. Phil. Aug. bei Diu/tesm V. p. 8. Der Anony-
mas de haeresi paupenim de Lugduno (bei Marterte Thes. V p. 1794) redet
von Christen, die förmlich zum Judenthum Obertreten und beschnitten werden;
die Beschneidung wird indessen nur semiplene vorgenommen, nicht vollständig^
wie bei den Kindern. Auch mftssen die Uebergetretcnen immer eine charta
judaizationis bei sich tragen, sonst würden die Juden nicht mit ihnen trinken.
*) „Swelch Christen mensche ungeläubig ist, oder mit zauber umbgat, oder
mit vergifl, wird er dez überait, man soll ihn uff ainer hurte brennen, ez si
man oder wip.* — Ein bei Senehenöerg (Corp. jur. germ. — Jus prov. Ale-
raann. cap. 103) abgedrucktes Manuscript, angeblich aus dem dreizehnten Jahr-
hundert, hat: „Ez si weip oder man. die daz chunnen. daz si den tiufel mit
2o6 Elftes Kapitel.
Auf demselben Standpunkte halten sich die seitdem
aufgestellten sächsischen Stadtrechte von Hamburg,
Lübeck, Bremen, Riga, Stade, Verden. Das Hamburger
Stadt recht von 1270 z. B. bestimmt (XU. 6): „So welck
Kersten Man offte wyff , de ungelovich ist, offte mit To-
veryn ummegeit, offte mit Vergiftenisse vnde mit der
verschen Daet begrepen werd, de schall me vpe der Hord
bemen, vnde so schall man ock don enen vorreder.** Um
also auf die Strafe des Scheiterhaufens erkennen zu kön-
nen, war erforderlich: i) dass der Verbrecher oder die
Verbrecherin sich zum Christenthum bekannte, 2) dass die
Person ungläubig war, 3) dass sie mit Zauberei oder Ver-
giftung umging und 4) dass sie auf frischer That ergriffen
worden war *). Durch diese letztere Bestimmung unter-
schied sich aber das Hamburger Stadtrecht von dem
Sachsenspiegel und den mit ihm übereinstimmenden
Stadtrechten. Während diese letzteren nur wollen, dass
der Thäter „des verwunden wird" und dadurch der spä-
teren Anwendung der Tortur Raum schafften, wird dort
das richterliche Verfahren auf den Fall der Handhaftigkeit
beschränkt.
Worten ze in laden, den sol man brennen, wan er hat gotes verlougen uml
hat sich dem tivfel erßeben. und die cz wizzent und ez verswigent und danu
helfent, den sol man daz hovbet abe slahen." Im Codex Uffenbachianus bei
Senckenberg heisst's: „Ks sey frawe oder man, die mit zawbcr oder mit dem
tewfel umb gehenn , das .sy yn mit Worten su yn laden oder suste mit ym
umbgann, die sol man alle brennen oder welches todes der richter wil Art
erger ist und noch böser, wan er hat unsers herrn Jesu Christe verlcwckntl
und dem teufel hat er sich ergeben. Und die es wissen und es versweypn
und die es raten, werden sie bewort als recht ist, den sol man das hewbt
abcslahenn.*
*) C. Trümmer, Vortrage ober Tortur, Hexen Verfolgungen, Vehmgerichte
und andere merkwürdige Erscheinungen in der Hamburgischen Rechtsgeschichlr.
Hamburg, 1844. S. 102 flf.
ZWÖLFTES KAPITEL.
Die Inquisition im dreizehnten Jahrhundert.
Ausbildung des Hexenprozesses in Frankreich.
Im Jahr 1183 geschah es, dass Papst Lucius IIL in
Verona gemeinschaftlich mit Kaiser Friedrich eine Anzahl
von Prälaten der Kirche versammelte. Neben vielem An-
deren wurde hier auch die Ketzerei in Südfrankreich und
das zur Ausrottung derselben anzuwendende Verfahren
besprochen. Nicht lange nachher (1183) Hess Lucius durch
den Erzbischof von Rheims als päpstlichen Legaten in
Flandern eine ganze Anzahl von Ketzern verbrennen.
Dieses Jahr 1 183 kann als ein verhängnissvoller Wende-
punkt in der Geschichte der Kirche angesehen werden.
Von diesem Jahre an wurde nämlich allmählich der Be-
griff der Ketzerei ein anderer, und das Strafverfahren der
Kirche gegen dieselbe wurde auch ein anderes. Dieses
wie jenes geschah aber dadurch, dass sich das Papstthum
in ganz neuer Weise als Prinzip alles Glaubens und Lebens
der Kirche geltend machte.
Die Auffassimg der Ketzerei betreffend hatte man
bisher in der Kirche den Gesichtspunkt festgehalten, von
dem einst die römischen Kaiser in ihrer Strafgesetzgebung
gegen Ketzerei ausgegangen waren; man hatte zwischen
den Irrlehren unterschieden, und nur Ketzereien von grös-
serer Bedeutimg mit Strafen belegt. Jetzt aber ward der
2oS Zwf^lftfs Kapitel.
Gedanke zur Geltung gebracht, dass jedes Dogma auf der
Auetoritat der Kirche, des Papstthums beruhe, und dass
also auch die geringste Abweichung von der Kirchenlehre
eine Verleugnung der Auctoritat der Kirche, des Papst-
thums sei, dass diese Verleugnung die eigentliche Ketzerei,
dass also die Ketzerei, in welcher Form sie auch auftrete,
immer sich selbst gleich, gleich fluchwürdig und gleich
strafbar sei.
Als die der Grösse des Verbrechens der Ketzerei —
des Abfalls von der Kirche, von Gott — allein entspre-
chende Strafe derselben betrachtete man den Tod durch
Feuer.
Allerdings wurden noch, im elften und im Anfange
des zwölften Jahrhunderts viele Stimmen in der Kirche
laut, welche vor der Hinrichtung Irrgläubiger warnten.
Ernste, fromme Kirchenmänner wie der Bischof Wazo von
Lüttich, der Bischof Hildebert von Le Mans, Rupert von
Deutz, der heil. Bernhard von Clairvaux u. A., erinnerten
daran, dass ein solches Verfahren mit Irrgläubigen gegen
Christi Willen sei, dass man durch da.sselbe nur die Heu-
chelei grossziehe, die Kirche verhasst mache u. s. w. —
Allein der von dem Papstthum vertretene Gedanke, dass
die Ketzerei vom Teufel stamme, dass darum die Bestra-
fung derselben Ausrottung der Ketzer sein müsse, gewann
in der Kirche mehr und mehr Raum. — Der altkirchliche
Gedanke, dass Ketzerei mit Excommunikation zu bestrafen
sei, war bald vergessen.
Aber auch der altkirchliche Gedanke, dass die Ver-
folgung der Ketzerei den Bischöfen zustehe, wurde bald
vergessen gemacht. Indem nämlich das Papstthum das
eigentliche Wesen der Ketzerei in der Verleugnung seiner
Auctoritat sah, so lag es nahe, dass dasselbe die Verfolg^nvf
und Bestrafung der Ketzerei als eine ihm ausschliesslich
zugehörige Sache ansah. Daher erhob sich jetzt das Papst-
thum, um auf Kosten der kanonischen Diöcesangewalt der
Bischöfe durch seine Legaten, die von ihm mit den aus-
gedehntesten Befugnissen ausgestattet waren, das Straf-
recht der Kirche gegen die Ketzer selbst auszuüben.
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbild. d. Hexen pro zesses in Frankreich. 20Q
Doch mochte man dabei anfangs die Diöcesangewalt
der Bischöfe noch nicht eigentlich zur Seite schieben*. Als
Innocenz III. den Entschluss fasste, Einrichtungen ins Leben
zu rufen, durch welche eine ununterbrochene Aufspürung
und Verfolgung der Ketzer sicher gestellt würde, Hess er
durch das vierte Lateranconcil verfügen, dass jeder Bischof
seine Diöcese entweder durch seinen Archidiacon oder
durch andere geeignete Personen bereisen und an allen
verdächtigen Orten entweder einzelne unbescholtene Leute
oder die ganze Einwohnerschaft durch einen Eid alle ihnen 1
bekannten ketzerischen Personen anzeigen lassen sollte.
Die Verweigerung des Schwures sollte als Zeichen der
Ketzerei gelten; der Bischof aber, der sich in der Ver-
folgung der Ketzerei lässig zeigen würde, sollte abgesetzt
werden. — Formell waren ctlso die Bischöfe mit der Ketzer-
verfolgung betraut; aber die päpstlichen Legaten waren
angewiesen, dieselbe zu beaufsichtigen und zu leiten. —
Von dem Concil zu Toulouse 1229 wurde diese Einrich-
tung noch erweitert.
Allein so sehr auch die Delegaten des Papstes die
Bischöfe zur Aufspürung und Verfolgung der Ketzer an-
trieben, so hatte die ganze Einrichtung doch nicht im Ent-
ferntesten den in Rom gewünschten und gehoflften Erfolg.
Die Denunciationen , ohne die man die Ketzer nicht er-
mitteln konnte, waren nicht in Gang zu bringen. Daher ent-
schloss sich Papst Gregor IX. die Inquisition den Bischöfen
ganz zu entreissen, dieselbe als ein rein päpstliches Institut
einzurichten, dem auch die Bischöfe unterworfen sein soll-
ten, und die „Inquisitio haereticae pravitatis" den Domini-
kanern zu übertragen, welche dieses „heilige Officium" in
seinem immittelbaren Auftrage ausrichten sollten. Mit dem
Jahre 1232 trat dieses neue päpstliche Institut ins Leben,
zimächst in Südfrankreich, in Aragonien, in der Lombardei,
in Oesterreich und Deutschland. — Schon damals hatte
Kaiser Friedrich n„ um in Italien die Weifen niederwerfen
zu können, die (späterhin, 1238 und 1239 noch vermehrten)
Blutgesetze erlassen, welche den Letztem alle rechtlichen
Soldaii'Heppe, Hezenprosesse. M
2 I o Zwölftes Kapitel.
Schutzmittel entzogen, sie der Inquisition ganz und gar
preisgaben und als ihre Strafe den Feuertod und die Con-
fiscation ihres Vermögens anordneten.
So begannen nun die Päpste mittelst ihrer Domini-
kaner (neben denen späterhin auch Franziskaner gelegent-
lich herangezogen wurden) ihre Blutarbeit in der Kirche.
Alit der Inquisition war die päpstliche Auctorität ganz un-
mittelbar in die ICirche hereingetreten, alle Ordnungen der
bischöflichen Diöcesanregierung durchbrechend und nieder-
tretend. Jeder einzelne Inquisitor arbeitete im immittel-
baren Auftrag, und vom dreizehnten Jahrhimdert an bis
zur Reformation hin ist „nie ein Mensch anders als im
Namen des Papstes imd aus dessen allgemeinem oder spe-
ziellem Auftrag zur Folterbank gefuhrt und auf den Scheiter-
haufen gestellt worden" ^).
Mit brutalem Uebermuth erhoben sich daher die In-
quisitoren nicht nur gegen die Bischöfe, sondern auch
gegen landesherrliche Gewalten. Dieselben mussten den
Inquisitoren Kerker bauen und mussten deren Urtheile
vollstrecken, ohne sich um den Gang der Untersuchung
kümmern zu dürfen. Thaten sie dieses und wollten sie
nicht willfährig die Scheiterhaufen bauen und die Verur-
theilten verbrennen lassen, so verfielen sie dem Kirchen-
banne ; und hatten sie nach Jahresfrist sich nicht von dem-
selben befreit, so waren sie der Inquisition selbst verfallen.
Darum musste sich in den Dienst der Inquisition in der
Kirche Alles, Alles stellen, und darum wurde derselben
auch die Wissenschaft dienstbar, die sich alsbald dazu
herbeiliess, das nichtswürdige, nicht allein mit dem Evan-
gelium, sondern auch mit der zwölfhundertjährigen Tra-
dition der Kirche in Widerspruch stehende Institut der
Inquisition zu rechtfertigen*).
1) yamu, der Papst und das Concil (Leipz. 1869) S. 264.
') So namentlich Thomas v, Aquino, der (Summa, IL 9. 1 1 Art. 3 u- 4)
aus symbolischen Bezeichnungen der Ketzer, welche das Neue Testament j?«-
braucht, die Pflichtmflssigkeit der Hinrichtung derselben in folgender Weise al>>
zuleiten sucht: Die Häretiker werden im N. Test. Diebe und WAlfe genanat;
Die Inquisition im 13, Jahrh. Ausbild, d- Hexenprozesses in Frankreich. 2 1 1
Wie nun die Einsetzung der Inquisition als solche die
willkürlichste Durchbrechung der bestehenden hierarchi-
schen Ordnung der Kirche seitens des Papstthums war,
so beruhte auch das Prozessverfahren , welches die Inquisi-
toren zur Anwendung brachten — der Inquisitionspro-
zess^) — auf dem vollständigsten Bruche mit dem bis-
herigen Prozess und auf vollständigster Niedertretung des
kanonischen Rechts.
Die Kirche hatte sich von Anfang an das von ihr
vorgefundene römische Recht angeeignet, sowohl zur
Normirung ihrer mannigfachen inneren und äusseren Ver-
hältnisse als auch für die Form ihres Strafverfahrens, ins-
besondere bei der Ausübung des Strafrechts ^). Daher
kannte das kaöionische Recht bis etwa zum Jahre 1200
ebenso wie das römische Recht keinen anderen Prozess
als den auf wirklicher Anklage beruhenden, — den Accu-
sationsprozess^). Wie im römischen, so war auch im
kanonischen Strafverfahren die Inscriptio et in crimen
subscriptio d. h. die vom Ankläger zu unterzeichnende
schriftliche Aufstellung der Anklage im gerichtlichen Pro-
tokoll oder in einem vom Ankläger eingereichten libellus
accusationis als die eigentliche Basis des ganzen Prozess-
verfahrens, indem durch sie dem Prozess seine bestimmte,
nicht zu überschreitende Grundlage gegeben und zugleich
die Verantwortlichkeit des Anklägers dem Angeklagten
und dem Staate gegenüber gesichert wurde.
Diebe aber pflegt man zu hängen und Wölfe todtzuschlagen. Auch sind die
Ketzer Söhne des Satans, wesshalb es nur billig ist, dass ihnen das Loos ihres
Vaters schon hier auf Erden zu Theil werde , d. h. dass sie brennen wie er.
An die Worte des Apostels Johannes, dass man einen Häretiker, nachdem man
ihn zweimal vergebens belehrt habe, fliehen solle, knüpft er die Bemerkung,
da.ss diese Meidung am besten durch Hinrichtung zu Wege gebracht werde.
Bei Rückfälligen aber hält er jede Belehrung für unnütz und empfiehlt es sie
kurzweg zu verbrennen.
') Was man bis dahin „kanonische Inquisition** genannt hatte, unterschied
sich wesentlich von dem Verfahren der jetzt aufkommenden Inquisitio de-
Jegata. 5. Büner, Beiträge zur Gesch. des Inquisilionsprozesses, S. 60 ff . —
*) J/. A, Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, B. I. (Gfttt.
1861) S. 106.
•) Ebendas. S. 101.
^jn ZwMftcs KapitcL
Allerdings war in der Kirche aus dem Bedürfnisse
dt* kirchlicheji Disciplin schon frühzeitig ein anderes Straf-
vertihrein, das der inquisitio erwachsen, was spater ins-
besondejie durch Innocenz lEL und durch die Beschlüsse
deii Lateranconcik von 121 5 bestimmter geregelt ward
E> k,un nämlich insbesondere in Betracht, dass der Accu-
SÄtionsj-iroress tut Handhabung des Strafrechts den Geist-
lichen ijegvnübej darum nicht genügen konnte, weil im
kanoni^ichen Recht die Erhebimg aner formlichen Ankl2^
*5»4iXM^ einen ireistlichen durch einen Laien oder gegen
eiiHMi hC^her siehenden iVeisdichen durch einen niederen
au>Are>chL%?cien war, Pahex ^wasen die geistlichen Gerichte
ennachüi^'U nan^^erixli ch in Rejaehung auf Kleriker, bei de-
hcii> m^ni:estis s. nvMv>riis, von Amtsweg«! einzuschreiten.
Äuch \x enn kein ArXr*^vr aiifiTerreten war. Doch konnte
der lV>ch\;Ki;*:ne, wenn er <dch schuldfrei wusste, ach eid-
lich Tt^:n:*;t^n, \Ve::ert^ Re>c::minungen über den Gang und
die Fon*:'Ji^n i^e> S:T,u\vr:,::Jhrens ex officio finden sich im
0v\qv4:> vuri> c^n, r.^ch; vot^l
Nav^h vlom viA"«:v»l,^en kcinonischen Recht galt es daher
al> Re^r^^I. x^ v:,*s> oor ATikl^ioe^proress, der auf der in-
>cr:iM3o ev,">T>s Chi^^eTi Ar«V*Il4:'eTS benihte, das ordentliche
lVx\;o»\eT:Ahn^r* w;*t- , c c.'*ss das Prazess\'erfehren fwie
viÄ> rvUV.4Nch-T\v>,:.«c>.t^ J n\ r,il:ch und mündlich und streng
ju"; cl:e AecuN,i:%>nNschr.f: di>s Ankl-Urers ^rebunden war, und
j^' ^:,4» v^-,i> vrc>^,\'.':,v. .:» , >Äc'lc'he> der Richter von dem
Ano'^kV^to'i'i :v; vw>.v/.>;r, bir.ilhi sein müsse, nur dann
\Vo:i^ h***v, \\cv,n c-^n>i .:v c:Ti .r^-rchaus freiwillig abge-
'^cj^trN ;o^.J v.^ Verlor \W ,>*^ :v.:: vWwak erpressi war. —
!"i s>i^>^^ri^, ^N.^Ate >Ä>ch a*,>.' C4-> S;rafrecht der Kirche von
V j :. • « -'V «V « 4 \ I 1 J -^ s . t s w • . n. f et I i OB r »»
*j ; ^ i . X . i. : ^ * f^ I » , * ^ i ; ♦ ^ •• V ,*^- r t^-» *.v — C4&. Tv ciU^ H ^
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbild, d. Hexenprozesses in Frankreich.' 2 1 3
dem römischen Recht (welches bei Majestäts- und anderen
Kapitalverbrechen) die Anwendung der Folter zuliess, ab ^).
In Rom war man sich schon bei der ersten Einleitung
der Ketzerverfolgung darüber klar geworden, dass der
Ketzerrichter, wenn er zum Abwarten einer gesetzlich
giltigen Accusation verpflichtet sein sollte, unmöglich Ketzer
entdecken könnte. Daher setzte das Papstthum die ganze
Rechtsordnung, welche im Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts in der Kirche noch intact bestand, ebenso wie
die iurisdictio ordinaria der Bischöfe für das ganze Gebiet
der Inquisitio haereticae pravitatis ausser' Kraft, indem es
1) den Accusations- durch den Inquisitionsprozess ver-
drängte, 2) alle Erwachsenen eidlich zur Anzeige der ihnen
bekannten Ketzer verpflichtete, 3) für den Inquisitions^
prozess die Geheimhaltimg der Namen der Zeugen, und
4) (seit Innocenz IV.) die Anwendung der Tortur zur Er-
pressung von Geständnissen anordnete, imd 5) die Ver-
xxrtheilung der überführten Ketzer zum Feuertode einführte.
Dieses ganz neue Prozessverfahren stand mm zu dem
deutschen Recht in demselben grellen Gegensatz wie zu
dem bisherigen Kirchenrecht. Denn auch die deutschen
Volksrechte, die Kapitularien der fränkischen Könige, die
Rechtsbücher des Mittelalters setzten sämmtlich den An-
klageprozess als das allein rechtsgiltige Verfahren voraus
und bestätigten die alte Regel des germanischen Volks-
bewusstseins : „Wo kein Kläger, da ist auch kein
Richter*). — Als Hauptbeweismittel galt im deutschen
Strafrecht neben der Zeugenaussage imd dem Gottes-
urtheil der Eid des unbescholtenen Mannes^). —
*) Vgl. die von Zachariä S. I14 — 115 aus dem Corp. iur. can. zusammen-
getragenen Stellen: Can. I. caus. XV. qu, 5: Si negaverit, ventiletur causa
canonice; et si vel sponte confessus, vel legitimis testibus fuerit appro-
batus, canonica feriatur sententia. — can. I, Caus. XV. qu. 6: Confessio
vcro in talibus non compulsa sed spontanea esse debet. — Omnis enim
confessio, quac fit ex necessitate, fides non est. — Confessio ergo in talibus
fwn extorqucri debet , sed potius sponte profiteri. Pessimum enim est de
suspicione aut exicrta confessione q u e m p i a m iudicare (!).
*) Zachariä^ S. I24.
') A. V. Kries, der Beweis im Strafprozeßs des Mittelalters (Weimar, 1 878) S. 3.
214 Zwölfte» Kapitel.
Dieses Beweissystem des deutschen Rechts erhielt sich
mit dem Accusationsprozess in Deutschland bis über das
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts hinaus.
Die Kanonisten dagegen eigneten sich den Gedanken
eines Prozessverfahrens ex officio ohne Accusation, nur
auf böses Gerücht oder Denunciation hin, an, entwickelten
denselben zu einem vollständigen System, was (mit der
Folter) auch bei den italienischen Civilisten (und durch diese
auch in Deutschland) Eingang fand, imd bald wurde der
Inquisitionsprozess als der eigentlich giltige Strafprozess
angesehen und anerkannt.
Durch denselben war nun den Inquisitoren, die an
keine Accusation gebunden waren , im Prozess völlig freie
Hand, und die Verdächtigten und Verhafteten waren ihrer
Willkür vollständig preisgegeben. Daher war der Inqui-
sitionsprozess, so wie er im dreizehnten, vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhundert im speziellen Auftrag der Päpste
gefuhrt ward, die Ausgeburt der niederträchtigsten und
boshaftesten Rabbulistik, die bis dahin auf dem Gebiete
der Rechtspflege hervorgetreten war. Schon der Ver-
dacht, oder die Denunciation, dass Jemand einer ketzeri-
schen Meinung ergeben sei, berechtigte zur Verhaftung.
Keinem Verhafteten aber durfte (wie schon die Concilien
von Beziers und Narbonne 1235 bestimmt hatten) ein Be-
lastungszeuge namhaft gemacht werden. Papst Innocenz IV.
bestätigte dieses 1254 in der Bulle Cum negotium mit dem
Bemerken, dass aus der Namhaftmachung eines Belastungs-
zeugen nur Aergemiss und Gefahr hervorgehen konnte.
Zugelassen wurden aber als Zeugen alle möglichen Per-
sonen, die für den Accusationsprozess nicht in Betracht
kamen: Mitschuldige, Meineidige, Kuppler und sonstige
Ehrlose, ausserdem auch die allernächsten Familienange-
hörigen. Aus diesen vorgeladenen Zeugen brachte das
grausige Gespenst der Inquisition sehr bequem alle mög-
lichen Anzeigen heraus ; und um die Angeklagten zur An-
erkennung der gegen sie gemachten Depositionen, zum
„Geständniss" zu bringen, brachte man sehr bald die Folter
ziur Anwendung, welche die besten Dienste leistete. Die
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich, 2 I 5
Hilfe eines Rechtsbeistandes und das Recht der Apellation
an eine höhere Instanz war im Inquisitionsprozess ausge-
schlossen; der Versuch der ersteren war sogar mit Ex-
communikation bedroht. Dem Inquisitor war verboten,
Milde und Schonung zu zeigen. Kein Widerruf, keine
Versicherung der Uebereinstimmung mit dem Glauben der
Kirche konnte den Angeschuldigten erretten. Man ge-
währte ihm Beichte, Absolution und Communion, glaubte
also im Forum des Sacraments seiner Versicherung der
Reue und Sinneswandelung; zugleich aber, wenn er ein
Rückfalliger war, wurde ihm erklärt, dass man ihm ge-
richtlich nicht glaube und er daher sterben müsse. Und
endlich, um das Maass voll zu machen, wurde seine un-
schuldige Familie ihres Eigenthums durch die gesetzlich
ausgesprochene Confiscation beraubt. Nur das Leben
allein, sagt Innocenz III., soll den Söhnen von Irrgläubigen,
und auch dieses nur aus Barmherzigkeit gelassen werden.
So wurden sie denn auch zu bürgerlichen Aemtern und
Würden für unfähig erklärt ^).
Ihren Unterhalt bezogen die Inquisitoren anfänglich
von den Gemeinschaften, unter denen sie wirkten, bald
aus Quoten des confiscirten Vermögens. Innocenz IV. wies
sie 1252 auf das Drittel an und liess ihnen im Grunde
auch noch ein zweites Drittel zu Gute kommen, indem er
dasselbe für künftige Inquisitionszwecke zu deponiren be-
fahl. Dabei blieb man nicht stehen. Bernardus Co-
mensis, selbst Inquisitor, kennt es im fünfzehnten Jahr-
hundert schon als eine rechtliche Gewohnheit, dass die
Inquisition das ganze Vermögen der Verbrannten oder
sonstwie Hingerichteten an sich zog, und Pegna im sech-
zehnten nimmt diess überall da als Recht in Anspruch,
wo dieselbe ihre eigenen Diener und Gefangnisse hat und
folglich dem Staate keine Ausgaben verursacht*).
Das also, was den Inquisitionsprozess — das „ne-
gotium fidei" — vorzugsweise charakterisirte, war i) die
') yanus, S. 262—263.
') Limborck Hist. Inquis. p, 171.
2l6 Zwölftes Kapitel
Anwendung des Inquisitionsverfahrens (diu'ch wel-
ches die Accusation als Basis des Prozesses verdrängt
ward), 2) der Gebrauch der Tortur und 3) der des
Scheiterhaufens.
Die Folter tritt als Inquisitionsmittel zuerst unter
dem Papst Innocenz IV. hervor. Indessen in einer Bulle,
welche derselbe 1252 („Ad exstirpanda") erliess, um den
Gebrauch der Tortur kanonisch zu regeln, und welche von
Alexander IV. 1259, von Clemens IV. 1265 erneuert ward,
erscheint die Tortur als längst zu Recht bestehendes Ver-
fahren. Danach war die Anwendung derselben eine durch-
aus arbiträre. Nur wenn andere Beweismittel vorlagen,
sollte sie ausgeschlossen sein ^). Auch sollte sie nicht bis
zur membrorum diminutio et mortis periculum gesteigert
werden. Ihr Zweck war ein zwiefacher: die Folter sollte
dem Verdächtigen i) das Geständniss seiner eigenen Schuld
und 2) die Anzeige seiner Mitschuldigen erpressen^.
So begannen nun die Inquisitoren das „negotium fidei"
zu betreiben, mit ihrer Folter Unzählige peinigend und
deren Leiber zerfleischend.' Das geschah im Namen und
zu Ehren des Gottes, der den Tod des Sünders nicht will.
Daher war freilich die Zerbrechung der Glieder und die
Gefahrdung des Lebens in der Tortur sogar mit Excom-
munikation und Irregularität bedroht. Diese aber und deren
kanonische Aufhebung legte den Inquisitor auf eine ge-
wisse Zeit lahm und störte also das „negotium fidei". Da-
mit dieses daher in voller Schwunghaftigkeit ungestört
betrieben werden konnte, ersann Papst Urban IV. im Jahr
1261 eine Maassnahme, welche über alle Schwierigkeiten
hinaushalf, indem er verfügte, dass in allen Fällen, wo In-
quisiten aus Uebereilung oder menschlicher Schwachheit
^) Regularitcr non devenitur ad torturam nisi in defectum aliamm
probalionum.
*) Tencatur rector orones hacreticos, quos captos habuerit cogere (citra
membri diininutioncm et mortis periculum) — errorcs suos expresse fateri et
accusarc alios haereticos , — — sicut coguntur fures et latrones — accusarer
suos compliccs et fateri maleficia^ quae fcccrunt.
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich. 217
bis zur membromm diminutio et mortis periculum gefoltert
wären, die (geistlichen) Inqmsitoren sich sollten unterein-
ander absolviren können! Hatte also ein Inquisitor einen
Unglücklichen auf der Folter zu Tode gepeinigt, so war
er allerdings sofort vom Gericht getroifen, indem er ipso
facto excommunicirt und irregulär war; beides aber konnte
auch sofort wieder aufgehoben werden, wenn ein anderer
bei der Inquisition beschäftigter Geistlicher zu ihm die
kanonische Formel sprach : Ego absolvo te in nomine etc. *).
Hiermit war nun das Ergebniss jedes einzelnen In-
quisitionsprozesses entschieden und die Erreichung des
Zieles desselben sicher gestellt. War Jemand der Ketzerei
verdächtig und von dem Inquisitionsgericht eingezogen,
so wurde er von diesem auch als der Ketzerei, Zauberei etc.
imzweifelhaft schuldig angesehen. Es galt nur noch durch
die Tortur das Geständniss seiner Schuld zu erpressen.
Die Hollenqual der Tortur erpresste dieselbe aber leicht,
— wenn sie nicht den Unglücklichen vorzeitig tödtete.
War das „Geständniss" zu Wege gebracht, so musste das
nunmehr erwiesene Verbrechen durch Verbrennung des
Verbrechers gesühnt werden. Zu dem Akte wurde öffent-
lich, wohl auch durch reitende Boten, eingeladen. Die
nächsten Vorgänge hingen davon ab, ob der Luftstrom
den Opfern des theokratischen Fanatismus den Qualm ins
Gesicht oder von demselben hinwegtrieb. Im letzteren
Falle hatten dieselben den bitteren Kelch, den ihnen die
Kirche reichte, bis auf die Hefe zu leeren und alle Star
dien des langsamen Verbrennens durchziimachen. Manche
hatten moralische Kraft genug, lautlos den letzten Schlag
des Herzens zu erwarten. Andere brachen, vom Schmerz
übermannt, in ein schreckliches Gebrülle aus. Damit nun
den „Kleinen kein Aergefniss gegeben" würde, ward den
Delinquenten nach dem Zeugniss des Simanca's*) die
Mtmdsperre — eine Art Bremse — angelegt und die Zunge
*) S. die Nachweisungen bei ßuckanan, S. 17B ff.
^ De cathol. instit. tit, 48, §, 6. — Pertinaces vivi comburendi sunt et
in ignem tradendi ore obstructo et Ungua ligata.
gebunden« So vemahiDeD die 7^?ffrh?p**r nicfats als das
Knistern des brennenden Holzes imd den manottMien Wecb-
selg'esang' zvischen einem Priester der loquishion und
S€nnen Chorknaben beim Recitiren der Litanei h. — bis
der Leib des Ketzers als Asche rwinmmfin^ism^
EHeses in seiner Idee unnatiirliche , in seiner Ans-
führuner terroristische und schamlose Verfahren musste
natürlich auf Widerstand stossen. Wahrend das Leben,
die Lehre, die Zwecke und Schicksale der Verft^gten
überall, wo sich Sehnsucht nach einem besseren Zustand
regte, mächtige S\Tnpathien fand^ war die Inquisition, wie
der Abt Fleury bezeugt, Ketzern und Kathc^ikea, Bischöfen
und Magistraten, Behörden und Privaten gl^h furchtbar
und verhassL Der Anmaassung, Wülkifa", Habsucht , Un-
ehrlichkeit und Grausamkeit der Inquisitoren sind daram
zu verschiedenen Zeiten Päpste, Könige und Fakultäten
mit Entrüstung entgegengetreten -\ und wo diess zeit^i'eise
>) BM.'ijKom, S. 1S7.
*i Die Sorbosn« fjnrte Beschwmie über die ADmaassonfien der
Mönche. PaHamentsbeschl risse schritten gegen das bisher oserhArte Rechte-
verfahren ein {Lamctke-Lamgon Hist. de Tlnquis. CB Fnsce IL p. LXXXVUli
Ki^nii(liche Edikte haben vra von Ludwig d. EL, Philipp dem Sch^^tteD uoJ
Ludwig XL Von Philip^p z. B. folgendes vom Jahr 1291: PhilippQs Rexctc« —
Certiorati. quod Inquisitores Carcassonae male processemM in officio inqui^-
tionis eis coramisso, quod innocentes puniant, incarcermt et multa gnvamina
eis infennt et per quaedam tonnenta de novo exquisita moltas ialsitates de
personis legitimis vivis et mortuis 6de dignb extorqueant, — mandamus etc.
(Htst. de Languedoc T. IV. Preuvcs p. 97.) Ein anderes Rescript von 1901
s. ebendas. p. I18. LudiKng XL traf Bestimmunieen, ».pour obvier aus fraodes
et abus faits par lesdits inquisitears de la foL'* — Schon 1 243 hatte sich dat
Concil zu Narbonne veranlasst gefunden, die Ketterrichter von der Auflegung
von Geldstrafen um der Ehre ihres Ordens willen absumahaen. (La*
mothe-Langon T. IL p. 530.) Hinsichtlich der Erpressungen traten sie in die
Fusstapfen der fOr die Sendgerichte thitigen sogenannten Exploratores cnnii*
num oder Promotores. Ober welche Nikolaus von Clemanges Klage fÜhrL —
Ueber die arglistige Inquisitionsu'eise, womit nun gant Unschuldige zu Ketsem
machte und ihrer GQter beraubte, s. Lettre des Consub du bourg de Nar»
bonne 2i ceux de Ntmes (1234) bei Mimarä Hist. de la ville de Nfanes. Tom;!.
Preuves p, 73. „Item ut homtoes siropltces et illiteratos caperent in sennone.
eis quaestiones hujusmodi faciebant, dicentes : Credis, quod quando mulier con*
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich. 219
versäumt wurde oder nicht zum Ziele führte, da hat das
misshandelte Volk sich selbst Recht verschafft. Man er-
innere sich der Aufstände in Frankreich, Belgien und Ita-
lien und der Schicksale eines Peter von Castelnau, Konrad
von Marburg, Robert Bulgarus, Fulco von Occitanien und
Peter von Verona, imd man wird es begreiflich finden,
dass die Stellung cies Inquisitors schon frühzeitig, wenn
sie mächtig und einträglich sein sollte, auch eine sehr ge-
fahrliche war ^).
Dieses änderte sich jedoch, indem die Inquisition selbst
sich insofern änderte, als sie allmählich in ihrer hauptsäch-
lichsten Thätigkeit eine ganz neue Richtung, nämlich gegen
2^uberei imd Hexerei annahm.
Schon mit der Einsetzung der Inquisition war eine ganz
veränderte, erweiterte Auffassung des Begriffs der Ketzerei
cipit, quod illa missio fiat per Deum, vel per hominem? Et si laicus respon-
deret, quod per hominem credebat fieri illaro missionem: Ergo, dicebant ipsi,
tu es haereticus ; nam haeretici dicunt, quod malignus spiritus et homo faciunt
hominem, et non Deus. Et si illam simplex laicus timens responsionem mu-
taret, dicens, quod per Deum Bebat dicta missio: Ergo tu dicis, quod Deus
cognoscit mulierem, et es haereticus manifestus. — Item (interrogabant) si
bostia, quam consecrat sacerdos, erat totus Deus, vel pars ejus? Et tunc si
laicus, quod totüs Deus est responderet, dicebant : Responde ergo mihi, credis,
quod si quatuor sunt in ecclesia sacerdotes et quilibet consecret hostiam suam,
sicut decet, quod in qualibet hostia sit totus Deus? Et si laicus responderet,
quod sie: Ergo tu credis, quod quatuor sunt Dii? Et tunc laicus tremens
aliquando contrarium respondebat etc. — Eben so versichert Perrin in s.
Histoir« des Vaudois, noch aus späterer Zeit Akten gesehen zu haben, in welche
man durch arglistige Verdrehung Dinge gebracht hatte, die dem Verhörten nie
eingefallen waren. Z. B. Item, enquis, s'il ne faut pas invoquer les Saints,
» le Vaudois r^pondait que non, il couchait par ^crit, qu'il avait mesdit et
mal parl^ des Saints. Enquis, s'il faut saluer la vierge Marie et la prier en
DOS n^cessit^, s'il r^pondait que non, ils ecrivaient , qu'il avait blasph^me
contre la Vierge Marie.
^) 1208 Peter von Castelnau, 1233 Konrad von Marburg erschlagen,
1234 Aufstände in Narbonne und Albi, 1235 Vertreibung der Inquisitoren aus
Toulouse und Narbonne, 1242 vier Inquisitoren zu Toulouse umgebracht,
1250 Robert der Bulgare eingekerkert, 1 285 offener Aufstand zu Parma u.s. w, —
Die Dominikaner in Languedoc baten 1243 um Entlastung vom Inquisitions*
gescfaäft, Innocenz IV. aber verwilligte dieselbe nicht, er steigerte nur das
Ansehen der Ketzenrichter. Lamothe-Langon T. II. p. 527-
"» - -
yiacirel aa Urner^rir^rse
r^
der ahe BegrifF d-er Hineäe g-js* ^v::ii
karrste, vor dem Gerirhr der Kirche nrit den Katliarem
d^irchass auf Eraer lirde scsLnien. Mit der Ketzierei
VorsteZ^iing die Zauberei Haad in HarxL Die Ketzerei
war ein Abfall von der Kirche, voa Goct, oid die Zauberei
war ein Wirkoi mit Kräften des Teufels. Der Gedanke,
dass der Zweck des Abfialls vom Reiche Gottes der Ein-
tritt in das Reich des Teufels sei, lag- daher nahe genug
und ohne Weiteres konnte somit die Inquisition die Zau-
berei als die praktische Seite und als die eigentliche Spitze
der Ketzerei in ihr grimmiges Auge tassoL Dieses moss
auch wirklich recht frühzeitig geschehen sein, indem
Papst Alexander IV, (1254 — 1261^ veranlasst sah,
Inquisitoren, welche gegen alles im Kirchenrecht Ver-
botene, gegen Snswucher, Wahrsagerei, Zauberei etc. vor-
zugehen pflegten, in ihre Schranken zu verweisen« Gegen
den üblichen Unfug mit Divinationen imd Sortilegien soll-
ten sie nur dann einschreiten, wenn derselbe offenbar
auf Ketzerei hinweise; anderenfalls sollten sie Die-
jenigen, welche diese Dinge trieben, den gewöhnlichen
Gerichten überlassen ^).
Diese Verordnung Alexander *s IV., welche die Inquisi-
toren in der Verfolgung der mantischen Zauberei be-
') Sexti DecrrUlium Libri, Lib. V. Tit. II. cap. 8: Cum negoüum fidct
(quod summe privilegiatum existit) per occupationes alias non debeat impediri.
pestis ioquisitores haereticae a sede apostoUca deputati, de divinatjonibos aut
«ortilegiis (nisi haeresin s aperen t maoi feste,) intromittere se non de-
bent, Dec puntre talia exercentes, sed eos relioquere suis iudicibus puniendois.
— Ueber die sortilegi sagt das Dekret (IL raus. 26, quaest 1: S ort i legi
«unt, qui fub nomine fictae religionis per quasdam, quas sanctoYum sorte^
vocant, divinationis ^cientiam profitentur, aut quarumcunque scrlptu-
rar um inspectione futura promitttmt.
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbild. d. Uexenprozesses in Frankreich. 22 I
schränkte, wurde nun aber von denselben als stillschwei-
gende Gutheissung der Verfolgung der operativen Zauberei
mit Freuden begrüsst, wesshalb die Inquisition gerade seit
der Publikation jenes Breves die Verfolgung der Hexerei
eifrigst zu betreiben begann.
In dem Hexenprozesse gewann jetzt der Inquisitor
einen geschmeidigen und imerschöpflichen Stoff, weil, wo
die Natur des im Reiche der Einbildungen einheimischen
Verbrechens dem Richter den Vorwand leiht, sich von
der Erhebxmg des objektiven Thatbestandes zu dispensiren,
nirgends eine Grenze gezogen ist. Nicht minder gewann
er an Popularität; denn er rechtfertigte die Grausamkeit
seines Verfahrens durch die Grosse der zu unterdrückenden
Gräuel und vertauschte die gehässige Rolle eines Ver-
folgers freierer Religionsansichten mit der dankenswerthen
eines Wohlthäters, der die menschliche Gesellschaft von
einer Rotte gemeingefährlicher Bösewichter befreit xmd
dem Furchtsamen schon auf blosse Denimciation hin Schutz
bietet, wo der weltliche Richter die formliche Anklage
mit allen Gefahren derselben auferlegt hätte. In deni
Hexenprozesse siegte endlich die Inquisition
über alle Anfechtungen ihrer Competenz im Zau-
berwesen. Als Sünde hätte die Zauberei vor den Bi-
schof, als Verbrechen — z. B. bei Tödtungen, — vor die
Obrigkeit gehört; als Ketzerei aber war sie, mit Hintan-
setzung des ordentlichen Richters, der Inquisition verfallen.
Alexander's IV. beschränkende Verordnung ist in der That
zur privilegirenden geworden, indem sie den Scharfsinn
der Inquisitoren darauf hinwies, in der Zauberei häretische
Elemente geltend zu machen. Diese Geltendmachxmg be-
g^innt uimiittelbar nach dem päpstlichen Erlasse, kämpft
sich durch alle Einwände der Gerichte und der gesunden
Vernunft hin und endigt damit, dass sie die Zauberer ge-
radezu zur geschlossenen Sekte erhebt. Nur durch die
Aufdrückung eines häretischen Charakters war es möglich,
dass magische Vergehungen, für welche die Kirche von
jeher nur disciplinäre Bestrafung gehabt und solche selbst
noch im dreizehnten Jahrhimdert bestätigt hatte, von nun
22 2 * Zwölftes Kapitel.
an zum Scheiterhaufen führten. Nur hierdurch wird es
erklärlich, wie ih den Prozessen der Inquisitionsgerichte
auch Mord, Ehebruch und andere der bürgerlichen Justiz
unterworfene Verbrechen eine Stelle gefunden haben. Es
wird aber auch bei dieser Ineinanderziehung der Magie
und Ketzerei weiter begreiflich, dass, wenn die Inquisitoren
den ordentlichen Gerichten gegenüber das Häretische
der Magie hervorhoben, es auch eben so leicht, als ge-
rathen war, in solchen Zeiten, wo die Ketzereien mehr
Sympathie zu finden anfingen, das Volk mit dem Magis-
mus der Häresie zu schrecken. Im Schoosse der
Inquisition ist der Hexenprozess erzeugt und
grossgezogen worden; die Männer, die ihn durch ihre
Schriften theoretisch begründet und im Einzelnen weiter-
geführt haben, Eymericus, Nider, Bernhard von
Como, Jaquier, Sprenger, Institor u. a., sind sämmt-
lich Dominikaner und Inquisitionsrichter gewesen. Ueber
zweihundert Jahre hat sich die Inquisition in fast ausschliess-
lichem Besitze des Hexenprozesses behauptet, und als sie
in den meisten Ländern zu Grabe getragen wurde, hat sie
ihn den weltlichen Gerichten als ein trauriges Erbtheil
hinterlassen.
Allerdings konnte dieses nur dadurch erreicht werden,
dass der Kanon Episcopi, der im Kirchenrecht stand
und dessen Ancyranische Herkunft nicht bezweifelt ward,
unschädlich gemacht wurde. Dieses aber konnte nur durch
hundertjährige und noch längere Arbeit geschehen. In
Spanien hielten die Minoriten die Geltung desselben lange
Zeit aufrecht, und es konnte daher gleichzeitig geschehen,
dass man in Spanien als Ketzer verurtheilt wurde, wenn
man die Möglichkeit der nächtlichen Hexenfahrt behauptete,
in Italien aber, wenn man sie leugnete. Allmählich aber
siegte die dreifache Auctorität des Papstthums, des Thomas
von Aquino und des Dominikaner-Ordens ^). Man machte
geltend, dass die Auctorität eines Concils doch von der des
Papstthums unendlich überragt werde, und indem man die
») Janus, S. 278—279.
Die Inquisition im 13. Jahrh. Ausbiid. d. Hexenprozesses in Frankreich. 223
Hexen (namentlich seit der Publikation des verhängniss-
vollen Gutachtens Bartolo's*) ohne Weiteres zu verbren-
nen pflegte, so gestaltete sich in der Kirche ein auf der
Auctorität des Papstthums beruhendes Gewohnheits-
recht, dem gegenüber der Kanon Episcopi im Dekret
Gratians nicht mehr in Betracht kam. —
Verfolgen wir jetzt die allmähliche Entwickelung und
das Umsichgreifen des Uebels!
Um 1271 sieht man die Inquisition in Languedoc be-
schäftigt, die Ueberbleibsel der Ketzer, namentlich der
Waldenser (vaudoisie), zu vertilgen. Diese Sekten ver-
schwinden für einige Zeit von dem Schauplatze und geben
erst wieder zwischen 1285 \md 1300, nachdem sie beson-
ders in der Diöcese von Albi Zuwachs aus der Lombardei
und andern Ländern erhalten haben, Stoff zu neuer Thätig-
keit. In der Zwischenzeit aber sind die ersten eigentlichen
Hexenprozesse vor den Tribunalen von Carcassonne und
Toulouse verhandelt worden. Dort hat man bereits 1274
ein Weib verbrannt *), hier haben im folgenden Jahre nach
dem Spruche des Dominikaners Beniols verschiedene Zau-
berer den Holzstoss bestiegen, überwiesen, den Sabbath
regelmässig besucht zu haben; unter ihnen die sechsund-
fünfzigjährige Angele von Labarethe, die mit dem Teufel
gebuhlt und das Ungeheuer mit dem Wolfskopfe geboren
hat'). Kurz vorher war in Poitou ein gräfliches Edikt
ergangen, durch welches allen Unterthanen auferlegt wurde,
in Sachen der Magie \md der Sortilegien vor der Inqui-
sition zu Toulouse auf Verlangen eidliches Zeugniss abzu-
legen*). Gegen die von den Inquisitoren in Languedoc
begangenen Excesse schritt Philipp der Schöne mehrmals
ein*) imd band ihr Vorschreiten an die Mitwirkimg der
Bischöfe und des königlichen Seneschalls; dagegen ver-
') S. darüber weiter unten in diesem Kapitel.
') Hist. de Languedoc IV. p. 17.
*^ Histoire de l'Inquisition en France par Lamothe-Langon. Paris 1829.
Tom. II. p. 614.
*) Bardin Chron. ad ann. 1270. S. Hist. de Languedoc. Pr. p. 5.
*) Namentlich 1291 und 1331. Hist. de Langu. IV. Preuves p. 98 ff.
224 Zwrilftt* Kapitel.
bchvTiHhxe er es mcbt, alle Rimke der Ketzenicfater für
beiae eag'enen Zwecke spielen zn lassen, als er die weh-
faistorisclie Ungerechtü gk.&L an dem Templerordeii beging,
und er hatte volle Ursache, mit den ihm hierba geleisteten
Diensten zufrieden zu sein. Der Prozess dieses Ordens ist
zwar nicht ein Hexenprozess an ach, aber er enthalt £le>
mente, die sich im Hexenprozesse wiederfinden, wie der
Vorwurf des Abfalls vom Glauben, der Beschimpfung des
Kreuzes, der Verachtung* der Sakramente, des Kusses,
des Homagiums und der Teufelsunzucht. Der angebliche
Kopf in den Templeikapiteln scheint da, wo er nicht ein-
fach auf Grotzendienst zu deuten ist, nach den astrologischen
Bildern Gerbert's und Bacon's copirt zu sein * u Dasselbe
G>ncilium zu Vienne, das die Sache dieses Ordens ver-
handelte, beschränkte die Vollmachten der Inquisitoren,
indem es dieselben abermals enger an die Genehmhaltung
der Ordinarien band, doch wollte es mit Entschiedenheit
die Unterdrückung der alten und neuen Ketzereien. Der
von Limborch mitgetheilte Liber Sententiarum der Inqui-
sition zu Toulouse liefert Beweise von der Thätigkeit dieses
Tribunals in dem Zeitabschnitte von 1307 bis 1323. Die
Urtheile betrefifen bis dahin meistens noch Albigenser.
Waldenser und Beghinen*); dagegen werden von dieser
Epoche an die Autodafe's gegen diese Sekten in Languedoc
in eben demselben Maasse seltener, wie sich die Verur-
theilungen wegen Zauberei mehren*).
') Vgl, SoUa», über den Kult der Templer, im Conile-rendu ^ts S\ta^^-
burg«*r Congresscs von 1842.
*) Der Ma};ie wird nur in einem Urtheil Erwähnung gethan. Der Mi-
norit Bernhard Deliciosi zu Carcassonne hatte zum Widerstände gegen die In-
quisition aufgereizt; unter andern hatte er gesagt: selbst die Apostel Petni»
und Paulus worden, wenn man mit den gegenwärtigen Inquisitionsniitteln geten
sie verführe, nicht im Stande sein, einer Verdammung wegen Ketzerei lu ert-
Rchen. Mit dem Verbrechen der Auflehnung gegen das h. Officium verban}
man noch die Beschuldigung des Ilochverraths und den Vorwurf, ein nek-^-
niantifchei Buch besessen . gelesen und in Kapitel abgetheilt zu haben Da-
im Jahr 1319 Rcfailte Urtheil lautete auf Degradation und ewige Gefangensrhjft.
") S. HiM. de Lannuedoc. T. IV. p, 184.
Die Inquisition im 14. Jahrh. Ausbild. d. Hexen prozesses in Frankreich. 225
An dieser Steigerung scheint die personliche Furcht
Johannas XXII. vor magischem Unwesen nicht geringen
Antheil gehabt zu haben. Bereits im Anfange seiner Re-
gierung lebte er in steter Angst vor seinen Feinden, unter
welchen selbst mehrere Kardinäle ihm nach dem Leben
gestrebt haben sollen. Nachdem er einmal durch genom-
menes Gegengift sich gerettet zu haben glaubte, verhängte
er bald darauf eine peinliche Untersuchung gegen den
Arzt Johann von Amanto imd andere Leute seines Hofes,
die bezüchtigt waren, durch Gift und Wachsbilder imter
Ajirufung der Dämonen sein Verderben beabsichtigt zu
haben ^). In den desshalb erlassenen Edikten geht der
Papst sehr in's Einzelne ein, und bald wurde ein scharfes
Gericht über diese Verbrechen gehalten. Wenige Jahre
später (13J0) wies Johann den Inquisitor von Carcassonne
unter ausdrücklicher Erweiterung seiner Vollmachten zu
eifriger Verfolgimg derjenigen an, die den Dämonen opfern,
ihnen das Homagium leisten und eine Verschreibung geben,
um dann mit allerlei Zauber mittein Missethaten zu begehen 2).
^) Raymtld, Annal. Eccles. ad ann. 1317.
^) Frater Guilelmus, Episc. Sabinensis, Inquisitori haer, prav. in .partibus
Carcassonn. S.
Sanctissiinus pater noster et dominus dominus Joannes, divina Providentia.
Papa XXII., optans ferventer maleficos interfectores gregis dominici effugarc
de medio domus Dei, vult, ordinat, vobisque committit, quod auctoritate sua
contra eos, qui daemonibus immolant, vel ipsos adorant, aut homagium ipsis
faciunt, dando eis in Signum chartam scriptam, seu aliud quodcunque. vel qui
«xpressa pacta obligatoria faciunt cum eisdem, aut qui operantur vel operari
procurant quamcunque imaginem vel quodcunque aliud ad daemonem alligan-
dum, seu cum daemonum invocatione ad quodcunque maleficium perpetrandum,
aut qui sacramento baptismatis abutendo imaginem de cera seu re alia factam
baptizant, sive faciunt baptizari, — — — item de sortilegis et maleficis, qui
sacramento eucharistiae seu hostia consecrata — — — in suis sortilegiis seu
maleficiis abutuntur, possitis inquirere et alias procedere contra ipsos: modis
tain«n servatis, qui de procedendo cum praelatis in facto haeresis vobis a
canonibus sunt praefixi. Ipse namque dominus noster praefatus potestatem
Inquistioribus datam a jure, quoad inquisitionis officium contra haereticos, nee
non et privilegia ad praefatos casus omnes et singulos ex certa scientia ampliat
et extendit, quoadusque duxerit revocandum. Etc. Dat. Avenione die 22. mens.
Soldan-Heppe, Hexenprozesse. 15
226 Zwölftes Kapitel.
Das Jahr 1327 brachte neue Klagen und Strafandrohungen
Johannas *) ; diessmal hatte man den König Karl durch
Bleibilder oder Steinbilder, — er weiss es nicht genau —
aus der Welt schaffen wollen. Wirklich hatten die könig-
lichen Beamten zu Toulouse desshalb eine Untersuchung
angestellt und auch den Neffen Johann's in dieselbe ver-
wickelt; derselbe war jedoch durch ein königliches Re-
script vom 8. Juli 1326 von allem Verdachte freigesprochen
worden^). Im Jahr 1330 liess sich endlich der unermüd-
liche Papst Akten und Berichte über den Stand des Zauber-
wesens einsenden, und da er das Uebel nicht gemindert
fand, griff er zu neuen Maassregeln ^), Hatte er doch selbst
die Kränkung erleben müssen, dass der Astrolog Francis-
cus Asculanus den Römerzug Ludwig's des Bayern voraus-
sagte, eine Ungebühr, die der Magier freilich ♦zu Florenz
auf dem Scheiterhaufen büsste*). Der französische Hof,
selbst in Furcht vor der Macht jener Bildermagie, gab
dem Inquisitionsunfug mehr Vorschub, als er ihm Einhalt
that. Zwar hatte Philipp von Valois bald nach seiner
Thronbesteigung den zu Paris versammelten Prälaten sechzig
Artikel über den Missbrauch der geistlichen Gerichtsbar-
keit vorlegen lassen; doch hatte ein Beschluss des Pariser
Parlaments, wodurch die Inquisition für einen königlichen
Gerichtshof erJdärt wurde, in der That eine bedeutende
Aug. anno Dorn. 1320. {Raynald. Ann. Eccl. ad a, 1320). — Eine Bulle
ähnlichen Inhalts von Johann XXII. contra magos magicasque super-
stitiones theilt Hauher (Bibl. mag. St. II. Nr. VII.) mit. Es heisst darin
unter andern: Cum morte foedus ineunt et pactum faciunt cum
inferno. Daemonibus namque immolant, hos adorant, fabricant vel fabricari
procurant imagines, annulum, vel speculum, vel phialam, vel rem quamcunquc
aliam magice ad dacmones inibi alligandos; ab his petunt responsa, ab his
recipiunt, et pro implendis pravis suis desideriis auxilia postulant, pro re foeti-
di.ssima foetidam exhibent scrvitutem etc.
') Raynald. Annal. eccles. ad ann. 1327. Die Constit. 13. Joarm, XXIJ
will, dass diejenigen, welche magische Künste treiben, als Ketzer behandelt
werden.
') Hist. de Langu. T. IV. Pr. p. 173-
") Raynald. ad ann. I32ü.
*) Raynald. ad ann, 1327.
Die Inquisition im 14. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich. 227
Machterweiterung dieses Tribunals zur Folge ^), und Philipp
selbst erklärte 1334 ausdrücklich die Competenz der In-
quisitoren im Punkte der Magie mit der nichtssagenden
Einschränkung „sicut eorum officium tangi aut tangere
potest" *).
Unter diesen Verhältnissen konnte es an Schlacht-
opfern nicht fehlen. In Carcassonne verurtheilte man von
1320 bis 1350 über vierhundert Zauberer, von welchen
mehr als die Hälfte zum Tod geführt wurden; zu Toulouse
wurden in demselben Zeiträume etwa sechshundert Urtheile
gefallt, und ungefähr zwei Drittheile derselben lauteten auf
Auslieferung an den weltlichen Arm ^). Dergleichen Exe-
kutionen wiederholten sich auch in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts; unter andern hat das Jahr 1357 in Carcas-
sonne allein 31 Hinrichtungen erlebt.
Es war damals jene grausige Zeit hereingebrochen,
wo der schwarze Tod durch die Völker Europa's hin-
ging und im Laufe von wenigen Jahren das Leben von
Millionen verschlang'*), wo die Geisseibrüder in wilder
Ecstase durch die Lande wanderten, wo Tausende und
aber Tausende in den Niederlanden und in Deutschland
von der Epidemie des Veitstanzes erfasst wurden, und
mit lautem Geschrei den bevorstehenden Triumph des Sa-
tans verkündeten und wo von Spanien her der Geist des
Averr ons zu dämonischer Grösse anwachsend, hohnlachend
auf Alles was der Christenheit heilig war, herabsah und
') Le tribunal de l*Inquisition devint Cour royale en 1331, en vertu d*un
arrtt rendu le 2 inai, par le Parlement de Paris. Ce titre nouveau le con-
solida singuliörement et lui procura une plus haute importance, il releva sa
Jurisdiction , que diverses autres Cours de justice contrariaient dans son exer-
cise. Lamothe-Langon Hist. de l'Inqu. T. I. p. LXIX. , vgl. T. III. p. 2 14.
*) Hist. de Languedoc T. IV. Pr. p. 23.
*) Lamothe-Langon a. a. O. T. III. p. 226.
*) Hecker bemerkt in seiner Schrift „Di^ grossen Volkskrankheiten des
Mittelalters" (Berl. 1865, S. 55.) dass diese Pest (die bekanntlich Bocaccio
als Augenzeuge beschrieben), alle übertriebenen Gerüchte bei Seite gesetzt, in
sechs Jahren 25 Millionen Menschen d. h. den vierten Thcil aller Bewohner
Europa's hingerafft hat. Viele Gegenden waren in Folge des'sen ganz ent-
v'ilkcrt.
2 28 Zwölftes Kapitel.
mit seiner pantheistischen Philosophie die Gemüther Un-
zähliger berückend dem Glauben und dem Reiche Christi
auf Erden ein baldiges Ende zu machen drohte. Alle
Stützen des Lebens schienen zu brechen und ganzer Mil-
lionen bemächtigte sich eine unheimliche Stimmung, in der
sich dieselben überall von unsichtbaren, bösen Mächten
gefährdet und geschädigt glaubten.
Der Verfasser der Geschichte von Languedoc macht
die Bemerkung, dass um dieselbe Zeit, wo die Fratri-
cellen und Beghinen ^) in Narbonne ihre Irrthümer ver-
breiteten (1326 ff.), eine grosse Menge von Menschen sich
der Magie ergab, und deiss die angestrengteste Thätigkeit
der Bischöfe und Inquisitoren nicht vermocht habe, dem
Unwesen Einhalt zu thim. Die Ketzerei der Fratricellen *)
bestand hauptsächlich darin, dass sie, als strenge Anhänger
der Armuthsregel des h. Franciscus, die päpstliche EMs-
pensation von derselben für ketzerich erklärten imd die-,
jenigen aus ihrer Mitte, welche desshalb den Scheiter-
haufen hatten besteigen müssen, als Märtyrer priesen.
Ausserdem gaben sie sich apokalyptischen Schwärmereien
hin, nannten die römische Kirche die babylonische Hure
und eine Synagoge des Satanas, erblickten in Johann XXU,
den Vorläufer des Antichrists und verkündeten eine ge-
waltsame Umwälzung der Dinge xmd blutige Kriege als
nahe bevorstehend. Auch ist in den Akten niedergelegt,
dass sie den Staub und die Knochen ihrer Märtjrrer, die
sie als Reliquien aufbewahrten, küssten und heilsame
Wirkungen von denselben erwarteten^). Ob etwa jene
Weissagimgen , die man besonders aus einer proven9ali-
schen Postille über die Apokalypse zog*), und diese Be-
^) Hahn, Gesch. der Ketzer im Mittejalter, Stuttg. 1845, B. 11. S. 423 &
') S. Lib. Sentent. bei Limborch p. 298.
•) Item praedictas reliquias cuidam personae — — ostendit, et, ut »bi
videtur. eas osculata fuit, dicens, quod rogabat dictas reliquias, quod %\ p<v
terant eara juvare, cum Deo juvarent. Limborch p. 319.
^) Inventi fuerant in eadem postilla [super Apocalypsim] multi articuti
erronei et haeretici, blasphemi, temerarii« aut divinationes continentex et Mjlv^
pttemias expressas contra Roroanam ecciesiaro. Limborch p. 306. Item
Die Inquisition im 14. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich. 229
handlung der Ueberreste verbrannter Ketzer die Veran-
lassung gaben, die Beghinen in ein näheres Verhältniss
zum Zauberwesen zu setzen, oder ob es nur darum galt,
die ihrer Popularität und moralischen Kraft halber sehr
gefahrliche Partei auf diesem Wege desto sicherer zu ver-
nichten, wollen wir nicht entscheiden. Gewiss ist es, dass
man in vielen Inquisitionsregistem die Waldenser, Albi-
genser, Beghinen und Zauberer auch noch getrennt auf-
geführt findet.
Wie recht oder unrecht den Beghinen und Fratricellen
geschehen sei *) , grundloser können die gegen sie erho-
benen Vorwürfe nicht gewesen sein, als die Anklagen,
unter welchen gleichzeitig in einem beträchtlichen Theile
Europa's eine andere Klasse von Verfolgten den Tod litt.
Wie man im Mittelalter Alles zünftig betrieb, Kunst,
Wissenschaft, Ritterthum und Ascetik, — so träumte man
selbst in Krankheiten und Verbrechen das Corporations-
mässige hinein. 1321 brach zunächst in Frankreich, dann
aber auch in England und Deutschland eine Verfolgrmg
der Aussätzigen aus, bei welchen eben so, wie bei den
Templern, ein System ausgemachter Verruchtheit voraus-
gesetzt ward *). Man beschuldigte sie, in ihren Zusammen-
künften (Kapiteln) sich zur Ausrottung der Christen durch
dixit, se credidisse , quod infra annum , quo computabitur incarnatio Domini
1330, Antichristus major fecerit cursum suum et erit mortuus. Ibid. p. 308.
— — Item dixit, quod opiniones infra scriptae erant inter Beguinos, et ipse
etiam cum aliis opinabatur, quod falsus Papa debebat surgere de partibus
Siciliae, qui eligeretur et constitucretur per dominum Fridericum Regem Si-
ciliae, — et quod diclo falso Papa constituto dominus Papa, qui nunc est,
propter tribulationes cum duobus Cardinalibus solus fugcret, Opinabantur
etiaai — quod falsus Papa constitueret imperatorem — Fridericum, qui
cum rege Arragoniae et aliis octo regibus veniret contra regnum Franciae et
regnum Robert!, — et destruerent ipsa, et rex Franciae vinceretur per ipsos.
Ante tarnen essent magnae strages hominum in bellis etc. — Limborch p. 309<
*) Die spätere Tradition modelt das Treiben der Fratricellen wiederum
ganz nach dem Typus der Katharergräuel. Auch hier wieder Lichterlöschen.
Kinderbraten und Einweihung des Novizen mittelst eines Trankes aus Kinder-
asche und Wein. Trithem. Annal. Hirsaug. ad ann. 1299 u. 1320.
«j Maratori Antiqu. Ital. Vol. III. P. II. p. 488 ff.
230 Zwölftes Kapitel.
Brunnenvergiftung verschworen zu haben, um dann von
den Gütern derselben nach Herzenslust zu schwelgen. Vor
Gericht befragt, gestanden sie auch, — wie Templer und
Hexen — und wurden dann verbrannt. Einige schoben
die Schuld auf Bestechung durch Juden, \md Einer be-
hauptete, das von ihnen angewendete Gift sei aus dreierlei
Kräutern, sowie aus Urin, Menschenblut und Hostien be-
reitet. Es fand hier und da auch der Glaube Eingang,
als habe der König von Granada die Juden aufgereizt und
diese wiederum die Aussätzigen als Werkzeuge gebraucht.
Kehren wir zum Hexenwesen zurück! Ein Blick auf
die Akten des vierzehnten Jahrhunderts zeigt uns hier
überall nur Eine Combination des alten Ketzer- imd Zauber-
materials ^).
Man hat sich dem Teufel ergeben und alle Excesbe
der Zusammenkünfte mitgemacht, die gewöhnlich in der
Nacht von Freitag auf Sonnabend auf dem Berge Alaric
und anderwärts stattfinden. Der Teufel erscheint mit
feurigen Augen oder als riesiger Bock und fordert die
Neulinge zur Leistung des Homagiums auf; er bläst dem
Bejahenden in den Mund; durch seinen blossen Willen
versetzen sich die Geworbenen zum Sabbath, daselbst ver-
kehrt man mit dem Bock, isst von dem Fleische geraubter
Säuglinge und andern ekelhaften Speisen, ohne Salz, tanzt
im Zauberkreise ■^) und lernt Zaubermittel. Der Bund mit
*) Lamotke-Langon Tom. III. p. 226 ff.
') Den Hexentanz finden wir zum ersten Male bei einem Autodafe
zu Toulouse im Jahr 1353 erwähnt. S. Lamothe-Langon 111. 360. — Dtrr
Tanz gehört zu Götzendienst und Orgien. Eine merkwürdige Belehrung über
das Schändliche des Tanzens gibt Vincentius von Beauvah (Spec. moral. üb. III.
Dist. 6, p, q). Man soll nicht tanzen in diesem irdischen Jammerthale; Her
Tanz ist vom Teufel erfunden, und wer tanzt, erzeigt diesem einen Kult, wie
die Juden , als sie vor dem goldenen Kalbe tanzten. Vincentius klagt, da^s
man Kirchen und Kirchhöfe, besonders an Festtagen, entweihe, und fQlirt
mehrere erlebte Fälle an. Obgleich von wirklichem Tanzen die Rede ist, su
hat man doch hierin fast ein Vorbild des Hexentanzes. Die Tänzer sind qua>i
simiae clericorura, ducentes processioncs diaboli et choreas. Es wird erörtert,
dass die Tanzenden begehen: sacrilegium locorum, sacrilegium personale, sacri-
legium contra sacramentum baptismi et eucharistiac, contra confirmationcni.
contra matrimonium etc.
Die Inquisition im 14. Jahrh. Ausbild. d. Uexenprozesses in Frankreich. 23 1
dem Satan wird zuweilen so geschlossen, dass man sein
Blut in ein Feuer laufen lässt, in welchem Todtenknochen
brennen. Man bereitet Liebeszauber aus einem Streifen
vom Hemde des Geliebten , aus Galgenstricken , Tauben-
herzen und dem eigenen Blute, welches alles zusammen
vergraben wird; oder man parodirt die Messe zum Behufe
eines Sortilegiimis. Zum Zurüsten des Zaubers sind günstig
die Nächte vor Johannistag, Weihnachten und die des
ersten Freitags im Monat. Zwei Schäfer haben Brunnen
durch Magie vergiftet und den Teufel Nachts auf einen
Kreuzweg berufen, um Krieg über das Land zu bringen.
Die Inqmsitin hat Hagel, Regen und giftigen Nebel ge-
macht, Getreide und Reben erfrieren lassen, Ochsen und
Schafe der Nachbarn verderbt ; sie hat eine Tante getödtet,
indem sie das wächserne Bild derselben am Feuer schmolz.
Papst Johann XXII. (1316 — 1334), der überall Zauberer
und Hexen sah, welche mit Teufel und Dämonen ver-
bündet wären ^) , redet in seinen Erlassen von Wachs-
bildern, mit denen die Zauberer ihm und Anderen nach
dem Leben trachteten. Diese Wachsbilder würden näm-
lich von den Zauberern auf den Namen bestimmter Per-
sonen getauft, und wenn sie dann das Wachs durchstächen,
so würde dadurch der Tod der Personen herbeigeführt,
deren Namen sie trügen. Solche Bilderzauberei (envoüter)
war es auch, welche Engxierrand de Marigny, Philipp's
des Schönen gewesener Minister, gegen Ludwig X. verübt
haben sollte, als der Graf von Valois eines Vorwands be-
durfte, um die beschlossene Verbannung des gestürzten
Günstlings in die Todesstrafe umzuwandeln; er ward ge-
hängt am Galgen von Montfaucon, den er für Andere ge-
baut hatte ^). Andere haben durch Formeln oder durch
das böse Auge getödtet, aus der Hand, den Sternen und
Spiegeln geweissagt, wahrsagende Geister in Ringe ein-
geschlossen u. s. w. Das Buch, welches der 131 9 einge-
kerkerte Minorit zu Carcassonne besass, enthielt: multos
^) Btuhma/m, die unfreie und die freie Kirche, S. 288 IT.
') Garinet Histoire de la magie en France, p. 82.
2 72 Zwölftes Kapitel.
characteres, plurima daemonum nomina, modum eos invo-
candi et eis sacrificia offerendi, per eos et eis mediantibus
domos et fortalitia diruendi, naves submergendi in man,
magnatum et etiam aliorum amorem ac credulitatis et
exauditionis gratiam apud istos vel illos, nee non mulieres
in conjugium et aliter ad venereos actus habendi, caecita-
tem, Cassationen! membrorum, infirmitates cdias ac mortem
etiam praesentibus vel absentibus, mediantibus imaginibus
et aliis actibus superstitiosis , inferendi et multa mala alia
faciendi *). Dass die Teufelsunzucht nicht vergessen wurde,
versteht sich von selbst. Alvarus Pelagius, Bischof von
Silva, der um 1332 sein Buch de planctu ecclesiae schrieb,
hat viele Nonnen gekannt, die sich den Umarmungen des
Teufels ohne Scheu hingaben, wie er diess aus ihren ge-
richtlichen Bekenntnissen ersah ^). Ausserdem suchte man
in jener Zeit noch häufig die Angeklagten zu manichäischen
Antworten zu bringen: Gott und der Teufel seien gleich
u. s. w. ^).
Im Jahr 1344 erfolgte in Irland ein Hexenprozess,
welcher es in sonnenhellster Weise erkennen lässt, dass
sich derselbe auf der Unterlage des Ketzerprozesses ge-
staltete und dass damals noch der Vorwurf der Zauberei
nur eine Steigerung des Vorwurfs der Ketzerei war*). —
Der Urheber der Verfolgxmg war hier der Bischof Richard
de Ledred zu Ossory im Palatinat Kilkenny. Derselbe
hatte es sich zur Aufgabe gemacht, zimächst in seiner
Diöcese und weiterhin in ganz Irland der Ketzerei und
der mit ihr verbundenen Zauberei ein Ende zu machen.
Daher trat er zunächst in Hirtenbriefen gegen die „gens
') Limborch Hist. Inquis. S. 271 des Liber Sentcnt.
') Supponunt se daemoni transfigurato incubo. Raynald ad a. 1317.
') Lamotke- Langen a. a. O.
*) Th, Wright hat über denselben eine gleichzeitige lateinische Bericht-
erstattung unter dem Titel veröffentlicht: A conteroporary nairative of Üie
proceedings against Dame Alice Kyteler or Ketler, prosecuted for sorccry in
1344. — Späterhin hat Wright diesen Prozcss mit Benutzung anderweitiger
Quellen vollständiger in seinen Narratives of sorcery and magic (Lond. 185O
T. I. S. 25—40 dargestellt.
Die Inquisition im 14. Jahrh. Ausbiid. d. Hexenprozesses in Frankreich. 2^^
pestifera novella" auf, die keine kirchlichen Abgaben und
Zehnten entrichten wollte, die Rechte der Bischöfe nicht
respektirte und die Kirchengüter plünderte ; — denn dieses
war die Ketzerei, um die es sich handelte. Im Jahr 1324
wurde nun eine vornehme Dame, Alice Kyteler, mit ihren
beiden Zofen, ihrem Sohne William Outlaw (den sie ver-
muthlich zu „kirchenräuberischen** Praktiken, d. h. zur
Ketzerei verleitet haben sollte) und mehreren Anderen vor
das geistliche Gericht geladen, weil sie der Zauberei an-
geklagt wären. Alle Angeklagten sollten auch für eine
bestimmte Zeit, um zaubern zu können, den christlichen
Glauben abgeschworen haben. Die Dame Alice K3rteler
insbesondere sollte auf Kreuzwegen (in quadriviis) Zusam-
menkünfte mit einem bösen Geiste von der armseligsten
Sorte (ex pauperioribus infemi), der sich Robin Artysson
(Artis filius) nenne, haben. Diesen ihren Liebhaber re-
galire sie bei besagten Zusammenkünften mit neun rothen
Hähnen und einer unbekannten Zahl von Pfauenaugen.
Sie bereite auch Pulver, Salben und Kerzen aus ekel-
haftem Gewürm, giftigem Kraut und dem Fett und Hirn
ungetaufter Kinder nebst anderen gräulichen Ingredienzen,
die sie allesammt in dem Schädel eines vom Galgen ge-
stohlenen Missethäters mische und koche. Femer begehe
die Angeklagte mit ihrem Liebhaber bei selbigen Zu-
sammenkünften eine Ceremonie, in welcher das heilige
Messopfer nachgeäfft und verhöhnt werde, und an diese
Handlimg schlössen sich dann noch Verwünschungen ge-
gen alle ihre Feinde, ihre Ehemänner mit eingeschlossen,
die sie in allen Gliedern ihrer Körper einzeln (per omnia
membra nominatim et sigillatim) verfluche, und deren sie
bereits vier durch ihre Teufelskünste umgebracht, wie denn
auch ihr gegenwärtiger Ehemann, Lord John de Poer, in
einen solchen Zustand gerathen, dass ihm Nägel und Haare
ausgegangen wären. Alle diese Schandthaten sollte sie
ihrem Liebhaber, dem Teufel Robin Artysson zu Gefallen
verübt haben und es wurde noch als ganz besonders er-
schwerender Umstand angeführt, dass derselbe einer der
gemeinsten aus der Hefe aller Teufel in der Hölle wäre,
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<-^ '-'^r'-'V: :.r.en Petr>:i£Za tot das er^e BhituithetU
""'•''^'^ i»*r;^*:r. Hexerei in Irland voUÄwrki war.
Die Inquisition im 14. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich. 235
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, etwa 1358,
schrieb ein spanischer Dominikaner, der Generalinquisitor
von Aragonien Nicolaus Eymericus (t 1393) sein Di-
rectorium Inquisitorum, die erste systematische Unterweisung
für den Ketzerrichter *), das, obwohl eine Privatarbeit, doch
bald das Ansehen einer amtlich aufgestellten Klriminal-
ordnung erlangt, und als solche Jahrhimderte hindurch
den Inquisitionsprozess beherrscht hat. Eymericus hat
auch Schriften über Logik und Physik verfasst — aber
nicht diesen Arbeiten, sondern seinem „Directorium** ver-
dankt er seine Unsterblichkeit. Er hat sein Amt als Ge-
neralmenschenquäler 44 Jahre verwaltet und ist während
dieser Zeit, wie sein Biograph von ihm rühmt, ein acer
haereticae pravitatis Inquisitor gewesen. Was damals irgend
möglich war, das hat er gethan, um seinen Collegen die
Blutarbeit zu erleichtem. Er führt, was kein Instruktor
vor ihm gethan hatte, die Belegstellen ausführlich an. Der
Mühe, eine Bibliothek mit sich herumzuschleppen, waren
die Inquisitoren nun überhoben. Ein Brevier, ein Crucifix
und dieses Buch in der Tasche — und der Mann Gottes
war fertig und für seine Menschenjagd vollkommen aus-
gerüstet. Eymericus hat sich aber auch dadurch vor seinen
Vorgängern hervorgethan, dass er seinen Amtsgenossen
ein alphabetisch geordnetes Verzeichniss von Ketzereien,
auf welche sie inquiriren konnten, vorgelegt. Dieses Ver-
zeichniss ist zwölf eng gedruckte Seiten stark; allein der
Buchstabe A umfasst vierundfünfzig Ketzereien ! Die erste
gedruckte Ausgabe dieses Leitfadens ist, so viel bekannt,
1503 in Rom erschienen. — Die von dem curialistischen
Rechtsgelehrten Pegna besorgte und mit Commentaren
^) Nie, Eymerici Direclorium Inquisitorum, cum scholiis Francisci Pegnae,
Romae 1678. — Part. IL Quaest. 42U. 43 wird von der Zauberei gehandelt.
Ib Omnibus operibus magicis est apostasia a fide, propter pactum initum cum
daemone, vel verbotenus, si invocatio intersit, vel facto aliquo, etiam si sacri-
ficia desint. Non enim potest homo duobus dominis servire £x his
apparet, quod magicam artem sectantes et exercentes ut haeretici sunt habendi
et vitandi. — Sed daemones invocantes et iisdem sacrificantes magicam ariem
sunt in hoc sectantes et exercentes, ergo etc.
236 Zwölftes Kapitel.
versehene Ausgabe (ein massiger Folioband) hat Ghre-
gor Xm. als praecipua catholicae fidei capita continen-
tem unter dem 13. August 1578 mit einem Privilegium
gegen Nachdruck versehen ').
In diesem Codex finden wir nun die Theorie schon so
weit fortgeschritten, dass es, die Chiromantie etwa aus-
genommen, fast nicht eine einzige magische Uebung pbt,
von welcher der Verfasser nicht nachwiese, dass sie ketzerisch
sei, oder wenigstens nach Ketzerei schmecke*), und
mithin vor das Forum des Inquisitors gehöre. Merkwürdig
ist insbesondere die IClassifikation derjenigen, welche den
Teufel anrufen. Wir geben sie in der kürzeren Fassung,
wie sie das Manuel des Inquisiteurs hat ') : De ceux qui
invoquent les d^mons on peut faire trois classes. La pre-
mifere de ceux qui rendent aux d^mons un culte de latrie,
en sacrifiant, en se prostemant, en chantant des priores,
en allumant des cierges, en brülant de Tencens etc. —
La seconde est de ceux qui se contentent ä rendre au
diable un culte de dulie ou dliyperdulie , en mfelant les
noms des diables aux noms des Saints dans les litanies,
en les priant d'ßtre leurs mödiateurs aupr^s de Dieu etc.
— La troisi^me classe comprend ceux qui invoquent les
dömons en tra9ant des figures magiques, en pla9ant un
enfant au milieu d'un cercle, en se servant d'une ^p^
d'une couche, d'un miroir etc. — En g6n6ral, on peut re-
connattre assez facilement ceux qui invoquent les d^raons,
k leur regard farouche et k un air terrible que leur don-
nent les entretiens frÄquents, qu'ils ont avec les diables. —
Tous ceux qui invoquent les dömens de Tune de ces trois
*) Buchmann, die unfreie und die freie Kirche (Breslau, 1875), S, 152 — 153.
') Ueber das Schmecken nach Ketierei s. die nähere Bestimmung bei
Limborch (Hist. Inqu. p. 113), wo es nach Simancas heisst: Propositio tst
haeretica, quae contraria est scripturae, aut ecclesiae, aut decretis concilii ge-
neralis etc. — Propositio sapit hatresim, quae priroa verborum signlficttione
et prima facie sensum habet haereticum, quamvis pie intellecta possit habere
scntum catholicum.
') Le Manuel des Inquisiteurs, ou abrege de Touvrage intitule Directorium
Inquisitorum etc. A Lisbonne 1762. Chap. XIV.
Die iDquisition im 14. Jahrh. Ausbild. d. Hexenprozesses in Frankreich. 237
manieres, sont sujets k la Jurisdiction du Saint-Office comme
h^r^iques. — Si cependant on ne demandait au diable
que des choses qui sont de son mutier, comme de tenter
une femme du p6ch6 de luKiu^e, pourvu qu'on n'emploie
pas les termes dadoration et de prierey mais ceux de cofti-
mandementy il y a des auteurs qui pensent qu'en ce cas on
ne se rend pas coupable d'hörösie. D'aprfes cette derni^re
Observation, si en invoquant le diable, pour rendre par
exemple une femme sensible «t lamour, le faiseur de sorti-
16ges se seit de rimp6ratif : je te commande, je t'ordonne,
j'exige etc., rh6r6sie n'est pas la bien marqu6e; mais s'il
dit: je te prie, je te conjure, je te demande etc., Th^rösie
est manifeste, parceque ces paroles de prieres supposent
et renferment Tadoration. — Parmi ceux qui invoquent
les dömons, on peut compter les Astrologues et les Alchy-
mistes, qui lorsqu'ils ne peuvent pas parvenir aux d6cou-
vertes qu'ils cherchent, ne manquent pas de recourir au
diable, lui fönt des sacrifices et Tinvoquent, ou expresse-
ment ou tacitement.
So stützte Eymericus in wissenschaftlicher Form, was
in Frankreich die Praxis längst geübt hatte. Auch in
Italien zeigen sich um diese Zeit schon Hexenprozesse.
Doch ist aus dem Gutachten, welches der seiner Zeit in
Grelehrtenkreisen hochangesehene (bei dem Volke aber
wegen seiner Härte verhasste Jurist Bartolus (Severus
de Alphanis)^) (t 1357) ausstellte*) zu ersehen, dass die
Hexenprozesse in Italien noch nicht recht im Zuge waren,
imd dass die Kriminaljustiz zum Verbrennen der Hexen
noch nicht den rechten Muth hatte. Bartolus spricht
sich ganz entschieden für Bestrafung der Hexen mit dem
Feuertod aus ; hält es aber dabei für rathsam, zur Stützung
seines Urtheils sich auf das was in der kirchlichen Theo-
logfie der Zeit unbeanstandet gelehrt wurde, zu berufen.
In dieser war es nun längst üblich geworden, das.
*) ßartoh, 1313 in Umbrien geboren, war Professor der Jurisprudenz zu
Perugia und kaiserlicher Rath Karls IV. Erstarb zu Perugia am 13. Juli 1355.
') Das Gutachten findet sich abgedruckt bei Ziletti, Consilia selecta,
1577. I.. 8.
2 28 Zw^.lftcs Kapitel-
was Christus und Apostel, eine geistliche Auffassung ihrer
Worte voraussetzend, von dem Reiche Gottes gelehrt
hatten, auf äussere Verhältnisse, auf die mit äusserer
Zwangsgewalt operirende Kirche zu beziehen. Das Wort
des Apostels, dass der geistliche Mensch Alles richte, ver-
stand man, wie in der Bulle Bonifacius VUI. „Unam sanc-
tam" gelehrt ward, dahin, dass der Papst nach Christi
Ordnung der oberste Richter der Fürsten imd Völker sei.
Wenn der Prophet Jeremias im Alten Btmde seinen ihm
von Gott ertheilten Auftrag gottliche Strafgerichte anzu-
kündigen, in orientalischer Redeweise als einen Befehl zu
verderben und zu verwüsten bezeichnete, so sollte nach
päpstlicher Auslegung hierin eine typische Darstellung der
Gewalt des Papstes zu erkennen sein, indem Gott hier
eigentlich dem Papstthum habe die Macht verleihen wollen,
nach freiem Ermessen zu verderben imd aus dem Lande
der Lebendigen auszurotten. Wenn es in den Psalmen
von dem Konige des zukünftigen Messianischen Gottes-
reiches auf Erden heisst, derselbe werde mit eiserner Ruthe
die Volker bezwingen, so sah man darin den Beweis für
das Recht und die Pflicht der Päpste, die Volker mit ihrer
todtbringenden Inquisition heimzusuchen. — Auf Grund
dieser und ähnlicher Ausfiihrungen erklärte daher der
grosse Bartolo in seinem Gutachten, dass ein zauberisches
Weib zu verbrennen sei, weil nach Christi Gebot, wer
nicht in Seiner Gemeinschaft verbleibe, hinwegzuwerfen
sei wie eine verdorrte Rebe, die man verbrenne. —
Von dem Bekanntwerden dieses Gutachtens an nahm das
regelmässige Verbrennen der Hexen seinen Anfang*). —
Das Gutachten Bartolo's war daher die wesentliche
Ergänzung des Direktoriums Eymerichs.
*) Janus, S. 275—276.
DREIZEHNTES KAPITEL.
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich.
Uebergang derselben in die angrenzenden
Länder.
Mit dem Schlüsse des vierzehnten Jahrhunderts be-
reitet ßich eine Veränderung der Dinge vor. Von Wich-
tigkeit war es, dass der Hexenprozess durch Be-
schluss des Pariser Parlaments im Jahre 1390 dem
geistlichen Richter abgenommen und dem welt-
lichen zugewiesen wurde i). Wenngleich dadurch nicht
jeder Anspruch der Inquisition auf ein einmal geübtes
Recht alsbald verstummte, so sah sich dieselbe doch von
der Ausübxmg ausgeschlossen, und die geistliche Wirk-
samkeit war wieder auf einen andern Weg gewiesen.
Unter dem 19. Sept. 1398 liess die Sorbonne 27 Artikel
ausgehen, in welchen sie die Verbreitimg magisch-astro-
logischen Unwesens beklagt und als Irrthum verdammt*).
Sie behauptet hierin ebenso sehr die Realität der magi-
*) Bodin, Dacmonoman. p. 377. Bereits 1374 hatte Gregor XI. die Com-
petenz der Inquisitoren gegen Widerspruch in Schutz nehmen müssen. Raynald,
ad ann. 1374.
•) Decretum facultatis theologiae Parisiensis contra superstitiosos errores
artis roagicae. In den Ausgaben des Malleus maleficarum gewöhnlich ab-
gedruckt.
240 Dreizehntes Kapitel.
sehen Wirkungen *), als sie jeden Versuch der Magie,
sich durch Anschmiegen an die christlichen Kultusfonnen
den Anschein einer erlaubten Herrschaft über die Greister-
welt zu geben, entschieden zurückweist. Weder Bilder,
noch andere Zaubermittel haben durch sich selbst oder
durch Weihungsceremonien ihre Kraft, sondern Alles be-
ruht auf einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Bünd-
nisse mit den Dämonen, die sich durch Ceremoniell und
Sprüche niemals in Wirklichkeit zwingen lassen, wohl aber
sich bisweilen so stellen, um die Menschen zu berücken *).
Wie sehr magische Uebungen insbesondere zum Zwecke
der Heilung damals in Frankreich verbreitet gewesen sein
müssen, erhellt auch aus einer Schrift, welche bald darauf
der Kanzler Gerson (t 1429) erscheinen liess*). Er ist
unzufrieden mit den kirchlichen Heilungen durch Wall-
fahrten, Weihwasser, geweihtes Wachs u. s. w. und be-
trachtet sie als alte, nur nicht leicht auszurottende Miss-
bräuche. Die menschliche Ungeduld aber, wenn diese
Mittel fehlschlagen, führt zur Anwendung der eigentlichen
Magie. „Wir haben — lässt er die Ungeduldigen sich
verantworten — zu Gott gebetet, und er hat uns nicht
*) Art. 17. yuod per tales artes et ritus impios, per sortilegia, pcrcar«
niinationes , per invocationes daeinonum, per quasdam' invultuationes et «lia
maleficia nuUus unquam effectus ministerio daemonuni subsequatur. Errpr.
nam talia quandoque permittit Deus contingere. ut patuit in Magis PharaoQÜ
et alibi pluries, etc. —
') Z. B. Art. 9. Quod Deus per artes magicas et maieficia inducatur.
daemones compellere suis invocantibus obedirc — Error, — Art. 12. Quod
verba sancta et orationes quaedam devotae et jejuniae et balneationes et cod-
tinentia corporalis in pueris et aliis et missarum celebrationes et aiia opcn
de genere bonorum, quae fiunt pro exercendo hujusmodi artes, excusent ^^»
a malo et non potius accusent, — Error, — Art. 16. Quod per lalcs artes
daemones veraciter coguntur et compelluntur, et non potius ita se cogi fingunt
ad seducendos homines, — Error. — Art. 19. Quod sanguis upupae. ^«^
hoedi, vel alterius animalis, vel pergamenum virgineum, aut conum leonis tt
similia habeant efßcaciam ad cogendos vel repellendos daemones roinisteno
hujusmodi artium, — Error.
') De erroribus circa artem magicam. Auch im Ma Ileus abgednickt.
Später bekAmpHe Gerson noch besonders die Astrologie in s. Tractat de astru-
lögia theologisata. ad Delphinuni.
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 241
erhört; wir haben gefastet und viele Wallfahrten und
Prozessionen angestellt, und er hat dessen nicht geachtet."
Die Menschen sollen in Geduld hinnehmen, was Gott sendet,
der göttlichen Barmherzigkeit keinen Termin setzen. Sie
sollen fest sein im Glauben, wie Philipp von Frankreich,
der einst ein Wachsbild, an dessen Schmelzen ein Zauber-
spruch den Tod des Königs gebimden haben sollte, selbst
ins Feuer warf, mit den Worten : Wir wollen sehen , ob
der Teufel mächtiger ist, mich zu verderben, oder
Gott, mich zu erhalten!
Mit den Hinrichtungen wollte es von jener Zeit an in
Frankreich nicht mehr recht gehen. Wo von zauberischen
Tödtxmgen und Beschädigungen die Rede w^ar — und es
mögen zuweilen wirkliche Vergiftungen für Zaublerei ge-
golten haben — da machten jetzt die Parlamente ihre
Rechte geltend *), und die Verfolgung angeblich häretischer
Gräuel musste sich gelähmt fühlen, seitdem das grosse
römische Schisma die ganze katholische Christenheit mit
dem Banne geschlagen hatte, zur Hälfte von Rom aus,
zur Hälfte von Avignon. So gerieth die französische In-
quisition in allmählichen Verfall, und in gleichem Maasse
minderten sich die Hexenprozesse. Die Synode von Langres
(1404) suchte wieder auf dem Wege der Belehrung und
der Disciplin zu wirken; sie stellt die Wahrsagungen als
Betrügereien gewinnsüchtiger Menschen dar, verbietet ma-
gische Heilungen als unchristlich und arbeitet insbesondere
dem Glauben entgegen, dass ein Mensch, der sich dem
Teufel ergeben, nicht durch Reue und Busse aus den
Klauen desselben gerettet werden könne. Hinsichtlich der
Büssungen sind die Bestimmungen des Concils sehr mild 2).
Dreizehn Personen, die 1406 vor dem Tribunale von Tou-
louse standen, wurden nur zu Geldstrafen, Pilgerschaften,
Fasten und andern guten Werken verurtheilt. Bald darauf
aber wurde der Inquisitor der Unterschlagung confiscirter
') Lamothe-Langon, Tome III. pag. 295.
*) Raynald. ad ann. 1404.
8oIdan-Reppe, Hexenprozesse. ^''
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Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 2±X
weiblicher Kleidung versprechen sollte, schob aber dann
eine Abschwörung, worin sie sich aller ihr gemachten
Vorwürfe schuldig bekannte, zur Unterzeichnung unter und
verlas hierauf das Endurtheil, welches auf ewiges Gef äng-
niss (avec pain de douleur et autre tristesse) lautete. —
Durch unmenschliche Chicane nöthigte man sie im Kerker,
anstatt des ihr weggenommenen Frauengewandes ein Manns-
kleid anzulegen, und verbrannte sie dann als Rückfallige.
— In einem von dem französischen Historiker (und Gou-
verneur von Cambray) de Monstrelet (ad ann. 1431)
mitgetheilten Briefe wird im Namen des Königs von Eng-
land an den Herzog von Burgund geschrieben: Johanna
habe Anstoss durch ihre männliche Tracht gegeben, der
Bischof mit dem Inquisitor habe sie verhört, nach An-
hörung der Pariser Universität sei sie verurtheilt worden
als „superstitieuse, devineresse de diables, blasphemeresse
en Dieu et en ses Saints et Saintes, schismatique et errant
par moult de sortes en la foi de J^sus-Christ". Sie habe
bereut und bekannt, dann aber widerrufen, desswegen sei
sie dem weltlichen Arm übergeben und zum Scheiterhaufen
gefuhrt worden. Hier habe sie von Neuem bereut und
eingesehen, dass ihre Erscheinungen nur böse Geister ge-
wesen seien und sie betrogen hätten.
Einem deutschen Schriftsteller zufolge traten gleich-
zeitig in der Nähe von Paris zwei Weiber auf, die von
Trott gesendet zu sein vorgaben, um der Jungfrau beizu-
stehen. Vor den Inquisitor von Frankreich gestellt, kam
die eine zu der Ueberzeugung, dass sie vom bösen Geiste
betrogen sei , und schwur ab ; die andere aber beharrte
und wurde verbrannt ^). — In Bern waren bereits um den
Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts männliche und weib-
liche Zauberer von dem weltlichen Gericht verbrannt wor-
den. So erzählt z. B. der Dominikaner Johannes Nider
\T' 1440), der um die Zeit des Baseler Conciliums durch
«meinen Formicarius in der Form eines belehrenden Dialogs
*) iVuÄT Formicar. im Mall. Malefic, ed. Frnncof, 15^)2. Tom. T.
lag. 757.
244 Dreizehntes Kapitel.
auch Deutschland in die Mysterien des Hexenprozesses
einzuweihen suchte ^). Wie neu dergleichen Dinge damals
noch in unserem. Vaterlande waren, macht der Inhalt des
Buches hinlänglich klar. Nider, obgleich selbst Inquisitor,
beruft sich nicht ein einzigesmal auf eigene Amtserfahrungen,
sondern immer nur auf fremde, zum Theil franzosische
Quellen hinsichtlich des Thatsächlichen. Ein weltlicher
Richter zu Bern und ein ehemaliger Inquisitor zu Autun
liefern ihm die Hauptbelege zu den theoretischen Meimmgen,
die er auf die Auctorität seiner CoHegen, der Baseler
Theologen, imd der älteren Scholastiker baut. Andere
Belehrungen verdankt er der freiwilligen Mittheilung eines
bekehrten Nigromanticus. Nach der späteren Praxis wäre
der letztere unweigerlich dem Scheiterhaufen verfallen ge-
wesen; damals aber durfte der Verfasser noch offen er-
zählen, dass sein Gewährsmann, nachdem er sich von der
Zauberei losgesagt, Benediktiner geworden sei und als
Prior des Schottenklosters zu Wien in Segen und aner-
kannter Frömmigkeit wirke. Dessgleichen entging ein
Mädchen zu Köln, das die Rolle der Jungfrau von Orleans
spielte und in dem Streit um die Trierische Kurwürde die
Partei des einen Competenten ergriff, durch den Schutz
des Adels den Klauen des Inquisitors Kalteisen, obgleich
sie beschuldigt war, zerrissene Servietten und zerbrochene
Gläser durch Zauberei wieder hergestellt zu haben. Ver-
brennungen kennt Nider nur in Bern. Nichtsdestoweniger
stellt seine Schrift fast das vollständige System des Hexen-
wesens dar^), und die Zauberer erscheinen bei ihm ak
*) Fr. Joannis Nukr Suevi, orclinis Praedicatorum , s. Iheol. professoriN
et haerelicae pcstis inquisitoris, liber insiKnis de maleficis et eorum decepticm:-
bub. — gewöhnliche Zugabe zum Malleus maleficarum.
') Eine kurze Andeutung der Hauptpunkte wird genOgcn: VerUugnua«
der christlichen Religion und der Taufe; Treten des Kreuzes; Pactum mit
den» Teufel und Homagium; Versammlungen, wo der Teufel in Menschen-
gestalt erscheint; Luftfahrten; Hagel und Blitz machen; Getreide locken.
Pferde aufhalten; Erregen von Hass und unkeuscher Liebe ; Verhinderung d^
Heischlafs und der Conception bei Menschen und Thieren (durch eine untef
die ThOrschwelle gelegte Kidechse) ; Verwandlung de5 eigenen Körpers in Thler-
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 245
eine Sekte mit ruchlosem Kult, gegen deren gemeinge-
fährliches Wirken es keine andere Hülfe gibt, als den
Glauben und das Ceremoniell der katholischen Kirche.
Dem Richter aber, der gegen solche Frevler verfahren
will, wird die beruhigende Versicherung gegeben, dass
Hexenmacht gegen die Obrigkeit nichts vermag.
Durch solche Lehren bahnte Nid er seinen CoUegen
den Weg zur allmählichen Erweiterung ihrer bisher auf
deutschem Boden so sehr beschränkten Macht. Er ist
laxige Zeit eine Auctorität geblieben, bis neuere an seine
Stelle traten und die Sache beinahe von selbst ging. Gleich-
zeitig erliess Papst Eugen IV. ein Umschreiben an
sämmtliche Inquisitoren, in welchem er zu strengster Ver-
folgung der Zauberei auffordert. Er geht hierin zwar nicht
in allen Punkten so weit, als Nider — namentlich gedenkt
er der Incuben und Succuben nicht — doch kennt er die
Teufelsanbetung, das Homagium, das Chirographum und
die Kraft der Zauberer, unter Anrufung der Dämonen
durch Worte, Berührung, Zeichen und Bilder Krankheiten
hervorzurufen und zu heilen, Gewitter zu machen und
Wahrsagungen zu ertheilen, wozu man auch die Hostie,
die Taufe und das Kreuz missbrauche. Der Papst befugt
die Inquisitoren, summarisch und ohne Geräusch (summarie,
simpliciter et de piano ac sine strepitu et figura judicii)
gestalt, z. B» die einer Maus; Tödtung der Frucht im Mutterleibe ; Salbe aus den
Leichnamen umgebrachter Kinder, zum Behufe der Verwandlung gebraucht, —
..de liquidiori vero humore flascam vel utrem replemus, de quo is qui potatus
fuerit, additis paucis caerimonils, statim conscius efflcitur et magister nostrae
sectac" (wie bei den Chorherren von Orleans) ; Incuben und Succuben , be-
sonders auj Thomas Aquinas bewiesen. Es wird berichtet, dass Schaaren von
Succuben unter der Maske von Huren sich auf dem Concil zu Costnitz ein-
fanden und viel Geld verdienten. — Der an das Bette eines von einem Incu-
bus verfolgten Mädchens gesteckte Stab des h. Bernhard verbietet dem Dämon
den Eintritt in das Gemach (wie die Strigen bei Ovid durch Carna's Weiss-
domstab aus dem Zimmer des jungen Procas verscheucht worden). — Auch
I- Korinth. 11, 10: Mulier debet velamen habere super caput suum, propter
angelos, — werde , sagt Nider , von vielen Katholischen auf die Incuben ge-
deutet.
246 Dreizehntes Kapitel.
ZU verfahren und nöthigenfalls die Schuldigen dem welt-
lichen Arme zu übergeben. Schliesslich erweitert er diese
Befugniss auch für diejenigen Diöcesen, die durch frühere
päpstliche Privilegien und Indulte von der delegirten In-
quisition befreit waren, und gestattet dem Inquisitor, über
die Grenzen seines Gerichtssprengeis hinauszugreifen. —
Dieses Schreiben, als Circular abgefasst im Jahre 1437.
ist wahrscheinlich als solches nicht abgegangen, weil meh-
rere Länder damals nicht Obedienz leisteten; wenigstens
finden wir ein wörtlich gleichlautendes imter der besondem
Adresse des Inquisitors von Carcassonne vom 17. Julius
1445, in welchem jedoch der Papst die erwähnte Befugniss-
erweiterung hinweggelassen hat^). Diese Verfügungen
blieben für Deutschland nicht ohne Wirkimg.
In Frankreich dagegen müssen Eugen's Worte nicht
viel gefruchtet haben; denn schon 1451 fand es Nikolaus V,
nöthig, eine noch weit voller tonende Vollmacht für den
Oberinquisitor des Königreichs auszufertigen. Um alle
Competenzzweifel abzuschneiden, wird dieser ausdrücklich
autorisirt, gegen alle Lästerer Gottes und der heiligen
Jungfrau, so wie gegen alle Zauberer (sacrilegos et din-
natores), auch wenn sie nicht ketzerischen Charakter ver-
rathen (etiam si haeresim non sapiant manifeste), in jeder
geeignet erscheinenden Form, selbst mit gänzlicher üeber-
gehung des Diöcesanbischofs , zu verfahren und AUe, die
gegen diese Verfügung reden, als Rebellen zu bestrafen *).
— Was half's ? Die guten Tage für die Inquisitoren waren
in Frankreich vorüber und die Allmacht der päpstlichen
Bullen ebenfalls. Der Widerspruch gegen die Mährchen
der scholastischen Jahrhunderte verstummte nicht imd liei»>
sich jetzt sogar schon von den Kanzeln vernehmen. Frei-
lich vorerst noch nicht ungestraft I
Zwei Jahre nach dem Erlass der obigen Bulle fiel ein
aufgeklärter Geistlicher als Opfer seiner Freimüthigkeit,
M Raynald, Annal. eccles. ad ann. 1437 und 1445«
') RaynaU. ad ann. I451.
Abnahme der Hexen prozes-^e in Frankreich etc. 247
Wilhelm Edelin^), Doctor der Theologie und Prior zu
St. Germain en Laye, hatte von der Kanzel herab sich
gegen den Glauben an die Wirklichkeit der Hexenfahrten
ausgesprochen. Dafür sehen wir ihn den 12. Sept. 1453
in der bischöflichen Kapelle zu Evreux vor dem geistlichen
Gericht fussfallig und weinend bekennen: wie er selbst
wirklich und körperlich mit Andern den Satan in Bocks-
gestalt verehrt, den Glauben und das Kreuz verläugnet
habe imd von dem Teufel angestiftet worden sei, in seinen
Predigten zur Mehrung des satanischen Reichs und zur
Beschwichtigung des Volkes die Zaubersekte für ein Ding
der Einbildung zu erklären. Er schwur ab *) und wanderte
dafiir nun auch nicht zum Holzstosse, sondern bloss zum
Kerker auf Lebenszeit ; denn er hatte , wie ein Gleich-
zeitiger versichert, sein Verbrechen freiwillig gestanden
— ungefähr so, mag man wohl denken, wie zweihundert
Jahre nach ihm Galilei das seinige. Er starb im Gefang-
nisse nach kurzer Zeit.
Indessen war Edelin's Stimme nur eine von den vielen
gewesen, die sich in Frankreich für die Sache der Ver-
nunft erhoben. Der Dominikaner Nikolaus Jaquier, der
im Jahre 1458 sein Flagellum haereticorum fascinariorum
schrieb*), erklärt in der Vorrede, er thue diess nothge-
drungen durch die häufigen, der Amtsführung des Inquisi-
*) So heisst er bei Monstrelet; bei Petrus Mamoris , der ihn selbst ge-
kannt haben will (Flagell. malefic. cap, 17), Guillelmus dt Lurf alias Harne-
litte; anderwärts findet sich Adelitt; Spätere verstömmelten den Namen zu
Adeltiu und de Litte (S. Hauber Bibl. mag. 11. 153 ff.), wodurch in die Ge-
schichte selbst Verwirrung gekommen ist.
*) Die AbschwÖrungsurkunde enthielt namentlich : quod quando ipse fuit
introductus ad dictam sectam (fascinariorum), Diabolus asserebat, quod ipse
Magister Guilhelmus bene posset, si vellet, augmentare ejusdem Daemonis do-
cninium, praecipiendo eidem Magistro Guilhelmo praedicare, quod hujusmodi
secta nÖD erat nisi illusio, et quod haec praedicaret ad contentandum populum
patriae, ubi tunc morabatur ipse Magister Guilhelmus. — Jaquerii Flagellum
haeret. fasc. cap. 4.
•) Flagellum haereticorum fascinariorum, autore F. Nicoiao Jaqtterio,
ordinis fr. Praedicatorum et olim haereticae pravitatis Inquisitore. Franco-
furtt ad. M. 1581.
248 Dreizehntes Kapitel.
tors entgegentretenden Schwierigkeiten, und klagt darüber,
dass sehr viele Menschen , gestützt auf gewisse verbehrte
Ansichten, zum grossen Nachtheil des katholischen Glau-
bens sich der Zauberer annehmen. Man versichere,
dass der Teufelssabbath mit allen seinen Gräuelo
nur eine Täuschung der Träumenden sei, und be-
rufe sich desshalb sehr ungeeigneter Weise auf
den Kanon Episcopi; ja man finde es unglaublich und
mit der AUgütigkeit Gottes unvereinbar, dass den Dämo-
nen eine so grosse Macht zum Schaden der Menschen
verliehen sein sollte, als vorausgesetzt werden müsste,
wenn man den Bekenntnissen der Hexen Glauben schenken
wollte. — Diese und ähnliche Einwürfe zu beseitigen und
das Geschäft der Inquisition gegen die den Glauben ver*
wirrende, abscheuliche Zaubersekte zu fordern, schreibt
nun Jaquier unter Anrufung des Allmächtigen sein in acht-
undzwanzig Kapitel abgetheiltes Buch.
Hiernach begreift es sich von selbst, dass ein guter
Theil der Schrift der Beseitigung des Kanons Episcopi
gewidmet ist. Es wird geltend gemacht, dass dieser Ka-
non — dessen Herkunft von der Synode zu Ancyra auch
noch damals Niemand bezweifelte — 1) nur von einer
Partikularsynode herrühre, 2) eine falsche Argumentation
enthalte und 3) von Fällen handle, die ihre Wahrheit haben
können, ohne dass darum die durch neuere Erfahrungea
bestätigte körperliche Ausfahrt, der Hexen unwahr werde.
Hierbei ist nun freilich dem Verfasser selbst die Inconse-
quenz begegnet, dass er die Diana und Herodias nur als
nichtige poetische Fictionen behandelt, während er
doch etwas später den Neptun als wirklichen Dämon
aufführt. Aus Scholastikern, Legenden und Bekenntnissen
von Inquisiten wird sodann die Realität der Zauberei in
allen ihren Zweigen erwiesen. Mit Jaquier's Schrift kann
das System der Hexerei als abgeschlossen betrachtet
werden. Spätere haben nichts wesentlich Neues hinzu-
gefügt, sondern nur modificirt, weiter ausgeführt und sub-
tiler begründet. Folgende Stellen werden die Grundzüge
des Ganzen hervortreten lassen. „Die Handl\uigen und
1.^ •>«<
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 249
Zusammenkünfte dieser Zaubersekte (haeresis et sectae
fascinariorum) sind nicht Täuschungen der Phantasie, son-
dern verwerfliche, aber wirkKche und körperliche Hand-
lungen Wachender. Es ist ein feiner Kunstgriff des Teufels,
dass er den Glauben zu verbreiten sucht, als gehörten die
Hexenfahrten nur ins Reich der Träume. — In der Sekte
oder Synagoge dieser Zauberer erscheinen nicht bloss
Weiber, sondern auch Männer und, was schlimmer ist,
sogar Geistliche imd Mönche, die dastehen und mit den
sinnlich wahrnehmbar in mancherlei Gestalt erscheinenden
Dämonen reden, sich von denselben mit eigenen Namen
benennen lassen und sie, unter Verläugnung Gottes, des
katholischen Glaubens und seiner Mysterien, mit Opfern,
Kniebeugungen und Küssen als Herren und Meister an-
beten. Dafür versprechen die Dämonen Schutz und Hülfe,
erscheinen auf den Ruf der Zauberer auch ausser der
S3magoge, um ihre Wünsche zu erfüllen, imd geben ihnen
,,Veneficien" und StofiFe, um Zaubereien zu vollbringen. —
Diess Verhältniss beruht auf einem wirklichen Vertrage
und Bund mit den Dämonen. Ein Bezwingen der letz-
teren durch Nekromantie ist nicht möglich, nur göttliche
Kraft, wie sie dem Diener der Kirche verliehen ist, be-
zwingt den Dämon. — Die Zauberer bewirken Krank-
heiten, Wahnsinn, Tod von Menschen und Thieren, Un-
glück im ehelichen Leben, Verderben der Feldfrüchte und
anderer Güter. — In den Versammlungen, die meist am
Donnerstag stattfinden, wird das Kreuz bespieen und ge-
treten, besonders zur Osterzeit, eine geweihte Hostie ge-
schändet, und dem Teufel geopfert und fleischliche Ver-
mischung mit den bösen Geistern getrieben. Keiner darf
das Zeichen des Kreuzes machen, sonst verschwindet im
Augenblick die ganze Gesellschaft, woraus ein Beweis für
die Vortrefflichkeit des den Dämonen so verhassten ka-
tholischen Glaubens genommen wird. Jedem Zauberer
wird ein unvertilgbares Zeichen (das stigma diabolicum)
aufgedrückt."
Merkwürdig ist die Argumentation, durch welche Ja-
quier die Gültigkeit eines gerichtlichen Vorschreitens auf
2^0 Dreizehntes Kapitel.
den Grund des Zeugnisses angeblicher Complicen darthut.
Man hatte nämlich geltend gemacht, dass ein beim Hexen-
sabbath Anwesender gar nicht mit Gewissheit behaupten
könne, diese oder jene bestimmte Person daselbst gesehen
zu haben, weil es möglich sei, dass der Teufel nur ein
Trugbild in der Gestalt jener Person habe erscheinen
lassen. Wollte man diese Ausrede gelten lassen, so würde,
wie Jaquier sehr richtig meint, dem Inquisitor der Weg
zur Verfolgung der Hexensekte sehr bald verschlossen
sein. Um diesem zu begegnen, gibt er folgende Anwei-
sung: „Sagt der von Mitschuldigen Angeklagte, der Teufel
habe nur sein Scheinbild vorgeführt, so antworte man ihm,
dass der Teufel diess nicht ohne die Erlaubniss Gottes
habe thun können. Behauptet der Angeklagte weiter, dass
Gott diese Erlaubniss gegeben habe, so erwiedere man
ihm, dass der Behauptende dem Richter genügende Be-
weise desshalb beizubringen habe; thut er diess nicht, so
ist ihm kein Glauben beizumessen, weil er nicht dem Rathe
Gottes beigewohnt hat. Denn so wie der Procurator de>
Glaubens die Malefizien zu beweisen hat, die er dem An-
geklagten zur Last legt, so liegt auch dem Angeklagten der
Beweis dessen ob, was er zu seiner Vertheidigung anfuhrt/'
Eben so eigenthümlich ist der Schluss, womit, wenn
Zeugen aussagen, dass sie in einer Versammlung zwar die
Hexen, aber nicht die Dämonen gesehen haben, dennoch
das Dasein der letzteren gefolgert wird, weil der Teufel
machen könne, dass er von dem Einen gesehen werde,
von dem Andern nicht.
Am Schlüsse führt Jaquier den Satz durch, dass die
Zauberer, auch wenn sie bereuen, nicht wieder in den
Schooss der Kirche aufzunehmen, sondern dem weltlichen
Arme zu übergeben seien. Denn bei ihnen gehe AUes
aus bösem Willen, nichts aus Irrthum hervor, und sowohl
ihre abscheuliche Ketzerei an sich, als die mit derselben
verbundenen Verbrechen, Mord, Sodomie, Apostasie und
Idololatrie, verlangen die strengste Bestrafimg *). Um aber
*) Isti apostatae sola voluntate perversa absque ulla rationis colorationc
apostatant a vera fide , et ideo scienter male agunt et non ignoranter, et nc i»
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 2 s I
vollkommen sicher zu gehen, behauptet der Verfasser,
dass selbst, wenn man auch die Realität der Hexenfahrten
als unerweislich ansehen wollte, dennoch die Mitglieder
der Zaubersekte sich der Ketzerei schuldig machen, sofern
sie im Wachen thun, was ihnen der Satan im Traume be-
fohlen hat, z. B. die göttlichen Mysterien zu verehren unter-
lassen und, was ihnen begegnet ist, nicht beichten.
Ein Jahr später als Jaquier schrieb Alphonsus de
Spina sein Fortalitium fidei^). Das fünfte Buch desselben
handelt von der Dämonologie und Zauberei. Der Verfasser
kennt die gewöhnliche Theorie der Incuben und Succuben
und der Erzeugung menschlicher Wesen durch ihre Ver-
mittlung; den Hexenflug aber erklärt er unter ausdrück-
licher Anführung der Worte des Kanons Episcopi für ein
Blendwerk des Teufels, ohne indessen die Weiber, die
solches an sich erfahren, von Schuld und Strafe freizu-
sprechen. Die Vorstellungen Spina's sind so eigenthüm-
lich , dass seine eigenen Worte hier eine Stelle finden mögen :
Decima differentia daemonum est eorum, qui decipiunt
mulieres aliquas vetulas maledictas, quae Xurginae sive
Bruxae nuncupantur *). Sciendum ergo est, quod sunt quae-
dam malae gentes, \Ax\ et mulieres, apostatae in fide et
haereticae creaturae et falsae, qui se ipsos dant voluntarie
diabolo, et diabolus recipit eos et dat eis, quod per suas
artes falsas eis appareat, quod ambulant ducentas leucas
et quod redeunt in spatium quatuor vel quinque horarum.
est spes conversionis per doctrinam. — Si hi haeretici deprensi non solum de
haeresi, sed etiam de gravissima idololatria , de homicidio voluntario , de so-
doniia, de profanatione sanctorum et de aliis magnis maleficiis, aut eorum
aliquibus, punirentur solum ut caeteri haeretici per aliquam poenitentiam, facta
abjuratione, tunc manifeste manerent praedicta peccata penitus impunita, quae
tarnen secundum omnia jura divina et humana merentur gravissimas punitiones,
quae quidem crimina gravius committuntur medio hujus haeresis, quam quo-
cunque alio modo.
*) Fortalitium fidei contra Judaeos, Saracenos aliosque christianae fidei
inimicos. Edit. Norimberg. 1494. — Aus Lib. IV. Considerat. I. pag. 187
geht hervor, dass der Verfasser im Jahre 1459 schrieb.
*) Xurgina oder Jurgina und Bruxa sind die spanischen Benennungen für
die Hexen.
2 52 Dreizehntes Kapitel.
et quod destruunt creaturas sugentes sangxdnem earum,
et quod faciunt alia maleficia, qxiae volunt, secundum diar
boli voluntatem, quod est eis et Ulis, qui illis credunt, magna
deceptio et illusio diaboli. Veritas autem hujus facti est,
quod quando istae malae personae volunt uti pessimis bis
fictionibus, consecrant se cum verbis et unctionibus diabolo,
et statim diabolus recipit eos in opere suo et accipit figu-
ram earum et fantasiam cujuslibet earum ducitque Ulas
per illa loca, per quae desiderabant, corpora vero earum
remanent sine aliqua sensibilitate, et cooperit illa diabolus
umbra sua ita, quod nullus ea videre possit ; et quum dia-
bolus videt in fantasiis earum, quod impleverunt, quae vo-
lebant, non amovendo ab earum fantasiis diabolicas fanta-
sias, quae (quas ?) viderunt, reducit illas imaginationes, con-
jungens cum suis propriis motibus et corporibus et tollit
umbram suam desuper corporibus earum, et statim videre
possunt. Existentia tarnen illorum nunquam ab illo loco
absens fuit, sed solum actio cum idolo et fantasia iuerunt
illis rebus, quae (quas?) diabolus eis praesentavit et quae
fecit pro quolibet eorum ; et quod hoc facit diabolus, non
est mirum, quia illa operatur, ut derideat miseras animas,
volens imitari ea, quae verissime Deus per bonos angelos
fecit Quaecunque igitur talia crediderit aliquis.
postquam super talibus audiverit veritatem, vel asseruerit
aliquis pertinaciter , procul dubio infidelis est et pagano
deterior. XXVI. qu. v. episcopi etc Nimium abun-
dant tales perversae mulieres in Delphinatu et in Vaschonia,
ubi se asserunt concurrere de nocte in quadam planitie
deserta, ubi est aper quidam in rupe, qui vulgariter dicitur
El hoch de Bitertie^ et quod ibi conveniunt cum candelis
accensis et adorant illum aprum, osculantes eum in ano
suo. Ideo captae plures earum ab inquisitoribus fidei et
convictae ignibus comburuntur. Signa autem combustarum
sunt depicta, qualiter adorant cum candelis praedicturo
aprum, in domo inquisitoris Tholosani in magna multitu-
dine camisearum ^) , sicut ego propriis oculis aspexi. —
*) Diese Scenen waren also auf das Sanbenito gemalt.
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 2 s ^
Worauf bezieht Spina sein obiges Ideo? Wurden die
Weiber verbrannt, weil sie eine Handlung begingen, deren
Realität der Verfasser läugnet, oder desshalb, weil in ihrer
Versicherung eine gegen den Kanon Episcopi gehende
Ketzerei lag?
Hätte der ehrliche Spina gewusst, was in demselben
Jahre, wo er diess schrieb, in Artois vorging, so würde
er sich überzeugt haben, dass die Inquisitoren jetzt ent-
schlossen waren, auf den Kanon Episcopi sehr wenig, auf
Glauben an die Realität der Hexenfahrten aber desto mehr
Gewicht zu legen.
Pierre le Broussart*), Dominikaner imd Inquisitor
zu Ar ras, liess 1459 während der Abwesenheit des dasi-
gen Bischofs ein Weib von Douay, Namens Deniselle, ver-
haften und in die Gefängnisse des bischöflichen Palastes
bringen. Sie war von dem Eremiten Robinet de Vaux,
den man kurz vorher zu Langres als Waldenser verbrannt
hatte, nebst mehreren andern Personen als Mitschuldige
bezeichnet worden. Die Geistlichen des Bischofes schritten
zum Verhöre, besondem Eifer zeigte der Kanonikus Du-
bois. Deniselle gestand auf der Folter, dass sie auf der
Waldenserei (vauderie) gewesen und daselbst verschiedene
Personen gesehen habe, unter diesen Jean Lavite, genannt
Abb6 de peu de sens. Demzufolge wird auch dieser ein-
gezogen und gefoltert; er gesteht und veranlasst seiner-
seits wiederum Verhaftungen von Vornehmen und Ge-
ringen, Geistlichen und Weltlichen, so dass sich die Sache
immer weiter verzweig^. Viele Stimmen erheben sich jetzt
für die Niederschlagung des Prozesses; aber Dubois und
der Franziskaner Johann, Bischof von Barut und Suflfragan
von Arras, bestehen auf der Fortsetzung ; man sendet den
Theologen zu Cambray die Akten zu, und diese erachten,
dass die Angeklagten, wenn sie Widerruf thun, nicht am
Leben zu strafen seien. Gegen diesen milderen Spruch
•) Wir geben die folgende Begebenheit nach den merkwürdigen Memoires
de Jacques du Clercq , im 39. Band der Collection des Chroniques nationales
firan^aises von J, A. Buckon,
2 54 Dreizehntes Kapitel.
erheben sich Dubois und Johann. Ein Drittel der Christen-
heit, behaupten sie, sei waldensisch und treibe in der Ver-
borgenheit die abscheulichsten Dinge : Bischöfe und Kar-
dinäle gehörten zu der Gesellschaft, und bald werde die
Zeit kommen, wo vielleicht ein mächtiger Regent sich an
die Spitze stellen und allen Uebrigen gefahrlich werden
würde. Der Suflfragan behauptete sogar, einem Jeden es
ansehen zu können, ob er Waldenser sei ; wer ihm wider-
sprach, den erklärte er für verdächtig. Neue Verhaftungen,
Vor einer zahlreich versammelten Volksmenge schritt man
jetzt zum Gerichte; die Angeklagten standen auf einem
hohen Gerüste, Mützen auf dem Kopfe, auf welchen eine
Anbetung des Teufels gemalt war. Broussart erklärte,
dass sie der Waldenserei schuldig seien, und beschrieb
die Einzelnheiten ihres Verbrechens. Sie ritten, hiess es
in der Anklage, auf gesalbten Stöcken durch die Luft zur
Vauderie, speiseten daselbst, huldigten dem als Bock,
Hund, Affe oder Mensch erscheinenden Teufel durch den
bekannten obscönen Kuss und durch Opfer, beteten ihn
an und ergäben ihm ihre Seelen, träten das Kreuz, spieen
darauf und verhöhnten Gott und Christus ; nach der Mahl-
zeit trieben sie unter einander und mit dem Teufel, der
bald die Gestalt eines Mannes, bald die eines Weibes an-
nehme, die abscheulichste Unzucht. Der Inquisitor setzte
hinzu, dass die zum Fliegen dienende Salbe aus einer mit
geweihten Hostien gefütterten Kröte, gepulverten Knochen
eines Gehängten, dem Blute kleiner Kinder und einigen
Kräutern zubereitet sei. Der Teufel predige in den Ver-
sammlungen, verbiete die Messe zu hören, zu beichten und
sich mit Weihwasser zu besprengen; erbefehle, wenn man
seiner persönlichen Sicherheit wegen das Eine oder das
Andere zum Schein zu thun genöthigt wäre, vorher immer
zu sagen : Ne d^plaise k notre mattre *) ! —
*; In dem OriKinal des Jacques du Clercq hei^t es : Que quant 11» voul«
loient aller K ladlte vauderie, d'unc oignement que le Diable leur avoit haillit
\U oindoient une veruue de hoi* Wen pelite, et leurs palmc^ et leur^ roain*
j ui* mectoient celle verKuette entre leur« j.iml>e<. et tantost ih 5*envl^loieol
«lu iU voulloient Atre p.xr-d'-sseure h<n»ne ville^s , boi« r\ eauwes , et 1e< por*
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 2^^
Nach dem Vortrage fragte der Inquisitor jeden Ein-
zelnen, ob diess nicht alles wahr sei? Alle bejahten.
Hierauf erfolgte die Sentenz, welche die Angeklagten dem
weltlichen Arm überlieferte, ihre Liegenschaften dem Lan-
desherm und ihre bewegliche Habe dem Bischof zusprach.
In Verzweiflung schrieen jetzt die Verurtheilten : man habe
sie betrogen ; es sei ihnen, wenn sie gestünden, eine leichte
Pilgerfahrt, wenn sie läugneten, der Tod angesagt worden,
die Folter habe das Uebrige gethan; sie hätten niemals
an der Vauderie Theil genommen und wüssten nicht, was
das wäre. — Sechs dieser Personen starben 1 460 auf dem
Scheiterhaufen unter Betheurung ihrer Unschuld.
Auf die Angabe der zu Arras Hingerichteten wurden
bald darauf mehrere Personen in Amiens wegen der Vau-
derie verhaftet. Doch der dasige Bischof Hess dieselben
alsbald wieder frei und erklärte, dass er es eben so mit
allen andern, die man ihm noch zuführen sollte, machen
würde, weil er das, was man ihnen vorwürfe, für unwahr
und unmöglich hielte. Eben so in Toumay, wo ein von
dem Theologen Jean Taincture verfasster Traktat die
Folge hatte, dass alle Verhafteten die Freiheit erhielten.
toit le Diable au lieu oü ils debvoient faire leur assenibl^e; et en cc Heu
trouvoient Tung Tautre, les tables mises chargiees de vins et viandes ; et illecq
trouvoient un diable en forme de boucq, de quien, de singe et aucune fois
d'homme ; et Ih faisoient oblation et homaiges au dit Diable et Tadoroient, et
lui donnoienl les plusieurs leurs ames, et h peine tout ou du moings quelque
chose de Icurs corps ; puis baisoient le Diable en forme de boucq au derri^re,
c'est au cu, avecq candeilles ardentcs en leurs mains; et estoit ledit Abb^ de
peu de sens le droit conducteur et le maistre de les faire faire hommaige
quant ils estoient nouveaux venus; et, apres celle hommaige faite, marchoient
sur la croix et racfiuoient de leur salive sus, en depit de Jesus-Christ et de
la Sainte-Trinit^ ; puis montroient le cu devers le ciel et le fermament. en
depit de Dieu; et apr^s quMls avoient touts bien bu et raangie, ils prenoient
habitation camcUe touts ensemble. et mesme le Diable se mcctoit en forme
d'horame et de femme; et prenoient habitation les hommes avecq le Diable
en forme de femme, et le Diable en forme d'homme avecq les femmes; et
mesme illecq commectoient le peche de Sodomie, de bougrcrie et tant d*autres
crimcs si tris fort puants et Enormes, tant contrc Dieu et contre nature. quc
ledit Inquisiteur dit qu'il ne les oseroit nommer, pour doubte quc les oreilles
irnoccntes ne fuissent adverties de si villains crimes si enormes et cruelles.
:?=ir.
Mittlerweile liefene ein zweites Autodafe zu Ar ras
drei Männer und fünf Frauen auf den Holzstoss, die eben-
falls proiesdrend starben. Es waren reiche Leute unter
ihnen. Zwei andere wurden, ^wefl de gutwillig" gestanden
hätten.** nur zum Kerker verurtheflt. Gleich darauf gab
es neue zahlreiche Verhaftungen, besonders unter Be-
güterten. Mele Einwohner flohen, Arras verlor seinen
kaufimannischen Credit, die öttentlicbe Meinung' erhob sich
laut gegren das Unwesen. Der Herzog*, welcher aus Frank-
reich schlimme Urtheüe über die Verfolgimg" der Reichen
hören musste, rief eine Versammlung von Theologen nach
Brüssel, die wenigrstens die Einstellung fernerer Verhaf-
txmgen bewirkte. Die noch anhängigen Prozesse wurden
jedoch zu Ende geführt. Ein Herr von Beaufort, obgleich
derselben Vergehimgen geständig, wie die Verbrannten —
aber ohne Folter — wurde zu öffentlicher Geisselung durch
den Inquisitor, siebenjährigem Grefangniss und einer Geld-
busse M verurtheilt; zwei andere traf noch längere Kerker-
strafe: der \ierte, ein sehr reicher Mann, der Kinder zur
Bereitimg der Hexensalbe getodtet und Pulver zur Be-
schädigrung von Menschen und Feldfirüchten gemacht haben
sollte, ward, obgleich nicht geständig, verbrannt und seine
Güter wnirden eingezogen. Einer von diesen Unglück-
lichen war fünfzehnmal gefoltert worden. Viele wurden,
nachdem sie die kanonische Reinigung geleistet hatten,
gänzlich freigesprochen. Indessen mussten alle ohne Au>-
nähme die Verpflegungskosten und die Gebühren für die
Inquisitoren zahlen*).
Alle diese Bestrafungen ereigneten sich im Jahre 1 460.
Im folgenden Jahre brachten es die Verwandten des ein-
gekerkerten Beaufort dahin, dass die Sache der Waldenser
von Arras vor dem Pariser Parlament verhandelt wurde.
Hierbei stellten sich nun alle begangenen Schändlichkeiten
*) 6000 Pfund Artesisch r= 5000 Goldthal erD fQr den Stock xu Mcchcli-
der för den TflrkenkrieR bestimmt war: aussenlem 620 Pfund an verschie»if><
Kirchen.
'; Beaufort hatte allein in diese Ka^se des Inquisitors 1500 Pfunl A'-
tc^is( li zu zahlen.
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 257
in's hellste Licht: die heuchlerischen Zureden und Ver-
sprechungen des Kanonikus Dubois, die Suggestionen, die
barbarische Folter ^), die Erpressungen der Richter für sich
selbst, den Herzog und den Grafen von Etampes. Beau-
fort wurde freigegeben, und bei einigen noch laufenden
Prozessen schlugen sich der Bischof von Paris und der
Erzbischof von Reims in's Mittel. Auch der abwesende
Bischof von Arras hatte mittlerweile von Rom aus etliche
Freilassungen verfügt. Dreissig Jahre später, nachdem
unterdessen Artois an Frankreich gefallen war, wurde auch
dem Andenken und den Erben der Verbrannten Gerech-
tigkeit zu Theil. Ein Spruch des Pariser Parlaments von
1491 kassirte die Urtheile von Arras, stellte den ehrlichen
Namen der Verurtheilten wieder her und legte dem Herzog,
dem Bischof und den Richtern ausser der Erstattung der
Kosten eine namhafte Geldstrafe auf, um daraus eine Messe
für die Hingerichteten zu fundiren. Auf königlichen Be-
fehl wurde diess Urtheil öffentlich vor dem bischöflichen
Palaste zu Arras verlesen und der Tag, an welchem diess
geschah, für einen Feiertag erklärt 2). Man hielt eine
Predigt über den Text : Erudimini, qui judicatis terram, —
und stellte Spiele an^). >
*) Der Scharfrichter stand zuweilen mit gezogenem Schwerte neben dem
Torquirten, und der Inquisitor drohte mit dem Abschlagen des Kopfes , wenn
keine Geständnisse gemacht worden.
*) In dem königlichen Dekrete heisst es unter andern: Per appellatos
(die bischöflichen Vicarien , Inquisitoren etc.) nonnuUa fraudulenta inventio,
sub colore haereticae pravitatis, sortilegii seu valderiae in villa Atrebatensi
repcrta fuerat. Ferner geht aus den.selben hervor, dass die Inquisitoren von
einer nefandissima secta valderiae geredet haben.
•) Dieselben Ereignisse erwähnt der Jurist Franz Balduinus, gebürtig aus
Arras, Comment. in Institut. Hb. IV. Tit. 18, p. 774 : Quo gravius et ab ho-
minis ingenio magis alienum est hoc roalum (die Zauberei), eo major adhibenda
est cautio, ne quis ejus praetextu ab adversariis temere obruatur. Facile enim
hie quidvis confingere potest ingeniosa simultas, ut et multitudinem statim
commoveat et attonitos judices irritet adversus eum , quem cum daemonibus
rem habere mentiatur. Ante annos sexaginta sensit infelix nostra patria magno
suo malo hujusce generis calumnias. Magna erat Valdensium mentio. quos
adversarii jactabant nescio quid commercii habere cum immundis spiritibus.
Boldan- He ppe, Uexenprozesse. H
.-^TTiix. "ii 1 . -: ^ ^»-^ ^^ i.*^«* TTiirr fae Sache g^
iier — r^r^t-rz. -rin-rTTtiir^r*! *:i*:i»ir»t*?^2a: V:rIa-rÄr der Re-
-^iT 'il-ierL-rrrii^nr iiii: -s.rH:::«*r^ r:«rr^urc ^ienttsch. In
-Ir i:»r H^-i-rrr». Zr l-c zr i»rn Nl»f Ir^rli:rii*rn^ rr:i Gebrauck
^'V: i/t'ie*i . 'Vrrnn i:»rr ii»r -:n;^i.^?i--rwr m Arras. wo die
Z.ii.:rC-Ti-: i'cT 'Vil.i»er:^j*rr rvr:if-'lzj^ iiz. :i:iter dem Aus-
'".Ir-^-r^iZLÜr: rrrtTr Vii-i.._-rie Iie ^ei-rhec iura Tode ru
rl?_'-^< T-rrrtir.iT': -^- -vir tierTm': -e^in. irooeker Zweck
rrrrri'.lii -sL-i: 'stif:-': tr"". -^:>-i ~'ir i-?n c: cse::uentesten und
^>.r-^-:^i:^'Tt'ra Tri^-rrm irrr rr::r::i^::nscben Tendenzen
i-r? Ji^rh^'i-rn- rin S:>»Lr il'r-rk-r.i! v?r den Augen der
V/r:!:, -st-r. l-rrü iie fUli-e- r::^:^::^ iu:h l'^n eig^enen Beutel
a.^* l-^rTT* ■:-:r<.i':l:-i*:>--en Uejerfu'?'^«*. Bald brach auch in
''irrr Di^^rir.- ►rin-rr Verf.lcun^ d-er Walien&er aus: die
V'hr-.i-i^'-hen unt-^r KTr.:^ WliüsLius sihen sich genothigt.
IVrr dif: ihr.-rn ^-eriLichten Vorwirte der ruchlosesten
I^*V:rhär::^k»r:t Be^zh-^ferle zu fuhren, und als der sonst
v> ?>:;f ^tte Ludw:;^ XL dem scrLimIo>en Unwesen der In-
q.*:-it>r»:n auf eine für d:e:s?lben nicht sehr ehrenvolle
We!-j^5 ^e-^teuert hatte, wieierholte bald darauf Innoceiu\TII.
;(an/ ähnliche Anklae^^n ^^e-^en jene Sekte in Süd^Frank-
reich.
S^-r..!»*' Pir;«:'r*%.* ca-va co.;n.ta vMit. '^ era-» «:>-< »ycophantias, infelices ftw'i
li'/^Twr», ,n.\.T'*.^.^ *ycoj h.ir.ta.« cum .r.i^^w i^-iiciru'» damoavit.
'; Elfi Eiifci der ^paniscr.rrn Re^^ieniDK in den Niederl Anden vom 20, Ju-
li i« IV/2 .»-^MHet d**n Bischöfen und Gerichlsh"fen die eifrig Verfolgung der
y,ai.f.*T»T r lunarnmerit c«?ulx ou Celles qui peuvcnt eslrc les plus dil&niei
dViiif»- .lrvifi%, rnctuintpiirs. wrciers, rtiuJois, «m notez des sembUbles mali-
f,r*«t OH ^rimei it^. — {Cannaeri Bydrai^en pa>:. 198.) J^nktys (de Pynbank
wrilpf»|,rok»-n pfi l)ernati,^t. Rotterdam, 1651, pag. 177) spricht von der lu<t-
|illr liiuhrvd «Irr toovrresv-n In de vauderyen en Venus-maaltyden.
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 2 SO
So Stand es in den romanischen Landen. In Deutsch-
land dagegen, wo die Inquisition seit dem Tode Conrads
von Marburg nie wieder hatte Boden gewinnen können,
war die Lage der Dinge noch in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts eine günstigere. Denn hier galt noch immer
— wenigstens vorherrschend — der Gedanke, dass Hexerei
ein nichtiger Aberglaube sei, den die Kirche ganz ebenso
wie die Ausübung sonstigen heidnischen Unwesens nur mit
Excommunikation zu bestrafen habe. Ein von dem Erz-
bischof Balduin 1310 in der Peterskirche zu Trier ver-
sammeltes Provinzialconcil stellte bezüglich des heid-
nischen Aberglaubens eine Reihe von Kanons auf, in denen
wir Folgendes lesen*): 79. Wahrsagerei, Sortilegien, die
Anwendung von Mitteln zur Erweckung der Liebe etc.
werden verboten. 80. namentlich auch die sortes sanctorum,
apostolorum vel psalterii, wobei man die Bibel zur Er-
forschung der Zukunft missbraucht. 81. Kein Weib darf
vorgeben, dass sie Nachts mit der heidnischen
Göttin Diana oder mit der Herodias ausreite.
82. Beim Kräutersammeln darf man keine Zaubersprüche
und keine anderen Formeln anwenden als das Vaterunser
und das Symbolum. Auch darf man auf die Zettelchen,
welche getragen werden, nichts Anderes schreiben. Be-
sessene dürfen Steine imd Kräuter aber ohne Zaubersprüche
anwenden. Es ist nicht erlaubt auf die ägyptischen Tage
(zwei von den ägyptischen Astrologen als unglücklich be-
zeichnete Tage jedes Monats), auf Constellationen und
Lunationen (Mondswandlungen) auf die Kaienden des Ja-
nuars und der übrigen Monate, auf den Lauf der Sonne,
des Mondes und der Sterne abergläubisch zu achten, als
ob hierin besondere Kraft liege. 83. Es gibt keine Tage
und Zeiten, die an sich glücklich oder unglücklich sind,
so dass man da irgend etwas beginnen soll oder auch nicht.
x\uch darf man nicht aus dem Fluge und Geschrei der
Vögel oder aus dem Anblick eines Thiers auf Glück oder
Unglück schliessen. 84. Aus dem Sternzeichen, in welchem
0 Bei Hefele, Conciliengesch. B. VI., S. 437—438.
2(u} Dreizehntes Kapitel.
Jemand gcjboren ist, darf man nicht seine Sitten undSchick-
salo voraussagen, auch sich nicht nach diesen Zeichen
richten, wtuin man ein Haus bauen oder eine Ehe schliessen
will u. dyl. — In gleichem Sinne dekretirte ein im Jahr
I ,\.\i) /u Prag versammeltes Provinzialconcil, dass aIle^
Zauborwerk purer Aberglaube und darum mit Excomniuni-
kation /u bi^strafen wäre. Dieselbe Bestrafimg war übri-
gtM\s i.»i)0 von einem italienischen Provinzialconcil zuGrado
und spütt^r (^1335) auch von einer spanischen Synode zu
Salanumka ^) angeordnet worden.
1 Unrichtungen wegen Zauberei finden wir in Deutsch-
land t^rst um die Mitte des fünfzehnten Jahrhimderts be-
riohtot : doch kamen dieselben damals nur noch ganz ver-
oit\/oU vi>r. Dass im Jahr 1446 etliche Frauen zu Heidel-
Ihm^jiJ^ unttT Mitwirkunvr des Ketzermeisters wegen Zauberei
vorbraniu wunleix. or/ahlt uns der gleichzeitige Dr. Hart-
Uob^V Im folvii^tulon Jahre» als man ein anderes AVeib,
vla> al> dio Lohrnun>terin der Hingerichteten galt, einge-
rv\v:oi\ halto, erwirkte sich H^utlieb bei dem Pfalzgrafen
die l rlaubtxisN die liotan^vno in Gegenwart des Inquisitor»
(iber die KuunI» Rev^vu und Hagel lu machen befragen zu
dürteu. Al> er ivsUvh veniahm. doss die>e Kunst nicht
erlvMv.; wervieu kv^unte, v^htte Gou. die Heiligen und die
Ss4vra:v,t^:ue ^u \erl,i.ux:^ien uuvl sich drei Teufeln zu er-
jce>v rv >N^ >:a*,ul er vu;\ v^'i al\ Djls Weib wurde verbrannt.
rH*-tu'.Ne*.x>*\\e::h i>t ü^r\*:e:T> »u vl;e>e:n Berichte nicht nur
d*.;^ >N^':i>5 ut'.<xn\v^>»',lu^he Atu^ihl \vki vltv: Teufeln* . ?<'n-
vu:**, AUvh Ha::1:oI"V .vvV*<lu\t'^ \\^rj.usseL:ung , da>s dä>
,*. \ . N »' s,» ♦.
"... V ,i i c» *•.. V c» X- < V »^«r 1.7«:^* «zd i«f LiiitTr .
. v^,"» ',* .V«' ♦.\» i * V»' • A V ..'w^"4 V ? » :*. I ' -e*: ^. - S» vi.-'.i-a * rv*;tx!.<
* Sv,^* . , H.,*o* , ^. vr ^. ♦ . ^t :.c^ ^^.•'.♦^ : itz -'^«
1 i«*.»r«^M Ti«:*t >v{ :. • *o vr * '»^ ;>:<-..v :«- ^ ,'*>a.:**n«:'j • >»«e "«i Ja4 - i
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_ •.: »i V ■» •:! ■ •»• ^ i . *•* * **'! .''.•^•T'- -' -^T : ^--^ •2C 2'^
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 26 1
Wettermachen ohne die Verläugnung des christlichen
Glaubens zu erlernen sei.
In Hamburg wurde nach den Kammerrechnungen
der Stadt von 1 444 in diesem Jahre eine mulier divinatrix
und eine andere incantatrix verbrannt. Auch aus dem
Jahre 1458 wird die Verbrennung eines Weibes erwähnt.
Die nächstfolgende derartige Hinrichtung kam erst 1482
vor. Damals hatte eine Bauersfrau in dem Hamburgischen
Dorfe Eppendorf, um ihren Kohl im Garten zu besserem
Gedeihen zu bringen, bei dem Empfang der Communion
die Hostie aus dem Munde genommen und in ihrem Garten
unter einem Kohlstrauch vergraben. Die Sache wurde
indessen späterhin ruchbar, und die Geistlichen des im
Orte befindlichen Klosters fanden bei Vornahme einer
feierlichen Nachgrabung, dass die Wurzel dieses Strauches
wie ein Kruzifix geformt war. Das Weib ward daher
von dem Recht mit dem Tode bestraft^).
In Frankfurt a. M. wurde i486 ein Gaukler, der
sein Glück auf den Messen versuchte, als der Zauberei
schuldig, im Main ertränkt 3).
In den Niederlanden kamen wohl hier imd da im
fünfzehnten Jahrhundert Leute zur Anzeige, welche mit
dem Teufel im Bunde stehen und verderbliche Zauberei
(wigchelary) treiben sollten; allein aus der Zeit vor 1472
liegt keine Nachricht über eine desshalb vollzogene Hin-
richtimg vor. Man bestrafte die Hexen und Zauberer mit
Ausstellung an den Pranger, Landesverweisung u. s. w.
In den Registern der bischöflichen Stadt Utrecht findet
sich zum Jahr 1440 die Eintragimg vor, „dass in der Stadt
viel Zauberei im Schwange sei imd von Männern und
Weibern ausgeübt werde, und dass daher der Rath das
Zaubern unter Glockenschall habe verbieten lassen, unter
Androhung von einjähriger Verbannung aus der Stadt,
*) Trümmer, Vorträge, S. 108 — 110.
*) Kirchner, Gesch. der Stadt Frankfurt (Frankf. 1807) Th. 1., S. 504. —
Uebrigens scheint sich Frankfurt späterhin von der Hexenverfolgung ganz
frei gehalten zu haben.
202 Dreizehntes Kapitel«
weil das Zaubern gegen Gottes Wort sei*' *). Erst aus dem
Jahr 1472 wird ein Todesurtheil erwähnt, welches zu Almen
an einer Dienstmagd wegen angeblicher Hexerei voll-
zogen ward*).
In der Schweiz treten im vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhundert viele Fälle von Zauberei hervor, aber das
eigentliche Hexenwesen war dem Volke noch fremd, wess-
halb auch die von den Päpsten im fünfzehnten Jahrhundert
angeordnete criminelle Verfolgung desselben hier nur spo-
radisch vorkam. Als die B e r n e r in der Mitte des Som-
mers 1383 vor Ölten zogen und das Schloss stürmen wollten,
vernahm Graf Eberhard von Kyburg, der sich darin be-
fand, es sei eine Frau daselbst, „die könne etwas", womit
dem Schloss und den Leuten zu helfen sei. Der Graf Hess
sie holen und nachdem er versprochen, er wolle
nichts gegen sie vornehmen und sie auch nicht
anzeigen, stellte sie sich neben ihn auf die Zinne und
sprach heimlich einige Worte, worauf alsbald eine Wolke
über" den Berg herein kam und sich mit einem solchen
Unwetter entlud, dass die Bemer eiligst abziehen mussten').
— Hundert Jahre spater, im Jahr 1482, fühlte sich die
Berner Obrigkeit veranlasst zur Besserung gemeiner
Landesbresten gegen Gespenst, Hexenwerk, Zauberei und
Ungewitter gewisse Schutzmassregeln zu ergreifen und
ordnete als die wirksamsten hierzu dienlichen Mittel be-
sondere Gottesdienste, Messen, Prozessionen sowie den
Gebrauch von geweihten Palmen, Salz, Kerzen u. dgl. an *).
Doch waren vorher, namentlich 1454, auch Hinrichtungen
von Hexen in Bern und Solothurn vorgekommen*).
In Basel war die gewöhnliche Strafe für Zauberei
die „Leistung vor den Kreuzen** (den Grenzsteinen der
*) C. ßurman, Utrcchtsche Jaarboeken, B. 1., S. 513.
•) Schcltema , Geschiedenis der Hecksenproccssen, S. 120.
•) Justifti^er, Berncr Chronik, herausgcg. von Slicrlin und Wysi (Bern.
18 ly) S. 205.
*) Anssilm, Berner Chronik, heraus^cg. von Stierlin und Wyjw, B. !•
s. 307 ff.
•) TilUer, Gesch. des Freistaats Bern, B. 11. S. 516.
-.--.^
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 263
Stadt), d. h. temporäre oder ewige Landesverweisung. In
dem noch jetzt vorhandenen „Leistungsbuch" von 1390
bis 1473 (einer Sammlung von Rathsbeschlüssen und Straf-
erkenntnissen) liegen Nachrichten über Zaubererprozesse vor,
welche merkwürdiger Weise gerade Personen aus den
adelichen und vornehmsten Bürgerfamilien der Stadt be-
trafen. Im Jahr 1399 wird eine Frau verurtheilt, „fünf
Jahre vor den Kreuzen zu leisten**, weil sie mit ihrer Zau-
berei einen Mann zur Armuth gebracht hatte. Ein grosses
Aufsehen machender Prozess gegen Zauberei kam 1407
vor, welchem ähnliche Prozesse 141 4 und 141 6 nachfolgten.
Im Jahr 1 433 schwur ein Maifn von Läufelfingen bezüglich
einer daselbst in Haft sitzenden Frau zu Gott und den
Heiligen : „Als er an einem Donnerstag um Pfingsten vor
einem Jahre um Mittag gen Bukten zum Wein gehen
wollte, sah er die Verhaftete von Bukten gegen ihn heran
fahren, auf einem Wolfe reitend, und lief der Wolf für
sich und sass sie hinter sich und hielt dessen Wedel in
der Hand. Er erschrak zum Zittern und lief hinter einen
Baum sich zu verbergen. Da sah er das Weib schnell
dahinfahren, ging dann weiter und war froh, so davon ge-
kommen zu sein.** Uebrigens wollte man 1451 auch eine
wirkliche Hexe entdeckt haben; sie wurde hingerichtet*).
Von besonderer Bedeutung sind die Nachrichten, welche
über die in der französischen Schweiz vorgekommenen
Prozesse vorliegen 2). Dieselben sind noch wesentlich
Ketzerprozesse, zeigen aber , dass der ganze Wahn-
sinn, der aus den Hexen im siebenzehnten Jahrhundert
herausgefoltert wurde, auch den Ketzern im fünfzehnten
Jahrhundert imtergeschoben wurde, und dass die Hexerei
als wesentliches Moment der Ketzerei galt.
Die Inquisition lag hier in den Händen des bischöf-
lichen Offizialats zu Lausanne, welches dieselbe durch
*) Btixtorf'Falkeistn , Basler Zauberprozesse aus dem vierzehnten und
ffiofzehnten Jahrhundert. Basel, 1868.
*) Wir berichten nach der Schrift: Les sorciers dans le pays de Neuchatel
au 15. 16. et 17. siecle. Recherche* curieuses sur les procedures instruites
par Vlnquisition etc. Locle, 1862.
znx Lr^izxanmt Kapital.
Predi^ermöcche im Waadtland, und in den Landen von
FreibuiY ^^^^ Xeuchatel ausüben Hess. Die Au%abe der
Inquisitoren war. alle Diejenigen aufzuspüren» welche des
Verbrechens der Ketzerei. Zauberet und WaWenserei —
denn diese Bezeichniingen arahen als gleichbedeutend —
verdächtig' waren ^ . Der erste Prozess* über welchen wir
Nachricht haben, gehorte dem Jahre 1430 an; im Jahr
1 4 5 1 ft>lgten demselben sechs andere nach. Seitdem scheinen
dieselben in den g'enannten drei Landen in immer mehr
anwachsender Zahl vorg-ekommen zu sein. Von der An-
wendung der Folter ist in der vorlieg'enden Berichterstattung
keine Rede, doch ist ohne dieselbe die Erpressimg der
(den Geständnissen der Hexen im siebenzehnten Jahrhun-
dert g'anz g^leichartigen^ Aussagen der ,JCetzer" absolut
unerklärlich. Das Urtheil lautete auf Tod durch Feuer.
Tod mit Verstümmelung der Glieder u. s. w. — Das Ver-
mögen des Hingerichteten wurde regelmässig confiscirt
Zwei Drittel desselben fielen dem Fiscus zu und ein Drittel
dem Officium der Inquisition.
Zur näheren Charakterisirung dieser „Ketzerprozesse"
theilen wir den Verlauf eines der spätesten Prozesse mit.
welcher 1481, also kurz vor dem Erscheinen der Bulle
Innocenz' VIII. und des Hexenhammers vorkam. Derselbe
betraf einen gewissen Rolet Croschet, der am 27. Nov. 14^'
„pour cas dTier^sie" dem Inquisitor vorgeführt wurde.
Derselbe gestand (unzweifelhaft nach vorgängiger Tortur)
Folgendes : Er sei ein Ketzer, und vor etwa vierzig Jahren
in die „Sekte" eingetreten. Bei der ersten Versammlung
derselben, die er besucht, sei der Teufel als ein grosser,
schwarzer Mann zugegen gewesen. Derselbe habe sich
jedoch in einen Hammel verwandelt, worauf er ihm zum
Zeichen seiner Huldigung den Hinteren gekOsst habe.
Darauf habe ihm der Teufel, der sich selbst Robin ge-
') In der angezogenen Schrift h^isst es S. 8 bezQglich der Protesse. weiche
in den Jahren 1 430— 148 1 im Jurisdictionsgebiet des Bischofs v. LauMO"^
vorkamen : A cette epoque c'etait l'Officialite de Lausanne, qui recherchJit
le« individus suspects d'heresie» de sorcellerie, de bougrcrie ou de
V a u d e r I e ; car crs tnctt itaitHt synonimts^
•^
Abnahme der Hexenprozesse in Frankreich etc. 26s
nannt, um ihn als sein Eigenthum zu zeichnen, den Nagel
des Mittelfingers der rechten Hand (ziemlich schmerzlos)
abgenommen. Gleichzeitig habe er Gott, den katholischen
Glauben und die Sacramente der Kirche verleugnet und ein
in den Fussboden gezeichnetes Kreuz mit Füssen getreten
und verflucht. Auch habe er wiederholt die in der heil.
Communion empfangene heil. Hostie dem Teufel gebracht,
der sie einem schwarzen Hunde gegeben oder sonstwie
geschändet und verderbt habe. Die Versammlungen der
Sekte fanden regelmässig am Freitag statt. Bei denselben
brenne ein grünes, mit gewöhnlichem Feuer gar nicht zu
vergleichendes Feuer. Die Stimme des (immer schwarz
gekleideten) Teufels töne rauh und heiser durch die Ver-
sammlung. Der Teufel habe ihm auch verboten geseg-
netes Brot und Wasser zu gebrauchen und sich dem Kreuze
zu nähern. Das eigentliche Fest der Versammlung beginne
mit einer gemeinsamen Mahlzeit, wobei namentlich das
Fleisch kleiner Kinder verzehrt werde. Nach Beendigung
der Mahlzeit gehe man zum Tanze über, auf welche dann
die wildeste geschlechtliche Vermischimg zu folgen pflege.
Einer der Sekte sei Probst derselben, der allen Genossen
Geld auszahle, ihnen die Malefizien auftrage, die sie
den Menschen zufügen sollten, und ihnen für den
Fall, dass diese Malefizien nicht ausgeübt würden, mit
Entziehung der Unterstützungen drohe. Von dem Teufel
habe er eine harte Salbe in der Grösse einer Nuss er-
halten. Mit derselben bestreiche er einen Besenstiel, auf
welchem er zur Sekte fahre. Zur Zubereitung dieser Salbe
würden namentlich die Herzen kleiner Kinder verwendet.
— Schliesslich gab der Inquisit noch eine Reihe von Per-
sonen an, welche* er als Mitschuldige und Angehörige der
„Sekte" auf den Freitagsversammlungen gesehen haben
wollte. — Nach diesen Geständnissen ward Rolet Croschet
auf dem Platz vor dem Schlosse Boudry lebendig ver-
brannt. — Wenige Jahre später wurden die Prozesse,
welche man bisher als „Ketzerprozesse" geführt hatte,
ganz in der bisherigen Weise unter dem Titel „Hexen-
prozesse" fortgeführt.
266 Dreizehntes Kapitel.
Ungarn war selbst noch im fünfzehnten Jahrhundert
von der Hexenverfolgung ganz frei. Das Ofener Stadt-
recht (dessen letzte Redaktion vor 1421 fallt) bestimmte,
dass man Hexen und Zauberer, wenn man sie zum ersten
Male ergreife, an einem Freitage auf einem besuchten
Platze der Stadt auf einer Leiter, mit einem Judenhut
auf dem Kopf, an welchem die heiligen Engel gemalt
wären, vom Morgen bis zum Mittag sollte stehen lassen.
Darauf sollten sie schwören von ihrem Irrthum ablassen
zu wollen und alsdann sollen sie frei sein. Würden
sie aber zum zweiten Mal um desselben Vergehens willen
eingebracht , so sollte man sie wie Ketzer brennen *). .—
Mit dieser Bestimmimg des Ofener Stadtrechts sind zwei
Verfügungen des Erzbischofs von Gran von 1447 und 1450
über die der geistlichen Gerichtsbarkeit unterworfenen
Sachen zusammenzustellen. In denselben wird wohl die
Ketzerei, nicht aber die Zauberei erwähnt, was hinlänglich
beweist, dass man sie von der Ketzerei nicht trennte und
dass man ihr nicht die selbstständige Bedeutung beilegte,
die sie in den romanischen Landen bereits erlangt hatte ^).
*) F. MulUr, Beitr, zur Gesch. des Hexenglauhens und des Hexenproiesses
in Siebenbürgen (Braunschw. 1854), S, 11 u, 16.
VIERZEHNTES KAPITEL.
Die Hexenbulle von Innocenz VIII. Der Malleus
maleficarum.
Im letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts lyaren
Heinrich Institor (Krämer) für Oberdeutschland und
Jakob Sprenger für die Rheingegenden als Inquisitores
haereticae pravitatis bestellt worden und hatten es als
zweckmässig erachtet, ihr Geschäft vorerst durch Ver-
folgung des Hexenwesens zu popularisiren. Aber auch
hierbei stiessen sie auf heftigen Widerspruch. Aus ihren
eigenen Klagen entnehmen wir, dass derselbe nicht nur
gegen ihre richterliche Competenz, sondern auch gegen
die Sache selbst gerichtet war. Es muss dem Vaterlands-
freunde erfreulich sein, zu bemerken, wie schon damals
oder vielmehr noch immer unter unsem Vorfahren nicht
selten die Behauptung laut wurde, dass es nirgend anders
Zauberei gebe, als in den Köpfen derjenigen, welche na-
türliche Wirkimgen, deren Ursachen ihnen verborgen sind,
aus derselben erklären wollen ^). Häufiger noch sprach
*) Quidam — — — conati sunt asserere, maleficium nuUum esse in
mundo, nisi in opinione hominum, qui naturales effectus, quorum causae sunt
occultae, maleficiis imputabant. Mall. Mal. p. 3, Ed. Francof. 1588.
ut meleficorum opera non incredibilia videantur, sicut hucusque in magnam
fidei contumeliam et ipsorum maleficonin) augmentum factum est. Pag. 225,
und so flftcr.
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M*/*>'. /—f',..' .-.^ . '*i ^.hvci^cr »Ge^ h. >-r Hexenpr. L S. 3v*), Schchemi
^/,# /'. * >'... rjff H»-ic«'^r.pr''<t'»^n. .'fter^ , Car-iaen fBvdrazvn lol de Kern»«
VÄ*. ; "♦ 'fi'I» vr-«ff*".r.t ir. VUenderen, Gen! lS3o. p. 1*>S) u. A,
* M« ^ir.,/*>f p>',Mj«ch'-n L>bcrtrer''jng »gte von ihm ein Dbtichoo:
f;r.to Xoctm jijerot xcnuil totidcmque puellas,
H'jic rij^Tiio poteril dicerc Roma patrem.
t\u*x\ ( j.^f.ikJer vr.J'irrt in sehr un,iQnstigeni Lichte der ehrliche Fleury.
*) ]i\r lUiUr firtdf't %'uh ab^^edruckt im Bullavium romanum zum Jahre
nHi. und in liütkofft Gc»ch, des TcufrU B. II., S, 222— 22!S (hier jedoch
nc tii K>in/ «rirr^kt und darum nicht sanz verständlich).
Die Hexenbulle von Innocenz Vlll. Der Malleus maleficarum, 269
dass, wie ihm zu Ohren gekommen sei, jüngst in einigen
Theilen von Oberdeutschland, wie auch in der Salzburger,
Mainzer, Kölner, Trierer Kirchenprovinz viele Personen
beiderlei Geschlechts vom Glauben abgefallen seien, mit
detm Teufel gottlose Bündnisse eingegangen, Menschen
und Vieh grosses Unheil zugefügt, und auch sonst argen
Schaden verursacht hätten. Er sagt nämlich : Sane nuper
ad nostrum, non sine ingenti molestia, pervenit auditum,
quod in nonnullis partibus- Aleraanniae superioris nee non
in Moguntinensi , Coloniensi, Trevirensi, Salzburgensi et
Bremensi provinciis, civitatibus, terris, locis et dioecesibus
complures utriusque sexus personae, propriae salutis im-
memores et a fide catholica deviantes, cum daemonibus
incubis et succubis abuti et suis incantationibus, carminibus
et conjurationibus aliisque nefandis superstitionibus et sorti-
legiis, excessibus, criminibus et delictis mulierum partus,
animalium foetus, terrae fruges, vinearum uvas et arborum
fructus nee non homines, mulieres, pecudes, pecora et alia
diversorum generum animalia, vineas quoque, pomaria,
prata, Jpascua, blada, frumenta et alia terrae legumina
perire, suffocari et extingui facere et procurare, ipsosque
homines, mulieres, jumenta, pecora, pecudes et animalia
diris tam intrinsecis, quam extrinsecis doloribus et tormentis
afficere et excruciare ac eosdem homines ne gignere, et
mulieres ne concipere, virosque ne uxonibus, et mulieres
ne viris actus conjugales reddere valeant, impedire; fidem
praeterea ipsam, quam in sacri susceptione baptismi sus-
ceperunt, ore sacrilego abnegare, aliaque quamplurima ne-
fanda, excessus et crimina, instigante humano generi ini-
mico , committere et perpetrare non verentur, in animarum
suarum periculum, divinae majestatis ofFensam ac pemi-
ciosum exemplum et scandalum plurimorum. Hierauf klagt
die Bulle, dass einige vorwitzige JECleriker und Laien
(clerici et laici quaerentes plura sapere, quam oporteat)
den bestellten Inquisitoren die richterliche Competenz in
den genannten Ländern bestritten und dadurch zum grossen
Seelennachtheil der Betheiligten die wohlverdiente
Bestrafung der bezeichneten Gräuel verhindert haben.
2*70 Vierzehntes Kapitel.
Daher werden die beiden Dominikaner Jakob Sprenger
und Heinrich Institor, denen als Notar ein Geistlicher
des Bisthiuns Constanz, Job. Gremper beigegeben wird,
aufs Neue für die Kirchenprovinzen Salzburg, Mainz, Trier,
Köln, Bremen *) als Inquisitoren über das Verbrechen teuf-
lischer Zauberei mit der Vollmacht autorisirt, gegen die
Uebelthäter mit Einkerkerung und sonstigen Strafen ein-
zuschreiten und von den Kanzeln herab das Volk über
das Wesen der Hexerei zu belehren imd vor derselben
zu verwarnen. Zugleich wird der Bischof von Strassburg
aufgefordert und ermächtigt , die Inquisitoren auf jede
Weise zu schirmen und zu unterstützen, die Gegner der
Hexenverfolgung, wess Standes und Würden sie seien, mit
Suspension, Bann imd Interdikt zu belegen, und nothigen-
falls auch den weltlichen Arm gegen sie anzurufen.
Wir sehen also hier — imd das ist die eminente hi-
storische Bedeutung dieser verhängiüssvollen Bulle — das
Papstthum sich zu einem in die bestehende kirchliche
Ordnimg des Reichs tief eingreifenden Gewaltakt erheben,
zu dessen Ausfuhrung allerdings die Regierungszeit des
schwachen Kaisers Friedrich DI. ganz geeignet war.
Es wurde verkündet, dass in Deutschland ein geheimes
Reich des Satans bestehe, zu dessen Vernichtung sich der
Statthalter ^Gottes erhob. Dazu musste freilich einem
grossen Theile des Klerus und der Gemeinden der Glaube
an das wirkliche Bestehen dieses Reiches erst noch bei-
gebracht werden. Daher werden nicht allein die Inquisi-
toren ermächtigt, überall, namentlich da, wo Bischöfe und
Pfarrer sich zur Hexenverfolgung nicht geneigt zeigen,
zur Aufregung des Volkes beizutragen, die Kanzeln zu
gebrauchen und alle Mittel des kirchlichen Strafrechts zur
Anwendung zu bringen, sondern es wird auch — mit Nicht-
achtimg der hierarchischen Auetoritat der Diocesanbischofe
— der erbärmliche und geldgierige Bischof von Strassburg,
') Geographisch bezieht sich also die Bulle fast auf ganz Deutschland,
mit Ausnahme des nordöstlichen Theils, indem die ErzdiOcese Magdeburg
(mit den zu der Kirchenprovinz gehörenden DiÖcesen) nicht genannt wird.
Die Hexenbulle von Innocenz VIII. Der Malleus maleficarum. 2 71
Albert von Baiern, zum Oberaufseher über die Hexen-
verfolgung bestellt und in ganz unkanonischer Weise
autorisirt.
Die Lehre aber, welche den Deutschen von den In-
quisitoren mit Berufung auf die apostolische Auctorität des
Papstes verkündet werden soll, ist folgende: i) Es gibt
in der Christenheit eine Hexerei, welche eine mit Hülfe des
Teufels bewirkte Zauberei zum Zwecke vielfacher, entsetz-
licher Schädigung der Menschen ist; 2) diese Hexerei
beruht auf einem mit dem Teufel abgeschlossenen Bund,
und 3) dieser Bund beruht auf Abfall vom christlichen
Glauben, indem die Zauberer und Hexen sich von Gott
los- und sich dem Teufel zusagen und dadurch ihres ewigen
Seelenheils verlustig gehen.
Von Hexenfahrten, von Vermischungen der Hexen
mit dem Teufel etc. wird nichts gesagt.
Die in der Bulle aufgezählten Malefizien gegen Per-
sonen und deren Eigenthum würden, ihre Wirklichkeit
vorausgesetzt, an und für sich vor das weltliche Forum
gehört haben; allein sie werden hier der kirchlichen In-
quisition und Verfolgung zugewiesen, weil sie als Wirkung
des Abfalls von Gott und vom Glauben, als Werke des
Teufels gelten sollen. —
Mit der Bulle des Papstes ausgerüstet begannen nun
die beiden Inquisitoren in Deutschland ihre grausige Ar-
beit. — Binnen fünf Jahren waren in der Diöcese Constanz
und im Städtchen Ravensburg 48 Personen — weil sie
Dämonen -als Incuben zugelassen haben sollten, — auf den
Scheiterhaufen gebracht. Der College der beiden Inquisi-
toren, Cumanus, Hess in dem Einen Jahre 1485 in der Graf-
schaft Wormserbad sogar 41 Unglückliche verbrennen.
Indessen fanden die Genannten doch alsbald, dass die
methodisch betriebene Hexenverfolgung überall in Deutsch-
land ebensowenig nach dem Sinne der Hierarchie als nach
dem des Volkes war. Selbst in Tirol und Salzburg ver-
mochte Heinrich Institor für seine Mission nirgends rechten
Boden zu gewinnen. Zwar wurde in Tirol am 23. Juli 1485
wie überall in Deutschland die Bulle Innocenz VIII. durch
2^2 Vierzehntes Kapitel.
den Bischof von Brixen, Georg Golser, publizirt, und am
14. Oktober desselben Jahres nahm die Hexenverfolgnng
ihren Anfang ^). Alle wegen Hexerei verdächtigen Per-
sonen wurden auf die Folter gespannt, und nach ihren
Vergehen und ihren Mitschuldigen befragt. Die Folge
davon war, dass über zahllose Familien namenloses Elend
kam. Selbst die eigenen Familienangehörigen wnirden von
den Gefolterten als Mitschuldige genannt, und selbst in
das Haus des damaligen Regenten von Tirol, des Erz-
herzogs Sigmund griff die Denunciation ein ^). Ein Sturm
der Entrüstung ging durch das ganze Land. Die Folge
davon war daher, dass der Bischof dem Inquisitor in sehr
gemessener Weise befahl, das Land zu verlassen und in
sein Kloster zurückzukehren. — Auch die Stände de.s
Landes wollten von Hexenverfolgungen durchaus nichts
wissen. Auf dem tiroler Landtag, der im August 1487
zu Hall im Innthale versammelt war, wurde dem Erzherzog
Sigmund gegenüber laut darüber geklagt, dass in jüngst
vergangener Zeit „viele Personen gefangen, gemartert und
ungnädiglich gehalten worden seien, was doch merklich
wider Gott und Sr. Fürstl. Gnaden Seelen Seligkeit und
wider den Glauben ist^). — Der Erzherzog, der die Hexen-
verfolgung gern begünstigte, kam darüber ins Gedränge
und forderte daher, um womöglich sich auf eine juristische
Auctorität berufen zu können, dem angesehenen Juristen
Ulrich Molitoris, der zu Pavia die Würde eines Dok-
tors des kanonischen Rechts erlangt hatte und seit acht-
zehn Jahren die Stelle eines Procurators bei der bischi)!-
lichen Curie zu Constanz bekleidete, auf, ihm ein Gutachten
über das gegen die wegen Zauberei Angeklagten ziu" An-
wendung zu bringende Verfahren auszustellen. Hierübt^r
war sich nun allerdings Molitoris vollkommen klar — denn
nach seiner Ueberzeugung gab es keine Hexen ; aber diese
*) Vgl. L. Rapp, Die Hexenprozesse und ihre Gegner aus Tirol. Ini.s-
brück, 1874. S. 0 iT.
*) Fr. Sinnachcr, Geschichte der bischöflichen Kirche von Sahen ui»-
Brixen. B. VI. S. 634.
>) Rapp, S. 12—13.
Die Hexenbulle von Innocenz VIII. Der Malleus maleficaruin.
273
Ueberzeugning auszusprechen war doch für ihn in seiner
Stellung bedenklich, wesshalb er sein Gutachten, ehe er
es dem Erzherzog übergab, dem damaligen Sekretär des-
selben, Konrad Stürtzel von Buchheim vorlegte,
dessen Vorlesungen über Jurisprudenz imd Rhetorik er
einst zu Freiburg gehört hatte. Molitoris hatte es für an-
gemessen erachtet, seinem Gutachten die Form eines Ge-
sprächs zwischen sich und dem Erzherzog zu geben, in
welches er als dritte Person noch den damaligen Schult-
heissen von Konstanz, Konrad Schatz, verflocht, der in
Hexenprozessen viele Erfahrung hatte. Am 10. Januar
1489 hatte Molitoris das Manuscript abgeschlossen^).
Seine eigene Ueberzeugung lässt Molitoris (klüglich)
den Erzherzog aussprechen, der darum als Mann von über-
raschender Aufklärung erscheint. Schon auf die erste
Aeusserung des Schultheissen , dass man die Hexen all-
gemein beschuldige, Unwetter hervorzubringen, und dass
sie, peinlich befragt, dessen selbst geständig wären, er-
widert der Herzog ganz verständig: auf blosses Gerede
gebe er nichts, imd ebensowenig könne er auf Aussagen,
die auf der Folter erpresst wären, etwas geben. Denn
durch Furcht, Schrecken und Qual könne man Jemanden
leicht dazu bringen, auch das Unmögliche zu bekennen.
Als sich nun der Schultheiss weiterhin auf die Erfahrung
beruft, bemerkt der Erzherzog sehr richtig, dass gerade
diese gegen den Hexenglauben spreche. Denn hätte es mit
demselben so ganz seine Richtigkeit , so brauchte ein Fürst
für den Krieg keine Armee zu unterhalten, indem er dann
nur eine Hexe unter sicherem Geleite an der Grenze auf-
zustellen hätte, welche das feindliche Land schon genug-
sam durch Hagel und sonstiges Unwetter verwüsten würde.
— Sich ausser Stande sehend, hierauf Etwas erwidern zu
können, flüchtet sich nun der Schultheiss zur heil. Schrift,
') Der Titel lautet: Tractatus ad illustrissimum principem, Dominum
Sigismundum — de Lamiis et pythonicis mulieribus, per Ulricum
Molitoris — ad honorem eiusdem principis ac sub suae Celsitudinis emen-
datione scriptus. — Ex Constantia a. 1489.
SoldAO'Heppe, Hexenprotesse. ^^
274 Vierzehntes Kapitel.
schiebt zunächst aus dem A. Testament die Gaukler am
Hofe des Königs von Aegypten u. s. w. vor und zieht
dann aus der Apocalypse die vier Engel herbei, welche
bestimmt seien, Land und Meer zu verderben. Auf eine
Erörterung des A. Testaments lässt sich indessen der En-
herzog nicht ein, und bezüglich der apocal3rptischen Engel
meint derselbe, Johannes habe sie nur im Traume gesehen
und erzähle daher ein Gedicht. — Schliesslich resümirt
der Verfasser das Ergebniss des Gesprächs in folgenden
Sätzen: „Der Teufel kann weder immittelbar durch sich»
noch mittelbar durch die Menschen den Elementen, Men-
schen oder Thieren schaden. Da Gott allein Herr der
Natur ist, so kann nichts ohne seine Zulassung geschehea
Geister können keine Kinder erzeugen ; kommen aber an-
geblich doch solche vor, so sind sie untergeschoben. Men-
schen können keine andere Gestalt annehmen imd sich
nicht an entfernte Orte versetzen ; sie können sich nur ein-
bilden, dass sie seien wo sie nicht sind, und dass sie sehen
was sie nicht sehen. Ebensowenig können Hexen viele
Meilen weit zur Nachtzeit wandern imd von diesen Wan-
derungen zurückkommen , sondern indem sie träumen und
an allzu reizbarer Phantasie leiden, kommen ihnen der-
artige Gegenstände, welche sie sich einbilden, so lebhaft
vor die Augen, dass sie erwachend, durch Selbsttäuschung
glauben, sie hätten (was. nur eingebildet war) in der Wirk-
lichkeit gesehen.
So hell und klar wusste MoUtoris die Nichtigkeit de>
Hexenglaubens zu durchschauen; allein die praktischen
Folgerungen aus dieser Einsicht zu ziehen, hatte er doch
nicht Muth genug. Schliesslich erklärt nämlich Molitoris:
„Obschon also dergleichen böse Weiber in der That nichts
ausrichten, so müssen sie nichtsdestoweniger desshalb. weil
sie — von Gott abfallen und mit dem Teufel ein Bündniss
eingehen, wegen ketzerischer Bosheit mit dem Tode
bestraft werden.** Das Endergebniss der Erörterung ist
also, dass die der Hexerei Angeklagten zwar keine 1 loxen.
dass sie aber Ketzer, und dass sie eben darum in üblicher
Weise zu behandeln und zu bestrafen sind. In diesem
Die Hexenbulle von Innocenz VIII. Der Malleus maleficarum. 275
Sinne richtete Molitoris am Schlüsse seiner Abhandlung
an das weibliche Geschlecht die Ermahnung, des Tauf-
gelübdes eingedenk zu bleiben und sich dem Teufel nicht
zu ergeben *). —
Die gemachten Erfahrungen, die Schrift Molitoris und
allerlei andere Kundgebungen der öffentlichen Meinung
jener Zeit mussten nun die beiden päpstlichen Inquisitoren
allmählich zu der Ueberzeugung bringen, dass für die
Hexenverfolgung, wenn dieselbe wirklich in Gang kommen
sollte, nothwendig von der Bulle Innocenz VTH. aus eine
breitere und praktischere Grundlage geschaffen werden
müsse. Beide beschlossen daher einen Codex des Hexen-
prozesses herzustellen, der — da die bisherigen Bemühungen
der Inquisitoren nicht das rechte Verständniss gefunden
hatten — eine ganz genaue und vollständige Belehrung
über das fluchwürdige Wesen und Treiben der
Hexen beigegeben werden musste. Den Haupttheil der
Arbeit übernahm Sprenger, der, alle Elemente des Aber-
glaubens, die sich zerstreut und vereinzelt unter dem Volke
vorfanden, zusammentragend ein System des Hexenglau-
bens schuf, welches weit über die in der Bulle vom
5. Decbr. 1584 gegebene Darstellung des Hexenwesens
') Eine deutsche Uebersetzung des Buches erschien 1544 unter dem Titel :
„Hexen-Meysterei. Dess hochgeborenen Fürsten, Hertzog Sigmunds von
Oesterreich mit D. Virich Molitoris vnd Herr Cunrad Schatz, weiland Burger-
meister zu Costentz, ein schön gesprech von den Unholden, ob die-
selben bösen Weiber hagel , reifFen vnd ander ongefell , den menschen zu
schaden, machen können. Auch sunst ihrem gantzen Hexenhandel, woher der
kumpt vnd was davon zu halten sey, vnd zum letzten , das sie auss K(aiser-
lichen) Rechten abzuthun seyen etc." Hier findet sich jedoch die Schluss-
ermahnung des Verfassers an das weibliche Geschlecht gestrichen, indem es
an deren Stelle heisst : dass man solche bösen Weiber nach Kaiserlichen
Rechten tödten soll. „Diess steht geschrieben im Kaiserlichen Rechtsbuch,
Codice de maleficis et Mathematicis." — Späterhin erschien noch eine zweite
Uebersetzung des Buches von Pfarrer Conr, Lautenbach , Strassb. 1575. —
Kine abgekürzte Aufgabe des Werkes (in welcher die Reden des D. Schatz
g&nz hinweggelassen sind, so dass der Trilog in einen Dialog umgewandelt
erscheint) wurde 1595 zu Köln herausgegeben. — Vgl. auch über das Buch:
Horst, Zauberbibliothek, IIL, 5. 163 ff., V., S. 151 ff. und VI.. S. 141 ff.,
so'^wie Schreiber, die Hexenprozesse zu Freiburg, S. 9 ff.
2 76 Vierzehntes Kapitel.
hinausging, indem es namentlich den Gedanken der Hexen-
fahrt zum Sabbath des Teufels und der geschlechtUcheti
Vermischung mit demselben als ein wesentliches Moment
des Hexenwesens hinstellte. So entstand im Jahr 1487
der berüchtigte Malleus maleficarum*), ein Werk so
barbarisch an Sprache wie an Gesinnimg, spitzfindig und
unverständlich in der Argumentation, originell nur in der
Feierlichkeit, mit welcher die abgeschmacktesten Mährchen
als historische Belege vorgetragen werden. Mit einer
seltsam aussehenden Bescheidenheit erklären die Verfasser
in der Vorrede, dass sie keine Poesien schaiBFen, keine
sublimen Theorien entwickeln, sondern nur aus früheren
Schriftstellern schöpfen und von dem Ihrigen Weniges
hinzuthun wollen, wesshalb ihr Buch dem Inhalte nach
ein altes und nur in der Zusammenstellung ein neues sei.
Dieses Buch — welchem der Wortlaut der Bulle Inno-
cenz Vin. vorgedruckt ist — umfasst drei Haupttheile.
Im ersten wird die Realität der Hexerei aus der heil.
Schrift, und aus dem kanonischen und bürgerlichen Rechte
erwiesen. An die Spitze der ganzen Ausfuhrung wird der
Satz gestellt: Das Läugnen der Wirklichkeit der
Hexerei ist — Ketzerei^), womit der Satz: „Es gibt
Hexen, die mit teuflischer Hülfe den Menschen schaden"
als Dogma hingestellt war. Dann folgt die Lehre vom
^) Malleus maleficarum. in tres partes divisus, in quibas ooncor*
rentia ad maleficia, maleüciorum effectus, remedia adversus maleficia et modus
denique procedendi ac puniendi maleficos abunde continetur. Coloniae. 14^
(4®). Neue Ausgaben des Bucbes : zu CAIn und Nürnberg 1494, CAln 14^
1511. 1520; Frankfurt 1580 (1582). Lyon 1595 (sehr erweitert) und i6aa
S. Hauber f Bibl., acta et scripta magica I. S. 39, 91, 312. Horst ßhrt in
seiner Zauberbibliothek (Mainz, 1821 ff.) auch eine Ausgabe von 1600, und
Rieser t (Merkw, Hexenproz. S. XXX.) erwähnt ausserdem Ausgaben aus den
Jahren 1519 und 1669. — Eine Uebersetzung des Buches ist nie erschieo«.
— Eine ausfQhrliche Darlegung seines Inhalts s. bei Horst, Dftmonomagie,
B. II. S. 39 — 117. Schwager, Versuch einer Geschichte des Hexenprotesset,
B. I. S. 56—228. bei Roskoff, Gesch. des Teufels. B, II. S. 326—293. uod
in Hitti^s und Demm/s Annalen fQr die Criminalrechtspflege . B. XXV. S. 27B
bis 398. ,
*) «.Haeresis est roaxima, opera maleficarum non credere.**
Die Hexenbulle von Innocenz VIII, Der Malleus maleficarum.
277
Bunde der Hexen mit dem Teufel, von den Incuben und
Succuben, von der Macht der Dämonen, von den eigent-
lichen Malefizien, die Erörterung, warum vorzugsweise das
weibliche Geschlecht sich diesem Verderben hingebe, der
Beweis, dass das Verbrechen alle übrigen an Strafbarkeit
übertreflFe, und die Entkräftung verschiedener von Laien
erhobenen Einwürfe. Augustin, Thomas von Aquino und
Nider müssen die Hauptargumente liefern. Namentlich
wird hinsichtlich der Incuben und Succuben die Theorie
des Thomas festgehalten und die Versicherung gegeben:
die Ansicht, dass durch Incuben Menschen erzeugt werden,
sei so sehr katholisch, dass die Behauptung des Gegen-
theils nicht nur den heiligen Kirchenlehrern, sondern auch
der Tradition der heil. Schrift widerstreite. Die sechste
Quästion bürdet dem weiblichen Geschlechte alles SchUmme
auf, das nur denkbar ist ^), insbesondere unersättliche Wol-
lust, die zum Umgang mit den Dämonen reize ; daher sage
man auch nicht haeresis maleficorum, sondern maleficarum
(a potiori), obgleich das männliche Geschlecht keineswegs
ausgeschlossen sei*). In der Lehre von der „enormitas
maleficorum" heisst es, dass seit Lucifers Fall keine so
arge Sünde begangen worden sei, und dass daher die
Schuldigen, auch wenn sie bereuen und zum Glauben zurück-
kehren, nicht, wie andere Ketzer, mit Gefangniss, son-
dern am Leben bestraft werden sollen. Mit Vorliebe kom-
men die Verfasser mehrmals darauf zurück, dass die Hexen
von der Ohrenbeichte nichts halten. Unter den von Laien
erhobenen Einwänden sind einige sowohl durch ihre eigene
*) Von der Gelehrsamkeit des Werkes nur zwei Proben. Bei der Beant-
wortung der Frage, warum bei den Weibern die Zauberei mehr Eingang finde,
als bei den Männern, meint der Verfasser, diese Hinneigung des Weibes sei
schon in seinem Namen angedeutet; denn das Wort femina sei gebildet aus
fe und minus, quia femina semper minorem habet et servat fidem. Von dem
Teufel aber heisst es : Diabolus dictus est a Süö, quod est duo, et bolus, quod
est morsellus, quia duo occidit, scilicct animam et corpus.
*) Später beruft sich auch Jakob I. von England wieder auf diese Schwäche
des weiblichen Geschlechts und weist auf die Verführung Eva*s durch die
Schlange zurück. Daemonol. IL 5,
2^8 Vierrehntes Kapitel.
Verständigkeit, als durch die Albernheit der Widerlegung
bemerklich. Wie kommts — hatte man gefragt — dass die
Hexen trotz ihrer Macht meistens nicht reich werden? Weil
— lautet die Antwort — der Teufel zur Schmach des
Schopfers den Menschen um den möglichst niedrigen Preis
haben will; dann auch, damit die Hexen durch Reichthum
nicht auffallen sollen. Femer war gefragt worden : Warum
schaden die Hexen den Fürsten nicht? warum nicht den
Feinden derjenigen Fürsten, bei welchen sie Schutz finden?
Die Antwort auf jenes ist: weil sie Alles aufbieten, um
mit den Fürsten in Freundschaft zu bleiben; auf dieses:
weil ein guter Engel die Zaubereien gegen die Feinde
hexenfreundlicher Fürsten vereitelt.
Der zweite Haupttheil zerfallt wiederum in zwei Ab-
handlungen: die erste gibt das Nähere über die Art, wie
die Zauberer aufgenommen werden, das Homagium leisten,
durch die Luft fliegen, mit den Dämonen sich vermischen,
Thiergestalt annehmen, Hagel machen, Krankheiten be-
wirken u. s. w. ; in der zweiten entfaltet sich der Schatz
der kirchlichen Heilmittel gegen allerlei Zauberschäden.
In diesem ganzen Haupttheile bietet sich den Verfassern
häufige Gelegenheit dar, ausser den scholastischen Auc-
toritäten und Nider's und gleichzeitiger Inquisitoren Er-
zählungen auch eigene Amtserfahrungen mitzutheilen. Wir
erfahren, dass die beiden CoUegen in Zeit von fünf Jahren
in der Kostnitzer und andern Diöcesen nicht weniger als
achtundvierzig Weiber dem Scheiterhaufen überantwortet
haben, welche sämmtlich in vieljähriger Buhlschaft mit
dem Teufel gelebt hatten. Sie berichten uns fiemer aus
den ihnen gemachten Bekenntnissen, wie neben dem so-
lennen Teufelsbund, der in voller Versammlung vollzogen
wird, auch noch ein schlichter besteht, der zu jeder Stunde
eingegangen werden kann; wie eine Inquisitin einst in
einer Nacht von Strassburg bis Köln geflogen ist, wie der
Teufel solche, die unter der Tortur gestanden hatten, an-
stiftete, sich im Gefängnisse zu hängen, um sie dadurch
um die Busse und Aussöhnung mit der Kirche zu bringen
u. s. w. Unter den Zaubermitteln begegnen wir nichts
Die Hexenbulle von Innocenz VUI. Der Malleus maleficarum.
279
wesentlich Neuem ; interessant aber ist es, den Schweizer-
helden Wilhelm Teil unter den Freischützen (sagittarii)
anzutreffen. — Bei aller scholastischen Subtilität sind in-
dessen den Männern in ihrem Eifer doch einige Inconse-
quenzen begegnet. So ist trotz dem früher ausgesprochenen
Grundsatze, dass alle Hexen dem Scheiterhaufen verfallen
seien, dennoch hin imd wieder von solchen die Rede, die
tnan zu andern Bussen zuliess. Anderwärts heisst es, dass
die Obrigkeit gegen Zaubereien gesichert sei, und S. 340
lesen wir nichtsdestoweniger von Hexen, die den Richter
durch ihren blossen Anblick bezaubern.
Der dritte Theil des Malleus, welcher das gerichtliche
Verfahren behandelt, beginnt mit einer Vorfrage in BetreflF
der richterlichen Competenz. Eben dieselben Männer, die,
bevor sie ihr bluttriefendes Buch schrieben, bereits achtund-
vierzig Hexen verbrannt und noch ganz neuerdings für
ihre Blutarbeit die ausgedehnteste päpstliche Autorisation
sich erwirkt hatten, erklären sich jetzt geneigt, von der
persönlichen Mitwirkung an der Verfolgung der Zauberer
zurückzutreten (se exonerare) und dieselbe den Bischöfen
und weltlichen Gerichten zu überlassen. Ja sie strengen
sich nicht wenig an, ihre Berechtigung zu diesem Zurück-
treten der päpstlichen Bulle und den widersprechenden
Ansichten der spanischen Ii;iquisitoren gegenüber mit Gründen
zu erweisen, indem sie das pflichtmässige Einschreiten des
Inquisitors auf diejenigen Fälle beschränken, wo die Zauberei
einen offenbar ketzerischen Charakter an sich trage. Man
sieht, dass die beiden Männer Zeiten und Verhältnisse
schlau genug zu erwägen wussten, um nicht blindlings
hineinzutappen. Durch ihre ausgesprochene Maxime ent-
waffneten sie auf der einen Seite den zu befürchtenden
Widerspruch der bischöflichen imd weltlichen Gerichte;
-auf der andern aber sicherten sie sich vollkommen freie
Hand, sowohl gefahrliche Prozesse von sich abzulehnen
— vielleicht war ihnen Konrad von Marburg im Traume
erschienen — als auch auf günstigem Boden nach vollem
Belieben zu inquiriren, da ja über den häretischen Charakter
dler einzelnen Fälle Niemand anders entschied, als sie selbst.
28o Vierzehntes Kapitel.
Für das Verfahren selbst liegt im Wesentlichen das
Directorium des Eymericus mit den im Laufe der Zeit
weiter ausgebildeten Gewohnheiten, Grausamkeiten und
KniflFen der delegirten Inquisition zu Grunde, naturlich mit
denjenigen Modificationen, welche der besondere Gegen-
stand zu erheischen schien. — Von der päpstlichen Vor-
schrift ausgehend, dass in Sachen des Glaubens simpüciter
et de piano zu verfahren sei, verwirft der Malleus vor
allen Dingen das Anklageverfahren ^) ; es sei nicht nur
mit allzuvielen Förmlichkeiten verbunden, sondern auch
wegen des jus talionis von zu grosser Gefahr für den
Kläger. Der Richter soll demjenigen, der mit einer An-
klage auftreten will, abrathen und die Weisung geben,
statt dessen den Weg der Denunciation zu betreten.
Der Denunciant verpflichtet sich nämlich nicht zur Beweis-
führung für das Ganze, sondern beschwort lediglich die
Wahrheit seiner Aussagen, die nur auf einzelne Indicien,
bösen Ruf u. dgl. gerichtet zu sein brauchen. Zu solchen
Denunciationen soll der Richter durch öfiFentlichen An-
schlag auffordern. Es wird angenommen, dass derjenige,
der sie anbringt, nicht in eigener Sache, sondern aus
Glaubenseifer, oder aus Furcht vor den dem Schweigenden
angedrohten kirchlichen und bürgerlichen Strafen handle,
und es trifft ihn keinerlei Nachtheil, wenn auch der De-
nuncirte losgesprochen wird. Den Namen des Inquisitions-
prozesses gebraucht der Malleus für diejenigen Fälle, wo
der Richter auf den öfiFentlichen Ruf (infamia) hin von
Amtswegen einschreitet. Diese Unterscheidung des De-
nunciations- \md Inquisitionsprozesses ist übrigejis eine sehr
imfruchtbare, da der erstere Ausdruck nicht in dem Sinne
der späteren Kriminalistik zu nehmen ist'), sondern hier
') Die Ketzemchter hatten längst drei Hauptarten des Proxeases unter
schieden : accusatio , denuntiatio , inquisitio. Bei Eymericus findet sich dies»
in seiner vollen Ausbildung, und schon dieser will, dass man das Anklage*
verfahren möglichst beseitige,
') d. h. nicht als jenes aus Civil- und Criroinalprozess zusammengwelite
Verfahren, in welchem der Denunciant lugleich ein Privatinteresse verfolgt,
auah AdhAsionsprozess genannt.
Die Hexenbulle von Innocenz VIU* Der Malleus maleRcarum. 28 1
durchaus nichts anders bezeichnen will, als einen Inquisitions-
prozess, der von einer gemachten Denunciation seinen
Ausgang nimmt. Das Inquisitionsverfahren wird übrigens
dem weltlichen Richter in Zaubersachen nicht weniger
empfohlen, als dem geistlichen, und es ist daher Thatsache,
dass gerade die Hexenprozesse späterhin der allmählichen
Verdrängung des Anklageverfahrens durch das inquisi-
torische in Deutschland einen besonders wirksamen Vor-
schub geleistet haben.
Da eine Untersuchung wegen Zauberei es nicht nur
mit durchaus unwirklichen Dingen zu thun hat, sondern
auch auf einen Complex unter sich verschiedener Hand-
lungen gerichtet ist, von welchen ein grosser Theil als
keine Spuren des Verbrechens zurücklassend gedacht
wurde, so begreift es sich von selbst, dass es in dieser
Anweisung mit der abgesonderten Aufnahme eines That-
bestandes sehr misslich stehen muss. Im Ganzen liess
man die Ermittlung des Thatbestandes selbst mit der Er-
forschimg des Verhältnisses des Angeklagten zu demselben
zusammenfallen. Brach z. B. ein Hagelwetter los imd es
ward zu gleicher Zeit ein altes Weib im Felde bemerkt,
so war man überzeugt, dieses Wetter rühre von ihrer
Zauberei her, und ein einfaches ZusammentreflFen zweier
ausser allem Zusammenhange stehenden Umstände ward
zugleich für das objektive, wie für das subjektive Ver-
brechen entscheidend. Ward Jemand krank, nachdem ihm
ein Erzürnter gedroht hatte, es werde ihm nicht gut gehen,
oder er solle sein Benehmen einst bereuen : so zweifelte
man nicht, dass er behext sei, und hatte zugleich auch ein
dringendes Indicium gegen den Thäter* gefunden. Doch
ist es wahr, der MaUeus empfiehlt, der Sicherheit halber
einen Sachverständigen, d. i. einen Arzt oder eine Hexe,
darüber zu vernehmen, ob die fragliche Krankheit ein
morbus maleficialis (Nachtschaden) sei, oder nicht — wenn
gleich nur in denjenigen Fällen, wo etwa der Vertheidiger
gegen die zauberische Natur des Schadens Einrede erhe-
ben sollte. Im Ganzen hält sich der Richter an den überall
ausreichenden Satz: damnum minatum et effectus subse-
282 Vierzehntes Kapitel.
cutus, — ohne sich weder über den Sinn der Drohung,
noch über die Beschaffenheit des eingetretenen Uebels,
noch über den ursächUchen Zusammenhang beider viek
Sorgen zu machen. — In höchst verworrener Weise haiir
delt der Malleus weiter von den Indicien, dem übelen
Rufe, den verschiedenen Graden des Verdachts und ihren
Wirkungen, den Zeugen, der Einkerkerung und dem Ver-
höre der Inculpaten, der Folter, der Defension, die er so
gut als ganz abschneidet, und den Endurtheilen, zu welchen
er eine Menge sehr umständlicher Formularien gibt. Die
letzteren schliessen, wenn sie airf Ablieferung an den welt-
lichen Arm lauten, stets mit der den Inquisitoren von jeher
geläufigen heuchlerischen Phrase , wodurch die Obrigkeit,
wenn es möglich sei, das Blut des Verurtheilten nicht zu
vergiessen ersucht wird. — Die Einzelheiten des Verfah-
rens, wie sie hier unter fast steter Berufung auf das ka-
nonische Recht empfohlen werden, haben sich grossentheils
auf die Folgezeit vererbt und selbst in der Praxis der
weltlichen Richter Eingang gefunden; sie werden bei einer
späteren Gelegenheit zu einem Gesammtbilde vereinigt
werden. Für jetzt bemerken wir nur in Betreff der De-
fensionsmittel, dass, nach dem Grundsatze der allgemeinen
Inquisition^), der Malleus die Namen der deponirenden
Zeugen weder dem Inculpaten selbst, noch dessen Defensor,
wenn dieser nicht etwa ein anerkannt glaubenseifriger und
verschwiegener Mann ist, genannt wissen will. Es wird
somit selbst die einzige Einrede, die man im Ketzer- und
Hexenprozesse nach kanonischem Recht dem Inquisiten
gegen die Zulässigkeit eines Belastungszeugen übrig liess,
die der Todfeindschaft, fast unmöglich gemacht. Damit
aber doch für den Schein etwas geschehe, so soll der An-
geklagte gleich am Anfang gefragt werden, ob er Tod-
feinde habe, und wer diese seien. Hierbei wird aber nicht
nur der Begriff der Todfeindschaft auf möglichst enge
*) Dicss ward schon von dem Concil zu Narbonne 1243 ausgesprochen.
Lamothe Langen T. II. p. 63o, Später in püpstüchen Bullen, namentlich von
Innocenz IV. und Bonifas Vlll.
Die Hexenbulle von Inooccnz VIII. Der Malleus maleficaruni. 283
Grenzen zurückgeführt — gewöhnliche, wenn auch heftige
Feindschaft, macht den Zeugen nicht unfähig — sondern
der Richter erhält auch allerlei pfiffige Rathschläge, wie
er gerade aus den zu Protokoll gegebenen Feindschaften
neue Vermuthungen für die Schuld des Inquisiten heraus-
zuconstruiren habe.
Dem nüchternen Sinne des neunzehnten Jahrhunderts
erscheinen die vom Malleus gebotenen Inquisitionsmittel
an sich schon vollkommen ausreichend, um einem halb-
wegs gewandten Richter über alle Gefahr des Stecken-
bleibens in einem angefangenen Hexenprozesse hinauszu-
helfen; das fromme Gemüth eines Sprenger und Institor
hingegen war allzutief von der Ueberzeugung durchdrungen,
dass menschliche Weisheit ohne den Segen des Himmels
eitel Thorheit sei. Darum wird der Richter wiederholt
und eindringlichst aufgefordert, sich der kirchlichen Schutz-
mittel bei seinem Geschäfte nicht zu entschlagen; er soll
geweihtes Wachs, geweihtes Salz und geweihte Kräuter
bei sich tragen. Selbst die Tortur, sagt der Malleus, ist
unwirksam, wenn nicht Gott die vom Teufel eingegebene
Verstocktheit bricht (nisi coactio divina per sanctum An-
gelum, ut maleficium tacitumitatis abscedat, concurrat).
Darum soll man der Hexe unter Anrufung der Dreieinig-
keit Weihwasser, mit etwas geweihtem Wachse vermischt,
eingiessen, einen Zettel mit den sieben Worten, die Christus
am Kreuz gesprochen, umhängen und das Verhör vor-
nehmen, während eine Messe gelesen wird und das Volk
die Engel um Hülfe gegen die Dämonen anruft.
Mit dem Malleus, der Bulle Summis desiderantes und
einem Patente des neuerwählten römischen Königs Maxi-
milian I. vom 6. Nov. i486 erschienen nun Sprenger und
Institor im Mai 1487 zu Köln, erwirkten von der dasigen
theologischen Fakultät die Approbation für ihre Schrift
und Hessen ein Notariats-Instrument über diese Verhand-
lung aufnehmen. Aber auch hierbei zeigte es sich, dass
die Doktrin des Hexenwesens in der Gestalt, in welcher
sie im Hexenhammer vorlag, neu war und den Gelehrten
'wrie dem Volke erst noch eingeimpft werden musste. Jene
Z*. •Ä=3a=5
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GrjTLii^rze r-r in =•: t^ r^iIZ^ _ä1s se den lieOigen
C^LZiZirri zlz'iz 'wzirfr^zT^zli.'rf^.- «^c 5er Traktat soll nur
^^-^^^^^rrjrfz. -zzLit r m-r^für : ~" ^^c. ^Te^aoben in die Hände
^^'^^^zjffZL -KrfTZrf^ Z-ie^^s Vr:2i-?f: =::ss den Verfassern
riebt eeril^t h-beti: ^^cig^eüis =rerre£rhnete die Fatuhat
&>:b vier z^rbtri^'izbe Anfiel- welrbe das Treiben der
ti^'-i^^^reri Yeir entscbfederer biZi^en und die weldiche
Obrf^^eft bn Interesse des katb: cscben Glaubens zur Unter-
stützung derserr^en aufforiem. Dekan der Fakultät war
dama.^ Lan:bercus de M:nte; unter den übrigen Xamcn
finden wir aucb einej von Bummel van Bommel?). —
Die von ^laximilian auszestellte Urkunde wird in dem
Xotariats-Instrumente nicht wiT^rtlich mitgetheih und ist,
unseres Wissens, nie g^edruckt worden; es wird blos ge-
sagt, dass sie die päpstliche Bulle zu schützen verspreche
und den beiden Inquisitoren Vorschub zu leisten gebiete;
unter welchen Bedingimgen und Einschrankung'en , ist je-
doch nicht bemerkt.
So war denn für Deutschland der Hexenprozess sanc-
tionirt und hatte zug-leich durch den Malleus, der nach-
gerade ein fast kanonisches Ansehen erlangte*), eine be-
stimmte Gestalt gewonnen. Bald folgten für andere Länder
Bullen ähnlichen Inhalts nach, welche aber ebenfalls be-
wiesen, dass die Hexenverfolgung mit dem im Hexen-
hammer symbolisirten Hexenglauben dem Widerstreben
der Völker gegenüber sich überall nur allmählich Raum
schaffen konnte.
Alexander VI. trug dem Dominikaner Angelus, als
Inquisitor der lombardischen Provinz auf*), über die in
') Damhouder, der berühmte Criroinaüst des l6. Jahrhunderts, sagt ia
seiner Praxis rerum criminaliuni Ober den Malleus und die zunichst aus dem-
selben K^Aossenen Schriften: Ita rccepta est in hoc scribendi genere eorncD
aucloritas, ut pro Uge apud omnes habcatur.
•) Ucber das Nächstfolgende vgl, im Liber septimus. den Tit, de male-
flcis et incantatoribus.
Die Hexenbulle von Innocenz VIII. Der Malleus maleßcarum. 285
derselben sich umtreibenden Frevler, welche diversis in-
cantationibus et diabolicis superstitionibus Menschen, Vieh
und Felder zu schädigen suchten, fleissig seines Amtes zu
warten, zu welchem Zwecke er ihm — alle etwa entgegen-
stehenden früheren apostolischen Verfügungen aufhebend,
plenam et omnimodam fapultatem ertheilte. — Leo X.
klagte in einem an die Bischöfe Venetiens gerichteten
Breve vom 15. Januar 1521 darüber, dass Einige, welche
in der Umgegend von Brixen und Bergamo wegen Zau-
berei aufgegriffen wären, hartnäckig lieber ihr Leben preis-
gegeben, als ihre Verirrung bekannt hätten, und dass der
Senat der Republik Venedig den Hauptleuten des Landes
verboten habe, die Strafsentenzen der Inquisition zu voll-
ziehen, indem derselbe in seiner Feindseligkeit gegen die
Freiheit der Kirche soweit gehe, dass er die Prozessakten
und die Urlheile der Inquisition selbstständig prüfen und
über dieselben entscheiden wollte. Die Bischöfe sollten
daher den Senat vor einem solchen Unterfangen verwarnen
und denselben nöthigenfalls mit kirchlichen Censuren ge-
fügig machen. — Schon vorher hatte Julius 11. an den
Inquisitor Georg de Caseli zu Como ein Breve erlassen,
worin er seinen Schmerz darüber ausgesprochen, dass seine
Inquisitoren, welche die Zauberei verfolgen und ausrotten
sollten, von vorwitzigen Geistlichen und Laien an der
Ausrichtung ihres Amtes gehindert worden, indem sie von
diesen für incompetent erklärt und der öffentlichen Miss-
achtung preisgegeben wären. Daher habe er jetzt die
Inquisitoren mit apostolischen Briefen versehen und be-
glaubigt, durch welche er alle diejenigen, welche den
Inquisitoren beistehen würden , dieselben Ablässe zu-
sichere, die durch päpstliches Indult den Kreuzfahrern
zugesichert wären. — Dieses Breve wurde in einem Erlass
Hadrians VI. vom 29. Juli 1523 wiederholt. — Der
Dominikaner Bartholomäus Spina erwähnt in seiner
Schrift De strigibus noch ein von Clemens VII. unter
dem 18. Januar 1524 an den Govematore von Bologna
erlassenes Breve, in welchem derselbe aufgefordert
wird , den Inquisitoren in der Verfolgung und Bekämpfung
2SO
der haereas strrg^aras f^dcn zacgüchen Vorschub zu ge-
Indem nxis so die infaZibde J
thmns für den Hexer^rla^iben eingetreten war, so kam jetzt
das Unwesei der Kexenprozesse aller Orten in Gang*; und
indem in denselben nach dem Hexenhammer verfahren
und die in diesem enthaltene Doctrin des Hexenwesens in
der Form von Sug^esdvöragren den wegen Verdachts der
Hexerei Eingi^iogrenen und den über dieselben vernomme-
nen Zeugen vorgetrag>?n ward» so wurde die Hexenlehre
des Malleus mehr und mehr unter die Leute gebracht*)
und begann allmählich die herrschende Meinung zu werden.
Die Seuche des aUg'emeinen Glaubens an teuflische Zau-
berei und an Teufelsbuhlschaft, und der Furcht vor den
Maletizien der Hexen, in welcher die abendländische
Christenheit zwei Jahrhunderte lang erzitterte, ist grossen-
theils durch den Hexenhammer selbst hervorgerufMi, der
die Millionen von Schlachtopfem, die er zerschmetterte,
sich selbst erst zubereitet hat. Seitdem dieser Codex der
Hexenverfolgung aufgestelh war, wirkten Kirche und Gre»
richtsstube zusammen, tun die Theorie au£rabauen, wobei
Philosophie und Medizin treulich halfen, und die Straf-
praxis lieferte wiederum das Material, um die Theorie zu
bestätigen *).
Zunächst freUich stiess der Malleus maleficarum fast
überaU auf den heftigsten Widerspruch. Gerade aus den
Schriften, welche zur Vertheidigung des Hexenhammers eben-
*) Dieses wird durch den Uexenhammer selbst bewiesen. Derselbe schreibt
nämlich in P. 111. Qu. 6 vor, dass jede wegen Hexerei Angeklagte im VerhAr
vor Allem befragt werden solle, ob sie glaube, dass es Hexen gebe und be-
merkt dabei, dass diese Frage fast immer verneint werde. Daher empfiehlt es
der Hexen hammer, auf diese verneinende Antwort sofort die Frage folgen tu
lassen, ob sie etwa glaube, dass die als Hexen Hingerichteten unschuldig gc*
Wesen und wider das Recht verbrannt worden seien. — So lAsst es der
I^exenhamroer selbst erkennen , dass am Ende des fQnfzehnten Jahrhunderts
die V6lker von dem Hexenwahn noch nicht beherrscht waren, und dass und
wie derselbe den VMkem durch ihn erst recht eingehämmert worden ist.
•) Sthindier, der Aberglaube des Mittelalters, S. 359.
Die Hexenbulle von InnoccDz VIII. Der Malleus maleficarum. 287
falls unter dem Titel „Malleus maleficarum" zuerst 1 598 zu
Frankfurt a. M. in vier Bänden erschienen ') ist es in
sonnenheller Weise zu ersehen, wie wenig das christliche
Abendland trotz des allgemein herrschenden Aberglaubens
für die in denselben vorgeschriebene Hexenverfolgung
vorbereitet war. Sprenger belehrt die Geistlichen, wie
man den Zweifeln der Laien an der Zauberei und deren
Wirksamkeit als einem argen Irrthum entgegenzutreten
habe. Denn gar viele Leute wollten an die Wirklichkeit
des Unwesens, gegen welches der Hexenhammer gerichtet
war, gar nicht glauben. Noch auffallender aber war, dass
in der Erzdiöcese Köln, als in derselben auf Grund der
Bulle Innocenz Vill. die Hexenverfolgung begann und
überall Schrecken und Entsetzen hervorrief, einzelne Priester
die im Volke hervorgetretene Aufregung dadurch zu
dämpfen suchten, dass sie die Wirklichkeit des Verbrechens
der Zauberei in Frage stellten. Ein Beschluss der Doc-
toren der Universität Köln rügte daher (i. J. 1487) in den
schärfsten Ausdrücken den in dieser Skepsis hervortreten-
den Mangel kirchlicher Denkweise. — Etwa dreissig Jahre
später, i. Jahr 1522, gab der Predigermönch Bartholo-
mäus de Spina seine Quaestio de strigibus heraus. Aus
derselben ist zu ersehen, dass die Hexenverfolgimg nach
dem Schema des Hexenhammers in einzelnen Gegenden
die heftigste Auflehnung des Volks hervorgerufen hatte.
Namentlich war dieses in Oberitalien der Fall gewesen.
Darum klagt Spina : „Die Unwissendsten, die Gottlosesten
und die Ungläubigsten wollen nicht glauben, was sie glau-
ben sollten ; und was noch bedauemswerther ist, sie bieten
allen ihren Einfluss auf, um diejenigen zu hemmen, welche
die Feinde Christi vernichten." —
Aber was war es doch eigentlich, was die Völker des
christlichen Abendlandes, was insbesondere die deutsche
Nation so furchtbar erregte, als die Bulle Innocenz' VIII.
mit dem Hexenhammer in sie hineinfuhr ? Zunächst frei-
lich war es eben der Schrecken des mit der Folter ge-
*) Mall, malef. vol. 1. p. 460—468; II. p. 191. 253. 299. 300.
288 Vicrtefaiites Ki^itdL
führten Hexenprozesses, der alle Welt erbeben machte.
Der Hexenprozess brachte aber mehr als die Qualen her-
vor, welche die zahllosen Opfer des Hexenhammers auf
der Folter zu erleiden hatten ; der auf der Bulle des Papstes
Innocenz Vlli. beruhende Hexenhammer hämmerte auch
den Völkern des Abendlandes den Glauben an die Hexerei,
den Glauben an den Dämonismus des Heidenthums ein,
der vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts bis über den
Anfang" des achtzehnten Jahrhunderts hinaus die abend-
ländische Christenheit mit demselben Schrecken erfüllte,
unter welchem einst die ganze heidnische Welt erzitterte,
als das Christenthum in dieselbe eintrat. Damals über-
raschte das Evangelium die Welt mit der frohen Botschaft,
dass die Gewalt des Teufels imd der Dämonen gebrochen,
dass der Christ durch Gott gegen alle Anläufe der Bösen
ein für allemal verwahrt sei, und dass nicht dieser den
Teufel und dessen Dämonen, sondern umgekehrt der Teufel
den Christen zu furchten habe. Zum ersten Male war der
seit Jahrtausenden auf dem Menschengeschlechte lastende
Fluch des Dämonismus gebrochen. Die Kirche hatte
diesen Trost des Evangeliums auch bis über den Anfang
des zweiten Jahrtausends hinaus festgehalten, indem in ihr
unbeanstandet gelehrt war, dass alles Hexenwerk nur Sa-
tans Blendwerk, und dass der Glaube an die Wirklichkeit
desselben Sünde sei.
Da nahte die Zeit heran, wo nach Gottes Rathschluss
die Kirche nach dem Evangelium erneuert und der Grund
zur Befreiung derselben von der Gewalt des Papstthums
gelegt werden sollte. — Indessen noch ehe diese neue
Wende der Zeiten eintrat, fast in der letzten Stunde, erhob
sich das Papstthum — als wollte es vor dem Beginne des
Zusammenbruchs seiner Weltherrschaft noch den letzten,
den schrecklichsten Fluch über die abendländische Christen*
heit sprechen, indem es den bis dahin — im Ganzen und
Grossen — kirchlich verpönten Glauben an die Hexerei ')
^) Der Canon Episcopi, den Graiian in sein Dekret aufgenommen hatte,
war damals, wie das Dekret Oberhaupt, in voller Gesetzeskraft. Erst nach
dem Tridentlnum begann die rArotsche Kurie das Dekret als eine Materialieo-
Die Hexenbulle von Innocenz VIII. Der Malleus maleficarum. 280
zum Dogma erhob und dadurch den Fluch des heidnischen
Dämonismus über die Völker des Abendlandes brachte.
Das Elend, von welchem die Welt durch den
Sohn Gottes erlöst worden war, wurde durch das
Papstthum von Neuem über die Welt gelDracht.
Die abendländischen Christen erzitterten seitdem vor dem
geheimen und verborgenen Treiben des Teufels, der Dä-
monen, der Zauberer und Hexen in derselben bodenlosen
Furcht, die vom Anbeginn der Weltgeschichte an das
charakteristische Merkmal alles heidnischen Wesens, Den-
kens und Lebens gewesen war.
Sammlung zu betrachten, deren einzelne Kanones nur die auf ihrer Herkunft
beruhende Auctorität haben sollten. Danach musste dann freilich die Auctorität
des Kanons, den man mit Unrecht von der Synode von Ancyra abgeleitet
hatte, in Wegfall kommen. Aber gar viele andere Synoden und eine Reihe
kirchlich anerkannter PönitentialbQcher hatten ja, wie wir gesehen haben, den
Inhalt des Kanons Episcopi vollständig bestätigt!
8oId«n-Heppe^ Hexeuprozesse. I9
FÜNFZEHNTES KAPITEL.
Das Verbrechen.
a) Das Treiben der Hexen.
Indem wir nun dazu übergehen, diejenigen Hand-
lungen, welche den eigentlichen Gegenstand des Ver-
brechens der Hexerei bilden, im Zusammenhange vorzu-
führen, dürfen wir den ersten besten konkreten Fall aus
den Untersuchungsakten irgend eines beliebigen Landes
herausgreifen; er wird im Ganzen ein treues Bild aller
übrigen geben. "Wir wählen, der anschaulichen Darstellung
wegen, die vonLlorente mitgetheilten Bekenntnisse der
Hexen, welche im Jahre 1610 zu Logrofto in Spanien
verurtheilt und zum Theil hingerichtet wurden *). Einzelne
Abweichimgen und Eigenthümlichkeiten , wie sie sich in
deutschen und andern Prozessakten finden, werden sich
Llorente's Berichte anschliessen.
Den Ort ihrer Zusammenkunft nannten die neunund-
zwanzig Verurtheilten, sämmtlich aus dem Königreich Xa-
varra gebürtig , in gasconischer Sprache Aquelarre,
d. h. Bockswiese, weil daselbst der Teufel in Gestalt eines
Bockes zu erscheinen pflegte. Montag, Mttwoch und
Freitag jeder Woche waren für die gewohnlichen Zu«
') Llortnt^s kritische Geschichte der spanischen Inquisition. Deutsch
von 7, K, I/öck, GmOnd 182I. Bd. III., Kap. XXXVII. Abschn. 2.
Das Verbrfchcn. 2QI
sammenkünfte bestimmt, fiir die solenneren dagegen die
hohen Kirchenfeste, wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten,
auch Johannistag und andere Heiligenfeste; denn so wie
diese Tage dem feierlichsten Gottesdienste geweiht sind,
so gefallt es dem Teufel, gleichzeitig von seinen Anbetern
eine besondere Verehrung entgegen zu nehmen. Er er-
scheint in der Gestalt eines düsteren, jähzornigen, schwarzen
und hässlichen Mannes, sitzt auf einem hohen, verzierten
Stuhle von Ebenholz und trägt eine Krone von kleinen
Hörnern, zwei grosse Homer auf dem Hinterkopfe und ein
drittes auf der Stime ; mit dem letzteren erleuchtet er den
Versammlungsplatz. Sein Licht ist heller, als das des
Mondes, aber schwächer, als das der Sonne. Aus den
grossen Augen sprühen Flammen, der Bart gleicht dem
der Ziege, die ganze Figiir scheint halb Mensch, halb
Bock zu sein. Die mit langen Nägeln bewaffneten Finger
spitzen sich wie Vogelkrallen aus, die Füsse ähneln den
Gänsefussen. Wenn der Teufel spricht, so ist seine Stimme
rauh und furchtbar, wie die Stimme des Esels ^). Oft redet
er undeutlich, leise, ärgerlich und stolz ; seine Physiognomie
verkündigt üble Laune und Trübsinn.
Bei der Eröffnung der Versammlung wirft sich Alles
nieder, betet den Satan an, nennt ihn Herrn und Gott und
wiederholt die bereits bei der Aufnahme ausgesprochene
Lossagung vom Glauben ; hierauf küsst man ihm den linken
Fuss, die linke Hand, den After und die Genitalien. Um
neun Uhr Abends beginnt die Sitzung und endet gewöhn-
lich um Mittemacht; über den Hahnenschrei hinaus darf
sie nicht dauern.
An den Hauptfeiertagen der katholischen Kirche beich-
ten die Zauberer dem Teufel ihre Sünden, die darin be-
stehen, dass sie dem christlichen Gottesdienst beigewohnt
haben. Der Teufel macht Vorwürfe, legt nach den Um-
*) PsiUus redet von einer schwachen, undeutlichen Sprache der Geister.
— Nach lothringischen Akten singen die Teufel mit einem heisern Geschrei,
„gleich als wenn sie durch die Nase trommeten** {Remig* Daemonolatr. I. 19),
— oder sie geben eine Stimme von sich „gleich denen, so den Kopf in ein
f ass, oder zerbrochenen Hafen stecken und daraus reden." (Remig, Daem. I. 8.)
2Q2 Fünfzehntes Kapitel.
Ständen die Busse der Geisselung auf und gibt die Abso-
lution, wenn Besserung verheissen wird *). Hierauf nimmt
der Teufel im schwarzen Ornat, mit Infel und Chorhemd,
Kelch, Patene, Missale u. s. w. eine Parodie der Messe
vor ^). Er warnt die Anwesenden vor der Rückkehr zam
Christenthum, verheisst ein seligeres Paradies, als das der
Christen ist, und empfangt auf einem schwarzen Stuhle,
den König und die Konigin der Hexen zu beiden Seiten,
• die Opfergaben, welche in Kuchen, Weizenmehl u. dgl.
bestehen*). Hierauf betet man wiederum den Satan an,
küsst ihm abermals den After, was er dadurch erwiedert,
dass er Gestank von sich gehen lässt, während ein Assistent
ihm den Schweif aufhebt. Dann nimmt und gibt der Teufel
nach einer Einsegnungsceremonie das Abendmahl in bei-
derlei Gestalt; was er zum Essen darreicht, gleicht einer
Schuhsohle, ist schwarz, herb und schwer zu kauen, die
Flüssigkeit, in einer Kuhklaue oder einem becherartigen
Gefasse dargereicht, ist schwarz, bitter und ekelerregend*).
Nach der Messe vermischt sich der Teufel fleischlich
mit allen Manns- und Weibspersonen und befiehlt Nach-
ahmung ^) ; am Ende vermischen sich die Geschlechter ohne
») Vgl, Jiemi^. L 22.
') J*avoue encore, comme le diable est un vrai singe de T^Hse, faisant
au sabbat tout ce qu*on fait en I'^glise. Hierauf folgt eine fthnliche 6(*
Schreibung der Messe; dabei ein Gl6ckchen von Hom mit einem h^Uernco
Schlägel, (Bekenntniss des l6ii zu Aix verbrannten Priesters Gaufridy.)
•) In französischen Prozessen im fünfzehnten Jahrhundert opfert raJin
GeflOgel und Korn {jfaquier Flagell. p. 51), in lothringischen des sechzehnten
Jahrhunderts schwarze Thiere und andere Dinge {Remig, Daemonol. S. 85«
in deutschen von 162 8 auch Geld (M on e Anzeiger I839. S, 130) und so ^^ft«".
^) GeschwJlrzte RQbenscheibe als Hostie in Südfrankreich (Dtlric Disqu*
mag. Lib. V. Append, p. 855. Ed. Colon. 1679.), in deutschen Prozessen
schmeckt die Hostie „wie faules Holz** oder sonst fade (Mone Anz, 1839*
S. 132. Burg-f riedbergische Originalakten von 1666.) Das Teufel«*
Abendmahl wird auch tu weilen durch einen Hexenpfaffen gereicht. (Lind*
heim er und burg-fried bergische Originalakten,)
') „Mala denique malis addendo vos viri cum su^cubis, vos mulieres cum
incubis fomicati estis, todomiam veram et nefandissimum crimen misere cum
litis tactu frigidissimo exercuistis." Urtheil der Inquisition xu Avignon t3B3*
l»ei Delrio Lib. V. sect. 16.
Das Verbrechen. 20^
Rücksicht auf Ehe und Verwandtschaft. Nach diesen Be-
gehungen sendet der Teufel Alle zurück und gebietet
Jedem, an Menschen und Früchten des Feldes nach Mög-
lichkeit Schaden zu stiften, wozu man sich theils in Hunde,
Katzen und andere Thiere verwandelt, theils Pulver und
Flüssigkeiten anwendet, bereitet aus dem Wasser der Kröte,
die jeder Zauberer von dem Augenblicke seiner Aufnahme
an bei sich trägt, und die eigentlich der Teufet selbst ist.
Zuletzt verbrennt sich der als Bock darstellende Teufel
zu Asche ^).
Wer aufgenommen werden will, muss seinen Glauben
abschwören und den des Teufels annehmen. Er entsagt
Gott, Jesu Christo, der heiligen Jungfrau, allen Heiligen
und der christlichen Religion, verzichtet auf die ewige
*) ^ud, Reuss theilt (La sorcellerie au 16 et 17 siede, S. 23) zwei Ab-
schwörungsformeln mit, die eine 1659 im Elsa&s vorkommende : „Hiermit fahre
ich dem lebendigen Teufel zu, der soll mich behüten und bewahren, bin auch
Gott nicht mehr angehörig." — Die andere lautet:
„Da stehe ich auf dem Mist,
„Verleugne Gott, alle Heiligen
„Und meinen Jesum Christ.'*
Diese letztere war in der einen, oder in der anderen Modifikation die ge-
bräuchh'chste Formel. Im protestantischen Hessen z. B, begegnet man in den
Prozessakten Öfters der Formel:
„Ich stehe hier auf der Mist
„Und verleugne Jesum Christ."
Bei wÄ^fj/ (Dämonologie II., S. 161) bekennt eine protestantische Hexe, welche
1651 verbrannt wurde, „sie habe müssen an einen weissen Stock fassen,
der gewesen, als wenn er von einer Weide geschnitten und abgeschölfert
wäre, und zwei Finger der linken Hand auf ihre Brust legen, sich an einen
Berg lehnen und also sprechen:
„Hier greife ich an diesen Stock,
„Und verleugne hiermit unsern Herrn Gott
„Und seine zehn Gebote."
Katholische Hexen gebrauchten auch die Formel:
„Ich fasse an diesen weissen Rock
„Und verleugne Mariä's Sohn und Gott."
Andere Hexen gestehen, Glockenspäne vom Teufel erhalten und mit den
Worten* ins Meer geworfen zu haben: „So wenig diese Späne je wieder zur
Glocke kommen, ebensowenig ich zu Gott und seinen Heiligen." (S. Schreiber
im Taschenbuch für Gesch. und Alterthum in Suddeutschland, 1846, S. 172.)
294 Fflofichntes Kapitel.
Seligkeit, erkennt den Teufel als Gott und Herrn, schwort
ihm Gehorsam und Treue, um alle Ueppigkeit dieses Le-
bens zu gemessen und dereinst in das Paradies des Teufels
einzugehen. Hierauf drückt der Teufel mit den Klauen
der linken Hand dem Novizen ein Zeichen auf irgend einen
Theil des Körpers, gewohnlich auf der linken Seite ^), der
dadurch vollkommen unempfindlich wird (stigma diaboli-
cum)*), zeichnet mit einem Goldstücke in den Stern des
linken Auges die Fignr einer Kröte zum Erkennungszeichen
für andere Zauberer und übergibt dem Pathen eine für
den Neuling bestimmte Kröte, die demselben hinfort die
Kraft verleiht, sich unsichtbar zu machen , durch die Luft
zu fliegen und allen möglichen Schaden zu stiften ^). Dieses
*) Freilich waren nicht alle Hexen mit dem Stigma behaftet, sondern
nach herrschender Meinung im Allgemeinen nur Diejenigen, welchen der B5se
nicht recht traute und \velche er daher als sein Eigenthum xu bezeichnen ftr
rathsam erachtete. Er that es gewöhnlich durch einen Griff mit der Hiftd
oder einen Schlag mit der Klaue an den Schultern oder auch den der UOffecn,
Schenkeln oder an anderen Körpertheilen — d, h. er hatte es überall da gf-
than, wo man im Prozess an einer Inquisition ein Muttermal, eine Warze, einen
Leberflecken oder dess etwas vorfand. {Trechsel, das Hexenwesen im Kanton
Bern: im Bemer Taschenbuch von 1870, S, 174.)
') Das Stigma wird den sichern Opfern des Teufels nicht aufgedrflckt
bloss den zweifelhaften (Bodin. Daemonoroan, II. 4,). Analogien zum Sti|va
im alten Ketzerwesen s. oben.
Hexenzeichen in lothringischen Prozessen an den verschiedensten Körper-
theilen, selbst den geheimsten, Rtmig, Daemonolatr. S. 20 -^ in schottischen
auf der linken Seite eingedrückt (W. Scott Br, über Dämonologie, deutsch
V. Bärmann, Th. I. S. 224) •— im Badischen auf den rechten Arm gepetzt,
in die linke Seite gebissen , auf die linke Schulter geschlagen , an das rechte
Auge gestossen , an den linken Fuss gegeben , ins linke Auge gestochen, auf
das rechte Knie gebissen u. s. w. (Mone's Anz, 1839 S. 124). In Frank*
reich : J'avoue, que la premiöre fois qu*on va au sabbat , tous masques, sor-
ciers, sorci^res et magiciens sont marqu^s avec le petit doigt du diable, qui
a cette Charge J'avoue. que j*ai ^t^ marqu^ au sabbat de moo ood-
sentement et y ai fait roarquer Magdelaine. Elle est marqu^ h la tHe. au
coeur, au ventre, aux cuisses, aux jambes, aux pieds et en plusieurs aulres
parties de son corps. Bekenntniss des Priesters Gaufridy, Neuser BibK maf(.
Bd. I. S. 463.
') Die Kröte Bndet sich auch in englischen, französischen und deuueben
Prozessen. In englischen ist es auch zuweilen ein weisser Hund, eine Katze,
eine Eule, ein Maulwurf etc., und die Hexen sind verpflichtet, diese bOaen
Das Verbrecheo« 2q$
Thier muss sorgfaltig gepflegt und geliebkoset werden.
Der Noviz übernimmt die Pflicht, den Christen an Leib
imd Gut zu schaden. Hat er seine Probezeit ausgehalten,
d. h. sich hinlänglich oft am Christenthum vergangen, so
weiht ihn der Teufel definitiv zum Seinigen, indem er ihm
mit den tmanständigsten Geberden den Segen ertheilt.
An manchen Tagen wird nach der Musäc der Quer-
pfeife, der Leier, Trompete oder Trommel getanzt. Um
sich zum FKegen vorzubereiten, bestreicht sich der Zlaai-
berer mit dem aus der Kröte ausgedrückten Safte. Grifte
aus Pflanzen, Reptilien und Christenleichnamen werden
unter besonderer Aufsicht des Teufels zubereitet. Nicht
alle Zauberer haben bei der Bereitung Zutritt, aber allen
wird von der Salbe mitgetheilt, damit sie ihre Malefizien
mittelst derselben bewerkstelligen. Damit der eine Ehe-
gatte die Bockswiese besuchen kann, ohne dass der andere
es bemerkt, wird der letztere entweder in tiefen Schlaf
gesenkt, oder es wird ein Stock, der die G-estalt des Ab-
wesenden annimmt, zu ihm ins Bett gelegt. Oft macht
der Teufel auch seine unkeuschen Besuche in den Woh-
nxmgen der Hexen. Ein kleines, in die Thüre gebohrtes
Loch genügt den Hexen zum Ausgang. Sie lieben es,
kleine Kinder durch Blutaussaugen zu tödten. Bei zu-
falliger oder absichtlicher Nenmmg des Namens Jesus ver-
schwindet plötzlich der Teufel und die ganze Versamm-
lung des Sabbaths.
Uebereinstimmend mit diesen Bekenntnissen der Hexen
von Logrofio in allen Hauptsachen und selbst in den meisten
Einzelheiten sind die Aussagen in den übrigen Ländern;
nur versteht es sich, dass jedes Land seine eigenen Orte
für die Zusammenkünfte und mancherlei Modifikationen im
^Einzelnen hat. Versammeln sich die Hexen von üaw^arra
in Aquelarre, so hat Deutschland seinen Blocksberg ^), In-
Ocister Öfters an sich saugen zu lassen. (The wonderful discovery of the
"iritchcrafts of Margaret and Phillip Flower etc. London 1619. Reprinted
Grvenwich 1838. — Webster Cap. V.)
') £r wird zuerst in dieser Beziehung erwähnt in einem Beichtbuche des
15« }abrhundetts. Grimm deutsche Mythe! . S, 59 1.
■2g6 FQnfzehnes Kapitel.
selsberg, Weckingstein bei Minden, Staffelstein bei Batn-
bergf, Kreidenberg bei Würzburg, Bonnigsberg bei Loc-
cum, Hupella auf den Vogesen, Feller Berg bei Trier,
Kandel im Breisgau, Heuberg auf dem Schwarzwalde')
und viele andere Berge; Frankreich hat seinen Puy de
Dome, Italien den Barco di Ferrara, Patemo di Bologna
und namentlich Benevent (wo sich die Hexen unter einem
Nussbaum versammelten und die „beneventische Hochzeit"
feierten), Schweden den Ort BlacuUa. In der deutchen
Schweiz wird die „Brattelenmatte" (von der man jedoch
nicht weiss, wo sie zu suchen ist) , als Stätte der Hexen-
sabbathe genannt. Oft sind dem Wohnorte der Inquisiten
ganz nahe gelegene Localitäten genannt : die Hexen des
Busecker-Thals versammeln sich in den klimbacher Hecken,
die trierischen zuweilen auf der hetzeroder Heide, die
offenburgischen auf der dasigen Pfalz, die coesfeldischen
„ufr Vlaemschen Wieschen, ufm Vosskampfe"; oder es
heisst auf der Wiese, unterm Nussbaum, auf dem Zimmer-
platze, auf dem Bühel beim heil. Angesicht u. s. w. Kirch-
höfe werden in Genf, Frankreich und im Elsass, die innem
Räume der Kirchen in Berwick und England, Plätze vor
Kreuzen in Poitou und Lothringen, Kreuzwege in West-
phalen, Navarra und anderwärts, — kurz Oertlichkeiten
der verschiedensten Art, unter welchen Berge allerdings
die Hauptrolle spielen, werden als Schauplätze des obsconen
Sabbaths bezeichnet ^). Bei den Hexensabbathen präsidirt
*) Der Heuberg, — der aOdwestlichste , hftchste und rauheste Theil
der Alb (wo noch jetit bei Obernheim das „Hexenbäurolein*' zu sehen ist)»
wird schon in einem 1506 geschriebenen und 1515 gedruckten Tractat des
tObingischen Theologen Martin Plantsch erwähnt.
*) Die zahlreichen Versammlungsstätten der Hexen im Elsass theilt Htms
(La sorcellerie, S, 36) mit. Der Leser wird uns von der weiteren AufUhlunK
von Namen, die leicht um das Sechsfache vermehrt werden kannten, so wie
von der Citining der Stellen, wo dieselben vorkommen, dispensiren. Sie finden
sich zahlreich in den Hexentractaten, so wie in den hiufig abgedeckten oder
auch im Original zu habenden Akten. Hier galt es zunächst darum, eine an*
sehnliche Zahl von Oertern aufzuführen , die sämmtlich mehr oder weniger
einer Ehre genossen, welche irrigerweise jetzt so oft dem Brocken ausschlics»-
D«3 Verbrechen.
297
der Teufel, entweder in eigener Person oder durch einen
ihm untergebenen Dämon, dem die Homer fehlen und der
vom Platze weicht, sobald der Teufel erscheint. Als Zeit
der Hauptversammlungen treten auch anderwärts die gfrossen
Kirchenfeste hervor; neben diesen der Johannistag, der in
Frankreich und Baiem seine besondere Bedeutung hat,
der Jakobstag, die übrigen x\postel- und die Marientage
und fiir einen grossen Theil Deutschlands ganz vorzüglicTi
die Walpurgisnacht^). Ueber die letztere wird weiter
unten noch besonders geredet werden. Ausser den so-
lennen Versammlungen (an denen sich oft zehn- bis zwölf-
tausend Hexen und Zauberer zusammensehen) finden auch
wöchentliche mit geringerer Förmlichkeit Statt; für die-
selben haben sich die lothringischen Hexen den Mittwoch
und Freitag, die französischen theils den Montag imd Freitag,
theils den Mittwoch, Donnerstag und Freitag, die trieri-
schen und lombardischen aber den Donnerstag ausersehen;
und die launenhaften oder religionsschänderischen Gründe
dieser Wahl sind von Gelehrten, wie Bodin, Binsfeld,
Bernhard von Como u. A. theils aus Schrift und Vernunft,
theils aus dem Talmud nachgewiesen.
In Deutschland, in der Schweiz und anderwärts kommt
es häufig vor, dass der Teufel auf Werbung ausgeht —
wie es überhaupt immer der Versucher ist, der den ersten
Schritt zur Einleitung des Bündnisses thut. Er erscheint
dann gewöhnlich als schmucker Cavalier oder Krieger,
legt sich irgend einen mehr oder weniger bedeutsamen
lieh beigemessen wird. Der Brocken hatte allerdings, man möchte sagen,
einen grösseren Hexensprengel als andere Berge, weil er ein grösseres Flach-
land beherrscht ; doch erstreckte sich seine Bedeutung ebenso wie die der (im
Klsass, in Schwaben etc. unbekannten) Walpurgisnacht nur auf Norddeutsch-
land, in Mitteldeutschland wird er selten , im SQden meines Wissens gar nicht
in den Akten genannt. Seine angebliche Beziehung zu dem Aufkommen des
Hexenglaubens Oberhaupt wird weiter unten besprochen werden.
^) Sie ist nirgends die ausschliessliche Hexenepoche; am meisten
scheint sie im nordwestlichen und nördlichen Deutschland hervorzutreten. In
bayerischen, sdxwäbischen, französischen und anderen Prozessen werden mehr
der Johannestag, Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Fastnacht genannt.
298 Fanüehnte« Ki^itel.
Kamen bei ^), tritt vor ein einssunes, einfaltigeSi trauerndes
oder von Noth bedrängtes Weib, tröstet, droht oder schreckt,
zeigt und schenkt Geld, das jedoch am nächsten Morgen
in Koth oder dürres Laub verwandelt ist ^, verheisst ver-
gnügtes Leben und grossen Reichthum, der indessen seltisn
eintrifil ^), bethört die Arme, vermischt sich mit ihr fleisch-
lich, wobei sich seine kalte unangenehme Natur zu erken-
nen gibt ^) , drückt dem Weibe das Stigma auf und lässt
*) Z. B, Alexander, Müsgen, Firlenhan, Laub, Kreutlin, Peterling, Volant,
Feuerchen, Leichtfuss, Moyset. Hemmerlin, Hans Kumpel, Schuhfleck, Knipper-
doUing, Machleid, Zumwaldfliehen. Im Mflnsterlande nennt sich der Teufel
Frerichs, Rodderbusch, Jürgen, Im Elsass: Blümlin, Strohbutz, KochlOfi^l,
Rotmenlin, GrOsslin, L&ubel, Ognon, Ziegelscherb, KSsperlin, Schiffnmm.
Schwarzkünstler, LOwer, Haverliedt, Durst, G15ckel, M&noe], GrQDläubel,
Hurst, Hurstel, Hundsfutt, in Remiremont: Mattre Leonard. Am verbreitetsten
waren, namentlich in SQddeutschland die Bezeichnungen: Federfaans,
Federle, Hans Federlin, Flederwisch, Federspiel u. dgl. (d«nen offenbar die
Beziehung auf den (edergeschmOckten Hut, mit dem der Böse so oft erscheint,
zum Grunde liegt). In Holland kommen die Namen Pollepel, Roltje, Hendrik.
Härmen, Hanske u. s. w., in der Schweiz die Namen HAnsli, Hans Lc&g oder
Hans Lcug, Jean Wxla, HQrsch*MartiD, Julius, Robet, Robin, Remooius n. s. w.
vor. In Lothringen: Maltre Persil, Joly-bois, Verdelet, Sauteboisson. In
Schottland: Pastetenwftchter, Beissindiekrone, Thomas Weinessig u. s. w. In
Schweden: Loeyta,
') Rtmigms (Daemonolatr. S. 19) kennt nur einen Fall, wo der Teuiel
drei aufrichtige Pfennige ohne Betrug schenkte. Bmsfeld (de coa-
fessionibua maleficorum p. 32) weiss von einem doppelten Dukaten in er*
zählen ; dergleichen Anwandlungen von Ehrlichkeit sind jedoch sdir selten.
') Nur wenn reiche Leute in Untersuchung waren, Itess man den Teufel
sein Wort gehalten haben. So ward bei einer Angeklagten zu OsnabrOck der
Reichthum als Indicium des Teufelsumgangs genommen (Witrus de Lamiis 51);
dem Kaufmann Köbbing zu Coesfeld wurde ein geldbringender Succubos bei*
gelegt (UUsert, Ilexenpr. zu Coesfeld S. 37); in burgfriedbergtschen und an-
dern Akten findet sich Aehnliches, besonders im siebenzehnten Jahrhundctt.
wo auf die Reichen häufiger Jagd gemacht wurde.
^) Diess ist durchgehender Charakter in allen Ländern, £s stimmt mil
der bereits oben angeführten Wahrnehmung des Psellus Qber die kalte Nator
der Dämonen zusammen. Spezialitäten s. Bodim Daemonoman. II. 7. pi. ast ;
Rimig, Daemonolatr. p. 25 ff« 31 ff.; Dario Disquisit. mag. Lib. V. Appead.
p. 8&4; De Laturt Chap. VIII.; v. Rüling Auszöge einiger merkwQrdigea
Hexenprozesse im Forsten thum Calenberg. •— Prozess v. 1638 «- und fiut ia
allrrn Akten. Eine ganz vereinzelte Ausnahme ist es, wenn bei GrUitmd, de
Das Verbrechen.
299
"bei seinem Verschwinden die unzweideutigsten Zeichen
seines diabolischen Wesens hinter sich. Nun gehen der
Verblendeten, die auch ihren eigenen Hexennamen erhalten
"hat ^), die Augen auf, aber sie kann nicht zurück, setzt das
Verhältniss fort, schwort den Glauben ab und lässt sich,
nachdem zuvor das Chrisam abgestrichen ist, in des Teufels
Namen taufen, wobei Pathen und Ceremonien nothig sind.
Seltener isfs, dass der Teufel gleich Anfangs in Bocks-
gestalt oder mit Kuhfiissen und Hörnern einem Mädchen
mit seinen Bewerbungen entgegentritt und durch Drohungen
und Gewaltthätigkeiten zum Ziele gelangt. Die Taufe
wird mit Blut, zuweilen mit Schwefel \md Salz vollzogen ^).
In den Hexenversammlungen kam auch ein teuflisches
Weihwasser vor, womit die Versammelten besprengt wur-
den'). Oft werden selbst unmündige Kinder dem Teufel
2ur Aufnahme von den Hexen zugeführt, imd auch diese
verschont er nicht mit seiner Unzucht. Oft finden sich
sortilegiis qu. 7« 29 eine Hexe bekennt, den Concubitus geübt zu haben
maadm& cum delectatione. Regelmässig erklären die Hexen auf peinliches Be-
DtigeR, dass ihnen der Ck)itus mit dem Teufel nicht wohl gethan habe, mit
Hin Weisung auf die unangenehme Beschaffenheit des membrum virile und des
kalten semen desselben.
') Im Elsa SS nennen sich die Hexen Saufvessel, Schwarzdesche, Zipperle,
Gnindt, Krautdorsche, GänsfQssel, Kräutel, BlQmel, Grünspecht, Sipp etc. In
einem westphäli sehen Prozesse nennt sich ein Succubus Christine.
') Mit Blut z. B. in Schwaben, wie dergleichen Fälle in Lauterback* s
Consiliis (Consil. ' Juridic. Tübingens. Tom. IV,) vorkommen, in Schottland
{^Walier Scott Br. über Pämonol. II. 139). Die Namen, welche der Teufel
in dem letztern Lande beilegt, erinnern in ihrer Bildung an die der englischen
Glaubensmänner zu CromweU's Zeit, z. B. Pickel*nach-dem-Wind , Wirf-um-
den-Komboden, Ueber-den-Deich-mit-ihr u. s. w. — Taufe mit Schwefel undr
Salz z. B. in Frankreich, nach den Bekenntnissen des oben angeführten
Oaufridy.
') ^8^* „Wunderbarliche Geheimnussen der Zauberey, darinn aus der Uhr-
.^cht vnd Bekenntnuss vieler vnderscheidlicber Zauberer vnd Zauberinnen die
▼omembste Stück, so bey solchem Teuffelswesen umgehen, beschrieben werden**
^1630). wo es S. 91 heisst: „Sie brauchen auch weyhwasser, dann uns wahr-
hafllig gesagt ist, dass der Teuffei erst durch ein Loch pisset, darnach alle
<lie auf demSabbath seindt, gross und klein, vnd dass bisweilen zween Teuffein,
2>tsweiJen ein Mann das Volk damit besprengete.'*
ßOO FQnfEehntes Kapitel.
beim Teufelsbunde eigentliche Verschreibungen mit Blut,
anderwärts ist diese Formalität mehr den Gliedern der
höheren Klassen des satanischen Reiches, als den gemeinen
Hexen vorbehalten^). Manche Hexen dienen dem Teufel
sechs bis zehn Jahre, ehe sie das Homagium leisten, an-
dere thun diess gleich Anfangs. Der Besuch des christ-
lichen Gottesdienstes ist nicht ganz verboten; vielmehr gilt
es als verdienstlich, der Messe beizuwohnen und während
der Elevation auszuspeien und unanständige "Worte zu mur-
meln, oder zum Abendmahl zu gehen und die empfangene
Hostie aus dem Munde zu nehmen, um sie später dem
Teufel zur Schändung und Bereitung von Zaubermitteln
auszuliefern *). Die Hexe tritt das Kreuz, fastet am Sonn-
tage und isst am Freitage Fleisch. Zum Hexensabbath
reitet man auf Böcken, Hunden, Schweinen, Stocken, Ofen-
gabeln, Besen, Spiessen oder anderen abenteuerlichen Ve-
hikeln ; der gewöhnliche Weg geht durch die Luft, seltener
durchstreift man das Land zu Fusse in Katzen- und Hasen-
gestalt ^). Zum Flug, wie zur Verwandlung wird eine
') Vcrschreibung mit Blut aus der Nase in badischen Akten {yfone Ani,
1839 S. 125); aus dem Finger — in schwedischen (Bekker bez. Welt IV. 29)
und salzburgischen {Hauber Bibl. mag. III. 306). In Frankreich : Expres»
autem conventio modo fit verbis sine scripto, modo scriptura confirmatur (Bodim
Daemonum. II. 4). In England ebenfalls der Bund mit Blut (The wonderful
discovcry etc. p. 10). Jakob I. sagt (Daemonol. 1. 6), dass die gelehrteren
Magier oft eine Vcrschreibung mit ihrem Blute geben , zuweilen aber auch
nur eine leise Berührung vom Teufel erleiden, wovon ihnen nicht, w-ie den
Hexen, eine nota indelebilis bleibt. — Ein flandrischer Protess von 1^<»3 ent-
halt die eigenthOmliche Angabe, dass die Angeklagte den Bund machte, naer
dyen sy den boosen vyandt van haeren bloede tc drincken hadde Regrven»
ende sy van den synen hadde gedronken. {Cannaert Bydragen tot de kennis-
van het oude strafrecht in Viaenderen, p. 243.)
*) Urtheil der Inquisition zu Avignon v. 1582, Delrio V. 16.
■) Ausfahrt der Hexen auf Besenstielen in Frankreich, auf Backen in
Italien, stets durch den Schornstein, nach Garinet llist, de la magie en France
p. XLII. Dagegen zeigt das Bekenntniss Gaufridy*s. dass die franz^ischen
Hexen auch zuweilen durch das Fen<:ter fahren. In Deutschland geht es durch
den Schornstein, auch durch die ThÖre oder das Kammerfenster (z. B. Rtmif^,
117 fll). — Die BAcke, Stocke u. s. w. , auch die Glieder des eigenen KAr.
pers werden mit einer grOnen , weissen , blauen oder schwarzen Salbe. Ober
Da3 Verbrechen.
301
Salbe *) meist auch eine Formel („Auf xmd davon-, Hui,
oben hinaus xmd nirgend an") gebraucht. Erhellt wird
die Mahlzeit durch „Leuchter", d. h. durch Hexen, welche
gebückt stehend im Hinteren brennende Kerzen tragen.
Wer den Sabbath versäumt oder sich daselbst ordnungs-
widrig aufführt, erlegt eine Geldstrafe, oder wird am Leibe
gezüchtigt*). Der Teufel ist indessen bei diesem Feste
nicht immer ein mürrischer Gebieter. Oft sitzt er mit
einem gewissen Ausdruck der Milde da, liebt einen Spass,
lässt die Hexen kopfüber springen, oder zieht ihnen die
Besen und Stangen imter den Beinen weg, dass sie hin-
fallen, lacht, dass ihm der Bauch schüttert, und spielt dann
anmuthige Melodien auf der Harfe. In dem berüchtigten
Hexenprozesse von Mora in Schweden (1670), der zwei-
imdsiebenzig Weibern und fünfzehn Kindern das Leben
deren Substanz die Richter und Gelehrten niemals etwas Sicheres erfahren
konnten (R^mig. Daem. I, 2.), bestrichen und dann Formeln ausgesprochen
(z. B. Wohl aus und an, stoss nirgend an !), worauf die Hexe sogleich empor-
getragen wird. S. Mone Anz. 1839 S. 126. Kernig, 117. — Ein äusserst
sinnreiches Verfahren w^endeten die schwedischen Hexen an, wenn sie zur
Fahrt nach BlacuUa ihre Nachbarinnen, Freundinnen, Kinder mitnehmen woll*
ten. Sie steckten nämlich ihrem Bock eine Stange in den Hinteren, auf welche
sich die lieben Freundinnen setzten, worauf es dann sofort durch die Luft
gen Blacnlla ging. — In Schottland besteigt man Strohschütten, Bohnenstangen
oder BinsenbOndel und erhebt sich unter dem Rufe: Ross und Heuhaufen, in
des Teufels Namen {W, Scott Br. über Dämonologie 11. 235). In Sommer-
setshire war die Losung: Tout, tout, throughout and about {IV, Scott a.a,0.
11. 105). In einen Hasen oder in eine Katze mittelst der Zaubersalbe ver-
wandelte Hexen erwähnt Mone Anz. 1839. S. 126. — Auf Ochsen, Säuen
und andern Thieren fahrende Hexen s. Remig. 11 7,
^) Diese Salbe wird von den Hexen aus allerlei Ingredienzien, z, B. aus
Bilsenkraut, Solanum somniferum und andern narkotischen Mitteln so hergestellt,
dass dieselben mit Gel, mit dem Blute einer Fledermaus, eines Wiedehopfs ; am
liebsten aber mit dem Fette ermordeter ungetaufter Kinder eingekratzt werden.
Da diese jedoch nicht immer zu haben sind, so thut es auch das Fett —
aber nur von den Fingern — natürlichen Todes verstorbener und getaufter
Kinder, wesshalb die Hexen gern Kinderleichen ausgraben. — Vgl. Leubuscher,
Wehrwölfe. S. 4I.
*) Die Hexen von Labourt zahlen ^/4 Krone Strafe für das Versäumen
des Sabbaths {de Lancre Cap. 11.) ; unehrerbietiges Benehmen ahndet der Teufel
in Schottland durch Prügel oder durch Schläge mit Wollhecheln ( W. Scott 11, 137).
XQ2 FOnfiehatca KApitet,
kost^e, wird er auch zuweilen krank und lässt sich Schröpf-
köpfe ansetzen; einmal stirbt er sogar auf kurze Zeit und
wird in BlacuUa laut betrauert.
Die Mahlzeiten bei den grossen Versamndung'en —
lauter Schaugerichte — bestehen bald aus schmaler imd
ekelhafter Kost ^), bald müssen die Vorräthe der Reichen
das Ausgesuchteste und Schmackhafteste liefern '), nur fehlt.
Salz und Brot, oft auch der Wein — drei Dinge, die durch
den Gebrauch der katholischen Kirche als gfeheiligt galten.
Als besonderer Leckerbissen der Hexen bei ihren Sab*
bathen galten kleine Kinder. Man nahm an, dass die
Kinder, welche hierbei (zum Scheine) geschlachtet und
verzehrt wurden, bald nachher sterben müssten. — Uebri-
gens trinkt hier Jeder fiir sich, Niemand trinkt dem An-
deren zu. Nach dem Essen geht der Tanz an, ein runder
Reigen, das Gesicht nach aussen gekehrt*); eine Hexe in
der Mitte des Kreises steht auf dem Kopfe und dient als
Lichtstock. Tanzen einzelne Paare , so kehren die Tan»
zenden einander den Rücken zu. Sackpfeifen,. Geigen,
Trommeln ertönen und der Chor singt: „Harr, Harr, Teufel,
Teufel, spring hie, spring da, hüpf hie, hüpf da, spiel hie,
spiel da*)!" oder ein ähnliches Lied *). Auch Hexenhoch*
*) Remig, I, Cap. l6, — In badischen Akten (Mone a. a. O.) Fische
und Fleisch vom Geschmacke faulen Holzes, ohne Sali ; Wein wie Mistlachen-
wasser, oder saurer Wein. — Das Brod fehlt z. B. in burgfriedb. Akten von
1665. — Oft werden die Speisen von den Abdeckeplälzen geholt,
') „Sie habe bey der Zasammenkunfft nacher Giesen in die Keller fahren
mOssen undt den besten Wein daraus hohlen müssen, der Teuflfel habe sie und
andere zun löchern hinausgeführt und den Wein in kleine fUsserchen geföUt,
und wann sie wieder heimb wollen, haben sie gesagt: nun fahr hin io hun-
dert Tausendt Tcuffel Nahmen. {Buseckische Akten von 1656). Die wQrz-
burgischen Hexen fahren dem Bischof in den Keller u. s. w.
•) Z, B. in Lothringen Remig, S. lU, 133. — In Guienne DelrtQ Dtsqu.
mag. Lib. V. Append. p. 855. In badischen Akten b. Mone S. 127, — in
schottischen IV, Scott U. 171. — Englische Akten ziehen zuweilen auch die
Feen zu den Hexengelagen mit herbei.
^) Boäin, Daemonoman. II. 4-
*) In Schottland wird zum Ringeltanze gesungen:
Cummer, gang ye before, cummer, gang ye;
Gif (if) ye will not gang before, cummer, let me.
iV. Scott 11. 171.
Das Verbrechen. ^05
Zeiten werden in zahlreicher Versammlung* gehalten ^).
Ausser der Würde des Königs und der Königin gibt es
in der Hexenwelt auch verschiedene Militär-, Civil- und
geistliche Chargen : man findet- Offiziergrade vom General
bis 2nim Lieutenant und Fähnrich abwärts und selbst Hexen-
corporale, ferner Gerichtsschreiber, Secretäre, Rentmeister,
Köche, Spielleute und HexenpfafFen ^). Die Officianten
werden mittelst zusammengeschossener Beiträge .salarirt.
Die Hauptverpflichtung, welche die Hexe durch ihren
Bund mit dem Teufel übernahm, war die, dass sie bemüht
sein musste, mit Hülfe und nach dem Bescheid des Teu-
fels die Christen an Leib und Seele, an Hab und Gut zu
schädigen und zu verderben. Dabei ist zu beachten, dass
die Hexen, wenn sie Schaden stiften wollten, immer ver-
einzelt, fast nie in Gemeinschaft mit anderen operiren^).
Die Mittel sind ganz dieselben wie im vierzehnten und
funfeehnten Jahrhundert. Das eigentliche Sacrament, durch
welches die Hexen ihre Wirksamkeit ausüben, die Hexen-
salbe, mit der die Hexen sich und die Spitzen ihrer Ga-
beln zur Ausfahrt bestreichen, mit der sie Menschen und
Vieh schädigen und tödten etc. Ausserdem spielen Pulver
*) Remig^ 219 u, 225. — Offenburger Hexen fahren nach Obernehcnheim
,^0 die Sonnen*' und halten daselbst Hochzeit. Originalakten des Reichs*
Kammergerichts, Hoffmännin contra Stadt Offenburg.
■) General und Corporal in lindheimer und friedberger Akten;
Oberst, Kapitän und Lieutenant in coesfelder Akten? Fahnenjunker auf der
Insel Schutt, Theatr. Europ, VH. S. 327. — Der Gerichtschreiber proto-
kollirt den Eid, welcher dem Satan beim Sabbath geschworen wird (Coesf. A.) ;
der Kentmeister kassirt die für den König eingehenden Opferhaller ein (Friedb«
Akten); der Pfaffe reicht das Teufelsabendmahl (ebendas.). — In Schottland
finden sich die Hexen zuweilen in Rotten (covines) und Schwadronen (squads)
abgetheilt, deren jede zwei Offiziere oder Befehlshaberinnen hat ( W, Scott H.
133). — lo Gascogne trägt der Ceremonienmeister einen vergoldeten Stab.
Dictionnaire infernal von Gollin de Plancy, Art. Aguerre.
') In den von MetckUn herausgegebenen „Annales oder Jahresgeschichten
der BaarfQsseren oder Mindern Brüdern S. Francisci ordinis — zu Thann —
durch P. F, Malachiam Tschambser. MDCCXXIV (Colmar 1864) wird B. II.
S. 73 erzählt, daas am 10. April 1533 das Städtchen Schiltach (im jetzigen
Grossherzogthum Baden) von den dasigen Hexen gemeinschaftlich angesteckt
worden ntx. Ein zweites derartiges Factum ist uns aber nicht bekannt.
^o4 FQnf zehntes Kapitel.
Kräuter und allerlei Zauberformeln eine Hauptrolle *). Oft
aber genügt schon ein Gruss, ein Hauch, ein Blick. Auch
die Thonbilder triflft man wieder an^.
Namentlich war das Bestreben des Teufels auch da-
hin gerichtet, durch die Hexen und Hexenmeister unter
den Menschen Hass und Zwietracht anzurichten, insbe-
sondere Ehegatten einander zu entfremden. In einem
bemer Prozess von 1591 gestand ein Hexenmeister, der
Teufel habe ihm geboten, die Leute gegen einander auf-
zureizen und Uneinigkeit zu stiften so viel er nur könne
und möge. Im Jahr 1609 bekannte eine in Bern wohn-
hafte Weibsperson aus dem Kanton Zürich neben vielen
Krankheiten, Lähmungen und Todesfallen, die sie durch
Berührung mit der Hand, ja durch blosses Streifen der
Kleider verursacht habe, auch einige Versuche, die sie
gemacht, selbst Ehen zu zerstören, indem sie den Ehe-
gatten unüberwindliche Abneigung einzuflössen, welchen
Zweck sie zwar nicht immer, aber doch öfters erreicht
habe ^).
Wer könnte ausserdem die Zwecke und Mittel der
Hexerei alle im Einzelnen verfolgen ? Hier wird ein Weib
durch einen dargebotenen Apfel zu sechsmaligem Abortiren
gebracht, dort ein Mädchen durch einen Trunk Bier be-
zaubert, dass es die Haare verliert, ein ICind mit Sauer-
kraut oder einem leisen Schlag auf die Schulter behext,
ein Mann durch einen Schluck Branntwein des Verstandes
imd des Lebens beraubt. Ueber die zahllosen Störungen
der ehelichen Freuden durch Nestelknüpfen klagen be-
sonders die Franzosen Bodin und de Lancre *). Eine Hexe
*) Ueber Salben und Pulver s. insbesondere Rcmig. I. 2. Delrio. Ausser
den oben bezeichneten Farben der Salben erscheint in breisgauischen Prozessen
auch noch die gelbe; in bambergischen 6ndet sich ein rosenfarbiges Pulver
zum Windmachen.
") Z. B. in Schottland IV, Scctt 1. 227 u. II. I40.
») Berner Taschenbuch. 1870. S. 180.
^) Bodin versichert, es gebe mehr als fllnfsig Arten des NestelknOpfens,
De Lancre sagt : Le nouement de Taiguillette devient si oommun, qu*il n*y a
gu^re d'hommes qui s osent marier qu*k la d^rob^. On se trouve \\k Sans
stvoir par qui, et de tant de fa^ns. que le plus nis^ n y comprend rien«
Dus Verbrechen.
305
im Buseckerthaie melkt mittelst einer Spindel, die den
Akten als corpus delicti beigelegt wird, fremde Kühe.
Eine andere ebendaselbst gibt der Nachbarin einen Wecke
zu essen, worauf die Kniee derselben so anschwellen, dass
am folgenden Sonntage der Pfarrer von der Kanzel herab
diese Uebelthat straft. Die Thäterin lässt sich bestimmen,
den Zauber abzuthun, legt einen Aufschlag von Bienen-
honig und Tabak auf die Geschwulst, diese Sffnet sich
imd es gehen, den Akten zufolge, anderthalb Maass Materie
mit Kellereseln, Engerlingen, Schmeissfliegen und haarigen
Raupen heraus, die Kranke aber ist genesen ^). Ein junger
Lord in Rutlandshire wird getödtet, indem man seinen
rechten Handschuh siedet, durchsticht und in der Erde
begräbt 2). An andern Orten ist die Rede von Domen,
Holzstücken, Steinen, Knochen, Glas, Nadeln, Nägeln und
Haarknäueln, die den Leuten in den Leib gezaubert wer-
den 3). Die Nonnen eines Klosters bekommen plötzlich
Tantöt le malefice est pour Thomme, tantAt pour la femme, ou pour tous les
dcux, Ici c'est pour un jour, Ik pour un mois, ailleurs pour un an. L'un
aimc et est haT; les epoux se mordent et s'egratignent, quand ce vient aux
embrassements. la chaleur s'^teint dans les reins, le mari ne peut achever
raruvre etc. — Wie sehr in einem von diesem Aberglauben angesteckten Indi-
viduum schon die blosse Furcht vor solchen Malefizien psychisch niederschla-
gend wirken und mithin Erscheinungen herbeiführen konnte, die man dem
Maleßcium selbst zuschrieb, ist an sich klar.
*) Zur Heilung von Schäden , welche durch Hexen bewirkt waren , ge-
brauchte man allerlei Benedictionen , Exorcismen und sonstige Mittel. Ins-
besondere aber galt hier der Spruch:
„Eine schwarze Katze, ein schwarzer Hase
„Ziehen alle Hexereien an."
Desshalb wurde nicht selten den Behexten eine schwarze Henne auf den Kopf
gebunden, die auf demselben drei Tage und drei Nächte brüten musste. An-
derswo wendete man die Lunge eines mit einem einzigen Streiche getftdteten
schwarzen Kalbes an. 5. Schreiber im Taschenb. f. Gesch. und Alterthum
in SQddeutschland, 1846, S. 185.
■) The wonderful discovery etc. pag. 16 u. 21.
•) Zahlreiche Bezauberte in England, Holland und Deutschland, welche
Nägel, Stecknadeln und andere harte Körper vomirten, haben oft Mitleiden
und Almosen, zuweilen die Schande der Entlarvung ihres Betrugs geerntet.
Noch in dem berüchtigten Hexenprozesse zu Glarus (1782) bildet diese Art
Maleiiciums den Mittelpunkt der ganzen Sache,
Soldan-Heppef Hezenprozesse. ^^
■5o6 Fünfzehntes Kapitel.
Steife Hälse, weil ein Weib ein Geköche von Schlangen,
Kröten und sangxiis menstruus bereitet hat. Solche Mittel,
gewöhnlich Gifte oder Giftgüsse genannt, werden häufig
vor Thüren ausgeschüttet oder unter der Schwelle ver-
graben ; man verdirbt mit denselben Menschen, Thiere und
Bierbrauerei ^). Kochen die Hexen allerlei Obstblüthe in
einem Hafen, so missräth das Obst; werfen sie gewisse
Gegenstände in einen kochenden Topf zusammen, so ent-
stehen Raupen und kleine Würmer, die das Eckerich (die
Frucht der Buchen) zerstören ^) ; Mäuse werden durch ahn*
liehe Künste in die Felder gezaubert. Werwölfe haben
ihren Zustand bald durch den Gebrauch einer Salbe, bald
durch das Anlegen eines Gürtels, bald in anderer Weise
herbeigeführt ^).
In Italien verwandelten sich die Hexen in Katzen.
wogegen die Werwölfe (loups-garous) namentlich in
Frankreich vorkamen*). Hier wurde es noch am Ende
^) Mehrere Beispiele der Art aus Brandenburg gibt v. Retuuur in den
Märkischen Forschungen Bd. 1. Berl. 184I. S. 238 flf.
^) So z. B, in Rcic hs-Kammergerichts-Aktcn von 1609, Hoff-
nWinnin contra Stadt Offenburg.
') Durch eine Salbe z. B. der »u Poligny verurtheilte Pierre BourgoL —
Ein Anklage-Libell aus dem Busecker-Thal sagt: „15. Waar. dass tie ge$agt,
(l.iss sie sich zum Beerwolff machen kOnne. 16, Undt dass ihr P. Beklagtin
der Teufel einen Gürtel gegeben; wann sie denselben umbgethan, habe sie sich
xum Beerwolff gemacht, und wann sie den abgethan. seyc sie wider zum
Menschen worden, ist waar." — Gilles Garnier, verbrannt zu Dole 1573 :
bekannte : que le Diable lui avait donne le choix de devenir quand il voudrait.
ovi loup, ou Hon, ou Uopard; mais il avait prefere le loup, II ajoutait que
si le poil de ces animaux lui eüt repugn^, il pouvait encore subir d'autre^
nictamorphoses et courir en nuage, en vent, cn feu, et parier sous la fonne
adoptee.
*) Der franz(^sische Richter Roguet, der es viel mit Zauberern und Hexen
zu thun hatte, erzAhlt in einer viel gelesenen Schrift „Discours execrables des
Sorcicrs ensemble, leurs procis faits depuis deux ans en divers endroits de U
France avec six avis en fait de sorccllcrie (Lyon 1602, 1603. iftOö, 1607,
i^)C>8. 1610), dass unter den von ihm justißzirten Hexen sehr viele Lykan-
thropen gewesen seien. — Ausserdem vgl, den (in Cimber et Danjou. Archtves
curieuses de l'histoire de France. Ser. 1. Tom 8. S. 7 ff.) mitgetheilten Arrest
memorahle de la Cour de parlement de Dole du l8. iour de Januier 1573
contre Gilles Garnier. lA'onnois , pour luoir en forme de loup-garou devorr
Das Verbrechen. ^qj
des sechzehnten Jahrhunderts aktenmässig festgestellt, dass
ein Jäger, der die einem Wolfe abgeschossene Pfote als
Jagdbeute in die Tasche steckte, nach Hause zurückgekehrt,
zu seinem grössten Entsetzen sah, dass es eine Hand seiner
Frau war. Uebrigens ist sonst das gewöhnlichste Hexen-
thier (in allerlei Beziehung und zu allerlei Beschädigung
des Menschen) die Katze '). Häufig dient auch eine Art
Ungeziefer, das die Hexen als unmittelbare Frucht ihres
Teufelsumgangs gebären, die sogenannten Eiben, bösen
Dinger, guten Holdchen oder guten Kinder, zur Peinigung
der Bezauberten*). Teufelsgeburten in Menschengestalt,
plusieurs enfans et commis autres crinies : enrichy d'aucuns poincts recueillis
de divers autheurs pour esclaircir la mati^re de teile transforraation. — Im-
prime h Sens, 1574.
*) Siöbtr, Üeber die sogen. Gespenst erthiere im Elsass , im „Neujahrs-
stfillen" auf 1850, S. 48.
^ Quod non parum confirmant confessiones bene multae Sagarum ac
Lamiarum, perhibentium, partus a se ex concubitu diabolico procrealos fuisse
instar vermiura (solent ut plurimum vocari Eiben, böse Dinger), quibus post-
niodum hominibus nocuerunt, immissis eis per fascinationem in crura, brachia,
aliave hominum membra. Carpzov, Nova practica rer. criminal Part. 1. Qu, XLIX.
.^9. — In den von Carpzov zusammengestellten Urtheilen des leipziger Schöp-
penstuhls kommen diese Eiben häufig vor. Z. B. Nr. XXI. ,,Hat die Ge-
fangene G. J. bekannt und gestanden etc. Wenn sie mit ihren Bulen [dem
Buhlteufel Lucas] zu schaffen gehabt, hätte sie weisse Eiben, und derselben
allezeit zehn bekommen, so gelebet, spitzige Schnäbel und schwarze Köpffe
nchabt , und wie die jungen Rauben hin und wieder gekrochen , welche sie
zur Zauberey gebraucht, ihr Bule ihr auch etliche gebracht, ehe sie mit ihm
^trbulet. Sie habe auch der Matthes GQntherin Kind ein bös Gesicht gemacht,
indem sie es angesehen , und angehauchet , dazu sie diese Worte gebraucht :
Ich wollte, dass du blind wärst; welches ihr Bule Lucas ihr also geheissen,
und sie es in ihres Bulen Lucas und des Teuffels Namen thun müssen. Ferner
habe sie auch die weisse Eiben mit schwartzen Köpffen in den Brandtewein
^ethan, und darinnen zergehen lassen, dieselben auch klein zerrieben in Kuchen
«rehacken, und solches auf ihres Bulen Lucassen Befehl, welcher gesagt, wenn
>itr zu jemands Feindschafft hätte, solte sie demselben die Kuchen oder Brandte-
»vein beybringen, darauf er an Gliedern und Leibe übel würde geplaget und
.remartert werden. Hierüber hat Inquisitin bekannt, dass sie auf des Pfarr-
hcrms zu Rotenschirmbach Acker mit ihrem Messer einen Ring gemacht, und
Ar^i Eiben dahinein verstecket und vergraben, zu dem Ende, dass, wer darüber
'::ienge, lahm werden und Reissen in den Gliedern überkommen solte, welches
d#»nn vorfjedachtem Pfarrherrn zu Rotenschirmbach gegolten . weil er ^io auf
3o8 Fünfzehntes Kapitel.
WechselBälge und Kielkropfe, gehören mehr unter die
streitigen Probleme der Theorie, als unter diejenigen Ge-
genstände, welche im wirklichen Leben der Entscheidung
des Richters zu unterliegen pflegten *). Auch von den
Eier legenden Hexen, welche hin und wieder erwähnt
werden, und welche sogar ihre Erzeugnisse zu Markte ge-
bracht haben sollen, sehen wir hier ab*). Das Merkwür-
digste aber, was durch solche Teufelsbuhlschaften jemals
zum Wehe der Memschheit gewirkt wurde, hat die Polemik
des sechszehnten Jahrhunderts in den raschen Fortschritten
der Reformation zu entdecken gewusst. Martin Luther,
behauptete man, habe nur darum so leicht ganze Völker
um ihr Seelenheil zu betrügen vermocht, weil ^r der Sohn
des Teufels gewesen, der sich einst unter der Maske eines
reisenden Juweliers in das Haus eines wittenberger Bürgers
Eingang verschaffte und dessen Tochter verführte. So
versicherte im Jahr 1 565 ein Bischof von der Kanzel seiner
Domkirche herab, und Fontaine wiederholte es in seiner
Kirchengeschichte, wobei es denn freilich dem frommen
Bischof nicht gefallen hat, die gemeine Meinung, welche
Luther's Erzeugung nicht nach Wittenberg, sondern nach
Thüringen verlegt, einer weiteren Beachtung zu würdigen.
Auch der Jesuit Delrio erwähnt diese Ueberliefenmg, ohne
indessen für ihre Glaubwürdigkeit einstehen zu wollen.
Unter einen weit entschiedeneren Schutz glänzender
Auctoritäten stellt sich dagegen der Glaube an das Ver-
der Cantzel ^>iTentIich fQr eine Zauberin ausgescbryen, sie häUe die Elbeti m
aller Teuffei Nahmen eingegraben und darzu gesagt: Wer darüber gienf^c. (Irr
solte lahm und krumm werden; und es hat sich in eingeholter ErkundiKuni;
aho befunden, dass Matthes Günthers Kinde und andern Personen durch Zju-
herey an ihrer Gesundheit Schade zugefüget worden u. s. w/* Ein 1687 »Jch
einem Spruch der Juristenfacultftt zu Frankfurt a. d. O. hingerichtetes M*«i*
chen sollte vom Teufel Eidechsen geboren, dieselben verbrannt und mit
der Asche Menschen und Thiere bezaubert haben. Märkische Forschung« '.
1. S. 260.
') Ein Beispiel der Bestrafung eines solchen Falles in Brabant cr«.«b »
Delrio Disqu. mag. Lib. 11. (Juaest. XV. p. 177. Ueber WechselbÄke s. ins-
besondere ^faU, mahfic, P» IL y. 11. cap. 7. Ddrio a. a. U S. 17'*.
•^ Sthindltr, der Aberglaube des Mittelalters. S. 28^.
I
1
j
Das Verbrechen.
309
mögea der Zauberer, ihre Feinde durch das Zusenden
böser Geister wahrhaft besessen zu machen. König Jakob I.
von England verficht denselben in seiner Dämonologie ;
eine Commission des Kardinals Richelieu hat sich in den
merkwürdigen Exorcismen von Loudun, eine Commission
von Jesuiten in dem nicht minder interessanten würzburgi-
sehen Hexenprozesse vom Jahr 1749 von der Wahrheit
desselben überzeugt. Von beiden Ereignissen wird weiter
unten die Rede sein.
Der Stab hat seit Circe und Pharao's Zauberern lange
Zeit eine Rolle in der Magie gespielt. Im ^littelalter tritt
er mehr zurück und ist in der eigentlichen Hexerei nie-
mals wieder zu allgemeinerem Ansehen gelangt. Hier und
da findet er sich noch als Attribut des gelehrteren Magus,
der mit einem zu bestimmter Zeit und in bestimmter Form
abgeschnittenen Haselschössling einen Kreis zieht und
Geisterbeschwörungen anstellt. Auch griff gegen das Ende
des siebenzehnten Jahrhunderts besonders in Frankreich
der Wahn um sich, dass man durch einen gabelförmigen
Apfel-, Buchen-, Erlen- oder Haselzweig die Spur eines
verlorenen Eigenthums oder eines Missethäters finden könne.
Dieses Werkzeug hiess Wünschelruthe (baguette divina-
toire). Doch machte man die Kunst mit demselben um-
zugehen von der Zeit und den Umständen der Geburt
eines Individuums abhängig, und man hat lange darüber
gestritten, ob diese Kunst, deren Realität nicht bezweifelt
wurde, aus der Macht des Teufels, oder aus geheimen
Naturkräften zu erklären sei ^). Insofern durch die Wün-
schelruthe das Vorhandensein von Metalladem und unter-
irdischen Wassern ermittelt werden könne, ist sie in un-
serem Jahrhifndert sogar in den Kreis der Naturforschung
hereingezogen worden. — Das mantische Element tritt
überhaupt in dem modernen Hexenthum wesentlich zurück,
zumal so weit von einem kunstmässigen Verfahren die
Rede ist. Wo die Hexe etwas Verborgenes weiss, da hat
*j Weitschichtige Abhandlungen darüber s. bei Le Brun Histoire critique
d :s pratiques super.slilieuses.
7IO Fünfzehntes Kapitel.
es ihr in der Reg'el der Teufel unmittelbar gesagt, der ihr
nöthigenfalls selbst im Beisein Anderer als Mücke, Sperling
oder in einer andern Maskirung erscheint.
b) Begriff und Wesen der Hexerei.
Die vorstehenden Einzelnheiten mögen genügen , um
die Xatur derjenigen Dinge zu bezeichnen, welche da>
christliche Europa während der letzten Jahrhunderte unter
dem Begriffe der Zauberei zusammenfasste. Der Malleu>
maleficarum suchte dieses alles theoretisch zu begründen;
seine Dialektik ist jedoch sehr verworren. In mehr wissen-
schaftlicher Form thaten diess auch seine zahlreichen Nach-
folger in allen Nationen, am gelehrtesten der Jesuit Mar-
tin Delrio, dessen Disquisitiones magicae 159Q zum ersten
Male gedruckt wurden ^). Delrio definirt die Magie im
Allgemeinen als eine ars seu facultas, \i creata et non
supematurali quaedam mira et insolita efliciens, quorum
ratio sensum et communem hominum captum superat. Ab
efficiente causa ist sie entweder naturalis, oder artificiosa,
oder diabolica; a iinali causa entweder bona, oder mala,
(rut kann nur die Ars naturalis imd die artificiosa sein.
Die natürliche Magie ist ihm nichts anders, als eine tiefere
Kenntniss der geheimen Naturkräfte, der Sympathien und
Antipathien, des Stemenlaufs und seiner Bedeutung; sie
ward schon Adam gegeben, und Salomo war ihrer in hohem
(irade kundig. Sie zerfallt wiederum in die ars operatrix
und divinatrix. Beispielsweise erinnert Delrio hierbei an
des Tobias Fischleber und an das Entzünden des Kalkei
im Wasser. Die magia artificiosa ist entweder mathema-
tica (Brennspiegel des Archimedes, Automaten, Aequili-
bristen), oder praestigiatoria (Blendwerke der Taschen-
spieler etc.). In das Gewand der ars naturalis imd artifi-
ciosa hüllt sich oft die magia diabolica; diese ist eine
') Disquisitionuni magicarum libri !>«*x . quibus continetur accurala curi*»-
.saium artium et vanarum superstitionum confutatio, utihs Theologis. Jur.^*
con«,uUis, Medicis. PhiloloRis, AuciOiy; ^farfino Dfl-Hio, Sockl Jesu ptrsb)Lrtf.
— VA, ("oUmi. Apripp I07u pa>i. 3 v^q
Das Verbrechen. ^11
facultas seu ars, qua, vi pacti cum daemonibus initi, mira
quaedam et communem hominum captum superantia effi-
ciuntur ; sie theilt sich wieder in magia specialis, divinatio,
maleficium und vana observ^antia. Das Pactum mit dem
Teufel war entweder ein wirklich vollzogenes, ein pactum
expressum, wenn beide Theile den Vertrag ratifizirt hatten,
oder (was auch als todeswürdiges Verbrechen angesehen
ward) ein pactum tacidum, impUcitum — ein sehr einseitiges
Contractverhältniss, bei dem wohl der Teufel, aber nicht
der Mensch seinen Beitritt erklärt hatte. Jedes Anrufen
des Teufels, jedes im Namen des Teufels ausgeführte Ma-
leficium, jeder Akt, in welchem man Zauberei durch Zau-
berei zu vertreiben suchte, galt nämlich als eine Handlung,
welche den Teufel (und folglich auch den Hexenrichter)
berechtige, hierin den Eintritt in ein diabolisches Bundes-
verhältniss zu erkennen und geltend zu machen. Dieses
Pact ist die Basis und Bedingung, auf der die ganze Hexerei
beruht. Ohne dasselbe kann keine dämonische Magie ge-
dacht werden;, der Teufel lässt sich vom Menschen nicht
zwingen, er dient ihm freiwillig, aber nicht unentgeltlich.
Die Zaubermittel haben nicht ihre Kraft in sich selbst —
sofern diese nicht etwa eine pharmakodynamische ist —
sondern sie sind blosse Formen, unter welchen der Teufel
vertragsmässig den Zauberern seine Kraft zur Vollbringung
der Malefizien verleiht. — Welcher Gattung der Magie
die alchymistischen Operationen angehören, kann nach
Delrio nur aus der Beschaffenheit der konkreten Fälle be-
urtheilt werden. Die Alchymie kann sich nämlich bald
als magia diabolica, bald als praestigiatrix , bald als na-
t\iralis darstellen; denn unmöglich ist es ja nicht, meint
der Verfasser, dass Jemand durch eigenes Studium die
Kunst des Goldmachens ergründen könne. In diesen vagen
Bestimmungen wusste Delrio dem Zeitgeist des sechszehn-
ten Jahrhunderts, das die Alchymie zu Ehren brachte, wie
kein anderes, zu huldigen, ohne dem finsteren Wahne, der
früher einen Roger Baco und andere Naturforscher ver-
folgt hatte, etwas zu vergeben. Diese Ansichten erklären
auch die Erscheinung, warum, während die ungelehrten
^12 Fünfzehntes Kapitel.
Zauberer zu Tausenden den Scheiterhaufen bestiegen, die-
jenigen, welche sich mit den sogenannten geheimen Wissen-
schaften beschäftigten, ein Trittenheim, Faust, Agrippa
voTiNettesheim, Picus von Mirandola, Paracelsus u. A., bald
als Koryphäen der Weisheit gepriesen, bald als Notabein
im Reiche Satans verschrieen wurden , öfters hart genug
an den Schranken der Inquisition vorbeistreiften, im We-
sentlichen aber ungekränkt blieben. Der Geist der Wissen-
schaft war schon zu weit gediehen, als dass nicht das
Wahre, das bei allen wunderlichen Verirrimgen in ihren
Studien geahnt ward, Achtung geboten hätte; der Priester-
geist aber und sein Pflegling, der Pöbelglaube, rächten
sich dafür durch das Märchen vom Faust, in welchem
ganz eigens der Beweis geführt wird, wie der Teufel auch
in den vornehmeren Magiern, deren Kunst auf Legitimität
Anspruch machte, seine Vasallen erkennt*). — In Ueber-
einstimmung mit seinen Vorgängern behandelt Delrio auch
die Lehre von den Incuben und Succuben. Es steht ihm
*) Der Ductor Faust, der als historische Person — man mag sich nan
an den Georg Faustus des Trithemius und Mutianus Rufus, oder an den Ji^
hanncs Faushis Melanchthon's und Weier*s halten wollen — jedenfalls mehr
abenteuernder Charlatan, als Gelehrter war, gehört in die Geschichte des
Hexenprozesses in keiner andern , als der im Texte angedeuteten Beziehon^.
Einem Zauberer auf freiem Fusse den Hals zu brechen, liegt sonst nicht
in den Gewohnheiten des Teufels. Er greift zu diesem Auskunflsmittel ia
der Regel nur dann, wenn eine verhaftete Hexe ihm durch reumOthiges Be-
kenntniss und RQckkehr zum Glauben abtrünnig zu werden droht, d. h.. in
die Sprache des neunzehnten Jahrhunderts übersetzt, der Teufel wurde »Is
ThÄter vorgeschoben, wenn der Richter den durch die Folgen der Tortur her-
beigeführten Tod oder den in der Verzweiflung begangenen Selbstmord einer
Verhafteten zu rechtfertigen hatte. — Ueber das Historische vom Faust «.
Kirchner Disquisitio historica de Fausto praestigiatore, praeside Smmanm^
Vileb. 1693 und Hauber Bibl. mag. 11. 707 ff. lU. 184 ff. Der abergUu-
t)ische Melchior Goldast, der den Strafgesetzen gern eine ausgedehntere An-
wendung gegeben hfttte, sagt: „Und bezeugen so wol) die Hbtorien, als die
Exempel, so sich zugetragen, dass wann gleich die Obrigkeit ihr Ampt btenn
nicht gethan. dass der Teuffei selbst zum Hencker an den Schwartz-Könstlrm
worden, wie solches mit eingeführten Exempeln beweiset der Autor der Vor-
rede Ober D. Fausten Histori etc.'* (Rechtl. Bedenken v. Confiscation -l^f
Hexen^Oter. S. 80.)
• Das Verbrechen. ^l^
fest, dass ein Incubus mit einem Weibe ein Kind erzeugen
könne ; dieses geschieht jedoch nicht durch seinen eigenen
Samen, sondern durch den Samen eines Mannes, mit wel-
chem sich zuvor der Dämon als Succubus vermischt hat,
so dass also das erzeugfte Kind nicht eigentlich den Dämon
selbst, sondern denjenigen Mann zum Vater hat, welchem
der Samen entwendet worden ist. Diess ist ganz nach
Thomas von Aquino. Ein Succubus hingegen kann weder
empfangen, noch gebären, sondern den aufgenommenen
Samen einzig zu dem oben bezeichneten Zwecke verwen-
den. Der Jesuit Molina gilt als Zeuge, dass solche dia-
bolische Geburten noch ganz neuerdings vorgekommen
seien, und in Brabant fand Delrio selbst das noch ganz
frische Beispiel der Hinrichtung einer Unglücklichen, die
vom Satan empfangen und geboren hatte.
Wollen wir die Hexerei als ein Ganzes fassen, so er-
scheint sie, vom Standpunkt der Doctrin betrachtet, als
eine in sich vollendete diabolische Parodie des Christen-
thums, oder dessen, was man als solches nahm. Im Princip,
im Ceremoniell und in den Wirkungen lassen sich fast
Schritt für Schritt die Glieder eines fortlaufenden Parallelis-
mus erkennen. Das Christenthum ist Gottesverehrung, die
Hexerei Teufelscult; der Christ sagt dem Teufel ab, die
Hexe entsagt Gott und den Heiligen. Der Christ sieht in"
dem Heiland den Bräutigam seiner Seele; die Hexe hat
in dem Teufel ihren Buhlen. Im Christenthum waltet Liebe,
Wohlthun, Reinigkeit und Demuth, in der Hexerei Hass,
Bosheit, Unzucht und Lästerung; der Christ ist strafbar
vor Gott, wenn er das Böse thut, die Hexe wird vom
Satan gezüchtigt, wenn ein Rest von Menschlichkeit sie
zum Guten verführt hat. Christi Joch ist sanft und seine
Bürde leicht, aber des Teufels Joch ist schwer und es ge-
schieht ihm nimmer genug. Gott ist wahrhaftig und barm-
herzig, seine Gnade lässt selbst den Schwachen in die
Seligkeit eingehen; der Teufel aber ist ein Lügner von
Anfang und betrügt seine treuesten Diener selbst um das
vertragsmässig bedungene Wohlsein. Eben so deutlich
zeigt sich der Teufel in den Einzelheiten des Rituals als
^14 Fünfzehntes Kapitel.
der Affe Gottes. Wie der Christ den Sabbath Gottes be-
geht, so feiert die Hexe den Sabbath des Teufels. Was
aber der Kirche heilig ist, Feste, Kreuz, Weihwasser,
Messe, Abendmahl, Taufe und Anrufung der Heiligen —
das entweiht der Teufel durch Verzerrung, Misshandlung
und Beziehung auf sich. Die Zauberei in der Hexenperiode
ist die Ketzerei und Apostasie in ihrer höchsten Steigerung ;
sie ist, zwar nicht etymologisch, doch ihrer Idee nach die
vollendete Teufelei auf Erden ^). Und zwar ist sie dieses,
was wohl zu beachten ist, durch ihre Stellung zum Christen-
thum. Ohne Abfall vom Christenthum ist Hexerei
nicht denkbar. Die Lossagung von Gott und Christus
muss der Ausgangspunkt der gegen das Christenthum imd
gegen die Christen gerichteten Feindschaft sein. Dieses
ist kein ganz wesentliches Moment im Begriffe der Hexerei,
wesshalb unter den zahllosen Opfern des Hexenwahns
auch nicht Eine Nicht-Christin vorkommt ^). Eine Hexe ist
ihrem Begriffe nach eine Zauberin, welche Christin war.
welche sich, vom Teufel dazu verfuhrt, von Gott, Christus
und der Kirche losgesägt, sich dem Teufel zu Eigen ge-
geben und sich mit ihm fleischlich vermischt hat, und
welche mit Hülfe des Teufels das Reich Gottes und die
Christen in jeder ihr möglichen Weise zu schädigen sucht.
Darum gab es wohl jüdische und zigeunerische Zauberer
und Zauberinnen, aber Hexen gab es unter Juden und
') Auch etymologisch hat man den Teufel einmengen wollen. ..Zau-
berei — sagt Horst Z. B. 11. 44 — ist im Deutschen etymologisch mit
Teufelei eins," S. 46 heisst es von der 2Lauberei weiter; ..Zaubelei.
Zabe 1 e i. wie der Ausdruck ursprünglich hiess (Zabolus lt)r Diabolus) schrTinkt
alles auf Hülfe und Mitwirkung des Teufels ein. — Mit Recht wird die>e*
Wort seiner Etymologie nach — Zaubelei = Teufelei — immer nur in bttsem
Sinne gebraucht. Es drückt die Idee der Zauberei nach christlichen.
Begriff recht eigentlich und charakteristisch aus,** — J, Grimm hat, wie biHu
auf diese Etymologie keine Rücksicht genommen.
•) Es gibt unter Juden. Zigeunern u. s. w, wohl Zauberer und Zaubennnen.
aber keine „Hexen", und zwar aus dem einfachen Grunde, weil (ungetauftej
Zigeuner und Juden nicht von Christus abfallen können. Jede .«Hexe" ist
entweder katholisch oder lutherisch oder reformirt, überhaupt Christin pen-esen.
i
Das Verbrechen. 5 1 e
Zigeunern nicht — weil dieselben den christlichen Glauben
nicht abschwören konnten.
Was die dem Verbrechen beigelegten Namen anbe-
langt, so werden im Hexenprozesse die Ausdrücke Magus,
lamia, saga, strix, veneficus, maleficus, cpagiiaxog und 9?apj[toxie,
sortilegiis, sortiaria, mathematicus, incantator imd incanta-
trix, veratrix und praestigiatrix zuweilen zur Bezeichnung
einzelner Arten gebraucht, am häufigsten jedoch ohne
Unterschied auf das Ganze bezogen ^). Auch die hebräi-
schen Ausdrücke des alten Testaments wurden in dieser
Weise generalisirt. Diese Vermengung erleichterte we-
sentlich die Anwendung der alten speziell gegriffenen
Strafandrohungen auf das neu geschaffene CoUectivver-
brechen. Im Deutschen ist bekanntlich Zauberei der-
jenige Name, dessen sich das Gesetz bedient; in Akten,
wie in der Volkssprache ist jedoch sehr gewöhnlich auch
von Hexen*), Unholden^) und (namentlich in Süddeutsch-
*) Carpzov. Nov. Pracl. rcr. criminal. P. 1. Quest. XLVlll. 9. Binsftld.
Comment. in tit. Cod. üb. IX. de maleficis et mathematicis, Notab. 5. —
Omnes artes perniciosae Magorum et raaleficorum, a Daemone contra salutem
hominum inductae, sunt affines et caudas habent colligatas, quamvis facies
habeant diversas, ut de haeresibus etiam dicitur in cap. Excommunicamus l
et 2 de haeret. — Quare earum sectatores diversis noniinibus a Doctoribus
quandoque appellantur, quandoque etiam confunduntur. Sic vocantur lamiae,
striges, magi etc. — —
*) Das Wort Hexe lautet ahd. liagazussa, verkürzt hazus, h a z i s,
h a z i s s a , ags. hägtesse, hägesse. — Zur Erklärung der eigentlichen Bedeu-
tung des Wortes sind mannigfache Versuche gemacht worden. Grimm zieht
(Mythologie. 992) das altn. hagr = klug heran, so dass das Wort Hexe
ein verschmitztes Weib bedeuten würde« In dieser Bedeutung wird auch in
der Schweiz das Femininum häagsch gebraucht. — Schmitthenner (in Wei-
gands „deutschem Wörterb." 3. Aufl. 1857) ist geneigt, das Wort von dem
ahd. und mhd. hac (Gen. hages) = Gebüsch abzuleiten, so dass es ein
rum Walde fahrendes Weib, ein Waldweib bedeuten würde.« — Simroek
Iheilt in seinem „Handbuch der deutschen Mythologie" (Bonn 1855) S. 492
mit, dass die Hexen in niederdeutschen Gegenden noch jetzt wulrSdcrske
genannt werden, was auf „Walküren** hinzuweisen scheint, vielleicht aber auch
mit Schmitthenner's Erklärung des Wortes zusammengestellt werden kann. —
In Grimmas „deutschem W^^rtcrbuch" wird folgende Erklärung gegeben: „Für
die richtige Beurtheilung des Wortes scheint die volle ags. Form von Wichtig-
7l5 Fünfzehntes Kapitel.
land) Truden^) die Rede*), und der Name der Hexerei
ist ohne Zweifel der bequemste, um ohne weitere Um-
schreibung die moderne ungelehrte Zauberei von der an-
tiken Magie, wie von den sogenannten geheimen Wissen-
schaften der neueren Zeit zu unterscheiden.
keit ; sie lehrt uns, dass wir es mit einem Compositum zu thun haben. W.lre
im ags. hägtesse der zweite Theil des Wortes blosses Bildungssufßx , so
würde bei der engen Verbindung, welche schliessende Consonanten der Wurzel
mit dem Anlaute des SufRxes einzugehen pflegen, die assimilirte Form h&h-
tesse (oach dem bekannten Gesetz) zu erwarten gewesen sein. Das ags.
tesse, ahd. — zussa in dem zu erklärenden Worte dürfte zusammenhingen
mit a^s. tesu, teosu = damnum, interitus, contentio, praeiudicium, Ver^
derben, tesvian = in Nachtheil setzen . schädigen , verderben. Der erste
Theil ist hag in der Bedeutung von Landgut, Feld und Flur. Die Hexe
ist demnach die das I^ndgut, Feld und Flur Schädigende. — Im nordwest-
lichen Deutschland heisst die Hexe auch Wickersche, vollständiger Wickelersche,
von dem niedersächsischen wicken = zaubern.
Uebrigens kam das Wort Hexe erst spät, mit dem Allgemeinwerden der
Hexenverfolgung, nämlich erst mit dem Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts
in den allgemeinen Volksgebrauch. Vgl. Wutike , der deutsche Aberglaube.
2. Aufl. Berl. 1869, S. 141.
*) Der Name „Unhold* bezeichnet eigentlich einen bftsen Geist und erst
später eine Hexe. Ulfilas übersetzt ^atpiiuv, oaip^viov, saiavä^, Sid^oi.o^
mit dem Masculinum unhultha, mit dem Femininum unhulthA nur $at>uf»
und ^a'.piov'.ov.
*) Daher die Bezeichnungen Trudenhaus (= Hexenthurm), Trudentnahl
(= Hexenmahl), Trudenrock (der den Hexen vor der Folterung angelegte
Rock), Trudenzopf u. s. w. Grimm bringt (Deutsche Mythol. 394) das Wurt
mit Thrüde, dem Namen einer Walkyrie, in Zusammenhang.
*j GoUast (Rechtl, Bedenken von Conflskation der Zauberer- und Hexen-
güter S, 76) gibt eine ansehnliche Men^e von laufenden Namen für die Teufels-
verbOndeten: „diese sind, die man böse Zauberer, böse Leuthe, zu Lxien Ma-
leficor«, Veneficos und Sortilegos , auff Teutsch Nigromanten, das ist, Schwartz-
Künstler, Hexenmeister. Lossleger, Sortzier. Br>se Männer, Gifft-Kflche. Mantel-
fiihrer, Bockreuter,* Wettermacher, Nachlhosen, Gabelträger. Nacht Wanderer etc.
nennet. Aber die Weiber dieser Arth heisst man : Lamias, Stryges, Sortianas,
Hexen, .^llraunen, Feen. Drutten , Sägen, Bftse Weiber, Zäubenchen, Nacht-
frAwen, Nebelhexen, Galsterweiber , Feld-Frawen, Menschen-Diebin, Milch-
Diebin, Gabel-Reitterin , SchntiervOgel , Besemreitterin , SchmaltzflOgel. Bock-
Reuterin, TeufTels-Buhlen, Teuffels- Braut, und insgemein Unholden , daromb
d.»vs sie Niemanden hold, sondern Gottes, der Menschen und aller Gcsch'^f'ffra
Gtittes. abhold, und geschworene Feinde sind.'
Das Verbrechen. ^jy
c) Die Walpurgisnacht.
Es ist aus dem Obigen bekannt, dass diese Zeit keines-
wegs die einzige für die Sabbathe ist; ja sie ist nicht ein-
mal diejenige, welche in den Akten am häufigsten genannt
wird. Aber in einem grossen Theile Deutschlands^) hat
sich der traditionelle Hexenglaube der Gegenwart fast
ausschliesslich an diesen Tag geheftet, vielleicht nur dess-
wegen, weil gerade für ihn sich Volksgewohnheiten er-
halten haben, welche der Erinnenmg zur Stütze dienen.
Man hat die Walpurgisnacht von den Maiversamm-
lungen der alten Deutschen herleiten wollen *). Mag man
nun bei diesen Maiversammlungen an die politischen Mai-
felder denken, oder an die hier imd da in den Mai fallen-
den Frühlingsfeste, deren Existenz jedoch in sehr alter
Zeit kaum nachweisbar sein dürfte — in beiden Fällen
scheint es uns nicht klar zu sein, welche Beziehung diese
theils geschäftlichen, theils festlichen, von Obrigkeit und
Kirche autorisirten Versammlungen zu zauberischem Spuke
haben können. — Andere dagegen haben an ein Gaukel-
werk gedacht, das die alten Sachsen absichtlich machten,
um ungestört ihrem Wotansdienste auf dem Harze obliegen
zu können. Es fehlen hierbei aber nicht nur die histori-
schen Nachweisungen für das Faktum selbst, sondern die
Walpurgisnacht ist auch für Gegenden, die vom Harze
weit entfernt sind, übel berüchtigt.
Wie die auf die hohen Kirchenfeste und Heiligentage
verlegten Hexenversammlungen sich aus der angenom-
menen Opposition des Hexenwesens gegen das Christen-
thum erklären, so scheint dagegen die Wahl der ersten
') In Söddeutschland, z. B. in Bayern, haben Walpurgisnacht und Blocks-
berg niemals eine Geltung im Volksglauben und Landrecht gehabt. Daher
erklärt es sich, dass Steruinger in seiner Rede über die Zauberei sagen konnte :
Diese Zusammenkunft wird der Sabbath genannt , und der vornehmste soll an
St. Johann Baptist-Abend auf dem Blocksberg gehalten werden?
— Akademische Rede etc., gehalten zu München den 13. Oct. 1766. S. 11.
') Grimm deutsche Mythol. S. 5c^i.
•jl8 Fünfzehntes Kapitel.
Mainacht für den gleichen Zweck in einem aus dem römi-
schen Alterthum ererbten Aberglauben ihren Grund zu
haben ; wie denn dergleichen so Manches , ohne auf den
ersten Blick als römisch erkannt zu werden, noch heute
unter den Völkern fortlebt.
Der Mai war den Römern recht eigentlich ein Polter-
und Spukmonat. Gleich auf den ersten Tag fiel das Fest
der Lares Praestites, Sind diese gleich bei Ovid (Fast. V.
128 ff.) Schutzgötter des* Hauses, so fand doch schon zu
Plutarch's Zeit die Meinung Eingang, die Laren seien
umherirrende böse, furienartige Geister, zum Strafen ge-
schaffen und in das Familienleben des Menschen sich ein-
mischend (Plut. Quaest. Rom. 51). Femer fallt auf den
ersten Mai das Fest der Bona Den ^). Ueber das Wesen
dieser Göttin waren schon die Alten uneinig ; um so fähiger
zeigte es sich für jede LJmdeutung. Nach den bei Ma-
crobius (Sat. I. 12) gesammelten Äleinungen war die Bona
Dea bald Maja, bald Fauna, bald Fatua, bald die chthonische
Hekate, bald Medea. Bei dem Einen ist sie Faim's Ge-
mahlin, bei dem Andern Faun 's Tochter, welcher der Vater
selbst imkeusche Gewalt angethan hat. Wo nun die Göttin
als Hekate oder Medea gefasst wurde, da ist ihre Be-
ziehung zum Zauberwesen von selbst klar. Gleiches lässt
sich von der Fatua sagen. Diese ist ja das Wesen, aus
welchem die Fata der Italiener, die F6e der Franzosen,
die Fairy der Engländer hervorgegangen ist '). Im Tempel
der Bona Dea wurden Kräuter und Arzneien ausgetheilt.
Ihr Kult wurde von Weibern allein verrichtet ; man stellte
ihr, weil sie den Wein bis zur Trunkenheit geliebt haben
sollte, beim Opfern ein Weingefäss hin*). Ati die Feen
knüpfen sich aber nicht allein die heiteren und poetischem
Zauberfabeln des Mittelalters, wie die vom Venusberg und
den unterirdischen Prachtgemächem, sondern auch die
») Ovid. Fast. V. 14B.
') (Faunus) sororem suam Fatuam Fauna m eandem^ue conjugem con»
sccravit, ()uam Gabius Ba.ssus Fatuam nominatam tradit, quod mulieribus/tf^
cancre consuevis^ct. ut Faunus viris. Lactant, Instit. 1, 22. w.
*) Lactiiut. Instit. I. 22. II. Arnon. 1. p, 20 u. III. l6<».
Das Verbrechen. jiq
ernsten und diabolischen, die zum Gegenstand gerichtlicher
Anklagen wurden. So war es z. B. der Feenbaum von
Bourlemont bei Domremy, unter welchem der Hexen-
sabbath in Gemeinschaft mit den Feen gefeiert wurde,
und unter welchem , laut der Verhörartikel, Jeanne d*Arc
ihre Zaubereien angestellt haben sollte ^). Auch in Schott-
land werden die Feen mit in den Hexentanz hereinge-
zogen; sie heissen daselbst gute Nachbarn (boni vicini).
Der letztere Name entspricht dem der guten Damen
(bonae Dominae) in Frankreich, deren Führerin die Kö-
nigin Habundia ist. Die Domina Abundia 2) oder Dame
Habonde, welche Guilielmus Alvemus, Bischof von Paris
(t 1248) erwähnt*), soll in bestimmten Nächten mit anderen
Frauen (nymphae albae, dominae bonae, dominae noctumäe),
welche in weissen Gewändern erscheinen, in die Häuser
kommen und die für sie hingesetzten Speisen geniessen.
In diesen weissgekleideten Damen haben wir wohl keltische
Feen zu erkennen; aber der Roman de la Rose nennt die
Begleiterinnen der Habundia geradezu Hexen (estries =
striges) ^). — Mit der Habimdia stellt Guilielmus Alvemus
die Satia zusammen, mit welcher die (von Augerius epis-
copus Conseranus erwähnte) wälsche Bensozia wohl iden-
tisch ist *). Der Habundia hat Grimm die nord- und mittel-
deutsche Hol da (Frau Holle) zur Seite gesetzt^), der in
Süddeutschland die Berchta mit ihrem Gefolge von
*) Art. 6- Que le subdict arbre et fontaioe sont surnommes des Fces,
Aussi luy demandoyent, si eile avoit cognoissance de ceux ou Celles, qui cer-
tains jours de la septmaine vout au sabbat avec les Fees. Respondtt avoir
ouy dire. qu'on y alloit le jeudy. Delrio Lib. V. Append. p, 853.
') Der Name hat mit dem lat. abundantia, womit ihn Guil. Alv. zusam-
menstellt, wohl nichts zu schaffen. W, Müller (altdeutsche Religion, S. 130)
leitet ihn aus dem Keltischen ab.
*) Gull, AbJtrn. Opera, Par. 1674, I. 1036. 1066. 1068.
*) Roman de la Rose (ed. Meon) V. 18625:
mainlcs gens por lor folie
Cuident estre par nuit estries
Eirens avecques dame Habonde.
*) W, Müller, S. 130.
•) Deutsche Mythol. S. 177 ff.
^20 F-ntKrhr.tes KapiteL
Heimchen und Zwergen entspricht. In den Niederlanden
war die Wanne Thekla'; die Konigin der Alven und
Hexen. — Alle diese Wesen sind nachtfahrende, von grossen
Schaaren begleitete Geister; ihr Charakter aber wird au^
verschiedenen Gesichtspunkten verschieden gefasst. Bald
sind sie, wie die romischen Laren, Freunde des Hauses,
schützen dasselbe und bringen Segen und Ueberfluss, man
stellt ihnen ein leckeres Mahl bereit-;; bald benehmen sie
sich als neckische Poltergeister*); bald treten sie den Parcen
nahe, wie bei Hektor Boethius, der zu Shakespeare 's Mac-
beth und seinen weird-sisters den StoiF geliefert hat ^) ; bald
») IV, Müller, S. 361.
*) Grimm Mythol. S. 179 u. 596 f.
*) Secunda difTerentia daemonuro est illonim, qui dicuntur Z>«^isr dt ca.^\
Experiuntttr saepe bomines de nocte in domibus suis vigilantes in lectis «ui«,
quod ambulat aliquis per domum mutaodo, fraogendo res aliquas, ictos magDO"«
dando, special iter in vasis vinariis, amoveodo etiam a capitibas bomiouffl t>ir-
reta sua etc Et secundum veritatem tales non sunt bomines, nee niL-
lieres« sed sunt quidam daemones, qui volunt deridere bomines , volentes io>i*
tari angelum, qui luctat us est cum Jacob etc. (Alphorn, de S/tna Fortair.
fidei üb. V. Consid. X.;
*) Boethius hat seinerseits wieder aus Wyntownis Cronykil gesch^j)«.
wo die Sache in ihrer einfachen Urgestalt vorzuliegen scheint. £$ erscheint-o
daselbst dem jungen Macbeth, als er in dem Hause seines Oheims Duncan
wohnt, drei Weiber im Traume, die er für Schicksalsschwr«tim (\Ve:J
Systrys) hält:
The fyrst he herd say gangand by,
„Lo, yhondyr the Thayne of Crwnibtiwchiy."
The tothir Woman sayd agayne.
^Of Morave yhondyre 1 se the Thayne, •
The ihryd ihan sayd. „/ se the kyng.*
All this he herd in hys dremyng.
Dieser Traum hatte Macbeths Schandthat zur Folge. — Hektor Buethiu*
that den Banko hinzu, der sich im Cronykil noch nicht findet, und lieN> dic'^fii
mit Macbeth zusammen die drei Weiber im Walde äub.serlicb crscttK
nen. Hekate und die ganze hexenthOmliche Einkleidung ist von Shakespeare
selbst, der die Tragödie unter dem hexensüchtigen Jakob I. schrieb, bioju-
gefQgt. Das StOck ist aus verschiedenen Elementen gemischt und gibt djr-w
weder für die Zeit des Dichters, noch für die des Helden einen treuen Ab-
druck des Zauberglaubens. Sten-ens protestirl gegen die Zusammenstellung <i«f
alten Valkyren mit den Shakespearischen Hexen, — Uebrigens bat da> «u*
dem Angelsächsischen stanmiende Wort Weird. gleich dem lateinischen fjtun«.
Das Verbrechen,
321
endlich verlieben sie sich sogar in die Söhne der Menschen
und entfuhren sie zu einem Leben voll Wonne in den
Venusberg. Die kirchliche Auffassung aber hatte hier
unter zwei Dingen die Wahl: entweder musste sie die
Existenz dieser Wesen überhaupt läugnen, oder sie konnte
dieselben nur als Dämonen erkennen, durch die der Teufel
wirkt und deren Walten also ein böses ist. Beides ist ge-
wählt worden, das erstere in der helleren Hälfte des Mittel-
alters, das zweite zu der Zeit, als die Finstemiss einriss.
Wie die Laren schon dem späteren Römer Schreck- und
Quälgeister waren, so wurden auch die ihnen entsprechen-
den giitmüthigen, schützenden Hausgeister, die guten Nach-
barn und galten Damen sammt ihrer Königin Habundia
unter der Feder der christlichen Kirchenschriftsteller zu
bösartigen Dämonen imd die Holda zur Unholden; das
Fest der Bona Dea, die nach den obigen Bemerkungen
mit Fatua, Hekate oder Medea zusammenfallt, begegnet
am ersten Mai dem der Hausgeister, und dieser Tag geht
somit schon aus dem römischen Material und dessen mittel-
alterlicher Umgestaltimg als ein Tag dämonischen Zau-
berspuks hervor.
Er ist aber auch, und zwar durch die Floralien, ein
Tag der imgebundensten Liederlichkeit^). Was Rom an
die Doppelbedeutung von Weissagung und Schicksal. (S. Steevens z.
Macbeth.) — Auch bei Alphonsus de Spina (Fortalit. fid. lib, V, consid. 10)
'werden die Feen (Fata) wegen der Hinweisung des Namens auf das Fatum
mit den Farcen verwechselt und als Dämonen dargestellt. Voluerunt quidam
simplices dicere , quod Fata sunt quaedam feuiinae , quas dant spiritus super
creaturam noviter natam. Unde et Senecae tragoedia prima in choro primo
loquitur de eis quasi de quibusdam sororibus sive deis, quae sie disponunt
Vitara humanam, quod nullus potest pertransire ordinem ab eis dispositum
£t secundum veritatero, si alicui nomen fati tribuatur, nulli nisi voluntati Dei
tribuendum est Sed quid dicendum est ad illos, qui dicunt, se talia Fata
vidisse? Respondetur, quod, si talia accidant, non feniinae, sed daemones sunt,
qui volunt imitari et deridere illud, quod Deus dixit per angelum Abrae de
nativitate Ysaac, et illud, quod dixit angelus de nativitate Sampson etc.
*) Ovid. Fast IV. 945.
Quis Floralia vestit et stolatum
Permittit meretricibus pudorem ?
Martial,
Soldan-Heppe, Hexenprozesse. ^ ^
322 Fünfzehntes Kapitel.
feilen Dirnen hatte, strömte unter Trompetenschall zum
Theater; nackte Huren führten mit den Mimen vor allem
Volke die wollüstigsten Tänze auf, ahmten die Bewegungen
des Beischlafs nach oder schwammen im Kolymbethron
herum, rannten durch die Strassen der Stadt und trieben
ihr scheussliches Unwesen bei Fackelschein die ganze
Nacht hindurch ^),
In den Mai fielen femer die Lemurien, ein Rest der
Anfangs in diesem Monat gefeierten und später in den
Februar verlegten Feralien. Man vertrieb die spukenden
Lemuren, Geister der Verstorbenen, die aber die spätere
römische Zeit als Schreckbilder in Thiergestalt fasste, mit
Ceremoniell und dem Geräusche zusammengeschlagener
Erzplatten 2). An den Feralien selbst übten alte Weiber
allerlei Zauberhandlungen, um die Zungen ihrer Feinde
zu binden, legten Weihrauch unter die Schwellen, drehten
sieben schwarze Bohnen im Munde, schwangen den Zsjx-
berhaspel, rösteten Fische, deren Köpfe sie mit kupfernen
Nadeln durchstachen, träufelten etwas Wein in's Feuer
und berauschten sich vom Rest ^). Diess geschah zum Ge-
dächtniss der vom Mercur geschändeten Lara, am letzten
Tage der Feralien, der gewöhnlichen Berechnung zufolge
am i8. Februar. Bei dem engen Zusammenhange der
Feralien mit den Lemurien mag aber ähnliches Zauber-
treiben auch noch für den Mai geblieben sein. Wenigsten>
nahm man auch da, um die Sicherheit der Familie zu
wahren, schwarze Bohnen in den Mund und warf sie hinter
sich mit der Formel: Haec ego mitto; his — — redimo
meque meosque fabis, worauf das Zusammenschlagen der
Erzplatten folgte *). Eine andere Aehnlichkeit der Lemurien
und Feralien besteht darin, dass man an beiden keine
Hochzeiten hielt. Die ersteren brachten sogar den ganzen
Monat Mai desshalb in Verruf
*) Lactant, Inst. 1. 2ü. U). Arnoh, adv. gent. III. p. WX \\\, p 2:^\
Sen€€» Epist. 97.
') Oziii. Ka«t. V. 44 1.
») Ch-iif, Fast. II. 5J3 ff.
*) Ch'iiL Fast. V. 435.
Das Verbrechen.
323
Nec viduae taedis eadem, nee virginis apta
Tempora. Quae nupsit, non diuturna fuit.
Hac quoque de causa (si te proverbia tangunt)
Mense malas Majo nubere vulgus ait^).
Wenn wir nun die Ansicht aussprechen , dass auch
die L'emurien in der Walpurgisnacht noch fortleben , so
befurchten wir wenigstens nicht den chronologischen
Einwurf, dass dieselben erst mit dem achtem Mai begannen.
Die als Zauberwesen gefasste Bona Dea, die den Anfang
des Monats beherrscht, mochte wohl auch die übrigen
Zauberelemente desselben an sich ziehen können.
Dass aber ausser der Abkunft der Feen von der Fatua
und Bona Dea auch noch andere Punkte des späteren
Aberglaubens, die sich an den Mai und besonders an sei-
nen ersten Tag knüpfen, auf römischem Boden fussen,
ist kaum zu bezweifeln, wenn wir auf Folgendes achten.
Noch im vorigen Jahrhundert feierte man im schottischen
Hochlande gewissenhaft das Beltane oder Fest des ersten
Mai. Unter herkömmlichem Ceremoniell ward ein Kuchen
gebacken, in Stücke zerschnitten und feierlich den Raub-
vögeln oder wilden Thieren zuerkannt, damit sie, oder
vielmehr das böse Wesen, dessen Werkzeuge sie sind, den
Schaf- und Rinderheerden kein Leid zufügen möge *). Feist
derselbe Gebrauch fand sich in Gloucestershire ^). Er ent-
spricht der römischen Redemtionsceremonie. Die Schotten,
selbst die vornehmeren, vermeiden noch jetzt, im Mai eine
Ehe zu schliessen. Diese Thatsache, welche Walter Scott
berichtet*), ist sehr interessant, die von ihm gegebene Er-
klärung aber, dass es wegen der unglücklichen Ehe der
Maria Stuart mit Bothwell geschehe, scheint nicht auszu-
reichen. Ohne Zweifel hat man in Maria's Schicksal ur-
sprünglich für dcis alte Malae nubunt Majo nur einen neuen
Beleg gefunden und später, als über dem neuen, auffallen-
den Beispiele der alte Grund vergessen war, die Stuart'sche
») Oviä, Fast. V. 487.
') Permani b. IV. Scott Briefe Ob. Dämonol. u. Hexerei. Bd. I. S. 130,
') Ebendas.
*^ W, Scott a. a. O. I. MO.
^24 Fünfzehntes Kapitel.
Vermählung selbst als die Quelle des Glaubens ang-esehen.
Auf Frankreich wenigstens hatte diese Hochzeit keinen
Bezug, und doch galt auch hier, wie Bayle versichert*),
der Mai fiir unglücklich zur Abschliessung einer Ehe. In
Deutschland besteht noch jetzt eine Sitte , die an die Te-
mesaea aera der romischen Lemurien erinnert; Anton Prä-
torius, der gegen das Ende des sechszehnten Jahrhunderts
schrieb, lernte sie 1 597 auf dem Vogelsberg kennen. Wah-
rend seiner Anwesenheit in Büdingen zogen die Bürger
in der Walpurgisnacht schaarenweise mit Büchsen aus,
schössen über die Aecker und schlugen gegen die Bäume,
um die Hexen, die auf Beschädigung des Eigenthums aus-
gingen, zu verjagen '). Noch heute unterhalten in Hessen,
besonders im Schwalmgrunde, die jungen Burschen in der
Walpurgisnacht ein lautes Peitschenknallen auf den Hof-
raithen und freien Plätzen der Dörfer, während der Haus-
vater mit Kohle oder Kreide drei Kreuze auf Haus und
Stallthüre malt. Hiermit verbindet sich die Sitte des Lehen-
ausrufens. Der junge Bauer tritt vor das Haus seiner Ge-
liebten, schiesst, klatscht mit der Peitsche und ruft zwischen-
durch mit lauter Stimme:
Ich rufe mir die (Katharine etc.) zum Lehen aus !
Ein Lehen ist ein Lehen,
Wer's nicht will, der lässt's gehen !
Hiermit hat er sich auf ein ganzes Jahr zum Ritter des
Mädchens erklärt und zugleich sein Verhältniss zu ihr durch
eine dankenswerthe Beschirmung gegen die Gefahren der
Zaubernacht eingeleitet. Unter Zechen und mancherlei
Unfug wird der Rest der Nacht hingebracht*).
*) Pens^es diverses §. loo.
') Prätoriui Bericht von Zauberei und Zauberern. Zweite Aufl. 16 13*^ »>4.
•) Fast wie bei den Floralien : Ebrius ad durum formosae limen amicae
cantat. Ovid, Fast. V. 339. Soldan hat hier das Lehenausrufen nach «einer
eigenen Erinnerung, wie er es in der Gegend von Alsfeld kennen letute, be-
richtet. Etwas anders, doch im Wesentlichen QbereinalimiDend gibt es Lamiom
in der Zeitschrift des Vereins für hess. Geschichte und Landeskunde, U. Bd.
2, u. 3. Hft. S. 272. An manchen Orten steckte man am L Mai Zweige ^rom
Ebereschenbaum (sorbus torminalis) zum Schutz vor den Hexen an die HSuser,
in Italien und Spanien steckten die Liebhaber ihren Mädchen Maien von Birkea
Das VerbrechcD.
325
Damit aber auch in Deutschland neben dem Mai der
Februar seine Averrunealien habe, so erwähnen wir einen
Grebrauch der Bauern im Münsterlande, welchen ebenfalls
der oben genannte Prätorius berichtet ^). „Im Stifft von
Munster in Westfalen haben die Bawem ein Gewonheit,
dass aufF S. Peter Stulfeyer (den 22. Febr.) Tag ein Freund
dem andern frühe vor Sonnen auffgang für sein hauss
läuffit, schlagt mit einer Axt an die Thür zu jedem Wort
das er redt und rüfft laut in seiner Sprach also:
Herut, herut Sullevogel etc.
Auff hochteutsch also : Herauss, herauss du Schwellenvogel,
S. Peters Stulfeyer ist gekommen, verbeut dir Hauss und
Hoff und Stall, Häwschoppen, Schewer und anders all,
Biss auff diesen Tag über Jahr, dass hie kein schade wider-
fahr. — - Durch den Schwellenvogel verstehn sie Krotten,
Otter, Schlangen und andre böse Gewürme, das sich unter
den Schwellen gern auff hält: auch alles was dahin giffti-
ges mochte vergraben seyn oder werden. Wenn diss ge-
schieht, sind sie das Jahr für Schaden frey und wer's thut,
wird begabt.**
Fassen wir das bisher Erörterte zusammen, so möchte
wohl als Resultat hervortreten, dass das spätere Hexen-
wesen eben so gut die Walpurgisnacht, als Epoche ge-
nommen, aus dem römischen Alterthum ererbt habe, wie
es gewiss ist, dass ein grosser Theil der Zauberübungen,
welche ihren Inhalt ausmachen, aus demselben hervor-
gegangen ist. Wir sehen hier in ganz analogen Vorstel-
lungen lind Gebräuchen Schotten, Engländer, Franzosen
und Deutsche einander begegnen, vier Völker, die unter
sich gegenseitig einen bei weitem geringeren Einfluss übten,
als derjenige war, welcher aus gemeinsamen römischen
Ueberlieferungen , zeitweise sogar durch Vermittlimg und
unter dem Schutze der kirchlichen Auctoritäten, zur Ver-
breitung eines gleichmässigen Aberglaubens nach allen
Seiten ausströmte. Der sächsische Wotansdienst auf dem
Eichen etc. an die Thüren; daher das Sprüchwort : appiccare il majo ad ogni
uscio för : inamorarsi per tutto. Spanisch : majo ^z arbole de enamorado.
*) A. a. O. S. 113.
X2Ö Fünfzehntes Kapitel.
Brocken erklärt die Walpurgisnacht auf den schottischen
Hochgebirgen und in der Provence nicht, ja nicht einmal
die Walpurgisnacht auf dem Kreidenberge bei Würzburg,
wo, laut der gerichtlichen Bekenntnisse, dreitausend Hexen
bei Spiel und Tanz den Sabbath feierten, nachdem sie
sieben Fuder Wein aus dem bischof liehen Keller gestohlen
hatten. Uebrigens stehe hier wiederholt die Bemerkung,
dass in den zahlreich vorhandenen Akten weit häufiger
die hohen Kirchenfeste und ausserdem Johannis-, Jakobs-
und andere Heiligentage als Zeiten der Hexenversamm-
lungen erscheinen, als die durch Goethe's Faust klassisch
gewordene Walpurgisnacht. Als Grundzug der Zauberei
galt es ja, dass sie den christlichen Kult parodire und
befeinde, und vielleicht mag auch der Walpurgisunfug in
dem Festkalender der Zauberei seine aus dem römischen
Wesen ererbte Stelle zum Theil eben darum festgehalten
haben, weil dieses Fest, wo die Hexe das Kreuz tritt,
demjenigen, wo der Christ dasselbe am meisten verehrt,
dem der Kreuzerfindung, nur um zwei Tage vorhergehl.
Der Tag aber, an welchem der Münsterländer den Sulle-
vbgel, d. h. das magische Ungeziefer unter der Schwelle,
austrieb , fiel mit der Schwellensühnung der Römerinnen
nicht ganz zusammen; diese geschah am i8., jenes am
22, Februar. Vielleicht hatte das Fest der römischen
Stuhlfeier, in welchem die Schirmkraft der Kirche über die
ganze Christenheit sich aussprach, diese Attraction bewirkt.
Schliesslich bemerken wir noch, dass im siebenzehnten
Jahrhundert der Festalmanach der Hexen eben so zwie-
spältig war, als der christliche. Diess musste auch auf
die Walpurgisnacht Anwendung finden. Zwar geht die
grosse Ausfahrt bei Katholiken , wie bei Lutheranern no-
minell am I . Mai vor sich, aber bei jenen nach dem Gre-
gorianischen, bei diesen nach dem alten Stile, so das^,
die Angaben der beiderseitigen Prozessakten mit einander
verglichen , in dieser Periode der Teufel dasselbe Fe>t
zweimal im Jahre begangen haben muss *).
*) S. Prätorius, Geographischer Bericht vom Blocksberg. S. .'a**.
SECHSZEHNTES KAPITEL.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe.
a) Der Prozess. — Accusatorisches und inquisi-
torisches Verfahren. — Sieg des Inquisitions-
prozesses. •.
Der Hexenprozess war die Fortsetzung desjenigen
prozessualischen Verfahrens, welches die Inquisition — als
Inquisitionsprozess — zur Aufspürung und Bestrafung der
Ketzer aufgebracht hatte. Dieses ist zur richtigen Beur-
theilung der eigenthümlichen Natur des Hexenprozesses
vor Allem zu beachten.
Die richterliche Competenz zum Hexenprozess be-
treffend ist die Zauberei nach dem Malleus maleficarum,
Delrio und andern katholischen Auctoritäten ein crimen
fori mixti : sie gehört sowohl vor den geistlichen, als vor
den weltlichen Richter — vor jenen, weil am Glauben ge-
frevelt ist, vor diesen wegen der an Menschen und Eigen-
thum begangenen Missethaten. Der weltliche Richter darf
selbstständig die Todesstrafe verhängen, ist jedoch zur
Vollziehung derselben nicht befugt, so lange die Kirche
nicht auch ihrerseits über Schuld und Busse erkannt hat ;
er ist überhaupt verpflichtet, auf die erste Aufforderung
den Angeklagten an das geistliche Gericht abzuliefern und
dessen Spruch zu erwarten. In der Regel verfolgt die
Kirche den Prozess und übergibt dann den Verurtheilten
1
328 Sechszehntes Kapitel.
dem weltlichen Arme; denn: Judicis ecclesiastid est cog-
noscere et judicare, et judicis saecularis exequi et punire,
ubi sententia transit ad vindictam sanguinis, secus ubi ad
alias poenas poenitentiales.
Was nun die geistliche Gerichtsbarkeit anbelangt, so
stand diese nach der Bulle von Innocenz YIII, hinstcfatUch
des Zauberwesens den Inquisitoren besonders zu; doch
haben wir bereits oben gesehen, wie die Verfasser des
Malleus mit schlauer Politik die der Inquisition niemals
holden Bischöfe Deutschlands und selbst die weltlichen
Gerichte scheinbar in den Vordergrund der Competenz
vorschoben, wahrend ihnen selbst in ihrer bescheidenen
Zurückgezogenheit zugleich mit der leiblichen Sicherheit
auch die Befugniss blieb, eine anhängige Sache nach Be-
lieben an sich zu ziehen und zu Ende zu fuhren ').
Diese Ueberordnung der geistlichen Grerichte wurde
jedoch von den weltlichen in Deutschland nicht anerkannt;
diese behaupteten, dass zwischen ihnen und der geistlichen
Behörde in den einzelnen Fällen die Prävention entscheide.
Hiermit drangen sie jedoch im Anfang nicht durch; viel-
mehr wurden sie, wie aus den Beschwerden der deutschen
Nation von 1522 erhellt, hin \md wieder von den Geist-
lichen ganz und gar vom Erkennen über Zauberei ausge*
schlössen *).
Noch im Jahre 151 9 finden wir einen Inquisitor haere-
ticae pravitatis zu Metz mit Hexenverfolgung beschäftigt
1) Pegna (in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jabrh.) erkJlrt den In-
quisitor fOr berechtigt, jeden Augenblick die Auslieferung des Inquithea oder
Akteneinsicht vom weltlichen Richter tu begehren; auch dOrfe er gegen die
Zauberer allein verfahren, doch sei es sicherer und schicklicher, den
Diöcesanbischof hinzuzuziehen. (Paralipom. ad Bemard, Comens. addend. im
Mall, malefic.
■) «Und wiewol nach vermag der Recht, öffentlich Meineyd, Ehehfruch,
Za u b erey und dergleichen, geistlich und weltlich Richter, welcher che komoit.
je zu Zeiten bOrgerlich «u straffen, und also praeventio statt haben, so unter»
stehen sich doch die geistlichen Richter, solch Straff, wider Recht, allrtn ßr
sich zu ziehen : das dann weltlicher Oberkeit auch hoch beschwerlich und un-
leydentlich ist.- Des Heil. R^m. Reichs StÄnd Beschwerden etc. Nr. 70
GoUast. Imp. Const. Tom. IV. Q. II. p. 71.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^2Q
Als später die Inquisition in den deutschen Ländern durch
die mächtigen Fortschritte der Reformation ausser Thätig^
keit gesetzt wurde, zogen in katholischen, wie in prote-
stantischen Gebieten die weltlichen Gerichte das Verbrechen
der Zauberei ausschliesslich vor ihr Forum i), eben so in
Frankreich, England, Schweden und andern Ländern, wo
das Uebel erst später in grosserer Ausdehnung erscheint.
Hier und da werden, wahrscheinlich weü die Schwierig-
keit der Sache ganz besondere Befahigimg des Richters
erheischte, Specialcommissionen (sogenannte Hexencom-
missäre) axigetroSexi, In den Amtsbezirken der Grafschaft
Spohheim waren im siebenzehnten Jahrhundert sogenannte
Hexenausschüsse, deren Aufgabe es war, die Hexen
tmd Zauberer aufzuspüren imd zur Anzeige zu bringen.
Da die Mitglieder dieser Ausschüsse für die Anzeige und
Anklage der Hexen sowie für deren Bewachimg während
der Haft aus dem Vermögen derselben eine reiche Ver-
gütimg empfingen, so suchten sie natürlich auch überall
Hexen und Zauberer aufzuspüren*). — Aehnliche Aus-
*) Doch sagt noch Bins/e/ä, welcher 1589 schrieb : In aliquibus tarnen
lods inquirtmtur (sagae) ab ecclesiasticis et post cognitionem traduntur brachio
saecuUri, sicut in crimine haereseos fieri consuevit. Xract. de confess. male-
ficorum et sagarum pag. 127.
*) Von diesem Gedanken (des crimen exceptum) war zu allen Zelten das
Verfahren des Hexenprozesses durchaus beherrscht. Der Franzose ^can Bodin
(t 1597) sagt in seiner (l579 zu Paris erschienenen) Schrift De magorum dae-
monomania B. IV. Kap. 3 von dem Verbrechen der Zauberei : In hoc super
alia tarn turpi, tarn horrendo et detestando, onmique parricidio detestabiliori,
in quo tarn difficiles sunt probationes tamque abdita scelera, ut e roillenis vix
unus merito supplicio affici possit, nihil necesse est religiöse haerere regulis
procedendi, sed extra ordinem oportet fieri iudicium, diversa a ceteris crimini-
bus ratione. — Dasselbe erMärt 1590 der Stadtschreiber /iw/ -^y^r zu Nörd-
liogen in einem ihm vom Magistrat abverlangten Rechtsgutachten, worin er
ausführt: dass es allerdings sonst wohl bedenklich sei, auf blosses Angeben
anderer Gefangenen gegen Jemanden peinlich zu procediren , aber bei so
schrecklicher That als die Zauberei sei es ein probater Grund nach den be-
zQchtigten Personen zu greifen und sie der peinlichen Frage zu unterziehen.
Denn das Unholdenwerk werde für gewöhnlich bei Nacht in der Finstemi^s
geübt und könne daher nur durch heilsame Tortur ans Licht gebracht werden.
— Ganz dasselbe sagen Delrio (in den Disquisitiones magicae von 1599,
^^O SecUszelintcs Kapitel.
Schüsse und Commissionen bestanden auch in anderen
Ländern.
Es lag in der Natur der Sache, dass, bei der steten
Beziehung der Hexerei auf theologische Fragen, der Geist-
lichkeit auch da, wo ihr die richterliche Entscheidung ent-
zogen war, ein gewisser Einfluss blieb. Der Beichtvater
oder Seelsorger war zuweilen in stetem Rapport mit dem
weltlichen Inquirenten. So fand sich z. B, in einem burg-
friedbergischen Prozesse von 1665 der protestantische In-
spektor fast Tag für Tag in dem Kerker einer Inquisiän
ein, bestürmte sie mit Schrecken und Hoffnung, und ar-
beitete dem Richter vor, indem er Geständnisse erwirkte
und neue Indicien eruirte. Sein den Gerichtsakten fast
immer um einen Schritt vorauslaufendes Privatprotokoll
wurde dem Richter regelmässig communicirt und, als zu-
letzt die Akten an die Juristenfakultät zu Strassburg ver-
sendet wurden, denselben beigelegt. Die Fakultät belobte
den Eifer des Mannes und drückte den frommen Wunsch
aus, dass überall beide brachia in dieser Weise zur Aus-
rottung des Hexenlasters „cooperiren" möchten. — Jesui-
tische Beichtväter zu Würzburg, Bamberg und anderwärts
haben an die Gerichte stets berichtet, ob die Verurtheilten
hinsichtlich der denuncirten Mitschuldigen bis zum letzten
Augenblick bei ihren Angaben geblieben sind, oder nicht;
und von diesen Berichten hing die Verbreitung oder Be-
schränkung einer Verfolgung wesentlich ab. — In der
evangelischen Kirche trat in der Regel der Verkehr der
Seelsorger mit den Angeklagten erst ein, wenn über die-
selben dcLs „Schuldig" bereits ausgesprochen war. Indessen
sind zahllose Hexen verbrannt worden, ohne vom Tage
Lib. V. Sect. I.) und Carpzov , und mit Berufung auf CarpK>v*s Autoritit
viele Andere, z. B. Nicolaus von Beckmann in seiner Idea iuris (S. 426 IT.).
wo derselbe klar su machen sucht, dass man es im Punkte der Hexerei niit
den Torturalanzeigen ja nicht so genau nehmen möge, als dieses sonst wohl
in Criminalsachen geschehen müsse, quoniam impossibile alioquin forel, ttUam
»agam in tarn occultis delictis plene convincere et per consequens pro rvi-
publicae securitate condit(ne punire. — Vgl. «Annalen der deutschen und aus-
ländischen Criminal-Kechtspflege* von Hitzig \iTk^ Demme, 1843, S, 3i>b— 3lo.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 221
ihrer Einziehung an einen Geistlichen gesehen zu haben.
In unzähligen anderen Fällen haben sich die Geistlichen
der Verhafteten angenommen, auf eine humanere Behand-
lung derselben hingewirkt, die Nichtigkeit der gegen die
Angeklagten vorgebrachten Indizien und Zeugenaussagen
nachgewiesen und überhaupt der Hexenverfolgung ent-
gegengearbeitet. Man vgl. z. B. Pfaff s Berichterstattung
über die zu Esslingen vorgekommenen Hexenprozesse ^),
sowie die (weiter unten* mitzutheilenden) Kimdgebungen
der hessischen Prediger auf den Generalsynoden Gesammt-
hessens in den Jahren 1568 — 1582. Es Hess sich eine
grosse Anzahl von Orten nachweisen, in denen darüber
die Geistlichen mit den Behörden und Gerichten in fort-
währendem Kampfe lagen. Die scheussliche Brennerei
zu Nördlingen ward 1590 trotz der beiden Strafpredigten
begonnen, in denen darüber der dasige Superintendent den
Magistrat öffentlich abkanzelte. Noch im Jahr 1674 er-
kühnte sich sogar der Amtmann zu Tambach in einem an
den Herzog zu Gotha erstatteten Bericht es auszusprechen,
dass man die Geistlichen von jeder Einwirkung auf die
Hexenprozesse (z. B. durch Einziehung von Zeugnissen
über die Inhaftirten) fem halten müsse, indem sie den-
selben nur allzugern die günstigsten Zeugnisse zu geben
und sogar auf die Zeugen einzuwirken pflegten, wesshalb
man fernerhin in Inquisitionssachen „vorsichtiger" (d. h.
brutaler, teuflischer) vorgehen müsse. Denn, fahrt der
Amtmann fort, ich habe auch in Nachdenken und Be-
trachtung gezogen, dass die Geistlichen, weil sie zum Theil
gern nach dem Aeusserlichen judiziren (welches bei so-
thanen, des Satanas, heimlichen verborgenem Reich, da
die Heuchelei und Gleisnerei sehr gross, und wie man all-
hier genugsam erfahren, solche Hexenleute mit Kir-
chengehen, Singen, Beten, Niessung des heil.
Abendmahls die fleissigsten und sonst dem Näch-
') In der Zeit&chr. für deutsche Kulturgesch. 1856. — Auch was Back
in der Schrift «die evangelische Kirche im Lande zwischen Rhein, Mosel,
Nahe etc. B. HI. S. 360 über das ehrenwerthe Verhalten so vieler Geistlichen
den Hexenprozessen gegenüber urkundlich mittheilt.
^j2 Sechszehntes Kapitel.
sten ganz gern behülflich seien (Ml), sich nicht thun
lassen will), auch davon nichts wissen wollen, dass
sie dergleichen Zuhörer in ihren anvertrauten
Kirchen haben, solche gute Zeugnisse ausstellen,
welche hernach den Prozess in dem Curs heilsamer Justiz
hindern und hemmen, zimialen wenn es zur Defension
kommt *).
Für den ganzen Charakter des Hexenprozesses waren
nun vor Allem zwei Dinge von maassgebender Bedeutung:
i) die Auffassung der Hexerei als ein crimen exceptum
imd 2) die Verdrängung des Accusationsproz^sses durch
den Inquisitionsprozess.
Man theilte nämlich — was das Erstere betrifft —
alle Verbrechen in crimina ordinaria und in crimina ex-
cepta ein. Zu den letzteren rechnete man: Alajestäts-
beleidigung, Hochverrath, Falschmünzerei, Strassen- und
Seeraub, Ketzerei imd Hexerei. Zur Verfolgung dieser
„ausserordentlichen" Verbrechen muss der Richter noth-
wendig auch mit ausserordentlichen Vollmachten versehen
sein, wesshalb er an den gewohnlichen Prozessgang nicht
gebunden sein kann. „In his ordo est, ordinem non servare/'
Aber die Hexerei ist nicht bloss ein crimen exceptum,
sondern sie hat unter den ausserordentlichen Verbrechen
noch einen ganz besondem ausserordentlichen Charakter.
Sie wird ausgeübt mit den Mächten der-Finstemiss in
tiefster Verborgenheit, und wird die Hexe wegen ihrer
^) Dieses Ehrenzeugniss , welches der AmtiDann tu Tambach (olme m
wissen, was er that) den Geistlichen (zunächst Thüringens) bei dem Henoe
von Gotha ausgestellt hat, findet sich abgedruckt in IIittig*s Annalen, B. XXVI.
S. 80 — 81. — Der in der Geschichte der Hexenproeesse sehr kundige A". F-
Koppen sagt in seiner Abhandlung Ober die Hexenprozesse (in WigOMS*
Vierteljahrsschrift, B. II. S. 51): ,Es sind FÄlle vorgekommen. In denfn
gewissenhafte Beichtvater offenbare Widersprüche und Fehler in den Prt^o>
kollen nachwiesen — und was thaten die Richter ? Sie untersagten den Geist-
liehen, die Gefangenen ferner zu besuchen und Hessen diese eiligst mit dem
Schwerte hinrichten. Und warum das ? Sie wollten die Schande nicht habco.
eine Unschuldige gefoltert und verurtheiit zu haben." — Nur für Calvm un«!
die puritanischen Geistlichen war der Fanatismus der Hexen verfolgting charak*
terislisch.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^33
Malefizien zur Untersuchung gezogen, so steht ihr der
Vater der Lüge zur Seite, lehrt sie leugnen und lügen,
verhärtet sie gegen den Schmerz, verblendet die Augen
der Richter, verwirrt das Gedächtniss und die Gedanken
der Zeugen etc. Daher hat der Richter im Hexenprozess
eine Aufgabe zu lösen, wie in keinem anderen Criminal-
prozess: Er hat während der ganzen Untersuchung einen
beständigen Kampf mit dem Teufel zu bestehen, den zu
überlisten imd zu bezwingen er bestrebt sein muss, was
nur durch ganz ausserordentliche Inquisitionsmittel mög-
lich ist ^).
Das Alles hatte man im Auge, indem man die Hexerei
ein crimen exceptum nannte, welches (wie Carpzov sagte)
ein ganz eigenartiges crimen atrox, ja atrocissimum sei ^) ;
denn in ihr vereinigen sich Ketzerei, Apostasie, Sacri-
legium, Blasphemie und Sodomie. Darum verjährt die
Schuld der Ketzerei niemals und die Untersuchung und
Bestrafung kann (an der auszugrabenden Leiche) selbst
noch nach dem Tode des Angeklagten (durch Verbrennung)
stattfinden *).
Die Verdrängung des Accusations- durch den Inqui-
sitionsprozess erfolgte zwar nur allmählich, aber doch ver-
hältnissmässig ziemlich rasch, imd zwar z\mächst in Folge
der überaus bedeutenden Theilnahme der Geistlichen an
der Rechtspflege bis in die Zeit der Reformation hinein. In
Deutschland wusste man es bis dahin nicht anders, als
dass die Rechtspflege eine offene und öffentliche vor den
Volksgenossen sein müsse, vor denen ein Ankläger die
*) Vgl. die vortreffliche Charakterisirung des Hexenprozesses von K, F,
Koppen in «WIgand's Vieneljahrsschrift/ B. II. S. 27 ff.
*) Ucber den Einfluss, den der Klerus, bis zum Erscheinen der Carolina
hin auf die deutsche Rechtspflege und deren allmähliche Umbildung ausübte,
vgl. Dreyer's Sammlung vermischter Abb. B. II. (Rostock und Wismar 1756)
in Nr. I. §. 4, Note 17.
•) Imo et post mortem ratione haeresis poterit ad versus eos (magos) in-
quisilio institui et eorum cadavera exhumari et comburi. Sed non citatur
reus. sed haeredes, et sententia fertur in memoria m ejus, ne in mortuum directe
feratur et ob id esset nulla. Torreblanca Daemon. 111. y.
334 Sechszehntes Kapitel.
als Schuldige Anzusehenden zur Anzeige zu bringen habe.
Die Geistlichen aber waren längst an den canonistischen
Inquisitionsprozess gewohnt, wesshalb sie denselben auch
alsbald in der Hexen Verfolgung zur 'Geltung zu bringen
wussten, und zwar mit solchem Erfolge, dass auch die
protestantischen Gerichte allmählich ihrem Vorgange
folgten. Schon gegen das Ende des fünfzehnten Jahr-
hunderts behandelten juristische Schriftsteller den Inqui-
sitionsprozess als ein in subsidium anwendbares Gerichts-
verfahren, und als einen in der Praxis selbst der welt-
lichen Gerichte bereits anerkannten modus procedendi
extraordinarius, „so kein Ankläger vorhanden" *).
Allerdings war der Anklageprozess in der Hexen-
verfolgung nicht gänzlich ausgeschlossen ; allein der inqui-
sitorische war von Anfang an vorgezogen und besonders
empfohlen. Man erwog hierbei die Schwierigkeit auf dem
Wege des Accusationsverfahrens Hexen aufzuspüren, die
missliche Stellung des Anklägers, der Caution leisten
musste, sich zum Beweise verpflichtete und im Falle, dass
er diesen nicht führen konnte, der poena talionis unterlag,
während der Denunciant oder der von Amtswegen ein-
schreitende Richter fast ganz ohne Gefahr handelte *). Zwar
war noch in der Peinlichen Gerichtsordnung des Reichs,
in der Carolina, der accusatorische Prozess als die ordent-
liche Form des Gerichtsverfahrens bestätigt worden ; allein
alle die heilsamen Formen des Prozesses, die im allen
Rechte begründet waren, schwanden doch allmählich da-
hin. Die Schöffenverfassung bestand noch, löste sich je-
doch allmählich fast ganz auf; nur hier und da erhielten
sich auch im Hexenprozess Reste der alten Volksgerichte,
wogegen es üblich wurde, die Prozessakten juristischen
Fakultäten oder Schöppenstühlen ^) zur Prüfung und Be-
schlussfassung zuzusenden. Die OeflFentlichkeit und Mund-
*) Bientr, Beitriige zur Gesch. des lnqui.sitionsprozes.se.>. S. 145 ff.
») Mall, inalef. Hart. lU. Qu. l.
•) Von der Thätigkejt des Schfippenstuhls zu Leipzig leugen die l«"»
Curfun' (Nov. Pnict. rer. criniin. H. I. Qu. f»0^ Ueleuweise annezo^nen l'-
tluMle. Sie reichen von 1582 — 1622.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 335
lichkeit war längst aus den Gerichtsstuben verschwunden,
in denen man jetzt die sorgfaltigsten Protokolle anlegte.
Das Beweis verfahren im ICriminalprozess wurde
jetzt auch ein wesentlich anderes.
Im Mittelalter hatte man im Beweisverfahren zwischen
handhafter und übernächtiger That unterschieden. Bei
Hexen konnte es nun natürlich zum Prozess auf handhafte
That nicht leicht kommen, — weil es nicht möglich war
eine Hexe mit ihren Malefizien auf frischer That zu er-
tappen. Im Prozesse auf übernächtige That war aber der
Unschuldige, wenn er in gutem Rufe stand und das Ver-
trauen und Wohlwollen der „Nachbarn" besass, insofern
in ganz günstiger Lage, als er sich durch seinen Eid los-
schwören konnte. Waren nämlich dabei auch nach man-
chen Statuten Eidhelfer nöthig, welche mit ihrem Eide
ihren Glauben an die Wahrhaftigkeit des Angeklagten
und seines Eides bezeugen, mussten , so fand ein solcher
Angeklagter die Zahl der nöthigen Eidhelfer ohne Noth
zusammen. Dieses ganze Verfahren wurde jedoch vom
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an durch eine ganz
neue Prozedur verdrängt. Die Gerichte begannen nämlich,
indem sie, zum Theil auf kaiserliche Privilegien gestützt,
nach dem Vorgange der geistlichen Gerichte ex officio
einschritten, das alte Beweissystem zu verlassen und
Alles (neben der Zeugenaussage) vom Geständniss
der Angeschuldigten abhängig zu machen welches Ge-
ständnisse man nun durch alle nur mögliche Mittel herbei-
zuführen suchte. Als Hauptmittel hierzu wurde (wieder
nach dem Vorgange der geistlichen Gerichte, welcher zu-
nächst die italienische Praxis gefolgt war) die Folter
erkoren, was nach und nach durch die Landesgesetze und
im sechszehnten Jahrhundert auch durch die Reichsgesetz-
gebung, die peinliche Gerichtsordnung Karls V. bestätigt
ward ^),
Mit der Einführung dieses ganz neuen Beweisver-
*) V. Wächter f Beiträge zur deutschen Geschichte, insbesondere zur Gesch.
des deutschen Strafrechts, S. 97 ff.
•3^6 Sechszehntes Kapitel.
fahrens wurde nun der Sieg des.Inquisitiousproze^es üb«'
das Anklageverfahren erst recht befestigt, - . /
Späterhin sehen wir in vielen Territpriejx PeU(t$4;}iland6
im Hexenprozess . (wije überhaupt im:KriminalprQzes6) esii
Institut hervortreten, welches dejn,» Gerichtsvorfahiren we-
nigstens die Form 4^^ Anklageprozesses ,wie4^au£^beii
schien. Es war dieses das Fiscalat, ia dev^ prooes^]»
mixtus. In vielen deuijschßn Landen, (nam^utiich ipn Kuf*
brandenburg) wurde nämlich ein Fiscab(Advoc^t^s s-, Com»
missarius iisci) bestellt, welcher durch Abfasfiwg ^ines
Klaglibells den ProzQgs zu eröffnen und durch dep gamcn
Lauf der Verhandlungjen hin an demselben. thei}^uiieh0ieo
hatte *). Dabei blieb aber doch der Inquisitioa^^o^ess,
was er im Unterschiede vom Anklageprozess war. De/
Sache nach verdrängte der Inquisitionsprozess, der den
Angeklagten ganz der Willkür des Untersuchmigsricfaters
preisgab, den Accusationsprozess gänzlich und liess nur
hier und da einige nichtssagende Formen desselben übrig,
bis auch diese zuletzt verschwanden *). Schon Delrio be-
zeichnet jenen als den gewö^inüchen (ordinarium) in Hexen-
sachen ^, und Carpzov rechtfertigt ihn als solchen für dieses,
wie für alle schwereren und verborgenen Verbrechen*).
Doch liegen uns zwei Hexenprozesse aus der rom
Herzogthum Luxemburg (und zwar nachmals zu dem östär-
reichischen Antheil an demselben) gehörigen Herrschaft
Neuerburg, und zwar aus den Jahren 1629 — *63* ^^^^^
in denen der Accusationsprozess vorherrscht *)• • In dem
*) Ueber die Fiscalate vgl. MtisUr, Einleitung in die peiaL Kccfal*»
gelehrs. Theil I., S. 193 ff.; Hefter im Archiv des Kriminalrechts. 1&45,
S. 600 ff. und Orthff in der Zeitschr. fQr deutsches Recht. Bd. XVI.. S. 307 «•
') Wenn der Ankläger sein Libell einreichte, so befand sich der Be-
schuldigte gewöhnlich schon in Haft und war einer tumuUuarischen und ce*
waltsamen Voruntersuchung unterworfen worden, und die Klageschrift ^^
dann oft grossentheils aus den so erpresstt^n Geständnissen conatruirt, auf welche
man sich denn auch ausdrficklich bezog.
•j Delrio Lib. V. sect. 2.
*) Nov. Pract. rcr. crim. Part. III. Quaest. 103. 50 u. Qu. 107.
*) Vgl, Schütter ^ .Zauberei und Hexenproiesse* in Hiixig's und Dcmmt
Annalen, B. 16. S. 236 — 253.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^^y
ersten dieser Prozesse tritt als Kläger ex officio der Amt-
mann zu Neuerburg auf, welcher am 24. Oktober 1629 vor
Schultheiss und Gericht daselbst erklärt, dass des Pastors
Magd „von vielen Jahren des abscheulichen Lasters der
Zauberei in grossem Verdacht imd Argwohn nicht allein
per rumorem vulgi gewesen, sondern auch jüngsthin von
Stephan Claussen eines solchen denunzirt und besagt wor-
den sei." Hierauf wird folgendes Dekret gegeben: „Nach
Verhör ex officio Klägers und beschehenem Begehr er-
nennen Schultheiss und Gericht zu Neuerburg Herrn Klä-
gern Tag gegen Morgen den 25. dieses." An dem an-
beraumten Tage produzirt sodann Kläger einen Zeugen,
„begpehrend selbigen mediante iuramento über mündlichen
Vermess zu examiniren." Dieses geschieht hinsichtlich
dieses, wie an den beiden folgenden Tagen mit mehreren
anderen Zeugen, nachdem Kläger jedesmal um „Conti-
nuation" angehalten hat und darauf solche beschlossen
worden ist. — Bei dem zweiten Prozess tritt der Kläger,
ein Privatmann, nicht ex officio auf, sondern er hat sich
„aus Eifer der Gerechtigkeit" vorgenommen, als „Formal-
kläger" gegen die Inquisitin sich darzustellen. Zu dem
Ende muss er aber nicht nur zwei Bürgen „setzen", son-
dern auch mit einem leiblichen Eid beschwören, dass er
diese Handlung „aus keiner anderen Meinung, denn allein
aus purem Eifer der Gerechtigkeit, ohne einigen verbotenen
Anhang, durch eigene Bewegtiiss sich vorgenommen habe",
worauf ihm erst ein Tag zur Anstellung der Information
„präfixirt" wird. — Ja selbst in weit späterer Zeit finden
sich vereinzelte Beispiele vom Gebrauche der alten Prozess-
formen vor. Die burg-friedberg^sche Obrigkeit musste sich
noch 1666 von den strassburger Juristen die Bemerkung
machen lassen, dass sie sich dadurch in Verlegenheiten
gestürzt habe, die auf dem Inquisitionswege leicht zu um-
gehen gewesen wären *).
*) Das Aktenstück befindet sich im Hofgerichts- Archive zu Giessen.
Soldan-Heppe^ Hexenprozesse. ^^
l
2 9g Sechszehntes Kapitel.
An ein geordnetes Vorschreiten war weder auf dem
einen, noch auf dem andern Wegfe zu denken. Sehr hädig
sprang man von diesem auf jenen über, und umgekehrt.
So verfuhr der Dominikaner Savini mit allen Chicanen
des Ketzerrichters gegen ein Weib zu Metz, nachdem die
Privatankläger desselben ihn durch Bewirthung und Ge-
schenke in ihr Interesse gezogen hatten ^). Deutlicher
noch springt diese Vermengung in folgendem Falle her-
vor. Im Mai 1 576 erschien eine Deputation der Gemeinde
Feckelberg vor dem Amtmann zu Wölfstein in der Pfali
und erklärte, dass sie beauftragt sei, ein Weib aus -dem
Dorfe, Katharine Hensel, der Zauberei förmlich anzuklagen.
Nach geschehener Erinnerung an die Strafe für falsche
Anklage erklärte sie sich weiter bereit, jede Verantwor-
tung zu tragen, und bat sofort um Einleitung des Prozesses.
Der Amtmann, ein Doktor beider Rechte, Hess sich ein
schriftliches Verzeichniss der Punkte, die zu solcher Klage
berechtigen konnten, einreichen — sie betrafen verschie-
dene Behexungen von Menschen, Kühen und Schweinen
— und verfuhr zuerst auf dem Inquisitionswege, erwirkte
durch die Tortur Geständnisse, die bald widerrufen, bald
erneuert wurden, und trat hierauf vor dem graflichen
Malefizamte als Kläger auf. Das Weib wurde im Juli
zum Tode verurtheilt, widerrief aber, als sie zur Richt-
stätte gefuhrt wurde, so entschieden, dass trotz aller Be-
fehle des Artitmanns der Scharfrichter die Exekution ver-
weigerte. Hierauf liess sich der Pfalzgraf Georg Johann
von Veldenz die Akten einschicken, tmd nach langem Hin*
und Wiederschreiben war die Sache so verwickelt, dass
auf seine Anordnung von beiden Theilen ein Schiedsgericht
aus drei speyerischen Rechtsgelehrten ernannt wurde,
welches am 27. Februar 1580 sein Urtheil abgab. Dieses
lautete dahin, dass die seit vier Jahren Eingekerkerte sub
cautione fidejussoria von der Instanz zu absolviren, die
Gemeinde Feckelberg aber in die Kosten zu nehmen sei.
■) Cornei. Agrippai a Nettesh, Epist. II. 38, 39 u. 40. Conir» jun»
tenorem duplici via, accusationis et Inquisitionis, contra tpsam processom e»t.
Das gerichtliche Vexfahren und die Strafe. ^iq
Letzteres geschah mit folgender Motivirung: „dagegen
sich die Gemeine zu Feckelberg nichts zu behelffen, dass
nicht si^i sondern vielbemelter fürstlicher Rath und Ampt-
man die Beklagtin mit peinlichem Rechte angelangt : quia
potest tmiversitati ex consSio Hippol)rt. 36 responderi : ut
maxime ab initio processum sit contra ream per inquisitionem
et postmodum via ordinaria accusationis, tamen illam inquisi-
tionem et subsecutam accusationem non fuisse insitutam ex
miero officio judicis et motu proprio, sed ad instantiam et pe-
titionem dictae universitatis. Sciant (inquiunt Impp. Gratian.
Valentin, et Theodosius) cimcti accüsatores, eam se rem
deferre in publicam notionem debere, quae munita sit idoneis
testibus, vel instructa apertissimis documentis vel indiciis
ad probationem indubitatis et luce clarioribus expedita" ^).
Im folgenden Jahrhundert galt diese Vermengxmg der
Prozessarten in Baiem, Sachsen, Württemberg und andern
Ländern bereits als etwas durch Gewohnheitsrecht Ge-
heiligtes. Man nannte das eine Cumulation^).
Hatte man nun aber auch die gewünschten Geständ-
nisse erpresst, so war man damit noch nicht zum letzten
Ziele gekommen, auf welches der Hexenrichter hinarbeitete.
Nach der Carolina mussten die erpressten Geständnisse,
wenn sie gelten sollten, Thatsachen enthalten, welche nicht
lacht ein Unschuldiger wissen konnte, und die angegebenen
Umlstände sollten wahrscheinlich sein imd nach angestellten
Nachforschungen als wahr erfunden werden. Wie war
aber bei der Zauberei die Feststellung dieses äusseren
Thätbestandes, des sogen, corpus delicti möglich? Man
half sich dabei mit den willkürlichsten Proceduren, indem
man den Verhafteten eine Reihe von Fragen vorlegte, auf
die nur mit Ja oder Nein zu antworten war, z. B. „Ob
*) Neue Zusätze zu Johann Weitr, von den Hexen und Unholden, in der
deutschen Uebers. der Sehr. De praestigiis daemonum, S. 567 ff.
*) Modus procedendi, qui observatur hodiemis temporibus, est quidani
modus, in quo potest concurrere mixtura seu cumulatio utriusque remedii,
scilicet ex officio et ad instantiam partis , et unum *ab altero non impeditnr,
quinimo multoties concurrunt denunciatio, inquisitio et accusatio in eodem
proccssu. Ltib^ Consil. p. 206.
^^O Sechszehntes Kapitel.
wahr, dass die Angeklagte an einem bestimmten Tage im
Felde gestanden ? Ob wahr, dass sie hierbei eine Hand zum
Himmel ausgestreckt oder mit der Hand gewinkt habe?
Ob femer wahr, dass damals ein Gewitter ausgebrochen?*'
Hatte die Angeklagte diese dsei Fragen bejahen müssen,
so nahm der Richter die Thatsache als cöhstätirt an,, dass
sie auch das Unwetter herbeigeführt habe, und nun folgte
die entscheidende Frage: „Ob wahr, dass der Teufel sie
veranlasst, sich selber und ihren Mitmenschen zum Schaden
das Wetter zu machen?"
Bezüglich der Bündnisse und Vermischungen mit dem
Teufel, der Hexenfahrten, Hess sich freilich auch nicht ein-
mal auf diesem Wege der Thatbestand feststellen, wess-
halb nach der sonst herrschenden juristischen Ansicht hier-
bei nur eine gelindere Strafe eintreten sollte. Allein bei
den Hexenprozessen hielt man es auf Grund der Theorie
von dem delictum atrocissimum et occultum anders. Carp-
z o w z. B. erklärt (Quaest. 49, Nr. 60 ff.), eine andere Ge-
wissheit des einbekannten Verbrechens, als welche man
eben haben könne, sei nicht erforderlich. Bei ver-
borgenen und schwer nachweisbaren Verbrechen genüge
es, wenn für ihren Thatbestand die Vermuthung spreche,
wesshalb hier eine probatio praesumptiva et conjecturata
als voll und genügend gelten müsse. Aus welchen Ver-
muthungen und Anzeigen aber die Gewissheit einer voll-
führten Hexerei constatirt werden könne, lasse sich nicht
genau bestimmen, sondern müsse durchaus der Einsicht
und dem Ermessen des Richters überlassen w^erden. —
Daher war noch der Professor der Jurisprudenz zu Tü-
bingen und Direktor des Konsistoriums zu Stuttgart Wolf-
gang Adam Lauterbach (t 1678) der Ansicht, dass
eine Hexe auf ihr blosses Geständniss hin zum Tode ver-
urtheilt werden könne, auch wenn von anderer Seite über
den objektiven Thatbestand gar nichts bekannt sei '). "Wie
*) Consil. yurtd, TuHngens, 1733. Tom. IV. p. I65. In cnmine iöjIc-
ficii hoc speciale esse dicitur. ut reus confessus condemnan possit ad morteo-
etiamsi aliunde de crimine non constet. — quod et ipsi verum esse exi»t>-
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^^i
genau oder ungenau man aber mit der Erhebung des
Faktischen, auch wq es unmittelbarer Erforschung zugäng-
lich war, zu verfahren pflegte, davon mögen folgende zwei
Beispiele, die wir aus. einer reic)ien Fülle herausgreifen,
einci Vorstellung geben. - - ..
Eine Magd zu Baden , die an einer Armgeschwulst
litt, erinnerte sich, dass kurz zuvor eine Krämersfrau, bei
weichet sie Pfeffer holte, ihr einige Artigkeiten wegen
ihrer schönen Arme gesagt hatte. Da die Frau schon
früher einmal zum Verdruss der Obrigkeit einem gegen
sie eingeleiteten Hexenprozess sich zu entziehen gewusst
hatte, so ergriff man diese (Gelegenheit, sie von Neuem
zu verhaften. Der Ehemann beschwerte sich hierauf beim
Kammergericht wegen Gewaltthätigkeit. Das badische
Gericht rechtfertigte jedoch seine Befugniss zu peinlichem
Vorschreiten auf Zauberei aus folgendem Protokolle: „Mat-
thias Haug, Burger und Balbirer allhie zu Baden, ist be-
fragt und angehört worden, wie er diesen Schaden be-
funden, :als er geschickht worden, selbigen zu besichtigen.
— Es seye nit änderst gewesen, alss wann drey Finger
darein getruckht weren. Inmasseri die mähler noch zu
sehen und zu erkhennen geben. Dahero zu besorgen, ess
möchten drey löcher in den Arm fallen und die Schwind-
sucht darzue khommen. Ihren der Magd khönne solliches
natürlicher Weiss nit geschehen sein, weilen sie zuvor
nie keinen Schaden daran gehabt. Liesse es also auch
darbey bewenden"^).
Fünf bis sechs Weiber zu Lindheim, erzählt Horst*),
wurden entsetzlich gemartert, damit sie bekennen sollten,
ob sie nicht auf dem Kirchhofe des Orts ein vor Kurzem
daselbst verstorbenes Kind ausgegraben und zu einem
mamus. Nam in delictis occultis et difficilis probationis sufficit de eortttn
corpore constare per conjechiras. Vgl. auch Carpzov, N. Pr. er. Part. I.
qu. XLIX. 57 seq.
*) Aus Originalakten des R. K. G, rubric. Weinhagen contra Wilhelm,
Markgrafen zu Baden. 1628.
*) Zauber-Bibl. Th. II. S. 374, — Ein ähnliches Beispiel erzählt Weng^
die Hexenprozesse der ehemaligen Reichsstadt Nördlingen von 1590—1594 S. 20.
•9j^2 Sechszehntes Kapitel.
Hexenbrei gekocht hätten. Sie gestanden dieses g^than
zu haben. Der Gatte einer dieser UnglückEchfen brachte
es nun allerdings endlich dahin, dass das Grab in Gcgeti-
wart des Ortsgeistlichen und mehrerer Zeugen geöfihet
ward. Man fand das Kind unversehrt im Sarge. Der
fanatische Inquisitor hielt jedoch den imversehrten Leich-
nam für eine teuflische Verblendimg und bestand darauf,
dass, weil sie es doch Alle eingestanden hätten, ihr Ein-
geständniss mehr gelten müsse, als der Augenschein, und
man müsse sie „zur Ehre des dreieinigen Gottes*', der die
Zauberer imd Hexen auszurotten befohlen habe, verbren-
nen. Sie wurden in der That verbrannt.
Nach dem Malleus und der späteren allgemeinen Praxis
war der Richter auf blosse Denunciation , Übeln Ruf und
sonstige Indicien vorzuschreiten befugt. Kam der wan-
dernde Inquisitor in eine Stadt, wo er thätig sein woHte,
so forderte er durch einen Anschlag an den Thüren der
Pfarrkirchen oder des Rathhauses unter Androhimg von
Kirchenbann und weltlichen Strafen auf, jede Person, von
welcher man etwas Zauberisches oder auf Zauberei Hin-
deutendes wisse, oder von welcher man selbst nur gehört
habe, dass sie in üblem Rufe stehe , binnen zwölf Tagen
anzuzeigen. Der Denuncismt wurde mit geistlichem Segen
und klingender Münze belohnt, sein Name auf Verlangen
verschwiegen. In den Kirchen fand man an manchen
Orten Kasten mit einem Spalt im Deckel, z\xr Erlegung
anonymer Denunciationen *). Weltliche Gerichte beschie-
den, wenn irgend ein Impuls ihre Aufmerksamkeit auf das
Hexenwesen gelenkt hatte, GerichtsschofFen aus den Dör-
fern zu sich, um sich nach verdächtigen Personen zu er-
kundigen, oder sendeten Späher in die Gemeinden. Manche
ahmten auch den umherziehenden Ketzerrichtem nach*).
'} So z. B. in Mailand, Bodin, Daemonnm. IV. i.
*) In Trier unter Johann VI. Tota dioecesi in oppidis et villU per tri-
bunalia currebant selecti accusatores. inquisitores. apparitores, scabini. judice».
lictorea. qui homines utriusque sexus trahebant in causam et quaestiooes ic
magno numero exurebant. Gesta Trevirorum.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. x^\
Hierbei waren auch die Jiarmlosesten und bedeutungs-
losesten Aeusserungen , welche Kinder im Verkehre mit
einander thaten, den Spähern oft ein willkommener An-
läse zur Anzeige luid zur Einleitung eines Hexenprozesses ^).
Hatte der Richter die nothigen vorläufigen Indicien,
so eröffnete er den Prozess. Was aber galt vor den Ver-
handlungen und während derselben als Indicium^)? Ant-
wort; Alles 1 Uebler Ruf, oft begründet durch die vor
Jahren aus Hass oder auf der Folter gethanen Aussagen
einer Inquisitin, oft nicht einmal durch Zeugen erhoben,
die Angabe eines Mitschuldigen, die Abstammung von
einer wegen Zauberei Hingerichteten, Heimathslosigkeit,
ein wüstes und unstetes Leben, grosse imd schnell erwor-
bene Kenntnisse ohne bemerkbaren Fleiss, rasch zuneh-
mender Wohlstand, eine Drohimg, auf welche den Be-
^) Im Jahr 1662, in welchem die Hexenverfolgung in mehreren wdrtlem-
bergischen Gegenden wOthete, kam es vor, dass in dem Spitalorte Deizisau
der zehnjährige Sohn eines Schmieds zu einem seiner Schulkameraden sagte:
Meine Ahne (Grossmutter) ist auch nichts nutz; ich bin mit ihr bei Nacht
schon ausgefahren. Dieas wurde gemeldet und aog]tfich (10. Decbr. 1662)
erschien der Spitalmeister in Deizisau, um den Knaben zu verhören. Durch
das Versprechen der Straflosigkeit und eines StQckes Geld für den Fall eines
aufrichtigen Geständnisses brachte man es auch dahin , dass er gestand, der
Teufel habe ihm den Mittelfinger der linken Hand geritzt und Blut heraus-
gelassen; auch habe ihm derselbe Wasser über den Kopf gegossen. Auf der
Haide, wohin er einige Male mit seiner Ahne gefahren sei, habe man ge-
sehmaust "und getanzt. Seine Ahne k&nne Mäuse, Kaupen, Flöhe machen etc. —
Dieses Bekenntniss wurde von dem Knaben am l9. April 1663 vor dem Ge-
richt selbst wiederholt und weiter ausgeführt, und trotzdem dass bezeugt
wurde, der Bube habe ein böses, tückisches Gemüth, auch geglaubt. Die
alte Grossmutter sollte daher verhaftet werden. Diese aber war bereits von
Deizisau entflohen. Späterhin hörte man, dass sie sich in Albershausen auf-
halte. Aber auch hier konnten die nach ihr ausgesandten Häscher sie nicht
greifen, indem sie sich zeitig genug auch von hier entfernt hatte. Wo sie sich
versteckt halte, wusste Niemand, bis man im Waldesdickicht ihre halbver-
weste Leiche auffand. Vgl. P/aff in der Zeitschr. für deutsche Kulturgesch.
1856. s. 351.
*) Ueber die Indicien der Magic im Allgemeinen s. Mall, malef. Pars UI.
Quaest. 6. De/n'o Üb. V. sect, 3 u. 4. Bimfeld in Tit. de malef. et mathemat.
p. 613. — Carpz(yv a. a. O. Part. Hl. Qu. CXXH. 90. — Sehr kurz in der
C C. C. Art. 44.
344 SechszehnUs Kapitel.
drohten ein plötzlicher Scha<len traf, die Anwesenheit im
Felde, kurz vor einem Hc^elsefalag — dieos altes erschmt
noch als etwas ziemlich Einfaches ; aber ausserdem wurden
noch die entgegengesetztesten Dinge zu Indicien gestern-
pelt, so dass, wer die Scylla vermeiden wölke, nothwenffig
in die Charybdis gerieth, £ine wirkliche HeSung war oft
nicht weniger gefahrlich, als eine imputirte BeacfaadigOng ^).
Der nachlässige Besuche des Gottesdienstes war ver-
dächtig, aber der fleissige nicht minder, weil sein Beneh-
men die Absicht verrieth, den Verdacht von sich abzu-
wälzen. Zeigte sich Jemand bei der Gefangenndhmung
furchtsam und erschrocken, so war das die Aeusserung
des bösen Gewissens ; benahm er sich gelassen und mutiiig,
so hatte ihn der Teufel verhärtet und verstockt. Redete
man gegen die Hexenprozesse, nahm man sich der Ver-
folgten an, bezweifelte man die Wahrheit der magischen
Gräuelgeschichten, so war das eine oratio pro domo ; ging
man auf der andern Seite im Lobe der Inquisitoren und
ihrer Bestrebungen etwas zu weit, so galt diess als eine
höchst verdächtige captatio benevplentiae. Unverzügliches
Denunciren einer vermeintlichen Zauberhandlung hatte den
Vorwurf verdächtiger Voreiligkeit zu furchten, aber das
Unterlassen der Denunciation war wiederum Begiinstigung
*) Die Beklagte hat ihrer kranken Schwiegertochter Lorbeeren eingegeher<
worauf dieselbe sich besserte. Der Fiscal folgert daraus» dass sie selbst die
Krankheit zuvor durch Zauberei herbeigefQhrt habe. (Deductionsschrift vaa
1675 in buseckischen Akten.) — Von zwei kranken Zimmergeaellen stirbt 6rt
eine, der andere geneset unter der Pflege der Hausfrau ; .dannenhero der Nico-
laus Sch6nle (der Zimroenneister) ganz wohl gemerket, wie das Spiel gekartK
gewesen und dass die Peinlich-Beklagtin Zauberei appliciret, und damit es nicht
so grob herauskommen möchte, hat sie dem Kerlen fleissig gearzet^ dass rr
wieder gesund worden u. s. w,* (Deductionsschrift des Fiscals v. 1673*)
Dergleichen Dinge wiederholen sich häufig und bilden noch in den Hexen*
Prozesse von Glarus 1782 ein Hauptargument. — «Dergleichen ist auch hie
zu Schleutadt geschehen, da eines Schreiners Fraw in jres Nachbawren Hausi
viel gewandelt, und jm^ letzlich ein jung Kind an einem Aermlein erbennlic«^
verderbt hat, und hernach zum Theil mit baden, Kreutem etc. widerumb st-
holffen.** Bericht Ober die im Jahr 1570 zu Schietstadt verbrannten Hexen.
im Thealrum de veneficis, Frankf. 1586, S. 5.
Das gerichtliche Verfahrea und die Strafe. 7^^
des l,astier»i Wßr einer airffconömfenäen Diffamation nicht
scbl^^Qig,. (buti^h {fecichtliche Schritte begpegnet^, Hess eines
der stärksten iBdicieii sich l^criesttigen ;> Wc^r dagegen klagte,
überHaf^rt^ ' sich . freiwillig ^ all^ * Chicaa^n - eines gefähr-
licheo Fi::(^sess6S. Kurz, .es traf Ätfch- im Hexenprozesse
einj w,a» sghofi Apalqiis in seinei- Aj^ologie von der Zauber-
riecherei' '»^iner ' Zeit sagt.: Ommbuä) sicüt forte negotium
magiae .faxjessJtur, quidquid - oinntao egerint, objicietur ^).
,'Zu'd^nIildicien gehörte auch die Flucht, imd zwar
selbst dann^ wenndas, wa^ man al^ Flucht ansah/ in Wahr-
heit gar k^e Flucht war. So erniählt Spee, eine ehr-
bare Fr^u, welche einige Stunden von ihm entfernt wohnte,
sei zu ihm- gekommen, um ihii zu fragen, was sie thun
sollte, 4a. man sie als Hex» verdächtigt habe. Darauf hin
habe er ihr gerathen, nach Hause zurückzukehren; da ja
durchaus kein Verdachtsgrund gegen sie vorliege. Diesen
Rath habe die Frau auch befolgt, allein sowie sie in der
Heimat wieder angekommen sei, habe man ihre (nur nach
Stunden zu zählende) Abwesenheit als Flucht und somit
als überführendes Indicium geltend gemacht, sie gefoltert
und durch fortgesetztes Foltern ein Geständniss erpresst,
') Wir verrichten darauf, alles Einzelne aufzuzählen ; doch bemerken wir
noch, da3s man beim Abendmahl sehr darauf lauerte , ob ein Weib etwa die
Hostie aus dem Munde nehme. Eine zufällige Annäherung der Hand nach
dem Gesichte konnte gefährlich werden. Schon der Malleus P. II. Quaest. I.
Cap. 5 macht auf dieses Indicium aufmerksam. 1665 wurde zu Friedberg ein
Weib zum Tode verurtheilt, deren Prozess damit angegangen war, dass eine
Nachbarin gesehen haben wollte, wie sie nach empfangener Hostie beim Um-
gang um den Altar den Mund wischte. — Um zu zeigen, wie weit man's im
Absurden trieb, folge hier noch eine Stelle aus der Schrift des Fiscals in
einem buseckischen Prozesse von 1672: „14) entsteht auch ein merkliches
Indicium wider die P. Beklagtin, weil sie sich so unflSthig hält, es auch also
bei ihr stinkt^ dass die Wächter desshalben unmöglich bei ihr bleiben können,
sondern die F. B. in ihrer bisherigen Wachtstuben einsperren, und die Wächter
in der andern Stuben gegen der Ober sich aufhalten müssen, ex hoc enim
exoritur indicium magiae (Crusius de indic. delict. part. 2. cap. 32. no. 200.
§. 41. et n. 69. §. 30). Und damit, dass deme also seye. der Juristen Facultaet,
wohin die peinlichen Acta verschickt werden dürften, auch wissend seye, so
bittet Fiscalia, einen Schein ad acta zu legen, oder in der Missiv dessen zu
bedenken."
346 Sechszehntes Kapitel.
worauf sie verbrannt worden sei. Auch weist v. Wäch-
ter (S. 104 — 105) darauf hin, dass schon die blosse Be-
rührung einer Person mit einer anderen, wenn dieser her-
nach etwas Böses widerfuhr, genügte, um die erstere der
Hexerei anzuschuldigen. Das schrecklichste Indicium war
aber die Aussage einer Hexe, welche, auf der Folter nach
Genossen ihres Hexenwesens befragt, um von der gräss-
lichen Qual befreit zu werden, irgend Jemanden nannte,
der dann sofort verhaftet wiu'de ^). Wie leicht auch die
harmloseste Beschäftigung ein „Indicium abgeben konnte,
hat Hormayr im „Oesterreichischen Archiv" nachge
wiesen, wo derselbe berichtet, dass zwei alte Weiber auf
dem Plinzenberg bei Fulnek verbrannt wurden, „weil sie
zur Sommerszeit viel in Felsen und Wäldern heruHige-
wandelt und Kräuter gesucht"*).
Man sieht, dass es kein Mittel gab, dem Verdachte
zu entgehen ; aber es gab auch kaimi eines, aus den Krallen
eines blutgierigen Richters sich zu befreien, wenn man
einmal hineingerathen war^). Dafür bürgte das weitere
Verfahren. Zwar gab die Carolina hinsichtlich der Indi-
cien und Untersuchungspunkte Beschränkungen, die von
einer für jene Zeit rühmlichen Mässigung zeugen ; aber in
der Anwendung hielt man sich auch in Deutschland fast
*) z/. Wächter theilt (S. 106—107) zur lUustrirung dieses Verfahret» fol-
genden Fall mit:
In Bamberg wurde im Jahr 1629 eine Hexe ledigjltch auf die Angabe
derer hin, welche sie bei dem Hexentanie gesehen haben wolheo, gefallen.
Verzweifelnd ruft sie aus: «Mich armen Tropf hat man von meinen Kindem
genommen und die Vornehmen verschont man", und nun gibt sie buter Vor-
nehme als Mitschuldige an, den Bürgermeister von Bamberg und dessen Frau.
den Forstmeister, die Frau des Apothekers u. s. w., und tue meisten denelbfn,
die sie angab, brachte dann die Folter auf den Richtplats.
«) Roskoff II. S. 343.
') «Denn haben wir schon dfter von den Gefangenen, ehe sie nock bekaant.
gehört, wie sie wohl einsehen, dass keiner mehr, der Hexerei halber etngr*
fangen ist, mehr heraus kommt, und ehe sie solche Pein und Marter ausstehen,
wollten sie lieber zu Allem, was ihnen vorgehalten werde. Ja sagen, ^««»*
sie es auch entfernt nfe gethan , noch je daran gedacht haben»* (Aiu einen)
Erlasse des fOrstbischAflichen Kabinets zu Bamberg ; v. Lamherg, HexenproK«»*
im ehemaligen Bisthum Bamberg während der Jahre 1624 bis 1630. S. \A^
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe, 34-7
immer lieber an den Malleus und seine Nachtreter. Wo
nicht das Tumultuarische und Formlose ganz rückhaltlos
hervorstürmte, da schlich die Chicane in den Irrgewinden
kanonistischer und romanistischer Gelehrsamkeit herum
imd beging künstlich ein Dutzend Nullitäten, wo der plumpe
Fanatismus eine einzige aus Dummheit machte.
Sehen wir zuvorderst, wohin der Verhaftete ge-
bracht wird.. Wie in der Einrichtimg der Detentions-
gefangnisse jener Zeit überhaupt die gewissenloseste Nach-
lässigkeit hervortritt, so zeigt sich in denen für die Hexen
insbesondere noch eine höchst erfinderische Grausamkeit.
Es gab eigens eingerichtete Hexenthürme und Druden-
häuser. Das von Bischof Johann Georg II. (1622 — 1633)
zu Bamberg erbaute Malefizhaus hatte allerlei neu erfun-
dene Vorrichtungen zur Tortur; über dem Portale stand
das Bild der Themis mit der Umschrift: Discite justitiam
moniti et non temnere Divos *) ! Bambergische Inqtiisi-
toren rühmen als ein äusserst wirksames Mittel die Hexen
zahm zu machen „das gefältelt Stüblein," wahrscheinlich
eine Art Lattenkammer. Der Hexenthurm zu Lindheim
in der Wetterau ist von Horst (Dämonomagie, B. 11.
S. 349 ff.) genau beschrieben; der auf dem Schloss zu Mar-
burg ist ganz ähnlich gebaut. Lassen wir uns von einem
Augenzeugen ein Bild desjenigen entwerfen, was man vor
dritthalb Jahrhunderten ein Gefangniss nannte *).
„In dicken, starken Thürnen, Pforten, Blochhäusern,
Gewölben, Kellern, oder sonst tiefen Gruben sind gemein-
lich die Gefangnussen. In denselbigen sind entweder grosse,
dicke Holzer, zwei oder drei über einander, dass sie auf
und nieder gehen an einem Pfahl oder Schrauben : durch
dieselben sind Löcher gemacht, dass Arme und Beine
daran liegen können.
„Wenn nun Gefangene vorhanden, hebet oder schrau-
bet man die Hölzer auf, die Gefangen müssen auf ein
Klotz, Steine oder Erden niedersitzen, die Beine in die
') V, Lamöerg a. a. O, S. 17.
•) Prätorius, von Zauberei und Zauberern, S. 211 ff.
348 Sechszehntes Kapitel.
untern, die Arme in die obem Löcher legen. Dann lasset
man die Holzer wieder fest auf einander gehen, verschraubt,
keilt und verschliesset sie auf das härtest, däss die Ge-
fangen weder Bein noch Arme nothdürftig gebrauchen
oder regen können. Das heisst, im Stocic liegen oder
sitzen.
„Etliche haben grosse eisern oder hölzern Kreuz,
daran sie die Gefangen mit dem Hals, Rücken, Arm und
Beinen anfesseln, dass sie stets tmd immerhin entweder
stehen, oder liegen, oder hangen müssen, nach Gelegen-
heit der Klreuze, daran sie geheftet sind.
„Etliche haben starke eiserne Ötäbe, fünf, sechs oder
sieben Viertheil an der Ellen lang, dran beiden Enden
eisen Banden seynd, darin verschliessen sie die Gefangenen
an den Armen, hinter den Händen. Dann haben die Stäbe
in der Mitte grosse Ketten in der Mauren angegossen,
dass die Leute stäts in einem Läger bleiben müssen.
„Etliche machen ihnen noch dazu grosse, schwere
Eisen an die Füsse, dass sie die weder ausstrecken, noch
an sich ziehen können. Etliche haben enge Löcher in den
Mauren, darinn ein Mensch kaum sitzen, liegen oder stehen
kann, darinn verschliessen sie die Leute ohngebunden, mit
eisern Thüren, dass sie sich nicht wenden oder umbkehren
mögen. Ettliche haben fünfzehn, zwanzig, dreissig Klaf-
tern tiefe Gruben, wie Brunnen oder Keller aufs aller-
stärkest gemauret, oben im Gewölbe mit engen Löchern
und starken Thüren oder Gerembsten, dardurch lassen sie
die Gefangen, welche an ihren Leibern sonst nicht weiter
gebunden, mit Stricken hinunter, und ziehen sie, wenn
sie wollen, also wieder heraus.
„Solche Gefängnuss habe ich selbst gesehen, in Be-
suchung der Gefangenen ; glaube wohl, es seyn noch vnel
mehr und anderer Gattung, etliche noch grexdicher. etliche
auch gelinder und träglicher.
„Nach dem nun der Ort ist, sitzen etliche gefangen
in grosser Kälte, dass ihnen auch die Füss erfrieren und
abfrieren, und sie hernach, wenn sie loskämen, ihr Lebtage
Krüppel seyn müssen. Etliche liegen in stäter Finstemuss,
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. i^n
dass sie der Sonnen Glanz nimmer sehen , wisaen nicht,
ob's Tag^ oder Nacht ist. Sie alle sind ihrer GUedmassen
wenig .oder -gar nicht mächtig, haben, immerwährende Un-
ruhe, liegen in ihrem eigenen Mist und Gestank, viel un-
fläthiger und. elender,, denn das Viehe, werden übel ge-
speiset, können nicht ruhig schlafen, haben viel Bekümmer-
nuss, ..schwere Gedanken, böse Träume, Schrecken und
Anfechtung. Und weil sie Hände und Füsse nicht zusam-
men bringen und wo nöthig hinlenken können, werden sie
von Läusen und Mäusen, Steinhimden und Mardern übel
geplaget, gebissen imd gefressen. Werden über das noch
täglich mit Schimpf, Spott imd Dräuimg vom Stöcker und
Henker gequälet und schwermüthig gemacht,
„Summa, wie man sagt: Alle Gefangen arm.
„Und weil solches alles mit den,, armen Gefangenen
bisweilen über die Massen lang währet, zwei, drei, vier,
fünf Monat, Jahr und Tag, ja etliche Jahr : werden solche
Leute, ob sie wohl aiifanglich gutes Muths, vernünftig,
geduldig und stark gewesen, doch in die Länge schwach,
kleinmüthig, verdrossen, ungeduldig, imd wo nicht ganz,
doch halb thoricht, misströstig und verzagt. — — — —
„O ihr Richter, was macht ihr doch? Was gedenkt
ihr? Meinet ihr nicht, dass ihr schuldig seyd an dem
schrecklichen Tod eurer Gefangenen?"
Solche Umgebungen — carceris squalores ist der
technische Ausdruck des Meilleus — waren es, in welchen
sich die Gefangenen einem vorläufigen Nachdenken über
ihre Gegen>yart und Zukunft überlassen sahen. Es begreift
sich, dass in dieser Lage sich mit den Unglücklichen
allerlei Schreckliches zutrug. Eine Frau, die 1664 zu
Esslingen im Hexenthurm sass, erfuhr am 22. April, dass
ihr Mann gestorben sei, und brach, als sie diese Nach-
richt erhalten, aus dem Kerker und stürzte sich vom Thurm
herab, so dass sie mit zerschmettertem Schädel auf der
Strasse lag ^). Dergleichen Vorkommnisse w^urden jedoch
von den Hexenrichtem nicht weiter beachtet.
*) Zeitachr. für deutsche Kulturgesch, 1856, S. 455.
•ICQ Sechszehntes Kapitel.
Der ^lalleus gibt die Weisung, verstockte Personen
nöthigenfalls ein ganzes Jahr in diesem Zustande zu er-
halten und dann ihnen die kanonische Reinigung mit
zwanzig bis dreissig Eideshelfem aufzuerlegen ; können sie
diese nicht leisten, so soll das Verdammungsurtheil er-
folgen. Weltliche Richter, bei welchen jenes kanonische
Beweismittel nicht galt, haben die Haft zuweilen auf zwei,
drei und vier Jahre ausgedehnt ^}. Doch konnte dieses
nur in Folge ganz eigenthümlicher äusseren Verhältnisse
oder einer seltenen Untüchtigkeit der Gerichte eintreten.
In der Regel wusste man schneller zum Ziele zu gelangen.
Was nun in diesen finstem Kammern von in Teufel
umgewandelten ^lenschen Unmenschliches, Barbarisches^
Niederträchtiges, Gemeines verübt worden ist, das weiss
nur Gott- Die meisten Prozessakten existiren nicht mehr,
und die vorhandenen spezifiziren die Einzelheiten nicht,
da Alles „more consueto" herging^.
Ehe der Richter die Hexe selbst vernahm, schritt er
gewöhnlich zu einem Zeugenverhöre, das auch da, wo
die accusatorischen Formen gewahrt wurden , der Litis»
contestation vorausgehen durfte und dem Amtsankläger
das Material lieferte. Dieses Zeugenverhör erhielt aber
durch Zweierlei einen ganz besondem Charakter: i) der
Untersuchungsrichter betrachtete die Angeklagten und
Eingezogenen von vornherein als wirklich Schuldige, als
imzweifelhafte Hexen und Zauberer, deren geheime Ver-
brechen er ans Licht zu ziehen habe, und 2) in Malefiz-
Sachen wurde durchaus jedes Zeugmss als gültig be-
trachtet, sofern es gegen die Angeschuldigten gerichtet
war. Meineidige, Lifame, Excommiuiicirte , Mitschuldige,
Zeugen in eigener Sache, Eheleute gegen einander, Kinder
gegen Eltern u. s. w. u. s. w. wurden als Belastungs-
*) Ein Weib zu Offenburg sass vom Oktober 1608 bis zu Anfang iMi
im Kerker und wurde dann hingerichtet« obgleich der Proxess noch vor dem
Kammergericht schwebte. (R. K, G. Akten.) Wunerin zu Bamberg war
drei Jahre lang im Kerker an Ketten angeschlossen {v, Lamhirg S. 25). — Die
oben gedachte Hensel aus Feckelberg hatte bis ins vierte Jahr gesessen.
') Buchmann, die unfreie und die freie Kirche, S. 309.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. x^l
zeugen zugelassen, — aber alle diese nur gegen die An-
g^dagte, nicht für dieselbe. Auch der Vertheidiger
war veri)flichtet , gegen die Angeklagte zu zeugen und
ihre etwaigen Geständnisse und Mittheilungen, wenn sie
durch dieselben gravirt wurde, dem Richter zu über-
geben. Selbst die Aussage einer verurtheilten Hexe ge-
gen eine andere Verdächtige galt als ein vollgültiges
Zeugniss. Ja sogar die Phantasien von Fieberkranken,
die man im Bette vernahm, wurden als vollgültige Zeugen-
aussagen behandelt '), wenn sie für den Richter brauchbar
waren. Nur der „Todfeind" sollte nicht als Zeuge zuge-
lassen werden; was aber unter einem Todfeind zu ver-
stehen sei, galt als zweifelhaft *). — Zur Erleichterung der
Aussagen pflegte man auch ohne dringende Noth die Na-
men der Zeugen nicht zu nennen, wesshalb man leicht
jede wünschenswerthe Mittheilung von denselben erhalten
konnte.
Da bezeugte nun der Eine, die Inculpatin gelte seit
längerer Zeit im Dorfe als verdächtig; der Andere, es sei
im letzten oder vorletzten Sommer ein Gewitter gewesen
uni dieselbe Zeit, als jene von dem Felde zurückgekom-
men; ein Dritter hatte bei einem Hochzeitschmause (in
Folge seiner Unmässigkeit) plötzlich Leibweh bekommen,
und es hatte sich später ergeben, dass die Inculpatin ge-
rade um diese Stunde vor dem Hause vorübergegangen
war; einem Vierten war nach einem Wortwechsel mit
derselben ein Stück Vieh krank geworden ; ein unwissender
Arzt erklärte die Krankheit eines Nachbarn, aus der er
nicht klug werden konnte, oder die unter seinen Händen
den Tod zur Folge gehabt hatte, für einen morbus male-
ficialis. Konnten die Verwandten in dem Bette des Lei-
denden einen Kjiäuel zusammenklebender Federn, eine
Nadel oder sonst einen fremden Körper auffinden oder
*) mtztys Annalen. B. XVI. S. 250.
^) ä: /^ JOfppen in Wigands Vierteljahrschrift, B. II. S. 36. — Mall.
Male f. P, III. quaest. 4. — Diirio, Lib. V. secl. 5 und KOnig Jacob /.
Daemonol. III. 6.
9(2 Secbszehntes Kapitel.
heimlich hineinbringen, so legte der Richter denselben den
Akten als corpus delicti bei. Büchsen, Fläschchen, Feder-
wische, Besenstiele, Schmalztöpfchen, Kräuter, die man
in der Wohnung der Inculpatin fand, wurden ebenfalls
beigelegt. Diess alles fiel schwer ins Gewicht.
Jetzt schritt man zum Verhör der Gefangenen,
und von dem Maasse der Gewandtheit des Richters hing
es ab, ob er dieselbe aus einer weiteren Peripherie in
immer engeren Kreisen umzingeln, oder ob er einen un-
maskirten FrontangrifF machen wollte.
Der Malleus will das Verhör mit der Frage eröffnet
haben : ob die Inquisitin glaube, dass es Hexen gebe ? und
macht dann die weiteren Bemerkimgen : Nota, quod male-
ficae utplurimum 7iegant. Tunc interrogentur : Quid ergo,
ubi comburuntur, tunc innocenter condemnantur? Wer
nun die Existenz der Hexen läugnete, der wurde jeden-
falls als Ketzer verurtheilt; denn — sagt der Malleus —
haeresis est maxima, opera maleficarum non credere. Diese
in der That sehr feine Art eine Hexe zu fangen war in
späteren Zeiten indessen nicht mehr recht praktisch, weil
— Dank sei es dem Malleus selbst ! — jene Häresie des
Zweifels an der Hexerei im Allgemeinen sehr selten ward
und der Inquisit sich begnügte, seine eigene Betheiligung
zu läugnen. Desto geeigneter waren jederzeit Fragen vne
folgende : was Inquisitin vor dem Gewitter im Felde zu
thun gehabt ? warum sie sich mit dieser und jener Person
gezankt? warum sie diesen und jenen Knaben angeredet
oder berührt ? warum ihre Gartenfrüchte besser gedeihen,
als die des Nachbarn? warum sie in des Nachbarn Stall
gewesen ? warum sie sich nicht gegen aufkommendes Ge-
schrei gerechtfertigt? u. s. w.
Erfolgen die gewünschten Geständnisse nicht, so wird
die Unglückliche in den Kerker zurückgeführt, um daselbst
von Neuem bearbeitet zu werden. Alle Qualen des Mangels»
des Schmerzes und Ekels umgeben sie ; falsche Freunde
kommen und spiegeln die Hoffnung eines glücklichen Au>-
gangs vor; der Richter tritt ein und versichert, er werde
Gnade angedeihen lassen, wobei er vermöge einer erlaubten
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^c^
Mentalreservation unter der Gnade die Verwandlung de^
Feuertodes in Hinrichtung mit dem Schwert versteht oder
auch die Gnade nicht der Gefangenen, sondern sich
selbst oder dem gemeinen Besten/ zudenkt. Auch bleibt
es seinem Ennessen überlassen, ob er nicht, sagen will:
„Gestehest du, so "werde ich dich nicht zum Tode verur-
theilen," Wenn's zum Spruche kommt, kann er dann ab-
treten und einen Andern das Urtheil verkünden lassen. —
Solchfe und viele ähnliche Kniffe empfahl der Malleus, um
ein sogenanntes freiwilliges Bekenntniss zu erhalten,
und er hatte Recht, auf dasselbe einen hohen Werth zu
legen, weil es, so lange die Doktrin des Hexen wesens
noch nicht ganz allgemein geworden war, eine ungleich
kräftigere Wirkung machen musste, als das durch die
Folter erzwungene. Doch vererbten sich diese Misshand-
lungen auch auf die spätere Zeit. Priester lockten und
schi-eckten ') , Büttel plaguen und suggerirten *) , Richter
logen und betrogen 3); wenn es auf andere Art nicht gehen
*) Wie die Beichtväter im siebenzehnten Jahrhundert die Inquisitoren
spielten und selbst zuweilen den geistlichen Trost, Beichte und Abendmahl an
die Bedingung des vollen Schuldbekenntnisses knüpften, s. in Spee's Cautio
criminalis Quaest. XIX. Spee hatte seine Erfahrungen in den fränkischen
Bistbümem gesammelt. — Betheiligung eines protestantischen Geistlichen beim
Inquisitionsgeschäft ist uns bereits oben vorgekommen. S. auch Horst Z. B.
Th. III. S. 356 f.
*) S. Mackemie bei W, Scott Br. üb. Däraonol. Th. 11. S. 143.
•) «Hat die Gefangene W. Brosii Borschen seinen Jungen beji^ossen, davon
derselbe blind worden — — — und endlich, als man ihr Gnade zuge-
sagt, freiwillig bekannt, dass sie zu dem Goss die Worte gesagt: Der
Junge sollte verblinden ins Teufels Namen etc. Da ihr eucli nun eigent-
lich erkundiget hättet, oder nochmals erkundigen würdet, dass der Junge bald
nach empfangenen Goss blind worden, und die Gefangene würde auf ihrem
gethanen Bekenntniss vor Gericht freiwillig verharren, oder des sonsten , wie
recht, überwiesen : so möchte sie von wegen solcher begangenen und be-
kannten Zauberei, nach Gelegenheit dieses Falls, weil ihr von euch
Gmade versprochen, und über ihr gütliches Bekenntniss mit der Tortur
-wider sie verfahren worden, mit dem Schwert vom Leben zum Tode
gestraft werden. V. R. W." Sentenz des leipziger Schöppenstuhls in
einem bautzener Prozess von 1599 bei Carpzow Nr. XVI.
Soldan-Heppe, Hexenprozesse. 23
^K^ SechssehntM Kapitel.
wollte. Jeder hielt sich zu Allem gegen das HexenvoUc
berechtigt, weil er damit entweder dem Himmel einen
Dienst zu leisten glaubte, oder sich selbst.
Während so die Verhaftete allen Angriffen blos^gestellc
war, sah sie sich zugleich auch fast aller rechtlichen
Vertheidigungsmittel beraubt. Weil in Glaubens-
Sachen überhaupt nach einer Bestimmung Bonifacius VIE
„simpliciter et de piano, absque advocatorum et judiciorum
strepitu et figura** verfahren werden sollte, so erlaubte der
Malleus nicht die Annahme eines Advokaten nach freier
Wahl. Es durfte zwar ein Rechtsbeistand gegeben wer-
den; dieser musste. aber dem Richter als ein glaubens-
eifriger Mann (vir zelosus) bekannt sein imd wurde über-
diess feierlich davor verwarnt, durch Begünstigung des
Bösen sich selbst schuldig zu machen. Ein solcher Bei-
stand wusste somit, was er seiner eigenen Sicherheit we-
gen zu thun und zu lassen hatte. Vor weltlichen Gerichts-
stellen ist die Wahl des Defensors nicht immer so be-
schränkt, aber seine Wirksamkeit häufig sehr behindert
worden. So wurde ihm in Baiem, Bamberg, Osnabrück
und anderwärts keine Abschrift der Indizien mitgetheilt.
sondern dieselben dem Inculpaten zu augenblicklicher
mündlichen Vertheidigung vorgelegt. Delrio billigt diess,
weil die Advokaten leicht mit unwesentlichen Dingen den
Handel in die Länge ziehen könnten. Im Bambergischen
erlaubte man sich, die Defension vor der Tortur gänzlich
abzuschlagen, worüber man bei Ferdinand 11. Beschwerde
führte; in Coesfeld findet sich ein Fall, wo noch kein De-
fensor gegeben war, als der Fiscal nach vollzogener Tortur
bereits um das Endurtheil bat. Der wandernde Hexen-
richter Balthasar Voss im Fuldischen verweigerte alle
Vertheidigung schlechthin*). Und was half überhaupt
') Die obigen Angaben linden sich zerstreut in den Schriften von ir^rr
Delrio, i\ Lambert und Niessert, Im Allgemeinen rOgt diesen Unfug Oldih^p
Sunt judices quidam, qui ex imperitia jurium et judicii defectu (oe dixerim
ex malitia) reis de criminibus atrocioribus sive exceptis accusatis, umulic
capti sunt, advocatos cum injuria denegant, idque ex eo, quod dicitur, in cn-
minibus atrocibus et funestis advocatos non esse concedendos.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 2cc
aiich der beste Vertheidiger bei den einmal in Geltung
gekommenen Voraussetzungen? Aus dem siebenzehnten
Jahrhimdert gibt 6s Prozesse, die in allen Formen des
Anklageverfahrens verlaufen; der Defensor reicht die licht-
vollsten, der Fiscal die Aiohstrosesten Schriften ein, und
dennoch siegt der Letztere vor Richtern und Fakultäten.
Es lag in keinem Falle in der Gewalt des Defensors, den
Angeklagten gegen die Wirkungen seines eigenen Ge-
ständnisses zu schützen; dieses Geständniss aber war
der Zielpunkt, auf welchen alle Hebel des Vetr
fahren s hinwirkten. Das Schlimmste aber war dabei,
dass nur gar zu oft, wenn das Gericht selbst von der Un-
schuld einer Inquisitin durch die im Prozesse hervorge-
tretenen Indizien überzeugt worden, die Richter doch um
ihrer Reputation willen ein Geständniss der Unschuldigen
zu erzwingen suchten. So sehen wir z. B. in dem be-
kannten Coesfelder Prozess von 1632*) die satanische Er-
scheinung, wie ein ganzes CoUegium — nämlich der Stadt-
rath zu Coesfeld — es als seine Ehrensache ansieht, dass
der nun einmal von ihm m Untersuchung Genommene,
zur Rechtfertigung des leichtfertig angestellten und ge-
führten Prozesses vor der Welt aJs schuldig erscheine —
wozu der ehrsame Rath die unerhörtesten Torturmittel in
grausamster Weise zur Anwendung brachte.
b) Die Tortur.
Im Bisherigen haben wir bereits allerlei nichts weniger
al§ hiunane, aber im Erfolg sehr wirksame Mittel kennen
gelernt, die man zur Anwendung brachte, um die Inquisiten
zum Geständniss zu treiben. Keins dieser Hülfsmittel der
Inquisition kaiin jedoch auch nur im Entferntesten mit dem
Marterwerkzeug verglichen werden, dessen Anwendung
die eigentliche Seele des ganzen Prozessverfahrens war,
nämlich — mit der Folter. Denn ohne sie würde es gar
nicht möglich geworden sein, die Massen von Hexen,
*) Vgl, Jos, Niesert, Merkwürdiger Hexenprozess gegen den Kaufmann
G. Kfibbing aus d. Jahren 1632. (Coesfeld, 1827.)
^^*> aerff.sw t.^^f^ Kjc^:ncl.
Trelrhe ::iäz: ÄÜer "C^rres: prcxessin und justi£zirt hat, auf-
zuf::ideii. C-tzie liSe Fchaer wäpe der Hexenprozess in
E-xi^ieh rirhi iis ^eircrdesi. äIs was er in der Geschichte
cer Me:3>c!h2ien d2i3ehi. Ke Tamir war der Haupdien'
aller £»e"Vr isc^lhrsr: c. ise F z'.zer war das ög^entliche S}Tii-
^ - * * T_Z — «.^B..^ - —
Zur Ar-rer^iun^ der T:»m:r scariu man schon auf die
In.v'.TrrL hin: rarei coer drei Denimnarionen, wenn
ter Xatur, oder die Angabe eines
e:-_r:cen >: jre^-^är.r.ier! Coirplicen wurden als gesetzhch
C^r,ü<eT:d c-eir&chiet - , Wo iran dem Satze vom crimen
excerr*::^:: eir.e erras freiere Ausiegung" gab, da war die
Fiter di5 AlrbÄ und das ^►n:€iara des Verfahr«is*L Kai^e^
Ferün.ini IL S3ii sich ^?Ki3th:gt. dem Bischöfe von Bam-
berg einen Gerichisprasidenten za bestellen, „damit nit
ir.ehr ierclei.^hers Desunciationen so bald a captura et
tcrrura •inrlincen. sondern die Instruenten ruvor über alle
cirrumsCAr-iias loci ei malencü und dass sie sich in ipso
:\\j:c. w\ihr benr.den, g^enug-same Nachricht einholen**').
Bei vsr.^brüjldschen Prozessen aus dem achten De-
cennium des sechsiehnren Jahrhunderts klagt der Jurist
Rüder.s^heid. c.vss die verfolgten Weiber, .«alsbald sie g*e-
!7inclic- einc^^-ccen worden, der Tortur eodem quasi mo-
ir.er.to ur.ter-A .>nen sein und ihre defensiones, wie sich zu
Re^v h: cebühn. nicht gehöret*' * , Dergleichen tumultuan-
• r. ' .: V V.;: ;. /.• -:.-: -^»^ CXXII. 'v f. Xusfrf Merkn
lliVv *. -. ;e^* ^c«-.r -t- K2>.!:i:Ar^ G. K*:r.rz ni Coesfeld im J. 1632 ^ -.^
A.v-- -.c r / --* j. J -•«*:«« !TC.;r*: .r s^ineai Proc^sai« lundicus cor»'»
S ^. - et Vfv-^'c < : ;. Ei2 -ipvy:* c*^r Pr.-xes^ etc. (au« dem Latein Gb<r-
s^'r. Kl: i'^v ,:.f /j^:<re u cer rr:=i:~ ^u* excrpüs, denen ceieaC^cf
«. ' --syc-^ew *\-.,j''t> Vc-x'.'e*^ i'w*As<u 5e:. Daher forden ir namentlich
»> .: — :^ . '.A.vx -:i *cr.- au! i.e A--xa^e vcl nvei oder drei Complicer
h '. :j' A-vve-i-r^ .*f K ^*.;cr «: -t '^
•. C«-*. .- c .•'. •jwj«^!. XViil
•; »." »- :e I..'."..' ^ p. :k^. — Ir ^^r.vr.bj'^ thetite nun einsJ «"la*^
Vc-* . ftfe-* r.a.! ! " riV ifr Ge!*j-\:trrvcbaft i:e Inltiien mit. welciie gro^^'*"
i^'-.U a-« B^K^-.'tn-^^en ^-e^ta^ier. »iie er^! während der Gef»njlf'^-
^«. ^ a f t a * ^ -r • . 1 : t r T w ^ r . «. r w a r t r.. NjchlsJestowenicer lautet »''«^
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^ey
sches Vorschreiten war gewöhnlich überall da zu Hause,
wo die Geschichte einzelner Jahre durch Reihen grosser
Hexenbrände besonders gebrandmarkt ist.
Der Malleus räth, die Folter stufenweise und an ver-
schiedenen Tagen anzuwenden, jedoch dürfe man das nicht
eine Wiederholung, sondern nur eine Fortsetzung
nennen. Weltliche Richter haben indessen an jenem Aus-
drucke keinen Anstoss genommen ^). Weil die Zauberei
ein crimen exceptum war, so erlaubte man sich in dem
Grade, der Wiederholung und der Zeitdauer des Akts jede
Freiheit. Drei- und vierstündige Tortur war nichts Un-
gewöhnliches *). Ein der Lykanthropie Angeklagter in
AVestphalen wurde einst zwanzigmal „mit der Schärfe"
(wie man die Tortur nannte) angegriffen'); in Baden-
Baden peinigte man ein Weib zwölfmal und liess sie nach
dem letzten Akt noch zweiundfiinfzig Stunden auf dem
sogenannten Hexenstuhle sitzen^). Ein Weib in Düren,
das in wiederholter Pein standhaft leugnete, die Kraut-
gärten durch Hagelschlag verwüstet zu haben, blieb, mit
ungeheuren Beingewichten beschwert, an der Schnur
hangen, während der Vogt zum Zechen ging ; als er wieder
kam , hatte der Tod die Arme von allen Qualen erlöst *).
Diesem Vogte fehlte indessen die Geistesstärke, mit welcher
man sonst in solchen Fällen behauptete, dass der Teufel
sein Opfer geholt habe^); er ward wahnsinnig.
Schlussartikel : nitem wahr, und erfolgt aus Hieroberzählteni, dass offtermelter
Magistrat der St. Offenburg ganz wohl befuegt, ja von Obrigkeit schuldig ge-
wesen , Sie Hoffmännin in gefänghche Hafftung anzunehmen und obgesetzter-
niassen mit der tortur gegen ihro zu verfahren.** Originalakten des R. K. G.,
i^IofTmännin contra Stadt Otfcnburg.
^) 1593 sprach z. B. der Rath zu Havelberg den Satz aus: der Teufel
helfe den Hexen oft bei der ersten Tortur, man müsse dieselbe wieder-
holen. V, Räumer in den Mark. Forschungen. 1841. Bd. I. S. 249.
^ V, Lamberg S. 6. Horst Z. B, U. 153.
') En, judicum clemens arbitrium quo se porrigat in illis partibus Aqui-
lonaribus! ruft Delrio über diesen Fall aus. Lib. V. Cap. IV. Sect. 9.
*) Originalakten des R. K.G. von 1628, Weinhagen contra Markgrafen v. Baden.
*) Weier de praestig. daemon. S. 433.
•) «In stillem Rath. Nächten nach eilf Uhr ist des Waischen Mägdlein
auf dem (Hexen) Stuhl urplötzlich gestorben, und unangesehen man sie zuvor
^eg Sechszehntes Kapitel.
In grausiger Uebersichtlichkeit ist das ganze Verfahren
von dem Juristen Hartwig v. Dassell zu Lüneburg in
einer 1 597 herausgegebenen Schrift dargestellt ^). Er sagt
so: „Um zu verhüten, dass die der Hexerei Angeklagten
nicht das maleficium tacitumitatis ausüben, soll man vorher
die geeigneten Vorsichtsmassregeln anwenden. Namentlich
ist darauf zu sehen, dass sie nicht etwa in Kleidern und
Haaren ein Amulet versteckt halten'). Man lasse sie so-
dann binden, wobei der Richter es versuche bei der Zu-
rüstung und Anlegung der Marterwerkzeuge sie ztmi Ge-
ständniss zu bringen. Hat dieses keinen Erfolg, so beginnt
die Tortur. Führt auch diese (die in ihren entsetzlichsten
Einzelheiten besprochen wird) nicht zum Ziele, so ist den
Angeklagten ein Termin auf den zweit- oder drittnächsten
Tag zur „Fortsetzung" der Tortur zu setzen. Dabei pflegen
die Henker der Vorsicht wegen zu „protestiren" und der
Richter zu „interloquiren", dass sie einstweilen mit der
Fortsetzung der Tortur (die eigentlich nur auf neu hinzu-
gekommene Indizien hin erneuert werden sollte) Anstand
nähmen. In der Zwischenzeit sorgt der Richter dafür, dass
die Gefolterten nicht allein bleiben, weil sie sonst, vom
Teufel aufgereizt, einen Selbstmord versuchen konnten.
An dem anberaumten Tage muss der Richter sie abermals
emstlichst ermahnen, um sie zu einem „freiwilligen" Ge-
ständniss zu treiben. Fruchtet dieses nichts, so lässt er
zum Bekenntniss stark ermahnt, ist sie doch allzeit auf ihrer Unschuld stark
verharret. — — Ist erkannt, dass man sie unter dem Galgen > er-
grabe." Offen burger RathsprotokoU vom 1. Juli 1628. b. Sckrd^tr üexca*
prozess im Breisgau, S. l8. — Aehn Hohes bei ffcrst Z. B, Th. U. S. 410
u. Th. lll. S. 355 f
») Das Buch fuhrt den Titel: Hardewici a Dassel] J. C Responsum
iuris in causa poenali maleficarum Winsiensium prodefensione innoxiarum c!
condemnatione nocentum, ne quisquam ante iudicium iniuste innoceüter«)ut
condemnetur. — Datum Lüneburg. Ultimo Junii die, a, 1697. Das Gaisu
ist ein Rechtsgutachten Qber einen in Winsen vorgekommenen Fall. Vgl
Trummtr, Vorträge etc. S. 117 fL
') Auch hier die acheusaliche Vorschrift: Pili et crines ex omni parte
corporis abradantur et laventur — quod interdum in pilis teoeant nuldiciuin
pro taciturnitate, et quandoque in locis secretissimis non nominandis.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^^g
sie auf die Folter bringen, und während sie in die Hohe
geschraubt werden, lässt er die Aussagen ihrer Genossen
mit Verschweigung der Namen ihnen vorlesen und ruft
ihnen zu: Ihr seht also, dass ihr durch Zeugen überführt seid !
Wenn das Alles noch nicht hilft, so darf man die An-
geklagten doch noch nicht freigeben, sondern man schafft sie
vielmehr nach einem entfernten castrum (Hexenthurm etc.),
imd wenn sie dort mehrere Tage zugebracht haben, gibt
der Vogt eine weite Reise vor und lässt inzwischen die
Verhafteten durch abgeschickte Weiber besuchen, welche
sich mit ihnen unterhalten imd ihnen versprechen müssen,
dass sie ihnen die Freiheit verschaffen wollten, wenn sie
ihnen nur in einigen Hexereien Unterricht ertheüen wollten (!)
Bleibt aber auch dieses erfolglos, so kann ihnen der Richter
das Todesurtheil verkündigen und kann sie auch, wenn die
Umstände es erlauben, anscheinend zur Hinrichtung hinaus-
führen lassen, um sie zur Reue zu bringen. Hilft auch
dieses nichts, so muss er sie fragen, ob sie die glühende
Eisen- oder die Wasserprobe wagen wollten. Antworten
sie im Vertrauen auf die Hilfe des Teufels mit Ja, so ent-
gegnet ihnen der Richter, dass er doch eine solche Reini-
gung als auf ein vom Teufel ersonnenes Blendwerk nicht
gestatten könne. Beharren dann die Angeklagten auch
jetzt noch bei ihrem Schweigen, so hat sie der Richter in
lebenswierige Haft zu nehmen *), wobei sie dann vielleicht
der Dunst des Gefängnisses („carceris squalor"!) zum Ge-
ständniss treibt oder wo sich neue Indizien ergeben, welche
zu neuer Anwendung der Folter berechtigen. Legen aber
die Angeklagten endlich ein Geständniss ab, so hat alsbald
die gewöhnliche Hinrichtung durch Feuer einzutreten. —
Alle wesentlichen Momente des teuflischen Prozess-
verfahrens sind hier allerdings zusammengestellt, und im
Wesentlichen verlief jede „scharfe Frage" in der hier an-
gegebenen Weise.
*) Dassäl meint auch, incarcerata non poterit evadere et nocere, quia
divina iustitia tunc non permittit daemoni naturalem potentiam exercere in*
carceratis !
^6o Sechszehntes Kapitel.
Ehe man nämlich zur Folter schritt, wurden vor den
Augen der Angeklagten die Folterwerkzeuge ausgekramt,
wobei der Henker deren Anwendung beschrieb- Hatte
diese „Territion" nicht den gewünschten Erfolg, so wurden
die Angeklagten gewöhnlich einer Procedur so scheuss-
licher Art unterworfen, dass eine ehrbare Frau oder ein
züchtiges Mädchen schon dieser blossen Vorbereitung der
Folter den Tod vorziehen konnte. Die Unglückliche wurde
nämlich zunächst (zuweilen aber auch erst, nachdem die
ersten Marter erfolglos angewendet waren) vollständig ent-
kleidet, und sah sich nun mit ihrem entblössten Leibe den
rohen Händen des Scharfrichters und der Henkersknechte
preisgegeben. Dieselben begannen vor Allem in der scham-
losesten Weise an dem Körper der Unglücklichen nach
verborgenen Zaubermitteln, durch welche sich dieselbe
etwa gegen die Folter unempfindlich machen konnte, zu
suchen, wobei nicht selten von Bütteln, Scharfnchtern
und Gefangenwärtem noch die scheusslichste Unzucht ver-
übt wurde ^). Da möglicher Weise im Haar ein Zauber-
mittel versteckt sein könnte, so wurden der Angeklagten
an allen Körpertheilen alle Haare und Härchen abrasirt
beziehungsweise abgesengt ^). Sodann begann der Gericht«^
*) Der grimme Hexenrichter Remigius, Verfasser der «Daenionolatria*
von 1595. erzählt von einem seiner Opfer, Katharina geheissen. dieselbe sei.
obgleich noch ein unniannbares Kind, im Kerker wiederholt dergestalt vom
Teufel genothzQchtigt worden , dass man sie halbtodt gefunden habe. Die
Befriedigung der viehischen GelQste, welche sich die wirklichen Unholden
erlaubten, wurde nämlich dem Teufel in Rechnung gesetxt ! — Der engliiche
Staatsrath verurtheilte wegen Missbrauchs einer Hexe 1678 eine Magistrat*-
pcrson (^K. Scott B. ober Däm. H. 150). Auch Fr. v, Spet erwihnt ein in
Deutschland von einem Scharfrichter bei dem Scheeren vor der Folterun«
verübtes derartiges Verbrechen in der Caut. crim. XXXI. — Auch i^'nn
(de praest. daem. Ausg. von 1563, S. 295) erwÄhnt einen (weiter uDten roit-
zutheilenden) Fall, in welchem eine Hexe von dem Geftngnisswäiter iweim*!
geschwÄni^ert ward.
«) Spei (Dub. XXXI.) beschreibt diese grausige Procedur in folgender
Weise : Cum lorturis admovenda rea est, seducit eam prin)um in locum proM«
mum infnmis lictor, et non modo capite et axillis sed et qua parte roüli'f
est, accurate detondet aut admota facula adurit. Causu est, ne quid imphci-
tum Sit recularum maKicarum . ({uibus ad tormenta induretur. Er fÖgt noch
Dsa gerichtliche Veriahren uod die Strafe. ^5l
knecht an edlen Theilen des Korpers nach dem Hexen-
mal, Stigma diabolicum, zu suchen. Man glaubte nämlich,
jede Hexe habe an ihrem Körper eine Stelle, an welcher
sie unempfindlich imd ohne Blut sei. Der Knecht stach
daher mit einer Nadel in alle Leberflecken, Warzen u. dgl.
ein, um zu sehen, ob nach irgend einem Stiche kein Blut
iliesse.
Wollte die Angeklagte jetzt noch kein Geständniss
ablegen, so begann der Richter — um das maleficium
taciturnitatis fortzuschaffen — dieselbe mit Drohungen und
Versprechungen zu bearbeiten ^). Dabei war dem Richter
im Hexenhammer der Gebrauch von Amphibolinen, Mental-
reservationen und anderer Fallstricke zur Erwirkung eines
„freiwilligen** Geständnisses empfohlen*). Bei dem Be-
ginne der Tortur pflegten insbesondere katholische (aber
die Worte hinzu: Obnoxium est id illusionibus et foedissimis tactibus inconti-
nentiuro scurrarum. — Ego detondendam a nequam scurra raptim constupra-
tani audio, tum mox coiupendio facula dcpilatam. — v. Wächter (Beiträge zur
deutschen Gesch. S. 323) verrauthet , dass dieses schmähliche Verfahren von
den Inquisitores haereticae pravitatis henühre, und hebt dabei hervor,
dass die Verfasser des Hexenhammers, die dasselbe adoptirten, doch noch ein
rühmendes Zeugniss für deutsche Ehrbarkeit ablegen , indem sie sagen : In
Alenianniae partibus talis abrasura , praesertim circa loca secreta,
plurimuro censetur in honesta, qua de causa nee nos inquisitores usi sumus,
sed tonsis capillis capitis cum calice aquae benedictae guttulas cerae benedictae
immittendo et sub invocatione sanctissimae Trinitatis jejuno stomacho trinies
in potum ministrando per Dei gratiam a plerisque taciturnitatis male-
ficium abstinuimus. Tarnen in aliis regnis inquisitores talem per totum
corpus abrasuram fieri mandant, ut et Cumanus inquisitor nobis insinuavit,
qui anno elapso XLl. maleficas incinerari mandasset, omnibus per totum
corpus abrasis. Leider eigneten sich aber späterhin auch die deutschen Hexen-
richter die italienische Praxis an. wesshalb Spee darüber ausruft: Pudeat ger-
manos nos, si quae tunc erat peculiaris Alemanniae verecundia, nee hanc in-
quisitores illi alias severi confundere ausi sunt, nos denique nunc nequissi-
moruin scurrarum libidini prostituimus.
') Eine oft vorkommende Bedrohung, mit welcher der Henker seine grausige
Arbeit begann, war: «Du sollst so dünn gefoltert werden, dass die Sonne
durch dich scheint."
') Wie das Versprechen der Gnade zur Erpressung von Geständnissen
gcmissbraucht ward, ist z. B. aus dem Urtheil zu ersehen, welches Carpzow
im Anhange zur Quaest. L. Nr. 17 mittheilt.
362 Sechszehntes Kapitel.
auch protestantische) Untersuchungsrichter allerlei Vor-
sichtsmassregeln anzuwenden, durch welche sie aUe das
Gerichtsverfahren störende Einwirkungen des Teufels und
anderer Hexen auf die Inquisiten verhindern wollten. An
manchen Orten legte man den Angeklagten zu diesem
Zwecke ein Hemd an, welches an Einem Tage gewirkt,
gesponnen und zusammengenäht sein sollte. An anderen
Orten sah man wenigstens darauf, dass dieselben während
der Tortur von ihren Kleidern gar nichts am Leibe hatten;
denn eine Hexe zu Innsbruck hatte sich einst gerühmt,
wenn sie nur einen Faden vom Kleide einer Grefangenen
habe, so wollte sie dieselbe dergestalt verzaubern, dass
sie diu-ch keine Marter zum Geständniss gebracht werden
könnte. In katholischen Gegenden gab man den Unglück-
lichen auch einen mit allerlei geweihten Stoffen zurecht-
gemachten Trank ein, der sie zum Geständniss geneigt
machen imd den Beistand des Teufels verhindern sollte.
Ganz gewöhnlich aber war es hier, dass man die Folter
wiederholt mit Weihwasser besprengte und die Folter-
kammer mit aus geweihten Kräutern hergestelltem Rauch
erfüllte, — um „des Teufels Gespenst" vom Orte fem zu
halten^). In den Akten eines 161 9 im Elsass vorgekom-
menen Hexenprozesses (welche Rud. Reuss, La sorcel-
lerie etc. S. 160 mittheilt) wird bezüglich der vorgenom-
menen Tortur berichtet, dass man „propter suspicionem
initi cum diabolo pacti insensibilitatis den locus torturae
zuvor exorcisirt, dass auch der Gefangenen ganz neue
gebenedeite Kleider, darin auch eine particula de agno
Dei genähet gewesen, angelegt worden". Dieses Verfahren
war in katholischen Landen ein ganz gewöhnliches.
Zahllos waren die Torturmittel, durch welche eine
sinnreiche Kriminalistik dem Lügenteufel im Menschen zu
Leibe ging, vom einfachen Anlegen der Daumschrauben an
bis zum Abreissen der Fingernägel mit Schmiedezangen,
welches Jacob I. üben Hess. Raffinirter war \'ielleicht keins
als das sogenannte tormentiim insomniae, das schon von
') L. Rapp, die Hexenprozesse und ihre Gegner aus Tiro], S. 38*
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^()x
Binsfeld gebilligt und später in England mit Erfolg an-
gewandt wurde. Matthäus Hapkins, der berüchtigte
General-Hexenfinder Englands, liess die. Gefangenen stets
wach erhalten, „damit sie keinen Zuspruch vom Teufel
erhielten." Zu diesem Zwecke wurden sie ini Kerker un-
aufhörlich umhergetrieben, bis sie wunde Füsse hatten und
zuletzt in einen Zustand vollkommener Verzweiflung imd
Tollheit geriethen*). Dieses „tormentum insomnii" oder
„insomniae" wurde aber zur Steigerung der Tortur auch
in Deutschland^) und namentlich auch im Kirchenstaat 3)
angewendet. — Andere Untersuchungsrichter pflegten den
Verhafteten nur gesalzene Speisen ohi^e einen Trunk ver-
abreichen zu lassen*). Hatte die Anwendung dieser Mittel
nicht den beabsichtigten Erfolg, so schritt man zur eigent-
lichen Tortur.
In Württemberg bediente man sich hierzu der so-
genannten Wippe, die darin bestand, dass man der An-
geklagten Hände und Fasse zusammenband, und sie dann
an einem über eine Rolle laufenden Seil auf und niederzog.
Bei dem zweiten Grade der Folter, wurde ein leichterer,
bei dem dritten ein schwerer Stein (oft vom Gewicht eines
Centners) angehängt, was eine geringere oder stärkere Ver-
renkung der Glieder zur Folge hatte*).
Das gewöhnliche Verfahren ^) bei der Anwendung der
') Binsfeld in Tit. Cod. de nialef. et mathemat. — W. Scott Br. über
Däm. II. 92,
') Z. B. im Elsass, s. Reuss, la sorcellerie S. 177.
-') ChartariOf Praxis interrogandorum reorum (Rom. i6l8) p. 19S: In
Statu KccksiastiGO bi duo modi magis in usu sunt. — tormentum taxiliorum
et vigiliae per somni subtractione m.
♦) P/ajr. S. 374.
■) P/aff, S. 259, — Erst seit 1662 kamen in Württemberg die , Daum-
schrauben* und „spanischen Stiefel* zur Anwendung. S. Pf off, S. 350.
*) Als Beispiel geben wir folgende gerichtlich erhobene Tbatsachen aus
einem Falle, in welchem die Inquisitin durch eine seltene Standhaftigkeit in der
Marter es dabin brachte, dass nur die Landesverweisung als ausserordentliche
Strafe Ober sie verhängt werden konnte , und dass ihr so wenigstens die Mög-
lichkeit einer Beschwerdeführung blieb.
.Insonderheit saget testis 2. Philipp Wagner, der Richter selbsten, ad 2. art.
Ob Maderio gleich, bey der ersten Marter nichts bekennet, habe man doch
x(y± Sechszehnt«s Kapitel.
Folter beschreibt v. Wächter (Beitr. ztir deutschen Gesch.
S. 120) in folgender Weise: Man begann die Tortur (auch
die „peinliche Frage", die „scharfe Frage" genannt) ge-
wöhnlich mit dem Daumenstock, indem man den An-
geklagten entblosste imd anband und die Daumen desselben
in Schrauben brachte, diese langsam zuschraubte und so
die Daumen quetschte. Half dieses nichts, so nahm man
ohne rechtliches Erkenntniss, die Tortur wiederholet, und der Scharpffrichter
ihr die Hände gebunden, die Haar abgeschnitten, sie auff die Leiter gesetzet.
Brandenwein auff den Kopff gössen, und die Kolbe vollends wollen abbrennen.
Ad artic. 3. ihr Schwefelfedern unter die Arm. und den Hals gebrennei,
art. 4. binden aufwärts mit dt-n Händen biss an die Decke getogen, art. 5. so
bey 3. oder 4. Stunde gewehret , und sie gehangen , der Meister aber xnm
Morgenbrodt gangen, art. 6. 7. und als er wiederkommen, ihr BrandenweiB
auff den Ruck gössen, und angezündet, art. 8, 9. 10. ihr viel GcMrichter auü
den Rücken gelegt, und sie in die Höhe gezogen; Nach diesem wieder au 3
die Leiter, und ihr ein ungehoffeltes Bret mit Stacheln under den Rücken ge-
leget, und mit den Händen biss an die Decke auffgezogen. art. 11. Furier
die beyde grosse Fuaszehen. und bey de Daumen zusammen geschraubet, eine
Stange durch die Arm gestecket, und sie also auffgehänget, dass sie ungcfeh:
eine viertheil Stunde gehangen, war ihr immer eine Ohnmacht nach der andern
zugangen» ad art. 12. et 13. die Beine weren ihr in den Waden geschrau^«l.
und wie zu vermercken. die Tortur auff die Fragen underschiedlich wieder-
holet worden.
Bey der dritten Tortur, so der von Dreissigacker verrichtet, seye es int«
zugangen, als der sie mit einer ledernen Peitschen umb die Lenden, u nd sonsi
gehauen, dass das Blut durchs Hembde gedrungen, art. I4. 15. 16. Ferner
sie auffgezogen, ad art. 15. ihr die Daumen und grosse Zehen zusammen ^?*
schraubet, sie also im Bock sitzen lassen, und weren der Henker neben denen
Gerichtjpersonen, zum Morgenbrodt gangen, ungefehr vor Mittage, umb lO Ch'
darinnen sie gesessen bis 1. Uhr, nach Mittag, dass auch ein beoichbsrtcr
Beamdter zu Zedgen kommen und gesagt, warumb man so unbannhertzit( mit
den Leuten umbgienge , man hette zu Neustadt davon gesagt , dass die zu
Possneck so unbarmhertzig weren, art. 17. Darauff sie abermal mit der Car-
batschen jämmerlich zerhauen, und seye es hierbey ersten Tages verblieben
art. 18. den andern Tag, (notetur) were man noch einmal (doch ahsque ^f-
tentia praevia) mit ihrdurchgangen, Tortur hette bissweiln mit der Peitschen
zugehauen, aber nicht so sehr, wie den vorigen Tag. es were ein abscheultcn
Werck gewesen, art. 19. — diesem Zeugen stimmet in den meisten Punkten
bei testis 4, Christoph Rhot, auch Richter u, s. w.* — Urtheil wegen w
harter Tortur in puncto veneficii, in Zit/^'j Consil. et Respons. Frankof. 1ö'^
i^. 4^»3. — Der Fall selbst gehört in das Jahr 162g,
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^6$
die Beinschrauben oder spanischen Stiefel, durch
welche Schienbein und Waden glatt gepresst wurden, nicht
selten so, dass die Knochen zersplitterten. Zur Erhöhung
der Qual wurde dabei noch zwischendurch mit dem Hammer
auf die Schraube geschlagen. Um nicht durch das Jammer-
geschrei der Gefolterten molestirt zu werden, steckte der
Scharfrichter derselben ein Capistrum in den Mund, welches
das Schreien unmöglich machte. Der nächstfolgende Grad
der Folterung war der Zug oder die Expansion oder
Elevation, Dem Angeschuldigten wurden hierbei die
Hände auf den Rücken gebunden und an dieselben ein
Seil befestigt. An diesem Seile wurde nun der Unglück-
liche bald frei in der Luft schwebend durch einen an der
Decke angebrachten Kloben, bald an einer aufgerichteten
Leiter (bei der oft in der Mitte eine Sprosse mit kurzen,
spitzen Hölzern — dem „gespickten Haasen" — ange-
bracht war) gemächlich in die Höhe gezogen bis die
Arme ganz verdreht über dem Kopfe standen, worauf man
ihn mehrmals rasch hinabschnellen Hess tmd ,, gemächlich"
wieder hinaufzog. Erfolgte auch jetzt noch kein Geständ-
niss, so hing man dem Gefolterten, um die Glieder noch
ärger und noch qualvoller auseinanderzurecken, schwere
Gewichte an die Füsse, und liess ihn so eine halbe, oft
eine ganze Stimde und noch länger hängen, legte ihm oft
auch noch die spanischen Stiefel an. Es kam dabei
vor, dass während dieser Zeit das Gerichtspersonal abtrat,
mn sich bei Speis und Trank zu erholen, v. Wächter
berichtet (S. 103) nach einem Bamberger Protokoll, „dass
ein wegen Zauberei Angeschuldigter drei u^d eine halbe
Stunde lang mit Beinschrauben und Daumenstock gefoltert
und am Ende, äa er nicht gestand, an einem Stricke acht
Schuhe hoch von der Erde hinaufgezogen und ihm an die
grosse Zehe ein Gewicht von zwanzig Pfund gehängt
wurde. Half auch diese oder eine ähnliche Tortur nichts,
so träufelte man dem Inquisiten brennenden Schwefel oder
brennendes Pech auf den nackten Körper oder hielt ihm
brennende Lichter unter die Arme oder unter die Fuss-
sohlen oder an andere Theile des Körpers."
^66 Sechszehntes Kapitel.
Im Fürstenthum Münster pflegte der Scharfrichter (wie
Niesues ^) mittheilt) dem Angeklagten in diesem letzten
Stadium der Folter die Arme und die Schulterknochen aus
ihrem Schultergelenk auszubrechen, die Arme rückwärts
am Hinterkopf fest zusammenzuschnüren und ihn durch
seine Knechte so aufziehen zu lassen, däss seine Füsse
einige Spannen weit vom Boden hingen. Zur Vergrosserung
der Schmerzen brachte der Scharfrichter in Zwischenpausen
an den Händen und Füssen des Unglücklichen wieder die
Daumschrauben und die spanischen Stiefel an und liess
dieselben von Zeit zu Zeit versetzen und fester anschrauben.
Ausserdem schlugen ihn die Henkersknechte mit Ruthen
oder mit Lederriemen, die am Ende mit Blei beschwert
oder mit scharfen Haken versehen waren, und zwar so lange
bis der Scharfrichter mit der Peinigung einzuhalten befahl«
damit nicht der Tod des Gefolterten erfolge.
Wie qualvoll dieser letzte Grad der Foltenmg unter
allen Umständen sein sollte, ist aus einem Erlass des
Münsterischen Ober- und Landfiscus vom g. September 1725
in Sachen eines Verhafteten Friedrich Jacobs zu ersehen.
Demselben war vom Scharfrichter im vorletzten Grad der
Tortur der Arm zerbrochen, so dass dieser erklärte, den
letzten (fünften) Grad nicht mit ihm vornehmen zu können.
Auf die Anfrage des Untersuchungsrichters, was er daher
an die Stelle des fünften Grades setzen solle, erklärte der
genannte Ober- und Landfiscus, dass man anstatt des
fünften Grades die vom Scharfrichter in Vorschlag ge-
brachte Foltenmg anwenden solle, nämlich, „dass Inquisit
von hinten auf mit Füssen und Armen aufgezogen, sodann
mit Ruthen gehauen, mit brennendem Schwefel beworfen
und bei weiter in confitendo sich ergebender Obstination
er annoch zwischen den beiden vordersten Fingern jeder
Hand mit einer Lunte durchgebrannt werde.**
Wurde das durch eine solche Marterung erpresste
Geständniss hernach aus Gewissensnoth als Lüge wider-
k
') ^Zur Geschichte des Hexenglaubens und der Hexenprozesse, vomSmlich
im ehemaliffen FflrstbisthuRi MQnster", (Münster, 1875) S. 43—44.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 367
rufen, so begann die Folterung* aufs Neue. Niesues theilt
(S. 45) aus Münsterschen Akten einen Fall mit, in welchem
der Ober- und Landfiscus nach dreimaligem Widerruf zum
vierten Mal die Folterung durch alle fiinf Grade sie ver-
ordnete.
Konnte aber aus den Angeklagten durch keine Tortur
ein Geständnissi herausgemartert werden, so wurden die-
selben nicht etwa freigegeben, sondern sie wurden in das
Gefangniss zurückgebracht, wo ihnen der Scharfrichter
die auseinandergerissenen Glieder nothdürftig wieder inein-
ander fügte, sie verband und ihnen vorstellte, dass ihre
Schuld trotz ihres beharrlichen Leugnens doch offen zu
Tage liege, und dass sie jetzt noch durch ein offenes
Geständniss der Strafe des Feuertodes entgehen und Be-
gnadigung zum Tode durchs Schwert erlangen könnten.
V. Wächter macht (S. 103) noch darauf aufmerksam,
dass vom Gerichte der Grad der Folter in der Regel nur
in sehr unbestimmten Ausdrücken erkannt wurde, so dass
der folternde Untersuchungsrichter so ziemlich ganz freie
Hand hatte, und darum nicht selten auch durch Anwendung
der ausgesuchtesten Marter (z. B. durch Eijitreibung von
Keilchen zwischen die Nägel und das Fleisch von Fingern
und Zehen) selbst die Vorschriften des Hexenhammers und
des auf demselben beruhenden Herkommens zu überbieten
wussten.
War durch die Folterung, trotz aller der verschieden-
artigen Qualen, mit denen die Unglücklichen in denselben
gepeinigt wurden, doch kein Geständniss erpresst, so sollte
vorschriftsmässig eine abermalige Folterung nur in dem
Falle, dass neue Indizien ermittelt waren, vorgenommen
werden. Derartige Indizien waren aber gar leicht zu be-
schaffen und ausserdem half man sich mit der Phrase, die
abermalige Tortur sei nicht eine Wiederholung, sondern
eine Fortsetzung der ersten und einen Folter. Auch
wurde oft geradezu das Ueberstehen der ersten Folter
als Beweis, dass den Gefolterten der Teufel helfe, d. h. als
neues Indicium der Zauberei angesehen. Bei Unzähligen,
namentlich bei Frauen, wiu^de erst durch Wiederholung
ß58 Sechszehntes Kapitel.
der Folter das verlangte Eingeständniss herausgemartert.
Und dabei begnügte man sich nicht mit einer einmaligen
Wiederholung der Folter; \delmehr wurde in derselben
fortgefahren, bis man das Geständniss erpresst hatte, oder
bis die Gemarterten auf der Folter zum Sterben gekommen,
oder bis man das Foltern müde war. Schuegraf (Zeit-
schrift für deutsche Kulturgesch., 1858, S. 766) berichtet
sogar von einer Hexe „HoU", dass dieselbe 56 Mal auf die
Folter gespannt wurde, und die Tortur überstanden habe.
Die bestiale Rohheit, mit der diese Proceduren vorge-
nommen wurden, spricht sich oft schon in der Kürze der
Protokolle aus, welche zuweilen nur auf einem einzigen
Blatt, über die entsetzlichsten Gräuel wie über die ein-
fachsten Sachen, nur mit drei Worten berichten').
Andere Protokolle lassen die grässlichsten Proceduren,
die man bei der Folter vornahm, um so deutlicher erkennen.
*) Vgl. z. B. folgendes von Pfaff (in der Zeilschr. för d. Kultur^jesch.
1856, S. 367) mitgetheilte Esslinger Torturprotokoll vom 14. Sept i6^2:
Wird gebunden; winselt, „könne's nicht sagen"; „soll ich lügen''
O weh, o weh, liebe Herrn!* Bleibt auf der Verstockung. Der Stiefel
wird angethan und etwas zugeschraubt. Schreit: „Soll ich denn lüger
mein Gewissen beschweren? Kann hernach nimracr recht
beten!" Stellt sich weinend, übergeht ihr aber kein Auge. „Kann wahr-
lich nicht und wenn der Fuss herab müsste!" Schreit sehr: ,St«ll
ich lögen, kann's nicht sagen!" Ob zwar stark angezogen, bleibt sit
doch auf Einerlei, „O Ihr zwingt Einen!" Schreit jämmerlich: .0
lieber Herr Gott! Sie wollts bekennen, wenn sie es nur
wüsste; man sage ja, sie solle nicht lügen!" Wird weiter zi. ge-
schraubt. Heult jämmerlich. — „A-ch, liebe Herrn, thut mir nicht
so gar. Wenn man Euch aber Eins sagt, wollt Ihr gleich
wieder ein Anderes wissen;" u. s. w. — Ein anderes Protokoll theiU
V. Wächter (S. 108) mit: „Bamberg, Mittwoch den 20. Juli 1628 ist Ani>.i
Bcurin. 62 Jahr alt, wegen angegebener Hexerei in der Güte examinirt worden.
Sie will auf vielfältiges Zureden ganz nichts gestehen; könne und wisse nichts;
derentwegen mit ihr peinlich procedirt worden;
Daumenstock. — Gott soll ihr Zeuge sein, sie könne und wi»''
nichts.
Beinschrauben, — will ebenmässig nichts gestehen Samstags ctn
"21. Juli. Bock auf eine Stunde (d. h. Daumenstock und Beinschraubt n
zugleich) — will nichts fruchten, könne und wisse nichts. Erst im foli:i'ii-
den Jahre gestand sie nach wiederholten Torturen.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 760
Aus dem Jahre 1631 z. B. liegt folgende protokollarische
Darstellung der Folterung einer Frau vor*):
„i) Der Scharfrichter hat der Delinquentin die Hände
gebunden und sie auch auf die Leiter gezogen, hierauf an-
gefangen sie zu schrauben, und auf allen Punkten so ge-
schraubt, dass ihr das Herz im Leibe zerbrechen mögen,
und sei keine Barmherzigkeit dagewesen. 2) Und ob sie
gleich bei solcher Marter nichts bekannt, habe man doch
ohne rechtliches Erkenntniss die Tortur wiederholet, und
der Scharfrichter ihr, da sie schwangeren Leibes ge-
wesen, ihr die Hände gebunden, ihr die Haare abge-
schnitten und sie auf die Leiter gesetzt, Branntwein auf
den Kopf gegossen und die Kolbe vollends wollen ab-
brennen. 3) Ihr Schwefelfedem unter die Arme und an
den Hals gebrannt. 4) Sie hinten hinauf rückwärts mit
den Händen an die Decke gezogen. 5) Welches Hinauf-
und Niederziehen vier ganze Stunden gewährt, bis sie (der
Henker und dessen Knechte) zum Morgenbrote gegangen.
6) Als sie wieder gekommen, der Meister (Henker) sie
mit den Händen und Füssen auf den Rücken zusammen-
gebunden; 7) Ihr Branntwein auf den Rücken gegossen
und angezündet; 8) Damach aber viele Gewichte ihr auf
den Rücken gelegt und in die Höhe gezogen; g) Nach
diesem sie wieder auf die Leiter gelegt; 10) Ihr ein un-
gehobelt Brett mit Stacheln unter den Rücken gelegt und
mit den Händen bis an die Decke aufgezogen. 11) Femer
hat der Meister ihr die Füsse zusammengebunden, eine
Klafterstütze, 50 Pfund schwer, unten an die Füsse nieder-
wärts gehangen, dass sie nicht anders gemeint, sie würde
bleiben und das Herz ersticken. 12) Bei diesem ist es
nicht blieben, sondern der Meister ihr die Füsse wieder
aufgemacht und die Beine geschraubt, dass ihr das Blut
zu den Zehen herausgegangen. 1 3) Bei diesem ist es auch
nicht geblieben, sondern ist sie zum anderen Mal auf allen
Punkten geschraubt worden. 1 4) Der (Henker) von Dreissig-
*) Scģrr, Geschichte deutscher Kultur und Sitte (Berl. 1854) S. 418.
9oldan-Heppe, Hexenprosesse. 24
^yo Sechszehntes Kapitel.
acker hat die dritte Marter mit ihr angefangen, welcher
sie erstlich auf die Bank gesetzt. Als sie das Hemd an-
gezogen, hat er zu ihr gesagt: Ich nehme dich nicht an
auf ein oder zween, auf drei auch nicht auf acht Tage,
auf vier Wochen, auf ßin halb oder ganz Jahr, (sondern)
so lange du lebst. — Und wenn du meinst, dass du nicht
bekennen willst, dass du sollst zu Tode gemartert werden,
so sollst du doch verbraimt werden. 15) Hat sie sein
Eidam mit den Händen aufgezogen, dass sie nicht athmen
können; 16) Und der von Dreissigacker sie mit der
Karbatsche um die Lenden gehauen. 1 7) Damach sie
in den Schraubstock gesetzt, darinnen sie sechs Stunden
gesessen und 1 8) mit der Karbatsche jämmerlich zerhauen
worden. Bei diesem es den ersten Tag verblieben, iq) Den
andern Tag,, als sie wiedergekommen, ist die vierte Marter
mit ihr fiirgenommen worden und sie auf etlichen Punkten
geschraubt und sechs Stunden darin gesessen," etc.
Dieser Bericht lässt freilich erkennen, dass in der An-
wendung der Tortur Qual auf Qual mit Willkür gehäuft
wurde. Dass aber eine in bester Ordnung vollzogene
Folterung nicht minder grausig war, ist aus folgendem (von
Niehus, S. 40 — 45 mitgetheiltem) Torturprotokoll zu er-
sehen, welches den ganzen Verlauf der „scharfen Frage"
in haarsträubender Weise veranschaulicht. Dasselbe ist von
dem Untersuchungsrichter Dr. Gogravius bei der Folterung
der Enneke Fürsteners zu Consfeld am 31. Oktober 1724
aufgenommen.
Nachdem die Angeklagte vergebens zum gütlichen Be-
kenntniss aufgefordert war, liess Dr. Gogra\4us ihr, wie
es in den Akten heisst, den Befehl der Tortur publiziren.
und „führte ihr demnächst ernstlich zu Gemüthe, dass sie
den Umständen nach und nach der Lage der Dinge schuldig
sein müsse und sich keineswegs werde rein waschen "können.
Sie möchte darum lieber die Wahrheit gestehen, als dass
sie sich selbst, weil die peinliche Frage sie ja doch zum
Bekenntniss bringen werde, die Strafe verdoppele.
Wie nun Dr. Gogravius der Angeklagten die Thal
citra tarnen suggesti (!) also umständlich vorgehalten. lies>
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ayi
er zum ersten Grade der Tortur schreiten. Der Nach-
richter Matthias Schneider wurde herbeigerufen. Derselbe
zeigte ihr die Folterwerkzeuge und redete ihr scharf zu,
während der Richter ihr die einzelnen Anklagepunkte
vorlas. Sie verblieb beim Leugnen.
Darauf schritt der Richter zum zweiten Grad der
Folterung. Die Angeklagte wurde in die Folterkammer
gefuhrt, entblösst und angebunden und über die Anklage-
punkte befragt. Sie blieb beständig beim Leugnen. „Bei
der Anbindung hat Angeklagte beständig gerufen und um
Gotteswillen begehrt, man möge sie loslassen. Sie wolle
gern sterben und wolle gern Ja sagen, wenn die Herrn
es nur auf ihr Gewissen nehmen wollten. Und wie selbige
beständig beim Leugnen verblieben, ist zum dritten Grad
geschritten und sind der Angeklagten die Daumschrauben
angelegt worden. Weil sie unter der Tortur beständig
gerufen, so ist ihr das Kapistrum in den Mund gelegft und
ist mit Applizirung der Daumschrauben fortgefahren. Ob-
gleich Angeklagte fünfzig Minuten in diesem Grade ausge-
halten, ihr auch die Daumschrauben zu verschiedenen Malen
versetzt und wieder angeschroben sind, hat sie doch nicht
allein nicht bekannt, sondern auch während der peinlichen
Frage keine Zähre fallen lassen, sondern nur gerufen: „Ich
bin nicht schuldig! O Jesu, gehe mit mir in mein Leiden
und stehe mir bei!" Sodann: „Herr Richter, ich bitte Euch,
lasst mich nur unschuldig richten!" Ist also zum vierten
Grad geschritten vermittelst Anlegung der spanischen
Stiefeln. Als aber peinlich Befragte in diesem Grade
über dreissig Minuten hartnäckig dem Bekenntniss
widerstanden, ungeachtet die spanischen Stiefeln zu ver-
schiedenen Malen versetzt und aufs Schärfste wieder an-
geschroben werden, auch keine einzige Zähre hat fallen
lassen; so hat Dr. Gogravius besorgt, es möchte peinlich
Befragte sich vielleicht per maleficium unempfindlich gegen
die Schmerzen gemacht haben. Darum hat er dem Nach-
richter befohlen, dieselbe nochmals entblössen und unter-
'=iuchen zu lassen, ob vielleicht an verborgenen Stellen
ihres Korpers oder unter den Unterkleidern etwas Ver-
^•j2 Sechszehntes Kapitel.
dächtiges sich vorfinde. Worauf der Nachrichter berichtet,
dass er Alles auf das Genaueste habe untersuchen
lassen, aber nichts gefunden sei. Ist also demselben be-
fohlen, abermals die spanischen Stiefeln anzulegen. Die-
selbe aber hat die That beständig geleugnet und zu ver-
schiedenen Malen gerufen: „O Jesu, ich habe es nicht
gethan, ich habe es nicht gethan! Wann ich es gethan
hätte, wollte ich gern bekennen! Herr Richter, lasset mich
nur unschuldig richten! Ich bin unschuldig, unschiddig."
„Als demnach peinlich Befragte die ihr zum zweiten Mal
angelegten spanischen Stiefeln abermals über drei^sii,'
Minuten hartnäckig überstanden, so zwar, dass sie wahrend
der Folterung weder die Farbe im Gesicht veränderte noch
eine einzige Zähre hat fallen lassen, auch nicht vermerkt
werden konnte, dass sie an Kräften abgenommen oder die
Strafe sie geschwächt oder verändert hätte, so fürchtete
Dr. Gogravius, der vierte Grad möchte die Angeklafsrte
nicht zum Geständniss bringen und befahl zum fünften Grad
zu schreiten."
„Demgemäss wurde die Angeklagte vorwärts auf-
gezogen und mit zwei Ruthen bis zu dreissig Streichen
geschlagen. Als Angeklagte aber zuerst gebunden werd<*n
sollte, hat dieselbe begehrt, man möchte sie doch nicht
femer peinigen, mit dem Zusätze : „sie wollte lieber savren,
dass sie es gethan hätte und sterben unschuldig, wenn ^ie
nur keine Sünde daran thäte." Dieses wiederholte sie
mehrmals; in Betreff der ihr vorgehaltenen Artikel aber N*-
harrte sie beim Leugnen. Daher dem Xachrichter befohlen
worden, peinlich Befragte rückwärts aufzuziehen. Mit
der Aufziehung ist dergestalt verfahren, dass die Arme rück-
wärts gerade über dem Kopfe gestanden, beide Schulter-
knochen aus ihrer Verbindung gedreht und die Füsse ein»-
Spanne weit von der Erde entfernt gewesen sind.**
„Als die Angeklagte ungefähr sechs Minuten al-»«
aufgezogen gewesen, hat Dr. Gogravius befohlen, sie aber-
mals mit dreissig Streichen zu hauen, was denn auch
geschehen ist. Peinlich Befragte verharrte aber boin
Leugnen. Auch als Dr. Gogra\'ius zu zweien Maler
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^n^
jedesmal zu acht Schlägen die Corden anschlagen Hess,
hat sie nur gerufen: „Ich habe es nicht gethan! Ich habe
es nicht gethan!** Ferner auch, obwohl die Corden zum
dritten Mal mit ungefähr zehn Schlägen angeschlagen
und ihr ausserdem die bisherigen Folterwerkzeuge (die
Daumschrauben imd die spanischen Stiefeln) wieder an-
gelegt sind, dergestalt, dass dieselbe fast unerträglich
geschrieen, hat dieselbe doch über dreissig Minuten
diesen fünften Grad ebenso unbeweglich wie die vier vor-
hergegangenen überstanden, ohne zu bekennen.**
„Wie nun Dr. Gogravius dafür halten musste, dass
die erkannte Tortur gehörig ausgeführt, gleichwie dann
der Nachrichter mittheilte, dass nach seinem Dafürhalten
peinlich Befragte die Folterung nicht länger werde aus-
stehen können, so hat Dr. Gogravius dieselbe wieder ab-
nehmen und losbinden lassen und dem Scharfrichter be-
fohlen, der Gefolterten die Glieder wieder einzusetzen und
bie bis zu ihrer völligen Genesung zu verpflegen.** —
Nach einem Protokoll vom folgenden Tage ging der
Scharfrichter zu der Unglücklichen ins Gefängniss, um sie
zu verbinden und „redete ihr bei dieser Gelegenheit zu
und führte ihr zu Gemüthe, dass sie die gestern über-
standene Tortur nicht hätte überstehen können, es wäre
denn, dass sie einen Vertrag mit dem Teufel hätte.** Worauf
dieselbe geantwortet, dass sie mit dem Teufel nichts zu
schaffen habe, sondern sie habe nur die heilige Mutter
Gottes angerufen, dass diese sie auf der Folter stärken
möge, und mit deren Hülfe hätte sie die Schmerzen über-
standen. — Nichts desto weniger brachte der Scharfrichter
das bis dahin so starke Weib an diesem Tage „durch
gütiges Zureden** zum Geständniss.
Nicht selten geschah es, dass eine Gefolterte während
der Tortur den Geist aufgab. In diesem Falle war es
Herkommens, dass der Scharfrichter den Hals der Un-
glücklichen herumgedreht fand, was dann ein Beweis
dafür war, dass der Teufel selbst ihrer Noth ein Ende
gemacht hatte, um sie am Geständniss der Wahrheit
zu hindern. Stand es doch sogar in der Henkerpraxis
^jA Sechszehntes Kapitel.
jener Zeit fest, dass wenn ein wegen Zauberei Angeklagter
unter den Qualen der Tortur die Sprache verloren hatte,
dieselbe zu demselben Zwecke vom Teufel stumm gemacht
war! So heisst es z. B. in einem Protokolle eines zu
Wasungen im Hennebergischen geführten Hexenprozesses
vom 2 2, August 1668: „Als sie (die auf die Folter gelegte
Angeschuldigte) nun eine Weile so gesessen, ist sie be-
droht worden, wo sie gutwillig nicht bekannte, dass mit
der Tortur fortgefahren werden sollte, auch darauf ein
wenig in die Höhe gezogen. Aber als sie etwas, jedoch
imvemehmlich geredet, imd man vermeinet, sie würde
weiter Aussage thun, bald wieder heruntergelassen worden,
hat man vermerkt, dass es nicht richtig um sie sei. Daher
der Scharfrichter sie mit dameben stehendem Weine an-
gestrichen. Als aber befunden, dass das sonst starke Athetn-
holen nachliess, ist sie auf die Erde auf ein Bett gelegt
worden, da sie sich noch in Etwas geregt und bald gar
ausgeblieben und gestorben. Es ist aber derselben, als
der Scharfrichter sie erst besehen, der Hals oben ira
Gelenke ganz entzwei gewesen. Wie es damit
hergegangen, kann Niemand wissen. Die Tortur
hat von früh acht Uhr bis zehn Uhr und also zwei Stunden
gewährt u. s. w. — Vermuthlich hat der böse Feind
ihr den Hals entzweigebrochen, damit sie zu keinem
Bekenntniss kommen sollen." — Auf hierüber er-
statteten Bericht rescribirte der Graf: „Uns ist aus Euerem
Bericht vorgetragen worden, wieweit Ihr mit denen ver-
dächtiger Hexerei halber in Haft sitzenden Personen ver-
fahren und wie Ihr wegen Paul Mopens Weibes, welche
bei der Tortur verstorben, des Korpers wegen Verhal-
tungsbefehl erholen wollen. Dieweil nun Euerem Bericht
nach von dem Scharfrichter kein Excess in der Tortur
begangen und gleichwol wider diese Inquisitin unterschied-
liche Indicia, auch endlich ihr, wiewohl nur generaliter
und zwar bei der Tortur auf Befragung des ScharfrichttT>
gethanes Bekenntniss vorhanden, auch aus denen bei ihrem
Absterben sich ereignenden Umständen und vorherge-
gangenen Besichtigungen soWel abzunehmen, dass ihr
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^75
von dem bösen Feind der Hals zerknickt sein muss,
als habt ihr bei so gestalten Sachen den Körper alsbald hin-
ausschaffen und unter das Gericht einscharren zu lassen ^)."
Viele Unglückliche starben auch in Folge der erlittenen
Tortur im Gefangniss, ehe die Exekution vollzogen werden
konnte. Ein solcher Fall trug sich z* B. 1662 mit einem
fünfzigjährigen Manne aus Möhringen in Württemberg zu,
dem man unter Anderem das Geständniss abgemartert
hatte, dass er ein von ihm mit einem Mädchen im Ehe-
bruch erzeugtes Kind in Gesellschaft des Mädchens und der
Mutter desselben, verzehrt habe. Ueber sein am 3. April
1662 erfolgtes Ableben berichtete der Thurmmeister: „Vor
seinem Ende that er zwei unmenschliche Schreie wie ein
Ochs. Als man zulief, begehrte er, man solle ihn loslassen,
er müsse ersticken» Gott werde ein Zeichen an ihm thun.
Dann schlug er wild um sich, riss die Kleider imd das
Hemd vom Leibe. Bald darauf konnte er nicht mehr
reden, bekam ein scheussliches Gesicht, wickelte seinen
Mantel zusammen, legte den Kopf darauf imd war plötz-
lich todt." — Als man ihn untersuchte, fand man ,,sein
Genick ganz eingedrückt". Indem daher der Teufel ihm
den Hals umgedreht, so wurde die Leiche auf den Richt-
platz geschleift und daselbst verbrannt 2).
Selbstentleibungen der Unglücklichen im Hexenthurm
waren nichts Ungewöhnliches, werden aber ebenfalls in
den Relationen über die Prozesse oder in den Akten immer
so dargestellt, dass dabei irgendwie der Teufel die Hand
im Spiel hat*). Als man gegen das Ende des sechszehnten
>) äopp, in Rüttecks u. Welckers Staatslexikon, Bd. VII. S. 4.
*) Pfafft in der Zeitschr. für deutsche Kulturgesch. I856. S. 443—446.
■) Eine der seltsamsten Selbstentleibungsgeschichten theilt R, Reuss{S, 116)
aus der Chronik von Thann mit: Die Hexe Anna Murgin war 1641 zum Tode
vemrtbeilt« Um der Vollstreckung des Urtheils zuvorzukommen, bringt ihr
der Teufel ein Messer in den Kerker, mittelst dessen sie sich zweimal die
Kehle durchschneidet. Der Henker findet sie infolge dessen als Leiche vor,
und schafft den todten Körper aus dem Thurm auf den Scheiterhaufen. Schon
beginnen die Flammen an der Todten heraufzuzüngeln, als dieselbe laut ^Jesus,
Maria!* ausruft. Von dem Scheiterhaufen herabgenommen , beginnt sie zu
beichten, und eröffnet dem herbeigerufenen Geistlichen, dass sie wirklich todt
1-5 Scchsrclmtes KapiteL
Jahrhunderts zu Trier nach mehrjährig'em Hinschlachten zu
einiger Besmnung gekommen war, klagt ein kurfürstliches
Edikt: insontes cum reis permistos, temere mtdtos rogo
et flammis addictos, ipso non raro camifice causae arbitro
constitiito '). In einer späteren Periode kannte Spee immer
noch Scharfrichter, „die an etlichen Orten das Ruder fuhren
und ihres Gefallens vorschreiben, wie imd auf was Weise
man diese oder jene foltern müsse; — und dürfen sich
ihrer etliche wohl rühmlich vernehmen lassen, dass sie
noch keine unter Händen gehabt, welche nicht endlich
gewonnen gegeben imd geschwätzet habe, — und das
seyn dann die besten, dieselbigen werden hingefordert, wo
etvvan andre Gewissens halber haben aufhören müssen**-).
Was hätte einem Verfahren, wie wir es soeben skizzirt
haben, an der Vollendung zu absoluter Zweckmässigkeit
noch gefehlt? Sein Zweck war die Erzielung des Ge-
ständnisses; Geständniss wollte der von der Schuld im
Voraus überzeugte Richter, imd der Inquisit musste es zu-
letzt ebenfalls wollen. Bei Vielen erstaunen wir über die
moralische Kraft, mit welcher sie die lange Stufenfolge
inquisitorischer Grausamkeiten bis zum letzten schreck-
lichsten Ziele an sich erschöpfen liessen; bei den Meisten
jedoch bedurfte es des Ganzen bei weitem nicht. War diis
Eis einmal gebrochen, so ergoss sich auch der Trotzigste
in eine Fluth von Bekenntnissen; ihr Inhalt war theils die
gewesen sei, aber durch die Gnade der heil. Jungfrau, zu deren Ehre sie im
Gefängniss täglich einen Rosenkranz gebetet, es verlangt habe, dass sie in die
Welt nochmals zurückkehren durfte, um durch eine oflfene Beichte die ewi^e
Verdamniniss von sich abzuwehren. — Nachdem sie die Beichte abgelegt und
die Absolution empfangen, wurde sie dem geschehenen Wunder zu Ehren zur
Hinrichtung durch das Schwert begnadigt.
Dass der Scharfrichter bei dem ganzen scheussüchen Prozessverfahren ein
Mann von grosser Bedeutung und von dem entschiedensten Einflüsse war.
geht aus dem Bisherigen zur Genüge hervor. Von seinem guten oder schlim-
men Willen hing so Vieles ab ! Zumeist aber erachtete es der Scharfrichter
für eine Schande, wenn er mit einem alten Weibe nicht zum Ziele kommen,
nicht mit ihm »fertig werden" könnte. Daher erklärt sich die bestiale Roh-
heit, mit der diese Unmenschen gegen die Unglücklichen verfuhren.
^) IVyttenbach, Animadvers. ad Gesta Trevirorum, III. cap. 101.
*) Caut. crim. Quaest. XX, §. 10.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. xil
eigne Schuld, theils die Angabe von Mitschuldigen. Alle
Gräuel des Hexenthums wurden jetzt auf Befragen klein-
laut zu Protokoll gegeben, die bisherige Verstocktheit auf
die unmittelbare Einwirkung des Teufels geschoben ^) ; mit
den Pimkten, worauf es in diesen Prozessen ankam , war
ja das Volk zuletzt fast genauer bekannt, als mit seinem
Katechismus ^). Nun kam es nur noch darauf an, den Ge-
ständigen bei seinen gethanen Aussagen zu erhalten. Sehr
gewöhnlich freilich war es, dass, wenn die Schmerzen der
Tortur vorüber waren, im nächsten Verhöre widerrufen
wuxde, was das vorhergehende erwirkt hatte; derinquisit
begab sich aber damit in einen eben so unnützen, als ge-
fahrlichen Kreislauf. Neue Tortur imd der Verlust jedes
Anspruches auf diejenige mildere Todesart, mit welcher
man den Bussfertigen begnadigte, war dann das Unaus-
bleibliche, was ihm der Richter in Aussicht stellte^).
In dieser Lage war Geständniss und Beharren bei
demselben das einzige Heil ; es kürzte und milderte wenig-
stens die Qualen. Das begriifen Viele. Mit Schaudern
sehen wir Verhaftete, wenn sie nicht die Selbstentleibung,
was oft geschah*), vorzogen, nicht nur unter Betheurungen
') Ward P, Beklagtin befragt; Wer sie zum Läugnen beredet: Antwort:
Das habe der böss Feindt gethan, sie solle leugnen, so wolle er ihr davon
helffen." Buseckische Akten von 1656. — So sehr häufig. Oft wird sogar
angegeben, dass der Teufel, von den gegenwärtigen Richtern unerkannt, in
Gestalt einer Mücke oder eines Vogels diese Ueberredung ausgeübt, oder dass
er mit Halsbrechen gedroht habe.
') Qui est Thomme ou la femme, pour rustiques et cauipagnards qu'ils
puissent estre, qui ne S9ache desormais jusqu'aux circonstances les plus me-
DU$s de ce qu'on dit estre en ces Sabats? II ne faut qu'avoir est^ assis une
demi-heure sous l'orme ou sous la tille devant l'eglise de son village en con-
versatioD avec ses commöres, au four. au moulin, aux veill^es d'hyver, pour
sqavoir des ces particularitez autant k peu pr^s, que Kemi, Bodin, del Rio,
et le Maillet des sorciers nous en ont appris. — Nicolas ^ Dissertation, si la
torture est un moyen seur h verifier les crimes secrets. Amsterdam, 1682,
pag. 105.
•) Fickard Consil. Vol. III. p. 94. — Beispiele finden sich in zahllosen
Prozessen.
*) In Lothringen entleibten sich binnen Ewei Jahren fünfzehn Inquisiten.
Remig» Daemonolalr. 416.
7y3 Sechszehntes Kapitel.
der aufrichtigsten Zerknirschung den Richter um einen
baldigen Tod anflehen^), sondern auch mit der frechsten
Stime ihren angeblichen Complicen das Absurdeste und
Unmöglichste ins Gesicht sagen *). Ja es verdient bemerkt
zu werden, dass man an manchen Orten die Hexen, trotz
der allgemeinen Vorstellung von ihrer vollendeten Ver-
worfenheit, ihre Complicen- Angaben eidlich zu bekräftigen
anging, und dass solche Eide wirklich geschworen worden
sind ^).
Nur aus den Akten der Prozesse selbst vermag man
zu erkennen, bis zu welcher Verzweiflimg die Unglück-
lichen durch die Folterqual getrieben wurden, und wie sich
diese Qual in ihnen aussprach.
Da lesen wir z. B. aus Hexenprozessakten von 1658,
*) Remig, Daemonol. 4 10 ff. Eine eingekerkerte und geständige Eni:-
länderin bat um baldige Hinrichtung und bestand trotz der Bemühungen des
Geistlichen, der diessmal ein verständiger war, auf ihren Bekenntnissen. Auf
dem Kichtplatse redete sie mit lauter Stimme zum Volk: «Wi&st, ihr Alk.
die ihr mich heute sehet, dass ich als Hexe auf mein eigenes Bekenotni^s
sterbe und dass ich alle Welt, vor Allen aber die Obrigkeit und die Geii>t-
lichen von der Schuld an meinem Tode freispreche. Ich nehme sie glozlich
auf mich, mein Blut komme Ober mich! Und da ich dem Gott des Himtnrls
bald werde Rechenschaft ablegen müssen, so erkläre ich mich so frei von
Hexerei wie ein neugeborenes Kind. Da ich aber von einem boshaften Weibe
angeklagt, unter dem Namen einer Hexe ins Gef^ngniss geworfen, von meincni
Manne und meinen Freunden verleugnet ward und keine Hoffnung zur Bo
freiung aus meiner Haft und zu ehrenvollem Fortleben in der Welt mehr
hatte, so leistete ich durch Verlockung des Bösen ein Geständniss, das mir
vom Leben hilft, dessen ich Überdrüssig bin.' IV, Sccti, Br. über Dänen.
Th. II. S. 145.
') S. z. B. meinen Beitrag zur Gesch. des Hexenpr. in v. Jagcmaons u.
Nöllners Zeitschr. f. d. Strafrech U verfahren III. Bd. 3. Heft.
•) .Disse neun weybss Persohnen seindt beständiglich darauf? verharrdt.
soUches mit dem Leiblichen Aydt betheyrt, auch dass heilig Sacramendt em-
pfangen, und letzlich den Thot darüber gelütten, dass sie Nieroandt wtder aus
Neüdt, noch Hass angeben, sondern getrawen es vor dem Kichtcrituel Christ,
zu verantwortten , Inmassen man ihnen ein solches ausfierlich zu erkennen
gibt." Sie hatten verschiedene Personen gleichmässig als Complicen bei allen
Hexengräueln angegeben. (Offen burger Ralhsprotokoll von 1608. Oritstnal-
akten des R. K. G.) Aehnliche eidliche Angaben der Complicen durch
Verhaftete in Coesfeld s. Xicsert S. 33.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. xjQ
welche der Land- und Stadtrichter Rautert 1827 zu
Essen („bloss für die Subscribenten") veröffentlicht hat,
wie eki als angebliche Hexe gefoltertes Weib am 23. Juni
1658 flehentlich bittet, „man möchte sie mit weiteren Tor-
menten verschonen, — denn sie wüsste nichts mehr, —
sie sollten ihr nur abhelfen", wie sie aber, weil sie
ihre CompUces nicht vollständig angegeben zu haben schien,
am 3. Juli nochmals gefoltert imd zur Nennung von Namen
gebracht, worauf sie bittet, man möchte ihr das „vorige
Gebet wieder vorlesen, wie denn geschehen, da sie aber-
mals mitgebetet und dem Teufel abgesagt, bittend man
sollte sie nun nicht lange mehr aufhalten und ihr
bald davon helfen und ein Vater-Unser für sie
beten", welche Bitte sie dann nach geschehener Confron-
tation mit einer von ihr angegebenen Person nochmals
wiederholt; wie sie dann am 4. Juli, als ihr fiir den fol-
genden Tag die Hinrichtung mit dem Schwert angekündigt
wird, „mit gefaltenen Händen" nochmals bittet, „sie wäre
eine Sünderin, man sollte nur morgen mit ihr fortfahren
und helfen, dass ihre Seele zu Gott — kommen möchte,
auch allesammt ein Vater-Unser für sie beten." Da sehen
wir also ein frommes, gottergebenes Weib, das nach allen
Qualen des Leibes und der Seele, die ihm angethan waren,
die Qual imd Schmach der öffentlichen Hinrichtimg (die
am 5. Juli erfolgte) gegenüber dem, was sie unter den
Händen ihrer Peiniger erlitt, als Erlösimg ansah. Und
diese fromme gottergebene Frau war durch die Tortur
dahin gebracht worden, dass sie Andere, die ebenso im-
schuldig waren als sie selbst, als Mitschuldige bezeichnete
xmd diese Angabe mit Anrufung des göttlichen Namens
im Angesichte des Todes betheuerte. Daher klingt es wie
ein Hohn der Hölle, wenn wir lesen, dass der Unglück-
lichen noch immittelbar vor der Hinrichtung vom Gericht
„ihrer vorigen Confession halber zu Gemüthe geführt ward,
dass wenn sie den Einen oder Anderen aus Hass oder
Neid denunzirt hätte, sie solches anjetzo andeuten und
ihrer Seele nicht zu kurz thun sollte."
In unzähligen Fällen ist es aus den Prozessakten zu
rSo Sechszehntes Ka^Mtel.
ersehen, dass die Wochen, Monate und Jahre lang* im
scheussHchsten Kerker, auf der Folter und unter der rohesten
Behandlung des Gerichts und des Henkers erlittene Qual
die Unglücklichen schliesslich zu einer Verwirrung der
Gedanken und zu einem Wahnsinn trieb, in welchem sie
selbst schliesslich an die Wahrheit der ihnen auf der Folter
erpressten Aussagen glaubten und die von ihnen Denun-
zirten bei der Confrontation in wildester Erregung ins Ge-
sicht hinein der Lüge ziehen, wenn diese von den ihnen
zur Last gelegten Malefizien nichts wissen wollten*)! —
c) Die Geständnisse der Hexen, deren sogen.
Freiwilligkeit und Uebereinstimmung-,
Nichts hat in unserer Zeit das Urtheil über das Hexen-
wesen mehr geneckt und in die Irre gefuhrt, als die Ent-
deckung der beiden Umstände, dass die Hexenakten uns
nicht nur so viele freiwillige, sondern auch so viele bis
in die kleinsten Punkte auffallend \mter einander über-
einstimmende Bekenntnisse geben. Aus jenem hat
man schliessen wollen, die Hexen selbst seien von ihrer
Schuld überzeugt gewesen, es habe eine Art epidemischer
Verrücktheit unter den Weibern geherrscht ; dieses hat
sogar zu der Vermuthung gefuhrt, die Hexenversamm-
lungen seien etwas objektiv Wirkliches, ein fortlebender
Rest von heidnisch-germanischem Cultus. Die Sache wird
sich sehr einfach losen, wenn wir Folgendes beachten
wollen.
Freiwillig oder gütlich war nach dem gericht-
lichen Sprachgebrauch jedes Bekenntniss, das nicht durch
die wirkliche Anwendung der eigentlichen Folter ermittelt
wurde. Diess bedarf keines weiteren Belegs. Wer also
gestand, weil er der angedrohten Folter überhoben sein
wollte, weil er durch massloses Kerkerelend mürbe, durch
Kreuzfragen gedrängt, durch zweideutige Zusagen bethort*
*) ..Auf Jemanden sterben wollen'* war die gewöhnliche Redensart, welche
die Hexen im letzten Stadium ihrer Pein gebrauchten, um ihre Angaben der
Complices z\x verifiriren.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe, ^gj
durch beichtväterlichen und andern psychologischen Zwang
bestürmt war, der lieferte ein freiwilliges oder gütliches
Bekenntniss. Wer in richtiger Würdigung seiner Lage,
aus welcher kein Weg in ein unangefochtenes Leben und
die Achtung der Mitbürger zurückführte, die Begnadigung
mit dem Schwerte oder dem Strange anstatt des Lebendig-
verbrennens sich verdienen wollte, der kam dem Richter
auf halbem Wege entgegen, und sein Bekenntniss war
dann mehr als gutwillig, es war sogar reumüthig. Wie
aber diese Freiwilligkeit sich nicht nur mit der sogenann-
ten Realterrition , sondern sogar mit der wirklichen An-
wendung der Folter selbst vertrug, dafür wollen wir Akten
und Zeitgenossen reden lassen.
„Wahr, — sagt ein offenburgisches Aktenstück von
1609 — ^), dass als Montag hernach den 20. Octobris die
Herren Examinatorn auss Bevelch eines Ersamen Rhats
wiederumb zu ihr kommen , sie ihrer ersten Aussagen
güettlich erinnert und begehrt, solle ihrem Herzen ferneres
räumen, Sie nicht allein Weitters nicht aussagen wollen:
Sondern dassjenig, was sie erstlich bekannt, wieder ver-
neint: derowegen man sie wieder dem Meister (Scharf-
richter) befohlen, und alss er sie gebunden, hatt sie wie-
derumb Fürbitt zue Gott dem Herrn angesprochen, so ihr
abermahlen widerfahren. Ist demnach ohnaufgezogen auf
ihr Begehren ledig gelassen und in das Stüblin geführt
worden , allda sie alles wie obgemelt in Guette be-
kennt."
In demselben Prozesse gelangte ein Jahr später eine
Supplik von Seiten der Verwandtschaft jener Angeklagten
an das Reichskammergericht, aus welcher wir folgende
Stelle entnehmen: „Und gehet der Rhat zue Offenburg
darmit umb, dass der Verhaiftin sine indiciis expressae
confessiones, so aber allbereit hier per sententiam zu nichten
gemacht, auch da sie schon millies ratificirt weren (da sie
doch expressae worden) ne * minimum quidem effectum
operiren möchten, vor newe Indicien sollen gehalten und
*) Im R. K. G. Archive befindlich, Ruhr. Hoffmännin gegen Stadt Offenburg.
^§2 Scchszrfiatcs Kapitel.
daranfF sie iterato soll torquirt werden, ja dass noch mehr,
wollen solche confessiones /r<t> spontaneis und güettlich
angeg'eben werden, wie suh lit. C. no. 25 zu vememmen,
da doch stracks zuvor no. 21. ausstrüecldich stehet, dass
der Meister sie, Verhafftin, auffgezogen (oder iDrcjuirt),
welches aber so schlecht nicht geschehen, wie daselbsten
gesetzet : sondern ist ihr der Arm ex illa tortura verrückt
und heftig beschedigt worden; daraus ja zu sehen, dass
solche confessiones nicht spontaneae, sondern (et quidem
sine indiciis) dolore extortae sein.**
War eine „Hexe** vor Gericht geschleppt, so wusste
sie bereits, dass ihr einziger Trost — der Tod war, der
sie vor der Qual der Folter und imzähligen anderen teuf-
lischen Peinigungen bewahren konnte. Diesen Trost aber
konnte sie sich nur durch ein solches „Gestandniss** sichern,
wie es die Hexenrichter haben wollten. Daher erzählt
der Jesuit Friedrich v. Spee, wie die Angeklagten immer
darauf bedacht waren, unwahre aber wahrscheinlich
aussehende Geständnisse vorzubringen, um der Folter zu
entgehen und nicht durch Unwahrscheinlichkeiten in deren
Fänge zu gerathen, wie so Viele ihn befragten, in welcher
Weise sie wohl auf der Folter gegen sich und gegen
Andere lügen dürften; wie er die Einfalt derer beklagt,
welche, nachdem sie sich auf der Folter als schuldig be-
kannt hatten, dieses Bekenntniss hernach widerriefen —
weil sie dasselbe nicht als ein freies Bekenntniss gelten
lassen — und dafür aufs Neue auf der Folter gemartert
wurden. „Wehe der Armen,** ruft er aus, „welche einmal
ihren Fuss^ in die Folterkammer gesetzt hat! Sie wird ihn
nicht wieder herausziehen, bevor sie alles nur Denkbare ge-
standen hat. Häufig dachte ich bei mir: dass wir Alle nicht
auch Zauberer sind, davon sei die Ursache allein die, dass
(Ho Folter nicht auch an uns kam, und es ist sehr wahr, was
neulich der Inquisitor eines grossen Fürsten zu prahlen
watete, dass, wenn unter sfeine Hände und Torturen der
Papst fallen sollte, ganz gewiss auch er sich als Zauberer
bok(»nnen würde. Das Gleiche würde Binsfeld thun, das
(fleicho ich, das Gleiche alle Anderen, \nelleicht wenige
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ag'i
überstarke Naturen ausgenommen." — Ebenso wird in
einem Bamberger Rescript aus dem siebzehnten Jahrhundert
an die Centrichter über die „Mängelspunkte der zur Zeit
wider die Hexenpersonen angestellten Prozesse" . (v. Bam-
berg, Anh. S. 13) unter Anderem gesagt: „Wir haben
schon öfter von den Gefangenen, ehe sie noch bekannt,
gehört, wie sie wohl einsähen, dass keiner, welcher Hexerei
halber eingefangen sei, mehr herauskomme, und ehe sie
solche Pein und Marter ausstünden, wollten sie lieber zu
Allem, was ihnen vorgehalten würde, Ja sagen, wenn sie
es auch entfernt nie gethan, noch jemals daran gedacht
hätten i)."
Durch Suggestivfragen torquirte man aus den unglück-
lichen Schlachtopfem alle Geständnisse heraus, die man
überhaupt haben wollte. Wurden die Qualen der Folter
unerträglich, so gestanden sieben- und achtjährige Kinder,
ehrbare Frauen und achtzigjährige Matronen, dass sie erst
noch in letzter Zeit mit dem Teufel gebuhlt, und acht-,
zehn- und zwölfjährige Mädchen gestanden, dass sie in
Folge solchen teuflischen Beischlafs mehrmals geboren
hätten «) !"
Es ist also wahr, was der Verfasser der Cautio crimi-
nalis schreibt: „Ich habe es mehr dann einmal mit meinen
Ohren gehört, nicht allein von Richtern und Commissarien,
sondern auch von Geistlichen, dass sie gesprochen, diese
und jene haben gutwillig und ungpepeiniget bekennet und
derowegen müssen sie nothwendig schuldig seyn. Ist's
aber nicht zu verwundern, dass man sich der Sprache
so weit missbraucht? Denn als ich darauf gefraget,
wie es denn mit solcher gütlicher Bekenntniss hergegangen,
haben sie gestanden, dass selbige Personen zwar gefoltert,
aber allein mit den ausgehöhlten oder gezähnten Bein-
schrauben vor den Schienen (da denn die Empfindlichkeit
und Schmerzen am grössten ist, indem man dem armen
*) Dasselbe sagt auch der Jurist Godelmann in einem Gutachten vom
Jahr *l 587. VrI. v. Wächter, S. 321.
•) V, Wächter, S. 313.
X^A Sechszehntes Kapitel.
Menschen das Fleisch und die Schienbeine gleich einem
Kuchen oder Fladen zusammenschraubt, also dass das
Blut herausfliesst und Viele dafür halten, dass solche Folter
auch der stärkste Mensch nicht ausstehen mochte) seyen
angegriffen oder tentiret worden. Und dennoch muss ihnen
das heissen gutwillig und ohne Folter bekennen; also
bringen sie es bei dem gemeinen Mann an, das schreiben
sie an ihre Fürsten und Herren u. s. w.**
Wer diesen richterlichen Sprachgebrauch mit den
faktischen Verhältnissen vergleicht, muss wohl an der
vollen Freiwilligkeit der Geständnisse, dem Glauben der
Hexen an ihre eigene Schuld und dem beliebten epidemischen
Hexenwahnsinne etwas irre werden. Geben wir indessen
billiger massen zu, dass in einzelnen Fällen die Verrückt-
heit eines Weibes sich eben so gut im Hexensabbath fest-
fahren konnte, als es unbezweifelt ist, dass manche Wahn-
sinnige sich für Verstorbene oder für Gott den Vater ge-
halten haben. Wer Hexenprozessakten gelesen hat, wird
geneigt sein, die Zahl solcher möglichen Wahnsinnsfalle
sehr, sehr niedrig anzuschlagen. — Dieselben können far
die Beurtheilung des Hexenwahns und des Hexenwesens
gar nicht in Betracht kommen.
Was nun die ins Einzelne gehende Uebereinstim-
mung der Bekenntnisse anbelanget ^), auf welche namentlich
Carpzov (Quaest. XLIX., Nr. 67) und der dort angeführte
Moller ganz besonderes Gewicht legen, so hat dieselbe
durchaus nichts Räthselhaftes. Waren die Angeklagten
auf die Folter gespannt, so wussten sie, dass es für sie
nur ein Mittel gab, um von der unnennbaren Folterqual
befreit zu werden, nämlich das Eingestandniss, dass sie
Hexen seien. Sehr richtig ist daher, was zur Erläuterung
dieses Punktes v. Wächter S. 325 hervorhebt: Sie mussten
eben gestehen und gestanden (nach den näheren Umstanden
befragt), was man in jenen Zeiten gewöhnlich von den
Hexen erzählte, was die Kirche dem Volke genugsam al>
^) Es ist jedoch zu bemerken, dass Prozessakten oft sehr aufiaücDle
Widersprüche in den Aussagen enthalten, ohne dass die Gerichte merkücbm
Anstoss daran nahmen. Verständige Defensoren haben dieses Afters fserüet.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^gc
Warnung vorhielt und was noch in einer Anzahl populärer
Traktatchen über das Treiben der Hexen und über die
Geschichte und die Bekenntnisse hingerichteter Hexen unter
das Volk gebracht wurde. So erklärt sich die Ueber-
einstimmung der Bekenntnisse, sofern sie sich auf die
Sabbathsmysterien überhaupt bezieht, vollkommen. Hier
hatte der Inquisit lediglich die stereotypen, sehr bald all-
gemein verbreiteten Gräuelgeschichten mit der nöthigen
Anwendung auf seine Person wiederzuerzählen. Aber
auch in vielen Besonderheiten konnten sie leicht überein-
stimmen, selbst in der so gefährlichen, die in Hexen-
prozessen so häufig vorkam, — in der Angabe der Per-
sonen, die bei Hexenversammlungen gewesen sein sollen.
Hatten sie die Hexerei eingestanden, so verlangte man
natürlich von ihnen auch zu wissen, mit wem sie auf den
Hexentänzen gewesen seien. Die häufige Angabe, dass
sie die Leute nicht gekannt hätten, oder die Nennung be-
reits Verstorbener oder Hingerichteter genügte natürlich
nicht. Man folterte, bis sie Lebende nannten; und hier
nannten sie meistens eben solche, die (wozu man in jenen
Zeiten so gar leicht kommen konnte,) im Gerüche der
Hexerei standen, oder von denen sie wussten, dass sie be-
reits in Untersuchung oder von Anderen genannt seien.
So erklärt sich ein Zusammentreffen der Aussagen ver-
schiedener Angeschuldigten leicht; und nannten sie auch
eine Reihe von Personen auf Geradewohl , so konnte leicht
eine solche Person unter denen sein, die auch eine andere
Gefolterte aufs Geradewohl genannt hatte. -Was dann
durch solche natürliche Verhältnisse nicht vermittelt wurde,
das ergänzten Suggestionen aller Art, des Gefangen-
wärters, des Beichtvaters, des Richters.
Ueberhaupt hatte jedes Gericht so ziemlich seine fest-
stehenden Fragen, die es den Hexen vorlegte, wodurch
sich die Uebereinstimmung der Geständnisse ganz beson-
ders erklärt *). Man fragte gewöhnlich, wo und von wem
^) In den Akten des hessischen Staatsarchivs liegt in der Regel bei jedem
Hezenprozess ein Fragebogen, Generalia und Specialia betreffend, wobei die
erstereo einander durchweg sehr ähnlich sind.
8 oldan- He ppe, Hexenprosesse. 25
3 86 Sechszehntes Kapitel.
die Beklagten die Zauberei erlernt, wie lange sie dieselbe
getrieben, und wen sie selbst darin unterrichtet hätten,
wann sie sich dem Teufel verschrieben und ob sie dabei der
Dreifaltigkeit und dem christlichen Glauben entsagt hätten
und vom Teufel getauft worden wären. Femer fragte
man, wo, wann imd wie sie zu den Hexenversammlungen
gefahren, was und wen sie da gesehen, mit wem und wie
oft sie da gebuhlt hätten, von wem sie ihre Salben und
Kräuter empfangen, wann sie Hagel, Nebel und sonstiges
Unwetter gemacht , wem sie damit hätten schaden wollen,
welche Genossen sie bei ihren Verbrechen gehabt etc.
Manche Particularrechte schrieben die an die Hexen zu
richtenden Fragen mit der grossten Umständlichkeit vor.
Liest man eine solche Fragerliste und erwägt man dabei,
dass die Fragen einer gefolterten Person vorgelegt wurden
und dass die Gefolterte unter der grausigen Qual, die sie
empfand, nur daran denken konnte, eine dem Richter ge-
nügende und nicht zu neuer Qual führende Antwort zu
geben, so begreift man, dass die Antworten gerade in der
Uebereinstimmung gegeben wurden, in welchen sie eben
gegeben sind. Man vergleiche nur (um sich von dem Ge-
sagten zu überzeugen) das Interrogatorium, welches das
Landrecht von Baden-Baden vom Jahr 1588 vorschrieb.
Nach demselben soll der Richter an die Unglücklichen
unter Anderem folgende Fragen richten:
„Ob sie von Hexenkunst gehört, von wem und wa*^
für Hexenwerk; — Item (weil man bishero Hexen ver-
brannt), ob sie nicht auch von ihren Kunststücklein ge-
hört; denn die Weiber ohne Zweifel aus Fürwitz danach
fragen und dessen ein Wissens begeren. Und so sich
dessen entschuldigt wird, ist es ein Anzeigen, da^s
Solches nicht gar ohne werde sein, und woher ihr
das komme, durch wen sie es erfahren, wer dieselbigen
Personen und wess Namens sie seien; item, was es für
Hexenwerk und was für Stücke sie zum Wettcrmachon
und zur Schädigung des Viehes haben müssen. — Und s«^
sie solches bestehet, muss und soll man ferner nachfragen:
„Ob sie auch etliche Stücklein, sie seien so gering
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^gy
sie wollen, gelernt, als : den Kühen die Milch zu nehmen,
oder Raupen zu machen, auch Nebel und dergleichen.
Item, von wem und mit was für Gelegenheit solches be-
schehen und gelernt, wann und wie lange, durch was fiir
Mittel, ob sie kein Bündnis mit dem bösen Feind (einge-
gangen), ob es allein ein schlecht Zusagen oder ein Schwur
xmd ein Eid ? wie derselbe laute ? Ob sie Gott verleugnet,
und mit was für Worten? in wessen Beisein, mit was für
Ceremonien, an was für Orten, zu was für Zeiten und mit
oder ohne Charakter? Ob er keine Verschreibung von ihr
habe, ob dieselbe mit Blut, und was für Blut oder mit
Tinte geschrieben ? Wann er ihr erschienen ? Ob er auch
Heirath oder allein Buhlschaft von ihr begehrt? Wie er
sich genannt, was er fiir Kleider (getragen), wie auch seine
Füsse ausgesehen? Ob sie nichts Teuflisches an ihm ge-
sehen und wisse ? Auch sollte der Richter (natürlich
deutsch) fragen : an Diabolus post initum pactum cum rea
concubuerit ? quonam modo Diabolus reae potuerit eripere
virginitatem ? Quäle fuerit membrum virile Diaboli, quäle
eius semen? (auf welche Frage die Angeschuldigten mit
„kalt" antworten sollten,) An concubitus cum Diabolo me-
liore et maiore ream aflfecerit voluptate quam concubitus
cum viro naturali ? An et rea semen emiserit ? An Diabolus
cum rea noctu pluries rem habuerit et semper cum semi-
nis effluxione? Utrum rem cum rea peregerit in ipso
membro muliebri an et in aliis corporis locis? An et ab
aliis viris naturali ratione gravida facta ? Quid cum partu
fecerit ? An vivus fuerit partus ? Quomodo partum ene-
caverit ?
Dann folgen die Fragen: „Wer sie es gelernt, wer
ihr dazu geholfen, was sie sonsten für böse Stücke als mit
Stehlen, Brennen, Kinder-verthuen, Morden u. dgl. in der
Welt begangen ? An contra naturam peccaverit? Quomodo
cum viris, cum mulieribus, secum ipsa, cum bestiis? Mit
Holz, Wachs, Gewächs, Kräutern ? — Ob sie auch Leuten
in Kraft ihres Schwurs und wem geschadet mit Gift, An-
rühren, Beschwören, Salben? Wie viele Männer sie gar
g*etödtet, Weiber, Kinder? Wie viele sie nur verletzt?
383 Scchsiefciiies KapiteL
ö
Wie \'iele schwangere Weiber? Wie viel \^eh? Wieviel
Hag^el und was dieselbe gewirkt? Wie sie die eigentlich
gemacht und was sie dazu gebraucht ? Ob sie auch fahren
könne und worauf sie gefahren? Wie sie das zuwege
bringe, wie oft diess geschehe, wohin zu allen Zeiten und
Fristen? Wer in diesem Allen ihre Gesellen, so noch
leben? Ob sie auch, und durch was für ÄEttel, verwan-
deln könne? Wie lang es, dass sie ihre Hochzeit mit
ihrem Buhlen gehalten, wie solches geschehen und wer
als dabei gewesen, und was für Speisen, sonderlich von
Fleisch (gegessen worden^, wo solches herkomme, wer das
mitgebracht? — Item, ob sie auch Wein bei ihrer Hoch-
zeit und woher sie den gehabt ? Ob sie auch damals einen
Spielmann (gehabt), ob es ein Mensch oder ein böser Greist
gewesen, welches Ansehen er gehabt, und ob er auf dem
Boden oder dem Baum gesessen oder gestanden? Item,
was bei vorgemeldter Beisammenkunft ihr Anschlag ge-
wesen, und wo sie künftig Avieder beieinander erscheinen
wollen ? Wo sie bei nächtlicher Weile Zehrung gehalten,
auf dem Felde, in Wäldern oder Kellern, auch wer jeder
Zeit bei und mit gewesen? Wie viele junge Kinder sie
geholfen essen, wo solche hergekommen und zuwege ge-
bracht, wem sie solche genommen oder auf den Kirch-
höfen ausgegraben, wie sie solche zugerichtet, gebraten
oder gesotten, item, wozu das Häuptlein, die Füsse und
die Händlein gebraucht, ob sie auch Schmalz von solchen
Kindern bekommen, und wozu sie das brauchen, auch ob
sie zur Machung der Wetter nicht Kinderschmalz haben
müssen ? Wie viele Kindbetterinnen sie umbringen helfen,
wie solches zugegangen und wer mehr dabei gewesen?
Oder ob sie Kindbetterinnen auf den Kirchhöfen geholfen
ausgraben und wozu sie es gebraucht, item wer dabei und
mitgewesen, wie lange sie daran gesotten, oder ob sie un-
zeitige Kindlein ausgegraben und was sie damit angerichtet r
Bezüglich der Hexensalbe sollte der Richter weiter
fragen: „Wie solche zugerichtet und was für Farbe su*
habe , item ob sie auch eine zu machen sich getraue ? Da
sie so Menschenschmalz haben müssen und consequenter
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe, -389
SO viele Morde begangen und weil sie (die Hexen) ge-
meinlich das Schmalz aussieden oder im Braten schmelzen :
was sie mit dem gekochten und gebratenen Menschen-
fleisch gethan ? Item : brauchen allezeit zu solchen Salben
Menschenschmalz, es sei gleich von todten oder lebendigen
Menschen, dessgleichen desselben Bluts, Farrensamen etc.,
des Schmalzes aber ist allezeit dabei. Die anderen Stücke
werden oft ausgelassen; doch von todten Menschen taugt
es zur Tödtung von Menschen und Vieh, aber von lebendi-
gen zum Fahren, Wettermachen, unsichtbare Gestalten an
sich zu nehmen. — Ferner: „Wie viele Wetter, Reife,
Nebel sie geholfen machen und wie lange solches ge-
schehen, auch was Jedes ausgerichtet, und wie solches
zugehe und wer dabei und mitgewesen? Ob ihr Buhle
auch im Examen oder im Gefängnis zu ihr gekommen?
Ob sie auch die consecrirte Hostiam bekommen, und von
wem, auch was sie damit ausgerichtet? Und ob sie auch
zum Nachtmahl gegangen und dasselbe recht genossen ? —
Wie sie Wechselkinder bekommen und wer's ihnen gibt?
Item: den Kühen die Milch entziehen und zu Blut machen,
auch wie solchen wieder zu helfen? Ob sie nicht Wein
oder Milch aus einem Weidenbaum lassen könne? —
Item : wie sie den Männern die Mannschaft nehmen, wo-
durch und wie ihnen wieder zu helfen? u. s. w."
Derartige Fragenlisten, welche den ganzen Inhalt des
Hexenglaubens mit allen seinen Scheusslichkeiten und
Albernheiten vollständig vor Augen fuhren, liessen sich
noch viele mittheilen ').
*) Oberlicutenant Schuegraf hat z. B. zu Kelheim in Baiern eine solche
Instruktion för Hexenverhöre unter dem Titel „Absoluta generalia circa con-
fessionero veneficarum. Fragstuckh auf alle Articul, in welchen die Hexen
vnd Toholden auf das allerbequemest mögen examiniret werden** vorgefunden
und in der „Zeitschr. für deutsche Kulturgesch. 1858, S. 521 ff." abgedruckt.
wo sie sechs enggedruckte Oktavseiten füllt. — Die Instruktion beginnt mit
einleitenden Fragen unter dem Titel: Absoluta generalia circa confessionem.
Die seclis ersten Fragen lauten : l") Warum sie verneine, dass sie hierher ge-
führt worden ? 2) Wie lange es dann her sei . dass sie in dieses hochver-
dammte Laster der Zauberei gerathen ? 3) Was sie dazu bewegt habe ? 4) In
was Gestalt anfangs der leidige Teufel zu ihr gekommen war, item zu Morgen,
390 Sechszchntes Kapitel«
Die Angeschuldigten gestanden oft auf der Folter
Dinge, die sich im Prozess selbst als Unwahrheiten und
Unsinnigkeiten erwiesen, und die dennoch von den Ge-
richten als baare Münze zur Begründung des Todesurtheils
hingenommen wurden. So sagte in einer Fuldischen Pro-
zessverhandlung ^) die „alte BröUin" von Fulda in ihrer
Urjicht aus: i) sie habe eins der ungetauften Kinder der
Wittwe des Dr. Hector zu ihrer „Salb oder Schmier" ge-
braucht, und doch hatte die Wittwe Hector niemals ein
todtes Kind zur Welt gebracht oder war eins ihrer Kinder
vor der Taufe gestorben; 2) sie habe ihren ersten Mann
„gesterbt" d. h. durch Zauberei getödtet, und doch war
es im ganzen Stift Fulda notorisch, dass ihr erster Mann
Hans Leibold vor fünf Jahren durch einen mit Wein-
fässern beladenen Wagen, der ihm zwischen Hammelburg
und Untererthal über den Leib gefahren, ums Leben ge-
kommen war. Auch hatte sie 3) in der Tortur angegeben,
dass ihre „Schmier oder Salbe" an einem bestimmten Ort
in ihrem Hause stehe, wo man sie finden werde ; man fand
aber an dem bezeichneten Orte nichts anderes als ein
Töpfchen voll frischen Kirschenmuses, woran sich ihr
jetziger alter Mann labte. Und dennoch wurde die Brollin
auf ihre Geständnisse hin als Hexe zum Tode verurtheilt. —
In einem anderen Fuldischen Hexenprozess bekannte Kurt
Löser's Weib von Langenbieber während der Tortur, dass
sie ihre beiden Kinder durch Zauberei ums Leben ge-
bracht und dem Hans Bleuel einen Schimmel gesterbt
habe; und doch lebten ihre Kinder noch und dem Bleuel
war kein Schimmel gestorben. — In einem anderen Fuldi-
schen Prozess bekannte die Braunschweigerin von Mar-
Mittags, Abends oder Nachts ? 5) Was er mit ihr geredet, bei ihr gelhan und
mit ihr verrichtet habe? 6) Was er hernach an sie begehrt und warum sie
eingewilligt habe ? etc. — Nun folgt eine lange, lange Reihe von Fragen unter
den Rubriken: Circa punctum malefactorum. — Circa sacrilegia (Missbrauch
der Hostie etc.) — Circa punctum : Ausfahren. — Circa puncta : Keller.
Kammer etc. — Circa punctum: Kinderausgraben. — Circa compliccs. —
Adoratio Diaboli. — Commixtura carnalis. — Morbi incurabiles. — Discordia
inter conjuges.
') Vgl. Malkmus, Fuldaer Anekdotenbüchlein, S. 124 ff.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^qi
grethenhaun, dass sie den Wirth Heinz Vogel daselbst ge-
sterbt habe, und doch lebte der Wirth noch und stand
sogar leibhaftig bei dem Gericht, als diese falsche Urjicht
vor der Exekution vorgelesen wurde.
In burg-friedbergischen Akten von 1633 finden wir
ein in einundvierzig Artikeln abgefasstes Schema für die
Generalinquisition beigelegt. Es wird darin nach allen
Specialitäten des Hexenwesens gefragt. Aus den Ergeb-
nissen der Generalinquisition wurde sodann das Klagelibell
des Fiscals construirt, dessen einzelne Artikel mit Ja oder
Nein zu beantworten waren. Da nun- auch in diesem An-
klageprozesse der Beschuldigte späterhin der Tortur unter-
worfen und abermals auf jene Artikel befragt wurde, so
gewinnt dadurch dieses peinliche Verhör den Charakter
einer fortlaufenden Suggestion.
Ein bereits geständiger Inquisit zu Lindheim hatte den
Bürger Johannes Fauerbach als Mitschuldigen angegeben;
in der Confrontation sagte er ihm ins Gesicht, dass er der
Hexenpfaffe sei. Fauerbach leugnete und blieb vorerst
noch auf freiem Fusse. Bald darauf ward ein Weib ein-
gekerkert, gestand auf sich selbst und nannte Fauerbach
als Hexenpfaffen, wie er denn seit seiner Confrontation
überhaupt im Dorfe verschrieen war; er wurde angeklagt
und hatte einen langen Prozess durchzumachen. Im Laufe
desselben übersandte der mittlerweile entsprungene lind-
heimische Inquisit ein Zeugniss, worin er versicherte, dass
er Fauerbach nur unter der Tortur und auf ausdrückliche
Suggestion seines Namens genannt habe ^).
Statt aller übrigen Beispiele mag Folgendes dienen,
was der ehrliche Spee aus guter Quelle über das Ver-
fahren eines berüchtigten Hexenrichters vernahm*): „Dieser
Richter, wann etwa eine Gefangene auf sich selbst be-
kennet hatte, und darauf um ihre Gesellen gefragt wurde,
sie aber aufs beständigste darbei bestünde, dass sie deren
keine wüsste oder kennete, pflegte er zu fragen : Ei, ken-
') Burgfried bergische Originalakten von 1664.
«) Caut. crim. Qu. XXI. §. 11 ff.
3Q2 Seciiszehzztes KspiteL
nest du dann die Titfam nicht, hast du dieselbe nicht aut
dem Tanz g'esehen? Sagte sie alsdann Nein, sie wüsste
nichts Böses von derselben, so hiesse es sobald: Kleister.
ziehe auf. spanne besser an ! Als diess g'eschahe und die
Gemarterte die Schmerzen nicht «rhilden konnte, sondern
rief: Ja, ja, sie kennete dieselbe und hatte sie auch auf
dem Tanz g-esehen, man sollte sie nur herunter lassen, sie
wollte nichts verschweißten, — so liess er solche Denun-
ciation oder Besagung' ad protocollum setzen, fuhr fort
und fragete, ob sie nicht auch die Semproniam kennete
und an einem solchen Ort gesehen hätte? Leugnete sie
dann Anfangs, so wird der Meister seines Amts erinnert
welcher dann damit so lange anhielte, bis Sempronia auch
schuldig gemacht wurde, und also furder, bis er zum we-
nigsten drei oder vier aus der armen gemarterten Person
gebannet hätte." Entrüstet über dieses Verfahren, brachte
Spee diese Geschichte zu Papier, um den Fürsten die
Augen zu offnen; aber ein Freund, der dazu kam, lachte
über dieses Beginnen und sagte: „er solle diess Exempel
doch wieder ausstreichen, dann es ja ein Ueberfluss wäre,
dasjenige mit Exempeln zu behaupten, welches nunmehr
der gemeine Stylus wäre imd fast täglich praktizirt wurde.**
Spee überzeugte sich später durch eigenen Anblick, dass
dem so war, und gelangte zu dem für uns sehr interes-
santen Resultat: „Daher kommt nun femer dieses, dass
weiln die Commissarii (wie ich selbst observiret habe) ob-
angeregtermassen die armen Sünder nicht allein von ihren
Gesellen, sondern auch von ihren Thaten, von Ort und
Zeit der Tänze und anderen dergleichen Umständen ent-
weder mit Namen, oder doch so deutlich und umständlich,
als wann sie es auch in specie vorsagten und ihnen in den
Mund geben, fragen, nach der Hand bei ihren Herren und
Andern nicht genugsam rühmen und herausstreichen kön-
nen, wie viel Hexen in allen Punkten und Umständen so
eigentlich übereingestimmt hätten** *).
*) Uebcr die dctailUrtestcn Suggestionen durch Vermittlung der Folter-
knechte berichtet S/te Quaest. XX. §. 15. XIII.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^gx
Man denke indessen nicht, dass man überall sich
äng'stlich um die Uebereinstimmung def Aussagen beküm-
mert habe. Viele Richter nahmen, wie wir bereits sahen,
selbst an den gröbsten Widersprüchen keinen Anstoss.
„Ihrer drey sind justificirt, — erzählt Leib in seinen Re-
sponsen, — und haben bekennet, wie sie einen Müller
umbgebracht, aber in modo interfectionis und aufF was
Weiss eine die andere zum complicen dabey gehabt, und
wie sie ad locum facti perpetrati kommen, sind sie gar
wiederwertig gewesen. Da auch schon die Gefangene von
Umbstanden gefragt werden, melden sie doch solche ent-
weder gar nicht, oder confundiren sich, oder bekennen
in's gemein-, was alle dergleichen zu bekennen pflegen,
und der gemeine Mann zu erzehlen weiss, da doch an der
concordantia confessionum ac nominationum so wohl Er-
zehlung der Umstand, sehr viel gelegen."
Das Eingeständniss des Beschuldigten war übrigens
bei der Zauberei so wenig, als bei andern Verbrechen
eine unumgängliche Bedingung zur Verurtheilung. Es
ward auch hier angenommen, dass die Evidenz des Factums
durch einfachen Zeugenbeweis hergestellt werden könne,
und die Sache stand dann für den leugnenden Ueber-
führten noch schlimmer, weil er Unbussfertigkeit bezeigte ^).
d) Die Hexenproben.
Ehe wir von der Bestrafung der Hexerei handeln,
haben wir noch einiger sogenannten Proben zu gedenken,
die mehr oder minder gewöhnlich der Folter vorauszu-
gehen pflegten.
i) Die Feuerprobe (ferrum candens). Dieses alte
Beweismittel, von welchem sich schon bei Sophokles eine
Spur findet, bei den germanischen Stämmen einst so ge-
wohnlich, aber auch den Japanesen und Slaven nicht un-
bekannt, von Konrad von Marburg und andern Inquisitoren
auch gegen Ketzer angewandt, kommt im Hexenprozesse
') Mall, nialefic. Part. III. Qu. 31.
^QA Sechszehntes Kapitel.
nur in dessen firühester Zeit vor. Der Malleus verwirft es
gänzlich *). Weit gebräuchlicher war
2) diejenige Probe mit dem kalten Wasser, welche
man das Hexenbad nannte. Das Ordale des kalten
Wassers (Judicium aquae frigidae) reicht tief in das Mittel-
alter zurück^). Ludwig der Fromme verbot es, Hinkmar
von Reims trat als sein Vertheidiger auf, zur Zeit Bern-
hardts von Clairvaux wurde es gegen sogenannte Mani-
chäer in Frankreich angewendet ; seitdem aber Innozenz HI.
auf dem Lateran-Concil 121 5 ein neues Verbot darauf
legte, kam es in Abnahme. Das Verfahren bestand darin,
dass der Angesch\ildigte an ein Seil gebunden imd in's
Wasser hinabgelassen wurde; Aufschwimmen war das
Zeichen der Schuld, Untersinken das der Unschuld. Einige
deutsche Weisthümer aus dem vierzehnten und fünfzehn-
ten Jahrhundert nehmen jedoch die Entscheidung gerade
umgekehrt'). Im sechszehnten Jahrhundert fing man in
manchen Gegenden Deutschlands, namentlich in West-
phalen, diese Probe bei den Hexen zu gebrauchen an.
Man band ihnen die Hände mit den Füssen kreuzweise
zusammen und liess sie an einem Seile in einen Fluss oder
Teich dreimal hinab, wobei das Aufschwimmen für die
Schuld sprach. Als endliches Ueberfühnmgsmittel ist die
Wasserprobe zwar nirgends recht in Gebrauch gekommen«
als vorläufige Prüfung aber erhielt sie sich sehr lange«
Wurde sie genügend bestanden, so folgte entweder augen-
blickliche Freilassung, oder kanonische Reinig^mg; wo
nicht, so schritt man zur Tortur. Aus einem Schreiben
des marburgischen Professors der Philosophie Scribonius
an den Magistrat zu Lemgo ersieht man, dass die Wasser-
probe in dieser Stadt erst 1 583 nach dem Muster anderer
Länder eingeführt, in den übrigen Theilen Deutschlands
M Pari. in. Qu. 17.
*) (Srimm, deutsche RechtsaUerthQmer, B. II. S. Q23. Li ßnm, Histoire
des pratiques sui>erstitieuse5. Vol. 11. p. 29u ff.
*) Grimm a» a. O. S. U24. Auch Da Frtsne Gloss. v. Aqua erwihnt
F&Ue aus .Mtcrer Zeit, wo die Sache in dieser Weise geoommeo wurde.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^g^
aber noch fast ganz unbekannt war. Scribonius suchte
die Zweckmässigkeit des Verfahrens mit Gründen darzu-
thun und verwickelte sich in einen Streit mit den Aerzten
Ewich und Neuwald, in welchem er den Kurzem zog.
Aus Westphalen verbreitete sich die Anwendung des
Hexenbades nach Lothringen ; gegen das Ende des sechs-
zehnten Jahrhunderts finden wir es auch in Belgien \md
Frankreich ^) , wo es indessen vom pariser Parlament ver-
boten wurde, und um die Mitte des siebenzehnten trieb
man besonders in England einen argen Unfug mit dem-
selben. Auch nach Ostindien ist es, wahrscheinlich durch
die Engländer, gekommen 2). In Italien und Spanien da-
gegen, wo, wie Delrio sagt, illibata est canonum auctoritas,
kam es gar nicht vor. Der Gerichtshof von Holland liess
sich in einem vorkommenden Falle 1594 von den Profes-
soren zu Leyden ein Gutachten ausstellen, welches gegen
die Anwendbarkeit dieser Probe ausfiel. Im folgenden
Jahre ward sie auch in den spanischen Niederlanden ver-
boten ^).
Fragen wir nach der diesem Ordale zu Grunde liegen-
den Vorstellung, so findet sich diese bei Hinkmar dahin
entwickelt, dass das Wasser, geheiligt durch die Taufe
Christi im Jordan, keine Verbrecher aufnehme, wenn es
darauf ankomme, sie zu entdecken. Nach König Jacob I.
wollte das Wasser in Gemässheit besonderer Anordnung
Gottes die Hexen darum nicht in seinen Schooss auf-
nehmen, weil dieselben in ihrer Lossagung von Gott und
Christus das heil. Taufwasser von sich geschüttelt hätten.
Doch möchten wir glauben, dass, als man die ursprünglich
') Besonders in Bourgogne, Anjou und in der Nähe von Paris. Noch
1696 unterwarfen sich zu Montigny bei Auxerre einige Verdächtige freiwillig
der Probe und Hessen ein Notariatsinstrument darüber aufnehmen; die Herr-
schaft schlug den Prozess derjenigen, die nicht genügend bestanden, nieder.
Le Brun II. 290 u. 294-
*) Ausland 1837. Nr. 271.
') Cannaert, Bydragen pag. 219. Vgl. ausserdem noch über das Hexen-
bad : iPr^^'^r'j Sammlung vermischter Abhandlungen zur Erläuterung der deutschen
Rechte und Alterthümer, Rost. 1756. Th. II. S. 859 ff.
xn() Sechszehntes Kapitel.
für ganz andere Verbrechen angewendete ^) und späterhin
fast ganz vergessene Probe wieder hervorsuchte, um sie
speziell an den Hexen zu vollziehen, noch eine andere
Vorstellung leitete. Den Griechen nämlich galten die
Thibier am Pontus für Zauberer, und es herrschte der
Glaube, dass sie im Meere nicht untergehen konnten.
Plinius, der diess erzählt*), war stets eine Fundgrube für
die Zauberdoktrinen und mag auch hier eingewirkt haben.
Man mass den Hexen eine sehr geringe spezifische Schwere
bei, wie diese auch in ihrer Flugfahigkeit hervortritt, und
es musste wohl der Gedanke nahe liegen, dass man sie
an diesem Kriterium, gleich den Thibiem, zu erkennen
vermöge. Mit Bestimmtheit lässt sich dieses freilich nicht
nachweisen. Die mittelalterliche Auffassung der Wasser-
probe als eines Gottesurtheils hatte im Hexenprozess einer
ganz anderen Auffassung Platz gemacht. Dieselbe galt
jetzt als Mittel um Indizien zu erlangen. Man wollte da-
hinter kommen, ob die Angeklagte wohl schwämme.
Schwamm sie, so war ein sehr bedeutendes Indizium ge-
gen die Angeklagte gewonnen, wobei zwei Gesichtspunkte
in Betracht kamen. Einerseits stand es dann nämlich fest,
dass der Teufel im Wasser mit ihr war und ihr Unter-
sinken verhinderte. Bisweilen versprach der Teufel den
Hexen während der Wasserprobe eine eiserne Stange zu
bringen, damit sie sinken konnten, brachte dann aber bloss
eine leichte, unnütze Nadel. Andererseits erkannte man
an dem Schwimmen die spezifische Leichtheit der Hexen,
die denselben kein Teufel abnehmen konnte •). Dafür dass
dieses letztere der Hauptgesichtspunkt war, spricht auch,
dass Scribonius sich umständlich über die Leichtheit der
Hexen verbreitet, Remigius der Plinianischen Stelle wirk-
') Wenn es bei jVi/Aarä ad ann. 835 heisst : Gerbergam. more maleßco-
rum, in Ararim mergi praecepit, — so ist diess ohne Zweifel nicht von einer
Probe, sondern von einer Hinrichtung zu verstehen. Wenigstens heisst
es von demselben Falle bei dem Auclor vitae Ludovici Pii: Gerberga« — —
Unquam veneftca, aquis pratfocata est. {DucMes$u 11. 312 u. 362.)
•) H. N\ Vil. 2.
•) //itti£^ u. Dtmmt, Annalen, 1843, S. 313.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^gy
lieh gedenkt^) und der Wasserprobe auch eine andere
Probe zur Seite steht, welche von dem spezifischen Ge-
wichte der Hexen ausgeht. Diess ist nämlich
3) die Probe mit der Wage (probatio per pondera
et lancem). Diese Probe mit der „Hexenwage" bestand
darin, dass die Angeklagten, wenn sie auf diesem Wege
ihre Unschuld darthun wollten, etwas schwerer sein mussten,
als sie geschätzt worden waren. Besonderen Ruf hatte
in dieser Beziehung die Stadtwage zu Oudewater^). Man
berief sich auf ein Privilegium Karl's V., nach welchem
ein Zeugniss des Stadtraths, dass ein Verdächtiger amtlich
gewogen worden sei und ein seinem Körperumfange ent-
sprechendes Gewicht bewährt habe, überall rechtlichen
Glauben haben und alle andern Proben ausschliessen sollte.
Wie es sich mit jenem Privilegium verhalten möge, steht
dahin*); gewiss aber ist, dass man aus den Stiften Köln,
Münster und Paderborn häufig seine Zuflucht zum Rath
von Oudewater nahm und in der Regel nicht Ursache
hatte, sich über unbillige Behandlung zu beschweren. 1754
wurde die letzte Probe in dieser Stadt vorgenommen, mit
zwei Beschiddigten aus Coesfeld und Teiligt im Münster-
schen. Dass man ein Minimum von ii — 14 Pfunden für
den Unschuldigen angenommen habe, ist ein Märchen^).
') Daemonolatr. III. 9.
*) S. Balthasar Bekker bezauberte Welt, Bch. I. Cap. 21.
') Bei der Verwüstung der Stadt durch die Spanier 1575 ist das Rathhaus
mit allen seinen Urkunden in Flammen aufgegangen. Doch weiss man, dass
auf Befehl des Kaisers Karl V. die Gerichte der Wage zu Oudewater am
2. März 1547 nach denen zu Gauda geprüft wurden. Vgl. Scheltema, Ge-
schiedenis S. I42 . sowie desselben Verfassers Geschied = en Letterkundig
Mengelwerk, B. IV. S. 252—263.
^) Scheltema Geschiedenis der Heksenprozessen p, 141. Camuurt (S. 225)
theilt ein Certificat mit, nach welchem die Verdächtige, ein von dem Bürger-
meister von Bockholt im Münster'schen hingesendetes Mädchen, 1 34 Pfd. wog.
Die Unkosten betrugen;
Schepenen Guld. 1 16 o
Secretaris „ 2 18 o
Bode , o 12 o
Waegmeester .... „ o 12 o
Vroedfrouw .... „ O 12 o
Te zamen Guld. 6 10 o
398 Sechszehntes Kapitel.
Aehnliche Proben fanden sich auch anderwärts. 1 707 er-
griff der Pöbel bei Bedford ein verschrieenes Weib und
nahm die Wasserprobe vor, welche ungenügend bestanden
wurde. Nach langen Verhandlungen verfiel man darauf»
die Verdächtige gegen die zwölf Pfund schwere Kirchen-
bibel abzuwägen, und da diessmal das Gewicht genügte,
so stand man von weiterer Verfolgung ab ^).
4) Die Nadelprobe. Fand sich am Körper der An-
geklagten irgend eine Warze, ein Mal oder dergleichen,
so stach der Scharfrichter, zuweilen auch ein eigens be-
auftragter Chirurg, hinein, und wenn keine Aeusserung
des Schmerzes erfolgte oder kein Blut herausdrang, so
war man sicher, das Stigma diabolicum gefunden zu haben.
Diese Probe war sehr gemein ; sie findet sich in Deutsch-
land, Frankreich, Belgien, England und Spanien*). Bu-
seckische Akten von 1674 enthalten eine von zwei Ge-
richtsschöffen beglaubigte Urkunde über eine solche Er-
mittlung. Fand sich bei der Besichtigung nichts, was als
Stigma genommen werden konnte, so war der Inquisit
darum nicht besser daran ; es galt dann der Satz, dass der
Teufel nur zweifelhaften Anhängern sein Siegel aufdrücke
und die sicheren ungezeichnet lasse ^). Bei dieser Nadel-
probe übte der Scharfrichter zuweilen den Kniff, dass er
auf dem angeblichen Stigma selbst den Kopf der Nadel
aufsetzte, dann aber zum Beweise, dass der Mensch über-
haupt dem Schmerze nicht unzugänglich sei, die Spitze an
einer andern Stelle tapfer einbohrte. Walter Scott irrt.
*) iV. Scott, Br. üb. Dämonol. Th. II. S. 112.
*) In Frankreich und der Schweiz wurde diese Untersuchung gewöhnlich
von Chirurgen vorgenommen {Hauöer Bibl. mag. 11. 640), in Deutschland
durch den Scharfrichter im Beisein der Schöffen; in Belgien, wo zwischen
dem Büttel und den Aerzten oft Meinungsverschiedenheit vorkam, bestimmte
eine Verordnung von 1660, dass der erstere nicht mehr zuzulassen sei, son-
dern nur neutrale en insuspecte docteurs. Dennoch findet sich eine Rechnung
des Scharfrichters von Melin in Hennegau von l68t, worin für dessen Be-
mühungen beim Suchen des Stigma's einer Inquisitin und die Torquirung der-
selben 62 livres 8 sols angesetzt sind. (Cannaert Bydragen p. 207. 211.)
•) Bodin, Daemonom. II. 4. u. IV. 4. Ego tamen cum Danaeo scntio,
principes quosque magos carere signo etc.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^qq
wenn er die Nadelprobe eine Erfindung des schändlichen
Hopkins nennt ; schon Remigius und Bodin kennen sie ^).
5) Die Thränenprobe. Der Mangel an Thränen
während der Folter war Zeichen der Schuld; nach der
Tortur konnte auch der reichlichste Ergfuss nicht helfen ^).
Bodin hat sich erzählen lassen, dass nur das rechte Auge
einer Hexe in der Pein drei Thränen zu vergiessen ver-
möge. Das Sprüchwort „Hexen weinen nicht" war daher
bald im allgemeinsten Gebrauch und erst spät wagen
Rechtsgelehrte (Hert, Opuscula, T. 11. 1737, S. 383) be-
scheidene Zweifel auszusprechen, indem sie mit Berufung
auf die Auctorität von Aerzten hervorheben, dass das Ueber-
maass der Folterqual es nicht zur Thränenergiessung kom-
men lasse.
Ein besonderes Kennzeichen einer Hexe war auch,
dass sie bei dem Hersagen des Unser- Vaters an der sechsten
oder siebenten Bitte anstiess imd im Gebet nicht fortzu-
fahren vermochte.
Ebenso fand man das Laster der Hexerei constatirt,
wenn die oder der Beklagte im Verhör sich bestürzt zeigte,
in der Rede stockte, die Zunge spitzte, sie krümmte und
gegen die Untersuchungsrichter herausstreckte, wenn er
imter sich oder auf die Seite sah und sich vergeblich zu
weinen bemühte, oder sonst (in Folge der furchtbaren
Seelenangst, welche den Unglücklichen, namentlich bei
dem Anblick der Folterwerkzeuge befiel) etwas Auffallen-
des in seinem Benehmen zeigte.
Ausserdem gab es noch manche seltenere Proben sehr
eigenthümlicher Art. So wurde einst zu Nidda einem
achtzehnjährigen Mädchen nach richterlichem Erkenntniss
das Nasenbein eingeschlagen, um aus dem Blutflusse über
Schuld und Unschuld zu urtheilen. Eine Art von offa
judicialis mit Butterbrod wurde 161 8 bei einer Hexe zu
*) Remig» Daemonolatr. p. 31. Bodin, Daemonom. lib. IV. cap. 4.
*) Mall, malef. Part. III. Qu. 15. Der Grund ist wohl ein sehr natür-
licher, auch bei Märtyrern hat man die Erscheinung wahrgenommen, bei
Hexen vielleicht nur darum häufiger, weil deren ungleich mehr gefoltert
worden sind.
400 Sechszehntes Kapitel.
Lincoln auf deren eigenes Verlangen angewendet; sie soll
daran erstickt sein^).
e) Die Bestrafung der Hexen.
Waren nun durch Verhöre, Proben und Tortur, durch
Geständniss oder Ueberführung die Akten endlich zum
Schlüsse gekommen, so erfolgte der Spruch. AuchCon-
tumacialurtheile fanden Statt. Völlige Freisprechung sollte
nach dem Malleus nicht ertheilt werden, sondern bloss
Absolution von der Instanz; auch Delrio empfiehlt diese
als sicherer, obgleich er die rechtliche Möglichkeit der
ersteren einräumt. Und diese Maxime befolgte gewöhn-
lich auch der weltliche Richter, wenn das Verfahren ein-
mal über die ersten Stadien der Folterung hinausgegangen
war. Der Losgesprochene wäre mit seinen zerfolterten
Gliedern imd seinem durch jahrelange Haft verkümmerten
Leibe ein umherwandelnder Vorwurf fiir die Obrigkeit ge-
wesen. Sah man sich aber genöthigt, die Verhafteten und
Verhörten wieder in Freiheit zu setzen, so mussten sie
vorher die Urfehde schwören*), in der sie insbesondere
*) The wonderful discovery of the witchcrafts etc. p. 11.
') In einem 1562 zu Esslingen vorgekommenen Prozess z. B. wurden
drei Frauen mit Ausstellung folgender Urfehde (welche .^«^ in der Zeitschr.
für deutsche Kulturgesch. 1856 S. 266 mitgetheilt hat,) entlassen:
,,Ihr drei Weiber, nachdem ihr sammt und sonders in die Fronfeste und
das Gefilngniss des Raths zu Esslingen gekommen seid aus wolbefugten Ur-
sachen, weil ihr euch lange Zeit her in mancherlei Weg bAs, venUchtig und
argwönisch gemacht habt, so dass der Rath wohl befugt gewesen wÄre, mehr
strenglich mit euch zu handeln: will er doch diesmal, angesehen euer selbrt
Bitten und euer Verwandten und Freunde vielftltig Ansuchen mit der erlittcseo
Thurmstrafe ein Begnügen haben, und euch alle drei, doch auf euer kQnfti;^
Wolverhalten, sammt und sonders solchen GefÄngnisses in Gnaden erlasseo;
dergestalt jedoch , dass ihr euch hierfür f u allen Zeiten eueres Lebens in
diesen biSsen Verdacht der fahrenden Frauen, Hexen oder Unholde nie mehr,
weder mit Reden, Gedanken und Werken noch sonst in anderer Weise öffent-
lich oder heimlich begeben, sondern christlich und gottesfürchtig leben wollt
Auch sollt ihr schwören, dass ihr weder durch euch selbst noch durch jeniaad
Anders von euretwegen euerer Gefangenschaft und was euch darin begegnete,
gewen den Rath, dessen Zugehörige und Diener, auch gegen mAnniglich. so lu
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^OI
ZU geloben hatten, dass sie sich wegen der erlittenen Ein-
ziehung etc. an der Obrigkeit nicht rächen wollten.
Gewöhnlich sahen sich aber die Freigelassenen doch
noch durch besondere Anordnungen des Gerichts gemass-
regelt. Nicht nur wurde denselben oft eine Geldstrafe
auferlegt, sondern wegen des an ihnen trotz der Freilassung
noch haftenden Verdachts der Zauberei wurden sie in ge-
wisser Aufsicht behalten und in schimpflichster Weise an
ihrer Freiheit geschädigt. Oft wurde ihnen der Besuch
der Kirche untersagt, und wenn ihnen der Kirchenbesuch
gestattet war, so mussten sie im Gotteshaus, von allen
Anderen gesondert, an einem ihnen zugewiesenen Platze
sitzen. Auch im eigenen Hause sollten sie ohne Verkehr
mit den Ihrigen, in einem besonderen Gemach leben. Nicht
selten aber sahen sich die Unglücklichen von ihrer Heimath
und den Ihrigen, wenn sie zurückkehrten, wie Aussätzige
Verstössen. Man reichte ihnen keine Hand und die Orts-
obrigkeit liess sie nicht selten zum Ort hinauspeitschen,
oder sperrte sie in3 Findelhaus oder Spinnhaus ein. —
Das Günstigste war es noch für die Freigesprochenen,
wenn sie zur öffentlichen Kirchenbusse verurtheilt und
ihnen nach Vollziehung derselben die Absolution und das
heil. Abendmahl ertheilt wurde, wie es z. B. nach einem
Beschlüsse des Raths zu Esslingen vom i. Juli 1664 mit
mehreren verhaftet gewesenen jungen Leuten geschah^).
Die vorerwähnte Katharine Lips aus Betziesdorf in
Oberhessen, deren Heldenhaftigkeit auch durch die furcht-
barste Tortur nicht hatte gebrochen werden können, wurde
nach Ausstellung folgender Urphede aus dem Hexenthurm
zu Marburg entlassen:
„Ich Katharina, Dieterich Lipsen Hausfrau, Schul-
meisters zu Betziesdorf, Urkunde hiermit: Als in der
durchlauchtigen etc. unserer gnädigen Fürstin gefängliche
euerer geßLoglicheii Einziehung Ratb, HOlfe und FOrschub that, mit Worten
oder Werken ahnden oder rächen wollt, weder vor weltlichen noch vor geist-
lichen Gerichten.**
') Pfaff, ebcndas. S. 455—456.
Boldsn-Heppe, Hexenpzozeue» 26
402 Sechszehntes Kapitel.
Haft allhier aufm Schloss ich wegfen angegebenem Zauberei-
verdachts gerathen, auch von ihrer Durchlaucht fiscali am
hochpeinlichen Halsgericht hierselbst deswegen besprochen
und nach geführtem langem peinlichem Prozess endlich
Bescheid ertheilt worden, dass gegen genügsame Caution,
da man ins künftige eine mehrere Anzeigen und Verdacht
des Zaubereilasters gegen mich in Erkundigung bringen
würde, mich jederzeit mit dem Leibe wieder zu sistieren,
ich für diesmal gegen gewöhnliche Urphede und Erstattung
der Unkosten ab instantia zu absolviren und der gefäng-
lichen Haften zu erlassen sei; dass demnach mit Hand-
gegebener Treue an Eidesstatt angelobt und versprochen
habe, auch hiermit angelobe und verspreche, nicht allein
die aufgegangenen Unkosten unverlangt zu bezahlen, und
dieser gefänglichen Haften und was mir darinnen begegnet
weder an Ihrer Durchlaucht, noch dero Bedienten, oder
anderen deren Untertanen in keinem Wege zu rächen oder
zu ahnden, sondern auch, da inskünftig eine mehrere An-
zeige oder Verdacht erwähnten Lasters halber in Erkundi-
gung sich finden würde, mich jederzeit auf Erfordern mit
dem Leibe wieder zu sistieren oder Ihrer Durchlaucht
höchstgedacht mit allem dem meinigen verfallen zu sein,
gestalt ich dann deswegen, weilen ich keinen Bürgen auf-
bringen können, alle und jede meine gegenwärtigen und
zukünftigen Habe und Güter, wie die Namen haben oder
anzutreffen sein mögen, zu speciellem und gewissem Unter-
pfand hiermit eingesetzt, und allen \md jeden mich da-
gegen schützenden Beneficien und Guttaten, der Rechte
und Gewohnheiten wolerinnert renunciert, auch den edlen
festen \md hochgelehrten Herrn Jacob Blankenheim, furstl
Oberschultheis allhier mit Fleiss erbeten, dass er diesen
Cautionsschein imd Urphede meinetwegen eigenhändig
unterschrieben und sein gewöhnliches Amtssiegel aufge-
drücket hat, doch Ihrer Durchlaucht, seinem Amt, ihm und
den Seinigen ohne Schaden. So geschehen zu Marburg
den 4ten Mai anno 1672.
Die verdammenden Sentenzen des geistlichen Gerichts
sprachen die Schuld und die kirchlichen Büssungen aus.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^o^
verordneten die Abschworung der Ketzerei, verhängften,
wenn der Fall sich zur Anwendung besonderer Milde eig-
nete, Kerkerstrafe auf Lebenszeit („ut ibi semper pane
doloris et aqua angustiae crucieris", sagt der Malleus), oder
übergaben, was das Gewöhnlichste war, den Schuldigen
an den weltlichen Arm. Geschah diess einem Geistlichen,
so musste er zuvor degradirt werden. Der weltliche Arm
strafte mit dem Tode. Die Hinrichtimg geschah in der
Regel so, dass der Verurtheilte in Begleitung von bewaff-
neten Reitern oder Musketieren auf den Richtplatz gefuhrt
oder geschleift ward, wo dann zunächst die Urgicht,
d. h. das Verzeichniss der auf der Tortur erpressten Ge-
ständnisse oder der Verbrechen vorgelesen ward, was ge-
wöhnlich mit einer vorausgeschickten Einleitung geschah.
Eine 1662 in Esslingen zur Publikation der Urgicht und
des Urtheils gebrauchte Einleitimg war z. B. folgende^):
„Es sollen billig erschrecken und mit stillschweigender
Verwundenmg alle Zuseher auf diesem traurigen Schau-
platz anhören und zu Gemüt ziehen, was der von Gott
in die Höllenglut verstossene Mord und Lügengeist in
den Kindern des Unglaubens wirkt und zu was für einem
harten, grausamen Mord und anderen Unthaten er sie zum
Verderben ihrer armen Seele anführt. Weichergestalt die
erschrecklichen, himmelschreienden und stummen Sünden
der Zauberei und Sodomiterei vieler Orten überhand ge-
nommen und wie der Krebs hochschädlicher Weise um
sich gefressen, das bezeugt die tägliche, höchst traurige
Erfahrung. Daher muss von einer christlichen Obrigkeit
auch bei Zeiten durch harte und exemplarische Bestra-
fungen solchen seelenverderblichen Unheü- und Gräuel-
thaten vorgebeugt werden. — Unter denjenigen Tugenden,
die den Regenten und Obrigkeiten wohl anstehen, die
Schärfe, die sie gegen die Bösen und Leisterhaften an-
wenden will" u. s. w. Hierauf erfolgte sofort die Hin-
richtung der Verurtheilten, d. h. in der Regel „Einäsche-
rung". Als eine Linderung der Strafe galt es, wenn der
*) P/af, in der Zeitschrift für die deutsche Kulturgesch. 1856 S. 362.
^04 Sechszehntes Kapitel.
Verurtheilte zuvor enthauptet oder erwürgt wurde, worauf
die Leiche auf einem Holzstoss zu Asche verbrannt ward.
In Schwaben und in der Schweiz kam es auch vor, dass
man zur Abkürzung des schrecklichen Feuertodes dem
Verurtheilten auf dem Scheiterhaufen Pulversäcke oder
einen Pechbesen anhingt). — Sollte die Strafe noch ver-
schärft werden, so wurden die Verurtheilten, indem man
sie zum Richtplatz schleifte, noch mit glühenden Zangen
gezwickt, oder es wurde ihnen vor der Einäscherung eine
Hand abgehauen, wie z. B. aus folgendem St. Galler ür-
theil von 1691 zu ersehen ist^): „Auf solche verlesene xmd
von dem armen Mensch bekannte schwere Verbrechen
ist mit Urtel und Recht erkannt, dass sie in die Schranken
geführt, daselbst ihr die rechte Hand abgehauen, hernach
auf einen Karren gesetzt, auf den Richtplatz gezogen, auf
eine Leiter gelegt, angebunden, mit aufrechtem Angesicht
auf den Scheiterhaufen geworfen und also lebendig zu
Staub und Asche verbrannt werde," — Ein früheres St,
Galler Urtheil von 1604 lautet: „dass die Frau vor das
Rathhaus geführt, ihr die Urgicht vorgelesen und folgens
dem Nachrichter befohlen werde , der solle ihr davor ihre
Hände zusammenbinden und auf die gewöhnliche Richt-
statt führen, und ihr auf derselben die linke Hand ab-
schlagen, und folgens ihr einen Pulversack an ihren Hals
hängen, demnach an einen Pfahl binden, mit Holz um-
geben und lebendig verbrennen***).
Die Rechtmässigkeit der Todesstrafe erweist
Delrio aus der Vernunft, dem mosaischen, romischen und
päpstlichen Rechte, den geschriebenen und ungeschrie-
benen Gesetzen von fast ganz Europa, der Praxis der Inquisi-
toren und den Ansichten der Kriminalisten aller Nationen*).
*) Vgl. V. Gonzenbaths Mittheilungen ,.aus Stadt St. Gallischen Hexen*
aiclen seit 1600** in SchUtUr's Annalen der Krimi nairechtspflege , l856 S. I ff«
und lyaff, a. a. O. S. 442.
') V* Gopu€nbach, ebendaa. S. 22.
') Ebendas. S. 6.
^) Disqu. mag. lib. V. sect. 16. Lamiae occidendae, etiamsi hominem
nullum veneno necassent; etiamsi segetibus et animantibus noH nocuissenl;
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. aq^
Was nun das päpstliche Recht anlangt, so konnte es
scheinen, als ob Delrio hier nur dessen Geist, nicht dessen
wortlichen Ausdruck im Auge habe, indem sich das Papst-
thum allerdings allezeit gesträubt hat, die Bestrafung der
Ketzer und Zauberer am Leben ausdrücklich zu fordern.
Die Päpste haben aber Folgendes gethan: sie haben von
Bestrafung durch Vermittlung der Justiz, von Ausrottung
der Sekten und Uebergabe an den weltlichen Arm ge-
sprochen ; sie haben die Inquisitoren, die diesem Arme die
meisten Opfer zuwiesen, gefördert, die weltlichen Behörden
aber, welche ausser dem Arme auch ihre Augen gebrau-
chen wollten, wie die Venetianer, mit Bann und Interdikt
bedroht, wenn sie sich unbedingter Exekution weigern
würden; sie haben endlich Verpflichtung der Magistrate
auf Friedrich's 11. Blutedikte begehrt und denjenigen,
welche sich in der Ausrottung der Zauberer eifrig zeigen
würden, gleichen Ablass verheissen, wie den Kreuzfahrern.
Dieses alles ist so bekannt, dass es hier keines Beleges
bedarf; auf Einzelnes werden wir geeigneten Orts zurück-
kommen. Concilien haben sich zuweilen weniger verblümt
ausgedrückt. So sagt das Lateran-Concilium von 1179
mit Bezugnahme auf die Katharer : Licet ecclesiastica dis-
ciplina, sacerdotali contenta judicio, cruentas eflfugiat ultio-
nes, catholicorum tamen principum constitutionibus adju-
vatur, ut saepe quaerant homines salutare remedium, dum
capitale super se metuunt supplicium evenire ^). Die Synode
zu Narbonne von 1246 verordnete ausdrücklich, dass die
imbussfertigen Häretiker an den weltlichen Arm zum
Lebendigverbrennen auszuliefern seien *). Die Palme
der Heuchelei trägt aber der Malleus davon, wenn er,
nach dem Vorgange früherer Inquisitoren, seine auf Ueber-
gabe an den weltlichen Arm lautenden Urtheile stets mit
der Phrase schliesst: Saecularem curiam affectuose depre-
eamur, quatenus citra sanguinis effiisionem et mortis
etiarosi necromanticae fton forent; eo ipso tantum, quod daemoni foederatae,
quod conventui interesse solitae, et, quae ibi exercentur, praestare.
*) Decnt, Gregor, Lib. V. Tit. VII. Cap. 8.
*) Lamothe-Langon Hist. de Tlnqu. cn France. Tom, I. p. XCVIII.
4o6 Sechszehntes Kapitel.
periculum suam sententiam moderetixr. Nur bei dem Ver-
urtheilten, der auch nach dem Spruche noch leugnet, ge-
winnt er es über sich, zu sagen: citra et circa sanguinis
eflfiisionem. — Von einem Endurtheile der Inquisition zu
Avignon, welches alle Einzelnheiten des Verbrechens fast
genau so aufzählt, wie wir sie oben bei den Hexen von
Log'roßo kennen gelernt haben, lautet der Schluss folgen-
dermassen: Nos F. Florus, Provincialis ordinis fratrum
praedicatorum, S. Theologiae Doctor ac sanctae fidei in
tota ista Legatione Avenionensi Inquisitor generalis,
dicimus, declaramus, pronunciamus et diffinitive sententia-
mus: Vos omnes supra nominatos et vestrum quemlibet
fuisse et esse veror apostatas, idololatras, sanctissimae
fidei desertores, Dei omnipotentis abnegatores et contem-
tores, Sodomiticos et nefandissimi criminis reos, adulteros,
fornicatores, sortilegos, maleficos, sacrilegos, haereticos,
fascinarios, homicidas, infanticidas, daemonumque cultores,
satanicae, diabolicae atque infernaUs disciplinae et damna-
bilis ac reprobatae fidei assertores, blasphemos, perjuros
infames et omnium facinorum et delictorum convictos fuisse.
Ideo vos omnes vestrumque quemlibet tanquam Satanae
membra hac nostra sententia Curiae saeculari remittiraus,
realiter et in eflfectu condignis et legitimis poenis eorum
peculiari judicio plectendos ^).
Indessen liegt ein Breve des Papstes Paul IV. vom
4. Januar 1559 vor, welches doch die Aussage Deines
vollkommen rechtfertigt. In diesem auf die in Spanien
auch unter den höheren Kreisen einreissende lutherische
Ketzerei bezügHchen Breve autorisirt nämlich Paul IV.
den Generalinquisitor mit den Worten : quod huius-
modi omnes et singulos haeresiarchas, — etiamsi relapsi
non fuerint saecularis iudicis arbitrio, poena ultirai
supplicii plectendos dimittere sive tradere libere et
licite valeas, plenam et amplam concedimus
potestatem •).
») Deirio Lib. V. sect. 16.
«) Raynaldi, Annal. ecclcs. T. XV. p. 31 ff.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^07
f) Die Strafgesetzgebung und deren allmähliche
Entwicklung.
Wie die Geschichte lehrt, dass Hexen erst in Folge
der Hexenverfolgung vorkamen, und dass eigentlich erst
durch die letztere der Hexenglaube dem Volke eingeimpft
worden ist, so zeigt die Geschichte auch, dass die Straf-
gesetzgebung, welcher im sechszehnten und siebenzehnten
Jahrhundert die Massen der Hexen zum Opfer fielen, erst
ganz allmählich in der Hexenverfolgung und durch die-
selbe erwachsen ist.
Was nun die bürgerlichen Strafbestimmungen in
Deutschland betrifft, so haben wir oben gesehen, wie
bereits der Sachsenspiegel und mehr noch die späteren
Redaktionen des Schwabenspiegels in der Zauberei neben
dem operativen Elemente auch ein apostatisches bezeich-
nen, ohne dass jedoch hierin eine Bekanntschaft mit dem-
jenigen ausgebildeten Hexenthum, wie es im vierzehnten
Jahrhundert in Frankreich sich abschloss, ausgesprochen
wäre. Inquisitoren waren es, welche im Laufe des fünf-
zehnten Jahrhunderts das vollendete System durch Schrift
imd Praxis in Deutschland einheimisch zu machen suchten.
Unter mancherlei Widerspruch bildete sich die Sache
faktisch durch, und die bürgerlichen Gerichte, von dem
Malleus selbst nicht nur „propter damna temporalia" an
sich für competent, sondern auch im Falle bischöflicher
Commission über das Uebrige zu sprechen für fähig er-
klärt*), zogen nachgerade, ohne dass es einer neuen Ge-
setzesformulirung bedurft hätte, das Ganze vor ihr Forum.
Doch schritt auch im Laufe der Zeit die Gesetzgebung
mit mehr oder weniger Modifikationen vor.
Tengler's Laienspiegel (von 1509) berührt die Zau-
berei nur in dem Kapitel „von Todtschlägen und andern
^) Videtur etiam, quod in haeresi maleficarum, licet non in aliis haeresibu3,
etiam ipsi dioecesani suas vices ad cognoscendum et judicandum in foro civili
commiitere valeant, tum — — quod hoc crimen non est mere ecciesiasticum,
imo potius civile, propter damna, quae inferuntur, temporalia, tum etiam, quia
leges speciales in punitionem maleficorum quoad omnem viam punitionis editae
cemuntur.
^o8 Sechszehntes Kapitel.
Entieibungen" ; der theologische Gesichtspunkt ist ihm
durchaus fremd, er beruft sich auf kein deutsches Gesetz,
sondern bloss auf Gewohnheiten, und weiss die Todes-
strafe nur auf römisches Fundament zu gründen : „Item
nach bemeltem Gesatz (nämlich der lex Cornelia de sicarüs
et veneficis) mögen auch gestrafft werden, die mit vergift,
zauberey oder andern verpoten sachen die menschen zu
ertödten, zu latein genannt venefici, malefici, incantatores,
phitonisse; doch werden solche weibs person gewonlichen
im feur, oder wasser vom leben zum tode gerichtt, oder
zu äschen verbrannt."
In der vom Kaiser Maximilian 1499 für Tirol (im
Einvernehmen mit den Landständen) erlassenen Halsge-
richtsordnung — dem ältesten derartigen deutschen Straf-
gesetz — findet sich über Verbrechen der Zauberei und
Hexerei gar nichts vor. Zwar wurde dann in der von
Kaiser Max 1514 aus Gmunden erlassenen Ordnung für
die Landgerichte unter der Enns „die Zauberey in Rechten
verpoten", dagegen in der 1526 auf Befehl des Erzherzogs
Ferdinand I. herausgegebenen „Landesordnimg der fürst-
lichen Grafschaft Tirol" und selbst noch in der Landes-
ordnimg für Tirol von 1532 ist von derartigen Verbrechen
nicht die Rede. Ebenso erklärte Kaiser Ferdinand L —
trotz der zu Recht bestehenden Carolina — in seiner Po»
lizeiordnung von 1544 Zauberei und Wahrsagerei als ein
„Fürgeben" und „Betrug" und 1552 wird polizeilich wieder-
holt, dass „Zauberei und Wahrsagen abergläubisch bos
Sachen" seien, „das aller Orten ausgereutet und an denen,
so sie brauchen, gebürend bestraft werden soll." Von
Todesstrafen ist keine Rede. Dem entsprechend verord-
nete auch Max 11. 1568, dass Zauberer und Wahrsager
dem öffentlichen Hohn und Spott ausgesetzt, dass sie an-
gehalten werden sollen, ihre Kunst öffentlich zu beweisen
und sich unsichtbar oder „gefroren" zu machen. Im dritten
Betretungsfall sollen sie des Landes verwiesen werden').
') A, Siilur stein, Denksäulen im Gebiete der Kultur und Literatur
(Wien 1879), S. 212.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^OO
In der sogen. „Neureformirten Landesordnung der fürst-
lichen Grafschaft Tirol", welche unter Erzherzog Ferdi-
nand 11. 1573 publizirt worden ist, wird freilich „Zauberey
und aberglaubige Wahrsagerey" unter den verbotenen
Handlungen aufgeführt, jedoch nur in der „Polizey-Ord-
nung," die dieser neureformirten Landesordnung von 1573
beigegeben ist und sich auf jene geringeren Vergehen
bezieht, die man gegenwärtig als schwere Polizeiübertre-
tungen aufzufassen pflegt. Hier heisst es nämlich : - „Wir
wollen bei gleicher Straff, wie gegen den Gotteslästerern,
auch alle Zauberey und aberglaubige Wahrsagerey, Spre-
chen u. dgl., es seye, dass jemands solche Zauberey und
Wahrsagerey selbst treiben oder solche Wahrsager und
Zauberer besuchen würde, hiemit gäntzlichen verbotten
haben." Als Strafe wurden aber hier hauptsächlich nur
Geldstrafen bestimmt, wovon der „Anzeiger" insgeheim
(damit er nicht bekannt würde) ein Viertel, ein anderes
Viertel die Obrigkeit für ihre Mühwaltung erhalten,
die übrige Hälfte zu milden Zwecken verwendet werden
sollte 1).
In einem ganz anderen Charakter gestaltete sich da-
gegen das Strafrecht in den Landen der deutschen Reichs-
stände. Hier ging allen anderen Reichslanden das Fürst-
bisthum Bamberg auf dem Wege der Gesetzgebung
voran, und hier, in einem geistlichen Lande, musste natür-
lich der von Innozenz VIII. erlassenen Bulle und dem
auf derselben beruhenden Hexenhammer Rechnung ge-
tragen werden. Die bambergische Halsgerichtsordnung
— die älteste deutsche nach der tyroler — welche der
intelligente Freiherr Johann von Schwarzenberg
(t 1528 als kurbrandenburgischer Minister) entwarf und
welche der Fürstbischof Georg von Bamberg 1507 ge-
nehmigte (und 1508 zu Mainz im Druck erscheinen liess),
die auch 1516 in den fränkischen Territorien Kurbranden-
burgs zur Einführung kamen, enthält zwei aufeinander-
folgende Artikel (130 und 131), welche von Ketzerei und
*) Z. Rappt die Hexenprozesse und ihre Gegner aus Tyrol, S. 13—14.
^lO Sechszehntes Kapitel.
Zauberei handeln. Der Art. 1 3 1 von „Straff der Zauberey"
lautet: „So Jemandt den leuten durch Zauberey schaden
oder Nachteyl zufüget, soll man straffen vom leben
zum tode, vnd man soll solche straff gleych der
ketzerey mit dem fewer thun. Wo aber Jemandt zau-
berey gebraucht, vndt damit niemant keinen Schaden ge-
than hette, sol sunst gestrafft werden nach gelegenheit
der sach, darinnen die Urteyler rats gebrauchen sollen,
als von radtsuchen geschrieben steht." — Diese Bestim-
mung ging fünfundzwanzig Jahre später in die Reichs-
gesetzgebimg , nämlich in die „Peinliche Gerichtsordnui^
Kaiser Karls V. und des heil, römischen Reichs", welche
nach längeren Verhandlungen auf dem Reichstage zu Re-
gensburg 1532 sanctionirt wurde und für welche das Bam-
berger Strafgesetz als Muster gedient hatte, wörtlich über,
nur dass hier (in Art. 109 der sogen. Carolina) die Worte
„gleych der ketzerey" (welche natürlich 1532 auf dem
Reichstage nicht mehr durchzusetzen waren) hinwegge-
lassen wurden.
Nach der Carolina sollte also ebenso wie nach der
Bambergensis für Zauberei die Strafe des Todes durch
Feuer nur dann eintreten, wenn ein Zauberer oder eine
Hexe Jemanden durch Teufelswerk wirklich Schaden oder
Nachtheil zugefügt hatte. Für diejenigen Fälle von Zau-
berei, wo durch dieselben kein damnum illatum verursacht
war, sollte (nach dem Rathe von Sachverständigen) eine
mildere Strafe verhängt werden^).
Es ist noch zu bemerken, dass die Carolina in ihrer
Auffassung der Hexerei sich nicht sowohl auf dem Boden
des Hexenhammers als auf dem der Bulle Innozenz' VIII.
bewegt.
') Graf v. Lamberg sagt in seiner Schrift „das Criminalvcrfahren vor-
zQglich bei Hexenprozessen im ehemaligen Bisthum Bamberg", S. 1: in der
Peinlichen Gerichtsordnung werde beurkundet, wie streng dieses grimmige
Gesetzbuch jede fleischliche Vermischung mit dem Teufel bestrafe.
Dieses beruht jedoch auf einem Irrthum, Indem die Carolina von solcbeo
Vermischungen gar nicht spricht.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. ^I I
Leider aber wendete sich die Praxis der Hexenrichter
allmählich von der humaneren Auffassung Schwarzenbergs
und der Carolina ab. Während diese die Zauberei ledig-
lich wegen des etwa durch sie verursachten Schadens als
ein mit dem Feuertode zu bestrafendes Verbrechen hin-
stellten, — was auch der Papst Gregor XV. im Jahr 1623
ausdrücklich bestätigt hatte *), — wurde in der Gerichts-
praxis nicht nur die im Hexenhammer entwickelte Doctrin
vom Hexenwesen (von den Vermischungen mit dem Teu-
fel etc.), sondern auch der Gedanke herrschend, dass die
mit Hülfe des Teufels vollbrachte, also auf diabolischem
Abfall von Gott beruhende Hexerei an sich ein Ver-
brechen sfei, welches mit dem Tode durch Feuer
bestraft werden müsste. Und leider liess sich sowohl
die Rechtswissenschaft als die Gesetzgebung allmählich
durch diese von den Hexenrichtem geltend gemachte Auf-
fassung der Hexerei überwältigen.
Dasjenige Strafgesetz, in welchem diese Thatsache
zuerst hervortritt, ist die kursächsische Kriminal-
ordnung von 1572. Dieselbe bestimmt nämlich: „So ie-
mands in Vergessung seines Christlichen Glaubens mit dem
TeuflFel ein Verbündniss aufrichtet, umgehet, oder zu
schaffen hat, dass dieselbige Person, ob sie gleich mit
Zauberey niemands Schaden zugefüget, mit dem
Feuer vom Leben zum Tode gerichtet und gestrafft wer-
den soll. Da aber ausserhalb solcher Verbündnissen je-
mand mit Zauberey Schaden thut, derselbe sey gross oder
geringe, so soll der Zauberer, Manns- oder Weibs-Person,
mit dem Schwert gestrafft werden."
Auch in anderen Particularrechten wurde jetzt dasselbe
*) Gregor XV, bestimmte in der Constitution „Omnipotentis Dei" vom
20. Milrz 1623 (Bullar. Rom. T. III.), dass Zauberer nur dann hinzurichten
wären, wenn sie durch ihre Bosheit eine oder mehrere Personen so verletzt
hätten, dass darauf der Tod erfolgt sei; diejenigen dagegen, die durch ihre
Zauberkünste nur bewirkten, dass sie den Menschen an Thieren, FeldfrQchten etc.
einen vielleicht auch recht erheblichen Schaden zufQgten, sollten nur mit Ein-
kerkerung (muro claudi) bestraft werden.
412 S€chszehntes Kapitel.
ausgesprochen, z. B. in dem kurpfalzischen Landrecht von
1582, im Landrecht von Baden-Baden u. s. w.
Die Praxis des siebenzehnten Jahrhunderts wollte,
dass nur die ausgezeichneten und unbussfertigen Hexen
lebendig verbrannt würden, den reumüthigen aber die Be-
gnadigung des Schwertes oder Stranges widerführe. Diese
Praxis, die der Aufmerksamkeit nicht genug empfohlen
werden kann, wenn gefragt wird, warum es in jener Zeit
so viele reumüthige Hexen gab, belegen wir mit den
Worten einer approbirten Instruktion ^) : „Zu jetziger unser
Zeit aber, obwohl etliche wenige Zauberer und Unholden,
so ganz vermessentlich, gotteslästerlich und gleichfalls an
Gott und ihrer Seelen Heil verzweifelt hinfahren wollen,
in das Feuer gestellt, oder unerhörter Laster wegen le-
bendig verbrannt werden, ist jedoch fast bei aller Christen
Tribunalibus und Richtstätten der milde Brauch ange-
nommen, dass jede zauberische Personen, so sie der bösen
Geister Gesellschaft und Verheiss absagen und dem lieben
Gott mit reumüthigem Herzen wieder zuschwören, nicht
mit dem langwierigen Feuer lebendig gepeiniget, sondern
nach jedes Orts Sitt und Gewohnheit entweder strangnilirt
und versticket, oder mit dem Schwert zuvor enthauptet
und ihre todten Körper allen Anderen zum Schrecken
und guter richtiger Justicierhaltung ins Feuer und Aesche
gelegt werden. Dieweil eine christmilde und Gott liebende
Obrigkeit sich zu besorgen hat, es möchten etliche von
solchen Maleficanten, so sie alle lebendig sollen verbrennt
werden, aus Verbitterung oder grosser Kleinmüthigkeit
in gröbere Sund oder Verzweiflung gerathen und von
einem Feuer ins andere (dafür der gütige Gott seyn wolle )
wandern.**
Nach der Hinrichtung solcher bussfertigen Personen
schrieb man wohl auch, wie in Bamberg, ins Protokoll:
*) Processus juridicus contra sagas et veneficos, das ist etc. Posterior et
correctior editio. Permissu superiorum et privilegio S. Caes. Majest. Aschaffexi*
bürg 1629. Tit. XII. 3.
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 41^
Deus ter maximus faxit, ut haec mors, quam patienter et
fortiter sustinuit, sit ipsi vita, et quidem beata et aeterna ') !
Nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts sollte
der Verurtheilung wegen Zauberei auch die Confiskation
des Vermögens folgen 2). Die ersten Ausgaben der Ca-
rolina drücken sich indessen über die Zulässigkeit der Con-
fiskation im Allgemeinen so dunkel aus, dass es zweifel-
haft bleibt, ob es ausser dem Verbrechen der beleidigten
Majestät noch andere gibt, auf welche sie dieselbe ange-
wendet wissen will. Die Originalfassung des hierher ge-
hörigen Art. 2 1 8 wurde in der Folge durch sinnverändemde
Interpunktion und sogar durch Versetzung der Worte,
Ausstreichimg oder Verwandlung einer wesentlichen Ne-
gationspartikel auf das Willkürlichste entstellt, so dass der
Gegenstand bis in die neuere Zeit streitig geblieben ist 3).
So viel ist indessen gewiss, dass Karl V. die Gewohnheit
der Gütereinziehung in weiterer Ausdehnung vorgefunden
hat und in engere Grenzen zurückgewiesen sehen will.
Auch war es im sechszehnten Jahrhundert Grundsatz der
deutschen Juristen, dieselbe nur bei dem Majestätsver-
brechen, zum Theil auch bei der Ketzerei, zuzulassen'').
Nun war freilich ein weiterer Streit, ob die Zauberei vom
Gesichtspunkte der Ketzerei aufzufassen sei ; doch hat die
Carolina die Ketzerei gar nicht unter die bürgerlichen
Verbrechen aufgenommen, und wir erfahren durch Julius
*) V, Lamberg S. 9.
*) Sofern sie nämlich häretisch war. Decr, Gregor, Lib. V. Tit. VII.
Cap. 8 u. 13. Sext. Decr, Lib. V. Tit. II. Cap. 19. — Johann XXII. drohte
den Zauberern ausser der Bestrafung durch den ordentlichen Richter insbe-
sondere die Confiskation an.
*) S. Koch*s Vorrede zu seiner Ausg. der Carolina, Giessen 1769. Des-
selben Institut, jur. crim. §. 140. Giss. 1770.
*) Oifenbach in Fkhardi Consil, Tom. III. p. 116 ut taceam,
conüscationem hodierno tempore, jure novissimo (solo crimine majestatis laesae
et haereseos excepto) non obtinere, neque bona damnatorum vel delinquentium
judicibus aut eorum ofßciis lucro fieri, sed jure successionis ad proximos
haeredes transire eorumque esse, — und Fichard selbst Tom. II. p. 414*-
Bona damnatorum manent apud illorum haeredes, solo laesae
majestatis crimine excepto.
^I^ Sechszehntes Kapitel.
Clarus, dass der damaligen Gerichtspraxis zufolge die Ein-
ziehung der Hexengüter nicht Statt fand. Der trierische
Weihbischof Binsfeld, der um 1589 schrieb, betrachtet
dieselbe als durch die Carolina aufgehoben *), und so spricht
sich auch wieder Carpzov, gestützt auf die Novellen und
Art. 2 1 8 der Halsgerichtsordnung, den er jedoch sehr ver-
stümmelt, gegen die Confiskation aus, ohne übrigens zu
verkennen, dass manche Zweifel obwalten können *). Mel-
chior Goldast rechtfertigt dieselbe wiederum sehr ent-
schieden aus dem gemeinen Rechte überhaupt und aus der
Carolina insbesondere. Ihm zufolge sollen nach deutschem
Rechte die Güter der Verurtheilten demjenigen, der die
fraisliche Obrigkeit oder das Halsgericht hat, nicht dem
Inhaber der Landeshoheit als solchem, zufallen'). Was
aber auch die Theorie bestimmen mochte, die Praxis hat,
wie sich im Folgenden ergeben wird, stets bald unter dem
unverblümten Namen der Confiskation, bald imter dem
Titel der Prozesskosten das Vermögen der Verurtheilten
auszuplündern gewusst*). Binsfeld erlebte dergleichen
Confiskationen in seinem eigenen Vaterlande *), Ferdinand ü.
erliess nachdrückliche Verbote desshalb ein den Bischof
von Bamberg, gegen welchen Beschwerde eingekommen
war®), aber gleichzeitig nahmen die österreichischen Be-
amten im Breisgau das Vermögen der zu OfFenburg hin-
gerichteten Hexen weg '). Auch in Nördlingen verhängte
^) De confessionibus maleficonim et saganim. Trevir. 1589. 13.
•) Carpzov. Nov. Pract. rer. crim. P. III. Qu. 135-
') RechUiches Bedenken von Confiskation der Zauberer- und Hexen*GQtbcr.
Bremen 1661. (Abgefasst 1629 fQr den Kurfürsten von Trier.)
*) Jener Name kommt mehr bei den Katholiken, dieser mehr bei des
Protestanten vor. Leib (Consil. p. 136). der Ober das Sportuliren der
Richter in Sachsen klagt, nennt die Confiskation in diesem Lande etwas
Unerhörtes.
') Supplicio affectorum liberi exulabant, bona publicabantur. Lirndtn 10
Gest. Trevir. ed. Wyttenbach et MOIIcf. Tom. UL p. 54. Bhuftid a. *. O.
•) V, Lambtrg S, 20.
») //. Schnibcr, die Hexenprozesse im Breisgau S. 19. Oie SUdt Offe«-
bürg protestirte 1628 hiergegen. Ein vom Stadtrathe von Brftunlingen cinge*
hohes Rechtsgutachten sagt hierüber: „So viel der Hexen Hab und Gut u>
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe, ^i^
der Magistrat die Confiskation ^). Dergleichen Mass-
regeln mussten nun auch in den Instruktionen einige Be-
schönigung suchen. So sagt der mit Erlaubniss der Oberen
herausgegebene Processus juridicus contra sagas et vene-
ficos*): „So dann eine zauberische Person zum Tod und
zur gewohnlichen Leibesstrafe ist verurtheilet imd ver-
dammet worden, vergönnen an vielen Orten die Rechte,
dass ihre Güter dem Fisco und Rentseckel zugesprochen
imd überliefert werden, welche praxis und gemeiner Ge-
brauch jederzeit von den Doctoribus beider Rechten ist
für recht und gut erkannt worden." Es werden sodann
drei Gründe dafür angeführt: i) „weil diess ein gross imd
schwer exceptum crimen und ausgenommenes Laster ist,
bei welchem was zur Zeit beschlossen und gehandlet wird,
von der hohen Obrigkeit (ob es schon nicht ausdrücklich
in gemeinen Rechten verfasst und geschrieben ist) leicht-
lich entschuldigt und beantwortet wird;" — 2) weil die
Zauberer vom katholischen Glauben abgefallen, also Ketzer
sind; 3) weil sich mit der Zauberei gewöhnlich das Ver-
brechen des Dardanariats verbindet.
Auch in der Schweiz^), in Italien und Frankreich*)
findet sich die Confiskation der Hexengüter mehr oder
weniger; in Spanien fand sie zwar in der Regel nicht
Statt, doch ist Torreblanca (um 161 8) der Meinung, dass
diese Gewohnheit dem Rechtsgrundsatze, nach welchem
sie eigentlich geschehen sollte, nichts vergeben könne*).
Um durch einen aktenmässigen Beleg zu veranschau-
lichen, wie es mit der Nennung der Complicen herging.
langt, ist selbiges, wie an vielen und fast an allen österreichischen Orten von
Alter herkommen, der Obrigkeit verfallen.'* Schreiber S. 32.
*) Weng^ die Hexenpr. in Nördlingen. S. 24.
») Tit. XV. 7.
') Es geschah noch bei der 1782 zu Glarus verurtheilten Anna Göldi.
*) Z. B. bei dem 1634 zu Loudun hingerichteten Urbain Grandier. —
Henri Boguet, Oberrichter im burgundischen Gebiete St. Claude, der aus seinen
richterlichen Erfahrungen den sogenannten Code des sorciers zusammenstellte
(Ausgaben von 1602, 1603, l6o6, 1608 u, 1610), drang auf strenge Güter-
einziehung. CoUin de Plancy, Dictionnaire infernal v, Boguet.
*) Daemonol. III. 11.
^l5 SechszehDtes Kapitel.
geben wir anhangsweite folgenden Protokollauszug aus
einem buseckischen Prozesse.
„Actum den 29. Aprilis A. 1656.
Ward die P. Beklagtin befragt : Wer sie zum Leug-
nen beredet?
R. Das habe der bösse feindt gethan; sie solle leug-
nen, so wolle er ihr darvon helffen. Ihr Geist heise Hans
und seye ihr in rothen Kleidern mit einem federbusch
erschienen. Item ihr Hans (der Geist) seye vor wenig
Tagen einsmahls dess Nachts im gefangnus zu ihr kom-
men und angezeigt, dass Koch WUhelms Frau allhier dem
Meister von Grünbergk Hans Peter in einem Trunk Bier
mit Gift vergeben habe, dass er sterben solle, imdt wann
er todt seye, so werde keiner Hexen nichts weiter ge-
schehen. [Folgen einige weitere Aussagen über Einzel-
heiten des Sabbaths]. Von Coraplicibus zeigt sie an:
Zu Grossenbuseck : Born Johannes, Mewer Hansen
Fraw, Märten Anneis, Hof Melchors Fraw, Mewer Con-
radts Fraw, Nickels Stracken Fraw, der alten Kühe Hirtin
Jung Curt [folgen einige Specialitaten über denselben],
Logerbes Angels könne Wandtleus und die scheiden Möl-
lerin könne Meus machen, und Wilhelm Sammen Fraw
könne frösch und Schlangen machen Item Spar
Conradts Mägdlein, Schmidt Georg Fraw, Reichardt Hanes
Fraw die seye auch von ihrer Mutter in der Jugend hierzu
verführt worden. Item Reichardt Hanes Mägdlein, und seye
kein ärgeres allhier im DorfF. Merten Göbels Fraw, Lud-
wig Möllers Fraw und sein gros Mägdlein, Item Peter
Werners Fraw, Balzer Schmitts Wittib, des Herrn. Fraw
und Mägdlein, dem alten Schulmeister Johann Henrich
hab sie ohnrecht gethan undt wisse nichts bösses von
Ihme, habe ihn auch nicht beym Tanz gesehen. Matthäus
Stein von Bewem undt Sittich Otto allhier haben mit ihr
gedanzet und nach verrichteten Danz in Beyschlaf sich mit
ihr vermischet. Item Koch Wilhelms Fraw hab ihr der
P. Beklagtin auch erzehlet in Koch Crein Greben, dass sie
Nickels Schäfers Fraw allhier bezaubert und es ihr in
Bier ein und vergeben habe. Item habe sie den Reiskircher
Das gerichtliche Verfahren und die Strafe. 4 1 y
Pfarrherr als der Hexen Obersten am Hexen Danz be-
kannt, und habe es der P. Beklagtin ihr Geist Hans an-
gezeigt, dass sie Koch Wilhelms Fraw ihre eignen Pferdt
bezaubert habe. Eulen Johann.
Warumb sie P. Beklagtin gesagt, sie wolle auf keinen
Menschen sterben?
R. Der böse feindt wolle es nicht haben, dass sie
auf die Leuth bekennen solle.
Was sie dann von Lipp Bechtolds Fraw zu
sagen wisse?
R. Die Seye so gut als sie P. Beklagtin und könne
zaubern, habe auch den verstorbenen Magnus Fincken be-
zaubern heUFen, welches der P. Beklagtin ihr Geist gesagt
habe.
Ob sie den gewesenen Pfarrherm zu Reiskirchen am
letzt vergangenen Jacobi Nacht auch am Hexen
Conveni gesehn, und derselbe des Teufelsabent-
mahl gehalten habe?
R. Ja. [Von späterer Hand beigeschrieben] Na. Diesses
wird von Jost Haasen imd dem Jungen negirt.
Er habe ja zu Giesen gefangen gesessen, wie er dann
dort beym Tanz habe seyn können?
R. Er habe doch beim Tanz seyn können, der Teuffei
habe ihm wohl dahin bringen können.
[Von späterer Hand]. Na. Diesses similiter."
In dieser Weise gehen die Denunciationen fort. Es
werden aus Grossenbuseck noch weiter zwei Kinder, aus
Altenbuseck acht , aus Bersrod zwei, aus Reiskirchen zwei
und aus Albach zwei Personen namhaft gemacht. Hier
war Stoff zu einundvierzig Prozessen.
Soldan-Heppe, Hexenprosesse. 27
SIEBENZEHNTES KAPITEL.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexen-
prozesse und des Glaubens an Hexerei im sechs-
zehnten Jahrhundert.
Seit Innozenzens VIII. berüchtigter Bulle haben die
Hexenprozesse drei Jahrhunderte hindurch die Christenheit
5::ei?einivrt und geschändet.
Einer Seuche vergleichbar, griffen sie um sich, sprangen
au> einem Lande in das andere über, erreichten ihre Hohe-
runkte» um zeitweise wieder abzunehmen, und erwachten
da-m wMi Neuem mit einer Heftigkeit, welche die endliche
Vi's^une Krisis vorzubereiten bestimmt war. Kinder von
acht uuvl ii reise von achtzig Jahren, Arme und Reiche,
bMclhenren und Geschäftsleute, Bürgermeister und Rechts-
gelehrte» Aerzte und Naturforscher, Domherren und Mi-
»»-^ter» Marivmettenmänner und Schlangenzähmer haben den
Sv Nv iterhaufen bestiegen ; im Namen von Kaisem und Kr>-
•»\>;vM. YvM\ Bischöfen und Landjunkem sind die Bluturtheile
5^^eNi»rvvheu wonlen, imd was die päpstliche Bulle den
Ue\en zur Last legt, das ist wenigstens durch die Pro-
oxxo <ev:vn dieselben vielfaltig herbeigeführt worden :
Usl vv>n \lon>ohen und Thieren, Verödung der Dörfer»
l sv^!ei u?kI Weinberge, die ihre Bewohner und Bebauer
^♦1^ Kuhti^uitie schreiten, oder, um diesem zu entgehen.
Vi ^*'iv*»^ ^-^^"^^ Vaterlande den Rücken wenden sahen.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. aiq
Wer vermag sich des Entsetzens zu erwehren, wenn er
liest, dass eine etwa fiinijährige Verfolgung in dem kleinen
Stifte Bamberg sechshundert, in dem nicht viel grösseren
Bisthum Würzburg sogar neunhundert Opfer und eine nur
dreijährige in dem ganz kleinen Stift Fulda zweihundert-
fänfzig Opfer verschlang, dc^s im Braunschweigischen die
Hexenpfähle auf dem Richtplatze wie ein kleiner Wald
anzusehen waren, dass England einen General-Hexenfinder
hatte und dass die Juristen protestantischer, wie katho-
lischer Universitäten bis in's achtzehnte Jahrhundert Gnade
zu üben wähnten, wenn sie statt des Feuertodes aufs
Schwert erkannten ? Und das alles in einer Zeit, die als
reich gepriesen wird an Fortschritten geistiger Aufklärung,
als gross durch Thaten religiöser Begeisterung !
Um diess erklärlich zu finden, müssen wir, ehe die
verschiedenen Epochen im Verlaufe der Hexenprozesse
dargestellt werden können, den Charakter der Zeit, über-
haupt die allgemeinen Gründe des Umsichgreifens jenes
heillosen Wahns einigermassen beleuchten.
Wenn es sich nun hierbei vor AUem um die Frage
nach der wissenschaftlichen Bildung und Intelligenz jener
Zeit ii\ allen kirchlichen Dingen handelt, die sich mit den
allgemeineren Wissenschaften berühren, so kann unter den
Männern der Wissenschaft, denen wir am Ende des fünf-
zehnten und im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts
begegnen, kaum ein zweiter so vollwichtiger Gewährs-
mann imd Zeuge aufgerufen werden als der berühmte
Abt des Klosters Sponheim, Joh. Trithemius (1642 bis
1516), Verfasser der auf Befehl des Markgrafen Joachim
von Brandenburg ausgearbeiteten und am 16. Oktober
1508 vollendeten (vier Bücher umfassenden) Schrift Anti-
palus maleficiorum ^). Wie kein anderes Buch jener
Zeit ist dieser „Gegner der Zaubereien" geeignet uns über
die Stellung der damaligen Gelehrtenwelt zum Hexen-
glauben zu belehren.
*) Vgl. Silöernageis Monographie , Johannes Trithemius'* (Landshut, I868)
Abschnitt XIX. Wir folgen hier durchaus dem von Silbernagel gegebenen
Referat über das Buch.
^20 Sieben zehntes Kapitel.
Trithemius will mit seiner Schrift nicht etwa den
Hexenglauben bekämpfen; vielmehr steht ihm die That-
sache diabolischer Zauberei fest und er will nur zeigen,
wie der Christ sich gegen dieselbe zu schützen vermag.
Unter den Zauberern und Hexen, welche durch die Hülfe
böser Geister und durch allerlei Zaubertränke den Men-
schen Schaden zufügen, sind nach ihm vier Klassen zu
unterscheiden, nämlich i) solche, welche ohne ein Bünd-
niss mit dem Teufel eingegangen zu haben, durch Gifte
und andere natürliche Mittel, diejenigen Menschen, die sie
hassen, schädigen, indem sie z. B. die Männer beischlafs-
unfähig machen, den Gebärenden Noth bereiten, auch
sonstige Krankheit, ja sogar den Tod durch ihren Zauber
bewirken; 2) solche, welche durch die Kunst der sogen.
Encunctica, d. h. durch geheimnissvolle, abergläubische
Worte, Formeln und Zeichen übernatürliche Wirkungen
hervorbringen wollen; 3) solche, die, ohne sich den Teu-
feln ergeben zu haben, doch mit ihnen verkehren und wie
die Nekromantiker zur Ausführung ihrer Zaubereien sie
um Hülfe anrufen; imd 4) solche Zauberer und Hexen.
welche mit dem Teufel einen eigentlichen Bund abge-
schlossen und sich ihm zu eigen gegeben haben. Diese
vermögen nicht bloss wie die Unholde der dritten Klasse
Menschen zeugungsunfähig und blind zu machen, ihnen
Kopfschwindel zu bereiten, Unwetter hervorzurufen u. dgl.,
sondern mit Hülfe des Teufels können sie auch Pest,
Fieber, Epilepsie, Taub- und Lahmheit bewirken, Menschen
wahnsinnig und in allerlei Weise elend machen. Diese
Art der Hexen, welche mit dem Teufel sich sogar fleisch-
lich vermischt, ist wegen ihrer Gottlosigkeit und Verderb-
lichkeit mit dem Feuertode zu bestrafen, „Und leider ist
die Zahl solcher Hexen in jeder Landschaft sehr gross,
und es gibt kaum einen noch so kleinen Ort, wo man
nicht eine Hexe der dritten und vierten Klasse fände.
Aber wie selten findet sich ein Inquisitor und wie selten
(fast nirgends !) findet sich ein Richter , der diese offen-
baren Frevel gegen Gott und die Natur rächt ! Es sterben
Menschen und Vieh durch die Niederträchtigkeit dieser
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. a21
Weiber, xmd Niemand denkt daran, dass es durch die
Bosheit der Hexen geschieht. Viele leiden fortwährend
die schwersten Krankheiten und wissen nicht, dass sie
behext sind!" —
Trithemius sucht nun klar zu machen, dass diejenigen
der Bosheit der Hexen am meisten preisgegeben sind,
welche die Sacramente der Kirche verachten und in Tod-
sünden dahinleben, welche der Unzucht fröhnen und die
geweihten Heil- und Schutzmittel der Kirche verschmähen ;
wogegen allen Dienern der Gerechtigkeit, welche die
Hexen aufsuchen und verfolgen, allen gläubigen Christen,
welche sich der Sacramente und der Segnungen der Kirche
bedienen imd sich vor Todsünden hüten, sowie allen denen,
die Gottes Barmherzigkeit durch die Engel besonders be-
hüten lässt, die Hexen nicht leicht etwas anhaben können.
— Er warnt davor, dass man Frauen, die einigermassen
wegen Hexerei anrüchig wären, zu Hebammen bestelle.
Denn diese brächten nicht selten die Kinder um und opfer-
ten sie dem Teufel ; auch vermählten sie neugeborene
Mädchen den Dämonen, machten die Gebärenden un-
fruchtbar und erfüllten das ganze Haus mit Teufelsspuk.
Taufwasser mischten sie mit Urin, und was sie mit dem
Sacrament des Leibes Christi verübten, lasse sich gar nicht
aussagen. Desshalb haben die Priester bei der Austheilung
der Communion sorgfältigst darauf zu achten, dass ver-
dächtige Weiber die empfangene Hostie nicht etwa wieder
aus dem Munde herausnehmen, weil sie dieselbe sonst in
der scheusslichsten Weise missbrauchen. — „Willst du,
o Christ, vor Dämonen imd Hexen sicher sein, so stehe
fest im Glauben an Christus und halte dein Gewissen von
Todsünden rein. Besuche an allen Sonn- und Feiertagen
die heil. Messe und lass dich vom Priester mit Weih-
wasser besprengen. Nimm geweihtes Salz in deinen Mund
und besprenge mit Weihwasser auch dein Haus, dein Bett
sowie deinen Viehstall. Die geweihten Lichtmesskerzen,
die an Maria Himmelfahrt geweihten Kräuter sowie die
am Palmsonntage geweihten Zweige hänge über der Thüre
deines Hauses auf. An den Freitagen und Sonnabenden
42 2 Siebenzehntes Kapitel.
der vier Quatemberfeste durchräuchere dein ganzes Haus
mit Rauch von geweihten Kräutern und Palmen. Früh-
morgens, wenn du dich vom Lager erhebst, bezeichne dich
mit dem Zeichen des Kreuzes, imd ehe du issest oder
trinkst oder aus dem Hause gehst, bete ein Pater noster,
ein Ave Maria imd den Glauben. Dasselbe thue Abends,
wenn du zu Bett gehst. Denn wenn du so lebst, wird
keine Hexe über dich Gewalt haben*)."
Ausserdem empfiehlt Trithemius noch allerlei beson-
dere Schutzmittel. Zur Herstellimg eines derselben ist
Wachs von Lichtmess- imd Osterkerzen, Weihrauch, der
zu Ostern, Kräuter, die an Maria Himmelfahrt, Hostien,
die am Gründonnerstag geweiht sind, sowie Friedhofserde,
Weihwasser und benedicirtes Salz erforderlich. Die Kräuter.
Hostien und die Friedhofserde werden pulverisirt und in
warmem Weihwasser mit dem Wachs zu einer Masse ver-
mengt, wobei man über dieselbe das Pater noster, das
Ave Maria und das Credo betet. Aus dieser Masse werden
nun in gewärmtem Weihwasser kleine Kreuze bereitet,
die man mit Aussprechung der drei heiligsten Namen über
den Thüren des Hauses, der Kammern und des Stalles,
auch an der Wiege anbringt und ausserdem am Halse tragt.
Zur Aufhebimg des Zaubers und der durch denselben
verursachten Leiden und Uebel dienen die mancherlei
Exorcismen der Kirche. Als besonders wirksam empfiehlt
Trithemius ein Bad, welches er in folgender Weise .be-
schreibt: Der Behexte legt eine Generalbeichte ab, und
empfangt die Communion, entweder in der Kirche (wenn
er dahin gebracht werden kann,) oder in seinem Hause,
wo dann der Priester die Messe de S. Trinitate mit be-
sonders eingelegten Gebeten auf einem Tragaltar liest
Das Bad ist an einem verborgenen Orte in einer reinen
Badewanne mit Flusswasser herzurichten. In das letztere
*) Trithemius spricht hier — nur in anderen Ausdrücken ganz ehen.v
wie weiland der Heide Plutarch (s. oben den Schluss des 5. Kap.) und wit
Kob(rU über die heidnischen Hindus und wie Ltn^rmami über die heidnischra
Akka<ier berichtet (s. oben den Anfang des 3. Kap.),
Allgemeine GrQnde der VerbreitUDg der Hexenprozesse etc. a2x
sind Weihwasser, geweihtes Wachs und Salz, geweihte
Asche, geweihte Pahnen, geweihte Friedhofserde und
neunerlei Kräuter zu thun. Der Mann steigt in die Wanne
nackt, das Weib mit einem Hemd angethan, worauf der
Priester die Wanne unten, in der Mitte und oben mit je
einer dreifachen Lichtmesskerze beklebt. Sodann bereitet
er aus Weihwasser, geweihtem Salz und einem zurück-
behaltenen Theile der Friedhofserde einen Teig und bindet
denselben unter Gebet dem Kranken auf den leidenden
Körpertheil. Der Behexte ruft dann, im Bade sitzend, die
gottliche Hülfe an, während der Priester verschiedene
Exorcismen über ihn spricht und die kranke Stelle mit
einem Wasser wäscht, welchem Ysop zugesetzt ist. Hierauf
weiht der Priester fiir den Kranken einen Wein, stellt aus
achtimddreissig Pulvern das sogen, vollkommene Wachs
in Form eines Kjreuzchens her, schUesst dasselbe in eine
Nussschale ein, welche in ein Tuch eingenäht und so um
den Hals gehängt wird. Ebenso macht er aus dem ge-
weihten Wachse noch andere Kreuzchen, die er an die
Thüren, an das Bett, an den Tisch etc. im Hause des Be-
hexten befestigt. Dieses Bad hat der Kranke neun Tage
hintereinander zu gebrauchen. Während dieser ganzen
Zeit darf er nichts anderes trinken als den fiir ihn bene-
dicirten Wein und ausserdem hat er Morgens und Abends
das Pulver des Eremiten Pelagius in warmem Wein oder
in Brot zu nehmen und dabei sich Vor jeder Sünde zu
hüten. Ist nach Ablauf der neun Tage der Kranke ge-
sund geworden, so wird er in die Kirche geführt um Gott
zu danken. Doch darf er das um den Hals gehängte
Kreuz von Wachs vor Ablauf der nächsten zwölf Monate
nicht ablegen und ebenso hat er die übrigen Kreuzchen
an ihren Stellen zu lassen. Ist aber nach neun Tagen der
Zauber noch nicht gehoben, so muss dafür Sorge getragen
werden, dass fromme Leute fasten, beten, Almosen geben,
dass neun Tage lang für den Behexten Messe gelesen
wird etc. Bleibt der Zauber auch dann noch, so muss die
Wohnung gewechselt werden, das Fasten und Beten muss
vermehrt, die Exorcismen wiederholt werden u. s. w. —
^24 Siebenzehntes Kapitel.
So sehen wir das Denken des Trithemius von dem
Glauben an Zauberei vollständig beherrscht. Der Dämo-
nismus tritt bei ihm geradezu als der bestimmende ^ßttel-
punkt seiner Gedankenwelt, seiner ganzen Weltanschauung
hervor. Und dieselbe Wahrnehmung bietet sich uns so
ziemlich bei allen Repräsentanten des Kulturlebens jener
Zeit dar. Das ürtheil über den Causalzusammenhang der
Dinge gestaltete sich ganz nach den überlieferten Vor-
stellimgen des Dämonismus. In der Theologie erwuchs
hiemach die Lehre vom Teufel, von dem Reiche und der
Wirksamkeit desselben in der Weise, dass dieselbe in die
ganze Glaubenslehre der Kirche und in das ganze Glau-
bensleben der Glieder der Kirche tief eingriff. Aber auch
in den anderen Wissenschaften, namentlich in der Philo-
sophie und in der Naturwissenschaft machte diese dämoni-
stische Weltanschauung ihre Einwirkung geltend. Ueberall
begegnen wir der Neigung zum Magischen und zu allerlei
theosophischen und theurgischen Mysterien.
Das sechszehnte Jahrhundert und die erste Hälfte des
siebenzehnten trägt eine vorherrschend theologische
Färbung, die sich auch den nichttheologischen Wissen-
schaften und der Politik mittheilte. Reuchlin und Georg
Venetus erhoben nach Pico*s von Mirandola Vor-
gang mit einem Aufwände glänzender Gelehrsamkeit die
Kabbalah, um durch diese wieder ihrer Gelehrsamkeit eine
höhere Weihe zu geben. Wenn die Mönche über das
Unchristliche von Reuchlin's Studien schrieen, so hatten
sie wenigstens nicht in Allem Unrecht; dieselben hingen
zum Theil zusammen mit dem Streben, eine edlere Art
der weissen Magie darzustellen *). Das Dämonologe und
Theosophe gedieh und trat selbst in die Physik ein, so
dass im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert alles
Wissen von der Natur und deren Kräften noch in den
Nebel der Magie, Alchymie und Astrologie eingehüllt war.
') Ueber Reuchlins Einfluss auf das sechszehnte Jahrhundert in Beziehung
auf magische Vorstellungen s. Meiners Histor. Vergleichung der Sitten des
Mittelalters etc. Th. III. S. 279 ff.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. 425
Selbst Melanchthons Initia doctrinae physicae beruhten
durchaus auf dem Glauben an den Teufel und dessen
Diener, welche über die Dinge der Natur Gewalt hätten.
Der geniale Abenteurer Agrippa von Nettesheim*)
verkündete seine sogenannte natürliche und himmlische
Magie als Vollendung der Philosophie, als den Weg zur
wahren Vereinigung mit Gott. Von der Verträglichkeit
seiner occulta philosophia, die er in der That nur als eine
Magie im besseren Sinne des Worts gibt *), mit den Grund-
sätzen der katholischen Kirche will er vollkommen über-
zeugt sein ; liest man aber, was er z. B. vom Binden xmd
Bannen der Liebe, des Hasses, eines Heeres, eines Diebes
oder des Blitzes sagt*), so findet man sich so ziemlich
unter dieselben Dinge versetzt, welche der ältere Plinius
seinen Lesern als vanitates magicas vorfuhrt. Niemand
hat blendender diese Geheimnisse zu empfehlen gewusst,
als Agrippa in seiner occulta philosophia. Niemand aber
hat sie auch in jenem Zeitalter beissender gegeisselt, als
er selbst etwas später in seinem Buche de vanitate scien-
tianim that. Mundus vult decipi ! Das Zeitalter klebte
eigensinnig an der ersteren Schrift, an welcher des Ver-
fassers Ehrgeiz und Gewinnsucht nicht weniger Antheil
hatten, als seine Schwärmerei, und schmähte auf die zweite,
welche die ehrlichen Bekenntnisse eines zur Besinnung
*) Ueber ihn s. Meiners a. a. O. Th. III. S. 291 ff.
^ Magica facultas potestatis plurimae compos, altissimis plena mysteriis,
profundissimam rerutn secretissimarum contemplationem , naturam, potentiam,
qualitatem^ substantiam, virtutem totiusque naturae cognitionem complectitur,
et quomodo res inter se differunt et quomodo conveniunt nos instruit, hinc
mirabiles effectus »uos producens, unicndo virtutes rerum per applicationem
earuiii ad invicem et ad sua passa congruentia, inferiora superlorum dotibus
ac virtutibiis passim copulans atque maritans. Haec perfectissima summaque
scientia, haec altior sanctiorque philosophia , haec denique totius nobilissimae
philosophiae absoluta consumroatio. Nam cum omnis philosophia regulativa
divisa sit in physicam, mathematicam et theologiam, — — has tres
imperiosissimas facultates magia ipsa complectitur unitque atque actuat ; merito
ergo ab antiquis summa atque sanctissima scientia habita est. — Occulta
philos. lib. I. cap. 1.
•) Occult. philos. lib. I. cap. 40.
426 Siebenzehntes Kapitel.
gekommenen grossen Geistes darlegt. — Gleichzeitig mit
Agrippa wirkte Paracelsus ; obgleich seine Richtung mittel-
bar zur chemischen Schule der Medizin hinführte, so grün-
dete er doch immittelbar nur die theosophische ^). Theurgie,
Astrologie und Alchymie schlössen sich an; das Ganze
erreichte im siebenzehnten Jahrhundert durch Robert Fludd
und die Rosenkreuzer seinen Höhepunkt. Diese geheimen
Lehren und Künste wussten sich zu adeln und selbst an
den Fürstenhöfen Eingang zu gewinnen; eine Menge durch
die Mönche untergeschobener mystisch -alchjonistischen
Schriften unter dem Namen des Hippokrates, Galenus,
Avicenna und Andrer war im Umlaufe.
In demselben Boden aber, der diesen Glauben an
Theurgie und ihr Verwandtes wuchern liess, musste auch,
so scheint es, der Glaube an dämonische Zauberei als na-
türlicher Gegensatz von selbst schon tiefere Wurzel schlagen
können ; um so mehr aber, wenn es gerade die theosophi-
sehen Schwärmer und Gaukler ihrer eigenen Sicherheit
forderlich fanden, diesen Gegensatz recht hervorzuheben.
Reuchlin, Franz Pico und Paracelsus waren fest von
der Wirklichkeit des Hexenwesens überzeugt. Cardanus,
der Astrologe und Chiromantiker, läugnete zwar die Wirk-
lichkeit des Sabbaths, räumte aber eine strafbctre Apostasie
und das Dasein gemeinschädlicher Künste in dem Treiben
der Zauberer ein. Mag es sein, dass dieser Glaube bei
\nelen Gelehrten gerade auf dasjenige sich stützte, was
nun einmal als eine durch Folter und Bekenntniss gericht-
lich erhobene Thatsache galt: so ist doch nicht zu ver-
konnen, welchen Einfluss die Ansicht der ersten Gelehrten
ihrer Zeit wiederum auf das Gerichtswesen und die Ge«
staltung der öiFentUchen Meinung üben musste.
In der Jurisprudenz herrschte ein Geist engherriger
Hesohränktheit, aller philosophischen Betrachtimgsweise
haar und ledig, theils an den Satzung^en des romischen
und kanonischen Rechts haftend und in die müssigsten
M vV*»/<«y/.V Verbuch einer prAgmitischen Geschichte der An&eikunde,
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. 427
Spiele der Dialektik sich verirrend, theils in den theologi-
schen Begriffen der Zeit befangen. Was von Franzosen
und Italienern Erfreuliches geleistet wurde, bezog sich auf
das Civilrecht. Die Strafrechtspflege, finster und streng
wie sie war, begnügte sich nicht, den Schutz der bürger-
lichen Gesellschaft zum Ziele zu haben, sie fühlte sich zum
Organ der göttlichen Strafgerechtigkeit berufen ; der Eifer
galt als ein grösseres Lob, als Besonnenheit und vorur-
theilfreies Abwägen. Der Jurist forschte nicht nach der
Möglichkeit der Zauberei; er hielt sich einfach an seinen
Justinianeischen Codex und an die Bibel. In der letzteren
fand er das Gebot: „die Zauberer sollst du nicht leben
lassen." Hierin lag ihm ein göttliches Zeugniss für die
Existenz der Zauberei. Ob aber die moderne Hexerei mit
demjenigen, was der Pentateuch und das römische Recht
als Zauberei verpönen, zusammenfalle oder nicht, das war
nicht Gegenstand seiner Prüfung; die Bejahung wurde
vorausgesetzt, Streitigkeiten über das Einzelne blieben den
Theologen überlassen. Nehmen wir hierzu noch die weit-
verbreitete Unwissenheit und unbewachte Willkür vieler
Richter^), besonders der Justitiarien in den kleinern Ge-
bieten, so haben wir das Bild der Gerechtigkeitspflege im
sechszehnten und siebenzehnten Jahrhundert in traurigster
Gestalt. Einzelne Ausnahmen — z. B. der in der Refor-
mationszeit lebende Jurist Johannes Franz de Ponzi-
nibius aus Piacenza, der die Möglichkeit eines Bundes
mit dem Teufel in Zweifel zog, — können nicht in Be-
tracht kommen. Was die Carolina Dankenswerthes bot,
ist in der Praxis arg verkümmert worden.
Die Medizin endlich, ohne feste physiologische und
pathologische Grundlage , klebte am Altüberlieferten und
machte sich aus der Macht des Teufels einen Schild gegen
alle Vorwürfe. „Inscitiae pallium maleficium atque incan-
tatio," — war nach Reginald Scot das Motto der Aerzte
im sechszehnten Jahrhundert. Weier, der selbst Arzt
*) Für Deutschland Beispiele anzuführen, ist Ueberfluss; für Schottland
bezeugt es PV, Scott Br. üb. Dämonol. Thl. II. 150.
^28 Siebenzehntes Kapitel.
war, widmet in seiner Schrift über die Hexerei ein eigenes
Kapitel der Ausführung* des Satzes , ,,dass die ung-elehrten
Schlingel in der Medizin und Chirurgie jr Unwissenheit
\md fehler dem verzaubern oder veruntrewen und den
Heiligen zuschreiben"*). Van Helmont (geb. 1577), der
die medizinische Chemie auf ihren Höhepunkt brachte,
hegte doch den festen Glauben an Metallverwandlung, an
den Stein der Weisen, fasste Donner, Blitz, Erdbeben,
Regenbogen und emdere Naturerscheinungen als Wirkungen
einzelner Geister auf u. s. w. — Der Londoner Arzt Ro-
bert Fludd (t 1637), der berühmteste imter den Rosen-
kreuzem, leitete die Entstehung der Krankheiten von
bösen Dämonen her, gegen die der gläubige Arzt zu
kämpfen habe. In jedem Planeten hause ein Dämon, und
so gebe es satumische, jovialische, venerische, martialische
und mcrcurialische Dämonen, welche ihnen gemässe Krank-
heiten erzeugen» — Der Rostocker Professor Sebastian
Wird ig {i 1687) sah zwei Arten von Geistern durch die
ganze Natur verbreitet, deren sich auch im menschlichen
Körper befanden und mit den Geistern der Luft in den
Gestirnen in Gemeinschaft ständen, durch deren Einfluss
sie regiert würden. WHe Thomas Campanella, Fludd u. A.
gibt auch Wirdig der Wärme, Kälte, Luft einen Geist und
leitet die Krankheiten von den zornigen und rachsüchtigen
Ginstern der Luft und des Firmaments her. Er vertheidigt
die Wünschelruthe wie die Nekromantie und findet die
IVweise üi bibUschen Sprüchen. Beispiele ähnlicher Art
Hosson iiich aus der Geschichte der Medizin und der Natur-
\snssonschafton in Menge anfuhren. Denn das Denken selbst
dor Kor\"phaen der \\1ssenschaft war bis über das sieben-
lohnio Jahrhundert hinaus vom Aberglauben so beherrscht,
d^ss nutit in dem Verlaute und Zusammenhange natürlicher
Dinjjx'^ niohi dos Xaturgesett» sondern das geheimnissvoUe
umi XM\l\<*unUv"ho W\üten \-erborgener Geister und dämo»
ni>ot\or Maohto s*\h*^»
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. 429
Unter diesen Umständen wird es erklärlich, warum
die Reformation Hexenglauben und Hexenprozesse nicht
gestürzt hat. Sie Hess beide bestehen, wie sie den Glauben
an den persönlichen Teufel bestehen liess. In diesem
Glauben erhitzte sich der Eifer gegen die Verbündeten
des Teufels um so mehr, je weniger eine Religionsge-
nossenschaft der andern im Abscheu gegen das Diabolische
nachstehen wollte; imd so rasten die verschiedenen Par-
teien der Protestanten untereinander selbst und mit den
Katholiken um die Wette. Zwar will Walter Scott be-
merkt haben, dass in England unter hervortretendem cal-
vinistischen Uebergewichte die Hexenprozesse immer zahl-
reicher gewesen seien, als unter dem des anglicanischen
Klerus, und es ist richtig, dass im sechszehnten Jahrhtm-
dert England verhältnissmässig nur wenige Hinrichtungen
kennt; aber Jakob's I. Blutgesetze, die im siebenzehnten
so viele Gräuel brachten, gingen doch nicht von den Cal-
vinisten aus. Weiter ist es Thatsache, dass der reformirte
Theodor Beza den französischen Parlamenten den Vor-
wurf der Lässigkeit in den Hexenprozessen machte; aber
der katholische Florimond de Remond, weit entfernt,
den fanatischen Eifer seines Gegners zu tadeln, beeilt sich
nur, das behauptete Faktum in Abrede zu stellen, indem
er auf die zahllosen Opfer hinweist, die er als Parlaments-
rath zu Bordeaux täglich zum Feuer verurtheilen half.
Arge Verblendung aber ist's, wenn es noch neuerdings
ein katholischer Schriftsteller versucht hat, fiir die Ver-
breitimg der Hexenprozesse nicht der geistlichen Inqui-
sition und den päpstlichen Bullen, sondern der Reformation
und dem Beispiele der Protestanten eine besondere Rolle
zuzuweisen und Ignaz Schmidt's verkehrter Ansicht,
als wenn Luther's Vorstellungen von der Gewalt des Teu-
fels das Uebel verschuldet hätten, irgend einige Aufmerk-
samkeit zu schenken 1). Luther hat die Lehre vom Teufel
') Jos, Niesertf merkwürdiger Hexenprozess gegen den Kaufmann G. Köb-
bing, an dem Stadtgerichte zu Coesfeld im Jahre 1632 geführt. Coesfeld 1827.
Vorrede S. XI. ff.
^^O Siebenzehntes Kapitel.
aus der katholischen Kirche herübergenommen, aber frei-
lich so, dass dieselbe in ihm nach zwei Seiten hin eine
ganz neue, und zwar gegen den dämonischen Aberglauben
der Kirche sich abschliessende Gestalt gewann. Denn
i) fasst Luther den Teufel wesentlich als Werkzeug des
göttlichen Zornes über die Sünde, als Mittel der Straf-
gerechtigkeit Gottes auf, so dass sich die Gewalt des
Teufels nicht weiter als das Zomgebiet Gottes erstreckt,
auf welchem Gott ihm „Raum lässt"; und 2) sieht Luther
die Stellung des Christen im Kampfe mit dem Teufel ganz
anders an als die Kirche es that. Diese betrachtete den
Kampf gegen den Teufel als ein rein äusserliches Vor-
gehen, welchem sich der Christ der ihm von der Kirche
gebotenen Mittel, nämlich bestimmter Gebetsformeln, des
Weihwassers, der Nennung des Namens Jesu, des Kreuzes-
zeichens u. s. w. bedienen sollte. Luther dagegen ver-
legte den Kampf in das Innere der Seele, wo sich der
Christ durch anhaltendes Gebet, durch immerwährende
Busse, durch stetes Wachsen im Glauben imd in der Ge-
meinschaft mit Gott sich gegen alle Anläufe des Bösen
schirmen und sich mehr und mehr zum Siege über den-
selben erheben sollte'). Darum kann von Luther nicht
gesagt werden, dass er durch seine Lehre von der Gewalt
des Teufels das Uebel der Hexenverfolgung verschuldet
habe. Ist es doch auch unumstössliche Thatsache, dass
die katholischen Länder, und zwar unter päpstlicher Auc-
torität, den Hexenprozess nicht nur geraume Zeit vorher
betrieben, ehe Luthers Reformation begann, sondern auch
dass das Uebel in keinem protestantischen deutschen Lande
jemals eine gleiche Höhe erreicht hat, wie in den Gebieten
der katholischen Länder und namentlich der geistlichen
Fürsten ! Allein der Parteihass liess die katholischen
Polemiker dieses nicht erkennen.
Wenn der Jesuit Delrio Leute nennen wollte, die im
Hexenglauben heterodox seien, so fehlten Luther und Me-
lanchthon nicht leicht*). Der Pater Angelicus Preati,
>) S. die zahlreichen Belege bei Roskoff, B. IL S. 365—377.
') Disquis. mag. 1. 11. qu. l6.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. ^^i
indem er die Realität der Hexenfahrten als Dogma ver-
ficht, nennt das Leugnen der Zauberei eine Nachfolge
Luthers und Melanchthons; der Pater Staidel setzt den
Zweifel an der Hexerei einer ketzerischen Verleugnung
der Firmung gleich; der Pater Concina wirft abermals
die Meinung, dass es keine Hexen gebe, Luthem, Me-
lanchthon imd ihren „Spiessgesellen" vor i), und der Pater
Agnellus März wiederholt diess, indem er den münchener
Akademiker Sterzinger, der den Hexenglauben be-
kämpft, zu verketzern sucht *). Torreblanca endlich zählt
Luther nebst Huss und Wicleff unter denjenigen auf,
welche sich gegen die Bestrafung der Hexen desswegen
ausgesprochen haben sollen, ut se et suos contra Pontificem
Maximum et potestates temporales tueantur*).
Die genannten Väter, deren Zahl wir, wenn sie nicht
so schon genügte, leicht noch beträchtlich vermehren könn-
ten, haben eben so wenig Recht gehabt, als HerrNiesert
mit seiner entgegengesetzten Ansicht. Luther hat nir-
gends den Zauberglauben eigens abgehandelt; wo er bei
Veranlassungen auf denselben zu reden kommt, da ergibt
es sich, dass er ihm, jedoch mit Beschränkungen, ergeben
ist*). Die Incuben und Succuben räumt er mit besonderer
Beziehimg auf Augnstins Auctorität ein , weil der Satan
gerne den Menschen in der angenommenen Gestalt eines
Jünglings oder einer Jungfrau betrügen möge; dass aber
aus solchem Umgange irgend etwas erzeugt werden könne,
stellt er in Abrede*). Femer glaubt er, dass der Teufel
im Stande sei, Kinder zu stehlen und anderwärts unterzu-
schieben (Wechselbalge, Kielkröpfe)*). Die Hexenfahrten
') Deir Osa, die Nichtigkeit der Zauberei, Frankf. 1766. S. 262.
') Urtheil ohne Vorurtheil etc. 1766. S. 57.
') Daemonol. III. 1.
*) Man findet Luthers Ansichten im Wesentlichen an folgenden Orten
ausgesprochen: Auslegung des l. B. Mos., Gap. 6, V. l. — Ausführl. Erkl.
der Epistel an die Galater, Cap, 3. V. 1. — Kürzere Erkl. dieser Epistel.
ebendas. — Tischreden Cap. XXIV. u. XXV.
») Erkl. der Genesis, 6. 1. Tischreden, XXIV. §. 94 ff-
•) Ebendas.
AX2 Siebeszeliotes Kjipitel.
erklart er, wie Melancbthon, for Einbfldung ; aber er ist
für die strengste Bestrafung- der Zauberinnen, welche Leib
und Grut ihres Nächsten beschädigen, und will sie zum
Scheiterhaufen gefuhrt sefa^i ^). In einem concreten Falle,
über welchen er befragt wurde, zeigte er sich vorsichtig,
obgleich nicht völlig al^eneigt, an das berichtete Teufels»
bündniss zu glauben. Er schrieb zurück: Rogo te, onmia
velis certissime explorare, ne subsit afiquid doli
Xam ego tot fucis, dolis, technis, mendaciis, artibus etc.
hactenus sum exagitatus, ut cogar difficQis esse ad cre>
dendum. Quare vide et prospice tibi quoque, ne
fallare et ego per te fallar').
Um Luthers Verhältniss zu den Hexenprozessen mit
wenigen Worten auszusprechen, so stand er immittelbar
zu dem Gange derselben in gar keiner Beziehung, mittel-
bar aber allerdings dadurch, dass er nicht noch weit d\irch-
greifender reformirte, als er wirklich gethan hat.
In Süddeutschland meinte der Reformator Schwabens,
Joh. Brentz zu Stuttgart, man müsse wenigstens noch
alle diejenigen Weiber unter das Schwert bringen^ die es
im Ernste versucht hätten, zauberische Werke zu ver-
richten'), wogegfen die Jülich-Clevische Kirchenordnung
von 1533 alle Zauberei, Wahrsager und Beschworer als
Gotteslästerer behandelt wissen wollte. Diese Kirchen-
ordnimg war theilweise das Werk des Konrad v. Heres-
bach, der von jeher die für „Götzendiener** hielt, „welche
wähnen, ein Geschöpf könne in eine andere Grestalt ver-
wandelt werden"^).
Uebrigens war Brentzens Meinung* von der Hexerei
nicht die des Hexenhammers. Er sagt in einer Predigt
von 1564 über das Wettermachen der Hexen, „dass die
Unholde Hagel, Ungewitter und andere böse Dinge zu
machen, zu erregen imd aufzubringen, g'ar keine Gewalt
haben, sondern, dass sie vom Teufel damit aufg'e-
«) Tischreden Cap. .\XV.
') Angelt Annales Marchiae Branden burgicae, pag. 326.
*) IVolUrs, Konrad v. Heresbach, S. 154,
*) Ebendas. S. 152.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Uexenprozesse etc. a2^
zogen und verspottet werden, der ihnen weiss macht,
sie hätten solches gethan. Denn in dem Augenblicke, wo
der Teufel weiss, dass ein solches Wetter kommen wird,
gibt er einer Hexe ein, dass sie ein solches herbeibe-
schwören müsse, um sie in ihrem Glauben zu stärken/* —
Als Servedezu Genf auf dem Scheiterhaufen stand, redete
Farel die versammelte Menge mit den Worten an : „Sehet
ihr wohl, welche Gewalt dem Satan zu Gebote
steht, wenn sich ihm Einer einmal überlassen hat!
Dieser Mann ist ein gelehrter Mann vor Vielen und viel-
leicht glaubte er recht zu handeln; nun aber wird er
vom Teufel besessen, was euch ebenso wohl ge-
schehen könnte!"
Jene Disposition des Zeitalters, wie wir sie darzulegen
versucht haben, bildete indessen nur die allgemeine Grund-
lage, auf welcher niedrige Motive jeder Art ein um so
freieres Spiel zur Verbreitung des Uebels entwickeln
konnten.
Vor allem knüpfte sich an die Bestrebungen der
hierarchischen Reaction fortwährend der alte kirch-
liche Macchiavellismus. Zwar war ein grosser Theil
Deutschlands für Rom unwiederbringlich verloren imd
ausser dem Bereiche der Inquisition ; aber es musste dafür
gesorgt werden, dass die immer weitergreifenden Fort-
schritte der Reformation gehemmt, die noch schwankenden
Länder gerettet würden. Dem Andringen des protestanti-
schen Geistes gegenüber führten daher die Jesuiten überall
das Gespenst des Hexen thums als schreckendes Medusen-
haupt vor. „Nur die Unverschämtheit kann leugnen, sagt
Delrio in der Vorrede, dass die Zaubergreuel den
Ketzereien auf dem Fusse folgen, wie der Schatten dem
Körper; die ganze Seuche kommt hauptsächlich von der
Vernachlässigung und Verachtung des katholischen Glau-
bens." Dann weist er darauf hin, wie schon die Gnostiker
und andere Sekten des Alterthums Zauberer gewesen seien,
schiebt eine Stelle aus TertuUian in das VordertrefFen und
nähert sich mit behutsamer Taktik dem eigentlichen An-
Soldan-Heppe, Hexenprozesie. 2^
434 Siebenzehnles Kapitel.
grifFspunkte. „Erst haben die Hussiten Böhmen, dann die
Lutheraner Deutschland überzognen. Welche Zaubergreuel
jenen nachfolgten, haben die Inquisitoren Nider und Sprenger
dargethan; welche Ströme von Hexen aber die letzteren
ausschütteten, davon wissen diejenigen zu erzählen, die,
gleichsam eingefroren in jene arktische Kälte, vor Furcht
erstarrt sind ; denn kaum gibt es dort noch irgend etwas,
was frei und unbeschädigt wäre von jenen Bestien oder
vielmehr Teufeln in Menschengestalt" Sodann wird ver-
sichert, dass man auf den Alpen kaum noch ein Wöb
treffe, das nicht eine Hexe sei, weil daselbst die Reste der
Waldenser sich versteckt hielten. In der Schweiz, in
Frankreich, England, Schottland und Belgien muss der
Calvinismus das ganze Uebel tragen; auch auf die soge-
nannten Politiker Italiens wird ein Seitenblick geworfen.
Ganz im Einklänge hiermit ist es, wenn man im Trieri-
schen Leute auf der Folter bekennen liess, dass sie zu
jener Zeit angesteckt worden seien, als der Markgraf
Albrecht von Brandenburg, „diese schändliche und höllische
Stütze des Lutherthums, der selbst ein Erzzauberer ge-
wesen sei," das Land mit seinen Truppen überzogen habe.
Am Ende der Vorrede lässt D e 1 r i o seinen Lehrer und
Mitjesuiten Maldonatus die Frage beantworten, warum
die Zauberei sich so unzertrennlich an die Ketzerei knüpfe.
Die angeführten Gründe laufen hauptsächlich darauf hinaus,
dass der Teufel noch immer so gerne in die Leiber der
Ketzer fahre, wie einst derjenige, dessen Name Legion
war, in die der Schweine; dass die Ketzerei, wenn sie
Anfangs auch noch so geschickt in das Gewand der Un-
schuld und Wahrheit sich zu kleiden wisse, bald veralte
und, um ihre Existenz zu retten, zur Magie werde, wie die
verblühte Hure zur Kupplerin u. s. w. So sieht denn
auch Delrio den Calvinismus, das Lutherthum und den
Anabaptismus, die drei unreinen Geister, die ihm her-
vorgegangen sind aus dem Rachen der Schlange, dem
Rachen des Thiers und dem Rachen des falschen Propheten,
schon kraftlos hinwelken und nur noch mit Mühe athmen ;
sie können Niemanden mehr locken, aber an ihre Stelle
Allgemeine Grunde der Verbreitung der Hexenprozesse etc. a-^c
wird Zauberei und Atheismus in unverhüllter Hässlichkeit
treten und, gleich den Heuschrecken im Propheten Joel,
das Land verzehren. Nichtsdestoweniger erblickt sein
scharfes Auge auch in der katholischen Kirche nur ein
so kleines Häuflein w^ahrhaft Gläubiger, dass es vor dem
Blicke fast verschwindet ; alles ist ihm auch da zu lau und
schon auf dem Wege zum Atheismus. Diesen lauen Ka-
tholiken nun einen heilsamen Schrecken einzujagen, die
ganze Schändlichkeit des Zauberwesens allen Schwankenden
vor die Augen zu halten, das Schwert der Gerechtigkeit
gegen die Schuldigen zu schärfen, schreibt er sein Buch
und stellt sich in inbrünstigem Gebete unter den Schutz
der ewigen Weisheit, der heiligen Jungfrau und des heil.
Michael.
Wenige Jahre vor dem Erscheinen dieses merkwürdi-
gen Werkes hatte Thomas Stapleton, ein vertriebener
Katholik aus England, damals Professor der Theologie zu
Löwen, in einer öffentlichen Promotionsrede die Frage
erörtert : Cur magia pariter cum haeresi hodie creverit ?
Die Rede enthält fast nichts als die zügellosesten Ausfalle
auf den Protestantismus und schliesst mit den Worten :
Ideo crescit cum magia haeresis, cum haeresi magia ^)!
An solchen Bestrebungen erkennen wir ganz den Geist
der Gesellschaft Jesu wieder, denselben Geist, der durch
den Pater Andreas zu Wien von der Kanzel verkündigen
liess, dass es besser sei, mit dem Teufel sich zu vermählen,
als mit einem lutherischen Weibe, weil jener doch mit
Weihwasser und Exorcismen zu vertreiben sei, an diesem
aber Kreuz, Salböl und Taufe verloren gehe; denselben
^) Hauber Bibl. mag. Bd. 11. S. 505. — Pierre Le Loyer sagt in seiner
t)erüchtigten Histoire des Spectres (Livre IV. Chap. 5) von Luther undZwinpli,
dass sie ihre Familiarität mit dem Teufel eingestanden hätten. Das
Kapitel schliesst mit der Bemerkung: En somme je me persuade, qu'il y a
fort peu de docteurs et ministres de fausse doctrine, qui ne se trouvent as-
sistes du diable, qui doit encore assister TAntichrist, duquel tous les h^resiar-
ques marquent le logis, et lui applanissent le chemin. pour lui faire voie de-
dans les cojurs des hommes, qu'il trouvera tous prepar^s k recevoir ce qu'il
lear pr^hera.
4 70 Siebenzehntes Kapitel.
Geist, der andern Vätern dieser Gesellschaft offenbarte,
dass, wer bei den Evangelischen das Abendmahl unter
beiderlei Gestalt empfange, recht eigentlich den Teufel
selbst geniesse, und dass Luther des Satans Sohn und
Spiessgeselle sei. ' Und wäre nicht derselbe Geist in seinen
Wirkungen kennbar, wenn wir die Thatsache erwägen,
dass es unter den katholischen Ländern Deutschlands ge-
rade die geistlichen Stifte sind, wo verhältnissmässig bei
weitem die meisten Hinrichtungen Statt fanden? Oder
sollte hier bloss das grössere Maass der Geistesfinstemiss
gewirkt haben? Trier, Bamberg, Würzburg, Fulda und
Salzburg stehen oben an, und gerade diejenigen Fürsten
dieser Länder, welche die Hexenverfolgung am blutigsten
betrieben, sind von ihren Geschichtschreibem auch wegen
ihrer Triumphe über den weit vorgedrungenen Protestan-
tismus in ihren Gebieten gepriesen worden: in Trier Jo-
hann VI., in Würzburg Johann Gottfried von Aschhausen
und Philipp Adolph von Ehrenberg, in Bamberg Johann
Georg n., in Fulda Balthasar von Dernbach, in Salzburg
Max Gandolph von Küenburg. An der Spitze dieser
Reactionen aber standen überall die Jesuiten, oft ausge-
sprochenermassen zu diesem Zwecke herbeigerufen. Wir
werden sie unten, bei der Durchmusterung der einzelnen
Länder, auch in die Hexenprozesse noch oft genug un-
mittelbar eingreifen sehen.
Ueber das Interesse, welches die geistlichen Fürsten
an der Unterdrückung der Reformation in ihren Ländern
nehmen mussten, kann kein Zweifel bestehen : dem eigenen
Uebertritte stellte sich der geistliche Vorbehalt und der
unglückliche Vorgang der kölnischen Kurfürsten Hermann
und Gebhard entgegen; die Duldung der neuen Lehre
imter den Unterthanen aber musste leicht ein unfreiwilliges
Aufhören der Bischofswürde herbeiführen, wie in Halber-
stadt, Magdeburg und andern Stiften Norddeutschlands.
Nun aber schnitten die Erfolge des schmalkaldischen Krieges
dem Verfolgungsgeiste die Anwendung der Todesstrafe
ab, wenn die Anklage auf das Bekenntniss der lutherischen
Lehre oder auf die Hinneigung zu derselben lautete. Der
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc, ^2*7
augsburger Friede gestattete nur die Landesverweisung,
und diese entzog, wo sie versucht wurde, wie in Salzburg
unter Wolfgang Dietrich*), mit dem Vermögen der aus-
wandernden Reichen den Ländern ihre besten Kräfte.
Dagegen verbot kein Gesetz , öffentliche und heimliche
Freunde des Protestantismus wegen des Verbrechens der
Zauberei, die man so geschickt mit diesem in Verbindung
zu bringen wusste, zum Tode zu fuhren. Zauberei war ja
nach römischem Grundsatze auch Ketzerei; wer den Tod
des Zauberers starb, der litt auch die Strafe des Ketzers,
sein Vermögen blieb im Lande und fiel sogar, wie wir
oben gesehen haben, an vielen Orten dem Fiscus zu. Es
war also hiermit die Möglichkeit gegeben, unter der Maske
des gesetzlichen Hexenprozesses eine blutige Verfolgung
des Protestantismus, die das Gesetz verbot, zu betreiben. —
Auch in Frankreich fällt, wie Delrio richtig bemerkt, die
Hauptepoche seines wiederauflebenden Hexenwesens in
die Zeit, wo die Hugenotten am mächtigsten emporstrebten,
d. h. es fanden die meisten Hinrichtungen Statt, geboten
von katholischen Richtern, in jeder Periode, wo die Re-
formirten sich zwar durch einen Religionsfrieden nach dem
andern gesetzliche Existenz erkämpften, aber immer wieder
durch alle möglichen Mittel, die dem Fanatismus tauglich
schienen, unterdrückt wurden. In Spanien erscheint die
Zahl der wegen Zauberei Hingerichteten im Verhältnisse
zu der Gesammtsumme der Opfer des Glaubensgerichts
gering; diess erklärt sich gerade aus der ausgedehnten
Macht der dortigen Inquisition, die ohne Umschweife auf
ihr Ziel losgehen durfte. Dagegen wütheten in Polen die
Hexenprozesse am meisten seit der Zeit, wo der Jesuiten-
orden seine Bestrebungen zur Ausrottung der zahlreichen
Dissidenten begann.
^) ,,DanD die Lutherische Flaccianische Sect so gewaltig übergenommen
hat^ dass damit die reicheste Häuser und Geschlecht behalTt gewesen, und also
die grösste Vermögen zu merklichem Abbruch des gemeinen Manns- und Lands-
KrSften aus dem Land kommen u. s. w." Franz Duckher Salzburgische
Chronica S. 268.
^j8 Siebeniehntes Kapitel.
Das Nähere dieser Verhältnisse muss einer späteren
Erörterung vorbehalten bleiben. Um jedoch das Gesagte
zu erhärten, theilen wir einige Vorkommnisse mit, die
keiner weiteren Erläuterung bedürfen.
Louis B er quin, Rath am Hofe Franz I., hatte
sich über die frommen Betrügereien der Mönche etwas
freimüthig ausgesprochen, ward der Begünstigung des
Lutherthums beschuldigt und entging der öffentlichen Ab-
schwörung nur durch den besonderen Schutz des Königs.
Hierauf erhob man die Anklage der Zauberei und Teufels-
anbetung, und der König wagte es nicht mehr, ihn zu
vertreten. Berquin wurde mit durchbohrter Zunge den
17. April 1529 auf dem Greveplatze zu Paris lebendig
verbrannt ^).
Ein Spezereihändler zu Baden führte 1628 gegen sei-
nen Landesherm, den nach protestantischer Landesver-
waltung erst kürzlich eingesetzten katholischen Markgrafen
Wilhelm von Baden-Baden, Klage beim Reichskammer-
gericht wegen widerrechtlicher Verhaftung seiner Ehe-
frau. Er erzählt: „Als für*s Erste sie, meine liebe Haus-
frau, jetzt nunmehr ein Jahr, uf 6 blosse Angebimgen,
alss wann sie bei einem Hexen Tantz seye gesehen wor-
den, uf eim Zinstag umb 10 Uhr zu Mittag urplötzlich zue
gefänglicher Hafft genommen undt alssbaldt da sie in
Thurn kommen, ihr angezeigt, auss fürstlichem Bevelch
geschehe dass, \mdt hatt sie Eppach und ein Schreiber
mit diessen ungestümen Wortten angeredt: Sie seye die
gröste Hur in Baden undt darzue ein Hex, undt habe
solche Hexerey von iren Eltern (welche lutherisch
gewesen und die Frauw gleichfalls) gelernt, sie soll
es nur nicht leugnen, sondern rundt bekennen, darauf sie
beständiglich geantworttet, man thue ihr für Gott und aller
Welt Unrecht, hatt man sie also bsddt ohne alle Barm-
hertzigkeit ahne die Folter geschlagen u. s. w.** *).
*) Carimt Hist. de la magic en France p. 120. Bodin Daemonoman.
üb. IV. cap. 5. Dictionnaire infernal, art. Berquin.
') Aus Originalakten des R. K. G. Ruhr. Weinhagen ca. Wilhelmen
Markgrafen zu Baden.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. ^^^q
Von dem Kaufmann Köbbing zu Coesfeld, wel-
cher 1633 hingerichtet wurde, sagt der Fiscal in den ein-
gereichten Artikeln: „Art. 68. Inmassen wahr, dass er ein
Gottvergessener Mensch sey, der nicht allein die Kirchen
nicht frequentirt, sundem auch zu sagen pflegt, man müsse
temporisiren, und soviel den Glauben anbelangt allen
Sekten und Religionen sich accommodiren kön-
nen. 69, Item er wolle sich wegen den Glauben so viel
nicht bekümmern, dass er darumb verfolgt oder getodtet
werden solle. 70. Wahr, dass man uf solche Gottver-
gessene unrechtfertige und heillose Leuth desto leichtlicher
solchs Laster versehen müge." — Die beiden ersteren
Artikel waren unter den fünfundsiebenzig der Klageschrift
die einzigen, deren Inhalt, sofern er gravirend war, der
Beschuldigte in seinem ersten Verhöre nicht gänzlich in
Abrede stellte. Köbbing stand als Kaufmann mit Hol-
ländern in Verbindung; auch hatte er die Tochter eines
protestantischen Geistlichen in seinem Hause beherbergt.
Jesuiten, seit 1626 in Coesfeld eingenistet, spielten die
Beichtväter in den Hexenprozessen dieser Stadt imd re-
ferirten dem Rathe über die letzten Erklärungen der Ver-
urtheilten ^).
Neben dem negativen Nutzen der Herabsetzung des Prote-
stantismus suchten viele Kleriker auch noch einen positiven
Gewinn zur direkten Verherrlichung der römischen Kirche
zu ziehen. Bot ja doch ihr Ritual die Specifica gegen
alle zauberischen Anfeindungen : Exorcismen, Weihwasser,
geweihtes Salz, geweihte Kerzen, Zweige u. s. w. ! Und
von wie vielen einzelnen Fällen wissen die Kleriker zu
erzählen, dass diese Mittel wirklich geholfen haben, —
Fälle freilich, in welchen man die Vorsicht gebraucht hatte,
sich des Erfolgs im Voraus zu versichern *) ! Femer, wie
*) NUseri Mcrkw. Hexenprozess gegen den Kaufm. G. Köbbidg.
*) IVtier hat ein eigenes Kapitel (Buch V. Kap. 3): „Mit welchen
StQcken die ZauberpfafEen in der Kur der Besessenen die Leute betrügen."
Zur Zeit der Königin Elisabeth wurden mehrmals katholische Priester, die
sich mit ihren Exorcismen in das Hexenwesen einmischten, auf sehr plump
angelegten Betrügereien ertappt. Ein Dr. Harsnett hat ein eigenes Buch Qber
440 Siebenzehntes Kapitel.
man einst zu Gunsten der Lehre von der Ohrenbeichte,
der Brodverwandlung, und der unbefleckten Empfangniss
Erscheinungen von Heiligen und Gespenstern aufgeboten
hatte, so traten jetzt unter den Händen geschickter Exor-
cisten auch die Behexten in die Reihe der Zeugen für die
Wahrheit katholischer Dogmen, und der Teufel selbst
musste aus dem Munde der Bezauberten Zeugniss ablegen
für die Religion, deren Widersacher er ist. In salzburgi-
schen Akten haben die Gefolterten deponirt, und man trug
Sorge dafür, dass diess weiter verbreitet wurde, — dass
man nur durch des Teufels Antrieb dazu komme, den
Heiligendienst und die Ohrenbeichte zu verwerfen, und
dass aus der beim Teufelssabbath durchstochenen Hostie
Ströme von Blut geflossen seien ^). Die blutenden Hostien
vererbten sich jetzt aus den Judenverfolgungen auf den
Hexenprozess; auch in bambergischen Akten ^) und in den
Exorcismen von Loudun ^) begegnen wir ihnen, in den
letzteren auch ausdrücklichen Zeugnissen für die Trans-
substantiation , die der beschworene Teufel aus den Be-
sessenen heraus ablegte.
Ein zweites, sehr wirksames Motiv war die Habsucht.
Niemanden ist es unbekannt, wie sehr dieselbe in das Ge-
richtswesen des sechszehnten Jahrhunderts überhaupt ein-
griff". „Die Gerichtsherren, — sagt U dal rieh Zasius, —
statt auf dcis gemeine Beste zu sehen, strafen nur, um ihre
Einkünfte zu vermehren. Aergerlich ist's, im Voraus das
solche Machinationen geschrieben ( W, Scott, Br. Üb. Dämon. U. 69 ff.)- Dci>
gleichen Bestrebungen kannte auch Jakob I, und wies sie von seinem eigenen
beschränkten Standpunkte in folgender Weise zurück: Quidni enim de iUis
(Dämonenaustreibungen) jure dubitemus, an facta sint» cum sciamus, quae
nunquani facta sunt, ab illis (Papistis) venditari, ut hac fraude labentis ec-
clesiae suae fulciant putredinem? — Deinde vero experientia compertum est,
paucos omnino liberari daemoniis, qui istorum opera curati sunt, Satana tan*
tum ad tempus torturam et carnificinam intermittente , ut in Pontificiani hac-
resin per falsa miracula alios alliciat, alios in eadem confirmet, omnes super-
stitione captos in aeternam animae periculum inducat. Daemonol. IIL 4.
*) Hauber Bibl. mag. Bd. III. S, 306.
*) V, Lamberg, Beilage Lit. S.
■) Diese berüchtigten Ereignisse werden unten erzählt werden.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. aai
Unglück der Menschen in Anschlag zu bringen, und ver-
damnilich ist daher die Sitte, beim Verkauf der Güter,
mit denen peinliche Gerichtsbarkeit verknüpft ist, die Stra-
fen mit zum Bestände der Einkünfte zu rechnen" i). Wie
aber diese niederträchtige Triebfeder ganz besonders auf
die Hexenprozesse wirkte, das erkannten schon unter den
Zeitgenossen die Scharfsichtigeren. Der Kanonikus Loos,
dem die Freimüthigkeit, mit welcher er gegen solchen
Unftig auftrat, mehrmals Kerkerstrafe zuzog, nannte diese
Prozesse eine neuerftmdene Alch5miie, durch welche man
aus Menschenblut Gold und Silber mache. Vierzig Jahre
später sagte Friedrich Spee, dass Viele nach den
Verurtheüungen der Zauberer hungerten, „als den Brocken,
davon sie fette Suppen essen wollten". Die Bauten und
Ankäufe mancher Richter entgingen selbst der Aufmerk-
samkeit des Pöbels nicht. Und in der That konnte es fiir
eine Behörde, die ihre Sache verstand, keine bessere Finanz-
operation geben. Die Güter der Verurtheüten wurden
auf dem Wege der Confiskation oder unter andern Titeln
eingezogen; Inqmsitoren und Richter nahmen entweder
eine beträchtliche Quote, oder reichliche Sportein; auch
Denunciant, Häscher*) und Scharfrichter waren bedacht.
Nun war aber keine andere Untersuchung so gänzlich
nach Belieben einzuleiten und zu verzweigen, als die wegen
Zauberei. Jeder andere Prozess verlangte doch die Er-
hebung eines objektiven Thatbestandes und war an feste
Formen und Grrenzen gebunden ; bei der Zauberei ist Alles
gesagt, wenn man daran erinnert, dass sie ein crimen ex-
ceptum war. Jedes Indizium, jedes Verfahren, jeder Be-
weis galt, nur der des Alibi nicht. Richter und Folter-
knecht mussten entweder sehr ehrlich, oder sehr unge-
schickt, oder abgefunden sein, wenn sie nicht aus dem
ersten Angeklagten Stoff zu zehn, zwanzig oder mehr neuen
') Henktf Grundr. einer Geschichte des deutschen peinl. Rechts. Sulz-
bach 1809. Th. I. S. 319.
') Der offenburger Magistrat versprach 1628 Jedem ^ der eine Hexe ein-
liefere, zwei Schilling Pfenning Fanggebühr. Schreiber, die Hexenpr. im
Breisgau, S. 18.
^^2 Siebenzchntes Kapitel.
Prozessen herauspressten. Bei Mord und Raub ergfab sich
die Zahl der in dem Gerichtssprengel begangenen Ver-
brechen aus der Wirklichkeit, bei der Zauberei waren es
eben so gut tausend, als ein einziges; dort bestimmte die
That den Richter, hier der Richter die That. Darum darf
es nicht befremden, wenn in manchen Bezirken zehn er-
giebige Hexenprozesse auf eine einzige Hinrichtung wegen
Strassenraubs kommen.
„In dem Rechte — sagt Agrippa ^) — ist ausdrück-
lich bestimmt, dass den Inquisitoren über Verdacht, Ver-
theidigung, Beschützung und Begünstigung einer Ketzerei
keine Jurisdiction zustehe, sobald nicht erwiesen ist, dass
eine offenbare und ausdrücklich verdammte Ketzerei vor-
liege. Aber diese blutgierigen Geier gehen über ihre
Privilegien hinaus und drängen sich gegen alle Rechte
und kanonischen Bestimmungen in die Jurisdiction der
Ordinarien ein, indem sie sich anmassen, auch über solche
Dinge, die gar nicht ketzerisch, sondern nur anstössig oder
sonst irrthümlich sind, abzuurtheilen. Gegen arme Bauern-
weiber wüthen sie auf das Grausamste und unterwerfen
die wegen Zauberei Angeklagten oder Denuncirten, oft
ohne dass das mindeste rechtsbeständige Indizium vorliegt,
einer schrecklichen und maasslosen Folter, bis sie ihnen
das Bekenntniss von Dingen, an welche dieselben nie ge-
dacht haben, auspressen, um einen Vorwand zur Ver-
urtheilung zu gewinnen. Sie glauben nur dann ihres
Namens würdig zu sein, wenn sie nicht eher ablassen, als
bis die Arme entweder verbrannt ist, oder dem Inqui-
sitor Gold in die Hände gedrückt hat, damit er sich er-
barme und sie durch die Folter gerechtfertigt finde und
freispreche. Der Inquisitor vermag nicht selten eine Leibes-
strafe in eine Geldstrafe zu verwandeln und diese seinem
Inquisitionsgeschäfte zuzuwenden, woraus ein nicht uabe-
*) De vanitate scientiarum cap. c;^. De arte Inquisitorum. — Vgl. hierzu,
was Cardanus (De rerum varietate Lib. XV. Cap. 8o) über diese Prozesse
sagt: Olim permissum erat» ut iidem accusarent cöndemDarentque , ad quos
bona damnatorum perveniebant. Unde, ne hos miseros adeo injuste damnare
viderentur, multas fabulas addebant.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. aa^
trächtlicher Gewinn gezogen wird. Sie haben unter jenen
Unglücklichen nicht wenige, die eine jährliche Steuer
zahlen müssen» um nicht von Neuem vor Gericht gezogen
zu werden^ Da man überdiess die Ketzergüter confiscirt,
so macht der Inquisitor auch daran eine schone Beute,
und da endlich die Anklage oder Denunciation , ja selbst
der leiseste Verdacht der Zauberei und sogar die Vor-
ladung einen Makel nach sich zieht, der nur dadurch ge-
heilt wird, dass man dem Inquisitor Geld gibt, so macht
auch dieses etwas aus. Vermöge dieser Cautel misshan-
-delten, als ich in Italien war, die meisten Inquisitoren im
Mailändischen viele unbescholtene Frauen, auch aus dem
vornehmeren Stande, und erpressten so im Stillen unge-
heure Summen von den Geängstigten. Als der Betrug
herauskam, fiel der Adel über sie her, und sie entrannen
nur mit Noth dem Feuer und dem Schwerte."
Gleichzeitig verfolgten in Deutschland die bischoflichen
Officialate, wenn gleich etwas glimpflicher, ihren Gewinn.
War eine Person in bösen Leumund gerathen, so lud sie
der Official vor, Hess sie einen Reinigungseid schwören
und nöthigte ihr dann einen lossprechenden Urtheilsbrief
auf, der mit 2^4 Gulden bezahlt wurde. Dieser Punkt
Ijildet, unter namentlicher Hervorhebung der Zauberei,
die siebenundfünfzigste unter den Beschwerden, welche
der Nürnberger Reichstag von 1522 gegen den römischen
Stuhl erhob.
In Trier, wo unter dem schwachen Jesuitenfreunde
Johann VI. das Uebel auf den höchsten Grad stieg, waren
zwar Aecker und Weinberge aus Mangel an Arbeitern
verödet, aber Notarien, Actuarien und der Nachrichter
waren reich geworden. Der letztere ritt, in Gold und
Silber gekleidet, auf einem stolzen Pferde; seine Frau
wetteiferte in ICleiderpracht mit den vornehmsten Damen.
Als jedoch das Uebermaass des Elends die Sporteltaxe
endlich etwas zu ermässigen gebot, war alsbald auch einige
Abnahme des Verfolgungseifers bemerkbar ^) , obgleich
*) Subitoque sicut in hello deficiente pecuöiae nervo cessavit impetus
inquirentiun). — Linden in Gest. Trevir. ed. Wytlenb., Vol. III. p. 54»
^^^ Siebenzehntes Kapitel.
auch jetzt noch der Notarius täglich einunddreissig Albus
und der Nachrichter für Jeden, der unter seine Hände
kam , 1 ^2 Gulden erhielt. Zu Coesfeld bezog der Nach-
richter 1631 binnen sechs Monaten 169 Rthlr.- allein für
seine Bemühungen an den Hexen ^). Der zu Coburg ver-
anlasste um dieselbe Zeit für sich, seine Pferde, Knechte
und Boten in Jahresfrist einen Kostenaufwand von mehr
als 1 100 Gulden ^). An manchen Orten erhielt der Richter,
wie Spee versichert, von jedem Kopfe 4 bis 5 Rthlr.;
und doch hatte Karl's V. peinliche Gerichtsordnung sehr
treffend den Richter, der „von jedem Stuck sein belonung
het", mit dem Nachrichter verglichen. Unter den eng-
lischen Hexenfindem nahm Hopkins Transportkosten, freie
Station und Diäten; ein Schotte, der nach Newcastle ent-
boten wurde, erhielt ausser der Vergütung der Reisekosten
20 Schillinge für jede entdeckte Zauberin').
Von besonderem Interesse ist, was in dieser Beziehung
neuerdings aus Oesterreichisch-Schlesien und Mähren
mitgetheilt wird ^). Dort suchte man zur Leittmg eines
Hexenprozesses oder eines Complexes desselben einen darin
erfahrenen Mann zu gewinnen, und indem selbst unter den
Amt- und Hofleuten der Gerichtsherren sich selten solche
fanden, die dazu bereit oder geneigt gewesen wären, so
musste die Gerichtsherrschaft bei der geringen Ausw^ahl,
die man hatte, guten Lohn geben. Die Hexenrichterei
wurde also zum Gewerbe, von dem man lebte. Ein ims
namhaft gemachter Hexenrichter Namens Boblig erhielt
von der Gerichtsherrschaft, der Gräfin Galle, Kost und
bequeme Wohnung für sich und seinen Diener, ausserdem
einen Reichsthaler täglich und für Commissionsreisen die
') Nies er t S. 100.
*) Leib, Consilia, responsa ac deducliones juris variae, Francof, 1666«
p. 124.
') Hutchinson, Histor. Versuch Über die Zauberei, Cap. 4. A triftl of
witches at the assizes held at Bury St. Edmonds, 1664. London 1838. p. 25.
*) „Zur Geschichte des Glaubens an Zauberer, Hexen und Wampyrc in
Mähren und Oesterreichisch-Schlesien'* von Bischof und cTEIwert und JRos^
koff, II. 332 flf.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. ^^^
Üblichen, nicht unbedeutenden Zehr- und Wartegelder.
Die nämliche Bezahlung erhielt er auch vom Fürsten von
Liechtenstein, als die Prozesse auf dessen Gebiet hinüber-
gespielt worden waren, und diese Bezahlung wurde bei
weiterer Ausdehnung der Hexenverfolgung noch bedeutend
erhöht. — Eben dieselbe Bezahlung, wie er sie anderwärts
bekam, sagte auch der Fürstbischof von Olmütz dem Boblig
zu, als er ihm die Leitung des Prozesses gegen den De-
chant Lauthner von Schönberg übertrug. Inzwischen hatte
Boblig auch in Prossnitz zwei Weiber, Elisabeth Brabe-
netzki und Katharina Wodak, auf den Scheiterhaufen ge-
bracht, und dafür täglich 3 Gulden, in Summa 246 Gulden
erhalten. — Erwägt man nun, dass die Hexenrichter keine
anderweite Stellung einnahmen, sondern lediglich von der
Verfolgimg der Hexen lebten, so begreift es sich leicht,
dass dieselben an der ununterbrochenen Weiterverbreitung
der Hexenprozesse das grösste Interesse haben mussten.
Die von Bischof eingesehenen Akten lassen es deutlich
wahrnehmen , wie eifrig Boblig darauf bedacht war, die
Hexenprozesse nicht ins Stocken kommen zu lassen. An
vielen Orten erhoben sich daher Klagen über den Auf-
wand der Henker imd ihrer Weiber, dass diese in seidenen
Kleidern einherrauschten oder gar in Kutschen fuhren.
Agrippa von Nettesheim erzählt auch, dass einzelne
Inquisitoren gewisse, der Hexerei verdächtige Personen
zu besteuern pflegten, und dass diese gern die jährliche
Rente zahlten, weil sie sich nur dadiurch vor der Ein-
ziehung schützen konnten.
Der Scharfrichter von Dieburg (in der hessischen
Provinz Starkenburg) verrechnete sich für die Jahre 1628
und 1629 die enorme Summe von 253 fl. i3*/2 Batzen. In
dieser Rechnung befinden sich 43 Personen, die ä 3 fl.
hingerichtet wurden, und 23 Personen, „wie es sein Ver-
fahren gehabt, als wären dieselben justificirt worden"
k 3 fl. *). (Waren dieselben im Gefangniss erdrosselt?)
Spee kannte einen Inquisitor, der sein Geschäft auf
>) MaUe», Neueste Weltk. 1843. B. I. S. lll.
446 Sieben zehntes Kapitel.
folgende Weise betrieb. Zuerst liess er durch seine Leute
das Landvolk bearbeiten, bis dieses sich vor lauter Hexen«
furcht nicht mehr zu fassen wusste und den Schutz des
Inquisitors anflehte. Nun nahm er die Miene an, als riefen
ihn seine Geschäfte anderswohin, liess sich jedoch durch
eine zusammengeschossene reichliche Arrha bewegen, zu
erscheinen, leitete auch die Untersuchimg ein, redete aber-
mals von seinen anderweitigen Obliegenheiten, sammelte
nochmals Geld und begab sich dann in ^n anderes Dorf,
um dasselbe Spiel von vomen anzufangen ^).
Neben dem Gewinne, der von dem Vermögen des
Verfolgten ausfloss, wurde auch noch der Bezauberte
mannichfach besteuert. Eine reiche Ernte hatten die
Pfaffen, wo sie einzuleiten verstanden, dass es zur Ab-
wendung oder Heilung eines sogenannten morbus male-
ficialis Messen zu lesen oder Exorcismen anzustellen
gab; danmi kamen ihnen die Beheximgen nie häufig ge-
nug. Terminirende Bettelmönche zogen, — wie in einigen
Gegenden noch vor nicht langer Zeit — mit ganzen Säcken
sogenannten Hexenrauchs umher und spendeten ihn als
Schutzmittel gegen Zauberei für reichliche Gaben aus.
In Grossenbuseck ereignete sich folgender Fall. Ein
Judenkind soll von einer alten Frau bezaubert sein; die
Sache kommt zur Untersuchung. Dem Vater wird der
Eid zuerkannt; da der Richter indessen mit der Form des
Judeneides nicht hinlänglich bekannt ist, so wendet er sich
an seinen Gevatter, den Dr. Komacher, btiseckischen
Syndikus, zu Giessen. Dieser gibt die nothige Anweisung,
legt ein Begleitungsschreiben bei, in welchem er Einiges
nachträgt, klagt darin aber zugleich auch über die Theu-
rung des Kalbfleisches in Giessen, bemerkt dann dem Ge-
vatter, dass er für das bevorstehende Fest noch nicht ver*
sehen sei, und scbUesst mit dem Ansinnen: Ich halte da»
für, der Jude solle wohl ein Kalb ausmachen können« Mit
sonderbarer Naivetät ist dieses Schreiben den Akten ein-
verleibt worden.
») Caut. Crim. Quaest. XVI. 6.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. AAy
Doch der morbus maleficialis war auch wiederum ein
Kapital, das dem Behafteten selbst Renten trug. Viele
Taug^enichtse spekuKrten darauf, wie heutzutage die Bettler
auf ihre fingirte Kruppelhaftigkeit. In Deutschland , Hol«
land und England hat man sogar Kinder gesehen, die
mit erstaunlicher Verschlagenheit ihre einträgliche Rolle
Monate lang fortspielten, bis sie endlich entlarvt wurden.
Auch protestantische Geistliche haben sich durch solche
Gaukeleien betrügen lassen und salbungsreiche Gebete
angestellt. Balthasar Bekker kannte einen schulkranken
Knaben in Oberyssel, der die Obrigkeit als Bezauberter
äffte: er gab Nadeln mit dem Urin von sich, vomirte
Zöpfe, Scherben und lateinische Exercitien; erst spät merkte
man den Betrug, imd das alte Weib, das ihn behext haben
sollte, ward nur mit Mühe gerettet*). — Der ehrwürdige
Agobard von Lyon hatte für dergleichen Fälle andere
Mittel, als Exorcismen und Gebete. Als man einst eine so-
genannte Besessene vor ihn brachte, liess er sie auspeitschen,
und es ergab sich alsbald, dass die ganze Besessenheit
nur um der erwarteten Almosen willen angenommen war.
Solche vorurtheilsfreie Männer, welche im Karolingischen
Zeitalter lebten, besass das sechszehnte und siebenzehnte
Jahrhundert wenige. Doch liest man vom Bischöfe von
Amiens, dass er Agobard's Beispiel an einer ähnlichen
Betrügerin im Jahr 1587 mit Erfolg nachgeahmt habe^).
Die Triebfeder der Habsucht, in Verbindung mit der
jammervollen Befähigung der Justitiarien , ist es haupt-
sächlich, was die Erscheinung erklärt, dass unter den
protestantischen Gebieten Deutschlands gerade die klei-
neren, besonders die ritterschaftlichen Territorien verhält-
nissmässig die meisten Hinrichtungen aufzuweisen haben.
Hier lieferten die Hexenverfolgungen den oft beschränkten
Finanzen der kleinen Herren einen stets willkommenen
Zuschuss für sie selbst und ihre Diener, am meisten zu
der Zeit, als das Elend des dreissigj ährigen Kriegs ihre
*) Bezauberte Welt Bch, IV. Cap. 10.
2) ^auÖ£r Bibl. mag. Bd. I. S. 498.
AA^ Siebeozehntes Kapitel.
Kassen geleert und die Gemüther bis zum Aeussersten
verwildert hatte *).
Ein merkwürdiges Aktenstück hierzu gibt Horst in
seiner Dämonomagie (Th. 11. S. 369). Der Justizamtmann
Geiss zu Lindheim, ein ehemaliger Soldat und ohne alle
juristische Bildung, schrieb 1661 an seine adeligen Herren:
dass neuerdings das Zauberwesen wieder ausbreche» „dass
auch der mehren Theilss von der Burggerschaft sehr dar-
über bestürzet und sich erbotten, wenn die Herrschaft nur
Lust ztmi Brennen hätte, so wollten sie gerne das Holtz
darzu und alle Unkosten erstatten, undt konndte die
Herrschaft auch so viel bei denen bekommen,
dass die Brügck wie auch die Kierche kendten
wiederumb in guten Stand gebracht werden. Noch
über dass so kendten sie auch so viel haben, dass deren
Diener inskünftige kendten so viel besser be-
suldet werden, denn es dürflFten vielleicht gantze Häusser
und eben diejenigen, welche genung darzu zu
thun haben, infociret (inficiret?) se5m.**
Dieser Geiss nun war es auch, welcher den grossen
lindheimischen Hexenprozess leitete und ausbeutete» Er
setzte sich z. B. für einen Ritt nach einem zwei Stunden
entlegenen Städtchen 5 Rthlr. Gebühren an- Aus einer
von ihm selbst gestellten Rechnung ergibt sich, dass er
sich bei den verschiedenen Verhaftungen allein an baarem
Gelde eine Summe von 188 Rthlr. 18 Alb. zugeeignet hat.
Ausserdem setzt sich Geiss zu gut:
Pag. 13. Itemb von denen, so aus der custodia
im Hexenthurn gebrochen imdt wass ich an
Unkosten ausgeleget:
Johann Schüler 20 Rthlr.
Seine Frawen 10
Peter Weber Rest noch 5
Hanss Peppel Rest noch 10
tt
') Die »Rcfusion der Kosten" vertrat hier oft geradezu die Stelle
der Confiskation , deren Namen man in protestantiv:hen LAndera nicht
gern in den Mund nahm. Ueber llenneberg z. B. s. Lei^ Consil. p. 137.
Allgemeine Grunde der Verbreitung der Hexen prozesse etc. ^.^q
Henrich Broch Rest noch lo Rthlr.
Hanss Peppelss Frawen 20 „
Hanss Annigs Frawen 20 „
u. s. w.
Was er sich an Vieh aus den Ställen der lindheimer
Unterthanen zugeeignet, hat er, wie eine spätere Unter-
suchung ergab, nicht jederzeit aufzuschreiben für nöthig
erachtet.
Um zu zeigen, dass auch die Häscher ihre Emolu-
mente hatten, ziehen wir aus den Geissischen Rechnungen
noch einige Posten aus *) :
Pag. 15. Dem Wihrth zu Hainchen
[V2 Stunde von Lindheim] NB. Was
die der Hexenkönigin nachgesetzed-
ten Schützen daselbst vertrunken . 2 Rthlr. 7 Alb.
Pag. 16. Den 29. Julyus dem Keller
zu Geldern bei der Hexenverfolgung
in Beyseyn Herrn Verwaltern . .12 Rthlr. 15 Alb.
Pag. 18. Den 12. Januarii 1664 Hanns
Emmeichen zu Bleichenbach [2 St.
von Lindheim] wass der Ausschuss
bei der Hexenjagt allda verzehret,
NB. in zwey Tag daselbsten ver-
soffen 8 Rthlr.
u. s. w.
Ueber die Kosten der grossen Prozesse, welche 1662
und 1663 zu Esslingen vorkamen und über welche Pf äff
(in derZeitschr. für deutsche Kulturgesch.) 1856 berichtet
hat, wird mitgetheilt, dass dieselben aus dem Vermögen
der Justifizirten und aus den Strafgeldern gedeckt wurden.
Bis zum 30. Juni 1663 hatte man 2300 fl. aufgewendet und
2045 fl. eingezogen. Was für die vielen (bei den Juristen-
fakultäten zu Tübingen, Heidelberg, Strassburg) einge-
holten Gutachten bezahlt wurde, ist unbekannt. Von den
Geistlichen, welche mit der Seelsorge der Verhafteten viel
*) Horst Dämonomagie Bd. IL S. 436 f.
Soldan-Heppe, Hexenprozesse. 29
4 CO SiebeDzebntes Kapitel,
ZU thun hatten, erhielt nach Beschluss vom 20. Sept. 1664
jeder drei Tonnen Ehrenwein, wobei dieselben wiederholt
ermahnt wurden , in ihren Schranken zu bleiben und den
Untersuchungsrichtern nicht in ihr Amt zu greifen.^ Diese
selbst erhielten vom Spital für jedes Verhör eine Kanne
Wein und einen Laib weisses Brot. Dasselbe bekam
wöchentlich der aufwartende Knecht, Auch die Wein-
zieher, Kommeister und Wächter auf der Burg wurden
für ihre Dienste bei den Hinrichtungen mit Brot und Wein
vom Spital belohnt. Dem Scharfrichter Deigentesch ver-
willigte man am i. Dezember 1664 eine ausserordentliche
„Ergötzlichkeit" von 20 fl. wegen seiner vermehrten Ge-
schäfte und weil er die herbeigezogenen fremden Scharf-
richter hatte traktiren müssen.
Nach einer Originalrechnung des Raths von Zuck-
mantel vom 20. Oktober 1639 brachte das Einäschern von
elf Hexen 425 Rthlr. ein. (Man bedenke den damaligen
Geldwerth !)
Davon empfing:
der Bürgermeister . . 9 Thlr. 6 Gr.
9
18
18
Q
9
6
12 „
12 „
6 „
6 „
der Rath
der Vogt
die Gerichtsschöppen
der Stadtschreiber
der Stadtdiener . .
Der Ueberrest von 351 Thlm. 23 Groschen wurde dem
Fürstbischof von Breslau als dem Landesherm eingehän-
digt. Da das Urtheil über die Hingerichteten in Neisse
gefallt war, so hatte der Rath von Zuckmantel diesmal
nur halbe Gebühren erhalten; sonst würde er doppelt so
viel, nämlich ein Schock Groschen für den Kopf empfangen
haben ^).
Auch in buseckischen, burg-friedbergischen und vielen
andern Akten finden sich ganz enorme Posten für Be-
wirthung des Gerichts und der Häscher angesetzt. Als
in einem friedbergi sehen Prozesse das Gerichtspersonal
*) pHexenproresse in Nci'ise'*, S. 13.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. ^^^i
nach gehaltenem peinKchen Gerichte auf Kosten des An-
geklagten schmauste und der Prälat von Arnsburg zu-
fallig dazukam, liess man noch etliche Flaschen Wein
kommen, und auch diese wurden dem Manne zur Last
gesetzt. Der Beschuldigte überstand Verhöre und Folter
mit seltenem Muthe, wurde zuletzt aus dem Lande gejagt
und musste nach Ausweis der Akten 404 fl. 4g kr. an
Kosten bezahlen, wobei jedoch die Deserviten seines De-
fensors, die Abschlagszahlungen an die Wächter imd an-
dere Posten nicht mitgerechnet sind^).
Wenn Hass und Rachsucht überhaupt oft genug
Motive zur Denunciation von Verbrechen gewesen sind,
so hatten sie bei keinem ein freieres Spiel, als bei der
Zauberei, wo sie des Erfolgs so sicher sein durften. Wie
konnte man sich eines Feindes, eines Nebenbuhlers, eines
Ueberlästigen leichter entledigen? Grandier's Geschichte
nimmt in dieser Kategorie eine der ersten Stellen ein;
Weiber in England wurden damals, wenn der Ehegatte
ihrer überdrüssig war, nicht nur als Waare am Stricke
auf den Markt, sondern auch als Hexen dem Strange des
Henkers zugeführt 2); ein elfjähriges Mädchen zu Paisley
rächte sich nach einem Zank mit der Hausmagd dadurch,
dass es sich besessen stellte, und führte seine Rolle so
geschickt durch, dass zwanzig Personen auf sein Zeugniss
hin verurtheilt wurden, von welchen fünf wirklich den Tod
erlitten (1697) 3). Oft griffen Angeklagte zur Denunciation
Vornehmer, um durch deren Einfluss die Niederschlagung
des Ganzen zu erwirken ; oft aber war es auch dem Ver-
zweifelten eine schauderhafte Genugthuung, Personen, die
er im Leben gehasst und beneidet, oder die er als Urheber
') Burg-fricdb. Originalakten , Ruhr. In Sachen Inquisit. ex offic. et
Fiscalis ca. Johannettam Quantsin von Rodenbach und Johannes Feuerbach
von Altstadt, pto. Zauberei. De Anno 1663 usque 1666. — Es war fast
allgemeine Praxis, dass, wer gefoltert war, die Kosten zu zahlen hatte, auch
wenn er fQr unschuldig erklärt wurde. Ueber Eisenach, Coburg und Henne-
berg s. Leib Consilia p. 126.
*) Reginald Scot bei SchdUma Geschiedenis der Heksenprocessen p. 62.
') Walter Scott Br. üb. Däm. Th. II. S. 199.
^e^ Siebenzehntes Kapitel.
dualistische Weltanschauung' erwachsen, welche sich von
dem eigentlich sogenannten Dualismus nur dadurch unter-
schied, dass man den Bestand der Herrschaft des Teufels
über die gefallene Welt aus göttlicher Zulassung ableitete ^).
Die Angehörigen des Teufels, durch welche dieser
den wahren Christenleuten, den Angehörigen Gottes, un*
ablässig allerlei Schaden an 'Leib , Seele und Gut zuzu-
fügen trachte, nannte man Zauberer und Hexen. Gegen
die geheimen Anläufe derselben gewährte die Kirche den
Gläubigen thunlichsten Schutz durch ihre Exorcismen,
durch ihr Weihwasser, durch die Kraft des Kreuzeszeichens
und allerlei geweihten Dinge (Amulette). Auch wurden
notorische Zauberer und Hexen vorkommenden Falles von
ihr ganz ebenso gemassregelt, wie diejenigen, welche als
Ketzer ihren Abfall von der Kirche und von Gott kund-
gegeben hatten. Allein Satans Macht war gewaltiger und
die Zahl seiner Werkzeuge unter den Menschen war
grösser, als dass die Mittel der Kirche den Gläubigen
gegen die im Verborgenen schleichende Tücke des Bösen
den nöthigen Schutz hätte gewähren können. Von dieser
Ueberzeugung war die ganze abendländische Christenheit
erfüllt, als Papst Innozenz VIII. durch seine Hexenbulle
zu einem Kampfe ganz anderer Art gegen den Teufel
und dessen Reich aufrief. Der Teufel sollte jetzt durch
Aufspürung und Ausrottung seiner Werkzeuge, der Zau-
berer und Hexen, bekämpft und unschädlich gemacht
werden. Daher gewann jetzt die Hexenverfolgung einen
ganz neuen Anfang.
^) Sehr richtig ist, was Z. H^, E. Rauiot-nhcff in seiner Geschiedenis van
het Protestanlisme, T. II. p, l8o — l8l von jener Zeit sagt: Eigcnlijk bestond
de cliristelijke Theologie uit twee deelen, waarvan mcn kan betwijfelcn, aan
welk van beiden de meeste waarde werd geheclil : het geloof aan God en het
geloof aan den Duivel. Zoo als natuur en menschheid onder de macht ston-
den van God, zoo ook onder die van den Duivel. Zoo als God zijne engelen
en goedegasten had tot redding den menschen . zoo ook de Duivel zijne Ira*
Wanten tot hun verderf. Zoo als God zyne vromen door hooger geest bezielde
en hun wondermacht verleende, zoo verkoos ook de Duivel zijne gunsthlingeo
uit de menschen en gaf hun beveti natuurlijkc macht om kwaad tc doen en
onheil te stiebten.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. ^cc
Die allgemeine Ausbreitung und die lange Dauer der-
selben erklärt sich also zunächst aus dem die Kirche da-
mals beherrschenden Teufels- und Hexenglauben, über-
haupt aus dem Aberglauben der Zeit; dazu aber kam,
dass um diese Zeit in Deutschland im Kriminalprozess ein
völlig neues Verfahren und ein völUg neues Beweissystem
eingeführt ward, wodurch eine Einrichtung des Hexen-
prozesses möglich ward, bei der man nothwendig- alle
Hexen und Hexereien, die man nur irgend aufspüren
wollte, nothwendig auch finden musste.
Der Inquisitionsprozess machte, vne Tvir sahen,
den Richter von allen Fesseln frei, ermöglichte es dem-
selben inquisitorisch vorzugehen wo er nur wollte — denn
der Hexerei verdächtig waren so ziemlich Alle, sobald
sie darauf angesehen wurden, — und gab die Verhafteten
ganz und gar seiner Willkür preis. Dem entsprach das
neue Beweisverfahren. Dasselbe war lediglich auf
Zeugenaussagen imd auf das Geständniss des Angeschul-
digten basirt. Die wünschenswerthe Zeugenaussage
war aber um so leichter zu gewinnen, als die Namen der
Zeugen nicht genannt zu werden brauchten, und zur Her-
beiführung des Geständnisses des Angeschuldigten hatte
man ein ganz sicheres Mittel, nämlich die Folter, mit der
man die Inquisiten einfach so lange quälte, bis das Ge-
ständniss ermartert war.
Wirklich war auch die Zeit der Einführung des neuen
Beweisverfahrens und der Folter die Zeit des Anfangs
der Hexenverfolgung. Das Einschreiten von Amtswegen
bewirkte bei dem Drängen der Hierarchie und der allge-
mein herrschenden Ueberzeugung von der heiligen Pflicht
der Hexenverfolgung, dass man jetzt überall nach Hexen
suchte, und die Folter bewirkte es, dass man sie in
Menge fand^). Beide Mittel wusste schon der Hexen-
^) Auch Trummtr bestiHtigt dieses bezüglich der Stadt Hamburg, in-
dem er in seinem „Abriss der Geschichte des kriminellen Zauberglaubens etc."
S. 111 sagt: »Sobald die Tortur sich bei uns Eingang zu verschaffen an-
fing, findet sich gleichzeitig die bis dahin bei uns durchaus unerhörte Er-
456 SiebeDzehntcs Kapitel.
hammer wohl zu würdigen, und ohne diese Mittel wäre
aller Hexenglaube, wäre die Bulle von Innozenz ViLL. und
Aehnliches durchaus wirkungslos gewesen.
Die teuflische Wirksamkeit der Folter wurde aber
durch die eigenthümliche Einrichtung und Behandlung des
Hexenprozesses noch gesteigert. Die bestehenden Grrund-
Sätze über den Gebrauch der Folter hatten nämlich für
denselben im gewohnlichen Kriminalprozess gewisse Schran-
ken aufgerichtet; für den Hexenprozess waren diese
Schranken jedoch nicht vorhanden, indem Praxis und
Doktrin schon im fünfzehnten Jahrhundert den Grundsatz
zur Geltung brachte, dass die Hexerei — ein noch viel
grosseres und gräulicheres Verbrechen als die Gottes-
lästerung — ein delictum exceptum sei, bei welchem
der Richter die beschränkenden Vorschriften der Gesetze
überschreiten und -ganz willkürlich verfahren konnte und
müsste. Somit war der Angeschuldigte im Hexenprozesse
völlig schutzlos; der Richter hatte bezüglich der Anwen-
dung der Tortur völlig freie Hand, imd konnte die Ange-
schuldigten so oft und so lange imd so grausam auf die
Folter spannen und martern, bis dieselben das Geständniss
ihrer Schuld ablegten. Hiermit aber begnügte sich der
Richter nicht. War das Geständniss der eigenen Schuld
abgelegt, so wurde die nunmehr notorische „Hexe** ge-
fragt, von wem sie das Hexen gelernt, wer sie es gelehrt
habe, wen sie bei dem Hexentanze gesehen habe etc.; und
der Hexenrichter hörte nicht auf, sein Schlachtopfer zu
foltern, bis die nominatio socii erfolgte, d. h. bis die
Zermarterte in der Höllenqual, die sie erlitt, beliebige
andere, lebende Personen als Hexen genannt hatte. So
verfehlte die Anwendimg der Folter nicht allein (von den
seltensten Ausnahmefallen abgesehen) niemals ihres un-
mittelbaren Zweckes, — indem die Angeschuldigte regel-
scheinung von Hexen, die bisher nicht einmal dem Namen nach bei uns
vorgekommen zu sein scheinen, wie denn unsere Stadtrechte den Namen gar
nicht kennen." — Die Hexenverfolgung und der Gebrauch der Tortur be-
(;annen in Hamburg im Jahr 1555.
Allgemeine Gründe der Verbreitung der Hexenprozesse etc. i ey
massig durch ihr eigenes Geständniss als Hexe erwiesen
ward, — sondern sie führte von jedism einzelnen Hexen-
prozesse zu neuen Hexen Verfolgungen. Der Hexenrichter
wurde nie mit seiner Arbeit fertig, vielmehr zog es ihn
aus jedem einzelnen Hexenprozess zur Verfolgung einer
ganzen Anzahl neu entdeckter Hexen hin. Erwägt man
nun, dass die im Hexenhammer vorgeschriebene Einrich-
tung der Hexenprozesse recht dazu angethan war, die
Geldgier und andere Leidenschaften aufzustacheln, so be-
greift es sich, dass in die peinlichen Gerichte eine wahre
Sucht nach Aufspürung und Verfolgung der Hexen fahren
und die Hexenverfolgiing wie eine Seuche sich über die
Lande verbreiten und Jahrhunderte lang unter den Völ-
kern wüthen konnte.
ACHTZEHNTES KAPITEL.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz,
Italien, Spanien, England, Schottland und Prank-
reich bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts.
Als Innozenzens Bulle erschienen war und bereits
blutige Früchte trug, konnte die deutsche Geistlichkeit
und die öffentliche Meinung der Nation sich noch nicht
sogleich in die Ansichten und Absichten des heiligen Va-
ters finden. Zwar hatten Sprenger und Institor in einer
fünfjährigen Wirksamkeit achtundvierzig, ihr College im
Wormserbad in dem einzigen Jahre 1485 sogar einund*
vierzig Opfer den Flammen übergeben i); aber noch immer
wurde von deutschen Kanzeln herab die Existenz solcher
Wesen, die durch geheime Künste Menschen und Thiere
beschädigen könnten, kräftig bestritten. Diesen Wider-
spruch zum Schweigen zu bringen und den dadurch der
Gerechtigkeit und dem Glauben zugefügten Schaden für
die Zukunft zu entfernen, wurde, wie das kölnische No-
tariatsinstriunent versichert, der Malleus maleficarum ge-
schrieben und die Approbation der kölnischen Theologen
für denselben eingeholt, in welcher insbesondere auch das
Predigen gegen den Hexenglauben als verwerflich be-
zeichnet ward. Der Malleus verfehlte seinen Zweck nicht.
*) Mall, malef. Part. I. Quaest. 1. Cap. 4.
Hexenprozessc in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien elc. ^.cq
die Prozesse kamen allmählich in Gang. Aber dennoch
wurden auch jetzt noch Stimmen laut, welche gegen die
Doktrin des Hexenhammers Verwahrung einlegten. Gegen
den Glauben an die leibliche Ausfahrt der Hexen erklärten
sich, auf den Kanon Episcopi gestützt, die Juristen Ale la-
tus *) und Ponzinibi.us; sie betrachteten den Hexentanz
als leere Einbildung. Dafür wurde Ponzinibius von dem
Dominikaner Bartholomäus de Spina, Sacri palatii
Magister zu Rom, bekriegt 2). .Spina macht besonders'
geltend, dass der Jurist eigentlich vom Hexenwesen nichts
verstehe und, wenn er zum Prozesse hinzugezogen werde,
dem Inquisitor, der seine eigene Art zu procediren habe,
leicht durch unnütze Weiterungen hinderlich werde. Eras-
mus von Rotterdam, obwohl muthiges Hervortreten
überhaupt seine Sache nicht war, konnte es doch nicht
über sich gewinnen, die Sache ganz ungerügt zu lassen.
In einem Briefe von 1500 nennt er den Bund mit dem
Teufel eine neue Art von Missethat und fügt hinzu, die-
selbe sei dem römischen und kanonischen Rechte fremd
und erst von den Ketzermeistem erfunden worden. Im
Encomium moriae satyrisirt er über Zauberei und deren
Richter. —
Während sich so die Gelehrten theils billigend, theils
missbilligend oder einschränkend aussprachen, ging die
Praxis ihren Gang.
In Deutschland sehen wir Anfangs noch die bi-
schöfliche Jurisdiction mit der weltliphen concurriren, ja
während des ersten Viertels des sechszehnten Jahrhunderts
die delegirte Inquisition ihr Unwesen treiben. Die eilfer-
tige Plumpheit eines niederen bürgerlichen Richters im
Kontrast mit der langsamen Förmlichkeit des Reichs-
kammergerichts zeigt folgender Fall, den wir aus den
Originalakten mittheilen. Er ist ohne Zweifel der erste,
der im Punkte der Hexerei diesem höchsten Tribunal zur
*) Parerg. juris, cap. 21.
') In Ponzinibium de laiiiiis apologia I. et II, im 2. Th. des Mall, malef.
Lugdun. 1669. Auch ist er Verfasser eines weitläuftigen Tractats de strigibus.
i6o Achtzehntes Kapitel.
Entscheidung vorlag*, und mag wohl wie so viele Fälle
nach ihm, ohne Ende geblieben sein.
Im Dezember 1 508 klagte Anna Spulerin aus Ringingen
vor dem Stadtammann zu Ulm gegen dreiundzwanzig Ein-
wohner von Ringingen auf Entschädig^ung (Wandel, Ab-
trag und Bekehrung, angeschlagen auf zweitausend Gul-
den) für eine durch die Schuld derselben erlittene Unbill.
Ihrer Erzählung zufolge, die in ihren wesentlichen Pimkten
* durch spätere Zeugenverhore bestätigt wurde, verhielt sich
die Sache folgendermassen. Als vor einem Jahre ihre
Mutter nebst einigen andern Weibern auf Anrufen der
Einwohner von Ringingen durch den Vogt von Blaubeuren
als Zauberin eingezogen worden, seien ihr, der Tochter,
Worte gerechter Entrüstung entfallen, in Folge deren ihr
Warnungen zugekommen, als wenn sie dadurch sich selbst
verdächtig gemacht habe. Eines Morgens .habe sie einen
grossen Auflauf um ihr Haus bemerkt, und als sie, um
der Gefahr zu entgehen, sich durch die Hinterthüre auf
das Feld begeben, hätten die von Ringingen sie eingeholt
und, ohne über ihre Absicht sich bestimmt auszusprechen,
nach Blaubeuren abgeführt. Daselbst im Gefängnisse habe
sie erwartet, dass man sie baldigst etwa ihrer ausgestos-
senen Reden wegen zur Verantwortung ziehen und dann
wieder entlassen würde. „Aber nyemands were zu Ir
komen annders, dann gleich aubents ains Ersamen Rats
hie zu Ulm zuechtiger und nachrichter, der hette gegen
Ir strenngklich peenlich unmentschlich und unweyplich
gehanndelt und von Ir wissen haben wollen, Sy were aine,
das Sy soUichs bekennen sollte. Aber alls Sy sich sollichs
frey und unschuldig gewisst, hette Sy Ir selbs kain un-
warheit auflegen, noch nichtzit bekennen wollen, sonnder
Ir Hoffnung zu Gott dem AUmechtigen gesetzt, nachgennds
were Sy in ain annder fanngknus und gemach gefürt und
abermals nit ain zway drew viermal, Sonnder unmentsch-
lich peenlich gemartert, alle Ire glüder zerrissen, Sy Irer
vernunflft und auch Fünff Synn beraupt und entsetzt worden,
dann Sy Ir gesicht und gehördt nit mer hette alls vor.
So wer Ir auch in sollicher grossen Irer unmentschlichen
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. 461
marter begegnet, das Sy besorgte, wie wol Sy kain gründ-
lich wissen, noch das, mangel halb Irer gesicht, nit wol
erkennen noch sehen, das von Ir kommen were, das vil-
leicht darauss ain lebenndeSeelmug'en hett werden, solliche
Marter hett dannocht nit gtiug sein , noch erschiessen
wolln, Sonnder were ain anderer Züchtiger von Tüwingen
mit dem Vogt komen, da hett Sy der Vogt bereden wollen,
auf sich selbs zubekennen, und Ir selbs ab der Marter zu-
verhelffen und gleich mit guten Worten gesagt, Was Sy
sich doch züge, Sy sollte der Sach bekennen, So Sy dann
auss diesem Zeitt füre, So sollten und müssten die von
Ringingen, nemlich yeder insonnder Ir ain mess fromen
lassen, Dartzu Sy geantwurt hette, dass sollte In diser
danncken, dann Sy sich unschuldig gewisst hette. Als
nun der Vogt nichtzit von Ir bringen mögen, hette er
wej^er angefanngen und gesagt, wie Ir Muter auf Sy
bekennt und verjehen haben sollte, das Sy auch aine were,
das hette Sy widersprochen und veranntwurt, Sy wisste
wol, das Ir Muter nichtzit args von Ir zu sagen wisste,
auch sollichs von Ir nit sagte, So wisste Sy sich auch
ganntz unschuldig frey und ledig, were also für und für
auf der warheit verharret und darab nit weychen wollen.
AllsSy aber sollichs gesehen, hetten Sy weytter mit der
Muter und mit vil troworten an Sy gesetzt und gesagt,
Sy wollen Ir alle Adern im leib zerreyssen, und wiewoln
Sy mermaln gütigklich gesagt het, was Sy Sy doch zeyhen^
ob Sy Sy von der warhait treyben wollten, So hette Sy
doch sollichs nit fürtragen, noch fassen mögen, Sonnder
hetten Sy für und für gesagt und von Ir wissen haben
wollen, Sy were aine, und nie genennt ain unhollden, bis
zum letsten. Also hette Ainer unnder den widertailen, so
yetzo gegenwürttig alda stünde, gesagt und Sy gefragt,
wahin das Hembt vor unnser lieben Frawen in der kirchen
zu Ringingen komen were, dann Sy wisste, wer das zer-
schniten, hette Sy geanntwurt, ob Sy es yemands be-
schuldigte, und alls der Vogt gesagt. Er hette des wissen
und Im sein klains fingerlin gesagt, hette Sy wieder geannt-
wurt, Ir geschehe damit unrecht, Sy were dess unschuldig.
462 Achtzehntes Kapitel.
Mit Erbiettung, wa sollichs ain Alentsch von Ir, das Sy
das gethan hette, sagte, wollte Sy darumb den tod leiden,
aber nyemands hette Sy sollichs ferrer beschuldigen wol-
len. Mit dem wem Sy'von Ir abgeschieden mit dem traw,
Sy wollten enmordnens wider komen und mit noch hertter
und strennger peen und martter gegen Ir hanndeln, und
hetten Sy darauf in ain noch hertter und schwerer fanngk-
nus dann vor, gelegt, in dem alls yedermann von Ir komen
were Ir eingefallen und hette bedacht Ir Zuflucht zu ne-
men zu dem, der Ir helflfen mügen het, das wem nemlich
Got der Allmechtig und sein gepererin die himelkonigin
Marie, hett dieselbigen auss Innigkeit und grundt Irs
Hertzen, imd in ansehung Irer Unschuld, der gerechtigkait
und warhait angeruftt, Sy sollicher Irer strenngen hertten
fanngknus zuerledigen, und Sy bei der warhait zubehalten.
Sollich Ir gebett und auch die verhaissung der wallfarten,
so Sy dabey zu Sannt Leonhart und an annder ort gethan
hett, w^ere bey Gott dem AUmechtigen erhört, und Sy
derselben nacht zwischen der zehennden und Aylfften stund
auss sollicher fanngknus erledigt worden. Dem allem nach
und die weyl Sy also auf anruffen der von Rynngingen in
sollich fanngknus komen, darynn strenngklich peenlich
und unmentschlich gemartert, Ir Ire glüder zerrissen, Sy
Irer vemimft und Synn entsetzt, Auch um Ir Er und ge-
fiir, und desshalb in gross, unüberwintlich hertzlaid komen
und bracht, dadurch Sy sich selbs und Ire klaine kynnd-
lin nicht mer alls dann vor der zeitt geschehen w^ere, Er-
neren und hinbringen und Ir auch Ir Eelicher Hausswirt
nicht mer, alls vor, Eelich beywonnen mochte. So were
Ir anruffung und bitt, die von Rynngingen gütlich zuver-
mögen und daran zu weisen, Ir imib sollich Ir zugefugt
(»rlitten Schmertzen, Marter schmach und schaden, nach
Irer Eren notturft wandel abtrag und bekerung zu thiin,
wii aber das gütlich nit sein mochte, So hoffte Sy Es
sollte billich wesen, mit Recht erkannt werden." Hierauf
(»Kcipirten die Verklagten, die Spulerin habe bei der Hin-
richtung ihrer Mutter die Drohung ausgestossen, sie wolle
'o von Ringingen an Leib und Gut unglückhaft machen.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^63
Der Vogt habe sie desshalb gleich damals greifen wollen,
doch, da diess An&tand gefunden, den Befehl hinterlassen,
man solle das Weib, wenn es solche Drohungen wieder-
holen würde, ihm nachbringen. Da sie von ihren Reden
nicht gelassen, so habe man sie nach Blaubeuren gebracht.
Für die weiteren Handlungen des Vogts seien sie nicht
verantwortlich und darum zur Genugthuung nicht ver-
pflichtet. Nach verschiedenen Verhandlungen erkannte
das Gericht zu Ulm den Verklagten den Eid zu, dass sie
an der Peen und Marter der Spulerin nicht schuld ge-
wesen imd dieselbe bloss ihrer Drohworte wegen auf Be-
fehl verhaftet hätten. Die Ringinger erklärten sich bereit
zu schwören ; die Klägerin aber appellirte gegen das Ur-
theil an das Kammergericht, wobei insbesondere geltend
gemacht wurde, dass hier nichtiglich das jiuramentum in
supplementum probationis ertheilt worden sei. Das Kam-
mergericht wies die Sache zu weiterer Verhandlung an
das Gericht der Stadt Biberach und gab schon damals
eine gute Probe von der Langsamkeit seines Geschäfts-
ganges, durch welche es späterhin so ausgezeichnet war.
Die in dieser Sache eingereichte Duplik der Appellaten
trägt das Präsentatum vom 2^, Juni 151 8 und ist das
jüngste Stück, das sich unter den Akten findet. Wie lange
der ganze Prozess gedauert hat, ob und wie er entschieden
ward, bleibt daher im Dunkel ; doch ist, was uns hier am
meisten angeht, aus den Zeugenaussagen ersichtlich, dass
die Appellantin das gegen sie eingeschlagene tumultua-
rische und grausame Verfahren der Wahrheit gemäss an-
gegeben hatte.
Wie um jene Zeit ein Inquisitor haereticae pravitatis
in Deutschland sein Geschäft betrieb, mag uns Agrippa
von Nettesheim erzählen; „Als Syndikus zu Metz, —
schreibt er i), — hatte ich einen harten Kampf mit einem
Inquisitor, der ein Bauernweib um der abgeschmacktesten
Verleumdungen willen mehr zur Abschlachtung, als zur
Untersuchung vor sein nichtswürdiges Fonmi gezogen
^) Epist. üb. II. 38, 39 et 40. De vanitate scicntiarum Cap. 96.
i54 Achtzehntes Kapitel.
hatte. Als ich ihm in der Vertheidigiing der Angeklagten
bewies, dass in den Akten kein genügendes Indicium vor-
liege, sagte er mir ins Gesicht : Allerdings liegt ein sehr
genügendes vor, denn ihre Mutter ist als Zauberin ver-
brannt worden. Ich versvarf ihm diess als ungehörig; er
aber berief sich auf den Malleus maleficarum und die peri-
pathetische Theologie und behauptete, das Indicium müsse
gelten, weil Zauberinnen nicht nur ihre Kinder sogleich
nach der Geburt den Dämonen zu weihen, sondern sogar
selbst aus ihrem Umgang mit den Incuben Kinder zu
zeugen und so das Zauberwesen in den Familien zu ver-
erben pflegten. Ich enviderte ihm: Hast du eine so ver-
kehrte Theologie, Herr Pater ? Mit solchen Himgespinnsten
willst du unschuldige Weiber zur Folter schleppen und
mit solchen Sophismen Ketzer verurtheilen , während du
selbst mit deinem Satze kein geringerer Ketzer bist, als
Faustus und Donatus? Angenommen, es wäre, wie du
sagst: wäre damit nicht die Gnade der Taufe vernichtet?
Der Priester würde ja vergeblich sagen: Ziehe aus, un-
sauberer Geist, und mache Platz dem heiligen Geiste, —
wenn wegen des Opfers einer gottlosen Mutter das Kind
dem Teufel verfallen wäre u. s. w." Voll Zorn drohte der
Heuchler, dass er Agrippa als Begünstiger der Ketzerei
vor Gericht ziehen werde; dieser jedoch liess sich in seiner
Vertheidigung nicht irren. Die Angeklagte wurde befreit
die falschen Ankläger mit einer Geldstrafe belegt, und
den Inquisitor traf die allgemeine Verachtung. — Dieser
Dominikaner hatte sich bei der Gegenpartei berauscht und
Geschenke von ihr genommen. Den Feinden war die
Wahl zwischen dem Anklage- und dem Denunciations-
prozesse gelassen worden ; sie hatten den ersteren gewählt,
und dennoch hatte der Mönch sich alle Chikanen des da-
maligen Inquisitionsverfahrens erlaubt. Das erzählte Er«
eigniss fällt in das Jahr 1519.
Was nun die Einführung des Hexenprozesses in den
verschiedenen Territorien Deutschlands betrifft, so lehrt
die Geschichte, dass dieselbe im sechszehnten Jahrhundert
fast überall ganz allmählich erfolgte, indem man in \ielen
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. 465
Landen noch geraume Zeit hindurch nur im Allgemeinen
von Zauberei sprach, ohne die Hexerei von ihr zu unter-
scheiden, so dass sich der Begriff der Hexe erst nach imd
nach im Volksbewusstsein fester gestaltete.
In der Mark Brandenburg liegt die älteste akten-
mässige Urkunde über Hexereien aus der Zeit des Kur-
fürsten Joachim 11. (1535 — 1571) vor. Es heisst nämlich
in derselben, dass in Neustadt-Eberswalde Zauberei mit
Molken und Bier getrieben sei, und der Kurfürst befahl
darüber ein Erkenntniss der Schöffen in Brandenburg ein-
zuholen, indem er bemerkte, dass er die Sache mit Schrecken
gehört habe. Diese Zauberei mit Bier trat seitdem in der
Mark auffallend häufig hervor. Im Jahr 1545 kochte ein
Weib im Lande Rhinow eine Kröte, Erde von einem
Grabe und Holz von einer Todtenbahre zu einer „Zauber-
suppe" zusammen, welche sie in einen Thorweg goss, den
ein Anderer passiren musste. Diese Hexe, deren Mutter
schon den Achim v. d. Hagen um sein Gesicht gebracht
haben sollte, wurde nach einem Urtheile des Branden-
burgischen Schöffenstuhles verbrannt. Auch jene „Zauber-
suppen" kamen seitdem in der Mark öfters vor. Doch
erfolgten Hexenprozesse einstweilen nur ganz vereinzelt:
1551» 1553» i554i 1563 u. s. f. In den beiden letzten De-
cennien des Jahrhunderts dagegen sehen wir die Hexen-
verfolgung sich in allen Orten des Landes erheben *).
Im Herzogthum Jülich-Cleve-Berg und Mark tritt
ganz vereinzelt eine Art von Hexenprozess im Jahr 1516
hervor*). Eine gewisse Ulant Dammartz, die Tochter
angesehener Eltern, war, weil dieselben zur Verehelichung
mit einem jungen Manne ihre Einwilligung nicht geben
*j V, Rautner, Aktenmässige Nachrichten von Hexenprozessen und Zau-
bereien in der Mark Brandenburg, in den Märkischen Forschungen, Berl. 1841,
S. 236 flf.
2) Vgl. darüber die aktenmässige Berichterstattung von W. Crecelius,
^Bekenntniss einer als Hexe angeklagten Nonne aus dem Jahr 1516" in der
Zeitschr. des Bergischen Geschichtsvereins, B. IX. S. 103 — 110, wonach zu
berichtigen ist, was sich darüber in Tross, Westphalia IH. Jahrg. (1826) S. 11
mitgetheilt findet.
Soldan-Heppe, Hexenprozesse. 30
466 Achtzehntes Kapitel.
wollten, in dem Kloster Marienbaum bei Xanten als No-
vize eingetreten, wo nun alsbaid ein Teufelsspuk begann.
Ulant Dammartz erscheint als vom Teufel besessen, imd
steckt mit ihrer Besessenheit auch andere Nonnen an, die
darunter zum Theile viele Jahre leiden müssen. Endlich
wird im Jahr 1516 eine Untersuchung gegen die inzwi-
schen aus dem Kloster Entflohene, die im Hause ilires
Vaters verhaftet und nach Dinslaken ins Gefangniss ge-
bracht war, eingeleitet. In dem mit ihr angestellten Ver-
hör gesteht sie (ohne Tortur) Folgendes : In ihrem Jammer
darüber, dass sie dem Geliebten hatte entsagen müssen»
hatte sie den Teufel angerufen. Derselbe war ihr alsbald
erschienen und hatte sie Gott und der heil. Jungfrau ab-
schwören und geloben lassen, dass sie ihm treu und hold
sein wollte. So oft sie es nun wünschte, kam er, zuweilen
mit anderen frischen Gesellen und Jungfern (lauter Dä-
monen), die alle, wie ihr eigener Buhlteufel irgend ein
Gebrechen an sich trugen. Dann tanzten sie, ohne dass
es von andern Menschen gesehen werden konnte, indem
sie ganz still zu stehen schienen. Auch fleischliche Ver-
mischungen kamen vor. Sie vergrub und schändete die
in der Communion empfangene Hostie, machte blasphe-
mische Eintragungen in das Gebetbuch. Sie schädigte
immer nur diejenigen Nonnen, welche gerade ihre Freun-
dinnen waren und mit ihr verkehrten, durch Aepfel, Feigen
und Kuchen, die der Böse vorher bezaubert hatte. Sonbt
beschränkte sie sich auf den eigenen Verkehr mit dem
Buhlteufel, dessen Versuchungen sie mitimter auch wider-
stand, z. B. als er sie aufforderte, dem eigenen Vater
Böses anzuthun.
Man sieht, die Hexe war hier noch keine richtige
„Hexe" und der Prozess, den man ihr machte, war noch
kein richtiger Hexenprozess im Sinne des Hexenhammers.
Die Angeklagte ward nicht gefoltert, nicht geschoren M.
*) Sie wurde aber (wie If^fter in seiner Schrift de praestigüs daemonum.
L. 111., Ausg. von 1563, S. 295 ff. mittheilt,) von dem Gef&ngnisswSrter iwei^
mal geschwängert !
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz. Italien, Spanien etc. 467
wurde nur (indem man sie unschädlich machen wollte,)
lange Zeit im Gefängniss zurückgehalten , und schliesslich
entlassen.
Aber auch in den nächstfolgenden Decennien blieb
das Herzogthum Jülich-Cleve-Berg und Mark von dem
Gräuel der Hexen Verfolgung frei, namentlich auch unter
dem Herzog Wilhelm (t 1592), der in dieser Beziehung
ganz dem Rathe seiner einsichtsvollen Aerzte Joh. Weyer
aus Grave und Reiner Solmander aus Büderich folgte ^).
Der Glaube an die Wirklichkeit der Hexerei war natürlich
auch in Jülich-Cleve vorhanden; allein als das richtigste
Verfahren gegen die der Hexerei Angeschuldigten galt
nicht die Tortur, sondern die Wasserprobe, deren Vor-
nahme in einem derartigen Falle durch ein herzogliches
Mandat vom 24. Juli 1581 ausdrücklich befohlen ward 2).
Erst ganz am Ende des sechszehnten Jahrhunderts nahm
die Hexenverfolgung auch hier ihren Anfang. Damals
machte namentlich das Verfahren gegen eine ehrbare, vor-
nehme Greisin aus Büderich, welche während der Tortur
starb und deren Leiche dann durch die Stadt geschleift
imd zu Asche verbrannt wurde, grosses Aufsehen^).
Im Herzogthum Württemberg gab es wie überall
Segensprecher, Geisterbanner, Zauberer und Hexen, aber
bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts kam nur ver-
einzelte Bestrafung, nicht aber eine systematische Ver-
folgung derselben vor. Damals war in dem württembergi-
schen Orte Rüdern ein Mann, Ludwig Morsch, der im
Rufe stand böse Geister bannen zu können, der auch einen
Spruch gegen den Hagel wissen wollte*). Derselbe ist
*) Wolters, Conrad v. lleresbach, S. 153—155.
^ Wigand, Archiv für Gesch. und Alterthumskunde Weslphalens, B. VI,
Heft 4. S. 417.
•) Grevius, Tribunal reformatum, p. 433.
*) Vgl. IC. Pf äff , „die Hexenprozesse zu Esslingen im sechszehnten und
siebenzehnten Jahrh." in der „Zeitschr. för deutsche Kulturgesch." 1856,
S. 264. Der Zauberspruch des Morsch gegen Hagel lautete:
„Ich beschwöre die Wind* und Hagel
bei Jesus Christus, dem Nagel,
a5S Achtiehntes Kapitel.
aber desfalls niemals belästigt worden. Im Jahr 1 550 war
zu Esslingen eine Frau Berta Bull angeklagt worden, dass
sie ein Kind behext habe , allein sie war von dem Unter-
suchungsrichter für unschuldig erklärt worden. Es bestand
überhaupt damals in Württemberg noch kein dem Hexen-
hammer entsprechendes Gerichtsverfahren. Dieses begann
daselbst erst im Jahr 1562 Platz zu greifen, als im An-
fange dieses Jahres Graf Ulrich von Helfenstein, weicher
im Schlosse zu Wiesensteig wohnte, „aus grossen Ursachen
und vielfältigem Geschrei seiner Unterthanen auch aller-
hand gründlichen Anzeigimgen höchlich bewegt" mehrere
(über zwanzig) Weiber wegen Verdachts der Hexerei in
Untersuchung nehmen Uess. Nicht lange nachher verheerte
(am 3. August 1562) ein furchtbares Hagelwetter die Ge-
gend von Esslingen und Stuttgart auf achtzehn Meilen im
Umkreis in entsetzlicher Weise, und indem es nun in der
öffentlichen Meinung feststand, dass dieses Unheil von
Hexen verursacht sei, so nahm die Hexenverfolgung ihren
Anfang '), Man begann die der Hexerei Verdächtigen
auf die Folter {die , .Wippe") zu spannen, aber die Landes-
herrschaft, welche dieses billigte, vermochte doch noch
die Gerichte zu einer möglichst schonenden Anwendung
der Tortur zu ermahnen. Die eigenthche Manie der
Hexen verfolgung brach aber in Württemberg erst im letzten
Jahrzehnt des sechszehnten Jahrhunderts aus.
In Waldsee — im jetzigen württembergischen Do-
li.uil-niNe gelegen, — dem Hauptorte der Standesherrschaft
W.iliiliurg-Wolfcgg-Waldsee , nahmen die Hexenprozesse
im Jalir 1518 ihren Anfang, kamen jedoch bis 1585 nur
M'lir vreinzelt vor. Dagegen verging seitdem kaum ein
Jiihr, in dem das kleine Städtchen nicht mehrere auf dem
ScluMtorhaufen endigende Prozesse sah. Dabei ist zu
illr ihm wanl aufucthon.
Du «ilUl uns unsere Frachle unbe«cli.1digt Ion.
Im Naiiirn liiHtts des V.'i. GoHe^ des S,'s und GoUcs de« b. Gcisln.
>) VhI, ilic cl>en an);ri<>Kene Abhandlung PfiRs in der .ZeitichT. f. dtuuctie
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^5q
beachten, dass ebenso die Untersuchungsakten ein mit der
Zeit mehr und mehr anwachsendes Conglomerat der tollsten
Geständnisse erkennen lassen, wie die Urtheile des Ge-
richts allmählich immer grausamer werden ^). Das letzte,
uns bekannt gegebene Urtheil vom Jahr 1645 befiehlt:
Die Verurtheilte soll dem Scharfrichter übergeben, an den
Richtplatz gefuhrt, und soll „unterwegs zum dritten Male
mit glühenden Zangen zu ihr gegriffen, hernach an eine
Säule gebunden, daran erdrosselt, hernach verbrannt und
die Asche vergraben werden. „Gott der Allmächtige wolle
ihrer Seele gnädig und barmherzig sein!"
Von besonderem Interesse sind die Nachrichten, welche
über den Beginn der Hexenverfolgung in der (in Schwaben
gelegenen) Reichsstadt Nördlingen vorliegen*). — Hier
begann das Gerede von Hexerei und die Furcht vor der-
selben erst in den Jahren 1 588 und 1 589 Platz zu greifen,
wesshalb der Bürgermeister Georg Pferinger mit Hülfe
der beiden Doktoren der Rechte Sebastian Röttinger und
Conrad Graf und des Stadtschreibers Paul Majer alsbald
die Stadt von demHexengeschmeiss zu reinigen beschlossen.
Drei der Hexerei verdächtige arme Weiber wurden auch
1589 gefänglich eingezogen und nach allen Regeln des
Hexenprozesses torquirt ; allein sie gestanden nichts, wur-
den unschuldig befunden und mussten entlassen werden. —
Unglücklicher Weise erregte nun dieses rohe Verfahren
des Magistrats den Zorn des Superintendenten zu Nörd-
lingen, Wilhelm Lutz, der zwar an die Wirklichkeit der
Hexerei glaubte, aber über die Hexenrächerei und über
das Torquiren empört war und den Rath wegen seines
ganz unchristlichen Verfahrens gegen angebliche Hexen
in zwei Predigten abkanzelte. In einer der Predigten
klagte er darüber, dass es des Bezüchtigens wegen Hexerei
kein Ende nehme. Etliche hätten bei ihm schon ihre
^) S. die urkundlichen Mittheilungen bei C. Haas, «die Hexen prozesse*
(Tübingen 1865) S. 84—102.
•) IVeng, die Hexenprozesse zu Nördlingen (Beck'sche Buchhandlung da-
selbst ohne Jahresangabe) und .Hexenprozess- Drangsal E. E. Raths der freien
Stadt Nördlingen" in Hitzig's und Demme*s Annalen, B. XXVI. S. 105—125.
470 Achtzehntes Kapitel.
Schwiegermütter, ja ihre eigenen Eheweiber angegeben;
wohin sollte das noch führen? Dem Rath aber hielt er
vor, dass er wohl einige arme Hündlein gefangen habe,
aber die rechten wohl durchschlüpfen lassen werde. —
Mit diesen Worten fühlte aber der wohlweise Rath der
Stadt seine Ehre angetastet. Daher ertheilte derselbe
nicht nur dem Superintendenten einen scharfen Verweis
dafür, dass er sich in so ungeziemender und höchst be-
denklicher Weise zum Vertheidiger der Hexen aufge-
worfen habe, sondern er beschloss daher jetzt gegen diese
auf Grundlage eines von dem Stadtschreiber Majer aus-
gestellten Gutachtens (worin die Hexerei als ein nur im
nächtlichen Dunkel mögliches Verbrechen hingestellt ward,
das darum nur durch eine „heilsame Tortur" ans Licht
gebracht werden könnte,) mit aller Strenge vorzugehen,
und dabei alle Welt es sehen zu lassen, dass er ganz ohne
Ansehen der Person verfahre, wesshalb er eine Menge
alter Weiber, nicht nur aus den niederen Ständen, son-
dern auch aus den angesehensten Familien verhaften und
einthürmen liess. Doch wurde im letzteren Falle nur an
Wittwen Hand angelegt; unter denselben befanden sich
die Wittwen mehrerer Rathsherrn, auch die Wittwe des
erst 158g verstorbenen Bürgermeisters Gundesfinger. —
Das Prozessverfahren, welches man mit den Eingezogenen
anstellte, war, da man mit der Folter ganz entsetzlich
operirte, ein sehr kurzes, so dass schon im Mai 15^0 drei
Hexen, acht Wochen nachher wieder drei, sieben Wochen
später fünf auf Einmal verbrannt werden konnten. Unter
den letzteren befand sich auch die Frau des Zahlmeisters
Peter Lemp — ein frommes, edles Weib — deren Prozess
wir, weil er die Art und Weise der Hexen Verfolgung zu
Nördlingen in das hellste Licht setzt, auch an herzbe-
wegenden Momenten besonders reich ist, spezieller ins
Auge fassen wollen.
Rebecka Lemp war in Abwesenheit ihres Mannes
auf die durch die Folter erpressten Angaben anderer An-
geklagten hin schon im April 1590 verhaftet worden. Mit
blutendem Herzen hatten es die sechs Kinder mit ange-
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. a^i
sehen, wie die liebe Mutter gepackt und in den schreck-
lichen Thurm abgeführt wurde. Daher schickten sie ihr
nicht lange nachher folgenden Trostbrief zu: „Unseren
freundlichen , kindlichen Gruss , herzliebe Mutter ! Wir
lassen Dich grüssen, dass wir wohlauf sind. So hast Du
uns auch entboten, dass Du wohlauf seiest, und wir ver-
meinen, der Vater wird heute, will's Gott, auch kommen.
So wollen wir Dich's wissen lassen, wann er kommt, der
allmächtige Gott verleihe Dir seine Gnade und heiligen
Geist, dass Du, Gott woir, wieder mit Freuden und ge-
sundem Leib zu uns kommest. Gott woU', Amen. —
Herzliebe Mutter, lass Dir Beer kaufen und lass Dir eine
Salfan backen und Schnittlein, und lass Dir kleine Fisch-
lein holen und lass Dir ein Hühnlein holen bei uns, und
wenn Du Geld darfst, so lass holen; hast's in Deinem
Säckel wohl. Gehab Dich wohl , herzliebe Mutter. Du
darfst nicht sorgen um das Haushalten, bis Du wieder zu
uns kommst etc."
Zu den leiblichen Nöthen, unter denen die Unglück-
liche in dem scheusslichen Gefängniss zu leiden hatte, kam
nun auch die ihre Seele folternde Sorge, dass ihr zärtlich
geliebter Alann sie für schuldig halten möchte. Daher
schrieb sie ihm, als sie seine Rückkehr erfuhr: „Mein
herzlieber Schatz, bis ohne Sorge. Wenn auch ihrer Tau-
send auf mich bekenneten, so bin ich doch unschuldig;
oder es kommen alle Teufel und zerreissen mich. Und
ob man mich sollt' strenglich fragen, so könnte ich nichts
bekennen, wenn man mich auch zu tausend Stücke zerriss.
Vater, wenn ich der Sach' schuldig bin, so lass mich Gott
nicht vor sein Angesicht kommen immer und ewig. —
Wenn ich in der Noth muss stecken bleiben, so ist kein
Gott im Himmel. Verbirg doch Dein Antlitz nicht vor
mir; Du hörst ja meine Unschuld, um Gottes Willen, lass
mich nicht in der schwülen Noth stecken."
Indessen nahm der Prozess mit Rebecka Lemp in
üblicher Weise seinen Anfang. Zweimal überstand sie die
Tortur ohne sich schuldig zu bekennen; bei der dritten
Folterung begann sie jedoch zu verzagen, indem dieselbe
An 2 Achtzehntes Kapitel.
weit länger dauerte und weit grausiger verlief, als die
beiden ersten Male. Sie bekannte sich zu einigen der ge-
ringeren Anschuldigungen; so auch bei der vierten Tortur.
Da war es aber, dass sie heimlich an ihren Mann folgen-
den Brief schrieb : „Mein auserwählter Schatz , soll ich
mich so unschuldig von Dir scheiden müssen, das sei Gott
immer und ewig geklagt ! Man nöthigt Eins, es muss Eins
ausreden, man hat mich so gemartert, ich bin aber so un-
schuldig als Gott im Himmel. Wenn ich im Wenigsten
ein Pünktlein um solche Sache wüsste, so wollte ich, dass
mir Gott den Himmel versagte. O Du herzlieber Schatz,
wie geschieht meinem Herzen ! O weh, o weh meine armen
Waisen! Vater, schick mir Etwas, dass ich sterb;
ich muss sonst an der Marter verzagen. Kommst heut
nicht, so thue es morgen. Schreib mir von Stund an. O
Schatz, Deiner unschuldigen Rebecka 1 Man nimmt mich
Dir mit Gewalt ! Wie kann's doch Gott leiden ! Wenn
ich ein Unhold bin, sei mir Gott nicht gnädig. O wie
geschieht mir so unrecht. Warum will mich doch Gott
nicht hören? Schick mir Etwas, „ich möchte sonst erst
meine Seele beschweren" u. s. w.
Der Mann aber kannte sein Weib, wesshalb sein Glaube
an die Unschuld desselben durch Nichts erschüttert ward.
Daher machte er mit einer Eingabe an den Rath den
Versuch, das geliebte Weib aus den Händen der Peiniger
zu befreien. Die Eingabe, welche sich in den Prozess-
akten zwischen dem siebenten und achten Torturprotokoll
vorfindet, beginnt mit den Worten: „Ehrenveste, fürsich-
tige, ehrsame, wolweise, grossgünstige, gebietende Herrn !
Jüngst verschienener Zeit habe ich wegen meiner lieben
Hausfrau eine demüthige Supplikation übergeben, darin
ich um Erledigung meines lieben Weibes gebeten, mir
aber damals eine abschlägige Antwort erfolgt: dass auf
die SS mal mein Bitt und Begeren nicht statt habe." Da-
her richtet er jetzt an den Rath die Bitte, „meine gross-
günstigen gebietenden Herrn wollen fümehmlich und erst-
lich dahin sehen, dass sie mit allem Ehesten gegen die
missgünstigen — Personen, die sie freventlich — ange-
Hexen pro ze
n Deutschland, der Schweiz, lullen, Span
473
g-eben haben, möge confrontirt und hierbei Bescheid und
Antwort gegeneinander angehört werden. — Ich hoffe
und glaube und halte es für gewiss, dass mein Weib
Alles, dessen man sie bezüchtigt, — nicht einmal Zeit
ihres Lebens i
sie solches rcii
nur im Gerij
mit meinem]
Leuten , — o,
furchtig, steti
Bösen aber ji
Kinder hat s
lieh, und fleist
auch in der
Psalmen Dav
Gott sei Dan!
Gottes Segen
liehe Psalmen
Ueberdiess ki
ich, — mit G
dass sie irge
kleinsten Seh.
oder man des
Daher glaubti
erwarten zu c
weder gleich
frontirung mit
gewähren moi
ging der Rat
zu erhalten, j
gegen das arr..!
Ständnisse hatte.
verbrannt.
Immer schrecklicher wüthete nun das Gericht gegen
die Weiber zu Nördlingen. Für die Menge der Ver-
hafteten fanden sich kaum die nöthigen Haftlokale vor
und der „Peinmann" sah seiner Arbeit kein Ende.
Da geschah es im Oktober 1593, dass auch die Srau
Alsdann wurde sie rasch am 9. Sept. 1 590
AHA Achtzehntes Kapitel.
des Gastwirths zur Krone, Maria Hol! aus Ulm gebürtig,
auf Grund der Angaben einer Gefolterten ins Gefangniss
und alsbald zur Folterbank geführt wurde. Was vor ihr
keine Gefolterte vermocht hatte, das vermochte sie. Stand-
haft ertrug sie alle wiederholten, und mit satanischer Grau-
samkeit immer von Neuem wiederholten und mit jeder
Wiederholung auch immer noch verschärften Torturen, ohne
sich ein Schuldbekenntniss abquälen zu lassen ; und als in
dieser Verlegenheit zur Torquirung der Seele gegriffen
wurde — indem der Rath, sich zu perfiden Vorspiege-
lungen herablassend, bemüht war, ihr die Meinung beizu-
bringen, dass ihre Verwandten und Freunde, ja selbst ihr
Ehemann sie für schuldig hielten, — da hielt das helden-
müthige Weib auch diese Folter aus.
Nach W e n g's völlig glaubhafter Schrift wurde gegen
die unschuldige Maria HoU die Tortur sechsund fünfzig-
mal „mit der ausgesuchtesten Grausamkeit" angewendet, —
das letzte Mal im Februar 1594.
Jetzt aber sah sich der Rath im Gedränge. An dem
stahlfesten Heldensinn des Weibes hatten alle sonst sicher
treffenden, zermalmenden Mittel ihre Kraft verloren und
das Volk, in dessen Augen die Gequälte längst vollkom-
men gerechtfertigt war, begann seinen Zorn und Unwillen
über die nun Jahre lang andauernde Brennerei laut und
unverhohlen zu äussern. Aber freilassen wollte der Rath
die sechsundfünfzigmal Gefolterte nicht, um sich nicht vor
der Bürgerschaft eine Blosse zu geben. Am 22, Aug. 1594
versuchte man es daher noch Einmal mit der Verhafteten,
indem man es ihr vorhielt, dass ihr Ehemann und ihre
ganze Blutsfreundschaft von ihr als einer Teufelszuhälterin
durchaus nichts mehr wissen wollten ; allein auch diese
verruchte Tücke verfehlte ihren Zweck durchaus, und der
Rath von Nördlingen, der in guter Manier aus der Sache
herauskommen wollte, stand wieder rathlos da, — als die-
selbe plötzlich eine ganz neue Wendung erhielt, indem die
Verwandten der Maria Holl in Ulm die Hülfe der Ulmer
Gesandtschaft zu Regensburg anriefen. Durch Vermine-
lung der Nördlinger Abgeordneten zu Regensburg rieh-
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. aj^
teten daher die Ulmer Gesandten an den Rath das Er-
suchen, die Gefangene „ohne Entgeld und mit unverletzter
Ehre** auf freien Fuss zu setzen. Dieses hatte zur Folge,
dass man die nun elf Monate lang Inhaftirte glimpflicher
behandelte, indem man sie soweit mürbe gemacht zu haben
glaubte, dass sie bei gütlichem Zureden sich zum Ge-
ständniss herbeilassen würde. Allein die Kronenwirthin
blieb standhaft, der Rath wusste wiederum nicht, was zu
thun sei, und die Ulmer erhielten gar keine Antwort. Da
aber erliessen die Ulmer Abgeordneten auf nochmaliges
Bitten der Verwandten unter dem i8. September 1594 ein
abermaliges Schreiben an den Rath zu Nördlingen, worin
sie insbesondere Folgendes sehr bestimmt erklärten: Sie
(die Gesandten) hätten nach ihrer Zurückkunft in ihrer
Vaterstadt fleissig Bericht eingezogen und erfahren, dass
sie (die Verhaftete) als eine Ulmer Bürgerstochter jeder-
zeit gottesfürchtig , ehrlich und ohne verdächtigen Arg-
wohn dessen, was man sie beschuldigt, sich erhalten habe.
Ihr verstorbener Vater, vieljähriger Diener des Raths und
Amtmann auf dem Lande, habe sie mit ihren Brüdern und
Schwestern in der Furcht Gottes, des Allmächtigen, er-
zogen, und erstere seien von ihren Oberen zu ehrlichen
Dingen gebraucht worden. Sie könnten sich daher des
Argwohns nicht erwehren, dass besagte Frau durch miss-
günstige Leute (von welchen auch anderen Orts die Obrig-
keit übel verleitet und übereilt worden sei,) angegeben
worden. Auf erneutes Ansuchen der Freundschaft, und
weil die Frau nun elf Monate enthalten werde, hätten sie
diese Fürbitte ergehen lassen, deren Schluss so lautet:
„Darum an E. E. W. nochmals unsere freundliche und
dienstwillige Bitte, es wolle ein E. E. W. nunmehr selbst
diesen Sachen endlich ab- und zur Ruhe helfen, sie, die
gefangene Frau, solcher ihrer Haft ohne ferneren Verzug
und Aufhalt, ohne Entgeld und ihrer Ehren halben unver-
letzt, ledig und auf freien Fuss stellen und sie ihrem Ehe-
wirth, auch ehrlicher Freundschaft solches unseres Bittens
freundlich und dienstlich gemessen lassen.**
Somit war also jetzt wiederholt ein Reichs st and
An(y Achtzehntes Kapitel.
für das heldenhafte Weib eingetreten ! Darüber war nicht
so leicht hinauszukommen. In seiner Noth forderte daher
der Rath den Rechtsgelehrten Sebastian Röttinger auf,
sich über das, was dem Andringen der Ulraer gegenüber
mit der Kronenwirthin anzufangen sei, gutachtlich zu äus-
sern. — Röttinger erklärte, nach den bei allen Gerichten
anerkannten Grundsätzen könnte man die Verhaftete nicht
weiter torquiren und könne sie auch nicht für immer im
Gefangniss zurückhalten. Man möchte sie daher unter
allerlei Beschränkungen entlassen, d. h. sie vor Allem nur
von der Instanz entbinden. Der Verhafteten sei zu er-
öffnen, dass man diese Gnade nur um der gegen sie ein-
gelegten Fürbitte willen ihr zu Theil werden lasse, dass
sie aber vor der Entlassung aus dem Gefangniss eine ihr
noch vorzulegende Urphede zu unterschreiben liabe imd
dass sie nach der Entlassung ihr Haus niemals weder bei
Tage noch bei Nacht verlassen dürfte. — Die Unglück-
liche unterzeichnete die Urphede und ging nun (im Februar
1595) aus der Gefängnisshaft in einen immerwährenden
Hausarrest über! (Das war der Ausweg, den man gefun-
den hatte !) Sie und die Ihrigen riefen späterhin noch-
mals die Ulmer Gesandtschaft zu Regensburg mit der
Bitte an, dahin wirken zu wollen, dass eine angemessene
ehrenvolle Freisprechung erfolge und der Hausarrest auf-
gehoben werde. Gern entsprachen die Ulmer auch diesem
Gesuch, jedoch, wie es scheint, ohne Erfolg, da die Akten
wohl die Ulmer „Fürschrift" vom 28. September enthalten,
dagegen über eine auf dieselbe bezügliche EntSchliessung
des Raths durchaus nichts mittheilen. —
So waren die vier Schreckensjahre von Nördlingen,
1590 — 1594, verlaufen, von denen der Zahlmeister Peter
Lemp in seiner Xördlinger Chronik sagt, dass man ge-
sehen, wie während derselben der Verstand in Nördlingen
spazieren gegangen sei. Fünfunddreissig Weiber waren
während dieser vier Jahre in der kleinen Stadt in Asche
verwandelt worden. Röttinger und Graf, die beiden Haupt-
acteurs bei diesen wüsten Prozessen, starben plötzlich in
Einem Jahre, — beide vor Gottes Gericht geladen, wie
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. 47 y
man in Nördlingen allgemein sagte. — Auch im übrigen
Deutschland zeigt es sich, dass der Begriff der Hexerei
sich im Laufe des sechszehnten Jahrhunderts ganz all-
mählich gestaltete und dass daher eine eigentliche Ver-
folgung derselben erst in den beiden letzten Jahrzehnten
desselben begann. Dabei bietet sich in der zweiten Hälfte
des sechszehnten Jahrhunderts noch vielfach die Wahr-
nehmung dar, dass abergläubisches Segensprechen u. dgl.
und Hexerei neben einander bestanden und von einander
unterschieden wurden. Pas erstere war im Volksglauben
fest begründet und wurde von der geistlichen und welt-
lichen Obrigkeit in der Regel nur durch Belehrung und
Verwarnung bekämpft. Die Hexerei dagegen wurde mit
eigentlichen Strafen geahndet; aber anfangs noch mit ge-
ringeren Strafen, erst später mit dem Feuertode und erst
ganz allmählich beginnt vom Ende des sechszehnten Jahr-
hunderts an die Hexenverfolgung epidemisch zu werden.
Fassen wir z. B. das evangelisch-kirchliche Gebiet im Lande
zwischen Rhein, Mosel, Nahe und Glan ins Auge, so theilt
F. Back in B. III. seines auf dasselbe bezüglichen Werkes,
S. 352 Folgendes mit:
In der Grafschaft Sponheim wurde bei einer
Kirchenvisitation im Jahr 1575 überall danach geforscht,
ob das Volk bei Krankheitsfällen von Menschen und Vieh
zu den Segensprechern laufe oder sonst Zaubermittel ge-
brauche. Dabei trat nun Allerlei zu Tage. Zu Winter-
burg berichtete der Censor von Repach, seine eigene Frau
gehöre zu den Segensprechern und ihre Hülfe werde oft
gesucht, wenn einem Menschen oder einem Pferde ein
Glied verrenkt sei. Als darauf die Frau vorgefordert und
nach ihrem Segenspruch befragt wurde, sagte sie, sie ge-
brauche folgenden:
Der h. Mann St. Simeon
Soll gen Rom reiten oder gähn,
Da trat sein Fohlen uf ein Stein
Und verrenkt ein Bein.
Bein zu Bein«
Blut zu Blut
Im Namen Gottes des V.
478 Achtzehntes Kapitel.
Ader zu Ader, Fleisch zu Fleisch
So rhein khome sie zusammen
In unseres Herrn Jesu Christi Namen.
Also rhein du aus Mutterleib khomen bist.
Wie tief aber mit diesem Unsinn zugleich noch das
katholische Kultusleben im Herzen des Volkes sass, war
aus der Bemerkung der Frau zu ersehen, dass, wenn ihr
Segen Kraft haben sollte, bei demselben fünfzehn Pater-
noster, fünfzehn Ave Maria und einmal der Glaube ge-
betet werden müssten.
Zu Enkirch gebrauchte die Gebärmutter (Hebamme)»
um die Entbindungen zu erleichtem, folgenden Segen:
Bärmutter, war solltu gähn?
Ich geh Ober Feit dem sein Herz abstossen.
Bärmutter, du solst es nit thun.
Die Messen sind gesungen,
Die Messen sind gelesen»
Der N. Bauch soll genesen
Sey wahr in Christi Namen. Amen.
Der Frau des Censors wurde gesagt, dieweil ihr Segen-
sprechen wider Gottes Wort sei, so habe sie zur Vermei-
dung des göttlichen Zornes und der Strafe der Obrigkeit
davon abzustehen. „Solches zu thun hat sie gutwilhg an-
genommen und auch die Wehmutter zu Enkirch sprach
für die ihr gewordene Unterrichtung ihren Dank aus."
Auch ergab es sich bei der Kirchenvisitation, dass
man in den dortigen Gemeinden allerlei besondere Segen
wie für Geburten und Knochenbrüche, so auch für kranke
Kinder, Kühe, Schweine, Pferde etc. gebrauchte.
Bei einer Kirchenvisitation im Jahr 1591 wurde der
Pfarrer zu Gebroth beschuldigt, dass er wie für sein Kind
so auch für sich selbst in Krankheitsfallen den Teufels-
beschwörer in DiUenburg und andere Teufelsbanner ge-
braucht habe, und der Pfarrer war nicht im Stande von
dieser Anschuldigung sich völlig zu reinigen.
Gegen das Ende des Jahrhunderts hatte ein gewisser
Kistenmacher zu Leusel grossen Zulauf von Leuten, welche
vermeinten, er könne Pferde und anderes Vieh, was ihnen
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^yg
abhanden gekommen, durch sein Beschwören wieder her-
beischaffen oder den Zauber lösen, dem sie das Erkranken
ihres Viehes beimassen. Fast auf allen Pfarrconventen,
die um jene Zeit in den Aemtem AUenbach, Birkenfeld
und Herstein gehalten wurden, führten die Geistlichen
Klage darüber, wie durch des Kistenmachers gottloses
Treiben die Leute immer tiefer in den Unglauben ver-
strickt würden. Durch landesherrlichen Befehl wurde da-
her der Inspektor Conon angewiesen, unter Zuziehung
mehrerer Geistlichen den Beschwörer zu verhören, und ihn
durch Belehrung und Bedrohung dazu zu vermögen, dass
er sein sündiges Treiben aufgebe. — Derartige Beschwörer
fanden sich aber auch an vielen anderen Orten vor.
Von dieser den Namen Gottes gebrauchenden und auf
die Abwehr von allerlei Uebel gerichteten Zauberei wurde
aber das eigentlich sogenannte Zaubern, welches der Volks-
glaube als eine auf ein Bündniss mit dem Teufel zu-
rückzuführende Hexerei auffasste , unterschieden. Aber
auch dieses Vergehen wurde in der zweiten Hälfte des
sechszehnten Jahrhunderts nur selten in der barbarischen
Weise geahndet, die in dem nächstfolgenden Jahrhundert
allgemein anerkannte Regel war. Es ist dieses z. B. aus
zwei Fällen zu ersehen, die Back S. 357 mittheilt.
Bei der im Jahr 1591 vorgenommenen Kirchenvisitation
war es zur Anzeige gekommen, dass zu Eckweiler des
alten Hennen Frau der Zauberei verdächtig sei. Die
Visitatoren untersuchten daher die Sache, befanden jedoch,
dass der einzige Ankläger der Frau ihr eigener Mann sei,
der im Verdacht stehe, dass er sie habe umbringen wollen,
wie er sie denn bereits aus seinem Hause Verstössen habe.
Daher ermahnten die Visitatoren den Mann, er solle seine
Frau wieder zu sich nehmen, friedlich mit ihr leben, die
Predigten fleissig besuchen und sich des Besuches der
Wirthshäuser enthalten. Die Frau aber wurde ermahnt,
ihrem Manne zu verzeihen.
In der hinteren Grafschaft Sponheim war 1586 eine
Frauensperson eingezogen worden, welche der Zauberei
angeklagt war. Dieselbe ward von dem Gericht „mit
102 Achtzehntes Kapitel.
gethan, sondern nur infolge teuflischer Berückung" sich
dieser Vergehen schuldig bekannt habe. Der Teufel sei
doch ein Lügner von Anfang an, dem nicht zu glauben
sei. Auch sei er ein geistiges Wesen ohne Leib, könne
also keinen geschlechtlichen Umgang ausüben. Man möge
daher mit ihr als einem schwachen, vom Teufel bethorten
Weibe Erbarmen haben. — Nun erklärte allerdings die
Juristenfakultät zu Marburg nichts destowemger, dass An-
geklagte für eine vera saga zu halten sei, welche mit ihrer
Zauberei Menschen geschädigt habe und daher zu ver-
brennen sei. Ueber den Vollzug dieser Sentenz wird jedoch
nichts gesagt.
Auch unter dem hochgebildeten ältesten Sohne Philipps,
dem Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Cassel (den
die Nachwelt mit Recht den „Weisen" genannt hat,) ist
in dem von demselben regierten Niederhessen keine Hexe
verbrannt worden. Allerdings war auch Er von den Vor-
stellungen seiner Zeit abhängig. Als im Jahr 1571 zu
Allendorf a. d. Werra durch verdächtige Weiber an einem
Knaben allerlei Gaukeleien verübt waren, (sie brachten
aus seinem Auge Fliegen, Kalk und grosse Stücke Holz
hervor,) und Landgraf Wilhelm desshalb den damals als
Humanist und Naturforscher vielgenannten Joachim Ca-
merarius um Rath fragte, übersandte ihm dieser eine
Abhandlung über die Erforschung der Dämonen, tadelte
die Folterung vermeintlicher Zauberinnen als abergläubisch
und grausam und erklärte die Wasserprobe für durchaus
unsicher. Allein L. Wilhelm antwortete: Er müsse das
Recht ergehen lassen und könne nach dem Beispiel be-
nachbarter Obrigkeiten die Wasserprobe nicht ganz ver-
werfen. Denn wenn er gleich nicht verstehe, wie es zu-
gehe, dass solche Zauberinnen nicht untergingen, so schienen
doch die von ihnen verübten Gaukeleien übernatürlich zu sein.
Es gebe noch mehr Geheimnisse, wie die Wirkungen des
Magnets, die er Gott anheim stelle. — Diese Antw^ort des
Landgrafen gab nun Camerarius Veranlassung, denselben in
ernstester Weise vor dem Gräuel der Hexenverfolgung und
Hexenverbrennung zu warnen, wobei er ihm insbesondere
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^gß
das Geschick einer unglücklichen Frau zu Ellwangen vor-
hielt, die darum, weil ihr dem Trunk und Spiel ergebener
Sohn ihr nachgesagt, dass der Teufel ihr Geld gebracht
habe, durch die grausamste Tortur zu einem falschen Ge-
ständniss getrieben und hingerichtet worden sei^).
Wie es scheint, blieben diese Vorstellungen auch nicht
ohne Erfolg; wenigstens war, so lange L. Wilhelm re-
gierte, in Hessen-Cassel von Hexen Verbrennungen nicht
die Rede.
Die erste Discussion über die Zauberei und deren
Verfolgung trat in Hessen 1575 hervor, indem bei dem
zu Marburg residirenden Landgraf Ludwig von Oberhessen
zwei im Amte Blankenstein ergriffene Frauenspersonen,
Mutter und Tochter, welche im Gerüche der Zauberei
standen und sich auch gegenseitig „Zäubersche" schimpften,
zur Anzeige imd nach Marburg in Haft gebracht waren.
Der Landgraf kam über diesen Fall in die grosste Noth;
denn gegen die Verhafteten ohne Weiteres nach der pein-
lichen Halsgerichtsordnung des Reichs verfahren zu lassen,
hinderte ihn sein Gewissen. Daher legte er die Sache
der gerade damals in Marburg versammelten General-
synode Gesammthessens vor, die er aufforderte sein Ge-
wissen zu berathen *). Bei der hierdurch veranlassten Dis-
cussion der Synode zeigte es sich nun allerdings, dass die
Mitglieder derselben von dem Glauben an die Möglichkeit
einer mit teuflischer Hülfe zu bewerkstelligenden Zauberei
beherrscht waren. Der Superintendent der Casseler Diö-
cese klagte, deiss das Unwesen der Zauberei neuerdings
immer mehr überhand nehme, wesshalb man demselben
mit aller Macht zu wehren verpflichtet sei. Andere Stim-
men aber machten darauf aufmerksam, dass der Teufel
ein Lügner von Anfang sei und nicht aufhöre, unschuldige
Leute in argen Verdacht zu bringen. Schliesslich mochte
aber die Synode sich in diese Angelegenheit, die gar nicht
*) V. Rommel, Gesch. von Hessen, B. V. S. 657.
*) Vgl. Heppe, Gesch. der hessischen Generalsynoden von 1568—1582,
B. 1. S. 139 ff-
aSa Achtzehntes Kapitel.
vor ihr Forum gehöre, mischen und überliess es dem Land-
grafen dieselbe nach Recht und Gesetz untersuchen zu
lassen.
Mit dieser Kundgebung der Generalsynode war jedoch
der zu Cassel residirende Landgraf Wilhelm, der Weise
genannt, durchaus nicht zufrieden, wesshalb er alsbald
durch ein Generalausschreiben alle Pfarrer Niederhessens
aufforderte ^) , das Volk zu belehren , dass die Zauberei
Niemandem schaden könne, wenn man nicht daran
glaube. Denn der böse Feind habe keine Macht, wo
man ihm nicht Raum gebe.
Anders aber als der erleuchtete Landgraf Wilhelm
dachte dessen jüngerer Bruder Georg zu Darmstadt, der
gegen Ende des Juni 1582 mehrere Frauenspersonen als
überführte Hexen verbrennen liess^). Es war dieses das
erste Vorkommniss dieser Art in Hessen. Um so erfreu-
licher war die für jene Zeit wahrhaft imponirende Frei-
sinnigkeit, welche die in diesem Jahre zu Marburg ver-
sammelte Generalsynode in ihrer Auffassung der Hexerei
und des Teufelsspuks kund gab.
Hier theilte nämlich der Superintendent Meier zu Cassel
mit, in Cassel sei ein gewisser Heinz Badstuber, der an-
geblich vor einer Reihe von Jahren mit dem Teufel einen
Pact auf zwölf Jahre eingegangen habe, nach deren Ab-
lauf er dem Teufel verfallen sein wollte. Da nun die
Verfallzeit seiner Seele bevorstehe, und er desshalb in
grosser Noth sei, so bitte er, dass ihm seitens der Kirche
gegen den Teufel Schutz und Hülfe gewährt werden
mochte. Der Superintendent füg^e hinzu, vorläufig habe
er den Badstuber ermahnt, gegen die Anfechtungen des
leidigen Satan die Waffen des Gebets zu gebrauchen, und
den Bund zu halten, welchen er in der Taufe mit seinem
Gott und Heiland geschlossen habe, um den Bund mit dem
Teufel aber sich nicht zu kümmern. — Diese Mittheilung
war natürlich der ganzen Synode sehr überraschend : aber
*) Gencralsynoden II. S. 245 — 246.
-) Oenfrahvnoden, B. 11. S. 245.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. 485
nicht Eine Stimme forderte, dass gegen den Badstuber
peinlich vorgegangen würde. Vielmehr wurde mehrseitig
geäussert, dass möglicher Weise die ganze Geschichte er-
logen sei, imd schliesslich vereinigte man sich zu dem
Beschluss, der Badstuber sollte in spezielle kirchliche Auf-
sicht genommen, zum täglichen Besuch der Gottesdienste
angehalten, in denselben sollte für eine vom Teufel ange-
fochtene Person gebetet und eventuell sollte er in Kirchen-
busse genommen imd öffentlich absolvirt werden. Von
einer „Leibesstrafe** aber habe man, „weil dieser Fall mehr
durch des bösen Feindes betrügliche Nachstellung als durch
des Badstubers Rath und zeitigen Vorbedacht geschehen,"
Abstand zu nehmen.
Weiterhin wurde angezeigt, dass sich eine der Hexerei
bezüchtig^e Frau zu Darmstadt durch ihr Davonlaufen ver-
dächtig gemacht habe. Sie sei allerdings zurückgekehrt,
allein sie sage selbst, dass sie des Teufels sei und dass
der Teufel in ihrem Namen gethan habe, was man ihr
Schuld gebe. Es frage sich daher, wie man gegen die-
selbe zu verfahren habe. Der Berichterstatter fügte je-
doch hinzu, man habe ein gross Geschrei gemacht, dass
die Angeklagte mehrere Eheweiber behext habe; es sei
dieses aber jedenfalls erlogen. — Diese Mittheilung gab
zu einer Discussion über das Zauberwesen überhaupt Ver-
anlassung. Die Stellimg, welche die meisten Synodalen
zu der Frage einnahmen, war in der von dem Hauptmann
von Ziegenhain Eitel v. Berlepsch (als landesherrlichem
Comraissar) abgegebenen Erklärimg dargestellt : Er sei
der Meinung, ein Christ solle nur den Teufel und die
Zauberei verachten, und der Teufel habe verloren. Wenn
man aber die bösen Künste hochachte und sie fürchte, so
habe der Teufel gewonnen. — Am ausführUchsten sprach
sich der damalige Stadtpfarrer zu Marburg (H. Herder)
aus : Wenn die Zauberin zu Darmstadt erkläre, der Teufel
möge das ihr Schuld gegebene in ihrem Namen gethan
haben, so sei dieses wohl zu überlegen. Denn es sei be-
kannt, wie der Teufel durch seine betrüglichen Einge-
bungen bei den zauberischen Tänzen die Hand im Spiele
486
Achtzehntes Kapitel.
habe, indem wohl Etüche bei denselben zugegen sein
möchten, aber sehr Viele nur durch die Berückung und
Illusion des Satans dabei gewesen zu sein vermeinten.
Auch stelle des Teufels Trug dabei gar manchmal ima-
gines innocentissimorum hominum als Zauberer vor und
bringe dieselben dadurch in bösen Verdacht. Der Satan
gebe den von ihm Besessenen auch Träume ein und suche
dieselben dadurch zu berücken, dass sie glauben müssten,
sie hätten das in Wahrheit erlebt oder die Dinge wirklich
gethan, mit denen sie nur im Traume zu thun gehabt hätten.
Man solle das Volk darüber belehren, dass ohne Gottes
Willen die Zauberei keinem Menschen Schaden bringen
könnte, und wenn Jemand durch sie geschädigt zu sein
glaube! so solle er sagen: Dominus dedit, Dominus
abstulit. Auch solle man das Volk ermahnen, sich mit
der Waffe des Gebets gegen die Anläufe des Teufels zu
schützen, und nicht Alles, was unerklärUch erscheine, für
des Teufels Blendwerk zu halten. Denn gar Vieles sehe
man, wie der Superintendent Meier richtig bemerkt habe.
als Zauberei an, was doch mit ganz natürlichen Dingen
zugehe.
In dem Beschluss, den die Synode betreffs der Zau-
berei in ihren Abschied aufnahm, Hess daher dieselbe wohl
den Glauben an Zauberei und an die MögUchkeit eines
Bundes mit dem Teufel unangetastet, aber sie forderte
auch, „dass nicht allein insgemein gegen die Zauberei ge-
predigt, sondern auch das Volk unterrichtet werde, dass
nicht Alles, so den Leuten begegnet, der Zauberei zuzu-
schreiben sei, da gar Vieles aus Gottes sonderücher Schickung
oder auch natüriichen Ursachen geschehe, und dass keiner
weiter als es Gott verhänge, durch Zauberei könne be-
schädigt werden ; dagegen wahre Busse , das Gebet und
andere christliche und auch natürliche Mittel gebraucht
und auch das unchristliche Verieumden und unschuldiger
Leute Diffamation gänzlich verhütet werden solle, wie das-
selbe von einem Christen insonderheit erfordert wird" *). -
~ ') üeber alle diese Verhandlungen vgl. ire/>/>e, hessische Generalsynoden.
B. 11. S. 230—252.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^87
Die Generalsynode von 1582 war die letzte, aufweiche
sich Vertreter der Kirche aller Theile Hessens zusammen-
sahen. Durch die Verhandlungen über die Concordien-
formel waren die confessionellen Gegensätze so stark an-
geregt, dass fernerhin nur Spezialsynoden der einzelnen
hessischen Territorien möglich waren. Nun ist zu beach-
ten, dass während in Niederhessen bis zu des Landgrafen
Wilhelm IV. Tod (1592) nicht Eine Hinrichtung wegen
Hexerei vorkam, in den anderen hessischen Territorien,
nämlich in dem von L. Ludwig zu Marburg regierten
Oberhessen, und in Hessen-Darmstadt, wo der lutherische
Confessionalismus Platz gegriffen hatte, eben damals auch
die Hexenverfolgung ihren Anfang nahm. Im Jahr 1584
klagte ein achtzigjähriger Greis zu Nidda bei dem L. Lud-
wig zu Marburg, seine Frau sei der Hexerei angeklagt
und desshalb mit der scharfen Frage angefasst und ge-
martert, endlich aber unschuldig befunden und allen Ver-
dachts frei gesprochen worden. Gleichwohl wolle sie nun
der Rentmeister zu Nidda als eine verdächtige Person in
der Stadt nicht dulden. Im Jahr 1591 war eine Frau wegen
Verdachts der Hexerei torquirt und als unschuldig ent-
lassen worden. Ihr Mann bat nun den Landgrafen Lud-
wig den Kläger zum Schadenersatz anzuhalten, weil seine
Frau durch die Tortur für ihr ganzes Leben zum Krüppel
geworden sei. Im Jahr 1595 wurde eine Hexe auf der
Amöneburg verbrannt, während viele andere Verdächtige
in Haft waren. Die heftigste Hexenverfolgung fand aber
in den Jahren 1596 — 1598 statt. Aus allen Aemtem des
Landes wurden damals Verdächtige, namentlich nach Mar-
burg, in Haft gebracht.
In der Landgrafschaft Hessen-Darm Stadt stellte
L. Georg zu Darmstadt ^) (t 1596) eine peinliche Gerichts-
ordnung, welche für dieses Land die erste gegen das
Hexenwesen gerichtete Strafbestimmung brachte. In der-
selben heisst es nämlich: „Die Zauberei ist ein gräuliches,
*) Vgl. Steiner, Georji I. Landgr. von H.-Darmstadt (Gross-Steinheim.
1861) S. 55 ff.
AgQ Achtzehntes Kapitel.
sonderbares, ungöttliches , hochsträfliches Laster, welches
jetziger Zeit fast allenthalben unter den Weibspersonen
durch Gottes gerechten Zorn und Verhängniss eingerissen,
daher die Beamten mit allem Fleisse inquiriren, alsbald
eine Person des Lasters bezüchtigt und ein Geschrei er-
schollen, da es sich befindet, dass eine publica vox et
fama sei, zu Haften bringen sollen.*' Nach dieser Vor-
schrift wurde denn auch in Darmstadt alsbald wacker
Hand ans Werk gelegt. Im Jahr 1585 waren daselbst
nicht weniger als dreissig Personen wegen Hexerei in
Untersuchung, von den siebenzehn (derenNamen wir wissen,)
hingerichtet, und sieben des Landes verwiesen wurden.
Eine Unglückliche machte ihrem Leben selbst ein Ende').
In der Landgrafschaft Hessen-Cassel (Nieder-
hessen) dagegen hielt man sich noch immer an die alte
Reformationsordnung von 1573, welche alle Wahrsagerei,
Cristallenseherei und dergleichen Aberglauben streng zu
ahnden befahl; dagegen war hier von der spezifischen
Hexerei noch immer keine Rede. Ein ganz vereinzelt da-
stehender Fall war die in einer Schmalkalder Chronik
zum Jahr 1 598 erwähnte Verbrennung einer Hexe, welche
„die Milch der nachbarlichen Kühe stehen gemacht, sechs
Pferde gesterbt und das aus dem Munde genommene h.
Abendmahlsbrot in ein anderes Brot gebacken und auf
Anstiften des Satans ihrem Sohne zu essen gegeben.*' Es
wird dabei bemerkt, dass dieses ein seit hundert Jahren
nicht vorgekommener Fall gewesen sei *). Im eigentlichen
Niederhessen ist der erste aktenmässig feststehende Fall,
dass ein wegen Zauberei Angeklagter (Joh. Kohler, gt**
nannt Stölzelfuss aus Niederurf) „durch Richter und Schöffen
zur scharfen Frage erkannt" werde, im Jahr 1605 vorge-
kommen. Seitdem nahmen die Hexenprozesse freilich auch
in Niederhessen überhand. Doch ist zu beachten, dass
einer der ersten, welche auf die gefahrliche Anwendung
') V^l. <ien Art. .Zur Hexen^cschichlc* m der Danwst. Zeitunu voo
j85^ Nr. 11 ;i.
*-) Ä'of/imt'/, (u'stli. V. Ill'^^en. H VI, S. f>3l.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz. Italien, Spanien elc. ^go
der Tortur aufmerksam machten, ein Hesse war, nämlich
Ludwig Gilhausen^), des berühmten Vultejus würdiger
Schüler.
In der Grafschaft Nassau-Dillenburg wurde der
Ausbruch der Hexenverfolgung am Ende des sechszehnten
Jahrhunderts für geraume Zeit durch den trefflichen (re-
forrairten) Grafen Johann VI. (t 1606) — der die Leib-
eigenschaft in seinem Lande aufhob und für die Hebung
der geistigen Bildung seines Volkes sehr thätig war, —
aufgehalten. Es liegt ein Erlass desselben vom 28. Juli
1582 vor^), aus welchem zu ersehen ist, mit welchem
Ernste und mit welcher Freisinnigkeit er sich über die
Frage, wie die Hexerei anzusehen und was ihr gegenüber
zu thun sei, ins Klare zu bringen suchte. Er sagt, dass
er trotz vielfältiger Klagen über Beschädigung von
Menschen und Vieh, welche „von Zauberinnen entspringen
sollen", und trotzdem, dass ihm die angeblichen Hexen
genannt worden seien und ihre „Ausrottung** verlangt werde,
doch nicht gegen sie vorgegangen sei, sondern er habe
erst bei sich selbst nachgedacht, dann habe er sich bei
vornehmen Standespersonen und in- und ausländischen
Rechtsgelehrten erkundigt und sei zu dem Resultat ge-
langt, dass man in Sachen, welche Leib und Leben und
der Seelen Seligkeit betreffen, „nicht liederlich** und auf
blosse Anzeige hin handeln, auch Niemanden vor einge-
zogener besserer Erkundigung angreifen, geschweige denn
mit ihm zum Feuer eilen dürfe. Damit er aber jeder Zeit
wissen möge, was es mit Denjenigen, die als „Hexen oder
Zauberinnen angegeben werden**, für eine Beschaffen-
heit habe, so sollten sich die Schultheissen jedesmal bei
den Heimburgen , bei vier Geschworenen und anderen un-
parteiischen Leuten im Stillen erkundigen, wodurch die
angeschuldigten Personen in den Verdacht der Hexerei
gekommen wären, ob gegründete Beweise für die ihnen
') Tittmanns Gesch. der deutschen Strafgesetze (1830), S. 290—291.
*) Dieses interessante Actum hat L. Götze in den ^Annalen des Vereins
für Nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung", B. XIII. S. 327
bis 329 mitgetheilt.
AQO Achtzehntes Kapitel.
zur Last gelegte Schadenstiftung vorhanden und nament-
lich, „wie sie sich von Jugend auf bis anhero erzeigt, ob
sie sich christlich und fromm, auch aller guten Nachb<ir-
Schaft beflissen und sich diesfalls unbescholten verhalten
hätten." — Durch diesen so verständigen Erlass des Gra-
fen wurden damals die Schultheissen zu Herbom, Haiger,
Dillenburg, Dringenstein, Eberspach und Burgpach be-
schieden.
In Hamburg war schon im Jahr 1521 ein Doktor
Viet, der besonders als Accoucheur viel beschäftigt war,
wie es scheint, wegen der Hexen- und Zauberkünste, die
er dabei getrieben haben soll, lebendig verbrannt. Der
nächstfolgende Fall zeigt dann bereits, dass die Justiz vom
Boden des alten Rechts sich zu dem die Hexenprozesse
charakterisirenden Willkürverfalnpen hinzuneigen beginnt,
zumal da hier gar nicht eine Anklage auf Zauberei vor-
lag. Der Fall betraf den ersten Märtjn-er des Evangeliums
in jener Gegend, Heinrich von Zütphen, deneinHam-
burgischer Offizial durch seinen Vikar Johann Schnittger
1524 zum Scheiterhaufen verurtheilen liess. Das Urtheil
lautete : „Dieser Bösewicht hat gepredigt wider die Mutter
Gottes und wider den christlichen Glauben, aus w^elcher
Ursache ich ihn vonwegen meines gnädigsten Bischofs
zum Feuer verurtheile." Doch kamen derartige Fälle zur
Zeit in Hamburg wie anderswo nur ganz vereinzelt vor.
Anders aber wurde die Sache, als in Hamburg die Folter
eingeführt wurde, indem eben damit auch die grosseren
Hexen verfolgimgen begannen. Der erste Fall, wo zu
Hamburg erweislich die Tortur zur Anwendimg kam, war
auch der erste Fall einer grösseren Hexenverfolgung. Am
16. Juli 1555 nämlich wurden zu Hamburg von vierzehn
Hexen, welche in Haft waren, zwei zu Tode gepeinigt
und vier (worunter die „Vögtin aus Hamm" war) lebendig
verbrannt. Schon 1556 wurde sodann am 25. Juli ein
Hexenmeister sammt seinen Kameraden lebendig mit dem
Feuertode bestraft. Dasselbe geschah am 12. August 1576
mit fünf Hexen (deren Namen genannt werden). Später
wurden am 12. August 1581 sechs Hexen, am 8. März 158.^
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^g i
eine und am 26. August desselben Jahres fünf Hexen ver-
brannt*). Auch werden Hexenverbrennungen zu Hamburg
aus den Jahren 1589, 1591 und 1594 erwähnt*).
In Hamburg erschien auch damals (1587) die erste nie-
der deutsche Druckschrift über den Hexenprozess unter dem
Titel; De Panurgia lamiarum, sagarum, strigum ac vene-
ficarum totiusque cohortis magicae Cacodaemonia LL. m.,
Dat ys: Nödige vnd nütte vnderrichtinge, i) Van der Tö-
verschen geschwinden list vnd geschicklichkeit quadt to
donde; 2) Vnde dat Töverye eine düvelsche Sünde sy, de
wedder alle teyn Gebade Gades strydet ; 3) Vnde, wo eine
Christlike Ouericheit mit sodanen gemeinen Fienden Minsch-
likes geslechtes vmmeghan schöle. Durch M. Samuel em
Meigerium, Pastoren tho Nordtorp in Holstein (Ma-
lachiä 3)." —
Sehr geringen Anklang scheint die Hexenverfolgung
im sechszehnten Jahrhundert in Lübeck gefunden zu
haben; wenigstens werden in Dittmer's Sassen- und
Holstengericht {Lübeck, 1843) ^^^ ^^^ Gerichts-Annalen
des klösterlichen Vogteigerichts zu Lübeck nur drei Fälle,
aus den Jahren 1551, 1581 und 1591 erwähnt*). Im Falle
von 1551 dringen aber die Angeklagten selbst mit Unge-
stüm auf Untersuchung der gegen sie erhobenen Anschul-
digung, wobei eine Frau äussert: „will mir Gott nicht
helfen, so helfe mir der Teufel," infolge dessen diese nun
peinlich verhört, zum Bekenntniss gebracht und nun zum
Feuertode verurtheilt wird. Der Prozess von 1591 endete
so, dass der Ankläger verhaftet wird und der Angeklagten
;i^ Schill, für ihre Unkosten, sowie 60 Seh. Brüche an das
Kloster zahlen muss.
In der Reichsstadt Nordhausen erfolgten die ersten
Hexenverbrennungen, von denen wir wissen, im Jahr 1573.
Etwas Eigenartiges tritt in der dortigen Zauberei insofern
hervor, als die beiden Hexen, welche in dem genannten Jahre
1) C. Trümmer, Vorträge etc. S. 110—112.
'^) Ebendas. S. 115.
') Der nächstfolgende Fall gehört dem Jahre 1631 an.
^Q2 Achtzehntes Kapitel.
justifizirt wurden, die Geschicklichkeit besassen, den Leuten
Eiben (Plagegeister) im Namen des Teufels massenweise
anzuhexen, und dieselben auch im Namen Gottes aus den
Menschen wieder zu vertreiben*).
Auffallend früh und mit besonderer Heftigkeit trat die
Hexenverfolgung in denjenigen deutschen Landen her\'or,
welche an romanische Gebiete angrenzten.
Im Elsa SS begannen sich die Hexenprozesse nament-
lich seit 1570 zu mehren^). Ein furchtbares Brennen fand
an vier Oktobertagen des Jahres 1582 statt'). In dem
kleinen Städtchen Thann im oberen Elsass wurden in einem
Zeitraum von achtimdvierzig Jahren (1572 — 1620) nicht
weniger als hundertsechsunddreissig Hexen hingerichtet,
und zwar fast alle verbrannt, einzelne dabei noch auf dem
Wege zur Richtstätte wiederholt mit glühenden Zangen
gezwickt *). Und doch war das Alles nur das Vorspiel zu
den massenhaften Hinrichtungen, welche nach 1620 er-
folgten! In den Jahren 161 5 — 1635 wurden im Bisthum
Strassburg an fünftausend Hexen hingerichtet*).
In Flandern wüthete die Hexenverfolgung durch
die zweite Hälfte des sechszehnten und durch das sieben-
*) Försiemann, Kleine Schriften zur Gesch. der Stadt Nordhausen (lb5;>)
S. 102 fF.
') Wie gross die Angst des Strassburger Magistrats vor dem Teufel im
Jahr 1535 war, ist aus einem Vorfall 2u ersehen, den Retiss (in der unten an-
geführten Schrift S, 179) mittheilt. Damals hatte ein Ungenannter den Magi-
strat ersucht, ihm den Druck einer Schrift Über die Werke des Teufel > zu
Schiltach (welches Städtchen die Hexen angezündet hatten,) zu gestatten. Der
Magistrat lehnte jedoch das Gesuch mit dem Bemerken ab, dass er mit dem
Teufel nichts zu schaffen haben wollte.
') WarhalTte vnd glaubwirdige Zeyttung von Hundert vnd vicrvnddrey^sii;
Unholden, So vmb irer Zauberey halben diss verschinen ISB'i Jars zu Gc-
fcncknus gebracht vnd den 15. 19. 24. 28 October auff ihr vnmcnschlicbc
Thaten vnd gräwliche aussag — — zum Fe wer verdampt vnd verbrennet
worden.* Strassburg, 1583 (4'*)-
*) Rudolphe Reuss^ La sorcellerie au 16. et au 17. si^cle, particulicrcmenl
en Alsace, S. 192 — 194.
*) SchrtUur iiu Taschenb. für Gesch. u. Alterth. in Süddcutschhnil,
l84^>, S. 19:1.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. 403
zehnte Jahrhundert hin und wie überall, so war es auch
hier die Folter, welche die Hexen an den Tag brachte ^).
O est erreich hielt sich — Dank seiner verständigen
Gesetzgebung! — von den Gräueln der Hexenverfolgung
ziemlich lange frei. Aus den Jahren 1498 und 1499 wird
von einer „Alraune" (d. h. Zauberin) zu Wien berichtet,
welcher der Landeshauptmann und der Bürgermeister mit
vierundzwanzig Gewappneten auf dem Lande nachgestellt
habe. Man will nun zwar nicht die „Alraune", aber deren
Gefährten bei Dümkrut gefasst haben und derselbe soll
mit dem Schwerte hingerichtet und verbrannt worden sein ^),
Verbürgt ist nur eine 1498 am 21. Oktober zu Wien vor-
gekommene Hinrichtung durch das Schwert und Ver-
brennen, wobei die Weigerung des Wiener Scharfrichters
bemerkenswerth ist, „der nicht richten hat wollen". Man
hatte daher den Scharfrichter von Krems herbeiholen
müssen, welchem — und das ist ebenfalls zu beachten, —
nach geschehener Exekution „das Schwert neu gefasst
und zugerichtet wurde". Dieses ist der einzige akten-
mässig feststehende Wiener Fall im fünfzehnten Jahr-
hundert ^).
Auch um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts
treten in Oesterreich nur wenige Fälle von Hinrichtungen
hervor. Grosses Aufsehen machte die 1540 an einer Un-
holdin Barbara Pachlerin, die auf dem Hexenstein im Ti-
roler Samthai ihr höllisches Unwesen getrieben, vollzo-
gene Exekution, indem dieselbe durch den Henker von
Meran zu Asche verbrannt wurde*).
Der nächste Fall, dessen Akten noch vorhanden sind,
gehört dem Jahre 1 583 an. Derselbe betraf ein sechszehn-
') Eine Sammlung von hierauf bezüglichen Urkunden wird von Cannaert
in dessen Schrift Ober den Procös des sorci^res en Belgique (Gand 1847)
mitgetheilt.
') A. Silber stein, Denksäulen im Gebiete der Kultur und Literatur (Wien,
1879), S. 211.
■) Schlager, Wiener Skizzen aus dem Mittelalter, Neue Folge, II. S. 35.
*) „Barbara Pachlerin, die Sarnthaler Hexe", herausgegeben von Jgn,
Zingerle, Insbr. 1858.
AQA Achtzehnles Kapitel.
jähriges Mädchen, Anna Schlutterbauer aus Mank, und
deren Grossmutter, die siebenzigjährige Elisabeth Plai-
nacherin. Das junge Mädchen litt an Krämpfen und galt
als besessen, wesshalb es auf kaiserlichen und bischöf-
lichen Befehl exorcisirt werden sollte. Die Jesuiten, denen
man nun diese ehrenvolle Operation zuwies, bereiteten
sich alsbald durch Fasten, Geisselung und andere dem
Teufel verhasste Werke auf ihr schwieriges Vorhaben vor.
Doch war der Kampf der frommen Väter mit dem hart-
näckigen und verschmitzten Satan nicht leicht. Er dauerte
(zuerst in St. Polten begonnen, dann in Mariazell und
schliesslich in der St. Barbarakirche am alten Fleisch-
markt zu Wien fortgesetzt,) geraume Zeit. Endlich aber
(am 14, August 1583) gewannen die Patres doch die Ober-
hand, indem sie nicht weniger als 12652 (sage: zwölf-
tausendsechshundertzweiimdfünfzig) lebendige Teufel aus
dem Leibe des Mädchens austrieben. Dasselbe wollte ge-
sehen haben, wie seine Base die Teufel als Fliegen in
Gläsern bewahrte, mit Teufeln umging u* s. w. Die arme
Greisin wurde nach den Betheuerungen ihrer Unschuld
erst mit zwei, dann mit drei Steingewichten auf die Leiter
gestreckt, und schliesslich bekannte sie nicht nur Alles,
sondern noch mehr als man haben wollte, nämlich: dass
der Teufel ihr als Zwirnknäuel, als Kätzchen erschienen
sei, dass sie während fünfzig Jahren Wetter gemacht, ja
dass sie zum Hexensabbath auf den Oetscher — eine ein-
sam hervorragende, mächtige Alpenhohe — gefahren sei ^).
— Vergeblich hatte der Stadtrichter anfanglich beantragt,
die Greisin als eine altersschwache Person in einem Ver-
sorgungshaus unterzubringen ; er musste sie schliesslich
verurtheilen, worauf sie zum Richtplatz auf zwei Brettern,
die mit Stricken an einem Pferdeschwanz gebunden waren,
hinaus nach Erdberg auf die „Gänsweid" geschleift und
dort verbrannt wurde.
Aus dem Jahr 1 588 wird berichtet, dass man in Wiener-
*) Schlager, Wiener Skizzen im Mittelalter, U. 65 ff.; Jos, Huber , der
Jesuitenorden (Rerl. 1873), S. 339—340 und Silberstein, S. 212—213.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz. Italien, Spanien etc. 4g e
Neustadt zwei Zauberinnen und einen Zauberer, die Un-
geziefer machten, gefangen hatte. Ein Inquisitor ward
verschrieben, der auch nach Wien kam, aber am Tage
nach seiner Ankunft daselbst im Bette todt gefunden
wurde ^). — Der Hexenprozess war immer noch nicht recht
im Gange, aber die Folter that schon ihre Dienste.
In den Jahren 1601 imd 1603 waren zwei arme Weiber
als angebliche Hexen im Kriminalhause in der Himmel-
pfortgasse zu Wien in Haft. Eine derselben machte ihrem
Leben imd ihren Qualen ein Ende, indem sie sich in den
Brunnen des Gefängnisses stürzte; die andere unterlag
den Qualen der Folter. Die Leiche der letzteren wurde
daher auf die Gänseweide am Erdberge geschleift imd
daselbst verbrannt. Die Leiche der ersteren dagegen, die
noch nichts gestanden hatte, durfte nicht verbrannt, konnte
aber auch nicht, als der magia posthuma verdächtig, in
der Nähe Wiens beerdigt werden. Sie wurde daher in
ein Fass gepackt und mit demselben in die Donau ge-
worfen, damit sie fem von Wien verwese*).
Mit am frühesten, brach die Hexenverfolgung, — die
bisher nur vereinzelt vorgekommen war, — in grösseren
Massen im italienischen Tyrol hervor. Eine im Statt-
halterei-Archiv zu Insbruck aufbewahrte Aufzeichnung vom
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts berichtet über die Justifi-
zinmg von etwa dreissig Hexen aus dem Fleimser Thale,
die unter dem Hauptmann Vigil von Firmian eingezogen
worden waren. Die meisten wurden verbrannt oder er-
säuft : einige retteten sich durch die Flucht. Das Vermögen
Aller (welches bei jeder Delinquentin genau angegeben ist,)
wurde confiscirt ^). — Auch im deutschen Südtirol
kamen schon in den ersten Jahren des sechszehnten Jahr-
hunderts vereinzelte Hexenverbrennungen vor. Der erste
grössere Prozess fand is'io gegen neun Weiber aus dem
Gericht Völs statt. Aus den Akten desselben*) erhellt,
') Silber stein, S. 213— 214.
*) Roskoff, Gesch. des Teufels. B. II. S. 305.
') Z. Rapp, die Hexenprozesse und ihre Gegner aus Tirol, S. 16—17,
*) Dieselben finden sich bei Rapp, S. 143—175 abgedruckt.
4q6 Achtzehnte« Kapitel.
dass damals die Doktrin des Hexenhammerb von der Teu-
felsbuhlschaft dem Volke Tirols noch fremd war. Die den
Hexen auf der Folter abgemarterten Gestandnisse weisen
aber auf einen Tiroler Volksaberglauben hin, der manches
Eigenthümliche hatte. Die Hexen standen in einem Bund-
niss mit dem Teufel, welches die Ausrottung des christ-
lichen Glaubens zum Zwecke hatte. An gewissen „Erch-
tagen" (Dinstagen) fuhren sie auf Stöcken , Stühlen oder
sonstigen Dingen zu Versammlimgsstatten, wobei sie in
des Teufels Xamen die Worte sprachen: „Oben aus und
nindert an," imd dadurch sicher gen Terlan, auf die Wolff,
auf Gfell oder auf den Schalem (Schiern) gelangten. Dort
traf man mit dem Teufel zusammen, der in der Gestalt
eines „Königs von England" erschien, und dem eine der
anwesenden Hexen als „Königin von England (Engelland)"
erkoren wurde. Dieselbe wurde dann mit dem Schein
von königlichem Schmuck angethan, worauf ein Schmaus
folgte, bei dem namentlich kleine Kinder verzehrt wurden.
Unerlässliche Vorbedingimg der Theilnahme an dieser
diabolischen Festlichkeit war die feierliche Lossagung der
Einzelnen von Gott, der Jungfrau Maria und allen Heiligen.
Die daraufhin den Hexen gewährte Hülfe des Teufels be-
thätigt sich darin, dass dieselben böse Wetter zu machen,
Menschen und Vieh an ihrer Gesimdheit zu schädigen, die
Milch der Kühe zu verderben und sonstige Malefizien
auszuüben vermochten.
Vom Ende des sechszehnten Jahrhunderts an haben
die Tiroler Hexenprozesse durchaus den Charakter der im
übrigen Deutschland vorkommenden Proceduren. Zahl-
reiche Hexenprozesse in Welsch-Tirol werden aus der
ersten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts gemeldet,
z. B. auf dem Nonsberge in den Jahren 1614 und 1615*),
zu Nogaredo, wo fünf Weiber gleichzeitig verbrannt wur-
den^) u. s. w.
*) ^Sammler für Gesch. und Statistik von Tirol •. B. III.
') Vj»l. die Schrift C. P. Dandolo's .La Si^nora di Monxa e le streghr
del Tirolo . processi famosi del secolo 17 per la prima volta cavati dallc
Fitze orii^inali. Milano. 18^5.
Hexen Prozesse in Deutschland, der Schweiz. Italien, Spanien etc. igy
Auch im nordlichen Tirol begannen gegen das Ende
des sechszehnten Jahrhunderts die gerichtlichen Einschrei-
tungen gegen Hexen und Zauberer häufiger und schärfer
zu werden. Die Regierung zu Innsbruck erliess wiederholt
an die ihr untergebenen Gerichte und Magistrate den
strengsten Befehl, auf alle wegen geheimer Zauberei ver-
dächtigen Personen zu achten und gegen dieselben ge-
bührend zu verfahren ^).
Aus der Erzdiöcese Salzburg liegen die Akten eines
Prozesses gegen eine Ursula Zanggerin, Ehefrau des Paul
Riedl zu Neukirchen, vor, welche als Hexe verurtheilt
und am 24. Mai 1594 verbrannt wurde.
Bemerkenswerth ist bei diesen Prozessen aus dem
sechszehnten Jahrhundert, dass auch hier bei denselben
noch Geschworene fungirten, die aus dem Bürger- und
Bauernstände gewählt waren. Erst im siebenzehnten Jahr-
hundert, wo die gelehrten Richter und das geheime Ge-
richtsverfahren im Terrain der Strafrechtspflege zur Allein-
herrschaft kamen, verschwand hier das Institut der Ge-
schworenen 2).
In Ungarn und Siebenbürgen') kamen während
des ganzen sechszehnten Jahrhunderts eigentliche Hexen-
prozesse gar nicht vor. Allerdings hatte der ungarische
Reichstag 1525 die Verbrennung der Ketzer nachdrück-
lichst gefordert; aber es kam doch kaum einmal (1550)
zur Ausführung dieses Gesetzes. In Siebenbürgen be-
stimmte ein im Jahr 1577 von der geistlichen und welt-
lichen Universität bestätigter Visitationsartikel: „Die Zau-
berei der alten Weiber und wsis sonst an Teufels Gespenst
ist — soll die Obrigkeit nach dem Gebote Gottes und
Kaiserlichen Rechten mit dem Feuer strafen oder mit dem
strengen Edikt der Obrigkeit wehren ; und bis Solche
nicht ablassen, sollen sie nicht zum Sakrament gelassen
^) Rapp, S. 18.
*) Ebendas. S. 18.
•*) /". Müller, Beiträge zur Geschichte des Hexenglaubens und des Hexen-
Prozesses in Siebenbürgen (Braunschw. 1854) S. 17 ff.
Soldan-Heppe, Hexenprozesse. 32
o Achtzehntes Kapitel.
werden, denn man mu-^s das Heiligthum nicht vor die
Hunde werfen." Hier ist also von Hexerei die Rede;
aber die Bestrafung derselben soll (nicht nach nationalem,
sondern) nach Kaiserlichem Recht erfolgen, — was hin-
länglich die Neuheit des hier angeordneten Strafverfahrens
beweist. Daher begreift es sich, dass das Gesetzbuch des
Fürsten Stephan Bathori von 1 583 zwar Strafbestimmungen
über Giftmischung und offenbaren Mord (die in späteren
Hexenprozessen häufig als strafentscheidend angezogen
werden), aber keinen einzigen gegen die Hexerei gerich-
teten Paragraphen enthielt.
In der Schweiz griff die Hexenverfolgung zunächst
in den romanischen Kantonen Platz, während die deutschen
Kantone derselben erst später und nur geringeren Raum
gaben. Älit besonderer Heftigkeit erhob sich die Hexen-
verfolgung in Genf, was sich theilweise aus dem theo-
kratischen Staatsbegriff C a 1 v i n's und aus dem mächtigen
Einfluss erklärt, den Calvin auch auf alle bürgerlichen
Dinge Genfs, namentlich auch auf die Strafgesetzgebung
der Stadt ausübte. Nicht mit Unrecht ist von den Straf-
gesetzen , welche der Rath der Stadt nach Calvin's Wei-
sung aufstellte , gesagt worden , sie seien noch mehr mit
Blut geschrieben als die Satzungen Drakons und kaum
anwendbar auf fehlbcire Menschen dieser Erde. Die oberste
Norm aber, nach der sich diese Strafgesetzgebung Genf:,
gestaltete, w^ar der Gedanke : Alles was vor Gott straf-
bar ist. das muss in einem christlichen Staate, soweit os
von Menschen wahrgenommen werden kann, auch vor
dem Staatsgesetz strafbar sein. Nun hat Gott z. B. aus-
drücklich die Zauberei mit Todesstrafe zu ahnden befohlen.
Daher wollte Calvin, dass alle Zauberer in Genf — /.ur
Ehre (xottes - ausgerottet würden '). Das ganze Gerichts-
') Vul. £. Sliilulin, Joh. Calvin. Leben und .lu^sewShlte Schriften (Elt.ert.
186 •<) b"| S 34«., wo aus einem Genfer Ehescheidungsprozess jener Tt.\
das sc'usäme Kaktun. mitgetheilt wird, dass ein Bürger seit fünfzehn Jahr.,,
eine Figur aus Gh.s ausge|.ra«t in seinem H.iu.se aufhewahrte . d,e er sei... n
häuslichen Dämon nannte und von der er nlhn.te. dass sie ihm jede IntreLo
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^qq
verfahren Genfs lässt darum nicht nur eine ungewöhnliche
Strenge sondern auch eine beklagenswerthe Härte er-
kennen *). In dem kurzen Zeitraum von 1542 — 1546 Hess
der Rath der Stadt nicht weniger als achtundfiinfzig To-
desurtheile (wegen allerlei Vergehen und Verbrechen) voll-
strecken und daneben wurden noch sechsundsiebenzig Per-
sonen mit Verbannung bestraft, — darunter siebenund-
zwanzig, gegen welche nur der Verdacht vorlag, ein Ver-
brechen begangen oder „beabsichtigt" zu haben. Dabei
richtete sich mm die Straf Justiz des Raths ganz besonders
gegen das Verbrechen der Zauberei, indem man die Pest,
welche 1542 in Genf hervortrat und furchtbare Verhee-
rungen anrichtete, auf ein Complott von „Pestbereitem"
zurückführte. Allerdings erscheint der Hexenglaube,
wie er im Malleus maleficarum dokumentirt war, in Genf
noch nicht vollständig entwickelt. Aber „Bündniss
mit dem Satan, Zauberei und Pestbereitung" waren die
Anklagetitel, auf welche hin jetzt Unzählige in lange,
schreckliche Haft, auf die Folter, aufs SchaflFot und auf
den Scheiterhaufen gebracht wurden. Namentlich zu An-
fang des Jahres 1545 häuften sich die Verhaftungen und
Prozesse in erschreckendem Maasse. Der Kerkermeister
erklärte am 6. März dem Rathe, dass jetzt alle Gefang-
nisse der Stadt überfüllt wären und er fernerhin Verhaftete
nicht mehr unterzubringen wisse. Dabei war das gegen
die Verhafteten angewandte Verfahren ein entsetzliches.
Man zwickte sie mit glühenden Zangen, man mauerte sie
ein und liess sie verschmachten, wenn sie kein Geständ-
niss ablegten ^) und ersann zu diesem Behufe alle möglichen
seiner Frau anzeige. Er hatte das Bild behalten und versteckt, obwohl ihm
vom Rath und vom Consistorium streng befohlen worden war, es zu zer-
stören.
^) Ueber das zunächst Folgende hat zuerst /^ P^. Kampschulte zu Bonn
in seiner Schrift , Johann Calvin, seine Kirche und sein Staat in Genf*
(Leipz. 1869) S. 424 ff. aktenmässige Mittheilung gemacht.
■^) Rathsprotokoll vom 2. April 1545: Ordonne, qu'ils soient murcs et ne
soient 6t^s de Ih jusqu'h ce qu'ils aient confesse la verite; autrement fini-
ront leurs jours h tel tourment.
cQo Achtzehntes Kapitel.
anderen Torturniittel. Es ist vorgekommen, dass Ange-
klagte neunmal die Marter der Estrapade (am Schwibb-
oder Schnellgalgen) ertragen mussten. „Aber welche Pein
man ihnen auch anthat," klagt das Rathsprotokoll ein-
mal, „so wollten sie die Wahrheit doch nicht bekennen."
Mehrere der Unglücklichen endeten während oder bald
nach der Tortur unter Betheuerung ihrer Unschuld. An-
dere gaben sich, um den furchtbaren Qualen der Kerker-
haft und der Tortur zu entgehen, aus Verzweiflung selbst
den Tod, „auf Eingebung des Satans", wie oft gesagt
wird. Der Arm des Henkers ermattete imter der Last
der Arbeit, die, wie er am i8. Mai 1545 dem Rath er-
klärte, Eines Mannes Kraft überstieg. Wurden doch in
den wenigen Monaten vom 17. Februar bis 15. Mad 1545
vierunddreissig jener Unglücklichen — und unter ihnen
des Scharfrichters eigene Mutter — durch Schwert, Schei-
terhaufen, Galgen und Viertheilung vom Leben zum Tode
gebracht! Und dabei war es etwas ganz Gewöhnliches,
dass der eigentlichen Exekution noch grausame Verstüm-
melungen des Körpers vorhergingen *).
Nicht besser aber als in Genf sah es im Waadtland
aus, welches eben erst von den Bernem erobert worden
war. Hier hatte die Bemer Regierung mit den vielen
Zwingherrn, deren Kastellane und Gerichte sich nament-
lich in der Verfolgung der Zauberei die ärgsten Unregel-
mässigkeiten erlaubten, fortwährend ihre grosse Noth*).
Keine zehn Jahre nach der Eroberung des Landes sah sie
sich genöthigt, unter dem 25. Juli 1543 an ihre welschen
Amtleute desfalls zu rescribiren : „Wir vernehmen, wie die
Edelleute und Twingherrn in deiner Verwaltung und an-
derswo in unserem neugewonnenen Lande mit den armen
Leuten, so der Unhulde oder Hexerei verdächtigt und
^) Alle Einzelheiten dieser Berichterstattung Kampschultc's sind au5 den
Akten belegt.
^) Was hier über die Vorkommnisse in den Kantonen Bern und Waadt*
land mitgetheilt wird, ist der treflflichen, auf archivarischen Studien beruhenden
Abhandlung des Pfarrers Dr. Trechsd in dem Berncr Taschenbuch von 1S70.
S. 14^>— -234, grossenlhcils wörtlich, entlehnt.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien. Spanien etc. coi
verleumdet werden, ganz unweislich grob seien und un-
rechtformig handeln, als dass gesagte Twingherm oder
Seigneurs-banderets auf ein jedes schlechtes Läumden,
Angeben oder einzigen Prozess unerfahrener Sachen die
verzeigten, verargwohnten Personen mit grosser, unge-
bräuchlicher Marter (als mit dem Feuer und Brand an
den Füssen, Strapaden^) u. dgl.) zu Bekennung und Ver-
jahung un verbrachter Sachen bringen und ohne weiteren
Rath vom Leben zum Tod richten. Daran wir in diesem
gefahrlichen Fall der Hexerei besonderes Missfallen haben."
Den Amtleuten soll desshalb eingeschärft werden, sich
selbst noch den Gerichtsleuten solches zu gestatten, vor
dem Einschreiten sich zu erkundigen, ob genügender Grund
dazu vorhanden, ob und unter was für Umständen die an-
geklagten Thaten von den Betreffenden wirklich verübt
worden seien u. s. w. , gegen die Verhafteten mit Be-
scheidenheit zu verfahren und keine grausame oder unge-
w^öhnliche Tortur anzuwenden, den Malzeichen fleissig
nachzuforschen und in zweifelhaften Fällen sich bei an-
deren oder bei der Obrigkeit Raths zu erholen, „damit
Niemandem zu kurz geschehe, und doch das Uebel ge-
straft werde". In diesem Sinne sollten sie auch mit den
Twingherm „trungenlich reden". Bald nachher (21. Au-
gust 1545) wurde sogar jede Hinrichtung in der Waadt
untersagt, bevor die Prozessakten nach Bern gesandt, und
das Urtheil vom Rathe bestätigt worden wäre. Dagegen
liess man es selbst dem hochgestellten George de Rive,
Gouverneur von Neuchatel, aber als Herrn von Prangins
bernischem Vasallen, nicht ungerügt hingehen, dass sein
Kastellan sich nebst Anderen zu Gunsten einiger der
Hexerei Angeklagten mit dreissig Kronen habe bestechen
lassen, sondern verlangte exemplarische Bestrafung, damit
man nicht von Obrigkeits wegen ein Einsehen thun müsse.
Dennoch blieben die Vorschriften der Berner Obrig-
keit nur zu häufig unbeachtet und wurden umgangen, und
selbst wo der Prozess ganz regelrecht geführt ward,
^) Estrapades = Wippen.
^02 Achtzehntes Kapitel.
erscheint uns das dabei beobachtete Verfahren in hohem
Grade vexatorisch und grausam. Es beruhte auch hier
nicht auf dem System direkter (gefahrlicher !) Anklage,
sondern auf dem der Denunciation und Inquisition, wess-
halb ein vages Gerücht schon zum Beginne eines Pro-
zesses genügend war, — was selbst Pachter und hohe
Beamte zu ihrem grossen Schaden erfahren mussten.
Der Kastellan von Gland und Prangins, Nicolas de
la Foge, war fünf Jahre lang der Zielpunkt der hart-
näckigsten Angriffe. Von drei Hexen zu Nyon im Jahr
1600 der Mitschuld angeklagt, wurde er gefangen ge-
setzt und mit denselben confrontirt ; und da die Hexen auf
ihrer Aussage bestanden, so wurde auf höhere Weisung
-der Prozess gegen ihn eingeleitet. Indessen betheuerte er
auch in der Tortur seine Unschuld, wesshalb die Ge-
schworenen ihn freisprachen. Allein im Jahr 1602 er-
klärten zwei andere Hexen ihn wiederum für mitschuldig ;
da dieselben jedoch bei der Confrontation ihr Urtheil nicht
recht aufrecht erhalten wollten, so kam von Bern der Be-
scheid zurück, „da es eine heikle Sache sei, deren rechten
Grund allein Gott wisse, so müsse man es Ihm anheim-
geben und den de la Foge seiner Gelöbniss und Bürg-
schaft entlassen." Zugleich wurde dem Kastellan Bor>%
seinem Nachfolger, wegen schlechter Befolgung der Ord-
nung das obrigkeitliche Missfallen ausgedrückt und eine
ernste Warnung ertheilt. Allein auch jetzt hatte der Ge-
plagte keine Ruhe, indem er sechs Monate später noch-
mals zur Untersuchung kam. Ja noch 1605 erhielt Bor}-
auf |eine neue Beschuldigung und Anfrage seinethalb die
Antwort, weil nicht erhelle, dass er etwas Böses begangen,
sondern nur, dass man ihn bei der „Versammlung** gesehen
haben wolle u. dgl., so sei darauf als auf blosse Illusion
nichts zu geben ; doch möge er immerhin seinem Ankläger
gegenüber gestellt werden.
Zu Büren hatte im Jahr 1620 ein junger Mensch von
siebenzehn Jahren vor Gericht mancherlei gegen seine
Mutter eingestanden. Nach Bern transportirt erklärte er
Alles für unwahr; was er dort geredet, sei nur auf An-
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. cq^
dringen des Schultheissen , des Prädikanten und Anderer
geschehen, denn obschon er ihnen gleich anfangs den
Verlauf der Dinge der Wahrheit gemäss eröffnet, hätten
sie sich doch dessen nicht begnügt, sondern „mit vielem
Fräglen, bald liebkosenden glatten, bald aber mit rauhen
Worten, vorgebend, seine Mutter habe schon bekannt,"
— ihn endlich dazu gebracht, dass er geredet, was sie
wollten, und zu Allem Ja gesagt. Darauf seien sie noch
weiter gegangen, hätten ihn eingesetzt und gefoltert, ihn
befragt, ob nicht ein Mann zu seiner Mutter gekommen,
auf sein Ja, ob er nicht grün bekleidet gewesen u. s. w.
Bei seiner Abführung nach Bern hatte man ihm noch ein-
geschärft, nicht wieder zu leugnen, sonst würde man ihn
noch mehr martern, was auch leider geschehen. Erst als
er den Worten seiner neuen Examinatoren und seines
Mitgefangenen nachgedacht, er solle sich selbst nicht Un-
recht thun, habe er billig widerrufen und Gott gebeten,
dass er ihn bei der Wahrheit erhalten wolle. — Mutter
und Sohn wurden infolge dessen gegen Erlegung der
Kosten freigegeben.
Bei der Anwendung der Tortur unterschied man im
Bernerland hauptsächlich zwei Stufen, die ,,ziem liehe"
und die „noth wendige" oder „strenge". Das ge-
wöhnliche Werkzeug war das Seil oder die Strecke. Der
Gefangene wurde zuerst leer d. h. ohne Gewicht, dann
auch mit Gewichten von 25 — 50, auch 100 Pfund an den
Füssen aufgezogen. Nach Umständen schritt man aber
auch bis zur Anlegung von 1 50-Pfundgewichten fort und
zwar mit mehrmaliger Wiederholung. Nur wo die körper-
liche Beschaffenheit der Inquisiten das Aufziehen nicht
räthlich erscheinen liess, — im Ganzen jedoch selten, —
kamen auch andere Torturmittel wie die Daumschraube,
die Wanne, die Breche oder Leiter zur Anwendung. Na-
türlich brachte dieses Verfahren — welches gleichwohl
ein weit gelinderes als das in Deutschland übliche Tortur-
verfahren war — so ziemlich Alle zum Geständniss. Aber
sowie die Tortur aufhörte, nahmen gar Viele ihr Geständ-
niss wieder zurück , indem sie dasselbe als ein nur durch
cQ\ Achtzehntes Kapitel.
die ungeheuere Qual ihnen abgepresstes bezeichneten, dass
sie Unwahres bekannt und sich und Anderen Unrecht ge-
than hätten.
Hatte dagegen die Beschuldigte sich gerechtfertigt,
und den Ungrund der Anklage dargethan, so erfolgte
allerdings seine Freisprechung, bald mit einer Censur
bald auf Urfehde d. h. auf das Versprechen hin sich an
Niemandem rächen zu wollen, bald auch mit einer schrift-
lichen Ehrenerklärung begleitet ; in der Regel jedoch blieb
sie unter polizeilicher Aufsicht und musste, selbst wenn
sie das „Kaiserliche Recht" d. h. die Tortur ohne Ge-
ständniss ausgehalten, dennoch die Kosten bezahlen. Aber-
gläubische, unwissende, lasterhafte Personen wies man
auch dem Pfarrer oder dem Chorgerichte zu, und bis-
weilen wurde ihnen öffentliche Kirchenbusse und Abbitte
vor der Gemeinde auferlegt. Bei starkem, aber nicht ganz
erwiesenem Verdachte und widerrufenem Geständnisse
traten willkürliche oder ausserordentliche Strafen ein, z. B.
der Ausschluss aus gewissen Bezirken, die eidliche Landes»
Verweisung mit oder ohne Ruthenstreiche.
Zu einem Todesurt heile genügte indessen gesetz-
lich der blosse Zeugen- und Indizienbeweis nicht, sondern
es musste das Eingeständniss, sei es gütlich oder peinlich,
hinzukommen. Im letzteren Falle schützte sogar die spä-
tere Zurücknahme unter Umständen nicht immer. Man
sollte, heisst es in den Prozessakten mehr als einmal, zur
Vollziehung schreiten, ,, unangesehen zu erwartenden Ab-
falls". Im deutschen Kantonstheile stand die Rechtsprechung
den Landgerichten zu ; in zweifelhaften Fallen jedoch wurde
öfters , »Weisung" eingeholt, oder der Angeklagte selbst
nach Bern gebracht. Auch die Exekution geschah
meistens ohne Rekurs oder Bestätigung der Obrigkeit,
welche sich bloss das Milderungs- oder Begnadigungsrecht
vorbehielt.
Mildernde Umstände hatten allerdings auch einen
entsprechenden Einfluss, und als solche galten Jugend,
hohes Alter, aufrichtige Reue, frühzeitig erfolgter Rück-
tritt von dem Teufelsbund und insbesondere die glaubhaft
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^05
gegebene Versicherung, dass durch teuflische Mittel kein
oder nur wenig Schade bewirkt worden sei. Die Gnade
erstreckte sich jedoch nur ausnahmsweise bis zur Schonung
des Lebens; gewöhnlich blieb es bei einer Umwandlung
der Strafe in die der Ertränkung für Frauen imd der
Enthauptung oder Strangulirung fiir Männer und nach-
folgende Einäscherung der Leiche. In späterer Zeit wur-
den manchmal zur Abkürzung der Leiden den Delinquen-
ten Beutel mit Schiesspulver an den Hals gehängt. —
Der Exekution ging wie immer die Verlesung der Urgicht
(„Vergicht") oder des Bekenntnisses — mit Auslassung
anstössiger Theile des letzteren — nebst dem Urtheile
voran und auf dem Richtplatze selbst wurde der Verur-
theilte nochmals mit Hinweisung auf Gottes Gericht be-
fragt, ob er Niemanden fälschlich beschuldigt, ehe man
ihn dem Henker übergab.
In Betreff des Nachlasses der Hingerichteten herrschte
eine verschiedene Ansicht und Uebung. Die waadtländi-
scheri Gerichtsherm nahmen ihn als dem Fiscus verfallenes
Gut oft in sehr ausgedehnter und eigennütziger Weise in
Anspruch; die Regierung zu Bern dagegen brachte, wo
sie die Gerichtsbarkeit besass, meistens andere Grundsätze
zur Anwendung. Begreiflich war es, dass sie vor Allem
die Prozesskosten zu decken suchte ; sie behielt aber auch
die Rechte der Gläubiger und der Geschädigten vor, wies
ihre Beamten an, denselben darin behülflich zu sein oder
bestimmte zuweilen die Entschädigung von sich aus^).
Den Rest überliess sie entweder den natürlichen Erben
oder theilte wenigstens mit ihnen, sei es nach einem ge-
wissen Verhältnisse oder nach gerichtlichem Ausspruche.
— Auch die Sorge für die Hinterbliebenen vergass man
nicht ganz. Die Kinder wurden mit ihrem Erbtheil bald
den Verwandten zur Erziehung übergeben, bald an „gute
Orte" unter Aufsicht des Amtmanns verdingt.
*) So heisst es z. B. Raths-Manual vom 19. April 1603: „da Claude
Pavillard laut Vergicht der Pernette Michauld die b^sen Geister eingegeben
und sie dadurch unnütz gemacht, so solle ihr aus seinem Gut — fronfestlich
zwei Kopf Korn und zehn Fl. verordnet werden.*'
CQÖ Achtzehntes Kapitel«
Dessenungeachtet waren auch die Familien hinge-
richteter Hexen immer schwer betroffen. Nach der öffent-
lichen Meinung lastete eine Art von Fluch auf Denen,
welche zu jenen Personen in näherer verwandtschaftlicher
Beziehung standen. Sie hatten allgemein das Vorurtheil
wider sich, welches sie ähnlicher Dinge für fähig hielt. Hier
und da schienen auch besondere Maassnahmen zur Ver-
hütung von Gewaltthat an den Gefangenen nöthig, imd es
wird sogar (in Haller's und Müslin's Chronik S. 107) erzählt,
dass zu Thonon 1565 ein Sohn zum Rade verurtheilt wurde,
der seine im Rufe der Hexerei stehende Mutter zur Ver-
meidung der Schande mit Hülfe eines gedungenen Mörders
umgebracht hatte.
Im deutschen Theile des Kantons Bern war der erste
vollständig bis zur Hinrichtung durchgeführte Hexenprozess
im Jahr 1571 vorgekommen. In dem welschen Kantons-
theile wurden in den Jahren 1591 — 1595 durchschnittlich
in jedem Jahre elf (im Ganzen sechsundfunfzig) Hexen,
dagegen in den Jahren 1596 — 1600 durchschnittlich in
jedem Jahre einundfünfzig (im Ganzen zweihundertfunfund-
fünfzig), also im Laufe von zehn Jahren dreihundertundelt
Hexen hingerichtet. Der Ruhm jedoch, in kürzester Frist
das Äleiste gethan zu haben, gebührt dem Amte Chillon,
wo in dem einzigen Jahre 1 598 nicht weniger als vierzehn
Hexen verurtheilt wurden.
Mit diesem Treiben der Gerichte in dem welschen
Waadtland lag jedoch die Berner Regierung im fortwäh-
renden Kampfe. Es muss zu deren Ruhm hervorgehoben
werden, dciss sie zur Zeit, wo in allen anderen europäischen
Landen der Glaube an die Wirklichkeit teuflischer Hexerei
und an die Pflichtmässigkeit der Verfolgimg und Aus-
rottung derselben unerschütterlich feststand und wo daher
von Schranken, innerhalb deren sich die Hexenverfolgung
zu halten habe, gar keine Rede war, aller der Unglück-
lichen, die als Hexen zur Anzeige gebracht wurden, 5x.>
weit es nur die Zeit erlaubte, sich annahm. Schon in
einem Erlass an die welschen Amtleute vom 8. Aug. 158^
hatte sie es ertrügt, dass bei der Vergichtung der Hexen
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. cqt
SO wenig nachgeforscht werde, ob die von ihnen bekann-
ten Malefizien auch wirklich, und unter welchen Umständen
durch sie geschehen wären, da ohnediess ihre Schuld
zweifelhaft bleibe, ,,weil ihr Meister, der Satan, ihnen wohl
auch einbilden könnte, dass der Abgang von Menschen
und Vieh u. dgl. m. von ihrem Thun herrühre, während
es vielleicht in Krankheiten und anderen Zufällen seinen
Grund habe."
Noch war es unerhört, dass eine Landesregierung in
solcher Weise die Geständnisse der Hexen aus diabolischer
Eingebimg herleiten und deren Wirklichkeit leugnen wollte.
Die Berner Regierung hatte hiermit den alten Kanon
Episcopi erneuert. Im Jahr 1600 entschloss sich sogar
der Berner Rath eine Revision der Prozessordnung in
Hexensachen vornehmen zu lassen, zu welchem Zwecke
derselbe eine Commission unter dem Vorsitz des Schult-
heissen Manuel niedersetzte. Der von der Commission
ausgearbeitete Entwvirf, den der Berner Rath am 1 9. Juni
1 600 bestätigte, war folgenden Inhalts :
Im Eingange spricht die Regierung wegen des Ueber-
handnehmens der Hexerei im Waadtlande ihr tiefes Be-
dauern aus und kommt dann sogleich auf die aus den
Akten geschöpfte Wahrnehmung zu sprechen, dass die
Hexen sich so oft gegenseitig angäben, als hätten sie ein-
ander in ihren „gleichwohl vermeinten** Versammlungen
gesehen, zusammen gegessen u. s. w. Dadurch sähen sich
dann gewöhnlich die Amtleute, Twing- und Pannerherrn
veranlasst, alsbald solche angegebenen Personen aufzu-
greifen und mit der Tortur gegen sie zu verfahren. Es
sei ciber zu besorgen, der Teufel, der ein Feind und Lüg-
ner von Anfang sei, möchte den Denuncianten die Gestalt
ehrlicher Leute vorstellen, wodurch diese in grosse Gefahr
geriethen, zumal wenn man alsbald mit grosser Marter
gegen sie vorgehe. Um dem Allen vorzubeugen, werde
daher folgende Ordnung festgesetzt: Erstlich solle kein
Amtmann oder Gerichtsherr eine wegen Hexerei verdäch-
tigte Person gefänglich einziehen, „sie sei denn in dreien
unterschiedlichen Prozessen angegeben und verzeigt.** In
:^o8 Achtzehntes Kapitel.
diesem Falle und sofern es sich nur darum handle, dass
die angeklagte Person in der „Sekte" (d. h. bei demHexen-
sabbath) gewesen, ohne etwas Thätliches vollbracht zu ha-
ben, sei sie allerdings zu verhaften, jedoch nicht sofort zu
torquiren, sondern nur mit strengen und drohenden Worten
zu befragen und ausserdem habe man sie zur Ermittelung
etwaiger Malzeichen sorgfaltig zu untersuchen. Lege sie
nun kein frei\vilUges Bekenntniss ab, so habe man über
ihren Wandel genaue Information einzuziehen, und — wenn
diese verdächtig ausfalle — die „ziemliche** Folter anzu-
wenden oder höheren Orts sich Bescheid einzuholen. Kämen
dagegen Malefizien so zur Anzeige, dass sich bei genauer
Untersuchung der Sache die Anzeige als begründet er-
weise, so habe man zur strengeren Folter zu schreiten,
immerhin jedoch nur mit dreimaligem Aufziehen mit dem
fünfzig-, hundert- oder auch mit dem hundertfunfzigpfun-
digen Steine. Die zu Lausanne immer noch gebräuch-
lichen ungesetzlichen Folterwerkzeuge sollten gänzlich ab-
gethan werden. Die Kosten der Exekution sollten aus
dem Nachlass der Hingerichteten gedeckt werden, indem
es ein „ungereimt Ding** sei, dass die Gerichtsherrn den-
selben einzögen und die Regierung die Kosten trage.
Die Publikation dieser für ihre Zeit mild zu nennenden
Prozessordnung hatte zur Folge, dass sich im Waadt-
lande in den nächstfolgenden Jahren die Zahl der Todes-
urtheile bedeutend verminderte. Doch erreichte sie in
dem Jahrzehent von 1601 — 16 10 immerhin noch die Höhe
von zweihundertundvierzig; dagegen in den unter unmittel-
bar Bernischer Verwaltung stehenden Aemtem sank sie
bedeutend, zu Avenches von siebenunddreissig auf acht-
zehn, zu Chillon von fünfunddreissig auf neun und aus
Yverdon und Morges sind gar keine bemerkt. In anderen
Bezirken dagegen steigerte sich die Zahl der Exekutionen.
Zu Colombier mussten in den drei ersten Monaten des
Jahres 1602 acht Personen, zu Etoy in derselben Zeit eben-
falls acht und 1609 ebendaselbst während eines einzigen
Monats sieben Personen den Hexentod erleiden. Auch
kamen hin und wieder (was unter der Bemischen Ge-
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. eog
richtsbarkeit nie der Fall war) Massenexekutionen vor. Es
geschah, dass in Colombier und St. Saphorin je vier, zu
Etoy sogar fünf Hexen auf Einem Scheiterhaufen ver-
brannt wurden. Und das Alles geschah in einem Umkreis
von nur wenigen Stunden ! Bald fing die Seuche der Hexen-
verfolgung aber auch auf deutschem Gebiet zu wüthen an,
namentlich im Seelande, welches durch seine Lage der
Einwirkung romanischer Denkart und Sitte am meisten
offen stand.
Die Aufstellung der Prozessordnung von 1600
hatte also ihren Zweck nicht erreicht. Stieg doch im Jahr
£609 im Waadtland die Zahl der Einäscherungen wieder auf
50 ! Um daher das Prozessverfahren noch mehr einzu-
schränken, erliess der Bemer Rath im Jahr i 6oq eine neue
Verordnung, in welcher es derselbe auszusprechen wagte,
dass auch ein dreimaliges Gesehenwerden einer Person in
der „Sekte" und eine darauf sich gründende dreimalige
Anzeige derselben nichts zu beweisen vermöchte , weil das
Ganze nur auf ein Teufelsgespenst hinaus laufen könnte.
Es sei ja bekannt, dass der leidige Satan auch christ-
gläubige Leute verblende, wie viel mehr also diejenigen,
welche sich ihm ergeben hätten, denen er „die Gestalt
ehrlicher Biederleute vorstellen kann imd ein solches zwei-,
drei- imd mehrmal zuwege bringen mag, dannenhero et-
wan ehrliche Leute in böse Geschäfte, ja auch äusserste
Tortur gefallen und alsbald Sachen bekannt, deren sie
nicht behaftet gewesen." Daher solle bei Personen von
gutem Rufe, die wegen nichts Anderem bezüchtigt, als
dass man sie bei der Sekte gesehen, auch wenn dieses
noch so oft vorgekommen sein solle, „solches für eine
Illusion und Betrug des Satans gehalten und geachtet
werden." Beim Hinzukommen schlechten Leumunds wird
der Richter angewiesen, gründliche Informationen einzu-
ziehen und die Befehle der Regierung abzuwarten. Jedoch
dürfe man nur unverdächtige Zeugen vernehmen, die mit
dem Angeschuldigten nicht in Feindschaft ständen, worüber
eine besondere Vermahnung an sie zu richten sei. Im
Uebrigen blieb es bei der vorigen Prozessordnung, mit
c^lO AchUehntes Kapitel.
wiederholtem Verbot der ungebührlichen Tortur und der
verfänglichen Fragen. Auch wird den Amtleuten das
persönliche Anwohnen bei den Verhören zur Pflicht ge-
macht. Diesem für beide Landestheile berechneten Er-
lasse folgte (unter dem 12. Mai 1610) bald hernach eine
Warnung vor den schweren Sünden der Zauberei, wie
Wahrsagen, Beschwören, Segnen etc.
Wie früher, so Hess sich auch jetzt wieder augen-
blicklich eine günstige Wirkung der neuen Vorschriften
verspüren. Schon im Jahr 1610 sank die Zahl der waadt-
ländischen Hexenfalle auf das bisherige Minimum von fünf,
und erhielt sich auch in den beiden folgenden Jahren auf
einer verhältnissmässig bescheidenen Höhe. Allein 1613
betrug sie schon wieder sechzig, und im Jahr 1616 sogar
fünfundsiebenzig. Mit geringen Abwechselungen blieb
dieser Stand der Dinge noch volle fünfzig Jahre lang. Im
Amte Chillon wurden 161 3 in der Zeit von vier Monaten
siebenundzwanzig Hexen, und zwar am 9. Juni sechs, am
24. Juni drei, am 2^, Juli vier, am 18. August acht und
am 26. September sechs Hexen hingerichtet.
An ihrem Theile liess es die Regierung in Ermange-
lung eines besseren an Aufsicht und Handhabung ihrer
Mandate nicht fehlen, wobei sich mitunter sogar eine ge-
wisse Schärfe kund gab. Der Herr v. Berchier z. B.
musste es hinnehmen, dass ihm zugeschrieben wurde, „sich
inskünftig solcher Improzedüren bei Ihrer Gnaden Strafe
und Ungnade zu überheben". Der Amtmann zu Grandson
wird ernstlich getadelt, dass er ordnungswidrig Angege-
bene verhaftet und unmässige Tortur angewendet; und
einzelne Kastellane und Gerichte erhalten strenge Vor-
weise über ihr Vorgehen „auf einfaltige Accusation** hin.
Bereits seit 161 6 war es auch verboten, die Namen derer,
welche nur als Theilnehmer an den nächtlichen Versamm-
lungen verklagt wurden, in den Akten zu verzeichnen.
Die letzte Verordnung wurde 1634 vervollständigt, wieder-
holt und mit einer Erläuterung versehen, welche jedorh
nichts wesentlich Neues enthielt.
In den Baseler Archiven liegen die Aktcni von xior-
Hexenprozessc in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^i i
zehn Hexenprozessen vor, von denen die ersten fünf der
Periode von 151 9 bis 1550 angehören i). Von da an hörten
die Prozesse, soviel aiis den Akten zu ersehen ist, für ein
halbes Jahrhundert auf, bis sie mit dem Jahre 1602 wieder
in Gang kamen. Es verdient bemerkt zu werden, dass zu
Basel in der Hexen Verfolgung allezeit mit seltener Hu-
manität verfahren wurde. Nur Einmal, 1624, ist eine Hexe
hingerichtet worden. Sehr heilsam wirkte hier auf die
Behandlung der Hexen und auf den Gang der Prozesse
die reformirte Geistlichkeit ein ^). Allerdings wurde in der
Baseler Reformations- und Polizeiordnung von 1637 das
Hexenwesen und alle Zauberei sehr ernst bedroht, indem
es in derselben heisst : „Sintemalen durch die teuflische
Zauberei, Wahrsagerei, Teufelsbeschwörungen und der-
gleichen abergläubische Dinge, deren sich etliche mit
Charakteren sich vor Hauen und Stechen oder mit der
bekannten, verfluchten Passauischen Kunst vor Schiessen
fest und hart zu machen, gebrauchen, die heil. Majestät
Gottes zum höchsten beleidigt und an seiner Statt der
leidige Satan gleichsam angebetet wird, so gebieten wir
ernstlich, dass sich Jedermänniglich solcher Segen, Wahr-
sagens, Zauberens, Beschwörens, des Nachlaufens von Hei-
den und Zigeunern u. s. w. gänzlich entziehe. Denn wir sind
beständig entschlossen, die diessfalls fehlbar Befundenen
an Leib, Ehre, Hab und Gut, ja auch am Leben, je nach
Gestalt und Befindung ihres Uebertretens ohne Gnade ab-
strafen zu lassen." Allein auch diese Polizeiordnung spricht
es doch aus, dass gegen Hexen und Zauberer nicht ohne
Weiteres mit Feuer und Schwert verfahren werden solle,
und die Folter kam seit 1643 im Hexenprozess zu Basel gar
nicht mehr zur Anwenduug, obschon man es zum Oefteren
mit recht bedenklichen Personen zu thun zu haben glaubte.
In den Niederlanden begann die Hexenvor-
folgung namentlich seit 1555 in Amsterdam und in an-
*) Fr, Fischer^ die. Basler Hexenprozesse im l^\ und 17. Jahrh. Hasel
1840 (Universitätsprogramm).
*) Z. B. der berühmte Jakob Grynätts im Jahr 1602. Vgl. Fischer,
s. 12—13.
e I 2 Achtzehntes Kapitel.
deren Städten betrieben zu werden. In den einzelnen
Prozessen tritt dabei ganz derselbe Wahnwitz und die-
selbe Grausamkeit wie in Deutschland hervor. In Amster-
dam wurde z. B. im Jahr 1564 eine im Hospital liegende
kranke Frau daran als Hexe erkannt , dass sie in der
Fieberhitze viel vom Teufel und von Hexen gefaselt hatte.
Sie wurde daher, krank wie sie war, in den Kerker ge-
schleppt, und, da sie sich nicht schuldig bekennen woUte,
geschoren und so lange gefoltert, bis sie sich des Abfalls
von Gott, der Buhlerei mit dem Teufel und vielfacher
Schadenstiftung schuldig bekannte, worauf sie (am vierten
Tage nach ihrer Abführung) zum Feuertod verurtheilt w<ird.
Doch starb sie Tags darauf im Gefangniss, wesshalb man
ihren todten Körper auf den Scheiterhaufen legte und zu
Asche verbrannte. — In den „Geständnissen** der nieder-
ländischen Hexen tritt es namentlich häufig hervor, dass
sie Seestürme und den Untergang von Schififen herbei-
geführt haben wollen. Bei der Justifikation pflegte man
auch hier, wie in Süddeutschland, in der Schweiz etc. den
Verurtheilten auf dem Scheiterhaufen einen Pulversack
umzuhängen. Bei einer Exekution zu Bommel im Jahr
1557 kam es dabei vor, dass der Scharfrichter, der das
Pulver ungeschickt anzündete , sich selbst verbrannte.
Uebrigens kamen Hexenverbrennungen in den Niederlan-
den durch das ganze Jahrhundert hin nur vereinzelt vor.
Ganze Provinzen (Friesland bis zum Jahr 1620) und grosse
Städte (z. B. Antwerpen) blieben von dem Gräuel der
Hexen Verbrennung vollständig frei. Die Schöffen der Ba-
ronie von Brügge in Flandern beschlossen 1542, Klagen
wegen Hexerei gar nicht anzunehmen. Die Stadt Oude-
water war so glücklich durch die ihr von Kaiser Karl V.
verliehene Wage alle Angeklagten vor dem Tode und
sich selbst vor der Manie der Hexenverfolgung schützen
zu können *).
Die Zahl der Hexenprozesse wurde allerdings häufiger,
als Philipp n. 1570 für die Niederlande eine Kriminal-
*) Sclieltetna, Geschiedenes etc. S. II4 — 147.
1
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etp. ^^i 2
Ordnung publizirte, welche in Art. 60 eine sorgfaltigere
Aufspürung und strengere Bestrafung der Hexerei befahl.
Indem aber die nördlichen Provinzen das spanische Joch
abschüttelten, und ein freies, niederländisches Staatswesen
bildeten, kennzeichnete sich der Geist, der dasselbe be-
seelte^ unter Anderem auch dadurch, dass die Hexenver-
folgung in demselben keinen rechten Raum finden konnte.
Eine 1 593 zur peinlichen Frage verurtheilte Frau zuSchiedam
appellirte an die obere Instanz und wurde freigesprochen,
während der Amtsrichter, der sie für schuldig erklärt hatte,
in die Kosten verurtheilt ward. Gleichzeitig sah sich der
Gerichtshof von Holland anlässlich eines anderen Hexen-
prozesses bemüssigt, die Professoren der Medizin und der
Philosophie zu Leiden um ihr Urtheil über die Zulässig-
keit der Wasserprobe zu ersuchen. Das unter dem 9. Ja-
nuar 1594 ausgestellte Gutachten lautete dahin, dass die
Wasserprobe in keiner Weise als Beweismittel gelten
könne. Denn da^ Wasser könne doch nichts berathschla-
gen und beschliessen, und „wenn das Wasser die Hexen
für schuldig erkennt, warum trägt sie die Erde, warum
gibt ihnen die Luft Lebensathem ?** Dass angebliche Hexen
so oft auf dem Wasser schwämmen, erkläre sich aus der
Art, wie sie kreuzweise gebunden ins Wasser gesenkt
würden, indem sie auf dasselbe mit dem Rücken wie kleine
Schiffchen zu liegen kämen u. s. w. *).
Aus den Jahren 1594 — 1601 finden wir freilich nichts-
destoweniger eine Anzahl von Hexenprozessen verzeichnet,
welche mit der Hinrichtung der Angeklagten endigten.
In denselben bekannten Einzelne auch, dass sie Jahre lang
als Werwölfe gehaust, dabei ihr Denkvermögen aber keine
Sprachfahigkeit gehabt, dass sie Kühe gebissen hätten
u. dgl. In den Jahren 1601 — 1604 dagegen wird gegen
alle der Hexerei schuldig Befundenen nicht auf Hinrich-
tung, sondern auf mehrjährige Verbannung erkannt -).
*) Schdtema, S. 250 ff. und Beilagen S. 51 ff.
2) Schdtema, S. 25^.
Soldan-Hcppc. Hexenproze^m-. 'X-^
514 Achtzehntes Kapitel.
Die entsetzlichste Hexenverfolgung erlebte aber das
Herzogthum Limburg im Jahr 161 3. Dieselbe erwuchs
aus dem Gerede eines Kindes zu Roermonde, durch wel-
ches zunächst nur eine einzige Frau in den Verdacht der
Hexerei kam, was aber weiterhin zur Folge hatte, dass
in Roermonde und in den umliegenden Ortschaften Straelen,
Ool, Wassenberg, Swalm imd Herringen ganze Massen
von Männer, Frauen und Mädchen in Anklagestand ver-
setzt wurden. Schon nach wenigen Monaten war das
ganze Land fieberhaft erregt. Man erzählte sich, dass die
Hexen und Zauberer wenigstens tausend Menschen umgfe-
bracht, zahlloses Vieh getodtet und an Ackerland, Feld-
früchten und Obstgärten unglaublichen Schaden ange-
richtet hätten, und alsbald hatte die Inquisition ihre Fall-
stricke in dem ganzen Lande ausgeworfen, und nicht ohne
Erfolg. Dieselbe brachte heraus, dass die eigentliche
„Hexenprinzessin'* eine Hebamme, und deren Helfer, der
„Fahnenträger der Zauberer" ein Chirurg war, die beide
furchtbar gefoltert und verbrannt wurden. Im Ganzen
aber wurden vom 24. September 161 3 an bis in den Ok-
tober desselben Jahres hinein nicht weniger als vierund-
sechszig Hexen und Zauberer zu Roermond gehängt und
verbrannt. — Am Schlüsse der Akten dieses Monstre-
prozesses findet sich der Wunsch ausgesprochen, dass alle
Obrigkeiten und Justizstellen sich an der zu Roermonde
ein Vorbild nehmen möchten *).
Gleichzeitig wirkte die Inquisition in verschiedenen
Theilen Italiens. In der Lombardei trieb sie es so arg,
dass die Bauern die Waffen ergriffen und den Schutz der
Bischöfe begehrten. Wer sich nicht loskaufte, den ver-
brannte man. Agrippa*) und Alciatus*) erzählen diess
aus eigener Wahrnehmung, letzterer namentlich berichtet,
dass allein in den Alpenthälem über hundert Personen
verbrannt worden seien. Diese Zahl wurde noch über-
>) Schdtcma, S. 240— 242.
^) De vanit. scient. Ctip. 96.
'j r.irrrv;. VIll. 2 1.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ^i ^^
boten in dem Bezirke von Como, als Papst Hadrian VI.
1523 den Inquisitor dieser Diöcese mit einer neuen Hexen-
bulle bewaffnet hatte '). Es heisst darin : in der Lombardei
sei eine Sekte von Männern und Weibern, die den katho-
lischen Glauben verlassen, das Kreuz Christi mit Füssen
treten, das Abendmahl missbrauchen, sich dem Teufel er-
geben, durch Zauberei Thiere und Feldfrüchte vielfaltig
beschädigen u. s. w. Vor Jahren schon habe der Domini-
kaner Georg von Casali, Inquisitor zu Cremona, gegen
diese Zauberer vorgehen wollen, mehrere vorwitzige Laien
und Kleriker hätten jedoch seine Competenz bestritten,
sein Geschäft behindert und ihm selbst grossen Hass er-
regt, wodurch der Glaube in nicht geringe Gefahr ge-
kommen; Julius IL habe ihn desshalb mit ausdrücklichen
Vollmachten ausgerüstet, den Widerstrebenden mit Ex-
kommunikation gedroht, alle Förderer der Inquisition da-
gegen gleicher Indulgenzen mit den Kreuzfahrern ge-
würdigt. Dieselben Vollmachten werden nun von Hadrian
auch auf den Inquisitor von Como und alle übrigen In-
quisitoren aus dem Dominikanerorden ausgedehnt. Wie
blutige Früchte diese Bulle trug, erzählt Bartholomäus
de Spina ^). In der einzigen Diöcese von Como rechnet
er im Durchschnitt jährlich tausend Prozesse vor der In-
quisition und über hundert Hexenbrände.
Auf grössere Schwierigkeiten stiess dagegen die Hexen-
verfolgung in dem venetianischen Theile der Lombar-
dei. Kein Staat hat seine Selbstständigkeit gegen die
Eingriffe der geistlichen Inquisition eifersüchtiger gewahrt,
als die Republik Venedig. Vermöge ihres nach langen
Kämpfen 1289 abgeschlossenen Concordats wohnten den
Sitzungen der vom Papst bestellten Inquisitoren jedesmal
drei Commissarien der Regierung bei ; ohne ihre Anwesen-
heit war jede Verhandlung nichtig; sie konnten Urtheile
suspendiren, hatten an den Senat zu berichten und über-
') Sept, Beeret, Lib. V. Tit. XII, de malef. et incantat. cap. 2.
*) De strigibus cap. 12, et annis paene singulis plus quam
centum incinerantur.
ci5 Achtzehntes Kapitel.
wachten das Ganze. Ausserdem war die Jurisdiction des
heiligen Officiums strenge auf die Ketzerei beschränkt;
Juden, Griechen, Gotteslästerung und Bigamie gehörten
nicht vor sein Forum, die Zauberei nur dann, wenn mit
den Sakramenten Missbrauch getrieben worden war. Auch
gingen die Güter der Verurtheilten auf deren nächste Er-
ben über *). Dieser Beschränkungen versuchte die Inqui-
sition bei verschiedenen Gelegenheiten sich zu entledigen,
jedoch ohne Erfolg. Solche Versuche schienen am thun-
lichsten in den neuerworbenen Provinzen, wo die Inqui-
sition schon bisher eine freiere Stellung behauptet hatte.
So autorisirte bereits Alexander VI. den Dominikaner
Angelo von Verona, Inquisitor in dem venetianischen Theile
der Lombardei, auch allein, d. h. ohne Regierungscom-
missarien, gegen die Zauberer beiderlei Geschlechts fleissig
zu inquiriren und dieselben durch Vermittlimg der Justiz,
d. h. durch Uebergabe an den weltlichen Arm, zu be-
strafen-). Hiergegen schritt die Regierung, als man 1518
in der Provinz Brescia viele Verurtheilungen vornahm,
kräftigst ein, kassirte die Urtheile und zog die anmassenden
Richter zur Verantwortung ^), Der Papst schwieg für den
Augenblick, um bald eine desto stolzere Sprache zu führen.
Ein Ausschreiben Leo's X. von 1521*) rühmt, wie der
römische Stuhl, um den Wünschen der Venetianer zu will-
fahren, den Bischof von Polo mit der Revision der bis-
herigen Prozesse beauftragt und die Leitung der künftigen
an dessen Mitwirkung geknüpft habe. Nun habe dieser
in der Person des Bischofs von Istria einen Subdelegaten
bestellt, und als derselbe in Verbindung mit den Inqiüsi-
toren im Val Camonica, wo das verdammte Zaubervolk
am meisten grassire, mehrere Schuldige dem weltlichen
Arm habe übergeben wollen, so habe der Podesta von
Brescia auf Befehl der Regierung die Vollstreckung ver-
boten, den Inquisitoren die Gebühren entzogen, Einsendung
') Daru, Hist. de Venise, Toni. I, p. 463.
2) Sept^ DccretaL Lib. V. Tit. XU. cap. 1.
^) Daru a. a. O.
*) Sept. Decrctal. Lib. V. Tit. XII. cap. 6.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. e i y
der Akten nach Venedig verlangt und sogar den Subdele-
gaten zu persönlichem Erscheinen vor dem Senate genöthigt.
Um jeden Zweifel abzuschneiden, erkläre der Papst, dass hier-
durch den Rechten der Inquisitoren nichts derogirt werde,
dass die weltliche Obrigkeit über geistliche Personen und
Sachen nichts zu entscheiden, keine Akteneinsicht zu be-
gehren, sondern die gesprochenen Urtheile ohne Weiteres
zu vollstrecken habe; denn laicos, — sagt der Papst, —
obsequendi et exsequendi manet necessitas, non auctoritas
imperandi. Schliesslich werden die Inquisitoren aufge-
fordert, ihren Privilegien imd Gewohnheitsrechten gemäss
in der Verfolgung der Zauberer fortzufahren und die Re-
gierung sammt dem Dogen nöthigenfalls durch kirchliche
Censur imd „andre geeignete Rechtsmittel** (alia juris op-
portuna remedia) zur blinden UrtheilsvoUstreckung anzu-
halten'). — Solche Sprache von Rom fand im Jahr 1521
in Venedig keine allzu geneigten Ohren. Man las daselbst
in dieser Zeit Luther's Schriften mit fast \mgetheiltem Bei-
fall, und als in demselben Jahre von den Kanzeln die Ex-
kommunikation über den Reformator und seine Anhänger
verkündigt werden sollte, gestattete es die Regierung nur
ungern und mit Beschränkungen. Der Widerspruch der
Venetianer gegen die Hexenprozesse betraf übrigens nicht
lediglich die Competenzfrage ; man hatte das Verfahren
der Inquisitoren gegen die Angeklagten alles Maass über-
schreitend, oder, — wie sich der Papst ausdrückt, — zu
rigoros gefunden.
In Spanien scheint das erste Auto da Fe gegen
Zauberer 1507 Statt gefunden zu haben. Die Inquisition
von Calhahorra verbrannte in diesem Jahre über dreissig
Weiber. Genauere Nachrichten gibtLlorente über eine
ausgedehnte Untersuchung, welche zwanzig Jahre später
') Bereits aus dem Jahr i486 findet sich eine Bulle von Innozenz VIII.,
welche Klage führt über die Weigerung der Obrigkeit zu Brescia, ohne vor-
hergehende Akteneinsicht Inquisitionsurtheile zu vollstrecken. Auch hier wird
für weitere Fälle mit dem Banne gedroht. Es ist zu bedauern, dass sich die
Art der Ketzerei nicht näher angegeben findet. Bzavii Annal, eccles. ad ann.
i486, cap. 14.
5 1 8 Achtzehntes Kapitel.
in Navarra eröffnet ward. Zwei Mädchen von neun und
elf Jahren denuncirten gegen die Zusage der eigenen
Straflosigkeit eine Menge von Hexen, die sie an einem
Zeichen des linken Auges zu erkennen vorgaben. Die
Verhafteten lieferten eine genaue Beschreibung des Sab-
baths, und eine derselben legte sogar, wie der Bischof
Sandoval in seinem Leben Karl's V. versichert, vor den
Augen der Richter und auf deren Auffordenmg eine Probe
des Luftfluges ab, nachdem sie sich aus ihrer Büchse an
verschiedenen Theilen des Korpers gesalbt hatte. Die
Inquisition zu Estella verurtheilte die Angeklagten, hun*
dertundfünfzig an der Zahl, nur zu zweihundert Peitschen-
hieben und mehrjährigem Gefangniss. Dagegen veran-
staltete bald darauf das heil. Officium zu Saragossa etliche
Brände (i 536). — Ein vom General-Inquisitor ausgegangenes
Edikt gebot, alle Personen, von welchen man etwas auf
Zauberei Hindeutendes wisse oder gehört habe, der Inqui-
sition anzuzeigen ^). — Als Hauptsitz der Zauberer galt
Toledo.
In England^) erscheinen die ersten Prozesse als Ver-
folgungen wirklicher oder bloss vorgegebener Angriffe auf
die Person des Regenten. So sah sich die Herzogin von
Gloucester zur Kirchenbusse und Verbannung auf die Insel
Man verurtheilt, weil man ihr zur Last leg^e, mit Zau-
berinnen über die Todtung Heinrich's VI. sich berathen
zu haben. Die ganze Beschuldigung war von dem todt-
lichen Hasse des Kardinals von Beaufort gegen seinen
Halbbruder, den Herzog von Gloucester, ausgegangen.
Eben so gedachte der ränkevolle Richard in. seine Gegner
am sichersten zu vernichten, indem er die Anklage der
Zauberei gegen die Königin Wittwe, gegen Morton, nach-
maligen Erzbischof von Canterbury, und andere Anhänger
des Grafen von Richmond erhob. Die Konigin sollte an
') LlorenU, krit. Gesch. d. span. Inqu. Th. 11. Cap. 15.
*) Im AUgem. Hutchinson, Uislor. Versuch von der Hexerei. Deutsch
von Arnold. Leipz. 1726. IValttr Scott, Br, üb. D5monol. Th. II. S. 12 ff,
vor Allen» aber Thomas Wright^ Narrativs of Sorcer>* and Magic. Lond. iSM
T. I. Chap. XI.— XIV,
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. ciq
seinem verschrumpften Arme Schuld s^in. Eine Wahr-
sagung, welche der Lord Hungerford über die Lebens-
dauer Heinrich's VIH. eingeholt hatte, wurde 1541 die Ur-
sache seiner Enthauptung und zugleich die Veranlassung
zweier Parlamentsakten, von welchen die eine gegen falsche
Prophezeiungen, die andere gegen Beschwörung, Zauberei
und Zerstörung der Kruzifixe gerichtet war. Letzteres
Statut ward im ersten Jahre Eduard's VI. wieder aufge-
hoben; als aber unter Elisabeth die Gräfin Lenox des
Hochverraths und der Befragung um die Lebensdauer der
Königin beschuldigt ward, erschien 1 562 nicht nur ein Ge-
setz gegen die Stellung der Nativität des Regenten, son-
dern auch ein anderes gegen die Zauberei überhaupt. Be-
reits wenige Monate nach ihrer Thronbesteigung war
Elisabeth vom Bischof Jewel von der Kanzel herab in fol-
gender Weise apostrophirt worden : „Mögen Eure Gnaden
geruhen, sich von der wunderbaren Vermehrung zu über-
zeugen, welche Zauberer und Hexen während der letzten
Jahre in Ihrem Königreiche gewonnen haben. Ew. Gnaden
Unterthanen Schwinden dahin bis zum Tode, ihre Farbe
verbleicht, ihr Fleisch modert, ihre Sprache wird dumpf,
ihr Sinn betäubt. Ich bitte Gott, dass die Zauberer ihre
Kraft niemals weiter anwenden mögen, als an
dem Unterthanen"*). Doch waren die englischen Ge-
setze gegen Zauberei im Ganzen weit milder als das auf
dem Festland übliche Verfahren. Die erste Uebertretung
des Verbots der Zauberei war — falls die Hexe mit ihren
Zauberformeln nicht Jemandem einen Schaden zugefügt
hatte — nur mit Gefangniss und mit Ausstellung an den
Pranger bedroht. Auch liess man die zum Tode Verur-
theilten nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern am Galgen
sterben. Ausserdem war die Tortur in England nicht ge-
setzlich eingeführt. Zur Auffindung der Hexen und zur
Erpressung von Geständnissen bediente man sich der Nadel-
probe (mit der man nach dem Stigma diabolicum suchte,)
*) A trial of vjUchcs etc. — with an appendix by C. Clark. London
1838 pag. 27.
e2o Achtzehntes Kapitel.
des Hexenbades (wobei das Untersinken als Zeichen der
Unschuld galt,) und der tortura insomniae. — Allerdings
ist unter der Regierung Elisabeth 's öfters Blut geflossen,
doch im Vergleich mit dem was in der folgenden Zeit
vorkam, nur wenig. Siebenzehn Personen fielen 1576 in
Essex, drei 1593 in Warbois. Mit der Thronbesteigung
Jacobs I. (Jacobs VI. von Schottland) 1603, also mit dem
Beginne der Herrschaft der Stuarts wurde es indessen in
England düsterer. Jetzt folgte ein Hexenprozess dem an-
deren^), insbesondere seit dem Prozess von 161 2.
Dieser Prozess*) von 161 2 — der in der Geschichte
der Hexenverfolgung in England epochemachend war, —
endete mit der Hinrichtung von zehn Menschen. Unter
denselben gehorten ne\m einer der rauhesten Gegenden
in Lancashire, nämlich dem unter dem Namen Pendle-
Forst bekannten Bezirk an, wo zwei alte achtzigjährige
Weiber, die „alte Demdike" und die „alte Chattox" als
Hexen verschrieen waren. Alles Unheil, was in Nah und
Fem vorkam, jedes Erkranken und Sterben von Menschen
und Vieh wurde ihrer Tücke und ihren Zauberkünsten zur
Last gelegt. Daher sah sich endlich ein Richter, Roger
Stowell in Read, veranlasst, beide Weiber mit ihjen Töch-
tern Alison Davis und Anna Redfem am 2. April 161 2 in
Haft zu nehmen. Infolge dessen versammelten sich die
Kinder und Anverwandten der Verhafteten am Charfrei-
tage in einem alten, abgelegenen, steinernen Gebäude,
Malking Tower genannt, um die zur Vertheidigung der
Angeklagten erforderlichen Schritte zu berathen. Diese
') Thomas IVright, Narratives of Sorcery and Magic, Lond. 1851 B. 11,
S. 16 sagt: No period of English history offers us so much, that is dark and
repugnant, as the reign of James I,
'^) Der Schreiber des Gerichtshofes, vor dem sich der Prozess abspielte .
Pott, vcrfasste auf Geheiss der Richter eine Darstellung der ganzen Prourss-
Verhandlung, welche vor ihrer Verftffenllichung im Jahr 16 13 von einen» der
letzteren sorgfältig revidirt wurde, damit, wie Pott sagt, «nicht«« als rhat>
Sachen aufgenommen würden". Dieses Referat ist 1845 auf Kosten der The 1-
tarn Society in England von James CrossUy abermals unter dem Titel herau?*-
gegehen: „/Vz/'j Discovery of witches in the county of Lancashire. Reprintcd
from the original edition of 16 13."
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. 52 1
Zusammenkunft wurde jedoch ruchbar, und alsbald wollte
man wissen, dass die Angehörigen der alten Hexen be-
schlossen hätten , den Gefangnissvogt zu Lancaster Castle,
wo dieselben in Haft wären, umzubringen und das Schloss
in die Luft zu sprengen. Eiligst Hess daher der Richter aus
der Verwandtschaft der Angeklagten noch mehrere andere
Personen in Haft bringen, unter ihnen eine Gutsbesitzerin,
mit der er seit längerer Zeit in einem Grenzstreit lebte.
Der Hauptzeuge bezüglich der in Malking * Tower ge-
triebenen „schwarzen Künste" war ein Kind von neun
Jahren, der „alten Demdike" Enkelin , auf deren Aussage
hin ihre nächsten Anverwandten, Mutter, Grossmutter,
Bruder und Schwester, nachdem sie im Gefängnisse sich
die gewünschten Geständnisse hatten abpressen lassen,
zum Tode verurtheilt wurden. Die Uebrigen behaupteten
ihre Unschuld bis zum letzten Augenblick. — Unter den
Geständnissen der ersteren kommt der Pakt, aber nicht
die fleischliche Vermischung mit dem Teufel vor. — Zehn
Personen waren zum Strange verurtheilt, unter ihnen auch
die alte Demdike, die jedoch vor der Exekution im Ge-
fangnisse starb.
So endete der Prozess der „Hexen von Lancashire".
Gleichzeitig wurden in Northampton fünf Personen, unter
denen nur Eine, ein Mann, sich zum Geständniss treiben
liess, hingerichtet. — Ein Hexenprozess, der 161 8 in dem
Schlosse Belvoir (auf der Grenze der Grafschaften Leicester
und Lincoln) vorkam, machte darum ganz besonderes Auf-
sehen, weil er eine der angesehensten F'amilien des Lan-
des betraf*). — In England waren eben damals die beiden
mächtigsten Potenzen des Reichs den Hexen gegenüber
im Bunde: das Königthum und der Puritanismus.
In der schottischen Geschichte hängen, — um
die Fabel von dem durch ein Wachsbild getödteten König
Duffus und die Zauberschwestem Macbeth's zu übergehen,
— die ältesten wirklichen Zaubergeschichten ebenfalls mit
') Die ausführlichsten Nachrichten ober die damalige Hexenverfolgung
in England gibt Wright in den Narratives, Kap. XXIV.
= 22 Achtzehntes Kapitel.
politischen Dingen zusammen ^). Als Jakob III. auf den
Argwohn verfiel, dass sein Bruder, der Graf Mar, in feind-
seliger Absicht Hexen befrage, Hess er zuerst diesen in
seinem Zimmer unverhörter Sache zu Tode bluten und
darauf zwölf Weiber und \der Männer verbrennen, um das
Verbrechen des Grafen als ein weit verzweigtes erscheinen
zu lassen. 1537 ^^1» vom Volke allgemein betrauert, die
Lady Johanna Douglas, Schwester des Grafen Angus, an-
geklagt des Versuchs, den König durch Gift zu tödt€»n,
um die Familie der Douglas auf den Thron zu bringen.
Niemand glaubte an ihre Schuld. Seit dieser Zeit mehrten
sich die schottischen Hexenprozesse -), im Ganzen eintönig,
wie die übrigen , nur selten einige phantastischere Ab-
weichungen bietend, welche Walter Scott der Abwechs-
lung halber in seine Darstellung zu verflechten nicht ver-
säumt hat. Unter Maria Stuart wurden sie überaus zahl-
reich, und die dreiundsiebenzigste Akte ihres neunten
Parlaments unterwarf das Verbrechen einer geschärften
Bestrafung. Ihr Sohn Jakob hat in der Folge sogar durch
seine persönliche Theilnahme an diesen Angelegenheiten
Epoche gemacht.
Frankreich hatte schon im Laufe des vierzehnten
Jahrhunderts seine Opfer gebracht und war für längere
Zeit zur Besinnung gekommen. Seitdem das pariser Par-
lament den Hexenprozess den geistlichen Richtern abge-
nommen hatte (1390), kam derselbe nur selten vor. ,,Seil
dieser Zeit, — sagt Bodin, — ^ trieb der Satan sein Sjjiel
so weit, dass Alles, was man v-on den Zauberern erzählte,
für Fabeln gehalten wurde*' ^). Das Parlament erfüllte
nicht nur die nationale Pflicht, die Ehre der unter engh-
schem Einflüsse verurtheilten Jungfrau von Orleans wieder
herzustellen ; sondern es that später auch ein Gleiches mit
den noch unter der burgundischen Herrschaft schmach-
') W^ Scott a. a. O, Neunter Brief.
*) Vgl. Htii^o Arnoif Collcclion of Criminal Trials in Schottland fVorvi
1536 to 1784. Edinb. 1785, S. 347 ff. Der früheste hier erwähnte K.'ill
einer Ilexcnverhrennung ist aus dem Jahr 15H8.
^) ßoiÜN, Daemonuni. Lib. IV. Cap. 1.
Hexenprozesse in Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien etc. C2 7
voll verfolgten Waidensem von Artois-^). Ludwig XL,
Karl VIII. ^) und Ludwig XII. waren einsichtsvoll genug,
um die alten Gräuel nicht wiederkehren zu lassen. Auch
unter Franz I. kam nur Weniges vor. C r e s p e t klagt ^),
dass die Zahl der angegebenen Zauberer damals hundert-
tausend überstiegen habe*), dass aber durch die Lauheit
der Richter und die Gunst der Grossen das Uebel nur
noch gewachsen sei. Wenn die Anklage nicht auf Be-
schädigungen, sondern bloss auf den Nachtflug und den
Besuch des Sabbaths ging, so sprach das pariser Parla-
ment in jener Zeit keine Verurtheilung aus*). Unter
Heinrich II. fing man indessen an, dem allgemeinen Zuge
zu folgen; 1549 wurden sieben Zauberer auf einmal zu
Nantes verbrannt, andere bald darauf zu Laon und ander-
wärts^). Solche Brände wiederholten sich unter Karl IX.
obgleich für den Eifer der Hexenfeinde viel zu selten.
^^) S. oben Gap. U.
*) Von diesem König haben wir nur einen Befehl zur Verfolgung von Be-
trugern, die sich für Weissager ausgeben, und derer, die sie befragen. Garinct p. 1 14.
'} De odio Satanae, s. Delrio üb. IV. sect. 16,
**) Scheltema (Geschiedenis der Heksenpr. pag. 106) hat diess sehr miss-
verslanden, wenn er berichtet, dass unter Franz I. Ober 100,000 Verur-
theilungen wegen Zauberei Statt gefunden haben.
•) So berichtet Dunrenus (f 1659) in Tit. ad leg. Cornel. de sicariis.
Man darf indessen nicht glauben, dass das pariser Parlament seit jener Zeit
überhaupt keine Zauberprozesse mehr verhandelt habe. 1582 sprach es ein
Todesurtheil aus wegen Nestelknöpfens und Teufelsumgangs (Collin de Plancy
Dictionnaire infernal, Art. Abel de Larue), Andere Urtheile derselben Behörde
von 158B — 1604 finden sich bei Le Brun Hist, critique des pratiques super-
stitieuses, Par. 1750. Vol. 1. p. 306. Gewöhnlich knüpfte man an den Galgen
auf und verbrannte dann den Leichnam.
*) Bodin^ Daemon. II. 5. — Indessen genügte das dem frommen König
noch nicht. Die Sache musste methodischer betrieben werden. Im Jahr 1557
eröffnete daher Heinrich II. dem Papst Paul IV., dass er gewillt sei, in Frank-
reich die Inquisition einzuführen, und bat um die apostolische Bestätigung.
Infolge dessen ernannte Paul in einem Breve v. 25. April 1557 die in Frankreich
sich aufhaltenden Kardinäle (v. Lothringen, v. Bourbon, v. Chatillon ?) zu In-
quisitoren, respect. Kommissären der Inquisition und ermächtigte sie zu ver-
fahren gegen quoscunque Lutheranos ac cuiusvis alterius damnatae haeresis
sectatores, seu sortilegia haeresin sapientia committentes illorum-
que sequaces, fautores et defensores. (^<jy«a/<// Annal. eccles. ad a. 1557, p. 623).
C2A Achtzehntes Kapitel.
Auffallend häufig trat in Frankreich die Hexerei als Ly-
kanthropie hervor *). Ueberall erzahlte man sich mit grosster
Angst von Zauberern und Zauberinnen, die sich dem Teufel
ergeben, von diesem die Gabe empfangen hätten sich in Wölfe
und Wolfinnen verwandeln zu können, als solche mit dem
Teufel oder mit wirklichen Wölfinnen und Wölfen Unzucht
trieben und Menschen und Thiere in Masse anfielen, zerrissen
und frässen. Im Herbst 1573 wurden durch einen Parlaments-
erlass die Bauern in der Umgegend von D61e (in der Franche
Comt6) sogar ermächtigt, auf Werwölfe Jagd zu machen.
Nach Boguets Schilderung (Discours de sorciers, 1603 bis
1 6 10) war um 1 598 im Juragebirge dieLykanthropie geradezu
epidemisch geworden. Aber auch die gewöhnliche Hexerei
sah man aller Orten in Frankreich ihr Unwesen treiben.
Ein Verurtheilter, Trois-Echelles, versprach einst um den
Preis seiner Begnadigung, alle Hexen Frankreichs zu
entdecken, deren Gesammtzahl er, wie Bodin erzählt, auf
dreihunderttausend angab *). Er zog umher , erkannte die
Schuldigen vermittelst der Nadelprobe am Stigma und soll
deren über dreitausend der Obrigkeit bezeichnet haben, unter
diesen selbst Reiche und Angesehene. Die Verfolgung der-
selben wurde jedoch unterdrückt. Mehrere gleichzeitige
Schriftsteller tadeln bitter Katharina's von Medici eigene
Hinneigung zu magischen Dingen und die Nachlässigkeit der
Richter, wodurch das Zaubervolk in Frankreich an Menge
immer mehr zugenommen habe. Dieser Tadel , der, soweit
er dem Parlamente gilt, nur ein Lob ist für diese Behörde,
an deren Spitze damals der wackere Achilles von Harlay
wirkte, hängt mit einer heilsamen Krise der Ansichten zu-
sammen, welche in jener Epoche von Deutschland aus über
ganz Europa ausgehen zu wollen schien. Ein Zeitgenosse be-
hauptet nämlich'*), dass die Lauheit der französischen Richter
hauptsächlich durch Weier's Schriften veranlasst worden sei.
*) Vgl. Leuhuscher, üeber die Wcrwftlfc und Thicrverwandlungcn im
Mittelalter. Berl. 1850. S. 15—29.
•) Bodin Daemonuni. IV. ft. üeber Trois-Echelles und die abweichenden
Nachrichten über ihn s. Hauber Bibl. ma«. Bd. II. S. 438 ff, u. 454 ff. Vgl.
BayU R<*ponse aux questions d'un provincial. Chap. 55.
•) Crtsptt de odio Saianae bei Delrio lib. V, sect. 16.
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