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Full text of "Soldan's Geschichte der hexenprozesse"

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HIHRHIIIMIII 

8000520S7S 


mr^r^^^ 


SOLDAN'S  GESCHICHTE 


DER 


HEXENPROZESSE. 


NEU   BEARBEITET 


VON 


DR.    HEINRICH    HEPPE. 


ERSTER     BAND. 


STUTTGART. 
VERLAG  DER  J.  G.  CO  TT  Aschen  BUCHHANDLUNG. 

1880. 


2:23  . 


L     . 


Druck  von  O  t*  b  r  ü  d  e  r  K  r  6  k  «•  r  in   Stutt^urt. 


VORREDE. 


ine  Geschichte  der  Hexenprozesse  gehört  unter  die 
längst  ausgesprochenen  Bedürfnisse.  Ihre  Noth- 
wendigkeit  ist  nicht  nur  in  verschiedenen  Zeiten 
von  Thomasius,  Semler,  Jean  Paul,  Jarcke  und 
Andern  anerkannt  worden,  sondern  es  hat  auch  nicht  an 
vielfachen  Bestrebungen  zur  Herstellung  derselben  gefehlt. 
Ein  reicher  Stoff  liegt  bereits  in  den  Sammelwerken  von 
Reiche,  Hauber,  Reichard  und  Horst  aufgehäuft 
und  mehrt  sich  fortwährend  durch  schätzbare  Lokalbei- 
träge, die  bald  einzeln,  bald  in  historischen  und  krimina- 
listischen Zeitschriften  erscheinen.  Zudem  sind  in  Deutsch- 
land Schwager,  Horst  undScholtz,  in  England  AV al- 
ter Scott,  in  Holland  Scheltema,  in  Frankreich  Ga- 
rinet mit  pragmatischen  Bearbeitungen  des  Gegenstands 
hervorgetreten. 

Dem  Bedürfhisse  ist  indessen  noch  nicht  abgeholfen. 
Die  Gegenwart  will  das  Ganze  im  Zusammenhange  be- 
greifen ;  man  hat  ihr  jedoch  selbst  die  äussere  Erscheinung 
meist  nur  fragmentarisch  vorgeführt  und  lässt  den  Schlüssel 
zum  Verständnisse  vergeblich  suchen.  Wo  auf  den  Hexen- 
prozess  die  Rede  kommt,  durchkreuzen  sich  die  wider- 
sprechendsten,  oft  sehr  wunderliche  Ansichten,  ja  selbst 
hinsichtlich  der  einfachen  Thatsachen  werden  noch  täglich 
die  irrigsten  Voraussetzungen  laut.  Unter  den  oben  ge- 
nannten  Geschichtschreibem   hat  Scholtz   unstreitig   mit 


IV  Vorrede. 

historischem  Geiste  gearbeitet ;  seine  Schrift  ist  jedoch  zu 
sehr  Skizze,  um  alle  Partien  in's  nöthige  Licht  zu  stellen. 
Horst's  Dämonomagie  enthalt  im  Einzehien  Danken»^ 
werthes,  es  fehlt  aber  an  Ueberblick  und  Zusammenhang. 
Durch  die  spätere  Herausgabe  seiner  Zauberbibliothek  hat 
er  selbst  die  Nothwendigkeit  einer  „Revision  des  Hexen- 
prozesses" anerkannt.  Schwager's  unvollendetes  Werk 
leidet  an  Einseitigkeit  und  handgreiflichen  Verstössen. 
Walter  Scott  und  Scheltema  sind  ohne  Quellenstudium 
und  voll  von  Unrichtigkeiten ;  jenem  galt  es  mehr  um  eine 
anziehende  Unterhaltung,  diesem  mehr  um  die  Verherr- 
lichung des  holländischen  Volkes,  als  um  die  Erforschung 
der  Wahrheit.  Gar  in  et  beschränkt  sich  auf  sein  Vater- 
land. Im  Allgemeinen  lässt  sich  behaupten,  dass  man  in 
einem  nach  Raum  und  Zeit  viel  zu  enge  gezogenen  Kreise 
sich  bewegte,  als  dass  eine  freie  Uebersicht  des  Ganzen 
hätte  gewonnen  werden  können.  Der  Hexenprozess  ist 
nicht  eine  nationale,  sondern  eine  christenheitliche  Erschei- 
nung; soll  er  begriflFen  werden,  so  darf  seine  Darstellung 
weder  auf  ein  einzelnes  Volk  sich  beschränken,  noch  mit 
demjenigen  Zeitpunkte  beginnen,  wo  er  als  etwas  schon 
Fertiges  hervortritt. 

Durch  eine  zufallige  Veranlassimg  zur  näheren  Beach- 
tung des  Gegenstandes  hingeführt,  habe  ich  mich  bald  von 
der  Nothwendigkeit  einer  neuen  Bearbeitung  überzeugt 
gesehen;  es  zog  mich  an,  die  eigene  Kraft  daran  zu  ver- 
suchen, und  so  entstand  die  Schrift,  welche  ich  hiermit 
der  Oeffentlichkeit  übergebe. 

Wurden  die  hierbei  zu  besiegenden  Schwierigkeiten 
gleich  Anfangs  nicht  gering  angeschlagen,  so  haben  sie 
sich  im  Verlaufe  der  Arbeit  noch  grösser  dargestellt.  Es 
war  hier  nicht  nur  eine  lange  Reihe  von  Jahrhunderten 
und  Völkern  zu  durchforschen,  sondern  diess  musste  auch 
in  den  verschiedensten  Richtungen  geschehen.  Die  Er- 
scheinungen  des  Zauberglaubens  sind  nicht  etwas  Isolirtes: 
sie  stehen  nicht  bloss  mit  dem  allgemeinen  Stande  der 
Bildung  in  stetem  Zusammenhange,  sondern  verzweigen 
sich   auch    in   zahlreichen  Berührungen  mit  der  Kirchen- 


Vorrede.  V 

geschichte,  der  Geschichte  des  Strafrechts,  der  Medizin 
und  Naturforschung,  —  Fächern,  in  denen  der  Verfasser 
zum  Theil  Laie  ist  und  nur  mit  Mühe  die  nöthigen  Auf- 
schlüsse sich  verschaffen  konnte.  Eine  umfassende  Lek- 
türe hat  oftmals  nur  dazu  gedient,  um  einen  einzelnen 
Umstand  sicher  zu  stellen,  oder  für  die  weitere  Forschung 
den  richtigen  Standpunkt  zu  gewinnen,  ohne  eine  einzige 
Zeile  Text  zu  liefern.  Zudem  ist  die  Literatur  des  eigent- 
lichen Zauber-  imd  Hexenwesens  eine  sehr  reichhaltige 
und  der  Weg  durch  das  endlose  Gewirre  der  dogmatischen, 
polemischen  und  praktischen  Werke  oft  eben  so  dunkel, 
als  ermüdend.  Historische  Quellenschriften  standen  für 
Deutschland  viele,  für  das  Ausland  wenigere  zu  Gebot; 
es  musste  darum  für  das  letztere  öfters  zu  Nachrichten 
aus  zweiter  Hand  gegriffen  und  die  Glaubwürdigkeit  der- 
selben einer  nicht  immer  leichten  Prüfung  unterzogen 
werden.  Möge  darum  der  billige  Beurtheiler  die  aus  der 
Sache  hervorgegangenen  Un Vollkommenheiten  dieser  Schrift 
mit  Nachsicht  aufnehmen. 

Eine  Gesammtgeschichte  des  magischen  Aberglaubens, 
so  dass  auch  die  sogenannten  geheimen  Wissenschaften 
eingeschlossen  wären,  gehört  nicht  in  den  Plan  dieser 
Schrift;  dieselbe  behandelt,  der  obigen  Ankündigung  zu- 
folge, nur  den  Hexenprozess  oder,  mit  andern  Worten, 
den  Zauberglauben,  insofern  er  ein  Strafverfahren  zur  Folge 
hatte,  imd  hat  darum  alles  dasjenige,  aber  auch  nur  das- 
jenige in  ihr  Gebiet  zu  ziehen,  was  dazu  fuhrt,  denselben 
in's  rechte  Licht  zu  stellen.  Lediglich  in  dem  ausgespro- 
chenen Zwecke  findet  der  Gang,  den  wir  durch  Völker, 
Zeitalter  und  Stoffe  zu  nehmen  haben,  seine  Richtung, 
vsrie  seine  Ausdehnung  und  Beschränkung  vorgezeichnet. 
Der  Leser  erwarte  auch  weder  psychologische  Deductionen 
über  die  letzten  Gründe  des  Zauberglaubens  überhaupt, 
noch  Excurse  über  das  mögliche  naturwissenschaftliche 
oder  das  m5rthologische  Fundament  einzelner  Zauberideen, 
welche  wir  in  letzter  Listanz  bis  zum  griechischen  oder 
romischen  Alterthum  zurückführen  werden.  Wie  der 
Grieche   zu  dem  Glauben  kam,    dass  ein  Mensch   sich  in 


'*X,'*-! 


.    '  -x— >■  -      .tri  ÄÄi-ieln  könne,   warura    er  sich  die  Er- 

'',r*»:l\-r^''  der  Zukizrt  aus  dem  Mun-ie  eines  Tc*iteii  mog^ 

T:  :i  -i^i'r.Zr^  t  i^rauf  der  Römer  seine  Vor>ieIlune  von  den 

''*r'z^:J2^hrerjien  StrSe^en    gruniete,    ob  bei  den  Pfaütren 

"^''jfi^^  trrz.  Cerem.':n:ell  zuweilen  aiicb  arzneüirb  wirkende 

SiVc^:r-Z/^n    AT.^-'eTre:: iet    vurien,    und    welche    es    sein 

-ZjjryrjfT.  -—  ^-  w.,  —  ciess  alles  wird  ims  um  so 

'^S'jLsrjfz.  llrfen,  als  Erönemn^en  darüber  theils 

»   ^irrrh.',*r:ti,  iz^rrLb  auf  g^anz  unsicfcerem  Boden  sieb  benim- 

t'*-  -^s^      tr.rrlls  er.  ü:  ib .   was  hier  die  Hanptsacbe  ist ,    fSr 

',-'  -^--^     Ztt^' iL    n'-r    vm    ui:terg"eordneteTa    Beiarge    sein 

\'\'^.^.      Vrir    "Brerfen.    anstatt   zu  deuten   und   zu  muth- 

"-i.   ^^.     *.'/.:he  Vi^r^teHunzen,  wo  und  wie  sie  uns  zuerst 

>'*-i;"'*r .  g['i:z^  e:r-fä.cb  als  Tbatsacben  nebmen  und  dafür 

I ',-^/v  l--r.^.  ihre  Verpflanzung-,    ihre  Verscbmelzui^ 

V  i^'..'It.*rm   t:nd   ihre  praktische  Bedeutung"  •    soweit 

.  ^'.ri '.',?- er  OeTB*i*  sr.eit  oder  Wahrscbeinlicbkeit  ge- 

i'i^—..  'ie-^o  re:--:<'er  verfolgen. 

?  '>m:  cT.hpelargt,  so  ergab  es  sieb  von  selbst, 
'  -,.  '  e  '.e  V'-:n.  -aelir-e  theils  Unsicheres  feststellen,  tbeils 
:  ^-..-r-  ^^  z:.r  Arschd.--rg  bringen  sollte,  halb  Forscbung", 
'  i  \  Ij>j^  ^«-'  -r  ;f  -werden  mu^sste.  Femer  waren,  weil  von 
i  \yy  '  H  /  ^  "rAß-y':  e.  vr/n  Volk  zu  Volk  gleichsam  ein  Kassen- 
■'*•'/  '->*  -"  la-f'rr.'ler- 1  Jeenkapitals  nothig  schien,  häutigere 
V.' « ';*'rV/.-';'en  nicht  zu  vermeiden.  Um  wenigstens  der 
•  "^  '  *' 1^,  Vi':'":*rrh'y>-r.g  zu  entgehen,  zugleich  um  einen 
*'«  ^«-^e*  /. -rl^^^k  der  Zeit  zu  geben,  sind  an  gr^eigneten 
i  p^t^^  /^  ^  ^*'-y.'-ri  d'rr  betretenden  Schriftsteller  bald  un- 
."•^V --/♦..  S-^M  iTj  A'--/-ge  eingereiht  worden.  Kürze  und 
A  -  • ,' •^'•' 'Ve:*  der  Darstellung  überhaupt  schien  je  nach 
'.'*'r  ^*'-.  .';|f  '-er  e:r,/'''.r.en  Theile  zum  Ganzen  abgemessen 

l'i  A  /v."  -^;f  L«^d  Unheil  habe  ich  nach  Unbefangen- 
• '  ♦  jV'  •,'r.rr//'^<':t  '-r,d  Mä^^igung  gestrebt.  Ich  habe  aber 
r  '•  .'-^'T  v'vu  v"rr"x hl.  mit  dem  Aberglauben  zu  lieb- 
;--;";ri  uzA  *l\*' h^'-'^-irf-'i  tt.:i  d^-r  Barbarei  zu  rechtfertigen. 
Vi''>hj  in.i;'  '.'"r  I, .:/"''•"  ri' ht  verdammt  werden,  wenn  er 
fr  .t   w'ir,**rri   Voll:«-  .•-'t:   aV-r   f-in  vorh ergebendes  Zeitalter 


. .  <. .   '-  e 


Vorrede.  VII 

der  Besonnenheit  vermag  einem  nachfolgenden  der  Unver- 
nunft das  Urtheil  zu  sprechen,  und  ein  einziger  Weiser 
unter  einem  ganzen  Volk  von  Thoren  liefert  den  Beweis, 
dass  die  Thorheit  keine  absolute  „welthistorische  Berechti- 
gung" auf  die  Beherrschung  der  ganzen  Generation  hat. 
Wäre  es  nur  Thorheit  allein !  Es  sind  aber  auch  schmutzige 
Motive,  welche  die  Thorheit  gängeln  und  ausbeuten.  Für 
diese  ist  auch  das  finsterste  Zeitalter  verantwortlich.  Möge 
man  mir  daher  nicht  den  Vorwurf  machen,  als  ob  ich  mich 
nicht  genug  in  die  Vergangenheit  versetze.  Ich  habe  es 
gethan  für  die  Erkennimg  und  Erklärung  des  Faktischen ; 
was  das  Urtheil  anbelangt,  so  habe  ich  immer  lieber  die 
einzelnen,  fast  in  jedem  Menschenalter  hervortretenden 
Bekämpfer  des  Unwesens  gelobt,  als  die  Panierträger  des- 
selben sammt  ihrem  Trosse  mit  der  Zeitgemässheit  ihres 
Treibens  entschuldigt. 

Schliesslich  erfülle  ich  die  angenehme  Pflicht,  für  die 
zuvorkommende  Güte,  mit  welcher  mir  von  Seiten  zahl- 
reicher Privaten  des  In-  und  Auslandes,  so  wie  von  ver- 
schiedenen Bibliothek-  imd  Archivbehörden,  insbesondere 
von  den  loblichen  Bibliothekverwaltungen  zu  Darmstadt 
und  Giessen,  in  der  Herbeischaffung  von  Materialien  Vor- 
schub geleistet  worden  ist,  meinen  Dank  hiermit  öffentlich 
auszusprechen. 

Darmstadt,  den  i.  Mai  1843. 

Dr.  W.  G.  Soldan. 


X  Vorwort, 

Einen  besseren  Wunsch  kann  Unterzeichnete,  welcher 
die  traurige  Mission  zu  Theil  geworden,  diese  Worte  zu 
schreiben,  einem  Werke,  welches  die  Namen  zweier  ihr 
nahestehenden  Verklärten,  ihres  Vaters  und  ihres  Mannes, 
auf  seinem  Titelblatte  trägt,  nicht  mit  auf  den  Weg 
geben. 

Marburg,  im  Oktober  187g. 


Henriette    Heppe 

geb.    Soldan. 


INHALT. 


Seite 

Erstes  Kapitel :  Einleitung l 

Zweites  Kapitel:  Der  heidnische  Orient 14 

Drittes  Kapitel:  Das  Volk  der  Hebräer 25 

Viertes  Kapitel:  Griechenland 35 

Fünftes  Kapitel:  Die  Etrusker  und  Römer 52 

Sechstes  Kapitel:  Die  alte  Kirche 86 

Siebentes  Kapitel:  Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.     .  104 
Achtes  Kapitel:  Das  Ketzerwesen    in    der   Kirche    bis  zum   dreizehnten 

Jahrhundert 144 

Neuntes  Kapitel:  Der  Teufelsbund 164 

Zehntes  Kapitel:  Die  Teufelsbuhlschaft 172 

Elftes  Kapitel:  Die  öffentliche  Meinung   der  Kirche   und    das  Gesetz  im 

dreizehnten  Jahrhundert • i8<^ 

Zwölftes   Kapitel:    Die   Inquisition   im    dreizehnten   Jahrhundert.     Aus- 
bildung des  Hexen  Prozesses  in  Frankreich 207 

Dreizehntes  Kapitel:  Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich.    Ueber- 

gang  derselben  in  die  angrenzenden  Länder 239 

Vierzehntes  Kapitel:  Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VHI.     Der  Malleus 

maleficarum 267 

Fünfzehntes  Kapitel:  Das  Verbrechen 290 

Sechszehntes  Kapitel:  Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe  .     .     .  327 
Siebeniehntes  Kapitel:    Allgemeine  Grunde   der  Verbreitung   der  Hexen- 
prozesse   und   des  Glaubens   an   Hexerei    im   sechszehnten 

Jahrhundert 418 

Achtzehntes  Kapitel:  Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien, 
Spanien,  England.  Schottland  und  Frankreich  bis  zur  Mitte 

des  sechszehnten  Jahrhunderts 458 


ERSTES     KAPITEL. 


Einleitung. 

it  besonderem  Interesse  verweilt  der  Blick  des 
Kulturhistorikers  bei  der  grossen  Reihenfolge  der 
mannigfaltigsten,  welthistorischen  Vorkommnisse, 
deren  Zusammenhang  die  glänzende,  lebensvolle 
Geschichte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ausmacht.  Das 
imter  dem  wilden  Ansturm  der  Osmanen  zusammenge- 
brochene Griechenreich  sandte  die  Apostel  einer  neuen 
wissenschaftlichen  Aera,  in  der  sich  die  seit  vielen  Jahr- 
hunderten verschütteten  Quellen  klassischer  Bildung  der 
abendländischen  Menschheit  aufs  Neue  aufthun  sollten, 
nach  Italien  und  Deutschland;  Guttenberg  erfand  seine 
gewaltige  Kunst,  die  bald  die  mächtigste  Grossmacht 
aller  Kulturvölker  werden  sollte;  Columbus  und  Vasco 
de  Gama  erschlossen  der  europäischen  Menschheit  ganz 
neue  Welten,  von  deren  Dasein  man  bis  dahin  nichts 
geahnt  hatte;  Kaiser  Maximilian  beschwor  den  rohen 
Geist  mittelalterlicher  Gewalt,  brach  dessen  Burgen  und 
that  den  ersten  wirksamen  Schritt  zur  Herstellung  eines 
öffentlichen  Rechtszustandes  im  deutschen  Reiche,  und  in 
allen  Landen  Europa's  traten  Männer  auf,  welche  die  der 
Christenheit  längst  unverständlich  gewordene  Gottessprache 

8oi4a  n-Heppe,  Hexenprozesse.  I 


2  Krstes  Kapitel. 

ihres  Evangeliums  redeten,  den  Bruch  mit  einer  mehr  als 
tausendjährigen  verkehrten  Gestaltung  des  Christenthums 
anbahnen  und  die  welthistorische  Epoche  der  Reformation 
vorbereiten  halfen.  Aber  in  düsteren,  unheimlichen  Zügen 
fallt  auf  diese  glänzenden  Seiten  der  Geschichte  des  Abend- 
landes der  Schlagschatten  eines  Ungeheuers,  das  an  Furcht- 
barkeit alle  Gräuel  des  früheren  Mittelalters  weit  überragt. 
Es  ist  dieses  der  Hexenprozess.  Vorlängst  —  im  Wider- 
spruch mit  dem  bestehenden  Kirchenrecht  —  im  Schoosse 
der  geistlichen  Inquisition  erzeugt,  gewinnt  er  im  fünf- 
zehnten Jahrhundert  Abschluss  und  feste  Gestaltung,  und 
wird  als  legitimes  Kind  der  Kirche  anerkannt,  um  eine 
Barbarei  ohne  Gleichen  in  stets  wachsender  Verbreitung 
auf  zwei  volle  Drittheile  derjenigen  Geschichtsperiode  zu 
vererben,  die  sich  so  gern  als  die  der  Geistesmündigkeit 
und  Humanität  preisen  lässt.  Und  er  contrastirt  nicht 
nur  mit  dem,  was  die  Zeit  bewegt,  er  wuchert  auch 
darin.  Das  Grösste,  Edelste  musste  ihm  dienen.  Aus  den 
wiedereröffneten  Hallen  der  altklassischen  Literatur  schuf 
er  sich  ein  reiches  Arsenal  von  Schutz-  und  Trutzwaffen; 
Guttenberg's  Erfindung,  zum  Heile  der  Menschheit  erdacht, 
hat  gleichwohl  im  Jahrhundert  ihrer  (Jeburt  schwerlich 
irgend  ein  Buch  in  grösserer  Anzahl  vervielfältigt,  als 
Sprenger*s  berüchtigten  Hexenhammer;  am  Bord  der  Welt- 
umsegler  drang  der  Hexenprozess  nach  Mexico  und  Goa, 
nebst  der  Inquisition  das  erste  Geschenk,  das  die  europäische 
Civilisation  den  beiden  Indien  für  ihr  Gold  und  ihre  Edel- 
steine geboten  hat.  Karl's  V.  peinliche  Gerichtsordnung, 
im  Uebrigen  eine  vielfach  dankenswerthe  Reform  de.s 
Kriminal  Wesens,  stempelte  durch  allgemeines  (fesetz  die 
Zauberei  zum  todeswürdigen  bürgerlichen  Verbrechen,  wie 
sie  seit  den  letzten  Jahrhunderten  als  kirchliches  gegolten 
hatte.  Und  selbst  die  Reformation  hat  das  Uebel  nicht 
gebrochen.  Luther,  Zwingli,  Calvin,  Heinrich  VII L  kämpften 
gegen  grosse  und  kleine  Auswüchse  des  Pfaffenthums ; 
dem  bizarresten  und  blutigsten  derselben,  dem  Hexen- 
pro/esse, hat  kein  Reformator  die  Maske  abgezogen,  viel- 
mehr fuhren  die  Protestanten  —  nach  kurzem  Besinnen  — 


Kinleitung.  x 

fort,  mit  den  Katholischen  in  unsinniger  Verfolgningswuth 
zu  wetteifern,  und  England  hat  sogar  ein  gekröntes  Haupt 
aufzuweisen,  das  neben  dem  Schwert  und  dem  Feuerbrande 
auch  die  Feder  gegen  den  imaginären  Frevel  führte. 
Tausende  und  aber  Tausende  von  Unglücklichen  fielen 
fortwährend  in  allen  Theilen  der  Christenheit  durch  Henkers- 
hand ;  die  Stimme  der  Wenigen,  die  Geist  und  Herz  genug 
besassen,  dem  Unwesen  entgegenzutreten,  verhallte  unge- 
hört  oder  rief  Verfolgung  gegen  sich  selbst  hervor.  Das 
siebzehnte  Jahrhundert  sah  einen  dreissigjährigen  Glaubens- 
kampf die  Eingeweide  Deutschlands  zerfleischen,  und,  als 
wäre  es  am  Kriegsjammer  noch  nicht  genug,  erreichte 
gerade  um  diese  Zeit  das  deutsche  Hexenwesen  den  höchsten 
Grad  seiner  Intensität;  ganze  Gemeinden,  Herrschaften 
und  Fürstenthümer  wurden  dadurch  geplündert,  entsittlicht 
und  entvölkert,  die  Familienbande  zerrissen,  das  Vertrauen 
zwischen  Nachbarn  und  Freunden,  Obrigkeiten  und  Unter- 
thanen  vergiftet  und  die  Summe  des  moralischen,  wie  des 
physischen  Elends  bis  zum  Unermesslichen  gesteigert.  Und 
alle  diese  Grässlichkeiten  wurden  im  Namen  Gottes  und 
der  Gerechtigkeit  verübt !  —  Kaum  ist  ein  Jahrhundert  ver- 
gangen, seitdem  in  unserem  Vaterlande,  und  kaum  ein 
ganzes  Menschenalter,  seit  im  übrigen  Europa  die  letzten 
Scheiterhaufen  verglimmten.  Noch  reibt  sich  die  europäische 
Menschheit  die  Augen,  wie  neu  erwacht  aus  einem  bösen 
Traume,  und  kann  es  nicht  fassen,  wie  es  kam,  dass  dieser 
Traum  so  schwer  und  unsinnig  war  und  so  viele  Jahr- 
hunderte andauern  konnte.  Aber  schon  beginnt  auch  der 
finstre  Aberglaube,  der  dem  Ganzen  zur  Unterlage  diente, 
seine  scharfen,  schroffen  Umrisse  in  den  zarten  Nebelduft 
der  Poesie  zu  verstecken ;  das  kaum  erst  Ueberlebte  ist 
plötzlich  zur  halbbekannten,  nach  Ursprung  und  Wesen 
vielfach  missdeuteten  Antiquität  geworden.  Weil  Goethe 
das  lebensfrische  Bild  seines  Faust  auf  jenen  düstem  Grund 
gezeichnet,  weil  Shakespeare  im  Macbeth  und  Heinrich  VI. 
den  spröden  Stoff  poetisch  bewältigt  hat,  werfen  sich  Manche 
als  Apologeten  des  Zauberglaubens  auf;  in  der  sagenmässigen 
Seite  des  Gegenstandes  festgefahren,    reden  sie,  als  wäre 


^  Erstes  KapiteU 

niemals  Blut  geflossen,  von  frommheiterem,  an  sich  schon 
dichterisch  gestaltendem  Volksglauben;  ja  man  ist  so  weit 
gegangen,  diese  Blume  aller  pfaffischen  Missbildungen  für 
uralt-germanisch  zu  erklären  und  mit  einer  Art  patriotischen 
Stolzes  in  den  dahin  einschlagenden  Volkssagen,  die  man 
zufallig  in  England,  Frankreich  oder  Italien  entdeckte,  nur 
Reminiscenzen  aus  der  Zeit  der  Völkerwanderung  zu  er- 
kennen.  Aber  Deutschland  weist  den  Vorwurf,  die  Mutter 
dieser  Geistesverirrungen  zu  sein,  trotz  der  beliebten  Schlag- 
worte Faust  und  Blocksberg  und  seiner  zahllosen 
Teufelssagen  mit  gerechtem  Unwillen  von  sich  ab.  Wahr 
ist  es,  dass  auch  Deutschland  gleich  andern  Völkern  seinen 
Aberglauben  gehabt  und  demselben  drei  Jahrhunderte  hin- 
durch Molochsopfer  dargebracht  hat;  aber  nichtsdesto- 
weniger hat  jene  grosse  Seuche,  die  seit  Innocenz  VIII. 
ihren  verheerenden  Gang  durch  Europa  machte,  auf  Gründen 
beruht,  die  mit  dem  problematischen  Zauberglauben  der 
germanischen  Urzeit  durchaus  nichts  gemein  haben. 

Auf  einer  andern  Seite  hat  man  darauf  zurückgewiesen, 
dass  bereits  die  Griechen  und  Römer  ein  Strafverfahren 
gegen  Zauberei  kannten,  und  dass  dieselbe  sogar  schon 
im  mosaischen  Gesetze  als  todeswürdiges  Verbrechen  be- 
zeichnet ist.  Und  allerdings  finden  wir  hier  Dinge,  die  den 
genannten  Erscheinungen  in  vielen  Punkten  analog,  zum 
Theil  selbst  ursächlich  verwandt,  in  vielen  aber  auch  an 
Charakter,  Zweck,  Form  und  praktischer  Bedeutung  gänz- 
lich fremd  sind.  Zeit,  Ort  und  Verhältnisse  gestalten  ja 
bei  Vergehen,  die  als  deutlich  erkennbare,  scharf  begränzte 
Thaten  vor  das  Auge  treten,  die  gesetzliche  Auffassung 
verschieden :  um  wie  viel  mehr  bei  Dingen,  die  mehr  dem 
stets  veränderlichen  und  vielgestaltigen  Reiche  der  Ein- 
bildungskraft, als  der  Wirklichkeit  angehören! 

In  welchem  Maasse  aber  die  zauberischen  Begehungen, 
die  einst  das  Strafrecht  als  reale  voraussetzte,  wirkliche, 
oder  eingebildete  gewesen  sein  mögen,  auch  darüber 
hat  die  neueste  Zeit  wiederum  zu  streiten  angefangen,  und 
OS  sind  uns  sogar  aus  dem  dunkeln  Gebiete  des  thierischen 
Magnetismus  Aufschlüsse  darüber  verheissen,  wiewohl  bis 


Einleitung.  c 

jetzt  keineswegs  in  befriedigender  Weise  gegeben  worden. 
Anderwärts  hat  man  in  dem  Hexenwesen  bald  Maskeraden 
von  Wolllüstlingen,  bald  Conventikel  von  Muckern,  bald 
sogar  Complotte  von  Giftmischern  und  Getreidewucherem 
als  realen  Kern  erkennen  wollen,  ist  aber  auch  dafür  die 
Beweise  schuldig  geblieben. 

Die  Hexenprozesse  der  letzten  vier  Jahrhunderte  haben 
bei  aller  Verschiedenheit  der  Auffassung  die  Aufmerksam- 
keit der  Gegenwart  lebhaft  erregt.  Ihre  Darstellung  muss 
an  sich  schon  ein  sehr  interessantes  Kapitel  in  der  Kultur- 
geschichte dieser  Periode  bilden.  Es  verbindet  sich  aber 
hiermit  für  den  Augenblick  noch  ein  praktisches  Interesse. 
Nichts  ist  so  geeignet,  mit  den  Mängeln  der  Gegenwart 
zu  versöhnen  und  zugleich  auf  die  Zukunft  warnend  und 
anregend  hinzuweisen,  als  der  Rückblick  auf  die  Schatten- 
seiten der  nächsten  Vergangenheit.  Schlosser's  Geschichte 
des  achtzehnten  Jahrhunderts  ist  manchem  Schwindelkopf 
des  jimgen  Deutschlands,  dem  der  Fortschritt  zu  langsam 
ging,  vmd  manchem  Thoren,  der  den  Rückschritt  wollte, 
eine  kräftigere  Arznei  geworden,  als  alle  publicistischen 
Diatriben  für  und  wider.  Die  Schwärmer  auf  dem  Nacht- 
gebiete der  Natur,  die  in  unsere  Zeit  wieder  eine  Geister- 
welt hereinragen  und  die  Gespenster  zu  Prevorst  am  hellen 
Tage  spuken  sehen,  die  modernen,  auf  Kanzeln  und  in 
Conventikeln  sich  als  angebliche  Vertreter  des  rechten 
Glaubens  breit  machenden  Halbmanichäer ,  die  —  wie 
Vilmar  —  ohne  Teufel  keine  Religion  kennen,  —  diese  alle 
mögen  zurückblicken  auf  die  Zeiten  jener  gepriesenen  Alt- 
gläubigkeit, und  ihre  Jeremiaden  werden  verstummen  bei 
dem  Anblick  der  Früchte,  die  auf  dem  Boden  des  Dämonen- 
glaubens wachsen  und  gedeihen  konnten.  Auf  der  andern 
Seite  werden  aber  auch  die  Zweifler  am  Fortschritt  zum 
Bessern,  die  Ungenügsamen,  denen  überall  des  Lichts  noch 
zu  wenig  und  des  Alten  zu  viel  ist,  die  Aengstlichen,  die 
von  jeder  vorüberziehenden  Wolke  eine  Sonnenfinsterniss 
besorgen,  die  Ungestümen,  die  in  ihrem  Phaetonseifer  die 
Welt  in  Flammen  zu  setzen  drohen,  beim  Hinblick  auf  das 
Ueberwundene   sich  beruhigen   und  anerkennen,   dass  der 


5  Erstes  Kapitel. 

menschliche  Geist  nicht  gefeiert  hat ;  sie  werden  vertrauen, 
dass  er  auch  in  Zukunft  seinen  Gang  gehen  wird,  der  zwar 
nicht  ohne  Kampf,  aber  auch  nicht  ohne  Ruhe  und  Stetigkeit 
der  Entwicklung  sein  kann. 

In  dem  Folgenden  soll  es  versucht  werden,  die  Hexen- 
prozesse in  ihrer  Entstehung,  ihrem  Fortgange  und  Ver- 
schwinden pragmatisch  und  übersichtlich  zu  behandeln.  Da 
sie  indessen  nur  eine  einzelne  und  zwar  die  letzte  Phase 
in  der  Geschichte  des  Zauberglaubens  überhaupt  bilden, 
so  kann  ihr  Wesen  ausser  dem  Zusammenhange  mit  den 
früheren  Erscheinungen  desselben  nicht  richtig  gewürdigt 
werden.  Desshalb  ist  es  nothig,  eine  Darstellung  des  Ver- 
hältnisses, welches  dieser  Zauberglaube  auch  im  Alterthum 
und  bei  den  Völkern  des  Mittelalters  dem  Gesetze,  der 
Religion  und  der  öffentlichen  Meinung  gegenüber  ein- 
genommen hat,  voranzuschicken  und  die  Formen  und  Ver- 
zweigungen desselben  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  zu 
verfolgen. 

Es  gibt  nicht  leicht  einen  Begriff,  der  sich  schwerer 
in  wenige  Worte  zusammenfassen  Hesse,  als  der  Begriff 
der  Zauberei  oder,  —  was  wir  gewöhnlich  als  gleich- 
bedeutend nehmen,  —  der  Magie.  Die  uns  bekannten 
Definitionen  sind  fast  durchgängig  entweder  zu  weit,  oder 
zu  eng.  Ersteres  lässt  sich  von  Tiedemann's  '),  letzteres 
von  Jakob  (xrimm's*)  Definition   behaupten.     Im  AUge- 

')  Magia  est  ars  sive  malueris  scientia  perpetrandi  mira ,  i.  e.  quae 
superant  leges  et  vires  corponim  et  antmalium  rerumque  earum,  quas  huic 
mundo  ines&e  ibique  aliquid  efficere  experientia  aut  ratio  certa  docuit  ( Tiedt' 
maftn  de  quaestione,  quae  fuerit  artium  magicarum  origo  etc.  Marburg  17B7.) 
Hier  ist  das  Wunder  nicht  ausgeschlossen. 

')  «Zaubern  heisst  höhere  geheime  Kräfte  schädlich  wirken  lassen.* 
(Deutsche  Mythologie  S.  579.)  Hierunter  wären  die  zauberischen  Heilungen 
nicht  begriffen.  —  Richtig  ist.  was  ^r.  AW/tr,  Gesch.  und  System  der  all- 
deutschen Religion,  Ontt.  1844«  S.  357  sagt:  »Zauberei  heisst  durch  irgend- 
welche geheime  Mittel  oder  Künste,  die  man  erlernen  oder  mit  Hilfe  von 
Geistern  sich  aneignen  kann,  Wirkungen  hervorbringen,  welche  die  gewöhnliche 
menschliche  Kraf^  Qbersteigen.  Dass  man  dadurch  Anderen  schadet,  liegt 
ursprünglich  nicht  darin,  obgleich  .sich  diese  Idee  später  gewAhnlich  damit 
verband.* 


Einleitung.  j 

meinen  darf  man  annehmen,  dass  derjenige,  der  dieses 
Wort  gebraucht,  an  die  Bezweckung  von  Erkenntnissen 
oder  Wirkimgen  denkt,  die  das  natürliche  Maass  der 
menschlichen  Kraft  übersteigen  und  zugleich  ausser  dem 
Gebiete  dessen  liegen,  was  ihm  als  Religion  gilt.  Aber 
wie  heterogen  sind  nicht  die  Objekte,  die  man  in  ver- 
schiedenen Zeiten  als  dem  Zauberwesen  angehörig  be- 
trachtet hat !  Bald  sind  es  die  sinnlosen  Heilungsceremonien 
des  Schamanen,  bald  die  mathematischen  Speculationen 
eines  Gerbert  und  DschafFar;  bald  die  phantastischen  Me- 
tamorphosen eines  orientalischen  Märchens,  bald  der 
wirkliche  Eintritt  einer  Sonnen-  oder  Mondfinstemiss;  bald 
die  marktschreierischen  Goldmacherkünste  eines  Raimund 
LuUus,  bald  die  ehrwürdigen,  aber  von  der  Menge  nicht 
begriffenen  Anfange  einer  richtigeren  Einsicht  in  Chemie, 
Physik  und  Medicin.  Hier  weist  man  hin  auf  die  angeb- 
liche Fascination  eines  Kindes  durch  den  Blick  des  bösen 
Auges,  dort  auf  die  verbrecherische  Erregung  der  Wollust 
durch  wirkliche  Reizmittel,  oder  auf  einen  heimtückischen 
Giftmord.  An  einem  dritten  Orte  sind  es  die  erträumten 
Gräuel  der  Hexensabbathe ,  an  einem  vierten  die  nächt- 
lichen Brudermahle  der  christlichen  Urgemeinden;  dann 
wieder  hier  die  frechen  Betrügereien  eines  Cagliostro,  und 
dort  die  ewig  denkwürdigen  Heldenthaten,  durch  welche 
eine  begeisterte  Jungfrau  ihr  Vaterland  aus  Schmach  und 
Noth  befreite.  Ja,  dsiss  dem  Heiden  von  seinem  Stand- 
punkt aus  selbst  die  Wunder  Jesu  unter  den  Begriff  der 
Magie  fielen,  ist  eine  Thatsache,  die  sich  nach  den  vor- 
handenen Nachrichten  nicht  bezweifeln  lässt.  —  Nicht 
weniger  ins  Unbestimmte  gerückt  ist  die  Basis  aller  Zau- 
berei. Hier  träumt  man  von  den  verborgenen  Kräften  der 
Kräuter,  Steine  und  Metalle;  dort  sollen  Formeln  und 
Ceremonien  die  Seelen  der  Abgeschiedenen  und  selbst  die 
dämonischen  Mächte  zum  Erscheinen  zwingen ;  anderwärts 
leitet  man  die  Macht  des  Zauberers  einzig  und  allein  aus 
einem  Bündniss  mit  dem  Satan  ab.  In  dem  einen  Zeit- 
alter scheint  die  Zauberei  unzertrennlich  mit  dualistischen 
Religionsansichten  verflochten,  in  einem  andern  schlägt  sie 


8  Erstes  Kapitel. 

mitten  in  dem  erklärtesten  Polytheismus  Wurzel,  im  dritten 
heftet  sie  sich  unmittelbar  an  die  Mysterien  des  christlichen 
Kultus.  So  entzieht  sie  sich  als  ein  vielgestaltiger  Proteus 
fast  jedem  Versuche,  ihr  Wesen  durch  eine  einfache  Be- 
griffsbestimmung erschöpfend  auszudrücken.  Wer  sie  theo- 
retisch beleuchten  will,  der  muss  sich  auf  den  dogmati- 
schen Standpunkt  stellen,  d.  h.  er  muss  an  ihre  Realität 
glauben,  wie  Bodin,  Delrio  und  Carpzow;  vom 
historischen  aus  erscheint  sie  ihrem  Gehalte  nach  nur 
als  ein  abenteuerliches  Gemenge  aus  Aberglauben,  absicht- 
lichem Betrug  und  natürlichen,  aber  in  ihrer  Causalität  nicht 
begriffenen  Wirkungen. 

Der  dem  Menschen  eingepflanzte  Trieb,  die  Dinge 
ausser  ihm  im  Zusammenhange  zu  erkennen  und  sich  unter- 
than  zu  machen,  seine  Abhängigkeit  von  Natur  und  Schicksal 
zu  vermindern  oder  zu  modificiren  und  so  den  höheren 
Wesen,  die  er  über  sich  ahnt,  durch  Wachsen  in  Erkennt- 
niss  und  Vermögen  näher  zu  treten,  —  dieser  Trieb  ist 
von  jeher  die  Quelle  der  edelsten  Bestrebungen  und  der 
erfreulichsten  Resultate  gewesen;  aber  er  hat  auch,  wo 
Beobachtimgsgabe  und  Kritik  nicht  zur  Seite  stand,  wo 
Vorurtheil,  Selbstsucht  und  Hass  ihn  missleiteten,  zu  den 
bizarrsten  Phantomen,  zu  den  unseligsten  Täuschungen 
gefuhrt,  die  in  ihren  Wirkungen  oft  um  so  verderblicher 
wurden,  je  geschickter  sie  ein  kleines  Theilchen  Wahrheit 
in  ihr  Gewebe  zu  verschlingen  wussten.  Auf  diesem 
Boden  wurzelt  auch  der  Zauberglaube.  Er  ist  das 
Ergebniss  einer  verirrten  Reflexion  über  die  Causalität 
der  Naturerscheinungen  und  über  die  Bedingungen  und 
Schranken,  innerhalb  deren  sich  der  Mensch  zur  Ausübung 
seiner  Herrschaft  über  die  Dinge  der  sichtbaren  Welt  be- 
rufen weiss  ^). 

*)  Im  Wesentlichen  dasselbe  sagt  Aifred  Maury  in  der  lehrreichen  Schrift 
»La  niagie  et  Tastrologie  dans  l'anliquite  et  au  moyen  age,  ou 
^tude  sur  les  superstilions  paTennes.  qui  sc  sont  perpeluees  jusqu'k  nos  jours* 
(Paris,  1860),  indem  er  dieselbe  mit  den  Worten  einleitet:  Les  sciences 
physiques  n'etaient  &  Torigine  qu'un  amas  de  supcrstitions  et  de  procWes 
empiriques,  qui  constituaient  cc  que  nous  appelons  la  magie.     L'homroe  avait 


Einleitung.  n 

Je  naeh  dem  Maasse  seiner  Bildung  und  Erfahrung 
zieht  sich  der  Mensch  einen  engem  oder  weitem  Kreis, 
innerhalb  dessen  ihm  dasjenige  liegt,  was  er  das  Natürliche 
nennt.  Auf  dem  Standpunkte  des  grossen  Haufens  fällt 
das  Natürliche  mit  dem  Gewöhnlichen,  Alltäglichen  zu- 
sammen; denn  es  ist  in  der  That  nicht  sowohl  die  deut- 
lichere Erkenntniss  der  waltenden  Gesetzmässigkeit,  als 
vielmehr  eben  nur  die  gewohnte  Wiederkehr  und  Ver- 
breitung, was  der  Masse  eine  Erscheinung  weniger  auf- 
fallend erscheinen  lässt,  als  die  andre.  Das  Seltene,  im 
Grade  Höhere  und  darum  Imponirende  stellt  sich  ihr  gern 
ausserhalb  dieses  Kreises.  Je  beschränkter  nun  das  Gebiet 
ist,  welches  ein  Volk  dem  Natürlichen  zuweist,  desto  mehr 
füllt  sich  ihm  das  Gebiet  des  Uebernatürlichen.  Ueberall 
nimmt  es  dann  wirkliche  Erscheinungen  wahr,  die  ihm, 
obgleich  imzweifelhaft  von  Menschen  hervorgebracht,  doch 
das  Maass  menschlicher  Kraft  zu  übersteigen  scheinen  und 
für  welche  es  also  die  Mitwirkung  höherer  Kräfte  voraus- 
setzt. Man  denke  an  die  Sagen  von  Deutschlands  Riesen- 
domen und  von  der  Teufelsbrücke  !  Hierbei  bleibt  man 
indessen  nicht  stehen.  Ist  einmal  jene  Mitwirkung  höherer 
Mächte  anerkannt,  so  lässt  die  gemeine  Meinung  den 
Menschen  vermittelst  derselben  auch  solche  Wirkungen 
vollbringen,  die  in  der  Wirklichkeit  entweder  gar  nicht, 
oder  wenigstens  nicht  in  der  vorausgesetzten  Weise  von 
ihm  erzielt  werden  können.  So  gibt  sie  auf  der  einen 
Seite  dem  menschlichen  Vermögen  zu  wenig,  auf  der 
andern  zu  viel. 

Jenseits  der  Grenze  des  Natürlichen  bewegt  sich  einer- 
seits das  Wunder  und  andererseits  die  Zauberei.     Hier 


si  bien  conscience  de  l'empirc,  qu'il  etait  appele  a  exercer  sur  les  forces  de 
la  nature  que  dds  qu'il  sc  mit  en  rapport  avec  elles,  ce  fut  pour  essayer  de 
les  assujettir  ^  sa  volonte.  Mab  au  lieu  d'^tudier  les  ph^nom^nes,  afin  d'en 
saisir  ses  lois  et  de  les  appliquer  h  ses  besoins,  11  s'imagina  pouvoir,  a  Vaide 
de  pratiques  particuli^res  et  de  formules  sacramentelles,  contraindre  les  agents 
physiques  d'ob^ir  h  ses  d^sirs  et  ä  ses  projets.  Tel  est  le  caract^re 
fundamental    de    la    magie. 


lO  Krstes  Kapitel. 

Stellt  sich  indessen  abermals  eine  Relativität  des  Begriffes 
dar.  Ob  eine  übernatürliche  Handlung*  zauberisch,  oder 
wunderbar  sei,  darüber  entscheiden  die  herrschenden  Re- 
ligionsvorstellungen :  was  diesen  genehm  ist,  fallt  dem 
Wunderbaren,  was  ihnen  widerstrebt,  dem  Zauberischen 
zu.  So  haben  die  Kirchenväter  die  heidnischen  Orakel 
und  Weihungen,  und  die  Heiden  wiederum  die  christlichen 
Wunder  zauberisch  gefunden  ^). 

Dass  da,  wo  der  Glaube  an  die  Wirksamkeit  über- 
natürlicher Mittel  Wurzel  geschlagen  hat,  auch  der  Wille 
und  der  Versuch  sich  einstellen  könne,  durch  dieselben  zu 
wirken,  ist  begreiflich.  Irrthum  und  Eigennutz  leiten  darauf. 
Es  folgt  aber  daraus  nicht  der  Schluss,  dass  je  zahlreicher 
irgendwo  die  Zaubersagen,  um  so  verbreiteter  auch  die 
Zauberübungen  sein  müssen.  Ist  doch  auch  die  Menge 
der  Gespenstermärchen  von  der  Zahl  der  Gespenster  un- 
abhängig. Oft  sind  es  vergangene  Zeiten,  entlegene  Länder, 
die  einem  Volke  den  Stoff  zu  seinen  Zaubergeschichten 
liefern.  Fremde  Länder  sind  Wunderländer,  weniger  durch 
das,  was  sie  wirklich  haben,  als  durch  das,  was  die  Phan- 
tasie des  Auslands  ihnen  verleiht.  Graue  Zeiten  sind  glaub- 
würdige Zeiten;  eine  alte  Fabel  kann  dem  Volke  zur  Ge- 
schichte werden,  und  ist  sie  das  geworden,  so  reproducirt 
sie  sich  mit  Anschmiegung  an  das  Lokale  überall,  wie  die 
Abderitenweisheit  in  den  Gasconaden,  Schwabenstreichen 
und  Irish  buUs  -). 

')  Von  Christus  selbst  sagt  es  Celsus  bei  Ori  genes  (contra  CeK  I. 
6  u.  68),  und  Arnohius  (adv.  gentes  Hb.  L  p.  25.  ed.  Lugd.  Bat.  1651). 
Dass  den  Aposteln  Zauberei  beigemessen  ward,  ergibt  sich  aus  Jrtn^  adv. 
haeres.  I.  20  und  Augustin.  <ie  Civ.  Dei  XVII I.  53.  —  Auch  den  Juden  er- 
schien es  so.  Justin,  Martyr,  Dial.  cum.  Tryph.  pag.  269  ed.  Colon.  I686. — 
JrenÄus  (adv.  haeres,  II.  58)  beruft  sich  im  Gegensatze  zu  der  Magie  der 
Ketzer  auf  die  Wunder  der  wahren  Christen:  sie  treiben  Dä- 
monen aus,  heilen  Krankheiten  durch  Auflegen  der  Hand,  weissagen  ZukQnftige^ 
und  erwecken  Todte.  Dass  er  dieses  als  in  seiner  Zeit  fortdauernd  betrachtete, 
beweist  folgende  Stelle:  Jam  autem,  quemadmodum  diximus.  et  mortui  resur- 
rexerunt  et  perseveraverunt  nobiscum  annis  multis. 

')  Die  Diffamation  eines  Landes  hAngt  oft  von  ZuHilligkeiten  ab  und  wird 
zuweilen  nirgends  weniger  geahnt  oder  beachtet,  als  gerade  in  dem  l)eschrieenen 


Einleitung.  1 1 

Vermog'e  jener  doppelten  Relativität  der  Begriffe  ist 
eine  vielfache  Verschränkung  der  Gebiete  des  Natürlichen 
und  Uebematürlichen,  des  Wunderbaren  und  Zauberischen 
denkbar.  Was  dem  Einen  auf  vollkommen  natürlichem 
Boden  sich  bewegt,  kann  dem  Andern  als  Wunder,  dem 
Dritten  als  Zauberei  erscheinen.  So  war  die  Jungfrau  von 
Orleans,  bei  beiderseits  unbezweifelter  Uebematürlichkeit 
ihrer  Thaten,  bloss  durch  Subsumtion  unter  verschiedene 
Gesichtspunkte  den  Engländern  Hexe,  den  Franzosen 
Wunderthäterin,  während  sie  der  heutigen  Welt  keins  von 
beiden  ist.  So  hat  femer  mancher  wahre  Naturforscher 
sich  als  Zauberer  behandelt  gesehen,  Astrologie,  Alchymie 
und  Chiromantie  haben  sich  zeitweise  als  höhere  Natur- 
kunde, gewisse  Sortilegien  und  Amulete  durch  Anschmiegen 
an  den  herrschenden  Kultus  als  Wunderwirkungen  zu  le- 
gitimiren  gesucht. 

Trotz  dieser  Wandelbarkeit  der  Gesichtspunkte  finden 
sich  zwischen  den  verschiedensten  Völkern  und  Zeiten  im 
Stoffe,  wie  in  der  Auffassung  zahlreiche  Analogien,  und  es 
könnte  gefragt  werden,  ob  sich  hierin  eine  historische, 
oder  nur  eine  psychologische  Verwandtschaft  zeige. 
Wahr  ist  es,  der  Zauberglaube  ist  jederzeit  und  überall 
verbreitet  gewesen:  kein  Volk  steht  in  der  Geistesbildung 
so  niedrig,  dass  es  sich  nicht  zu  demselben  zu  erheben 
vermöchte,  keines  so  hoch,  dass  es  ihn  ganz  aus  sich  ver- 


Lande  selbst.  Der  Oesterreicher  erzählt  dieselben  gutmüthigen  Etourderien, 
die  der  RheinlSader  ihm  nachsagt»  ganz  arglos  von  dem  Ungar*,  so  voll  der 
Harz  von  Teufelssagen  ist,  so  bedient  sich  doch  der  Harzbewohner,  wenn  er 
einen  Erzhexenmeister  bezeichnen  will,  des  Ausdrucks  Venediger;  gleich- 
wohl hat  man  sich  vielleicht  in  keinem  europäischen  Staate  weniger  von  der 
Nothwendigkeit  der  Hexen  Verfolgung  Oberzeugen  wollen,  als  eben  in  Venedig. 
Als  unsere  deutschen  Truppen  1809  in  das  Wunderland  Spanien  einzogen, 
begegnete  ihnen  als  grAssles  Wunder,  dass  sie  selbst  als  Wunderthiere  ange- 
gafft wurden,  und  mancher  Wirth  hat  später  seinem  Einquartierten  gestanden, 
dass  der  gemeine  Mann  sich  einen  Lutheraner  als  ein  geschwänztes  Ungeheuer 
vorgestellt  habe.  Mögen  wohl  die  Kolcher  an  ihr  goldenes  Vliess,  die  Thracier 
an  ihre  Symplegaden  und  die  Hyperboreer  an  ihren  ewigen  Frühling  i^eglaubt 
haben? 


l  2  Erstes  Kapitel. 

bannen  könnte.  Schon  diese  Allgemeinheit  spricht  dafür, 
dass  er  auf  einer  allgemeinen  Disposition  des  menschlichen 
Gemüthes  beruhe,  und  der  Versuch,  alle  Erscheinungen 
desselben  auf  eine  gemeinschaftliche  historische  Quelle,  — 
wo  und  in  welcher  Zeit  diese  auch  gesucht  werden  möge,  — 
zurückzuführen,  würde  hier  nicht  weniger  unfruchtbar  aus- 
fallen, als  bei  Religion  und  Sprache.  Doch  gilt  diess  nur 
vom  Zauberglauben  im  Ganzen  und  Grossen.  Denn  eben 
so,  wie  einzelne  Religionen  und  Sprachen  weit  über  die 
Grenzen  ihrer  ursprünglichen  Heimat  hinausgedrungen 
sind  und  die  Religionslehren  und  Sprachen  andrer  Völker 
auf  die  entferntesten  Zeiten  hin  umgestaltet  oder  gänzlich 
verdrängt  haben,  ebenso  lassen  sich  zwischen  einzelnen 
Zauberformen  und  ganzen  Zauberdoktrinen  unbezweifelbare 
historische  Zusammenhänge  nachweisen,  die  bald  in  dem 
unmittelbaren  Verkehr  der  Nationen,  bald  in  literarischer 
Vererbung  und  sonstigen  Einflüssen  ihre  Erklärung  finden. 
Die  Verkennung  solcher  historischen  Verwandtschaften 
hat  oft  der  Aufklärung  und  Humanität  wesentlich  geschadet, 
indem  man  da,  wo  nur  Nachtreterei  vorlag,  einen  auf  die 
Realität  und  Evidenz  des  Gegenstandes  selbst  gegründeten 
consensus  gentium  wahrzunehmen  wähnte.  So  ist  z.  B. 
ein  grosser  Theil  des  magfischen  Unsinns,  der  im  Mittel- 
alter und  später  die  Köpfe  des  Abendlands  füllte,  römi- 
schen oder  griechischen  und  sogar  noch  weit  älteren  Ur- 
sprungs. In  den  Klöstern,  wo  man  so  trefflich  die  Kunst 
verstand,  überall  die  tauben  Nüsse  aufzulesen  und  den 
gesunden  Kern  liegen  zu  lassen,  hatte  man  diese  Ausbeute 
aus  der  Lektüre  der  Lateiner  gewonnen  und  suchte  sie 
nun  in  Lehre  und  Leben  anzuwenden.  Später  traten  die 
Inquisitoren  mit  der  Folter  hinzu  und  torquirten  einen 
überall  gleichmässigen  Glauben  an  die  Wirklichkeit  dieser 
Dinge  in  die  Völker  hinein.  Als  nun  dieser  Glaube  im 
Laufe  der  Zeit  ein  wirklich  volksthümlicher  geworden  und 
sein  römischer,  griechischer  und  asiatischer  Ursprung  ver- 
gessen war,  da  traten,  wo  sich  Widerspruch  erhob,  die 
Apologeten  des  Hexenprozesses  wieder  mit  den  Alten  in 
der  Hand  hervor  und  machten  das,    was   die  eigentlichen 


Einleitung.  I  ^ 

Quellen  jener  Vorstellungen  enthielt,  zu  eben  so  vielen 
neu  aufgefundenen  Beweisen  für  die  Wirklichkeit  und  das 
hohe  Alter  der  vorgestellten  Dinge  selbst.  —  Auf  der 
andern  Seite  ist  aber  auch  oft  eine  historische  Verwandt- 
schaft angenommen  worden,  wo  sie  entweder  gar  nicht 
oder  wenigstens  nicht  in  der  angenommenen  Weise  be- 
standen hat.     Auch  hierfür  werden  sich  Beweise  ergeben. 


ZWEITES     KAPITEL. 


Der  heidnische  Orient. 

Betrachten  wir  den  Aberglauben,  auf  welchem  der 
Wahn  der  Magie  und  der  Hexerei  beruht  —  ein  Wahn, 
dem  wir  noch  heutigen  Tages  bei  allen  christlichen  Völkern, 
namentlich  in  den  niederen  Volksschichten  begegnen,  — 
und  verfolgen  wir  dessen  Geschichte  rückwärts  von  Jahr- 
hundert zu  Jahrhundert,  so  will  es  uns  doch  nicht  ge- 
lingen, irgendwo  in  der  Geschichte  der  abendländischen 
Welt  eine  Stelle  aufzufinden,  wo  sich  derselbe  zuerst 
gestaltet  und  von  wo  aus  er  sich  imter  den  Völkern  ver- 
breitet habe.  Denn  die  grausige  Zeit  des  siebzehnten 
Jahrhunderts,  in  welchem  fast  alle  Lande  Europa's  von  den 
die  Opfer  heidnischen  Aberglaubens  verzehrenden  Flammen 
der  Scheiterhaufen  widerleuchteten,  weist  uns  zurück  über 
die  Reformation  hinaus  (die  an  diesem  Molochsdienst  gar 
nichts  änderte)  in  das  Mittelalter  hinein,  wo  man  hin  und 
wieder  auch  weidlich  „gebrannt"  hat  und  von  da  in  die 
Zeit  der  Kirchenväter,  welche  denselben  Aberglauben  ver- 
treten, den  das  römische,  und  den  schon  früher  das  grie- 
chische Heidenthum  gepflegt,  und  den  dieses  aus  den 
Landen  am  Euphrat  und  Tigris  fast  unverändert  über- 
kommen hat,  wo  wir  das  Bestehen  der  dämonischen  Magie 
bis  hinauf  zum  Anfange  der  eigentlichen  Geschichte  und 
der  lebendigen  Erinnerungen  des  Menschengeschlechts  ver- 


Der  heidnisclie  Orient.  I  ^ 

folgen  können.  Wo  aber  diese  aufhören,  da  führen  uns 
die  Hieroglyphen  der  Pyramiden  Aegyptens  und  die  Keil- 
schriften-Literatur der  Lande  am  Euphrat  in  eine  graue 
Vorzeit  ein,  von  der  jedes  Gedächtniss  erloschen  ist,  und 
zeigen  uns,  dass  schon  in  ihr,  schon  wenigstens  ein  Jahr- 
tausend vor  dem  Beginne  der  eigentlichen  Geschichte  hin- 
durch, im  Wesentlichen  derselbe  Aberglaube  bestand,  den 
wir  in  der  Geschichte  aller  Völker  Europa's  zu  allen  Zeiten 
nachweisen  können,  dass  daher  die  Spuren  desselben  ge- 
rade soweit  hinaufreichen,  wie  die  Spuren  der  Menschheit 
selbst.  — 

Erst  in  der  allerjüngsten  Zeit  ist  es  der  Wissenschaft 
gelungen,  die  Geheimnisse,  welche  der  Bibliotheksaal  im 
Palaste  der  Könige  zu  Ninive  in  sich  barg,  zu  erschliessen, 
indem  Henry  Rawlinson,  der  grosse  englische  Orien- 
talist, aus  demselben  im  Jahr  1866  im  zweiten  Bande  der 
Cuneiform  inscriptions  of  Western  Asia  (Taf.  17  u.  18) 
eine  grössere  Tafel  mit  achtundzwanzig  Zaubersprüchen 
mittheilte,  und  hernach  in  der  Bibliothek  des  alten  Königs- 
palastes unter  Tausenden  von  Bruchstücken  thönerner 
Täfelchen  die  Fragmente  eines  umfangreichen  Werkes 
magischen  Inhalts,  welches  in  seiner  Vollständigkeit  nicht 
weniger  als  zweihundert  Tafeln  umfasste,  auffand.  Diese 
unschätzbaren  Urkunden  sind,  wie  alle  auf  Magie  sich 
beziehenden  Dokumente  Chaldäas  in  akkadischer  ^),  d.  h. 
in  der  den  finnischen  und  tartarischen  Idiomen  verwandten 
turanischen  Sprache  abgefasst,  welche  der  ursprünglichen, 
vorgeschichtlichen  Bevölkerung    der  Ebenen   des  un- 


*)  Die  Quelle,  nach  der  wir  hier  über  die  Akkader  berichten ,  ist  die  klas- 
sische Schrift  des  gelehrten  Professors  der  Alterthumskunde  an  der  Nalional- 
Bibliothek  zu  Paris,  Frartfois  Lenormant:  „Die  Geheimwissenschaften  Asiens. 
Die  Magie  und  Wahrsagekunst  der  Chaldäer  (Jena,  187 ß  6^4  S.)**  Es  ist  dieses 
eine  „autorisirte,  von  dem  Verfasser  bedeutend  verbesserte  und  vermehrte  Aus- 
gabe** der  beiden,  Qbcr  die  Sciences  occultes  en  Asie  vor  einigen  Jahren  französisch 
erschienenen  Werke  „La  Magie  chez  les  Chaldeens  et  les  origines  accadiennes" 
(Par.  1874)  und  „La  divination  et  la  science  des  presages  chez  les  Chaldeens** 
(Par.  1875).  Ausserdem  kommt  hier  noch  Lenormant' s  „Essay  de  commentaire 
des  fragmens  cosmogoniqucs  de  B^rose  (Par.   1871)'*  in  Betracht. 


l5  Zweites  Kapitel. 

• 

teren  Euphrat  (Chaldäas)  eigen  war.  Der  assyrische  Konig- 
Assurbanhabal  Hess  dieselben  im  siebenten  Jahrhundert 
V.  Chr.  mitsammt  der  assyrischen  Interlinearversion,  mit 
der  sie  überliefert  waren,  abschreiben  und  seiner  Palast- 
bibliothek einverleiben.  Denn  ohne  diese  Interlinearversion 
wäre  das  alte  Buch  Jedermann  in  Assyrien  unverständlich 
gewesen,  indem  die  Sprache  der  Akkader  *)  damals  schon 
seit  etwa  einem  Jahrtausend  ausgestorben  und  todt  war. 
Diese  Hinterlassenschaft  der  Akkader,  —  welche  wohl  selbst 
wieder  auf  älteren  allmählich  zu  einem  Ganzen  zusammen- 
gestellten Ueberlieferungen  beruhen  mag,  —  weist  daher 
hoch  hinauf  auf  eine  Zeit,  in  welcher  unter  den  Akkadem 
wie  unter  den  Aegyptem  der  Glaube  an  die  Einheit  und 
reine  Geistigkeit  des  göttlichen  Wesens  —  trotz  des  auf- 
gewucherten  Kultus  der  Naturgewalten  —  noch  nicht  ganz 
erloschen  war  ^).     Die  Masse  der  Urkunden  dagegen  zeugt 


*)  Dieselbe  wird  auch  die  sumerische  Sprache  genannt.  Die  Assyrer 
selbst  bezeichneten  jedoch  das  vorsemitische  Idiom  Chaldfias  als  Sprache  von 
Akkad.     Siehe  Lenormant,  S.  261. 

^)  In  einzelnen  Bruchstücken  des  grossen  magischen  Sammelwerks  finden 
sich  die  reinsten  und  erhabensten  religiösen  Vorstellungen  vor.  Es  wird  aus- 
gesprochen, dass  der  Mensch  ursprünglich  makellos  aus  der  Hand  des  Schöpfers 
hervorgegangen  und  durch  eigene  Schuld  den  Verlockungen  der  finsteren  Mächte 
des  Chaos  erlegen  und  gefallen  sei .  wesshalb  er  in  Reue  und  Busse  sich  aufs 
Neue  Gott  zuwenden  müsse.  Lmormant  berichtet  S.  62*.  „Wir  besitzen  die 
Bruchstücke  einer  besonderen  Zusammenstellung  von  Gebeten  im  ursprünglichen 
akkadischen  Texte  nebst  interlinearer  assyrischer  Uebersetzung,  welche  mit  dem 
gemeinsamen  Titel  .Klagen  des  reuevollen  Herzens*  bezeichnet  waren.  e$ 
sind  dieses  förmliche  Busspsalmen,  deren  hoch  poetischer  Geist  nicht  selten  an 
jene  Psalmen,  welche  die  jüdische  Tradition  dem  König  David  zuschrieb« 
erinnert."  Krankheiten  werden  auf  diesen  Tafeln  oft  als  Strafen  bezeichnet« 
die  den  Sünder  getroffen  haben,  und  zur  Befreiung  von  denselben  und  von  den 
Dämonen,  welche  die  Plage  verursacht  haben ,  wird  reuevolles  Bekennen  der 
Schuld  empfohlen.  —  Lenormant  ist  nun  geneigt,  diese  im  Zusammenhange 
mit  der  monotheistischen  Gottesidee  hervortretenden  erhabenen  religiösen  Vor- 
stellunßen  als  die  jüngsten  Bestandthelle  des  akkadischen  Sammelwerks  anzu- 
sehen ,  indem  er  sie  als  Ergebnisse  eines  allmählichen  Entwickelungsprotesses 
zum  Monotheismus  auffasst.  Wir  sehen  die  Sache  jedoch  gerade  umgekehrt 
an.  Denn  1)  liegt  nicht  die  geringste  Nachricht  von  einem  solchen  unter  den 
Völkern  Chaldäas  vor  sich  gegangenen  Entwickelungsprozesse  vor;  vielmehr 
cischeinen  dieselben  mit  dem  Beginne  der  historischen  Zeit  vom  Monotheismus 


Der  heidnische  Orient, 


17 


(wie  Lenormant  S.  23  sagt),  „von  der  Existenz  einer  so 
künstlichen  und  zahlreichen  Dämonologie  bei  den  Chal- 
däem,  wie  sie  sich  ein  Jakob  Sprenger,  Joh.  Bodin,  Wier 
oder  Pierre  de  Lancre  wohl  nimmer  vorgestellt  hätten. 
Es  erschliesst  sich  uns  darin  eine  ganze  Welt  von  bösen 
Geistern,  deren  Rangordnung  mit  vieler  Gelehrsamkeit 
festgestellt,  deren  Persönlichkeiten  sorgfältig  unterschieden 
und  deren  besondere  Eigenschaften  scharf  präzisitt  sind." 
Zuoberst  werden  .  zwei  Klassen  von  Wesen  gestellt, 
welche  als  Genien  oder  Halbgötter  erscheinen  ^).  Unter 
ihnen  stehen  die  guten  Geister  und  die  Dämonen,  welche 
letzteren  (akkadisch:  utuq)  gewöhnlich  an  wüsten,  unbe- 
wohnten Stätten  hausen.  Die  mächtigsten  und  gefürchtet- 
sten  derselben  sind  diejenigen,  deren  Macht  sich  über  die 


vollstHndig  abgewendet;  und  2)  bezüglich  der  Aegypter  erkennt  Lenormant 
sehr  bestimmt  an,  dass  der  Entwicklungsgang  der  religiösen  Vorstellungen  der- 
selben nicht  vom  Polytheismus  zum  Monotheismus,  sondern  gerade  umgekehrt 
gegangen  ist.  Er  sagt  nämlich  S.  86:  „die  Idee  der  göttlichen  Einheit  findet 
sich  bereits  in  den  ältesten  Dokumenten  der  ägyptischen  Religion  ausgesprochen. 
Herodot  berichtet,  dass  die  Aegypter  in  Theben  an  einen  einzigen  Gott  ohne 
Anfang  und  Ende  glaubten.  Und  diese  Angabe  des  Vaters  der  Geschichte 
bestätigen  auch  die  heil.  Hieroglyphentexte,  in  denen  es  von  diesem  Gotte 
heisst,  ,dass  er  der  einzige  Gott  ist,  der  in  Wahrheit  lebt,  —  der  Alles  er- 
schaffen hat  und  doch  selber  nicht  geschaffen  worden  ist.*  —  Aber  diese 
erhabene  Vorstellung  wurde  bald  verdunkelt  und  entstellt.  Die  Vorstellung 
von  Gott  vermengte  sich  mit  den  Offenbarungen  seiner  Macht,  seine  Eigen- 
schaften wurden  in  einer  Menge  secundärer  Kräfte  personifizirt,  —  und  so  ent- 
stand der  Polytheismus,  der  in  seinen  mannigfaltigen  und  seltsamen  Symbolen 
schliesslich  die  ganze  Natur  umfasste."  —  Derselbe  Entwicklungsgang,  den 
hier  Lenormant  in  Aegypten  nachweist,  ist  auch  in  Akkad  vor  sich  gegangen.  — 
Dass  auch  bei  den  Hellenen  ganz  derselbe  Entwicklungsgang  vom  ursprung- 
lichen Monotheismus  zum  Polytheismus  (nicht  aber  umgekehrt)  war,  bezeugt 
Carl  BöUicher,  dessen  treffliches  Werk  „der  Baumkultus  der  Hellenen" 
(Berlin  .1856)  mit  den  Worten  beginnt:  „Soweit  die  heil.  Sage  der  Hellenen 
ihre  Spuren  in  die  Vorzeit  hinaufträgt,  verehrte  das  Gesammtgeschlecht  der 
Vorhellenen  nur  Einen  Gott,  namenlos,  bilderlos,  wie  tempellos:  den  un- 
sichtbar und  allgegenwärtig  im  weiten  All  der  Natur  herrschenden  Zeus.**  — 
Was  Heget  in  seiner  Philosophie  der  Religion  I,  219  Ober  die  allmähliche  Ent- 
wicklung des  religiösen  Geistes  aus  einem  ursprünglichen  wirren  Naturkultus 
sagt,  lässt  sich  historisch  nicht  rechtfertigen. 

*)  Ueber  das  Nächstfolgende  s.  Lenormant,  S,   16 — 79. 
Sol  dan-Heppe,  Hexenprosesse.  2 


l8  Zweites  Kapitel. 

Ordnung  der  Natur  erstreckt,  in  die  sie  oft  zum  Nachtheü 
des  Menschen  störend  eingreifen,  während  die  Thätigkeit  der 
übrigen  unmittelbarer  auf  den  Menschen  gerichtet  ist,  dem 
sie  unablässig  Unheil  und  Schaden  bereiten.  Von  allen 
Einwirkungen  der  Dämonen  auf  den  Menschen  ist  die  Be- 
sessenheit die  gefiirchtetste.  Zur  Bannung  dieser  Krank- 
heit hatte  man  daher  vielerlei  Formeln.  Waren  aber  die 
Dämonen  aus  dem  Körper  eines  Besessenen  vertrieben, 
so  gab  es  nur  Ein  sicheres  Schutzmittel  gegen  ihre  Wieder- 
kehr :  es  musste  durch  Anwendung  anderer  Formeln  dahin 
gewirkt  werden,  dass  sich  nun  gute  Geister  des  von  den 
Dämonen  befreiten  Menschen  bemächtigten. 

Eine  andere  Klasse  der  Dämonen  sind  diejenigen  Geister, 
welche  ohne  unmittelbar  verderbliche  Handlungen  zu  ver- 
richten, in  schreckenerregenden  Erscheinungen  hervortreten. 
Solcher  Art  sind  z.  B.  der  innin  und  der  „gewaltige  uruku", 
welche  beide  zu  den  Nachtgeistem  und  Gespenstern  zählen. 
Die  drei  hervorragendsten  Wesen  dieser  Klasse  sind  das 
„Schreckgespenst"  oder  „Schattenbild"  (akkad.  dimme, 
assyr.  lamastuw),  das  „Gespenst"  (akkad.  dimmea,  assjT. 
labasu)  und  der„Vampyr"  (akkad.  dimmekhab,  assyr.  abharu). 
Von  diesen  dreien  erschrecken  die  beiden  ersteren  nur 
durch  ihre  Erscheinung,  wogegen  der  Vampyr  „den  Men- 
schen anfällt".  Der  Glaube,  dass  die  Todten  als  Vampyre 
aus  dem  Grabe  steigen  und  Menschen  anfallen,  war  über- 
haupt in  Babylonien  und  Chaldäa  ganz  allgemein.  —  Als 
besondere  Gruppe  werden  ferner  die  „Dämonen  der  nächt- 
lichen Samenergüsse",  die  bald  als  Nachtmännchen  (akk. 
lillal,  assyr.  lilu),  bald  als  Nachtweibchen  (akkad.  Kiel-lillal, 
assyr.  lilituv)  erscheinen  und  deren  Umarmungen  sich  weder 
Männer  noch  Frauen  im  Schlafe  zu  erwehren  vermögen,  — 
Allgemein  herrschend  war  ausserdem  die  Furcht  vor  dem 
„bösen  Blick",  sowie  vor  dem  „bösen  Wort"  oder  „bösen 
Mund"  d.  h.  vor  der  unheilvollen  Wirkung  gewisser  Wörter. 

Zur  Abwehr  und  Bekämpfung  dieses  dämonischen 
Zaubers  gebrauchte  man  vor  Allem  Beschwörungs- 
formeln, und  wie  jene  Vorstellungen  von  den  Dämonen 
und    deren   ve»rderblicher  Wirksamkeit    sich  bei  (rriechen 


Der  heidnische  Orient. 


19 


und  Römern  und  im  Mittelalter  wiederfinden,  so  zeigt  sich 
auch  zwischen  jenen  Beschwörungen  und  z.  B.  der  (Pa()^«a- 
xsvTQta  des  Theokrit  und  der  achten  Ekloge  des  Vergilius 
die  auffallendste  Aehnlichkeit. 

Als  die  ältesten,  mit  der  monotheistischen  (oder  wohl 
richtiger:  monolatrischen)  Gottesidee  im  Zusammenhange 
stehenden  Beschwörungsformeln  stellen  sich  diejenigen  dar, 
in  denen  „der  grosse  Name,"  „der  höchste  Name"  den  ^fea 
allein  kennt,  gebraucht  wird.  Vor  diesem  Namen  beugt  sich 
Alles  im  Himmel,  auf  Erden  und  in  der  Unterwelt ;  selbst 
den  Göttern  legt  dieser  Name  Fesseln  an  und  zwingt  sie 
ihm  imterthan  zu  sein.     Aber  nur  fea  kennt  diesen  Namen. 

Die  Masse  der  Beschwörungsformeln  ist  indessen  anderer 
Art.  Zuerst  werden  in  ihnen  die  zu  beschwörenden  Dä- 
monen genannt,  ihre  Machtsphäre  wird  angegeben  und  die 
Wirkung  derselben  geschildert.  Es  folgthierauf  der  Wunsch, 
dass  sie  vertrieben  werden  und  dass  man  vor  ihren  Nach- 
stellungen bewahrt  bleiben  möge,  was  häufig  in  geradezu 
kategorischer  Form  verlangt  wird.  Den  Schluss  der  Be- 
schwörung bildet  endlich  die  stets  wiederkehrende  Formel  : 
„Geist  des  Himmels  beschwöre  sie,  Geist  der  Erde 
beschwöre  sie!" 

Ausserdem  gebrauchte  man  zur  Abwehr  dämonischer 
Zauberei  (in  Akkad  geradeso  wie  hernach  in  Griechenland 
und  Rom)  Zaubertränke,  Zauberknoten  oder  Schlei- 
fen, Talismane  von  allerlei  Art,  auch  zum  Tragen  am 
Halse  eingerichtet,  und  mit  akkadischen  Inschriften  ver- 
sehen, und  insbesondere  Zauberstäbe  (letztere  von  Cicero 
virgnlae  divinae  genannt). 

Dieses  war  die  gute,  die  göttliche  Magie,  welche  in 
den  Priesterschulen  der  Akkader  gelehrt  und  gelernt  wurde. 
Neben  derselben  gab  es  aber  auch  eine  dämonische,  teuf- 
lische Magie,  welche  verboten  war  und  verfolgt  wurde, 
die  natürlich  in  den  offiziellen  Urkunden  nicht  beschrieben 
ward,  die  aber  doch  aus  denselben  erkannt  werden  kann  ^). 
Es  gab  in  Akkad,  wie  man  aus  den  gegen  die  dämonische 


*)  Ltnormant,  S.  68 — 79. 


20  Zweites  Kapitel. 

Zauberei  aufgestellten  Beschworungen  ersieht,  eine  Menge 
Zauberer  und  Zauberinnen,  welche  als  „Bösewichte", 
„boshafte  Menschen"  bezeichnet  werden,  deren  Thun  und 
Treiben  man  aber  nur  in  sehr  verschleierter  Weise  anzu- 
deuten wagte,  weil  die  Furcht  vor  demselben  die  Gemüther 
Aller  beunruhigte.  Denn  es  war  gar  kein  Uebel  denkbar, 
das  der  Zauberer  nicht  auszuüben  vermocht  hätte.  Er  be- 
zauberte durch  den  bösen  Blick  und  durch  Unglücksworte, 
und  zwang  durch  seine  Zauberformeln  die  Dämonen  nach 
seinem  Willen  zu  thun.  Dabei  waren  es  in  Akkad  und 
Chaldäa  (geradeso  wie  später  in  Thessalien)  namentlich 
Frauen,  welche  diese  dämonische  Zauberei  trieben,  zu  denen 
sie  Zauberformeln,  zauberische  Knoten,  Zaubertränke  und 
namentlich  von  ihnen  angefertigte  Bildnisse  der  betreffenden 
Personen  verwendeten.  Uebrigens  war  bereits  in  Akkad 
der  Glaube  verbreitet,  dass  die  Hexen  ihre  Versammlungen 
hielten  und  zu  denselben  auf  einem  „Stück  Holz"  (Besen- 
stiel) ritten.  — 

Diese  Magie  beruhte  bei  den  Akkadem  auf  einem 
vollständigen,  in  allen  seinen  Theilen  zusammenhängenden 
mythologischen  System,  welches  die  auffallendste  Ueber- 
einstimmung  mit  der  Mythologie  der  Finnen  erkennen 
lässt  *) ,  was  uns  zur  Herleitung  dieses  Dämonenglaubens 
und  der  mit  ihm  zusammenhängenden  Magie  aus  einer 
Urzeit  des  Menschengeschlechtes  berechtigt,  in  welcher  die 
am  Euphrat  und  Tigris  lebenden  Akkader  mit  den  Finnen 
im  hohen  Norden  Europa*s  noch  Ein  Volk  waren  ^). 

')  Dagegen  ist  zwischen  dem  akkadischen  System  und  dem  der  Aegypter 
keine  Verwandtschaft  nachweisbar.  Lenormant  weist  als  Grundlage  der  »gypli- 
sclten  Magie  den  Gedanken  nach,  dass  die  Menschenseele  die  Bestimmung  habe, 
nach  dem  Tode  dem  Üsiris  gleich  zu  werden.  Zur  Bef6rderung  dieser  Apo- 
tlicose  wurde  der  Leichnam  durch  die  Anwendung  magischer  Formeln  gegen 
schädliche,  zerst^irende  Einwirkungen  gefeit,  andern  die  Erhaltung  des  Leibes 
die  Bedingung  der  Apotheose  der  Seele  war.  Ausserdem  legte  man  den  Zauber- 
formeln aber  auch  die  Kraft  bei,  dem  Lebenden,  der  sie  sprach,  göttliche  Voll- 
kommenheiten zuzul Ohren.  Der  Gedanke  eines  Unterschiedes  b5ser  und  guter 
DAmonen  ist  dem  Ägyptischen  System  fremd.  Der  Zauberer,  durch  seine  Magie 
auf  eine  höhere,  göttliche  Stufe  erhohen,  geliiclet  den  GAltern. 

*;   l.tnormattt,  S,  2,V>, 


Der  heidnische  Orient,  2  l 

Wie  es  scheint,  so  geschah  es  im  dritten  Jahrtausend 
vor  Christus,  dass  in  das  von  den  Akkadern  bewohnte 
nachherige  Chaldäa  sowie  in  die  umliegenden  Lande  ku- 
schitische  Semiten  einwanderten,  welche  die  Nationalität, 
die  Sprache  und  die  Religion  der  Akkader  allmählich  mehr 
und  mehr  zurückdrängten.  In  Chaldäa  und  Babylonien 
gestalteten  sich  so  verschiedenartige  Kulte,  aus  denen  um 
das  Jahr  2000  König  Sargon  I.,  der  beide  Reiche  be- 
herrschte, ein  einheitliches  Religionssystem  herstellte,  das 
nun  in  Chaldäa  und  Babylonien,  und  hernach  auch  in 
Assyrien  als  Staatsreligion  galt  ^).  Dasselbe  beruhte  we- 
sentlich auf  der  der  syrischen  und  phönizischen  verwandten 
Religion  der  Kuschiten.  Daher  begann  jetzt  die  bis  zur 
Zeit  Alexanders  d.  G.  dauernde  Periode  der  „Chaldäer" 
d.  h.  der  Priesterkaste  der  chaldäisch-babylonischen  Staats- 
religion, die  wie  in  Chaldäa  imd  Babylonien  so  auch  im 
assyrischen  Reich  als  Vertreter  der  Staatsreligion  galt*). 
Die  gelehrte  Staatsreligion  nahm  nun  allerdings  in  Chaldäa, 
Babylonien  und  Assyrien  die  alten  akkadischen  Beschwö- 
rungsformeln mit  dem  denselben  zum  Grunde  liegenden 
Dämonismus  in  den  Kanon  ihrer  heiligen  Schriften  auf, 
so  jedoch,  dass  die  in  denselben  angerufenen  Geister  in 
der  Staatsreligion  eine  untergeordnete  Stellung*  erhielten. 
Daher  bestanden  neben  den  Priestern  der  Staatsreligion 
besondere  Körperschaften  von  Zauberpriestem  fort,  die  als 
untergeordnete  Schriftgelehrte  die  alte  Magie  ausübten  und 
aufrecht  erhielten  ^).  Indem  nun  dieselben  hierbei  nach 
wie  vor  die  alten  akkadischen  Formeln  gebrauchten,  so 
besass  in  Chaldäa  die  Magie  ihre  eigene  Sprache,  die  zwar 
vom  dreizehnten  Jahrhundert  an  (wo  der  Name  Akkad  als 
Bezeichnung  Chaldäas  nur  noch  eine  Reminiscenz  war  *),) 
nicht  mehr  verstanden,  die  aber  gerade  darum  von  dem 
assyrisch    oder    chaldäisch   redenden  Volke  als  mit  einer 


*)  Lenormant,  S.   157,  334- 
^)  Lenormant,  S.  422. 
')  Lenormantf  S,    109. 
*)  Lenormant,  S.  335. 


2  2  Zweites  Kapitel. 

besonderen ,  geheimnissvollen  Macht  ausgestattet  ange- 
sehen wurde. 

Hoch  über  diese  Zauberpriester  stellte  sich  nun  die 
Genossenschaft  von  Priestern  und  Schriftgelehrten,  welche 
den  Namen  (des  ursprünglichen  Volksstammes)  der  „Chal- 
däer**  mit  einem  gewissen  Stolze  von  sich  gebrauchte, 
indem  sie  als  gelehrte  Astronomen  und  Astrologen  ur- 
sprünglich wenigstens  mit  Zauberei  unverworren  sein 
wollten  ^).  Sie  betrachteten  die  Sterne  nicht  nur  als  die 
Lenker  des  Weltalls,  sondern  auch  als  die  Verkünder  aller 
Vorkommnisse,  gaben  sich  daneben  aber  auch  mit  allerlei 
anderer  Weissagerei  ab. 

Neben  ihnen  erhob  sich  jedoch  etwa  seit  dem  siebenten 
Jahrhundert  in  den  in  Rede  stehenden  Landen  von  Medien 
her  eine  ganz  verwandte  Erscheinung,  der  Magismus, 
so  genannt  nach  dem  medischen  Stamme  der  Magier*), 
der  in  Medien  das  ausschliessliche  Privilegium  besass,  das 
Priesteramt  auszuüben.  Dieselben  waren  keine  Anhänger 
der  von  dem  Zauberwesen  und  den  Wahrsagerkünsten 
ursprünglich  ganz  freien  Lehre  des  Zoroaster  in  Persien, 
waren  vielmehr  Gegner  derselben  *),  wesshalb  sie,  mit  ihrem 
Stemenkultus  und  ihrer  Weissagekunst  anfangs  auf  Medien 


*)  Lenormant,  S.  422, 

*)  Das  Wort  Ma};ier  (inAß)  ist  nicht  aus  dem  Indo-GernianischeD,  sondern 
aus  dem  Akkadischen  abzuleiten.  In  der  Sprache  der  Akk<ider  lautet  es  ur- 
spriinslich  emga  d.  i.  (nach  Lenormant,  la  ma^ie  chez  les  Chald.  S,  33t», 
367,  435)  erhaben,  oder  (nach  Schrader,  die  Keilinschriften  und  das  A.  1. 
S.  275)    tiefanda  chtiK,    tiefgelehrt.     Der    in    den    Keilinschriften    sich 

vorfindende  Titel  Kubu-einga,  Hauptma^ier,  entspricht  genau  dem  Titel   3^3^ 

(Jtr.  39,   13).    Tebrigens  vgl.  Herodot,  I,  10 1,  und  SckraJer,  die  Keilinschriften 
und  das  A.  Testament,  Giessen,   I872,  S.  274  u.  275. 

•)  Lenormant  sa^l  S.  212:  „Lanj-e  Zeit  ist  der  Magisnius  der  Relipum 
des  Zoroaster  beinclent  worden;  es  ist  das  aber  eine  Verwechselung;,  deren 
erste  Urheber  die  griechisciien  Schriftsteller  waren,  von  Herodot  an,  der  Medien 
und  nicht  «las  eigentliche  Persien  bereist  hatte;  und  sie  beruht  auf  einem 
furnilichen  Irrthum ,  da  die  neuesten  Forschungen  ergel)en  haben  ,  diiss  diese 
beiden  Religionssysteme  nicht  nur  als  verschiedenartige,  sondern  sogar  als  ein- 
ander entgegcngcsetste  zu  betrachten  sind." 


Der  heidnische  Orient.  ^  ^ 

beschränkt,  von  den  persischen  Königen  verfolgt  wurden, 
bis  es  ihnen  unter  der  Regierung  des  Xerxes  gelang  auch 
am  persischen  Hofe  sich  einen  immer  mächtiger  werdenden 
Einfluss  zu  verschaffen.  Bald  standen  sie  hier  an  der  Spitze 
des  gesammten  Kultus  ^).  Sie  bildeten  jetzt  die  nächste, 
angesehenste  Umgebung  des  Königs;  ihnen  als  dem  ein- 
sichtsvollsten Stande  stand  der  ehrenvolle  Beruf  der  Prinzen- 
erziehung zu  2),  und  der  Thronfolger  musste  sich  über  die 
in  ihrem  Unterrichte  erworbenen  Kenntnisse  vor  seinem 
Regierungsantritt  ausweisen  ^).  Eben  damals  begannen  aber 
die  Chaldäer  und  Magier  ganz  ineinander  überzugehen. 
Im  Buche  Daniel  werden  sie  D'»1t!^3  (chald.  J^XltJ^S)  neben 

anderen  Klassen  von  Zauberern  und  Wahrsagern  zugleich 
(Dan.  2,  4.  5.  lo)  als  Repräsentanten  der  Magie  undMantik 
überhaupt  erwähnt.  Dieselben  müssen  also  wohl  als  mit 
Magiern  identisch  angesehen  werden.  Der  Name  Magier 
war  eben  längst  ein  gewöhnlicher  Titel  der  chaldäischen 
Gelehrten  geworden.  Ihre  astronomischen  Beobachtungen 
und  Traditionen  reichten  schon  damals  in  das  graueste 
Alterthum  hinauf,  was  schon  aus  der  völlig  glaubwürdigen 
Nachricht  erhellt,  dass  Callisthenes  bei  der  Einnahme  Ba- 
bylons durch  Alexander  daselbst  auf  Backsteintafeln  astro- 
nomische Beobachtungen  von  1903  Jahren  vorfand,  die  er 
an  Aristoteles  einsandte  *). 


«)  Xenoph    Cyropaed.  VllI,  3,  6;  VIU.   1.  8 

*)  AU  tnzä  ^l  '^zvo\iv/(ü^  fettüv  t6v  realSa  (den  Thronfulger)  irapaXotjjLßa- 
voaatv,  00^  sxelvot  ßasiXstouc;  Krx'.^rx'^ui'(Of)<;  ovojidCouatv  slal  81  e^£tXeY|i.evot 
IlEp'üüv  ol  aptoTO».  865'xvxe?  Iv  YjXixtot  texxapei; ,  o  xs  ao'f  ojxaxo^  xal  6  oixato- 
xaxo(;  xal  ö  otui;ppove3xaxo?  xal  6  avSpetoxaxo?*  tuv  6  pilv  ^rx-^sioi^  xe  diBdoxei  X7)v 
Zcopoasxpou  toö  'Qpo}i.d{oü  —  laxi  Zk  xoDxo  ^stuv  ^spaTieta  — ,  StSdaxst  81  xal  xd 
ßaatXtxd*  h  8fe  Sixaioxaxo^  dX-yiiJ-eoeiv  Std  TCdyxo(;  xoö  ßtoo  etc.  P/at.  Alcib.  Pririi. 
c.  17.  —  Zwar  hat  Ast  (Plalon's  Leben  und  Schriften  S.  439)  das  bei  Piaton 
ausserdem  nicht  wieder  vorkommende  Wort  [tafeta  und  die  in  obiger  Stelle 
ausgesprochene  Hochstellung  der  Magie  als  dscüv  d-eprxreeta  mit  unter  die  Grunde 
gezählt ,  wesshalb  er  den  ganzen  Dialog  Alcibiades  für  unächt  hält ;  dass  er 
aber  an  Beidem  mit  Unrecht  Anstoss  genommen  habe,  ist  von  Stall  bäum 
in  seinen  Anmerkungen  z.  d.  St.  zur  Genüge  nachgewiesen  werden. 

*)  Cic.  de  divinat.  1..  23.     Philo  de  spec.  leg.  792.     Ed.  Francof.    1691. 

*)  Simplicii  comment.  ad  Arist.  de  coelo  p.  123. 


2A  Zweites  Kapitel. 

Auch  in  den  nächstfolgenden  Jahrhunderten  finden  wir 
die  Bezeichnungen  „Chaldäer"  und  „Magier",  im  Abend- 
lande namentlich,  ganz  synonym  und  beide  in  gleich  ehren- 
voller Weise  gebraucht. 

Das  Ansehen  dieser  Chaldäer-Magier  beruhte  —  abge- 
sehen von  der  astronomischen  und  sonstigen  wissenschaft- 
lichen Bildung,  die  man  ihnen  zutraute,  —  auf  ihrer  angeb- 
lichen Weissagekunst,  die  sie  ganz  in  derselben  Weise  wie 
die  alten  Chaldäer  ausübten.  Hierbei  diente  ihnen  alles 
Mögliche  als  Mittel  zur  Erforschung  der  Zukunft  *).  Die 
Chaldäer  und  Magier  weissagten  nämlich  nicht  nur  nach  den 
Sternen,  sondern  auch  mit  Anwendung  yon  Loosen  oder 
Pfeilen  (Belomantie) ;  sie  beobachteten  hierzu  den  Flug  be- 
stimmter Wahrsagevögel ,  untersuchten  die  Eingeweide, 
insbesondere  die  Leber  von  Opferthieren  (Hepatoskopie), 
sie  wahrsagten  nach  der  Wolkenbildung,  nach  den  Blitz- 
strahlen, nach  dem  Rauschen  und  den  Bewegungen  von 
Bäumen  und  Sträuchem,  nach  den  Bewegungen  und  dem 
Verhalten  gewisser  Thiere  (Schlangen,  Hunde,  Fliegen, 
Fische  u.  s.  w.),  nach  zufalligen  Wahrnehmungen  und  Vor- 
kommnissen (z.B.  nach  der  Bewegung  von  Hausgeräthen  etc.), 
nach  überraschend  klingenden  Worten,  die  man  zufallig 
hörte,  nach  dem  Vorkommen  von  Missgeburten,  (indem 
z.  B.  die  Geburt  eines  Kindes  mit  weissem  Haare  dem 
Landesfürsten  hohes  Alter  versprach).  Ganz  besonders 
legten  die  Chaldäer  und  Magier  ausserdem  den  Träumen 
eine  prophetische  Bedeutung  bei. 

In  der  römischen  Kaiserzeit  änderte  sich  jedoch  der 
(lobrauoh  beider  Bezeichnungen.  Chaldäer  und  Magier  galten 
im  Morj^cMi-  wie  im  Abendlande  als  umherfahrende  Gaukler, 
die  für  Cfeld  wahrsagten  und  ihre  Heilmittel  anboten  und  sich 
bei  Leichtgläubigen  durch  geheimniss voll  aussehende  Ope- 
rationen Ansehen  zu  verschaffen  suchten.  Die  öffentliche 
Meinungbetrachtete  bald  beide  als  Schwindler  und  Betrüger*). 

•|  Ltnt*rm<iut,  S.  4.U> — 524. 

*i  \\i}.  P.  \.  7is':,  (t«'»tii*mlienNt  um!  Zaulw rwcsen  bei  den  alten  Hebriem 
un»!  den  hcn.uhlMrtcn  Völkern.  Rc^en^h.  1877.  S,  87 — 89,  wo  die  Belege 
nuilwuNctten  xinJ. 


D  R  I  T  1^  E  S     KAPITEL. 


Das  Volk  der  Hebräer. 

Der  englische  Reisende  J.  Roberts  sagt  (in  den 
Oriental  illustrations  of  Scriptures,  S.  542):  „Das  Hinduvolk 
hat  es  mit  einer  so  grossen  Anzahl  Dämonen,  Göttern  und 
Halbgöttern  zu  thun,  dass  es  in  beständiger  Furcht 
vor  der  Macht  derselben  schwebt.  Es  gibt  in  seinem  Lande 
keinen  Weiler,  der  nicht  wenigstens  einen  Baum,  eine  ge- 
heime Stätte  besässe,  welche  als  Sitz  böser  Geister  gelten. 
Mit  der  Nacht  verdoppelt  sich  aber  der  Schrecken  des 
Hindu,  und  es  kann  ihn  sodann  nur  die  dringendste  Noth- 
wendigkeit  bewegen,  seine  Wohnung  nach  Sonnenunter- 
gang zu  verlassen.  Muss  dieses  geschehen,  so  schreitet 
er  mit  äusserster  Vorsicht  von  dannen.  Er  beachtet  das 
geringste  Geräusch,  er  murmelt  Beschwörungen  vor  sich 
her,  die  er  immerfort  wiederholt;  er  hält  Amulete  in  der 
Hand,  betet  ununterbrochen  u.  s.  w."  —  Lenormant, 
welcher  S.  41  diese  Mittheilung  Robertos  anzieht,  bemerkt 
dabei  (S.  42):  „Diese  Beschreibung  der  heutigen  Hindus 
passt  nicht  allein  aufs  Genaueste  auf  die  alten  Chal- 
däer,  sie  vermag  auch  den  Zustand  abergläubischen 
Schreckens  zu  veranschaulichen ,  in  welchem  letztere 
durch  ihre  besprochenen  Vorstellungen  beständig  erhalten 
werden  mussten." 


20  Drittes  Kapitel. 

Zu  dieser  Bemerkung  Lenormants  können  wir  hinzu- 
fugen, dass  der  abergläubische  Schrecken,  die  grausige 
Furcht  vor  der  überall  drohenden,  unheimlichen  Macht  der 
Dämonen  und  deren  Diener,  der  Zauberer,  zu  allen  Zeiten 
das  Erbtheil  und  Loos  aller  Völker  des  Heidenthums  ge- 
wesen ist.  Unter  diesem  Fluche  des  Dämonismus  lag  die 
ganze  antike  Welt  gebannt,  der  die  stoische  und  epikureische, 
überhaupt  die  philosophische  Weltanschauung  keine  Er- 
lösung von  diesem  Fluche  bringen  konnte.  Nur  Ein  Volk 
des  Alterthums  finden  wir  von  demselben  befreit ,  —  das 
Volk,  welches  sich  Gott  erwählt  hatte,  um  in  ihm  seine 
Heilsrathschlüsse  zur  Ausfuhrung  zu  bringen,  —  das  Volk 
der  Hebräer. 

Auch  in  diesem  Volke  begegnen  wir  allerdings  allerlei 
zauberischem  Treiben  wie  bei  allen  anderen  Völkern  des 
Alterthums,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dass  während 
bei  den  letzteren  der  Glaube  an  Magie  und  Mantik  in  ihrem 
ganzen  religiösen  Denken  und  Leben  beg^ndet  und  an 
ihre  „religio"  angeschlossen  war,  der  Aberglaube  bei  den 
Hebräern  nur  als  eine  von  Aussen  hereingekommene  Al- 
terirung  des  nationalen  Gottesglaubens  und  Kultus  her- 
vortrat. 

Im  Allgemeinen  erscheint  nämlich  die  Zauberei  und 
Wahr'sagerei  bei  den  Hebräern  als  ein  mit  dem  Jehovah- 
kult  unvereinbares  heidnisches  Unwesen,  das  vorzugsweise 
von  Aegypten  und  Chaldäa  her  eingedrungen  war  ').  Was 
aber  die  Darstellung  der  Zauberei  und  Wahrsagerei  in  der 
hebräischen  Sprache  betrifft,  so  ist  zu  beachten,  i)  dass 
unter  den  vielen  Ausdrücken,  welche  zur  Bezeichnung  der 
Magie  und  Mantik  gebraucht  wurden,  die  gebräuchlichsten 


*)  lieber  das  /auberwcscn  bei  den  Hebrüem  ist  zu  vergleichen  das  Haupt- 
werk: P.  Scholz,  GAtzcndienst  und  Zauberwesen  bei  den  alten  HebrSem  und 
den  benachliarten  Völkern,  Reji<*nsb.  1877;  sodann:  C  F.  Keil,  Handb.  der 
bibl.  Arch.HoluRie,  Krankf.  a.  M.  i875.  S.  475—47^;  ät  li'etU ,  Lehrb.  drr 
hebr.-jfidischen  Archäolo^iie .  4.  Aufl.  bearbeitet  von  Ä\Uij^er ,  I.eips.  IH64, 
S.  :i57;  BauJissin,  Studien  zur  semitischen  Religionsj;esch.  Heft  L  u.  IL 
Lc'ipz.  1876  u.  I878;  Saalschütz,  Mosaisches  Recht,  S.  ftlO  und  der  Art. 
„Wahrsager'*  in  Herz«>g*.s  theol.  Rcalencyklop.  B.  XVll.  von  /.,  Diesttl, 


Das  Volk  der  Hebräer. 


27 


die  Grundbedeutung  von  Lispeln,  leise  Sprechen  und  Beten 
hatten,  —  weil  die  Zauber-  und  Beschwörungsformeln  leise 
und  geheimnissvoll  gesprochen  wurden;  und  2)  dass  die 
Pielform,  in  welcher  die  betreffenden  Verba  vorkommen 
(nach  Diesters  richtiger  Bemerkung)  auf  den  Begriff  des 
Technischen  hinweist,  der  sich  an  die  iterative  Bedeutung 
des  Piel  anlehnt. 

Als  die  allgemeinste  Bezeichnung  für  Zauberei  ist  wohl 
das  Wort  Q^3l£^3 ,   vom  Piel  t\^^^ ,  flüstern ,   leise    beten 

(Ethp.  im  Syr. :  ethkaschaf  =  anflehen)  anzusehen.  Daher 
wird  ^E'^Sp  und  nSlS^DS)  =  Zauberer  und  Zauberin ,  in  der 

LXX  mit  cpaQ^ay,6^,  in  der  Vulg.  mit  maleficus  übersetzt. 
Daneben  kommt  auch  iyfifi^  (Dan.   i,  20;  2,   10)  und  ^"Z^H 

(Dan.  2,  27;  4,  4;  5,  7.  II.  15)  vor,  ohne  dass  sich  sagen 
lässt,  wie  sich  die  Aschapsim  und  die  Mekaschschephim 
von  einander  unterschieden.  Nur  steht  sprachlich  fest,  dass 
*12?N  d5®  Grundbedeutung  von  Flüstern,  Hauchen  hat. 

Dasselbe    gilt    auch    von   dem    Ausdrucke    tJ^ni  1   der 

ebenfalls  zur  Bezeichnung  der  Zauberei  gebraucht  wird. 
Dieses  Verbum  ist  sicher  kein  Denominativum  von  ^Z^Hj  = 


TT 


Schlange,  so  dass  es  die  Bedeutung  hätte  „aus  den  Be- 
wegungen der  Schlange  weissagen" ;  denn  keine  Stelle,  an 
der  es  sich  vorfindet,  weist  auf  Ophiomantie  hin,  und 
1  Mos.  44,  5  (wo  es  von  der  ägyptischen  Sitte,  aus  dem 
Becher  zu  wahrsagen,  gebraucht  wird,)  spricht  geradezu 
dagegen.     Die  Sache  ist  vielmehr  umgekehrt.  ^*ni  ist  = 

ßfn?  =  lispeln,  zischen,  wovon  die  Schlange  im  Hebr.  ihren 

Namen  hat,    und  tt'rU    ist  eine  Bezeichnung  für  Zaubern 

überhaupt^).     Vgl.  auch  i   Mos.  30,  27;   i  Kön.  20,  ^;^, 

Ganz    unsicher  ist   die   Herkunft  und  Bedeutung  des 
Verbums  Tjiy,  mit  welchem  die  Namen  □'^33^   (Jes.  2,  6 

und  Q^iiJJD  Mich.  5,   1 1)  =  Zauberer    zusammenhängen. 


')  Vgl.  Knobel,  Prophet ismus  der  Hebräer,  B.  1.  S.  243  und  Bauäissin,  1. 
S.  287. 


2S  Drittes  KapileL 

Da  es  fast  nur  mit  Verben  zusammeng-estellt  wird,  welche 
auf  die  di\inatorische  Magie  hinweisen  (z.  B.  Jerem.  27,  9), 
i*o  konnte  daraus  gefolgert  werden,  dass  es  von  der  opera- 
tiven Magie  nicht  zu  verstehen  ist,  womit  dann  allerlei 
Bedeutungen,  welche  man  dem  Worte  hat  unterlegen 
wollen,  —  mit  bösem  Blicke  (^^)  behexen,  Wolken  zu- 
sammengehen imd  Regen  machen,  etwas  verdeckt  treiben 
oder  schwarze  Künste  praktiziren,  —  in  Wegfall  kommen 
würden.  —  Von  r^J  kann  das  Wort  immoghch  herkommen, 

da  neben  dem   hebr.  TJj^y  das   targumisch-chaldäische  TjJ^ 

hergeht ,  wesshalb  die  Bedeutung  von  „beäugen",  oculo 
maligno  petere  et  fascinare  auch  hierdurch  ausgeschlossen 

ist.  —  Diestel  leitet  das  Wort  von  dem  arabischen   *^ 

=  sonum  stridulum  edidit,  susurra\it  ab,  —  Die  0^ii>!D 

werden  bei  den  Cananitem  ^IVut,  18,  14^  imd  Philistern 
enn-ahnt.     Die  Zauberer-Ton^iinthe  (0^üi>*S  TT^N)  *«  ^^^ 

Nähe  von  Sichern  ^Riohu  o,  37^  hatte  daher  (nach  Scholz 
S.  74"»  wohl  ihren  Namen  von  der  bei  ihr  getriebenen 
canaanitischen  Zauberei. 

Einer  der  allgemeinsten  Ausdrücke  für  Zauberei  war 
Onp  odo^  DD?^'  ^ur  Wahrsagen  CDp  o^^^  CCp.  ÖDp 
und  für  Wahrsager  QC^r.  Die  (irundbedeutung  des  Ver- 
bums  DCp    ^^^    "»^^'^    Kwald    (Prophet,    i,    lö)    scheiden, 

dann  entschiMden,  woraus  ^naoh  Fleischer  bei  Delitzsch  zu 
Jes^ij.  3,  2,  vS.  73,  Anme^k.^  die  Beileutung  von  Einem 
einten  Zwang  anthun.  ihn  bo/aubem,  beschworen,  überhaupt 
**chworon  hervorgegangen  ist.  Die  Thätigkeit  der  Kose- 
mini Ix/og  sich  auf  die  Erforschung  der  Zukunft;  auch 
entschied  ihr  Spruch  Cw?^ »  ^^'^^^  ""^  einem  einzelnen  E^alle 

*       • 

zu  thun  sei.  Doch  galt  ihr  Wahrsagen  bei  allen  Frommen 
als  Trug  und  l.uge  ^F/eoh.  13,  n;  21.  2S;  22,  28).  Aus 
E/eoh.  2\,  2(^  erfahnMi  wir,  davs  der  Kasam  bei  dem  Konige 
von  Uabel  in  tlnM  vt^rschitnlenen  Formen  ausgeübt  w\irde: 
I  •  als  UeliMnanlie  und  Rhabdomantie.  d.  h.  Pfeile,  die  mit 
irgenihvt»lilien  Namen    niarkirt   waren,    wurden    in    einen 


Das  Volk  der  Hebräer.  2Q 

Köcher  gethan,  der  Köcher  wurde  geschüttelt  und  irgend 
ein  Pfeil  wurde  dann  herausgezogen,  woraus  man  ersah, 
welchen  Staat  man  anzugreifen  habe;  2)  als  Befragen  der 
Teraphim  (Hausgötter);  und  3)  als  Beschauen  der  Leber 
(iJnaroaxoTiIa,  extispicium)  —  was  jedoch  in  Israel  nicht  vor- 
kam. Aus  I  Sam.  28,  8  geht  hervor,  dass  die  Todten- 
beschwörung  eine  spezielle  Form  des  Kasam  war. 

Gewisse    Zauberer,    Wahrsager  u.   s.  w.    werden   im 
A.  T.  auch  Q'^ÖDn    (LXX :  (royoi,  acxfiarai)   genannt.      Sie 

treten  zunächst  als  ägyptische,  hernach  auch  als  babylonische 
Zauberer,  Beschwörer  u.  s.  w.  hervor.  Lenormant  (La 
magie  chez  les  Chald^ens,  S.  14)  will  die  chaldäischen 
pp^Sn  auch  als  Aerzte  aufgefasst  wissen,  die  durch  Zauber- 
künste Krankheiten  heilten.  Für  diese  Auffassung  kann 
angeführt  werden,  dass  bei  den  Arabern  das  Wort  chakim 
zunächst  Aerzte  und  dann  erst  Philosophen  bedeutet.  Im 
A.  T.  wird  jedoch  PDSn  zur  Bezeichnung  von  Zauberern 

im  Allgemeinen  gebraucht,  so  dass  der  Begriff  derselben 
neben  den  vorgenannten  Klassen  von  Zauberern  auch  noch 
eine  andere,  die  □'»DlOiri»  umfasst.    Diese  letzteren  waren 

•     •       •  ^ 

ursprünglich  ebenfalls  ägyptische  Zauberer,  welche  Träume 
deuteten  (i  Mos.  41,  8.  24),  Stäbe  in  Schlangen  (Ex.  7, 1 1  ff.), 
Wasser  in  Blut  verwandelten  (Ex.  7,  22)  und  Frösche  über 
das  Land  kommen  Hessen  (Ex.  8,  3). 

Als  eine  Zauberei  besonderer  Art  wird  noch  im  A.  T. 
(5  Mos.  18,  II ;  Ps.  58,  6)  der  IDn  ibfl»  der  Kartenbinder 

genannt,  der  einen  zauberischen  Knoten  knüpft  und  durch 
denselben  Personen  oder  Sachen  bindet  und  bannt. 

Eine    andere  Art    babylonischer  Zauberer,   mit  denen 
die  Israeliten  in  Berührung  kamen,  waren  die  ?>*1T3,  welche 

'       TT 

(Dan.  2,  27;  4,  4;  5,  7.  11)  mit  den  anderen  Zauberern  zu- 
sammen, aber  stets  an  letzter  Stelle  genannt  werden.  Da 
die  Vulg.  das  Wort  mit  haruspices  übersetzt,  so  hat  man 
darunter  Eingeweidebeschauer  verstehen  wollen.  Nach 
Scholz  (S.  89)    waren  die  jntJl  solche  Zauberer,    welche 

die   fe<1T3  (Dan.  4,  1 4)  d.  h.  den  unwandelbaren  Entscheid 


IQ  Drittes  Kapitel. 

oder  die  Bestimmung"  des  Schicksals  von  Seiten  der  Götter 
aus  den  Gestirnen  erkennen  wollten,  nach  Diestel  waren 
sie  geradezu  Nativitätssteller. 

Eine  ganz  besondere  Form  der  Zauberei  war  die  durch 
das  ganze  Alterthum  hin  verbreitete  Todtenbeschwo- 
rung.  Die  substantivischen  Bezeichnimgen  für  diese  Wahr- 
sager sind  "»j^T»  und  DIJ^.     Das   erstere    Wort    (welches 

•         •  • 

Delitzch  zu  Jesaj.  8,   ig  von  p^T^  ableitet,  ähnlich    wie 

Plato  dai^icov  mit  darJ/Kav  zusammenstellt,)  ist  =  der  Wissende, 
der  Geheimwisser,  und  bezeichnet  also  den  Zauberer  selbst 
und  nicht  etwa  den  aus  ihm  redenden  Geist.  Dagegen  ist 
das  (bis  jetzt  jeder  Ableitung  spottende,  vielleicht  auf 
akkadischen  Ursprung  zurückzuführende)  31{<  zunächst 
nicht  ein  Zauberer,  sondern  ein  unsauberer  Geist,  ein 
Todtengeist,  der  dem  Körper  eines  Mannes  oder  einer 
Frau  einwohnt  und  von  hier  aus  Verborgenes  offenbart 
(Deuter.  i8,  lo;  Jesaj.  8,  19;  Levit.  20,  27;  i  Sam.  28,  7; 
Deuter.  8,  10).  Der  Mensch,  der  von  einem  solchen  Geiste 
besessen  ist,  heisse  Di{<"7y3»  bezw.  DlN'Tl^JJS-  Sodann 
aber    wird    mit   ^^^t   ebenso  wie   mit  ^jjjn**  (welche  beide 

Ausdrücke  fast  immer  zusammen  vorkommen,)  der  Wahr- 
sager, —  imter  dem  man  sich  also  einen  Besessenen  dachte, 
—  selbst  bezeichnet.  Unter  denselben  hat  man  Bauch- 
redner zu  verstehen,  wesshalb  die  Septuaginta  und  Hierony- 
mus  das  hebr.  ^^J^  mit  nv^ioi  übersetzen,  auch  erklärt  es 
sich  daher,  dass  die  Stimme  des  heraufbeschworenen 
Geistes  als  gedämpft  und  leise  ertönend  bezeichnet  wird 
(Jesaj.  8,  19^)  und  dass  die  Septuaginta  wiederholt  3i{< 
auch  mit  eyyaaTQ^tvd-og  übersetzt.  Die  bekannte  Schilderung, 
die  I  Sam.  28  von  dem  Zusammensein  Sauls  mit  der  Py- 
thonisse  zu  Endor  entworfen  wird,  beweist  übrigens,  dass 
die  niDlN  mit  ihrer  Bauchredekunst  auch  Todtenbeschwö- 


^}  Deiitzscht    zu   Jesaj.    8,    19  (2,    Aufl.)  sagt:  ^IJJH^  sei  Ableitung  von 
fiiKMu    J*|{i{TJ>   =  <*«••*  Vielwivscn, 

I  T. 


Das  Volk  der  Hebräer. 


31 


rungen  verbanden,  kraft  deren  sie  die  Seelen  Verstorbener 
citirten  ^). 

Als  harmlosere  Art  der  Wahrsagerei  kommt  im  A.  T. 
die  Traumdeutung  vor,  d.  h.  die  Deutung  der  Träume 
Anderer  und  das  Wahrsagen  aus  eigenen  Träumen  (i  Mos. 
40,  12  ff.;  41,  25;  Dan.  2,  4  ff.;  4,  5  ff . ;  4  Mos.  12,  6; 
Joel  3,  I  ;  I  Dan.  7,   i). 

Von  den  im  heidnischen  Orient  üblichen  mantischen 
Künsten  sind  also  un  jüdischen  Volk  nur  wenige  nach- 
weisbar, und  von  operativer  Magie  findet  sich  im  A.  T. 
kaum  eine  Spur  vor.  Nirgends  ist  die  Rede  von  magischen 
Heilungen,  Beschädigungen  von  Menschen,  Thieren  und 
Feldern,  Liebeszaubem,  Erregung  von  Gewittern,  Beherr- 
schung der  Planeten,  Verwandlungen  in  Thiergestalten, 
Luftflügen  oder  gar  Bündnissen  mit  dem  Satan,  wie  diess 
in  dem  späteren  Zauberwesen  geschieht.  Nichtsdestoweniger 
hat  man  wegen  der  in  die  Uebersetzungen  eingedrungenen 
Ausdrücke  qrap/iaxog,  maleficus  und  Zauberer  die  Zauberei 
überhaupt,  wie  sie  später  gefasst  ward,  als  den  alttestament- 
lichen  Schriften  bereits  bekannt  vorausgesetzt  und  hierin 
nicht  nur  für  ihre  Existenz  und  Wirksamkeit,  sondern  auch 
für  ihre  Strafbarkeit  eine  heilige  Autorität  gefunden.  Die 
Hexenprozesse  sind  dadurch  nicht  wenig  gefordert  worden. 

Der  verhältnissmässig  geringe  Einfluss,  den  die  orien- 
talische Magie  und  Mantik  auf  Israel  in  seiner  früheren 
Zeit  gewann,  erklärt  sich  aus  der  ganz  einzigartigen  Stellung 
der  hebräischen  Religiosität  zu  derselben.  „Alles  Zauber- 
wesen ist  Heidenthum  und  ist  darum  Sünde  und  zwar  eine 
der  furchtbarsten  Sünden,  die  mit  der  Ausrottung  des 
Frevlers  bestraft  werden  muss,"  das  war  der  Gedanke,  den 
die  Träger  der  Theokratie  in  Israel,  vor  Allem  die  Propheten 


*)  Bei  allen  alten  Völkern  des  Alterthums  galten  die  Bauchredner  für 
Besessene,  in  deren  Bauchhöhlen  der  Geist  eines  Verstorbenen  hause,  der  ganz 
unabhängig  von  dem  Willen  des  Verstorbenen  seine  Stimme  vernehmen  lasse. 
In  Griechenland  z.  B.,  wo  man  die  ^yt^'^'^P^P-^^^'  ^^^^  Sat^ovoXfjTCtot  nannte, 
stand  dieser  Glaube  ganz  fest.  Vgl,  darüber  Lenormant ,  die  Magie  der  Chal- 
däer,  S.  513—515. 


2  2  Drittes  Kj|:itrL 

vertraten.     Allerdings  wird  von  Manasse  berichtet,  dass  er 
Zauberei  und  Zeichendeuterei  trieb  und  Todtenbeschworer 
und  „klug*e  Männer**  sogar  anstellte  (2  Kon.  21,  6;  2  Chron. 
^^,  6) ;   allein   unter  Josia  sehen   wir  dieselben  wieder  be- 
seitigt.    Denn  das  Gesetz  3^Ioses  will   nun  einmal   sowohl 
die  Wahrsager   und  ^lekaschephim   selbst,    als   auch  die- 
jenigen,  welche  sich  ihrer  Hilfe  bedienen,  mit  dem  Tode 
bestraft  und  ausgerottet  wissen  (2  Mos.  22,  18;  3  Mos.  20, 
6  und  27;     5  Mos.  13,  5).     Als  Art    der  Hinrichtung    er- 
scheint 3  Mos.    20,   27  die  Steinigung.     Das   Gesetz   fasst 
nämlich   diese  Begehungen   als  götzendienerische    Gräuel 
der  umwohnenden  Heiden  auf,   wodurch  der  Israelit,    der 
abgesondert  von  den  Völkern  dem  Herrn  leben  soll,  sich 
verunreinigen,  von  Gott  abfallen  würde  (3  Mos.  19,  3 1  ;  20, 
27  ;     5  Mos.   18,9  ff.).     Dem   auserwählten   Volke   sollen 
Jehovah's    Diener,    die   Propheten,    verkünden,    was    ihm 
frommt  (5  Mos.    18,    15);    götzendienerische  Wahrsagimg 
musste  in  dem  theokratischen  Staate  als  Empörung  gegen 
das  Staatsoberhaupt,    als  Hochverrath   angesehen  und  als 
solcher  bestraft  werden  *) ;  auf  jeder  Beleidigung  Jehovah's 
stand   die  Steinigung  *).     Rücksicht  auf  die  Schädlichkeit 
der  Handlung  an  sich  oder  auf  das  einem  Individuum  zu- 
gefugte Unrecht  tritt  in  diesen  Gesetzen  nirgends  hervor. 
Trotz  der  Strenge  des  Strafgesetzes   neigten  sich  in- 
dessen die  Juden  fast  jederzeit  zu  der  ausländischen  Wahr- 
sagerei, wie  zum  Götzendienst  überhaupt  hin,  und  da  die 
Könige  oft  selbst  diesem  Hange  folgten,    so  scheinen  die 
gesetzlichen  Strafen  selten  zur  Vollziehung  gekommen  zu 
sein.     Saul  hatte  sich  zwar  in  der  Ausrottimg  der  Wahr- 
sager  thätig  gezeigt  (i   Sam.  28,  9),   doch  griff  er  zuletzt 
selbst    zur    Todtenbefragung.      Ueber    Götzendienst    und 
Wahrsagerei  in   Israel   und   Juda  erhoben    die  Propheten 
wiederholte  Klagen,  und  die  Bücher  der  Könige  geben  in 
dieser  Beziehung  traurige  Schilderungen   von  den   Zeiten 
Hosca's  und  Manasse's  (2  Kön.  Kap.  17  u.  21).     Der  Ver- 


^)  Knobel,  Proph.  d.  llcbr.  I.  233. 

•)    h'tfifr,  Uibl.  Realwr>rlerl).  Art.  Steinigung. 


Das  Volk  der  Hebräer. 


33 


kehr  mit  den  heidnischen  Nachbarvölkern,  später  beson- 
ders die  Berührung"  mit  dem  babylonischen  Wesen  wirkte 
sehr  nachtheilig" ;  unter  dem  Einflüsse  der  aus  dem  Exil 
mitgebrachten  Dämonenlehre  bildete  sich  das  Zauberwesen 
immer  mehr  aus,  erhielt  in  den  durch  das  Buch  Henoch 
verbreiteten  Vorstellungen  von  dem  Umgange  übermensch- 
licher Wesen  mit  dem  Menschen  beträchtlichen  Vorschub 
und  strebte  durch  die  Kabbalah  nach  Legitimation  und 
wissenschaftlicher  Gestaltung.  Das  Exil,  in  welchem  das 
jüdische  Volk  sich  mit  dem  Dämonismus  ganz  und  gar 
vertraut  gemacht  hatte,  war  für  dasselbe  in  dieser  Be- 
ziehung verhängnissvoll  geworden.  Zur  Zeit  Christi  finden 
wir  daher  die  Juden  von  dem  Dämonenglauben  vollständig 
beherrscht.  Die  Stelle  i  Mos.  6,  i  flF.  galt  als  Grundlage 
desselben  *).  Besessene  sah  man  überall;  doch  war  die 
Frage,  ob  dieselben  von  eigentlichen  Dämonen  oder  von  den 
Geistern  verstorbener  böser  Menschen  geplagt  würden, 
offen.  Josephus  entschied  sich  für  die  letztere  Ansicht  *). 
Zahlreiche  Beschwörer  rühmten  sich  der  geheimen  Kunst, 
die  Dämonen  bannen  und  austreiben  zu  können.  Derartige 
jüdische  Zauberer  durchzogen  bald  alle  Lande  ^).  Zur 
Heilung  der  Dämonischen  gebrauchten  sie  gewisse  For- 
meln (die  sie  auf  König  Salomo  zurückführten),  Räuchereien, 
auch  besondere  Medikamente,  zu  deren  Herstellung  man 
sich  der  Wurzel  einer  selten  vorkommenden  Pflanze,  einer 
Art    71  rjyavov,    bediente*).       Die    Christen     stellten    diese 


*)  Philo,  de  gieantibus.  erzählt  im  Eingänge,  dass  als  die  Menschen  sich 
mehrten  und  ihnen  Töchter  geboren  wurden,  die  <5YYeXot  toö  ^eoö  diejenigen 
unter  den  letzteren,  welche  sch5n  waren,  sich  zu  Weibern  auswählten.  Die- 
selben  nämlich,  welche  von  anderen  Philosophen  SaipLovsg  genannt  werden, 
nennt  Moses  SyT^^*^'*  ^'^  ^'"^  «J^o^al  xaxa  xöv  öilpa  Tcsxo^evat,  die  Bewohner 
der  Luftsphäre.  Durch  ihre  Hingabe  an  die  fleischliche  Lust  sind  sie  gottlos 
geworden  u.  s.  w. 

*)  Bell.  jud.  VII.  6.  3 :  Ta  ^ap  xaXoüftsva  5at|ioyia  novfjptüv  eaxtv  ftvO-pci»- 
Kiov  :cve6(JLttxa,  tote  C*"Otv  Bl^SüOjjLev«  xal  xxsivovxa  xoix:  ßo7]t)*eiac  p.*^  xo^x*- 
vovxa^. 

»)  Juvenal,  VL  542  ff. 

*)  van  Dale,  de  divinatione  idolol.  c.  VI.  p.  519  ff. 
Boldan-Heppe,  Uexenprozesse.  3 


-uc.iz  .m  ^  im-^ii   itt^  -fTTTTir^tn   .-.in?^  -^^rr-'iiiiKasr  -.     Auch  ! 


n  Ji-ir   «:•=    :»i^*r   p«.c      >u-!i    ^»::i    x'ftrrcfr^rt  r^  Tr^fr'crvineii, 

a.'r-  >rTr:er^rr:  k,^r:    ::nrircü:::»er    ~ii:b^:»e>it:i*er  5«=:  Feld  von 
'-itiH-rL    -r^i^imea.    Iair-!*r*i    -^-tlTe^  -.     Inc*f>'?«f?t   mied:  >icii  das 

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I>rh»eTi  i-rT'T^ritrn  i-i:Hj-T^:^«->^<f^n  sdjr.  ?^'  ^jcei^erte  skrh  die 
}»«^tvr-^^  l'^.-?*:-l~r»rn  rz.  ^■riieLZi»f:zr  Trerrec  und.  zur  Aus- 
z'JZZi.T,^  ie:*  Arerjüi-i'z'rnri'  i»rr  •ZTir^:?c-n  :necr  und  mehr. 
Im  rir-r-rr-rn  ilirr-elili'er  f-LTd^en  ^i•:h  lihter  in  den  Juden- 
W'a.n-^m  i-?r  ^.s-i^n  ScIIt-r  £j.::.rer7er  v.r.  üe  -rwar  nur 
Ä'^.r.z  im  Verb*.  r<  enen  Arreirec-en.  irer  i-jch.  -.^rrojcses  An- 
-i^r.^^L  ^ent.-^-sen:  ^::zi  »il^  .c*^cen  C-l<  Ende  ies  fünfzehnten 
Jahrr.-r.'I«^rt.s  die  tibroli>d>ohe  Prilc-:>c»w  hie  den  Christen 
b^lcamter  ward,  zi.-'^  r^Ap  sih  V:rüebe  hebriische  Xaxnen 
und  f  orrr.'irln  in  da^  srelehrtere  ZjLuber.ve^ea  herüber.  Schon 
^orYi^fT  hatie  da-s  Juienihum  durch  seine  auf  die  Christen 
L'r,*'r^^*'Zä,ni{fme  Dämun^-^Io^r-e  die  chri>tliche  Grundansicht 
von  xaur>^ri"-chen  Ehneen  hervorbilden  helfen. 

Cv/V.  yy/:  «> /'i^/i'fity,  xai  xiTi^srav-;  l>j\vckei»*ntcn  ysävt«:  und  ßhn 
'Itr»r,    fort,   t-»/  ^s  xaT«  sivto^  öwxiT^  TÖv  sai   -juilv  y*T^'*'J*'^^'***  ^«  ?*5^«»v 

fi't^A*  '.ut0  ^yi.:*y» /'Au'0'  fiij'  ••  ajra  s^osxi^o:  f.^  -><uö>   xa?a   to*»  ^o5  ^A^p^S}! 

'^  //«///<,  Cor.cilien^f^h.  B.  I.  S.   I48- 


I 


VIERTES     KAPITEL. 


Griechenland. 

Lange  Zeit  hindurch  wurde  fast  allgemein  angenom- 
men, dass  die  Zauberei  der  Griechen  aus  Persien  stamme, 
dass  Zoroaster  ihr  Erfinder,  dass  sie  zur  Zeit  des  Krieges 
mit  Xerxes  durch  einen  gewissen  Osthanes  nach  Griechen- 
land verpflanzt  und  von  da  über  den  ganzen  Occident  ver- 
breitet worden  sei.  Den  Ergebnissen  der  neueren  Ge- 
schichtsforschung gegenüber  kann  jedoch  dieser  Meinung 
nur  noch  als  einer  Antiquität  gedacht  werden  ^).  Dem 
Glauben  an  Zauberei  begegnen  wir  in  Griechenland  schon 
im  ersten  Anfange  seiner  Geschichte.     Es  ist  möglich,  dass 


*)  Wie  weit  der  Zoroastrismus  von  den  schauerlichen  Dingen  entfernt 
war,  deren  Vorstellung  sich  in  der  Folgezeit  mit  dem  Namen  Magie  oder  Magier 
verbindet,  wie  grundlos  es  also  ist,  Zoroaster  zum  Erfinder  oder  Bearbeiter 
jener  unheimlichen  Künste  zu  machen ,  —  wird  durch  die  heiligen  Urkunden 
des  Parsisinus  selbst  in  den  gegen  dieselben  ausgesprochenen  Verdammungen 
klar  bewiesen.  „Die  Zauberei**,  sagt  der  Vendidad  (Fargard.  1.)  „ist  eine 
hässliche  Kunst,  vom  todschwangeren  Ahriman  ins  Leben  gebracht.  Sie  macht 
allerlei  Blendschein  und  gibt  Alles.  Sie  scheint  gross,  aber  wenn  sie  sich  auch 
in  der  höchsten  Gewalt  aufstellt,  so  kommt  sie  doch  vom  Urgründe  des  Bösen, 
vom  Vater  alles  Unglücks.**  Dieses  bestätigen  unter  den  Griechen  auch 
Aristoteles  und  der  in  den  persischen  Verhältnissen  so  glaubwürdige  Dinon, 
(Diog.  Laert.  Prooem. :  rfjv  Se  '^tir^vt.^  [tavtstav  ohV  eYvtuoav,  «pfjalv  'Api^xo- 
•ci).Tj5  ev  t<ji  MaYix<|»,  xal  Aecvcuv  ev  x^  irejjLitx^  täv  btopiÄv. —  Das  Mägikon  wird 
freilich  von  Anderen  nicht  dem  Aristoteles,  sondern  dem  Antisthenes  oder  dem 
Philosophen  Rhodon  zugeschrieben.) 


'•_— ^    ±sz  p- 


.    V  ^^  ^^^M^—*^    —  »  ^«  ^«k^ü^  »^  «^  %      ik    A  ^^^  «h    ■  ■  «■»-h««^^  ^TmA  ^&Y3^^ 


_rr:r  >i-x- 


iHf::    ^r^i   '»r*5:«:r:  n:ht  rka:r"irrcs.rtÄr.     ^:^Kr  ist  nur. 


c:e  Vn:^-e<^T:r:*:  -jr:i  ^:>.^-err  VrcrTc^-nc  ie< Glaubens 

Z-^:r-<  k::r:n:t  hi-^r  ür  Er:r:K^:kI-z:<:  der  rhüosophi- 
-"-cnffTi  Ans:r-i--.:r.^'en  n;  rk^err-i^i-er:  r:  Ferricni.  Hier  hatte 
z-f:r<  Thale-^  ife  Fra^e  n^rh  dem  l.'r^:»^der  Weh,  dem 
Prrnirrp  all*-s  S^ien^i^^n  an^rere-^  ur>d  haue  dieses  in  der 
Mat^e,  und  zn-ar  izn  \VaN>er  r-ächruwessen  versucht, 
'K'^hTfm'l  nach  ihm  Heraklit  um  ^jo  vor  Chr.  dasselbe 
im  Feuer  ^nden  zi;  mü-^sen  <lai;bie.  Bald  nach  den  Perser- 
krie;,ren  erhob  sich  dann  Anaxaeoras  in  Klazomena,  — 
der  erate  ^irieche,  der  eine  Inielüg^enz  als  Weltursache 
erkannte .  während  ziemlich  g^Ieichzeiti^j  Empedokles 
-um  4;o  vor  Chr.i  mit  einem  dem  heraklitischen  sich 
nähernden  Sy>teme  auftrat,  in  welchem  er  zuerst  die  für  die 
Magie  erforderliche  dualistische  Weltanschauung  lehrte  ') 
und  das  Da:>ein  einer  Dämonenwelt  anerkannte.  Auch 
•»tand  er  selbst  in  dem  Rufe  eines  Wunderthäters  und 
Zauberers.  Von  da  an  crewann  die  Dämonenlehre,  die 
schon  von  den  ältesten  Zeiten  her  im  griechischen  Volke 
gelebt  hatte,  eine  bestimmtere  Gestalt  und  grossere  prak- 
tische Bedeutung  ^).  Gleichzeitig  kam  Griechenland  mit 
den  Magiern  und  der  medisch-persischen  Magie  in  Be- 
rührung, die  anfangs  als  eine  im  Abendlande  noch  ganz 
unbekannte  höhere  Weisheit  angestaunt  und  gepriesen 
ward.     Von  grossem  Einfluss  war  ein  während  der  Perser- 


^)  S.    die    NathweisuriKen    bei    O.    MulUr    und   Duckt,    die    Etni&ker. 
S.   1H7      18H. 

'}  //fr  mann,  die  «ot  lesdien  st  1.  AlterthOmer  der  Griechen,  S.  213, 
■)  Vitn  OorM,    De  Godsdienst   der  Grieken  niel    hunne  volksdeokhreiden, 
Haarl.   18^14.  S.  *n  ff. 


Griechenland.  i-r 

kriege  nach  Griechenland  gekommenes  Buch,  welches  von 
einem  Magier  Osthan  es  herrühren  sollte.  Soviel  wir  von 
dem  Buche  wissen,  lehrte  es  als  höchste  Geheimnisse  der 
Magierkaste  auch  allerlei  Zaubereien  und  Wahrsagerkünste, 
selbst  das  Citiren  der  Verstorbenen  und  der  infernalen 
Dämonen.  Plini  us  berichtet  ^),  dass  das  Buch  den  Griechen 
nicht  eine  heftige  Begierde,  sondern  geradezu  einen  rasenden 
Heisshunger  nach  der  Magie  eingeflösst  habe.  In  Griechen- 
land trat  daher  jetzt  die  medische  Magie  an  die  Stelle  der 
rohen  und  primitiven  Gebräuche  der  griechischen  Goeten  ^). 
Bald  aber  stellte  sich  die  Magie,  die  man  anfangs  als  eine 
auf  der  Sternenkunde  beruhende  Geheimwissenschaft  be- 
wundert und  deren  Vertreter  man  als  den  Göttern  näher 
stehend  verehrt  hatte,  in  einem  ganz  anderen  Lichte  dar. 
Griechenland  ward  von  wirklichen  und  angeblichen  Magiern, 
die  von  Osten  her  kamen  und  allerlei  elende  Gaukeleien 
trieben,  überschwemmt  und  bald  erschien  daher  der  Mdyog 
im  griechischen  Sprachgebrauch  synonym  mit  yvt]Q  ^)  und 
mit  der  ganzen  Schmach  dieses  Ausdrucks  behaftet,  so 
sehr  auch  die  Anhänger  der  Magie  beide  Begriffe  ausein- 
ander zu  halten  suchten*).  Inzwischen  hatte  die  Mantik 
und  Auguralkunst  in  Griechenland  eine  neue  Stütze  durch 
die  Philosophie  erhalten,  indem  die  Stoiker  dieselben  mit 
ihren  fatalistischen  Lehren  in  Zusammenhang  brachten, 
den  Aberglauben  philosophisch  begründeten  und  zu  dem- 
selben nicht  nur  bei  dem  Volke,  sondern  auch  in  den  ge- 
bildeten Ständen  neues  Vertrauen  erweckten  *).  Der  erste 
Stoiker,  der  sich  mit  Aufstellung  einer  solchen  Theorie 
befasste,  war  Zenos  zweiter  Nachfolger  Chrysippus 
(t  um  208  v.  Chr.),  der  unter  Anderem  zwei  Bücher  über 
Orakel  und  Träume  schrieb.  Nach  Chrysippus  verfasste 
dann    dessen    Schüler    Diogenes    ein    ausführlicheres 


*)  Hist.  nat.  XXX.  2. 

•)  Lefiormant,  S.  22 Q. 

*)  Sophocl.  Oed.  Tyr.  887,  Aeschin.  c.  Ctesiph.  §.  137. 

*)  A'   F,  Hermann^  GoUesdienstl.  Alterthümer,   S.  213. 

*)  Lenormant,  S.  488. 


^3  Viertes  Kapitel. 

augxiralwissenschaftliches  Werk,  welches  anscheinend  nicht 
allein  die  alte  griechische  Wahrsagerei,  sondern  auch  die 
fremdländischen  Wahrsagegebräuche  behandelte  ^).  Der  neue 
Aufschwung,  den  somit  die  Mantik  und  Auguralkunst  in 
den  Kreisen  der  Gebildeten  nahm,  trug  aber  den  Unge- 
bildeten nur  eine  neue  Steigerung  des  Hanges  zur  Zauberei 
ein,  zvmal  da  die  gleichzeitigen  Vorgänge  in  Asien  dem 
Dämonenglauben  und  der  Magie  in  Griechenland  den  wirk- 
samsten Vorschub  leisteten.  —  Nachdem  nämlich  Alexander 
d.  G.  den  Orient  mit  dem  Occident  verbunden  hatte,  war 
in  Asien  unter  den  Seleuciden  die  bisherige  Scheidewand 
zwischen  der  babylonischen  Bevölkerung  und  den  griechi- 
schen Ansiedlern  fast  völlig  gefallen.  Griechen  nahmen 
babylonische  Namen  an,  es  gestaltete  sich  eine  griechisch- 
babylonische Literatur  (Berosus  u.  s.  w.)  und  die  Lehren 
der  chaldäischen  Schulen  fanden  unter  den  Griechen  in 
Asien  und  hernach  auch  im  alten  Stammland  überall  Ein- 
gang •).  Kräftiger  als  je  vorher  wucherten  daher  jetzt 
unter  den  griechischen  Völkerschaften  aller  mögliche  Dä- 
monenspuk und  alle  nur  erdenkbaren  Praktiken  der  Be- 
zauberung und  Beschwörung  auf,  und  zwar  waren  es  ganz 
besonders  Frauen,  die  sich  diesem  Treiben  (namentlich  dem 
Mischen  von  Liebestränken  ^)  ergaben.  So  nahm  jetzt  der 
chaldäische  Dämonismus  mit  Allem,  was  sich  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  und  unter  den  vielfachen  vorgekommenen 
Völkermischungen  an  denselben  angesetzt  hatte,  von  Grie- 
chenland und  von  der  ganzen  abendländischen  Welt  Besitz. 
Chaldäer  und  Magier  (welche  Bezeichnungen  längst  als 
Synonyma  galten)  zogen  in  den  Landen  hin  xmd  her,  mit 
ihnen  auch  Juden,  welche  ihre  Zauberformeln  vom  Könige 
Salomo  haben  wollten.  Leichtgläubige  täuschend  und  die 
Hoffnungen  und  Wünsche  der  Einzelnen  zu  ihrem  Vortheil 


»)  Cicero,  de  divinat.  1,  3;  H  43. 

>)  Lenormant,  S.  488->489. 

•)  Josephus,  Antiq.  XVII.  41.  Ausserdem  vgl.  was  K»  F,  Nermamm 
a.  a.  O.  S.  213,  Anmerk.  14  Ober  da»  Treiben  der  *fp&K  unter  den  Griechen 
nachweist. 


Griechenland.  -jq 

ausbeutend^).  In  Kleinasien  galt  insbesondere  Ephesus 
als"  der  Hauptsitz  untrüglicher  und  wirksamer  Magie  Be- 
rühmt waren  namentlich  die  *Eq>iaia  yga^tnara  d.  h.  Zauber- 
formeln, die  auf  Pergament  geschrieben  entweder  herge- 
sagt oder  am  Körper  als  Amulete  getragen  wurden  ^).  — 
Sehen  wir  uns  nun  nach  diesem  Ueberblick  über  die 
Entwicklung  des  Aberglaubens  der  griechischen  Volks- 
stämme im  Allgemeinen  nach  den  Erscheinungen  desselben 
im  Einzelnen  um ,  so  bietet  sich  uns  bereits  bei  Homer  ^) 
und  Hesiod  gar  Vielerlei  dar.  Bei  Homer  erscheint  ja 
schon  Circe,  die  der  späteren  Zeit  als  Königin  aller 
Zauberinnen  gilt,  mit  ihren  bethörenden  Säften  und  ihrem 
klassischen  Stabe,  der  lange  Zeit  ein  fast  unzertrennliches 
Attribut  des  Zauberers  bleibt  *).  Was  ihr  naht,  wird  in 
Wölfe,  Löwen  oder  Schweine  verwandelt;  den  Gegen- 
zauber kennt  nur  Hermes  im  Kraute  Moly.  Agamede  in 
der  Dias  ist  so  vieler  Pharmaka  kundig,  als  die  weite  Erde 
trägt  *).  Auf  der  Eberjagd  am  Parnasse  stillen  des  Auto- 
lykos  Söhne  das  Blut  des  verwundeten  Odysseus  durch 
Besprechungen  *).  Helena  mischt  den  bekümmerten  Gästen 
im  Palaste  zu  Sparta  einen  Wundertrank  aus  ägyptischen 
Kräutern,  der  das  Herz  selbst  gegen  die  härtesten  Schläge 
des  Schicksals  stählt  ');  Here  fesselt  den  kalten  Gemahl 
durch  den  von  Aphrodite  entliehenen  Zaubergürtel  ®).    Wir 

')  Üeber  das  Ansehen,  in  welchem  bei  Vielen  gerade  die  judischen  Zau- 
berer, auch  in  viel  spaterer  Zeit  standen,  vgl.  Juvenal,  Sat.  VI.  543 ;  Josephus, 
Anttq.  VIll.  2.  5»  XVUI.  3.  5  und  Augustin,  de  civ.  Dei  VI.   11. 

*)   Winer,  Biblisches  RealwOrterbuch,  Art.  Zauberei. 

')  üeber  Homer  vgl,  /%  G.  Welcher' 5  kleine  Schriften,  III.  und  zwar  Ober 
Medea  oder  die  Kräuterkunde  bei  den  Frauen,  S.  20 — 26,  und  ober  die  Epoden 
und  das  Besprechen  S.  64 — 88. 

*)  Odyss.  X.  212  ff. 

»)  II.  XI.  740. 

*)  Odyss.  XIX.  454. enaoidiQ  V  aiiia  xeXaivöv  Is^^sö-ov. 

')  Odyss.  IV.  220  ff.  Dieselbe  homerische  Stelle  gebraucht  Lucian 
im  Pseudomantis,  um  das  Treiben  der  Zauberer  zu  persifliren. 

•)  11.  XIV.  214.  'H  xal  öiTtö  orfji*)'83^iv  eXo^ato  xeoxiv  tjiavTa, 

TcotxtXov  fvO-a  Se  ol  freXxrrjpta  TreivTa  tetüxto* 
?v^'  EVI  [liv  «ptXoxfjC,  ev  V  TpiEpo;,  ev  V  oapioxo?, 
irdpsf-aotg,  Yjx'  exXE'^e  voov  ^6xa  zsp  ;ppoys6vtu>v. 


IQ  Viertes  Kapitel. 

erinnern  ferner  an  die  A^erwandlungen  des  untrüg'lichen 
SeegTeii>es  Proteus  und  an  den  sinnbethorenden  Gesang" 
der  Sirenen.  Und  vollends  die  nekromantischen  Scenen 
der  Odyssee  mit  ihrer  \-iereckicren  Grube,  ihren  Libationen 
und  schwarzen  Opferthieren,  wo  des  Tiresias  Schatten  her- 
beibeschworen wird  und  die  kraftlosen  Häupter  der  Todten 
sich  versammeln  !  —  Hesiod  kennt  Tagrwählerei.  Er  lehrt, 
an  welchen  Tag^en  Knaben ,  und  an  welchen  Mädchen  zu 
guter  Vorbedeutunj^  g^eboren  werden  und  an  welchen  sie 
heirathen  sollen  M.  Die  Verfasser  der  Xosten  erwähnen 
Aeson's  Yerjüngfung"  durch  Medea,  wiewohl  diese  letztere 
als  vollendete  Zauberin  erst  bei  den  Tragikern  erscheint. 
Ueberhaupt  zeigt  uns  ein  Blick  auf  den  Charakter  der 
nächsten  Jahrhunderte  nach  Homer  Verwandtes  in  Menge. 
Es  ist  die  von  Hesiod  und  den  Cyklikem  eingeführte  Pe- 
riode der  Dämmerung,  wo,  wie  Lobeck  sagt  -),  die  Dichter 
zu  philosophiren  und  die  Philosophen  zu  dichten  anfingen, 
wo  aus  der  einfachen,  kindlichen  Religionsansicht  der  he- 
nnschen  Zeit  sich  das  S\Tnbolische ,  Mystische  und  Phan- 
tastische jeiler  Art  hervorbildete,  diis  später  besonders  in 
den  orphischen  Gaukeleien  und  in  dem  Institute  der  P)rtha- 
goräer  seinen  Abschluss  erreichte,  der  Zeitraum  der 
Katharten,  Jatromanten  und  AgNTten,  in  welchem  jene 
wunderbaren  Gestalten  wie  Abaris,  Aristeas,  Epimenides 
und  Bronchus  auftreten.  Xach  Wegräumung  des  geheim- 
nissvollen  Nebels,  den  die  spätere  Legende  um  diese  Fi- 
gun^n  ge/ogen  hat,  bleibt  uns  wenigstens  das  als  histori- 
sches Faktum,  dass  Abaris  mit  Sühnungen  und  Weis- 
sagimgen  GritHrhenland  durch/v>g,  um  die  Hj-perboreer 
von  der  Pest  /u  iH^fnnen;  dass  Epimenides  in  Athen  eine 
Seuche  durv^h  Mittel  /u  siilltMi  versuchte,  die  man  als  ausser 
ilem  Knn>e  dt^s  gewohnlichen  Tempelkults  liegend  be- 
trachtete, und  tlass  Bronchus  in  Milet,  obgleich  Priester 
und  Prophet  Api^llon>,  elHMifaU>  bei  einer  Epidemie  ein 
hövh^t   ^HniderKin^s  AbraoaiUibra  in  die  SGhnungsformeln 

'»  v»j.  e:    •  CN   T'  '»    ^    . 


Griechenland.  ^I 

mit  einmischen  liess  *).  Von  der  geheimen  Kraft  des  Kohls 
spricht  Hipponax,  um  die  Zeit  des  Cyrus;  von  Pisistratus 
ist  es  nach  einer  Stelle  bei  Hesychius  wahrscheinlich,  dass 
er  an  der  Akropolis  zu  Athen  ein  grillenartiges  Insekt 
zum  Schutze  gegen  Fascination  anbringen  liess  ^).  Die 
Keime  des  astrologischen  Aberglaubens  bei  den  Lace- 
dämoniern  zeigen  sich  deutlich  in  ihrem  Benehmen  vor  der 
Schlacht  von  Marathon,  und  wenn  wir  Lucian  glauben 
wollen,  so  hatten  die  Griechen  ihre  Sterndeuterei  überhaupt 
nicht  von  aussen,  sondern  von  ihrem  Orpheus  erlernt^). 
Doch  war  die  Sterndeutung  in  Griechenland  nie  recht 
heimisch,  wogegen  die  Traumdeuterei  eine  bedeutende 
Rolle  spielte  ^).  Nehmen  wir  hiezu  noch  den  schon  frühe 
in  Arkadien  einheimischen  Glauben,  dass  ein  Mensch  sich 
in  einen  Wolf  verwandeln  könne  (Lykanthropie)  ^) ,  und 
das  in  Schauerlichkeiten  eingehüllte  Todtenorakel  am  See 
Aomos  in  Thesprotieh,  das  um*s  Jahr  600  vor  Christus 
schon  Periander  befragte  ^) :  so  haben  wir  der  Beweise 
genug,  dass  lange  vor  den  Perserkriegen  ein  ansehnlicher 


')  S.  (Soidan's)  Abhandl,  über  das  Orakel  der  Branchiden  in  Zimmer- 
mann's  Zeitschrift  für  Alterthumswissenschaft,   1841,  Nr.  66  ff. 

*)  Hcsych.     V.  KaxayTjVYj.     Lob  eck  Agiaoph.  p.  970  ff. 

•)  Lucian.  de  Astrol.   lü. 

*)  F,  G.  Welcher,  Griech.  Götterlehre.  11,  S.  139:  „Die  Traunuvahr- 
sagung  hat  eine  sehr  bedeutende  öffentliche  Wirksamkeit  gehabt  von  dem 
Heiligthum  des  dodonäischen  Zeus  in  Phthia,  wo  sie  wenigstens  wahrscheinlich 
ist,  und  von  dem  berühmten  des  Amphiaraos  an  bis  auf  die  Incubation  in  den 
Aesculapstempeln ,  die  erst  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Christus  die  höchste 
Stufe  ihres  Ansehens  und  Glanzes  erreicht  haben.  Im  Privatleben  wurde  be- 
kanntlich der  Eingebung  der  Träume  ganz  gewöhnlich  Folge  gegeben,  —  so 
dass  die  Symbolik  der  Träume  wohl  einem  grossen  Theile  der  gebildeten  Welt 
anlag.  Traumdeuter  zogen  mit  ihren  Bettcltafeln  (aYüpttxol  TCtvotxs;),  wonach 
sie  jeden  Traum  fQr  zwei  Obolen  auslegten,  im  Lande  umher.** 

*)  Fiat,  de  Republ.  VIII.  16.  Fausan.  VHI.  2.  Fun.  H.  N.  VHl.  22. 
Vgl.  Böttiger ,  Ueber  die  ältesten  Spuren  der  Wolfswuth  in  der  griechischen 
Mythologie,  in  Sprengel's  Beiträgen  z.  Gesch.  der  Medizin,  B.  L.St.  2,  und 
R,  Leubuscher,  Ueber  die  Wehrwölfe  und  Thierverwandlungen  im  Mittelalter. 
Berl.  1850,  S.  1—3.  —  Werwolf  (wie  das  Wort  nach  historischer  Ortho- 
graphie zu  schreiben  ist,  heisst  M  a  n  n  w  o  1  f  (gothisch  vair  ^  lat.  vir). 

«)  Herod.  V.  92.  7. 


^.2  Viertes  Kapitel. 

Vorrath  von  Zaubervorstellungen  und  damit  verwandten 
Gebräuchen  bei  dem  griechischen  Volke  aufgehäuft  war, 
ohne  dass  wir  zu  den  späteren  Sagen  unsere  Zuflucht  zu 
nehmen  brauchten,  die  z.  B.  schon  Melampus  als  eigent- 
lichen Zauberer  behandeln,  Odysseus  als  Verehrer  der  Le- 
kanomantie  und  Orpheus  als  Verfasser  einer  Schrift  über 
talismanische  Gürtel  darstellen. 

Sehen  wir  jetzt  auf  die  Zustände  nach  den  Perser- 
kriegen. Das  aus  der  früheren  Zeit  Ueberlieferte  wurde 
verbreitet,  modificirt,  zum  Theil  zu  einem  hohen  Grad  von 
Abenteuerlichkeit  gesteigert;  wesentlich  Neues  kam  bis  auf 
Alexander  wenig  oder  gar  nicht  hinzu.  Plato  redet  davon, 
dass  nicht  bloss  Privatleute,  sondern  sogar  ganze  Städte 
sich  von  einer  Menschenklasse  bethören  liessen,  die  er  so 
charakterisirt,  dass  eine  Art  von  Zauberern  in  ihnen  nicht 
zu  verkennen  ist  ^).  Sie  ziehen,  sagt  er,  vor  den  Thüren 
der  Reichen  umher  und  wissen  die  Leute  zu  überreden, 
dass  sie  die  Kraft  von  oben  haben,  durch  Opfer  und  Be- 
sprechungen die  Sünden  der  Menschen  selbst  und  ihrer 
Vorfahren  zu  sühnen ;  wünscht  Jemand  einem  Feinde  Uebles 
zuzufügen,  so  versprechen  sie  für  geringe  Kosten  durch 
Götterbeschwörungen  imd  Bannflüche  diesen  Wunsch  zu 
erfüllen.  Das  Ganze  gilt  von  den  sogenannten  Orpheo- 
telesten,  deren  Lehre  sich  an  die  schon  im  früheren  Zeit- 
alter aufgekommene  Ansicht  von  der  Kraft  der  Sühnungen 
anschloss.  In  ähnlicher  Weise  klagt  der  Verfasser  der  Schrift 
„de  morbo  sacro**  über  die  gewinnsüchtigen  Täuschungen 
der  fahrenden  Wunderthäter ;  zu  den  Sühnungen  eigner 
und  fortgeerbter  Blutschuld  fügt  er  noch  ihre  vorgebliche 
Kunst,  Sturm  und  heiteren  Himmel,  Regen  und  Dürre, 
Unsicherheit  des  Meeres  und  Unfruchtbarkeit  der  Erde  zu 
machen.  Besonderen  Beifall  fand  diess  Sühnwesen  samrat 
seinem  Anhange  von  geheimem  Kult  und  Liederlichkeit 
bei  den  Weibern.  Strabo  nennt  sie  die  Oberanfiihrer  aller 
Deisidämonie  *).  Das  klassische  Land  der  griechischen 


»)  De  Republ.  II.  7.  ed.  Stallb. 
2)  Strab,  VlI.  pa«.  297.  Casaubon. 


Griechenland.  ^  2 

Zauberei  ist  Thessalien  *).  Thessalische  Weiber  sind 
es,  deren  Salben  bei  Lucian  und  Apulejus  den  Menschen 
in  einen  Vogel,  Esel  oder  Stein  verwandeln;  sie  selbst 
fliegen  durch  die  Lüfte  auf  Buhlschaften  aus  2).  Hekate, 
ursprünglich  als  eine  unheilentfemende,  segenverbreitende 
Göttin  gedacht  und  noch  von  Hesiod  als  solche  gepriesen  3), 
tritt  jetzt  nach  mehrfachen,  zum  Theil  durch  die  Mysterien 
bedingten  Metastasen  ihres  Wesens  als  die  grauenvolle 
Göttin  der  Unterwelt  und  Vorsteherin  des  Zauber- 
wesens auf*).  Sie  erscheint,  wo  sie  gerufen  wird*),  in 
finsterer  Nacht  mit  Fackel  und  Schwert,  mit  Drachenfüssen 
und  Schlangenhaar,  von  Hunden  umbellt,  von  der  ge- 
spenstischen Empusa  begleitet  ^).  An  Hekate  hingen  sich 
allmählich  alle  Arten  von  Zauberei  an.  '  Von  ihr  hatte 
Medea  die  Gifte  und  Zauberkräuter  kennen  gelernt.  Die 
Zauberinnen  schwuren  bei  ihr  und  beteten  zu  ihr.  Auch 
krankhafte,  nächtliche  Schrecknisse,  die  aus  dem  Bette 
trieben,  böse  Träume  u.  dgl.  galten  als  Anfalle  der  Hekate'). 


»)  P/in.  XXX.   1.     J/oraf.  Epod.  V.  45.     Lucan.  Pharsal.  VI.  452  ff. 

*)  Salben,  LuftflOge  und  Unzucht  sind  auch  auf  die  späteren  Hexen  Ober- 
gegangen. 

^)  Wenn  (worauf  Htyne  und  Göttling  hingewiesen  haben),  die  Stelle  der 
hesiodischen  Theogonie  von  V.  41 1 — 452  ein  späteres  Einschiebsel  ist,  so  war 
dieses  auch  noch  später  der  Fall. 

*)  Maury,  la  magie  S.  54*.  Cette  divinit^  (Hecate),  personiücation  de  la 
lune,  qui  projette  ses  rayons  mysterieux  dans  les  tendbres  de  la  nuit,  ^tait  la 
patronne  des  sorci^res.  C'est  h  eile,  que  Ton  rapportait  le  den  des  prodiges 
et  la  d^ouverte  des  enchantements;  c*est  eile,  que  Ton  supposait  envoyer  les 
spectres  et  les  fantömes  qu'evoque  la  peur  dans  l'obscurite.  Medea  und  Circe 
gelten  bei  Einigen  als  ihre  Tr>chter,  Diodor,  IV.  45.  Schol.  Apoll.  Rhod.  III.  242. 
Bei  Euripides  (Medea  395)  sagt  Medea: 

—  —  —  —  ^Jv  V[^  aißü) 
MaXtata  7taycü»v  xal  (ovspy^v  elXo^Yjv, 
'Exdttjv  —   —  —  — 

*)  Eine  Formel,  mit  der  man  die  Hekate  anrief,  wird  von  Hippolyt  in 
den  Philosophoumena  (Ausg.  von  Miller,  S.  72)  mitgetheilt.  —  Fast  in  der- 
selben Weise  lässt  auch  Euripides  die  Medea  an  der  eben  angezogenen  Stelle 
(v.  395  ff.)  sich  ausdrücken. 

•)  M.  s.  unter  andern  Schol.  Aristoph,  Ran.  295.  Ecclessiaz.  10; 9.  Horat, 
?at.  1.  8.  38.     Lucian.  Philopseud.   14,  Ed.  Lehmann. 

'}  /".  G,    Welcher,  Griechische  Götterlehre,  B.  U.  S.  412— 416. 


^^  Viertes  Kapitel. 

Es  kommt  hier  nicht  darauf  an,  alle  Einzelheiten  der 
Zauberkünste  durchzugehen,  die  Hauptsache  derselben  be- 
zieht sich  auf  Weissagung  durch  Todtenbeschwörung  und  auf 
Liebeszauber;  die  Mittel  sind  fortwährend  die  altüblichen 
Formeln  und  Pharmaka.  Der  eilfte  Gesang  der  Odyssee 
ist  der  Prototyp  aller  Todtenbeschwörungen  und  was  dahin 
einschlägt;  die  Grube,  das  blutige  Opfer  \viederholen  sich 
immer  wieder ;  nur  ist  bei  Homer  die  Grube  quadratformig, 
bei  ApoUonius  rund  ^),  in  den  orphischen  Argonauticis  aber 
dreieckig,  worin  die  Beziehung  auf  die  dreifache  Natur  der 
Hekate  angedeutet  scheint.  Das  Blut,  welches  bei  Lucan 
die  thessalische  Erichtho  dem  Leichnam  eingiesst  *),  erin- 
nert wieder  ganz  an  dasjenige,  welches  bei  Homer  der 
Schatten  des  Tiresias  trinkt,  bevor  ihm  der  Mund  zum 
Weissagen  geöffnet  wird.  Auch  in  Lucians  Menippus, 
obgleich  ein  zoroastrischer  Magier  als  Führer  einge- 
mischt wird,  sind  alle  nekromantischen  Einzelheiten  aus 
der  Odyssee  entlehnt.  —  Unter  den  Philtren  kennt  Pindar 
den  Vogel  Jynx;  Aphrodite  bringt  ihn,  gebunden  an  die 
vier  Speichen  des  unauflöslichen  Rades,  den  Sterblichen 
und  lehrt  Jason  Zaubersprüche,  um  Medea's  Herz  zu  be- 
siegen, dass  es  dfer  Eltern  vergesse  und  nach  Hellas  sich 
sehne  ^).  Die  Anwendung  von  Fischen,  Eidechsen,  Wolfs- 
haaren, Krötenknochen,  Taubenblut,  Schlangengerippen, 
Eulenfedem,  Resten  Verstorbener  u.  s.  w.  wird  bei  den 
Römern  vielfach  erwähnt;  es  möchte  indess  zweifelhaft 
sein,  ob  diess  alles  auch  schon  bei  den  Griechen  im  Ge- 
brauche gewesen  sei.  Bei  Theokrit  wenigstens  sind  die 
Mittel  weit  weniger  unpoetisch.  —  Noch  ist  des  Zaubers 
zu  gedenken,  durch  welchen  die  Thessalierinnen  selbst  den 
Mond  vom  Himmel  herabziehen  zu  können  (xav^ai^flv  njr 
aeXi^vtfV)  im  Rufe  standen  *).     Der  Schlüssel  hierzu  scheint 


*)  Argonaut.  111.   1032. 

*)  Pharsal.  VI.  554  ff. 

•)  Pylh.  IV.  214. 

*)  Hermann,  S.  212.  Horat  Epod.  V.  45.  V^l.  TihuU ,  I.  2.  45  und 
8.  21.  VirgU,  Eclog.  VIII.  6^^.  Lucan,  Phars.  VI.  420.  Brttnck.  An- 
thol.  III.   172. 


Griechenland.  45 

nicht  schwer  zu  finden.  Dass  Hekate,  die  (in  Thessalien 
geborene)  Zaubergottin  herbeigeschworen  wird,  ist  in  der 
Ordnung.  Hekate  ist  aber  in  der  späteren  Mythologie  zu- 
gleich auch  Selene  d.  h.  die  personificirte  Fernwirkung  des 
Mondes  ^)  und  es  bedarf  mithin  nur  eines  kleinen  Schrittes, 
um  von  der  mystischen  Gottheit  zu  dem  von  ihr  repräsen- 
tirten  Planeten  überzugehen,  um  so  mehr,  da  man  bei  den 
jeweiligen  Verfinsterungen  desselben  eine  Ursache  seines 
Verschwindens  suchte.  Zauberinnen  mussten  dann  die 
Schuld  tragen,  und  um  deren  Bemühungen  zu  vereiteln, 
um  ihre  Worte  nicht  bis  hinauf  dringen  zu  lassen,  machte 
man  Lärm  mit  Erzplatten  und  Trompeten  ^).  Wenn 
Horaz  ^)  den  Mond  aus  Scham  und  Entsetzen  über  die 
Beschwörungen  der  Zauberer  verschwinden  lässt,  so  ist 
diess  natürlich  nur  die  Auffassung  des  Satyrikers,  nicht 
die  des  Volkes  *). 

Unter  allen  diesen  Zaubereien  nun,  die  in  den  nächsten 
Jahrhunderten  nach  den  Perserkriegen  im  Gange  waren, 
findet  sich  schwerlich  eine  einzige ,  die  nicht  mit  den  vor 
dieser  Epoche  herrschenden  oder  in  den  benachbarten 
Landen  heimischen  als  spezifisch  verwandt  betrachtet  werden 
könnte. 

Unter  den  Zauberkräutem  sind  bei  den  Dichtem  keine 
häufiger,  als  die  kolchischen  und  iberischen^);  neben 
diese  werden  die  thessalischen  gestellt^).  Merkwürdig 
genug  aber  leiteten  nach  Tacitus  die  pontischen  Iberier 
ihren  Ursprung    aus   Thessalien    her  ^).     Den   Glauben  an 


')  K,  F,  Hermann  f  Lehrbuch  der  gottesdienstlichen  AlterthOmer  der 
Griechen  (Heidelberg  1846).  B.  H.  S.  209. 

*)  TaciU  Annal.  1.  28. 

*)  1  Satir.  8.  36. 

*)  Nach  Pluiarck  (de  conjugal.  praec.  p.  428  ed.  Hütten)  soll  der 
Glaube  daher  entstanden  sein,  dass  die  sternkundige  Thessalierin  Aganice, 
Hegetor's  Tochter,  wenn  sie  den  Augenblick  einer  Mondfinstemiss  berechnet 
hatte,  den  Weibern  vorspiegelte,  sie  selbst  ziehe  durch  ihre  Kunst  den  Mond 
vom  Himmel  herab. 

*)  Z.  B,  Horat,  Epod.  V.  2  l  ff.  Ovid.  Remed.  amor.  261.     TibuiL  1.2.53. 

«)  Ovid,  Metamorph.  VII.  224. 

»)  Annal.  VI.  34- 


^5  Viertes  Kapitel. 

Lykanthropie  fand  Herodot  ebenfalls  am  Pontus  ^).  Auch 
die  Thibier,  die  in  jener  Gegend  wohnten,  galten  für  ein 
Volk,  das  durch  Berührung,  Blick  und  Hauch  Kinder  und 
Erwachsene  bezaubern  könne  ^).  Assyrische  Pharmaka 
erwähnt  Theokrit  *).  Unter  den  magischen  Ringen  ist 
ohne  Zweifel  der  unsichtbar  machende  des  lydischen 
Gyges,  dessen  Piaton  gedenkt,  der  älteste*).  Von  be- 
sonderem Gewichte  aber  ist's,  dass  die  von  Piaton  erwähnten 
Gaukler  ihre  Künste  aus  Schriften  von  Orpheus  und 
Mus  aus  geschöpft  zu  haben  vorgaben.  Von  der  Aecht- 
heit  dieser  Schriften  kann  freilich  nicht  die  Rede  sein; 
aber  das  wenigstens  ist  gewiss,  dass  sich  etwas  ganz  Neues 
und  Landfremdes  nicht  sogleich  als  altnational  unterschieben 
lässt.  Auch  bei  Euripides,  im  Cyklopen,  findet  sich  eine 
kncoörj  *Og^'ixr}y  durch  welche  ein  Feuerbrand  zum  Laufen 
gebracht  werden  soll.  Die  orphischen  Sühnungen  und 
Heilungen  aber  hingen,  wie  Lobeck  mit  hoher  Wahr- 
scheinlichkeit nachgewiesen  hat  ^) ,  mit  dem  früher  aus 
Phrygien  herübergekommenen  Kult  der  Cybele  zusam- 
men. Der  frühzeitige  Verkehr  der  Phrygier  mit  den  Hellenen 
ist  durch  das  Alter  der  kleinasiatischen  Ansiedelungen 
hinlänglich  bestätigt.  Cybele  galt  mit  ihrem  Gefolge, 
dem  Pan  und  den  Korybanten,  für  die  Haupturheberin 
von  Schrecken  und  Krankheiten.  Ihre  Priester,  die  Metra- 
gyrten,  eine  Art  von  herumziehenden  Bettelmönchen,  be- 
schäftigten sich  daher  besonders  mit  der  mystischen  Heilung 
der  sogenannten  heiligen  Krankheiten.  Bei  Aristophanes 
findet  sich  schon  eine  Andeutung  hiervon,  und  Antiphanes, 
ein  Schriftsteller    der  mittleren  Komödie,   lässt  in  seinem 


')  Die  dortigen  Scythen  und  Griechen  glaubten  von  den  benachbarten 
Neuren,  dass  jeder  derselben  alljährlich  auf  etliche  Tage  ein  Wolf  werde. 
Herod.  IV.  105. 

«)  Plutarch,  Sympos.  V.  7.  /V/«.  H.  N.  VII.  2,  Plinius  erwähnt  von 
den  Thibiern  weiter,  dass  von  ihnen  der  Glaube  herrschte,  sie  gingen  auf  deiu 
Wasser  nicht  unter. 

•)   Thtocr,  W.   162. 

*)  De  Republ.  II.  3. 

^)  Agiaophana.  Lib.  il.  Gap.  8.  g.  6. 


Griechenland. 


47 


Metragyrtes  durch  blosses  Bestreichen  mit  geweihtem  Oele 
die  plötzliche  Heilung  eines  paralytischen  Greises  be- 
wirken ^).  Auch  Philo  redet  von  diesen  Priestern  als 
Zauberern,  und  es  ist  aus  der  Stelle,  wo  er  diess  thut, 
wenn  nicht  mit  Gewissheit,  doch  mit  Wahrscheinlichkeit 
zu  entnehmen,  dass  sie  es  besonders  waren,  denen  man 
die  Kunst  durch  Philtra  und  Beschwörungen  Liebe  und 
Hass  zu  erregen  zuschrieb  *). 

So  rückte  der  Zeitpunkt  heran,  wo  Hippokrates 
(um  400  V.  Chr.)  sein  grosses  Reformwerk  an  der  Arznei- 
kunde unternehmen  sollte.  Diese  war  bisher  fast  aus- 
schliesslich in  den  Händen  gewisser  Priestergeschlechter 
und  unzertrennlich  an  das  religiöse  Dogma  und  die  Formen 
des  Terapelkultus  geschmiedet  gewesen.  Sogar  die  einzeln 
auftretenden,  wandernden  Aerzte  hatten  zugleich  immer 
die  Mantik  mit  ihrem  Geschäfte  verbunden.  Kaum  dass 
man  die  einfachsten  chirurgischen  Operationen  im  Kreise 
des  Natürlichen  liess;  alles  Uebrige  gehörte  ins  Gebiet 
des  Mystischen,  Wunderbaren.  Die  Götter  erregen  die 
Krankheiten,  —  das  w^ar  der  Glaube,  —  und  entfernen 
sie  wieder,  wenn  sie  versöhnt  werden.  An  Päon,  Aeskulap, 
Machaon,  Podalirius,  Chiron,  Melampus,  Bacis,  Aristäus, 
die  geheimnissvollen  Kabiren  und  die  koboldartigen .  Dak- 
tylen knüpfte  sich  eine  Kette  von  Legenden,  deren  Register 
umfangreicher  sein  mochte,  als  die  gesammte  Pharmakopoe 
manches  berühmten  Heiltempels.  Die  Erfahrungen,  welche 
die  Geschlechter  der  Asklepiaden  und  Chironiden  gemacht 
hatten,  waren  durch  furchtbare  Eide  an  die  Tempelstätten 
gebannt.  Pythagoras,  durch  seine  Reisen  in  der  Heilkunst 
bewandert,  verbreitete  dieselbe  durch  seine  Schüler  schon 
in  etwas  weiteren  Kreisen ;  aber  erst  dem  grossen  Hippo- 
krates, der  zum  Theil  als  Demokrit's  Schüler  gilt,  war 
ihre  völlige  Emancipation  aus  den  Händen  der  Priester 
vorbehalten.  Ihn  sah  man  zuerst  bei  der  grossen  Pest  zu 
Athen  den  althergebrachten  Weg  der  Sühnungsceremonien 


»)  Athen.  Deipnos.  XII.  553.  (Cap,  78  Schweigh.) 
*)  Leg.  spec.  H.  792. 


48  Viertes  Kapitel. 

verlassen,  und  das,  was  bis  auf  ihn  nur  eine  Mischung  aus 
albernem  Ritual  und  fragmentarischer  Kunst  gewesen  war, 
zum  Range  einer  allgemein  zugänglichen  Wissenschaft 
erheben.  Wie  Hippokrates  die  Medizin,  so  brachte  mit 
ihm  gleichzeitig  Sokrates  durch  seine  Schüler  die  Philosophie 
zu  wissenschaftlicher  Gestaltung. 

Es  ist  Thatsache,  dass  man  zoroastrische,  orphische, 
pythagoräische  und  hermetische  Schriften  schmiedete,  und 
Plinius  selbst  erzählt  von  angeblich  demokritischen  Zauber- 
büchern, deren  Aechtheit  schon  damals  bestritten  wurde. 
Aulus  Gellius  handelte  später  in  einem  eigenen  Kapitel 
„de  portentis  fabularum,  quae  Plinius  Secundus  indignissime 
in  Democritum  confert**  ^).  So  ist  es  vollkommen  im  Ein- 
klang mit  den  Ansichten  jener  Zeit,  dass  Plinius  nicht  nur 
viele  einzelne  Zaubermittel  auf  Zoroaster's  unmittelbare 
Empfehlung  zurückführt,  sondern  auch  die  gesammte  Zau- 
berei aus  dessen  System  sich  über  den  Occident  verbreiten 
lässt.  Für  Griechenland  zunächst  muss  ihm  Osthanes  zu 
diesem  Zwecke  dienen,  obgleich  es  schwer  fallt,  einzusehen, 
wie  bei  den  erweislich  so  zahlreichen  Berührungspunkten 
beider  Völker  sich  hier  Alles  an  eine  einzelne  Persönlich- 
keit knüpfen  soll,  und  sich  in  der  That  auch  bei  Plinius 
selbst  schon  die  Bemerkung  findet,  dass  von  besser  Unter-  * 

richteten  einem  etwas  früheren  Prokonnesier,  den  erZoroaster 
nennt,  ähnliche  Einflüsse  zugeschrieben  werden.  Ein  zweiter 
Osthanes  um  Alexanders  Zeit  dient  ihm  nun  weiter,  um 
die  Verpflanzung  der  Magie  nach  Italien,  Gallien,  Britan- 
nien und  den  übrigen  Theilen  der  Erde  zu  erklären.  Der 
ältere  Osthanes  wird  aber  auch  als  Verfasser  eines  Buches 
genannt,  in  welchem  ausser  verschiedenen  andern  Arten 
der  Weissagung  gehandelt  werde  „de  umbrarum  infero- 
rumque  coUoquiis."  Wäre  diese  Schrift  wirklich  acht,  so 
enthielte  sie  doch  wenigstens  in  diesem  letzten  Punkte 
etwas,  was,  unseren  obigen  Erörterungen  zufolge  eines 
Theils  den  Griechen  nicht  neu  und  anderen  Theils  dem 
Zoroastrismus  völlig  fremd  wäre. 

•)  Noct.  Alt.  X.  12. 


I 


I 


Griechenland. 


49 


Wenn  aber ,  wie  wir  nachzuweisen  versucht  haben, 
der  Einfluss  der  persischen  Magie  nur  ein  wohlthätiger 
sein  konnte,  wie  kam  es,  dass  Name  und  Sache  dennoch 
so  bald  in  Misskredit  geriethen?  Hierauf  ergibt  sich  die 
Antwort  aus  der  Natur  der  damals  waltenden  Verhält- 
nisse. Das  Volk  vermochte  nicht  die  philosophischen 
Abstraktionen  über  das  Göttliche  und  die  Natur  der  Dinge 
mit  seinen  plastisch-sinnlichen  Religionsvorstellungen  in 
Einklang  zu  bringen ;  die  Priesterschaft  aber  sah  durch 
diese  Lehren  und  durch  die  Fortschritte  der  Natur-  und 
Heilkunde  ihr  Ansehen  als  Kultvorsteher  und  Aerzte  in 
Gefahr.  Und  gerade  dieses  ist's,  was  auf  die  persische 
Magre  und  diejenigen,  die  aus  ihr  schöpften,  besondere 
Anwendung  findet.  Pythagoras  und  seine  Schüler  hüllten 
ihre  Heilkunst  in  sorgfaltiges  Dunkel;  Demokrit  wurde 
verkannt  und  legte  aus  Verdruss  sein  Amt  nieder;  Prota- 
goras,  sein  Schüler,  entging  dem  Tode,  der  ihm  als  Gottes- 
läugner  zu  Athen  drohte,  nur  durch  die  Flucht;  Aehn- 
Hches  wiederholte  sich  bei  Anaxagoras,  dem  Naturforscher, 
der  die  Sonnen-  und  Mondfinsternisse  erklärte,  und  Dia- 
goras,  der  ebenfalls  der  Beschuldigung  des  Atheismus 
erlag.  Die  Epikuräer,  deren  Verdienste  um  die  Bekämpfung 
des  Aberglaubens  nicht  zu  verkennen  sind,  sahen  sich  aus 
Messenien  vertrieben,  und  bei  Sokrates  waren  es  ja  die 
beiden  wichtigsten  Anklagepunkte,  dass  er  die  Natur- 
erscheinungen aus  natürlichen  Gesetzen  ohne  persönliche 
Einmischung  der  Götter  erklärte  und  das  Göttliche  aus 
dem  Sinnlichen  ins  Abstrakte  zog. 

Was  nun  endlich  das  Strafverfahren  anbelangt, 
das  bei  den  Griechen  gegen  Zauberer  gesetzlich  Statt 
gefunden  haben  soll,  so  haben  sich  zwar  Delrio  und  andere 
Koryphäen  in  der  Literatur  des  Hexenwesens  mehrfach 
auf  dasselbe  berufen  und  hierin  einen  schlagenden  Beweis 
für  die  Allgemeinheit  und  das  hohe  Alter  solcher  Prozesse 
zu  finden  geglaubt.  Die  vSache  ist  indessen  sehr  zweifel- 
haft. Die  ganze  Behauptung  gründet  sich  eigentlich  nur 
auf  einen  einzelnen,  sehr  kurz  berührten  und  noch  keines- 

Soldan-IIeppe,  Hoxenprozcsse.  4 


^O  Viertes  Kapitel.  i 

wegs  mit  Sicherheit  ermittelten  Vorfall  in  Athen.  In  einer 
angeblich  demosthenischen  Rede  wird  nämlich  ein  lem- 
nisches  Weib,  Theoris  oder  Theodoris,  beiläufig  erwähnt, 
welches  von  den  Athenern  sammt  seiner  ganzen  Familie 
zum  Tode  geführt  worden  sei  *).  Zwar  ist  sie  als  eine 
9ap/iaxlg  bezeichnet,  deren  Pharmaka  späterhin  sich  auf  einen 
athenischen  Bürger  vererbten,  und  auch  von  Formeln,  die 
als  Zaubersprüche  betrachtet  werden  dürfen,  ist  die  Rede. 
Aber  das  eigentliche  Verbrechen,  das  ihr  die  Strafe  zuzog, 
bleibt  nichts  desto  weniger  im  Zweifel.  War  es  die  Zauberei 
an  sich,  die  man  hier  verfolgen  zu  müssen  glaubte,  war 
es  gemeine  Giftmischerei,  oder  ein  schädliches  Philtrum, 
oder  eine  unter  dem  Deckmantel  eines  quacksalberischen 
Ceremoniells  verübte  Tödtung,  —  über  dieses  alles  gibt 
die  Fassung  der  Worte  keinen  Aufschluss.  Noch  zweifel- 
hafter wird  die  Sache,  wenn  wir  von  Plutarch  vernehmen, 
dass  in  dem  Prozesse  dieser  Theoris,  die  er  als  eine 
Priesterin  bezeichnet,  gar  eine  Häufung  von  Verbrechen 
zur  Sprache  kam ,  unter  welchen  namentlich  die  Auf- 
wiegelung der  athenischen  Sklaven  an  sich  schon  als  be- 
deutend genug  erscheint  *).  Nehmen  wir  hierzu  noch  die 
weitere  Notiz,  dass  Theoris  wegen  der  Verachtung  der 
Landesgötter  (daeiisux)  den  Tod  erlitten  habe  ^) ,  so  haben 
wir  hiermit  eine  Divergenz  der  Nachrichten,  die  sich  xnel- 
leicht  nur  durch  die  Annahme  ausgleichen  lässt,  dass 
Theoris  die  Vorsteherin  irgend  eines  verbotenen  Geheim- 
dien.stes  gewesen  sei.  Wenigstens  ist  es  erwiesen,  dass 
an 'solche  aus  der  Fremde  gekommene  Kulte  oft  genug 
Dinge  der  genannton  Art,  wie  Zauborbogehungen,  Sklaven- 


•)  Demosth,   in    Arislogit.   I.    p.  424   cd.    Planclic. t^'   o';  a^t:': 

h.T>.rv*y  anexteivats,  laota  Xa^uiv  td  '^ d|ijtaxa  xat  td;  ciccuod^  itapd  vi^:^  iHpa- 
itatvTj?  '»^Jtf^?f  'S  xat  'sxtivY^;  tox'  ijiYjV03Sv.  s;  rjanep  0  jidoxavo;  outuisi  ncicat- 
JoitoiYjtai,  jiafY«veor.  xal  ^r/axiCei,  xii  too;  tntX-fjKTOf*;  ^r^-lv  lötstH-at,  ai?o; 
«7>v  tniXT|Rto(  ndajj  itovY|pilf  etc. 

'*)  Piut,  Vit.  Demosth.   14. 

•)  liarpocrat,  v.  Hiüipt^. 


Griechenland.  ^  t 

verfuhrung,    Verachtung  der  Landesgottheiten    und  Ver- 
schworungen sich  angeschlossen  haben. 

Schliesslich  bemerken  wir,  dass  Piaton  in  seinen  Ge- 
setzen eine  schwere  Gefangnissstrafe  für  die  trügerischen 
Gaukler  beantragt,  welche  sich  auf  Nekromantie  und  der- 
gleichen Künste  zu  verstehen  vorgeben.  Es  wird  die  Asebie 
und  Gewinnsucht  dieser  Menschen  hierbei  hervorgehoben  ^•) 

*)  Lcgg.  X.   15.  ed.  Ast. 


FÜNFTES    KAPITEL. 


Die    Etrusker    und    Römer. 

l^vx  Zeit,  wo  Italien  in  der  Geschichte  des  Abend- 
lands her\'ortritt  und  die  Zustande  der  mannigfachen  itali* 
sehen  Völkerschaften  durchsichtig'er  zu  werden  beginnen, 
finden  wir,  dass  die  Etrusker,  Sabiner,  Marser  und  die 
latinische  Stadt  Gabii  wegen  ihrer  Kunde  von  gottlichen 
Dingen  zu  Rom  in  besonderem  Ansehen  standen  *).  Die 
Marser,  die  von  der  Circe  abstammen  wollten,  waren  wegen 
ihrer  Kunstfertigkeit  in  der  Beschwörung  von  Schlangen 
besonders  berühmt  ^);  die  Marsae  voces  und  die  Sabella 
carmina  waren  fast  sprüchwörtlich,  und  in  Gabii  war  Ro- 
mulus,  den  man  in  Rom  als  den  Urheber  der  Augural» 
Wissenschaft  ansah,  der  Sage  nach  erzogen  worden  ^).  Doch 
galt  als  italischer  Ursitz  aller  mantischen  Weisheit  das 
Land  der  Ktrusker,  bei  denen  darum  die  patrizische 
Jugend  Roms  lange  Zeit  in  die  Schule  zu  gehen  pflegte. 

Wie  im  Orient  die  Chaldäer,  so  standen  nämlich  im 
Orrident  (li(?  Etrusker  überhaupt  in  dem  Rufe  einer  vor- 
zügliclKMi  (TOttesv(»n*hrung  und  des  Besitzes  einer  auf  der- 
selben beruhenden  l)(*sonders  tiefen  Einsicht  in  die  Ge- 
heimnisst»  des  Weltlaufes  und  der  Zukunft,  indem  „die  tUN- 

')  i'Umtm,    Alex.   Strom.  L.  111,  iJorat,,    Kpod.  V.  7^)  u.  XVII    28  H. , 
\'<rf*,  Arn.  VU.  75H  nml  ih'uL,  Art.  «in.  II.    lo2. 
•;  AhL  CstiL  N.  A.  XVI.   II;  /V/>/.  XXVlll.  2. 
■)  iUopiYs.  l.  H4  ;  Plutarih,  Rom.  6  u.  Steph.  B.  s.  v.  Ta^ioi. 


Die  EtrusVer  und  Römer.  c^ 

kische  Divination  der  am  meisten  charakteristische  Zug- 
der  Nation,  seit  alten  Zeiten  ein  Hauptpunkt  ihrer  Geistes- 
thätigkeit  und  Erziehung  war'*  *),  wesshalb  in  Etrurien  die 
Divination  namentlich  von  den  Söhnen  der  Edlen  erlernt 
zu  werden  pflegte.  Die  Abkunft  dieser  etruskischen  Mantik 
aus  dem  Orient  kann  nicht  mehr  bezweifelt  werden.  Dass 
freilich  die  Kunstwerke  der  Etrusker  in  auffallendster 
Weise  ihrfen  Zusammenhang  mit  der  babylonisch-assyrischen 
Kunstthätigkeit  erkennen  lassen,  war  längst  bekannt.  Auch 
hat  schon  Herodot  die  Abkunft  eines  Theils  dieses  Volks 
von  den  Lydiern  berichtet.  „Gegenwärtig  aber  sind  wir 
im  Stande ,  eine  solche  Uebereinstimmung  zwischen  der 
Haruspizin  der  Etrusker  und  der  chaldäischen  Wahrsagerei 
nachzuweisen,  dass  über  den  innigen  und  nicht  etwa  zu- 
falligen Connex  beider  Disciplinen  wohl  kaum  noch  ein 
Zweifel  bestehen  kann.  Die  Conformität  beider  Lehren 
erstreckt  sich  in  der  That  nicht  allein  auf  die  Gesammtheit 
der  Mantik  beider  Völker  überhaupt,  sondern  speziell  auch 
auf  solche  Nebenzweige  der  Divination,  die  von  den  älteren 
Schriftstellern  als  vorzugsweise  etruskische  bezeichnet 
werden.  Wir  finden  auf  beiden  Seiten  eine  entsprechende 
Beobachtung  und  Auslegung  aller  abnormen  Erscheinungen, 
eine  übereinstimmende  Fulgurallehre  und  Opferschau,  eine 
gleiche  Deutung  des  Vogelfluges  und  der  Vogelstimmen, 
eine  ähnliche  Auslegung  der  Missgeburten  und  Prodigien, 
eine  gleiche  Eintheilung  der  Bäume  in  günstige  und  un- 
günstige, ja  sogar  eine  gleiche  Neigung,  mitunter  sehr 
wichtige  Prophezeiungen  aus  dem  Verhalten  der  Pferde 
abzuleiten  u.  s.  w.  Wir  werden  daher  nicht  fehlgehen, 
wenn  wir  die  Etrusker  geradezu  für  Schüler  und  direkte 
Erben  der  chaldäischen  und  babylonischen  Deuter  und 
Wahrsager  erachten"  *). 

Am    entwickeltsten    waren    unter    den   verschiedenen 
Zweigen   der   etruskischen  Divination  *)    die  Beobachtung 


')  O.  Müller,  die  Etrusker,  neu  bearb.  von  Deeke  (Sluttg.  1877),  B.  U.S.  1. 
')  So  sagt  Lenormant,  S.  487  u.  461. 
*)  MülUr  u.  Decke,  S.   1 65— 195. 


^4  Fünftes  Kapitel. 

des  Blitzes  und  der  Eingeweide  von  Opferthieren.  Die 
erstere  war  zu  einer  eigentlichen  ars  fulguritorum  ent- 
wickelt, welche  in  besonderen  Fulguralbüchem  niedergelegt 
war.  Zur  Zeit  des  Diodorus  waren  etruskische  Blitzseher 
über  den  ganzen  Erdkreis  verbreitet.  Die  Eingeweide- 
schau oder  die  Haruspizin')  im  engeren  Sinne  des  Worts 
hing  mit  dem  eigentlichen  Kultus  der  Etrusker  zusammen, 
indem  dieselben  ganz  ausserordentlich  fleissige  Opferer 
waren. 

Ueber  etruskische  Zauberei  liegen  Nachrichten  nicht 
vor.  Allerdings  glaubten  die  Etrusker  an  eine  Unterwelt, 
die  sie  sich  mit  finsteren,  den  Menschen  feindlichen  Mächten 
bevölkert  dachten  *).  Unter  diesen  furchtbaren  Wesen 
werden  genannt  die  Mania,  die  Acca  Larentia,  eine  Menge 
von  Furien  u.  s.  w.  Zu  ihrer  Versöhnung  und  zum  Schutz 
gegen  ihre  Verderben  bringende  Macht  brachte  man  ihnen 
sogar  Menschenopfer  dar ;  dagegen  von  der  alten  Dämonen- 
lehre und  der  Zauberei  Chaldäa's  zeigt  sich  ebenso  wie 
von  der  Sternseherei  der  Chaldäer  in  dem  Etruskerlande 
nirgends  eine  Spur. 

Anders  aber  war  es  in  Rom.  In  der  ältesten  Zeit 
glaubte  man  hier  allerdings  für  die  l.eitung  der  öffentlichen 
Angelegenheiten  und  für  den  Bedarf  des  Privatlebens  durch 
das  althergebrachte,  heimische  Auguralwesen  (in  welchem 
Jeder,  der  auf  Bildung  Anspruch  machte,  unterwiesen  sein 
musste)  und  durch  die  Haruspizin  der  Etrusker  (der  man 
unbedingt  vertraute)  hinlänglich  versorgt  zu  sein.  Es  war 
ganz  gewöhnlich,  dass  vornehme  römische  Jünglinge  nach 
Etrurien  reisten  und  sich  dort  in  den  mannigfachen  Zweigen 
der  Seherkunst  unterrichten  Hessen  ;  und  ausserdem  pflegte 
man  bei  allen  öffentlichen  Vorkommnissen  bedenklicher 
Art  etruskische  llaruspices  (und  zwar  deren  immer  mehrere 
zusammen)  nach  Rom  kommen  zu  lassen.  Nur  vorüber- 
gehend sahen  sich  die  letzteren  durch  die  Chaldäer  —  die 
zur    Zeit    der   punischen  Kriege   unter    dem   prunkenden 

*)  Ueber  die  Etymologie  des  Wortes  Haruspex  s.  Müller  u.  Dteckt,  S.  1 3« 
Anroerk.  39. 

•)  Ebendas.  S.  10 1  ff. 


Die  Etrusker  und  Römer.  ec 

Namen  der  Mathematici  auftraten,  sonst  aber  auch  Geneth- 
liaci  und  Magi  genannt  wurden  —  in  Schatten  gestellt. 
Lange  Zeit  hindurch  war  daher  Rom  von  dem  Aberglauben 
und  Zauberspuk  der  späteren  Zeit  frei.  Allein  bald  fanden 
in  Rom  allerlei  fremde  Kulte  bei  Einzelnen  Eingang,  ohne 
dass  sich  der  Staat  darum  kümmerte.  Praktisch,  wie  die 
Richtung  des  Volkes  war,  fassten  seine  gesetzlichen  Be- 
stimmungen vor  allem  das  Staatsganze,  nächst  diesem  die 
Rechtsverhältnisse  der  Einzelnen  ins  Auge;  was  beiden 
zur  Seite  lag,  nahm  die  Aufmerksamkeit  wenig  in  An- 
spruch. Um  seiner  Meinungen  willen  wurde  vor  Nero 
Niemand  verfolgt ,  nur  die  That  unterlag  richterlichem  Er- 
kenntnisse. Darum  hat  das  Fremde  in  Religion  und  Philo- 
sophie zu  Rom  stets  willige  Aufnahme  gefunden;  der  Ver- 
such, den  der  Staat  einst  machte,  als  er  noch  klein  war, 
sich  auf  seine  einheimischen  Götter  zu  beschränken,  war 
kurz  und  erfolglos  ^).  Im  Laufe  der  Zeit  wichen  die  alt- 
italischen Gottheiten  der  griechischen  Mythologie,  der  kory- 
bantische  Kultus  der  Cybele  kam  aus  Kleinasien  herüber, 
der  Isisdienst  schlich  sich  aus  Aegypten  ein,  und  selbst 
das  verachtete  Judenthum  wusste  sich  in  einzelnen  Punkten 
eine  Geltung  zu  verschaffen,  welche  die  Satyriker  der 
Aufmerksamkeit  würdig  fanden.  Waren  die  Bacchanalien 
verboten,  so  war  es  hauptsächlich  desshalb,  damit  sie  nicht 
zu  staatsgefährlichen  Anschlägen  den  Deckmantel  her- 
geben möchten.  So  bestanden  auch  neben  denjenigen 
Arten  der  Mantik,  die  der  Staatskult  durch  die  Auguren 
und  Haruspices  verwalten  Hess,  ungestört  eine  Menge  von 
abergläubischen  Uebungen,  welche  theils  auf  Divination, 
theils  auf  praktische  Wirkungen  berechnet  waren.  Die 
mantischen  Künste  der  Griechen,  die  Todtenbeschwörungen 
und  Liebeszauber  füllten  nicht  allein  die  Phantasie  der 
Dichter,  sie  schlugen  auch  im  Volksleben  Wurzel.  Auf 
Strassen  und  Märkten  trieben  die  Sortilegi  ihr  Wesen  ^), 
auf  Scheidewegen    und  Begräbnissplätzen   ereigneten  sich 


*)  Liv.  IV.  30. 

^  Tibull,  I.  3.     Juvenal.  VI.  588. 


c5  Fünftes  Kapitel. 

die  nächtlichen  Schauerscenen  einer  Sagana  und  Canidia. 
Bald  goss  auch  der  Orient  seine  entarteten  Sitten  und 
seinen  Aberglauben  über  Rom  aus.  Als  man  anfing,  den 
(xlauben  an  die  Eingeweide  der  Opferthiere  und  den  Vogel- 
llug  als  altvaterisch  zu  verlachen,  blendete  der  Schein  einer 
tieferen  Wissenschaftlichkeit ,  die  aus  den  Sternenbahnen 
die  Zukunft  zu  enthüllen  oder  geheimnissvolle  Mächte  dem 
Willen  des  Menschen  dienstbar  zu  machen  verhiess.  Zwar 
hat  Rom<  sobald  es  einmal  der  Kindheit  entwachsen  war, 
jederzeit  Männer  gehabt,  die  mit  hellerem  Blicke  das 
Nichtige  solcher  Künste  durchschauten ,  wie  Ennius  '), 
Cicero  ^),  Seneca  ^),  Tacitus**);  aber  auf  der  andern  Seite 
zeigen  wiederum  die  zahlreichsten  Beispiele,  wie  selbst  die 
trefflichsten  Köpfe  Roms  sich  nicht  über  den  Glauben 
an  magische  Dinge  vollkommen  zu  erheben  vermochten. 
Cato  Censorius,  der  geschworene  Feind  aller  griechischen 
Charlatanerie ,  war  gleichwohl  ein  Verehrer  höchst  aber- 
gläubischer Hausmittel  ^);  Sulla  Hess  sich  von  sogenannten 
Magiern  unter  den  parthischen  Gesandten  aus  gewissen 
Zeichen  seines  Körpers  wahrsagen^);  der  gelehrte  Varro 
empfahl  geheime  Sprüche  gegen  das  Podagra  ');  Juliui> 
Cäsar  bestieg  seinen  Wagen  nicht,  ohne  eine  bestimmte 
Formel  dreimal  auszusprechen,  die  eine  glückliche  Reise 

')  Non  habeo  denique  nauci  Marsum  augureni, 

Non  vicanos  haruspices,  non  de  circo  astrologus, 

Non  Isiacos  conjectores,  non  interpretes  soniniilui ; 

Ni)n  enim  sunt  ii  scientia  aus  arte  divini, 

Scd  superstitiosi  vales  inipudentesque  harioH, 

Aut  inertes,  aut  insani,  aut  quibus  egestas  tnipcrat. 

yui  sibi  semitam  non  sapiunt,  alteri  monstrant  viam; 

(Quibus  divitias  pollicentur.  ab  Vis  drachmani  ipsi  ])etunt. 

De  bis  divitiis  sibi  deducant  drachniam.  reddant  cetera. 
*)  Cum  poflarum  auteia  errore  conjungi-re  licet  pciricnta  Magorum  Afg.vp- 
liorunique  in  eodcm  genere  dementiani,    tum  etiam   vulgi  opioioncs,   quar  in 
riiaxima  inconstantia.  veritatis  ignuratione  vcrsantur.  —  De  Nat.  Deor.  1. 
»)  Nat.  Quaest.  IV.  67. 
*)  Hist.  1.  22. 

*)  De  rc  rust.   l6o.     /V/».  H.  N.  XXXVIII.  2. 
•)    fV//.  Pa/frc,  lib.  11.  p.  32,  cd.  Lips.  U>27. 

')  /y/«.  n.  N.  xxxviii.  2. 


Die  Etrusker  und  R(Smer.  57 

verbürgen  sollte  ^);  der  Kaiser  Vespasian  gab  sich  den 
Priestern  des  Serapis  zu  Alexandria  zum  Werkzeug  einer 
magischen  Kur  an  einem  Blinden  her  2). 

Die  ursprüngliche  Heimat  und  die  Epoche  des  ersten 
Hervortretens  für  die  zahllosen  Arten  des  Aberglaubens, 
die  sich  in  der  Hauptstadt  des  römischen  Weltreiches  fast 
von  allen  Seiten  her  zusammenfanden ,  im  Einzelnen  zu 
erörtern,  ist  nicht  Aufgabe  dieser  Darstellung  und  möchte 
überhaupt  grossen  Schwierigkeiten  unterliegen;  ja  in  vielen 
Fällen  dürfte  selbst  kaum  die  Grenze  zu  erkennen  sein, 
wo  das  Einheimische  aufhört  und  das  Uebernommene  an^ 
fängt.  Auch  soll  hier  nicht  eine  vollständige  Aufzählung 
aller  magischen  Einzelheiten,  wie  sie  in  Glauben  und  Uebung 
im  Schwünge  waren,  versucht  werden  ;  es  kommt  vielmehr 
nur  darauf  an,  einige  theils  für  die  Charakterisirung  des 
römischen  Zeitalters  an  sich,  theils  für  die  spätere  Fort- 
bildung der   Sache   interessante   Momente  hervorzuheben. 

Die  Tradition  rückt  die  Zauberkunde  in  Italien  bis  in 
die  ältesten  Zeiten  hinauf.  Selbst  Faunus  und  Picus  werden 
von  der  späteren  Sage  zu  Inhabern  magischer  Künste  ge- 
macht ^).  Ihr  Herbeibeschwören  des  Jupiter  Elicius  für 
Numa,  wie  es  Ovid  erzählt  %  ist,  wenn  auch  hier  in  durch- 
aus frommem  Sinne  vorgenommen,  doch  ein  Vorbild  der 
späteren  Theurgie,  welche  die  Götter  zwingt.  TuUus  Ho- 
stilius  soll  vom  Blitze  erschlagen  worden  sein,  weil  er  bei 
einem  ähnlichen  Versuche  gegen  den  Ritus  fehlte  ^).  Ein 
sehr  alter  Glaube  war  es,  dass  man  durch  Zauberkunst 
das  Getreide  von  fremden  Aeckem  zu  sich  herüber  locken 
könne  (alienos  fructus  excantare,  alienam  segetem  pelli- 
cere);  bereits  die  zwölf  Tafeln  kennen  ihn,  Virgil  ®)  und 
TibuU  ')  spielen  darauf  an.  Hieran  knüpft  sich  das  will- 
kürliche   Herbeiziehen    und   Entfernen    von    Regengüssen 

')  P/in.  ibid. 

*)   Tacif.  Hist.  IV.  81.     Sueron.  vit.   Vespas.  7. 

•)  Plutarch.  v.  Num.   15. 

*)  Fast.  III.  321   ff. 

*)  Plin,  H.  N.  XXVI II.  2. 

«)  Eclog.  VIU.  99. 

^  El.  I.  8.  19. 


58  Fünftes  Kapitel. 

und  Hagel  durch  Beschwörungen,  das  bereits  dem  Ver- 
fasser der  Schrift  de  morbo  sacro  bekannt  ist,  von  Seneca 
als  Albernheit  einer  längst  zu  Grabe  gegangenen  Zeit 
verlacht,  aber  vom  Kaiser  Constantius  wiederum  mit  der 
Todesstrafe  bedroht  wird  *).  Gewisse  Arten  magischer 
Heilungen  sind  ebenfalls  alt.  Als  Lehrer  in  der  Kunst. 
Krankheiten  durch  Sprüche  zu  vertreiben,  erkannten  die 
Römer  die  Etrusker  an  2);  die  Astrologie  wurde  erst  von 
dem  massilischen  Arzte  Krinas  in  die  Medizin  eingeführt  ^). 
Im  Liebeszauber,  dessen  sich  die  Poesie  mit  Vorliebe  be- 
Qiächtigte,  hielt  man  sich  meistens  an  griechische  Muster, 
eben  so  in  der  Nekromantie,  obgleich  für  diese  letztere 
auch  auf  Hetrurien  hingewiesen  wird  ^).  Ueberhaupt  trugen 
sich  fast  alle  griechischen  Vorstellungen  von  der  Macht 
der  Zauberer  auf  die  Römer  über.  Der  Zauber  erforscht 
das  Verborgene,  gebietet  dem  Monde,  beherrscht  die 
Natur,  heilt,  verwandelt,  beschädigt  und  tödtet,  erregt  Liebe 
und  Hass  und  lähmt  die  intellektuellen  Fähigkeiten  des 
Menschen.  Voll  genug  klingt  es,  wenn  Ovid  seine  Medea 
sagen  lässt  *) : 

—    —  —  --  —     -     —  G6tter  der  Nacht,  o  erscheint  mir! 
Ilir  schuft,  dass,  wenn  ich  wollte,  den  staunenden  Ufern  die  Flusse 
Aufwärts  kehrten  zum  Quell;  und  ihr,  dass  geschwollene  Meerfluth 
Stand,  und  stehende  schwoll  die  Bezauberung.     Wolken  vertreib'  ich. 
Mir  durch  Wort  und  Gemurmel  zerplatzt  der  Rachen  der  Natter; 
Auch  den  lebenden  Fels,  und  die  Eich',  aus  dem  Boden  gerflttelt, 
Kaff  ich,  und  Wälder,  hinweg;  mir  hebt  der  bedräuende  Berg  auf; 
Mir  auch  brüllet  der  Grund,  und  Gestorbene  geh'n  aus  den  Gräbern. 
Selbst  dich  zieh*  ich,  o  Mond,  wie  sehr  temesäisches  Erz  auch 
Dir  Arbeitendem  hilft;  es  erblassl  der  Wagen  des  Ahnen 
Unserm  Gesang;  es  erblasst  vor  unseren  Giften  Aurora. 
U.  s.  w. 

')  Scn^c,  Quaest.  nat.  IV.  7.  tW.  7«.»/.  lib.  IX.  TiU  18  de  malef.  et 
niathem.  Vgl.  Gothofred.  ad  Cod.  Theodos.  IX.  16.  ö.  —-  Auf  der  gallwchen 
Insel  Sena  (Isle  de  Sains  bei  Brest)  gab  es  Prieslerinnen,  welche  Wind  und 
Meer  erregen  zu  kennen  im  Rufe  standen.  Pompon.  Mel.  111.  6.  War  diess 
gallischer  Glaube,  oder  nur  römische  Schiffemachricht ? 

')  Dionys.  Halicarn^  1.  p.  24. 

•)  Piin,  H.  N.  XXIX.  1.  Sprengel,  Gesch.  der  Medizin  Th.  11.  S.  13. 

*)  Clem»  Strom.  111.  redet  von  Topp*r]V(MV  vtxoo|iavTsiai(. 

*)  Mctaiuorpb,  VII,  199  ff.     Nach  Voss. 


Die  Etrusker  und  Rftmer.  5q 

Aehnlich  schildert  Lucan  die  Macht  der  thessalischen 
Zauberinnen  i),  und  doch  hat  man  nicht  anzunehmen,  dass 
hier  der  Dichter  durch  seine  Phantasie  im  Wesentlichen 
über  die  Höhenlinie  des  herrschenden  Zauberglaubens  empor- 
getragen worden  sei.  Arnobius  sagt  allen  Ernstes:  Quis 
magos  nesciat  aut  imminentia  studia  praenoscere ,  quae 
necessario  velint  nolint  suis  ordinationibus  veniunt?  aut 
mortiferam  iramittere  quibus  libuerit  tabem ;  aut  familiarum 
dirumpere  caritates;  aut  sine  cla^ibus  reserare,  quae  clausa 
sunt ;  aut  ora  silentio  vincire  ;  aut  in  curriculis  equos-  de- 
bilitare,  incitare,  tardare;  aut  uxoribus  et  liberis  alienis 
sive  illi  mares  sint,  siv-e  feminei  generis,  inconcessi  amoris 
flammas  et  furiales  immittere  cupiditates ;  aut  si  utile  aliquid 
\4deantur  andere,  non  propria  vi  posse,  sed  eorum,  quos 
invocant,  potestate  ?  ^) 

Wie  die  Mag^e  auf  die  geistigen  Vermögen  des  Men- 
schen   einwirke,   zeigt  uns   nicht  nur  TibuU  an  dem  Bei- 
spiele des  Hahnrei's,  der  durch  Zauberkünste  in  Blindheit 
erhalten  werden  soll  ^),  sondern  auch  Cicero  in  der  drolligen 
Anekdote,  die  er  von  dem  Redner  Curio  erzählt  *).    Dieser, 
dessen  Gedächtniss  so  schwach  war,  dass  er  zuweilen,  wenn 
er  in  einer  Rede  drei  Theile  angekündigt  hatte,  entweder 
den  dritten  schuldig  blieb,  oder  noch  einen  vierten  zugab, 
sollte  einst  vor  Gericht  auftreten.     Es  war  der  Prozess  der 
Titinia;    Cicero  hatte  bereits  für   dieselbe  gesprochen  und 
Curio  war  Anwalt  der  Gegenpartei.     Kaum  aber  hatte  er 
die  Rednerbühne  betreten,  so  fühlte  er  sich  vom  Gedächt- 
nisse in  dem  Grade  verlassen,  dass  ihm  kein  einziger  Um- 
stand des  Rechtshandels  mehr  gegenwärtig  war;  es  blieb 
ihm  nichts  übrig,  als  sich  un verrichteter  Sache  zurückzu- 
ziehen, und  er  that  es  mit  der  Entschuldigung,  dziss  Titinia 
diess  Unglück  durch  Zauberei  über  ihn  gebracht  habe. 

Von  dem  fortlebenden  Glauben  an  Thierverwandlungen 
geben  Apulejus  und  Petronius  Proben.     Bei  ersterem,  der 

*)  PharsaK  VI.  452  ff. 

*)  Adv.  gentes  lib.  ,  p.  25.     Lugd.  Bat.  1651. 

•j  Tidu/l  1.  2.  55  ff. 

*)  Cic.  Brut.  60. 


6o  Fünftes  Kapitel. 

ein  griechisches  Muster  vor  sich  hatte,  sehen  sich  die 
Feinde  der  Zauberinnen  plötzlich  in  Biber,  Frösche,  Böcke 
und  andere  Thiere  umgestaltet.  Der  Lykanthropie  gedenkt 
Petronius  im  Gastmahle  des  Trimalchio.  Niceros  erzählt 
daselbst*),  wie  ein  Mensch,  der  mit  ihm  wanderte,  die 
Kleider  auszog,  ein  Wolf  wurde  und  in  die  Wälder  lief. 
Als  Niceros  nach  Hause  zurückkehrt,  wird  ihm  berichtet, 
dass  ein  Wolf  das  Vieh  angefallen  habe,  aber  von  einem 
Knechte  mit  der  Lanze  in  den  Hals  gestochen  worden  sei. 
Niceros  findet  hierauf  seinen  Gefährten  wieder  als  Menschen 
im  Bette,  wo  ein  Arzt  den  verwundeten  Hals  behandelt. 
Diese  Erzählung  ist  das  Muster  der  zahlreichen  Wehr- 
wolfsgeschichten der  späteren  Zeit.  Plinius  läugnet  die 
Lykanthropie;  aus  dem  herrschenden  Glauben  an  dieselbe 
aber  leitet  er  das  Schimpfwort  versipellis  ab  *). 

Ein  Glaube,  der  mit  dem  neueren  Hexenglauben  we- 
sentlich zusammenhängt,  ist  der  an  die  Strigen,  Lamien 
und  Empusen. 

Der  Name  Strix,  der  heutzutage  auf  das  Eulengeschlecht 
übergegangen  ist,  gehörte  im  Alterthum  weit  mehr  dem 
Reiche  der  Träume,  als  der  Ornithologie  an.  Zwar  wissen 
die  Poesien  eines  Ovid,  Horaz  und  Seneca  von  den  Federn, 
Eiern  und  Eingeweiden  der  Strix  zu  reden  ^) ;  aber  es  ge- 
schieht jedesmal  mit  Bezug  auf  unheimlichen  Nachtspuk, 
und  Plinius,  der  Naturhistoriker,  bekennt  offen,  dass  er 
sich  hinsichtlich  der  Einverleibung  der  Strigen  in  irgend 
eine  der  bestehenden  Vögelklassen  in  Verlegenheit  be- 
finde *),  Der  gewöhnlichen  Sage  zufolge ,  bemerkt  er 
weiter,  pflegten  diese  Vögel  den  Säuglingen  ihre  Brüste 
zu  reichen,  und  ihr  Name  war  schon  von  den  Alten  bei 
Verwünschungen  gebraucht  worden.  Auf  dieses  Säugen 
spielt    auch   Serenus  Samonicus  in    seinem   Gedichte   von 


')  Cap.  61. 

*)  r/m.  H.  N.  VIII.  22. 

•)  Ovid.  Amor,  I,  12.  2t).    Metain.  VU.  26«;.    //ora/,  Epod.  V.  20,  S^n/f 
.Med.  IV.  731. 

•)  H.  N.  XI.  39. 


Die     Etrusker  und  Römer.  6i 

der  Heilkunde  an;  er  legt  ihnen  eine  giftige  Milch  bei  *). 
Als  gefrässige  Wesen  in  Eulengestalt,  den  Harpyien  ver- 
wandt, finden  wir  die  Strigen  wiederum  bei  Ovid  ^).  Nachts 
fliegen  sie  zu  den  Wiegen  der  Kinder;  aber  statt  der 
Ammendienste  saugen  sie  ihnen  Blut  und  Eingeweide  aus. 
In  solcher  Absicht  erscheinen  sie  auch  beim  neugebomen 
Procas  in  Alba  und  richten  ihn  zu,  dass  seine  Gesichts- 
farbe fahl  wird,  wie  erfrorenes  Laub.  Auf  des  Kindes 
Geschrei  läuft  die  Amme  hinzu;  die  Nymphe  Grane,  von 
Janus  mit  der  Obhut  der  Thürangeln  betraut  und  in  dieser 
Eigenschaft  Carna  genannt,  wird  herbeigeholt,  sühnt  das 
Haus  mit  Weihungen,  opfert  den  Strigen  die  Eingeweide 
eines  Schweins  und  steckt  ihren  Weissdomstab  an  das 
Fenster  ^).  Procas  ist  nun  vor  aller  Anfechtung  sicher  und 
sein  Antlitz  röthet  sich  wieder.  —  Auch  ein  todter  Knabe 
erleidet  bei  Petronius  einen  solchen  Ueberfall;  seine  Ein- 
geweide werden  aufgezehrt,  eine  Strohpuppe  an  seine 
Stelle  gelegt.  Ein  Sklave,  der  mit  dem  Schwerte  nach 
den  Unholden  haut,  um  sie  von  der  Leiche  zu  treiben, 
wird  am  Körper  blau  und  grün,  als  wäre  er  gegeisselt 
worden,  verliert  die  Gesichtsfarbe  und  stirbt  nach  wenigen 
Tagen.  Eben  so  wurde  bei  Erwachsenen  auch  plötzliche 
Kraftlosigkeit,  besonders  das  Versiegen  der  männlichen 
Kraft,  der  Bosheit  der  Strigen  zugeschrieben.  Quae  striges 
comederunt  nervös  tuos?  wird  bei  Petronius  der  untüch- 
tige Polyänus  gefragt  *).  Der  Koch  im  Pseudolus  des 
Plautus,  indem  er  die  schädlichen  Wirkungen  schlechter 
und  übermässiger  Gewürze  schildert,  sagt  von  den  pfuschen- 
den Köchen: 


')  Praetcrea  si  forte  premit  strix  atra  puelloK, 
Virosa  ininiulgens  exsertis  ubera  labris,  etc. 

De  medic.  59.   IO44. 

*j  Fast.  VI.   131  ff. 

*)  So  vertreibt    spHter  der  aufgesteckte   Stab    des   heiligen    Bernhard    den 
Incubus.     Nidei\  Formicar.  p,  777. 
*)  Petron.    134. 


62  FOnftes  Kapitel. 

—  — '■  — —  cum  condiunt, 

Non  condimentis  condiunt,  sed  strigibus, 
Vivis  convivis  intestina  quae  exedint  *). 

Zum  Präservativ  gegen  diese  innere  Aufzehrung  durch 
die  Strigen  genoss  der  Römer  Speck  und  Bohnenbrei  an 
den  Calenden  des  Junius  ^) ;  dieselbe  Kost  erhielt  auch 
Polyän  bei  Petronius  von  der  Priesterin  des  Priap  als 
Heilmittel  gegen  den  schon  wirklich  eingetretenen  Schaden. 

Dass  nun  diese  Strigen  nicht  etwa  als  blosse  ge- 
spenstische Ungethüme,  sondern  als  boshafte  Zauberinnen 
zu  fassen  seien,  wird  sich  leicht  darthun  lassen.  Zwar  will 
Ovid  in  einer  dem  Dichter  sonderbar  anstehenden  An- 
wandlung von  kritischer  Vorsicht  die  Frage  nicht  ent- 
scheiden, ob  die  Strigen,  die  zu  Procas  kamen,  natürliche 
Vögel,  oder  durch  Zaubersprüche  in  Vogelgestalt  verwan- 
delte Weiber  seien  ^);  doch  bekennt  er  sich  selbst  ander- 
wärts zum  Glauben  an  Zauberinnen,  die  als  Nachtvögel 
umherstreichen.  So  sagt  er  von  der  alten  Kupplerin 
Dipsas  *): 

Hanc  ego  noctumas  versam  volitare  per  umbras 

Suspicor,  et  pluma  corpus  anile  tegi. 
Suspicor  et  fama  est. 

Eben  so  verwandelt  sich  bei  Apulejus  Pamphile,  indem 
sie  auf  nächtliche  Liebesabenteuer  ausgehen  will,  in  eine 
Eule  (bubo).  Ueber  allen  Zweifel  aber  wird  die  Sache 
durch  Festus  erhoben  *) :  Strigem ,  ut  ait  Verrius ,  Graeci 
syrnia  (zu  verbessern  ar^iyya)  appellant,  quod  maleficis 
mulieribus  nomen  inditum  est,  quas  volaticas  etiam  vocant. 
Hiermit  stimmt  überein,  was  Trimalchio  bei  Petronius  von 
ihnen  sagt:  Sunt  mulieres  plus  sciae,  sunt  noctumae,  et 
quod  sursum  est,  deorsum  faciunt  ^). 

*)  Pseudol.  111.  2,  31. 

•)  Ovid.  Fast.  VI.  170. 

•)  Fast.  VI.  141. 

*)  Amor  I.  8.  13. 

»)  />//.  Fragm,  e.  cod.  Farn.  L.  XVIII.  ed.  MuUer. 

*)  Torreblanca,  der  im  17.  Jahrhundert  Ober  die  Zauberei  schrieb, 
beruft  sich  fQr  den  Satz,  dass  die  Hexen  den  ungetauflen  Säuglingen  nach- 
stellen, auf  Ovid.  Fast.  VI,   13r>:  Noctc  vdlant  puerosqut*  petunt  etc. 


Die  Etrusker  und  Römer.  63 

Das  Aussaugen  menschlicher  Körper  dient  den  Zau- 
berinnen zu  einem  doppelten  Zwecke :  entweder  zum  Liebes- 
zauber für  Andre,  wie  in  der  fünften  Epode  bei  Horaz, 
wo  aus  dem  Mark  und  der  Leber  des  verhungerten  Knaben 
ein  Philtrum  bereitet  werden  soll,  —  oder  zur  eignen  Er- 
nährung, wie  bei  Ovid,  wo  den  Strigen  von  der  Masse 
des  getrunkenen  Blutes  der  Kropf  schwillt.  In  letzterer 
Beziehung  findet  sich  hier  also  schon  bei  den  Alten  die 
Grundlage  des  Vampyrglaubens.  Das  Blut  galt  den  Philo- 
sophen, namentlich  Empedokles,  als  Prinzip  der  Lebens- 
kraft, diente  also  den  alten  Zauberweibern  als  Mittel  der 
Verjüngung,  wie  es  in  der  Nekromantie  den  herbeige- 
zogenen Schatten  Kraft  und  Sprache  wiedergeben  sollte. 

Nahe  verwandt,  oder  fast  gänzlich  identisch  mit  dei^ 
Strigen  sind  anderwärts  die  Empusen  oder  Lamien  *).  Die 
Empusa  tritt  bald  als  Einzelwesen  in  Hekate's  Gesellschaft, 
oder  als  Hekate  selbst  auf,  bald  findet  sich  der  Name  von 
einer  ganzen  Gattung  von  Unholden  in  der  Mehrzahl  ge- 
braucht. Bei  Aristophanes  *)  erscheint  Empusa  mit  einem 
ehernen  und  einem  Eselsfusse,  feurig  leuchtend  im  ganzen 
Gesichte;  sie  verwandelt  sich  in  rascher  Folge  in  die  Ge- 
stalt eines  Ochsen,  eines  Maulthiers,  einer  schönen  Frau 
und  eines  Hundes.  Auf  seiner  Wanderung  zum  Indus 
findet  sie  ApoUonius  von  Tyana  eben  so  vielgestaltig;  er 
schilt  sie  und  gebietet  seinen  Gefährten,  dasselbe  zu  thun, 
da  verschwindet  das  Ungethüm  mit  schwirrendem  Ge- 
räusche 3).  Aber  in  Korinth  ist  es  dem  Wunderthäter 
abermals  beschieden,  ein  Wesen  dieser  Gattung  zu  bannen*). 
Menippus,  sein  Schüler,  in  allem  Uebrigen  ein  wackerer 
Philosoph,  nur  in  der  Liebe  nicht,  lässt  sich  mit  einem 
fremden  Weibe  von  wunderbarer  Schönheit  ein,  isst,  trinkt 
und  buhlt  mit  ihr  und  steht  bereits  auf  dem  Punkte,  seine 
wirkliche  Vermählung  zu  vollziehen.     Diess  merkt  Apollo- 


^)  Vgl.  Stephan.  Thesaur.  v.  "EiiTcooGa. 
*)  Ran.  295.     Schol.  Ecclesiaz.  1049. 
')  Pkilostrat.  vit.  Apollon.  11.  4. 
*)  Ibid.  IV.   25. 


64  Fünftes  Kapitel. 

nius,  erscheint  unangemeldet  beim  Hochzeitmahle  und  fragt 
nach  der  Braut.  Sie  wird  ihm  vorgestellt.  „Das  ist  eine 
von  den  Empusen,  —  sagt  er,  —  die  man  sonst  auch  La- 
mien  nennt.  Es  ist  ihnen  weniger  um  Liebeslust  zu  thun, 
als  um  den  Genuss  des  Menschenfleisches ;  sie  locken  durch 
Liebreiz  denjenigen,  den  sie  aufzehren  wollen."  Hiergegen 
will  die  Empuse  Einwendungen  machen;  da  aber  Apollonius 
auf  seinem  Satze  besteht,  so  verschwinden  plötzlich  Gold- 
und  Silbergeräthe,  Mundschenk,  Koch  und  die  übrige 
Dienerschaft,  und  der  Unhold  selbst  bittet  mit  Thränen 
um  die  Erlassung  eines  beschämenden  Geständnisses.  Aber 
es  hilft  nichts,  er  muss  bekennen,  dass  er  eine  Kmpusa  ist 
und  an  des  athletischen  Menippus  Körper  nur  einen  treff- 
lichen Schmaus  gesucht  hat;  denn  schöne  Jünglinge  sind 
diesen  Wesen  am  liebsten,  weil  ihr  Blut  am  reinsten  ist '). 
So  treffen  die  Strigen,  I-amien  und  Empusen  zusam- 
men in  den  wesentlichen  Stücken  der  Verwandlungsfahig- 
keit,  des  Ausgehens  auf  Liebesabenteuer  und  der  Begierde 
nach  dem  Blute  und  den  Eingeweiden  des  Menschen. 
Wenn  nun  in  einigen  andern  Punkten  Abweichungen  be- 
merkbar sind,  wenn  z.  B.  die  Strix  an  die  Eulengestalt 
gebannt  scheint,  während  den  Lamien  und  Empusen  alle 
Formen  gerecht  sind,  wenn  femer  die  Schriftsteller  in  dem 
Treiben  dieser  Unholde  bald  mehr  menschliche  Zauber- 
kunst, bald  mehr  dämonischen  Spuk  hervortreten  lassen: 
so  darf  nicht  vergessen  werden,  dass  für  das  Reich  des 
Aberglaubens  keine  Physiologie  geschrieben  ist  und  daher 
bei  allem  Durchleuchten  wesentlicher  (xrundzüge  Spielraum 
genug  bleiben  musste,  um  die  Einzelheiten  nach  Laune 
verschieden  zu  gestalten,  wie  es  eben  Zeitalter,  Lokalität 
oder  die  Phantasie  des  einzelnen  Dichters  mit  sich  brachte. 
Uebrigens  soll  in  dem  Namen  der  Strigen  entweder  das 
schwirrende  (Jeräusch  ihres  Fluges,  oder  ihre  kreischende 
Stimme  sich  aussprechen  -j.     Derselbe  Ton  wird  von  Philu- 

*)  Vgl.  Ihrat,  A.  P.  340.  Neu  prans^ie  I^imiae  pucruni  vivum  extrahat  aho. 

*J  ^tlxpifi  '  *lrix  von  stpiCtu  =  "tf/'.Cw»  lat.  stridcre.  -  Est  illi.s  MrtgHm« 
nomcn;  »«ti  nominis  huju«  Cau.ssa,  qucxl  horr«nUa  strUett  noctc  soleut.  ih'U, 
Käst.  VI.   139. 


Die  Etruskcr  und  Römer. 


65 


stratus  der  Empusa  beigelegt  ^),  deren  Name  jedoch  nach 
seiner  eigentlichen  Bedeutung  bis  jetzt  nicht  genügend 
festgestellt  ist.  Die  Lamien  aber  sind,  wie  bereits  die 
alten  Grammatiker  annahmen,  von  ihrer  Gefrässigkeit  be- 
nannt *).  Auf  den  dumpfen,  murmelnden  Ton  der  Unholde 
scheint  auch  der  Name  Mormolykia  sich  zu  beziehen, 
welchen  Philostratus  als  synonym  mit  Lamia  und  Empusa 
bezeichnet.  Mormo  war  ein  weiblicher  Popanz,  mit  welchem 
man  die  Kinder  schreckte;  davon  bildete  sich  das  Verbum 
ßOQfioXvaaeiv  t  erschrecken,  und  das  Hauptwort  fioQ^toXvxia^ 
Schreckbild.  Mormo  wurde  aber  auch  bei  den  Griechen, 
des  furchtbaren  Aussehens  halber,  eine  Theatermaske  mit 
weit  aufgerissenem  Munde  genannt.  Im  Latein  des  Mittel- 
alters sind  nun  strix  oder  striga  und  masca  auch  wieder 
gleichbedeutend;  beide  bezeichnen  ein  nächtliches  Zauber- 
weib. 

Es  möge  bei  dieser  Veranlassung  zweier  verwandter 
Gegenstände  gedacht  werden,  der  römischen  Larva  und 
der  griechischen  Gello.  Dass  larva  eben  so,  wie  das  an- 
geführte longobardische  masca  diejenige  Vermummung 
des  Angesichts  bedeutet,  die  wir  noch  heute  Larve  und 
Maske  nennen,  ist  bekannt.  Beide  Wörter  bedeuten  aber 
auch  einen  Nachtspuk,  mit  dem  Unterschiede,  dass  die 
masca,  wie  bereits  bemerkt,  eine  Strix  oder  ein  lebendes, 
auf  Menschentödtung  ausgehendes  Weib,  also  eine  Zau- 
berin, ist,  die  larva  aber  eine  abgeschiedene  Menschen-  j 
seele,  die  zur  Strafe  umherwandelt,  allen  Menschen  ein  | 
Schrecken,  den  Sündern  gefahrlich,  den  Reinen  unschäd- 
lich ').  Gello,  die  bei  den  neueren  Griechen  Gillo  heisst  *),  , 
war  nach  dem  Glauben  der  Lesbier  eine  frühverstorbene 
Jungfrau,  die  nach  dem  Tode  umging  und  Kinder  tödtete. 
Schon  Sappho  soll  ihrer  gedacht  haben.  Insofern  sie  als 
Todte  auf  Menschenmord  ausgeht,   stellt   sich  Gello  aller- 


*)  Kai  x6  (pdo^a  'fo^'S  H'X^'^®  teiptfö?-     Vit.  Apollon.  II,  4. 
*)  Aa|io^,  Xatpi6<;,  Hfthlc,  Schlund.     Schol.   Horat.  Kpist.     l.   13. 
■)  Augustin.  de  Civ.  Dei  IX.   U,  mit  Bezu^  auf  Piaton. 
*)  S.  Stephan,  Thesaur.  v.  FeXXu). 
Boldnn-Ifeppe,  Hexenproxesse.  5 


66  Fünftes  Kapitel. 

dings  dem  Vampy rismus  näher,  als  der  eigentlichen  Zauberei, 
aber  es  ist  schon  oben  darauf  hingedeutet  worden,  wie 
auch  die  lebenden  Hexen  des  Alterthums  den  Vampym 
der  neueren  Zeit  in  der  Begierde  nach  der  Restauration 
ihres  Lebensprinzips  durch  Menschenblut  begegnen.  Uebri- 
gens  wird  der  Name  Gellus  (Fe'k'kovg),  der  ohne  Zweifel 
nur  eine  andere  Form  für  Gello  ist,  von  den  Griechen  des 
Mittelalters  ganz  auf  die  eigentlichen  Strigen  übergetragen. 
Bei  Johannes  von  Damask  kommen  die  Gelluden  durch 
die  Luft  geflogen,  dringen  durch  Schloss  und  Riegel  und 
fressen  die  Lebern  der  Knaben  ^). 

Die  Mittel,  die  man  zur  Verwirklichung  des  Zaubers 
empfahl,  waren  eben  so  zahlreich,  als  mannichfaltig.  Als 
Cagliostro  einst  nach  der  Grundlage  seiner  Kunst  gefragt 
wurde,  antwortete  er,  ihre  Kraft  beruhe  in  verbis,  in  herbis, 
in  lapidibus  ^),  Die  römische  Magie  bestrich  ein  grösseres 
Gebiet,  sie  zog  auch  das  Thierreich,  die  Sterne  und  ge- 
wisse symbolische  Zeichen  oder  Charaktere  in  ihren  Kreis. 
Vor  Allem  freilich  war  die  Kraft  des  Wortes  hochge- 
achtet (Carmen,  incantatio,  deprecatio)  *).  Gesprochen,  ge- 
sungen, gemurmelt,  geschrieben,  diente  es  zum  Zauber, 
wie  zum  Gegenzauber ;  es  machte  Schnee,  Sonnenschein 
und  Regen,  und  lockte  das  Getreide  ^).  Selbst  den  Himm- 
lischen war  es  furchtbar  und  brachte  sie  zum  Erscheinen  *). 
Das  fromme  Vertrauen,  welches  eine  frühere  Zeit  auf  die 
Kraft  des  Gebets  gesetzt,  hatte  sich  längst  in  den  Rechts- 
anspruch umgewandelt,  durch  Bannformeln  die  Götter  nach 

*)  Joann  Damasc,  Tractat.  de  strigibus.  Ob  diese  Abhandlung  wirklich 
von  Joh.  V.  Damask,  oder  von  einem  andern  Griechen  des  Mittelalters  herrOhre. 
kann  uns  hier  gleichgiltig  sein. 

')  Diese   Dreiheit    findet    sich    auch    schon    in    Jakob* s   I.     DSmonologie 
(lil).  I.  cap.  4.),  wo  sie  freilich  nur  als  das  ABC  der  Zauberei  bezeichnet  wird. 
»)  riin.  H.  N.  XXVUI.  2. 
*)  Z.  B.   TihuU.  I.  2.  45  f.  8.  20  fr.      Virg.  Eclog.  VIU.  64  ff. 

*) vo\  Lelhacos  cunctis  poUentior  herbis 

Kxcantarc  deos Lucan,  Phars;)!.  VI.  685. 

Omne  nefas  superi  prima  jam  voce  precantis 
(^)nccdunt,  carmeiique  timcnt  audire  secundum. 

Lncan,  Phars.  VI.  527. 


Die  Etrusker  und  Römer. 


67 


menschlichem  Willen  nöthigen  (numini  imperare),  und  mit- 
telst symbolischer  Handlungen  selbst  in  weite  Femen  auf 
Personen  wie  auf  die  leblose  Natur  nach  Gefallen  ein- 
wirken zu  können  ^).  Alte  oder  ausländische  Worte  galten 
für  die  kräftigsten  *),  jedem  einzelnen  wurde  seine  bestimmte 
Wirkung  beigelegt.  Aegyptische,  babylonische,  chaldäische 
Sprüche  waren  berühmt  ^) ,  besonders  verehrt  die  soge- 
nannten *E(peaia  yQüifi^iara^).  Zettel  und  Bleche,  mit  ge- 
wissen Buchstaben  beschrieben,  dienten  als  Amulete,  oder 
sollten  Gegenliebe  erwecken.  Durch  die  an  die  Thüre 
geschriebenen  Worte  Arse  vorse  glaubte  der  Römer  sein 
Haus  gegen  Feuersgefahr  sicher  zu  stellen  ^),  Gegen  Ver- 
renkungen empfiehlt  Cato  unter  anderem  die  Formel:  Huat 
hanat  huat  ista  pista  sista  domiabo  damnaustra*).  Aehn- 
liches  gebrauchte  man  gegen  Fieber,  Herzweh  und  andere 
UebeP).      Unter  den  Kräutern   galt  die  Verbena  fast  für 


')  Hermann,  gottesdienstl.  Altcrth.  der  Griechen  S.  210  und  die  Belege 
daselbst. 

*)  —  —  —  eirsl  xotl  xa^  et)*/ac  6fi.oXoYOöaiv  ol  avO*piüTcoi  Süvatcüiepa^ 
slvat   xd?  ßap^dpü)  ^wvy]  )vSYop.8va<;.     Clem.  Alex.  Strom.  I. 

•)  —  —  —  6  ol  cpouvd^  Ttva?  da*rj}j.oo(;  ^^%Y{^^'^^^i<^-,  otat  '^v*f^\'^'€  5v 
'Eßpatuiv  ^j  <I>oivtxü)V,  e^eTrXYjixe  xoo»:  ftvO-pwitoo?,  oOx  elSoxac  5  xt  Xsfoi  etc. 
Lucian.  Pseudomant.  13. 

*)  S.  Eustath,  ad  Odyss.  XIX.  247.  Hesych.  v.  'E^p^ota  Ypd|X[iaxa.  Man 
trug  sie,  wie  schon  die  Griechen  gethan,  zum  Schutze  gegen  allerlei  Uebel  in 
ledernen  GQrteln  und  dergl.  auf  dem  Leibe. 

Xtov  TCtvwv  xal  :rpo<;  xoüxok;  ev  oxüxaptot? 

'^Paitxoloiv  'spopiüv  'E!:plaia  Ypd|J.|JLaxa  xaXd. 

Athen.  Deipnos.  XH.  p.  548. 

*)  Fest,  V.  Arse. 

•)  R.  R.  cap.  160.  Er  empfiehlt  auch  die  Formel:  Huat  haut  haut  ista 
sis  far  sis  ardannabon  dannaustra. 

')  Zur  Heilung  des  hemitritäischen  Fiebers  schreibt  Serenus  Sanioni- 

c  u  s  vor : 

Inscribas  chartae,  quod  dicitur  Abracadabra, 

Saepius  et  subter  repetas,  sed  detrahe  summam, 

Et  raagis  atque  magis  desint  elementa  figuris, 

Singula  quae  semper  rapies  et  cetera  figes, 

Donec  in  angustum  redigatur  litera  conuni. 

His  lino  nexis  Collum  redimire  memento. 
Marcellus  Empiricus  empfiehlt  Folgendes  gegen  das  Herzweh :  In  lamella 
stannea  scribes  et  ad  collum  suspendes  haec,  antea  vero  etiam  cane :  Corcu  ne 


68  FQnftes  Kapitel. 

eine  Panacee  ^).  Fieber  kurirte  man  auch  mit  dem  g^e- 
salzenen  rechten  Auge  des  Wolfs,  mit  dem  Kothe  der 
Katzen  oder  den  Zehen  des  Uhu's.  Oder  man  knetete  die 
Abschnitte  der  Nägel  von  den  eigenen  Händen  und  Füssen 
in  Wachs,  klebte  sie  vor  Sonnenaufgang  an  die  Thürt? 
des  Nachbarn  und  übertrug  so  die  Krankheit  auf  diesen. 
Ein  Regenwurm,  in  eine  zersprungene  Schüssel  gelegt, 
dann  mit  Wasser  übergössen  und  wieder  vergraben,  ver- 
treibt Lendenschmerzen.  Eine  Räucherung  mit  der  Galle 
eines  schwarzen  männlichen  Hundes,  oder  die  Vergrabung 
seiner  Geschlechtstheile  unter  der  Thürschwelle  gilt  als 
Verwahrungsmittel  fiir  das  ganze  Haus.  Wer  von  Nacht- 
gespenstem  geplagt  wird,  dem  ist  Zunge,  Auge  und  Galle 
des  Drachen  heilsam;  man  kocht  diess  in  Wein  und  Oel, 
lässt  es  des  Nachts  im  Freien  kalt  werden  und  streicht  es 
als  Salbe  auf.  Gegen  Kopfschmerz  hilft  der  Strick  eines 
Gehängten,  gegen  Kröpfe  und  Ohrengeschwüre  die  Hand 
eines  Früh  verstorbenen ,  gegen  Zahnweh  Holz,  das  vom 
Blitze  getroffen  ist. 

Eine  ganz  besondere  Rolle  spielten  in  dem  Aber- 
glauben der  Alten  die  Zaubernägel  ^).  Die  von  den 
Etruskern  stammende  Sitte  des  clavum  figere  hatte  nicht 
allein  den  Zweck  die  Jahre  zu  zählen,  sondern  auch  Krank- 
heiten Halt  zu  gebieten.  Schon  der  bei  den  Römern 
übliche  Ausdruck  defigere  für  „bezaubern"  weist  darauf 
hin,  dass  zum  Zaubern  und  darum  auch  zur  Abwehr  eines 
Zaubers  Nägel  vielfach  verwendet  wurden,     (xanz  beson- 

incruito,  Cave  corcu  ne  niergito  cantorcm,  ulos,  utos,  utos,  praeparavi  tibi 
vinum  lene,  libidinem.  discode  a  nonita,  in  nomine  Dei  Jacob,  in  nomine  Del 
Sehaoth  !  —  UlutflQsse  stillt  eben  derselbe  durch  die  Formel:  Sicucunia,  icu- 
cumu,  cucuma,  ucuma,  cunia,  unia,  ma,  a.  —  Dergleichen  Kuren  mit  An- 
hiinKSi'ln  und  barbarischen  Worten  hat  Lucian  im  Philopseude.s  verspottet. 

*)  Plifi,  H.  N.  XXV.  9.  Die  folgenden  Mittel  sind,  wo  es  nicht  anders 
bemerkt  ist,  aus  den  bereits  oben  bezeichneten  Kapiteln  des  Alteren  Plinius 
entnommen. 

'^)  Das  NAcbstfolgende  theilen  wir  nach  der  vortreflflichen  AbhandluDK 
Jahns  „Ueber  den  Aberglauben  des  b^sen  Blicks  bei  den  Alten**  (in  den 
Heriehten  Ober  die  Verhandlungen  der  Kgl.  sitehsischen  (lesellschaft  d«r 
Wi^senschalten  zu  Leipzig  von   1854,  S.  U8  -llo)  mit. 


Die  Etrusker  und  Rftmer.  69 

dere  Kraft  legte  man  aber  Nägeln  bei,  mit  denen  Jemand 
ans  Kreuz  geschlagen  war,  oder  die  von  gescheiterten 
Schiffen  herrührten. 

Ein  Mittelpunkt  vieler  abergläubischen  Anschauungen 
und  Operationen  war  bei  den  Alten  die  Vorstellung  von 
der  Macht  des  bösen  Blicks.  Man  glaubte  (und  glaubt 
in  Italien  noch  heute),  dass  Neid  und  Missgunst  im  Stande 
wären,  auf  das  Wohlbefinden  und  Glück  eines  Anderen 
Einfluss  auszuüben,  und  dass  ganz  besonders  die  Augen 
das  Organ  wären,  durch  welches  diese  Wirkung  ausgeübt 
würde.  Unter  allen  übrigen  abergläubischen  Vorstellungen 
der  Alten  trat  dieser  Gedanke  mit  solcher  Stärke  hervor, 
dass  man  die  Worte  ßaaytalvetv,  fascinare,  ganz  besonders 
von  dem  bösen  Blick  gebrauchte  ^). 

Diese  unheimliche  Gabe  des  bösen  Blicks  wurde  als 
in  manchen  Familien,  ja  in  ganzen  Völkerschaften  erblich 
angesehen.  Als  am  meisten  von  demselben  bedroht  be- 
trachtete man  das  Vieh  und  die  Kinder ;  aber  auch  Sachen 
galten  als  der  verderblichen  Einwirkung  des  bösen  Blicks 
ausgesetzt.  Daher  suchte  man  Sachen  wie  lebende  Wesen 
dagegen  zu  schützen,  theils  durch  mancherlei  sühnende 
Handlungen  im  einzelnen  Falle,  theils  durch  schutzge- 
währende Symbole ,  Amulete ,  welche  man  am  Hals  oder 
auf  der  Brust  trug  oder  an  Gebäuden,  Mauern  u.  dgl.  an- 
brachte (ns^ianTcif  Tieptcf^ijUQra,  Anhängsel).  Bei  der  Auf- 
merksamkeit, mit  der  man  die  Kinder  zu  hüten  suchte, 
fiel  natürlich  ein  grosser  Theil  dieser  Fürsorge  den  Wär- 
terinnen zu.  Auch  von  hier  aus  begreift  es  sich  daher, 
dass  bei  dem  Bezaubern  und  Entzaubern  Weiber,  insbe- 
sondere alte  Weiber,  eine  grosse  Rolle  spielten  ^). 

Die  schädliche  Kraft  des  bösen  Blickes  glaubte  man 
aber  auch  dadurch  brechen  zu  können,  dass  man  denselben 
auf  irgend  eine  Weise,  durch  ein  Schreckbild  (Gorgoneion), 


*)  Die  sonstigen  Ausdrücke  waren:  ocptS-aXuö?  Tcovfjpoc,  'fi>ovep6;,  oculi 
maligni.  invidi,  urentes  u.  dgl. 

^)  Theocrit.  II,  91 :  ^^  «ota<  e).iirov  YP'*ta<;  86|j.ov  &xic  ^nä^sv;  VI.  40, 
VII.  126  flf.  Theophr.  char.  16.  Plut.  de  superstitione  3,  6.  Hermann^  Griech. 
Anüq.  n.  42,  14. 


yo  Fünftes  Kapitel. 

durch  einen  kräftigen  Fluch  oder  durch  andere  Mittel 
störte,  und  den  Neidischen  verhinderte,  den  fraglichen 
Gegenstand  zu  fixiren.  Namentlich  galt  dcis  Bild  des  Auges 
selbst  als  ein  wirksames  Gegenmittel  gegen  den  Zauber, 
indem  nach  antiker  Anschauung  das,  was  den  Zauber  her- 
vorbringt, denselben  auch  aufheben  kann,  wesshalb  das 
ßaaxdvLoVf  fascinum,  nicht  nur  Zauber,  sondern  auch  Heil- 
mittel bedeutet.  Ausserdem  aber  glaubte  man  den  Zauber 
durch  das  Bild  des  Unanständigen,  Obscönen  als  eines 
yelolov  und  äronov  zerstören  oder  abwehren  zu  können,  und 
in  dieser  Beziehung  galt  als  Hauptmittel  gegen  den  Zauber 
der  Phallus,  das  männliche  Glied,  welches  desshalb  bei 
den  Römern  geradezu  fascinum  hiess  und  ganz  gewöhn- 
lich in  irgendwelcher  Darstellung  an  Häusern  angebracht, 
auch  auf  der  Brust  getragen  wurde.  —  Ein  anderes  Mittel 
dieser  Art  war  das  Ausspucken  in  den  eigenen  Busen. 
Eben  darum  nämlich,  weil  das  Ausspeien  gegen  Andere 
als  schwere  Beleidigung  galt,  glaubte  man  durch  das  ei^ 
xoXnov  TiTvsiv,  in  sinum  spuere  irgend  eine  Schuld  sühnen 
oder  ein  bevorstehendes  Unheil  abwenden  zu  können.  In 
jedem  Falle  galt  dieses  als  eine  Versöhnung  der  Nemesis, 
welche  man  bei  jedem  Worte,  das  als  vermessen  erscheinen 
konnte,  mit  den  Worten  „ijQoayivvco  *jiv8gdareiav**  oder  mit 
ähnlichen  Ausdrücken  anrief  ^). 

Die  Zahl  der  sonstigen  abergläubischen  Vorstellimgen 
war  Lcgio.  Die  verschiedenen  Jaspisarten  machen  beredt, 
schützen  gegen  Trunkenheit,  Hagel  und  Heuschrecken. 
Das  äthiopische  Kraut  trocknet  Flüsse  und  öifnet  Schlösser. 
P'in  Uhuherz,  auf  die  linke  Brust  eines  schlafenden  Weibes 
gelegt,  entlockt  ihr  alle  Geheimnisse.  Die  Asche  der 
Sterneidechse,  um  die  linke  Hand  festgebunden,  erregt 
den  Geschlechtstrieb,  um  die  rechte,  stillt  sie  ihn.  Fleder- 
mausblut unter  dem  Kopfkissen  des  Weibes  wirkt  stimu- 
lirend,  und  die  Haare  der  Mauleselin  verbürgen  die  Con- 
c(*ption.  Die  Proceduren  für  den  Liebeszauber  sind  aus 
Theokrit,  Horaz,  Virgil,  Ovid,  TibuU,  Properz  u.  A.  allzu 


*)  Die  Belege  für  diese  Angaben  s.  in  der  angezogenen  Abhandlung  Jahns, 


Die  Etrusker  und  Römer. 


71 


bekannt  ^),  als  dass  sie  einer  umständlicheren  Darstellung 
bedürften.  Schmilzt  man  das  wächserne  Bild  des  Ge- 
liebten am  Feuer,  so  wird  dieser  zur  Gegenliebe  gezwungen ; 
auch  Puppen  von  Wolle  oder  Thon  werden  in  gleicher 
Absicht  zu  symbolischen  Handlungen  gebraucht  und  Venus- 
knoten aus  farbiger  Wolle  geschlungen  oder  Fäden  um 
den  Zauberhaspel  gewickelt.  Theile  vom  Kleide  des  Ge- 
liebten verbrennt  man  oder  vergräbt  sie  unter  der  Schwelle. 
Als  ganz  besonders  wirksam  zur  Entzündung  unwider- 
stehlicher Liebesgluth  gilt  Leber  und  Mark  des  Menschen, 
ein  Glaube,  den  Horaz  bis  zum  abscheulichsten  Knaben- 
morde führen  lässt  ^).  Ausser  der  gewöhnlichen  Nekro- 
mantie,  wie  sie  so  häufig  von  den  Dichtern  nach  griechi- 
schen Mustern  angedeutet  wird  *)  und  wie  sie  unter  Andern 
auch  von  Cicero's  Freunde  Appius  wirklich  geübt  worden 
zu  sein  scheint  **) ,  gab  es  auch  eine  Art  verruchter  Exti- 
spicien  aus  menschlichen  Leichnamen.  Cicero  wirft  solche 
dem  schändlichen  Vatinius  vor^),  Juvenal  spielt  darauf 
an®),  und  noch  in  der  späteren  Kaiserzeit  finden  sich 
Spuren  davon  ').     Den  Tod  eines  Feindes  glaubte  man  zu 


')  //orai.  Sat.  I.  8.  Epod.  V.  u.  XVI 1.    Fir^r.  Eclog.  VIII.  Theocrit.  Id.  II. 
Ovid,  Heroid.  VI.  Amor  1.  8.   TibulL  L  2  u.  8.  PropcrL  III.  5.    Z//^fl;i.  VI.  460. 
«)  Epod.  V. 

')  Virg.  Ecl.  VIII.  98.  Aeneid.  IV.  490.  Horat,  Sat.  I.  8.  Ovid,  Met.  VIF. 
243.      TihulL  I.  2.  45.     Scneca  Oedip.  547.     Lucan.  Phars.  VI.  550. 

*)  Cic,  Tusc.  Quaest,  I.  16.  De  divinat.  L  58.  Ein  anderes  Beispiel: 
Tac,  Annal.  II.  28. 

*)  In  Vatin.  VI.  —  —  Cum  inferorura  animas  elicere,  cunj  pueroruni 
extis  deos  manes  mactare  soleas. 

•)  Peclora  pullorum  rimabitur,  exta  catelli,  Interdum  et  pueru  Sat.  VI. 
550.  Einen  schauderhaften  Commentar  hierzu  liefert  Lucan  VI.  554  ff.,  vvo 
es  von  Erichtho  heisst : 

Nee  cessant  a  caede  manus,  si  sanguine  vivo 
Est  opus,  erumpat  jugulo  qui  primus  aperto. 
Nee  refugit  caedes,  vivum  si  sacra  cruorem 
Extaque  funereae  poscunt  trepidantia  mensae. 
Vulnere  sie  ventris,  non,  qua  natura  vocabat, 
Extrahitur  partus,  calidis  ponendus  in  aris. 
Et  quoties  saevis  opus  est  ac  fortibus  umbris, 
Ipsa  facti  manes:  hominum  mors  omnis  in  usu  est. 
'}  Cassiodor,  Hist.  tripart.  VI,  48, 


j2  Fünftes  Kapitel. 

erzielen,  indem  man  dessen  Namen  in  eine  Metallplatte 
einschnitt  oder  sein  Bildniss  mit  einer  Nadel  durchbohrte  ^). 
Ein  ähnliches  Verfahren  sollte  auch  dazu  dienen,  die  männ- 
liche Kraft  zu  rauben  *).  Dass  wirklichen  Giftmischereien 
zuweilen  auch  magisches  Beiwerk  zugesellt  wurde,  ist  sehr 
wahrscheinlich.  In  der  späteren  römischen  Zeit  bildete 
sich  auch  der  Glaube  an  die  Macht  eines  spiritus  familiaris 
oder  Paredros  aus^),  dergleichen  Simon  der  Magier  und 
ApoUonius  von  Tyana  gehabt  haben  sollen.  Ersterer  rühmt 
sich  bei  Clemens  von  Rom  *),  er  habe  sich  die  Seele  eines 
unschuldigen,  gewaltsam  ermordeten  Knaben  dienstbar  ge- 
macht. Mit  Hilfe  solcher  Geister  glaubte  man  nicht  nur 
die  Zukunft  erforschen,  sondern  auch  die  Zunge  eines  Geg- 
ners vor  Gericht  hemmen,  Pferde  vor  dem  Wagen  fest- 
bannen *),  einem  Feinde  Krankheiten  und  böse  Träume 
zusenden  und  mancherlei  andere  Beschädigungen  zufügen 
zu  können  **).  —  Noch  könnten  gar  manche  andere  Zauber- 


*)  Reperiebantur  (beim  Tode    des  Gernianicus)   solo  ac  parietibus  enitac 

hunianorum  corporum  reliquiae,  carniina   ac  dcvotiones,   et    nonien  Geniianici 

plunibeis  tabuli.s  insculptuin .    .seniiusti    cineres  ac  tabe  (labo?)  obliti.  aliaque 

nialcttcia.   «juiü  creditur  aninias  numinibus  infernis  sacrari.     Tucii.  Anoal.  II.  6<). 

•)  So  kla^l  Oz'iJ,  Amor.  III.  7.  29. 

Sana  VC  Poenicea  deßxit  nomina  cera, 
Kt  medium  tenues  in  jecur  egit  acus? 
Das  Nehmen    der  männlichen  Kraft  findet   sich  schon  bei  Herod,  II.  181.  wo 
jedoch  das  Mittel  nicht  naher  bezeichnet  ist.     Amasis  sagt  zu  Ladike :  'Ü  j Ovat, 

»)  Justin,  Apol.  II.  p.  65.  Tertullian.  Apologet.  23.  Irtnacuj  1.  24. 
Arnoit.  adv.  ^enl.  I.  p.  25. 

*)  dem,  Rom.  Recognit.  II.  pag.  33.  Ed.  Basil.  1526. 

*)  Der  Sieg  im  Wettrennen  wurde  der  Zauberkunst  so  häufig  beigemessen, 
dass  die  aurigae  oder  agitatores  dcsshalb  wahrhaft  verrufen  waren.  S.  Gotkt*- 
fr  ed.  ad  Cod.  Theodos.  üb.  IX.     Tit.  16.     Leg.  II. 

•j  Simon  der  Magier  prahlt  in  den  Clementinischen  Recognitionen  (lib.  II. 
p.  32}  folgendermassen :  Possum  facere,  ut  volentibus  nie  coiiiprchendere  non 
appaream,  et  rursus  volens  videri  palam  sim.  Si  fupere  velim.  montes  per- 
fr)rem  et  saxa  i|uasi  lutum  pertranseam.  Si  me  de  monte  excelso  praecipitem, 
tanquam  subvectu.s  ad  terras  illaesus  dcferar.  Vinctus  niemet  ipsum  solvam, 
cos  ven).  qui  in  vincula  injecerint,  vinctos  reddam.  In  carcerc  conligatus, 
claustra  sponte  patefieri  faciant;   statuas  animatas  reddam.  ita  ut  putentur  ab 


Die  Etrusker  und  Rftnier, 


73 


mittel  erwähnt  werden ;  wir  gedenken  jedoch  hier  nur  noch 
der  vielgepriesenen  magischen  Ringe,  welche  theils  der 
Mantik  dienten,  theils  dem  Körper  Gesundheit,  Kraft, 
Schönheit  imd  Unverwundbarkeit  geben  sollten^). 

Da  es  dem  Römer  an  einem  Begriffe  fehlte,  welcher 
die  in  ihrer  Erscheinung  und  Absicht  so  verschiedenen 
Zauberübungen  in  der  Art  zur  Einheit  hätte  verbinden 
können,  wie  diess  in  der  christlichen  Zeit  durch  die  Vor- 
stellung von  dem  Bündnisse  mit  dem  Teufel  geschehen  ist, 
so  konnte  er  auch  kein  allgemeines  Gesetz  gegen  Zauberei 
haben.  Die  Strafbestimmungen  aus  der  vorchristlichen  Zeit 
sind  desshalb  ganz  speziell  gehalten  und  gehen  sämmtlich 
von  dem  Gesichtspunkte  des  durch  zauberische  Hand- 
lungen oder  durch  Zauberer  selbst  verursachten  Schadens 
aus.  Sie  sind  theils  wirkliche  Gesetze,  theils  vorüber- 
gehende Polizeimassregeln.  Schon  die  zwölf  Tafeln  ent- 
halten eine  Bestimmung,  welche  den  Schutz  des  Eigen- 
thums  bezweckt  *).  Es  wird  eine  Strafe  gegen  denjenigen 
verhängt,  welcher  die  Erzeugnisse  des  Bodens  durch  ex- 
cantatio  von  fremden  Aeckem  zu  sich  herüberlockt.  Bei 
Plinius  findet  sich  ein  Beispiel,  dass  auf  den  Grund  dieses 
Gesetzes  eine  wirkliche  Anklage  erhoben  wurde  ^).  Seneca 
berichtet  (Quaest.  nat.  IV,  7),  dass  auf  Veranstaltung  der 
Decurionen  Feldhüter  zur  Strafe  gezogen  worden  seien, 
weil  sie  deis  zauberische  Verhageln  von  Saaten  und  Wein- 
pflanzungen nicht  verhindert  hätten.  —  Plinius  (Hist.  nat.  28) 
theilt  mit,  dass  ein  ganzer  Oelberg,  der  einem  Verwalter 


üs,  qui  vident,  horoines  esse ;  novas  arbores  subito  oriri  faciam ,  et  repentina 
virgulta  producam.  In  ignem  mcmet  ipsum  projiciens,  non  ardeam ;  vultum 
meum  comiuuto,  ut  non  agnoscar,  sed  et  duas  facies  habere  nie  possum  ho- 
minibus  ostendere.  Ovis  aut  capra  efficiar,  pueris  parvis  barbain  producam ; 
m  acrem  volando  invehar,  auruni  plurimum  ostendam;  reges  faciam  eusque 
dejiciain.  Adorabor  ut  deus,  publice  divinis  donabor  honoribus ,  ita  -ut  simu- 
lacrum  mihi  statuentes  tanquam  deum  colant  et  adorent.  Et  quid  opus  est 
inulta  dicere?  quidquid  voluero  facere,  potero.    Etc. 

*)  C/em,  Alex,  Strom.  I.  /.ucian.  Navig.  42  f.  Philostr.  vit.  Apoll.  III. 

*)  Seneca  Quaest.  nat.  IV.  7. 

»)  PUn,  H.  N.  XVlll.  6. 


^4  Fünftes  Kapitel. 

des  Kaisers  Nero  gehörte,  infolge  einer  excantatio  sich 
plötzlich  sammt  den  auf  ihm  stehenden  Wirthschaftsge- 
bäuden  erhoben  und,  die  öffentliche  Strasse  innehaltend, 
sich  anderswohin  geschoben  habe  ^).  Viele  italische  Flur- 
gesetze verboten,  eine  Spindel  im  Freien  zu  drehen  oder 
auch  nur  un verdeckt  zu  tragen  ^) ;  man  glaubte  nämlich, 
dass  dadurch  die  Hoffnungen  des  Landmanns  vernichtet 
würden.  Den  Schutz  der  Person  beabsichtigte  die  Lex 
Cornelia  de  sicariis  et  veneficis.  Tödtung  durch  Zauberei 
sollte  nach  derselben  mit  der  höchsten  Strafe  belegt  werden  ^). 
Nach  Marcian^)  bestand  die  ursprüngliche  Strafe  in  De- 
portation und  Gütereinziehung;  die  spätere  Praxis  verfugte 
bei  Niedrigen  die  Tödtung  durch  wilde  Thiere,  bei  Vor- 
nehmeren die  Verbannung  auf  eine  Insel.  In  den  Zeiten 
des  Freistaats  wurde  mehrmals  polizeilich  eingeschritten, 
wenn  gewinnsüchtige  Betrüger  die  öffentliche  Meinung 
durch  fremde  Vaticinien  irre  zu  leiten  suchten  *).  Eine 
solche  Massregel  war  schon  im  J.  425  v.  Chr.  nöthig  ge- 
worden. Im  Jahre  139  verwies  ein  Edict  des  Prätors 
Cornelius  Hispallus  die  Chaldäer  unter  ausdrücklicher  Her- 
vorhebung ihrer  habsüchtigen  Betrügereien  aus  Italien  •). 
Sulla,  obgleich  Urheber  des  Gesetzes  gegen  zauberische 
Tödtung,  war  ein  Verehrer  der  magischen  Weissagungen ; 
tlagegen  sahen  sich  unter  August  (t  14  nach  Chr.)  wie- 
derum die  Astrologen  durch  Agrippa  vertrieben  ').  Ihre 
Schicksale    unter    den   folgenden   Kaisem    hingen    haupt- 

')  Die  Belege  für  diese  Mittheilungen  s.  in  der  angezogenen  Abh«in(ilun}; 
Jahn's. 

2j  Ptin.  H.  N.  XXVllI.  2. 

^)  Kadern  lege  et  venefici  capite  daninantur,  qui  artibus  odiosis,  tani 
venenis,  quam  susurris  magicis  homines  occiderint,  vel  mala  medicamenta 
publice  vendiderint.     Institut.  IV.  Tit.  XVlIl.  5. 

*)  Digest.  XLVIII.   Tit.  VIII.  2.  4. 

*)  Liv,  W,  30.  XXV.  1.  —  Vaticinatores.  qui  se  deo  plenos  adsimuUnt. 
idcirco  civitate  cxpelli  placuit,  ne  humana  credulitate  publici  mores  ad  speni 
alicujus  rei  corrumperentur.  vel  certe  ex  eo  populäres  animi  turbarentur.  Paul, 
Sentent.  V.  21.   1. 

•)    Valir.  Max,  I.  3. 

")  />/i>  Cafs.  Lib.  4C).  pag.  60.  ed.  Rcimar, 


Die  Etrusker  und  Rftmer. 


75 


sächlich  von  persönlichen  und  politischen  Verhältnissen 
ab;  aus  vorkommenden  Ereignissen  nahm  man  bald  zur 
Unterdrückung,  bald  zur  Begünstigung  des  magischen 
Treibens  Veranlassung.  Alles,  was  die  Geschichte  hierüber 
gibt,  scheint  zu  dem  Ergebnisse  zu  fuhren ,  dass  nirgends 
die  Magie  an  sich  bestraft  wurde,  sondern  nur  da,  wo  sie 
mit  eigentlichen  Verbrechen,  wie  Mord,  Aufruhr  und  ganz 
besonders  mit  der  Beleidigung  der  Person  des  Kaisers,  in 
Verbindung  trat  ^).  Wie  die  Staatsmantik  den  Zwecken 
der  Regierung  diente,  so  mussten  die  chaldäischen  Künste 
in  den  Händen  von  Privaten  durch  Verführung  der  leicht- 
gläubigen Masse  leicht  feindselig  wirken  können  2);  darum 
gebot  die  Politik,  die  Inhaber  und  Benutzer  derselben  ent- 
weder durch  Verfolgung  unschädlich  zu  machen,  oder  durch 
Belohnungen  an  den  Thron  zu  ketten.  Sobald  aber  ein- 
mal auf  die  Denunciation  geheimer  Künste  verfahren  wurde, 
war  die  Möglichkeit  gegeben,  dass  Argwohn,  Habsucht 
imd  Feindschaft  auch  abergläubische  Begehungen  von  ganz 
unschuldiger  Art  zur  Strafe  zog. 

Tacitus  berichtet  von  nicht  weniger  als  drei  ver- 
schiedenen Verordnungen,  welche  die  Verbannimg  der 
Magier  verfugten,  und  bei  der  Erwähnung  der  dritten  drängt 


^)  Tertull,  Apologet.  35.  —  Eadem  ofRcia  [impietatis  in  Principem]  de- 
pendunt    et   qui    astrologos    et  haruspices   et   augures   et   magos  de  Caesarum 

capite  Consultant Cui  autem  opus  est  perscrutari  super  Caesaris  salute, 

nisi  a  quo  aliquid  adversus  illam  cogitatur,  vel  optatur  ?  aut  post  illam  speratur 
et  sustinetur?  Non  enim  ea  mente  de  caris  consulitur,  qua  de  dominis ;  aliter 
curiosa  est  sollicitudo  sanguinis,  aliter  servitutis.  —  Paui,  Sentent.  I.  V.  tit.  2 1 . 
§.  3.  Qui  de  salute  principis  vel  de  summa  reipublicae  mathematicos,  ariolos, 
ani5pices«  vaticinatores  consulit,  cum  eo,  qui  respondcrit,  capite  punitur.  — 
Diesem  analog  wurden  die  Sklaven,  die  Ober  das  Schicksal  ihres  Herrn  (de 
salute  domioorum)  Wahrsager  befragten,  gekreuzigt.  Patil,  Sent.  lib.  V. 
tit.  21.  §.  4. 

*)  Darauf  machte  Mäcenas  den  Kaiser  Augustus  aufmerksam.  Dio  Cass,  LIT, 
p.  68q,  ed.  Reimar.  —   —  ixavTixv]  |jlIv  y«P  ftva^xald  saxt,  xal  ^dvitü^  xivdc 

■jtai  Up'jiccac  xat  otcuvtaxd«;  öcTcoSst^ov, toüc  oe  S"f)  i^aY^utd?  Kdvu 

oäx  elvai  itpooTjXfif  koXXoü?  y^P  '^oXXdxt^  ot  xotootoc,  xot  jj.sv  xtva  aX-yj-d^,  xa 
%&  ^Tj  icXeio)  4/6u3y2  Xl^ovxe«;,  veo)(jj.oöv  Jitatpoüat.  —  Auch  vor  den  Philo- 
sophen wird  unter  diesem  Gesichtspunkt  gewarnt. 


y6  Fünftes  Kapitel. 

ihm  sein  patriotischer  Grimm  die  Bemerkting  ab,  dass  man 
diese  schädliche  Menschenklasse  in  Rom  stets  verdamme 
und  doch  niemals  von  ihr  loskommen  könne  *).  Tiberius 
(14 — 37)  hatte  ganze  Schaaren  von  ihnen  in  Caprea  um 
sich  versammelt;  als  aber  Libo  Drusus,  dufch  ihre  Weis- 
sagungen verlockt,  mit  Neuerungen  umging,  wurden  zwei 
Mathematiker  hingerichtet  und  die  übrigen  durch  Senats- 
beschluss  aus  Italien  verwiesen  2).  Beim  Tode  des  G  e  r- 
manicus  fiel  der  Verdacht  des  Meuchelmordes  auf  Nie- 
manden mit  mehr  Grund,  als  auf  den  Kaiser  selbst ;  man 
fand  es  jedoch  angemessen,  das  Gerücht  zu  verbreiten, 
dass  Piso  durch  Zaubersprüche  und  den  in  eine  Bleitafel 
eingeschnittenen  Namen  des  Ermordeten  die  Uebelthat  be- 
gangen habe^).  Sehr  gehässige  Anklagen  kamen  auch 
imter  Claudius  (41 — 54)  vor.  Furius  Scribonianus  ward 
verbannt,  weil  er  über  den  Tod,  Lollia,  weU  sie  über  die 
Vermählung  des  Kaisers  die  Chaldäer  befragt  haben  sollte  *). 
Letztere  fiel  als  Opfer  von  Agrippina's  Eifersucht.  Erwägt 
man  aber,  dass  eben  diese  Agrippina,  die  hier  die  An- 
klage der  Magie  erhob,  selbst  diesem  Aberglauben  er- 
geben war  und  noch  bei  des  Claudius  Tod  sich  auf  Sprüche 
der  Chaldäer  berief  ^),  so  ergibt  sich  daraus,  dass  an  Furius 
und  Lollia  nicht  die  chaldäische  Kunst  an  sich,  sondern 
das  mittelst  derselben  verübte  Majestätsverbrechen  bestraft 
wurde.  Diess  wird  noch  einleuchtender  dadurch,  dass  neben 
den  Magiern  und  Chaldäern  auch  das  Orakel  des  kla- 
rischen Apollon  als  von  Lollia  befragt  genannt  wird, 
eine  Handlung,  die  unzweifelhaft  nur  wegen  des  Gegen- 
stands   der  Frage   zum  Verbrechen   gestempelt  werden 


M  (jcnu-s  hominuni  potentibus  infidum,  sperantibus  fallax,  quod  in  civiut^ 
noslra  et  vctabitur  semper,  et  retinebitur.    Hist.  I.  22. 

■)  Tac,  Annal.  IL  32.  Tiberius  verbot  selbst,  die  Uaruspices  insge- 
heim  und  ohne  Zeugen  zu  befragen,  und  liess  die  in  der  Nähe  der  Stadt  j:r- 
IcKencn  Orakel  zerstören  (Suiton,  Tiber.  63).  Es  iJVsst  sich  hierin  nur  die 
Furcht  vor  Befragungen  ober  seine  eigene  Person  erkennen, 

»)   lac,  Annal.  II.  69. 

*)   Tac,  Annal.  XII.  22  u.  52. 

»)   Tac.  Ann.  XU.  68,  vgl.  XIV.  9. 


Die  Etrusker  und  Römer. 


77 


konnte.  Das  Senatusconsult  zur  Vertreibung  der  Mathe- 
matiker unter  dem  schwachen  Claudius  ^)  war  eben  wegen 
der  Vorliebe  der  Kaiserin  für  dieselben  ohne  Erfolg.  Unter 
Nero  (54 — 68),  obgleich  auch  er  eine  Zeitlang  der  ge- 
heimen Kunst  anhing  *) ,  wiederholten  sich  Anklagen  in 
ähnlichem  Sinne.  Zwei  Bürger,  deren  Treue  verdächtig 
schien,  sollten  aus  dem  Wege  geräumt  werden;  man  ver- 
urtheilte  sie  unter  dem  Vorwande,  dass  sie  die  Nativität 
des  Kaisers  gestellt  hätten,  zum  Tode;  sie  kamen  der 
Vollstreckung  des  Urtheils  durch  Selbstmord  zuvor  ^).  Ser- 
vilia,  die  Tochter  des  unschuldig  verfolgten  Barea  Soranus, 
musste  den  Tod  leiden,  weil  man  ihr  Schuld  gab,  ihr  Ge- 
schmeide hergegeben  zu  haben,  um  von  den  Magiern  über 
die  Wendung  des  Schicksals  ihres  Vaters  und  die  Dauer 
des  kaiserlichen  Zornes  Aufschluss  zu  erhalten  *).  An 
Otho  fanden  die  Chaldäer  wiederum  einen  eifrigen  Jünger; 
durch  ihre  AVeissagungen  bestärkt,  hatte  er  sich  ja  zu 
Galba's  Sturze  erhoben  •^) ;  nichts  war  darum  natürlicher, 
als  dass  sie  nach  seiner  kurzen  Regierung  vor  Galba's 
Rächer  Vitellius  das  Weite  suchen  mussten  ^).  So  zeigt 
uns  Tacitus  die  Schicksale  der  Magier  fast  durchgängig 
in  nächster  Beziehung  zur  Person  des  Regenten ;  nirgends 
gibt  er  ein  Beispiel,  dass  die  Anklage  der  Magie  an  sich 
erhoben  worden  wäre.  Bei  Mamercus  Scaurus  unter  Ti- 
berius  erscheint  sie  im  Gefolge  des  Ehebruchs  mit  Livia  ^), 
bei  Statilius  Taurus,  nach  dessen  schönen  Gärten  Agrip- 
pina  strebte,  wird  sie  dem  crimen  repetundarum  beige- 
geben *) ;  in  beiden  Fällen  lässt  es  die  Kürze  des  Geschicht- 
schreibers zweifelhaft,  ob  nicht  auch  hier  Majestätsbeleidigung 
mit  ins  Spiel  kam.     Im  letzteren  Falle  drang  die  Kaiserin 


')  rac,  Ann.  XII.  52. 

*)  Nemo  unquam  ulli  artium  validius  favit.  P/m.  H.  N.  XXX.  2. 

*)  Tac,  Ann.  XVI.  14. 

*)  Tac,  Ann.  XVI.  30. 

*)  Tac,  Hist.  I.  22. 

•)  Tac.  Hist.  II.  62. 

»)  Tac,  Ann.  VI.  29. 

•)  Tac,  Ann.  Xlf.  59. 


1 


y8  Fünftes  Kapitel. 

nicht  einmal  durch ;  ihr  Werkzeug",  der  nichtsj^ürdige  Tar- 
quinius  Priscus,  wurde  aus  der  Kurie  gestossen. 

Die  folgende  Zeit  zeigt  unter  den  Kaisem  weit  mehr 
Freunde,  als  Feinde  des  magischen  Unwesens.  Hadrian 
(117 — 138)*),  Marcus  Aurelius  (161 — 180)  *)  und  Ale- 
xander Severus  {222 — 235)  ^)  werden  unter  den  ersteren 
genannt;  Maximin  verschleuderte  an  die  Gaukler,  die  ihn 
missbrauchten,  die  angesehensten  Staatsämter  ^);  Maxen- 
ti  u  s  (1312)  schnitt  schwangeren  Weibern  und  neugeborenen 
Kindern  den  Leib  auf,  um  seine  verruchten  Extispicien 
anzustellen  ^). 

Dabei  ist  aber  zu  beachten,  dass  die  Kaiser  immer 
im  Alleinbesitz  der  Kenntniss  der  Zukunft  zu  sein  wünsch- 
ten. Daher  zogen  dieselben  eine  Menge  von  Sterndeutern 
u.  dgl.  an  ihre  Höfe,  während  sie  dieselben  in  den  Pro- 
vinzen verfolgen  oder  sie  wenigstens  in  dieselben  ver- 
bannen Hessen  *). 

Während  so  die  divinatorische  Seite  der  Magie  am 
meisten  hervortrat,  blieb  jedoch  auch  die  operative  nicht 
ohne  Anwendung.  Die  Veneficien  zur  Tödtung  und  zum 
Liebeszauber  ^),  zusammengesetzt  aus  leeren  Formeln  und 
wirklichen  Mitteln,  wurden  von  den  höchsten  Personen 
geübt,  wussten  sich  aber  sorgfaltiger  in  die  Nacht  des 
Geheimnisses  zu  verstecken.  Caligula's  ungebärdiger  Wahn- 
sinn   wurde    zum    grossen    Theile     einem  Philtrum    zuge- 


*)  Ae/.  Spartian,  vit.  Adrian.  2  u.   l6.     Mathesin  sie  scire  sibi  visus  est, 
ut  sero  Calendis  Januariis  scripserit,  quid  ei  toto  anno  passet  evenire. 

«)  yul,  CapitoHn.   v.  Marc.    Aurcl.    19.     Vgl.  Dio  Cass,  LXXI.   p.   U87. 
Reimar. 

')  Aruspicibus    et     rnathematicis    salaria    instituit    et   auditoria    decrcvit. 
Lamprid   44. 

^)  pMseh.  Uist.  Eccles.  VlII.   14. 

''j  Eus€b    a.  a.  ().  und  IX.  y. 

•)  V^I.  Maury,  Histoire  de  la  Magic  (Paris,    l86t)),  eh.  IV. 

')  Hie  niagicos  aflfert  cantus,  hie  Thessala  vendit 
Philtra,  (|uit)us  valeant  mentein  vexarc  inariti. 

Juvifuti.  VI.  6oi^. 


Die  Etrusker  und  Römer.  yn 

schrieben,  das  ihm  seine  Gemahlin  Cäsonia  gegeben  ^) ;  die 
wollüstige  Agrippina  verstand  für  ihre  Buhler  das  Hippo- 
manes  eben  so  geschickt  zu  bereiten,  als  den  giftigen  Pilz 
fiir  ihren  schwachköpfigen  Gemahl  2).  Zwar  fing  man  an, 
die  Lex  Cornelia  de  sicariis  nun  auch  auf  die  Zauber  zur 
Todtungund  die  Lieb  estränke  auszudehnen  3);  aber  der  son- 
stige Gebrauch  magischer  Mittel,  namentlich  zu  Heilungen, 
blieb  unbestraft.  Doch  findet  sich  bei  Ulpian  die  Bestim- 
mimg, dass  denjenigen,  welche  magische  Heilungen  ver- 
richten, keine  Klage  auf  Honorar  zustehe  *). 

Unter  den  Prozessen  wegen  Bezauberung  von  Men- 
schen ist  in  der  Kaiserzeit  einer  der  merkwürdigsten  der- 
jenige, in  welchen  sich  der  im  zweiten  Jahrhundert  lebende 
platonische  Philosoph  und  Sachwalter  Apulejus  aus 
Madaura  in  Afrika,  der  auf  Reisen  durch  Griechenland  in 
die  dortigen  Mysterien  eingeweiht  war,  verwickelt  sah. 
Nach  seiner  Vermählung  mit  der  reichen  Wittwe  Puden- 
tilla  wurde  er  vor.  dem  Proconsul  von  Afrika  angeklagt, 
die  Liebe  derselben  durch  böse  Kunst  erworben  zu  haben. 
Dieser  Anklage  verdanken  wir  die  schätzbare  Apologia  de 
magia,  in  welcher  Apulejus  nicht  nur  mit  siegenden  Gründen 
darthut,  dass  die  Liebe  einer  Wittwe  auch  ohne  Zauberei 
zu  gewinnen  sei,  sondern  auch  treffliche  Mittheilungen  über 
die  geistigen  Zustände  seines  Zeitalters  gegeben  hat.  Der 
Prozess   endigte  mit  der  Freisprechung  des  Angeklagten. 


*)  —  —  —  —  —  Tarnen  hoc  tolerabile,  si  non 

Et  furere  incipias,  ut  avunculus  ille  Neronis, 

Cui  totam  treniuli  frontem  Caesonia  pulli 

Infudit.  Quae  non  faciat,  quod  Principis  uxor? 

Juvenal,  VI.  614. 
*)  Juvenal.  VI.    133.     Ueber   das  Hippomanes    s.   Saimas,    Exerc.    Plin. 

p.  659  ff. 

')  S.  oben^  ausserdem  Paul.  Sentent.  V.  23  ad  leg.  Cornel.  Si  sacra 
impia  nocturnavc,  u^  quem  obcantarent,  interficerent,  obligarent,  fecerint  facien- 
dave  curaverint,  aut  cnici  suffiguntur,  aut  bestiis  objiciuntur.  —  Qui  abortionis 
aut  amatoriuni  poculum  dant,  etsi  dolo  non  faciant,  tarnen  quia  raali  exempli 
res  est,  humiliores  in  metalluni,  honestiores  in  insulam,  amissa  parte  bonorum, 
relegantur.     Quodsi  eo  mulier  aut  honio  perierit,  summo  supplicio  afficiuntur. 

*)  Digest,  V.  Tit.  XIII.  3. 


8o  Fünftes  Kapitel. 

Der  dreihundertjährige  Kampf,  welchen  die  christliche 
Religion  durchzukämpfen  hatte,  ehe  sie  ihren  Sieg  feierte, 
bietet  Momente  dar,  die  auch  für  die  Gestaltung  der  Magie 
von  Belang  sind.  Es  ist  besonders  die  theurgische  Seite 
derselben,  welche  seit  dem  dritten  Jahrhundert  auffallend 
hervortritt. 

Wenn   eine  herrschende  Religion  mit  dem  Zeitgeiste 
in  Widerspruch  zu  treten  anfängt,  so  sucht  sie,  sofern  ihr 
nicht  die  öffentliche  Gewalt  mit  despotischem  Schutze  zur 
Seite  stehen  will  oder  kann,  ein  Abkommen  mit  dem  Zeit- 
geiste   zu  treffen,   indem  sie  entweder  Begriffe   und   An- 
sichten   der   Zeit   unter    möglichster  Belassxmg   der    alten 
Formen   in   sich  aufnimmt,   oder    die  alten,    in  Misskredit 
gerathenen  Lehren  auf  dem  Wege  einer  bald  sophistischen, 
bald  schwärmerischen  Spekulation  als  vernunftgemäss  dar- 
zustellen imd  von  Neuem  zu  begründen  strebt.     Nachdem 
in  Alexandria   das  absterbende  Judenthum   durch  die  Be- 
mühungen eines  Philo  und  Josephus  in  den  aufgenommenen 
Ideen  griechischer  Philosophen,  namentlich  Platon's,    eine 
neue  Stütze  gewonnen,  ja  sogar  schon  früher  durch  Ari- 
steas  und  Aristobulus  alles  Gute  der  griechischen  Philosophie 
als    ursprünglich    hebräisches  Eigenthum  reklamirt    hatte, 
wurde    in  den  Träumereien    der  Kabbalah   die   schon  seit 
dem  Exil  einheimische  Dämonenlehre  so  scharf  ausgeprägt  *), 
dass  dies(»s  Gemisch  excentrischer  Ideen  noch  vor  wenigen 
Jahrhunderten  nicht   nur  als  die  wissenschaftliche  Grund- 
lage gewisser  Arten  der  Magie ,  sondern  auch  als  Quelle 
höherer  Weisheit    überhaupt   angestaunt    werden   konnte. 

Doch  war  dieses  für  die  weitere  Entwicklung  des 
Aberglaubens  im  Abendland  von  geringerer  Bedeutung. 
Dim  belangreichsten  Einfluss  übte  dagegen  auf  die  Vor- 
stellungswelt der  abendländischen  Christenheit  nicht  nur 
durch  das  Mittelalter  hindurch,  sondern  auch  bis  in  die 
neuere  Zeit  hin  der  letzte  Entwicklungsgang  der  griechi- 
schen Philosophie  aus. 

Der  Verfall  d(;r  alten  Welt,  die  Auflösung  der  relif^os- 

*)   Knorr  de  Roacnrotk  Kalil>ala  (k-iuid.ila.     Krancof.    1684. 


Die  Etru3ker  und  Römer.  gl 

sittlichen  Grundlagen  derselben  war  im  Skepticismus  zu 
Tage  getreten.  Alle  diejenigen,  welche,  philosophisch  ge- 
bildet, diese  Thatsache  erkannten,  fühlten  sich  hierdurch 
zu  dem  Streben  angeregt,  die  Anschauungen  der  älteren 
(griechischen)  Philosophie  mit  der  modernen,  von  dem 
alten  polytheistischen  Volksglauben  sich  abwendenden  Bil- 
dung so  zu  vermitteln,  dsiss  diese  wiederum  in  jener  ihre 
Grundlage  finden  konnte.  So  entstand  die  Schule  der 
Neu-Pythagoräer,  deren  Heros  Apollonius  von 
Tyana,  und  deren  wissenschaftliche  Vertreter  Plutarch 
von  Chäronea  und  Numenius  von  Apamea  waren,  — 
jener  als  Anhänger  Plato's,  dieser  als  Vertreter  der  orien- 
talischen Denkweise.  Unter  ihnen  bemühte  sich  namentlich 
Plutarch  um  die  Ausbildung  der  Dämonenlehre  *),  indem 
er  die  Nachweisimg  einer  Dämonen  weit,  welche  zwischen 
Göttern  und  Menschen  stehe  und  beide  miteinander  ver- 
mittele, als  das  bedeutendste  Ergebniss  der  philosophischen 
Forschung  ansah.  Doch  war  der  Neu-Pythagoräismus  nur 
der  Vorläufer  einer  anderen  Erscheinung,  mit  welcher  die 
Entwicklung  des  philosophischen  Geistes  der  alten  Welt 
zu  Ende  ging.  Es  war  dieses  der  Neuplatonismus  *). 
Derselbe  war  der  letzte,  wesentlich  durch  die  Geistes- 
macht des  Christenthums  sollizitirte  Versuch  der  antiken 
Welt  ein  philosophisches  System  zu  liefern,  welches  an- 
geblich auf  Plato  beruhend,  alles  Sein  und  Denken  in 
seiner  Einheitlichkeit  darstellen  und  dem  menschlichen 
Geiste  ein  allen  skeptischen  Einwürfen  entrücktes  Erfassen 
der  absoluten  Wahrheit  gewähren  sollte.  Nicht  ausser 
sich  sondern  in  sich  selbst,  nicht  durch  Vermittlung  des 
Denkens,  sondern  durch  mystisches,  ekstatisches  Sich- Ver- 
senken in  die  Tiefen  des  Absoluten  sollte  der  Mensch 
zum  unmittelbaren  Erfassen  und  Anschauen  des  Einen, 
allgemeinen   Grundes   alles  Seins  gelangen.     Von   diesem 


*)  Frud!änder,  Darstellungen  aus  der  Sittengesch.    Roms     (Leipz.    1871), 

B.  III.  S.  431. 

*)  Vgl.  über  denselben  Ritter,  Gesch.  der  Philosophie,  Th.  IV.  und  Zellcr, 
die  Philosophie  der  Griechen,  Th.  III. 

Ao1dan>Ueppe,  Uezenprozesse.  ^ 


82  Fünftes  Kapitel. 

Gedanken  aus  ward  das  System  des  Neuplatonismus  zuerst 
von  Plotin  (t  270  nach  Chr.),  dem  Schüler  des  gefeierten 
Ammonius  Sakkas,  aufgeführt,  und  hernach  von  Por- 
phyrius  (t  304  zu  Rom),  Jamblichus  und  Anderen 
weiter  ausgebaut.  Aber  schon  bei  Porphyrius  zeigte  sich 
die  Hinneigung  des  neuplatonischen  Geistes  zu  einer  aber- 
gläubigen, in  allerlei  Beschwörungen,  Exorcismen,  Reini- 
gungen etc.  arbeitenden  Theurgie ,  von  welcher  späterhin, 
namentlich  seit  dem  Auftreten  des  Proclus,  der  Neu- 
platonismus vollständig  beherrscht  und  absorbirt  wnrde. 
Porphyr  erhob  sich  bereits  zum  Vertrauten  und  Priester 
der  Gottheit,  der  aus  unmittelbarer  Anschauung  über  die 
tiefsten  Geheimnisse  Aufschluss  geben  könne,  Idassifizirte 
die  Geister  aufs  Genaueste,  bezeichnete  die  Erscheinungen 
der  einzelnen  Dämonen  nach  ihren  verschiedenen  Merk- 
malen und  stellte  die  Theurgie,  als  Wissenschaft  des  Ueber- 
natürlichen,  über  die  Philosophie  und  alles  übrige  mensch- 
liche Wissen.  Sie  ist  ihm  die  Wissenschaft  geheimniss- 
voller Gebräuche,  Worte  und  Opfer,  vermittelst  deren  die 
Götter  und  Dämonen  zur  Erscheinung  gezwungen  werden  *). 
Angebliche  hermetische  Schriften,  aus  denen  auch  Pytha- 
goras  und  Piaton  ihre  Weisheit  gezogen  haben  sollen,  sind 
ihm  die  Quellen,  aus  welchen  die  Rechtfertigung  seiner 
Schwärmereien  fliesst.  Die  Procedur,  welche  zur  Vereini- 
gung mit  der  (xottheit  führen  soll  ^) ,  ist  später  von  den 
Romandichtern  oft  kopirt  worden.  Zuerst  Reinigung  durch 
Besprengung  und  Räuchern  mit  geheimnissvollen  Kräutern 
und  Steinen,  vermuthlich  von  narkotischer  Wirkung;  dann 
Beschwörung  der  oberen  und  unteren  Götter  imter  furcht- 
baren Drohungen;  dann  die  geheimen  Zeichen  der  gött- 
lichen Mächte,  Charaktere  genannt,  nach  den  Vorschriften 


*)  Das  Zwingen  der  Däinunen  unter  den  Willen  des  Magiers  erscheint 
Übrigens  schon  weit  früher,  nur  weniger  im  Gewände  des  Systeme.  Bereits 
Clemens  von  Alexandrien  sagt :  Ma^oi  Si  r^tT^  a^sßsla;  t9j^  o^äv  abtiov  hirr^ 
petag  Saijxovoi^  afV/oo^iv.  oixeTa;  «arütoü^  fea'jtol;;  xaTai^pi']^avttg  ,  tot»^  x»rr- 
va^xotapivo');,  ?iO''Ao');  Tat;  r::ao'.5at;  ittTCotYjXovt^.  Admonit.  ad  gentes,  piig.  3*^ 
od.  Svib. 

')  Lobffk  Aglaopham.  p,   104  ff. 


Die  Etruskcr  und  RAmer.  g^ 

der  Kunst  angewendet;  auch  das  geweihte,  Rad  oder  der 
Zauberhaspel  darf  nicht  fehlen.  Nun  verfinstert  sich  der 
Himmel,  die  Erde  bebt,  feurige  Erscheinungen  blenden  das 
Auge  der  Anwesenden,  hüpfen  als  Lichter  umher  oder 
nehmen  Thiergestalt  an;  endlich  lässt  sich  die  donnernde 
Götterstimme  hören  und  offenbart  das  Verborgene.  Dieses 
nannte  man  eine  Weihung  (reXfir?)),  und  dem  so  Einge- 
weihten versprach  man  unmittelbaren  Verkehr  mit  dem 
Himmel,  Freiheit  von  allen  Schwächen  und  Widrigkeiten 
dieses  Lebens,  ja  selbst  die  leibliche  Unsterblichkeit.  Der 
Abkürzung  und  Bequemlichkeit  halber  liess  man  auch  zu- 
weilen den  Einzuweihenden  nicht  mit  eigenen  Augen  sehen ; 
der  Beschwörer  übernahm  diess  Geschäft  für  ihn  und  spielte 
dann  dieselbe  Rolle,  die  der  Schauspieldichter  oft  einem 
Wächter  anweist,  der,  von  einer  Mauerbrüstung  herab 
hinter  die  Coulissen  schauend,  dem  Zuhörer  einen  See- 
sturm oder  ein  Schlachtgetümmel  schildern  muss.  In 
diesem  Falle  hiess  der  Eingeweihte  nicht  Autopt,  son- 
dern Epopt^).  Solche  Heiligthümer  waren  es,  für  welche 
der  Kaiser  Julian  sich  vom  Christenthum  lossagen  mochte. 
Doch  wohl  ihm,  wenn  er  nur  bei  diesen  stehen  geblieben 
wäre!  Aber  wenn  wir  Cassiodor  glauben  dürfen,  so  fand 
man  nach  dem  Tode  des  Kaisers  unter  seinen  Zauber- 
geräthen  auch  ein  an  den  Haaren  aufgehängtes  Weib,  dem 
er  den  Leib  geöffnet  hatte,  um  aus  der  Leber  den  Erfolg 
des  persischen  Feldzugs  zu  bestimmen  ^). 

Die  Wirkung,  welche  der  Neuplatonismus  im  religiösen 
Leben  und  Denken  der  alten  Völker  hervorbrachte,  war 
daher  nicht  die  von  demselben  angestrebte  Neubelebung 
des  antik-religiösen  Geistes,  sondern  die  gänzliche  Auf- 
lösung des  griechisch-römischen  religiösen  Bewusstseins. 
Denn  an  Stelle  der  alten  Mythologie  wurde  ein  religions- 


')  Auch  Lucian's  Pseudomantis  unterschied  zwischen  den  mittelbaren 
Orakeln  und  den  unmittelbaren  ()^pYjo|iot<;  aöto'^wvrjt;) ,  d.  h.  denjenigen,  die 
sein  weissagendes  Schlangenbild  mit  eigenem  Munde  zu  verkünden  schien,  indem 
ein  versteckter  Mensch  mittelst  einer  künstlich  eingefügten  Kranichgurgel  durch 
den  Kopf  desselben  sprach. 

')  Cassiodor,  Hist.  tripart.  XI.  48. 


g^  Fünftes  Kapitel. 

philosophisches  System  substituirt,  in  welchem  wohl  von 
der  absoluten  Einheit,  von  dem  Urgründe  alles  Seins,  von 
der  Urvemunft,  und  von  der  in  die  Einzeldinge  hinein- 
gebildeten Weltseele,  dagegen  von  den  konkreten  Ge- 
stalten des  alten  Mythus  gar  nicht  die  Rede  war.  Daher 
wurde  durch  den  Neuplatonismus,  indem  er  als  Prinzip 
seines  Systems  die  monistische  Gottesidee  geltend  machte, 
die  ganze  griechisch-römische  Gotterwelt  prinzipiell  in  eine 
unter  der  Gottheit  stehende,  zwischen  Himmel  und  Erde 
schwebende  Dämonenwelt  umgesetzt.  Je  weniger  aber  sich 
der  Heide  von  dem  abstrakten  und  leeren  Ur-Eins,  welches 
der  Neuplatonismus  als  Gott  bezeichnete,  innerlich  berührt 
fühlen  konnte,  um  so  stärker  musste  in  ihm  das  Gefühl 
der  Abhängigkeit  von  der  ihn  überall  umgebenden,  xui- 
heimlichen  Dämonenwelt  erregt  werden.  Eine  ganz  neue 
Steigerung  der  Furcht  vor  den  Dämonen  war  daher  die 
wesentlichste  Wirkung,  welche  der  Neuplatonismus  im 
religiösen  Leben  der  alten  Völker  hervorbrachte.  Wusste 
man  doch,  däss  es  aller  Orten  Zauberer  gab,  die  mit  den 
Dämonen  im  Bunde  standen  und  welche  mit  deren  Hilfe 
Krankheiten  und  Plagen  aller  Art  über  den  Menschen 
bringen,  seinen  Geist  mit  trügerischen  Bildern  verwirren, 
vor  Gericht  seine  Zunge  und  in  der  Rennbahn  seine  Pferde 
lähmen,  ihn  in  ein  Thier  verwandeln,  welche  mit  Sturm, 
(Jewitter  und  Hagel  seine  Felder  verwüsten  und  ganze 
Städte  und  Lande  mit  der  Pest  heimsuchen  konnten  !  Die 
dsuTidamovla  —  die  Dämonenangst  oder  der  Angstglaube  — 
die  uns  Plutarch  geschildert  hat,  erfüllte  die  ganze  griechisch- 
römische Welt,  soweit  sie  nicht  in  den  bodenlosesten  Ni- 
hilismus gefallen  war.  Das  griechisch-römische  Heiden- 
thum    war  zum  reinsten  Dämonismus   geworden  *).     AUer- 


')  Vgl.  die  Nachweisungen  bei  ßuchmann,  die  unfreie  und  die  freie  Kirche, 
lireslau  1875,  S.  230  ff.,  insbesondere  aber  die  Citate  aus  PluUrch  bei 
F.  G.  Weicker,  Griech.  Gfttterlehre  U,  S.  141— 142:  ..Die  Leute  (die  Jjt^. 
oaljxove;)  beten  Gotterbildchen  von  Stein,  Erz  oder  Thon  an,  gehen  mit  einem 
Lurbeerzweig  im  Munde  den  Tag  herum,  nachdem  sie  sich  am  Morien  mit 
i^ewascbcnen  Hunden  mit  Weihwa.sser  besprengt  haben,  reinigen  oft  das  Hau«« 
)0HHvn  sich  von   Weibern  beschwpfeln  und    mit  Wasser   aus  drei  brunnen  niil 


Die  Etrusker  und  Römer. 


85 


dings  wurde  der  Glaube  an  Schutzgötter  noch  aufrecht 
erhalten;  allein  das  geringste  Versehen,  welches  bei  dem 
Anrufen  derselben  mitunterlief,  bewirkte  es,  dass  nicht  sie, 
sondern  die  „Antithei"  zur  Stelle  kamen,  „täuschend,  be- 
trügend, irreführend",  wie  Arnobius  (Adv.  gentes,  IV., 
cap.  12)  sagt,  der  dieses  Vorkommniss  als  ein  nicht  sel- 
tenes den  Heiden  zu  Gemüthe  führt.  Vor  der  Tücke  der 
Dämonen  wusste  sich  der  Heide  in  keinem  Augenblick 
mehr  sicher.  Denn  dass  auch  die  draconischen  Gesetze 
der  Kaiser  gegen  dieselben-  keinen  Schutz  gewähren  und 
dem  Unwesen  der  Magie  kein  Ende  machen  konnten,  wusste 
man  längst.  In  Furcht  und  Schrecken  erzitterte  darum 
die  ganze  antike  Welt  und  Verzweiflung,  Furöht  und 
Schrecken  war  das  Ende,  in  welches  das  Leben  derselben 
auslief. 


Salz  und  Linsen  darin  begiessen ,  fragen  nach  jedem  Traum  den  Traumdeuter, 
Montis  und  Vogelschauer,  zu  welchem  Gölte  oder  zu  welcher  Göttin  sie  beten 
sollen,    gehen  mit  der  Frau,  oder,  wenn  diese  verhindert  ist,    mit  der  Amme 
und  den  Kindern  monatlich  zu  den  Orpheotelesten,  um  sich  weihen  zu  lassen. 
Wenn  dem  8ei3iSac|i.u>y  eine  Maus  den  Mehlsack  durchbissen  hat,  fragt  er  den 
Exegetes,  und  wenn  dieser  ihm  räth,    ihn  flicken  zu  lassen,  so  thut  er  dieses 
nicht  einmal,  sondern  opfert  dennoch;  bricht  ihm  beim  Anbinden  des  Schuhes 
der  Riemen,  so  erschrickt  er,  und  weiss  nicht,  was  er  thun  soll.     Wenn  ihm 
das  geringste  Uebel  zustösst,    sitzt  er  hin  und  klagt,  dass  er  gottvertiasst  sei, 
gestraft  werde,  thut  nichts  gegen  den  Schaden,    damit  er  nicht  gegen  die  gött- 
liche Zuchtruthe  sich  aufzulehnen  scheine,  weist  jeden  Zuspruch  zurück  („Lasse 
mich  den  Göttern  und  Dämonen  Verhassten  Strafe  leiden"),  setzt  sich  ausser 
dem  Hause,    einen  Sack  umgehängt   oder  mit  schmutzigen  Lumpen  umgürtet, 
wälzt  sich  nackt  im  Koth  und  verkündigt  dabei  gewisse  Sünden  und  Versehen 
von  sich,  als  dass  er  diess  oder  das  gegessen  oder  getrunken  habe  oder  einen 
Weg  gegangen  sei,   den    das  Dämonion  nicht  wollte,  oder  sitzt  wenigstens  zu 
Uause    und    lässt   sich  von  alten  Weibern    mit  Anhängseln  (iiEpid|JL{iaTa)  aller 
Art  versehen.     Wenn  die  Irreligiösen   über  Feste,    Weihungen  und  Orgiasmen 
lachen,  so  sind  jene  bleich  unter  dem  Kranz,  opfern  und  fürchten  sich,  beten 
mit  bebender  Stimme  und  räuchern  mit  zitternden  Händen.     Auch  im  Schlafe 
haben    sie   keine  Ruhe,    sondern    träumend   sind   sie    so   unvernünftig  wie  im 
Wachen,  sehen  alle  Strafen,  wie  sie  am  „Orte  der  Gottlosen"  drohen,  wenden 
sich    dann   in   ihrer  Angst   an  Agyrten   und  Gaukler,    die   sich  mit  Koth  be- 
schmieren ,    auf  der  Erde  sitzen ,   und  in    das  Meer  untertauchen  lassen  ;    und 
wachend    fürchten    sie    sich    vor    dem  Tode    und   vor    seinem    nie    endenden 
Schrecken." 


SECHSTESKAPITEL. 


Die  alte  Kirche. 

Inzwischen  war  bereits  in  der  Geschichte  des  Men- 
schengeschlechts die  Wende  der  Zeiten  erfolgt.  Von 
Morgen  her  hatten  die  Völker  des  römischen  Weltreiches 
die  Botschaft  verkündigen  hören,  dass  der  ewige  Sohn  des 
Einen  allmächtigen  und  heiligen  Gottes,  der  den  Himmel 
und  die  Erde  erschaffen,  vom  Himmel  her  in  die  Welt 
gekommen  sei,  dass  er  die  Welt  von  Sünde  und  Tod  er- 
löst, die  Macht  des  Satans  und  der  Hölle  gebrochen  und 
sich  hier  auf  Erden  ein  Reich  gestiftet  habe,  dessen  König 
er  sei;  und  mit  Staunen  hatten  Griechen  und  Römer  die 
Christen  davon  reden  und  rühmen  hören,  dass  ihr  gen 
Himmel  erhöhter  Erlöser  allewege  mit  seiner  Gotteskraft 
bei  ihnen  sei  und  ihnen  über  alle  Teufel  und  Dämonen 
Gewalt  gegeben  habe,  so  dass  sie  als  Genossen  des  neuen 
Gottesreiches  gegen  alle  Anläufe  der  Höllengeister  für  die 
Ewigkeit  gesichert  wären. 

Es  war  dieses  eine  Sprache,  wie  sie  die  Welt  noch 
nie  gehört  hatte.  Seit  Jahrtausenden  hatten  die  Völker 
des  Erdkreises  in  grausiger  Furcht  vor  den  unsichtbaren 
Mächten  des  Dämonenreiches  erzittert;  und  zum  ersten 
Male  hörte  man  es  verkünden,  dass  alle  Furcht  vor  Teufeln 
und  Dämonen  eitel  Thorheit  sei,  indem  es  Einen  Namen 
—  den   herrlichen  Namen  Jesu  Christi  —  gebe,   vor  dem 


Die  alte  Kirche.  gy 

alle  Bosheit  der  Dämonen  zu  Schanden  werde,  und  Ein 
Reich  —  das  Reich  Gottes,  die  Kirche  Jesu  Christi  —  das 
allen  seinen  Angehörigen  einen  unbesiegbaren  Schutz  gegen 
die  geheime  Tücke  der  bösen  Geister,  ja  sogar  eine  un- 
überwindliche Gewalt  über  sie  gebe. 

Der  Eintritt  des  Christenthums  in  die  Geschichte  der 
Menschheit  war  daher  der  Anbeginn  einer  völlig  verän- 
derten Stellung  derselben  zu  dem  Jahrtausende  alten  Dä- 
monenglauben. 

Allerdings  wurde  die  Dämonenlehre  an  sich  von 
den  Christen  unverändert  festgehalten;  sie  nahm  sogar 
unter  denselben  eine  noch  erweiterte  Gestalt  an,  indem 
von  ihnen  der  gesammte  heidnische  Götterglaube,  das 
ganze  Heidenthum  unter  dem  Gesichtspunkt  des  Dämonis- 
mus aufgefcisst  wurde;  aber  soweit  die  Herrschaft  des 
Kreuzes  vordrang,  soweit  war  auch  die  Furcht  vor  dem 
Teufel  und  seinen  Dämonen  aus  der  Welt  verschwunden, 
und  von  dem  Fluche  des  Dämonismus  war  die  Christen- 
heit erlöst^). 

Der  Erlöser  hatte  der  Welt  in  seinem  Evangelium 
eine  Kraft  Gottes  gegeben,  welche  die  Menschheit  in  alle 
Wahrheit  führen  sollte;  aber  die  Menschheit  selbst  sollte 
mit  dieser  Gotteskraft  sich  von  der  Macht  des  Wahnes 
und  der  Lüge  frei  machen.  Darum  hatte  der  Erlöser  über 
den  Dämonenglauben,  der  die  Welt  beherrschte,  Beleh- 
ruiig'©^  g3,r  nicht  gegeben;  er  hatte  vielmehr  zu  seiner 
Zeit  in  der  Sprache  der  Zeit  geredet  —  damit  sie  seine 
Worte  fassen  könnte.  Daher  begreift  es  sich,  dass  die 
Kirche  der  ersten  Jahrhunderte  den  bestehenden  Dämonen- 
glauben nicht  nur  festhielt,  sondern  ihn  sogar  in  neuer 
Weise  zu  begründen  suchte. 

Fassen    wir   nämlich    zunächst   die    drei    ersten  Jahr- 


*)  Graf  Champagny  sagt  in  der  Schrift  Les  Antonius,  Par.  1866,  T.  II. 
S.  340  sehr  richtig:  La  vie  chr6tienne  ^tait  une  vie  dure,  mais  c'^tait  une 
vic  libre.  —  Le  paTen  avait  et^  l'esclave  du  dömon  sous  la  forme  d'idöles, 
d*oracles,  de  divination,  de  sortil^ges,  d'astrologie;  le  demon  gouvernait  toutes 
ces  imes,  y  compris  les  plus  hautes,  les  plus  orgueilleuses,  Celles  m£me  des 
athee«. 


88  Sechstes  Kapitel. 

hunderte    der  Kirche  ins  Auge,   so  finden  wir,   dass  alle 
Kirchenväter,  welche  den  Ursprung  der  Dämonen  berühren 
—    Justinus    Martyr*),     Athenagoras*),    Tatian'), 
Minucius   Felix*),  Tertullian*),  Irmäus®)  —  an  die 
jüdische  Theologie  jener  Zeit  sich  anschliessend,  als  bib- 
lische Grundlage  der  kirchlichen  Dämonenlehre  die  Schrift- 
stelle Gen.  6,  i — 4  betrachten.     Dieselbe  lautet:   „Und  es 
geschah,  als  die  Menschen   begannen  sich  zu  mehren  auf 
Erden  imd  ihnen  Töchter  geboren  wurden,   da  sahen  die 
Söhne  Gottes  die  Töchter  der  Menschen,  dass  sie  schön 
waren,  und  nahmen  sich  Weiber  von  Allen,  die  ihnen  ge- 
fielen. —  Zur   selbigen  Zeit   waren  Riesen   auf  der  Erde; 
und    auch  nachdem   die  Söhne  Gottes  den  Töchtern   der 
Menschen  beigewohnt,  so  gebaren  sie  ihnen  (Söhne);   das 
sind  die  Helden,    die   von  Alters  her  Männer   von  Ruhm 
gewesen."     Nach   allgemein   herrschender  Ansicht  waren 
nämlich  die  „Söhne  Gottes"  Engel,  welche  sich  mit  Töch- 
tern der  Menschen  vermischt  hatten,  welche  dadurch  ge- 
fallen und  von  Gott  Verstössen  und  zu  Dämonen  geworden 
waren  und  Dämonen  erzeugt  hatten.     Das  Alles  sollte  auf 
Anstiften    des  Teufels    geschehen    sein,    der  seitdem   (mit 
göttlicher  Zulassung)   das  Haupt  eines  grossen  Dämonen- 
reiches geworden  war.  —  Von  der  erwähnten  Schriftstelle 
ausgehend    entwickelten   nun    die   Väter   der    drei    ersten 
Jahrhunderte    eine  Dämonenlehre,    deren   Hauptgedanken 
folgende  sind: 

Die  Dämonen  wohnen  (nach  Origenes  u.  A.)  im 
dichteren  Dxmstkreise  der  Erde.  Da  sie  Leiber  besitzen, 
so  bedürfen  sie  auch  der  Nahrung,  die  sie  aus  dem  Qualm 
der  heidnischen  Opfer  einsaugen  ^.  Ihre  Körperlichkeit 
ist    aber  unvergleichlich    feiner   und    dünner   als   die    der 


*)  Apol.  IL  c.  5. 

*)  Oratio  ad  Graec.  c.  12. 

*)  Octavius,  c.  26  u.  27. 

^)  de  idoL  c.  8  u.  9  und  an  anderen  Stellen. 

•j  Adversus  heureses,  L.  IV,  c.  16,  21. 

^)  Orig.  c.  Cehum  V.  579.  Minuc.  Fei.,  Octav.  c.  27.  Tertull.  Apolog.  c.  22, 


Die  alte  Kirche.  3q 

Menschen,  wodurch  es  ihnen  möglich  wird,  in  den  Geist 
wie  in  den  Leib  des  Menschen  einzudringen.  Nach  Tatian 
sind  die  Dämonenleiber  luft-  und  feuerartig  ^).  Nach  Ter- 
tullian  ist  der  Dämon,  wie  jeder  Geist  gewissermsissen 
ein  Vogel  xmd  mit  einer  solchen  Schnelligkeit  der  Bewe- 
g^Mig  begabt,  dass  er  in  jedem  Momente  an  jedwedem 
Orte  sein  kann.  Diese  gar  nicht  vorstellbare  Schnelligkeit 
in  der  Bewegung  der  Dämonen  ist  auch  eine  der  Ursachen 
gewesen,  wesshalb  die  Völker  ihnen  den  Charakter  der 
Göttlichkeit  beilegten^). 

An  Macht  und  Wissen  sind  die  Dämonen  den  Men- 
schen unendlich  überlegen,  woraus  Tatian  folgert,  dass 
sie  nicht  (wie  Joseph us  annahm)  für  Seelen  verstorbener 
böser  Menschen  zu  halten  wären ^).  Origenes  meint  (im 
Commentar  zur  Genes.),  die  Dämonen  wüssten  vieles  Zu- 
künftige aus  der  Bewegung  der  Gestirne;  Tertullian 
nimmt  an  (Apolog.  c.  22)y  dass  sie  ihr  ausserordentliches 
Wissen  de  incolatu  aeris  et  de  vicinia  siderum  et  de  com- 
mercio  nubium  hätten. 

Die  Wirksamkeit  der  Dämonen  wird  von  Tertullian 
am  concisesten  so  bezeichnet,  dass  er  sagt  (Apolog.  c.  22): 
i)  Operatio  eorum  est  hominis  eversio  und  2)  aemulantur 
divinitatem,  —  namentlich  dem  furantur  divinationem  (in 
oraculio). 

In  letzterer  Beziehung  steht  es  für  alle  Kirchenlehrer 
der  drei  ersten  Jahrhimderte  ganz  unzweifelhaft  fest,  dass 
die  Götter  der  Griechen  und  Römer  nichts  anderes  als 
Dämonen  waren,  dass  sie  es  gewesen  sind,  welche  als  ver- 
meintliche Gottheiten  sich  mit  Weibern  vermischt  haben, 
dass  die  Namen  der  heidnischen  Götter  dieselben  Namen 
sind,   welche  sie  sich  selbst  beigelegt  haben  und  dass  sie 


')  Orat.  ad  Graec,  154. 

^  Tertull.  Apolog.  c.  22:  Suppetit  illis  ad  utramque  substantiam  hominis 
laedendam  subtilitas  et  tenuitas  sua  multum.  —  Omnis  spirikts  ales  est; 
hoc  angeli  et  daemones.  Igitur  momento  ubique  sunt.  Totus  orbis 
Ulis  locus  unus  est.  Quid  ubique  geratur,  tarn  facile  sciunt,  quam  ennuciant. 
Velocitas  divinitas  creditur,  quia  substantia  ignoratur. 

•)  Orat.  ad  Graec.    154. 


QO  Sechstes  Kapitel. 

daher  als  die  eigentlichen  Urheber  des  Heidenthums  mit 
seiner  Mythologie  und  seinem  Kultus  gelten  müssen*).  Die 
Dämonen  sind  es  gewesen,  welche  zur  Begründung  des  ab- 
göttischen Glaubens  an  ihre  vermeintliche  Gottheit  schein- 
bare Wunder  thaten,  welche  ihre  Stimme  aus  den  Orakeln 
ertönen  Hessen,  welche  bei  den  AugTirien  in  Vogel  und 
andere  Thiere  eindrangen,  welche  in  den  Tempelstatuen 
sich  verstritten  und  sich  daselbst  einen  Kultus  darbringen 
Hessen,  und  welche  die  Menschen  zur  Astrologie  und  Magie 
verführten  *). 

Der  Teufel  und  dessen  Dämonen  sind  unablässig  be- 
müht, ihr  Reich  zu  erweitem,  indem  sie  die  ihnen  zugäng- 
lichen Menschen  in  ihre  eigene  Gottlosigkeit  imd  Ver- 
dammniss  zu  verstricken  suchen*).  Doch  ist  ihnen  dieses 
nur  bei  Denjenigen  möglich,  welche  gottlos  leben  und  um 
ihr  Seelenheil  imbekümmert  sind,  die  sie  daher  namentHch 
durch  Träume  und  Trugbilder  zu  bethoren  und  an  sich  zu 
locken  suchen.  Insbesondere  sind  sie  bestrebt,  durch  ihre 
Eingebungen    die    Menschen   vom  Lesen   solcher   Bücher 


^)  Die  diessbezQglichen  ältesten  patristischen  Zeugnisse  liegen  in  yustm's 
Apologia  I.  vor.  In  derselben  heisst  es :  c.  5,  dass  die  Menschen  Sht  Oüvr^ 
:caofiivoi  xal  pL"}]  sniOT  «{levoi  $ai[j.ova(  elvai  ^txuXoo^,  dtoi>c  ]ip03a>> 
p.6^aCov,  xal  ovopiati  ixaoTov,  icpoGT|Y6peoov,  6nep  ixaoto^  ^aüTiji  tüiv  $atp,6va>y 
ett^to.  —  In  c.  21  spricht  Justin  von  den  Unsittlichkeiten  des  mythologischen 
Zeus  und  anderer  Götter  mit  dem  Bemerken,  dass  eine  reine  Seele  so  etwa.s 
von  göttlichen  Wesen  gar  nicht  denken  könne,  und  ßlhrt  dann  fort:  aXX%  u»^ 
Kpot^Yjjj.ev,  ot  ^aöXot  ^atjjLOVc^  laöta  eicpa^av,  (nämlich  das,  was  von  Zeus  etc. 
<*rzählt  wird).  —  Ebenso  in  der  Apologia  II,  c.  5:  notY|tat  xal  jj.od«X6yot, 
flif  V00ÖVT6«;,  too^  aYY^Xotx;  xal  xoö^  l^ah'zGiy  ^tvrT[^iyx''i.^  ^aipiova;  Taöta  icpa^ot 
—  Susp  3üviYP»a'{^av,  i\^  a?»TÖv  t6v  O'eiv  xal  T0Ö5  ü»?  an'  a(>xoö  aicop^  f*^^* 
{levoof  üloü<  xal  twv  Xs^O'^vrcttv  sxeivoo  &$eX(piuv  xal  Trxvuiv  6^oiu>c  tutv  itiC 
sxeivuiv,  in  03610(1) vo^  xal  flXootcuvo^,  ävYivr^xav.  'Ovojjiatt  f  ftp  ixaotov,  8mp 
e;ca3T0(  eaatm  xu»v  dtYf^Xaiv  xal  tot?  xixvotg  i^sto,  icpoOTjoptosuv.  —  Ebenso 
sprechen  sich  die  anderen  Kirchenlehrer  aus:  Barnabas  in  seiner  epist.  16,  ift, 
Tatian,  c.  12,  Athenagoras ,  Legatio,  c.  26,  Minuc,  FeU,  Octav.  c.  27,  l» 
Origenes,  contra  Celsum  III.  28.  37  flf. 

')  Justtnus,  Apol.  l.  c.  26  u.  26.  Athenag,  Legatio  29«.  Clemtns  AUx^ 
Cohort.  ad  gente!>,  52,  Origenes,  Homil.  16  in  Ezech.  und  c.  Celsum  an  xahl- 
reichen  Stellen,   Tertull,  Apolog.  c.  23.    Clement,  Strom,  l,   17  u.  s.  w, 

')  Cyprian,  de  varitate  idol.,    13  und  Justin,  Apol.  I.  c.  13. 


Die  alte  Kirche.  gi 

abzuhalten,  welche  die  göttliche  Wahrheit  enthalten  und 
welche  zu  deren  Vertheidigung  verfasst  sind  ^). 

Die  Christen  freilich  sind  gegen  die  Anläufe  des  Sa- 
tans und  der  Dämonen  ein  für  allemal  sicher  gestellt.  Vor 
ihnen  müssen. dieselben  weichen,  aber  gerade  darum  ist 
die  Bosheit  des  Dämonenreiches  vor  Allem  gegen  die 
Christen  und  gegen  die  Kirche  gerichtet,  die  sie  fort- 
während in  allerlei  Weise  zu  schädigen  und  zu  verderben 
suchen,  vor  Allem  dadurch,  dass  sie  die  Heiden  mit  einem 
teuflischen  Hasse  gegen  die  Christen  erfüllen  und  in  allen 
Landen  Christenverfolgungen  veranlassen,  sowie  auch  da- 
durch, dass  sie  in  der  Kirche  Streitigkeiten,  Spaltungen 
imd  Ketzereien  hervorrufen*).  Ausserdem  aber  sind  die 
Dämonen,  weil  sie  Feinde  Gottes  sind,  auch  Feinde  des 
Menschengeschlechts  überhaupt,  wesshalb  sie  den  einzelnen 
Menschen  unablässig  auflauern  und  sie  auf  allen  nur  er- 
denkbaren Wegen  zu  schädigen  und  zu  verderben  suchen. 
Ihre  Wirksamkeit  üben  sie  in  allen  Unheil  bringenden 
Naturphänomenen  aus,  sie  verursachen  Misswachs,  Dürre, 
Pest  und  andere  Krankheit,  dringen  in  reissende  Thiere 
ein,  durch  welche  sie  Schaden  stiften,  während  sie  die  dem 
Menschen  nützlichen  Thiere  zu  Grunde  richten,  und  schlei- 
chen selbst  in  die  Gedanken  des  Menschen  ein,  um  diese 
zu  verwirren,  von  Gott  abzulenken  und  daraus  für  den  von 
ihnen  angefallenen  Menschen  wie  für  Andere  Unheil  an- 
zurichten ^).  Um  ihre  heillosen  Anschläge  zur  Ausführung 
zu  bringen,  theilen  sie  ihre  geheimen  Kenntnisse  nament- 
lich gottlosen  Weibern  gern  mit*). 

Dieses  war  die  Dämonenlehre  der  drei  ersten  Jahr- 
hunderte der  Kirche,  die  nach  Lage  der  Dinge  nothwendig 
eben    in   der  vorliegenden  Gestalt  sich   darstellen  musste. 


')  Justin,  Apol.  I,  c.  12  u.   13. 

*)  Justin,  Apol.  I.  c.  5.  11,  9.  26.  Minuc,  Felix,  Octav  1.  Origenes 
Exhort.  ad  martyres  18,  32.  42.  Clemens  Alex,  Strom.  II.  489.  Cyprian{i^^ 
unitate  eccles.  105)  erklärt  den  Teufel  geradezu  für  den  Urheber  aller  Ketzereien 
und  Schismen. 

*)  Origenes  c.  Cels.  8.  31  u.  32.     Tertullian,  Apolog.  c.  22. 

*)  Cleuuns  Akx.,  Strom.  5,  650. 


Q2  Sechstes  Kapitel, 

Es  war  der  alte  Dämonenglaube,  wie  er  die  jüdische  und 
die  heidnische  Welt  beherrschte,  nur  an  eine  Erzählung* 
der  h.  Schrift  angeknüpft  und  nach  Massgabe  der  Stellung, 
die  das  Christenthum  zum  Heidenthum  einnahm,  erweitert 
und  modifizirt.  Das  wesentlich  Neue,  was  das  Evangelium 
zur  überlieferten  Dämonenlehre  hinzugebracht  hatte,  lag 
in  dem  durch  dasselbe  erweckten  Bewusstsein  der  Sicher- 
heit, welche  der  Christ  gegenüber  dem  Teufel  imd  den 
Dämonen  habe. 

In  einer  der  allerältesten  Urkunden  der  Kirche,  in 
dem  (nach  den  neuesten  Untersuchungen)  zwischen  den 
Jahren  140  und  145  geschriebenen^)  „Hirten"  des  Hermas 
wird  es  wiederholt  und  nachdrücklichst  verkündet,  dass 
dem  Teufel  über  den  Christen  keine  Gewalt  zustehe,  dass 
dieser  vielmehr  alle  Anschläge  des  Teufels  zu  Nichte 
machen  könne,  wesshalb  den  Gläubigen  wiederholt  geboten 
wird,  sich  aller  Furcht  vor  dem  Teufel  zu  entschlagen, 
und  denselben  als  einen  todten  Feind  zu  verachten*). 

Alle  Glieder  der  Kirche  waren  daher  von  dem  Be- 
wusstsein erfüllt,  dass  der  Teufel  und  dessen  Dämonen  vor 
ihnen  fliehen  müssten,  dass  sie  dieselben  aus  den  Besessenen 
vertreiben,  dass  sie  mit  Anrufung  des  Namens  Jesu  Christi 
allen  Dämonen-  und  Teufelsspuk  zu  nichte  machen  \md 
die  Dämonen,  welche  von  den  Heiden  für  Götter  gehalten 
würden,  zwingen  könnten  sich  selbst  als  Dämonen  zu  be- 
kennen *). 


^)  Vgl.  die  khuslsche  Ausgabe  der  Patrum  apostolicorum  opera  von  Geb- 
hardt,  Ilarnack  u.  Zahn,  B.  III.  S.  LXXXII. 

')  Es  heisst  hier  mand.  VIU.  8:  Töv  ^idßoXov  \i.y\  foßirjd^c*  foßooiuvo^ 
'(cip  tov  xüpiov,  xataxüpisuocif  to&  BiaßoXou,  hxi  Sapiapiif  6va&tij>  o5x  fativ;  — 
fj  o£|i*rj  t)^aiv  $uvoip.'.v  ütc^  Kdvtwv  xaxa^povsttau  —  Mand.  XII.  4:  M*}j  ^opYp 
ftnrjTS  tiv  SidßoXov,  6xt  tva'jTtj»  Suvapii^  oüx  eaxiv  Xad-*  6^<»v.  —  *()  Sm^oXo^ 
jiovov  (poßov  r/ei.  M*/]  ?poß-f|frTjTe  oov  aaxov  xtt  ^ ea^ttai  äf*  öpiutv.  —  XII.  6 ; 
Myj  'foßvjdirjXK  x6v  otaßoXov.  —  "Oxt  iav  tTc'.oxpa^-ijxe  npö^  töv  xuptov  ij  BXi^^ 
xr,;  xap»oia;  u|jLttiVy  —  —  «{exe  Suva^iv  xoo  xaxaxopieoaai  täv  Ipfütv  to5  ita- 
ßo/.o'j.  TyjV  ^e  oi7retXr|V  xoo  StaßoXou  oXiuc  jit^  ^o^rj^^^xt'  äxovo^y^P  *'ttv 
uj3nep  vtxpou  veüpoi. 

•)  Vgl.  «.  B.  7«//.  Apol.  I.  30.  61.  Apol,  IL  30.  86.  121.  Ttriuliiam, 
Apolog.  c.  33t  Jrenäus,  II.  c.  $2.  4I. 


Die  alte  Kirche.  n^ 

Ganz  dieselbe  Dämonenlehre,  welche  wir  in  den  drei  ersten 
Jahrhunderten  der  Kirche  von  den  Lehrern  derselben  ent- 
wickelt sehen,  finden  wir  nun  auch  in  den  nächstfolgenden 
Jahrhunderten  von  den  Kirchenvätern  vertreten.  Lac- 
tanz  z.  B. ,  der  als  kaiserlicher  Prinzenerzieher  zu  Nico- 
medien lebte  und  i.  J.  330  starb,  spricht  sich  so  aus^): 
„Als  sich  die  Zahl  der  Menschen  gemehrt  hatte,  schickte 
Gott,  damit  sie  nicht  dem  Trug  des  Teufels  (dem  er  von 
Anfang  an  über  die  Erde  Gewalt  gegeben  hatte,)  erliegen 
mochten,  zu  ihrem  Schutze  Engel  auf  die  Erde.  Diese 
Engel  aber  erlagen  im  Verkehr  mit  den  Töchtern  der 
Menschen  selbst,  indem  sie  sich  mit  denselben  vermischten 
und  Söhne  erzeugten.  In  Folge  dessen  wurden  die  ge- 
fallenen Engel,  aus  dem  Himmel  Verstössen,  zu  Dämonen 
des  Teufels.  Die  von  ihnen  erzeugte  Brut  war  nun  eine 
zweite  Art  von  Dämonen,  unsaubere  Geister,  vom  Volke 
malefici  genannt,  welche  ebenfalls  dem  Teufel  angehörten. 
Das  ganze  Streben  dieser  Dämonen  und  unsauberen  Geister 
geht  dahin,  Gottes  Reich  zu  zerstören  und  die  Menschen 
zu  schädigen.  Zu  diesem  Zwecke  haben  sie  durch  schein- 
bare Wunder  und  Orakel  den  Völkern  den  Wahn  bei- 
gebracht, dass  sie  Götter  wären  und  haben  das  Heiden- 
thum  mit  seiner  Mjrtholog^e  und  seinem  Kultus  geschaffen. 
Auch  sind  sie  die  Urheber  der  Magie,  Necromantik,  Haru- 
spizin,  der  Auguralkunst  und  Astrologie.  Ausserdem 
richten  sie  in  allerlei  Weise  Verderben  an.  Doch  braucht 
der  Christ  ihre  Tücke  nicht  zu  fürchten,  indem  vielmehr 
der  Teufel  und  dessen  Dämonen  vor  dem  Christen  fort- 
während in  Furcht  sein  müssen  ^).     Denn  der  Christ  kann 


*)  In  dem  Divinarum  instilutionum  LL.  VII.,  und  zwar  namentlich  in 
L.  n.  c.  M  — c.   18  u.  IV..  c.  26—27. 

')  Lactanz  sagt  Lib.  IL  c.  15:  Nocent  illi  quidem ,  sed  iis,  a  quibus 
timentur,  quos  manus  Dei  potens  et  excelsa  non  protegit,  qui  profan!  sunt 
a  sacramento  veritatis.  Justos  autem,  i.  e.  cultores  Dei  metuunt,  cuius 
nomine  adiurati  de  corporibus  excedunt,  quorum  verbis  taDcjuam  flagris  ver- 
b«rati  non  modo  daemonas  esse  se  confitentur,  sed  ctiam  nomina 
sua  edunt,  illa,  quae  in  tcmplis  adorantur,  —  quia  nee  Deo,  per 
quem  adiurantur,  nee  iustis,  quorum  voce  torquentur,  mentiri  possunt.    Itaque 


Q^  Sechstes  Kapitel. 

sie  nicht  allein  überall  austreiben,  sondern  er  kann  sie 
auch  zwingen,  ihre  Namen  zu  nennen  und  zu  gestehen, 
dass  sie  (als  Jupiter,  Juno,  Merkur  etc.)  gar  keine  Gotter 
sind,  obschon  sie  in  Tempeln  verehrt  werden"  ^). 

In  derselben  Weise  und  in  demselben  Sinne  reden 
auch  die  übrigen  Kirchenlehrer  des  vierten  Jahrhunderts 
über  die  Dämonen.  Alle  erkennen  in  ihnen  die  Ange- 
hörigen des  Satans,  die  Anstifter  und  Urheber  des  Heiden- 
thums,  dessen  Gottheiten  nichts  anderes  als  Dämonen 
waren  und  die  geheimen  Peiniger  der  Menschheit;  alle 
aber  erkennen  auch  an,  dass  der  Christ  über  das  Reich 
des  Satans  Gewalt  hat,  dass  er  von  den  Dämonen  ge- 
furchtet, gemieden  und  vertrieben  wird,  und  dass  das 
Zeichen  des  Kreuzes  und  der  Name  Christi  ein  ganz  sicheres 
Mittel  zur  Bewältigimg  der  Dämonen  und  zur  Durch- 
kreuzung   ihrer  Anschläge  ist  2).     Namentlich    wurde    von 

maximis  saepe  ululatibus  editis  verberari  sc  et  ardere  et  iam  iamque  exire 
prociainant.  Tantum  habet  Dei  cognitio  ac  iustitia  potestatis!  Cui  ergo  no- 
cere  possunt  nisi  iis,  quos  habent  in  sua  potestate? 

')  Der  Gedanke,  dass  die  angeblichen  G5tter  der  Heiden  nichts  anderes 
als  Dämonen  sind ,  wird  von  Lactanz  zum  Oefteren  hervorgehoben ,  z.  B. 
Lib.  IV.  c.  27:  Uli  enim  nequissimi  spiritus,  ubi  adiurantur,  ibi  se  dae- 
monas  confitentur,  ubi  coluntur,  ibi  se  Deos  mentiuntur,  ut  crrores 
liominibus  inimittant  et  avocenta  veri  Dei  notione,  per  quam  solam  potest 
mors  aeterna  vitari.  lidem  sunt  qui  deiiciendi  hominis  caussa  varios 
sibi  cultus  perversa  religione  condiderunt,  mentitis  tamen  assurop- 
tisque  nominibus,  ut  fallerent.  Nam  quia  divinitatem  per  se  ipsos  aflectare 
non  poterant,  adsciverunt  sibi  nomina  potentium  regum ,  subquorum  titulb 
honores  sibi  Deorum  vindicarent. 

•)  Der  „Vater  der  Orthodoxie"  Atkanasius  (f  373)  z.  B.  sagt  in  der 
Schrift  de  incarnatione  verbi  Dei  (Basel.  1604,  S.  42) :  Quid  quod  et  ad  eam 
impietatem  devenerint,  ut  etiam  daemones  coluerint  eosque  Deos  appellarint, 
eorum  libidinibus  omnibus  modis  inservientes  ?  Brutorum  enim  et  hominum 
mactationibus.  prout  congruum  erat,  daemonibus  sacra  obierunt,  in  dies  roaf^ 
ac  magis  eorum  furiosis  stimulis  sese  abnoxios  reddentes  Quoctrca  et  artes 
magicae  apud  illos  professores  erant,  hariolique  omnibus  in  locis  exeriebant.  — 
In  kürzester  Form  stelh  der  Patriarch  von  Alcxandrien,  Cyrillus  (f  444)  die 
wesentlichsten  Satze  der  altkirchlichen  Dämonenlehre  in  der  Schrift  contra 
Julianum  Lib.  VI.  (Paiis,  1572,  S.  608)  so  zusammen:  Nihil  auteni  animi 
nobis  est  erga  factitios  Deos.  Nam  quamvis  oh'm  conspicui  fuerint  in  chons 
sanctorum  angelorum,    mali  facti  sunt  et  apostatae  et  principatu  suo  non  ser> 


Die  alte  Kirche. 


95 


Allen  anerkannt,  dass  schon  in  unzähligen  Fällen  die  Haru- 
spicien  und  andere  Opferhandlungen  der  Heiden  durch  die 
Anwesenheit  von  Christen  oder  durch  den  Gebrauch  des 
Kreuzeszeichens  vollständig  zu  nichte  gemacht  worden 
wären  ^). 

Unter  den  Kirchenlehrern  des  nächstfolgenden  Jahr- 
hunderts begnügen  wir  uns  damit  allein  Denjenigen  her- 
vorzuheben, der  unter  den  grossen  Vätern  der  vormittel- 
alterlichen Kirche  des  Abendlandes  unbestritten  als  der 
grosseste  dasteht,  nämlich  den  Bischof  von  Hippo-Reg^us, 
Aurelius  Augustinus  (t  430),  indem  derselbe  wie  kein 
anderer  auf  die  Entwicklung  der  Theologie  in  den  nach- 
folgenden Zeiten  eingewirkt  hat.  Auch  in  ihm  sehen  wir 
einen  klcissischen  Zeugen  der  Thatsache,  dass  in  der  Kirche 
des  vierten  und  fünften  Jahrhunderts  eine  Dämonenlehre 
bestand,  welche  nichts  anderes  als  die  kirchliche  Umge- 
staltimg heidnischen  Glaubens  und  Aberglaubens  war  und 
welche  diesen  in  die  mittelalterliche  Welt  hinein  fort- 
pflanzte. 

Nach  Augustin  bestehen  vom  Anbeginne  der  Welt 
zwei  von  Gott  prädestinirte  und  durch  die  Geschichte  hin- 
durch sich  verwirklichende  Reiche,  die  civitas  Dei, 
welche  alle  guten  Menschen  und  Engel,  und  die  civitas 
Diaboli,  welche  das  gesammte  Dämonenreich  umfasst. 
Zu  der  letzteren  gehorte  auch  die  civitas  terrena  Roms 
mit  dem  in  ihr  herrschenden  Kultus  der  Dämonen.  Dieses 
Dämonenreich,  diese  civitas  Diaboli  besteht  noch  jetzt; 
aber  die  Kirche  ist  ihre  Besiegerin^).  —  Die  Dämonen 
sind  ihrer  Natur  nach  Wesen,  die  einen  Luftkörper  (corpus 


vato  exciderunt  quidam,  nc  sint  ultra  cum  Deo,  et  prorsus  alieni  facti  sunt  a 
famUiaritate  illius,  seduxerunt  niunduin,  terruerunt  homines  et  in  barathra  in- 
scitiae  illos  imniiserunt;  et  abstraiientes  a  melioribus  peiora  adornarunt  sequc 
omnis  malitiae  amatores  declaraverunt ;  persuaserunt  autem  non  soluni  ipsos 
adorari  scd  etiam  ipsae  clementa  mundi  et  brutorum  aninialium  siniulacra, 
volatniumque  et  marinorum. 

')  Ueber  derartige,  aligemein  geglaubte  Vorkommnisse  berichten  Eusebitts, 
Histor.  eccles.  Vll.   17  und  Lactanz,  Instit.  IV,  27. 

*)  Vgl,  A.  Dorner,  Augustinus,  sein  theologisches  System  und  seine 
rcÜRionsphilosophKche  Anschauung  (Berl.   1873)  S.S.  97,  299  ff.,  313. 


g6  Sechstes  Kapitel. 

aerium)  besitzen,  wesshalb  sie  mit  einer  gar  nicht  vorstell- 
baren Sinnesschärfe  (acrimonia  sensus)  und  Schnelligkeit 
der  Bewegung  (celeritas  motus)  ausgestattet  sind.  Hierzu 
kommt,  dass  sie  bei  der  langen  Dauer  ihres  Lebens  eine 
Erfahrung  gewonnen  haben,  zu  welcher  der  Mensch  in 
seinem  so  kurzen  Leben  niemals  gelangen  kann.  Diese 
natura  aerii  corporis  macht  es  nun  den  Dämonen  möglich, 
Künftiges  vorhersagen  und  Wunderbares  thun  zu  können 
(non  solum  multa  futura  praedicunt  Daemones,  verum  etiam 
multa  mira  faciunt).  Indem  daher  die  Menschen  in  den 
Dämonen  ein  übermenschliches  Vermögen  wahrnahmen, 
so  haben  sie  dieselben  für  Götter  gehalten  und  ihnen  einen 
Kultus  dargebracht  ^).  Dieser  Kultus  ist  das  Heidenthum. 
—  Die  Dämonen  besitzen  namentlich  das  Vermögen  (po- 
testatem  accipiunt)  Krankheiten  zu  verursachen,  die  Luft 
zu  verpesten  und  die  Gottlosen  zu  Maieficien  (malefacta) 
anzuregen.  Das  Letztere  thun  sie  so,  dass  sie  in  die  ihnen 
infolge  ihrer  Gottlosigkeit  zugänglichen  Menschen,  sowohl 
im  wachenden  als  im  schlafenden  Zustand  eindringen  (was 
ihnen  durch  die  subtilitas  ihrer  Luftkörper  ermöglicht  wird), 
ohne  dass  die  Betreffenden  es  merken,  —  wobei  sie  ihre 
Gedanken  in  die  der  Menschen  einmischen^). 

Dieses  sind  die  Grundgedanken  der  Dämonenlehre 
Augustins,  mittelst  deren  derselbe  sich  mit  der  ganzen 
Vorstellungswelt  des  Heidenthums  so  abfindet,  dass  ihm 
die  heidnische  Mythologie  nicht  auf  Imagination,  sondern 
auf  Wirklichkeit  und  Thatsächlichkeit  beruhend  erscheint. 
Die  diomedeischen  Vögel  sind  seiner  Meinung  nach  so 
entstanden,  dass  die  Dämonen  die  Menschen  bei  Seite 
schaffen  und  aus  fernen  Landen  die  Vögel  an  deren  Stelle 
brachten.  Wenn  nun  diese  Vögel,  von  den  Dämonen  dazu 
erregt,  in  ihren  Schnäbeln,  wie  man  sage,  Wasser  in  den 
Tempel  trügen,  den  Griechen  schmeichelten,  Fremde  da- 
gegen misshandelten,  so  sei  das  gar  nicht  zu  verwimdem. 

')  De  (livinatione  daemonum,  cap.  3. 

■')  Ebcndius.  cap.  5.  —  In  einem  Hriefi*  an  Rebridius  sucht  Au);ustin  nach- 
/uwfiseo,  wie  es  den  Düinonen  möglich  ist.  in  dem  schlafenden  Men^^chen  hp> 
stimmte  IVrtume  und  Gedanken  hervorzurufen. 


Die  alte  Kirche.  n»? 

da  es  das  Interesse  der  Dämonen  mit  sich  bringe  die 
Welt  zu  überreden,  dass  Diomedes  ein  Gott  geworden 
sei,  damit  dieselbe  nicht  aufhöre,  falschen  Göttern  zu  dienen^). 
Das  ewige  Licht  in  dem  Venustempel,  dem  kein  Unwetter 
etwas  anhaben  konnte,  erkläre  sich  so,  dass  ein  Dämon 
unter  dem  Namen  Venus  entweder  den  Eindruck  eines 
brennenden  Lichtes  hervorbringe  oder  das  Brennen  be- 
wirke 2),  Was  von  der  Circe  erzählt  werde,  das  sei  zwar 
an  sich  unglaublich;  allein  es  gebe  noch  jetzt  glaubhafte 
Leute  genug,  welche  Derartiges  in  zuverlässigster  Weise 
von  Anderen  als  deren  Erlebniss  hätten  berichten  hören, 
oder  die  Aehnliches  selbst  erlebt  hätten.  Während  seines 
Aufenthaltes  in  Italien  will  Augustin  erfahren  haben,  dass 
es  daselbst  Gastwirthinnen  gegeben  habe,  welche  sich  auf 
die  Kunst  verstanden,  die  bei  ihnen  einkehrenden  Reisen- 
den mittelst  Käse,  den  sie  ihnen  zu  essen  gaben,  ganz 
nach  Belieben  und  Bedarf  in  Zugthiere  und  diese  nach 
Erledigung  der  ihnen  auferlegten  Arbeit  wiederum  in  Men- 
schen zu  verwandeln*).  Daher  war  Augustin  mit  dem 
Gedanken  der  Thierverwandlung  ganz  vertraut. 

Augfustin  warnt  nun  allerdings  nachdrücklichst  vor 
allem  Zauberwerk,  weil  die  Magie  nur  mit  Hilfe  der  Dä- 
monen ausgeübt  werden  könne;  er  geisselt  den  Aber- 
glauben, die  Heilungen  durch  Sprüche  und  Charaktere, 
den  Gebrauch  von  Amuleten,  die  Stellung  des  Horoskops 
u.  dgl.  m.  Aber  die  Möglichkeit  und  Wirklichkeit  der 
Magie  erkennt  er  an.  Mit  Hilfe  der  Dämonen  können  die 
Gottlösen  zukünftige  Dinge  vorhersagen  und  verderbliche, 
den  Menschen  sonst  unmögliche  Malefizien  ausüben;  mit 
Hilfe  der  Dämonen  können  die  Gottlosen  Andere  nament- 
lich auch  durch  den  bösen  Blick  schädigen*),  Erntefelder 


')  De  civiUte  Dei,  XVlll,  18. 

*)  Ebendas«  XXI,  6. 

»)  Ebendas.  XVIII.   17. 

*)  De  doctrina  Christ.  II.  lo  ff.  —  Confes.  I.  7. 

Soldan-Heppe,  Hexeoprozesse. 


gS  Sechstes  Kapitel. 

ZU  ihrem  Vortheil  versetzen^),  Hagel  und  böse  Wetter 
machen  u.  s.  w.  Namentlich  erkennt  er  auch  an,  dass 
Dämonen,  in  denen  er  die  Silvani  und  Fauni  der  Heiden 
wiederfindet,  als  incubi  mit  Frauen  Unzucht  treiben  können*). 
Dabei  aber  kennt  Augustin  auch  sehr  wohl  den  Trost,  den 
der  Christ  gegenüber  dem  Treiben  der  Dämonen  aus  dem 
Evangelium  gewinnt.  In  seiner  Schrift  de  civitate  Dei 
ruft  er  daher  (XVIII.  i8)  den  Gläubigen  zu:  „Je  grösser 
die  Gewalt  über  die  irdische  Welt  ist,  die  wir  den  Dä- 
monen verliehen  sehen,  um  so  fester  lasst  uns  an  dem  Er- 
löser halten,  durch  den  wir  uns  aus  dieser  Tiefe  nach  Oben 
hin  erheben  sollen."  — 

Indem  ntm  diese  Dämonenlehre  zur  Zeit  kirchlich  an- 
erkanntes Dogma  war,  so  musste  die  Stellung  der  ersten 
christlichen  Kaiser  zum  Dämonismus,  zur  Zauberei 
u.  s.  w.  tiothwendig  die  sein,  welche  wir  in  den  Gesetzen 
derselben  ausgesprochen  fanden.  Für  sie  war  die  Auf- 
fassung der  Götter  des  alten  Heidenthums  als  böser  Da«» 
monen  gegeben.  Dazu  kam,  dass  viele  geheime  Anhänger, 
die  das  Heidenthum  namentlich  in  den  Volksmassen  hatte, 
jetzt  nach  der  Unterdrückung  des  bisherigen  heidnischen 
Kultus  gerade  in  dem  Gebrauche  der  Zauberei  ihre  heid- 
nische Religiosität  ausübten  und  befriedigten*).  Daher 
begreift  sich  die  enorme  Strenge  und  Härte,  mit  welcher 
die  christlichen  Kaiser  gegen  die  Zauberei  als  heidnisches 
Teufelswerk  einschritten.     Constantin  befahl,  dass  jeder 


*)  Augustin  zieht  (Civ.  Dei.  Vlll.   19)  den  Vers  an : 
Atque  satas  alio  vidi  traducere  messes, 
indem    er  sich    auch  fQr  die  Wirklichkeit    dieses  Maleßzium  auf  Augenzeugen 
beruft, 

')  Quoniam  fama  est  roultique  se  expertos  vel  ab  iis  qui  experti  essent. 
dequorum  fide  dubitandumnonest,  audisse  confirinant ,  Sil- 
vanos  et  Faunos,  quos  vulgo  incubos  vocant,  improbos  saepe  exti- 
tisse  mulieribus  et  earum  appetiisse  et  peregisse  concubitum  et  quosdam  daemo- 
nes  quos  Dusios  Galli  nuncupant,  hanc  assidue  immunditiam  et  tentare  et 
efRcere ,  plures  talesque  assevcrant ,  ut  hoc  negare  impudeiitiae 
videatur. 

')  Eusebi$is  (Vita  Const.  Lib.  I.  c.  16)  zählt  die  Untersuchung  der  Wahr- 
sagerei  zu  den  gegen  das  Heidenthum  gerichteten  Massnahmen  Constantins. 


Die  alte  Kirche. 


99 


Haruspex,  der  sich  in  das  Haus  eines  Bürgers  rufen  lasse, 
um  Haruspizien  anzustellen,  lebendig  verbrannt,  das  Eigen- 
thum  des  Bürgers  confiszirt,  die  Denuncianten  aber  belohnt 
werden  sollten  *).  Doch  beschränkte  ein  zwei  Jahre  später 
erlassenes  milderes  Gesetz  diese  harte  Strafe  auf  Die- 
jenigen, welche  durch  magische  Künste  der  Gesundheit 
Anderer  zu  schaden  oder  in  unschuldigen  Gemüthern 
Wollust  zu  erwecken  suchten.  Dagegen  sollte  der  Gebrauch 
magischer  Mittel,  welche  Heilung  von  Krankheit  oder  den 
Schutz  der  Fluren  gegen  Wind  und  Wetter  bezwecken, 
als  straflos  gelten*). 

Dieses  Schwanken  Constantins  erklärt  sich  aus  seiner 
inneren  Stellung  zum  Christenthum,  dem  er  sich  in  Wahr- 
heit doch  fremd  fühlte.  Anders  aber  war  es  bei  Con- 
stantius,  der  mit  der  Magie  und  dadurch  mit  dem  Heiden- 
thum  gründlichst  aufräumen  wollte.  In  einem  der  Gesetze, 
welche  er  desfalls  erliess,  klagt  er,  dass  viele  Magier  vor- 
handen wären,  welche  mit  Hilfe  der  Dämonen  Stürme  er- 
regten und  Andere  an  Leib  und  Leben  schädigten.  Die 
in  Rom  eingefangenen  Zauberer  sollten  wilden  Thieren 
vorgeworfen,  die  in  den  Provinzen  aufgegriffenen  gemar- 
tert und  ihnen,  wenn  sie  beharrlich  leugneten,  mit  eisernen 
Haken  das  Fleisch  von  den  Knochen  gerissen  werden. 
In  diesem  Sinne  erliess  Constantius  Gesetze  gegen  Haru- 
spices,  Auguren,  Chaldäer,  Magier,  Todtenbeschwörer, 
Traimideuter  und  solche,  die  gegen  die  Menschen  und  die 
Elemente  freveln.  Alles  Weissagen  ohne  Ausnahme  wird 
verboten,  und  selbst  Personen  aus  dem  Gefolge  des  Kaisers, 


*)  Cod.  Inst.  IX.,  Tit.  18  de  malef,  et  mathemat.  (letztere  =  Astrologen). 
Dabei  werden  jedoch  die  öffentlich  angestellten  Haruspizien  nur  als  veralteter 
Aberglaube  bezeichnet  und  nicht  bedroht.  (Cod.  Theod.  Lib.  IX.  Tit.  l6.  i  u.  2.) 

*)  Eorum  est  scientia  punienda  et  severissimis  raerito  legibus  vindicanda, 
qui  magicis  acciocti  artibus,  aut  contra  salutem  hominum  moliti,  aut  pudicos 
animos  ad  libidinem  deflexisse  detegentur.  Nullis  ^vero  criminationibus  impli- 
canda  sunt  remedia  humanis  quaesita  corporibus,  aut  in  agrestibus  locis  inno- 
center  adhibita  suffragia,  ne  maturis  vindemiis  metuerentur  imbres,  aut  ventis 
grandinisque  lapidatione  quaterentur*.  quibus  non  cujusquam  salus,  aut  aesti- 
matio  laederetur,  sed  quorum  proficerent  actus,  ne  divina  munera  et  labores 
horoinum  stemcrentur.     God,  Just,  IX.  Tit.  i8.  4. 


IQQ  Sechstes  Kapitel. 

wenn  sie  betheiligt  sind,  sollen  der  Tortur  unterworfen 
werden  *).  Die  Furcht  vor  Complotten  hatte  ihren  wesent- 
lichen Antheil  hieran  *).  Nach  dem  kurzen  Wiederaufleben 
des  Heidenthums  unter  Julian  (361 — 368)  ehrte  Valen- 
tin i  an  I.  (364 — 375)  die  alten  Erinnerungen  der  Nation 
und  selbst  die  noch  gegenwärtigen  Ueberzeugiingen  eines 
grossen  Theils  derselben,  indem  er  nach  seinem  allge- 
meinen Toleranz-Edikt  noch  in  einem  besonderen  Rescripte 
erklärte,  dass  die  Kunst  der  Haruspices  an  sich  mit  der 
Zauberei  keinen  Zusammenhang  habe  und  nur  dann  einer 
Strafe  unterliege,  wenn  man  sie  zum  Schaden  Anderer 
missbrauche.  Freilich  wurden  der  uralte  Baumkultus*), 
nächtliche  Opfer  imd  das  mit  denselben  so  oft  verbundene 
Zauberwesen  (magici  apparatus)  neuerdings  verboten*). 
Die  von  Valentinian  nachgesehenen  Uebungen  mussten 
aber   seit  Theodosius  (379 — 395)   wieder   verschwinden. 


^)  Aus  diesen  Gesetzen  (CoU.  Theod.  Lib.  IX.  tit.  16.  I.  4.  5.  6.)  geht  am 
klarsten  hervor,  wie  wenig  damals  im  Sprachgebrauche  die  Bedeutung  gewisser 
Ausdrücke  fixirt  war.  Es  heisst  nämlich  in  denselben :  Nemo  aruspUtm  consulat, 
aut  mathematicum  y  nemo  ariolum,  Augurum  et  vattim  prava  confessio  con- 
ticescat.  Chaldaei,  ac  tnagi  ac  ceteri ,  quos  'maleßcos  ob  fascinorum  magnitu- 
dinem  vulgus  appellat,  nee  ad  hanc  partem  aliquid  moliantur.  Sileat  omnibus 
perpetuo  divinandi  curiositas.  Etenim  supplicio  capitis  ferietur  gladio  ultore 
prostratus,  quicunque  jussis  nostris  obsequium  denegaverit.  Coä,  yust.  IX. 
Tit.  18.  5.  —  Multi  magicis  artibus  usi.  elementa  turbare,  vitam  insontium 
labefactare  non  dubitant,  et  manibus  accitis  audent  ventilare,  ut  quisque  suos 
conficiat  maus  artibus  inimicos:  hos,  quoniam  naturae  peregrini  sunt,  feralis 
pcstis  absumat.  Cod.  IX.  Tit.  l8,  6.  Weitere  Bestimmungen  im  folgenden 
Paragraphen.  —  Hinsichtlich  des  Verhältnisses  der  verschiedenen  Namen  sagt 
Hieronymus  Qommtni.  in  Daniel.  II.:  Quos  nos  Ariolos,  ceteri  «icaot^t»^  inter- 
pretati  sunt,  i.  e.  incantatores.  Ergo  videntur  mihi  incantatores  esse,  qui  verbis 
rem  peragunt;  magi,  qui  de  singulis  philosophantur ;  malefici,  qui  sanguinc 
utuntur  et  victimis  et  saepe  coiitingunt  corpora  mortuomm.  Porro  in  Chal- 
daeis  YEved-XtaXofö'J^  significari  puto,  quos  vulgus  roathematicos  vocat;  con- 
suetudo  autem  et  sermo  communis  magos  pro  maleficis  accepit,  qui  aliter 
haben tur  apud  gentem  suam,  eo  quod  sint  philosophi  Chaldaeorum ;  et  ad 
artis  hujus  seien tiam  reges  quoque  et  principes  ejusdem  gentis  oninia  faciunc 

•)  Gothofred,  ad  Cod.  Theodos.  lib.  IX.  tit.   16.  6. 

»)  C,  BöttUher,  der  Baumkultus  der  Hellenen  (Berl.   1856).  S.  63». 

^)  Cod,  Thtodos.  lib.  IX.  tit.  16.  7  u.  9.  Nee  haruspicinani  reprehendi- 
mus,  sed  nocenter  exerceri  vetamus. 


Die  alte  Kirche.  lOi 

Honorius  (395 — 423)  behandelte  die  Sache  schon  mehr 
von  dem  kirchlichen  Standpunkte.  Er  gebot  den  soge- 
nannten Mathematikern,  ihre  Bücher  vor  den  Augen  der 
Bischöfe  zu  verbrennen  und  unter  Verwerfung  ihres  Irr- 
thums  zu  den  Religionsgebräuchen  der  katholischen  Kirche 
sich  zu  verpflichten;  wer  sich  dessen  weigerte,  sollte  aus 
den  Städten  verwiesen  und  im  Wiederbetretungsfalle  de- 
portirt  werden  *).  So  schwanken  die  Bestimmungen  man- 
nichfaltig,  und  die  justinianeische  Sammlung  enthält  noch 
kein  Gesetz,  in  welchem  sich  die  den  christlichen  Kirchen- 
lehrern eigenthümliche  Ansicht  von  dem  Dämonischen  der 
Zauberei  vollständig  ausspräche.  Dieses  geschieht  erst  in 
einer  vom  Kaiser  Leo  dem  Philosophen  erlassenen  Ver- 
ordnung (zwischen  887  und  893).  Dieselbe  hebt  in  ihrem 
Eingange  die  Inconsequenz  des  früheren  Gesetzes  hervor, 
das  auf  Beschädigungen  Strafen  setze,  hingegen  den  Schutz 
der  Saaten  und  Weinberge,  Heilungen  u.  s.  w.  erlaube. 
Man  habe  die  Erfahrung  gemacht,  dass  alle  Zauberübungen 
(incantamenta,  ^tayyavsiai)  den  Menschen  von  Gott  entfernen 
und  dem  Dienste  gräulicher  Dämonen  zuführen;  Schaden 
am  Seelenheil  sei  davon  unzertrennlich,  und  es  würden 
daher  alle  zauberischen  Begehungen  ohne  Unterschied 
verboten.  Der  Uebertreter  dieses  Verbotes  soll  als  Apostat 
den  Tod  leiden*). 

Unter  den  Prozessen  gegen  Zauberer  aus  der  Zeit  der 
christlichen  Kaiser  möge  hier  nur  desjenigen  gedacht 
werden,  der  zu  Antiochia  unter  den  Augen  des  Kaisers 
Valens  (364—378)  vorging.  Auch  bei  diesem  concurrirte 
das  Majestätsverbrechen.  Wegen  seiner  Ausdehnung,  der 
Willkürlichkeit  und  Grausamkeit  des  Verfahrens,  der  Hab- 
sucht und  Arglist  der  Ankläger  und  Richter  nimmt  er 
unter  allen  ähnlichen  Ereignissen  des  Alterthums  die  erste 


*)  Coä,  jfust.  Üb.  I.  tit.  4.  de  episcopali  audientia.    10. 

*)  Itnp.  Leon.  Const.  nov.  LXV.  EI  Tic  S-rj  8Xü)C  xotaÖTa  (püDpaö-etf) 
jiaYf  avfioofjLevo?,  ette  :cpo^aae'.  tyj?  toö  0(i)|jtaxo(;  O-epaiteta^,  stxe  äiroxpoTcrj^  xy]^ 
TÄv  xapittfjKfjv  ßXdpTj^,  x4jv  ^oydxYjv  eloirpaxx^o^u*  irotv^jv ,  xtjv  xäv  Äirooxaxdiv 


I02  Seclistes  Kapitel. 

Stelle  ein  und  k^nn  als  ein  würdiges  Vorbild  der  Hexen- 
prozesse des  siebenzehnten  Jahrhunderts  gelten. 

Mehrere  Männer  von  Bedeutung  wurden  angeklagt, 
durch  mantische  Künste  den  Namen  desjenigen,  der  des 
Kaisers  Nachfolger  sein  würde,  erforscht  zu  haben.  Im 
Verhöre  gestanden  sie,  mittelst  eines  Zauberringes,  der  über 
einem  mit  dem  Alphabet  beschriebenen  Becken  schwebte, 
gefunden  zu  haben,  dass  ein  gewisser  Theodorus,  ein  Jüng- 
ling von  ausgezeichneten  Gaben,  dieser  Nachfolger  sein 
werde.  Wirklich  schien  hier,  einem  von  Theodorus  ge- 
schriebenen Briefe  zufolge,  eine  Verschwörung  gegen  Va- 
lens vorzuliegen,  und  das  ganze  Orakel  mochte  nur  vor- 
gespiegelt sein,  um  Anhänger  zu  gewinnen.  Aber  das 
desshalb  eingeleitete  Verfahren  war  durchaus  formlos  und 
gewaltsam.  Tausende  von  Personen  wurden  auf  die  nich- 
tigsten Judicien  hin  verhaftet,  masslose  Folterqualen  an- 
gewendet*), Schuldige  und  Unschuldige,  zum  Theil  ange- 
sehene Staatsbeamte  und  Philosophen,  unter  Einziehung 
ihrer  Güter  als  Theilnehmer  oder  Mitwisser  erdrosselt,  ent- 
hauptet oder  lebendig  verbrannt.  Hierauf  warf  man,  gleich- 
sam zur  Rechtfertigung  vor  dem  über  solche  Gräuelthaten 
aufgebrachten  Volke,  die  Bibliotheken  der  Hingerichteten 
in*s  Feuer;  denn  sie  enthielten,  sagte  man,  nichts  als  Zauber- 
bücher. Während  dieses  Prozesses  hatten  zwei  Nichts- 
würdige, die  denselben,  als  sie  selbst  wegen  Zauberei  ver- 
haftet waren,  durch  Denunciationen  veranlasst,  Palladius 
und  Heliodorus,  die  unbegrenzte  Gunst  des  Kaisers  und 
bedeutende  Reichthümer  erschlichen;  es  lag  ihnen  jetzt 
nichts  näher,  als  das  Erworbene  auf  demselben  schänd- 
lichen Wege  zu  behaupten.  Darum  traten  die  beiden  Hof- 
sykophanten  stets  wieder  mit  neuen  Denunciationen  her\'or. 
Sie  machten,  wie  Ammianus  Marcellinus  sagt,  eine 
f[>rmliche  Jagd  auf  ihre  Opfer.  Häuser  wurden  versiegelt 
und  bei  der  Versiegelung  wurde  allerlei  Zauberapparat, 
wie  Formeln  und  Liebestränke,    untergeschoben,    ^länner 


*)  E.S  werden  als  Folterwerkzeuge  genannt :  cculei,  pondera  pluml>ea  cum 
fidiculis  et  verberibus. 


Die  alte  Kirche.  103 

und  Weiber,  Vornehme  und  Geringe  wurden  verhaftet,  die 
Folter  ruhte  nicht,  Güter  wurden  eingezogen,  Menschen 
verwiesen  und  enthauptet.  Eunapius  vergleicht  dieses 
Morden  mit  dem  Hühnerschlachten  bei  Festgelagen,  und 
Ammianus  versichert,  dass  damals  im  Orient  Jedermann 
in  der  Angst  seine  Bücher  verbrannt  habe,  um  nur  keinen 
Stoff  zum  Argwohn  übrig  zu  lassen.  Als  Heliodorus  starb, 
zwang  Valens  die  Honoratioren,  und  unter  diesen  zwei 
Consularen,  die  als  Angeklagte  nur  durch  seltene  Stand- 
haftigkeit  in  der  Folter  dem  Tode  entgangen  waren,  die 
Leiche  zu  begleiten.  Um  aber  die  absolute  Bodenlosigkeit 
imd  Dummheit  seines  Despotismus  zu  beurkunden,  begna- 
digte Valens  um  dieselbe  Zeit  den  Kriegstribunen  Pollen- 
tianus  unter  Belassung  seines  grossen  Vermögens  und 
seiner  Würde;  und  doch  war  dieser  überwiesen  und  ge- 
ständig, ein  schwangeres  Weib  geschlachtet  zu  haben,  um 
mit  der  ausgeschnittenen  Leibesfrucht  nekromantische  Be- 
fragungen wegen  des  künftigen  Regierungswechsels  anzu- 
stellen! Unter  den  Hingerichteten  aber  war  ein  Jüngling, 
dessen  ganzes  Verbrechen  darin  bestand,  dass  er  im  Bade 
unter  Hersagung  der  sieben  Vokale  die  Finger  zwischen 
seiner  Brust  und  der  Marmorwand  hin  und  her  bewegt 
hatte,  weil  ihm  diess  als  ein  Mittel  gegen  Magenschmerz 
empfohlen  worden  war.  Bei  einem  Andern  hatte  man  das 
Horoskop  eines  gewissen  Valens  gefunden.  Man  bezog 
dieses  auf  den  Kaiser,  und  der  Unglückliche  musste  ster- 
ben, obgleich  er  durch  volle  Beweise  darzuthun  versprach, 
dass  derjenige  Valens,  den  das  Horoskop  betreffe,  sein 
verstorbener  Bruder  dieses  Namens  sei  ^). 


*)  Ammian,  Marcellin»    XXIX.   1  u.  2.     Eunap,    vit.    philos.    et   sophist. 
p.  62  ed.  Boissonade.     Amstelod.  l822. 


SIEBENTES    KAPITEL. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert. 

Die  Dämonenlehre  und  der  auf  ihr  beruhende  Glaube 
an  Zauberei  war  also  von  den  Kirchenvätern  in  die  Doktrin 
der  Kirche  aufgenommen  worden.  Daher  kann  es  uns 
nicht  Wunder  nehmen,  wenn  wir  auch  bei  den  germani- 
schen Völkern,  sobald  dieselben  in  die  Geschichte  imd  in 
die  Kirche  eingetreten  waren,  einem  Aberglauben  begeg- 
nen, der  seinen  griechisch-römischen  Ursprung  nicht  ver- 
leugnen kann. 

Einige  Hauptpunkte  müssen  hier  kurz  angedeutet  wer- 
den; Anderes  wird  später  zur  Sprache  kommen. 

Den  Glauben  an  das  Wettermachen  haben  wir  sowohl 
im  Griechenthum,  als  in  Roms  frühesten  und  spätesten 
Zeiten  gefunden ;  von  seiner  Fortdauer  im  Mittelalter  geben 
die  sogenannten  Leges  barbarorum,  namentlich  die  der 
Westgothen,  mehrere  Concilienschlüsse  und  die  fränkischen 
Capitularien  den  besten  Beweis ').  Der  Gedanke  des  Herüber- 


*)  Lex  Visigothorum,  üb.  VI.  3.  ConciU  Bracar,  v.  563.  PoinittntinU 
Roman,  bei  Burch.  IVormat,  Decr.  X.  8.  Capitul,  cccUsiast,  KarKs  d.  («. 
V.  789.  Decretutn  synodale  Episcoporum  v,  799.  Agobard  von  Lyon  «gt: 
In  \\\s,  re^ionibus  paene  omnes  honiines,  nobiles  et  ignobiles,  urbani  et  nistict, 
senes  et  juvenes,  putant«  grandines  et  tonitrua  hominum  libitu  po^se  firri. 
Dicunt  enim,  mox  ut  audierint  tonitrua  et  viderint  fulgura :  Aura  Itvatitia  est, 
Interrogati  vero,  quid  sit  aura  levatitia,  alii  cum  verecundia,  parum  remordente 
conscientia,  «ilii  autem  conRdenter,  ut  iniperitorum  ODoris  esse  solet,  coQfimi&Dt, 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  105 

lockens  fremder  Ernten,  welches  schon  von  den  Decem- 
viralgesetzen  verboten  war,  und  von  Tibull  und  Plinius 
erwähnt  wird,  trat  im  neunten  Jahrhundert  mit  solcher 
Starke  hervor,  dass  man  in  Frankreich  von  einer  gefähr- 
lichen Zaubergesellschaft  träumte,  welche  das  Getreide 
massenweise  in  Schiffen  durch  die  Luft  nach  dem  Fabel- 
lande Magonia  führte*).  Die  Thierverwandlimgen ^),  na- 
mentlich die  Lykanthropie,  die  Philtra  und  das  Nestel- 
knüpfen ziehen  sich  durch  das  Mittelalter  und  die  neuere 
Zeit;  ebenso  die  Astrologie,  Lekanomantie,  Stichomantie, 
die  Augurien  aus  dem  Angange  «nd  andre  Arten  der 
Mantik,  die  Wachs-  imd  Bleibilder,  durch  welche  man 
Menschen  umbringt,  die  Fascination  durch  Lob  und  durch 
das  böse  Auge,  die  Amulete,  Kräuter  und  Salben,  Steine 
und  Ringe,  die  Galgennägel  und  Todtenglieder,  das  ma- 
gische Ungeziefer  und  eine  Menge  andrer  Dinge,  die  ent- 
weder unverändert,  oder  mit  geringen  Modifikationen  von 
den  Alten  herübergenommen  wurden  2).  Burkhard  von 
Worms  gibt  davon  in  seinem  Dekrete  eine  reiche  Samm- 
lung *). 


incantationibus  hominum,  qui  dicuntur  tempestarii  ^  esse  levatam  et  ideo  dici 
levatitiam  auram.  —  Agobardi  über  contra  insulsam  vulgi  opinionem  de 
graodine  et  tonitruis,  Cap.  I. 

*)  Agobard  a.  a.  O.  Cap.  II, 

')  Bei  Wilhelm  von  Malmesbury  findet  sich  unter  andern  eine  dem  Asinus 
aureus  des  Apulejus  nachgebildete  Geschichte  von  der  Verwandlung  eines 
Menschen  in  einen  Rsel,  von  deren  Wahrheit  der  Kardinal  Damiani  den  Papst 
2u  überzeugen  sucht.     S.    Vincent,  Spec.  Nat.  IL   log. 

•)  Es  ist  unnöthig ,  das  Einzelne  hier  zu  belegen ,  da  sich  dasselbe  im 
weiteren  Verlaufe  oft  genug  finden  wird.  Hinsichtlich  der  Augurien  aus  dem 
Angange,  von  welchen  Grimm  in  der  Mythologie  viele  zusammengestellt  hat, 
ist  nachträglich  zu  bemerken,  dass  eine  Menge  der  sogenannten  evooiu  aufjißoXa 
der  Alten,  und  was  dahin  einschlägt,  noch  in  dem  heutigen  Köhler-  und  Jäger- 
glauben fortlebt.  Man  sehe  in  den  Charakteren  des  Theophrast  das  Kapitel 
de  superstitione.  Augustin  berührt  diesen  Gegenstand  de  doctr.  Christiana  II. 
19  ff.  His  adjunguntur  roillia  inanissimarum  observationum,  si  membrum  ali- 
quod  salierit,  si  junctim  ambulantibus  amicis  lapis,  aut  canis,  aut  puer  medius 
intervenerit.  .  .  .  Hinc  sunt  etiam  illa :  limen  calcare,  cum  ante  domum  suam 
transit,  rediread  lectum,  si  quis,  dum  se  calceat,  sternutaverit,  redire  domum, 
st  procedens  oflfenderit  etc. 

*j  Decret.  üb.  X.  u.  XIX. 


lo6  Siebentes  Kapitel. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  uns  die  Nachtfahrten 
der  2^uberweiber.  Zwar  ist  es  bezweifelt  worden,  dass 
auch  diese  auf  altklassischem  Boden  fiissen,  und  noch 
Jakob  Grimm  hat  ihren  Ursprung  lieber  an  das  deutsche 
Alterthum  angeknüpft^);  nichts  desto  weniger  sprechen 
sehr  gewichtvolle  Gründe  für  jene  Annahme.  Nicht  nur 
ist  der  Glaube  an  die  Hexenfahrten  kein  den  germanischen 
Völkern  eigenthümlicher,  sondern  seine  Grundlagen  treten 
auch  bei  den  Römern  in  ungleich  älterer  Zeit  hervor,  als 
er  sich  bei  den  Deutschen  nachweisen  lässt,  und  die  Ueber- 
gänge  und  Anknüpfungspunkte  sind  ziemlich  deutlich  be- 
zeichnet. Dass  die  Zeit  in  den  Einzelheiten  Einiges  änderte, 
kann  nicht  auffallen.  Bei  den  Alten  zieht  schon  Hekate, 
die  Zauberpatronin,  mit  nächtlichem  Spuke  umher.  Dort 
ist  sie  Gottin,  den  Christen  musste  sie  zum  Dämon  werden. 
Aber  auch  menschliche  Zauberinnen  wirken  in  der  Nacht, 
Wir  erinnern  uns,  wie  Canidia  zum  nächtlichen  Zauber 
schreitet,  wie  Pamphile  bei  Apulejus,  gleich  den  späteren 
Hexen,  zur  geheimnissvollen  Salbenbüchse  greift  und  durch 
die  Luft  auf  Liebesabenteuer  ausschwebt,  wie  die  Strigen 
geflogen  kommen  imd  ohne  sichtbare  Waifen  den  Men- 
schen beschädigen,  wie  sie  ihm  Mark  und  Blut,  Herz, 
Leber  und  Nerven  rauben  und  den  Defekt  mit  Stroh  füllen, 
dass  der  Mensch  langsam  hinwelkt.  Und  diese  Strigen 
des  römisch-griechischen  Heidenthums  treten,  wie  sie  im 
Glauben  der  griechischen  Christen  fortleben  *) ,  mit  unver- 
änderten Namen  und  Attributen  und  fast  ohne  chrono- 
logische Unterbrechung  auch  in  den  Gesetzen  der  zum 
Christenthum  bekehrten  Germanen  auf,  namentlich  bei  den 
salischen  Franken,  den  Longobarden  und  in  Karls  d.  G. 
Capitularien  ^).  Insbesondere  redet  die  Lex  Rotharis  von 
einem  innerlichen  Aufzehren  (intrinsecus  comedere)  durch 
die  Strigen,  wie  diess  von  Plautus  und  Petronius  ange- 
deutet wird.     Das  Latein  des  Mittelalters  bildete  übrigens 

'l  Deutsche  Mythologie,  im  Kapitel  von  der  Zauberei. 
*)  Als  Gelluden.     S.  oben. 

*)  Lex.  Sa/.  I.XVll.  3.     Le^.  Rothar,  CCCLXXIX,     Capitul.    Cüroli  .V. 
de  part.  Saxon. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  107 

die  Form  Strix  oder  Striga  öfters  in  Stria  um.  Strega 
ist  die  Benennung,  mit  welcher  noch  jetzt  der  Italiener 
eine  Hexe  bezeichnet.  Dem  Herzrauben  und  Strohein- 
legen begegnen  wir  später  wieder  bei  Burkhard  von 
Worms  ^),  bei  dem  Stricker  oder  einem  seiner  Zeitgenossen  *) 
und  im  Volksglauben  der  Bayern  und  Oesterreicher,  wo 
Frau  Berchta  mit  der  langen  Nase  den  faulen  Knechten 
d^n  Leib  aufschneidet  imd  wieder  mit  Häckerling  füllt  ^); 
am  beharrlichsten  aber  scheint  gerade  in  diesem  Punkte 
der  serbische  Hexenglaube  gewesen  zu  sein. 

Eine  besonders  merkwürdige  Stelle  über  den  Glauben 
an  die  Nachtfahrten  findet  sich  auch  in  der  Sammlung  des 
kanonischen  Rechts.  Es  ist  der  vielfach  besprochene  und 
commentirte,  bald  als  Beweisstelle  angerufene,  bald  in 
seiner  Authentie  bestrittene  und  wieder  vertheidigte  Ka- 
non Episcopi^)^  auf  den  wir  weiter  unten  noch  eingehender 
zurückkommen  werden.  Es  wird  darin  den  Bischöfen  zur 
Pflicht  gemacht,  auf  die  Ausübung  magischer  Künste  ein 
wachsames  Auge  zu  haben  und  die  Schuldigen  aus  der 
Kirchengemeinschaft  auszuschliessen.  Insbesondere  habe 
man  zu  achten  auf  gewisse  gottlose  Weiber,  welche,  vom 
Teufel  imd  seinen  Dämonen  verblendet,  sich  einbilden  und 
behaupten,  dass  sie  zur  Nachtzeit  mit  der  Heidengöttin 
Diana,  mit  Herodias  und  einer  Schaar  andrer  Weiber,  auf 
gewissen  Thieren  reitend ,  grosse  Länderstrecken  .  durch- 
fliegen und  in  bestimmten  Nächten  der  Befehle  ihrer  Herrin 
gewärtig  sein  müssen.  Dieses  alles  sei  heidnischer  Unsinn 
imd  werde  vom  bösen  Geiste  nur  ihrer  Phantasie  vorge- 
gaukelt. 

Dass  der  in  diesem  Kanon  erwähnte  Aberglaube  dem 
römisch- Christ  liehen  (imd  nicht  dem  germanischen) 
Alterthum  zu  vindiziren  ist,  kann  leicht  erwiesen  werden. 
Dafür  spricht  nämlich  vor  Allem  die  Beziehung  der  fahren- 
den Weiber  zur  Diana,  in  welcher  ihre  zauberische  Doppel- 


»)  Decret.  XIX.  5. 

^  Grimm  deutsche  Myth.  S.  589. 

»)  Ebendas.  S.  170. 

*)  Duret,  Gratian.  Part.  IL     Caus.  XXVI.    Quaest.  V.  c.   12. 


lo8  Siebentes  Kapitel. 

gängerin  Hekate  nicht  leicht  zu  verkennen  ist*^).  Die  ro- 
mische Diana  hatte  auch  nach  Deutschland  ihren  Weg 
gefunden.  Noch  ira  sechsten  Jahrhundert  zerstörte  der 
Einsiedler  Wulfilaich  ein  Standbild  derselben  bei  Trier, 
das  von  dem  heidnischen  Landvolke  eifrig  verehrt  wurde  *). 
Bei  den  romanischen  Völkern  erscheint  im  Mittelalter  an 
Stelle  der  Diana  oft  die  Herodias,  —  welcher  der  Teufel 
für  den  an  dem  Täufer  begangenen  Mord  den  dritten  Theil 
der  Welt  geschenkt  hatte,  und  welche  nach  Gottes  Straf- 
gericht ruhelos  umherziehen  musste').  Die  um  sie  ge- 
schaarte  Hexengesellschaft  wurde  auch  ludus  Dianae,  so- 
cietas  Dianae,  ludus  bonae  societatis  genannt.  Die  Theil- 
nahme  an  dieser  Gesellschaft  hiess  später  in  Florenz  und 
sonstwo  andare  in  corso,  andare  alla  brigata. 

Sodann  bezeichnet  Burkhard  von  Worms  in  einer 
andern  Stelle,  die  auf  den  obigen  Kanon  offenbar  Bezug 
nimmt,  in  den  Nachtweibem  die  Strigen  des  römischen 
Volksglaubens  unverkennbar  *).  Es  zeigt  sich  daselbst  der 
Nachtflug,  wie  bei  Apulejus,  das  Aufzehren  von  innen,  wie 
bei  Plautus,  Petronius  und  den  auf  römischem  Grunde  ein- 
gebürgerten Longobarden,  endlich  das  Stroheinlegen,  wie 
ebenfalls  bei  Petronius.  Es  könnte  nur  etwa  das  Reiten 
der  Hexen  neu  erscheinen.     Aber   auch  dafür   findet  sich 


')  Die  nächtlich  über  Berge  und  durch  WSlder  umherstreifende  Diana 
wird  p.a'.ya(,  omnivaga  genannt.  Von  der  pergSischen  Artemis  sagt  Suidas: 
xdzztzoLi  £sl  TÄv  aY'Jpttüv  xal  itXav*r|xu>v,  itaposov  xal  -rj  ^eög  TcXavttsd^i  vojxl- 
Cstot:.  Die  ephesischc  Artemis  wurde  mit  uniüchtigen  Tänzen  von  den  Weibern 
verehrt.  Artemis  und  Diana  als  Zauberg6ttin  mit  der  Hekate  vertauscht 
findet  sich  öfters.  S.  hierüber  Lobeck  Aglaopham.  p.  1086  ff.  Bei  Horax 
(Epod.  V.  51)  ruft  die  Zauberin: 

—    --   —  —  —  O  rebus  mcis 

Non  infideles  arbitrae, 
Nox  et  Diana,  quae  silentium  regis, 

Arcana  quum  Bunt  sacra, 
Nunc,  nunc  adeste. 
«)  Gregor,   Turon,  Hist.  Franc.  Vlll.   15. 

')  Ueber  den  an  den  Namen  Herodias  aHmählich  angeschlossenen  Sagen- 
kreis vgl.    /r.  MülUr  (icsch.  u.  System  der  altdeutschen  Religion  (Gfttt.  1844) 

S.  112—113. 

*)  Decret.  hb.  XIX.  5. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  log 

im  klassischen  Alterthume  nicht  nur  Analoges,  wie  denn 
bei  Ovid  Medea  nach  Hekate's  Anrufung  in  ihrem  Drachen- 
wagen über  die  Berge  hinschwebt  ^)  und  Canidia  bei  Horaz 
auf  des  Dichters  Schultern  rittlings  emporzusteigen  droht  2); 
sondern  es  scheint  auch  in  der  That  die  Sache  selbst  ganz 
in  der  bezeichneten  Weise  den  Römern  bekannt  gewesen 
zu  sein.  Wenn  nämlich  die  Lebensbeschreibung  des  Papstes 
DamcLsus,  welche  man  in  einem  sehr  alten  Codex  (de  vitis 
Sanctorum)  in  Sta.  Maria  Maggiore  zu  Rom  aufbewahrt, 
Glauben  verdient,  so  ist  schon  auf  der  römischen  Synode 
im  Jahr  367  von  Weibern ,  welche  mit  der  Herodias  und 
andern  Weibern  auf  Thieren  zu  reiten  und  weite  Reisen 
zu  machen  wähnen,  die  Rede  gewesen^). 

Aus  diesen  Gründen  müssen  wir  daran  festhalten,  dass 
der  Kanon  keinen  anderen  als  römischen  Aberglauben 
bespricht.  Uebrigens  scheinen  auch  für  die  Annahme  der 
Abfassung  des  Kanons  auf  anderem  als  römischem  Boden, 
eben  weil  die  Priorität  der  Sache  für  die  Römer  streitet, 
durchaus  keine  nöthigenden  Gründe  zu  sprechen.  Dass 
die  Stelle  zuerst  in  deutschen  Sammlungen  angetroffen 
wird,  beweist  nichts,  weil  diese  Sammlungen  Nichtdeutsches 
in  Menge  enthalten.  Wenn  ferner  Burkhard  anderwärts 
ein  Excerpt  aus  einem  Beichtbuche  gibt,  das  von  dem- 
selben Aberglauben  redet,  aber  an  Diana's  Stelle  die 
deutsche  Holda  nennt*),  so  haben  wir  hier  ohne  Zweifel 
nur  eine  von  denjenigen  Uebertragungen  auf  germanische 
Verhältnisse,  deren  das  weitergreifende  Christenthum  so 
manche  mit  sich  brachte.  Und  ausserdem  ist  zu  beachten, 
dass  Burkhard  in  seinem  Corrector  den  Aberglauben  an 


*)  MeUmorph.  VII.  220  ff. 

»)  Epod.  XVII.  74- 

')  S.  die  Anmerkungen  der  römischen  Correctoren  zum  Kanon  Episcopi. 

*)  Decret,  XIX.  5.  Credidisti,  ut  aliqua  femina  sit,  quae  hoc  facere 
possit,  quod  quaedam  a  diabolo  deceptae  se  affirmant  necessario  et  ex  prae- 
Cepto  facere  debere,  id  est  cum  daemonum  turba  in  similitudinem  mulierum 
transforroata,  quam  vulgaris  stultitia  Holdam  (eine  andre  Lesart  ist  Unholdam) 
vocat,  certis  noctibus  equitare  debere  super  quasdam  bestias  et  in  eorum  se 
consortio  annummeratam  esse. 


HO  Siebentes  Kapitel. 

die  drei  Schwestern,  welche  man  Parcen  nenne,  und  die 
auf  demselben  beruhende  divinatorische  Magie  als  einen 
im  Volke  üblichen  Unfug  bezeichnet  und  denselben  zu 
strafen  befiehlt^).  Wenn  aber  Böhmer  insbesondere  in 
einem  sächsischen  Glauben  die  Veranlassung"  des  Ka- 
nons sucht,  so  rührt  diess  von  dem  gewöhnlichen  Irrthum 
her,  welcher  die  Wiege  alles  Hexenglaubens  auf  den 
Brocken  verlegt^).  Die  Vorstellung  von  den  Nacht  ritten 
war  auf  italienischen  und  gallischen  Concilien  schon  um 
mehrere  Jahrhunderte  früher  besprochen  worden,  als  die 
Sachsen  sich  dem  Christenthum  zuwandten*);  ja  die  schrift- 
lichen Denkmäler,  welche  den  Brocken  zu  einem  unter  den 
isahllosen  Schauplätzen  der  Hexenfahrten  machen ,  reichen 
sogar  nicht  einmal  bis  über  das  fünfzehnte  Jahrhimdert 
zurück  *). 

Das  Angeführte  möge  genügen,  um  an  einigen  we- 
sentlichen Stücken  zu  zeigen,  wie  der  Aberglaube  der 
heidnischen  Römer  und  Griechen  sich  auch  auf  ihre  christ- 
lichen Nachkommen  und  durch  diese  auf  die  Christen  über- 
haupt  vererben   konnte  *).     Auch    bei   den   germanischen 


')  Bei  IVasser schieben ,  Bussordnungen  S.  657  u.  658.  —  Hier  spricht 
Burkhard  auch  von  dem  Aberglauben  an  die  agrestes  foeminae,  quas 
silvaticas  vocant,  quas  dicumt  corporeas  esse,  et  quando  voluerint,  Osten- 
dant  se  suis  amatoribus  etc. 

*)  S.  Böhmer  Jus  ccciesiast.  Protestant.  Tonn.  IV.  p.  468,  wo  als  StOtze 
dieses  Glaubens  eine  Stelle  aus  Rolevinck  angefQhrt  wird,  die  nichts  weniger 
als  diess  enthftlt. 

*)  Z.  B.  auf  der  oben  berührten  römischen  Synode  von  367  und  dem 
Concilium  von  Agde  (5^)6),  dessen  hierher  gehöriger  Beschluss  sich  bei  Burk- 
hard X.  29  findet. 

*)  Gtimm,  deutsche  Mythol.     S.  591. 

•)  Dasselbe  sagt  auch  \y.  E.  Hartpole  Lecky  in  seiner  History  of  the 
rise  and  influence  of  the  spirit  of  Rational ism  in  Europe  (3.  Aufl.  London. 
18^6).  Qbers.  v.  Jolowicz,  S.  28:  „Das  Heidenthum  als  besonderes  System 
wunle  vernichtet,  al>er  seine  verschiedenen  Grundbestandtheile  blieben  in  um- 
gewandelter Korm  und  unter  neuem  Namen  stehen.  Viele  Theile  des  Systems 
wunirn  von  tlem  neuen  Glauben  aufgenommen.  —  Ein  anderer  Theil  d^ 
Ht-i<icnthums  wurde  eine  Art  Auswuchs  des  anerkannten  Christenthums.  — 
Ein  «intter  Theil  behielt  dauernd  die  Form  der  magischen  Gebrtuche.  Diese 
B'iu:he  bilden  natürlich  nur  ein,  und  vielleicht  ein  nicht  sehr  henrorragendes 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  m 

Völkern  ist  allerdings  nach  ihrer  Bekehrung*  ganz  ohne 
Zweifel  ein  guter  Rest  alter  Vorstellungen  geblieben.  Dass 
zu  diesem  Reste  aber  auch  noch  Griechisch-Römisches  in 
Menge  aufgenommen  werden  musste,  liegt  theils  in  dem 
vielfachen  Verkehr  mit  den  Römern  selbst,  theils  in  dem 
grossen  Einflüsse,  welchen  griechische  und  römische  Bil- 
dung auf  die  Gestaltung  des  kirchlichen  Lehrstoffes  ausübte. 
Aber  neben  imd  mit  dem  Glauben  fanden  auch 
Uebungen,  die  in  demselben  Wurzel  schlagen,  bei  den 
Christen  Eingang.  Die  Concilienschlüsse  und  die  Schriften 
der  Kirchenväter  liefern  hierfür  deutliche  Beweise.  Es  ist 
hier  nicht  bloss  die  Rede  von  den  zahlreichen  Ketzern 
\md  Sekten  der  früheren  Zeit,  welchen  oft  dergleichen 
Dinge  vorgeworfen  wurden,  wie  Simon  dem  Magier,  den 
Basilidianem,  Karpokratianem ,  Marcioniten,  Montanisten, 
Manichäem    und  Priscillianisten  *).     Die  Nachrichten   über 


Element  in  dem  Systeme  der  Hexerei;  aber  jede  Erörterung,  welche  es  unter- 
lassen würde,  davon  Notiz  zu  nehmen,  würde  unvollständig  sein.  Alle  jene 
fratzenhaften  Ceremonien»  welche  Skakespeare  im  Macbeth  schildert,  sind  dem 
alten  Heidenthum  entlehnt.  In  den  vielen  Beschreibungen  des  Hexensabbaths 
kommen  Diana  und  Herodias  zusammen  als  die  zwei  hervorragendsten  Ge- 
stalten vor,  und  unter  den  gegen  die  Hexen  vorgebrachten  Anklagepunkten 
finden  wir  viele  alte  Gebräuche  der  Auguren  aufgeführt.**  —  In  demselben 
Sinne  sagt  A.  Maury  (La  magie  et  l'astrol.  S.  184):  Tous  les  contes  debites 
au  moyen  äge  sur  les  revenants  avaient  ete  apport^s  de  la  Gr^ce, 
de  Tita  IIa  ou  des  contr^es  germaniques ;  —  S.  186:  Ainsi  peu  a  peu  les 
antiques  divinit^s  de  l'Orient  et  de  la  Gr^ce  furent,  en  r^alite,  r^duites  k  la 
condition  de  g^nies  dechus  et  malfaisants,  d'esprits  surnaturels  encore,  mais 
d'un  ordre  inferieur,  et  dont  la  puissance  ^tait  limitee  aux  mal^Rces  et  aux 
encbantemens.  Ccs  dieux,  qui  se  montraient  jadis  —  sous  les  trais  d'un  g^nie 
protccteur,  ne  s'oflfraient  plus  aux  sorciers  du  moyen  äge  que  sous  la  figure 
de  d^mons.  —  Ebenso  sagt  Schindler  (Der  Aberglaube  des  Mittelalters  S.  325 : 
„Wir  finden  in  der  christlichen  Hexerei  jeden  Zug  römischer  Zauberei  reprodu- 
zirt",  und  schliesst  die  Anziehung  einer  Reihe  von  Stellen,  die  er  aus  römi- 
schen Dichtem  hervorhebt  (S.  328)  mit  den  Worten:  „Diese  Stellen,  welche 
noch  bedeutend  vermehrt  werden  könnten,  wo  römische  Schriftsteller  eine 
Schilderung  der  heidnischen  Hexerei  gaben,  stimmen  so  vollkommen  mit  der 
des  Mittelalters  überein,  dass  es  seine  Augen  absichtlich  verschliessen  hiesse, 
wenn  man  nicht  den  inneren  Zusammenhang  beider  anerkennen  wollte." 

*)  Notata  sunt  etiam  commercia  haereticorum  cum  magis  plurimis,  cum 
circulatoribus,  cum  astrologis,  cum  philosophis.  Tcrtull,  de  praescript.  adv. 
baeret.  cap.  43.     Das  Einzelne  wird  weiter  unten  berührt  werden. 


112  Siebentes  Kapitel. 

dieselben  sind  theils  so  allgemein  gehalten,  dass  man  über 
die  Gattung  der  ihnen  vorgeworfenen  Magie  im  Unge- 
wissen bleibt  und  nur  bei  einigen  etwa  auf  Philtra,  astro- 
logischen Aberglauben,  Amulete  und  magische  Ringe 
schliessen  darf;  theils  rühren  sie  von  den  Gegnern  her 
und  stimmen  mit  dem  sonst  bekannten  Lehrsystem  der 
Betheiligten  wenig  überein.  Wir  reden  hier  ganz  beson- 
ders von  demjenigen,  was  unter  ganz  rechtgläubigen 
Christen  selbst  im  Schwange  war. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Heilkunde  ! 

Bereits  seit  dem  vierten  Jahrhundert  galt  es  als  eine 
lächerliche  Behauptung,  dass  die  Krankheiten  nicht  von 
dämonischer  Einwirkimg,  sondern  von  Verderbniss  der 
Säfte  und  andern  organischen  Störungen  herrührten  ^).  Die 
Annahme  des  Dämonischen  in  den  Krankheiten,  von  welcher 
alle  theurgische  Therapie  ausgeht,  lauft  rückwärts  bis  zu 
den  Akkadem,  den  Urbewohnem  Chaldäa's.  Agobard 
von  Lyon,  der  alle  dämonischen  Krankheiten  leugnete, 
steht  noch  im  neunten  Jahrhundert  hierin  eben  so  verein- 
zelt unter  seinen  Zeitgenossen,  wie  in  allen  übrigen  Er- 
kenntnissen seines  klaren  Geistes.  Darum  gebrauchte  man 
selten  wirklich  arzneiliche  Substanzen,  und  in  diesen  sel- 
tenen Fällen  waren  es  auch  nur  die  im  achten  oder  neun- 
ten Jahrhundert  entstandenen  Rezeptensammlungen,  welche 
man  zu  Rath  zog,  missrathene  Compilationen  grober  Em- 
piriker, die  ihrerseits  wiederum  den  älteren  Plinius  ausge- 
beutet hatten  ^).  Desto  häufiger  behandelte  man  dafür  die 
Kranken  mit  Chrisam,  Handauflegen,  Besprengung  mit 
Weihwasser,  Formeln  u.  s.  w.  Diese  Art  liturgischer  oder 
ritualistischer  Medizin  war  frühzeitig  zum  Monopol  des 
Klerus  oder  der  Mönche  geworden').  Essenische  und  neu- 


')  Sprengel  Gesch.  d.  Mcdicin,  Th.  II.  S.   170. 

*)  Sprengel  Gesch.  d.  Med..  Th.  II.  S.  178.  Auch  im  späteren  Mittel- 
alter war  Plinius  wohlbekannt;  von  Johann  von  Salishury  und  Roger  Bacon 
wird  er  mehrfach  citirt. 

•)  Sprengel  a.  a.  O.  S.  150  ff.  —  Erst  als  die  Medictn  einen  wissen* 
schaftlicheren  Charakter  annahm,  wurde  den  München  und  Kanonikern  die 
Ausübung  derselben  verboten,    wie   auf  dem  Concil  zu  Reims  1131  und  der 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  1 1  ^ 

platonische  Theurgie  hatte  sich  mit  untergemischt  und 
selbst  die  Kunstgriffe  der  Asklepiaden  wurden  nicht  ver- 
schmäht: wer  nicht  geheilt  war,  der  hatte  den  Glauben 
nicht.  Solche  Mittel  Hessen  sich  Theodosius  und  Justinian 
gefallen ;  ja  zuweilen  traten  christliche  Kleriker  mit  solchen 
Waffen  gegen  heidnische  Zauberer  in  die  Schranken,  wie 
denn  der  Bischof  Maruthas  den  persischen  König  Jezderd- 
gerd,  der  von  den  Magiern  bereits  aufgegeben  war,  mit 
Gebet  und  Sprüchen  heilte.  Mit  Gebet  und  geweihtem 
Oele  bringt  der  heilige  Martin  bei  Venantius  Fortunatus 
eine  Gelähmte,  die  schon  in  den  letzten  Zügen  liegt,  zu 
augenblicklicher  Genesung^);  mit  Chrisam  und  Kreuzes- 
zeichen behandeln  Hospitius,  Eparchius  und  andre  Ein- 
siedler die  Taubstummen,  Blinden,  Blatterkranken  und 
Aussätzigen,  und  bei  Gregor  von  Tours  ist  zu  lesen,  dass 
die  Kranken  unmittelbar  darauf  hörten,  sprachen,  sahen 
und  rein  wurden*).  Durch  den  Exorcismus  erhoben  sich 
die  Geistlichen  zu  Gebietern  der  Dämonen ;  den  Reliquien, 
dem  Rosenkranze,  dem  Agnus  Dei  legten  sie  Schutzkräfte 
bei,  wie  kein  Römer  jemals  einem  Phylakterium.  —  Als 
der  Bischof  Gregor  von  Tours  (t  594)  —  so  erzählt  er 
selbst  in  seinem  zweiten  Buche  von  den  Wundem  des 
heiligen  Martin  ^)  —  an  einer  schweren  Ruhr  damiederlag 
und  alle  ärztliche  Kunst  erfolglos  aufgeboten  worden  war, 
sandte  er  einen  Diakonus  und  Hess  etwas  Staub  vom  Grabe 
Martins  holen.  Daraus  musste  der  Arzt  nach  Vorschrift 
einen  Trank  bereiten,  der  Kranke  genoss  davon,  fühlte 
sich  erleichtert    und   begab    sich    desselbigen  Tages    drei 


zweiten  Lateransynode  1239.  Die  Lateransynode  von  1215  verbot  alle 
chirurgischen  Handlungen,  in  denen  gebrannt  und  geschnitten  wird.  Indessen 
wurden  in  vielen  Ländern  noch  immer  die  Aerzte  als  Kleriker  angesehen;  in 
Frankreich  erhielten  sie  erst  im  fünfzehnten  Jahrhundert  die  Erlaubniss  zu 
heirathen. 

0  Vita  S.  Martini  lib.  L 

•)  Gregor,  Turon,  Hist.  Franc.  VI.  6. 

*)  Das    Werk  umfasst   vier  BÖcher,  die  Gregor  in  den  Jahren  576 — 594 
verfasst  hat.     Vgl.  Löbell,  Gregor  v.  Tours  und  seine  Zeit.     Leipz.  1839. 
8oldan-He  ppe,  HexenproKcsae.  ^ 


11^  Siebentes  Kapitel. 

Stunden    nach    der   Anwendung   des  Mittels    vollkommen 
gesimd  zum  Mahle,  fest  überzeugt,  dass  er  seine  Genesimg 
nur  der  Kraft  des  heiligen  Staubes  verdanke.  —  Die  Ver- 
ehrung solcher  Heilungen  stieg  bis  zu  dem  Grade,    dass 
sie   dem    ärztlichen   Heilverfahren    feindlich    entgegentrat 
und    den    Gebrauch    natürlicher   Mittel    als    strafwürdigen 
EingriiF  in  das  Gebiet  des  Göttlichen  erscheinen  Hess.    Wie 
er   selbst   bloss   um   eines  frevlerischen  Gedankens  willen 
bestraft  wurde,  erzählt  der  gläubige  Gregor  im  60.  Ka- 
pitel des  angeführten  Buches.     Neunundneunzig  Wunder- 
thaten  des   heiligen  Martin  hatte    er   bereits    beschrieben 
und  sah  sich  eben  nach  der  hundertsten  um,  da  wurde  die 
linke  Seite  seines  Kopfes  plötzlich  von  so  heftigem  Schmerze 
befallen,    dass    die    Adern    ungestüm    schlugen    und    die 
Thränen   rannen.     Einen    Tag   und    eine  Nacht   hindurch 
ertrug  er  diese  Leiden,  begab  sich  dann  in  die  Kathedrale 
zum  Gebete  und  berührte  die  kranke  Stelle  mit  dem  Vor- 
hange,   der   das  Grab  des  Heiligen  verbarg.     Im  Augen- 
blick erfolgte  Linderung.     Nach  drei  Tagen  befiel  dasselbe 
Leiden    die    rechte    Seite,    und    dasselbe  Mittel  half  zum 
zweitenmale.     Als  er  aber   einige  Zeit  darauf  einen  Ader- 
lass  angewandt  hatte,    da    gab  ihm  drei  Tage  nach  dem- 
selben der  Böse,    wie   er  meint,    den  Gedanken  ein,  dass 
sein    früherer  Kopfschmerz   nur  vom  Blute  hergekommen 
sein  möge  und  ohne  Zweifel  durch  unverzügliche  Oeffhung 
einer  Ader    auf   natürlichem  Wege    eine    baldige   Abhilfe 
gefunden   haben  würde.     Aber  noch  während  dieses  Ge- 
dankens fühlt  Gregor  seinen   ganzen  Kopf  von  dem  alten 
Schmerze    wieder   furchtbar  zerrissen.     Er    eilt   reuig   zur 
Kirche,  fleht  um  Vergebung,  berührt  das  Haupt  mit  dem 
Vorhange   und   sieht   sich  in  Kurzem   vollkommen  herjfe- 
stellt,  —  Das  Seitenstücjc  hierzu  liefert  die  Geschichte  des 
Archidiakonus    Leonastes    zu   Bourges').     Dieser    litt 
am  Staar,  und  kein  Arzt  vermochte  ihm  zu  helfen.     End- 
lich  begab    er   sich   in    die  Basilika   Martins  und  brachte 
daselbst  zwei  oder  drei  Monate  unter  beständigem  Fasten 

*)  Grf^.   Tur,  HIsi.  Fr.  V.  6. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  n  ^ 

und  Beten    zu.     Da    ward    ihm    an    einem  Festtage    das 
AugenKcht  wiedergegeben.    Er  eilte  nach  Hause,  bestellte 
einen  jüdischen  Arzt  und  setzte  auf  dessen  Rath  zur  Voll- 
endung der  Kur  Schröpfköpfe  an  den  Hals.     Nun   ereig- 
nete es  sich  aber,  dass  in  demselben  Maasse,  wie  das  Blut 
floss,   die   Blindheit   wieder   einzog.     Voll   Scham   kehrte 
Leonastes  zur  Kirche  zurück,    betete    und  fastete  wie  zu- 
vor,  ward    aber   der  "Wiederherstellung  nicht  gewürdigt. 
„Jeder  Mensch,"  —  schliesst  Gregor  seine  Erzählung,  — 
„möge  aus  dieser  Begebenheit  die  Lehre  ziehen,  dass  er, 
wenn  ihm  einmal  die  Wohlthat  wurde,  himmlische  Arznei 
zu  erhalten,    nicht  wieder  zu  irdischen  Künsten  seine  Zu- 
flucht  nehmen  solle."  —  So  Hess   der  Geist   der  Zeit  die 
religiöse  Therapie  ihre  Triumphe  feiern  über  die  pharma- 
kologische,   dass    es   scheinen  möchte,    als  wäre  die  alte 
Zeit  der   griechischen  Heiltempel  jetzt   in  die  christlichen 
Dome  eingezogen,  nur  glänzender  und  mächtiger.    Glaubten 
die  Alten,  durch  Beschwörungen,  Namen,  Bilder  und  Zeichen 
Wirkungen,  die  ausser  dem  Kreise  der  täglichen  Erschei- 
nungen  lagen,    hervorbringen  zu  können,    so  überbot  sie 
der  christliche  Klerus  noch   um  Vieles,    und   zwar   bis  in 
die  neuere   Zeit   herab.     In    den   Exorcismen,   herüberge- 
nommen aus  dem  Judenthum  schon  in  den  frühesten  Zeiten 
und   später  mannichfaltig  erweitert  und  verändert,    tönen 
die  Namen  Gottes  und   der   heiligen  Jungfrau  durch   alle 
Zungen  und  Synonymen  hin;    mit  ihnen  trieb  man  Teufel 
aus,    gab    dem   Wasser  die   Kraft,    im  Gottesurtheil    den 
Schuldigen,  wie  man  wollte,   zu  verschlingen   oder  auszu- 
stossen,  nahm  dem  Feuer  seine  Gluth,  wenn  es  die  Glieder 
des  Unschuldigen  berührte,    imd    stählte  die  Waifen   des 
Kämpen  zum  Siege  für  die  gerechte  Sache.    Aberglauben 
gegen  Aberglauben  stellend,  empfehlen  noch  die  Jesuiten 
Schott  und  David  gegen  Bezauberungen  Heiligengebeine, 
Weihwasser   und  Agnus  Dei.     Papst  Sixtus  IV.    erklärte 
durch  eine  Bulle  vom  22.  März  1471  das  Verfertigen  imd 
Vergaben   solcher  Gotteslämmer   für    ein  ausschliessliches 
Recht   des  Papstes.     Ihm    zufolge    erwirkt  das  Berühren 
derselben    ausser    der  Sündenvergebung    auch    Sicherheit 


1 1 6  Siebentes  Kapitel. 

gegen  Feuersbrunst,  Schiffbruch,  Sturm,  Gewitter  und 
Hagelschlag  *).  Solche  heilige  Amulete,  wie  sie  der  Jesuit 
Delrio  nennt,  hing  man  später  auch  den  verstockten  Hexen 
im  Verhöre  um,  und  die  Gesellschaft  Jesu  versichert,  dass 
dann  bei  Anwendimg  der  Folter  alle  vom  Teufel  ge- 
schenkte Unempfindlichkeit  gegen  den  Schmerz  ver- 
schwunden sei. 

Wie  die  Priester  mit  der  Divination  verfuhren,  lehrt 
eine  Erzählung,  welche  der  Bischof  von  Chartres  Johan- 
nes von  Salisbury  (t  1181)  mit  vieler  Unbefangenheit 
aus  seinem  eignen  Leben  mittheilt  *).  Als  er  die  Psalmen 
lernte,  liess  der  Priester,  der  ihn  lehrte ,  ihn  und  einen 
andern  Eaiaben  zuweilen  in  ein  spiegelblankes,  mit  Chrisma 
bestrichenes  Becken  schauen,  um  gewisse  Aufschlüsse,  die 
andre  Personen  begehrten,  darin  zu  finden  imd  mitzutheilen. 
Der  Mitschüler  zeigte  sich  anstellig  und  redete  von  allerlei 
Gestalten  in  nebelhaften  Umrissen ;  Johann  aber  sah  beim 
besten  Willen  nichts,  als  ein  blankes  Becken  und  wurde 
in  der  Folge  nicht  mehr  zugezogen.  Wir  haben  hier  ganz 
die  alte  Katoptromantie,  nur  mit  dem  Zusätze  des  ge- 
weihten Oeles. 

Mag  es  sein,  dass  Fälle,  wie  der  erwähnte,  mehr  ver- 
einzelt und  ohne  kirchliche  Auctorität  vorkamen;  es  ist 
hier  aber  doch  noch  eines  Gegenstandes  zu  gedenken,  bei 
welchem  weder  die  allgemeine  Verbreitung,  noch  die  Ge- 
nehmigung der  höchsten  Kirchenlehrer  zweifelhaft  ist.  Es 
sind  dieses  die  sogenannten  Sortes  Sanctorum,  zuweilen 
auch  Sortes  Apostoloriun  oder  Prophetarum  genannt.  Wie 
die  Griechen  ihre  Stichomantie  aus  Homer,  die  Romer 
ihre  virgilischen  Loose  hatten,  so  suchten  die  Christen 
Rath  in  den  zufallig  aufgeschlagenen  Stellen  der  Bibel. 
Schon  Augustin  kennt  diese  Gewohnheit.  Nach  seiner 
Lehre  zeigt  das  Loos  dem  zweifelnden  Menschen  den  gött- 
lichen Willen  an;  er  bezeichnet  auch  die  Sortilegien  aus 
der  Bibel  als  göttliche  Orakel,  missbilligt  aber,  dass  man 


*)  Raymaiä.  Annal.  Eccles.  ad  ann.  I471. 
•)  PoUcraticu»  I.  28. 


Das  Mittelalter   bis   zum  dreizehnten  Jahrhundert.  ny 

dieselben  in  weltlichen  Geschäften  zu  Rathe  ziehe*).  In 
Gallien  wurden  sie  indessen  in  weltlichen  wie  geistlichen 
Dingen  bald  so  allgemein,  dass  die  Concilien  auf  Be- 
schränkung denken  mussten.  Bei  Gregor  von  Tours 
finden  sich  Beispiele  in  Menge. 

Als  Prinz  Merowig,  Chilperichs  I.  Sohn,  auf  Befehl 
des  Vaters  zum  Priester  geschoren ,  im  Dome  zu  Tours 
eine  Freistätte  gesucht  hatte,  begab  er  sich,  irre  geworden 
an  einem  bereits  von  einer  Wahrsagerin  erhaltenen  Aus- 
spruche, zu  dem  Grabe  des  heiligen  Martin,  legte  auf 
dasselbe  die  Psalmen ,  die  Bücher  der  Könige  und  die 
Evangelien  und  betete  zu  dem  Heiligen,  dass  er  ihm  mit 
Gottes  Hilfe  offenbaren  möge,  ob  er  einst  den  Thron  be- 
steigen werde,  oder  nicht.  Nach  dreitägigem  Fasten  trat 
er  abermals  zum  Grabe,  schlug  die  drei  Bücher  nach  ein- 
ander auf  und  wurde  über  den  Inhalt  der  gefundenen 
Stellen  so  bestürzt,  dciss  er  mit  seinem  Guntram  wegzog 
und  sich  bald  darauf  von  einem  vertrauten  Diener  mit  dem 
Schwerte  durchbohren  liess^). 

Als  Prinz  Chramnus  seinen  Vater  Chlotar  stürzen 
wollte,  liess  auch  er  sich  auf  diese  Weise  ein  Orakel  geben. 
Es  geschah  unter  den  Augen  des  heiligen  Tetricus  zu 
Dijon  von  drei  Priestern,  welche  aus  drei  Abschnitten  der 
auf  dem  Altare  liegenden  Schrift  einen  Vers  aufschlugen 
und  unter  der  Messe  ablasen;  es  geschah  mit  der  aus- 
drücklichen Bitte,  dass  die  göttliche  Allmacht  erklären 
möchte,  ob  Chramnus  glücklich  sein,  oder  wenigstens  zur 
Regienmg  kommen  würde'). 

Wir  übergehen  andre  zahlreiche  Beispiele  dieser  Art. 
Mehr  mit  Augustins  Ansicht  von  der  Heiligkeit  der  gött- 
lichen Orakel  mag  der  Gebrauch  übereinstimmen,  den  man 
bei  streitigen  Bischofswahlen  von  denselben  machte.  Durch 
sie  wurde  Martin  auf  den  Stuhl  von  Tours,  der  heilige 
Anianus  auf  den  von  Orleans  erhoben.    Aber  auch  in  nicht 


*)  Die    betreffenden    Stellen   aus    Augustin    sind   zusammengestellt   Decr. 
GraL  P.  11.  Gaus   XXVI.    Qu.  H.  III.  IV. 
')  Grfg*  Tur,  Hist.  Fr.  V.  14  u.  19. 
*)  Grtg,  H.  Fr.  V.   16. 


1 1 8  Siebentes  Kapitel. 

streitigen  Fällen  pflegte  man  bei  der  Einweihung  von  Bi- 
schöfen und  Aebten  unter  bestimmten  Feierlichkeiten  die 
Schrift  aufzuschlagen,  um,  wie  man  es  nannte,  dem  Neu- 
gewählten  das  Prognostiken  zu  stellen.  Hiervon  berichtet 
als  von  einer  althergebrachten  Sitte  das  Capitel  von  Orleans 
an  Alexander  III. ;  Gleiches  erzählt  Wilhelm  von  Malmes- 
bury  von  der  Einweihung  der  berühmten  Kirchenlehrer 
Lanfranc  und  Anselm  von  Canterbury  ^). 

Die  Entscheidung  zweifelhafter  Fälle  aus  Zetteln,  die 
man,  mit  Ja  und  Nein  oder  andern  kurzen  Antworten  be- 
schrieben, unter  dem  Altartuche  hervorzog,  ist  ebenfalls 
alt  und  von  den  angesehensten  Männern  ausgeübt  worden. 
Durch  sie  bestimmt,  eilte  der  heilige  Patroklus  von 
Bourges  in  die  Einsamkeit^),  durch  sie  wurde  auch  der 
Leichnam  des  heiligen  Leodegar  dem  Bischof  von  Poi- 
tiers  zugesprochen,  als  sich  die  Bischöfe  von  Autun  und 
Arras  mit  ihm  um  denselben  stritten^).  Ja,  dass  man  im 
neunten  Jahrhundert  in  England  selbst  vor  Gericht  das 
Loos  zum  gewöhnlichen  Entscheidungsmittel  gemacht  hatte, 
beweist  ein  Verbot,  welches  desshalb  von  Leo  IV.  an  die 
britische  Geistlichkeit  erlassen  wurde*). 

So  trieb  man  eine  Art  christlicher  Magie  mit  dem 
Ritual  der  Kirche*). 


')  De  Pontif.  Angl.  üb.  1.  p.  214  u.  2 19. 

*)  Gregor,   Tur,  vila  S.  Patrocli. 

')  Baldrici  Chronicon  Camerac.  I.  21. 

*)  Gratian.  Decret.  P.  II.  Caus.  XXVI.  Qu.  V.  Cap.  7. 

*)  Das  sah  auch  im  vierzehnten  Jahrh.  der  Kanzler  GVrj^«  (-j-  1363)  ein  und 
suchte,  was  er  nun  einmal  nicht  abschaffen  konnte,  wenigstens  zum  Besten 
zu  kehren.  Arguunt  (die  der  Magie  Ergebenen)  iterum  et  nos  in  sinülem 
causam  trahere  satagunt.  Nonne,  inquit,  talia  similiter  fiunt,  aut  tolcrantur 
ab  ecclesia  in  peregrinationibus  certis,  in  cultu  imaginum,  in  cereis  aut  ceri*> 
aut  aquis  bencdictis  et  in  exorcismis?  Nonne  dicitur  quotidie,  %\  noveni  die^ 
perduret  in  hac  ecclesia.  si  ex  aqua  illa  perfundatur,  aut  si  tali  se  vovrat 
imagini,  aut  si  aliquid  talium  faciat,  ipse  uiox  sanabitur  vel  optato  potietur^ 
Fateor,  ac  negare  non  possumus.  multa  inter  Christianos  simplices  sub  %pec»c 
religionis  introducta  esse ,  quorum  sanctior  esset  omissio.  Tolerantur  tarnen. 
quia  nequeunt  funditus  erui,  et  quia  fides  simplicium,  quamquam  minus  in 
aliquibus  benc  sapiat,  regulariter  tarnen  et  quodammodo  rectificaiiir  salvaturque 
in  fide  majorum,  qujm  fidem  generali  saltem  intentione  in  onmibus  suis  ob»er- 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  ng 

Betrachten  wir  nun  die  Stellung,  welche  die  Kirche 
zur  eigentlichen  Zauberei  und  zum  Zauberglauben  einnahm ! 
Sobald  die  Verfolgung  der  Christen  aufhörte  und  die 
Kirche  zum  Frieden  gelangte,  so  dass  sie  auf  Synoden 
ihre  Angelegenheiten  ordnen  konnte,  sahen  wir  dieselbe 
auch  sofort  dem  Aberglauben  und  der  Zauberei,  Wahr- 
sagerei u.  s.  w.  als  heidnischem  Unwesen  eifrigst  entgegen- 
treten, wobei  freilich  anfangs  von  der  Kirche  der  Glaube 
an  die  Möglichkeit  wahrer  Zauberei  und  magischer  Male- 
fizien  nur  allzu  stark  ausgesprochen  wurde  *).  Schon  die 
Synode  zu  Elvira  (von  305  oder  306)  verordnete  in  Kan.  6, 
dass  wenn  Jemand  durch  ein  „maleficium"  (d.  h.  durch 
Zauberkünste)  einen  anderen  tödte,  derselbe  bestraft  werden 
sollte,  „weil  ein  solches  Verbrechen  ohne  Götzen- 
dienst nicht  möglich  sei".  Ebenso  bedrohte  die  Sy- 
node zu  Ancyra  im  Jahr  314  „alle  diejenigen,  welche  wahr- 
sagen imd  den  Gewohnheiten  der  Heiden  folgen  oder  Leute 
(Zauberer)  in  ihr  Haus  aufnehmen  behufs  der  Entdeckung 
von  Zaubermitteln  oder  zum  Zwecke  von  Sühnungen"  mit 
kanonischen  Strafen  ;  worauf  die  hochwichtige  (im  Anfange 
der  zweiten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  versammelte) 
S)mode  zu  Laodicäa  in  Kan.  36  dekretirte,  „dass  die 
höheren  und  niederen  Kleriker  keine  Zauberer,  Beschwörer, 
Mathematiker  oder  Astrologen  sein,  noch  auch  sogen. 
Amulete  fertigen  sollen,  welche  Fesseln  für  ihre  eigenen 
Seelen  sind"  —  bei  Strafe  der  Excommunication. 

Auch  in  den  folgenden  Jahrhunderten  sehen  wir  die 
Synoden  der  Kirche  dieselbe  Stellung  zur  Zauberei  und 
Wahrsagerei  einnehmen,  wie  auf  der  Synode  zu  Elvira, 
indem  sie  dieselbe  als  Ueberbleibsel  des  Heidenthums  (die 
meistens   sich   noch   mit  Resten  heidnischer  Kulte  in  Zu- 

vationibus  praesupponunt,  si  pie  et  humiliter  h.  e.  Christiane  sapiunt  et  si  ad 
ostensani  veritatis  normain  obedire  parati  sunt,  Haec  autem  intentio,  ut  talia 
suscipiantur  aut  fiant  non  tanquam  necessario  efficacia,  aut  tanquam  spes  princi- 
paus  in  talibus  posita  sit,  Deo  postposito,  sed  quod  pietas  fidei  per  ista  nutritur 
et  augetur  et  exaudiri  meretur. 

*)  Die   angezogenen  Synodalbeschlüsse    finden    sich  in  He/ele's  Concilien- 
gcsch.  C.  1— 8  vor. 


I  20  Siebentes  Kapitel. 

sammenhang  erhalten  hatte)  verpönte  und  verfolgte.    Der 
Gebrauch    der  sortes  sanctorum  zur  Erforschung  der  Zu- 
kunft  wurde    von    der    Synode    zu    Vennes   im    Jahr  465 
(Kan.  16)  den  Klerikern,    und  von   der  Synode  zu  Agde 
in  Südgallien  im  Jahr  506  (Kan.  42)  auch  den  Laien,  bei 
Strafe   der  Excommunikation  untersagt.  —  Die  erste  Sy- 
node   zu  Orleans   im  Jahr    511    untersagte   (Kan.  30)  alle 
„Wahrsagerei,    Augurien   und  sortes  sanctorum".  —  Die 
zu    Konstantinopel    gehaltene    Sjmodus    quinisexta     oder 
trullanische  Synode  von  692  verbot  in  Kan.  61   und  62  die 
Wahrsagerei,  das  Nativitätstellen,  Wolkenvertreiben,  Zau- 
bern, Vertheilen  von  Amuleten  und  allerlei  andere  Reste 
des  griechisch-römischen  Aberglaubens,  die  Kaiendenfeste, 
die  Bota  (zu  Ehren  des  Pan),  die  Brumalia  (zu  Ehren  des 
Bacchus),    die    Versammlungen    am    i.    März,    öiFentliche 
Tänze  der  Frauen,    die  Verkleidungen   von  Männern  und 
Weibern,  das  Anziehen  komischer,  satyrischer  und  tragischer 
Masken,  das  Anrufen  des  Bacchus  beim  Weinkeltern  etc.  — 
Beschlüsse    in  ähnlichem    Sinne   hatten   schon  vorher   die 
Synoden  zu  Tours  von  567,  zu  Auxerre  von  578,   und  zu 
Lenia   um  630   gefasst.     Aus  dem  Jahr  693  liegt  ein  Be- 
schluss  der  sechzehnten  Sjniode  zu  Toledo  vor,  welcher  es 
den  Bischöfen,    Priestern  und  Richtern  zur  Pflicht  macht, 
die  in  Spanien  noch  immer  vorhandenen  Reste  des  Heiden- 
thums  als:  Verehrung  von  Steinen,  Bäumen  und  Quellen. 
das  Anzünden  von  Fackeln,  Wahrsagerei,  Zauberei  u.  dgl. 
gänzlich  auszurotten.     Ebenso  untersagte  es  eine  römische 
Synode   im  Jahr  743    die   Kaienden  des   Januar   und    die 
Brumalien  (Bacchusfeste  am  25.  Dezember)  nach  heidnischem 
Aberglauben  zu  begehen. 

Daneben  regte  sich  in  der  Kirche  aber  auch 
jetzt  schon  der  Gedanke,  dass  alle  Zauberei  nur 
nichtiger  Teufelsspuk  sei.  Die  zweite  spanische  Sy- 
node  zu  Braga  (Bracara)  im  Jahr  563,  welche  sich  na- 
mentlich mit  dem  Priscillianismus  beschäftigte,  dekretirte 
nämlich  im  Kan.  8:  „Wer  da  glaubt,  dass  der  Teufel, 
weil  er  einige  Dinge  in  der  Welt  hervorgebracht  hat,  auch 
aus   eigener    Macht  Donner   und   Blitz,    Gewitter 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  121 

und  Dürre  mache,  wie  Priscillian  gelehrt,  der  sei 
verflucht." 

Unter  den  Kirchenlehrern  des  fünften  und  sechsten 
Jahrhunderts  waren  sogar  nicht  wenige,  welche  vor  aller 
Zauberei,  auch  vor  der,  welche  mit  christlichen  Formeln 
und  Amuleten  getrieben  wurde,  nachdrücklichst  warnten. 
Dahin  gehört  z.  B.  der  erleuchtete  Patriarch  Chrysosto- 
mus  von  Konstantinopel  (t  407),  der  gefeiertste  Kanzel- 
redner der  alten  Kirche,  der  in  seinen  Predigten  und 
Tractaten  zum  Oeftem  den  unter  den  Gliedern  der  Karche 
herrschenden  Aberglauben  ins  Auge  fasst.  „Du  ge- 
brauchst," sagt  er  z.  B.  in  seiner  Schrift  ,von  dem  Schmucke 
der  Weiber*,  „nicht  nur  Amidete,  sondern  auch  Zauber- 
formeln, indem  du  trunkene  und  taumelnde  alte  Weiber 
in  dein  Haus  einführst.  Und  du  schämst  dich  nicht  bei 
dem  christlichen  Unterrichte,  den  du  empfangen,  dich  zu 
solchen  Dingen  zu  wenden?  Ja,  man  glaubt  sich  noch 
damit  zu  entschuldigen,  dass  das  Weib  eine  Christin  ist 
und  nichts  anderes  spricht  als  den  Namen  Gottes  !  Gerade 
desshalb  hasse  und  verabscheue  ich  sie  um  so  mehr,  weil 
sie  den  Namen  Gottes  schändet  und,  während  sie  eine 
Christin  ist,  heidnische  Werke  treibt."  An  einer  andern 
Stelle  (30.  Homilie  zum  Ev. des Matth.)  sagt  er:  „die  Priester 
hängen  dem  Menschen  Phylakterien  um  den  Hals,  einige 
auch  ein  Stück  des  Evangeliums.  Sage,  du  thörichter 
Priester,  wird  nicht  täglich  das  Evangelium  in  der  Kirche 
gelesen  und  gehört  ? .  Wenn  nun  das  Evangelium ,  das  zu 
seinen  Ohren  dringt,  nicht  nützt,  wie  wird  es  ihn  retten, 
so  es  ihm  um  den  Hals  gehängt  ist?  Femer:  worin  be- 
steht die  Kraft  des  Evangeliums,  im  geschriebenen  Buch- 
staben oder  im  Geiste  ?  Wenn  im  Buchstaben,  dann  hänge 
es  fuglich  um  den  Hals ;  wenn  aber  im  Geiste,  dann  ist  es 
heilsamer,  wenn  du  es  zu  Herzen  nimmst,  als  wenn  du  es 
um  den  Hals  hängst." 

Die  Frage  nach  den  gegen  die  Zauberei  zur  Anwen- 
dung zu  bringenden  Strafmitteln  konnte  die  Kirche  bei 
der  in  ihr  feststehenden  Auffassung  der  Zauberei  kaum 
einer  Erwägung    bedürftig    erachten.      Dieselbe    galt    als 


122  Siebentes  Kapitel. 

heidnisches  Unwesen;  daher  konnte  die  Kirche,  wenn 
kirchliche  Belehrung  und  Warnung  erfolglos  blieben,  gegen 
Zauberer  und  Zauberinnen  nur  mit  dem  Ausschluss  aus 
ihrer  Gemeinschaft  vorgehen.  In  dieser  Beziehung  ge- 
wahren wir  in  den  Beschlüssen  der  zahlreichen  Synoden 
des  fünften,  sechsten  und  siebenten  Jahrhunderts  die  vollste 
Uebereinstimmung. 

Dagegen  lassen  die  bürgerlichen  Gesetze  dieser 
Periode  gegen  die  Zauberei  eine  solche  Uebereinstimmung 
weniger  erkennen.  Allerdings  war  es  natürlich,  dass  sich 
bei  denjenigen  germanischen  Völkern,  welche  durch  die 
grosse  Wanderung  mit  den  Römern  in  die  nächste  Be- 
rührung kamen,  auch  Abhängigkeit  von  römischem  Wesen, 
insbesondere  von  den  Bestimmungen  der  christlichen  Kaiser, 
zeigen  musste ;  aber  nach  und  nach  sehen  wir  das  Gesetz 
der  emporstrebenden  Völker  sich  frei  machen  und  christ- 
licher Erleuchtung  sich  öffnen.  So  adoptirte  der  Ostgothe 
Theodorich  ganz  die  in  Rom  für  die  Magier  bestehenden 
Strafen,  drang  aber  auf  den  Schutz  der  unschuldig  Ange- 
klagten^). Wer  durch  Zauberei  Felder  und  Weinberge 
mit  Hagel  beschädigte  oder  einen  Menschen  krank  machte, 
dem  bestimmte  das  westgothische  Gesetz  200  Peitschen- 
hiebe ,  Abscheeren  des  Haars  und  Gefangniss  oder  Ver- 
weisung *).  Wer  einen  Zauberer  zur  Hilfe  nahm ,  erlitt 
ebenfalls  körperliche  Züchtigung  und  durfte  vor  Gericht 
nicht  mehr  zeugen  3);  betraf  es  aber  eine  Anfrage  wegen 
des  Todes  des  Fürsten  oder  überhaupt  eines  Menschen, 
so  fiel  der  freie  Mann  noch  ausserdem  mit  seinem  ganzen 
Vermögen  dem  Fiscus  anheim'*).  In  ähnlicher  Weise  war 
auch  die  Gewohnheit  der  Richter  verpönt,  bei  ihren  Unter- 
suchungen sich  zur  Ermittlung  des  Thatbestandes  der  Hilfe 
von  Wahrsagern  zu   bedienen*).     Im  bayerischen  Gesetz- 

»)  Cassiodor.  Var.  IV.  Epist.   12.     Edict  Theodorici  Regh  108. 

^)  Lex   VisiiToth,  üb.  VI.  tit.  111. 

3)  Lib.  II.  tit.  IV.  de  testibus.     Lib.  VI.  til.  II.  4. 

^)  Lib.  VI.  tit,  II.   1. 

*)  Lib.  VI,  Tit.  IL  Ks  wird  im  Gesetz  der  Gedanke  durchgeOQhrt:  die 
Wahrheit  komme  von  Gott,  die  Löge  vom  Teufel;  man  solle  die  verborgene 
Wahrheit  nicht  durch  das  Prinzip  der  LQge  aufsuchen. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrliundert.  123 

buche  suchte  man  besonders  zwei  Arten  von  Malefizien 
vorzubeugen:  der  zauberischen  Weihung  der  Waffen  vor 
dem  Wehadinc  oder  gerichtlichen  Zweikampfe,  und  der 
Bezauberung  der  Ernte  auf  einem  fremden  Acker,  welche 
das  Gesetz  Aranscarti  nennt  ^).  Die  Lex  Salica  setzt  die 
Möglichkeit,  dass  eine  Stria  einen  Menschen  aufzehren 
könne,  voraus  und  bestimmt  für  den  Fall  der  Ueberführung 
eine  Geldbusse  von  200  Solidi,  also  die  Strafe  des  Todt- 
schlags;  eine  fast  eben  so  hohe  Strafe  stand  aber  auch 
auf  der  falschen  Beschuldigung  der  Theilnahme  an  zau- 
berischen Handlungen  ^).  Bei  den  Longobarden  verordnete 
Rothar's  Gesetz  für  die  Beschuldigung  der  Hurerei  und 
Zauberei  die  Probe  des  Zweikampfs  und  setzte  eine  Strafe 
für  die  Ueberfuhrten  an;  es  erhebt  sich  aber  schon  hoch 
genug  über  das  salische,  um  den  Glauben,  dass  eine  Striga 
oder  Masca  den  Menschen  innerlich  aufzehren  könne,  für 
imgereimt  und  unchristlich  zu  erklären  und  jede  imer- 
wiesene  Beschuldigung  oder  eigenmächtige  Tödtung  einer 
angeblichen  Striga  mit  angemessener  Strafe  zu  belegen^). 
Eine  spätere  Verordnung  Liutprands  bestraft  denjenigen, 
welcher  Wahrsager  befragt  oder  verbergen  hilft,  auch  die 
Richter,  Schultheissen  und  Decane,  die  sich  in  der  Auf- 
spürung lässig  zeigen,  um  die  Hälfte  ihres  eignen  Wehr- 
geldes*). Auch  sollte  es  nicht  gestattet  sein,  vor  dem 
Gottesgerichte  Chrisma  zu  trinken,  um  dadurch  gegen 
Recht  und  Wahrheit  sich  einen  g*ünstigen  Ausgang  zu 
bereiten  *). 

Wie    oft  oder  selten,    wie    strenge    oder  gelind  diese 
Strafbestimmungen  zur  wirklichen  Anwendung  gekommen 


>)  Lex  Bajuvar,  Tit.  XII.  Cap.  8.  Decrcta  Tassilonis,  IV.  Vgl.  Du- 
fresne  Glossar,  v,  Aranscarti. 

«)  Lex.  SaL  XXI.  u.  CXCVIII. 

•)  Ux  Rotharis  CXCVIII.  u.  CCCLXXIX.  —  Christianis  mentibas  nulla- 
tenus  est  credendum,  nee  possibile  est,  ut  hominem  mulier  vivum  intrinsecus 
possit  comedere. 

*)  Liutprandi  Leg.  LXXXI.  u.  LXXXIII. 

')  Hierauf  bezieht  sich  auch  bei  Burkh.  XIX.;  Bibisti  christiia  ad  sub- 
veriendum  Dei  Judicium. 


124  Siebentes  Kapitel. 

seien,  darüber  geben  die  Geschichtsschreiber  vor  Karl  d.  G. 
nur  unvollständige  Auskunft.  Glücklicherweise  aber  sind 
wir  bezüglich  desjenigen  Volks,  das  unter  allen  europäischen 
bald  die  erste  Stelle  einnehmen  sollte,  nicht  ohne  die 
nöthige  Auskunft.  Was  Gregor  von  Tours  in  zerstreuten 
Mittheilungen  über  den  Zustand  der  Dinge  unter  den 
Franken  berichtet,  lässt  eine  ganz  auffallende  Milde  und 
Mässigung  erkennen.  Zwar  fehlt  es  nicht  an  Beschuldi- 
gungen der  Zauberei,  aber  sie  führen  nur  dann  zu  blutigem 
Ende,  wenn  das  Pelopidenhaus  der  Merowinger  unmittelbar 
dabei  betheiligt  ist.  Es  mögen  einige  Vorfalle  kurz  be- 
rührt werden. 

Als  die  Königin  Fredegund  zwei  Söhne,  die  Prinzen 
Chlodobert  und  Dagobert,  an  einer  Epidemie  verloren  hatte, 
liess  sie  sich  nicht  ungern  überreden,  ihr  verhasster  Stief- 
sohn Chlodowig  habe  die  Kinder  durch  die  bösen  Künste 
der  Mutter  seiner  Buhlerin  aus  dem  Wege  geräumt.  Das 
Weib  wurde  eingezogen  und  liess  sich  unter  den  Qualen 
einer  langen  Folter  ein  Geständniss  abpressen.  Fredegund 
erhob  jetzt  ein  Rachegeschrei  und  brachte  Chilperich, 
ihren  Gemahl,  dahin,  dass  er  seinen  Sohn  der  Wüthenden 
Preis  gab.  Der  Prinz  fiel  unter  den  Messerstichen  ge- 
dungener Mörder,  das  verhaftete  Weib  aber  ward  trotz 
ihres  Widerrufs  an  einen  Pfahl  gebunden  und  lebendig 
verbrannt  ^), 

Bald  darauf  raffte  die  Ruhr  einen  dritten  Sohn  Frede- 
gundens  hin.  Nach  diesem  Todesfalle  äusserte  der  Major- 
domus  Mummolus  gelegentlich  bei  Tische,  als  er  Gäste 
hatte,  er  habe  ein  Kraut,  dessen  Absud  auch  den  hoff- 
nungslosesten Ruhrkranken  in  kurzer  Zeit  wiederherstellen 
könne.  Fredegund  erfährt  diess,  greift  etliche  Weiber  auf 
und  zwingt  sie  durch  die  Folter  zu  dem  Geständnisse,  dass 
sie  den  Prinzen  durch  Zauberkünste  für  das  Wohlergehen 
des  Majordomus  hingeopfert  haben.  Sie  werden  theils 
verbrannt,  theils  gerädert;  die  Reihe  der  Tortur  kommt 
nun  an  Mummolus.     Doch   dieser  bekennt  nichts ,    ausge- 

»)  Grf^.  Hist.  Fr.  V.  40. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  125 

nommen  dass  er  von  jenen  Weibern  zuweilen  Salben  und 
Getränke  erhalten  habe,  die  dazu  dienen  sollten,  ihm  die 
Gnade  des  Königs  und  der  Königin  zu  erwerben.  Von 
der  Folter  gespannt,  sagt  er  zum  Büttel:  „Melde  dem 
König,  meinem  Herrn,  dass  ich  nichts  Uebeles  empfinde 
von  dem,  was  man  mir  zugefügt  hat.**  Da  sprach  Chil- 
perich:  ,,Muss  denn  dieser  Mensch  nicht  ein  Zauberer  sein, 
wenn  ihm  alle  diese  Strafen  nicht  wehe  gethan  haben?" 
Und  Mummolus  wird  von  Neuem  gegeisselt  und  soll,  nach- 
dem man  ihm  Pflöcke  unter  die  Nägel  getrieben  hat,  ent- 
hauptet werden;  doch  die  Königin  verfügt  endlich  seine 
Begnadigung  und  verweist  ihn  nach  Bordeaux.  Mummo- 
lus aber  starb  auf  der  Reise  an  den  Folgen  der  erlittenen 
Peinigimg  ^). 

Schon  die  Verschiedenheit  in  den  Bestrafungen,  das 
Erdolchen,  Verbrennen,  Rädern  und  Enthaupten,  würde, 
wenn  auch  eine  andere  als  Fredegxmd  hier  handelte,  hin- 
länglich darthun,  dass  mehr  nach  der  Laune  der  Macht- 
haber, als  nach  gesetzlichen  Bestimmungen  verfahren  wurde; 
wir  werden  aber  um  so  mehr  mit  der  fränkischen  Praxis 
ausgesöhnt  werden,  wenn  wir  mit  diesen  vereinzelten  Aus- 
brüchen merowingischer  Grausamkeit  das  milde  Verfahren 
der  geistlichen  Behörden  zusammenhalten. 

Eine  Leibeigene  in  der  Diöcese  von  Verdun  hatte  sich 
aufs  Wahrsagen  gelegt.  War  irgendwo  ein  Diebstahl  be- 
gangen worden,  so  gab  sie  den  Thäter,  den  Hehler  und 
das  Schicksal  des  gestohlenen  Gegenstandes  an.  Sie  er- 
warb sich  dadurch  ihre  Freilassung,  Gold  und  Silber  in 
Menge  und  zog  in  kostbarem  Schmucke  umher.  Tausend 
Jahre  später  würde  sie  vor  geistlichen  und  weltlichen  Ge- 
richten einen  harten  Stand  gehabt  haben;  der  Bischof 
Agerich  aber,  dem  sie  vorgeführt  wurde,  behandelte  sie 
als  eine  Besessene,  versuchte  den  Teufel  durch  Salbungen 
auszutreiben,  brachte  denselben  auch  zu  lautem  Aufschreien, 
da  er  aber  doch  nicht  weichen  wollte,  liess  er  das  Mäd- 
chen in  Frieden  ziehen  *). 

»)  Hist.  Fr.  VI.  35. 
•)  Hist.  Fr.  VII.  44. 


126  Siebentes  Kapitel. 

Ein  andermal  erschien  zu  Tours  ein  gewisser  Desi- 
derius,  der  sich  grosser  Wundergaben  rühmte  und  mit  den 
Aposteln  Petrus  und  Paulus  einen  Botenwechsel  zu  unter- 
halten vorgab.  Blinde  und  Lahme  strömten  zu  ihm;  er 
liess  sie  durch  seine  Diener  an  Armen  und  Beinen  zerren 
und  recken,  dass  etliche  unter  der  Kur  den  Geist  auf- 
gaben. OeiFentlich  erschien  er  in  einem  Gewände  von 
Ziegenhaaren  und  war  enthaltsam  in  Speise  und  Trank, 
in  seinem  Zimmer  aber  schlang  er  mit  so  grosser  Gier, 
dass  der  Diener  kaum  genug  herbeischaflFen  konnte.  Ob- 
gleich man  nun  die  Ueberzeugung  hatte,  dass  dieser  Mann 
durch  teuflische  Nekromantie  seine  Kuren  betreibe,  so  be- 
gnügte man  sich  doch  mit  einfacher  Verweisung  aus  dem 
Weichbilde  der  Stadt  i). 

Wieder  ein  andermal  zog  ein  gemeiner  Abenteurer 
im  Lande  umher  mit  Kreuzen,  Flaschen  mit  geweihtem 
Oele  und  vorgeblichen  Reliquien  von  spanischen  Märtyrern. 
Sein  anmassendes  Benehmen  gegen  die  Geistlichkeit  ver- 
anlasste seine  Verhaftung  und  die  Untersuchung  seiner 
Reisetasche.  Man  fand  darin  Kräuterwurzeln,  Maulwurfs- 
zähne, Mäuseknochen,  Klauen  und  Fett  von  Bären,  erkannte 
diess  für  Zauberapparat  und  warf  es  in  die  Seine.  Er 
selbst  wurde  aus  Paris  verwiesen,  blieb  aber  dennoch, 
wurde  desshalb  eingesperrt  und  endlich,  nachdem  er  selbst 
die  Kirche  von  St.  Julien  in  der  Trunkenheit  verunreinigt 
hatte,  auf  Geheiss  des  Bischofs  einfach  fortgejagt  2). 

In  eine  andre  Kategorie  gehört  die  Bestrafung  eines 
Betrügers  aus  Berry,  der  in  Velay  seinen  Unfug  trieb. 
Zwar  berichtet  Gregor  auch  von  ihm  Kuren  und  Weis- 
sagungen durch  Teufelskünste;  aber  als  sein  Hauptver- 
brechen erscheint,  dass  er  sich  für  Christus  ausgab,  mit 
bewaffneten  Volksmassen  raubend  und  plündernd  umher- 
zog und  den  Bischöfen  förmlichen  Krieg  ankündigte.  Der 
Bischof  Aurelius  schickte  ihm  einige  entschlossene  Männer 
entgegen,  die  ihn  vor  den  Augen  seiner  betrogenen  Heerde 


^)  Hist.  Fr.  IX.  6. 
*)  Ebendaselbst, 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  127 

niederstachen  ^).  Diese  Maassregel  kann  natürlich  nicht  als 
Strafe  der  Zauberei  erscheinen. 

Die  angeführten  Züge  charakterisiren  hinlänglich  den 
Geist,  der  schon  vor  Karl  d.  G.  bei  den  Franken  im 
Kirchenregimente  waltäte.  Die  Zeit  war  arm  an  Einsicht 
in  den  einfachsten  Zusammenhang  der  Dinge  und  war 
darum  geneigt,  in  allem  einigermassen  Auffallenden,  was 
sich  ihrem  Blicke  darbot,  Wunder  zu  erkennen;  aber  dem 
Wunderglauben,  der  dem  rohen  Menschen  natürlich  ist, 
wohnte,  eben  weil  er  damals  aus  dem  Volksgeiste  selbst 
hervorging  und  nicht  erst  durch  künstliche  Mittel  geschaffen 
und  erhalten  wurde,  etwas  Harmloses  inne.  Je  weniger 
die  Kirche  ihre  geheimnissvollen  Heilwirkungen  durch 
Zweifel  und  Unglauben  bestritten  sah,  desto  weniger  be- 
durfte sie  für  dieselben  eines  Reliefs  durch  den  Gegensatz 
diabolischer  Gräuelthaten.  Der  Klerus,  damals  noch  nicht 
zu  ungemessener  Machtausdehnung  emporstrebend,  war  desto 
thätiger  in  seinem  beschränkteren  Kreise  und  achtete  es 
für  christlicher,  durch  Lehre  und  gemässigte  Zuchtmittel 
den  Fehlenden  noch  für  diese  Welt  zu  bessern,  als  den 
sterblichen  Körper  den  Flammen  zu  überliefern  und  der 
unsterblichen  Seele  das  Gefühl  erlittenen  Unrechts  ins 
ewige  Leben  mitzugeben.  Dieser  gesunde  Sinn,  der  sich 
auch  in  den  Verfügungen  der  gallischen  Concilien  vielfach 
ausspricht,  mag  wohl  beachtet  werden,  wenn  bei  der 
Würdigxmg  des  merowingischen  Zeitalters  die  demselben 
allerdings  nicht  ohne  Grund  vorgeworfenen  Gebrechen 
über  Gebühr  hervortreten  wollen. 

Die  entschiedenste  Stellung  zum  überlieferten  Zauber- 
glauben nahm  aber  das  Frankenreich  unter  der  Herrschaft 
der  Karolinger  ein,  indem  in  dieser  Periode  der  deutsche 
Geist  —  der  damals  gegen  den  byzantinischen  Bilderdienst 
die  kräftigste  Opposition  machte,  —  nicht  nur  die  Reinigung 
der  Klirche  und  des  Volkslebens  von  allem  Zauberwerk 
mit  der  grössten  Energie  anstrebte,  sondern  auch  mit  dem 
Zauberglauben    selbst    ein   für   allemal  brechen  zu  wollen 


*)  Hist.  Fr.  X.  25. 


128  Siebentes  Kapitel. 

schien.  Das  im  Jahr  742  unter  Karlomann  versammelte 
erste  deutsche  Nationalconcil ,  gfewohnlich  Concilium  Ger- 
manicum  genannt,  befahl  in  Kan.  5:  „Jeder  Bischof  soll 
in  seiner  Parochie  mit  Beihilfe  des  Grafen,  welcher  der 
Schützer  seiner  Kirche  ist,  darauf  bedacht  sein,  dass  das 
Volk  keine  heidnischen  Gebräuche  mehr  beobachte,  als 
da  sind :  heidnische  Todtenopfer,  Loosdeuterei,  Wahrsagerei, 
Amulete,  Augurien,  heidnische  Opfer,  welche  die  Thoren 
oft  neben  den  christlichen  Kirchen  den  Märtyrern  und  Be- 
kennern  darbringen,  oder  die  sakrilegischen  Feuer,  welche 
sie  ,Nodfyr*  nennen."  —  Karl  der  Grosse  wiederholte 
diese  Bestimmungen  *),  ging  aber  in  seiner  Auffassung  der 
Zauberei  —  und  die  Kirche  des  Frankenreiches  mit  ihm  — 
noch  weiter.  Er  bestätigte  nämlich  den  Beschluss,  welchen 
die  im  Jahr  785  zu  Paderborn  versammelte  Synode  in 
Kan.  6  aufgestellt  hatte:  „Wer  vom  Teufel  verblendet 
nach  Weise  der  Heiden  glaubt,  es  sei  Jemand 
eine  Hexe  und  fresse  Menschen  und  diese  Person  dess- 
halb  verbrennt  oder  ihr  Fleisch  durch  Andere  essen  lässt, 
der  soll  mit  dem  Tode  bestraft  werden." 

Hier  wird  also  mit  dem  Tode  nicht  die  Zauberei,  son- 
dern der  Glaube  an  dieselbe  bedroht.  Dass  aber  diese 
Stellung  der  fränkischen  Kirche  zum  überlieferten  Zauber- 
glauben nicht  auf  der  Auctorität  des  grossen  Kaisers  be- 
ruhte, sondern  in  dem  Geiste  des  fränkischen  Staats-  und 
Kirchenwesens  begründet  war,  wird  durch  die  Aeusserungen 
des  angesehensten  und  hervorragendsten  Geistlichen  be- 
wiesen, den  die  fränkische  Kirche  unmittelbar  nach  Karls 
Tode  aufzuweisen  hatte. 

Agobard,  aus  Spanien  gebürtig,  von  816  bis  zu 
seinem  Tode  (840)  Erzbischof  von  Lyon  —  imter  den  Geist- 


')  Card,  M,  Capitul,  ann.  769i  c.  7:  Statuimus,  ut  singulis  annis  unus- 
qui5(]ue  episcopus  pamchiam  suam  solHcite  circumeat  et  populum  confirmart 
et  plebem  docere  et  invesligare  et  prohibere  paganas  obsen'attones,  divinav^ue 
et  sortilegos.  aut  auguria,  phylacteria,  incantationes  vel  omnes  spurcitias  gen- 
tiliuro  studeat.  —  Capitul.  ann.  789.  c.  4 :  Ul  nullus  in  psalterio  vel  in  evau- 
gelto  vel  in  aliis  rebus  sörtire  praesumat  ncc  divinationes  aliquas  observare. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  120 

liehen  des  fränkischen  Reiches  nach  Karls  d.  G.  Tode 
unstreitig  der  hervorragendste  —  war  (trotz  der  Beschlüsse 
des  Nicäner  Concils  von  787),  wie  aus  seiner  Schrift  de 
imaginibus  zu  ersehen  ist,  der  entschiedenste  Bekämpfer 
des  Bilderdienstes  (indem  die  Bilder  der  Gotteshäuser  wohl 
zur  Erinnerung,  nicht  aber  zur  Verehrung  dienen  sollten), 
der  Ordalien  (insbesondere  der  gerichtlichen  Zweikämpfe) 
und  des  Aberglaubens  jeder  Art.  Aus  einer  Schrift  Ago- 
bards  contra  insulsam  vulgi  opinionem  de  grandine  et 
tonitruis  ersieht  man,  dass  damals  in  Lyon  und  Umgegend 
der  Hexenglaube  als  Glaube  an  Wettermacherei  bestand. 
Gegen  diesen  Wahn  hebt  nun  Agobard  hervor,  dass  Gott 
nicht  nur  der  Schöpfer,  sondern  auch  der  Lenker  aller 
Dinge  sei,  dass  alle  Naturereignisse  ihren  Grund  in  der 
göttlichen  Weltregierung,  nicht  aber  in  menschlichem  Be- 
mühen hätten,  und  dass  darum  Alles,  was  man  über  an- 
gebliche Tempestarier  sage,  welche  das  Getreide  stehlen 
und  nach  Mangonia  zum  Verkauf  bringen  sollten,  nur 
Thorheit  sei.  Namentlich  beklagt  er  die  Verblendung  des 
Pöbels,  der  einst  vier  Unglückliche  aufgriff  und  steinigen 
wollte,  weil  er  glaubte,  dass  sie  aus  den  mangonischen 
Wolkenschiffen  herabgefallen  wären.  Aus  der  genannten 
Schrift  ersieht  man  auch,  dass  damals  viele  Personen  zwar 
Zehnten  und  Almosen  an  Geistliche  und  Arme  nur  ungern 
gaben,  dagegen  unter  dem  Namen  eines  Kanons  eine  Ge- 
treideabgabe an  Betrüger  entrichteten,  die  sich  die  Miene 
zu  geben  wussten,  als  vermöchten  sie  die  Fluren  vor  den 
Einflüssen  des  Wetters  zu  schützen.  „So  weit,"  sagt  Ago- 
bard am  Schlüsse  des  Schriftchens,  „ist  es  mit  der  Dumm- 
heit der  armseligen  Menschen  gekommen,  dass  man  jetzt 
unter  den  Christen  an  Albernheiten  glaubt,  die  in  früheren 
Zeiten  niemals  ein  Heide  sich  aufbinden  Hess.** 

In  demselben  Sinne  schrieb  Agobards  Schüler  und 
(seit  840)  Nachfolger  im  Erzbisthum  zu  Lyon,  Amolo, 
an  den  Bischof  Theutbold  von  Langres,  dass  man  Re- 
liquien, durch  deren  Berührung  nach  des  Letzteren  Mit- 
theilung   Weiber   und    andere    Personen   von    Zuckungen 

t<oldaii-Heppe,  Hexeoprozease.  9 


I^O  Siebentes  Kapitel. 

befallen  worden  wären,  ausserhalb  der  Kirche  begraben 
sollte ,  damit  der  Aberglaube  nicht  genährt  werde  *). 

Daher  war  es  ganz  dem  Geiste  des  karolingischen 
deutschen  Staats-  und  Kirchenwesens  entsprechend,  dass 
auf  der  Reformsynode  zu  Paris  im  Jahr  829  die  Hexerei 
nur  als  ein  im  Volke  spukender  Aberglaube  er- 
wähnt wird,  indem  die  Synode  sagt,  dass  es  angeblich 
Leute  gebe,  welche  durch  teuflische  Künste  das  Wetter 
ändern,  Hagel  machen,  den  Kühen  die  Milch  nehmen 
könnten  u.  s.  w.  ^). 

Zur  Kennzeichnung  der  Stellung,  welche  die  Kirche 
in  der  nachkarolingischen  Zeit,  im  zehnten,  elften  und 
zwölften  Jahrhundert  zur  Hexerei  und  zum  Glauben  an 
dieselbe  einnahm,  kommt  vor  Allem  der  berühmte  sogen. 
Ancyranische Kanon  Episcopi  in  Betracht,  den  wir  mit 
Sicherheit  zuerst  ums  Jahr  900  in  der  Kirche  hervortreten 
sehen.  Der  Kanon  ist  allerdings  nicht  von  der  Synode 
zu  Ancyra  (3 1 4)  aufgestellt,  —  wesshalb  er  sich  weder  in 
dem  von  He  feie  in  der  Conciliengeschichte  B.  I.  S.  190 
bis  210  edirten  Abdruck  des  griechischen  Textes,  noch  in 
den  alten  lateinischen  Uebersetzungen  desselben  (z.  B.  in 
V.  Espen,  Commentar.  in  canones)  vorfindet,  —  sondern 
er  ist  späteren  Ursprungs*);  aber  er  ist  der  klassische 


>)  Magna  Bibl.  T.  XIV.  f.  324. 

*)  Uebcr  die  hier  angezogenen  SynodalbeschlQsse  vgl.  HefiUt  Concilien- 
gesch.  B.  III.  u.  IV. 

')  Der  Kanon  kommt  zuerst  in  einer  Anweisung  zur  Visitation  einer 
Di5cese  vor,  welche  der  915  al«  Abt  des  Klosters  zu  PrQm  verstorbene 
Regino  um  906  geschrieben  hat;  vgl.  Reginonis  Libri  duo  de  synodalibus 
caussis  et  disciplinis  ecclesiasticis.  recens.  F,  G,  A,  IVasserschleben  (Lips.  1840), 
wo  er  sich  in  Lib.  II.  cap,  371  abgedruckt  findet.  Er  wird  hier  von  Regino 
mit  der  Ueberschrift  „unde  supra**  mitgetheilt,  womit  gesagt  sein  soll,  djiss 
die  Erörterung  derselben  Materie,  von  welcher  das  cap.  370  handelt,  in  cap.  37  t 
fortgesetzt  wird.  Diese  beiden  Artikeln  gemeinsame  Materie  ist  die  Mag;ia 
muliebris. 

Aus  der  Schrifl  Regino's  nahm  spSter  (zwischen  den  Jahren  1012  und 
1022)  der  Bischof  Burckkard  von  Worms  (f  1025)  vielerlei  in  sein  Sammel» 
werk  „Decretum"  auf,  wobei  er  jedoch  (wie  lyasstrschlebef»  in  seinen  „Bei- 
trftgen  zur  Gesch.  der  vorgratianischen  Kirchenrechtsquellen'* ,  Leipz.  1839. 
S.  30—31    bemerkt)    mit    grosser   WillkQr  und    Leichtfertigkeit    verfuhr.     £r 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i  ^  j 

Kanon  über  die  eigentliche  Stellung  der  Kirche 
jener  Jahrhunderte  zum  Hexenglauben. 

In  diesem  für  die  Kirchengeschichte  so  bedeutungs- 
vollen (von  den  Kirchenhistorikern  jedoch  bis  jetzt  wenig 
beachteten)  Kanon  wird  den  Bischöfen  zur  Pflicht  gemacht, 
den  Glauben  an  die  Möglichkeit  dämonischer 
Zauberei  und  an  eine  Möglichkeit  von  Nachtfahr- 
ten zu  und  mit  Dämonen  als  baare  Illusionen  in 
ihren  Diöcesen  und  Gemeinden  energisch  zu  be- 
kämpfen und  die  demselben  Ergebenen  als  Frev- 
ler am  Glauben  aus  der  Kirchengemeinschaft 
auszuschliessen.  —  Die  Hauptstelle  des  Kanons  lautet 
nämlich:  „Es  gibt  verbrecherische  Weibsleute,  welche  durch 
die  Vorspiegelungen  und  Einflüsterungen  des  Satans  ver- 
fuhrt, glauben  und  bekennen,  dass  sie  zur  Nachtzeit 
mit  der  heidnischen  Göttin  Diana  oder  der  Herodias   und 


erlaubte  sich  nicht  selten  Aendeningen  im  Texte,  und  nahm  an  den  bei  Regino 
so  oft  vorkommenden  Worten  „unde  supra",  „ut  supra**  (welche  sich  auf  den 
Inhalt  und  nicht  auf  die  Quelle  eines  vorhergehenden  Kapitels  beziehen)  Ver- 
anlassung ,  eine  ganze  Anzahl  falscher  Inscriptionen  und  Kirchenrecht  einzu- 
schmuggeln, wobei  sein  Widerwille  gegen  alle  weltliche  Gesetzgebung  das  ihn 
bestimmende  Motiv  war. 

Burckhard  fand  nun  bei  Regino  den  ersteren  der  beiden  erwähnten  Artikel 
mit  den  Worten  Oberschrieben  „ex  concilio  Anquirensi**.  Daher  setzte  er  in 
seinem  Dekret  (Lib,  X.  cap.  I.)  Ober  den  zweiten  Artikel,  bei  welchem  Regino 
„undc  supra*'  notirt  hatte,  und  in  welcher  er  eine  Bezeichnung  der  Quelle 
finden  zu  müssen  glaubte,  die  Worte:  „ex  concilio  Ancyrano",  mit  welcher 
Ueberschrift  dann  der  Kanon  Episcopi  in  die  Sammlungen  Ivo's  von  Charters 
und  in  das  Decret  Gratians  überging. 

Woher  Regino  den  Kanon  genommen  hat,  ist  zweifelhaft.  Baluze  in 
seinen  Noten  zu  Regino,  ferner  Böhmer  und  Richter  in  ihren  Ausgaben  des 
Corp,  iur.  can.  zur  Stelle  des  Dekrets  nehmen  an,  dass  er  aus  einem  älteren 
fränkischen  Kapitulare  herrühre.  Nach  den  Notationes  correctorura  des  Corp. 
iuris  can.  (bei  Richter  I.  S.  894)  ist  ein  Theil  des  Kanons,  —  aber  der  Haupt- 
theil  -—  nämlich  die  Worte  quaedam  scleratae  bis  cum  Ezechiel,  aus  einer  im 
sechsten  Jahrh.  dem  h.  Augustin  untergeschobenen  Schrift  De  spiritu  et  anima 
(c.  28)  entlehnt. 

Der  bei  Regino  unmittelbar  vorausgehende  Kanon  ist  dem  Briefe  des 
Rhabanus  Maurus  an  den  Bischof  Heribald  von  Auxerre  (cap.  25)  entnommen. 
Hier  wird  derselbe  mit  den  Worten  „ex  concilio  Ancyrano*'  angeführt.  Dieses 
die  erste  Quelle  des  ganzen  Irrthums ! 


1^2  Siebentes  Kapitel. 

einer  unzählbaren  Menge  von  Frauen  auf  gewissen  Thieren 
reiten,    über  vieler  Herrn  Länder    heimlich    und   in   aller 
Stille  hinwegeilen,    der  Diana  als  ihrer  Herrin  gehorchen 
und    in  bestimmten    Nächten   zu    ihrem  Dienste    sich  auf- 
bieten   lassen.     Leider    haben   nun  diese  Weibsleute  ihre 
Unheil    bringende    Verkehrtheit   nicht    für   sich   behalten; 
vielmehr    hat    eine  zahllose  Menge ,    getäuscht  durch  die 
falsche  Meinung,    dass    diese  Dinge    wahr  seien,   vom 
rechten  Glauben  sich  abgewendet  und  der  heidnischen  Irr- 
lehre sich  hingegeben,  indem  sie  annehmen,  dass  es  ausser 
Gott  noch  eine  übermenschliche  Macht  gebe.     Daher  sind 
die  Priester  verpflichtet,  den  ihnen  anvertrauten  Gemeinden 
von  der  Kanzel  herab  nachdrücklichst  einzuschärfen,  dass 
alles  Dieses  durchaus  falsch    und    ein  Blendwerk   sei, 
welches    nicht  vom  Geiste  Gottes,    sondern    von    dem  des 
Bösen  herrühre.     Der  Satan  nämlich,  der  sich  in  die  Ge- 
stalt eines  Engels  verkleiden  könne,   wenn  er  sich  irgend 
eines  Weibleins  bemächtige,    so  unterjoche  er  sie,  indem 
er  sie  zum  Abfall  vom  Glauben  bringe,  nehme  dann  sofort 
die  Gestalt  verschiedener  Personen  an  und  treibe  mit  ihnen 
im  Schlafe  sein  Spiel,  indem  er  ihnen  fernab  bald  heitere, 
bald  traurige  Dinge,  bald  bekannte,  bald  unbekannte  Per- 
sonen vorführe.    Dabei  bilde  sich  dann  der  ungläubige  Sinn 
des  Menschen  ein,  während  der  Geist  dieses  erleide,  dass 
dieses  doch  nicht  in  der  Vorstellung,  sondern  in  Wirklich- 
keit geschehe.     Wer    aber   (heisst  es  weiter)    ist  nicht  im 
Traume  so  aus  sich  herausgefahren,  dass  er  Vieles  zu  sehen 
geglaubt  hat,  was  er  in  wachem  Zustand  niemals  gesehen 
hat?  Und  wer  sollte  so  bornirt  und  thöricht  sein,  dass  er 
glaube,  alles  das,   was  nur  subjektives  Erlebniss  ist,  habe 
auch  objektive  Wirklichkeit  ?  Ezechiel  hat  Gott  nur  im  Geiste 
und  nicht  mit  dem  Körper  geschaut.  Es  ist  daher  allen  Leuten 
laut  zu  verkündigen,  dass  Derjenige,  der  dergleichen  Dinge 
glaubt,    den    Glauben    verloren    hat.     Wer  aber  den 
wahren  Glauben  nicht  hat,  der  gehört  nicht  Gott,  sondern 
dem  Teufel  an**  ^). 

*)  In  seinen  Haupttheilen  lautet  (ier  Kanon  wörtlich:  Episcopi  «forumqur 
niinlstri    omnit)us   modis   elaborarc  studeant,   ut  perniciosam  et  a  Diabolo  in- 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i^^ 

So  lautet  der  Kanon,  in  welchem  wir  die  Grundlagen 
des  späteren  Hexenwahns  (und  zugleich  das  damalige  Ur- 
theil  der  Kirche  über  denselben)  deutlich  genug  erkennen. 
Derselbe  mag  seinem  Haupttheile  nach  vielleicht  frühestens 
im  siebenten  Jahrhundert,  oder  vielleicht  auch  erst  in  der 
karolingischen  Zeit  entstanden  sein:  so  viel  steht  jeden- 
falls fest,  dass  er  im  zehnten  Jahrhundert  allgemein  in  der 
Kirche  in  unbestrittenem  Ansehen  stand. 

Der  Bischof  Burckhard  von  Worms  nahm  daher 
denselben  nicht  nur  in  sein  Sammelwerk  auf,  sondern  grün- 
dete auf  denselben  auch  in  einem  besonderen  Pönitential, 


ventam  sortilegam  et  magicam  artem  ex  parochiis  suis  pcnitus  eradicent ;  et  si 
aJiquem    viriim  et  mulierem    huiuscemodi    sceleris  sectatorem  invencrint,  tur- 
piter  dehonestatum    de  parochiis   fuis    ejiciant.  —  lilud    non  est  omittendum, 
quod  quaedam  sceleratae  mulieres  —  daemonum  illusionibus  et  phantasmatibus 
deductae  credunt  et  profitentur,  se  nocturnis  horis  cum  Diana,  dea  paganorum, 
vel  cum  Uerodiade  et  innummera  multitudine    mulierum  equitare  super  quas- 
dam  bestias  et  multarum  terrarum  spatia  intempestae  noctis  silentio  pertransire 
eiusque  iussionibus  velut  Domino  obedire,  et  certis  noctibus  ad  eius  servitium 
cvocari.  —  Innumera  multitudo  hac  falsa  opinione  decepta  haec  vera  esse  cre- 
dunt et  credendo  a  recta  fide   deviant  et  errore  paganorum  involvuntur,    cum 
aliquid    divinitatis    aut    numinis    extra  unum    Deum    arbitrantur.     Quapropter 
sacerdotes  per  ecclesias  sibi    commissas  populo  Dei  omni  instantia  praedicare 
debent ,    ut  novcrint,    haec    omnino  falsa  esse,   et  non   a   divino  sed  a 
maligno   spiritu    talia  phantasmata   mentibus  fidelium   irrogavi.     Siquidem  ipse 
Satanas,  —  cum    mentem    cuiuscunque   mulierculae   ceperit   et   hanc   sibi  per 
iofidelitatem  subiugaverit,  illico  transformat  se  in  diversarum  species  personarum 
atque    similitudines ,   et  mentem,   quam   captivam  tenet,    in   somniis  debudens 
modo  laeta  modo  tristia,    modo    cognitas   modo  incognitas  personas  ostendens 
per  devia  quaeque  deducit ;    et  cum  solus  spiritus  hoc  patitur ,    infidelis  mens 
hoc  non  in  animo  sed  in  corpore  evenire  opinatur.     Quis  enim  non  in  somniis 
et  nocturnis  visionibus  extra  se  educitur  et  multa  videt  dormiendo,  quae  nun- 
quam  viderat  vigilando?    Quis  vero  tarn  stultus  et  hebes  sit,  qui  haec  omnia, 
quae  in  solo  spiritu  fiunt,  etiam  in  corpore  accidere  arbitretur,  cum  Ezechiel 
propheta  visiones  Domini  in  spiritu  non  in  corpore  vidit  et  Johannes  apostolus 
sacramentum    in  spiritu    non    in   corpore  vidit  et  audivit?  —  Omnibus  itaque 

9 

publice  annuntiaiidum  est,  quod  qui'  talia  et  his  similia  credit,  fidem 
perdidit;  et  qui  fidem  in  Domino  non  habet,  hie  non  est  eius,  sed  illius, 
in  quem  credit,  i.  e,  Diaboli.  —  Quisquis  ergo  aliquid  credit  posse  fieri, 
aut  aliquam  creaturam  in  melius  aut  in  deterius  immutari,  aut  transformari  in 
aliam  speciem  vel  similitudinem,  nisi  ab  ipso  creatore,  qui  omnia  fecit  et  per 
quem  omnta  facta  sunt ,  pro  cul  dubio  infidelis  est  et  pagano  de- 
lerior.  — 


l  XA  Siebentes  Kapitel. 

dem  sogenannten  Corrector  (welches  sich  als  neunzehntes 
Buch  an  das  ganze  Werk  anschliesst,  aber  auch  abge- 
sondert vorkommt,)  eine  Reihe  von  Fragen,  durch  welche 
ermittelt  werden  sollte,  ob  die  Leute  etwa  an  die  Wirk- 
lichkeit der  Hexerei  glaubten,  wobei  zugleich  von  ihm  die 
Strafen  angegeben  werden,  mit  denen  dieser  Aberglaube 
gesühnt  werden  soll  *), 

Derartige  Bussordnungen  wurden  von  den  Bischofen 
durch  das  ganze  Mittelalter  hin  aufgestellt.  In  allen  finden 
sich  Fragen  vor,  welche  sich  auf  den  Glauben  an  Zauberei 
und  Hexerei  beziehen  und  bei  denen  zugleich  die  kanonische 
Bestrafung  dieses  Aberglaubens  angegeben  wird^). 

Noch  höher  aber  erhob  sich  das  Ansehen  des  Kanons 
Episcopi,   indem   der  Camaldolenser  Mönch  im  Kloster 


*)  Vgl.  WasserschUben ,  die  Bussordnungen  der  abendländischen  Kirche 
(Halle  1851),  wo  S.  624  ff.  der  Corrector  Burchardi  abgedruckt  ist.  Hier 
wird  S.  *644  ff.  der  Glaube  an  die  Nachtfahrten,  an  die 
Wetter  macherei  und  Schädigung  Anderer  mit  dämoni- 
scher  Hilfe  für  eitel  es  Hirn  gespinn  st  erklärt.  Wir  wollen  hier 
nur  folgende  beide  Fragen  hervorheben,  die  sich  S.  660  und  66 1  abgedruckt 
finden:  Credidisti,  quod  quaedam  credere  solent,  ut  in  quamcumque  donium 
intrauerint,  pullos  ansarum  —  et  aliorum  animalium  foetus  verbo  et  visu  vel 
auditu  obfascinare  et  perdere  posse  affirmant?  —  Credidisti,  quod  multae  mu* 
lieres  —  credunt  et  affirmant,  verum  esse  ut  credas,  in  quietae  noctis  silentio. 
cum  te  collocaveris  in  lecto  tuo,  et  maritu  tuo  in  sinu  tuo  jacente,  dum  cor- 
porea  sis,  januis  clausis  exire  posse  et  teixarum  spatia  cum  aliis  simili  errore 
deceptis  pertransire  valere  et  homines  —  sine  armis  visibilibus  interficerc  ctc.^ 

')  Vgl.  z.  B.  den  aus  der  ersten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
stammenden  „Beichtspiegel'*,  welchen  W.  Moll  in  den  Studien  en  Bydragen 
op  't  Rebied  der  historische  Theologie,  verzameld  door  W.  Moll  en  J.  G.  de 
lloop  Schiffer  (II.  1872,  S.  387)  mittheilt.  In  derselben  Zeitschrift  (S.  397  ff.) 
berichtet  Eelco  Verwys  in  einer  Abhandlung  unter  dem  Titel:  Bydrage  tot  de 
kennis  van  het  oude  volksgeloof  auch  Ober  andere  „BeichlhQcher*.  welche 
sich  ober  den  Völksaberglauben  verbreiten.  Ueber  eines  derselben  kann  Hoff- 
manns  (von  FalUrsUben)  Monatsschrift  von  und  für  Schlesien,  l,  2.  753  ver- 
glichen werden.  —  Auch  das  im  fünfzehnten  Jahrhundert  in  Ober-  und  Nieder- 
deutschland viel  gelesene  Buch  „der  Seelen  Trost"  enthält  vieles  r)ahingchftn>;e. 
—  Als  klassische  Quelle  zur  Kenntniss  des  während  des  Mittelalters  m  den 
Niederlanden  aufgewucherten  Aberglaubens  wird  von  Verwys  (S.  407)  die  1475 
zu  Brügge  erschienene  Schrift  Les  Evangiles  des  Quenouilles  (im  Jahr  1850 
von  Jannet  zu  Paris  in  der  Biblioth^que  Klzevirienne  neu  aufgelegt)  erwähnt, 
die  in  Holland  als  das  Boek  van  den  Spinrock  bekannt  ist 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i7c 

des  h.  Felix  zu  Bologna  um  1 1 50  aus  den  vorhandenen 
kirchenrechtlichen  Sammlungen  sein  Dekret  aufstellte  imd 
in  dasselbe  auch  den  Kanon  Episcopi  aufnahm  ^),  wodurch 
derselbe  in  dem  von  der  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts 
an  erwachsenden  Corpus  iuris  canonici  der  Kirche  seine 
Stelle  erhielt.  — 

Der  Glaube  an  Hexerei  galt  also  in  der  Kirche  im 
Anfange  und  noch  in  der  Mitte  des  Mittelalters  als  ein 
nichtiges  Himgespinnst,  als  eine  Illusion,  welche  vom 
Teufel  herrühre,  mit  welcher  der  Teufel  aber  nur  Die- 
jenigen berücken  könnte,  die  sich  in  ihren  Herzen  von 
Gott  ab-  xmd  dem  Teufel  zuwendeten,  und  welche  eben 
darum  strafbar  wären.  Daneben  kamen  in  der  Kirche 
allerlei  Zauberversuche  vor,  die  als  Ueberbleibsel  des  alten 
Heidenthums  angesehen  wurden.  Genau  dem  entsprechend 
richtete  nun  die  Kirche  ihr  Strafverfahren  gegen  Zauberei 
und  Hexerei  ein.  Noch  immer  galt  die  Handhabung  der 
Kirchenzucht,  eventuell  die  Excommunication  als  das  eigent- 
liche Strafmittel  gegen  Zauberei.  In  diesem  Sinne  sprechen 
sich  alle  Synoden  jener  Zeit  aus.  Sie  verfügen  meistens 
Pönitenzen  von  vierzig  Tagen  bis  zu  sieben  Jahren,  wobei 
es  aus  lokalen  und  zeitigen  Verhältnissen  zu  erklären  sein 
mag,  dass  dieselbe  Sache  bald  strenger  bald  milder  ge- 
nommen wird.  Der  Gedanke  einer  kriminalrechtlichen 
Verfolgung  abergläubischer  Uebungen  war  der  Kirche 
ganz  fremd.  Die  Synode  zu  Riesbach  imd  Freisingen  von 
799  dekretirte  in  Kanon  15:  „Zauberer,  Zauberinnen  etc. 
sollen  eingekerkert  imd  durch  den  Archipresbyter  wo 
möglich  zum  Geständniss  gebracht  werden;  aber  am 
Leben  darf  ihnen  nichts  geschehen."  Dieses  wardie 
schärfste  Synodalverfügnng,  welche  in  dieser  Zeit  vorkam. 
Dass  die  Strafe  fiir  Geistliche  schärfer  sein  sollte  als  fiir 
Laien,  kann  nur  als  angemessen  erscheinen;  aber  auch 
hierin  war  nicht  ein  Jahrhundert  dem  andern  gleich. 
Während  das  vierte  Concil  von  Toledo  (633)  den  Kleriker, 
welcher    Magier   befragt,    ohne  Weiteres   mit  Absetzung 


^)  Decretum  Gratiani,  Pars  II.  caus.  XXYI.  Quaest.  V.  c.  12. 


I  ^5  Siebentes  Kapitel. 

und  lebenslänglicher  Klosterhaft  bedroht  *)  bestrafte  Papst 
Alexander  III.  (t  1181)  einen  Priester,  der,  um  gestohlenes 
Kirchengut  zu  entdecken,  bei  einem  Wahrsager  in  ein 
Astrolabium  gesehen  hatte ,  nur  mit  ein-  bis  zweijähriger 
Suspension,  —  indem  der  an  sich  gute  Wille  dabei  in 
Anschlag  gebracht  wurde  ^).  Niemals  ist  es  aber  in  der 
langen  Periode  vom  Untergange  des  weströmischen  Reiches 
bis  zur  Einführung  der  delegirten  Inquisition  vorgekommen, 
dass  die  Kirche  den  weltlichen  Arm  zu  blutiger  Ver- 
folgung der  Zauberei  angerufen  hätte ;  wohl  sind  dagegen 
Päpste  und  Synoden  zum  öfteren  der  barbarischen  Strenge, 
mit  welcher  die  Staatsgewalt  hin  und  wieder  die  Zauberei 
verfolgte,  entgegengetreten.  Der  Papst  Nicolaus  1.(858  bis 
867)  z.  B.,  „einer  der  klügsten  und  kühnsten  Priester,  die 
je  die  Welt  gesehen",  erklärte  sich  in  einem  Schreiben 
an  den  Bulgarenfürsten  nachdrücklichst  gegen  den  Ge- 
brauch der  Folter,  welche  man  unter  den  Bulgaren  gegen 
die  des  Diebstahls  Beschuldigten  anzuwenden  pflegte.  Ein 
solches  Verfahren,  schrieb  er  ihm,  sei  gegen  alles  göttliche 
und  menschliche  Gesetz.  „Und  wenn  ihr  nun  durch  alle 
von  euch  angewandten  Strafen  kein  Bekenntniss  von  dem 
Angeklagten  erpressen  könnt,  schämt  ihr  euch  nicht  dann 
wenigstens  imd  erkennt  ihr  dann  nicht,  wie  gottlos  ihr 
richtet?  Gleicherweise  wenn  Einer  durch  die  Marter  dazu 
gebracht  worden,  sich  dessen  schuldig  zu  bekennen,  was 
er  nicht  begangen,  wird  dann  nicht  die  Schuld  auf  den 
fallen,  welcher  ihn  zu  einem  solchen  lügenhaften  Bekennt- 
nisse zwingt?  Verabscheut  also  von  ganzem  Herzen,  was 
ihr  bisher  in  eurem  Unverstände  zu  thun  pflegtet!**^)  — 
In  demselben  Sinne  forderte  Gregor  VII.,  der  gewaltige 
Hierarch,  den  König  von  Dänemark  auf,  es  zu  verhindern, 
dass  in  seinem  I.ande  bei  eintretenden  Unwettern  imd 
Seuchen  unschuldige  Frauen  als  Zauberinnen,  welche  solches 
Unglück  verursacht  hätten,  verfolgt  würden  3). 


*)  Decret.  Gregor.  Lib.  X,  Tit,  XXI.  de  sortilegiis,  cap.  3, 
*)  Neander,  Allgemeine  Gesch.    der  christl.  Religion  u.  Kirche,    3.  Aufl., 
B.  II.  S.   170. 

')  Neander,  eben  das.  S.  380. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i^y 

Auch  von  Seiten  der  weltlichen  Gewalten  kam 
übrigens  ein  peinliches  oder  blutiges  Einschreiten  gegen 
Zauberei  nur  gar  selten  vor.  Die  Nachricht  der  sogen. 
Annalen  von  Corvey,  dass  im  Jahr  914  in  Westfalen  viele 
Hexen  verbrannt  worden  seien,  ist  theils  der  Unechtheit 
dringend  verdächtigt),  theils  enthält  sie  nichts,  was  ein 
solches  Ereigniss  als  gerichtliche  Handlung  hinstellen  könnte. 
Ebenso  ist  mit  Grund  bezweifelt  worden,  was  Mariana  im 
dreizehnten  Jahrhundert  meldet,  dass  bereits  unter  dem 
König  Ramirus  (neuntes  Jahrh.)  in  Spanien  Zauberer  zum 
Scheiterhaufen  gefuhrt  worden  seien.  Sehr  vereinzelt  stehen 
historisch  beglaubigte  Beispiele  von  Hinrichtungen  da,  wie 
dasjenige,  welches  sich  nach  Lambert  von  AschafFenburg 
im  Jahr  1004  zu  Köln  zutrug.  Eine  Frau  wurde  von  der 
Stadtmauer  herabgestürzt,  weil  sie  im  Rufe  stand,  durch 
Zauberkünste  den  Verstand  der  Menschen  verwirren  (de- 
mentare)  zu  können  2).  Ueber  das  Nähere  lässt  uns  der 
Schriftsteller  im  Dunkeln.  Auch  in  den  Gesetzen  Hein- 
rich's  I.  von  England  blieb  vorausgesetzt,  dass  durch  einen 
Zauber,  den  man  in  vultu  nannte,  d.  h.  durch  Verfertigung 
eines  Bildes  von  Wachs  oder  Lehm  (welches  man  durch- 
stach etc.)  ein  Mord  begangen  werden  könnte^).  Ob  es 
die  Furcht  vor  Zaubereien  solcher  oder  anderer  Art  war. 


*)  Nach  Wigand  (das  Chronicon  Corb. ,  Leipz.  1841)  sind  diese  An- 
nalen ebenso,  wie  das  sogen.  Chronic.  Corb.  ein  Machwerk  Paullini's.  An 
der  hierher  gehörigen  Stelle  hatte  schon  Leibnitz  Anstoss  genommen.  Er 
sagt  hierüber  im  Vorw.  zu  B.  II.  der  Braiinschw.  Geschichtsquellen:  Sagas 
iam  a.  915  (muss  heissen  914)  in  territorio  Corbeiensium  combustas  in  hoc 
codem  Chronic©  notari  miror;  neque  enim  alias  observo  tarn  vetustum  fuisse 
morem  crüdelis  credulitatis. 

■)  Lamb,  Schafnab,  p.  208  (Ausgabe  von  Krause,  S.   136). 

')  Joh.  V.  Saiisbury  (Polier.  I.  ll)  redet  von  dieser  Art  des  Zaubers,  die 
sich  ganz  auf  Römisches  gründet  und  auch  auf  die  Neigungen  des  Menschen 
wirken  sollte:  Vultivoli  sunt,  qui  ad  affectus  hominum  immutandos  in 
moUiori  materia,  cera  vel  forte  limo,  eorum,  quos  pervertere  nituntur,  effigies 
exprimunt,  cuius  illusionis  in  pharmaceutria  Virgilius  meminit :  Limus  ut  hie 
öurescit  etc.  Nase  quoque  in  libro  Heroidum.  —  Die  Zauberer  selbst  hiessen 
vultuarii.  Im  Französischen  begegnet  uns  dieselbe  Sache  unter  dem  Ausdruck 
envoüter. 


138  Siebentes  Kapitel. 

wesshalb  es  den  Juden  xrnd  Weibern  verboten  wurde,  bei 
Richard's  I.  Krönung  zugegen  zu  sein,  lässt  sich  aus  der 
allgemeinen  Angabe,  die  sich  bei  Matthäus  Paris  über 
diese  Massregel  findet,  nicht  entnehmen  ^). 

Vollkommen  klar  liegen  die  damaligen  Verhältnisse 
im  Königreich  Ungarn  vor. 

In  der  Gesetzgebung  des  Königs  Stephan  L  von 
Ungarn  (997 — 1038)  wird  nämlich  zwischen  Hexerei  und 
Wahrsagerei  einerseits  und  Zauberei  andererseits  unter- 
schieden. Der  Zauberer  —  der  veneficus  aut  maleficus  — , 
der  Menschen  an  Leib  oder  Leben  schädigt,  begeht  ein 
bürgerliches  Verbrechen,  und  soll  darum  dem  Geschädigten 
oder  den  Angehörigen  desselben  zu  beliebiger  Behandlung 
übergeben  werden.  Dagegen  galt  die  Hexerei  als  Dä- 
monendienst und  als  rein  kirchliches  Vergehen.  Daher 
bestimmt  das  Decretum  Sancti  Stephani  (L.  11.  c.  31),  dass, 
wenn  man  eine  Hexe  finde,  sie  in  die  Kirche  gefuhrt  und 
dem  Geistlichen  empfohlen  werden  solle,  der  sie  zum  Fasten 
und  zur  Erlernung  des  Glaubens  anhalten  werde;  nach 
dem  Fasten  möge  sie  nach  Hause  gehen.  Werde  sie  zum 
anderen  Mal  über  demselben  Vergehen  ergriffen,  so  solle 
sie  wieder  fasten,  darauf  aber  mit  dem  glühend  gemachten 
Kirchenschlüssel  auf  der  Brust,  an  der  Stirn  und  zwischen 
den  Schultern  in  Kreuzesform  gebrandmarkt  werden.  Bei 
dem  dritten  Betretungsfall  dagegen  möge  man  sie  dem 
weltlichen  Gericht  übergeben.  Wer  Wahrsagerei  treibe 
(sortilegio  utentes,  ut  faciunt  incinere  et  his  similibus),  solle 
vom  Bischof  mit  Geisseihieben  auf  den  rechten  Weg  zu- 
rückgebracht werden. 

Im  Wesentlichen  hielten  diesen  Standpimkt  für  die 
Auffassung  der  Sache  auch  König  Ladislaus  der 
Heilige  (1077 — 1095),  der  (im  S.  Ladislai  Decretum  1. 34) 
die  Hexerei  auf  Eine  Linie  mit  der  Hurerei  stellte,  imd 
König  Koloma nn  (1095 — H14)  fest,  welcher  letztere  (im 
Decretum  Colomanni  Regis  I.  57)  alle  Zauberer  dem  Archi- 
diaconus   und    dem   Kreisgrafen    zur   Bestrafimg    zuweist. 


')  Uist.  major  ad  ann.  1188. 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i^g 

dagegen  bezüglich  der  Hexen  sagt:  „Ueber  die  Hexen, 
die  es  nicht  gibt,  soll  keine  Untersuchung  angestellt 
werden**  ^). 

Gerade  in  diesen  Gesetzen  des  Königreichs  Ungarns 
können  wir  die  Ergebnisse  der  Einwirkung  des  christlichen 
Geistes  auf  den  überlieferten  heidnischen  Aberglauben  am 
klarsten  und  sichersten  erkennen.  Die$elben  berechtigten 
zu  der  Hoffnung,  dass  es  dem  Evangelium  in  nicht  allzu- 
ferner Zeit  gelingen  werde,  die  Völker  des  Abendlandes 
aus  den  Banden  des  heidnischen  Dämonismus  ganz  zu 
befreien. 

Im  griechischen  Kaiserreiche  freilich  sah  es  an- 
ders aus.  Am  Hofe  von  Byzanz,  dem  elenden  Hofe  der 
Grünen  und  der  Blauen ,  der  Bilderstürmer  und  Säulen- 
heiligen, der  Regenten  mit  geblendeten  Augen  und  der 
Kriegsmänner  mit  Kaftan  und  Stock,  der  schreibenden 
Prinzessinnen  und  der  disputirenden  Kaiser,  —  an  diesem 
Hofe  sah  man  die  nothwendigen  Consequenzen  der  Gesetze 
Constantin's  und  der  Nachfolger  desselben  in  grausiger 
Wirklichkeit  hervortreten*).  Im  Abendlande  dagegen 
waren  die  drakonischen  Gesetze  der  christlich-römischen 
Kaiser  längst  vergessen.  Staat  und  Kirche  hatten  sich 
hier    zu  ernster    aber   menschlicher  Gegenwirkung  gegen 

*)  „De  strigis  vero,  quae  non  sunt,  nulla  quaestio  fiat.*'  Der  Sinn  der 
Worte  ist  übrigens  nicht  ganz  klar.  Vgl.  F,  Müller,  Gesch.  d.  Hexenglaubens 
in  Siebenbürgen,  S.  9. 

•)  Einige  Beispiele  von  Verfolgung  angeblicher  Zauberer  gibt  Nicctas 
Chüniata  im  Leben  des  Manuel  Komnenus  (Lib.  IV.  Cap.  6.  ed.  Bekker).  Der 
Protostrator  Alexius  wurde  unter  solcher  Anklage  von  dem  habsächtigen 
Kaiser  seiner  Güter  beraubt  und  ins  Kloster  gesteckt.  Der  Dolmetscher  Aaron 
Isaacius,  welcher  Legionen  von  bösen  Geistern  zu  seinem  Dienste  citiren 
können  sollte,  wurde  geblendet  und  später  noch  von  Isaak  Angelus  mit  Ab- 
schneiden der  Zunge  bestraft.  Die  Strafe  der  Blendung  erlitten  auch  Sklerus 
Scth  und  Michael  Sicidites,  jener  wegen  Liebeszauber,  den  er  durch  eine 
Pfirsich  verübt,  dieser  wegen  seiner  dämonischen  Verwandlungskünste,  durch 
welche  er  einst  in  einem  mit  Töpfen  beladenen  Nachen  eine  ungeheuere 
Schlange  erscheinen  liess,  so  dass  der  Eigenthümer  in  dei  Angst  der  Selbst- 
vertheidigung  seine  säramtliche  Waare  zerschlug.  Auch  der  Kaiser  Theodor 
Laskaris,  der  seine  Krankheit  der  Bezauberung  zuschrieb,  stellte  Verfolgungen 
an,  bei  denen  er  sich  der  Feuerprobe  bediente. 


I40 


SaebcBtes  KsDiteL 


den  althergebrachten  Unfug-  des  Zauberwesens  vereinigt, 
und  erleuchtete  Kirchenlehrer  konnten  es  kühnlich  aus- 
sprechen, dass  der  Glaube  an  die  Wirklichkeit  der 
Hexerei  Sünde  wäre,  welche  von  der  Kirche  be- 
straft werde. 

In  Wahrheit  lag  aber  im  Glauben,  Denken  und  Leben 
der  Christenheit  während  der  drei  ersten  Jahrhunderte  des 
rweiten  Jahrtausends  ein  tief  gehender  Gegensatz  vor,  aus 
welchem  neben  den  frohesten  Hoffnungen  für  die  Zukunft 
der  abendländischen  Volker  auch  Gespenster  auftauchten, 
die  Schreckliches  ahnen  Hessen. 

Jene  Zeit  war  eine  Zeit  der  Rohheit  und  Finstemiss 
in  aller  Wissenschaft  für  das  christliche  Abendland.  Die 
sparsamen  Lichtstrahlen,  die  für  Mathematik,  Naturkunde 
und  Medizin  aus  dem  muhammedanischen  Südwesten  herüber- 
blitzten, fanden  selten  dankbare  Aufnahme.  Sie  verblüfften 
und  schreckten  durch  ihre  Unbegreiflichkeit  die  dumme 
Volksmasse,  störten  den  Klerus  aus  seiner  bequemen  Träg- 
heit auf,  bedrohten  sein  Ansehen  und  selbst  sein  Einkom- 
men. Wie  er  bisher  in  fast  ausschliesslichem  Besitze  eines 
eigenthümlichen  Heilverfahrens  gewesen  war,  ist  oben  be- 
rührt worden.  Jetzt  erfuhr  man  durch  einige  Wissbegierige, 
die  bei  den  Arabern  und  Juden  Spaniens  gelernt  hatten, 
von  Hippokrates  und  Galen,  Aristoteles  und  Maimonides, 
Dschaffar,  Ebn  Sina  und  Averroes,  und  die  neue  Kunde 
schien  die  ganze  bisherige  Mönchsgelehrsamkeit  aus  dem 
Sattel  zu  heben.  Darum  gebot  der  eigene  Vortheil,  die 
unwillkommenen  Lehren  als  unchristlich  und  magisch  zu 
verdächtigen;  aber  die  Wahrheit  wusste  dennoch  ihren 
Weg  zu  finden.  Gerbert,  in  Sevilla  und  Cordova  ge- 
bildet, wegen  seiner  mathematischen  und  physikalischen 
Kenntnisse  als  Schwarzkünstler  verschrieen,  bestieg  nichts 
desto  weniger  als  Sylvester  IL  im  Jahr  999  den  päpst- 
lichen Stuhl  und  arbeitete  mit  seinem  Freunde  Otto  HI. 
rüstig  für  das  Emporkommen  der  Wissenschaft.  Con- 
stantinus  Africanus,  der  getaufte  Jude,  bei  den  Ara- 
b<»rn  in  Kairo  mit  medizinischen  Kenntnissen  bereichert, 
nach    seiner  Heimkehr   ebenfalls   verfolgt,    fand   freudige 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i^j 

Aufhahme  bei  den  aufgeklärten  Mönchen  von  Monte-Cas- 
sino,  wo  er  dem  Abendlande  griechische  und  arabische 
Schriftsteller  durch  Uebersetzungen  zugänglich  machte  und 
zur  Hebung  der  neuen  Arzneischule  von  Salerno  nicht 
wenig  beitrug  *).  Ueberhaupt  erhob  sich  der  Benediktiner- 
orden über  das  gemeine  Vorurtheil.  Etwas  später  war 
es  abermals  ein  Angehöriger  desselben,  Adelard  aus 
England,  der  in  Spanien  physikalische  und  medizinische 
Schriften  der  Araber  übersetzte.  Freilich  war  es  Schade, 
dass  aus  der  arabischen  Medizin  sich  auch  das  astrologische 
Element  herüberschlich  und  von  den  Christen  nachgerade 
eifriger  gepflegt  wurde,  als  selbst  das  System  der  arabi- 
schen Aerzte  gestattete^);  aber  magischer  wurde  darum 
die  christliche  Medizin  nicht,  als  sie  in  ihrer  früheren 
theurgisch-rituellen  Behandlungsweise  gewesen  war.  — 
Auch  gegen  Gregor  VU.  und  alle  seine  Vorgänger  bis  zu 
Sylvester  11.  hinauf  ist  das  Geschrei  der  Zauberei  erhoben 
worden.  Es  war  ein  Nothschrei  des  schismatischen  Kar- 
dinals Benno,  der  seiner  Partei  einen  Stuhl  durch  Ver- 
leumdung zu  erwerben  gedachte,  welchen  der  Sohn  des 
Zimmermanns  aus  Saona  durch  böse  Kunst  bestiegen  haben 
sollte;  aber  ruhig  hätte  dieser  auf  seinem  Sitze  bleiben 
mögen,  bis  ein  Höherer  ihi\  abrief,  wären  die  Waffen  des 
deutschen  Heinrich  nicht  schärfer  gewesen,  als  die  Zunge 
des  ränkesüchtigen  Priesters. 

Es  standen  sich  eben  damals  in  der  Kirche  geistvolle, 
angesehene  Männer  von  ganz  entgegengesetzter  Geistes- 
richtung einander  gegenüber,  von  denen  die  einen  es  als 
ihre  Aufgabe  ansahen,  das  Denken  und  Leben  des  Volkes 
von  dem  Dämonen-  und  Hexenglauben  frei  zu  machen, 
während  die  anderen  die  Vertretung  desselben  als  ihre 
kirchliche  Pflicht  betrachteten. 

Johannes  von    Salisbury,    Bischof   von   Chartres 


')  Doch    verwarf   auch  Constantin  nicht    ganz  die  incantationes ,    adjura- 
tiones  und  colli  suspensiones  gegen  Krankheiten.     £})ist.  ad  filium. 

')  Sprengel  Gesch.  der  Med.  Th.  II.  S.  413. 


142  Siebentes  Kapitel. 

(t  ii8i),  welcher  der  einreissenden  Finstemiss  gleichsam 
den  letzten  Damm  entgegenzusetzen  suchte,  sagt  in  seinem 
„Policratic^s"  (II.  1 7) :  „Manche  behaupten,  dass  die  sogen. 
Nachtfrau  oder  die  Herodias  nächtliche  Berathungen  und 
Versammlungen  berufe,  dass  man  dabei  schmause,  allerlei 
Dienste  verrichte,  und  bald  nach  Verdienst  zur  Strafe  ge- 
zogen, bald  zu  lohnendem  Ruhme  erhöht  werde.  Ausser- 
dem meinen  sie,  dass  hierbei  Säuglinge  den  Lamien  bei- 
gegeben und  bald  in  Stücke  zerrissen  und  gierig  ver- 
schlungen, bald  von  der  Vorsitzerin  begnadigt  und  in  ihre 
Wiegen  zurückgebracht  werden.  Wer  wäre  so  blind,  um 
nicht  zu  sehen,  dass  dieses  eine  boshafte  Täuschung  der 
Dämonen  ist  ?  Dies  geht  ja  schon  daraus  hervor,  dciss  die 
Leute,  denen  dieses  begegnet,  arme  Weiber  und  einfaltige, 
glaubensschwache  Männer  sind.  Wenn  aber  Einer,  der 
an  solcher  Verblendung  leidet,  von  Jemandem  bündig  und 
mit  Beweisen  überfuhrt  wird,  so  wird  augenblicklich  der 
böse  Geist  überwunden  oder  weicht  von  dannen.  Das  beste 
Heilmittel  gegen  solche  Krankheit  ist,  dass  man  sich  recht 
fest  an  den  Glauben  hält,  jenen  Lügen  kein  Gehör  gibt 
und  solche  jammervollen  Thorheiten  in  keiner  Weise  der 
Aufmerksamkeit  würdigt." 

In  ähnlichem  Sinne  sprachen  sich  auch  viele  andere 
erleuchtete  Kirchenmänner  im  zwölften  und  sogar  auch 
im  dreizehnten  Jahrhundert  über  die  Nichtigkeit  des 
Zauberspuks  aus.  Aber  derjenige  Scholastiker,  der  unter 
allen  Kirchenlehrern  des  dreizehnten  Jahrhunderts  unbe- 
stritten als  der  angesehenste  hervorragte,  Thomas  von 
Aquino  (t  1274),  den  Johann  XXII.  im  Jahr  1323  unter 
die  Heiligen  erhob  und  den  Pius  V.  im  Jahr  1567  zum 
Doctor  ecclesiae  proclamirte,  verkündete,  dass  es  ein  Irr- 
thum  sei,  wenn  man  den  Dämonenglauben  aus  Illusionen 
und  die  Malefizien  aus  dem  Unglauben  herleiten  wolle, 
indem  es  wirklich  ein  unter  dem  Teufel  als  seinem  Ober- 
haupte stehendes  Dämonenreich  gebe,  und  dass  der  Teufel 
und  dessen  Dämonen  mit  göttlicher  Zulassung  die  Macht 
besässen,  böse  Wetter  zu  machen,  Eheleute  an  der  Aus- 
übung der  Geschlechtsgemeinschaft   zu   hindern   xmd   den 


Das  Mittelalter  bis  zum  dreizehnten  Jahrhundert.  i^^.^ 

Menschen    sonst    noch    in    allerlei   Weise    Schaden   zuzu- 
fügen ^). 

Kalt  und  grausig  blickte  es  aus  dieser  Doktrin  des 
grossen  Kirchenlehrers  der  abendländischen  Menschheit 
ins  Angesicht.  Denn  schloss  sich  diese  Dämonenlehre  mit 
dem  im  Volke  heimischen  Aberglauben  zusammen,  so  war 
die  Möglichkeit  gegeben,  dass  dem  Zauberspuk  von  der 
Kirche  volle  Wirklichkeit  zuerkannt  ward,  und  dass  sich 
aus  jener  Lehre  der  ganze  Dämonismus  des  Heidenthums 
als  Wahn  von  einem  in  der  Kirche  bestehenden  Reiche 
des  Satans  erhob ,  gegen  welchen  dann  alle  christlichen 
Gewalten,  vor  allem  die  Kirche,  zu  einem  Vemichtungs- 
kampf  von  Gott  verpflichtet  erscheinen  konnten. 


^)  De  maleficiis  autem  sciendum  est,  quod  quidam  dixerunt,  quod 
maleficiuoi  nihil  est,  et  quod  hoc  proveniebat  ex  infide- 
litate:  quia  volebant,  quod  daeraones  nihil  sunt,  nisi  imaginationes  hominum,  in 
quantum  scilicet  homines  imaginabantur  eos  et  ex  illa  imaginatione  territi  laedeban- 
tur.  Fides  vero  catholica  vult,  quod  daemones  sint  aliquid  et 
possint  Docere  suis  operationib  us  et  impedire  carnalem  co- 
p  u  1  a  m.  T  h  o  m.  A  q  u  i  n.  Quodlib.  XI.  art.  lo.  —  Ferner  Thom.  Aquin.  Com- 
ment.  in  Job  cap.  I. :  Considerandum  est,  quod  necesse  est  confiteri,  quod  Deo 
permittente  daemones  possunt  turbationes  afris  inducere,  ventos  concitare  et 
facere,  ut  ignis  de  coelo  cadat.  Quam  vis  enim  materia  corporalis  non  obediat 
ad  nutum  angelis  neque  bonis,  neque  malis  ad  susceptionem  fonnarum,  sed  soli 
creatori  Deo,  tarnen  ad  motum  localem  natura  corporea  nata  est  spiritali  naturae 
obedire;  cujus  indicium  in  homine  apparet.  Nam  ad  solum  Imperium  voluntatis 
moventur  membra ,  ut  affectum  voluntate  dispositum  prosequantur.  Quaecunque 
igitur  solo  motlocali  fieri  possunt,  haec  per  naturalem  virtutem  non  solum  spiritus 
boni,  sed  etiam  mali  facere  possunt,  nisi  divinitus  prohibeantur.  Venti  autem  et 
pluviae  et  aliae  hujusmodi  a^ris  perturbationes  ex  solo  motu  vaporum  resolutorum 
ex  terra  et  aqua  fieri  possunt.  Unde  ad  hujusmodi  procreanda  naturalis  virtus 
dacmonb  suflicit;  sed  interdum  ab  hoc  divina  virtute  prohibentur,  ut  non 
Ikeat  iis  facere  omne  quod  naturaliter  possunt.  Non  est  autem  contrarium, 
quod  dicitur  Hier.  14.  „Numquid  etc."  —  Aliud  enim  est  naturali  cursu 
pluere,  quod  soli  Deo  convenit,  qui  causas  naturales  ad  hoc  ordinavit;  aliud 
arHJicialiUr  uti  aliquo  ad  pluviam,  vel  ventum  interdum  quasi  extraordinarie 
produccndum.  — 


ACHTES     KAPITEL. 


Das  Ketzerwesen   in   der  Kirche    bis  zum  drei- 
zehnten Jahrhundert. 

Mit  dem  dreizehnten  Jahrhundert  haben  wir  einen 
Wendepunkt  in  der  Geschichte  des  Zauberwesens  erreicht. 
Es  beginnt  eine  kurze  Periode  des  Uebergangs,  die  mit 
einer  überraschenden  Erscheinung  endigt.  Am  Schlüsse 
derselben  sehen  wir  den  bisher  von  der  Kirche  in  seiner 
Realität  oft  bekämpften  Zauberglauben  kirchlich  ge- 
boten und  den  Zweifel  an  dieser  Realität  als 
Ketzerei  hingestellt.  Der  Umfang  der  Zauberei  hat  sich 
erweitert ,  ihr  Charakter  ist  ein  anderer  geworden.  Es 
handelt  sich  nicht  mehr  um  Beschädigungen  von  Menschen, 
Thieren  und  Fluren,  Liebeszauber,  Luftfahrten,  geheimniss- 
volle Heilungen ,  Sortilegien  und  Wettermachen ,  als  ein- 
zelne, unter  einander  unverbundene  Künste :  vielmehr  sam* 
mein  sich  alle  diese  Begehungen  und  noch  andere,  neu 
hinzutretende  von  nun  an  als  Radien  um  einen  gemein- 
schaftlichen Mittelpunkt,  der  nichts  anders  ist,  als  ein  voll- 
endeter Teufelscultus.  Das  ausdrückliche  oder  still- 
schweigende Bündniss  mit  dem  Satan,  die  ihm  dargebrachte 
obscöne  Huldigung  und  Anbetung,  die  fleischliche  Ver- 
mischung mit  ihm  und  seinen  Dämonen,  die  Lossagung 
von  Gott,  die  förmliche  Verleugnung  des  christlichen 
Glaubenb,  die  Schändung  des  Kreuzes  und  der  Sacramente, 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.  i^e 

—  dieses  alles  ist  wesentliches  Attribut  der  neueren  Zau- 
berei und  stellt  dieselbe  scheussfieher  hin,  afs  alles,  was 
die  alte  Zeit  jemals  unter  diesem  Namen  begriffen  hat. 
Jetzt  erhebt  die  Kirche  das  Panier  einer  blutigen  Ver- 
folgung und  das  bürgerliche  Gesetz  trägt  ihr  eine  Zeitlang 
das  Schwert  vor,  um  dieses  zuletzt  selbstständig  zu  führen. 
Was  früher  neben  der  Magie  den  verfolgten  Sekten  vor- 
geworfen worden  war,  wie  z.  B.  abscheuliche  Einweihimgs- 
ceremonien,  Kindermord,  Unzucht  —  das  wurde  jetzt  in 
den  Begriff  der  Zauberei  mit  hereingezogen.  Man  liess 
jetzt  die  Zauberei  in  der  öffentlichen  Meinung  als  die 
praktische  Seite  der  Ketzerei  hervortreten  und  erhob  sie 
selbst  zur  Häresis. 

Das  Vorbild  der  Anklagen,  die  man  gegen  die  Ketzer 
erhob,  können  wir  nämlich  im  Wesentlichen  in  dem  finden 
was  einst  Min ucius  Felix  seinen  Cäcilius,  als  Repräsen- 
tanten der  heidnischen  Volksmeinung,  gegen  die  christ- 
lichen Urgemeinden  sagen  liess.  Die  Christen  erscheinen 
dort  als  eine  verworfene,  verzweifelte  und  lichtscheue 
Faction,  zusammengesetzt  aus  verdorbenem  Gesindel  und 
leichtgläubigen  Weibern,  die  gegen  das  Göttliche  wüthet, 
gegen  dcis  Wohl  der  Menschen  sich  verschwört  und  der 
Welt  Verderben  droht.  Sie  gemessen  in  ihren  nächtlichen 
Versammlungen  unmenschliche  Speise,  verachten  die  Tem- 
pel, speien  die  Götter  an  und  verspotten  die  heiligen  Ge- 
bräuche; ihr  eigner  Kult  ist  nicht  Gottesdienst,  sondern 
Ruchlosigkeit.  Sie  erkennen  sich  an  geheimen  Zeichen, 
nennen  sich  unter  einander  Brüder  und  Schwestern  und 
entweihen  diesen  heiligen  Namen  durch  Gemeinschaft  der 
Unzucht.  Sie  beten  einen  Eselskopf  an,  oder  wie  Andere 
behaupten,  die  Genitalien  ihres  Oberpriesters  *).  Vor  allem 
abscheulich  ist  die  Aufnahme  in  ihre  Gesellschaft.  Ein 
Kind,    mit  Mehl  überdeckt,    wird   dem   Aufzunehmenden 


*)  Cehus  (Orig.  c.  Cels.  III.  17)  vergleicht  den  christlichen  Kult  mit 
dem  Gflttendienste  der  Aegyptier,  wo  Katze,  Affe,  Krokodil,  Bock  und  Hund 
als  Götter  verehrt  werden. 

Soldan-Beppe,  Hexenprozease.  ^^ 


146  Achtes  Kapitel. 

vorgesetzt.  Derselbe  muss  wiederholt  in  das  Mehl  stechen 
und  tödtet  das  Kind;  das  fliessende  Blut  wird  von  den 
Christen  gierig  aufgeleckt,  die  Glieder  des  Kindes  werden 
zerrissen  und  so  wird  durch  dieses  Menschenopfer  ein  Pfand 
hergestellt,  welches  der  Gesellschaft  die  Verschwiegenheit 
der  Einzelnen  verbürgt.  Am  Festtage  versammeln  sich 
alle  mit  ihren  Schwestern,  Müttern  und  Kindern  zum  ge- 
meinschaftlichen Mahle.  Wenn  bei  demselben  durch  im- 
mässiges  Essen  und  Trinken  die  Wollust  gereizt  ist,  so 
wird  einem  an  das  Lampengestell  festgebundenen  Hunde 
ein  Bissen  hingeworfen,  den  er  nicht  erreichen  kann,  ohne 
durch  Zerren  und  Springen  das  Gestell  umzuwerfen.  Sind 
nun  auf  diese  Weise  die  Lichter  erloschen,  so  gibt  sich 
die  Gesellschaft,  wie  eben  der  Zufall  die  Personen  zu- 
sammenführt, der  abscheulichsten  Unzucht  hin. 

Ein  ganz  auf  dasselbe  hinauslaufendes  Gemisch  von 
Anschuldigungen  stellte  sich  nun  in  der  öffentlichen  Mei- 
nung der  Kirche  bezüglich  der  in  ihr  hervortretenden 
Ketzer  und  Sekten  zusammen,  so  dass  neben  der  Ge- 
schichte der  Ketzereien  auch  eine  Geschichte  der  düsteren 
Sagenkreise  hergeht,  in  denen  die  öffentliche  Meinung  der 
Kirche  bezüglich  jener  zum  Ausdruck  kam.  Nur  die  letz- 
tere, nicht  die  eigentliche  Ketzergeschichte  kommt  für 
unsere  weitere  Darstellung  in  Betracht. 

An  der  Spitze  des  Ketzerkatalogs  erschien  seit  Ire- 
näus  ^)  als  Erzketzer  und  Erzzauberer  Simon  Magus,  der 
eben  darum  auch  als  der  Erstgeborene  des  Satans  galt  *). 
Seine  Anhänger  sollen,  wie  Irenäus  sagt,  mit  Liebeszau- 
bem,  Familiargeistern  und  dem  Bewirken  von  Träumen 
umgegangen  sein.  Mit  Simon  Magus  und  seinem  Schüler 
brachte  man  frühe  die  ganze  heidnische  Gnosis  in  Zu- 
sammenhang, deren  phantastische  Lehren  und  geheimniss- 
vollen   Kulte    und    Uebungen    zu    den    seltsamsten    Ver- 


')  Irenäus  adv.  haeres.  l.  20:  Universam  magiam  adhuc  amplius  inscru- 
tans,  ita  iit  in  stuporem  co^erot  multos  hominum,  —  Eusthius  (H.  E,  11.  13) 
nennt  ihn  raaY,^  0'f'y.''iY^^  aipiattu;. 

'}  Ignatius  nd  Trall. 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.  14^ 

dächtigungen  Anlass  gaben.  Von  den  Ophiten  berichtete 
Origenes*),  dass  sie,  bei  der  Abendmahlsfeier  eine  ge- 
zähmte Schlange  gebrauchend,  in  dieser  den  Teufel  ver- 
ehrten. Das  Wunderlichste  aber  erzählte  man  sich  von 
dem  Schüler  des  Gnostikers  Valentinian,  Marcus,  dessen 
Anhänger  Marcosier  genannt  wurden.  Irenäus  legt  ihm 
einen  Dämon  Paredros  (Spir.  famil.)  bei,  mit  dessen  Hülfe 
er  allen  möglichen  Zauberspuk  getrieben  haben  soll.  Na- 
mentlich wird  gesagt,  dass  er  seine  Anhänger,  meistens 
Weiber,  durch  Zauberei  gewonnen  habe.  Bei  der  Abend- 
mahlsfeier verwandelte  er  den  weissen  .Wein  in  drei  Glas- 
bechem  in  rothen,  violetten  und  blauen  Wein,  und  goss 
den  Inhalt  des  weit  kleineren  Bechers  in  einen  viel  grös- 
seren und  zwar  so,  dass  dieser  dennoch  überlief.  Die 
Weiber,  welche  diese  Magie  mitansahen  und  sich  durch 
dieselbe  gewinnen  Hessen,  betrachtete  Marcus  als  sein 
Eigenthum,  indem  sie  ihm  zur  Befriedigimg  seiner  Lüste 
dienen  und  alles  Eigenthum  ihm  überlassen  mussten.  Ueber- 
diess  rühmten  sich  die  Marcosier,  dass  sie  sich  unsichtbar 
machen  könnten*). 

Ueber  Lehre  und  Leben  der  Marcosier  und  einzelner 
anderer  gnostischer  Sekten  liegen  allerdings  wenige  zu- 
verlässige und  sichere  Nachrichten  vor.  Von  einer  anderen, 
gleichzeitigen  Sekte,  nämlich  von  der  der  Montanisten, 
wissen  wir  auf  das  Sicherste,  dass  in  ihr  die  rigoroseste 
Sittenstrenge  waltete;  gleichwohl  wurden  gerade  ihnen  die 
entsetzlichsten  Gräuel  nachgesagt.  Sie  sollten  alljährlich 
ein  Kind  schlachten  oder  wenigstens  am  ganzen  Körper 
mit  ehernen  Nadeln  durchstechen  und  das  abgezapfte  Blut 
unter  Mehl  kneten,  um  daraus  das  Abendmahlsbrot  zu 
bereiten.  Ausserdem  wurden  die  Montanisten,  weil  sie 
sich  des  Besitzes  einer  ekstatischen  Prophetin  rühmten,  als 
vom  Teufel  Besessene  verschrieen^). 

Begreiflich  dagegen  ist  es,    dass  das  manichäische 


»)  Contra  Celsum,  VI.  28, 

*)  Irenäus,  adv.  haeres.  I,  8  u.  9;  Epiphanius,  Haeres.  XXXIV.   1. 

»)  Euseb.  H.  E.  V.  16  ff.;  Epiphan.  Haeres.  XLVIII.   14. 


1^8  Achtes  Kapitel. 

Lehrsystem,  —  dieses  glühend  prächtige  Natur-  und 
Weltgedicht,  wie  man  es  genannt  hat,  —  bei  seinem  streng 
dualistischen  Aufriss  als  die  Brutstätte  einer  spezifisch 
ketzerischen  Dämonenlehre  gelten  konnte.  Man  sagte  von 
den  Manichäern,  dass  sie  Amulete  und  Zauberformeln  ge- 
brauchten, dass  sie  allerlei  böse  Wetter  machen  konnten, 
und  dass  in  ihren  Versammlungen  ein  geheimnissvoller, 
blasser  Mann  erscheine,  —  nach  der  Meinung  der  Einen 
der  Häresiarch,  nach  der  Anderer  der  TeufeP).  —  So 
ziemlich  in  demselben  Rufe  standen  auch  die  Priscillia- 
nisten  in  Spanien  (um  400),  deren  System  ein  Gemisch 
gnostisch-manichäischer  Gedanken  war.  Namentlich  sollten 
sie  böse  Wetter,  Sturm  und  Hagel  mit  Hilfe  des  Teufels 
zu  bewerkstelligen  versuchen  *).  —  Im  Gerüche  eines  eigent- 
lichen Satansdienstes  (durch  welchen  sie  sich  gegen  dessen 
Tücke  schützen  wollten),  standen  die  Messalianer  (im 
vierten  Jahrhundert),  sowie  späterhin  (ums  Jahr  1000)  auch 
die  Bogomilen.  Unter  den  ersteren  (griechisch  auch 
„Euchiten"  genannt),  wollte  man  sogar  eine  Fraction  von 
„Satanianem"  entdeckt  haben,  —  die  jedoch  nie  existirthat'). 
Es  erhellt  hieraus,  dass  die  Stellung  der  öffentlichen 
Meinung  der  Kirche  zu  den  im  Orient  und  in  Griechen- 
land auftauchenden  Häresieen  zu  allen  Zeiten  dieselbe  war. 
Auch  in  den  späteren  Jahrhunderten  traute  man  den  Sekten 
ganz  dasselbe  zu,  was  man  schon  im  zweiten  Jahrhundert 
von  denselben  erzählt  hatte.  Aber  Eine  Thatsache  war 
dabei  vorgekommen,  deren  gleichen  die  Kirche  vordem 
noch  nicht  gesehen,  auch  nicht  für  möglich  gehalten  hatte : 
Priscillian  war  im  Jahr  385  zu  Trier  hingerichtet  worden* 
Das  war  das  erste  Mal,  dass  ein  Christ  wegen  Ketzerei 
am  Leben  gestraft  ward.  Ein  Schrei  des  Entsetzens  gin|^ 
damals  durch  die  Kirche.  Der  Bischof  Ambrosius  von 
Mailand  donnerte  in  dieselbe  hinein.    Allein  die  Thatsache 


•)  Epiphan,  Hacrcs.  LXVI.   13.  21.  88. 

*)  Concil.  Braccar.  c.  9  u.  10.     Vgl,  ausserdem  Orosii  Consult.  de  crrari- 
bus  Priscillianistarum. 

')  Vgl.  den  Art,  „Messalianer"  in  Herzogs  Iheol.  Realen cyclopÄdie,  B.  *>. 


Das  Kelzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh,  i^g 

lag  doch  vor,  dass  wegen  Ketzerei  —  mit  welcher  der 
Verdacht  der  Zauberei  immer  verbunden  war,  —  ein  Christ 
am  Leben  bestraft  werden  konnte. 

Uebrigens  trat  die  Häresie  im  Abendlande  während 
des  ganzen  ersten  Jahrtausends  der  Kirche  nur  in  einzelnen 
sporadischen  und  vorübergehenden  Erscheinungen  auf. 
Anders  aber  wurde  der  Stand  der  Dinge,  als  das  erste 
Jahrtausend  der  Kirche  abgelaufen  war. 

Als  der  Schluss  desselben  herannahte,  war  die  ganze 
abendländische  Christenheit  voll  banger  Erwartung  des 
bevorstehenden  Endes  der  Welt.  Denn  was  die  Apoca- 
lypse  von  dem  tausendjährigen  Reiche  Christi  auf  Erden 
verkündet  hatte,  das  wurde  auf  die  bestehende  Kirche  be- 
zogen. Unzählige,  die  sich  um  ihr  ewiges  Seelenheil  Sorge 
machten,  haben  damals  mit  ausdrücklicher  Hinweisung  auf 
das  herannahende  Ende  aller  Dinge  ihr  Hab  und  Gut  der 
Kirche  geschenkt.  Aber  die  gefürchtete  Wende  der  Zeiten 
ging  vorüber,  und  Alles  war  geblieben,  wie  es  gewesen 
war.  Der  Gedanke  an  das  Ende  dieser  Welt  schwand 
daher  sofort,  imd  fester  und  immer  fester  richtete  sich  da- 
her der  Blick  aller  kirchlich  Gläubigen  auf  die  sichtbare 
Ordnung,  die  Gott  angeblich  für  seine  Kirche  auf  Erden 
aufgerichtet  hatte.  Die  Hingabe  an  die  Autorität  der 
Kirche,  an  die  Hierarchie,  an  das  Papstthum  galt  nun 
denselben  als  Bedingung  alles  Heiles.  Denn  mit  derselben 
Gewissheit,  mit  der  man  vorher  das  Ende  aller  Dinge  er- 
wartet hatte,  glaubte  man  jetzt  an  den  unvergänglichen 
Bestand  der  Ordnung,  die  man  faktisch  im  Reiche  Gottes 
auf  Erden  sah. 

Aber  es  gab  auch  unzählige  Gemüther,  es  gab  ganze 
Massen,  welche  durch  den  ungeheueren  Ernst  dessen,  was 
sie  geglaubt  und  erwartet  und  durch  die  gewaltige  Ent- 
täuschung, die  sie  erlebt  hatten,  in  ganz  anderer  Weise 
gestimmt  wurden.  Nach  der  Meinung  derselben  war  die 
Zeit  der  Kirche,  des  hierarchischen  Kirchen-  und  Christen- 
thums  nun  zu  Ende  gegangen,  wesshalb  sie,  der  Kirche 
den  Rücken  kehrend,  nun*  in  voller  Unabhängigkeit  von 
derselben  über  die  ewigen  Grundprobleme  aller  Religiosität 


v%'/%*-.*iir»';.;(^  /,u  ^l^rr/ic*^,  -r.l  *r/n  zu  g^anz  nei:«i  ReIigioii>- 
;(<rn^<^vrr»v.h-afvm  zj  ^Hnij^en  be^anr.en.  Es  war  die  Idee 
#';ri<-r  v'Al'/'rTi  N^r-.2'ruryi..n2'  des  Reiches  Gottes,  der  diese 
Kreivr  h^r-i^hafli^/t/?;  ur.d  z^ar  g'eschah  dieses  so,  dass  ihnen 
'Lih'fi  d'rr  Oe^lanke  an  das  Bestehen  eines  gottfeindlichen 
X^'j/ tii'v,  rjijii  Satans,  zu  welchem  Gottes  Reich  im  schroffsten 
G<*^err.;it/e  sU;hen  müsv5,  vorschwebte.  Je  schroffer  aber 
tlt*r  Gej^ensaU  war,  an  den  man  dachte,  um  so  stärker, 
^/«♦walti^er  und  umfänglicher  hob  sich  in  den  Gedanken 
(\U*^,t*r  KrrriM*  die  Idee  der  satanischen  Macht  und  ihres 
l<t*'u'.hi*H  hervor.  lis  gestaltete  sich  in  denselben  eine  ge- 
riuU*/M  dualistische  Weltanschauung,  welche  den  Satan 
♦ils  rtwiges  Wesc»n  wie  Gott  betrachtete,  und  welche  — 
iJ^iiUA  ^nostisirend,  —  das  Alte  Testament  mit  seinem  Je- 
hnviihkult  und  die  ganze  äussere  Kirche  dem  Reiche  des- 
sflbrn  zuwies.  Denn  in  beiden  war  allerlei  Unreines  ge- 
he«! und  gei)fl(»gt  worden,  während  in  dem  Reiche  Gottes 
nur  reines  Leben  vorhanden  sein  darf. 

So  cMitsUind  vom  Anfange  des  elften  Jahrhunderts  an 
von  (l(Mi  V(Tschic»densten  Punkten  aus  (ähnlich  wie  im 
/wi'ittMi  Jahrhundert  die  Gnosis)  die  Sekte  der  „Reinen** 
(«ai'ht^M»/)  Oller  das  Katharerthum,  welches  noch  im  Laufe 
ih»s  Jiihrhunderls,  alle  romanischen  Volker,  auch  die  Dal- 
n\atit»ns  und  ilt*r  umliegenden  Lande  durchdrang  und  selbst 
tuuh  DtnUsohland  hin  Kingang  fand  *).  Das  Katharenthum 
r%n\>»  baKl  lior  Kirche  gan/e  Gebiete  ab,  hatte  einen  eigenen 
aus  IUm  hüten  unii  IMaoonen  bestehenden  Klerus,  zahlreiche 
Ptoct^stMi»    trat    auf  Synoden   zusammen  und  20g  fort  xn>i 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.         lei 

fort  immer  zahlreichere  Massen  —  auch  aus  dem  Adel  und 
der  Geistlichkeit  —  an  sich.  Da  sie  die  Materie  vom 
bösen  Prinzip  herleiteten,  so  forderten  sie  völlige  Welt- 
entsagnng  als  Bedingung  des  Eintritts  in  ihre  Gemein- 
schaft. Die  Wassertaufe  (als  durch  ein  materielles  Mittel 
verrichtet)  verwarfen  sie  ;  dagegen  behaupteten  sie  eine 
Geistestaufe  zu  haben,  die  vermittelst  einfachen  Auflegens 
der  Hände  verrichtet  ward ,  und  welche  sie  Consolamentum 
nannten.  Durch  den  Empfang  dieses  Consolaments  wurde 
der  Einzelne  ein  Perfectus,  ein  Catharus. 

Es  begreift  sich,  dass  die  Hierarchie  die  drohende 
Gefahr,  die  gegen  sie  heraufzog,  nicht  gleichgiltig  über- 
sehen konnte.  Sie  sah  bald  ein,  dass  es  sich  für  sie  um 
Sein  und  Nichtsein  handeln  werde.  Der  grimmige  Hass, 
der  sich  in  den  Herzen  der  Katholiken  gegen  die  Neuerer 
ansammelte,  machte  sich  daher  zunächst  in  allerlei  Schimpf- 
namen, mit  denen  man  sie  bezeichnete,  Luft.  Man  nannte 
sie  Bougres  (Bulgaren,  d.h.  Bogomilen,  zugleich  =  lieder- 
liche Menschen),  Poblicants  (Verstümmelung  von  Pauli- 
ciani  im  Sinne  von  Publicani  =  Zöllner  und  Sünder),  Albi- 
gen ser  (von  dem  katharischen  Bisthum  zu  Alby  in  Süd- 
frankreich), Pat arener  (nach  dem  Revier  der  Lumpen- 
sammler zu  Mailand,  Patavia),  am  gewöhnlichsten  aber 
Manichäer.  Bald  waren  aber  auch  über  die  Sitten,  über 
das  Treiben  derselben  bei  ihren  gottesdienstlichen  Ver- 
sammlungen die  boshaftesten  imd  ungeheuerlichsten  Ge- 
rüchte in  Umlauf  gesetzt,  und  rasch  nahm  daher  die  Ver- 
folgung der  Ketzer  ihren  Anfang,  wobei  es  sich  zeigte, 
dass  der  Gedanke,  Ketzer  müssten  ausgerottet,  am  Leben 
gestraft,  verbrannt  werden,  der  Kirche  und  den  derselben 
dienstbaren  weltlichen  Machthabern  nicht  mehr  fremd  war. 

Schon  um  1020  (unter  dem  Könige  Robert)  nahm  die 
Verfolgxmg  in  Orleans  ihren  Anfang.  An  der  Spitze  der 
dasigen  Katharergemeinde  standen  einige  Kanoniker,  an- 
gesehen durch  Bildung,  Frömmigkeit  und  Stellung').     Im 


*)  Füesslin,  Kirchen-  und  Ketzerhistorie  der  mittleren  Zeit,    Th.  I.  S,  31. 
Glai^er,  Hist.  L.  HI.  c.  8. 


I  SJ2  Achtes  Kapitel. 

Gegensatze  zur  katholischen  Lehre  verwarfen  sie  nament- 
lich die  Transsubstantiation,  die  Wassertaufe  und  die  An- 
rufung der  Heiligen.  Sie  redeten  in  schwärmerischen  Aus- 
drücken von  einer  himmlischen  Speise  und  der  Ertheilung 
des  heiligen  Geizes  durch  Auflegung  der  Hände.  Ein 
normannischer  Graf,  Arefast,  schlich  sich,  als  wollte  er  ihr 
Proselyt  werden,  in  ihre  Versammlung,  denuncirte  sie  dann 
beim  König  und  veranlasste  so  eine  Untersuchung.  Die 
Verhafteten  bekannten  freimüthig  ihren  Glauben  und  wiesen 
die  Bekehrungsversuche  des  Bischofs  von  Beauvais  mit 
Würde  zurück.  „Spare,  —  erwiederten  sie  auf  seine  ge- 
lehrten dogmatischen  Beweisführungen ,  —  spare  deine 
vergeblichen  Worte  und  thue  mit  uns,  wie  es  dir  gut  dünkt. 
Schon  schauen  wir  unsem  König,  der  im  Himmel  gebietet 
und  mit  seiner  Rechten  uns  aufnimmt  zu  unsterblichen 
Triumphen  und  uns  himmlische  Freuden  schenkt."  Die 
Angeklagten  wurden  hierauf  degradirt  und  verbrannt,  eine 
Nonne  und  einen  Geistlichen  ausgenommen,  die  sich  be- 
kehrt hatten.  In  dem  Benehmen  dieser  Unglücklichen  liegt 
nichts,  was  den  Gottlosen  bezeichnet ;  auch  redete  Arefast 
vor  dem  König  lediglich  vom  Dogmatischen,  und  nirgends 
ist  überliefert,  dass  die  Beschuldigten  ausser  ihrer  Lehre 
irgend  etwas  bekannt,  oder  zu  bekennen  gehabt  hätten. 
Aber  schon  der  Mönch  Glaber  Radulf,  ein  Schriftsteller 
eben  desselben  Jahrhunderts,  beschuldigt  sie  des  Epiku- 
reismus  und  leitet  ihre  Ketzerei  von  einer  Italienerin  ab, 
die,  voll  vom  Teufel,  Jedermann  mit  unwiderstehlicher  Ge- 
walt verführt  habe.  Noch  weiter  geht  schon  der  gleich- 
zeitige Ademar^).  Nach  ihm  waren  die  Kanoniker  von 
einem  Bauern   betrogen ,    der    den  Menschen  Asche   ver- 

*)  Bei  Zadfii  Nov.  Bibl.  mscrpt.  T.  11.  p,  l8i).  Nam  ipsi  decrpti  a 
quodam  rustico,  <iui  sc  dicebat  facerc  viitutes,  et  pulverem  ex  mortuis  pueri*. 
secum  deferebal,  de  quo  quem  po.sset  coniniunicare ,  mox  Manichaeum  facir- 
bat,  adorabant  diaboUim ,  qui  primo  eis  in  Aethiopis,  dcinde  Angeli  luci* 
fi^urationc  apparebat  et  eis  multum  (juotidie  argentum  defercbat,  cujus  verbi-v 
(ibcdientes,  pcnitus  Christuni  latenter  rcspuerant ,  et  abominationes  et  crimina, 
quae  dici  etiani  fla^itiuni  est,  in  occulto  exercebanl ,  et  in  aperto  Giristiaii^is 
vciub  tallcbant. 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zura  dreizehnten  Jahrh.  j  c  -t 

storbener  Knaben  eingab  und  sie  durch  die  Kraft  derselben 
zu  Manichäem  zu  machen  verstand.  Waren  sie  einmal 
eingeweiht,  so  erschien  ihnen  der  Teufel  bald  als  Mohr, 
bald  als  Engel  des  Lichts,  brachte  alle  Tage  Geld  und 
befahl  ihnen,  Christus  äusserlich  zu  bekennen,  im  Herzen 
aber  zu  verabscheuen  und  im  Verborgenen  sich  aller  Laster- 
haftigkeit zu  ergeben.  Am  weitesten  ausgeführt  sind  in- 
dessen diese  moralischen  Gräuel  in  einem  Aufsatze,  den 
d'Achery  aus  dem  alten  Archive  von  St.  Peter  zu  Chartres 
raitgetheilt  hat^).  Weis  den  Verlauf  der  Entdeckung,  des 
Verhörs  und  der  Hinrichtung,  so  wie  die  den  Kanonikern 
vorgeworfenen  Glaubenspunkte  betrifft,  so  scheint  er  sicherer 
zu  fuhren,  afs  Radulf  und  Ademar ;  sobald  aber  der  Ver- 
fasser auf  die  himmlische  Speise  kommt,  welche  Arefast 
verheissen  wurde,  kann  er  sich  nicht  enthalten,  über  die 
Art  ihrer  Bereitung  ein  höchst  abenteuerliches  Märchen 
einzuschalten.  Doch  muss  bemerkt  werden,  dass  er  dabei 
wenigstens  nicht  thut,  als  sei  Arefast  sein  Gewährsmann; 
er  gibt  es  auf  seine  eigene  Autorität,  augenscheinlich  aber 
ist  es  den  von  Psellus  erzählten  Messalianergräueln  nach- 
gebildet. Man  versammelt  sich  in  der  Nacht,  jeder  mit 
einem  Lichte,  die  Teufel  werden  in  bestimmten  Formeln 
angerufen  und  erscheinen  in  Thiergestalt,  darauf  folgt  Aus- 
löschung der  Lichter,  Unzucht  und  Blutschande.  Die  er- 
zeugten Kinder  werden  verbrannt  und  die  Asche  derselben 
wie  ein  Heiligthum  aufbewahrt.  Diese  hat  eine  so  teuf- 
lische Kraft >  dass,  wer  auch  nur  das  Geringste  davon 
kostet,  unwiderstehlich  an  die  Sekte  gebannt  ist.  Der  Ver- 
fasser schliesst  seine  Episode  mit  einer  treuherzigen  Auf- 
forderung an  alle  Christen,  vor  solchen  Verführungen  auf 
der  Hut  zu  sein. 

In  Italien  begann  die  Verfolgung  um  1035,  indem  der 
Erzbischof  Heribert  v.  Mailand  (t  1044),   in  dem  Schlosse 


»)  IXAcherii  Spicileg.  T.  I.  p.  604.  E  vet.  Chartulario  S.  Petri  Carnot. 
io  Valle,  Diplomatisch  genau  ist  diese  Erzählung  abgedruckt  in  Cartulaire  de 
TAbbaye  de  Saint-P^re  de  Chartres,  public  par  M.  Gucrard  (im  ersten  Band 
der  Collection  des  Cartulaires  de  France,  Paris   1841)  Tom.  1.  pag.   108  flf. 


ic^  Achtes  Kapitel. 

Monteforte  bei  Turin  eine  Katharergeraeinde  aufspürte, 
welche  nicht  an  die  Brotverwandlung-  glaubte,  dem  Kreuze 
keine  Ehrfurcht  bezeigte  und  sonstiger  Ketzerei  ergeben 
war.  Heribert  liess  sie  verhaften,  und  da  die  Bekehrungs- 
versuche seiner  Priester  so  wenig  frfolg"  hatten,  dass  die 
Standhaftigkeit  der  Leute  sogar  in  den  neugierig  herbei- 
strömenden Bauern  noch  Prosel3rten  gewann,  so  errichteten 
die  Turiner  einen  Scheiterhaufen  imd  ein  Kreuz  daneben 
und  gaben  die  Wahl  zwischen  dem  Feuertode  und  der 
Anbetung  des  letzteren.  Wenige  wurden  abtrünnig,  die 
andern  Alle  stürzten  sich  (mit  ihrem  Haupte  Girardus)  in 
die  Flammen. 

Wie  aus  den  Akten  der  späterhin  eingesetzten  Inqui- 
sition zu  ersehen  ist,  musste  das  unter  den  Katharem 
übliche  Consolamentum  zu  argen  Verleimidungen  Anlass 
geben.  Der  in  die  Gemeinde  Aufzunehmende  näherte  sich 
nämlich  dem  Bischof  vorschriftsmässig  mit  gesenktem 
Haupte,  kniete  nieder,  küsste  ein  Buch  und  erhielt  durch 
Handauflegung  den  Segen  oder  die  sogenannte  Geistes- 
taufe und  den  Bruderkuss.  In  zahlreichen  Untersuchungs- 
akten ist  nun  von  der  Ceremonie  des  Kniebeugens  als  einer 
Adoration  die  Rede,  und  es  ward  derselben  gewohnlich 
die  Auslegung  gegeben,  dass  die  Katharer  ihre  Bischöfe 
anbeteten^).     Aber  schon  bei  Alanus  von  Ryssel  ist 


*)  Eine  Zeugenaussage  vor  der  Inquisition  zu  Toulouse,  bezQglich  auf  das  Jahr 
1231,  beschreibt  das  Consolamentum  folgendcrmassen :   [Testis  dixit]  quod 

venit  in  Lantares  et  ibi  ipse  testis  infirmatus  fuit  in  quodam  manso,  —  — 

et  ibi  Poncius  Guilaberti  et  socii  ejus  haeretici  consolati  fuerunt  et  receperunl 
eundem  testein  in  hunc  modum :  Impositis  in  quodam  banco  manutergiis  albis 
et  desuper  librum,  (juem  vocabant  textum»  quftesiverunt  ab  eodero  teste,  difle- 
rente  a  libro  aliquantulum ,  utrum  volebat  ordinationem  domini  recipere.  et 
ipse  testis  dixit,  quod  sie.  Postmodum  reddidit  ^e  Deo  et  evangelio  et  pro- 
mlsit,  quod  ulterius  non  esset  neque  comederel  sine  socio  et  sine  orattone.  et 
quod  captus  sine  socio  non  comederet  per  triduum ,  neque  carnes  comederrt 
ulterius,  neque  ov.i,  neque  cascum,  necjue  aliquaro  veneturam,  nisi  de  oleo  et 
piscibus,  neque  mentiretur,  neque  juraret,  neque  aliquani  libidinem  exerccrr^t, 
(Juo  facto  ipse  vcnil  per  aliqua  intervalla  ante  ipso*,  dicens  Bencdicite  ter 
flexis  i;cnibus,  et  postmodum  osculatus  fuit  librum  dictorum  haereticonim «  et 
bis   completis  imposuerunt    librum    et  manus  super  caput   ipsius  et    legenint 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.  i^^ 

diess  dahin  entstellt,  dass  man  in  ihren  Versammlungen 
den  Teufel  selbst  in  der  Gestalt  eines  Katers  erscheinen 
lässt,  um  einen  obscönen  Huldigungskuss  zu  empfangen. 
Schandbare  Wollustsünden  sollen  nächstdem  aus  Grundsatz 
geübt  werden  und  die  Ehe  desshalb  von  ihnen  verdammt 
sein ,  weil  sie  der  Unzucht  Abbruch  thue  ^).  Dasselbe 
wiederholt  später  der  Dominikaner  Yvenot  (um  1278)  mit 
dem  hier  nicht  zu  übergehenden  Zusätze,  dass  vor  dem 
Beginne  der  Hurerei  die  Lichter  ausgelöscht  werden. 

Mitten  in   dieser    das   ganze  Volksleben,   namentlich 


evangeliuni  et  consequenter  ipsi  haeretici  fecerunt  apparellamentum  et  fecerunt 
pacem  ibi  osculantes  sese  invicem  ex  traverso.  (Histoire  de  Languedoc  Tom.  111. 
Prcuves  pag.  386.)  —  Etwas  anders  lautet  ein  zu  Carcassonne  1244  gethanes 
Geständniss.  das  sich  auf  1204  bezieht:  Zuerst  das  Gelübde  wie  oben.  Dann 
heisst  es:  Hb  ouinibus  praemissis,  dixerunt  orationem,  scilicet  Paternoster,  se- 
cundum  modum  haereticoruro.  —  Deinde  haeretici  imposuerunt  manus  et  libruin 
super  capita  eorum,  et  legerunt  et  dederunt  eis  pacem,  primo  cum  libro,  conse- 
quenter cum  humero,  et  adoraverunt  Deum,  facientes  venias  et  genuflexiones 
nmltas ;    et    interfuerunt   illi   consolamento   ipse   testis   et  Raymundus  Rogerii, 

comes  Fuxensis,  avus  istius  comitis  Fuxensis,  et  quod  milites  et  barrani, 

et  ibi  omnes ,  tarn  ipse  testis,  quam  alii  viri  et  mulieres,  et  singuli,  praeter 
comitem  Fuxensem,  adoraverunt  ipsos  haereticos.  Et  post  adorationem  acce- 
perunt  pacem  ab  ipsis  haereticis,  osculantes  eos  bis  in  ore  ex  transverso,  deinde 
se  ipsos  alter  alterum  ad  invicem  simili  modo.  (Kist.  de  Languedoc,  Tom.  111. 
Prcuves  p,  437,  aus  d.  Archives  de  l'Inquis.  de  Carcassonne.)  Auf  1209  be- 
zieht sich  Folgendes :  Et  qualibet  vice  post  praedicationem  ....  universi  et 
singuli  adoraverunt  dictos  haereticos  ter  fiexis  genibus  ante  ipsos;  in  qualibet 
genufiexione  dicebat  quilihet  per  se :  Benedicite ,  et  addebant  post  ultimum 
Benedicite:  Deum  rogate  pro  isto  peccatore,  quod  faciat  me  bonuni  Christia- 
num  etc.  (Archives  de  iTnqu.  de  Toulouse  in  Hist.  de  Langued.  III.  Prcu- 
ves p.  438).  Wir  haben  diese  Stellen  angeführt ,  weil  sie  weit  deutlicher 
die  jSache  beschreiben ,  als  die  bekannteren  bei  Limborch  in  dem  Liber  Sen- 
tentiarum  Inquis.  Tolos.,  welches  einer  etwas  späteren  Zeit  angehört.  In 
demselben  heisst  es  z,  B.  p.  10 :  Bernardus  de  Barrio  —  —  —  semel  au- 
divit  dictum  Jacobum  legentem  in  quodam  libro  de  evangeliis  et  epistolis,  ut 
dicebat,  et  post  illa  dictus  Jacobus  haereticus  voluit,  quod  ipse  et  alii  ad- 
orarent  eum ,  et  ipse  cum  aliis  adoravit  eum  inclinando  se  super  unam  ban- 
cam  ter  et  dicendo  Benedicite ,  et  haereticus  respondebat:  Deus  vos  benedicat. 
Aeholich  pag.   15  und  öfter. 

*)  Alant  [ab  Insulis]  insignis  theologi  opus  adversus  haereticos  et  Valden- 
s^s,  qui  postea  Albigenses  dicti  etc.     Ed.  Masson.  Paris.   1612.  p.   145  sq. 


I  c6  Achtes  Kapitel. 

Frankreichs,  in  allen  Schichten  erregenden  Bewegung  er- 
wuchs 'nun  allmählich  eine  neue  religiöse  Genossenschaft, 
von  der  anfangs  nur  zu  sagen  war ,  dass  sie  dem  in  den 
Kreisen  der  Katharer  erwachten  Eifer  für  Verbreitung  des 
Verständnisses  der  Schriftlehre  zu  entsprechen  mit  beson- 
derem Interesse  befnüht  war,  die  aber  allmählich  selbst 
mehr  und  mehr  von  der  Macht  des  Schriftwortes  erfasst, 
zuletzt  zu  einer  Zeugin  der  evangelischen  Wahrheit  wurde, 
so  dass  sie  als  eine  Vorläuferin  des  Protestantismus  ange- 
sehen werden  kann.  Es  waren  dieses  die  in  der  zweiten 
Hälfte  des  zwölften  Jahrhunderts  in  Lyon  hervortretenden 
Waldenser^),  ursprünglich  eine  Congregation  von  Evan- 
gelisten, die  sehr  bald  in  den  weitesten  Kreisen  einen  in 
der  katholischen  Kirche  noch  nie  gesehenen  Hunger  nach 
dem  Worte  Gottes  erweckte ,  wesshalb  überall  Ueber- 
setzungen  einzelner  Bücher  der  heiligen  Schrift  in  der 
Landessprache  begehrt  wurden.  In  demselben  Maasse 
aber  als  die  heilige  Schrift  in  der  Landessprache  Ver- 
breitung fand  und  ganz  von  selbst  zu  Vereinigungen  gleich- 
gestimmter frommer  Seelen  führte,  trat  überall  eine  mehr 
und  mehr  anwachsende  und  immer  kühner  sich  erhebende 
Opposition  gegen  die  Kirche  hervor,  in  welcher  Waldenser 
und  Katharer  (in  Frankreich  „bons  hommes**  genannt)  ein- 
ander die  Hand  reichten,  und  der  selbst  Grosse,  wie  die 
Grafen  von  Toulouse  und  von  Foix,  Schutz  gewährten. 
Die  Landschaft  Albigeois  galt  jetzt  als  ein  Hauptsitz  der 
Ketzer,  der  Name  Albigenser  kam  zur  Bezeichnung  der 
französischen  Katharer  und  angeblichen  Manichäer  in  Um- 
lauf. Die  Priester  der  Kirche,  —  so  klagen  gleichzeitige 
Schriftsteller^),  —  waren  so  in  der  Achtung  gesunken, 
dass  sie,  wenn  sie  über  die  Strasse  gingen,  die  Platte  mit 
den  übrigen  Haaren  bedeckten,  um  nicht  dem  Hohn  des 
Volkes  ausgesetzt  zu  sein ;  die  Edellcute  gaben  nicht  mehr 
ihre  Söhne,    sondern    nur  ihre  Leibeigenen  zu  Geistlichen 


^)  Tcber   dieselben    vj;l.    den  Artikel  Hcrzox^s  in  dessen  iheol,  Rcalcncy- 
clopldic.  B.  XVU. 

')  Quitt  Im,  Je  Podio  Laurent,  in  der  Vorrede. 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zuro  dreizehnten  Jahrh.  i  ^  y 

her^),  selbst  Bischöfe  hielten  es  mit  den  Ketzern,  der 
Zehnte  wurde  verweigert,  die  Seelmessen  brachten  nichts 
mehr  ein.  Im  Anfange  des  dreizehnten  Jahrhunderts  zählten 
fast  sämmtliche  Fürsten,  Grafen  und  Barone  im  südlichen 
Frankreich  zu  den  bons  hommes,  die  in  Schlossern  und 
Städten  öffentlich  ihre  Versammlungen  hielten,  an  vielen 
Orten  auch  ihre  wohlbekannten  Bethäuser  und  Schulen 
hatten.  Die  katholische  Kirche  war  hier  zum  Gespötte 
geworden,  sie  war  zu  einem  veralteten  Institute  herab- 
gesunken, das  man  mit  Verachtung  ignorirte. 

Da  bestieg  im  Jahr  iigS  Innozenz  IQ.  —  die  persön- 
liche Verkörperung  der  Idee  des  Hierarchismus  —  den 
Stuhl  Petri,  der  dem  seit  anderthalb  Jahrhunderten  hin 
xmd  her  wogenden  Kampf  des  Katholizismus  mit  der  Hä- 
resie durch  Anwendung  jedes  Mittels  und  um  jeden  Preis 
ein  Ende  zu  machen  beschloss.  Im  Jahre  1 209  begann  die 
grausige  Arbeit,  die  bis  zum  Jahre  1229  dauerte.  Innozenz 
bewaffnete  die  Habsucht  der  Grossen  gegen  die  Grossen 
und  den  Aberglauben  gegen  die  Freiheit.  Ein  Kreuzzug 
wurde  gepredigt  unter  Verheissung  gleicher  Privilegien, 
wie  für  die  Streiter  gegen  die  Saracenen ;  waren  ja,  nach 
des  Papstes  eigener  Verkündigung,  die  Albigenser  noch 
weit  ärger  als  diese  ^) !  Die  Unterthanen  der  ketzerischen 
Grafen  wurden  der  Treue  gegen  ihre  Herren  entbunden; 
wer  das  Land  eroberte,  sollte  es  besitzen.  Der  zwanzig- 
jährige grausame  Religionskrieg,  erst  von  Simon  von 
Montfort,  dann  von  Ludwig  VIII.  geführt,  raflFte  Tau- 
sende dahin  und  endete  mit  fast  gänzlicher  Ausrottung  der 
Albigenser^).     Auch  die  Waldenser  wurden  theils  nieder- 


')  Es  war  so  weit  gekommen,  dass  man  nicht  mehr  sagte:  Ich  wollte 
lieber  ein  Jude  werden,  als  diess  thun,  —  sondern:  Ich  wollte  lieber  ein 
Kaplan  werden  u.  s.  w.    Guil,  de  Podio  Laur.  a,  a.  O. 

')  Seitdem  öfter  wiederholt  und  weiter  ausgedehnt.  Infidelitas  haereti- 
corum  est  pessima  (schlimmer  als  die  der  Heiden  und  Juden)  Vincent.  Bello- 
vac.    Spec.  moral.  II.  Dist.  29,  p.  3, 

•)  Egit  ergo  misericorditer  divina  dispositio,  ut,  dum  Legatus  hostes  fidei, 
qui  Narbonae  erant  congregati ,  alliceret  et  compesceret  fraude  f>ia,  Comes 
Mootis  fortis  et  peregrini,  qui  venerunt  a  Francia,    possent  transire  ad  partes 


158  Achtes  Kapitel. 

gemacht,  theils  versprengt.  Viele  von  ihnen  fanden  eine 
Freistätte  in  den  Bergen  von  Piemont  und  Savoyen,  später 
auch  anderwärts;  in  Frankreich  konnten  sich  nur  in  der 
Provence  und  Dauphin^,  zum  Theil  aber  nur  unter  hartem 
Drucke,  auf  längere  Zeit  ihre  Gemeinden  erhalten.  Zur 
Vertilgung  der  zerstreuten  Reste  und  zur  Unterdrückung 
jedes  neuen  Auftauchens  antihierarchischer  Bestrebungen 
ward  am  Schlüsse  des  Krieges  das  ständige  Inquisi- 
tionsgericht zu  Toulouse,  dann  an  vielen  andern  Orten 
eingerichtet.  Zwei  Monarchen  von  übrigens  erhabenen 
Eigenschaften,  Ludwig  IX.  von  Frankreich  und  Kaiser 
Friedrich  11.,  erniedrigten,  durch  die  Macht  des  Vorurtheils 
und  der  äusseren  Umstände  verleitet,  in  einer  Reihe  von 
Edicten  die  weltliche  Macht  zur  Schergin  des  geistlichen 
Despotismus.  Die  Ketzerei  galt  von  jetzt  an  als 
eines  der  ärgsten  öffentlichen  Verbrechen,  das 
bürgerliche  Gesetz  bestrafte  sie  mit  Ehrlosigkeit, 
Kerker,  Tod  und  ■  Confiskation  der  Güter.  Die 
Obrigkeit  verfolgte  und  verhaftete,  das  geistliche  Gericht 
entschied  über  Schuld  und  Unschuld,  und  der  weltliche 
Arm  ging  blindlings  zur  Vollstreckung  vor. 

Auch  Deutschland  war ,  indem  die  katharische 
Bewegung  in  seine  Gauen  Eingang  gefunden  hatte,  alsbald 
zum  Schauplatz  der  rohesten  Verfolgung  derselben  ge- 
worden. Schon  1052  wurden  zu  Goslar  Katharer  zum 
Tode  verurtheilt.  Im  Jahr  1 1 46  disputirte  Evervin,  Propst 
von  Steinfelden,  mit  mehreren  Häuptern  der  Sekte  zu 
Köln,  konnte  sich  jedoch  nicht  vor  der  Wuth  des  Pöbels 
retten.  Auch  11 63  kamen  in  Köln  Verbrennungen  vor. 
Im  Jahr  121 2  Hess  der  Bischof  von  Strassburg  an  Einem 
Tage  gegen  hundert  Menschen  verbrennen*).  Im  Jahr 
1232  erfolgte  endHch  die  Reichsacht  gegen  die  Ketzer  im 
Reiche.     Schon  vorher  hatte  Konrad  von  Marburg  als 


Caturccnses  et  Aginnenses  et  suos,  immo  Christi  impugnare  tnimica^.  O  Le- 
gati fraus  pia!  o  pietas  fraudulenta!  /V/r«  Ka//,  Cern.  cap.  78,  sagt  diess 
nicht  als  Ironie,  es  ist  die  Au fTassungs weise  jener  Zeit. 

*)  Afn/it,  Germ.  Chron.  Lib.  XIX.  hei  Pistor.  Gernian.  Script  T.  II.  p.  809. 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.  i  eg 

Generalinquisitor  (inquisitor  generalis  haereticae  pravitatis) 
für  ganz  Deutschland  seine  Blutarbeit  begonnen.  Unter 
den  Zeitgenossen  herrscht  über  ihn  fast  nur  eine  Stimme. 
,,Wer  ihm  in  die  Hände  fiel,  so  berichtet  der  Erzbischof 
von  Mainz  an  den  Papst  i),  —  dem  blieb  nur  die  Wahl, 
entweder  freiwillig  zu  bekennen  und  dadurch  sich  das  Le- 
ben zu  retten,  oder  seine  Unschuld  zu  beschwören  und 
unmittelbar  darauf  verbrannt  zu  werden.  Jedem  falschen 
Zeugen  ward  geglaubt,  rechtliche  Vertheidigung  war  Nie- 
mandem gestattet,  auch  dem  Vornehmsten  nicht ;  der  An- 
geklagte musste  gestehen,  dass  er  ein  Ketzer  sei,  eine 
Kröte  berührt,  einen  blassen  Mann  oder  sonst  ein  Unge- 
heuer geküsst  habe.  Darum,  sagt  der  Erzbischof,  Hessen 
sich  viele  Katholische  lieber  um  ihres  Läugnens  willen 
unschuldig  verbrennen,  'als  dass  sie  so  schändliche  Ver- 
brechen, deren  sie  sich  nicht  bewusst  waren,  auf  sich  ge- 
nommen hätten.  Die  Schwächeren  logen,  um  mit  dem 
Leben  davonzukommen,  auf  sich  selbst  und  jeden  beliebigen 
Andern,  besonders  Vornehme,  deren  Namen  ihnen  Konrad 
als  verdächtig  suggerirte.  So  gab  der  Bruder  den  Bruder, 
die  Frau  den  Mann,  der  Knecht  den  Herrn  an;  Viele 
gaben  den  Geistlichen  Geld,  um  Mittel  zu  erfahren,  wie 
man  sich  entziehen  könne,  und  es  entstand  auf  diese  Weise 
eine  unerhörte  Verwirrung."  Dass  Konrad  ganz  gegen 
die  kirchlichen  Gesetze  die  Probe  des  heissen  Eisens  vor- 
zimehmen  pflegte,  erzählt  Trittenheim  ^).  Konrads  Gewalt- 
thaten,  die  ihm  bekanntlich  selbst  ein  gewaltsames  Ende 
zuzogen,  hatten  besonders  im  Elsass,  im  Mainzischen  und 
Trierischen  ihren  Schauplatz ;  das  merkwürdigste  Ereigniss 
jedoch,  in  welchem  er  als  mitwirkende  Person  auftritt,  ist 
der  Kjreuzzug  gegen  die  Stedinger^). 

Die  Bewohner    des  Gaues  Steding   im   heutigen  Ol- 
denburg und  Delmenhorst,  ein  freiheitsliebender,  kräftiger 


^)  Albtrici  Monachi  Chronicon  ad.  ann,  1233. 
*)  Chron.  Hirsaug.  ad  ann.   1215  u.   1233. 

'}  Schminckius  de  expeditione  cruciata  in  Stedingos.    Marb.   1722.    RitUr 
de  pago  Steding  et  Stedingis,  saeculi  Xlll.  haereticis.     Viteb.  1751- 


l6o  Achtes  Kapitel. 

Menschenschlag,  lebten  bereits  seit  vielen  Jahren  in  Zwistig- 
keit  mit  dem  Erzbischofe  von  Bremen ,  der  nicht  nur  in 
manchen  ihrer  Wälder  das  Jagdrecht,  sondern  auch  auf 
ihren  Aeckern  den  Zehnten  in  Anspruch  nahm.  Einige 
Geistliche  dieses  Prälaten,  die  des  Zehntens  wegen  im 
Jahre  1197  an  sie  abgesandt  waren,  wurden  misshandelt. 
Dieses  Vergehen  betrachtete  der  Erzbischof  als  Ketzerei, 
weil  der  Zehnte  von  Gott  eingesetzt  sei,  und  als  er  auf 
seiner  Wallfahrt  nach  dem  Orient  durch  Rom  kam,  erwarb 
er  sich  die  Erlaubniss  zu  einem  Kreuzzuge  gegen  die  Un- 
gehorsamen. Aus  dem  Kreuzzuge  wurden  jedoch  vorerst 
nur  kleine  Fehden,  die  von  den  Stedingem  mit  Tapferkeit 
ertragen  und  zuweilen  durch  Vergleiche  beigelegt  wurden. 
Da  fiel  1207  der  Erzbischof  Hartwig  ins  Land  ein,  be- 
trachtete, als  man  ihm  eine  Summe  Geldes  zahlte,  seinen 
Zweck  als  erreicht  und  fiihrte  das  Heer  zurück.  Im  Jahr 
1219  bestieg  Gerhard  II.  den  Stuhl  von  Bremen.  Um 
diese  Zeit  gibt  ein  habsüchtiger  Priester,  unzufrieden  mit 
dem  von  einer  adeligen  Frau  ihm  dargebrachten  Beicht- 
pfennig, beim  Abendmahl  eben  diesen  Pfennig  anstatt  der 
Hostie  der  Frau  in  den  Mund.  Der  Gemahl  der  Frau  er- 
schlägt den  Priester,  wird  excommunicirt,  trotzt  dem  Banne 
und  findet  Anhang.  Aehnliche  Vorfälle  reizen  einen  gros- 
sen Theil  der  Bewohner  auf.  Gerhard  fallt  jetzt  mit  den 
benachbarten  Fürsten  ins  Land,  das  Volk  aber  vertheidigt 
sich  so  hartnäckig,  dass  dessen  Besiegung  unmöglich 
scheint.  Der  Erzbischof  wendet  sich  daher  an  den  Papst 
und  schildert  die  Stedinger  als  arge  Ketzer.  Da  erscheint 
im  Jahr  1232  eine  Bulle  von  Gregor  IX.  an  die  Bischöfe 
von  Minden,  Lübeck  und  Ratzeburg  mit  dem  Befehl,  das 
Kreuz  predigen  zu  lassen  ^).  Ein  Kreuzheer  von  40,000 
Mann  überschwemmt  in  Folge  dessen  im  Jahr  1233  das 
Land,  ein  Theil  der  Stedinger  fällt  im  Kampfe,  die  übrigen 


*)  Diese  Bulle  wirft  den  Stedingern  nur  vor:  Geringschätzung  und  Feind- 
seligkeit \n'^cn  die  Freiheil  der  Kirche,  wilde  Grausamkeit,  l>esonders  ^c^n 
die  Geistlichen,  Herabsetzung  des  Ahendniahls,  Verfertigung  von  Wachsbildern 
lind  Befraj-cn  von  Dämonen  und  Wahrsagerinnen. 


Das  Kelzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.         i6i 

versprechen  dem  Erzbischofe  Ersatz  und  Gehorsam  und 
werden  hierauf  vom  Banne  losgesprochen.^ 

DiiBSS  ist  in  wenigen  Worten  der  Hergang  des  in  sei- 
nem Anlass  und  Verlauf  sehr  einfachen  Streites.  Er  be- 
ginnt mit  Zehntverweigerung  und  Ungehorsam,  wird  zeit- 
weise durch  Zahlungen  beigelegt,  erwacht  wieder  bei  er- 
neuerter Verweigerung,  die  Dominikaner  predigen  während 
des  Kreuzzuges  nur  von  Zehnten  und  Abgaben,  und  als 
die  Stedinger  zuletat  wieder  in  Gnaden  aufgenommen 
werden,  ist  ebenfalls  nur  von  Zehnten  und  Rebellion  die 
Rede. 

Der  Erzbischof  von  Bremen  und  der  Papst  hatten  sich 
zwar  thunlichst  bemüht,  die  ehrlichen  Stedinger  als  Ketzer 
hinzustellen;  aber  sie  waren  gar  Ijceine  Ketzer.  Wären  sie 
dieses  gewesen,  so  würden  wir  in  der  Bulle  von  1232  eine 
ähnliche  Schilderung  von  Ketzergräueln  zu  lesen  haben, 
wie  wir  sie  in  einer  Bulle  desselben  Gregor  IX.  aus  dem 
Jahr  1233  vorfinden*).  In  dieser  letzteren  erkennen  wir 
den  Wiederhall  der  nichtswürdigen  Berichte  des  Gross- 
inquisitors Conrad  von  Marburg  über  die  sonst  in 
Deutschland  von  ihm  angeblich  entdeckten  Ketzereien, 
in  denen  sich  ein  eigentlicher  Teufelsdienst  darstellen  sollte. 

Die  Bulle  *)  ist  an  die  Bischöfe  von  Paderborn,  Hildes- 
heim,  Verden,  Münster  und  Osnabrück  gerichtet,  ettheilt 
dem  Erzbischof  von  Mainz  und  dem  Konrad  von  Marburg 
besondere  Aufträge  und  befiehlt  ebenfalls  gegen  die  Ketzer 
das  Kreuz  predigen  zu  lassen.  —  Nach  einem  sehr  rhe- 
torisch gehaltenen  Eingange  klagt  Gregor  IX.  über  die 
Ketzer :  „Wenn  ein  Neuling  aufgenommen  wird  und  zuerst 
in  die  Schule  der  Verworfenen  eintritt,  so  erscheint  ihm 
eine  Art  Frosch,  den  Manche  auch  Kröte  nennen.  Einige 
geben  derselben  einen  schmachwürdigen  Kuss  auf  den 
Hintern,  Andre   auf  das  Maul  und  ziehen  die  Zunge  und 


')  Bis  auf  die  neuere  Zeit  ist  die  Bulle  auf  die  Stedinger  bezogen  worden, 
(Liss  dieses  unrichtig  war ,    hat  Schumacher  (die  Stedinger  S.  225  flf.)  gezeigt. 

•)  Vgl.  öher  dieselbe  Epist.  Gregorii  IX.  bei  Raynald,  ad  a.  1233,  Nr.  42; 
Thom.  RipoU,  Bullarium  Ord.  praedicat.  1.  52  u.  Epist.  Greg.  IX.  ad  Hen- 
ricum,  Friderici  Imper,  FiJiom  in  Martcne,  Thcsaur.  1.  v50. 

8oldan-Heppe,  Uexenprozesse.  1 1 


l52  Achtes  Kapitel. 

den  Speichel  des  Thieres  in  ihren  Mund.  Dieses  erscheint 
zuweilen  in  gehöriger  Grösse,  manchmal  auch  so  gross, 
als  eine  Gans  oder  Ente,  meistens  jedoch  nimmt  es  die 
Grösse  eines  Backofens  an.  Wenn  nun  der  Noviz  weiter 
geht,  so  begegnet  ihm  ein  Mann  von  wunderbarer 
Blässe,  mit  ganz  schwarzen  Augen,  so  abgezehrt  und 
mager,  dass  alles  Fleisch  geschwunden  und  nur  noch  die 
Haut  um  die  Knochen  zu  hangen  scheint.  Diesen  küsst 
der  Noviz  und  fühlt,  dass  er  kalt  wie  Eis  ist,  und  nach 
dem  Kusse  verschwindet  alle  Erinnerung  an 
den  katholischen  Glauben  bis  auf  die  letzte  Spur 
aus  seinem  Herzen.  Hierauf  setzt ,  man  sich  zum  Mahle, 
und  wenn  man  sich  nach  demselben  wieder  erhebt,  so 
steigt  durch  eine  Statue,  die  in  solchen  Schulen  zu  sein 
pflegt,  ein  schwarzer  Kater  von  der  Grösse  eines  mittel- 
massigen  Hundes  rückwärts  und  mit  zurückgebogenem 
Schwänze  herab.  Diesen  küsst  zuerst  der  Noviz  auf  den 
Hintern,  dann  der  Meister  und  so  fort  alle  Uebrigen  der 
Reihe  nach,  jedoch  nur  solche,  die  würdig  und  vollkommen 
sind ;  die  Unvollkommenen  aber,  die  sich  nicht  für  würdig 
halten,  empfangen  von  dem  Meister  den  Frieden,  und 
wenn  nun  Alle  ihre  Plätze  eingenommen,  gewisse  Sprüche 
hergesagt  und  ihr  Haupt  gegen  den  Kater  hingeneigt 
haben,  so  sagt  der  Meister:  „Schone  uns!**  und  spricht 
diess  dem  Zunächststehenden  vor,  worauf  der  Dritte  ant- 
wortet und  sagt :  „Wir  wissen  es,  Herr  !**  und  ein  Vierter 
hinzufugt:  „Wir  haben  zu  gehorchen!**  Nach  diesen  Ver- 
handlungen werden  die  Lichter  ausgelöscht  und  man 
schreitet  zur  abscheulichsten  Unzucht  ohne  Rücksicht  auf 
Verwandtschaft.  Findet  sich  nun,  dass  mehr,  Männer  als 
Weiber  zugegen  sind,  so  befriedigen  auch  Männer  mit 
Männern  ihre  schändliche  Lust.  Eben  so  verwandeln  auch 
Weiber  durch  solche  Begehungen  mit  einander  den  natür- 
lichen (jeschlechts verkehr  in  einen  unnatürlichen.  Wenn 
aber  diese  Ruchlosigkeiten  vollbracht,  die  Lichter  wieder 
angezündet  und  Alle  wieder  auf  ihren  Plätzen  sind,  dann 
tritt  aus  einem  dunklen  Winkel  der  Schule,  wie  ihn  diese 
Verworfensten    aller  Menschen  haben,    ein  Mann    her\'or. 


Das  Ketzerwesen  in  der  Kirche  bis  zum  dreizehnten  Jahrh.,         163 

oberhalb  der  Hüften  glänzend  und  strahlender  als  die  Sonne, 
wie  man  sagt,  unterhalb  aber  rauch,  wie  ein  Kater,  und 
sein  Glanz  erleuchtet  den  ganzen  Raum.  Jetzt  reisst  der 
Meister  etwas  vom  Kleide  des  Novizen  ab  und  sagt  zu 
dem  Glänzenden:  „Meister,  diess  ist  mir  gegeben,  und 
ich  gebe  dir's  wieder,"  —  worauf  der  Glänzende  antwortet: 
„Du  hast  mir  gut  gedient,  du  wirst  mir  mehr  und  besser 
dienen;  ich  gebe  in  deine  Verwahrung,  was  du  mir  ge- 
geben hast,"  —  und  unmittelbar  nach  diesen  Worten  ist 
er  verschwunden.  —  Auch  empfangen  sie  jährlich  um 
Ostern  den  Leib  des  Herrn  aus  der  Hand  des  Priesters, 
tragen  denselben  im  Munde  nach  Hause  und  werfen  ihn 
in  den  Unrath  zur  Schändung  des  Erlösers.  Ueberdiess 
lästern  diese  Unglückseligsten  aller  Elenden  den  Regierer 
des  Himmels  mit  ihren  Lippen  und  behaupten  in  ihrem 
Wahnwitze,  dass  der  Herr  der  Himmel  gewaltthätiger,  un- 
gerechter und  arglistiger  Weise  den  Lucifer  in  die  Hölle 
hinabgestossen  habe.  An  diesen  letzteren  glauben  auch 
die  Elenden  und  sagen,  dass  er  der  Schöpfer  der  Himmels- 
körper sei  und  einst  nach  dem  Sturze  des  Herrn  zu  seiner 
Glorie  zurückkehren  werde;  durch  ihn  und  mit  ihm  und 
nicht  vor  ihm  erwarten  sie  auch  ihre  eigene  ewige  Selig- 
keit. Sie  bekennen,  dass  man  Alles,  was  Gott  gefallt,  nicht 
thun  solle,  sondern  vielmehr  das,  was  ihm  missfallt  u.  s.w. — " 

So  weit  das  Wesentliche  aus  der  päpstlichen  Bulle. 
Man  sieht,  dass  hier  ohne  erhebliche  Veränderung  das- 
selbe Lied  wiedertönt,  das  den  christlichen  Urgemeinden, 
den  Gnostikern  und  Manichäern,  den  Montanisten,  Pris- 
cillianisten,  Messalianem  und  Katharern  gesungen  wurde. 

Uebrigens  blieb  die  päpstliche  Bulle  für  Deutschland 
ohne  alle  Bedeutvmg;  Als  der  Generalinquisitor  Kon  rad 
von  Marburg  am  30.  Juli  1^33  seines  Wegs  von  Mainz 
kommend,  um  gen  Paderborn  zu  ziehen,  auf  der  Haide  bei 
Marburg  (oberhalb  des  Dorfes  Kappel)  überfallen  und  er- 
schlagen ward,  hatte  diese  Gewaltthat  wenigstens  die  heil- 
same Folge,  dass  in  Deutschland  die  Inquisition  vor  den 
Drohungen  der  Volksjustiz  zurückbebte  und  ihre  Blutarbeit 
für  immer  einstellte. 


NEUNTES    KAPITEL. 


Der  Teufelsbund. 

Ks  kann  dem  Leser  nicht  entgangen  sein,  dass  bei 
einigen  der  zuletzt  besprochenen  Sekten  zu  den  alten 
Ketzergräueln  ein  neuer  hinzugekommen  ist,  nämlich  die 
dem  Satan  personlich  und  förmlich  dargebrachte 
Huldigung.  Die  Idee  eines  Pactums  und  Homagiums  war 
schon  in  der  Versuchungsgeschichte  Jesu  ausgesprochen. 
,, Dieses  alles  will  ich  dir  geben,  so  du  niederfällst  und 
mich  anbetest",  hierin  liegt  das  Pactum,  sofern  die  Lei- 
stungen beiderseitig  sind,  das  Homagium,  sofern  die  Ho- 
heit des  Teufels  anerkannt  werden  soll.  Die  Heiligen- 
legende bildete  diess  vielfältig  nach ;  ihre  Helden  triumphir- 
ten,  wie  der  Heiland.  Nun  musste  aber  auch  ein  Unter- 
liegen gedacht  werden  können;  ja,  in  dem  Schwachen, 
dessen  höchstes  Ziel  das  Glück  dieser  Erde  war,  konnte 
der  Wunsch  nach  einer  solchen  Versuchung  und  die  Ge- 
neigtheit, derselben  zu  unterliegen,  im  voraus  vorhanden 
sein.  Diesen  Fall  veranschaulicht  die  Geschichte  des  Vice- 
dominus  Theophilus  in  Cilicien,  für  deren  Glaubwürdig- 
keit der  Patriarch  Eutychius  als  Augenzeuge  einstehen 
muss  ').    Allgemein  geschätzt  und  selbst  des  Bischofsstabes 

*)  S.  »iic  Sage  in  ihrer  ausKelnldctcn  (jcsIäU  bei  l'inrf/t/,  M/tn*,  Sf.M. 
Iiist.  XXI.  6<>.  Theophilus  erscheint  hier  vor  dem  Teufel,  der  von  ^rinrn 
Dienern,  welche  Lichter  hallen.  uiimeUen  ist .    kfl«t  ihm  die  FQ«e  und  ilber- 


Der  Teufelsbund.  155 

für  würdig  geachtet,  verlor  Theophilus  unter  Justinian  I. 
um  niedriger  Verleumdung  willen  sein  Amt  als  Oekono- 
mus  der  Kirche  zu  Ada  und  liess  sich  in  der  Verzweif- 
lung von  einem  jüdischen  Zauberer  verfuhren,  einen  form- 
lichen Vertrag  mit  dem  Teufel  einzugehen.  Eür  das  Ver- 
sprechen seiner  Wiedereinsetzung  sagte  er  sich  von  Christus 
und  den  Heiligen  los  und  gab  sich  dem  sichtbar  erschei- 
nenden Teufel  durch  eine  Handschrift  zu  eigen.  Nur  nach 
aufrichtiger  Zerknirschung  und  langwieriger  Busse  gelang 
es  ihm  später,  durch  die  Fürsprache  der  heiligen  Jungfrau 
seine  Verschreibung  wieder  zu  erhalten  und  mit  Gott  sich 
auszusöhnen.  Diese  Theophilussage  erscheint  nun  mit  ver- 
schiedenen Ausschmückungen  im  Abendlande  bei  Hros- 
witha,  dem  Kardinal  Damiani,  Sigebert  von  Gemblours, 
Vincentius  von  Beauvais  und  vielen  Andern.  Einmal  von 
den  Mönchen  aufgenommen,  musste  der  Glaube  an  die 
Teufelsbündnisse  bald  genug,  auch  unter  dem  Volke  sein. 
Ueberall  nistete  sich  mit  der  Verbreitung  der  Theophilus- 
sage die  Vorstellimg  ein,  dass  der  Mensch  mit  dem  Satan 
einen  Vertrag  schliessen,  dadurch  mancherlei  Ausserordent- 
liches und  Wünsch enswerthes  erreichen  und  namentlich  in 
den  Besitz  übermenschlicher  Kräfte  kommen  könnte.  Ca- 
sarius  und  Vinzenz  von  Beauvais  brachten  die  ersten  Be- 
richte von  solchen  wirklich  zu  Stande  gekommenen  Teufels- 
pakten, und  bald  theilten  päpstliche  Geschichtsschreiber 
selbst  (Martin  der  Pole  u.  A.)  mit,  dass  wirklich  ein  Papst, 
Sylvester  11.  (999 — 1003)  —  der  als  Mönch  Gerbert  etwas 
mehr  gelernt  hatte  als  die  meisten  Anderen  seiner  Zeit  — 
durch  einen  mit  dem  Satan  abgeschlossenen  Bund  auf  den 
Stuhl  Petri  gekommen  sei  ') !  —  doch  beschränkte  sich  der 
Glaube  an  die  Tqufelsbündnisse  zunächst  auf  das  Verhältniss 
der  Zauberer  zum  Teufel,  deren  Gemeinschaft  mit  demselben 


reicht  ihm  ein  untcrsiegeltest  Chirographuni.  —  Eine  Uebersicht  über  den 
Legeodenkreis ,  der  sich  im  Mittelalter  allmählich  um  den  Namen  des  Theo- 
pJkihis  gezogen  hatte,  gibt  Cahier  in  den  Caracteristiques  des  Saints.  Paris,  1867, 
vol.  1.  s.  V.  Demon. 

*)  „Der  Papst  und  das  Concil  von  Janus"  (Leipz.    1869)    S.    271  —  272. 


l56  Neuntes  Kapitel. 

schon  von  Augiistin  mit  einem  Bündnisse  verglichen  wor- 
den war. 

Hierzu  trat  aber  Entsprechendes  aus  dem  Ketzerwesen. 
Die  Ketzer  waren  bereits  von  den  Kirchenvätern  als  Werk- 
zeuge, Kinder,  Diener  oder  Krieger  des  Satans  betrachtet 
worden ;  den  Manichäern  und  den  von  diesen  abgeleiteten 
Parteien  hatte  man  sogar  eine  Verehrung  des  bösen  Prin- 
zips vorgeworfen.     Auf  der  andern  Seite   erscheint  eben- 
falls schon  bei  den  Kirchenvätern  der  Teufel  als  der  Affe 
Gottes,  bemüht,  das  Göttliche  zu  verzerren ,  indem  er  ein 
teuflisches   Gegenstück    dazu    gibt').      Das    Christenthum 
kennt  einen    alten  und  einen   neuen  Bund  Gottes  mit  den 
Menschen  und  heilige  Mysterien  dieses  Bundes;  es  schien 
daher  nahe  zu  liegen,  auch  dem  Teufel  einen  solchen  mit 
den  Ketzern  unter  bestimmten  Formen  zuzuweisen.    Ebenso 
wurde  es  den  Leuten  allmählich  begreiflich  gemacht,  dass 
ganz    ebenso   wie  Gott   seinen  Sabbath  angeordnet,    auch 
der  Teufel   seinen   Sabbath    habe,    und   dass   alle   in   den 
Bund  des   Teufels  Aufgenommenen  zur  Feier  dieses  Sab- 
baths    mit    dem    Teufel    zusammenkämen.      Doch    bildete 
sich    das  Alles    nur  langsam  aus.     Bei  Tertullian  findet 
sich    von    dem   Gedanken    des   Teufelsbundes    eine    erste 
Spur*),  indem  er  vom  Teufel  sagt,    dass  er  beim  Götzen- 
dienste die  Sacramente   nachahme,   seine    Gläubigen   und 
Getreuen  taufe  und  seine  Krieger  auf  der  Stime  zeichne. 
Bei    den  Messalianem    lässt   man  die    persönliche    Dahin- 
gebung  an  die  sichtbaren  Dämonen  schon  deutlicher  her- 
vortreten.    Der   förmliche  Akt  der  Huldigung  kommt  je- 
doch erst  im  Abendlande   zum  Abschlüsse,    nachdem  die 
Geschichte  von  Theophilus  solche  Vorstellungen  bereits  in 
Beziehung  auf  die  Zauberei  verbreitet  hatte. 


')  Schon  bei  Justin.  Martyr.  dial.  cum  Tryphone. 

^)  A  diabolo,  —  —  qui  ipsas  quoque  res  sacranicntoniui  divinoruni  in 
idoloruni  mysteriis  aemulatur.  Tingit  et  ipsc  quosdam  utique  credcntei  H 
fidcles  suos,  expiationem  deiic forum  de  lavacro  repromittit.  et  si  adhuc  iiienitnit 
Mythrae,  signat  illic  in  frontihus  milites  suos;  celebrat  et  pamis  ühiationrm  t\ 
imagimm  rtssurrectionis  inducit  et  sub  gladio  redimit  coronam.  (De  prae- 
Script,  hacrct.  Cap.  40.) 


Der  Teufelsbund.  167 

In  der  That  hatte  die  abendländische  Ketzerei  eine 
so  feindliche  Stellung  gegen  die  römische  Kirche  einge- 
nommen, dass  sie  alles  bisher  Erlebte  zu  überbieten  schien. 
Schon  der  heilige  Bernhard  findet  zwischen  den  alten  und 
neuen  Ketzern  den  Unterschied,  dass  diese  nicht,  wie  jene, 
einen  menschlichen  Stifter  haben,  sondern  von  unmittel- 
barer satanischer  Eingebung  herrühren;  ja  schon  vorher 
hatte  die  Sage  die  Abtrünnigkeit  der  Chorherren  zu  Or- 
leans von  der  Wirkung  eines  eingenommenen  Pulvers  ab- 
geleitet. Dass  man  aus  einem  andern  als  einem  diaboli- 
schen Grunde  Brodverwandlung,  Heiligenkult  und  Mirakel- 
wesen, Fegfeuer  und  Exorcismus  verwerfen,  die  römische 
Kirche  der  Entartung  zeihen  und  einem  sittenlosen  Klerus 
den  Gehorsam  aufkündigen  könne,  —  diess  wollte  natür- 
lich der  Klerus  unter  Allen  am  wenigsten  zugeben.  Nun 
aber  ist  nichts  gewisser,  als  dass  einige  jener  Parteien, 
namentlich  die  Katharer,  eine  bestimmte  Feierlichkeit  hatten, 
in  welcher  der  Uebertretende  sich  von  jenen  Lehren  und 
dem  ganzen  Verbände  der  römischen  Kirche  lossagte  ^). 
Diese  Lossagung  vom  Papstthum  aber  und  die  Verwerfung 
der  seligraachenden  Kraft  der  Wassertaufe  erschien  den 
Katholiken  als  Lossagung  vom  Christenthum  und  von  Gott, 
als  das  diabolische  Gegenstück  zur   abrenunciatio  diaboli. 

*)  Unter  Verweisung  auf  das,  was  bereits  oben  von  dem  Consolanientum 
gesagt  worden  ist,  fuhren  wir  hier  noch  eine  Stelle  an ,  in  welcher  besonders 
die  abrenuntiatio  am  deutlichsten  beschrieben  wird :  (Juando  aliquis  se  reddit 
haerelicis,  ille  dicit,  qui  recipit  eum:  Amice,  si  vis  esse  de  nostris,  oportet  ut 
renuncies  toti  fidei,  quam  tenet  Romana  ecclesia,  Respondet:  Abrenuncio. 
Ergo  accipe  Spiritum  sanctum  a  bonis  hominibus,  —  et  tunc  aspirat  ei  septies 
in  ore.  Item  dicit  illi :  Abrenuncias  cruci  illi,  quam  tibi  fecit  sacerdos  in 
baptismate,  in  pectore,  in  scapulis  et  in  capite  de  oleo  et  chrismate?  Res- 
pondet: Abrenuncio.  Credis,  quod  aqua  illa  operetur  tibi  salutem?  Respondet: 
Non  credo.  Abrenuncias  velo  illi,  quod  tibi  baptizato  sacerdos  posuit  In  ca- 
pite? Respondet:  Abrenuncio.  Ita  accipit  ille  baptismum  haereticorum  et  ab- 
negat  baptismum  ecclesiae;  tunc  ponunt  omnes  manus  super  caput  ejus  et 
osculantur  eum  et  induunt  cum  veste  nigra,  et  ex  illa  hora  est  quasi  unus  ex 
ipsis.  ~  Petri  Monachi  coenobii  vallium  Cernaii  Historia  Albigensium  Cap.  2, 
bei  Duchcsne  Tom.  V,  p.  557.  Petrus  war  übrigens  der  Lobredner  Simons 
von  Montfort  und  ist  mithin  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen,  wo  er  gegen  die 
Albigenser  spricht. 


l68  Neuntes  Kapitel. 

Inquisitoren  wussten  bald  das  ausdrückliche  Geständniss 
zu  erpressen,  dass  der  Aufzunehmende  Christum  ver- 
leugnen müsse  *).  Hierauf  bekannte  sich  der  Neuling  zu 
den  Gesetzen  der  Gemeinschaft  durch  die  Ad  oratio  n  und 
erhielt  durch  Handauflegiing  die  sogenannte  Geistestaufe, 
—  womit  die  Aufnahme  beendigt  war.  „Wenn  der  No- 
vize den  blassen  Mann  geküsst  hat,  —  sagt  die  Bulle  von 
1233,  —  so  verschwindet  das  Gedächtniss  des  katholischen 
Glaubens  gänzlich  aus  seinem  Herzen."  In  den  Katharern 
des  Mittelalters  wollte  man  die  alten  Manichäer  wieder 
erkennen;  von  dem  diesen  zugeschriebenen  Glauben  an 
zwei  Grundwesen  bedurfte  es  nur  eines  kleinen  Schrittes, 
um  auch  eine  Anbetung  des  Bösen  zu  folgern,  obgleich 
dieselbe  in  dem  Sinne  des  Dualismus  keinesweges  liegt 
und  bezüglich  der  Katharer  insbesondere  reine  Verleum- 
dung war.  Dieser  Anbetung  lieh  man  nun  die  Form  des 
skandalösen  Kusses.  Derselbe  ist  offenbar  nichts  anders, 
als  eine  Verdrehung  des  Bruderkusses  bei  der  Adoration. 
Die  alten  Heiden  liessen  die  Urchristen  die  Genitalien  ihrer 
Priester  verehren;  die  Ketzermacher  des  Mittelalters  sind 
erfindsamer,  indem  sie  ihre  Mitchristen  dem  Teufel  selbst 
den  obscönsten  Körpertheil  küssen  lassen.  Jene  erdich- 
teten nur  eine  Unflätherei,  diese  legten  in  die  Uriflätherei 
noch  die  abscheulichste  Sünde;  denn  der  Kuss  ist  das 
Zeichen  des  Homagfiums,  nach  ihm  und  durch  ihn  ist  der 
Ketzer  der  Mann  oder  Vasall  (homo)  des  Teufels.  Der 
Erste,  der  von  diesem  Kusse  erzählt,  ist  (so  viel  man  weiss) 
Alanus  von  Ryssel,  der  ihn  den  Katharem  aufbürdet 
„Catari  dicuntur  a  cato,  quia  osculantur  posteriora  cati,  in 
cujus  specie,  ut  dicunt,  apparet  eis  Lucifer."  Ueber  die 
Bedeutung  des  Aktes  spricht  sich  deutlicher  die  Anklage 


')  Verordnung  Philipp' s  des  Schönen  gegen  den  Inquisitor  Fulco  i;|ü) . 
A  captionibus,  quaestiunibub  et  inexcogitatis  tormentis  incipiens,  pcrsonas, 
quas  pro  libito  asserit  haeretica  labe  notatas,  abnegasse  Christum  elc.  vi 
vel  nietu  torroentorum  fateri  compi'llit  cl  .  .  .  .  lestes  fallaciter  subomato^ 
inducit  ad  perhibendum  tcstimonium  falsitati.  Hist.  de  I^nguedoc,  Toni  IV. 
Preuvcs  pag.   I18. 


Der  Teufelsbund.  169 

gegen  den  Bischof  von  Coventry  (1303)  ans,  quod  diabolo 
homagium  fecerat  et  eum  fuerit  osculatus  in  tergo.  Thier- 
gestalten  und  andere  abenteuerliche  Formen  hatte  man 
schon  in  früher  Zeit  den  erscheinenden  Dämonen  beigelegt ; 
bei  Jamblich  treten  sie  als  Löwen,  Säcke  und  Geschirre 
auf,  bei  Basilius  d.  IL  fallen  sie  als  Katzen,  Hunde  und 
Wiesel  die  Menschen  an.  In  den  Ketzerorgien  begegnen 
wir  den  Dämonen  zuerst  bei  den  Messalianern,  dann  bei 
den  Chorherren  von  Orleans,  wo  der  Graf  Arefast  weiss, 
dass  sie  allerlei  Thiergestalten  annehmen.  Dass  Alanus 
bei  den  Katharem  gerade  die  Katzengestalt  wählt,  ge- 
schieht offenbar  nur,  um  den  Namen  derselben  von  cattts 
ableiten  zu  können.  Dieser  etymologische  Einfall  machte 
indessen  das  Glück  des  Katers,  den  wir  gleich  darauf  auch 
in  der  Bulle  von  1233,  im  vierzehnten  Jahrhundert  in  dem 
Prozesse  der  Templer  und  so  öfter  wiederfinden  ^).  Noch 
im  siebenzehnten  Jahrhundert  leitet  der  Jesuit  Gretser 
die  Namen  Katharer  und  Ketzer  von  Kater  und  Katze 
ab.  Statt  des  Katers  erschien  .aber  anderwärts  auch  ein 
Frosch,  eine  Kröte,  ein  Hund,  ein  Bock,  ein  blasser  Mann 
oder  die  imzweideutige  Gestalt  des  Satans  selbst,  um  die 
HuldigTing  zu  empfangen.  Diese  Huldigimg  ist  in  der  an- 
gegebenen Weise  ständiger  Artikel  im  späteren  Ketzer- 
und  Hexenwesen  und  wird  als  die  regelmässige  Form  be- 
trachtet, wodurch  das  Pactum  mit  dem  Teufel  abgeschlossen 
oder  erneuert  wird. 

Wir  müssen  noch  eines  andern  einer  Missdeutung 
fähigen  Gebrauchs  der  Katharer  gedenken.  Das  Consola- 
mentum  verhiess  dem  Aufgenommenen  Vergebung  aller 
begangenen  Sünden  und  legte  ihm  für  die  Zukunft  ein  sehr 


')  Bei  dem  nur  wenig  späteren  Vincentius  (Spec.  bist.  XXX.  76)  zeigt 
Dominicus  einigen  Ketzerinnen  den  Teufel  in  Katzengestalt.  —  In  Trier 
waren  zu  Konrads  von  Marburg  Zeiten  verschiedene  Ketzer:  alii  pallidum 
hominem  vcl  etiam  cattum  osculabantur ,  et  adhuc  pejora  faciebant.  (Gesta 
Trcviroruui,  cd.  IVyttenback  et  Müller,  Tom.  I,  cap.  104.)  Der  Teufel  als 
Katze    in    einem   deutschen   Hexenprozesse   vopa   Jahr    1628,    Monc   Anzeiger 

1839.  s.  127. 


lyo  Neuntes  Kapitel. 

enthaltsames  Leben  auf.  Da  nun  mancher  Katechumene 
weder  der  Sündenvergebung  verlustig  gehen,  noch  einem 
freieren  Leben  frühzeitig  entsagen  wollte,  so  verschob  man, 
wie  erzählt  wird,  das  Consolamentum  öfters  bis  zum  Sterbe- 
lager, machte  aber  der  Sicherheit  wegen  im  Voraus  mit 
einem  Eingeweihten  der  Sekte  (Perfectus)  einen  Vertrag 
wegen  Ertheilupg  desselben  *).  Auch  dieser  Vertrag  (con- 
venientia,  pactum),  obgleich  nicht  mit  dem  Teufel  abge- 
schlossen ,  musste  natürlich  von  den  Orthodoxen  auf  den 
Teufel  bezogen  werden,  und  trug  so  vielleicht  dazu  bei, 
die  Vorstellung  von  Bündnissen  mit  dem  Satan  selbst  in 
weiteren  Umlauf  zu  bringen. 

Neben  dem  Homagium  durch  den  Kuss  findet  sich 
für  den  Ketzerbund  auch  die  Form  des  Chirographums, 
späterhin  freilich  immer  seltener  und  mehrentheils  nur  für 
die  Teufels  verbündeten  höheren  Rangs,  ohne  Zweifel  dess- 
halb,  weil  die  geringe  Verbreitung  der  Schreibekunst  unter 
dem  gemeinen  Volke  von  selbst  zu  solchen  Unterschei- 
dungen führte. 

Zwei  Ketzer,  —  erzählt  Cäsarius  von  Heisterbach  *),  — 
kamen  nach  Besan^on,  thaten  Wunder  und  fanden  viele 
Anhänger.  Voll  Angst  über  ihren  Erfolg  forderte  der  Bi- 
schof einen  in  der  Nekromantie  bewanderten  (leistlichcn 
auf,  durch  Teufelsbeschwörung  zu  ermitteln,  was  jenen 
Leuten  die  Kraft  gebe,  im  Wasser  nicht  unterzugehen. und 
im  Feuer  nicht  zu  verbrennen.  Es  ergab  sich,  dass  sie 
die  Chirographa,  worin  sie  dem  Teufel  das  Homa- 
gium   geleistet   hatten,    zwischen    Haut    und    Fleisch 


')  Liber.  Sentent.  bei  Limborch.  p.  13.  Guilielmus  FalqucU  —  —  - 
fecit  pactum  haeteticis,  quod  ipsi  vocant  h  comitnensa,  quod  reciperetur  ab 
eis  in  finc  suo  secunduni  pessiniani  consiietudinem  eorundcni,  —  Ibid.  p.  4I  ^q. 
Petrus  Salas  (20  Jahre  alt)  -  pluries  audivit  praedicationeni  et  doctrioam 
haerelicoruni  et  fecit  pactum  seu  coftvtntiontm  eisdeni.  quod  vellel  rccip»  in 
finc  ad  ordinen»  enrum.  —  Sibylla  Salas  (15  Jahre  alt  —  —  -  fecit  com- 
venientiam  seu  pactum  haereticis,  quod  vellet  recipi  in  fine  suo  ad  sectain 
et  ordineni  ipsorum.  Hiess  wiederholt  sich  häufig ,  fast  mit  denselben  Aus- 
drücken. 

•)  Il]u!»tr.  niirac,  V.   IH. 


Der  Teufelsbund. 


171 


unter  der  Achsel  trugen  und  dadurch  sich  schützten.  Der- 
selben beraubt,  wurden  sie  verbrannt.  —  In  andern  Er- 
zählungen desselben  Schriftstellers,  die  der  Versuchungs- 
geschichte Jesu  nachgebildet  sind,  erscheint  der  Teufel  mit 
der  Frage :  Vis  mihi  facere  homagium  ?  ohne  die  Art  weiter 
zu  bezeichnen.  —  Die  Verschreibungen  geschahen  mit  dem 
eigenen  Blute  des  Menschen.  In  den  Hexenprozessen  findet 
sich  späterhin  auch  d  i  e  Form  des  Pactums,  dass  man  et- 
was von  seinem  Blute  in  ein  mit  Todtenknochen  unter- 
haltenes Feuer  laufen  lässt. 

So  sind  es  besonders  die  Katharer  und  die  mit  den- 
selben verwandten  Ketzer,  an  welchen  das  Vorurtheil  oder 
der  Hass  ihrer  Feinde  die  förmliche  Lossagung-  vom 
Christenthum,  die  Umtaufung  zur  Apostasie  und  den  feier- 
lichen Teufelsbund  mit  dem  Homagium  sich  feststellen 
liess,  —  drei  Punkte,  welche  in  dem  späteren  Hexenwesen 
als  regelmässige  Erscheinung  hervortreten. 


ZEHNTES     KAPITEL. 


Die  Teufelsbuhlschaft. 

In  den  Gräueln,  welche  man  von  den  Katharern  und 
von  den  Ketzern  in  Deutschland  erzählte,  hatte  sich  die 
Phantasie  der  Feinde  derselben  noch  keineswegs  erschöpft; 
das  Jahrhundert  war  im  Fortschreiten.  Der  Vorwurf  ge- 
meiner Unzucht  war  bereits  an  den  altern  Ketzern  ver- 
braucht worden,  den  deutschen  Ketzern  hatte  man  dann 
schon  das  Verbrechen  der  Sodomie  aufzubürden  gewagt. 
Was  blieb  daher  noch  übrig,  als  der  Vorwurf  des  (ie- 
schlechtsverkehrs  mit  dem  Teufel  selbst  ?  Von  diesem  gibt 
das  grosse  Auto  da  Fe,  welches  1275  zu  Toulouse  unter 
dem  Inquisitor  Hugo  von  Beniols  gehalten  wurde,  so  viel 
man  weiss,  das  erste  Beispiel.  Unter  den  lebendig  Ver- 
brannten war  auch  die  sechsundfünfzigjährige  Angela, 
Herrin  von  Labarethe.  Alan  hatte  sie  gestehen  lassen, 
allnächtlich  fleischlichen  Umgang  mit  dem  Satan  gepflogen 
zu  haben;  die  Frucht  desselben  sei  ein  Ungeheuer  mit 
Wolfskopf  und  Schlangenschwanz  gewesen,  zu  dessen  Er- 
nährung sie  in  jeder  Nacht  kleine  Kinder  habe  stehlen 
müssen  *). 


*)  LamotkC'lAiti^oft  Ili^t.  de  rinquisition  en  Franci',    Paris  l8*J<>.  Tome  U, 
|),  014.         Ilist.  de  r.an(;acd«»c  Tc»nif  IV    p.   17. 


Die  Teufelsbuhlschaft.  ly? 

Mit  der  Beschuldigung  der  fleischlichen  Vermischung 
mit  den  Dämonen  war  ein  entscheidender  Schritt  weiter 
gethan;  sie  erscheint  bald  darauf  wieder  im  Gefolge  der 
Anklagen,  unter  welchen  der  Templerorden  erlag,  und 
wiederholt  sich  in  allen  folgenden  Hexenprozessen.  Die 
Vorstellung  von  einem  solchen  Umgange  war  weit  älter, 
als  ihre  Anwendung. 

Der  vielfache  Liebesverkehr  der  Himmlischen  und 
Halbgötter  mit  den  Menschen ,  von  dem  das  klassische 
Alterthum  zu  erzählen  weiss,  blieb,  wohin  er  gehörte,  inner- 
halb der  Grenzen  der  Mythologie,  Poesie  und  Volkssage. 
Keinem  Lebenden  in  Rom  und  Griechenland  hat  man 
hieraus  jemals  einen  Vorzug  oder  ein  Verbrechen  abge- 
leitet. Alexander's  Komödie  im  Ammonstempel  steht  isolirt 
und  war  nicht  auf  sein  Volk  berechnet;  Numa's  Egeria 
gehört  der  späteren  Tradition  an.  Als  aber  in  den  ersten 
Jahrhunderten  des  Christenthums  Kirchenlehrer,  Rabbinen 
und  heidnische  Philosophen  sich  fast  um  die  Wette  in  dä- 
monologische  Speculationen  vertieften,  ward  der  Grund  zu 
einem  Systeme  gelegt,  das,  unter  mancherlei  Widerspruch 
ausgebildet,  die  gerichtlichen  Anklagen  begründete,  wie 
wir  sie  so  eben  kennen  gelernt  haben. 

In  dem  späteren  theurgischen  Wesen  der  Griechen 
war  nicht  nur  von  männlichen  und  weiblichen  Göttern  und 
Dämonen,  sondern  auch  von  doppelgeschlechtigen  und 
zwiefacher  Geschlechtsfunktion  die  Rede ;  so  bei  Selene 
und  Bacchus*).  Wie  bei  Philostratus  eine  Empusa  einen 
buhlerischen  Umgang  mit  einem  Jünglinge  anknüpft,  ist 
oben  erzählt  worden. 

Mehr  Anhaltspunkte  geben  die  Schriften  der  Juden. 
Das  Buch  Henoch  kennt"  den  Umgang  der  Geister  mit 
Gott,  und  wie  sehr  der  Glaube  an  Dämonen  und  andere 
Geister  im  jüdischen  Volke  verbreitet  war,  zeigen  uns  viele 
Stellen  im  Talmud,  wie  Chagiga  i6a,  Erubim  i8b,  Chul- 
lin     105b,    Pesachim    1 1  o  a ,    Sabbath    67  a,    Erubim    1 8  b. 


*)  O///.  Hymn.  4I.  4.     Macrob.    Saturn.    III.  8.    —    In    agendo    scilicet 
mares,  in  patiendo  fcminae. 


in^  Zehntes  Kapitel. 

Gittin  13b  u.  a.  m.  *).  Allerdings  suchte  der  Talmud  im 
Interesse  einer  streng  monotheistischen  Weltanschauung 
die  Dämonen  wie  die  Engel  thunlichst  als  Personificationen 
von  Ideen  hinzustellen  ^) ;  allein  zwei  Wesen  waren  es,  an 
welche  sich  nicht  nur  in  der  Volksüberlieferung,  sondern 
auch  in  Lehrdarstellungen  der  Rabbinen  allerlei  wunder- 
liche Erzählungen  anknüpften,  die  wir  hier  beachten  müssen, 
nämlich  die  Lilith  und  die  Sehirim. 

Lilith,  ein  Nachtgespenst,  welches  als  daemon  suc- 
cubus  unter  der  Bezeichnung  Kielgelal  bei  den  Akka- 
dern  vorkommt  und  von  den  Assyrem  den  Namen  Lilit 
erhielt^),  findet  sich  —  nachdem  Vorstellung  und  Name 
von  den  Assyrem  zu  den  Hebräern  gelangt  war  —  bei 
Jesaias  (34,  14)  und  wird  bei  den  Rabbinen  das  kinder- 
fressende Seitenstück  zu  den  Lamien,  Strigen  und  Empusen. 
Nach  Rabbi  Bensira  war  Lilith  Adams  erste  Frau  und 
verliess  ihn  aus  Hochmuth,  um  ihm  nicht  unterthan  zu 
sein.  Drei  Engel,  auf  Adams  Klage  von  Gott  nachge- 
sandt, holten  sie  am  rothen  Meere  ein  und  drohten,  wenn 
sie  die  Rückkehr  verweigere,  sie  selbst  ins  Wasser  zu 
werfen  und  täglich   hundert  von  ihren  Kindern  zu  tödten. 


*)  Z.  Munk,  Targum  Scheni  zum  Buche  Esther  (Berl,  1876),  S.   17. 

^)  Emanuel  Detitsch  zu  London  sagt  in  seiner,  in  zahlreichen  Aasgaben 
des  englischen  Originals  und  in  ebenso  zahlreichen  Uebersetzungen  verbreiteten 
Schrift  „Der  Talmud"  (2.  Aufl.  der  autorisirten  deutschen  Uel^ersetzung. 
Berl.  1869,  S.  54):  „Ueberaus  charakteristisch  fQr  die  Tendenz  des  Talmud 
ist  die  Weise,  in  der  er  diese  Engels-  und  DAmonenlehre  in  den  Dienst 
des  strengen  Monotheismus  zu  pressen  sucht.  Die  Engel  werden  ihm  einfach 
zu  Trägern  von  Gedanken,  Gefühlen,  göttlichen  Idealen.  Die  Dämonen  ihrer- 
seits sind  die  unsichtbaren  Schädiger,  im  Menschen  mehr  denn  ausser  ihm. 
Satan  nimmt  allerdings  genau  die  Stelle  des  „bösen  Geistes"  der  persischen 
Mythologie  ein.  Er  ist  VerfOhrer,  Ankläger  und  Todesengel;  allein  der  Talmud 
erklart  das  Wort  absolut  als  „Leidenschaft",  die  da  reiit,  CJewissrnsbitse 
schafllt  und  tAdtet.  Satan  nimmt  darum  proteusartig  allerlei  Gestalten  an. 
Ihn  tum  , .Gegner"  Gottes  zu  machen,  lilieb  der  urchristlichen  Anschauung 
vorbehalten.  Dem  Talmud  hatte  dieses  nichts  Geringeres  als  Gotteslast eruiiK 
erschienen." 

*)  Scholz,  Götzendienst  und  Zauberwesen  bei  den  alten  Hebräern;  Re- 
gensb.  1877,  S«  84.  Ausserdem  vgl.  Ober  Lilith  A,  van  DaU ,  de  origine  ac 
progressu  idololatriae  et  superstitionum.     Amstel.  1696,  S.  111  ff. 


Die  Teufelsbuhlschafl. 


175 


Lilith  ging  die  Bedingung  hinsichtlich  der  Kinder  ein  und 
sprach:  „Lasst  mich  ziehen,  weil  es  nun  einmal  meine  Be- 
stimmung ist,  Kindern  nach  dem  Leben  zu  trachten,  den 
Knaben  nämlich  vor  dem  achten  Tage  nach  der  Geburt, 
den  Mädchen  aber  vor  dem  zwanzigsten.  Doch  verspreche 
ich  und  schwöre  bei  dem  lebendigen  Gotte,  dass  ich  die 
Kin.der  verschonen  will,  so  oft  ich  entweder  euch  selbst, 
oder  eure  Namen  oder  euer  Zeichen  auf  einem  Amulete 
erblicke.**  Diess  wurde  genehmigt,  und  daher  kommt  es, 
dass  alle  Tage  hundert  Teufel  sterben  und  dass  man  den 
neugeborenen  Judenkindem  ein  Amulet  mit  den  Namen 
der  drei  Engel  Senoi,  Sansenoi  und  Samangaloph  umhängt 
und  eben  dieselben  Namen  in  den  vier  Ecken  der  Wochen- 
stube anschreibt.  —  Lilith  erscheint  hier  also  auch  als 
Mutter  von  Teufeln.  Hierüber  sagt  Rabbi  Elias  weiter, 
Adam  habe  während  der  1 30  Jahre  nach  dem  Sündenfalle, 
in  welchen  er  im  Banne  und  von  Eva  getrennt  lebte,  mit 
vier  Müttern,  Lilith,  Nahamah,  Ogereth  und  Machalath, 
sämmtliche  Dämonen  gezeugt.  Andre  wiederum  behaupten, 
während  dieser  1 30  Jahre  habe  sich  Adam  mit  weiblichen 
und  Eva  mit  männlichen  Dämonen  vermischt,  so  dass  von 
jenem  die  weiblichen ,  von  dieser  die  männlichen  Geister 
abstammen.  —  Es  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass  die 
Lilith  bei  Jesaias  in  der  Vulgata  durch  Lamia  übersetzt 
wird,  wodurch  nun  auch  in  der  Schrift  ein  dauerndes  Zeug- 
niss  für  die  Realität  des  römisch-griechischen  Glaubens 
niedergelegt  erschien.  In  dem  Glauben  der  neueren  Juden 
ist  Lilith  noch  immer  ein  Buhldämon,  der  die  Welt  fort- 
während mit  jungen  Teufeln  erfüllt. 

Wir  müsS^en  hier  femer  der  Sehirim  gedenken*). 
Dieser  Ausdruck,  welcher  zunächst  von  Böcken  zu  ver- 
stehen ist  (wie  3  Mos.  4,  14  und  16,  9),  bezeichnet  ander- 
wärts einen  Gegenstand  abgöttischer  Verehrung  (3  Mos. 
17,  7).  und  bei  Jesaias  (13,  21  und  34,  14)  sind  die  Se- 
hirim Bewohner  der  Wüste,  welche  tanzen  und  einander 
zuschreien.     Obgleich  nun  einige  Ausleger,  wie  Van  Dale, 


*)    P'an  Dale  a.  a.  O.  Gap.  6. 


I  yt)  Zehntes  Kapitel. 

in  den  Jesaianischen  Stellen  unter  diesen  Wesen  nur  ei- 
gentliche wilde  Thiere  oder  Waldthiere  ver- 
stehen wollen ,  so  wird  doch  das  Wort  bereits  von  den 
alten  Erklärem  auf  Dämonen  gedeutet,  und  auch  Ge- 
senius  ist  der  Ansicht,  dass  hier  von  bocksgestaltigen 
Waldmenschen,  den  Satyrn  der  Griechen  ähnlich,  die  Rede 
sei,  wie  dergleichen  Fabelgestalten  sich  auch  bei  den  Ara- 
bern finden.  Auch  eine  Sekte  der  Zabier  verehrte,  nach 
Maimonides,  Dämonen  unter  Bocksgestalt  ^).  Die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  hier  auf  Dämonen  bezogenen  Aus- 
drucks scheint  über  die  Grundlage  der  späteren  christlichen 
Vorstellung  vom  Teufel  in  Bocksgestalt  Licht  zu  verbreiten. 
Diese  Vorstellung,  schon  frühzeitig  in  einzelnen  Spiu-en 
vorhanden  *),  konnte  erst  dann  recht  allgemein  werden,  als 
der  Glaube  an  die  fortwährenden  Beweise  von  der  Bocks- 
natur des  Satans  sich  begründet  hatte;  die  Bibel  und  die 
heidnische  Mythologie  schienen  hier  einander  abermals  zu 
bestätigen,  denn  in  dem  Incubus  erkannte  man  den  lüsternen, 
bocksfussigen  Faun  wieder*). 


^)  Ebendas.    S.  29.     Vgl.  auch  Scholz,    Götzendienst    bei  den    alten  He- 
hülern,  S.   137. 

')  Als  der  h.  Antonius  durch  die  Slgyptische  WQste  zieht,  um  den  Err- 
miten  Paulus  aufzusuchen,  sieht  er  grandcm  homunculum  aduncis  naribus. 
fronte  cornibus  asperata,  cujus  extrema  pars  corporis  in  capranim  pedes  dc- 
stnebat.  Der  Heilige  fragt,  wer  er  sei,  und  erhält  zur  Antwort :  Mortalh  eRo 
sum  et  unus  ex  accolis  eremi.^quos  vario  errore  delusa  gentilitas  Faunos  Sa- 
lyrosque  et  Incubos  colit  etc.  —  Gleich  darauf  rechnet  der  Heilige  diese  Er- 
scheinung unter  die  daemonia;  nichtsdestoweniger  setzt  Vincentius  hinzu,  da«« 
man  ein  solches  Geschöpf  einfing  und  in  Alexandrien  zuerst  lebendig  zeigte, 
dann,  nachdem  es  gestorben  war,  einbalsamirte.  Vincefü,  Bdlov.  Spec  bist. 
XI.  86.  Was  ist  hier  alt,  und  was  hat  Vincentius  aus  dem  Seinigen  hinzu* 
gethan?  —  Wilhelm  den  Kothen  von  EnglAnd,  der  im  Jahr  1  loo  durch  Ver- 
sehen auf  der  Jagd  erschossen  wurde,  tr5gt  der  Teufel  als  grosser,  haariger, 
schwarzer  Dock  (magnus,  pilosus  et  niger  hircus)  zur  Strafe  seiner  SQnden  in 
die  Hölle.  Matth.  Paris  Hist.  maj.  ad  ann.  lioo.  —  Ob  bei  Jamblich  (Ra- 
bylonica  apud  Phot.  Bibl.),  wo  es  helsst:  x^^ttn  ti  ^d3{jia  ip^  Sivwvt^o^,  lu- 
nächst  Griechisches,  oder  Orientalisches  vorwaltet,  kann  ich  nicht  entscheiden 
der  ßuhlteufel  der  späteren  Zeit  ist  aber  darin  zu  erkennen. 

')  Quem  autem  vulgo  incubonem  vocant,  hunc  Komani  Faunum  Ficarium 
dicunt.     IsiJor,  Ktym.  bei    Vincent.  Bell.  11,   112. 


Die  Teufelsbuhkchaft.  I  «7  y 

Auf  den  Grundlagen  der  heidnischen  und  jüdischen 
Vorstellungen  hat  sich  die  Ansicht  der  Kirchenlehrer  über 
solchen  Geschlechtsverkehr,  jedoch  nur  allmählich  und  nicht 
ohne  Widerspruch,  ausgebildet.  Galten  einmal  die  mytho- 
logfischen  Wesen  im  Allgemeinen  für  Dämonen,  so  mussten 
die  in  den  gangbarsten  Bibelübersetzungen  aufgenommenen 
Namen  der  Lamien,  Sirenen,  Onokentauren  und  Faune  auch 
zu  spezielleren  Anwendungen  führen.  Es  ist  bereits  bei 
einer  früheren  Gelegenheit  bemerkt  worden ,  wie  schon 
Justin  der  Märtyrer  und  Lactanz  die  Stelle  i.  Mos.  6,  i  ff. 
auf  eine  Vermischung  der  Dämonen  mit  den  Töchtern  der 
Menschen  deuteten.  Andere  Kirchenväter  thaten  dasselbe, 
und  man  verschmähte  es  hierbei  nicht,  sich  auf  Analogien, 
wie  den  Besuch  der  Schlange  bei  Alexander's  d.  G.  Mutter, 
zu  berufen.  In  Chrysostomus  *) ,  Cassian  ^)  u.  a.  fand  nun 
zwar  die  Vernunft  bessere  Vertreter,  auch  schüttet  der 
sonst  so  leichtgläubige  Epiphanius  seinen  Unwillen  über 
die  Behauptung  der  Gnostiker  aus ,  dass  ein  weiblicher 
Dämon  vom  Propheten  Elias  habe  gebären  können  ^) ;  aber 
in  Augustin  erhielt  dafür  der  Aberglaube  der  Folgezeit 
eine  desto  glänzendere  Autorität.  Obgleich  in  der  Er- 
klärung der  mosaischen  Stelle  selbst  zurückhaltend,  läugnet 
Augustin  doch  nicht  die  Möglichkeit  einer  Vermischung 
der  Dämonen  mit  den  Menschen  im  Allgemeinen  und  ver- 
weist ausdrücklich  auf  die  Faune,  Sylvane  und  gallischen 
Dusii,  welche  solchen  Verkehr  treiben'*).  Dass  Drachen 
in  Menschengestalt  mit  Weibern  buhlten,  war  ebenfalls  ein 
im  Orient    verbreiteter  Glaube ,    welcher   schon   früher   in 

')  Homil.  22  in  Genes. 

»)  CoIIat.  VIIT.  21. 

')  Haeres.  XXVI.  l.S.  Hie  Zeugung  sollte  durch  das  im  Schlafe  ver- 
gossene und  vom  Dämon  geraubte  scmen  virile  erfolgt  sein.  Kpiph^inius  sagt 
hierüber:  Welche  alberne  Behauptung!  Wie  kann  ein  unreiner  und  körper- 
loser Geist  sich  in  irgend  einer  Weise  an   KArperlichom  betheiligen  ? 

*)  De  Civ.  Dei  XV.  22  f.  —  Diess  erweitert  hiiior,  Oig.  Vlil.  Pilosi 
(«Hess  entspricht  den  Sehirini),  qui  graece  Panilae,  latine  Iticubi  a|>pellantur, 
sive  Inivi .  ab  ineundo  passim  cum  animalibus,  unde  et  Incubi  dicuntur  ab 
incumt>endo  h.  e.  stuprando  etc. 

8ol4an-Heppe,  Ilexenprozesse.  1 2 


1^3  Zehntes  Kapitel. 

in  einer  eigenen,  angeblich  von  Johannes  von  Damask 
herrührenden  Schrift  einer  Widerlegung  gewürdigt  wor- 
den war  ^). 

Als  ein  besonders  wichtiger  Zeuge  der  Anschauungs- 
weise seiner  Zeit  ist  hier  der  jüngere  Michael  Consta n- 
tinus  Psellus  (t  um  1106)  zu  nennen,  —  der  fruchtbarste 
theologische    Schriftsteller     der    griechischen    Kirche    im 
Mittelalter  und  von   seiner  Zeit   als  Polyhistor  bewundert. 
Unter  seinen  zahlreichen  (theilweise  noch   nicht  veröffent- 
lichten) Schriften   findet  sich   ein  Gespräch  De  operatione 
daemonum    vor    (161 5   von   G.   Gaulmin    zu  Paris  heraus- 
gegeben).    Psellus    theilt    in    dem    Buche   mit,    dass    ein 
Grieche,  Namens  Marcus,  der  niemals  an  das  Dasein  von 
Geistern  geglaubt,  sich  in  die  Einsamkeit  zurückgezogen  und 
sich    dabei    alsbald    von  Geistern    umringt  gesehen   habe. 
Marcus  habe  mm  den  lebhaftesten  Verkehr  mit  den  Geistern 
gehabt  und  habe  ihm  deren  Aussehen,  Leben  und  Treiben 
auf  das  Genaueste  beschrieben.     Auf  Grund   dieser  Mit- 
theilungen will   nun  Psellus  ein   philosophisches,   im  We- 
sentlichen   neuplatonisches    System    der   Lehre    von    den 
Geistern  und  deren  Hierarchie  geben.     Dieses  System  hat 
sein  Fundament  in  dem  Satze,  dass  alle  Dämonen  Körper 
haben,  was  er  aus  der  kirchlich  anerkannten  Lehre  folgert, 
dass  sie  die  Feuerqual  erdulden.    Doch  haben  ihre  Körper 
nicht  bestimmte,  feste  Gestalt,  sondern  sie  sind  den  Wol- 
ken vergleichbar,  indem  sie  bei  der  Feinheit  ihrer  Materie 
jede  beliebige  Gestalt  annehmen  und  in  jede  Oeffnung  ein- 
dringen können.     Sie  haben  darum  auch  keinen  bestimm- 
ten Geschlechtscharakter,    aber    sie   können  bei  ihrer  Be- 
weglichkeit  sowohl   männliche   als    weibliche  Gestalt    an- 
nehmen.    Einige  Arten   der  Dämonen    können    sich    auch 
besamen ,    woraus  dann  ein  eigenthümliches  Gewürm  ent- 
steht ( —  was  an  die  Eiben  in  den  Hexenprozessen   erin- 
nert).    Von  Natur  kalt   suchen  sie  gern  Lebenswärme    in 
Badestuben  und  in  menschlichen  und  thierischen  Körpern, 

')  Tractat.    de    Draconibus    in    Jo.  Damasc,   Üpp,  ed.   Lcqaien  Tom.   l 
p.  471   sqq. 


Die  Teufelsbuhlschaft.  I  yo 

in  welche  sie  einzudringen  pflegen.  Daher  die  vielen  Be- 
sessenheiten und  deren  Folgen,  der  Wahnsinn.  —  Auch 
das  Wesen  und  Treiben  der  Incubi  wird  von  Psellus 
erwähnt. 

Es  konnte  nun  nicht  fehlen,  dass  die  Kreuzfahrer  mit 
diesen  griechischen  Speculationen ,  so  wie  mit  den  sehr 
materiellen  Geistern  des  Muhammedanismus ,  namentlich 
den  Dschinns,  welche  den  Mädchen  nachstellen,  bekannt 
wurden;  und  vielleicht  lieget  hierin  eine  Hauptursache, 
wesshalb  mit  dem  Anfange  des  dreizehnten  Jahrhunderts 
auch  das  Abendland  fast  plötzlich  mit  zahllosen  Buhl- 
geschichten von  Dämonen  und  Feen  überfluthet  ward. 
Solche  erzählt  schon  Cäsarius  von  Heisterbach*)  in 
Menge  aus  seiner  eigenen  Zeit.  Doch  gab  es  vorerst  noch 
unter  den  Gelehrten  verschiedene  Ansichten.  So  führt 
Vincentius  Autoritäten  an,  welche  die  Zeugungsfahigkeit 
der  Dämonen  schlechthin  läugtien  und  den  wunderbaren 
Ursprung  Merlin's  entweder  auf  Selbsttäuschung  der  Mutter, 
oder  Unterschiebung  und  Blendwerk  zurückfuhren  ^),  Da- 
gegen hat  sich  Cäsarius  von' den  Gelehrten  eine  Theorie 
mittheilen  lassen,  in  welcher,  so  sehr  sie  der  von  Epi- 
phanius  verworfenen  gnostischen  nahe  kommt ,  die  Grund- 
zuge des  späterhin  allgemein  geglaubten  Incubenwesens 
vorgezeichnet  sind®).  Es  machte  in  der  Sache  keinen 
Unterschied,  dass  die  Theologen  des  Abendlands,  abwei- 
chend von  den  älteren  Kirchenvätern,  Muhammedanern 
und  Byzantinern,  die  vollkommene  Körperlosigkeit  der 
Dämonen  und  damit  deren  ursprüngliche  Zeugungsunfähig- 
keit  zu  behaupten  anfingen ;  das  Vermögen  einen  fremden 


*)  S.  unten  am  Schluss  des  Kapitels. 

')  Spec.  nat.  II.  128.  Selbst  durch  üebertragung  des  Samens,  heisst  es 
dort,  wOrden  immer  nur  solche  Wesen  hervorgebracht  werden  kr)nnen,  die  aus 
FSuloiss  entstehen,  wie  Frösche,  Fliegen  und  gewisse  Schlangen. 

')  Crementum  humanum,  quod  contra  naturam  funditur,  daemones  colli- 
gunt,  et  ex  eo  sibi  corpora,  in  quibus  tangi  viderique  ab  hominibus  possint, 
assumunt,  de  masculino  vero  masculina ,  de  feminino  Feminina ;  sicque  dicunt 
magistri  in  his,  qui  de  iis  nascuntur,  veritatem  esse  naturae  humanae  eosque 
in  judicio  ut  verc  homines  resurgere.     (Illustr.  mirac.  III.   12.) 


K'/r\ß^  iiZjCMrt^T.zr^ßfn   •-'»fi  c-j'ch  die^^en  aiif  cSe  Sbs: 

/j  lÄ— V'^i.  rwk'b  a-'.h  bei  d»m  Schola*cikcrT*  tk^ü  LtasK^T. 

■»'#ffA<T  >su*rrkcinrrt '  . 

Arn  io\^*irirfiri<,Y^<hn  *^,Y,*f:zn  j^fwf**-en  zu  -«--^n.  dAss  ^acb 
litoma,^  v//ri  Aquino,  der  SujIz  d**r  Kirche  und  ii> 
^>rakeJ  d'^r  Dominikaner '/.  welche  aK  Inqui^öofnen  die 
lj'}inf  /M**r^X  praktisch  g^emachl  haben,  die  Exi^enz  der 
I>uhl^«-i''Ufr  im  alum  Testament  benfröndet  zu  nnden  irl^iibte. 
lU'\u*m*ßX\\  und  I>f  viathan  Hx-i  Jf^^aias  4» » ■  deutet  er  auf 
d'-n  Satan,  d^rr  hi^^r  der  Ueberleg-enheit  seiner  Bosheit 
•A'#'j/#*ri  unt<-r  dem  Bilde  der  g^ewaltig^sten  Thiere  des  Landes 
und  d'*s  VVa^vrs,  des  Klephanten  und  des  Wallfisches. 
b'*v  hrieNrn  wt^nUi,  Die  einzelnen  Theile  in  der  Beschrei- 
\tiiui(  (U:r  1  hiere  \v<?rden  hierbei  vom  Auslegfer  den  ein- 
/<'lnen  Verhält nissim  des  Satans  ang'epasst,  somit  auch  die- 
jiMii^'*  Stelle,  wo  der  Text  von  den  j^eschlechtlichen  Be- 
/.M\uui(i*u  des  Behemoth  spricht.  Hierbei  nun  wird  mit 
Au^ustin  der  Coitus  der  Dämonen  mit  den  Weibern  ein- 
^(eräumt,  jedoch  so,  dass  es  dem  Dämon  nicht  um  E^ 
friedijfun^'  der  eijfentlichen  Wollust  zu  thun  sei,  sondern 
<liiss,  wenn  Aug'ustin  von  der  Lust  desselben  bei  diesem 
Akte  rede,  figürlich  nur  dasjenige  Vergnügen  verstanden 
werden  müsse,  das  dem  Teufel  aus  der  Verführung  der 
Menschen  zum  Laster  und  seiner  dadurch  vergrösserten 
llerrsrhiift  erwachse-*).  —  Die  Frage,  wie  sich  der  Teufel 
seine  I  lexen  zur  Stelle  schaffe,  machte  dabei  keine  Schwierig- 
keil. Na(^h  dem  Kvangelium  hatte  der  Satan  den  Erlöser 
durch  die  Luft  getragen  und  ihn  auf  eine  Zinne  des  Tem- 


')  Nach  «In  %|iiU('ren  '1  licnric .  wir  sie /r /,<»r/*r  gibt,  onrhcint  (irr  Teufel 
»Irin  MciiHchrn,  iiiilnu  vr  rnt\vc*<lrr  l)  «lurch  WrflnderuiiR  iler  Säfte  die  I>inj»e 
inis>rt  unn  in  eine  anilcre  (SeMalt  vei wandelt,  oder  2)  unsere  Sehof^sane  v^t- 
Willi,  so  d.iss  wir  das  Utile  als  I>unkeles.  das  Dunkele  ah  Helles  elc.  an- 
sflu'n.  cidri  ;0  einen  Urlirhi^rn  belebten  oder  iinhelebten  K^irper  annimmt.  /,/ 
/••!'.»    llivttHie  Ars  s|»ectres  eti".  p.  m7   IV. 

*)  Tuis  V.  hat  ihm  unlei  den  Lehrern  der  katholischen  Kin  he  den  n^nfien 
K.ihu  .n»»;r wiesen,  hie  viel  ersten  sind:  And>rosius.  Aut(ustin.  H»en»nvinu% 
m>d  (.M'»;t»r  d,  (i. 

*}  i'onuucnt.  ad  Je<    40. 


Die  Teufelsbuhlschaft.  l8i 

pels  gestellt.  Thomas  von  Aquino  meinte  daher,  wenn 
der  Teufel  dieses  mit  Einem  Körper  zu  thun  vermöge, 
so  könne  er  es  auch  mit  vielen  und  mit  allen  Körpern 
thun.  —  Ueber  die  Frage,  ob  aus  einem  solchen  Coitus 
auch  eine  Zeugung  erfolgen  könne,  waren  zu  Thomas' 
Zeit  die  Meinungen  noch  immer  getheilt;  er  selbst  bejaht 
dieselbe.  Nach  seiner  Theorie  hat  der  unkörperliche  Geist 
die  Fähigkeit  einen  Körper  anzunehmen  und  mittelst  des- 
selben den  Coitus  zu  üben ;  die  hierdurch  erfolgende  Zeu- 
gung wird  jedoch  weder  durch  den  aus  dem  angenommenen 
Körper  abgesonderten  Samen,  noch  durch  den  eigenen 
Organismus  des  Dämons  bewirkt,  sondern  auf  die  Weise, 
dass  der  Dämon  sich  erst  einem  Manne  als  Succubus 
hingibt  und  dann  den  in  diesem  Beischlafe  in  sich  aufge- 
nommenen Samen  in  ein  Weib  überträgt,  mit  welchem  er 
sich  als  Ine  üb  US  vermischt.  Der  Einwurf,  dass  zwischen 
den  beiden  Vermischungen  der  Samen  erkalten  und  die 
belebende  Kraft  verlieren  könne,  wird  durch  die  Annahme 
beseitigt,  dass  der  Dämon  durch  Schnelligkeit  der  Bewe- 
gung und  Anwendung  von  erwärmenden  Mitteln  diesem 
Schaden  zu  begegnen  verstehe.  Den  auf  diesem  Wege 
erzeugten  Sohn  betrachtet  Thomas  zwar  ganz  folgerichtig 
als  den  Sohn  desjenigen  Mannes,  von  welchem  der  ver- 
wendete Samen  stammt,  räumt  jedoch  ein,  dass  solche 
Kinder  an  Grösse  und  Stärke  die  gewöhnlichen  übertreffen 
können,  weil  der  dämonische  Erzeuger  vermöge  seiner 
höheren  Kenntnisse  den  günstigen  Augenblick  richtiger 
treffe. 

Von  einem  solchen  Incubuskinde,  das  1249  in  Herford- 
shire  geboren  worden,  berichtet  Matthäus  Paris,  dass  es 
vor  Ablauf  eines  halben  Jahres  vollkommen  ausgezahnt 
und  die  Grösse  eines  siebenzehnjährigen  Jünglings  erreicht 
gehabt  habe.  «Die  Mutter  aber  sei  sogleich  nach  der  Ge- 
burt schwindsüchtig  geworden  und  auf  eine  jammervolle 
Weise  gestorben. 

Vor  dem  oben  erwähnten  Inquisitionsfalle  finden  wir 
kein  Beispiel,  dass  das  Strafrecht  sich  um  dämonische 
Buhlschaften  bekümmert  hätte ;  sie  gehörten  bis  dahin  der 


l32  Zehntes  Kapitel. 

Volkssage,  der  Legende,  der  Poesie  und  der  Speculation 
einiger  Gelehrten  an.     Bald  hatte  die  fromme  Einfalt  einen 
Kirchenheiligen  verherrlicht,    indem  sie   seine  Keuschheit 
von  Dämonen  in  Frauengestalt  versuchen  liess;    bald  war 
von  der  Stammeitelkeit  das  Geschlecht  der  Häuptlinge  an 
die  Unsterblichen    geknüpft   worden ,    wie  im  Norden    an 
Odin,  in  Sachsen  an  Wotan  ^) ;   bald    hatte   der  Volkshass 
am  P'einde  Rache  geübt,  wie  an  den  Hunnen,  denen  man 
vertriebene  Zauberweiber  und  unreine  Geister  der  Wüste 
zu  Ahnen  gab  ^) ;    bald  war   es  die    schrittweise  aus  dem 
Einfachen  ins  Wunderbare    übertretende  Volkspoesie,   die 
in  der  übernatürlichen  Zeugung   geheimnissvoller  Männer, 
wie   des  Zauberers  Merlin,    Ergötzung  gesucht  hatte.     So 
war  das  dreizehnte  Jahrhundert  herangekommen,  unter  allen 
Jahrhunderten,  wie  Leibnitz  sagt,  das  dümmste,  wenn  ihm 
nicht    etwa  das  nächstfolgende   den  Rang    streitig   macht. 
Vergebens   hatte  Johann  von  Salisbury,   der  am  Schlüsse 
der  bessern  Zeit  steht,  den  Verächtern  und  Verderbem  der 
gründlicheren  Wissenschaft   seinen  Metalogicus  entgegen- 
gesetzt.    Vor  dem  vollendeten  römischen  Geistesdespotis- 
mus mit  seinen  Interdicten,    Ketzerkreuzzügen  und  Inqui- 
sitionen musste  jede  freiere  Regung  verstummen  und  der 
Aberglaube  wucherte  desto  üppiger ;  früher  heftig  bestrit- 
tene Lehren    fanden    jetzt    im   Lateran    ihre  •  unantastbare 
Sanction,    die    Philosophie    ward    Magd    der  Theologie^), 
Bettelmönche  mit  ihren  Wundergeschichten  waren  die  Ge- 
bieter des  Zeitalters.     Selbst  der  Minnegesang  wurde  zum 
Prediger  des  lächerlichsten  Wunderglaubens  *).     Diese  all- 
gemeine Verdummung    machte    die    Menschen    selbst    zur 
Erkennung  des  Faktischen  ihrer  eigenen  Zeit  unfähig.    Die 
Kirchengeschichte  ward  in  dem  Mirakelwesen  des  he51ig"en 

*)  Grimm,  d.  Mythol.  S.   llo.  ♦ 

*)  Jornanä.  de  reb.  Goth.  cap.  24. 

■)  Auf  die  Philosophie  seiner  Zeit    wendet  Matthäus  Paris  den  Vers  an 
Prostat  et  in  pretio  pro  meretrice  sedet.     (Ad  ann.   1254.) 

**)  Wie  sich  das  Wunder-  und  Legendenwesen  des  13.  Jahrhunderts  auch 
in  der  französischen  und  deutschen  Poesie  wiederspiegelt,  s.  Gervinus  Gesch. 
d.  poet.  Nationaihteratur  Th.  1.  S,  424  ff.  440  f. 


Die  Teufelsbuhlschaft.  ig-i 

Franciscus  und  der  Legenda  aurea  des  Jakob  de  Voragine 
zum  Märchen,  der  Profangeschichte  ging's  kaum  besser. 
Während  Konrad  von  Marburg  durch  Feuerprobe  und 
Tortur  die  abgöttische  Verehrung  des  Satans  in  Kröten- 
gestalt zur  gerichtlich  erhobenen  Thatsache  stempelte,  er- 
zählten Schriftsteller  wie  Gervasius  Tilberiensis  und  Cäsa- 
rius  von  Heisterbach  unter  dem  Ansprüche  auf  historische 
Glaubwürdigkeit  Wunder-  und  Schauergeschichten  als  selbst 
erlebt,  die  noch  kurz  vorher  der  gesundere  Sinn  eines 
Abälard,  Johannes  von  Salisbury  oder  Otto  von 
Freisingen  als  alberne  Fabeln  verworfen  haben  würde. 
Beide  Schriftsteller  charakterisiren  ihre  Zeit  und  mögen 
daher  an  dieser  Stelle  eine  flüchtige  Beachtung  finden. 

Gervasius,  Marschall  des  arelatensischen  Reiches, 
ein  Mann  nicht  ohne  Gelehrsamkeit  und  Einsicht  in  bürger- 
lichen Dingen,  widmete  um  1 2 1 1  seine  Otia  Imperialia  dem 
Kaiser  Otto  IV.  ^).  Er  hat  die  Alten  gelesen ,  namentlich 
Virgil  und  Apulejus,  und  gibt  viele  Geschichten  derselben 
fast  nur  mit  der  einzigen  Verändenmg  wieder,  dass  er  sie 
in  sein  Land  und  seine  Zeit  verlegt.  Bei  ihm  liest  man 
von  Störchen,  die  in  fremden  Ländern  Menschen  sind,  von 
Sirenen  im  britischen  Meere,  von  Männern  ohne  Kopf, 
Weibern  mit  Barten  oder  Ziegenzähnen  und  Ochsenschwän- 
zen. Die  Wehrwolfsgeschichten  des  Apulejus  ereigtien 
sich  bei  ihm  zu  Vienne,  in  der  Auvergne  oder  in  England. 
Die  Weiber  Griechenlands  und  Jerusalems  lässt  er  die 
Verächter  ihrer  Reize  in  Esel  verwandeln;  die  Fabel  von 
Amor  und  Psyche  wird  für  die  Abenteuer  eines  Ritters 
Raimund  zugeschnitten.  Hinsichtlich  der  Nachtweiber  (la- 
miae,  mascae,  Striae)  kennt  er  zwar  die  Behauptung  der 
Aerzte,  dass  solche  nächtliche  Schreckbilder  auf  eine  er- 
hitzte Einbildungskraft,  dicke  Säfte  und  daher  rührende 
Beängstigungen  zurückzuführen  seien;  aber  sogleich  be- 
weist er  dann  wieder  das  Dämonische  dieser  Erscheinungen 
aus  Augustin    und   mengt  die  kinderfressende  Lamia  der 


•)  Bei  LeUmitz  Script.  Rer.  Brunsvic.  Tom,  I, 


184  Zehntes  Kapitel. 

Romer  mit  ein,  die  er  a  laniando  lieber  Lania  genamit 
wissen  will.  Nachdem  er  hierauf  von  den  nachtfahrenden, 
Laternen  anzündenden  und  Kinder  raubenden  Weibern  in 
einer  Weise  gesprochen  hat,  als  wolle  er  sich  nur  zur  aU- 
gemeinen  Sage  herablassen,  stellt  er  es  wiederum  als  eine 
unbezweifelte ,  tägliche  Erfahrung  hin,  dass  Männer  von 
Feen  geliebt,  bereichert  und  im  Falle  der  Untreue  em- 
pfindlich gestraft  werden.  An  einer  andern  Stelle  fuhrt 
er  Weiber  als  Zeugen  an,  dass  sie  selbst  dem  Flug  der 
Lamien  über  Berg  und  Thal  beigewohnt  haben  und  dass 
diejenige,  die  den  Namen  Christus  ausgesprochen,  sogleich 
herabgestürzt  sei;  ja  er  selbst  will  eine  Frau  gesehen 
haben,  die  bei  solcher  Veranlassung  um  Mittemacht  in 
die  Rhone  herabfiel.  Auch  laufen  Weiber  des  Nachts  in 
Katzengestalt  umher,  und  wenn  man  sie  verwimdet,  finden 
sich  am  Morgen  nach  ihrer  Rückverwandlung  noch  die 
Spuren.  Leibnitz  spricht  unsem  Schriftsteller  nicht  frei 
von  einer  gewissen  Lust  am  Lügen.  In  der  That  leuchtet 
aus  vielen  seiner  Erzählungen  eine  imangenehme  Absicht- 
lichkeit hervor,  wie  z.  B.  aus  der  folgenden:  Die  edle 
Frau  V.  Espervel  pflegte  bei  der  Messe  sogleich  nach  Ver- 
lesung des  Evangeliums  sich  zu  entfernen,  denn  die  Con- 
secration  des  Leibes  Jesu  war  ihr  zuwider.  Als  nun  eines» 
Tages,  während  der  Priester  consecrirt,  der  Gemahl  die 
Dame  mit  Gewalt  zurückhalten  will,  wird  sie  plötzlich  von 
einem  teuflischen  Wehen  (spiritu  diabolico)  emporgehoben, 
reisst  einen  Theil  der  Kapelle  mit  sich  in  den  Abgrund 
und  ist  auf  immer  verschwunden.  „In  dieser  Geschichte, 
o  glücklicher  Kaiser,  —  fahrt  Gervasius  fort,  —  magst 
du  ein  Zeugniss  finden  für  diejenigen,  die  an  die  gott- 
lichen Sacramente  glauben,  und  gegen  jene,  die  in  der 
Unreinigkeit  so  weit  gehen,  dass  sie  die  durch  die  Hand 
der  heutigen  Priester  verwalteten  Sacramente»  verachten. 
als  wenn  die  Würdigkeit  oder  Unwürdigkeit  dos  Mini- 
stranten auf  die  Wahrheit  und  Kraft  des  Sacramcnts  irgend 
einen  Einfluss  übte.**  Der  Christ,  —  heisst  es  am  Schlüsse, 
-  soll  sich  nicht  mit  dem  blossen  Evangelium,  dem  Gc»- 
hrir  und  (Ut  Epistel  zufriedenstellen,  er  soll  auch  die  ihm 


Die  Teufelsbuhlschaft.  785 

obliegenden  Leistungen  nicht  vergessen,  insbesondere  den 
Zehnten  gehörig  entrichten. 

Ein  noch  bedeutenderer  Zeuge  des  Teufels-  und  Dä- 
monenglaubens seiner  Zeit  ist  der  Cisterciensermönch  Cä- 
sarius,  der  den  Nam^n  des  ELlosters  Heisterbach  bei 
Bonn  trägt,  und  zwischen  den  Jahren  1240  und  1250  ge- 
storben ist  ^).  Derselbe  hielt  es  für  ganz  nützlich ,  den 
Unterricht,  welchen  er  als  Mönch  des  Klosters  den  No- 
vizen desselben  ertheilte,  durch  Vorführung  von  Beispielen 
aus  dem  Leben  und  durch  sonstige  Erzählungen,  die  er 
aus  dem  Munde  der  Leute  gesammelt  hatte,  lebendig  zu 
machen.  Auf  Befehl  seines  Abtes  trug  er  (um  1222)  nun 
alle  diese  Erzählungen  in  ein  Manuscript  zusammen,  dem 
er  die  (freilich  wenig  gelungene)  Form  eines  Gesprächs 
zwischen  einem  Mönch  und  einem  Novizen  gab.  So  ent- 
stand sein  zwölf  Abtheilungen  (Distinctiones)  umfassender 
Dialogus  miraculorum  *).  Es  gibt  kaum  ein  zweites  Werk 
des  Mittelalters,  welches  mit  solcher  Anschaulichkeit  das 
Denken  und  Leben  der  Zeit  darlegte  wie  dieser  Dialogus 
des  Cäsarius  von  Heisterbach.  Die  Distinctio  „de  daemo- 
nibus"  lässt  ims  namentlich  den  Teufelsglauben,  der  die 
abendländische  Christenheit  in  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts beherrschte,  auf  das  Genaueste  erkennen.  Wir 
ersehen  es  hier  aus  einer  Legion  von  Erzählungen,  wie 
nach  der  Ueberzeugung  aller  Schichten  der  Gesellschaft 
jener  Zeit  der  Teufel  mit  seinen  Dämonen  überall  in  die 
Angelegenheiten  des  Menschen  eingreift  und  überall  die 
Hand  im  Spiel  hat.  Er  erscheint  bald  in  Thier-  (Kröte, 
AflFe,  Hund,  Katze  etc.)  bald  in  Menschengestalt,  und  zwar 
ebenso  als  Weib  wie  als  Mann.     Ist  es  ihm  um  die  Ver- 


*)  V^l.  die  beiden  gleich  tüchtigen  Schriften ;  /4.  Kaufmann,  Cäsarius  von 
Heisterbach,  ein  Beitrag- zur  Kulturgesch.  des  12.  und  13.  Jahrhunderts.  2.  Aufl. 
Cftln,  1862  und  De  dialogus  Miraculorum  van  Caesarius  von  Heisterbach  — 
door  Aem.  W.  IVybrands  (letztere  in  den  Studien  en  Byd ragen  von  W.  Moll 
en  de  Hoop  Scheffer,  II.    1871,  S.   1  —  1 16). 

*)  Neueste  Ausgabe  der  Schrift  :  Caesarii  Heisterbacensis  Monachi  ordinis 
Cisterciensis  Dialogus  niiracutorum,  recogn.  Joscphus  Strange,  Coloniae,  1851. 
Ueber  die  älteren  Ausgaben  vgl.  Potthast's  „Wegweiser"  S.   179. 


l36  Zehntes  Kapitel. 

fühning  einer  Frau  oder  eines  Mädchens  zu  thun,  so  tritt 
er  als  schmucker  Reitersmann  hervor.  Sonst  erscheint  er 
auch  als  Mohr,  als  Drache  etc.,  immer  aber  fehlt  ihm  der 
Rücken.  Macht  er  sich  mit  Weibern  zu  schaffen,  so  ist 
er  ein  Incubus,  während  er  sich  bei  Männern  zum  Jucubus 
macht.  Die  Unzucht  ist  überhaupt  eine  Hauptseite  im 
Verkehr  des  Teufels  mit  Menschen.  Dabei  werden  Frauen 
oft  von  Teufeln  gemissbraucht,  ohne  dass  die  daneben  im 
Bette  liegenden  Ehemänner  etwas  davon  merken.  Der 
Teufel  und  die  Dämonen,  —  die  immer  um  uns  herum 
sind,  —  können  dem  Menschen  an  Leib  und  Seele  und 
an  Allem  schaden,  was  er  hat.  Schutzmittel  gegen  die 
Anläufe  der  Bösen  sind:  das  Zeichen  des  Kreuzes,  Weih- 
wasser, geweihtes  Wachs,  Weihrauch,  Gebet  und  das  Aus- 
sprechen des  christlichen  Glaubensbekenntnisses. 

Der  Teufel,  den  uns  Cäsarius  malt,  ist  aber  nicht  ein 
Mephistopheles  voll  Menschenkenntniss,  Erziehung  und 
feiner  Berechnung;  er  ist  gleichsam  der  Teufel  in  den 
Flegeljahren,  plump,  hochfahrend  und  trotzig,  prahlend, 
gewaltthätig  wie  ein  nordischer  Recke,  oft  linkisch  in  der 
Wahl  seiner  Mittel  und  zuweilen  sogar  so  schwach,  dass 
er  das  geg"ebene  Wort  hält  oder  Gnade  für  Gewalt  er- 
gehen lässt.  Er  buhlt  mit  Männern  als  Weib  und  mit 
Weibern  als  Mann,  misshandelt  die  Widerstrebenden  mit 
Fauststössen,  und  betet,  wenn  er  Jemanden  treuherzig  machen 
will,  das  Vater  Unser,  jedoch  mit  Auslassungen  und  gram- 
matischen Fehlern ,  auch  das  Credo,  aber  falsch ').  Viele 
Geschichten  haben  es  zur  besondern  Aufgabe,  den  Cister- 
cienserorden  auf  eine  nicht  sehr  bescheidene  Weise  anzu- 
preisen *). 

*)  So  verhAhnt  er  auch  bei  Matthäus  Paris  (ad  ann.  I151)  den  chmt- 
liehen  Kulttis,  indem  er  beim  Hochamte  auf  Pfingsten  in  Gegenwart  Kon> 
rad's  HI.  plötzlich  in  den  Gesang  einfallt  und  den  letzten  Vers  der  Se<]UeDZ 
parodirt. 

*)  Ks  mA^en  noch  einige  Proben  im  Auszuge  folgen. 

Lib.  1.  cap.  32.  Einem  schwer  begreifenden  Studenten  zu  Paris  erscheint 
der  Satan:  Visne  mihi  facere  homagium?  et  ego  tibi  dabo  scientiam  omniuni 
litcrarum.  Der  Student  leistet  zwar  das  Homagium  nicht,  erh&U  aber  doch 
einen  Stein,    dessen  Kraft    ihm    bald    im  Wissen    einen    Vorsprting   vor  allen 


Die  Teufelsbuhlschaft.  187 

Dieser  Teufelsgflaube,  dem  wir  vom  Anfange  des  drei- 
zehnten Jahrhunderts    die  ganze  abendländische  Christen- 


Uebrigen  gibt.  Er  wird  krank,  beichtet  und  stirbt.  Die  Teufe!  werfen  seine 
Seele  wie  im  Ballspiele  über  das  Thal  Gehenna  herüber  und  hinüber.  Der 
Herr  erbarmt  sich  und  befiehlt,  die  Seele  loszugeben,  diese  kehrt  in  den  Körper 
zurück,  worauf  der  Mensch  Cistercienser  wird  und  durch  sein  strenges  Leben 
bis  zum  Abte  steigt. 

Cap.  33.  Zwei  junge  Leute  studiren  zu  Toledo  die  Nekroniantie.  Der 
eine  stirbt  und  erscheint  dem  andern,  während  dieser  in  der  Kirche  vor  dem 
Marienbilde  Psalmen  fiir  die  Seele  des  Verstorbenen  liest,  offenbart  ihm,  dass 
er  selbst  wegen  der  erlernten  Teufelskunst  ewig  verdammt  sei,  und  mahnt  den 
Gefährten  zu  aufrichtiger  Bekehrung.  Auf  die  Frage  nach  dem  besten  Heib- 
wege  erwiedert  er:  Non  est  via  securior,  quam  Ordo  Cisterciensis,  neque  inter 
oinne  genus  hominum  pauciores  descendunt  ad  infcros,  quam  personae  re- 
ligionis  illius.  Der  Freund  gibt  also  die  Nekroniantie  auf  und  wird  Cister- 
cienser. 

Cap.  34.  Landgraf  Ludwig  HL  von  Thüringen  setzte  ein  Gehöfte  als 
Belohnung  für  denjenigen  aus,  der  ihm  Ober  die  Seele  seines  verstorbenen 
Vaters,  Ludwigs  des  Eisernen.  Nachricht  bringen  würde.  Ein  in  der  Nekro- 
mantie  erfahrener  Pfaffe  rief  den  Teufel  und  stellte  ihm  die  Sache  vor;  dieser 
gab  sein  Wort,  den  Clericus  nicht  in  Gefahr  zu  bringen,  trug  ihn  rittlings 
an  eine  Art  von  Brunnenschacht,  aus  dem  die  höllischen  Flammen  schlugen 
und  wo  er  ihn  gegen  die  Angriffe  der  andern  Teufel  schützte.  Jetzt  erschien 
die  Seele  des  Landgrafen  im  Feuer  und  verordnete  zu  ihrer  Erleichterung 
die  Röckgabe  der  mit  Unrecht  der  Kirche  entzogenen  Güter,  Der  Clericus 
brachte  die  Botschaft  zurück,  war  aber  durch  den  Anblick  der  Höllenstrafen 
so  erschüttert  worden,  dass  er  sich  bekehrte  und  in  den  Orden  der  Ci- 
stercienser trat. 

Lib.  III.  cap.  6,  Der  Teufel  erscheint  einer  frommen  Jungfrau  in  Bra- 
bant  als  schöner,  geschmückter  Mann  und  will  sie  durch  Geschenke  zur  Un- 
zucht verführen.  Sie  widersteht  und  er  muss  bekennen ,  dass  er  der  Teufel 
ist.  Sie  fragt  dann :  Quid  ergo  exigis  carnale  conjugium ,  quod  naturae  tuae 
dinoscitur  esse  contrarium  ?  At  ille :  Tu  tantum  mihi  consenti,  nihil  aliud  a  te 
nisi  copulae  consensum  requiro.  Er  wird  mit  dem  Kreuzeszeichen  verjagt, 
kommt  aber  von  Zeit  zu  Zeit  wieder.  Dieser  Teufel  ist's,  der  keinen  Rücken 
hat  und  das  Vater  Unser  betet, 

Cap.  7.  Ein  Weib  bei  Nantes  hat  sechs  Jahre  lang  Umgang  mit  dem 
Teufel,  der  sie  Öfters  sogar  ungesehen  an  ihres  Mannes  Seite  besucht.  Im 
siebenten  Jahre  beichtet  sie  und  wird  durch  den  heil.  Bernhard  gerettet. 

Cap.  8.  Der  Teufel  verführt  eines  Priesters  Tochter  zu  Bonn;  diese 
gesteht  endlich  dem  Vater  den  schändlichen  Umgang  und  wird  über  den 
Rhein  geflüchtet.  Der  Teufel  erscheint  dem  Priester:  Male  sacerdos,  quare 
abstulisti  mihi  uxorem  meam?  und  stösst  ihm  auf  die  Brust,  dass  er  nach 
drei  Tagen  stirbt« 


l88  Zehntem  Kaiiitd. 

heit  ergeben  sehen,  war  die  Basis,  auf  der  sich  der  Hexen- 
glaube und  der  Begriff  des  Hexenwesens  gestaltete.  Zur 
Zeit  jedoch  war  dieser  noch  nicht  entwickelt.  In  Heister- 
bach's  Auseinandersetzungen  und  Erzählungen  tritt,  was 
wohl  zu  beachten  ist,  die  Idee  eines  eigentlichen,  dauern- 
den Teufelsbundes  noch  nicht  hervor.  Allerdings  sucht 
sich  der  Teufel  des  Menschen  zu  bemächtigen,  und  ist  ihm 
dieses  gelungen,  so  verlangt  er  von  demselben  das  Ho- 
magiura.  Auch  erinnern  die  seltsamen  Gaben,  welche  er 
dafür  bietet,  an  die  im  sechzehnten  Jahrhundert  landläuBg 
gewordenen  Vorstellungen  von  der  Dankbarkeit  des  Teu- 
fels. Auch  der  Gedanke  der  Teufelsbuhlerei  ist  bereits 
vollständig  ausgebildet;  die  übrigen  Momente  des  Hexen- 
glaubens dagegen  fehlen  noch.  Man  weiss  noch  nichts  von 
einem  Teufelsbündniss,  durch  welches  sich  der  Mensch 
für  immer  von  Gott  los-  und  dem  Teufel  zusagt ,  man 
nimmt  auch  nicht  an,  dass  die,  welche  sich  dem  Teufel 
ergeben  haben ,  mit  Hilfe  desselben  oder  mit  teuflischen 
Hilfsmitteln  Anderen  Schaden  thun ,  sondern  man  weiss 
nur,  dass  es  Besessene  gibt,  in  deren  Körper  der  Teufel 
oder  dessen  Dämonen  so  Eingang  gefunden  haben,  dass 
sie  nun  das  Böse  und  Boshafte  durcli  diese  als  durch  ihre 
Werkzeuge  selbst  thun. 

Ca[).  lo.  Zu  Prüm  htxttlll  rin  liiderliclirr  Schola-slicus  via  \\ti\i  lu 
sicli.  Sl.iU  ilin-r  koiuiiit  ilci  leuM  ;  am  aaJcni  Morien  rra^I  er  ilru  Men-scIiFii . 
Cum  i|U(i  pulas  ic  hac  imcte  jaciiissi-'  —  ..tum  tali  reniina."  —  Nf'iua^kwm, 
!icd  cum  dtaboUi '. 

Cjp.  11.  Der  Teufel  will  lu  Sucsl  nh  Weib  mit  oini-iii  Manne  buhirn. 
da  dieser  sich  wtinnt,  tOhrl  er  ihn  iluich  dk  l.uR  und  wirft  ihn  lu  Boden. 
dju  nach  Jalircsfri.tl  der  l'i»!  erfulRl. 

Lili.  V.  cap.  4.  Deul.tehe  JüduIiiikc  ,  fu  Toleilu  dem  Studium  der  Ne- 
Itromantic  cruelicn.  lassen  sich  aus  NeiiKictdt-  vom  Meisler  die  Teufel  citiren. 
einer  streikt  den  Kinuer  Ober  den  /auhvrkrcis  hinaus,  v/M  erKrüIen  und  in 
KCsclilcppt.  Zwar  ward  er  auf  Verwenduni;  des  Mcislert  wieilci 
frtrl,  lirlliL-ll  iber  ein  blasses  Ucsiclil. 

Cap.  .Vi.     Ein  Glrvckner    lu  Kfi\a    trill    in   die  Kirche,    um   den  Uomen 

Hüten.  Ucr  Teufel  in  Ochse n^ei^tall  cntlühn  ihn  und  slelll  ibn  auf  dw 
Zinne  lies  Schloswi  lienbui):^  F«c  mihi  hnni.-if{ium.  et  c)^  le  dep(>nani.  Der 
bleibt  standhält  und  tiehl  «ich  difQr  ziemlich  unsanlt  auf»  Feld  niejei- 
gewurlvD. 


ELFTES     KAPITEL. 


Die  öffentliche  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz 

im  dreizehnten  Jahrhundert. 

Im  Laufe  der  Jahrhunderte  hatten  sich  die  religiösen 
Vorstellungen  der  abendländischen  Christenheit  unter  der 
Leitung  der  Hierarchie  allmählich  vielfach,  zum  Theil  von 
Grund  aus  geändert.  Namentlich  war  dieses  bezüglich 
der  kirchlichen  Lehre  vom  Teufel  und  dessen  Dämonen 
der  Fall.  Das  eigentlich  christliche  Element,  welches  die 
ursprüngliche  Lehre  der  Kirche  vom  Teufel  und  dessen 
Dämonen  charakterisirt  hatte,  war  durch  die  Hierarchie 
aus  derselben  entfernt  worden.  Die  evangelische  Ver- 
kündigung der  Väter  und  der  Kirche  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten: „Unser  Glaube  ist  der  Sieg,  der  alle  Teufel 
und  Dämonen  überwindet,*'  war  zum  Schweigen  gebracht, 
und  das  Gebot  des  Kirchenvaters  Hermas :  „Ihr  sollt  den 
Teufel  nicht  furchten"  hatte  die  Hierarchie  in  das  ent- 
gegengesetzte Gebot  umgewandelt.  Die  alte  Kirche  war 
von  dem  fröhlichen  Bewusstsein  erfüllt  gewesen^  dass  der 
Christ  über  Dämonen  Gewalt  habe  und  dass  der  Teufel 
vor  ihm  fliehen  müsse;  in  der  Kirche  des  Mittelalters  da- 
gegen ging  der  Glaube  um,  dass  der  Teufel  und  dessen 
Dämonen  mit  göttlicher  Zulassung  in  allerlei  Weise  auch 
über  den  Christen  Gewalt  hätten,  w esshalb  der  Christ  vor 
der  Tücke   derselben    und    ihrer    Verbündeten    unter    den 


IQO  Elftes  Kapitel. 

Menschen  nirgends  sicher  wäre.  —  An  die  Stelle  der 
christlichen  Lehre  von  dem  Teufel  und  dessen  Reich 
gewann  daher  allmählich,  mit  Verdrängung  derselben,  der 
heidnische  Dämonismus  wieder  Platz. 

Hierdurch  allein  wurde  es  möglich,  dass  auf  der  Grund- 
lage der  Lehre  vom  Teufel  die  Lehre  von  der  Zauberei 
und  Hexerei,  welche  in  späteren  Jahrhunderten  die  Völker 
des  Abendlandes  beherrschte  und  zerfleischte,  erwachsen 
und  dass  sie  die  Bedeutung  und  Ausdehnung  gewinnen 
konnte,  in  der  sie  sich  uns  geschichtlich  darstellt.  Doch 
hat  dabei  die  Stellung ,  welche  die  Hierarchie  zur  Ketzerei 
einnahm,    wesentlich  mitgewirkt. 

Auf  die  bisherigen,  in  der  öiFentlichen  Meinung  der 
Kirche  feststehenden  Ketzergräuel  war  freilich  der  Name 
der  Zauberei  zur  Bezeichnung  des  Ganzen  noch  nicht 
angewandt  worden;  nur  Gerüchte  von  einzelnen  Zauber- 
übungen wurden  im  Gefolge  der  übrigen  Beschuldigungen 
laut,  wie  denn  unter  Anderen  bezüglich  der  Stedinger 
neben  den  angeblichen  Beweisen  von  trotzigem  Ungehor- 
sam, thierischer  Rohheit  und  Mordlust  auch  das  Befragen 
von  Wahrsagerinnen  und  das  Verfertigen  magischer  Wachs- 
bilder genannt  wird.  Doch  haben  wir  uns,  indem  wir  die 
progressive  Ausbildung  der  Ketzermärchen  schrittweise 
begleiteten,  zu  einem  Punkte  hingeführt  gesehen,  von  wel- 
chem aus  es  nicht  mehr  als  Sprung  erscheinen  darf,  wenn 
zu  jenen  Gräueln  jetzt  auch  noch  der  Vorwurf  verderb- 
licher Zauberkünste  als  wesentliches  und  sogar  überwie- 
gendes Moment  in  der  Weise  hinzutritt,  dass  er  dem  aus 
dieser  Vermischung  entstehenden  Ganzen  den  Namen  gibt, 
und  dass  unter  der  generalisirten  Benennung  der  Zauberei 
jene  Ketzerlaster  hinfort  in  der  Regel  als  mitinbegriflFen 
verstanden  werden.  Vernehmen  wir  zuvörderst,  wie  der 
Dominikaner  Nicolaus  Jaquier,  ein  Schriftsteller  des 
fünfzehnten  Jahrhunderts,  die  Ketzereien  seiner  Zeit  charak- 
terisirt  ^) !  Er  berichtet  von  einer  neu  entstandenen  Sekte, 
die  an  Verruchtheit  alle  bisherigen  Ketzer  weit  überbiete: 


*)  In  s,  Flagellum  haereticorum  fascinariorum,  geschrieben   1458. 


Die  öffentl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im  13.  Jahrh.       igi 

bei  ihr  gehe  alles  aus  bösem  Willen,   nichts  aus  Irrthum 
hervor.     Sie    versammeln   sich    an    bestimmten   Tag'en   zu 
einem  Teufelskulte  (synagoga  diabolica),  wo  man  den  Bösen 
in  Bocksgestalt  anbete  und  Unzucht   mit  ihm  treibe.     Ihr 
Hauptbestreben  sei,  im  Dienste  des  Teufels  den  katholischen 
Glauben  anzufeinden,  weil  dieser  allein  selig  mache.    Darum 
werde  zwar  von  dem  aufzunehmenden  Juden  und  Muham- 
medaner  die  Verläugnung  des  väterlichen  Glaubens  nicht 
gefordert,   der  Christ  dagegen  müsse,    wie   er   einst  bei 
der  Taufe  dem  Teufel  entsagt,  nun  Gott  und  seinem  Dienste 
absagen,  das  Kreuz  anspeien  und  treten,  Abendmahl  und 
Weihwasser  lästern,    dem  Teufel   durch   Kuss   und  Knie- 
beugen Ehre  erweisen,    ihn  als  Herrn  erkennen  und  nach 
bestem  Vermögen  mit  Opfern  bedenken.     Bis  hierher  hat 
sich  Jaquier  noch  nicht  von  Bekanntem  entfernt;  nun  fügt 
er  aber  hinzu,  dass  diese  Ketzer  in  ihren  Teufelssynagogen 
vom  Satan  allerlei  Zaubermittel   empfangen  und  sich  ver- 
pflichten, durch  dieselben  ihren  Mitmenschen  in  jeder  Weise 
zu   schaden,    indem  sie  Krankheiten,   Wahnsinn,    Sterben 
unter  Menschen  und  Thieren,  männliches  Unvermögen  und 
weibliche  Unfruchtbarkeit,  Verderben  der  Saaten  und  an- 
derer zeitlichen  Güter  veranlcissen.     Diejenigen  Menschen 
nun,  die  sich  zu  dem  beschriebenen  Kultus  bekennen,  bil- 
den   nach  Jaquier's  Ausdruck  die  Ketzer-  und  Zauber- 
sekte (secta  et  haeresis  maleficorum  fascinariorum).   Auch 
in    den    angeführten    magischen  Wirkungen  ist,    wie  man 
sieht,    nichts  Neues;    eine   geschlossene  Zaubersekte 
aber  mit  festbestimmtem  Kult  und  Streben  war  den  früheren 
Zeiten    ein    eben   so  undenkbares  Ding,    als    eine  Häresis 
der  Mörder,    Diebe   imd  Brunnenvergifter.     Auch  ist  sich 
Jaquier  dessen  wohl  bewusst;   die  Zauberketzer  sind,  wie 
er   selbst   bemerkt,    erst   in    neueren   Zeiten    (modernis 
temporibus)  entstanden.     Gewinnen  wir  für  diese  wichtige 
allgemeine  Zeitangabe  eine*  nähere  Bestimmung  durch  den 
Inquisitor  Bernhard  von  Como*),  welcher  die  Sekte  der 


*}  „Praedicata  auteni  strigum    secta   pullulare   coepit   tantuinmodo  a  cen- 
tum  quinquaginia  annis  citra,  ut  apparet  ex  prucessibus  Inquisitorum  antiquis. 


IQ2  Elftes  Kapitel. 

Hexen  (secta  strigarum),  —  was  mit  obiger  Bezeichnung 
gleichbedeutend  ist,  —  aus  der  ersten  Hälfte  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  datiren  lässt,  so  ist  hiermit  im 
Allgemeinen  die  Epoche  bezeichnet,  in  welcher  zuerst  aus 
Ketzerei  und  Zauberkünsten  jenes  eingebildete  Monstrum 
zusammengesetzt  worden  ist,  das  unter  dem  Namen  der 
Hexerei  mehr  als  vierhundert  Jahre  hindurch  so  vieles 
unschuldige  Blut  geopfert  hat. 

Das  traurige  Verdienst,  das  Ketzer-  und  Zauberwesen 
zu  dem  Ganzen  der  Hexerei  theoretisch  vereinigt  und  die 
Hexenprozesse  der  neuern  Zeit  in  Gang  gebracht  zu  haben, 
gebührt  den  Inquisitoren  und  ihren  gelehrten  Schildträgem. 
Um  diesen  Satz  in  helleres  Licht  zu  stellen,  werden  wir 
zuvor  auf  das  Verhältniss  der  Magie  zu  der  öffentlichen 
Meinung  und  dem  Strafgesetze  in  der  den  Hexenprozessen 
zunächst  vorangehenden  Zeit  einen  Blick  werfen,  um  so- 
dann aus  der  eigenthümlichen  Lage  der  Inquisitoren  die 
Ursachen  zu  entwickeln,  welche  so  Verderbliches  zur  Er- 
scheinung gebracht  haben. 

Die  Kreuzzüge  haben  der  christlichen  Welt  unter  an- 
dern auch  den  wesentlichen  Dienst  erwiesen,  dass  sie  die- 
selbe der  arabischen  Bildung  näher  brachten.  Um  die 
Wette  sieht  man  Deutsche,  Franzosen  und  Engländer  zu 
den  Schulen  von  Toledo  und  Cordova  wallfahrten  und  be- 
reichert  an  mathematischen,  physikalischen,  mechanischen, 
chemischen  und  medizinischen  Kenntnissen  heimkehren. 
An  die  Namen  eines  Roger  Baco ,  Albert  von  Bollstädt, 
Raimund  Lullus,  Peter  von  Apono,  Arnold  von  Villeneuvc 
u.  A.  knüpfen  sich  dankbare  Erinnerungen  in  dieser  Be- 
ziehung. Die  bequemeren  arabischen  Zahlzeichen  kamen 
jetzt  in  allgemeineren  Gebrauch,  gleichzeitig  bemächtigte 
sich  die  Scholastik  durch  Alexander  von  Haies  der  Ar- 
beiten der  Araber  über  den  noch  kurz  vorher  zum  Feuer 


()ui  sunt  in  archivis  Iniiuisitionis  nostmc  Comensis."  Bernard.  Comens.  Trac- 
tat.  de  Strigibiis,  in  den  Ausgaben  des  Malleus  maleficaruni  t^ewöhnlich  mit 
ahwcdruckt.  —  Bernhard  wirkte  in  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts; seinen  Tod  setzt  Que/if  (Script,  ordinis  Praedicat,  reccns  rom.  11. 
pag.  22)  ungefähr  ums  Jahr   1510. 


Die  ftffentl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im   13.  Jahrh.       igi 

verurtheilten  Aristoteles,  und  Friedrich  IL  verbreitete  die 
Schriften  dieses  Philosophen  nach  Uebersetzungen  aus  dem 
Arabischen.  Wenn  sogar  der  Dominikaner  Raimund  von 
Pennaforte  das  Studium  der  arabischen  Literatur  empfeh- 
len konnte  und  die  Synode  zu  Vienne,  wo  Clemens  V. 
den  Templerorden  verdammte,  Lehrstühle  für  dieselbe  zu 
errichten  beschloss,  so  erhellt  daraus,  dass  man  selbst  von 
Seiten  der  Kirche  die  Nothwendigkeit  der  Sache  tief  ge- 
nug fühlte,  um  sie  nicht  aus  dem  einseitigen  Grunde  zu 
verdammen,  weil  sie  gerade  von  den  Ungläubigen  stammte. 
Aber  mit  dieser  Ausbeutung  des  Orientalischen  war 
das  doppelte  Uebel  verbunden,  dass  nicht  nur  die  Ge- 
lehrten selbst  mit  dem  Guten  auch  mannichfache  Ver- 
irrungen  herüberbrachten,  sondern  dass  auch  das  Richtige, 
das  sie  gaben,  bei  der  Menge  vielfaltiger  Missdeutung 
unterlag.  So  heftete  sich  an  die  Fortschritte  einer  erleuch- 
teteren Medizin  die  Verbreitung  der  Astrologie;  Alphons  X. 
war  ihr  grosser  Verehrer,  Friedrich  IL  vollzog  sein  Bei- 
lager mit  Lsabelle  von  England  genau  in  der  von  den 
Astrologen  bestimmten  Stunde,  und  es  war  damals  über- 
haupt verbreitetes  Vorurtheil,  dass  der  Arzt  ohne  Merkung 
der  Constellation  weder  Brechmittel,  noch  Aderlass  ver. 
ordnen  dürfe  ').  Die  Chemie,  so  verdient  um  die  Pharma- 
kologie, konnte  sich  nicht  losringen  von  dem  alchymisti- 
schen  Anstriche,  den  ihr  schon  Dschaffar  gegeben  hatte; 
man  träumte  fortwährend  von  der  Möglichkeit  der  Metall- 
verwandlung und  der  Gewinnung  eines  lebensverlängemden 
Elixirs  oder  einer  Panacee,   welche   einige  sogar  in  einer 


*)  Der  Glaube  an  Astrologie,  Alchymie,  Amulete  und  die  ausserordent- 
lichen Heilkräfte  gewisser  Kr5uter  und  Steine  wurde  l»esonders  von  All>ert  d.O. 
«eslötzt.  indem  er  zwar  in  Umfang  und  Begründung  von  den  arabischen  Lehrern 
abwich,  aber  das  Wesen  dieser  Künste  in  der  Hauptsache  gelten  liess.  S.  Mei- 
ntrs  Histor,  Vcrgleichung  der  Sitten  etc.  des  Mittelalters,  Th.  11.  S.  694. 
Ucljer  die  Geltung  der  Astrologie  inst>esondere  im  dreizehnten  Jahrhundert  s. 
Mtiners  Th.  Hl.  S.  198  ff.  Nicht  minder  war  Baco .  der  neben  der  Macht 
4er  Sterne  die  Freiheit  des  menschlichen  Willens  bestehen  licss,  der  Astrologie- 
ergeben. 

6ol4an-Heppe,  Hexenprozesse.  ^ 3 


X  QA  Elftes  Kapitel. 

Goldauflösung  u.  dergl.  gefunden  zu  haben  wähnten.  Der 
Physik  und  Mechanik  mass  selbst  der  scharfsinnige  Roger 
Baco  in  ihrem  damaligen  Zustande  Wirkungen  bei,  wie 
sie  die  Montgolfieren  und  Dampfmaschinen  der  heutigen 
Zeit  noch  bei  weitem  nicht  erzielt  haben. 

Aber  auf  der  andern  wSeite,  welche  imponirenden  That- 
sachen  hatte  nicht  die  Wissenschaft  jener  Zeit  in  Wirk- 
lichkeit dem  Volke  entgegenzuhalten !  Wenn  die  fortge- 
schrittene Pharmakologie  Wunden  heilte,  wo  der  Grabes- 
vorhang des  heiligen  Martin  vergebens  aufgelegt  worden 
war,  war  diess  nicht  schon  ein  halber  Beweis  für  den  Satz 
von  der  Lebenstinktur?  Wenn  Baco  kühn  die  Ahnung 
aussprach,  dass  auch  ein  schwererer  Körper  unter  gewissen 
Bedingungen  sich  in  die  Luft  zu  erheben  vermöge,  schien 
er  damit  nicht  sagen  zu  wollen,  dass  er  diess  mit  seinem 
eigenen  Leibe  könne,  wie  einst,  der  verbreiteten  Sage  zu- 
folge, der  Magier  Simon  zu  Rom  gethan?  Wenn  Arnold 
von  Villeneuve  den  Weingeist  oder  dessen  Eigenschaften 
zuerst  kennen  lehrte,  schien  er  nicht  im  Besitze  der  Kunst 
Wasser  zu  verbrennen  ?  Und  wenn  Baco  vollends  yon 
einer  chemischen  Mischung,  in  der  wir  eine  schiesspulver- 
ähnliche  Substanz  erkennen  müssen,  Donner  und  Blitz,  die 
Vernichtung  eines  Heeres  und  die  Zerstörung  einer  Stadt 
verspricht,  thut  dann  der  Unkundige  zuviel,  wenn  er  an 
die  furchtbarste  Entladung  eines  landverheerenden  Ge- 
witters denkt?  Gewiss,  der  Gedanke  an  magische  Künstt» 
musste  hier  um  so  eher  kommen,  da  die  Gelehrten  sehr 
oft  nur  mit  den  Wirkungen  prunkten  und  die  Mittel  dazu 
in  unverständHche  Formeln  hüllten.  Man  nehme  z.  B.  das 
Rezept  zu  Baco's  explodirender  Substanz  ^),  oder  dasjenige, 
worin  Raimund  LuUus  Anweisung  gibt,  wie  man  aus  dem 
Merkur  der  Weisen  in  verschiedenen  Durchgängen  grüne 
und  rothe  Löwen,  cimmerische  Schatten,  einen  Drachen. 
der    seinen  Schweif  verschlingt,    und    endlich   brennendes 

')  SchI  taincn  salis  petrae  /.//r«  vo/>o  vir  can  ##/r/>/ sulphuris,  et  sie  facic« 
l'»nitrum  et  coriiscationeni,  si  scias  artificium.  y,  Dumas  die  Philosophie  «Ict 
Clu'niic      Ufher^et/.l  von   lyammclshcr'r.     Erste  Vorlesung  S.    17. 


Die  Öffentl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im   13.  Jahrh.       jqm 

Wasser  und  menschliches  Blut  gewinnen  soll,  womit,  nach 
Dumas,  nichts  anders  als  die  Gewinnung  des  Brenzessig- 
geistes  aus  Blei  dargestellt  ist^)!  Die  arithmetischen  Ta- 
bellen, die  mit  ihren  wenigen,  krausen,  ausländischen  Zeichen 
auf  die  schwierigsten  Fragen  augenblickliche  Antwort  ga- 
ben, waren  schon  ihrer  Natur  nach  für  die  Menge  ein 
unauflösliches  Räthsel.  Hieran  heftete  sich  nun  das  ver- 
grössernde  Gerücht.  Gerbert*s  metallener  Kopf,  der  vor- 
gelegte Fragen  beantwortet,  im  zwölften  Jahrhundert  zu- 
erst erwähnt  2),  wiederholt  sich  dann  bei  Roger  Baco  und 
wird  bei  Albert  d.  G.  gar  zu  einem  vollständigen  Men- 
schen, der  das  Verborgenste  enthüllt,  um  später  im  Pro- 
zesse der  Templer  wieder  zum  redenden  Kopfe  herabzu- 
steigen. Arnold  von  Villeneuve  bildet  bei  Mariana  gleich- 
falls einen  Menschen  auf  künstliche  Weise.  Peter  von 
Apono,  weil  er  in  den  sieben  freien  Künsten  so  sehr  be- 
wandert war,  muss  sieben  Familiargeister  in  einer  Flasche 
aufbewahren.  Gerbert's  Rechentisch,  den  er  den  Saracenen 
gestohlen  haben  sollte,  musste  jetzt  Belehrungen  über  die 
Bedeutung  des  Bingens  und  Fliegens  der  Vögel  und  über 
die  Heraufbeschwörung  der  Schatten  aiis  der  Unterwelt 
enthalten  ').  Von  Albert  d.  G.  lief  die  Sage,  er  habe  einst, 
um  den  Kaiser  Wilhelm  von  Holland  zu  bewirthen,  mitten 
im  Winter  auf  einer  Schneefläche  den  Frühling  mit  seinen 


')  Dumas  a.  a,  0.  S.  26. 

')....  de  Gerberto  fama  dispersit,  fudisse  sibi  statuae  caput,  certa  in- 
Npectione  siderum,  cum  videlicet  omnes  planetae  exordia  cursus  sui  meditaren- 
tur,  quod  nonnisi  interrogatum  loqueretur,  sed  verum  vel  affirmative,  vel  ne- 
gative pronunciaret.  Guil.  Malmesb.  11.  p.  67.  Ueber  diese  astrologischen 
Rüder  sagt  Johann  von  Salishury  (Policrat.  I.  11.);  Ad  tantam  deniqiie  tjui- 
dam  pcrvencre  vesaniam,  ut  ex  diversis  stellarum  positionibus  dicant  iniagincin 
ab  honiine  posse  formari,  quae  si  per  intervalla  temporum  et  quadam  pro- 
portionum  ratione  in  constellatione  servata  formetur,  stellarum  nutu  recipicl 
^plritum  vitae  et  consulentibus  occultae  veritatis  manifestabit  arcana. 

')  Gerbcrtus  ibi  (in  Sevilla)  quid  cantus  et  volatus  avium  portendit,  di- 
dicit;  ibi  excire  tenues  ex  Inferno  figuras,  ibi  postremo  quidquid  vel  noxium 
vel  salubre  curiositas  humana  deprehendit.  Abacum  certe  primus  a  Saracenis 
rapiens.  regulas  dedit,  quae  a  sudantibus  abacistis  vix  intelliguntur.  Guil. 
Malmesbur,  11.  p.  64.     Vgl.    Vicent    Bellovac.  Spec.  bist.  XXIV.  9«. 


iq5  Elftes  Kapitel. 

Blüthen    und  Genüssen  hervorgerufen   und   sogleich  nach 
der  Aufhebung    der  Tafel   wieder   verschwinden    lassen*). 
Ja,  von  Artephius,  der  im  zwölften  Jahrhundert  gestorben 
war,  wollte  man  wissen,  dass  er  mit  ApoUonius  von  Tyana 
eine    Person    gewesen   sei    und    folglich    durch   geheime 
Künste  über  tausend  Jahre   sein  Leben   hingehalten  habe. 
So  warf  sich  auf  diese  Männer  selbst  und  ihr  Treiben 
ein  Schein  des  Wunderbaren,  Uebermenschlichen,  und  es 
fragte  sich  nur,   ob  ihre  Wirkungen  von  Gott,    oder  vom 
Teufel   stammten;   denn  dass  sie  die  Frucht   des  eigenen 
Nachdenkens  und  der  Naturbeobachtung  sein  könnten,  fiel 
nur  Wenigen  ein.     Auch  Thomas  von  Aquino  glaubte  ent- 
schieden an  die  Wirklichkeit  der  Magie;  was  er  mit  Eifer 
gegen  die  Erlaubtheit  derselben   vorbringt,    ist  zum  Theil 
so  subtil,   dass  es  von   manchen  Verehrern  der  geheimen 
Wissenschaften  zu  Gunsten  derselben  umgedreht  wurde. 
Für  den  Teufel,   von  dem  das  Jahrhundert  voll  war,   ent- 
schied man  sich  immer  am  liebsten,  und  jedenfalls  dann, 
wenn  der  Inhaber  jener  Geheimnisse  zugleich  auch  einige 
wSelbstständigkeit  in  Religionssachen  mitgebracht  hatte  und 
es  sich  herausnahm,  dem  Pfaffenthum  und  der  Orthodoxie 
entgegenzutreten,  wie  Roger  Baco,  Peter  von  Apono  und 
Arnold    von  Villeneuve.     Zu    milderem    Urtheil    war    man 
geneigt,  wo  etwa  scholastische  Verdienste  um  die  Stützung 
d(*s  Dogma's  vorlagen,  wie  bei  Albert  d.  G.,  oder  ein  Re- 
kehrungseifer   wie  bei  Raimund  LuUus.     Wusste    man  ja 
von    Alb  ort,    dem    grossen    Lehrer    des    noch    grösseren 
Thomas,  dass  die  heilige  Jungfrau  ihm  die  Gnade  verliehen 
hatte,  alle  Wissenschaft  der  Philosophen  zu  lernen,  ohne 
am  wahren  (xlauben  Schaden  zu  nehmen,  und  dass  er  über- 
(lic»ss    fünf  Jahre    vor    seinem    Ende   seine   ganze    Weisheit 

*)   TritUnheim  (T7.ähll  <liess  in  Chron.  Uirsau^;.  ad  ann.  1254  nach  Jt^anm 
.//'    I^crka  (^hronicon    Kpiscopor.  Traject.  T>cruleichcn    zauberische  IVncht- 

ni.ililr  knnntc  licreits  «las  Altcrthun».  r>asjrniKo,  wcichfs  hei  Phihttratm  (im 
I.'lirn  iWs  Apnlloniu««)  <lic  Knipu^n  it»rcm  BrSntiKaiii  Mrnippus  >:iM,  '\<i  ot^n 
tTW;Uint  wcnlrn.  Atirh  d<*r  Ki/./aiihcpr  Pases  war  ah  ein  v>loher  Ga*5ig^h«T 
iM'kaniit  iStti,/  r*.  IIot-^Yj^K  vt>n  den  .»i:yp(i<cli*'n  Zaul»erem  erzählt  Aehnlich*^ 
t>/ /;,.»/«•'   c.  L>U.   I.  3H2. 


Die  6ffentl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im   13.  Jahrh.      igy 

freiwillig  wieder  vergessen  hatte,  um  eines  christlichen 
Todes  desto  sicherer  zu  sein.  Seine  Magie  ward  darum 
auch  für  eine  natürliche  erklärt,  wie  er  selbst  diese  Be- 
zeichnung schon  gebrauchte*). 

Das  Beispiel  reizte  zur  Nachahmung.  Viele  wären 
gerne  im  Besitz  der  Künste  gewesen,  die  mah  an  Albertus 
und  Anderen  pries;  was  diese  auf  dem  von  der  Menge 
ungeahnten  Wege  der  Forschung  erreicht  hatten,  erstrebte 
man  auf  dem  Wege  abergläubischer  Gebräuche;  man 
suchte  die  alten  theurgischen  Uebungen  hervor,  mischte 
sie  mit  dem  Ceremoniell ,  mit  welchem  die  Priester  seit 
Jahrhunderten  Geister  gebannt  und  andern  Unfug  getrieben 
hatten,  und  gedachte  hiermit  zur  Herrschaft  über  die 
Geister  und  die  von  diesen  repräsentirten  Naturkräfte  sich 
zu  erheb.en.  So  kam  dasjenige  in  Gang,  was  man  weisse 
Magie  oder  weisse  Kunst  nannte.  Trotz  ihrer  steten 
Bemühung,  sich  einen  christlichen  Anstrich  zu  geben,  und 
trotz  dem,  dass  sie  sich  längere  Zeit  auf  einzelnen  Uni- 
versitäten, namentlich  zu  Salamanca  und  Krakau  eines  ge- 
wissen Rufes  erfreute,  hat  es  indessen  dieser  weissen 
Magie  in  ihren  verschiedenen  Erscheinungen  als  Theurgie, 
Theosophie,  Rosenkreuzerei  u.  s.  w.  niemals  recht  gelingen 
wollen,  von  der  Kirche  anerkannt  zu  werden.  Ein  Be- 
zwingen der  Dämonen  kann  nach  Thomas  von  Aquino^) 
nur  durch  die  Kraft  Gottes  geschehen,  und  wo  diess  ge- 
schieht, da  ist  überhaupt  keine  Magie,  sondern  eine  Wir- 
kung der  göttlichen  Gnade  vorhanden.  Hiernach  sei,  fährt 
Thomas  fort,  dem  König  Salomo,  den  man  so  gerne  zum 
Erzvater  der  weissen  Magie  machte,  entweder  alle  Magie 
abzusprechen,  sofern  man  von  seinen  Geisterbezwingungen 
aus  derjenigen  Zeit  rede,  wo  er  im  Stande  des  Heils  war, 
oder  er  habe  gleich  jedem  Andern  durch  die  Kraft  des 
Teufels  gewirkt,  sofern  er  zur  Zeit  seines  Götzendienstes 
Uebernatürliches  gethan.  Diess  stimmt  mit  Augustinus 
Ansicht  überein,  der  zwischen  Goetie  und  Theurgie  nur 
in  der  Benennung  einen  Unterschied  findet. 

«)  S.   Trithem.  Chron.  Hirsaug.  T.  I.  p.  593  cf.  T.  11.  p.  4^». 
*)  Quaest.  dbp.  VI.  de  mirac.  art.  4. 


200  Elftes  Kapitel. 

weise  an  römische  Muster.  Bezauberung  durch  das  böse 
Auge,  geschmolzene  Wachs-  und  Bleibilder,  magische 
Ringe ,  Stricke ,  Haare  und  Nägel  von  Gehängten ,  Erde 
von  Begräbnissplätzen ,  Turteltaubenblut,  Kräuterabsude 
und  Aehnliches  kommt  in  Acten  aus  der  ersten  Hälfte  des 
vierzehnten  Jahrhunderts  vielfaltig  vor  und  mag  zum  Theil 
schon  vorher  praktisch  versucht  worden  sein.  Den  Hass 
Philipp  August's  gegen  seine  verstossene  Gemahlin  Inge- 
burg leitet  schon  Vincentius  von  einer  Bezauberung  her*); 
der  Glaube  an  die  Möglichkeit  einer  solchen  hatte  bereitb 
in  Gratian's  Dekret  eine  Auctorität  gefunden. 

Längst   war  nämlich  die  Einwirkung  auf  die  Leiden- 
schaften  des   Menschen ,    die  Erregung    unüberwindlichen 
Abscheus   oder   der  leidenschaftlichsten    Liebe    gerade  in 
solchen  Lebensverhältnissen,  wo  die  Natur  und  das  Gebot 
Gottes   den   entgegengesetzten  Affekt  forderten ,    als  eine 
der    gewöhnlichsten  Uebelthaten   der  Zauberer   allgemein 
anerkannt.      Nicht   selten    sollte    ein    boshaftes   Weib    ein 
irdisches  Feuer  in  der  Brust  eines  Mönches  entzündet  und 
ihn  zu  Falle  gebracht  haben.     Auch  nahm  der  Böse  wohl 
bei   seinen    Bewerbungen  die   Gestalt    eines   angesehenen 
Geistlichen  an,   dessen  Ruf  der  Heiligkeit  er  dadurch  für 
immer  zerstört.    Daneben  machten  sich  Zauberer  und  Zau- 
berinnen   ein    besonderes  Geschäft    daraus ,  Neuvermählte 
an   ihrer  geschlechtlichen   Vereinigung  zu   hindern.     Eine 
ganze  Reihe  von  Synoden  und  Concilien  hat  alle  L^rheber 
einer    solchen    Unthat    mit    dem    Banne    beilroht-)?      Die 
Furcht    vor  den  geheimen  Malefizien   der  Werkzeuge  Sa- 
tans, welche  sich  der  Gemüther  bemächtigte,  wurde  noch 
durch   den  (z.  B.   auch  von  Thomas  Aquino   bestätigten^^ 
weit  verbreiteten  Wahn  gesteigert,  dass  die  Dämonen  die 
Körper    ihrer  Werkzeuge  verändern  könnten,   worauf  na- 


')  S|»rc.    nalur^l    X.WIII.  »K».     S.    auch    AV^».''./W.^    de    leb,    i:r>ti\    l*hil 
\a»;t»>i    bei  /*«•  ••  •««   T.  l.  p.  37. 
•\   tt .». '.  .<  /..  ^1   S.  M. 
't     Oni:)<x    j'i^tli    U>ni    ii    in.«h    r\    virtutr   ».ilurali    hahrni    p«>lfsUtrm 


Die  öffentl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im   13.  Jahrh.       201 

mentlich   der  Glaube  an  die  Lykanthropie  —  der  Ver- 
wandlung der  Hexen  in  Wölfe  beruhte  ^). 

Auf  diese  Weise  hatte  sich  im  dreizehnten  Jahrhun- 
dert Vieles  vereinigt,  um  zahlreiche  einzelne  Vorstellungen 
von  magischem  Wesen  in  Umlauf  zu  bringen,  welche  sich 
mehr  und  mehr  im  tiefsten  Schwarz  zusammenzogen  und 
welche  den  Begriff  der  Hexerei  und  der  Hexe  zum  Ab- 
schluss  bringen  sollten.  Die  Schriftsteller  verunstalteten 
ihre  Werke  mit  den  aberwitzigsten  Geschichtchen,  und 
mancher  betrogene  Bösewicht  mag  in  jener  Zeit  den  wirk- 
lichen Versuch  gemacht  haben ,  durch  die  ihm  angeprie- 
senen Zauberkünste  seine  Feinde  zu  verderben  oder  sich 
selbst  emporzuschwingen;  wenigstens  finden  sich  dergleichen 
Klagen  bald  nachher  selbst  am  päpstlichen  Hofe  zu  Avig- 
non.  Noch  aber  ist  die  Sache  nicht  zur  Festigkeit  ge- 
langt; obgleich  man  das  Pactum  mit  dem  Teufel  kennt, 
so  bildet  dasselbe  doch  noch  nicht  den  gemeinschaftlichen 
Mittelpunkt  zu  einem  Ganzen  verbundener  Zaubergräuel, 
wie  im  späteren  Hexenwesen.  Der  Zauberer  des  drei- 
zehnten Jahrhunderts  treibt  das  Eine  oder  das  Andere; 
er  ist  noch  weit  mehr  Gelehrter,  den  der  Bund  mit  dem 
Satan  des  Studiums . nicht  überhebt;  die  spätere  Hexe  er- 
hält ihr  ganzes  Können  durch  den  Bund  mit  einem  Male*); 
jener  steht  für  sich,  diese  ist  nur  Glied  einer  grossen  Ge- 
sellschaft. 

Wie  übrigens  der  Glaube  an  die  nachtfahrenden 
St r igen  schon  in  Synodalbeschlüssen  und  fränkischen 
Kapitularien  als  ein  unchristlicher  und  sündhafter  erklärt 
worden  war,  so  fand  er  auch  jetzt  noch,  wo  man  ihn  aus 
den  Schriften   der  Römer  hervorzusuchen  anfing,  Wider- 


^)  Hartpole  Lecky,  S.  58—59. 

')  So  sagt  noch  ioi  sechzehnten  Jahrh.  Thomas  Erasius  über  diesen  Un- 
terschied: His  addi  potest  aliud,  quod  Magi  ex  libris  et  magistris  suas  ple- 
rumque  ineptias  hauriunt  dih'gentique  studio  libros  conquirunt  praeceptoresque 
conducunt,  e  quibus  mysteria ,  quae  scire  desiderant,  discant,  Striges  contra 
nullo  vcl  libro,  vcl  praeceptore  utuntur,  sed  ab  ipsomet  diabolo  brevi  tempore 
de  Omnibus  si  non  vere,  falso  tarnen  erudiuntur,  Tract.  de  lamiis  im  Malleus 
Malcf.  p.  529. 


202  Elftes  Kapitel. 

Spruch.  Merkwürdig  ist  in  dieser  Beziehung  eine  Stelle, 
welche  Grimm  aus  einer  Wiener  Handschrift  des  Striker 
oder  eines  von  dessen  Zeitgenossen  mitgetheilt  hat  *) : 

Ich  hin  gewesen    ze  Portigal 

und  ze  Dület  sunder  twal, 

mir  ist  kunt  Kalatr.^  daz  lant, 

i\ä  man  die  besten  Meister  vant. 

ze  Choln  und  ze  Paris 

d.1  sint  die  pfafTen  harte  wis 

die  besten  vor  allen  riehen. 

dar  fuor  ich  waer  Heben 

niwan  durch  diu  maere, 

waz  ein  unholde  waere  ? 

duz  gehArt  ich  nie  gelesen. 

waz  ein  unholde  mOge  wesen. 

daz  ein  wlp  ein  chalp  rite, 

daz  wären  wunderliche  site, 

ode  rit  üf  einer  dehsen, 

f)de  uf  einem  liQspesem 

nsich  salze  ze  Halle  ffiere ; 

oh  des  al  diu  weit  swQere 

doch  wolde  ich  sin  nimmer  gejehen, 

ich  enliet  ez  mit  minen  ougen  gesehen. 

wand  .s^)  würde  uns  nimmer  tiure 

daz  salz  von  dem  ungehiure. 

ob  ein  wlp  einen  ovenstap  über  schrite 

und  den  gegen  Halle  rite 

über  berge  und  Über  tal, 

daz  sie  taete  deheiDen  val, 

daz  geloube  ich  niht,  swer  daz  seit, 

und  ist  ein  verlorniu  arbeil; 

und  daz  ein  wip  ein  sib  tribe 

sunder  vieisch  und  sunder  lil)e, 

da  niht  inne  waere, 

daz  sint  allez  gelogniu  marrc 

daz  ein   wlp  ein  man  über  schrilc 

und  im  sin  herze  üz  snite, 

wie  zacme  daz  einem  wlbc, 

daz  sie  ein  herze  snit  üz  einem  Hbe 

und  stieze  dar  In  strA. 

wie  mfthter  leben  ode  werden  frA? 

ein  mensche  niuoz  ein  herze  haben. 

ez  habe  saf  od  M  beschaben  u.  v  w 

*)  Deutsche  Mytholugic  S.  r,Ht;. 


Die  öffentl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im   13.  Jahrh.      203 

So  erklärt  auch  Vincentius  diese  Nachtflüge  für  eine 
Täuschung,  die  der  Mensch  im  Traume  erleide*);  eben  so 
der  Roman  de  la  Rose: 

niaintes  gens  por  lor  folie 

Cuident  estre  par  nuU  estries 
Errans  avecques  darae  Uabonde, 
Et  dient  que  par  tout  le  nionde 
Li  tiers  enfant  de  nacion 
Sunt  de  ceste  condicion  etc.  ^) 

und  weiter: 

D'autre  pait  que  li  tiers  du  nionde 
Aille  ainsinc  avec  danie  Habende 
Si  cum  folUs  vicllis  U  pruevent 
Par  les  visions  qu'eUs  trutvent, 
Dont  convient-il  sans  nule  faille 
Que  trestous  li  mondes  i  aille, 
Qu'il  n'est  nus,  soit  voir-  ou  nienconge, 
Qui  mainte  vision  ne  songe, 
Non  pas  trois  fois  en  la  semaine, 
M^s  quinze  fois  en  la  quinzaine, 
Ou  plus  ou  liioins  par  aventure, 
Si  cum  la  f antaste  dure^). 

Indessen  konnte  doch  über  das  Mass  des  Sündhaften 
in  der  Beschäftigung  mit  der  Magie  jene  Zeit  noch  keine 
feste  Ansicht  haben,  eben  weil  sie  über  die  Wirklichkeit 
und  Natur  jener  Künste  noch  nicht  im  Klaren  war.  Im 
Ganzen  liess  man  den  guten  oder  schlimmen  Gebrauch 
den  Ausschlag  geben,  und  selbst  die  so  arg  gebrandmarkte 
Nekromantie  unterlag  in  geeigneten  Fällen  einer  milderen 
Beurtheilung.  Zwar  fahren  bei  Cäsarius  und  seinen  Zeit- 
g-enossen  die  Seelen  der  verstorbenen  Nekromanten  zum 
Teufel;  aber  das  hatten  sie  nicht  nur  mit  den  Seelen  an- 
derer Sünder  imd  selbst  mit  leblosen  Gegenständen  ge- 
mein*), sondern  man  hat  sie  sogar  aus  der  Holle  zurück- 
kehren und  Cistercienseräbte  werden  sehen.    Erinnern  wir 


')  Spec.  moral.  Hb.  II.  dist.   17.  part.  3.. 

*)  Vers  18625  ff. 

»)  Vers  18686  ff. 

*)  Ein  Mensch,  dem  der  Stiefel  nicht  angehen  will,  wünscht,  dass  der 
Teufel  denselben  holen  möge;  sogleich  fliegt  der  Stiefel  durch  die  Luft  fort. 
Vincent,  Bell.  Spec.  mor.  Lib.  III.  Dist.  8.  part.  5. 


204  SL^r^si  KjgiE-^  I 

I 

uns  weiter,  wie  l>ei  eben  cerrtselbea  Casarius  ein  Xrfo'O- 
mant  al^  g^läubi^er  Kaih.lik  vc-r  6em  Büie  der  Jungfrau 
für  die  Seele  Neirje>  verst  :-T*>e'r>en  Getihrten  Psalmen  liest, 
und  wie  !5-elb<t  der  Bi>ch;:  vcn  Bes^Än^porj  durch  einen  ne- 
kromanti>cben  Prie^ier  'sinter  Zu-icberung'  de>  Sünden- 
e^las^e*>  zwei  Ketzerbäupter  entlarven  läsat.  Thomas  von 
Aquino  ges-tattet  s^hües^Iich  ^ogar  den  Besitz  magischer 
Kenntnii'>e  als  un^ündÜch,  M:»fem  man  dieselben  nicht  zur 
Au>übuns^,  iondem  zur  Widerlegung'  der  Magie  anwenden 
will ').  Hieraus  g'eht  her\-or,  das>  Thomas^  obgleich  auch 
er  im  Allgemeinen  einen  TeutVl^bund  kennt  *>.  dennoch 
denselben  zur  Erwerbung  magi?H:her  Kenntnisse  nicht  un- 
bedingt nothwendig  hält ;  bonst  häne  er  die  letzteren  nicht 
erlauben  dürfen. 

Was  die  kirchlichen  Strafmas^regeln  gregen  Zauber- 
übungen betrifft,  io  finden  sich  zur  Zeit  noch  keine  Ab- 
weichungen von  den  früheren  Disciplinarbestimmungen. 
indem  als  eigentlich  kirchliches  Strafmittel  noch  immer 
die  Excommunikation  gilt:  wohl  aber  entschliesst  sich 
das  bürgerliche  Gesetz  in  Deutschland  zu  einer 
Neuerung.  Der  Sachsenspiegel  sagt:  „Swelk  ker- 
stenman  [oder  wif]  ungelo\-ich  is  unde  mit  tovere  umme- 
gat ,  oder  mit  vorgiftnis5>e  [unde  des  verwunnen  wirt],  den 
sal  men  upper  hört  bemen."  Eine  Neuerung  nennen  wir 
diess,  weil  vor  dem  Sachsenspiegel  in  Sachsen  keine  Spur 
einer  gesetzlichen  Verbrennung  der  Zauberer  gefunden 
wird,  und  besorgen  hierbei  nicht  den  Einwurf,  dass  diese 
Sammlung  nur  Altüberliefertes  aufgenommen  habe. 
Nicht  um  das,  was  einst  gegolten  hatte,  sondern  um  das- 
jenige, was  galt  oder  gelten  sollte,  hatte  sich  der  Samm- 
ler für  praktische  Zwecke  zu  kümmern,  und  sein  Werk 
trägt  in  der  That  das  Gepräge  des  Neuaufgenomraenen 
auch  sonst  noch,  z.  B.  in  seinen  Sympathien  für  die  ro- 
misch-hierarchischen (rrundsät/e  von  den  zwei  Schwertern, 
die   den  alten  Sachsen  vollkommen  fremd  waren.     In  der 

')  (Juodlih.  IV.  <Ju.  9. 
')  Ad  Jesaj.  XXVIU.    15. 


Die  öflfcntl.  Meinung  der  Kirche  und  das  Gesetz  im   13.  Jahrh.      205 

Zeit,  wo  der  Sachsenspiegel  entstand,  fing  der  Teufel 
überall  wieder  zu  spuken  an.  Damals  gerade  erzählte 
Cäsarius  seine  Geschichten  von  den  Homagien,  unte^-hielt 
Gervasius  seinen  Kaiser,  den  Sachsen  Otto,  mit  seinen 
Wehrwölfen  und  Weibern  in  Katzengestalt,  galt  Philipp 
August  für  behext  und  stand  christliches  Gesinde  in  Juden- 
häusem  im  Verdachte,  vom  Glauben  abzufallen  und  mit 
den  Juden,  den  berüchtigten  Magiern  und  Brunnenver- 
giftern des  Mittelalters,  im  Einverständnisse  zu  sein  imd 
selbst  zu  ihnen  überzutreten  ').  Besonders  aber  ist  zu  be- 
achten, was  jene  Zeit  von  den  Magistern  aus  Toledo,  den 
bleichen  Männern,  bei  deren  Kusse  der  Glaube  aus  dem 
Herzen  weicht,  und  der  Betreibung  nekromantischer  Stu- 
dien in  den  muhammedanischen  Ländern  fabelte.  Eine 
solche  Zeit  konnte  auch  wohl  einem  Gesetze,  wie  das 
obige  ist,  sein  Entstehen  geben.  Zauberei  und  Apostasie 
sind  hier  in  Verbindung  gebracht;  ob  dieser  Abfall  aber 
als  formliches  Teufelshomagium,  oder  einfach  als  Ueber- 
tritt  zum  Judenthum  oder  Islam  sich  darstelle,  muss  bei 
der  Kürze  der  Wortfassung  unentschieden  bleiben.  Für 
den  späteren  BegriflF  der  Hexerei  zeigt  sich  übrigens  hier 
noch  keine  Spur  gesetzlicher  Anerkennung. 

Der  Schwaben  Spiegel  hat  das  besprochene  Gesetz 
fast  mit  denselben  Worten,  in  seinen  späteren  Redaktionen 
jedoch  mit  manchen  Erweiterungen  und  mit  deutlicher 
Hereinziehung  des  Homagiums,  aufgenommen^). 


*)  Die  zahlreichen  Juden  zu  Paris  hatten  christliche  Knechte  und  Mägde, 
qui,  a  fide  Jesu  Christi  manifeste  rec^dentes,  cum  ipsis  Judaeis  judaiza- 
bant.  Rigord.  de  reb.  gest.  Phil.  Aug.  bei  Diu/tesm  V.  p.  8.  Der  Anony- 
mas  de  haeresi  paupenim  de  Lugduno  (bei  Marterte  Thes.  V  p.  1794)  redet 
von  Christen,  die  förmlich  zum  Judenthum  Obertreten  und  beschnitten  werden; 
die  Beschneidung  wird  indessen  nur  semiplene  vorgenommen,  nicht  vollständig^ 
wie  bei  den  Kindern.  Auch  mftssen  die  Uebergetretcnen  immer  eine  charta 
judaizationis  bei  sich  tragen,  sonst  würden  die  Juden  nicht  mit  ihnen  trinken. 

*)  „Swelch  Christen  mensche  ungeläubig  ist,  oder  mit  zauber  umbgat,  oder 
mit  vergifl,  wird  er  dez  überait,  man  soll  ihn  uff  ainer  hurte  brennen,  ez  si 
man  oder  wip.*  —  Ein  bei  Senehenöerg  (Corp.  jur.  germ.  —  Jus  prov.  Ale- 
raann.  cap.  103)  abgedrucktes  Manuscript,  angeblich  aus  dem  dreizehnten  Jahr- 
hundert, hat:   „Ez  si  weip  oder  man.  die  daz  chunnen.   daz  si  den  tiufel  mit 


2o6  Elftes  Kapitel. 

Auf  demselben  Standpunkte  halten  sich  die  seitdem 
aufgestellten  sächsischen  Stadtrechte  von  Hamburg, 
Lübeck,  Bremen,  Riga,  Stade,  Verden.  Das  Hamburger 
Stadt  recht  von  1270  z.  B.  bestimmt  (XU.  6):  „So  welck 
Kersten  Man  offte  wyff ,  de  ungelovich  ist,  offte  mit  To- 
veryn  ummegeit,  offte  mit  Vergiftenisse  vnde  mit  der 
verschen  Daet  begrepen  werd,  de  schall  me  vpe  der  Hord 
bemen,  vnde  so  schall  man  ock  don  enen  vorreder.**  Um 
also  auf  die  Strafe  des  Scheiterhaufens  erkennen  zu  kön- 
nen,  war  erforderlich:  i)  dass  der  Verbrecher  oder  die 
Verbrecherin  sich  zum  Christenthum  bekannte,  2)  dass  die 
Person  ungläubig  war,  3)  dass  sie  mit  Zauberei  oder  Ver- 
giftung umging  und  4)  dass  sie  auf  frischer  That  ergriffen 
worden  war  *).  Durch  diese  letztere  Bestimmung  unter- 
schied sich  aber  das  Hamburger  Stadtrecht  von  dem 
Sachsenspiegel  und  den  mit  ihm  übereinstimmenden 
Stadtrechten.  Während  diese  letzteren  nur  wollen,  dass 
der  Thäter  „des  verwunden  wird"  und  dadurch  der  spä- 
teren Anwendung  der  Tortur  Raum  schafften,  wird  dort 
das  richterliche  Verfahren  auf  den  Fall  der  Handhaftigkeit 
beschränkt. 


Worten  ze  in  laden,  den  sol  man  brennen,  wan  er  hat  gotes  verlougen  uml 
hat  sich  dem  tivfel  erßeben.  und  die  cz  wizzent  und  ez  verswigent  und  danu 
helfent,  den  sol  man  daz  hovbet  abe  slahen."  Im  Codex  Uffenbachianus  bei 
Senckenberg  heisst's:  „Ks  sey  frawe  oder  man,  die  mit  zawbcr  oder  mit  dem 
tewfel  umb  gehenn ,  das  .sy  yn  mit  Worten  su  yn  laden  oder  suste  mit  ym 
umbgann,  die  sol  man  alle  brennen  oder  welches  todes  der  richter  wil  Art 
erger  ist  und  noch  böser,  wan  er  hat  unsers  herrn  Jesu  Christe  verlcwckntl 
und  dem  teufel  hat  er  sich  ergeben.  Und  die  es  wissen  und  es  versweypn 
und  die  es  raten,  werden  sie  bewort  als  recht  ist,  den  sol  man  das  hewbt 
abcslahenn.* 

*)  C.  Trümmer,  Vortrage  ober  Tortur,  Hexen  Verfolgungen,  Vehmgerichte 
und  andere  merkwürdige  Erscheinungen  in  der  Hamburgischen  Rechtsgeschichlr. 
Hamburg,   1844.  S.   102  flf. 


ZWÖLFTES     KAPITEL. 


Die    Inquisition    im    dreizehnten    Jahrhundert. 
Ausbildung  des  Hexenprozesses  in  Frankreich. 

Im  Jahr  1183  geschah  es,  dass  Papst  Lucius  IIL  in 
Verona  gemeinschaftlich  mit  Kaiser  Friedrich  eine  Anzahl 
von  Prälaten  der  Kirche  versammelte.  Neben  vielem  An- 
deren wurde  hier  auch  die  Ketzerei  in  Südfrankreich  und 
das  zur  Ausrottung  derselben  anzuwendende  Verfahren 
besprochen.  Nicht  lange  nachher  (1183)  Hess  Lucius  durch 
den  Erzbischof  von  Rheims  als  päpstlichen  Legaten  in 
Flandern  eine  ganze  Anzahl  von  Ketzern  verbrennen. 

Dieses  Jahr  1 183  kann  als  ein  verhängnissvoller  Wende- 
punkt in  der  Geschichte  der  Kirche  angesehen  werden. 
Von  diesem  Jahre  an  wurde  nämlich  allmählich  der  Be- 
griff der  Ketzerei  ein  anderer,  und  das  Strafverfahren  der 
Kirche  gegen  dieselbe  wurde  auch  ein  anderes.  Dieses 
wie  jenes  geschah  aber  dadurch,  dass  sich  das  Papstthum 
in  ganz  neuer  Weise  als  Prinzip  alles  Glaubens  und  Lebens 
der  Kirche  geltend  machte. 

Die  Auffassimg  der  Ketzerei  betreffend  hatte  man 
bisher  in  der  Kirche  den  Gesichtspunkt  festgehalten,  von 
dem  einst  die  römischen  Kaiser  in  ihrer  Strafgesetzgebung 
gegen  Ketzerei  ausgegangen  waren;  man  hatte  zwischen 
den  Irrlehren  unterschieden,  und  nur  Ketzereien  von  grös- 
serer Bedeutimg  mit  Strafen  belegt.     Jetzt  aber  ward  der 


2oS  Zwf^lftfs  Kapitel. 

Gedanke  zur  Geltung  gebracht,  dass  jedes  Dogma  auf  der 
Auetoritat  der  Kirche,  des  Papstthums  beruhe,  und  dass 
also  auch  die  geringste  Abweichung  von  der  Kirchenlehre 
eine  Verleugnung  der  Auctoritat  der  Kirche,  des  Papst- 
thums sei,  dass  diese  Verleugnung  die  eigentliche  Ketzerei, 
dass  also  die  Ketzerei,  in  welcher  Form  sie  auch  auftrete, 
immer  sich  selbst  gleich,  gleich  fluchwürdig  und  gleich 
strafbar  sei. 

Als  die  der  Grösse  des  Verbrechens  der  Ketzerei  — 
des  Abfalls  von  der  Kirche,  von  Gott  —  allein  entspre- 
chende Strafe  derselben  betrachtete  man  den  Tod  durch 
Feuer. 

Allerdings  wurden  noch,  im  elften  und  im  Anfange 
des  zwölften  Jahrhunderts  viele  Stimmen  in  der  Kirche 
laut,  welche  vor  der  Hinrichtung  Irrgläubiger  warnten. 
Ernste,  fromme  Kirchenmänner  wie  der  Bischof  Wazo  von 
Lüttich,  der  Bischof  Hildebert  von  Le  Mans,  Rupert  von 
Deutz,  der  heil.  Bernhard  von  Clairvaux  u.  A.,  erinnerten 
daran,  dass  ein  solches  Verfahren  mit  Irrgläubigen  gegen 
Christi  Willen  sei,  dass  man  durch  da.sselbe  nur  die  Heu- 
chelei grossziehe,  die  Kirche  verhasst  mache  u.  s.  w.  — 
Allein  der  von  dem  Papstthum  vertretene  Gedanke,  dass 
die  Ketzerei  vom  Teufel  stamme,  dass  darum  die  Bestra- 
fung derselben  Ausrottung  der  Ketzer  sein  müsse,  gewann 
in  der  Kirche  mehr  und  mehr  Raum.  —  Der  altkirchliche 
Gedanke,  dass  Ketzerei  mit  Excommunikation  zu  bestrafen 
sei,  war  bald  vergessen. 

Aber  auch  der  altkirchliche  Gedanke,  dass  die  Ver- 
folgung der  Ketzerei  den  Bischöfen  zustehe,  wurde  bald 
vergessen  gemacht.  Indem  nämlich  das  Papstthum  das 
eigentliche  Wesen  der  Ketzerei  in  der  Verleugnung  seiner 
Auctoritat  sah,  so  lag  es  nahe,  dass  dasselbe  die  Verfolg^nvf 
und  Bestrafung  der  Ketzerei  als  eine  ihm  ausschliesslich 
zugehörige  Sache  ansah.  Daher  erhob  sich  jetzt  das  Papst- 
thum, um  auf  Kosten  der  kanonischen  Diöcesangewalt  der 
Bischöfe  durch  seine  Legaten,  die  von  ihm  mit  den  aus- 
gedehntesten Befugnissen  ausgestattet  waren,  das  Straf- 
recht der  Kirche  gegen  die  Ketzer  selbst  auszuüben. 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexen  pro  zesses  in  Frankreich.     20Q 

Doch  mochte  man  dabei  anfangs  die  Diöcesangewalt 
der  Bischöfe  noch  nicht  eigentlich  zur  Seite  schieben*.  Als 
Innocenz  III.  den  Entschluss  fasste,  Einrichtungen  ins  Leben 
zu  rufen,  durch  welche  eine  ununterbrochene  Aufspürung 
und  Verfolgung  der  Ketzer  sicher  gestellt  würde,  Hess  er 
durch  das  vierte  Lateranconcil  verfügen,  dass  jeder  Bischof 
seine  Diöcese  entweder  durch  seinen  Archidiacon  oder 
durch  andere  geeignete  Personen  bereisen  und  an  allen 
verdächtigen  Orten  entweder  einzelne  unbescholtene  Leute 
oder  die  ganze  Einwohnerschaft  durch  einen  Eid  alle  ihnen  1 

bekannten  ketzerischen  Personen  anzeigen  lassen  sollte. 
Die  Verweigerung  des  Schwures  sollte  als  Zeichen  der 
Ketzerei  gelten;  der  Bischof  aber,  der  sich  in  der  Ver- 
folgung der  Ketzerei  lässig  zeigen  würde,  sollte  abgesetzt 
werden.  —  Formell  waren  ctlso  die  Bischöfe  mit  der  Ketzer- 
verfolgung betraut;  aber  die  päpstlichen  Legaten  waren 
angewiesen,  dieselbe  zu  beaufsichtigen  und  zu  leiten.  — 
Von  dem  Concil  zu  Toulouse  1229  wurde  diese  Einrich- 
tung noch  erweitert. 

Allein    so   sehr  auch  die  Delegaten    des  Papstes  die 
Bischöfe  zur  Aufspürung  und  Verfolgung  der  Ketzer  an- 
trieben, so  hatte  die  ganze  Einrichtung  doch  nicht  im  Ent- 
ferntesten den  in  Rom  gewünschten  und  gehoflften  Erfolg. 
Die  Denunciationen ,    ohne  die    man  die  Ketzer  nicht  er- 
mitteln konnte,  waren  nicht  in  Gang  zu  bringen.   Daher  ent- 
schloss  sich  Papst  Gregor  IX.  die  Inquisition  den  Bischöfen 
ganz  zu  entreissen,  dieselbe  als  ein  rein  päpstliches  Institut 
einzurichten,  dem  auch  die  Bischöfe  unterworfen  sein  soll- 
ten, und  die  „Inquisitio  haereticae  pravitatis"  den  Domini- 
kanern zu  übertragen,  welche  dieses  „heilige  Officium"  in 
seinem  immittelbaren  Auftrage  ausrichten  sollten.    Mit  dem 
Jahre  1232   trat  dieses  neue  päpstliche  Institut  ins  Leben, 
zimächst  in  Südfrankreich,  in  Aragonien,  in  der  Lombardei, 
in   Oesterreich   und  Deutschland.  —  Schon   damals   hatte 
Kaiser  Friedrich  n„  um  in  Italien  die  Weifen  niederwerfen 
zu  können,  die  (späterhin,   1238  und  1239  noch  vermehrten) 
Blutgesetze  erlassen,  welche  den  Letztem  alle  rechtlichen 

Soldaii'Heppe,  Hezenprosesse.  M 


2  I  o  Zwölftes  Kapitel. 

Schutzmittel  entzogen,  sie  der  Inquisition  ganz  und  gar 
preisgaben  und  als  ihre  Strafe  den  Feuertod  und  die  Con- 
fiscation  ihres  Vermögens  anordneten. 

So  begannen  nun  die  Päpste  mittelst  ihrer  Domini- 
kaner (neben  denen  späterhin  auch  Franziskaner  gelegent- 
lich herangezogen  wurden)  ihre  Blutarbeit  in  der  Kirche. 
Alit  der  Inquisition  war  die  päpstliche  Auctorität  ganz  un- 
mittelbar in  die  ICirche  hereingetreten,  alle  Ordnungen  der 
bischöflichen  Diöcesanregierung  durchbrechend  und  nieder- 
tretend. Jeder  einzelne  Inquisitor  arbeitete  im  immittel- 
baren Auftrag,  und  vom  dreizehnten  Jahrhimdert  an  bis 
zur  Reformation  hin  ist  „nie  ein  Mensch  anders  als  im 
Namen  des  Papstes  imd  aus  dessen  allgemeinem  oder  spe- 
ziellem Auftrag  zur  Folterbank  gefuhrt  und  auf  den  Scheiter- 
haufen gestellt  worden"  ^). 

Mit  brutalem  Uebermuth  erhoben  sich  daher  die  In- 
quisitoren nicht  nur  gegen  die  Bischöfe,  sondern  auch 
gegen  landesherrliche  Gewalten.  Dieselben  mussten  den 
Inquisitoren  Kerker  bauen  und  mussten  deren  Urtheile 
vollstrecken,  ohne  sich  um  den  Gang  der  Untersuchung 
kümmern  zu  dürfen.  Thaten  sie  dieses  und  wollten  sie 
nicht  willfährig  die  Scheiterhaufen  bauen  und  die  Verur- 
theilten  verbrennen  lassen,  so  verfielen  sie  dem  Kirchen- 
banne ;  und  hatten  sie  nach  Jahresfrist  sich  nicht  von  dem- 
selben befreit,  so  waren  sie  der  Inquisition  selbst  verfallen. 
Darum  musste  sich  in  den  Dienst  der  Inquisition  in  der 
Kirche  Alles,  Alles  stellen,  und  darum  wurde  derselben 
auch  die  Wissenschaft  dienstbar,  die  sich  alsbald  dazu 
herbeiliess,  das  nichtswürdige,  nicht  allein  mit  dem  Evan- 
gelium, sondern  auch  mit  der  zwölfhundertjährigen  Tra- 
dition der  Kirche  in  Widerspruch  stehende  Institut  der 
Inquisition  zu  rechtfertigen*). 


1)  yamu,  der  Papst  und  das  Concil  (Leipz.   1869)  S.  264. 

')  So  namentlich  Thomas  v,  Aquino,  der  (Summa,  IL  9.  1 1  Art.  3  u-  4) 
aus  symbolischen  Bezeichnungen  der  Ketzer,  welche  das  Neue  Testament  j?«- 
braucht,  die  Pflichtmflssigkeit  der  Hinrichtung  derselben  in  folgender  Weise  al>> 
zuleiten  sucht:  Die  Häretiker  werden  im  N.  Test.  Diebe  und  WAlfe  genanat; 


Die  Inquisition  im  13,  Jahrh.  Ausbild,  d-  Hexenprozesses  in  Frankreich.     2  1 1 

Wie  nun  die  Einsetzung  der  Inquisition  als  solche  die 
willkürlichste  Durchbrechung  der  bestehenden  hierarchi- 
schen Ordnung  der  Kirche  seitens  des  Papstthums  war, 
so  beruhte  auch  das  Prozessverfahren ,  welches  die  Inquisi- 
toren zur  Anwendung  brachten  —  der  Inquisitionspro- 
zess^)  —  auf  dem  vollständigsten  Bruche  mit  dem  bis- 
herigen Prozess  und  auf  vollständigster  Niedertretung  des 
kanonischen  Rechts. 

Die  Kirche  hatte  sich  von  Anfang  an  das  von  ihr 
vorgefundene  römische  Recht  angeeignet,  sowohl  zur 
Normirung  ihrer  mannigfachen  inneren  und  äusseren  Ver- 
hältnisse als  auch  für  die  Form  ihres  Strafverfahrens,  ins- 
besondere bei  der  Ausübung  des  Strafrechts  ^).  Daher 
kannte  das  kaöionische  Recht  bis  etwa  zum  Jahre  1200 
ebenso  wie  das  römische  Recht  keinen  anderen  Prozess 
als  den  auf  wirklicher  Anklage  beruhenden,  —  den  Accu- 
sationsprozess^).  Wie  im  römischen,  so  war  auch  im 
kanonischen  Strafverfahren  die  Inscriptio  et  in  crimen 
subscriptio  d.  h.  die  vom  Ankläger  zu  unterzeichnende 
schriftliche  Aufstellung  der  Anklage  im  gerichtlichen  Pro- 
tokoll oder  in  einem  vom  Ankläger  eingereichten  libellus 
accusationis  als  die  eigentliche  Basis  des  ganzen  Prozess- 
verfahrens, indem  durch  sie  dem  Prozess  seine  bestimmte, 
nicht  zu  überschreitende  Grundlage  gegeben  und  zugleich 
die  Verantwortlichkeit  des  Anklägers  dem  Angeklagten 
und  dem  Staate  gegenüber  gesichert  wurde. 

Diebe  aber  pflegt  man  zu  hängen  und  Wölfe  todtzuschlagen.  Auch  sind  die 
Ketzer  Söhne  des  Satans,  wesshalb  es  nur  billig  ist,  dass  ihnen  das  Loos  ihres 
Vaters  schon  hier  auf  Erden  zu  Theil  werde ,  d.  h.  dass  sie  brennen  wie  er. 
An  die  Worte  des  Apostels  Johannes,  dass  man  einen  Häretiker,  nachdem  man 
ihn  zweimal  vergebens  belehrt  habe,  fliehen  solle,  knüpft  er  die  Bemerkung, 
da.ss  diese  Meidung  am  besten  durch  Hinrichtung  zu  Wege  gebracht  werde. 
Bei  Rückfälligen  aber  hält  er  jede  Belehrung  für  unnütz  und  empfiehlt  es  sie 
kurzweg  zu  verbrennen. 

')  Was  man  bis  dahin  „kanonische  Inquisition**  genannt  hatte,  unterschied 

sich  wesentlich  von  dem  Verfahren  der  jetzt  aufkommenden  Inquisitio  de- 

Jegata.     5.  Büner,  Beiträge  zur  Gesch.  des  Inquisilionsprozesses,  S.  60  ff . — 

*)  J/.  A,  Zachariä,  Handbuch  des  deutschen  Strafprozesses,    B.  I.  (Gfttt. 

1861)  S.   106. 

•)  Ebendas.  S.  101. 


^jn  ZwMftcs  KapitcL 

Allerdings  war  in  der  Kirche  aus  dem  Bedürfnisse 
dt*  kirchlicheji  Disciplin  schon  frühzeitig  ein  anderes  Straf- 
vertihrein,  das  der  inquisitio  erwachsen,  was  spater  ins- 
besondejie  durch  Innocenz  lEL  und  durch  die  Beschlüsse 
deii  Lateranconcik  von  121 5  bestimmter  geregelt  ward 
E>  k,un  nämlich  insbesondere  in  Betracht,  dass  der  Accu- 
SÄtionsj-iroress  tut  Handhabung  des  Strafrechts  den  Geist- 
lichen ijegvnübej  darum  nicht  genügen  konnte,  weil  im 
kanoni^ichen  Recht  die  Erhebimg  aner  formlichen  Ankl2^ 
*5»4iXM^  einen  ireistlichen  durch  einen  Laien  oder  gegen 
eiiHMi  hC^her  siehenden  iVeisdichen  durch  einen  niederen 
au>Are>chL%?cien  war,  Pahex  ^wasen  die  geistlichen  Gerichte 
ennachüi^'U  nan^^erixli  ch  in  Rejaehung  auf  Kleriker,  bei  de- 
hcii>  m^ni:estis  s.  nvMv>riis,  von  Amtsweg«!  einzuschreiten. 
Äuch  \x  enn  kein  ArXr*^vr  aiifiTerreten  war.  Doch  konnte 
der  lV>ch\;Ki;*:ne,  wenn  er  <dch  schuldfrei  wusste,  ach  eid- 
lich Tt^:n:*;t^n,  \Ve::ert^  Re>c::minungen  über  den  Gang  und 
die  Fon*:'Ji^n  i^e>  S:T,u\vr:,::Jhrens  ex  officio  finden  sich  im 
0v\qv4:>  vuri>  c^n,  r.^ch;  vot^l 

Nav^h  vlom  viA"«:v»l,^en  kcinonischen  Recht  galt  es  daher 
al>  Re^r^^I.  x^  v:,*s>  oor  ATikl^ioe^proress,  der  auf  der  in- 
>cr:iM3o  ev,">T>s  Chi^^eTi  Ar«V*Il4:'eTS  benihte,  das  ordentliche 
lVx\;o»\eT:Ahn^r*  w;*t-  ,  c  c.'*ss  das  Prazess\'erfehren  fwie 
viÄ>  rvUV.4Nch-T\v>,:.«c>.t^  J  n\ r,il:ch  und  mündlich  und  streng 
ju";  cl:e  AecuN,i:%>nNschr.f:  di>s  Ankl-Urers  ^rebunden  war,  und 
j^'  ^:,4»  v^-,i>  vrc>^,\'.':,v. .:» ,  >Äc'lc'he>  der  Richter  von  dem 
Ano'^kV^to'i'i  :v;  vw>.v/.>;r,  bir.ilhi  sein  müsse,  nur  dann 
\Vo:i^  h***v,  \\cv,n  c-^n>i  .:v  c:Ti  .r^-rchaus  freiwillig  abge- 
'^cj^trN  ;o^.J  v.^  Verlor  \W  ,>*^  :v.::  vWwak  erpressi  war.  — 
!"i  s>i^>^^ri^,  ^N.^Ate  >Ä>ch  a*,>.'  C4->  S;rafrecht  der  Kirche  von 

V  j  :.     •     «    -'V     «V     « 4  \    I        1  J  -^  s  .  t       s  w    • .  n.  f    et  I  i OB  r  »» 


*j ;     ^  i  .    X  .    i.    :  ^  *    f^     I  »  ,  *  ^  i  ;  ♦  ^      ••  V    ,*^-   r  t^-»  *.v  —   C4&.  Tv  ciU^  H  ^ 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbild,  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.'     2 1 3 

dem  römischen  Recht  (welches  bei  Majestäts-  und  anderen 
Kapitalverbrechen)  die  Anwendung  der  Folter  zuliess,  ab  ^). 

In  Rom  war  man  sich  schon  bei  der  ersten  Einleitung 
der  Ketzerverfolgung  darüber  klar  geworden,  dass  der 
Ketzerrichter,  wenn  er  zum  Abwarten  einer  gesetzlich 
giltigen  Accusation  verpflichtet  sein  sollte,  unmöglich  Ketzer 
entdecken  könnte.  Daher  setzte  das  Papstthum  die  ganze 
Rechtsordnung,  welche  im  Anfange  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts in  der  Kirche  noch  intact  bestand,  ebenso  wie 
die  iurisdictio  ordinaria  der  Bischöfe  für  das  ganze  Gebiet 
der  Inquisitio  haereticae  pravitatis  ausser' Kraft,  indem  es 
1)  den  Accusations-  durch  den  Inquisitionsprozess  ver- 
drängte, 2)  alle  Erwachsenen  eidlich  zur  Anzeige  der  ihnen 
bekannten  Ketzer  verpflichtete,  3)  für  den  Inquisitions^ 
prozess  die  Geheimhaltimg  der  Namen  der  Zeugen,  und 
4)  (seit  Innocenz  IV.)  die  Anwendung  der  Tortur  zur  Er- 
pressung von  Geständnissen  anordnete,  imd  5)  die  Ver- 
xxrtheilung  der  überführten  Ketzer  zum  Feuertode  einführte. 

Dieses  ganz  neue  Prozessverfahren  stand  mm  zu  dem 
deutschen  Recht  in  demselben  grellen  Gegensatz  wie  zu 
dem  bisherigen  Kirchenrecht.  Denn  auch  die  deutschen 
Volksrechte,  die  Kapitularien  der  fränkischen  Könige,  die 
Rechtsbücher  des  Mittelalters  setzten  sämmtlich  den  An- 
klageprozess  als  das  allein  rechtsgiltige  Verfahren  voraus 
und  bestätigten  die  alte  Regel  des  germanischen  Volks- 
bewusstseins :  „Wo  kein  Kläger,  da  ist  auch  kein 
Richter*).  —  Als  Hauptbeweismittel  galt  im  deutschen 
Strafrecht  neben  der  Zeugenaussage  imd  dem  Gottes- 
urtheil  der   Eid    des   unbescholtenen    Mannes^).    — 

*)  Vgl.  die  von  Zachariä  S.  I14 — 115  aus  dem  Corp.  iur.  can.  zusammen- 
getragenen Stellen:  Can.  I.  caus.  XV.  qu,  5:  Si  negaverit,  ventiletur  causa 
canonice;  et  si  vel  sponte  confessus,  vel  legitimis  testibus  fuerit  appro- 
batus,  canonica  feriatur  sententia.  —  can.  I,  Caus.  XV.  qu.  6:  Confessio 
vcro  in  talibus  non  compulsa  sed  spontanea  esse  debet.  —  Omnis  enim 
confessio,  quac  fit  ex  necessitate,  fides  non  est.  —  Confessio  ergo  in  talibus 
fwn  extorqucri  debet ,  sed  potius  sponte  profiteri.  Pessimum  enim  est  de 
suspicione  aut  exicrta  confessione  q  u  e  m  p  i  a  m  iudicare  (!). 

*)  Zachariä^  S.   I24. 

')  A.  V.  Kries,  der  Beweis  im  Strafprozeßs  des  Mittelalters  (Weimar,  1 878)  S.  3. 


214  Zwölfte»  Kapitel. 

Dieses  Beweissystem  des  deutschen  Rechts  erhielt  sich 
mit  dem  Accusationsprozess  in  Deutschland  bis  über  das 
Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  hinaus. 

Die  Kanonisten  dagegen  eigneten  sich  den  Gedanken 
eines  Prozessverfahrens  ex  officio  ohne  Accusation,  nur 
auf  böses  Gerücht  oder  Denunciation  hin,  an,  entwickelten 
denselben  zu  einem  vollständigen  System,  was  (mit  der 
Folter)  auch  bei  den  italienischen  Civilisten  (und  durch  diese 
auch  in  Deutschland)  Eingang  fand,  imd  bald  wurde  der 
Inquisitionsprozess  als  der  eigentlich  giltige  Strafprozess 
angesehen  und  anerkannt. 

Durch  denselben  war  nun  den  Inquisitoren,  die  an 
keine  Accusation  gebunden  waren ,  im  Prozess  völlig  freie 
Hand,  und  die  Verdächtigten  und  Verhafteten  waren  ihrer 
Willkür  vollständig  preisgegeben.  Daher  war  der  Inqui- 
sitionsprozess, so  wie  er  im  dreizehnten,  vierzehnten  und 
fünfzehnten  Jahrhundert  im  speziellen  Auftrag  der  Päpste 
gefuhrt  ward,  die  Ausgeburt  der  niederträchtigsten  und 
boshaftesten  Rabbulistik,  die  bis  dahin  auf  dem  Gebiete 
der  Rechtspflege  hervorgetreten  war.  Schon  der  Ver- 
dacht, oder  die  Denunciation,  dass  Jemand  einer  ketzeri- 
schen Meinung  ergeben  sei,  berechtigte  zur  Verhaftung. 
Keinem  Verhafteten  aber  durfte  (wie  schon  die  Concilien 
von  Beziers  und  Narbonne  1235  bestimmt  hatten)  ein  Be- 
lastungszeuge namhaft  gemacht  werden.  Papst  Innocenz  IV. 
bestätigte  dieses  1254  in  der  Bulle  Cum  negotium  mit  dem 
Bemerken,  dass  aus  der  Namhaftmachung  eines  Belastungs- 
zeugen nur  Aergemiss  und  Gefahr  hervorgehen  konnte. 
Zugelassen  wurden  aber  als  Zeugen  alle  möglichen  Per- 
sonen, die  für  den  Accusationsprozess  nicht  in  Betracht 
kamen:  Mitschuldige,  Meineidige,  Kuppler  und  sonstige 
Ehrlose,  ausserdem  auch  die  allernächsten  Familienange- 
hörigen. Aus  diesen  vorgeladenen  Zeugen  brachte  das 
grausige  Gespenst  der  Inquisition  sehr  bequem  alle  mög- 
lichen Anzeigen  heraus ;  und  um  die  Angeklagten  zur  An- 
erkennung der  gegen  sie  gemachten  Depositionen,  zum 
„Geständniss"  zu  bringen,  brachte  man  sehr  bald  die  Folter 
ziur  Anwendung,  welche  die  besten  Dienste  leistete.     Die 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich,     2  I  5 

Hilfe  eines  Rechtsbeistandes  und  das  Recht  der  Apellation 
an  eine  höhere  Instanz  war  im  Inquisitionsprozess  ausge- 
schlossen; der  Versuch  der  ersteren  war  sogar  mit  Ex- 
communikation  bedroht.  Dem  Inquisitor  war  verboten, 
Milde  und  Schonung  zu  zeigen.  Kein  Widerruf,  keine 
Versicherung  der  Uebereinstimmung  mit  dem  Glauben  der 
Kirche  konnte  den  Angeschuldigten  erretten.  Man  ge- 
währte ihm  Beichte,  Absolution  und  Communion,  glaubte 
also  im  Forum  des  Sacraments  seiner  Versicherung  der 
Reue  und  Sinneswandelung;  zugleich  aber,  wenn  er  ein 
Rückfalliger  war,  wurde  ihm  erklärt,  dass  man  ihm  ge- 
richtlich nicht  glaube  und  er  daher  sterben  müsse.  Und 
endlich,  um  das  Maass  voll  zu  machen,  wurde  seine  un- 
schuldige Familie  ihres  Eigenthums  durch  die  gesetzlich 
ausgesprochene  Confiscation  beraubt.  Nur  das  Leben 
allein,  sagt  Innocenz  III.,  soll  den  Söhnen  von  Irrgläubigen, 
und  auch  dieses  nur  aus  Barmherzigkeit  gelassen  werden. 
So  wurden  sie  denn  auch  zu  bürgerlichen  Aemtern  und 
Würden  für  unfähig  erklärt  ^). 

Ihren  Unterhalt  bezogen  die  Inquisitoren  anfänglich 
von  den  Gemeinschaften,  unter  denen  sie  wirkten,  bald 
aus  Quoten  des  confiscirten  Vermögens.  Innocenz  IV.  wies 
sie  1252  auf  das  Drittel  an  und  liess  ihnen  im  Grunde 
auch  noch  ein  zweites  Drittel  zu  Gute  kommen,  indem  er 
dasselbe  für  künftige  Inquisitionszwecke  zu  deponiren  be- 
fahl. Dabei  blieb  man  nicht  stehen.  Bernardus  Co- 
mensis,  selbst  Inquisitor,  kennt  es  im  fünfzehnten  Jahr- 
hundert schon  als  eine  rechtliche  Gewohnheit,  dass  die 
Inquisition  das  ganze  Vermögen  der  Verbrannten  oder 
sonstwie  Hingerichteten  an  sich  zog,  und  Pegna  im  sech- 
zehnten nimmt  diess  überall  da  als  Recht  in  Anspruch, 
wo  dieselbe  ihre  eigenen  Diener  und  Gefangnisse  hat  und 
folglich  dem  Staate  keine  Ausgaben  verursacht*). 

Das  also,  was  den  Inquisitionsprozess  —  das  „ne- 
gotium fidei"  —  vorzugsweise  charakterisirte,  war  i)  die 


')  yanus,  S.  262—263. 

')  Limborck  Hist.  Inquis.  p,   171. 


2l6  Zwölftes  Kapitel 

Anwendung  des  Inquisitionsverfahrens  (diu'ch  wel- 
ches die  Accusation  als  Basis  des  Prozesses  verdrängt 
ward),  2)  der  Gebrauch  der  Tortur  und  3)  der  des 
Scheiterhaufens. 

Die  Folter  tritt  als  Inquisitionsmittel  zuerst  unter 
dem  Papst  Innocenz  IV.  hervor.  Indessen  in  einer  Bulle, 
welche  derselbe  1252  („Ad  exstirpanda")  erliess,  um  den 
Gebrauch  der  Tortur  kanonisch  zu  regeln,  und  welche  von 
Alexander  IV.  1259,  von  Clemens  IV.  1265  erneuert  ward, 
erscheint  die  Tortur  als  längst  zu  Recht  bestehendes  Ver- 
fahren. Danach  war  die  Anwendung  derselben  eine  durch- 
aus arbiträre.  Nur  wenn  andere  Beweismittel  vorlagen, 
sollte  sie  ausgeschlossen  sein  ^).  Auch  sollte  sie  nicht  bis 
zur  membrorum  diminutio  et  mortis  periculum  gesteigert 
werden.  Ihr  Zweck  war  ein  zwiefacher:  die  Folter  sollte 
dem  Verdächtigen  i)  das  Geständniss  seiner  eigenen  Schuld 
und  2)  die  Anzeige  seiner  Mitschuldigen  erpressen^. 

So  begannen  nun  die  Inquisitoren  das  „negotium  fidei" 
zu  betreiben,  mit  ihrer  Folter  Unzählige  peinigend  und 
deren  Leiber  zerfleischend.'  Das  geschah  im  Namen  und 
zu  Ehren  des  Gottes,  der  den  Tod  des  Sünders  nicht  will. 
Daher  war  freilich  die  Zerbrechung  der  Glieder  und  die 
Gefahrdung  des  Lebens  in  der  Tortur  sogar  mit  Excom- 
munikation  und  Irregularität  bedroht.  Diese  aber  und  deren 
kanonische  Aufhebung  legte  den  Inquisitor  auf  eine  ge- 
wisse Zeit  lahm  und  störte  also  das  „negotium  fidei".  Da- 
mit dieses  daher  in  voller  Schwunghaftigkeit  ungestört 
betrieben  werden  konnte,  ersann  Papst  Urban  IV.  im  Jahr 
1261  eine  Maassnahme,  welche  über  alle  Schwierigkeiten 
hinaushalf,  indem  er  verfügte,  dass  in  allen  Fällen,  wo  In- 
quisiten    aus  Uebereilung  oder  menschlicher  Schwachheit 


^)  Regularitcr  non  devenitur  ad  torturam  nisi  in  defectum  aliamm 
probalionum. 

*)  Tencatur  rector  orones  hacreticos,  quos  captos  habuerit  cogere  (citra 
membri  diininutioncm  et  mortis  periculum)  —  errorcs  suos  expresse  fateri  et 
accusarc  alios  haereticos ,  —  —  sicut  coguntur  fures  et  latrones  —  accusarer 
suos  compliccs  et  fateri  maleficia^  quae  fcccrunt. 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     217 

bis  zur  membromm  diminutio  et  mortis  periculum  gefoltert 
wären,  die  (geistlichen)  Inqmsitoren  sich  sollten  unterein- 
ander absolviren  können!  Hatte  also  ein  Inquisitor  einen 
Unglücklichen  auf  der  Folter  zu  Tode  gepeinigt,  so  war 
er  allerdings  sofort  vom  Gericht  getroifen,  indem  er  ipso 
facto  excommunicirt  und  irregulär  war;  beides  aber  konnte 
auch  sofort  wieder  aufgehoben  werden,  wenn  ein  anderer 
bei  der  Inquisition  beschäftigter  Geistlicher  zu  ihm  die 
kanonische  Formel  sprach :  Ego  absolvo  te  in  nomine  etc.  *). 
Hiermit  war  nun  das  Ergebniss  jedes  einzelnen  In- 
quisitionsprozesses entschieden  und  die  Erreichung  des 
Zieles  desselben  sicher  gestellt.  War  Jemand  der  Ketzerei 
verdächtig  und  von  dem  Inquisitionsgericht  eingezogen, 
so  wurde  er  von  diesem  auch  als  der  Ketzerei,  Zauberei  etc. 
imzweifelhaft  schuldig  angesehen.  Es  galt  nur  noch  durch 
die  Tortur  das  Geständniss  seiner  Schuld  zu  erpressen. 
Die  Hollenqual  der  Tortur  erpresste  dieselbe  aber  leicht, 
—  wenn  sie  nicht  den  Unglücklichen  vorzeitig  tödtete. 
War  das  „Geständniss"  zu  Wege  gebracht,  so  musste  das 
nunmehr  erwiesene  Verbrechen  durch  Verbrennung  des 
Verbrechers  gesühnt  werden.  Zu  dem  Akte  wurde  öffent- 
lich, wohl  auch  durch  reitende  Boten,  eingeladen.  Die 
nächsten  Vorgänge  hingen  davon  ab,  ob  der  Luftstrom 
den  Opfern  des  theokratischen  Fanatismus  den  Qualm  ins 
Gesicht  oder  von  demselben  hinwegtrieb.  Im  letzteren 
Falle  hatten  dieselben  den  bitteren  Kelch,  den  ihnen  die 
Kirche  reichte,  bis  auf  die  Hefe  zu  leeren  und  alle  Star 
dien  des  langsamen  Verbrennens  durchziimachen.  Manche 
hatten  moralische  Kraft  genug,  lautlos  den  letzten  Schlag 
des  Herzens  zu  erwarten.  Andere  brachen,  vom  Schmerz 
übermannt,  in  ein  schreckliches  Gebrülle  aus.  Damit  nun 
den  „Kleinen  kein  Aergefniss  gegeben"  würde,  ward  den 
Delinquenten  nach  dem  Zeugniss  des  Simanca's*)  die 
Mtmdsperre  —  eine  Art  Bremse  —  angelegt  und  die  Zunge 


*)  S.  die  Nachweisungen  bei  ßuckanan,  S.  17B  ff. 

^  De  cathol.  instit.  tit,  48,  §,  6.  —  Pertinaces  vivi  comburendi  sunt  et 
in  ignem  tradendi  ore  obstructo  et  Ungua  ligata. 


gebunden«  So  vemahiDeD  die  7^?ffrh?p**r  nicfats  als  das 
Knistern  des  brennenden  Holzes  imd  den  manottMien  Wecb- 
selg'esang'  zvischen  einem  Priester  der  loquishion  und 
S€nnen  Chorknaben  beim  Recitiren  der  Litanei  h.  —  bis 
der  Leib  des  Ketzers  als  Asche  rwinmmfin^ism^ 

EHeses  in  seiner  Idee  unnatiirliche ,  in  seiner  Ans- 
führuner  terroristische  und  schamlose  Verfahren  musste 
natürlich  auf  Widerstand  stossen.  Wahrend  das  Leben, 
die  Lehre,  die  Zwecke  und  Schicksale  der  Verft^gten 
überall,  wo  sich  Sehnsucht  nach  einem  besseren  Zustand 
regte,  mächtige  S\Tnpathien  fand^  war  die  Inquisition,  wie 
der  Abt  Fleury  bezeugt,  Ketzern  und  Kathc^ikea,  Bischöfen 
und  Magistraten,  Behörden  und  Privaten  gl^h  furchtbar 
und  verhassL  Der  Anmaassung,  Wülkifa",  Habsucht ,  Un- 
ehrlichkeit und  Grausamkeit  der  Inquisitoren  sind  daram 
zu  verschiedenen  Zeiten  Päpste,  Könige  und  Fakultäten 
mit  Entrüstung  entgegengetreten  -\  und  wo  diess  zeit^i'eise 


>)  BM.'ijKom,  S.   1S7. 

*i  Die  Sorbosn«  fjnrte  Beschwmie  über  die  ADmaassonfien  der 
Mönche.  PaHamentsbeschl risse  schritten  gegen  das  bisher  oserhArte  Rechte- 
verfahren  ein  {Lamctke-Lamgon  Hist.  de  Tlnquis.  CB  Fnsce  IL  p.  LXXXVUli 
Ki^nii(liche  Edikte  haben  vra  von  Ludwig  d.  EL,  Philipp  dem  Sch^^tteD  uoJ 
Ludwig  XL  Von  Philip^p  z.  B.  folgendes  vom  Jahr  1291:  PhilippQs  Rexctc«  — 
Certiorati.  quod  Inquisitores  Carcassonae  male  processemM  in  officio  inqui^- 
tionis  eis  coramisso,  quod  innocentes  puniant,  incarcermt  et  multa  gnvamina 
eis  infennt  et  per  quaedam  tonnenta  de  novo  exquisita  moltas  ialsitates  de 
personis  legitimis  vivis  et  mortuis  6de  dignb  extorqueant,  —  mandamus  etc. 
(Htst.  de  Languedoc  T.  IV.  Preuvcs  p.  97.)  Ein  anderes  Rescript  von  1901 
s.  ebendas.  p.  I18.  LudiKng  XL  traf  Bestimmunieen,  ».pour  obvier  aus  fraodes 
et  abus  faits  par  lesdits  inquisitears  de  la  foL'*  —  Schon  1 243  hatte  sich  dat 
Concil  zu  Narbonne  veranlasst  gefunden,  die  Ketterrichter  von  der  Auflegung 
von  Geldstrafen  um  der  Ehre  ihres  Ordens  willen  absumahaen.  (La* 
mothe-Langon  T.  IL  p.  530.)  Hinsichtlich  der  Erpressungen  traten  sie  in  die 
Fusstapfen  der  fOr  die  Sendgerichte  thitigen  sogenannten  Exploratores  cnnii* 
num  oder  Promotores.  Ober  welche  Nikolaus  von  Clemanges  Klage  fÜhrL  — 
Ueber  die  arglistige  Inquisitionsu'eise,  womit  nun  gant  Unschuldige  zu  Ketsem 
machte  und  ihrer  GQter  beraubte,  s.  Lettre  des  Consub  du  bourg  de  Nar» 
bonne  2i  ceux  de  Ntmes  (1234)  bei  Mimarä  Hist.  de  la  ville  de  Nfanes.  Tom;!. 
Preuves  p,  73.  „Item  ut  homtoes  siropltces  et  illiteratos  caperent  in  sennone. 
eis  quaestiones  hujusmodi  faciebant,  dicentes :  Credis,  quod  quando  mulier  con* 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     219 

versäumt  wurde  oder  nicht  zum  Ziele  führte,  da  hat  das 
misshandelte  Volk  sich  selbst  Recht  verschafft.  Man  er- 
innere sich  der  Aufstände  in  Frankreich,  Belgien  und  Ita- 
lien und  der  Schicksale  eines  Peter  von  Castelnau,  Konrad 
von  Marburg,  Robert  Bulgarus,  Fulco  von  Occitanien  und 
Peter  von  Verona,  imd  man  wird  es  begreiflich  finden, 
dass  die  Stellung  cies  Inquisitors  schon  frühzeitig,  wenn 
sie  mächtig  und  einträglich  sein  sollte,  auch  eine  sehr  ge- 
fahrliche war  ^). 

Dieses  änderte  sich  jedoch,  indem  die  Inquisition  selbst 
sich  insofern  änderte,  als  sie  allmählich  in  ihrer  hauptsäch- 
lichsten Thätigkeit  eine  ganz  neue  Richtung,  nämlich  gegen 
2^uberei  imd  Hexerei  annahm. 

Schon  mit  der  Einsetzung  der  Inquisition  war  eine  ganz 
veränderte,  erweiterte  Auffassung  des  Begriffs  der  Ketzerei 


cipit,  quod  illa  missio  fiat  per  Deum,  vel  per  hominem?  Et  si  laicus  respon- 
deret,  quod  per  hominem  credebat  fieri  illaro  missionem:  Ergo,  dicebant  ipsi, 
tu  es  haereticus ;  nam  haeretici  dicunt,  quod  malignus  spiritus  et  homo  faciunt 
hominem,  et  non  Deus.  Et  si  illam  simplex  laicus  timens  responsionem  mu- 
taret,  dicens,  quod  per  Deum  Bebat  dicta  missio:  Ergo  tu  dicis,  quod  Deus 
cognoscit  mulierem,  et  es  haereticus  manifestus.  —  Item  (interrogabant)  si 
bostia,  quam  consecrat  sacerdos,  erat  totus  Deus,  vel  pars  ejus?  Et  tunc  si 
laicus,  quod  totüs  Deus  est  responderet,  dicebant :  Responde  ergo  mihi,  credis, 
quod  si  quatuor  sunt  in  ecclesia  sacerdotes  et  quilibet  consecret  hostiam  suam, 
sicut  decet,  quod  in  qualibet  hostia  sit  totus  Deus?  Et  si  laicus  responderet, 
quod  sie:  Ergo  tu  credis,  quod  quatuor  sunt  Dii?  Et  tunc  laicus  tremens 
aliquando  contrarium  respondebat  etc.  —  Eben  so  versichert  Perrin  in  s. 
Histoir«  des  Vaudois,  noch  aus  späterer  Zeit  Akten  gesehen  zu  haben,  in  welche 
man  durch  arglistige  Verdrehung  Dinge  gebracht  hatte,  die  dem  Verhörten  nie 
eingefallen  waren.  Z.  B.  Item,  enquis,  s'il  ne  faut  pas  invoquer  les  Saints, 
»  le  Vaudois  r^pondait  que  non,  il  couchait  par  ^crit,  qu'il  avait  mesdit  et 
mal  parl^  des  Saints.  Enquis,  s'il  faut  saluer  la  vierge  Marie  et  la  prier  en 
DOS  n^cessit^,  s'il  r^pondait  que  non,  ils  ecrivaient ,  qu'il  avait  blasph^me 
contre  la  Vierge  Marie. 

^)  1208  Peter  von  Castelnau,  1233  Konrad  von  Marburg  erschlagen, 
1234  Aufstände  in  Narbonne  und  Albi,  1235  Vertreibung  der  Inquisitoren  aus 
Toulouse  und  Narbonne,  1242  vier  Inquisitoren  zu  Toulouse  umgebracht, 
1250  Robert  der  Bulgare  eingekerkert,  1 285  offener  Aufstand  zu  Parma  u.s.  w,  — 
Die  Dominikaner  in  Languedoc  baten  1243  um  Entlastung  vom  Inquisitions* 
gescfaäft,  Innocenz  IV.  aber  verwilligte  dieselbe  nicht,  er  steigerte  nur  das 
Ansehen  der  Ketzenrichter.     Lamothe-Langon  T.  II.  p.  527- 


"»  -  - 


yiacirel  aa  Urner^rir^rse 


r^ 


der  ahe  BegrifF  d-er  Hineäe  g-js*  ^v::ii 

karrste,    vor  dem  Gerirhr  der  Kirche  nrit  den  Katliarem 

d^irchass  auf  Eraer  lirde  scsLnien.     Mit  der  Ketzierei 


VorsteZ^iing  die  Zauberei  Haad  in  HarxL  Die  Ketzerei 
war  ein  Abfall  von  der  Kirche,  voa  Goct,  oid  die  Zauberei 
war  ein  Wirkoi  mit  Kräften  des  Teufels.  Der  Gedanke, 
dass  der  Zweck  des  Abfialls  vom  Reiche  Gottes  der  Ein- 
tritt in  das  Reich  des  Teufels  sei,  lag-  daher  nahe  genug 
und  ohne  Weiteres  konnte  somit  die  Inquisition  die  Zau- 
berei als  die  praktische  Seite  und  als  die  eigentliche  Spitze 
der  Ketzerei  in  ihr  grimmiges  Auge  tassoL  Dieses  moss 
auch  wirklich  recht  frühzeitig  geschehen  sein,  indem 
Papst  Alexander  IV,  (1254 — 1261^  veranlasst  sah, 
Inquisitoren,  welche  gegen  alles  im  Kirchenrecht  Ver- 
botene, gegen  Snswucher,  Wahrsagerei,  Zauberei  etc.  vor- 
zugehen pflegten,  in  ihre  Schranken  zu  verweisen«  Gegen 
den  üblichen  Unfug  mit  Divinationen  imd  Sortilegien  soll- 
ten sie  nur  dann  einschreiten,  wenn  derselbe  offenbar 
auf  Ketzerei  hinweise;  anderenfalls  sollten  sie  Die- 
jenigen, welche  diese  Dinge  trieben,  den  gewöhnlichen 
Gerichten  überlassen  ^). 

Diese  Verordnung  Alexander *s  IV.,  welche  die  Inquisi- 
toren   in   der   Verfolgung   der    mantischen    Zauberei   be- 


')  Sexti  DecrrUlium  Libri,  Lib.  V.  Tit.  II.  cap.  8:  Cum  negoüum  fidct 
(quod  summe  privilegiatum  existit)  per  occupationes  alias  non  debeat  impediri. 
pestis  ioquisitores  haereticae  a  sede  apostoUca  deputati,  de  divinatjonibos  aut 
«ortilegiis  (nisi  haeresin  s aperen t  maoi feste,)  intromittere  se  non  de- 
bent,  Dec  puntre  talia  exercentes,  sed  eos  relioquere  suis  iudicibus  puniendois. 
—  Ueber  die  sortilegi  sagt  das  Dekret  (IL  raus.  26,  quaest  1:  S ort i legi 
«unt,  qui  fub  nomine  fictae  religionis  per  quasdam,  quas  sanctoYum  sorte^ 
vocant,  divinationis  ^cientiam  profitentur,  aut  quarumcunque  scrlptu- 
rar  um  inspectione  futura  promitttmt. 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Uexenprozesses  in  Frankreich.     22  I 

schränkte,  wurde  nun  aber  von  denselben  als  stillschwei- 
gende Gutheissung  der  Verfolgung  der  operativen  Zauberei 
mit  Freuden  begrüsst,  wesshalb  die  Inquisition  gerade  seit 
der  Publikation  jenes  Breves  die  Verfolgung  der  Hexerei 
eifrigst  zu  betreiben  begann. 

In  dem  Hexenprozesse  gewann  jetzt  der  Inquisitor 
einen  geschmeidigen  und  imerschöpflichen  Stoff,  weil,  wo 
die  Natur  des  im  Reiche  der  Einbildungen  einheimischen 
Verbrechens  dem  Richter  den  Vorwand  leiht,  sich  von 
der  Erhebxmg  des  objektiven  Thatbestandes  zu  dispensiren, 
nirgends  eine  Grenze  gezogen  ist.  Nicht  minder  gewann 
er  an  Popularität;  denn  er  rechtfertigte  die  Grausamkeit 
seines  Verfahrens  durch  die  Grosse  der  zu  unterdrückenden 
Gräuel  und  vertauschte  die  gehässige  Rolle  eines  Ver- 
folgers freierer  Religionsansichten  mit  der  dankenswerthen 
eines  Wohlthäters,  der  die  menschliche  Gesellschaft  von 
einer  Rotte  gemeingefährlicher  Bösewichter  befreit  xmd 
dem  Furchtsamen  schon  auf  blosse  Denimciation  hin  Schutz 
bietet,  wo  der  weltliche  Richter  die  formliche  Anklage 
mit  allen  Gefahren  derselben  auferlegt  hätte.  In  deni 
Hexenprozesse  siegte  endlich  die  Inquisition 
über  alle  Anfechtungen  ihrer  Competenz  im  Zau- 
berwesen. Als  Sünde  hätte  die  Zauberei  vor  den  Bi- 
schof, als  Verbrechen  —  z.  B.  bei  Tödtungen,  —  vor  die 
Obrigkeit  gehört;  als  Ketzerei  aber  war  sie,  mit  Hintan- 
setzung des  ordentlichen  Richters,  der  Inquisition  verfallen. 
Alexander's  IV.  beschränkende  Verordnung  ist  in  der  That 
zur  privilegirenden  geworden,  indem  sie  den  Scharfsinn 
der  Inquisitoren  darauf  hinwies,  in  der  Zauberei  häretische 
Elemente  geltend  zu  machen.  Diese  Geltendmachxmg  be- 
g^innt  uimiittelbar  nach  dem  päpstlichen  Erlasse,  kämpft 
sich  durch  alle  Einwände  der  Gerichte  und  der  gesunden 
Vernunft  hin  und  endigt  damit,  dass  sie  die  Zauberer  ge- 
radezu zur  geschlossenen  Sekte  erhebt.  Nur  durch  die 
Aufdrückung  eines  häretischen  Charakters  war  es  möglich, 
dass  magische  Vergehungen,  für  welche  die  Kirche  von 
jeher  nur  disciplinäre  Bestrafung  gehabt  und  solche  selbst 
noch  im  dreizehnten  Jahrhimdert  bestätigt  hatte,  von  nun 


22  2      *  Zwölftes  Kapitel. 

an  zum  Scheiterhaufen  führten.  Nur  hierdurch  wird  es 
erklärlich,  wie  ih  den  Prozessen  der  Inquisitionsgerichte 
auch  Mord,  Ehebruch  und  andere  der  bürgerlichen  Justiz 
unterworfene  Verbrechen  eine  Stelle  gefunden  haben.  Es 
wird  aber  auch  bei  dieser  Ineinanderziehung  der  Magie 
und  Ketzerei  weiter  begreiflich,  dass,  wenn  die  Inquisitoren 
den  ordentlichen  Gerichten  gegenüber  das  Häretische 
der  Magie  hervorhoben,  es  auch  eben  so  leicht,  als  ge- 
rathen  war,  in  solchen  Zeiten,  wo  die  Ketzereien  mehr 
Sympathie  zu  finden  anfingen,  das  Volk  mit  dem  Magis- 
mus  der  Häresie  zu  schrecken.  Im  Schoosse  der 
Inquisition  ist  der  Hexenprozess  erzeugt  und 
grossgezogen  worden;  die  Männer,  die  ihn  durch  ihre 
Schriften  theoretisch  begründet  und  im  Einzelnen  weiter- 
geführt haben,  Eymericus,  Nider,  Bernhard  von 
Como,  Jaquier,  Sprenger,  Institor  u.  a.,  sind  sämmt- 
lich  Dominikaner  und  Inquisitionsrichter  gewesen.  Ueber 
zweihundert  Jahre  hat  sich  die  Inquisition  in  fast  ausschliess- 
lichem Besitze  des  Hexenprozesses  behauptet,  und  als  sie 
in  den  meisten  Ländern  zu  Grabe  getragen  wurde,  hat  sie 
ihn  den  weltlichen  Gerichten  als  ein  trauriges  Erbtheil 
hinterlassen. 

Allerdings  konnte  dieses  nur  dadurch  erreicht  werden, 
dass  der  Kanon  Episcopi,  der  im  Kirchenrecht  stand 
und  dessen  Ancyranische  Herkunft  nicht  bezweifelt  ward, 
unschädlich  gemacht  wurde.  Dieses  aber  konnte  nur  durch 
hundertjährige  und  noch  längere  Arbeit  geschehen.  In 
Spanien  hielten  die  Minoriten  die  Geltung  desselben  lange 
Zeit  aufrecht,  und  es  konnte  daher  gleichzeitig  geschehen, 
dass  man  in  Spanien  als  Ketzer  verurtheilt  wurde,  wenn 
man  die  Möglichkeit  der  nächtlichen  Hexenfahrt  behauptete, 
in  Italien  aber,  wenn  man  sie  leugnete.  Allmählich  aber 
siegte  die  dreifache  Auctorität  des  Papstthums,  des  Thomas 
von  Aquino  und  des  Dominikaner-Ordens  ^).  Man  machte 
geltend,  dass  die  Auctorität  eines  Concils  doch  von  der  des 
Papstthums  unendlich  überragt  werde,  und  indem  man  die 


»)  Janus,  S.  278—279. 


Die  Inquisition  im  13.  Jahrh.  Ausbiid.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     223 

Hexen  (namentlich  seit  der  Publikation  des  verhängniss- 
vollen Gutachtens  Bartolo's*)  ohne  Weiteres  zu  verbren- 
nen pflegte,  so  gestaltete  sich  in  der  Kirche  ein  auf  der 
Auctorität  des  Papstthums  beruhendes  Gewohnheits- 
recht, dem  gegenüber  der  Kanon  Episcopi  im  Dekret 
Gratians  nicht  mehr  in  Betracht  kam.  — 

Verfolgen  wir  jetzt  die  allmähliche  Entwickelung  und 
das  Umsichgreifen  des  Uebels! 

Um  1271  sieht  man  die  Inquisition  in  Languedoc  be- 
schäftigt, die  Ueberbleibsel  der  Ketzer,  namentlich  der 
Waldenser  (vaudoisie),  zu  vertilgen.  Diese  Sekten  ver- 
schwinden für  einige  Zeit  von  dem  Schauplatze  und  geben 
erst  wieder  zwischen  1285  \md  1300,  nachdem  sie  beson- 
ders in  der  Diöcese  von  Albi  Zuwachs  aus  der  Lombardei 
und  andern  Ländern  erhalten  haben,  Stoff  zu  neuer  Thätig- 
keit.  In  der  Zwischenzeit  aber  sind  die  ersten  eigentlichen 
Hexenprozesse  vor  den  Tribunalen  von  Carcassonne  und 
Toulouse  verhandelt  worden.  Dort  hat  man  bereits  1274 
ein  Weib  verbrannt  *),  hier  haben  im  folgenden  Jahre  nach 
dem  Spruche  des  Dominikaners  Beniols  verschiedene  Zau- 
berer den  Holzstoss  bestiegen,  überwiesen,  den  Sabbath 
regelmässig  besucht  zu  haben;  unter  ihnen  die  sechsund- 
fünfzigjährige  Angele  von  Labarethe,  die  mit  dem  Teufel 
gebuhlt  und  das  Ungeheuer  mit  dem  Wolfskopfe  geboren 
hat').  Kurz  vorher  war  in  Poitou  ein  gräfliches  Edikt 
ergangen,  durch  welches  allen  Unterthanen  auferlegt  wurde, 
in  Sachen  der  Magie  \md  der  Sortilegien  vor  der  Inqui- 
sition zu  Toulouse  auf  Verlangen  eidliches  Zeugniss  abzu- 
legen*). Gegen  die  von  den  Inquisitoren  in  Languedoc 
begangenen  Excesse  schritt  Philipp  der  Schöne  mehrmals 
ein*)  imd  band  ihr  Vorschreiten  an  die  Mitwirkimg  der 
Bischöfe   und   des  königlichen  Seneschalls;   dagegen  ver- 


')  S.  darüber  weiter  unten  in  diesem  Kapitel. 
')  Hist.  de  Languedoc  IV.  p.   17. 

*^  Histoire  de  l'Inquisition  en  France  par  Lamothe-Langon.     Paris  1829. 
Tom.  II.  p.  614. 

*)  Bardin  Chron.  ad  ann.  1270.     S.  Hist.  de  Languedoc.  Pr.  p.  5. 
*)  Namentlich  1291  und  1331.    Hist.  de  Langu.  IV.  Preuves  p.  98  ff. 


224  Zwrilftt*  Kapitel. 

bchvTiHhxe  er  es  mcbt,  alle  Rimke  der  Ketzenicfater  für 
beiae  eag'enen  Zwecke  spielen  zn  lassen,  als  er  die  weh- 
faistorisclie  Ungerechtü  gk.&L  an  dem  Templerordeii  beging, 
und  er  hatte  volle  Ursache,  mit  den  ihm  hierba  geleisteten 
Diensten  zufrieden  zu  sein.  Der  Prozess  dieses  Ordens  ist 
zwar  nicht  ein  Hexenprozess  an  ach,  aber  er  enthalt  £le> 
mente,  die  sich  im  Hexenprozesse  wiederfinden,  wie  der 
Vorwurf  des  Abfalls  vom  Glauben,  der  Beschimpfung  des 
Kreuzes,  der  Verachtung*  der  Sakramente,  des  Kusses, 
des  Homagiums  und  der  Teufelsunzucht.  Der  angebliche 
Kopf  in  den  Templeikapiteln  scheint  da,  wo  er  nicht  ein- 
fach auf  Grotzendienst  zu  deuten  ist,  nach  den  astrologischen 
Bildern  Gerbert's  und  Bacon's  copirt  zu  sein  *  u  Dasselbe 
G>ncilium  zu  Vienne,  das  die  Sache  dieses  Ordens  ver- 
handelte, beschränkte  die  Vollmachten  der  Inquisitoren, 
indem  es  dieselben  abermals  enger  an  die  Genehmhaltung 
der  Ordinarien  band,  doch  wollte  es  mit  Entschiedenheit 
die  Unterdrückung  der  alten  und  neuen  Ketzereien.  Der 
von  Limborch  mitgetheilte  Liber  Sententiarum  der  Inqui- 
sition zu  Toulouse  liefert  Beweise  von  der  Thätigkeit  dieses 
Tribunals  in  dem  Zeitabschnitte  von  1307  bis  1323.  Die 
Urtheile  betrefifen  bis  dahin  meistens  noch  Albigenser. 
Waldenser  und  Beghinen*);  dagegen  werden  von  dieser 
Epoche  an  die  Autodafe's  gegen  diese  Sekten  in  Languedoc 
in  eben  demselben  Maasse  seltener,  wie  sich  die  Verur- 
theilungen  wegen  Zauberei  mehren*). 


')  Vgl,  SoUa»,  über  den  Kult  der  Templer,  im  Conile-rendu  ^ts  S\ta^^- 
burg«*r  Congresscs  von   1842. 

*)  Der  Ma};ie  wird  nur  in  einem  Urtheil  Erwähnung  gethan.  Der  Mi- 
norit  Bernhard  Deliciosi  zu  Carcassonne  hatte  zum  Widerstände  gegen  die  In- 
quisition aufgereizt;  unter  andern  hatte  er  gesagt:  selbst  die  Apostel  Petni» 
und  Paulus  worden,  wenn  man  mit  den  gegenwärtigen  Inquisitionsniitteln  geten 
sie  verführe,  nicht  im  Stande  sein,  einer  Verdammung  wegen  Ketzerei  lu  ert- 
Rchen.  Mit  dem  Verbrechen  der  Auflehnung  gegen  das  h.  Officium  verban} 
man  noch  die  Beschuldigung  des  Ilochverraths  und  den  Vorwurf,  ein  nek-^- 
niantifchei  Buch  besessen .  gelesen  und  in  Kapitel  abgetheilt  zu  haben  Da- 
im  Jahr  1319  Rcfailte  Urtheil  lautete  auf  Degradation  und  ewige  Gefangensrhjft. 

")  S.  HiM.  de  Lannuedoc.    T.  IV.  p,   184. 


Die  Inquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexen prozesses  in  Frankreich.     225 

An  dieser  Steigerung  scheint  die  personliche  Furcht 
Johannas  XXII.  vor  magischem  Unwesen  nicht  geringen 
Antheil  gehabt  zu  haben.  Bereits  im  Anfange  seiner  Re- 
gierung lebte  er  in  steter  Angst  vor  seinen  Feinden,  unter 
welchen  selbst  mehrere  Kardinäle  ihm  nach  dem  Leben 
gestrebt  haben  sollen.  Nachdem  er  einmal  durch  genom- 
menes Gegengift  sich  gerettet  zu  haben  glaubte,  verhängte 
er  bald  darauf  eine  peinliche  Untersuchung  gegen  den 
Arzt  Johann  von  Amanto  imd  andere  Leute  seines  Hofes, 
die  bezüchtigt  waren,  durch  Gift  und  Wachsbilder  imter 
Ajirufung  der  Dämonen  sein  Verderben  beabsichtigt  zu 
haben  ^).  In  den  desshalb  erlassenen  Edikten  geht  der 
Papst  sehr  in's  Einzelne  ein,  und  bald  wurde  ein  scharfes 
Gericht  über  diese  Verbrechen  gehalten.  Wenige  Jahre 
später  (13J0)  wies  Johann  den  Inquisitor  von  Carcassonne 
unter  ausdrücklicher  Erweiterung  seiner  Vollmachten  zu 
eifriger  Verfolgimg  derjenigen  an,  die  den  Dämonen  opfern, 
ihnen  das  Homagium  leisten  und  eine  Verschreibung  geben, 
um  dann  mit  allerlei  Zauber  mittein  Missethaten  zu  begehen  2). 


^)  Raymtld,  Annal.  Eccles.  ad  ann.  1317. 

^)  Frater  Guilelmus,  Episc.  Sabinensis,  Inquisitori  haer,  prav.  in  .partibus 
Carcassonn.     S. 

Sanctissiinus  pater  noster  et  dominus  dominus  Joannes,  divina  Providentia. 
Papa  XXII.,  optans  ferventer  maleficos  interfectores  gregis  dominici  effugarc 
de  medio  domus  Dei,  vult,  ordinat,  vobisque  committit,  quod  auctoritate  sua 
contra  eos,  qui  daemonibus  immolant,  vel  ipsos  adorant,  aut  homagium  ipsis 
faciunt,  dando  eis  in  Signum  chartam  scriptam,  seu  aliud  quodcunque.  vel  qui 
«xpressa  pacta  obligatoria  faciunt  cum  eisdem,  aut  qui  operantur  vel  operari 
procurant  quamcunque  imaginem  vel  quodcunque  aliud  ad  daemonem  alligan- 
dum,  seu  cum  daemonum  invocatione  ad  quodcunque  maleficium  perpetrandum, 
aut  qui  sacramento  baptismatis  abutendo  imaginem  de  cera  seu  re  alia  factam 
baptizant,  sive  faciunt  baptizari,  —  —  —  item  de  sortilegis  et  maleficis,  qui 
sacramento  eucharistiae  seu  hostia  consecrata  —  —  —  in  suis  sortilegiis  seu 
maleficiis  abutuntur,  possitis  inquirere  et  alias  procedere  contra  ipsos:  modis 
tain«n  servatis,  qui  de  procedendo  cum  praelatis  in  facto  haeresis  vobis  a 
canonibus  sunt  praefixi.  Ipse  namque  dominus  noster  praefatus  potestatem 
Inquistioribus  datam  a  jure,  quoad  inquisitionis  officium  contra  haereticos,  nee 
non  et  privilegia  ad  praefatos  casus  omnes  et  singulos  ex  certa  scientia  ampliat 
et  extendit,  quoadusque  duxerit  revocandum.  Etc.  Dat.  Avenione  die  22.  mens. 
Soldan-Heppe,  Hexenprozesse.  15 


226  Zwölftes  Kapitel. 

Das  Jahr  1327  brachte  neue  Klagen  und  Strafandrohungen 
Johannas  *) ;  diessmal  hatte  man  den  König  Karl  durch 
Bleibilder  oder  Steinbilder,  —  er  weiss  es  nicht  genau  — 
aus  der  Welt  schaffen  wollen.  Wirklich  hatten  die  könig- 
lichen Beamten  zu  Toulouse  desshalb  eine  Untersuchung 
angestellt  und  auch  den  Neffen  Johann's  in  dieselbe  ver- 
wickelt; derselbe  war  jedoch  durch  ein  königliches  Re- 
script  vom  8.  Juli  1326  von  allem  Verdachte  freigesprochen 
worden^).  Im  Jahr  1330  liess  sich  endlich  der  unermüd- 
liche Papst  Akten  und  Berichte  über  den  Stand  des  Zauber- 
wesens einsenden,  und  da  er  das  Uebel  nicht  gemindert 
fand,  griff  er  zu  neuen  Maassregeln  ^),  Hatte  er  doch  selbst 
die  Kränkung  erleben  müssen,  dass  der  Astrolog  Francis- 
cus  Asculanus  den  Römerzug  Ludwig's  des  Bayern  voraus- 
sagte, eine  Ungebühr,  die  der  Magier  freilich  ♦zu  Florenz 
auf  dem  Scheiterhaufen  büsste*).  Der  französische  Hof, 
selbst  in  Furcht  vor  der  Macht  jener  Bildermagie,  gab 
dem  Inquisitionsunfug  mehr  Vorschub,  als  er  ihm  Einhalt 
that.  Zwar  hatte  Philipp  von  Valois  bald  nach  seiner 
Thronbesteigung  den  zu  Paris  versammelten  Prälaten  sechzig 
Artikel  über  den  Missbrauch  der  geistlichen  Gerichtsbar- 
keit vorlegen  lassen;  doch  hatte  ein  Beschluss  des  Pariser 
Parlaments,  wodurch  die  Inquisition  für  einen  königlichen 
Gerichtshof  erJdärt  wurde,   in    der  That   eine   bedeutende 


Aug.  anno  Dorn.  1320.  {Raynald.  Ann.  Eccl.  ad  a,  1320).  —  Eine  Bulle 
ähnlichen  Inhalts  von  Johann  XXII.  contra  magos  magicasque  super- 
stitiones  theilt  Hauher  (Bibl.  mag.  St.  II.  Nr.  VII.)  mit.  Es  heisst  darin 
unter  andern:  Cum  morte  foedus  ineunt  et  pactum  faciunt  cum 
inferno.  Daemonibus  namque  immolant,  hos  adorant,  fabricant  vel  fabricari 
procurant  imagines,  annulum,  vel  speculum,  vel  phialam,  vel  rem  quamcunquc 
aliam  magice  ad  dacmones  inibi  alligandos;  ab  his  petunt  responsa,  ab  his 
recipiunt,  et  pro  implendis  pravis  suis  desideriis  auxilia  postulant,  pro  re  foeti- 
di.ssima  foetidam  exhibent  scrvitutem  etc. 

')  Raynald.  Annal.  eccles.  ad  ann.  1327.  Die  Constit.  13.  Joarm,  XXIJ 
will,  dass  diejenigen,  welche  magische  Künste  treiben,  als  Ketzer  behandelt 
werden. 

')  Hist.  de  Langu.  T.  IV.  Pr.  p.  173- 

")  Raynald.  ad  ann.   I32ü. 

*)  Raynald.  ad  ann,    1327. 


Die  Inquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     227 

Machterweiterung  dieses  Tribunals  zur  Folge  ^),  und  Philipp 
selbst  erklärte  1334  ausdrücklich  die  Competenz  der  In- 
quisitoren im  Punkte  der  Magie  mit  der  nichtssagenden 
Einschränkung  „sicut  eorum  officium  tangi  aut  tangere 
potest"  *). 

Unter  diesen  Verhältnissen  konnte  es  an  Schlacht- 
opfern  nicht  fehlen.  In  Carcassonne  verurtheilte  man  von 
1320  bis  1350  über  vierhundert  Zauberer,  von  welchen 
mehr  als  die  Hälfte  zum  Tod  geführt  wurden;  zu  Toulouse 
wurden  in  demselben  Zeiträume  etwa  sechshundert  Urtheile 
gefallt,  und  ungefähr  zwei  Drittheile  derselben  lauteten  auf 
Auslieferung  an  den  weltlichen  Arm  ^).  Dergleichen  Exe- 
kutionen wiederholten  sich  auch  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahrhunderts;  unter  andern  hat  das  Jahr  1357  in  Carcas- 
sonne allein  31  Hinrichtungen  erlebt. 

Es  war  damals  jene  grausige  Zeit  hereingebrochen, 
wo  der  schwarze  Tod  durch  die  Völker  Europa's  hin- 
ging und  im  Laufe  von  wenigen  Jahren  das  Leben  von 
Millionen  verschlang'*),  wo  die  Geisseibrüder  in  wilder 
Ecstase  durch  die  Lande  wanderten,  wo  Tausende  und 
aber  Tausende  in  den  Niederlanden  und  in  Deutschland 
von  der  Epidemie  des  Veitstanzes  erfasst  wurden,  und 
mit  lautem  Geschrei  den  bevorstehenden  Triumph  des  Sa- 
tans verkündeten  und  wo  von  Spanien  her  der  Geist  des 
Averr  ons  zu  dämonischer  Grösse  anwachsend,  hohnlachend 
auf  Alles  was  der  Christenheit  heilig  war,  herabsah  und 


')  Le  tribunal  de  l*Inquisition  devint  Cour  royale  en  1331,  en  vertu  d*un 
arrtt  rendu  le  2  inai,  par  le  Parlement  de  Paris.  Ce  titre  nouveau  le  con- 
solida  singuliörement  et  lui  procura  une  plus  haute  importance,  il  releva  sa 
Jurisdiction ,  que  diverses  autres  Cours  de  justice  contrariaient  dans  son  exer- 
cise.     Lamothe-Langon  Hist.    de  l'Inqu.  T.  I.  p.  LXIX. ,  vgl.  T.  III.  p.  2 14. 

*)  Hist.  de  Languedoc  T.  IV.  Pr.  p.  23. 

*)  Lamothe-Langon  a.  a.  O.  T.  III.  p.  226. 

*)  Hecker  bemerkt  in  seiner  Schrift  „Di^  grossen  Volkskrankheiten  des 
Mittelalters"  (Berl.  1865,  S.  55.)  dass  diese  Pest  (die  bekanntlich  Bocaccio 
als  Augenzeuge  beschrieben),  alle  übertriebenen  Gerüchte  bei  Seite  gesetzt,  in 
sechs  Jahren  25  Millionen  Menschen  d.  h.  den  vierten  Thcil  aller  Bewohner 
Europa's  hingerafft  hat.  Viele  Gegenden  waren  in  Folge  des'sen  ganz  ent- 
v'ilkcrt. 


2  28  Zwölftes  Kapitel. 

mit  seiner  pantheistischen  Philosophie  die  Gemüther  Un- 
zähliger berückend  dem  Glauben  und  dem  Reiche  Christi 
auf  Erden  ein  baldiges  Ende  zu  machen  drohte.  Alle 
Stützen  des  Lebens  schienen  zu  brechen  und  ganzer  Mil- 
lionen bemächtigte  sich  eine  unheimliche  Stimmung,  in  der 
sich  dieselben  überall  von  unsichtbaren,  bösen  Mächten 
gefährdet  und  geschädigt  glaubten. 

Der  Verfasser  der  Geschichte  von  Languedoc  macht 
die  Bemerkung,  dass  um  dieselbe  Zeit,  wo  die  Fratri- 
cellen  und  Beghinen  ^)  in  Narbonne  ihre  Irrthümer  ver- 
breiteten (1326  ff.),  eine  grosse  Menge  von  Menschen  sich 
der  Magie  ergab,  und  deiss  die  angestrengteste  Thätigkeit 
der  Bischöfe  und  Inquisitoren  nicht  vermocht  habe,  dem 
Unwesen  Einhalt  zu  thim.  Die  Ketzerei  der  Fratricellen  *) 
bestand  hauptsächlich  darin,  dass  sie,  als  strenge  Anhänger 
der  Armuthsregel  des  h.  Franciscus,  die  päpstliche  EMs- 
pensation  von  derselben  für  ketzerich  erklärten  imd  die-, 
jenigen  aus  ihrer  Mitte,  welche  desshalb  den  Scheiter- 
haufen hatten  besteigen  müssen,  als  Märtyrer  priesen. 
Ausserdem  gaben  sie  sich  apokalyptischen  Schwärmereien 
hin,  nannten  die  römische  Kirche  die  babylonische  Hure 
und  eine  Synagoge  des  Satanas,  erblickten  in  Johann  XXU, 
den  Vorläufer  des  Antichrists  und  verkündeten  eine  ge- 
waltsame Umwälzung  der  Dinge  xmd  blutige  Kriege  als 
nahe  bevorstehend.  Auch  ist  in  den  Akten  niedergelegt, 
dass  sie  den  Staub  und  die  Knochen  ihrer  Märtjrrer,  die 
sie  als  Reliquien  aufbewahrten,  küssten  und  heilsame 
Wirkungen  von  denselben  erwarteten^).  Ob  etwa  jene 
Weissagimgen ,  die  man  besonders  aus  einer  proven9ali- 
schen  Postille  über  die  Apokalypse  zog*),   und  diese  Be- 


^)  Hahn,  Gesch.  der  Ketzer  im  Mittejalter,  Stuttg.   1845,  B.  11.  S.  423  & 

')  S.  Lib.  Sentent.  bei  Limborch  p.  298. 

•)  Item  praedictas  reliquias  cuidam  personae  —  —  ostendit,  et,  ut  »bi 
videtur.  eas  osculata  fuit,  dicens,  quod  rogabat  dictas  reliquias,  quod  %\  p<v 
terant  eara  juvare,  cum  Deo  juvarent.     Limborch  p.  319. 

^)  Inventi  fuerant  in  eadem  postilla  [super  Apocalypsim]  multi  articuti 
erronei  et  haeretici,  blasphemi,  temerarii«  aut  divinationes  continentex  et  Mjlv^ 
pttemias  expressas  contra  Roroanam  ecciesiaro.     Limborch  p.  306. Item 


Die  Inquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     229 

handlung  der  Ueberreste  verbrannter  Ketzer  die  Veran- 
lassung gaben,  die  Beghinen  in  ein  näheres  Verhältniss 
zum  Zauberwesen  zu  setzen,  oder  ob  es  nur  darum  galt, 
die  ihrer  Popularität  und  moralischen  Kraft  halber  sehr 
gefahrliche  Partei  auf  diesem  Wege  desto  sicherer  zu  ver- 
nichten, wollen  wir  nicht  entscheiden.  Gewiss  ist  es,  dass 
man  in  vielen  Inquisitionsregistem  die  Waldenser,  Albi- 
genser,  Beghinen  und  Zauberer  auch  noch  getrennt  auf- 
geführt findet. 

Wie  recht  oder  unrecht  den  Beghinen  und  Fratricellen 
geschehen  sei  *) ,  grundloser  können  die  gegen  sie  erho- 
benen Vorwürfe  nicht  gewesen  sein,  als  die  Anklagen, 
unter  welchen  gleichzeitig  in  einem  beträchtlichen  Theile 
Europa's  eine  andere  Klasse  von  Verfolgten  den  Tod  litt. 
Wie  man  im  Mittelalter  Alles  zünftig  betrieb,  Kunst, 
Wissenschaft,  Ritterthum  und  Ascetik,  —  so  träumte  man 
selbst  in  Krankheiten  und  Verbrechen  das  Corporations- 
mässige  hinein.  1321  brach  zunächst  in  Frankreich,  dann 
aber  auch  in  England  und  Deutschland  eine  Verfolgrmg 
der  Aussätzigen  aus,  bei  welchen  eben  so,  wie  bei  den 
Templern,  ein  System  ausgemachter  Verruchtheit  voraus- 
gesetzt ward  *).  Man  beschuldigte  sie,  in  ihren  Zusammen- 
künften (Kapiteln)  sich  zur  Ausrottung  der  Christen  durch 


dixit,  se  credidisse ,  quod  infra  annum ,  quo  computabitur  incarnatio  Domini 
1330,  Antichristus  major  fecerit  cursum  suum  et  erit  mortuus.  Ibid.  p.  308. 
—  —  Item  dixit,  quod  opiniones  infra  scriptae  erant  inter  Beguinos,  et  ipse 
etiam  cum  aliis  opinabatur,  quod  falsus  Papa  debebat  surgere  de  partibus 
Siciliae,  qui  eligeretur  et  constitucretur  per  dominum  Fridericum  Regem  Si- 
ciliae,  —  et  quod  diclo  falso  Papa  constituto  dominus  Papa,  qui  nunc  est, 
propter   tribulationes   cum   duobus   Cardinalibus   solus  fugcret,     Opinabantur 

etiaai  —  quod  falsus  Papa  constitueret  imperatorem  —  Fridericum,  qui 

cum  rege  Arragoniae  et  aliis  octo  regibus  veniret  contra  regnum  Franciae  et 
regnum  Robert!,  —  et  destruerent  ipsa,  et  rex  Franciae  vinceretur  per  ipsos. 
Ante  tarnen  essent  magnae  strages  hominum  in  bellis  etc.  —  Limborch  p.  309< 

*)  Die  spätere  Tradition  modelt  das  Treiben  der  Fratricellen  wiederum 
ganz  nach  dem  Typus  der  Katharergräuel.  Auch  hier  wieder  Lichterlöschen. 
Kinderbraten  und  Einweihung  des  Novizen  mittelst  eines  Trankes  aus  Kinder- 
asche und  Wein.     Trithem.  Annal.  Hirsaug.  ad  ann.  1299  u.  1320. 

«j  Maratori  Antiqu.  Ital.  Vol.  III.  P.  II.  p.  488  ff. 


230  Zwölftes  Kapitel. 

Brunnenvergiftung  verschworen  zu  haben,  um  dann  von 
den  Gütern  derselben  nach  Herzenslust  zu  schwelgen.  Vor 
Gericht  befragt,  gestanden  sie  auch,  —  wie  Templer  und 
Hexen  —  und  wurden  dann  verbrannt.  Einige  schoben 
die  Schuld  auf  Bestechung  durch  Juden,  \md  Einer  be- 
hauptete, das  von  ihnen  angewendete  Gift  sei  aus  dreierlei 
Kräutern,  sowie  aus  Urin,  Menschenblut  und  Hostien  be- 
reitet. Es  fand  hier  und  da  auch  der  Glaube  Eingang, 
als  habe  der  König  von  Granada  die  Juden  aufgereizt  und 
diese  wiederum  die  Aussätzigen  als  Werkzeuge  gebraucht. 

Kehren  wir  zum  Hexenwesen  zurück!  Ein  Blick  auf 
die  Akten  des  vierzehnten  Jahrhunderts  zeigt  uns  hier 
überall  nur  Eine  Combination  des  alten  Ketzer-  imd  Zauber- 
materials ^). 

Man  hat  sich  dem  Teufel  ergeben  und  alle  Excesbe 
der  Zusammenkünfte  mitgemacht,  die  gewöhnlich  in  der 
Nacht  von  Freitag  auf  Sonnabend  auf  dem  Berge  Alaric 
und  anderwärts  stattfinden.  Der  Teufel  erscheint  mit 
feurigen  Augen  oder  als  riesiger  Bock  und  fordert  die 
Neulinge  zur  Leistung  des  Homagiums  auf;  er  bläst  dem 
Bejahenden  in  den  Mund;  durch  seinen  blossen  Willen 
versetzen  sich  die  Geworbenen  zum  Sabbath,  daselbst  ver- 
kehrt man  mit  dem  Bock,  isst  von  dem  Fleische  geraubter 
Säuglinge  und  andern  ekelhaften  Speisen,  ohne  Salz,  tanzt 
im  Zauberkreise  ■^)  und  lernt  Zaubermittel.     Der  Bund  mit 


*)  Lamotke-Langon  Tom.  III.  p.  226  ff. 

')  Den  Hexentanz  finden  wir  zum  ersten  Male  bei  einem  Autodafe 
zu  Toulouse  im  Jahr  1353  erwähnt.  S.  Lamothe-Langon  111.  360.  —  Dtrr 
Tanz  gehört  zu  Götzendienst  und  Orgien.  Eine  merkwürdige  Belehrung  über 
das  Schändliche  des  Tanzens  gibt  Vincentius  von  Beauvah  (Spec.  moral.  üb.  III. 
Dist.  6,  p,  q).  Man  soll  nicht  tanzen  in  diesem  irdischen  Jammerthale;  Her 
Tanz  ist  vom  Teufel  erfunden,  und  wer  tanzt,  erzeigt  diesem  einen  Kult,  wie 
die  Juden ,  als  sie  vor  dem  goldenen  Kalbe  tanzten.  Vincentius  klagt,  da^s 
man  Kirchen  und  Kirchhöfe,  besonders  an  Festtagen,  entweihe,  und  fQlirt 
mehrere  erlebte  Fälle  an.  Obgleich  von  wirklichem  Tanzen  die  Rede  ist,  su 
hat  man  doch  hierin  fast  ein  Vorbild  des  Hexentanzes.  Die  Tänzer  sind  qua>i 
simiae  clericorura,  ducentes  processioncs  diaboli  et  choreas.  Es  wird  erörtert, 
dass  die  Tanzenden  begehen:  sacrilegium  locorum,  sacrilegium  personale,  sacri- 
legium  contra  sacramentum  baptismi  et  eucharistiac,  contra  confirmationcni. 
contra  matrimonium  etc. 


Die  Inquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Uexenprozesses  in  Frankreich.     23 1 

dem  Satan  wird  zuweilen  so  geschlossen,  dass  man  sein 
Blut  in  ein  Feuer  laufen  lässt,  in  welchem  Todtenknochen 
brennen.  Man  bereitet  Liebeszauber  aus  einem  Streifen 
vom  Hemde  des  Geliebten ,  aus  Galgenstricken ,  Tauben- 
herzen und  dem  eigenen  Blute,  welches  alles  zusammen 
vergraben  wird;  oder  man  parodirt  die  Messe  zum  Behufe 
eines  Sortilegiimis.  Zum  Zurüsten  des  Zaubers  sind  günstig 
die  Nächte  vor  Johannistag,  Weihnachten  und  die  des 
ersten  Freitags  im  Monat.  Zwei  Schäfer  haben  Brunnen 
durch  Magie  vergiftet  und  den  Teufel  Nachts  auf  einen 
Kreuzweg  berufen,  um  Krieg  über  das  Land  zu  bringen. 
Die  Inqmsitin  hat  Hagel,  Regen  und  giftigen  Nebel  ge- 
macht, Getreide  und  Reben  erfrieren  lassen,  Ochsen  und 
Schafe  der  Nachbarn  verderbt ;  sie  hat  eine  Tante  getödtet, 
indem  sie  das  wächserne  Bild  derselben  am  Feuer  schmolz. 
Papst  Johann  XXII.  (1316 — 1334),  der  überall  Zauberer 
und  Hexen  sah,  welche  mit  Teufel  und  Dämonen  ver- 
bündet wären  ^) ,  redet  in  seinen  Erlassen  von  Wachs- 
bildern, mit  denen  die  Zauberer  ihm  und  Anderen  nach 
dem  Leben  trachteten.  Diese  Wachsbilder  würden  näm- 
lich von  den  Zauberern  auf  den  Namen  bestimmter  Per- 
sonen getauft,  und  wenn  sie  dann  das  Wachs  durchstächen, 
so  würde  dadurch  der  Tod  der  Personen  herbeigeführt, 
deren  Namen  sie  trügen.  Solche  Bilderzauberei  (envoüter) 
war  es  auch,  welche  Engxierrand  de  Marigny,  Philipp's 
des  Schönen  gewesener  Minister,  gegen  Ludwig  X.  verübt 
haben  sollte,  als  der  Graf  von  Valois  eines  Vorwands  be- 
durfte, um  die  beschlossene  Verbannung  des  gestürzten 
Günstlings  in  die  Todesstrafe  umzuwandeln;  er  ward  ge- 
hängt am  Galgen  von  Montfaucon,  den  er  für  Andere  ge- 
baut hatte  ^).  Andere  haben  durch  Formeln  oder  durch 
das  böse  Auge  getödtet,  aus  der  Hand,  den  Sternen  und 
Spiegeln  geweissagt,  wahrsagende  Geister  in  Ringe  ein- 
geschlossen u.  s.  w.  Das  Buch,  welches  der  131 9  einge- 
kerkerte Minorit  zu  Carcassonne  besass,   enthielt:  multos 


^)  Btuhma/m,  die  unfreie  und  die  freie  Kirche,  S.  288  IT. 
')  Garinet  Histoire  de  la  magie  en  France,  p.  82. 


2  72  Zwölftes  Kapitel. 

characteres,  plurima  daemonum  nomina,  modum  eos  invo- 
candi  et  eis  sacrificia  offerendi,  per  eos  et  eis  mediantibus 
domos  et  fortalitia  diruendi,  naves  submergendi  in  man, 
magnatum  et  etiam  aliorum  amorem  ac  credulitatis  et 
exauditionis  gratiam  apud  istos  vel  illos,  nee  non  mulieres 
in  conjugium  et  aliter  ad  venereos  actus  habendi,  caecita- 
tem,  Cassationen!  membrorum,  infirmitates  cdias  ac  mortem 
etiam  praesentibus  vel  absentibus,  mediantibus  imaginibus 
et  aliis  actibus  superstitiosis ,  inferendi  et  multa  mala  alia 
faciendi  *).  Dass  die  Teufelsunzucht  nicht  vergessen  wurde, 
versteht  sich  von  selbst.  Alvarus  Pelagius,  Bischof  von 
Silva,  der  um  1332  sein  Buch  de  planctu  ecclesiae  schrieb, 
hat  viele  Nonnen  gekannt,  die  sich  den  Umarmungen  des 
Teufels  ohne  Scheu  hingaben,  wie  er  diess  aus  ihren  ge- 
richtlichen Bekenntnissen  ersah  ^).  Ausserdem  suchte  man 
in  jener  Zeit  noch  häufig  die  Angeklagten  zu  manichäischen 
Antworten  zu  bringen:  Gott  und  der  Teufel  seien  gleich 
u.  s.  w.  ^). 

Im  Jahr  1344  erfolgte  in  Irland  ein  Hexenprozess, 
welcher  es  in  sonnenhellster  Weise  erkennen  lässt,  dass 
sich  derselbe  auf  der  Unterlage  des  Ketzerprozesses  ge- 
staltete und  dass  damals  noch  der  Vorwurf  der  Zauberei 
nur  eine  Steigerung  des  Vorwurfs  der  Ketzerei  war*).  — 
Der  Urheber  der  Verfolgxmg  war  hier  der  Bischof  Richard 
de  Ledred  zu  Ossory  im  Palatinat  Kilkenny.  Derselbe 
hatte  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  zimächst  in  seiner 
Diöcese  und  weiterhin  in  ganz  Irland  der  Ketzerei  und 
der  mit  ihr  verbundenen  Zauberei  ein  Ende  zu  machen. 
Daher   trat  er  zunächst  in  Hirtenbriefen  gegen  die  „gens 


')  Limborch  Hist.  Inquis.  S.  271   des  Liber  Sentcnt. 

')  Supponunt  se  daemoni  transfigurato  incubo.     Raynald  ad  a.  1317. 

')  Lamotke-  Langen  a.  a.  O. 

*)  Th,  Wright  hat  über  denselben  eine  gleichzeitige  lateinische  Bericht- 
erstattung unter  dem  Titel  veröffentlicht:  A  conteroporary  nairative  of  Üie 
proceedings  against  Dame  Alice  Kyteler  or  Ketler,  prosecuted  for  sorccry  in 
1344.  —  Späterhin  hat  Wright  diesen  Prozcss  mit  Benutzung  anderweitiger 
Quellen  vollständiger  in  seinen  Narratives  of  sorcery  and  magic  (Lond.  185O 
T.  I.  S.  25—40  dargestellt. 


Die  Inquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbiid.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     2^^ 

pestifera  novella"  auf,  die  keine  kirchlichen  Abgaben  und 
Zehnten  entrichten  wollte,  die  Rechte  der  Bischöfe  nicht 
respektirte  und  die  Kirchengüter  plünderte ;  —  denn  dieses 
war  die  Ketzerei,  um  die  es  sich  handelte.  Im  Jahr  1324 
wurde  nun  eine  vornehme  Dame,  Alice  Kyteler,  mit  ihren 
beiden  Zofen,  ihrem  Sohne  William  Outlaw  (den  sie  ver- 
muthlich  zu  „kirchenräuberischen**  Praktiken,  d.  h.  zur 
Ketzerei  verleitet  haben  sollte)  und  mehreren  Anderen  vor 
das  geistliche  Gericht  geladen,  weil  sie  der  Zauberei  an- 
geklagt wären.  Alle  Angeklagten  sollten  auch  für  eine 
bestimmte  Zeit,  um  zaubern  zu  können,  den  christlichen 
Glauben  abgeschworen  haben.  Die  Dame  Alice  K3rteler 
insbesondere  sollte  auf  Kreuzwegen  (in  quadriviis)  Zusam- 
menkünfte mit  einem  bösen  Geiste  von  der  armseligsten 
Sorte  (ex  pauperioribus  infemi),  der  sich  Robin  Artysson 
(Artis  filius)  nenne,  haben.  Diesen  ihren  Liebhaber  re- 
galire  sie  bei  besagten  Zusammenkünften  mit  neun  rothen 
Hähnen  und  einer  unbekannten  Zahl  von  Pfauenaugen. 
Sie  bereite  auch  Pulver,  Salben  und  Kerzen  aus  ekel- 
haftem Gewürm,  giftigem  Kraut  und  dem  Fett  und  Hirn 
ungetaufter  Kinder  nebst  anderen  gräulichen  Ingredienzen, 
die  sie  allesammt  in  dem  Schädel  eines  vom  Galgen  ge- 
stohlenen Missethäters  mische  und  koche.  Femer  begehe 
die  Angeklagte  mit  ihrem  Liebhaber  bei  selbigen  Zu- 
sammenkünften eine  Ceremonie,  in  welcher  das  heilige 
Messopfer  nachgeäfft  und  verhöhnt  werde,  und  an  diese 
Handlimg  schlössen  sich  dann  noch  Verwünschungen  ge- 
gen alle  ihre  Feinde,  ihre  Ehemänner  mit  eingeschlossen, 
die  sie  in  allen  Gliedern  ihrer  Körper  einzeln  (per  omnia 
membra  nominatim  et  sigillatim)  verfluche,  und  deren  sie 
bereits  vier  durch  ihre  Teufelskünste  umgebracht,  wie  denn 
auch  ihr  gegenwärtiger  Ehemann,  Lord  John  de  Poer,  in 
einen  solchen  Zustand  gerathen,  dass  ihm  Nägel  und  Haare 
ausgegangen  wären.  Alle  diese  Schandthaten  sollte  sie 
ihrem  Liebhaber,  dem  Teufel  Robin  Artysson  zu  Gefallen 
verübt  haben  und  es  wurde  noch  als  ganz  besonders  er- 
schwerender Umstand  angeführt,  dass  derselbe  einer  der 
gemeinsten  aus  der  Hefe  aller  Teufel  in  der  Hölle  wäre, 


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<-^  '-'^r'-'V: :.r.en  Petr>:i£Za  tot  das  er^e  BhituithetU 
""'•''^'^   i»*r;^*:r.  Hexerei  in  Irland  voUÄwrki  war. 


Die  Inquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     235 

In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts,  etwa  1358, 
schrieb  ein  spanischer  Dominikaner,  der  Generalinquisitor 
von  Aragonien  Nicolaus  Eymericus  (t  1393)  sein  Di- 
rectorium  Inquisitorum,  die  erste  systematische  Unterweisung 
für  den  Ketzerrichter  *),  das,  obwohl  eine  Privatarbeit,  doch 
bald  das  Ansehen  einer  amtlich  aufgestellten  Klriminal- 
ordnung  erlangt,  und  als  solche  Jahrhimderte  hindurch 
den  Inquisitionsprozess  beherrscht  hat.  Eymericus  hat 
auch  Schriften  über  Logik  und  Physik  verfasst  —  aber 
nicht  diesen  Arbeiten,  sondern  seinem  „Directorium**  ver- 
dankt er  seine  Unsterblichkeit.  Er  hat  sein  Amt  als  Ge- 
neralmenschenquäler 44  Jahre  verwaltet  und  ist  während 
dieser  Zeit,  wie  sein  Biograph  von  ihm  rühmt,  ein  acer 
haereticae  pravitatis  Inquisitor  gewesen.  Was  damals  irgend 
möglich  war,  das  hat  er  gethan,  um  seinen  Collegen  die 
Blutarbeit  zu  erleichtem.  Er  führt,  was  kein  Instruktor 
vor  ihm  gethan  hatte,  die  Belegstellen  ausführlich  an.  Der 
Mühe,  eine  Bibliothek  mit  sich  herumzuschleppen,  waren 
die  Inquisitoren  nun  überhoben.  Ein  Brevier,  ein  Crucifix 
und  dieses  Buch  in  der  Tasche  —  und  der  Mann  Gottes 
war  fertig  und  für  seine  Menschenjagd  vollkommen  aus- 
gerüstet. Eymericus  hat  sich  aber  auch  dadurch  vor  seinen 
Vorgängern  hervorgethan,  dass  er  seinen  Amtsgenossen 
ein  alphabetisch  geordnetes  Verzeichniss  von  Ketzereien, 
auf  welche  sie  inquiriren  konnten,  vorgelegt.  Dieses  Ver- 
zeichniss ist  zwölf  eng  gedruckte  Seiten  stark;  allein  der 
Buchstabe  A  umfasst  vierundfünfzig  Ketzereien !  Die  erste 
gedruckte  Ausgabe  dieses  Leitfadens  ist,  so  viel  bekannt, 
1503  in  Rom  erschienen.  —  Die  von  dem  curialistischen 
Rechtsgelehrten  Pegna  besorgte   und  mit  Commentaren 


^)  Nie,  Eymerici  Direclorium  Inquisitorum,  cum  scholiis  Francisci  Pegnae, 
Romae  1678.  —  Part.  IL  Quaest.  42U.  43  wird  von  der  Zauberei  gehandelt. 
Ib  Omnibus  operibus  magicis  est  apostasia  a  fide,  propter  pactum  initum  cum 
daemone,  vel  verbotenus,  si  invocatio  intersit,  vel  facto  aliquo,  etiam  si  sacri- 

ficia  desint.    Non  enim  potest  homo  duobus   dominis   servire £x  his 

apparet,  quod  magicam  artem  sectantes  et  exercentes  ut  haeretici  sunt  habendi 
et  vitandi.  —  Sed  daemones  invocantes  et  iisdem  sacrificantes  magicam  ariem 
sunt  in  hoc  sectantes  et  exercentes,  ergo  etc. 


236  Zwölftes  Kapitel. 

versehene  Ausgabe  (ein  massiger  Folioband)  hat  Ghre- 
gor  Xm.  als  praecipua  catholicae  fidei  capita  continen- 
tem  unter  dem  13.  August  1578  mit  einem  Privilegium 
gegen  Nachdruck  versehen '). 

In  diesem  Codex  finden  wir  nun  die  Theorie  schon  so 
weit  fortgeschritten,  dass  es,  die  Chiromantie  etwa  aus- 
genommen, fast  nicht  eine  einzige  magische  Uebung  pbt, 
von  welcher  der  Verfasser  nicht  nachwiese,  dass  sie  ketzerisch 
sei,  oder  wenigstens  nach  Ketzerei  schmecke*),  und 
mithin  vor  das  Forum  des  Inquisitors  gehöre.  Merkwürdig 
ist  insbesondere  die  IClassifikation  derjenigen,  welche  den 
Teufel  anrufen.  Wir  geben  sie  in  der  kürzeren  Fassung, 
wie  sie  das  Manuel  des  Inquisiteurs  hat ') :  De  ceux  qui 
invoquent  les  d^mons  on  peut  faire  trois  classes.  La  pre- 
mifere  de  ceux  qui  rendent  aux  d^mons  un  culte  de  latrie, 
en  sacrifiant,  en  se  prostemant,  en  chantant  des  priores, 
en  allumant  des  cierges,  en  brülant  de  Tencens  etc.  — 
La  seconde  est  de  ceux  qui  se  contentent  ä  rendre  au 
diable  un  culte  de  dulie  ou  dliyperdulie ,  en  mfelant  les 
noms  des  diables  aux  noms  des  Saints  dans  les  litanies, 
en  les  priant  d'ßtre  leurs  mödiateurs  aupr^s  de  Dieu  etc. 
—  La  troisi^me  classe  comprend  ceux  qui  invoquent  les 
dömons  en  tra9ant  des  figures  magiques,  en  pla9ant  un 
enfant  au  milieu  d'un  cercle,  en  se  servant  d'une  ^p^ 
d'une  couche,  d'un  miroir  etc.  —  En  g6n6ral,  on  peut  re- 
connattre  assez  facilement  ceux  qui  invoquent  les  d^raons, 
k  leur  regard  farouche  et  k  un  air  terrible  que  leur  don- 
nent  les  entretiens  frÄquents,  qu'ils  ont  avec  les  diables.  — 
Tous  ceux  qui  invoquent  les  dömens  de  Tune  de  ces  trois 


*)  Buchmann,  die  unfreie  und  die  freie  Kirche  (Breslau,  1875),  S,  152 — 153. 

')  Ueber  das  Schmecken  nach  Ketierei  s.  die  nähere  Bestimmung  bei 
Limborch  (Hist.  Inqu.  p.  113),  wo  es  nach  Simancas  heisst:  Propositio  tst 
haeretica,  quae  contraria  est  scripturae,  aut  ecclesiae,  aut  decretis  concilii  ge- 
neralis etc.  —  Propositio  sapit  hatresim,  quae  priroa  verborum  signlficttione 
et  prima  facie  sensum  habet  haereticum,  quamvis  pie  intellecta  possit  habere 
scntum  catholicum. 

')  Le  Manuel  des  Inquisiteurs,  ou  abrege  de  Touvrage  intitule  Directorium 
Inquisitorum  etc.    A  Lisbonne  1762.    Chap.  XIV. 


Die  iDquisition  im  14.  Jahrh.  Ausbild.  d.  Hexenprozesses  in  Frankreich.     237 

manieres,  sont  sujets  k  la  Jurisdiction  du  Saint-Office  comme 
h^r^iques.  —  Si  cependant  on  ne  demandait  au  diable 
que  des  choses  qui  sont  de  son  mutier,  comme  de  tenter 
une  femme  du  p6ch6  de  luKiu^e,  pourvu  qu'on  n'emploie 
pas  les  termes  dadoration  et  de  prierey  mais  ceux  de  cofti- 
mandementy  il  y  a  des  auteurs  qui  pensent  qu'en  ce  cas  on 
ne  se  rend  pas  coupable  d'hörösie.  D'aprfes  cette  derni^re 
Observation,  si  en  invoquant  le  diable,  pour  rendre  par 
exemple  une  femme  sensible  «t  lamour,  le  faiseur  de  sorti- 
16ges  se  seit  de  rimp6ratif :  je  te  commande,  je  t'ordonne, 
j'exige  etc.,  rh6r6sie  n'est  pas  la  bien  marqu6e;  mais  s'il 
dit:  je  te  prie,  je  te  conjure,  je  te  demande  etc.,  Th^rösie 
est  manifeste,  parceque  ces  paroles  de  prieres  supposent 
et  renferment  Tadoration.  —  Parmi  ceux  qui  invoquent 
les  dömons,  on  peut  compter  les  Astrologues  et  les  Alchy- 
mistes,  qui  lorsqu'ils  ne  peuvent  pas  parvenir  aux  d6cou- 
vertes  qu'ils  cherchent,  ne  manquent  pas  de  recourir  au 
diable,  lui  fönt  des  sacrifices  et  Tinvoquent,  ou  expresse- 
ment  ou  tacitement. 

So  stützte  Eymericus  in  wissenschaftlicher  Form,  was 
in  Frankreich  die  Praxis  längst  geübt  hatte.  Auch  in 
Italien  zeigen  sich  um  diese  Zeit  schon  Hexenprozesse. 
Doch  ist  aus  dem  Gutachten,  welches  der  seiner  Zeit  in 
Grelehrtenkreisen  hochangesehene  (bei  dem  Volke  aber 
wegen  seiner  Härte  verhasste  Jurist  Bartolus  (Severus 
de  Alphanis)^)  (t  1357)  ausstellte*)  zu  ersehen,  dass  die 
Hexenprozesse  in  Italien  noch  nicht  recht  im  Zuge  waren, 
imd  dass  die  Kriminaljustiz  zum  Verbrennen  der  Hexen 
noch  nicht  den  rechten  Muth  hatte.  Bartolus  spricht 
sich  ganz  entschieden  für  Bestrafung  der  Hexen  mit  dem 
Feuertod  aus ;  hält  es  aber  dabei  für  rathsam,  zur  Stützung 
seines  Urtheils  sich  auf  das  was  in  der  kirchlichen  Theo- 
logfie  der  Zeit  unbeanstandet  gelehrt  wurde,  zu  berufen. 
In    dieser    war    es    nun    längst    üblich    geworden,     das. 


*)  ßartoh,  1313  in  Umbrien  geboren,  war  Professor  der  Jurisprudenz  zu 
Perugia  und  kaiserlicher  Rath  Karls  IV.    Erstarb  zu  Perugia  am  13.  Juli  1355. 

')  Das  Gutachten  findet  sich  abgedruckt  bei  Ziletti,  Consilia  selecta, 
1577.  I..  8. 


2  28  Zw^.lftcs  Kapitel- 

was  Christus  und  Apostel,  eine  geistliche  Auffassung  ihrer 
Worte  voraussetzend,  von  dem  Reiche  Gottes  gelehrt 
hatten,  auf  äussere  Verhältnisse,  auf  die  mit  äusserer 
Zwangsgewalt  operirende  Kirche  zu  beziehen.  Das  Wort 
des  Apostels,  dass  der  geistliche  Mensch  Alles  richte,  ver- 
stand man,  wie  in  der  Bulle  Bonifacius  VUI.  „Unam  sanc- 
tam"  gelehrt  ward,  dahin,  dass  der  Papst  nach  Christi 
Ordnung  der  oberste  Richter  der  Fürsten  imd  Völker  sei. 
Wenn  der  Prophet  Jeremias  im  Alten  Btmde  seinen  ihm 
von  Gott  ertheilten  Auftrag  gottliche  Strafgerichte  anzu- 
kündigen, in  orientalischer  Redeweise  als  einen  Befehl  zu 
verderben  und  zu  verwüsten  bezeichnete,  so  sollte  nach 
päpstlicher  Auslegung  hierin  eine  typische  Darstellung  der 
Gewalt  des  Papstes  zu  erkennen  sein,  indem  Gott  hier 
eigentlich  dem  Papstthum  habe  die  Macht  verleihen  wollen, 
nach  freiem  Ermessen  zu  verderben  imd  aus  dem  Lande 
der  Lebendigen  auszurotten.  Wenn  es  in  den  Psalmen 
von  dem  Konige  des  zukünftigen  Messianischen  Gottes- 
reiches auf  Erden  heisst,  derselbe  werde  mit  eiserner  Ruthe 
die  Volker  bezwingen,  so  sah  man  darin  den  Beweis  für 
das  Recht  und  die  Pflicht  der  Päpste,  die  Volker  mit  ihrer 
todtbringenden  Inquisition  heimzusuchen.  —  Auf  Grund 
dieser  und  ähnlicher  Ausfiihrungen  erklärte  daher  der 
grosse  Bartolo  in  seinem  Gutachten,  dass  ein  zauberisches 
Weib  zu  verbrennen  sei,  weil  nach  Christi  Gebot,  wer 
nicht  in  Seiner  Gemeinschaft  verbleibe,  hinwegzuwerfen 
sei  wie  eine  verdorrte  Rebe,  die  man  verbrenne.  — 
Von  dem  Bekanntwerden  dieses  Gutachtens  an  nahm  das 
regelmässige  Verbrennen  der  Hexen  seinen  Anfang*).  — 
Das  Gutachten  Bartolo's  war  daher  die  wesentliche 
Ergänzung  des  Direktoriums  Eymerichs. 


*)  Janus,  S.  275—276. 


DREIZEHNTES     KAPITEL. 


Abnahme    der   Hexenprozesse    in   Frankreich. 
Uebergang   derselben    in    die   angrenzenden 

Länder. 

Mit  dem  Schlüsse  des  vierzehnten  Jahrhunderts  be- 
reitet ßich  eine  Veränderung  der  Dinge  vor.  Von  Wich- 
tigkeit war  es,  dass  der  Hexenprozess  durch  Be- 
schluss  des  Pariser  Parlaments  im  Jahre  1390  dem 
geistlichen  Richter  abgenommen  und  dem  welt- 
lichen zugewiesen  wurde  i).  Wenngleich  dadurch  nicht 
jeder  Anspruch  der  Inquisition  auf  ein  einmal  geübtes 
Recht  alsbald  verstummte,  so  sah  sich  dieselbe  doch  von 
der  Ausübxmg  ausgeschlossen,  und  die  geistliche  Wirk- 
samkeit war  wieder  auf  einen  andern  Weg  gewiesen. 
Unter  dem  19.  Sept.  1398  liess  die  Sorbonne  27  Artikel 
ausgehen,  in  welchen  sie  die  Verbreitimg  magisch-astro- 
logischen Unwesens  beklagt  und  als  Irrthum  verdammt*). 
Sie  behauptet   hierin  ebenso    sehr  die  Realität  der  magi- 


*)  Bodin,  Dacmonoman.  p.  377.  Bereits  1374  hatte  Gregor  XI.  die  Com- 
petenz  der  Inquisitoren  gegen  Widerspruch  in  Schutz  nehmen  müssen.  Raynald, 
ad  ann.  1374. 

•)  Decretum  facultatis  theologiae  Parisiensis  contra  superstitiosos  errores 
artis  roagicae.  In  den  Ausgaben  des  Malleus  maleficarum  gewöhnlich  ab- 
gedruckt. 


240  Dreizehntes  Kapitel. 

sehen  Wirkungen  *),  als  sie  jeden  Versuch  der  Magie, 
sich  durch  Anschmiegen  an  die  christlichen  Kultusfonnen 
den  Anschein  einer  erlaubten  Herrschaft  über  die  Greister- 
welt  zu  geben,  entschieden  zurückweist.  Weder  Bilder, 
noch  andere  Zaubermittel  haben  durch  sich  selbst  oder 
durch  Weihungsceremonien  ihre  Kraft,  sondern  Alles  be- 
ruht auf  einem  ausdrücklichen  oder  stillschweigenden  Bünd- 
nisse mit  den  Dämonen,  die  sich  durch  Ceremoniell  und 
Sprüche  niemals  in  Wirklichkeit  zwingen  lassen,  wohl  aber 
sich  bisweilen  so  stellen,  um  die  Menschen  zu  berücken  *). 
Wie  sehr  magische  Uebungen  insbesondere  zum  Zwecke 
der  Heilung  damals  in  Frankreich  verbreitet  gewesen  sein 
müssen,  erhellt  auch  aus  einer  Schrift,  welche  bald  darauf 
der  Kanzler  Gerson  (t  1429)  erscheinen  liess*).  Er  ist 
unzufrieden  mit  den  kirchlichen  Heilungen  durch  Wall- 
fahrten, Weihwasser,  geweihtes  Wachs  u.  s.  w.  und  be- 
trachtet sie  als  alte,  nur  nicht  leicht  auszurottende  Miss- 
bräuche. Die  menschliche  Ungeduld  aber,  wenn  diese 
Mittel  fehlschlagen,  führt  zur  Anwendung  der  eigentlichen 
Magie.  „Wir  haben  —  lässt  er  die  Ungeduldigen  sich 
verantworten  —  zu  Gott    gebetet,    und    er  hat   uns  nicht 


*)  Art.  17.  yuod  per  tales  artes  et  ritus  impios,  per  sortilegia,  pcrcar« 
niinationes ,  per  invocationes  daeinonum,  per  quasdam' invultuationes  et  «lia 
maleficia  nuUus  unquam  effectus  ministerio  daemonuni  subsequatur.  Errpr. 
nam  talia  quandoque  permittit  Deus  contingere.  ut  patuit  in  Magis  PharaoQÜ 
et  alibi  pluries,  etc.  — 

')  Z.  B.  Art.  9.  Quod  Deus  per  artes  magicas  et  maieficia  inducatur. 
daemones  compellere  suis  invocantibus  obedirc  —  Error,  —  Art.  12.  Quod 
verba  sancta  et  orationes  quaedam  devotae  et  jejuniae  et  balneationes  et  cod- 
tinentia  corporalis  in  pueris  et  aliis  et  missarum  celebrationes  et  aiia  opcn 
de  genere  bonorum,  quae  fiunt  pro  exercendo  hujusmodi  artes,  excusent  ^^» 
a  malo  et  non  potius  accusent,  —  Error,  —  Art.  16.  Quod  per  lalcs  artes 
daemones  veraciter  coguntur  et  compelluntur,  et  non  potius  ita  se  cogi  fingunt 
ad  seducendos  homines,  —  Error.  —  Art.  19.  Quod  sanguis  upupae.  ^«^ 
hoedi,  vel  alterius  animalis,  vel  pergamenum  virgineum,  aut  conum  leonis  tt 
similia  habeant  efßcaciam  ad  cogendos  vel  repellendos  daemones  roinisteno 
hujusmodi  artium,  —  Error. 

')  De  erroribus  circa  artem  magicam.  Auch  im  Ma Ileus  abgednickt. 
Später  bekAmpHe  Gerson  noch  besonders  die  Astrologie  in  s.  Tractat  de  astru- 
lögia  theologisata.  ad  Delphinuni. 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  241 

erhört;  wir  haben  gefastet  und  viele  Wallfahrten  und 
Prozessionen  angestellt,  und  er  hat  dessen  nicht  geachtet." 
Die  Menschen  sollen  in  Geduld  hinnehmen,  was  Gott  sendet, 
der  göttlichen  Barmherzigkeit  keinen  Termin  setzen.  Sie 
sollen  fest  sein  im  Glauben,  wie  Philipp  von  Frankreich, 
der  einst  ein  Wachsbild,  an  dessen  Schmelzen  ein  Zauber- 
spruch den  Tod  des  Königs  gebimden  haben  sollte,  selbst 
ins  Feuer  warf,  mit  den  Worten :  Wir  wollen  sehen ,  ob 
der  Teufel  mächtiger  ist,  mich  zu  verderben,  oder 
Gott,  mich  zu  erhalten! 

Mit  den  Hinrichtungen  wollte  es  von  jener  Zeit  an  in 
Frankreich  nicht  mehr  recht  gehen.  Wo  von  zauberischen 
Tödtxmgen  und  Beschädigungen  die  Rede  w^ar  —  und  es 
mögen  zuweilen  wirkliche  Vergiftungen  für  Zaublerei  ge- 
golten haben  —  da  machten  jetzt  die  Parlamente  ihre 
Rechte  geltend  *),  und  die  Verfolgung  angeblich  häretischer 
Gräuel  musste  sich  gelähmt  fühlen,  seitdem  das  grosse 
römische  Schisma  die  ganze  katholische  Christenheit  mit 
dem  Banne  geschlagen  hatte,  zur  Hälfte  von  Rom  aus, 
zur  Hälfte  von  Avignon.  So  gerieth  die  französische  In- 
quisition in  allmählichen  Verfall,  und  in  gleichem  Maasse 
minderten  sich  die  Hexenprozesse.  Die  Synode  von  Langres 
(1404)  suchte  wieder  auf  dem  Wege  der  Belehrung  und 
der  Disciplin  zu  wirken;  sie  stellt  die  Wahrsagungen  als 
Betrügereien  gewinnsüchtiger  Menschen  dar,  verbietet  ma- 
gische Heilungen  als  unchristlich  und  arbeitet  insbesondere 
dem  Glauben  entgegen,  dass  ein  Mensch,  der  sich  dem 
Teufel  ergeben,  nicht  durch  Reue  und  Busse  aus  den 
Klauen  desselben  gerettet  werden  könne.  Hinsichtlich  der 
Büssungen  sind  die  Bestimmungen  des  Concils  sehr  mild  2). 
Dreizehn  Personen,  die  1406  vor  dem  Tribunale  von  Tou- 
louse standen,  wurden  nur  zu  Geldstrafen,  Pilgerschaften, 
Fasten  und  andern  guten  Werken  verurtheilt.  Bald  darauf 
aber  wurde  der  Inquisitor  der  Unterschlagung  confiscirter 


')  Lamothe-Langon,  Tome  III.  pag.  295. 
*)  Raynald.  ad  ann.  1404. 
8oIdan-Reppe,  Hexenprozesse.  ^'' 


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r^z^in  der  Jungfrau 
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//  li-tit..,i.  j'ar-*  -:  Ari.  ^Ä^  :**'4..  2  Bie.-.  Tk  Suie:.  jMone  a'Arc.  m 
'*•  •  ?.  '  'f.  Z/  '«'.'.r.  I*!'^  .  S.  273—.^.?«  ,  K.Ha'i  4ic  Juncfrau  v  OHrsn* 
^•.'  ,'    Pf  ;.:.♦•-.'..   H'^t   l.i.  Xj-wr.    !^6i;  <7. /".  /:?.;/.  J.hann*  d'Arr,  KfM'^Dl 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  2±X 

weiblicher  Kleidung  versprechen  sollte,  schob  aber  dann 
eine  Abschwörung,  worin  sie  sich  aller  ihr  gemachten 
Vorwürfe  schuldig  bekannte,  zur  Unterzeichnung  unter  und 
verlas  hierauf  das  Endurtheil,  welches  auf  ewiges  Gef  äng- 
niss  (avec  pain  de  douleur  et  autre  tristesse)  lautete.  — 
Durch  unmenschliche  Chicane  nöthigte  man  sie  im  Kerker, 
anstatt  des  ihr  weggenommenen  Frauengewandes  ein  Manns- 
kleid anzulegen,  und  verbrannte  sie  dann  als  Rückfallige. 
—  In  einem  von  dem  französischen  Historiker  (und  Gou- 
verneur von  Cambray)  de  Monstrelet  (ad  ann.  1431) 
mitgetheilten  Briefe  wird  im  Namen  des  Königs  von  Eng- 
land an  den  Herzog  von  Burgund  geschrieben:  Johanna 
habe  Anstoss  durch  ihre  männliche  Tracht  gegeben,  der 
Bischof  mit  dem  Inquisitor  habe  sie  verhört,  nach  An- 
hörung der  Pariser  Universität  sei  sie  verurtheilt  worden 
als  „superstitieuse,  devineresse  de  diables,  blasphemeresse 
en  Dieu  et  en  ses  Saints  et  Saintes,  schismatique  et  errant 
par  moult  de  sortes  en  la  foi  de  J^sus-Christ".  Sie  habe 
bereut  und  bekannt,  dann  aber  widerrufen,  desswegen  sei 
sie  dem  weltlichen  Arm  übergeben  und  zum  Scheiterhaufen 
gefuhrt  worden.  Hier  habe  sie  von  Neuem  bereut  und 
eingesehen,  dass  ihre  Erscheinungen  nur  böse  Geister  ge- 
wesen seien  und  sie  betrogen  hätten. 

Einem  deutschen  Schriftsteller  zufolge  traten  gleich- 
zeitig in  der  Nähe  von  Paris  zwei  Weiber  auf,  die  von 
Trott  gesendet  zu  sein  vorgaben,  um  der  Jungfrau  beizu- 
stehen. Vor  den  Inquisitor  von  Frankreich  gestellt,  kam 
die  eine  zu  der  Ueberzeugung,  dass  sie  vom  bösen  Geiste 
betrogen  sei ,  und  schwur  ab ;  die  andere  aber  beharrte 
und  wurde  verbrannt  ^).  —  In  Bern  waren  bereits  um  den 
Anfang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  männliche  und  weib- 
liche Zauberer  von  dem  weltlichen  Gericht  verbrannt  wor- 
den. So  erzählt  z.  B.  der  Dominikaner  Johannes  Nider 
\T'  1440),  der  um  die  Zeit  des  Baseler  Conciliums  durch 
«meinen  Formicarius  in  der  Form  eines  belehrenden  Dialogs 


*)  iVuÄT    Formicar.    im    Mall.    Malefic,    ed.    Frnncof,     15^)2.    Tom.    T. 
lag.  757. 


244  Dreizehntes  Kapitel. 

auch  Deutschland  in  die  Mysterien  des  Hexenprozesses 
einzuweihen  suchte  ^).  Wie  neu  dergleichen  Dinge  damals 
noch  in  unserem. Vaterlande  waren,  macht  der  Inhalt  des 
Buches  hinlänglich  klar.  Nider,  obgleich  selbst  Inquisitor, 
beruft  sich  nicht  ein  einzigesmal  auf  eigene  Amtserfahrungen, 
sondern  immer  nur  auf  fremde,  zum  Theil  franzosische 
Quellen  hinsichtlich  des  Thatsächlichen.  Ein  weltlicher 
Richter  zu  Bern  und  ein  ehemaliger  Inquisitor  zu  Autun 
liefern  ihm  die  Hauptbelege  zu  den  theoretischen  Meimmgen, 
die  er  auf  die  Auctorität  seiner  CoHegen,  der  Baseler 
Theologen,  imd  der  älteren  Scholastiker  baut.  Andere 
Belehrungen  verdankt  er  der  freiwilligen  Mittheilung  eines 
bekehrten  Nigromanticus.  Nach  der  späteren  Praxis  wäre 
der  letztere  unweigerlich  dem  Scheiterhaufen  verfallen  ge- 
wesen; damals  aber  durfte  der  Verfasser  noch  offen  er- 
zählen, dass  sein  Gewährsmann,  nachdem  er  sich  von  der 
Zauberei  losgesagt,  Benediktiner  geworden  sei  und  als 
Prior  des  Schottenklosters  zu  Wien  in  Segen  und  aner- 
kannter Frömmigkeit  wirke.  Dessgleichen  entging  ein 
Mädchen  zu  Köln,  das  die  Rolle  der  Jungfrau  von  Orleans 
spielte  und  in  dem  Streit  um  die  Trierische  Kurwürde  die 
Partei  des  einen  Competenten  ergriff,  durch  den  Schutz 
des  Adels  den  Klauen  des  Inquisitors  Kalteisen,  obgleich 
sie  beschuldigt  war,  zerrissene  Servietten  und  zerbrochene 
Gläser  durch  Zauberei  wieder  hergestellt  zu  haben.  Ver- 
brennungen kennt  Nider  nur  in  Bern.  Nichtsdestoweniger 
stellt  seine  Schrift  fast  das  vollständige  System  des  Hexen- 
wesens dar^),    und    die  Zauberer    erscheinen  bei  ihm  ak 


*)  Fr.  Joannis  Nukr  Suevi,  orclinis  Praedicatorum ,  s.  Iheol.  professoriN 
et  haerelicae  pcstis  inquisitoris,  liber  insiKnis  de  maleficis  et  eorum  decepticm:- 
bub.  —  gewöhnliche  Zugabe  zum  Malleus  maleficarum. 

')  Eine  kurze  Andeutung  der  Hauptpunkte  wird  genOgcn:  VerUugnua« 
der  christlichen  Religion  und  der  Taufe;  Treten  des  Kreuzes;  Pactum  mit 
den»  Teufel  und  Homagium;  Versammlungen,  wo  der  Teufel  in  Menschen- 
gestalt erscheint;  Luftfahrten;  Hagel  und  Blitz  machen;  Getreide  locken. 
Pferde  aufhalten;  Erregen  von  Hass  und  unkeuscher  Liebe ;  Verhinderung  d^ 
Heischlafs  und  der  Conception  bei  Menschen  und  Thieren  (durch  eine  untef 
die  ThOrschwelle  gelegte  Kidechse) ;  Verwandlung  de5  eigenen  Körpers  in  Thler- 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  245 

eine  Sekte  mit  ruchlosem  Kult,  gegen  deren  gemeinge- 
fährliches Wirken  es  keine  andere  Hülfe  gibt,  als  den 
Glauben  und  das  Ceremoniell  der  katholischen  Kirche. 
Dem  Richter  aber,  der  gegen  solche  Frevler  verfahren 
will,  wird  die  beruhigende  Versicherung  gegeben,  dass 
Hexenmacht  gegen  die  Obrigkeit  nichts  vermag. 

Durch  solche  Lehren  bahnte  Nid  er  seinen  CoUegen 
den  Weg  zur  allmählichen  Erweiterung  ihrer  bisher  auf 
deutschem  Boden  so  sehr  beschränkten  Macht.  Er  ist 
laxige  Zeit  eine  Auctorität  geblieben,  bis  neuere  an  seine 
Stelle  traten  und  die  Sache  beinahe  von  selbst  ging.  Gleich- 
zeitig erliess  Papst  Eugen  IV.  ein  Umschreiben  an 
sämmtliche  Inquisitoren,  in  welchem  er  zu  strengster  Ver- 
folgung der  Zauberei  auffordert.  Er  geht  hierin  zwar  nicht 
in  allen  Punkten  so  weit,  als  Nider  —  namentlich  gedenkt 
er  der  Incuben  und  Succuben  nicht  —  doch  kennt  er  die 
Teufelsanbetung,  das  Homagium,  das  Chirographum  und 
die  Kraft  der  Zauberer,  unter  Anrufung  der  Dämonen 
durch  Worte,  Berührung,  Zeichen  und  Bilder  Krankheiten 
hervorzurufen  und  zu  heilen,  Gewitter  zu  machen  und 
Wahrsagungen  zu  ertheilen,  wozu  man  auch  die  Hostie, 
die  Taufe  und  das  Kreuz  missbrauche.  Der  Papst  befugt 
die  Inquisitoren,  summarisch  und  ohne  Geräusch  (summarie, 
simpliciter    et   de   piano  ac  sine   strepitu  et  figura  judicii) 


gestalt,  z.  B»  die  einer  Maus;  Tödtung  der  Frucht  im  Mutterleibe ;  Salbe  aus  den 
Leichnamen  umgebrachter  Kinder,  zum  Behufe  der  Verwandlung  gebraucht,  — 
..de  liquidiori  vero  humore  flascam  vel  utrem  replemus,  de  quo  is  qui  potatus 
fuerit,  additis  paucis  caerimonils,  statim  conscius  efflcitur  et  magister  nostrae 
sectac"  (wie  bei  den  Chorherren  von  Orleans) ;  Incuben  und  Succuben ,  be- 
sonders auj  Thomas  Aquinas  bewiesen.  Es  wird  berichtet,  dass  Schaaren  von 
Succuben  unter  der  Maske  von  Huren  sich  auf  dem  Concil  zu  Costnitz  ein- 
fanden und  viel  Geld  verdienten.  —  Der  an  das  Bette  eines  von  einem  Incu- 
bus  verfolgten  Mädchens  gesteckte  Stab  des  h.  Bernhard  verbietet  dem  Dämon 
den  Eintritt  in  das  Gemach  (wie  die  Strigen  bei  Ovid  durch  Carna's  Weiss- 
domstab  aus  dem  Zimmer  des  jungen  Procas  verscheucht  worden).  —  Auch 
I-  Korinth.  11,  10:  Mulier  debet  velamen  habere  super  caput  suum,  propter 
angelos,  —  werde ,  sagt  Nider ,  von  vielen  Katholischen  auf  die  Incuben  ge- 
deutet. 


246  Dreizehntes  Kapitel. 

ZU  verfahren  und  nöthigenfalls  die  Schuldigen  dem  welt- 
lichen Arme  zu  übergeben.  Schliesslich  erweitert  er  diese 
Befugniss  auch  für  diejenigen  Diöcesen,  die  durch  frühere 
päpstliche  Privilegien  und  Indulte  von  der  delegirten  In- 
quisition befreit  waren,  und  gestattet  dem  Inquisitor,  über 
die  Grenzen  seines  Gerichtssprengeis  hinauszugreifen.  — 
Dieses  Schreiben,  als  Circular  abgefasst  im  Jahre  1437. 
ist  wahrscheinlich  als  solches  nicht  abgegangen,  weil  meh- 
rere Länder  damals  nicht  Obedienz  leisteten;  wenigstens 
finden  wir  ein  wörtlich  gleichlautendes  imter  der  besondem 
Adresse  des  Inquisitors  von  Carcassonne  vom  17.  Julius 
1445,  in  welchem  jedoch  der  Papst  die  erwähnte  Befugniss- 
erweiterung hinweggelassen  hat^).  Diese  Verfügungen 
blieben  für  Deutschland  nicht  ohne  Wirkimg. 

In  Frankreich  dagegen  müssen  Eugen's  Worte  nicht 
viel  gefruchtet  haben;  denn  schon  1451  fand  es  Nikolaus  V, 
nöthig,  eine  noch  weit  voller  tonende  Vollmacht  für  den 
Oberinquisitor  des  Königreichs  auszufertigen.  Um  alle 
Competenzzweifel  abzuschneiden,  wird  dieser  ausdrücklich 
autorisirt,  gegen  alle  Lästerer  Gottes  und  der  heiligen 
Jungfrau,  so  wie  gegen  alle  Zauberer  (sacrilegos  et  din- 
natores),  auch  wenn  sie  nicht  ketzerischen  Charakter  ver- 
rathen  (etiam  si  haeresim  non  sapiant  manifeste),  in  jeder 
geeignet  erscheinenden  Form,  selbst  mit  gänzlicher  üeber- 
gehung  des  Diöcesanbischofs ,  zu  verfahren  und  AUe,  die 
gegen  diese  Verfügung  reden,  als  Rebellen  zu  bestrafen  *). 
—  Was  half's  ?  Die  guten  Tage  für  die  Inquisitoren  waren 
in  Frankreich  vorüber  und  die  Allmacht  der  päpstlichen 
Bullen  ebenfalls.  Der  Widerspruch  gegen  die  Mährchen 
der  scholastischen  Jahrhunderte  verstummte  nicht  imd  liei»> 
sich  jetzt  sogar  schon  von  den  Kanzeln  vernehmen.  Frei- 
lich vorerst  noch  nicht  ungestraft  I 

Zwei  Jahre  nach  dem  Erlass  der  obigen  Bulle  fiel  ein 
aufgeklärter  Geistlicher    als   Opfer   seiner  Freimüthigkeit, 


M  Raynald,  Annal.  eccles.  ad  ann.  1437  und  1445« 
')  RaynaU.  ad  ann.   I451. 


Abnahme  der  Hexen prozes-^e  in  Frankreich  etc.  247 

Wilhelm  Edelin^),  Doctor  der  Theologie  und  Prior  zu 
St.  Germain  en  Laye,  hatte  von  der  Kanzel  herab  sich 
gegen  den  Glauben  an  die  Wirklichkeit  der  Hexenfahrten 
ausgesprochen.  Dafür  sehen  wir  ihn  den  12.  Sept.  1453 
in  der  bischöflichen  Kapelle  zu  Evreux  vor  dem  geistlichen 
Gericht  fussfallig  und  weinend  bekennen:  wie  er  selbst 
wirklich  und  körperlich  mit  Andern  den  Satan  in  Bocks- 
gestalt verehrt,  den  Glauben  und  das  Kreuz  verläugnet 
habe  imd  von  dem  Teufel  angestiftet  worden  sei,  in  seinen 
Predigten  zur  Mehrung  des  satanischen  Reichs  und  zur 
Beschwichtigung  des  Volkes  die  Zaubersekte  für  ein  Ding 
der  Einbildung  zu  erklären.  Er  schwur  ab  *)  und  wanderte 
dafiir  nun  auch  nicht  zum  Holzstosse,  sondern  bloss  zum 
Kerker  auf  Lebenszeit ;  denn  er  hatte ,  wie  ein  Gleich- 
zeitiger versichert,  sein  Verbrechen  freiwillig  gestanden 
—  ungefähr  so,  mag  man  wohl  denken,  wie  zweihundert 
Jahre  nach  ihm  Galilei  das  seinige.  Er  starb  im  Gefang- 
nisse nach  kurzer  Zeit. 

Indessen  war  Edelin's  Stimme  nur  eine  von  den  vielen 
gewesen,  die  sich  in  Frankreich  für  die  Sache  der  Ver- 
nunft erhoben.  Der  Dominikaner  Nikolaus  Jaquier,  der 
im  Jahre  1458  sein  Flagellum  haereticorum  fascinariorum 
schrieb*),  erklärt  in  der  Vorrede,  er  thue  diess  nothge- 
drungen  durch  die  häufigen,  der  Amtsführung  des  Inquisi- 


*)  So  heisst  er  bei  Monstrelet;  bei  Petrus  Mamoris ,  der  ihn  selbst  ge- 
kannt haben  will  (Flagell.  malefic.  cap,  17),  Guillelmus  dt  Lurf  alias  Harne- 
litte;  anderwärts  findet  sich  Adelitt;  Spätere  verstömmelten  den  Namen  zu 
Adeltiu  und  de  Litte  (S.  Hauber  Bibl.  mag.  11.  153  ff.),  wodurch  in  die  Ge- 
schichte selbst  Verwirrung  gekommen  ist. 

*)  Die  AbschwÖrungsurkunde  enthielt  namentlich :  quod  quando  ipse  fuit 
introductus  ad  dictam  sectam  (fascinariorum),  Diabolus  asserebat,  quod  ipse 
Magister  Guilhelmus  bene  posset,  si  vellet,  augmentare  ejusdem  Daemonis  do- 
cninium,  praecipiendo  eidem  Magistro  Guilhelmo  praedicare,  quod  hujusmodi 
secta  nÖD  erat  nisi  illusio,  et  quod  haec  praedicaret  ad  contentandum  populum 
patriae,  ubi  tunc  morabatur  ipse  Magister  Guilhelmus.  —  Jaquerii  Flagellum 
haeret.  fasc.  cap.  4. 

•)  Flagellum  haereticorum  fascinariorum,  autore  F.  Nicoiao  Jaqtterio, 
ordinis  fr.  Praedicatorum  et  olim  haereticae  pravitatis  Inquisitore.  Franco- 
furtt  ad.  M.   1581. 


248  Dreizehntes  Kapitel. 

tors  entgegentretenden  Schwierigkeiten,  und  klagt  darüber, 
dass  sehr  viele  Menschen ,  gestützt  auf  gewisse  verbehrte 
Ansichten,  zum  grossen  Nachtheil  des  katholischen  Glau- 
bens sich  der  Zauberer  annehmen.  Man  versichere, 
dass  der  Teufelssabbath  mit  allen  seinen  Gräuelo 
nur  eine  Täuschung  der  Träumenden  sei,  und  be- 
rufe sich  desshalb  sehr  ungeeigneter  Weise  auf 
den  Kanon  Episcopi;  ja  man  finde  es  unglaublich  und 
mit  der  AUgütigkeit  Gottes  unvereinbar,  dass  den  Dämo- 
nen eine  so  grosse  Macht  zum  Schaden  der  Menschen 
verliehen  sein  sollte,  als  vorausgesetzt  werden  müsste, 
wenn  man  den  Bekenntnissen  der  Hexen  Glauben  schenken 
wollte.  —  Diese  und  ähnliche  Einwürfe  zu  beseitigen  und 
das  Geschäft  der  Inquisition  gegen  die  den  Glauben  ver* 
wirrende,  abscheuliche  Zaubersekte  zu  fordern,  schreibt 
nun  Jaquier  unter  Anrufung  des  Allmächtigen  sein  in  acht- 
undzwanzig Kapitel  abgetheiltes  Buch. 

Hiernach  begreift  es  sich  von  selbst,  dass  ein  guter 
Theil  der  Schrift  der  Beseitigung  des  Kanons  Episcopi 
gewidmet  ist.  Es  wird  geltend  gemacht,  dass  dieser  Ka- 
non —  dessen  Herkunft  von  der  Synode  zu  Ancyra  auch 
noch  damals  Niemand  bezweifelte  —  1)  nur  von  einer 
Partikularsynode  herrühre,  2)  eine  falsche  Argumentation 
enthalte  und  3)  von  Fällen  handle,  die  ihre  Wahrheit  haben 
können,  ohne  dass  darum  die  durch  neuere  Erfahrungea 
bestätigte  körperliche  Ausfahrt,  der  Hexen  unwahr  werde. 
Hierbei  ist  nun  freilich  dem  Verfasser  selbst  die  Inconse- 
quenz  begegnet,  dass  er  die  Diana  und  Herodias  nur  als 
nichtige  poetische  Fictionen  behandelt,  während  er 
doch  etwas  später  den  Neptun  als  wirklichen  Dämon 
aufführt.  Aus  Scholastikern,  Legenden  und  Bekenntnissen 
von  Inquisiten  wird  sodann  die  Realität  der  Zauberei  in 
allen  ihren  Zweigen  erwiesen.  Mit  Jaquier's  Schrift  kann 
das  System  der  Hexerei  als  abgeschlossen  betrachtet 
werden.  Spätere  haben  nichts  wesentlich  Neues  hinzu- 
gefügt, sondern  nur  modificirt,  weiter  ausgeführt  und  sub- 
tiler begründet.  Folgende  Stellen  werden  die  Grundzüge 
des  Ganzen    hervortreten   lassen.     „Die  Handl\uigen   und 


1.^  •>«< 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  249 

Zusammenkünfte  dieser  Zaubersekte  (haeresis  et  sectae 
fascinariorum)  sind  nicht  Täuschungen  der  Phantasie,  son- 
dern verwerfliche,  aber  wirkKche  und  körperliche  Hand- 
lungen Wachender.  Es  ist  ein  feiner  Kunstgriff  des  Teufels, 
dass  er  den  Glauben  zu  verbreiten  sucht,  als  gehörten  die 
Hexenfahrten  nur  ins  Reich  der  Träume.  —  In  der  Sekte 
oder  Synagoge  dieser  Zauberer  erscheinen  nicht  bloss 
Weiber,  sondern  auch  Männer  und,  was  schlimmer  ist, 
sogar  Geistliche  imd  Mönche,  die  dastehen  und  mit  den 
sinnlich  wahrnehmbar  in  mancherlei  Gestalt  erscheinenden 
Dämonen  reden,  sich  von  denselben  mit  eigenen  Namen 
benennen  lassen  und  sie,  unter  Verläugnung  Gottes,  des 
katholischen  Glaubens  und  seiner  Mysterien,  mit  Opfern, 
Kniebeugungen  und  Küssen  als  Herren  und  Meister  an- 
beten. Dafür  versprechen  die  Dämonen  Schutz  und  Hülfe, 
erscheinen  auf  den  Ruf  der  Zauberer  auch  ausser  der 
S3magoge,  um  ihre  Wünsche  zu  erfüllen,  imd  geben  ihnen 
,,Veneficien"  und  StofiFe,  um  Zaubereien  zu  vollbringen.  — 
Diess  Verhältniss  beruht  auf  einem  wirklichen  Vertrage 
und  Bund  mit  den  Dämonen.  Ein  Bezwingen  der  letz- 
teren durch  Nekromantie  ist  nicht  möglich,  nur  göttliche 
Kraft,  wie  sie  dem  Diener  der  Kirche  verliehen  ist,  be- 
zwingt den  Dämon.  —  Die  Zauberer  bewirken  Krank- 
heiten, Wahnsinn,  Tod  von  Menschen  und  Thieren,  Un- 
glück im  ehelichen  Leben,  Verderben  der  Feldfrüchte  und 
anderer  Güter.  —  In  den  Versammlungen,  die  meist  am 
Donnerstag  stattfinden,  wird  das  Kreuz  bespieen  und  ge- 
treten, besonders  zur  Osterzeit,  eine  geweihte  Hostie  ge- 
schändet, und  dem  Teufel  geopfert  und  fleischliche  Ver- 
mischung mit  den  bösen  Geistern  getrieben.  Keiner  darf 
das  Zeichen  des  Kreuzes  machen,  sonst  verschwindet  im 
Augenblick  die  ganze  Gesellschaft,  woraus  ein  Beweis  für 
die  Vortrefflichkeit  des  den  Dämonen  so  verhassten  ka- 
tholischen Glaubens  genommen  wird.  Jedem  Zauberer 
wird  ein  unvertilgbares  Zeichen  (das  stigma  diabolicum) 
aufgedrückt." 

Merkwürdig  ist  die  Argumentation,  durch  welche  Ja- 
quier   die  Gültigkeit  eines  gerichtlichen  Vorschreitens  auf 


2^0  Dreizehntes  Kapitel. 

den  Grund  des  Zeugnisses  angeblicher  Complicen  darthut. 
Man  hatte  nämlich  geltend  gemacht,  dass  ein  beim  Hexen- 
sabbath  Anwesender  gar  nicht  mit  Gewissheit  behaupten 
könne,  diese  oder  jene  bestimmte  Person  daselbst  gesehen 
zu  haben,  weil  es  möglich  sei,  dass  der  Teufel  nur  ein 
Trugbild  in  der  Gestalt  jener  Person  habe  erscheinen 
lassen.  Wollte  man  diese  Ausrede  gelten  lassen,  so  würde, 
wie  Jaquier  sehr  richtig  meint,  dem  Inquisitor  der  Weg 
zur  Verfolgung  der  Hexensekte  sehr  bald  verschlossen 
sein.  Um  diesem  zu  begegnen,  gibt  er  folgende  Anwei- 
sung: „Sagt  der  von  Mitschuldigen  Angeklagte,  der  Teufel 
habe  nur  sein  Scheinbild  vorgeführt,  so  antworte  man  ihm, 
dass  der  Teufel  diess  nicht  ohne  die  Erlaubniss  Gottes 
habe  thun  können.  Behauptet  der  Angeklagte  weiter,  dass 
Gott  diese  Erlaubniss  gegeben  habe,  so  erwiedere  man 
ihm,  dass  der  Behauptende  dem  Richter  genügende  Be- 
weise desshalb  beizubringen  habe;  thut  er  diess  nicht,  so 
ist  ihm  kein  Glauben  beizumessen,  weil  er  nicht  dem  Rathe 
Gottes  beigewohnt  hat.  Denn  so  wie  der  Procurator  de> 
Glaubens  die  Malefizien  zu  beweisen  hat,  die  er  dem  An- 
geklagten zur  Last  legt,  so  liegt  auch  dem  Angeklagten  der 
Beweis  dessen  ob,  was  er  zu  seiner  Vertheidigung  anfuhrt/' 

Eben  so  eigenthümlich  ist  der  Schluss,  womit,  wenn 
Zeugen  aussagen,  dass  sie  in  einer  Versammlung  zwar  die 
Hexen,  aber  nicht  die  Dämonen  gesehen  haben,  dennoch 
das  Dasein  der  letzteren  gefolgert  wird,  weil  der  Teufel 
machen  könne,  dass  er  von  dem  Einen  gesehen  werde, 
von  dem  Andern  nicht. 

Am  Schlüsse  führt  Jaquier  den  Satz  durch,  dass  die 
Zauberer,  auch  wenn  sie  bereuen,  nicht  wieder  in  den 
Schooss  der  Kirche  aufzunehmen,  sondern  dem  weltlichen 
Arme  zu  übergeben  seien.  Denn  bei  ihnen  gehe  AUes 
aus  bösem  Willen,  nichts  aus  Irrthum  hervor,  und  sowohl 
ihre  abscheuliche  Ketzerei  an  sich,  als  die  mit  derselben 
verbundenen  Verbrechen,  Mord,  Sodomie,  Apostasie  und 
Idololatrie,  verlangen  die  strengste  Bestrafimg  *).   Um  aber 

*)  Isti  apostatae  sola  voluntate   perversa  absque   ulla  rationis  colorationc 
apostatant  a  vera  fide ,  et  ideo  scienter  male  agunt  et  non  ignoranter,  et  nc  i» 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  2  s  I 

vollkommen  sicher  zu  gehen,  behauptet  der  Verfasser, 
dass  selbst,  wenn  man  auch  die  Realität  der  Hexenfahrten 
als  unerweislich  ansehen  wollte,  dennoch  die  Mitglieder 
der  Zaubersekte  sich  der  Ketzerei  schuldig  machen,  sofern 
sie  im  Wachen  thun,  was  ihnen  der  Satan  im  Traume  be- 
fohlen hat,  z.  B.  die  göttlichen  Mysterien  zu  verehren  unter- 
lassen und,  was  ihnen  begegnet  ist,  nicht  beichten. 

Ein  Jahr  später  als  Jaquier  schrieb  Alphonsus  de 
Spina  sein  Fortalitium  fidei^).  Das  fünfte  Buch  desselben 
handelt  von  der  Dämonologie  und  Zauberei.  Der  Verfasser 
kennt  die  gewöhnliche  Theorie  der  Incuben  und  Succuben 
und  der  Erzeugung  menschlicher  Wesen  durch  ihre  Ver- 
mittlung; den  Hexenflug  aber  erklärt  er  unter  ausdrück- 
licher Anführung  der  Worte  des  Kanons  Episcopi  für  ein 
Blendwerk  des  Teufels,  ohne  indessen  die  Weiber,  die 
solches  an  sich  erfahren,  von  Schuld  und  Strafe  freizu- 
sprechen. Die  Vorstellungen  Spina's  sind  so  eigenthüm- 
lich ,  dass  seine  eigenen  Worte  hier  eine  Stelle  finden  mögen  : 

Decima  differentia  daemonum  est  eorum,  qui  decipiunt 
mulieres  aliquas  vetulas  maledictas,  quae  Xurginae  sive 
Bruxae  nuncupantur  *).  Sciendum  ergo  est,  quod  sunt  quae- 
dam  malae  gentes,  \Ax\  et  mulieres,  apostatae  in  fide  et 
haereticae  creaturae  et  falsae,  qui  se  ipsos  dant  voluntarie 
diabolo,  et  diabolus  recipit  eos  et  dat  eis,  quod  per  suas 
artes  falsas  eis  appareat,  quod  ambulant  ducentas  leucas 
et  quod  redeunt  in  spatium  quatuor  vel  quinque  horarum. 


est  spes  conversionis  per  doctrinam.  —  Si  hi  haeretici  deprensi  non  solum  de 
haeresi,  sed  etiam  de  gravissima  idololatria ,  de  homicidio  voluntario ,  de  so- 
doniia,  de  profanatione  sanctorum  et  de  aliis  magnis  maleficiis,  aut  eorum 
aliquibus,  punirentur  solum  ut  caeteri  haeretici  per  aliquam  poenitentiam,  facta 
abjuratione,  tunc  manifeste  manerent  praedicta  peccata  penitus  impunita,  quae 
tarnen  secundum  omnia  jura  divina  et  humana  merentur  gravissimas  punitiones, 
quae  quidem  crimina  gravius  committuntur  medio  hujus  haeresis,  quam  quo- 
cunque  alio  modo. 

*)  Fortalitium  fidei  contra  Judaeos,  Saracenos  aliosque  christianae  fidei 
inimicos.  Edit.  Norimberg.  1494.  —  Aus  Lib.  IV.  Considerat.  I.  pag.  187 
geht  hervor,  dass  der  Verfasser  im  Jahre  1459  schrieb. 

*)  Xurgina  oder  Jurgina  und  Bruxa  sind  die  spanischen  Benennungen  für 
die  Hexen. 


2  52  Dreizehntes  Kapitel. 

et  quod  destruunt  creaturas  sugentes  sangxdnem  earum, 
et  quod  faciunt  alia  maleficia,  qxiae  volunt,  secundum  diar 
boli  voluntatem,  quod  est  eis  et  Ulis,  qui  illis  credunt,  magna 
deceptio  et  illusio  diaboli.  Veritas  autem  hujus  facti  est, 
quod  quando  istae  malae  personae  volunt  uti  pessimis  bis 
fictionibus,  consecrant  se  cum  verbis  et  unctionibus  diabolo, 
et  statim  diabolus  recipit  eos  in  opere  suo  et  accipit  figu- 
ram  earum  et  fantasiam  cujuslibet  earum  ducitque  Ulas 
per  illa  loca,  per  quae  desiderabant,  corpora  vero  earum 
remanent  sine  aliqua  sensibilitate,  et  cooperit  illa  diabolus 
umbra  sua  ita,  quod  nullus  ea  videre  possit ;  et  quum  dia- 
bolus videt  in  fantasiis  earum,  quod  impleverunt,  quae  vo- 
lebant,  non  amovendo  ab  earum  fantasiis  diabolicas  fanta- 
sias,  quae  (quas  ?)  viderunt,  reducit  illas  imaginationes,  con- 
jungens  cum  suis  propriis  motibus  et  corporibus  et  tollit 
umbram  suam  desuper  corporibus  earum,  et  statim  videre 
possunt.  Existentia  tarnen  illorum  nunquam  ab  illo  loco 
absens  fuit,  sed  solum  actio  cum  idolo  et  fantasia  iuerunt 
illis  rebus,  quae  (quas?)  diabolus  eis  praesentavit  et  quae 
fecit  pro  quolibet  eorum ;  et  quod  hoc  facit  diabolus,  non 
est  mirum,  quia  illa  operatur,  ut  derideat  miseras  animas, 
volens  imitari  ea,  quae  verissime  Deus  per  bonos  angelos 

fecit Quaecunque    igitur    talia    crediderit   aliquis. 

postquam  super  talibus  audiverit  veritatem,  vel  asseruerit 
aliquis  pertinaciter ,    procul  dubio   infidelis  est   et  pagano 

deterior.     XXVI.  qu.  v.  episcopi  etc Nimium  abun- 

dant  tales  perversae  mulieres  in  Delphinatu  et  in  Vaschonia, 
ubi  se  asserunt  concurrere  de  nocte  in  quadam  planitie 
deserta,  ubi  est  aper  quidam  in  rupe,  qui  vulgariter  dicitur 
El  hoch  de  Bitertie^  et  quod  ibi  conveniunt  cum  candelis 
accensis  et  adorant  illum  aprum,  osculantes  eum  in  ano 
suo.  Ideo  captae  plures  earum  ab  inquisitoribus  fidei  et 
convictae  ignibus  comburuntur.  Signa  autem  combustarum 
sunt  depicta,  qualiter  adorant  cum  candelis  praedicturo 
aprum,  in  domo  inquisitoris  Tholosani  in  magna  multitu- 
dine    camisearum  ^) ,    sicut    ego   propriis   oculis  aspexi.  — 


*)  Diese  Scenen  waren  also  auf  das  Sanbenito  gemalt. 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  2  s  ^ 

Worauf  bezieht  Spina  sein  obiges  Ideo?  Wurden  die 
Weiber  verbrannt,  weil  sie  eine  Handlung  begingen,  deren 
Realität  der  Verfasser  läugnet,  oder  desshalb,  weil  in  ihrer 
Versicherung  eine  gegen  den  Kanon  Episcopi  gehende 
Ketzerei  lag? 

Hätte  der  ehrliche  Spina  gewusst,  was  in  demselben 
Jahre,  wo  er  diess  schrieb,  in  Artois  vorging,  so  würde 
er  sich  überzeugt  haben,  dass  die  Inquisitoren  jetzt  ent- 
schlossen waren,  auf  den  Kanon  Episcopi  sehr  wenig,  auf 
Glauben  an  die  Realität  der  Hexenfahrten  aber  desto  mehr 
Gewicht  zu  legen. 

Pierre  le  Broussart*),  Dominikaner  imd  Inquisitor 
zu  Ar  ras,  liess  1459  während  der  Abwesenheit  des  dasi- 
gen  Bischofs  ein  Weib  von  Douay,  Namens  Deniselle,  ver- 
haften und  in  die  Gefängnisse  des  bischöflichen  Palastes 
bringen.  Sie  war  von  dem  Eremiten  Robinet  de  Vaux, 
den  man  kurz  vorher  zu  Langres  als  Waldenser  verbrannt 
hatte,  nebst  mehreren  andern  Personen  als  Mitschuldige 
bezeichnet  worden.  Die  Geistlichen  des  Bischofes  schritten 
zum  Verhöre,  besondem  Eifer  zeigte  der  Kanonikus  Du- 
bois.  Deniselle  gestand  auf  der  Folter,  dass  sie  auf  der 
Waldenserei  (vauderie)  gewesen  und  daselbst  verschiedene 
Personen  gesehen  habe,  unter  diesen  Jean  Lavite,  genannt 
Abb6  de  peu  de  sens.  Demzufolge  wird  auch  dieser  ein- 
gezogen und  gefoltert;  er  gesteht  und  veranlasst  seiner- 
seits wiederum  Verhaftungen  von  Vornehmen  und  Ge- 
ringen, Geistlichen  und  Weltlichen,  so  dass  sich  die  Sache 
immer  weiter  verzweig^.  Viele  Stimmen  erheben  sich  jetzt 
für  die  Niederschlagung  des  Prozesses;  aber  Dubois  und 
der  Franziskaner  Johann,  Bischof  von  Barut  und  Suflfragan 
von  Arras,  bestehen  auf  der  Fortsetzung ;  man  sendet  den 
Theologen  zu  Cambray  die  Akten  zu,  und  diese  erachten, 
dass  die  Angeklagten,  wenn  sie  Widerruf  thun,  nicht  am 
Leben    zu    strafen  seien.     Gegen  diesen  milderen  Spruch 


•)  Wir  geben  die  folgende  Begebenheit  nach  den  merkwürdigen  Memoires 
de  Jacques  du  Clercq ,  im  39.  Band  der  Collection  des  Chroniques  nationales 
firan^aises  von  J,  A.  Buckon, 


2  54  Dreizehntes  Kapitel. 

erheben  sich  Dubois  und  Johann.  Ein  Drittel  der  Christen- 
heit, behaupten  sie,  sei  waldensisch  und  treibe  in  der  Ver- 
borgenheit die  abscheulichsten  Dinge :  Bischöfe  und  Kar- 
dinäle gehörten  zu  der  Gesellschaft,  und  bald  werde  die 
Zeit  kommen,  wo  vielleicht  ein  mächtiger  Regent  sich  an 
die  Spitze  stellen  und  allen  Uebrigen  gefahrlich  werden 
würde.  Der  Suflfragan  behauptete  sogar,  einem  Jeden  es 
ansehen  zu  können,  ob  er  Waldenser  sei ;  wer  ihm  wider- 
sprach, den  erklärte  er  für  verdächtig.  Neue  Verhaftungen, 
Vor  einer  zahlreich  versammelten  Volksmenge  schritt  man 
jetzt  zum  Gerichte;  die  Angeklagten  standen  auf  einem 
hohen  Gerüste,  Mützen  auf  dem  Kopfe,  auf  welchen  eine 
Anbetung  des  Teufels  gemalt  war.  Broussart  erklärte, 
dass  sie  der  Waldenserei  schuldig  seien,  und  beschrieb 
die  Einzelnheiten  ihres  Verbrechens.  Sie  ritten,  hiess  es 
in  der  Anklage,  auf  gesalbten  Stöcken  durch  die  Luft  zur 
Vauderie,  speiseten  daselbst,  huldigten  dem  als  Bock, 
Hund,  Affe  oder  Mensch  erscheinenden  Teufel  durch  den 
bekannten  obscönen  Kuss  und  durch  Opfer,  beteten  ihn 
an  und  ergäben  ihm  ihre  Seelen,  träten  das  Kreuz,  spieen 
darauf  und  verhöhnten  Gott  und  Christus ;  nach  der  Mahl- 
zeit trieben  sie  unter  einander  und  mit  dem  Teufel,  der 
bald  die  Gestalt  eines  Mannes,  bald  die  eines  Weibes  an- 
nehme, die  abscheulichste  Unzucht.  Der  Inquisitor  setzte 
hinzu,  dass  die  zum  Fliegen  dienende  Salbe  aus  einer  mit 
geweihten  Hostien  gefütterten  Kröte,  gepulverten  Knochen 
eines  Gehängten,  dem  Blute  kleiner  Kinder  und  einigen 
Kräutern  zubereitet  sei.  Der  Teufel  predige  in  den  Ver- 
sammlungen, verbiete  die  Messe  zu  hören,  zu  beichten  und 
sich  mit  Weihwasser  zu  besprengen;  erbefehle,  wenn  man 
seiner  persönlichen  Sicherheit  wegen  das  Eine  oder  das 
Andere  zum  Schein  zu  thun  genöthigt  wäre,  vorher  immer 
zu  sagen :  Ne  d^plaise  k  notre  mattre  *) !  — 


*;  In  dem  OriKinal  des  Jacques  du  Clercq  hei^t  es :  Que  quant  11»  voul« 
loient  aller  K  ladlte  vauderie,  d'unc  oignement  que  le  Diable  leur  avoit  haillit 
\U  oindoient  une  veruue  de  hoi*  Wen  pelite,  et  leurs  palmc^  et  leur^  roain* 
j  ui*  mectoient  celle  verKuette  entre  leur«  j.iml>e<.  et  tantost  ih  5*envl^loieol 
«lu  iU  voulloient  Atre  p.xr-d'-sseure  h<n»ne  ville^s ,   boi«  r\  eauwes ,    et  1e<  por* 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  2^^ 

Nach  dem  Vortrage  fragte  der  Inquisitor  jeden  Ein- 
zelnen, ob  diess  nicht  alles  wahr  sei?  Alle  bejahten. 
Hierauf  erfolgte  die  Sentenz,  welche  die  Angeklagten  dem 
weltlichen  Arm  überlieferte,  ihre  Liegenschaften  dem  Lan- 
desherm  und  ihre  bewegliche  Habe  dem  Bischof  zusprach. 
In  Verzweiflung  schrieen  jetzt  die  Verurtheilten :  man  habe 
sie  betrogen ;  es  sei  ihnen,  wenn  sie  gestünden,  eine  leichte 
Pilgerfahrt,  wenn  sie  läugneten,  der  Tod  angesagt  worden, 
die  Folter  habe  das  Uebrige  gethan;  sie  hätten  niemals 
an  der  Vauderie  Theil  genommen  und  wüssten  nicht,  was 
das  wäre.  —  Sechs  dieser  Personen  starben  1 460  auf  dem 
Scheiterhaufen  unter  Betheurung  ihrer  Unschuld. 

Auf  die  Angabe  der  zu  Arras  Hingerichteten  wurden 
bald  darauf  mehrere  Personen  in  Amiens  wegen  der  Vau- 
derie  verhaftet.  Doch  der  dasige  Bischof  Hess  dieselben 
alsbald  wieder  frei  und  erklärte,  dass  er  es  eben  so  mit 
allen  andern,  die  man  ihm  noch  zuführen  sollte,  machen 
würde,  weil  er  das,  was  man  ihnen  vorwürfe,  für  unwahr 
und  unmöglich  hielte.  Eben  so  in  Toumay,  wo  ein  von 
dem  Theologen  Jean  Taincture  verfasster  Traktat  die 
Folge  hatte,  dass  alle  Verhafteten   die  Freiheit  erhielten. 


toit  le  Diable  au  lieu  oü  ils  debvoient  faire  leur  assenibl^e;  et  en  cc  Heu 
trouvoient  Tung  Tautre,  les  tables  mises  chargiees  de  vins  et  viandes ;  et  illecq 
trouvoient  un  diable  en  forme  de  boucq,  de  quien,  de  singe  et  aucune  fois 
d'homme ;  et  Ih  faisoient  oblation  et  homaiges  au  dit  Diable  et  Tadoroient,  et 
lui  donnoienl  les  plusieurs  leurs  ames,  et  h  peine  tout  ou  du  moings  quelque 
chose  de  Icurs  corps ;  puis  baisoient  le  Diable  en  forme  de  boucq  au  derri^re, 
c'est  au  cu,  avecq  candeilles  ardentcs  en  leurs  mains;  et  estoit  ledit  Abb^  de 
peu  de  sens  le  droit  conducteur  et  le  maistre  de  les  faire  faire  hommaige 
quant  ils  estoient  nouveaux  venus;  et,  apres  celle  hommaige  faite,  marchoient 
sur  la  croix  et  racfiuoient  de  leur  salive  sus,  en  depit  de  Jesus-Christ  et  de 
la  Sainte-Trinit^ ;  puis  montroient  le  cu  devers  le  ciel  et  le  fermament.  en 
depit  de  Dieu;  et  apr^s  quMls  avoient  touts  bien  bu  et  raangie,  ils  prenoient 
habitation  camcUe  touts  ensemble.  et  mesme  le  Diable  se  mcctoit  en  forme 
d'horame  et  de  femme;  et  prenoient  habitation  les  hommes  avecq  le  Diable 
en  forme  de  femme,  et  le  Diable  en  forme  d'homme  avecq  les  femmes;  et 
mesme  illecq  commectoient  le  peche  de  Sodomie,  de  bougrcrie  et  tant  d*autres 
crimcs  si  tris  fort  puants  et  Enormes,  tant  contrc  Dieu  et  contre  nature.  quc 
ledit  Inquisiteur  dit  qu'il  ne  les  oseroit  nommer,  pour  doubte  quc  les  oreilles 
irnoccntes  ne  fuissent  adverties  de  si  villains  crimes  si  enormes  et  cruelles. 


:?=ir. 


Mittlerweile  liefene  ein  zweites  Autodafe  zu  Ar  ras 
drei  Männer  und  fünf  Frauen  auf  den  Holzstoss,  die  eben- 
falls  proiesdrend  starben.  Es  waren  reiche  Leute  unter 
ihnen.  Zwei  andere  wurden,  ^wefl  de  gutwillig"  gestanden 
hätten.**  nur  zum  Kerker  verurtheflt.  Gleich  darauf  gab 
es  neue  zahlreiche  Verhaftungen,  besonders  unter  Be- 
güterten. Mele  Einwohner  flohen,  Arras  verlor  seinen 
kaufimannischen  Credit,  die  öttentlicbe  Meinung'  erhob  sich 
laut  gegren  das  Unwesen.  Der  Herzog*,  welcher  aus  Frank- 
reich schlimme  Urtheüe  über  die  Verfolgimg"  der  Reichen 
hören  musste,  rief  eine  Versammlung  von  Theologen  nach 
Brüssel,  die  wenigrstens  die  Einstellung  fernerer  Verhaf- 
txmgen  bewirkte.  Die  noch  anhängigen  Prozesse  wurden 
jedoch  zu  Ende  geführt.  Ein  Herr  von  Beaufort,  obgleich 
derselben  Vergehimgen  geständig,  wie  die  Verbrannten  — 
aber  ohne  Folter  —  wurde  zu  öffentlicher  Geisselung  durch 
den  Inquisitor,  siebenjährigem  Grefangniss  und  einer  Geld- 
busse M  verurtheilt;  zwei  andere  traf  noch  längere  Kerker- 
strafe: der  \ierte,  ein  sehr  reicher  Mann,  der  Kinder  zur 
Bereitimg  der  Hexensalbe  getodtet  und  Pulver  zur  Be- 
schädigrung  von  Menschen  und  Feldfirüchten  gemacht  haben 
sollte,  ward,  obgleich  nicht  geständig,  verbrannt  und  seine 
Güter  wnirden  eingezogen.  Einer  von  diesen  Unglück- 
lichen war  fünfzehnmal  gefoltert  worden.  Viele  wurden, 
nachdem  sie  die  kanonische  Reinigung  geleistet  hatten, 
gänzlich  freigesprochen.  Indessen  mussten  alle  ohne  Au>- 
nähme  die  Verpflegungskosten  und  die  Gebühren  für  die 
Inquisitoren  zahlen*). 

Alle  diese  Bestrafungen  ereigneten  sich  im  Jahre  1 460. 
Im  folgenden  Jahre  brachten  es  die  Verwandten  des  ein- 
gekerkerten Beaufort  dahin,  dass  die  Sache  der  Waldenser 
von  Arras  vor  dem  Pariser  Parlament  verhandelt  wurde. 
Hierbei  stellten  sich  nun  alle  begangenen  Schändlichkeiten 


*)  6000  Pfund  Artesisch  r=  5000  Goldthal erD  fQr  den  Stock  xu  Mcchcli- 
der  för  den  TflrkenkrieR  bestimmt  war:  aussenlem  620  Pfund  an  verschie»if>< 
Kirchen. 

';  Beaufort  hatte  allein  in  diese  Ka^se  des  Inquisitors  1500  Pfunl  A'- 
tc^is(  li  zu  zahlen. 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  257 

in's  hellste  Licht:  die  heuchlerischen  Zureden  und  Ver- 
sprechungen des  Kanonikus  Dubois,  die  Suggestionen,  die 
barbarische  Folter  ^),  die  Erpressungen  der  Richter  für  sich 
selbst,  den  Herzog  und  den  Grafen  von  Etampes.  Beau- 
fort  wurde  freigegeben,  und  bei  einigen  noch  laufenden 
Prozessen  schlugen  sich  der  Bischof  von  Paris  und  der 
Erzbischof  von  Reims  in's  Mittel.  Auch  der  abwesende 
Bischof  von  Arras  hatte  mittlerweile  von  Rom  aus  etliche 
Freilassungen  verfügt.  Dreissig  Jahre  später,  nachdem 
unterdessen  Artois  an  Frankreich  gefallen  war,  wurde  auch 
dem  Andenken  und  den  Erben  der  Verbrannten  Gerech- 
tigkeit zu  Theil.  Ein  Spruch  des  Pariser  Parlaments  von 
1491  kassirte  die  Urtheile  von  Arras,  stellte  den  ehrlichen 
Namen  der  Verurtheilten  wieder  her  und  legte  dem  Herzog, 
dem  Bischof  und  den  Richtern  ausser  der  Erstattung  der 
Kosten  eine  namhafte  Geldstrafe  auf,  um  daraus  eine  Messe 
für  die  Hingerichteten  zu  fundiren.  Auf  königlichen  Be- 
fehl wurde  diess  Urtheil  öffentlich  vor  dem  bischöflichen 
Palaste  zu  Arras  verlesen  und  der  Tag,  an  welchem  diess 
geschah,  für  einen  Feiertag  erklärt 2).  Man  hielt  eine 
Predigt  über  den  Text :  Erudimini,  qui  judicatis  terram,  — 
und  stellte  Spiele  an^).  > 


*)  Der  Scharfrichter  stand  zuweilen  mit  gezogenem  Schwerte  neben  dem 
Torquirten,  und  der  Inquisitor  drohte  mit  dem  Abschlagen  des  Kopfes ,  wenn 
keine  Geständnisse  gemacht  worden. 

*)  In  dem  königlichen  Dekrete  heisst  es  unter  andern:  Per  appellatos 
(die  bischöflichen  Vicarien ,  Inquisitoren  etc.)  nonnuUa  fraudulenta  inventio, 
sub  colore  haereticae  pravitatis,  sortilegii  seu  valderiae  in  villa  Atrebatensi 
repcrta  fuerat.  Ferner  geht  aus  den.selben  hervor,  dass  die  Inquisitoren  von 
einer  nefandissima  secta  valderiae  geredet  haben. 

•)  Dieselben  Ereignisse  erwähnt  der  Jurist  Franz  Balduinus,  gebürtig  aus 
Arras,  Comment.  in  Institut.  Hb.  IV.  Tit.  18,  p.  774 :  Quo  gravius  et  ab  ho- 
minis ingenio  magis  alienum  est  hoc  roalum  (die  Zauberei),  eo  major  adhibenda 
est  cautio,  ne  quis  ejus  praetextu  ab  adversariis  temere  obruatur.  Facile  enim 
hie  quidvis  confingere  potest  ingeniosa  simultas,  ut  et  multitudinem  statim 
commoveat  et  attonitos  judices  irritet  adversus  eum ,  quem  cum  daemonibus 
rem  habere  mentiatur.  Ante  annos  sexaginta  sensit  infelix  nostra  patria  magno 
suo  malo  hujusce  generis  calumnias.  Magna  erat  Valdensium  mentio.  quos 
adversarii   jactabant    nescio    quid    commercii  habere  cum  immundis  spiritibus. 

Boldan- He  ppe,  Uexenprozesse.  H 


.-^TTiix.     "ii  1 .    -:  ^      ^»-^   ^^     i.*^«*   TTiirr    fae  Sache  g^ 
iier  —  r^r^t-rz.   -rin-rTTtiir^r*!      *:i*:i»ir»t*?^2a:  V:rIa-rÄr   der  Re- 


-^iT      'il-ierL-rrrii^nr  iiii: -s.rH:::«*r^  r:«rr^urc  ^ienttsch.   In 

-Ir  i:»r  H^-i-rrr».  Zr  l-c  zr  i»rn  Nl»f  Ir^rli:rii*rn^  rr:i  Gebrauck 
^'V:  i/t'ie*i  .  'Vrrnn  i:»rr  ii»r  -:n;^i.^?i--rwr  m  Arras.  wo  die 
Z.ii.:rC-Ti-:  i'cT  'Vil.i»er:^j*rr  rvr:if-'lzj^  iiz.  :i:iter  dem  Aus- 
'".Ir-^-r^iZLÜr:  rrrtTr  Vii-i.._-rie  Iie  ^ei-rhec  iura  Tode  ru 
rl?_'-^<  T-rrrtir.iT':  -^-  -vir  tierTm':  -e^in.  irooeker  Zweck 
rrrrri'.lii  -sL-i:  'stif:-': tr"".  -^:>-i  ~'ir  i-?n  c: cse::uentesten  und 
^>.r-^-:^i:^'Tt'ra  Tri^-rrm  irrr  rr::r::i^::nscben  Tendenzen 
i-r?  Ji^rh^'i-rn-  rin  S:>»Lr  il'r-rk-r.i!  v?r  den  Augen  der 
V/r:!:,  -st-r.  l-rrü  iie  fUli-e-  r::^:^::^  iu:h  l'^n  eig^enen  Beutel 
a.^*  l-^rTT*  ■:-:r<.i':l:-i*:>--en  Uejerfu'?'^«*.  Bald  brach  auch  in 
''irrr  Di^^rir.-  ►rin-rr  Verf.lcun^  d-er  Walien&er  aus:  die 
V'hr-.i-i^'-hen  unt-^r  KTr.:^  WliüsLius  sihen  sich  genothigt. 
IVrr  dif:  ihr.-rn  ^-eriLichten  Vorwirte  der  ruchlosesten 
I^*V:rhär::^k»r:t  Be^zh-^ferle  zu  fuhren,  und  als  der  sonst 
v>  ?>:;f  ^tte  Ludw:;^  XL  dem  scrLimIo>en  Unwesen  der  In- 
q.*:-it>r»:n  auf  eine  für  d:e:s?lben  nicht  sehr  ehrenvolle 
We!-j^5  ^e-^teuert  hatte,  wieierholte  bald  darauf  Innoceiu\TII. 
;(an/  ähnliche  Anklae^^n  ^^e-^en  jene  Sekte  in  Süd^Frank- 
reich. 

S^-r..!»*'   Pir;«:'r*%.*  ca-va  co.;n.ta  vMit.  '^  era-»  «:>-<  »ycophantias,  infelices  ftw'i 
li'/^Twr»,  ,n.\.T'*.^.^  *ycoj  h.ir.ta.«  cum  .r.i^^w  i^-iiciru'»  damoavit. 

';  Elfi  Eiifci  der  ^paniscr.rrn  Re^^ieniDK  in  den  Niederl Anden  vom  20,  Ju- 
li i«  IV/2  .»-^MHet  d**n  Bischöfen  und  Gerichlsh"fen  die  eifrig  Verfolgung  der 
y,ai.f.*T»T  r  lunarnmerit  c«?ulx  ou  Celles  qui  peuvcnt  eslrc  les  plus  dil&niei 
dViiif»-  .lrvifi%,  rnctuintpiirs.  wrciers,  rtiuJois,  «m  notez  des  sembUbles  mali- 
f,r*«t  OH  ^rimei  it^.  —  {Cannaeri  Bydrai^en  pa>:.  198.)  J^nktys  (de  Pynbank 
wrilpf»|,rok»-n  pfi  l)ernati,^t.  Rotterdam,  1651,  pag.  177)  spricht  von  der  lu<t- 
|illr  liiuhrvd  «Irr  toovrresv-n  In  de  vauderyen  en  Venus-maaltyden. 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  2  SO 

So  Stand  es  in  den  romanischen  Landen.    In  Deutsch- 
land dagegen,  wo  die  Inquisition  seit  dem  Tode  Conrads 
von  Marburg   nie   wieder  hatte  Boden   gewinnen  können, 
war  die  Lage   der  Dinge  noch  in  der   ersten  Hälfte  des 
Jahrhunderts  eine  günstigere.     Denn  hier  galt  noch  immer 
—  wenigstens  vorherrschend  —  der  Gedanke,  dass  Hexerei 
ein  nichtiger  Aberglaube  sei,  den  die  Kirche  ganz  ebenso 
wie  die  Ausübung  sonstigen  heidnischen  Unwesens  nur  mit 
Excommunikation   zu  bestrafen  habe.     Ein  von  dem  Erz- 
bischof Balduin  1310  in  der  Peterskirche  zu  Trier  ver- 
sammeltes Provinzialconcil    stellte  bezüglich  des  heid- 
nischen Aberglaubens  eine  Reihe  von  Kanons  auf,  in  denen 
wir  Folgendes  lesen*):    79.  Wahrsagerei,  Sortilegien,  die 
Anwendung    von    Mitteln    zur  Erweckung   der  Liebe   etc. 
werden  verboten.   80.  namentlich  auch  die  sortes  sanctorum, 
apostolorum    vel  psalterii,    wobei   man    die  Bibel   zur  Er- 
forschung der  Zukunft  missbraucht.     81.  Kein  Weib  darf 
vorgeben,    dass    sie    Nachts    mit    der    heidnischen 
Göttin   Diana    oder    mit    der    Herodias    ausreite. 
82.  Beim  Kräutersammeln  darf  man  keine  Zaubersprüche 
und  keine  anderen  Formeln  anwenden  als  das  Vaterunser 
und    das  Symbolum.     Auch   darf  man  auf  die  Zettelchen, 
welche  getragen  werden,    nichts  Anderes  schreiben.     Be- 
sessene dürfen  Steine  imd  Kräuter  aber  ohne  Zaubersprüche 
anwenden.     Es  ist  nicht  erlaubt  auf  die  ägyptischen  Tage 
(zwei  von  den  ägyptischen  Astrologen  als  unglücklich  be- 
zeichnete   Tage   jedes   Monats),    auf  Constellationen   und 
Lunationen  (Mondswandlungen)  auf  die  Kaienden  des  Ja- 
nuars und  der  übrigen  Monate,    auf  den  Lauf  der  Sonne, 
des  Mondes  und  der  Sterne  abergläubisch  zu  achten,    als 
ob  hierin  besondere  Kraft  liege.     83.  Es  gibt  keine  Tage 
und  Zeiten,   die   an   sich  glücklich   oder  unglücklich  sind, 
so  dass  man  da  irgend  etwas  beginnen  soll  oder  auch  nicht. 
x\uch   darf  man  nicht  aus   dem  Fluge    und  Geschrei  der 
Vögel  oder  aus  dem  Anblick  eines  Thiers  auf  Glück  oder 
Unglück  schliessen.  84.  Aus  dem  Sternzeichen,  in  welchem 


0  Bei  Hefele,  Conciliengesch.  B.  VI.,  S.  437—438. 


2(u}  Dreizehntes  Kapitel. 

Jemand  gcjboren  ist,  darf  man  nicht  seine  Sitten  undSchick- 
salo  voraussagen,  auch  sich  nicht  nach  diesen  Zeichen 
richten,  wtuin  man  ein  Haus  bauen  oder  eine  Ehe  schliessen 
will  u.  dyl.  —  In  gleichem  Sinne  dekretirte  ein  im  Jahr 
I  ,\.\i)  /u  Prag  versammeltes  Provinzialconcil,  dass  aIle^ 
Zauborwerk  purer  Aberglaube  und  darum  mit  Excomniuni- 
kation  /u  bi^strafen  wäre.  Dieselbe  Bestrafimg  war  übri- 
gtM\s  i.»i)0  von  einem  italienischen  Provinzialconcil  zuGrado 
und  spütt^r  (^1335)  auch  von  einer  spanischen  Synode  zu 
Salanumka  ^)  angeordnet  worden. 

1  Unrichtungen  wegen  Zauberei  finden  wir  in  Deutsch- 
land t^rst  um  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhimderts  be- 
riohtot :  doch  kamen  dieselben  damals  nur  noch  ganz  ver- 
oit\/oU  vi>r.  Dass  im  Jahr  1446  etliche  Frauen  zu  Heidel- 
Ihm^jiJ^  unttT  Mitwirkunvr  des  Ketzermeisters  wegen  Zauberei 
vorbraniu  wunleix.  or/ahlt  uns  der  gleichzeitige  Dr.  Hart- 
Uob^V  Im  folvii^tulon  Jahre»  als  man  ein  anderes  AVeib, 
vla>  al>  dio  Lohrnun>terin  der  Hingerichteten  galt,  einge- 
rv\v:oi\  halto,  erwirkte  sich  H^utlieb  bei  dem  Pfalzgrafen 
die  l  rlaubtxisN  die  liotan^vno  in  Gegenwart  des  Inquisitor» 
(iber  die  KuunI»  Rev^vu  und  Hagel  lu  machen  befragen  zu 
dürteu.  Al>  er  ivsUvh  veniahm.  doss  die>e  Kunst  nicht 
erlvMv.;  wervieu  kv^unte,  v^htte  Gou.  die  Heiligen  und  die 
Ss4vra:v,t^:ue  ^u  \erl,i.ux:^ien  uuvl  sich  drei  Teufeln  zu  er- 
jce>v  rv  >N^  >:a*,ul  er  vu;\  v^'i  al\  Djls  Weib  wurde  verbrannt. 
rH*-tu'.Ne*.x>*\\e::h  i>t  ü^r\*:e:T>  »u  vl;e>e:n  Berichte  nicht  nur 
d*.;^  >N^':i>5  ut'.<xn\v^>»',lu^he  Atu^ihl  \vki  vltv:  Teufeln*  .  ?<'n- 
vu:**,  AUvh  Ha::1:oI"V  .vvV*<lu\t'^  \\^rj.usseL:ung ,  da>s  dä> 

,*.    \  .      N    »'  s,»    ♦. 
"...  V    ,i    i   c»     *•..  V    c»    X-    <     V  »^«r  1.7«:^*   «zd    i«f   LiiitTr . 

.  v^,"»   ',*  .V«'     ♦.\»  i  *  V»'  •  A  V  ..'w^"4  V  ?  »     :*.  I '  -e*:  ^.    -     S»  vi.-'.i-a  *  rv*;tx!.< 

*       Sv,^*     .    ,      H.,*o*    ,  ^.  vr      ^.    ♦ .    ^t     :.c^    ^^.•'.♦^         :    itz    -'^« 
1  i«*.»r«^M  Ti«:*t   >v{     :.    •  *o  vr    *  '»^   ;>:<-..v :«- ^   ,'*>a.:**n«:'j  •  >»«e   "«i  Ja4  -  i 

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Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  26 1 

Wettermachen  ohne  die  Verläugnung  des  christlichen 
Glaubens  zu  erlernen  sei. 

In  Hamburg  wurde  nach  den  Kammerrechnungen 
der  Stadt  von  1 444  in  diesem  Jahre  eine  mulier  divinatrix 
und  eine  andere  incantatrix  verbrannt.  Auch  aus  dem 
Jahre  1458  wird  die  Verbrennung  eines  Weibes  erwähnt. 
Die  nächstfolgende  derartige  Hinrichtung  kam  erst  1482 
vor.  Damals  hatte  eine  Bauersfrau  in  dem  Hamburgischen 
Dorfe  Eppendorf,  um  ihren  Kohl  im  Garten  zu  besserem 
Gedeihen  zu  bringen,  bei  dem  Empfang  der  Communion 
die  Hostie  aus  dem  Munde  genommen  und  in  ihrem  Garten 
unter  einem  Kohlstrauch  vergraben.  Die  Sache  wurde 
indessen  späterhin  ruchbar,  und  die  Geistlichen  des  im 
Orte  befindlichen  Klosters  fanden  bei  Vornahme  einer 
feierlichen  Nachgrabung,  dass  die  Wurzel  dieses  Strauches 
wie  ein  Kruzifix  geformt  war.  Das  Weib  ward  daher 
von  dem  Recht  mit  dem  Tode  bestraft^). 

In  Frankfurt  a.  M.  wurde  i486  ein  Gaukler,  der 
sein  Glück  auf  den  Messen  versuchte,  als  der  Zauberei 
schuldig,  im  Main  ertränkt  3). 

In  den  Niederlanden  kamen  wohl  hier  imd  da  im 
fünfzehnten  Jahrhundert  Leute  zur  Anzeige,  welche  mit 
dem  Teufel  im  Bunde  stehen  und  verderbliche  Zauberei 
(wigchelary)  treiben  sollten;  allein  aus  der  Zeit  vor  1472 
liegt  keine  Nachricht  über  eine  desshalb  vollzogene  Hin- 
richtimg vor.  Man  bestrafte  die  Hexen  und  Zauberer  mit 
Ausstellung  an  den  Pranger,  Landesverweisung  u.  s.  w. 
In  den  Registern  der  bischöflichen  Stadt  Utrecht  findet 
sich  zum  Jahr  1440  die  Eintragimg  vor,  „dass  in  der  Stadt 
viel  Zauberei  im  Schwange  sei  imd  von  Männern  und 
Weibern  ausgeübt  werde,  und  dass  daher  der  Rath  das 
Zaubern  unter  Glockenschall  habe  verbieten  lassen,  unter 
Androhung    von   einjähriger   Verbannung   aus  der  Stadt, 


*)  Trümmer,  Vorträge,  S.  108 — 110. 

*)  Kirchner,  Gesch.  der  Stadt  Frankfurt  (Frankf.  1807)  Th.  1.,  S.  504.  — 
Uebrigens  scheint  sich  Frankfurt  späterhin  von  der  Hexenverfolgung  ganz 
frei  gehalten  zu  haben. 


202  Dreizehntes  Kapitel« 

weil  das  Zaubern  gegen  Gottes  Wort  sei*'  *).  Erst  aus  dem 
Jahr  1472  wird  ein  Todesurtheil  erwähnt,  welches  zu  Almen 
an  einer  Dienstmagd  wegen  angeblicher  Hexerei  voll- 
zogen ward*). 

In  der  Schweiz  treten  im  vierzehnten  und  fünfzehnten 
Jahrhundert  viele  Fälle  von  Zauberei  hervor,  aber  das 
eigentliche  Hexenwesen  war  dem  Volke  noch  fremd,  wess- 
halb  auch  die  von  den  Päpsten  im  fünfzehnten  Jahrhundert 
angeordnete  criminelle  Verfolgung  desselben  hier  nur  spo- 
radisch vorkam.  Als  die  B  e  r  n  e  r  in  der  Mitte  des  Som- 
mers 1383  vor  Ölten  zogen  und  das  Schloss  stürmen  wollten, 
vernahm  Graf  Eberhard  von  Kyburg,  der  sich  darin  be- 
fand, es  sei  eine  Frau  daselbst,  „die  könne  etwas",  womit 
dem  Schloss  und  den  Leuten  zu  helfen  sei.  Der  Graf  Hess 
sie  holen  und  nachdem  er  versprochen,  er  wolle 
nichts  gegen  sie  vornehmen  und  sie  auch  nicht 
anzeigen,  stellte  sie  sich  neben  ihn  auf  die  Zinne  und 
sprach  heimlich  einige  Worte,  worauf  alsbald  eine  Wolke 
über"  den  Berg  herein  kam  und  sich  mit  einem  solchen 
Unwetter  entlud,  dass  die  Bemer  eiligst  abziehen  mussten'). 
—  Hundert  Jahre  spater,  im  Jahr  1482,  fühlte  sich  die 
Berner  Obrigkeit  veranlasst  zur  Besserung  gemeiner 
Landesbresten  gegen  Gespenst,  Hexenwerk,  Zauberei  und 
Ungewitter  gewisse  Schutzmassregeln  zu  ergreifen  und 
ordnete  als  die  wirksamsten  hierzu  dienlichen  Mittel  be- 
sondere Gottesdienste,  Messen,  Prozessionen  sowie  den 
Gebrauch  von  geweihten  Palmen,  Salz,  Kerzen  u.  dgl.  an  *). 
Doch  waren  vorher,  namentlich  1454,  auch  Hinrichtungen 
von  Hexen  in  Bern  und  Solothurn  vorgekommen*). 

In  Basel  war  die  gewöhnliche  Strafe  für  Zauberei 
die  „Leistung  vor    den   Kreuzen**   (den    Grenzsteinen   der 

*)  C.  ßurman,  Utrcchtsche  Jaarboeken,  B.  1.,  S.  513. 

•)  Schcltema ,  Geschiedenis  der  Hecksenproccssen,  S.   120. 

•)  Justifti^er,    Berncr  Chronik,    herausgcg.  von  Slicrlin  und  Wysi  (Bern. 

18 ly)  S.  205. 

*)  Anssilm,    Berner   Chronik,    heraus^cg.    von  Stierlin    und  Wyjw,  B.  !• 

s.  307  ff. 

•)   TilUer,  Gesch.  des  Freistaats  Bern,  B.  11.  S.  516. 


-.--.^ 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  263 

Stadt),  d.  h.  temporäre  oder  ewige  Landesverweisung.  In 
dem  noch  jetzt  vorhandenen  „Leistungsbuch"  von  1390 
bis  1473  (einer  Sammlung  von  Rathsbeschlüssen  und  Straf- 
erkenntnissen) liegen  Nachrichten  über  Zaubererprozesse  vor, 
welche  merkwürdiger  Weise  gerade  Personen  aus  den 
adelichen  und  vornehmsten  Bürgerfamilien  der  Stadt  be- 
trafen. Im  Jahr  1399  wird  eine  Frau  verurtheilt,  „fünf 
Jahre  vor  den  Kreuzen  zu  leisten**,  weil  sie  mit  ihrer  Zau- 
berei einen  Mann  zur  Armuth  gebracht  hatte.  Ein  grosses 
Aufsehen  machender  Prozess  gegen  Zauberei  kam  1407 
vor,  welchem  ähnliche  Prozesse  141 4  und  141 6  nachfolgten. 
Im  Jahr  1 433  schwur  ein  Maifn  von  Läufelfingen  bezüglich 
einer  daselbst  in  Haft  sitzenden  Frau  zu  Gott  und  den 
Heiligen :  „Als  er  an  einem  Donnerstag  um  Pfingsten  vor 
einem  Jahre  um  Mittag  gen  Bukten  zum  Wein  gehen 
wollte,  sah  er  die  Verhaftete  von  Bukten  gegen  ihn  heran 
fahren,  auf  einem  Wolfe  reitend,  und  lief  der  Wolf  für 
sich  und  sass  sie  hinter  sich  und  hielt  dessen  Wedel  in 
der  Hand.  Er  erschrak  zum  Zittern  und  lief  hinter  einen 
Baum  sich  zu  verbergen.  Da  sah  er  das  Weib  schnell 
dahinfahren,  ging  dann  weiter  und  war  froh,  so  davon  ge- 
kommen zu  sein.**  Uebrigens  wollte  man  1451  auch  eine 
wirkliche  Hexe  entdeckt  haben;  sie  wurde  hingerichtet*). 

Von  besonderer  Bedeutung  sind  die  Nachrichten,  welche 
über  die  in  der  französischen  Schweiz  vorgekommenen 
Prozesse  vorliegen  2).  Dieselben  sind  noch  wesentlich 
Ketzerprozesse,  zeigen  aber ,  dass  der  ganze  Wahn- 
sinn, der  aus  den  Hexen  im  siebenzehnten  Jahrhundert 
herausgefoltert  wurde,  auch  den  Ketzern  im  fünfzehnten 
Jahrhundert  imtergeschoben  wurde,  und  dass  die  Hexerei 
als  wesentliches  Moment  der  Ketzerei  galt. 

Die  Inquisition  lag  hier  in  den  Händen  des  bischöf- 
lichen   Offizialats    zu    Lausanne,    welches    dieselbe   durch 


*)  Btixtorf'Falkeistn ,  Basler  Zauberprozesse  aus  dem  vierzehnten  und 
ffiofzehnten  Jahrhundert.     Basel,  1868. 

*)  Wir  berichten  nach  der  Schrift:  Les  sorciers  dans  le  pays  de  Neuchatel 
au  15.  16.  et  17.  siecle.  Recherche*  curieuses  sur  les  procedures  instruites 
par  Vlnquisition  etc.     Locle,  1862. 


znx  Lr^izxanmt  Kapital. 

Predi^ermöcche  im  Waadtland,  und  in  den  Landen  von 
FreibuiY  ^^^^  Xeuchatel  ausüben  Hess.  Die  Au%abe  der 
Inquisitoren  war.  alle  Diejenigen  aufzuspüren»  welche  des 
Verbrechens  der  Ketzerei.  Zauberet  und  WaWenserei  — 
denn  diese  Bezeichniingen  arahen  als  gleichbedeutend  — 
verdächtig'  waren  ^ .  Der  erste  Prozess*  über  welchen  wir 
Nachricht  haben,  gehorte  dem  Jahre  1430  an;  im  Jahr 
1 4  5 1  ft>lgten  demselben  sechs  andere  nach.  Seitdem  scheinen 
dieselben  in  den  g'enannten  drei  Landen  in  immer  mehr 
anwachsender  Zahl  vorg-ekommen  zu  sein.  Von  der  An- 
wendung der  Folter  ist  in  der  vorlieg'enden  Berichterstattung 
keine  Rede,  doch  ist  ohne  dieselbe  die  Erpressimg  der 
(den  Geständnissen  der  Hexen  im  siebenzehnten  Jahrhun- 
dert g'anz  g^leichartigen^  Aussagen  der  ,JCetzer"  absolut 
unerklärlich.  Das  Urtheil  lautete  auf  Tod  durch  Feuer. 
Tod  mit  Verstümmelung  der  Glieder  u.  s.  w.  —  Das  Ver- 
mögen des  Hingerichteten  wurde  regelmässig  confiscirt 
Zwei  Drittel  desselben  fielen  dem  Fiscus  zu  und  ein  Drittel 
dem  Officium  der  Inquisition. 

Zur  näheren  Charakterisirung  dieser  „Ketzerprozesse" 
theilen  wir  den  Verlauf  eines  der  spätesten  Prozesse  mit. 
welcher  1481,  also  kurz  vor  dem  Erscheinen  der  Bulle 
Innocenz'  VIII.  und  des  Hexenhammers  vorkam.  Derselbe 
betraf  einen  gewissen  Rolet  Croschet,  der  am  27.  Nov.  14^' 
„pour  cas  dTier^sie"  dem  Inquisitor  vorgeführt  wurde. 
Derselbe  gestand  (unzweifelhaft  nach  vorgängiger  Tortur) 
Folgendes :  Er  sei  ein  Ketzer,  und  vor  etwa  vierzig  Jahren 
in  die  „Sekte"  eingetreten.  Bei  der  ersten  Versammlung 
derselben,  die  er  besucht,  sei  der  Teufel  als  ein  grosser, 
schwarzer  Mann  zugegen  gewesen.  Derselbe  habe  sich 
jedoch  in  einen  Hammel  verwandelt,  worauf  er  ihm  zum 
Zeichen  seiner  Huldigung  den  Hinteren  gekOsst  habe. 
Darauf  habe  ihm  der  Teufel,    der   sich    selbst  Robin  ge- 


')  In  der  angezogenen  Schrift  h^isst  es  S.  8  bezQglich  der  Protesse.  weiche 
in  den  Jahren  1 430— 148 1  im  Jurisdictionsgebiet  des  Bischofs  v.  LauMO"^ 
vorkamen :  A  cette  epoque  c'etait  l'Officialite  de  Lausanne,  qui  recherchJit 
le«  individus  suspects  d'heresie»  de  sorcellerie,  de  bougrcrie  ou  de 
V  a  u  d  e  r  I  e  ;  car  crs  tnctt  itaitHt  synonimts^ 


•^ 


Abnahme  der  Hexenprozesse  in  Frankreich  etc.  26s 

nannt,  um  ihn  als  sein  Eigenthum  zu  zeichnen,  den  Nagel 
des  Mittelfingers  der  rechten  Hand  (ziemlich  schmerzlos) 
abgenommen.  Gleichzeitig  habe  er  Gott,  den  katholischen 
Glauben  und  die  Sacramente  der  Kirche  verleugnet  und  ein 
in  den  Fussboden  gezeichnetes  Kreuz  mit  Füssen  getreten 
und  verflucht.  Auch  habe  er  wiederholt  die  in  der  heil. 
Communion  empfangene  heil.  Hostie  dem  Teufel  gebracht, 
der  sie  einem  schwarzen  Hunde  gegeben  oder  sonstwie 
geschändet  und  verderbt  habe.  Die  Versammlungen  der 
Sekte  fanden  regelmässig  am  Freitag  statt.  Bei  denselben 
brenne  ein  grünes,  mit  gewöhnlichem  Feuer  gar  nicht  zu 
vergleichendes  Feuer.  Die  Stimme  des  (immer  schwarz 
gekleideten)  Teufels  töne  rauh  und  heiser  durch  die  Ver- 
sammlung. Der  Teufel  habe  ihm  auch  verboten  geseg- 
netes Brot  und  Wasser  zu  gebrauchen  und  sich  dem  Kreuze 
zu  nähern.  Das  eigentliche  Fest  der  Versammlung  beginne 
mit  einer  gemeinsamen  Mahlzeit,  wobei  namentlich  das 
Fleisch  kleiner  Kinder  verzehrt  werde.  Nach  Beendigung 
der  Mahlzeit  gehe  man  zum  Tanze  über,  auf  welche  dann 
die  wildeste  geschlechtliche  Vermischimg  zu  folgen  pflege. 
Einer  der  Sekte  sei  Probst  derselben,  der  allen  Genossen 
Geld  auszahle,  ihnen  die  Malefizien  auftrage,  die  sie 
den  Menschen  zufügen  sollten,  und  ihnen  für  den 
Fall,  dass  diese  Malefizien  nicht  ausgeübt  würden,  mit 
Entziehung  der  Unterstützungen  drohe.  Von  dem  Teufel 
habe  er  eine  harte  Salbe  in  der  Grösse  einer  Nuss  er- 
halten. Mit  derselben  bestreiche  er  einen  Besenstiel,  auf 
welchem  er  zur  Sekte  fahre.  Zur  Zubereitung  dieser  Salbe 
würden  namentlich  die  Herzen  kleiner  Kinder  verwendet. 
—  Schliesslich  gab  der  Inquisit  noch  eine  Reihe  von  Per- 
sonen an,  welche*  er  als  Mitschuldige  und  Angehörige  der 
„Sekte"  auf  den  Freitagsversammlungen  gesehen  haben 
wollte.  —  Nach  diesen  Geständnissen  ward  Rolet  Croschet 
auf  dem  Platz  vor  dem  Schlosse  Boudry  lebendig  ver- 
brannt. —  Wenige  Jahre  später  wurden  die  Prozesse, 
welche  man  bisher  als  „Ketzerprozesse"  geführt  hatte, 
ganz  in  der  bisherigen  Weise  unter  dem  Titel  „Hexen- 
prozesse" fortgeführt. 


266  Dreizehntes  Kapitel. 

Ungarn  war  selbst  noch  im  fünfzehnten  Jahrhundert 
von  der  Hexenverfolgung  ganz  frei.  Das  Ofener  Stadt- 
recht (dessen  letzte  Redaktion  vor  1421  fallt)  bestimmte, 
dass  man  Hexen  und  Zauberer,  wenn  man  sie  zum  ersten 
Male  ergreife,  an  einem  Freitage  auf  einem  besuchten 
Platze  der  Stadt  auf  einer  Leiter,  mit  einem  Judenhut 
auf  dem  Kopf,  an  welchem  die  heiligen  Engel  gemalt 
wären,  vom  Morgen  bis  zum  Mittag  sollte  stehen  lassen. 
Darauf  sollten  sie  schwören  von  ihrem  Irrthum  ablassen 
zu  wollen  und  alsdann  sollen  sie  frei  sein.  Würden 
sie  aber  zum  zweiten  Mal  um  desselben  Vergehens  willen 
eingebracht ,  so  sollte  man  sie  wie  Ketzer  brennen  *).  .— 
Mit  dieser  Bestimmimg  des  Ofener  Stadtrechts  sind  zwei 
Verfügungen  des  Erzbischofs  von  Gran  von  1447  und  1450 
über  die  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  unterworfenen 
Sachen  zusammenzustellen.  In  denselben  wird  wohl  die 
Ketzerei,  nicht  aber  die  Zauberei  erwähnt,  was  hinlänglich 
beweist,  dass  man  sie  von  der  Ketzerei  nicht  trennte  und 
dass  man  ihr  nicht  die  selbstständige  Bedeutung  beilegte, 
die  sie  in  den  romanischen  Landen  bereits  erlangt  hatte  ^). 


*)  F.  MulUr,  Beitr,  zur  Gesch.  des  Hexenglauhens  und  des  Hexenproiesses 
in  Siebenbürgen  (Braunschw.   1854),  S,  11   u,  16. 


VIERZEHNTES    KAPITEL. 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII.    Der  Malleus 

maleficarum. 

Im  letzten  Viertel  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  lyaren 
Heinrich  Institor  (Krämer)  für  Oberdeutschland  und 
Jakob  Sprenger  für  die  Rheingegenden  als  Inquisitores 
haereticae  pravitatis  bestellt  worden  und  hatten  es  als 
zweckmässig  erachtet,  ihr  Geschäft  vorerst  durch  Ver- 
folgung des  Hexenwesens  zu  popularisiren.  Aber  auch 
hierbei  stiessen  sie  auf  heftigen  Widerspruch.  Aus  ihren 
eigenen  Klagen  entnehmen  wir,  dass  derselbe  nicht  nur 
gegen  ihre  richterliche  Competenz,  sondern  auch  gegen 
die  Sache  selbst  gerichtet  war.  Es  muss  dem  Vaterlands- 
freunde erfreulich  sein,  zu  bemerken,  wie  schon  damals 
oder  vielmehr  noch  immer  unter  unsem  Vorfahren  nicht 
selten  die  Behauptung  laut  wurde,  dass  es  nirgend  anders 
Zauberei  gebe,  als  in  den  Köpfen  derjenigen,  welche  na- 
türliche Wirkimgen,  deren  Ursachen  ihnen  verborgen  sind, 
aus  derselben   erklären   wollen  ^).     Häufiger  noch  sprach 


*)  Quidam   —  —  —   conati   sunt    asserere,    maleficium   nuUum    esse   in 
mundo,  nisi  in  opinione  hominum,  qui  naturales  effectus,  quorum  causae  sunt 

occultae,  maleficiis  imputabant.  Mall.  Mal.  p.  3,    Ed.  Francof.  1588. 

ut  meleficorum  opera  non  incredibilia  videantur,  sicut  hucusque  in  magnam 
fidei  contumeliam  et  ipsorum  maleficonin)  augmentum  factum  est.  Pag.  225, 
und  so  flftcr. 


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-».'^?.*'<m  •'.'ir  s'^rTTi  allrrs  D^^s. 


•^  d-rr  kit h:  I:5che  Glaube 
:h.^*?  -mc  cMhe  'jsd  dass  alle 
heir  weit  voc  d-en  Greiuen 
:e.  Dah-er  erldareTi  und  ge- 
-i^-r-iurrh  cie^er  unser  firomme 
ka'^n/"    Dann  klagt  der  Papst 


';    •''    " 


.1     4'^' 


ir.cct  .T   üi  *-«  •"  1  -•^ür--.  ^*r<ti5!^neh  'ä  Cor;, 


',  !>'<*■  M*- - -' /  tn^t*  4::i.  w?-.^*c"5  :z  Ber^z  aaf  gerichtliche 
M*/*>'. /—f',..' .-.^  .  '*i  ^.hvci^cr  »Ge^  h.  >-r  Hexenpr.  L  S.  3v*),  Schchemi 
^/,#  /'.  *  >'...  rjff  H»-ic«'^r.pr''<t'»^n.  .'fter^  ,  Car-iaen  fBvdrazvn  lol  de  Kern»« 
VÄ*.   ;  "♦  'fi'I»    vr-«ff*".r.t  ir.  VUenderen,  Gen!   lS3o.  p.   1*>S)  u.  A, 

*     M«  ^ir.,/*>f  p>',Mj«ch'-n  L>bcrtrer''jng  »gte  von  ihm  ein  Dbtichoo: 
f;r.to  Xoctm  jijerot  xcnuil  totidcmque  puellas, 
H'jic  rij^Tiio  poteril  dicerc  Roma  patrem. 
t\u*x\  (  j.^f.ikJer  vr.J'irrt  in  sehr  un,iQnstigeni  Lichte  der  ehrliche  Fleury. 

*)  ]i\r  lUiUr  firtdf't  %'uh  ab^^edruckt  im  Bullavium  romanum  zum  Jahre 
nHi.  und  in  liütkofft  Gc»ch,  des  TcufrU  B.  II.,  S,  222— 22!S  (hier  jedoch 
nc  tii  K>in/  «rirr^kt  und  darum  nicht  sanz  verständlich). 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  Vlll.     Der  Malleus   maleficarum,     269 

dass,  wie  ihm  zu  Ohren  gekommen  sei,  jüngst  in  einigen 
Theilen  von  Oberdeutschland,  wie  auch  in  der  Salzburger, 
Mainzer,  Kölner,  Trierer  Kirchenprovinz  viele  Personen 
beiderlei  Geschlechts  vom  Glauben  abgefallen  seien,  mit 
detm  Teufel  gottlose  Bündnisse  eingegangen,  Menschen 
und  Vieh  grosses  Unheil  zugefügt,  und  auch  sonst  argen 
Schaden  verursacht  hätten.  Er  sagt  nämlich :  Sane  nuper 
ad  nostrum,  non  sine  ingenti  molestia,  pervenit  auditum, 
quod  in  nonnullis  partibus-  Aleraanniae  superioris  nee  non 
in  Moguntinensi ,  Coloniensi,  Trevirensi,  Salzburgensi  et 
Bremensi  provinciis,  civitatibus,  terris,  locis  et  dioecesibus 
complures  utriusque  sexus  personae,  propriae  salutis  im- 
memores  et  a  fide  catholica  deviantes,  cum  daemonibus 
incubis  et  succubis  abuti  et  suis  incantationibus,  carminibus 
et  conjurationibus  aliisque  nefandis  superstitionibus  et  sorti- 
legiis,  excessibus,  criminibus  et  delictis  mulierum  partus, 
animalium  foetus,  terrae  fruges,  vinearum  uvas  et  arborum 
fructus  nee  non  homines,  mulieres,  pecudes,  pecora  et  alia 
diversorum  generum  animalia,  vineas  quoque,  pomaria, 
prata,  Jpascua,  blada,  frumenta  et  alia  terrae  legumina 
perire,  suffocari  et  extingui  facere  et  procurare,  ipsosque 
homines,  mulieres,  jumenta,  pecora,  pecudes  et  animalia 
diris  tam  intrinsecis,  quam  extrinsecis  doloribus  et  tormentis 
afficere  et  excruciare  ac  eosdem  homines  ne  gignere,  et 
mulieres  ne  concipere,  virosque  ne  uxonibus,  et  mulieres 
ne  viris  actus  conjugales  reddere  valeant,  impedire;  fidem 
praeterea  ipsam,  quam  in  sacri  susceptione  baptismi  sus- 
ceperunt,  ore  sacrilego  abnegare,  aliaque  quamplurima  ne- 
fanda,  excessus  et  crimina,  instigante  humano  generi  ini- 
mico ,  committere  et  perpetrare  non  verentur,  in  animarum 
suarum  periculum,  divinae  majestatis  ofFensam  ac  pemi- 
ciosum  exemplum  et  scandalum  plurimorum.  Hierauf  klagt 
die  Bulle,  dass  einige  vorwitzige  JECleriker  und  Laien 
(clerici  et  laici  quaerentes  plura  sapere,  quam  oporteat) 
den  bestellten  Inquisitoren  die  richterliche  Competenz  in 
den  genannten  Ländern  bestritten  und  dadurch  zum  grossen 
Seelennachtheil  der  Betheiligten  die  wohlverdiente 
Bestrafung  der  bezeichneten  Gräuel  verhindert  haben. 


2*70  Vierzehntes  Kapitel. 

Daher  werden  die  beiden  Dominikaner  Jakob  Sprenger 
und  Heinrich  Institor,  denen  als  Notar  ein  Geistlicher 
des  Bisthiuns  Constanz,  Job.  Gremper  beigegeben  wird, 
aufs  Neue  für  die  Kirchenprovinzen  Salzburg,  Mainz,  Trier, 
Köln,  Bremen  *)  als  Inquisitoren  über  das  Verbrechen  teuf- 
lischer Zauberei  mit  der  Vollmacht  autorisirt,  gegen  die 
Uebelthäter  mit  Einkerkerung  und  sonstigen  Strafen  ein- 
zuschreiten und  von  den  Kanzeln  herab  das  Volk  über 
das  Wesen  der  Hexerei  zu  belehren  imd  vor  derselben 
zu  verwarnen.  Zugleich  wird  der  Bischof  von  Strassburg 
aufgefordert  und  ermächtigt ,  die  Inquisitoren  auf  jede 
Weise  zu  schirmen  und  zu  unterstützen,  die  Gegner  der 
Hexenverfolgung,  wess  Standes  und  Würden  sie  seien,  mit 
Suspension,  Bann  imd  Interdikt  zu  belegen,  und  nothigen- 
falls  auch  den  weltlichen  Arm  gegen  sie  anzurufen. 

Wir  sehen  also  hier  —  imd  das  ist  die  eminente  hi- 
storische Bedeutung  dieser  verhängiüssvollen  Bulle  —  das 
Papstthum  sich  zu  einem  in  die  bestehende  kirchliche 
Ordnimg  des  Reichs  tief  eingreifenden  Gewaltakt  erheben, 
zu  dessen  Ausfuhrung  allerdings  die  Regierungszeit  des 
schwachen  Kaisers  Friedrich  DI.  ganz  geeignet  war. 

Es  wurde  verkündet,  dass  in  Deutschland  ein  geheimes 
Reich  des  Satans  bestehe,  zu  dessen  Vernichtung  sich  der 
Statthalter  ^Gottes  erhob.  Dazu  musste  freilich  einem 
grossen  Theile  des  Klerus  und  der  Gemeinden  der  Glaube 
an  das  wirkliche  Bestehen  dieses  Reiches  erst  noch  bei- 
gebracht werden.  Daher  werden  nicht  allein  die  Inquisi- 
toren ermächtigt,  überall,  namentlich  da,  wo  Bischöfe  und 
Pfarrer  sich  zur  Hexenverfolgung  nicht  geneigt  zeigen, 
zur  Aufregung  des  Volkes  beizutragen,  die  Kanzeln  zu 
gebrauchen  und  alle  Mittel  des  kirchlichen  Strafrechts  zur 
Anwendung  zu  bringen,  sondern  es  wird  auch  —  mit  Nicht- 
achtimg  der  hierarchischen  Auetoritat  der  Diocesanbischofe 
—  der  erbärmliche  und  geldgierige  Bischof  von  Strassburg, 


')  Geographisch  bezieht  sich  also  die  Bulle  fast  auf  ganz  Deutschland, 
mit  Ausnahme  des  nordöstlichen  Theils,  indem  die  ErzdiOcese  Magdeburg 
(mit  den  zu  der  Kirchenprovinz  gehörenden  DiÖcesen)  nicht  genannt  wird. 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII.     Der  Malleus  maleficarum.     2  71 

Albert  von  Baiern,  zum  Oberaufseher  über  die  Hexen- 
verfolgung bestellt  und  in  ganz  unkanonischer  Weise 
autorisirt. 

Die  Lehre  aber,  welche  den  Deutschen  von  den  In- 
quisitoren mit  Berufung  auf  die  apostolische  Auctorität  des 
Papstes  verkündet  werden  soll,  ist  folgende:  i)  Es  gibt 
in  der  Christenheit  eine  Hexerei,  welche  eine  mit  Hülfe  des 
Teufels  bewirkte  Zauberei  zum  Zwecke  vielfacher,  entsetz- 
licher Schädigung  der  Menschen  ist;  2)  diese  Hexerei 
beruht  auf  einem  mit  dem  Teufel  abgeschlossenen  Bund, 
und  3)  dieser  Bund  beruht  auf  Abfall  vom  christlichen 
Glauben,  indem  die  Zauberer  und  Hexen  sich  von  Gott 
los-  und  sich  dem  Teufel  zusagen  und  dadurch  ihres  ewigen 
Seelenheils  verlustig  gehen. 

Von  Hexenfahrten,  von  Vermischungen  der  Hexen 
mit  dem  Teufel  etc.  wird  nichts  gesagt. 

Die  in  der  Bulle  aufgezählten  Malefizien  gegen  Per- 
sonen und  deren  Eigenthum  würden,  ihre  Wirklichkeit 
vorausgesetzt,  an  und  für  sich  vor  das  weltliche  Forum 
gehört  haben;  allein  sie  werden  hier  der  kirchlichen  In- 
quisition und  Verfolgung  zugewiesen,  weil  sie  als  Wirkung 
des  Abfalls  von  Gott  und  vom  Glauben,  als  Werke  des 
Teufels  gelten  sollen.  — 

Mit  der  Bulle  des  Papstes  ausgerüstet  begannen  nun 
die  beiden  Inquisitoren  in  Deutschland  ihre  grausige  Ar- 
beit. —  Binnen  fünf  Jahren  waren  in  der  Diöcese  Constanz 
und  im  Städtchen  Ravensburg  48  Personen  —  weil  sie 
Dämonen  -als  Incuben  zugelassen  haben  sollten,  —  auf  den 
Scheiterhaufen  gebracht.  Der  College  der  beiden  Inquisi- 
toren, Cumanus,  Hess  in  dem  Einen  Jahre  1485  in  der  Graf- 
schaft Wormserbad  sogar  41  Unglückliche  verbrennen. 
Indessen  fanden  die  Genannten  doch  alsbald,  dass  die 
methodisch  betriebene  Hexenverfolgung  überall  in  Deutsch- 
land ebensowenig  nach  dem  Sinne  der  Hierarchie  als  nach 
dem  des  Volkes  war.  Selbst  in  Tirol  und  Salzburg  ver- 
mochte Heinrich  Institor  für  seine  Mission  nirgends  rechten 
Boden  zu  gewinnen.  Zwar  wurde  in  Tirol  am  23.  Juli  1485 
wie  überall  in  Deutschland  die  Bulle  Innocenz  VIII.  durch 


2^2  Vierzehntes  Kapitel. 

den  Bischof  von  Brixen,  Georg  Golser,  publizirt,  und  am 
14.  Oktober  desselben  Jahres  nahm  die  Hexenverfolgnng 
ihren  Anfang  ^).     Alle  wegen   Hexerei   verdächtigen  Per- 
sonen  wurden   auf  die  Folter  gespannt,    und  nach  ihren 
Vergehen    und    ihren   Mitschuldigen    befragt.     Die  Folge 
davon  war,  dass  über  zahllose  Familien  namenloses  Elend 
kam.    Selbst  die  eigenen  Familienangehörigen  wnirden  von 
den  Gefolterten   als  Mitschuldige  genannt,    und   selbst  in 
das  Haus    des   damaligen   Regenten    von  Tirol,    des  Erz- 
herzogs Sigmund  griff  die  Denunciation  ein  ^).     Ein  Sturm 
der  Entrüstung  ging    durch   das  ganze  Land.     Die  Folge 
davon  war  daher,  dass  der  Bischof  dem  Inquisitor  in  sehr 
gemessener  Weise  befahl,   das  Land  zu  verlassen    und  in 
sein    Kloster    zurückzukehren.   —    Auch    die    Stände   de.s 
Landes    wollten    von   Hexenverfolgungen  durchaus  nichts 
wissen.    Auf  dem  tiroler  Landtag,  der  im  August  1487 
zu  Hall  im  Innthale  versammelt  war,  wurde  dem  Erzherzog 
Sigmund  gegenüber  laut  darüber  geklagt,    dass  in  jüngst 
vergangener  Zeit  „viele  Personen  gefangen,  gemartert  und 
ungnädiglich    gehalten  worden  seien,    was  doch  merklich 
wider  Gott  und   Sr.  Fürstl.  Gnaden   Seelen  Seligkeit  und 
wider  den  Glauben  ist^).  —  Der  Erzherzog,  der  die  Hexen- 
verfolgung gern  begünstigte,    kam  darüber  ins  Gedränge 
und  forderte  daher,  um  womöglich  sich  auf  eine  juristische 
Auctorität    berufen  zu  können,  dem  angesehenen  Juristen 
Ulrich  Molitoris,  der  zu  Pavia  die  Würde  eines  Dok- 
tors   des  kanonischen  Rechts  erlangt  hatte  und  seit  acht- 
zehn Jahren  die  Stelle  eines  Procurators   bei  der  bischi)!- 
lichen  Curie  zu  Constanz  bekleidete,  auf,  ihm  ein  Gutachten 
über  das  gegen  die  wegen  Zauberei  Angeklagten  ziu"  An- 
wendung  zu  bringende  Verfahren  auszustellen.     Hierübt^r 
war  sich  nun  allerdings  Molitoris  vollkommen  klar  —  denn 
nach  seiner  Ueberzeugung  gab  es  keine  Hexen ;  aber  diese 


*)  Vgl.  L.  Rapp,  Die  Hexenprozesse  und  ihre  Gegner  aus  Tirol.  Ini.s- 
brück,   1874.  S.  0  iT. 

*)  Fr.  Sinnachcr,  Geschichte  der  bischöflichen  Kirche  von  Sahen  ui»- 
Brixen.  B.  VI.  S.  634. 

>)  Rapp,  S.    12—13. 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII.    Der  Malleus  maleficaruin. 


273 


Ueberzeugning  auszusprechen  war  doch  für  ihn  in  seiner 
Stellung  bedenklich,  wesshalb  er  sein  Gutachten,  ehe  er 
es  dem  Erzherzog  übergab,  dem  damaligen  Sekretär  des- 
selben,  Konrad  Stürtzel  von  Buchheim  vorlegte, 
dessen  Vorlesungen  über  Jurisprudenz  imd  Rhetorik  er 
einst  zu  Freiburg  gehört  hatte.  Molitoris  hatte  es  für  an- 
gemessen erachtet,  seinem  Gutachten  die  Form  eines  Ge- 
sprächs zwischen  sich  und  dem  Erzherzog  zu  geben,  in 
welches  er  als  dritte  Person  noch  den  damaligen  Schult- 
heissen  von  Konstanz,  Konrad  Schatz,  verflocht,  der  in 
Hexenprozessen  viele  Erfahrung  hatte.  Am  10.  Januar 
1489  hatte  Molitoris  das  Manuscript  abgeschlossen^). 

Seine  eigene  Ueberzeugung  lässt  Molitoris  (klüglich) 
den  Erzherzog  aussprechen,  der  darum  als  Mann  von  über- 
raschender Aufklärung  erscheint.  Schon  auf  die  erste 
Aeusserung  des  Schultheissen ,  dass  man  die  Hexen  all- 
gemein beschuldige,  Unwetter  hervorzubringen,  und  dass 
sie,  peinlich  befragt,  dessen  selbst  geständig  wären,  er- 
widert der  Herzog  ganz  verständig:  auf  blosses  Gerede 
gebe  er  nichts,  imd  ebensowenig  könne  er  auf  Aussagen, 
die  auf  der  Folter  erpresst  wären,  etwas  geben.  Denn 
durch  Furcht,  Schrecken  und  Qual  könne  man  Jemanden 
leicht  dazu  bringen,  auch  das  Unmögliche  zu  bekennen. 
Als  sich  nun  der  Schultheiss  weiterhin  auf  die  Erfahrung 
beruft,  bemerkt  der  Erzherzog  sehr  richtig,  dass  gerade 
diese  gegen  den  Hexenglauben  spreche.  Denn  hätte  es  mit 
demselben  so  ganz  seine  Richtigkeit ,  so  brauchte  ein  Fürst 
für  den  Krieg  keine  Armee  zu  unterhalten,  indem  er  dann 
nur  eine  Hexe  unter  sicherem  Geleite  an  der  Grenze  auf- 
zustellen hätte,  welche  das  feindliche  Land  schon  genug- 
sam durch  Hagel  und  sonstiges  Unwetter  verwüsten  würde. 
—  Sich  ausser  Stande  sehend,  hierauf  Etwas  erwidern  zu 
können,  flüchtet  sich  nun  der  Schultheiss  zur  heil.  Schrift, 


')  Der  Titel  lautet:  Tractatus  ad  illustrissimum  principem,  Dominum 
Sigismundum  —  de  Lamiis  et  pythonicis  mulieribus,  per  Ulricum 
Molitoris  —  ad  honorem  eiusdem  principis  ac  sub  suae  Celsitudinis  emen- 
datione  scriptus.  —  Ex  Constantia  a.  1489. 

SoldAO'Heppe,  Hexenprotesse.  ^^ 


274  Vierzehntes  Kapitel. 

schiebt  zunächst  aus  dem  A.  Testament  die  Gaukler  am 
Hofe  des  Königs  von  Aegypten  u.  s.  w.  vor  und  zieht 
dann  aus  der  Apocalypse  die  vier  Engel  herbei,  welche 
bestimmt  seien,  Land  und  Meer  zu  verderben.  Auf  eine 
Erörterung  des  A.  Testaments  lässt  sich  indessen  der  En- 
herzog  nicht  ein,  und  bezüglich  der  apocal3rptischen  Engel 
meint  derselbe,  Johannes  habe  sie  nur  im  Traume  gesehen 
und  erzähle  daher  ein  Gedicht.  —  Schliesslich  resümirt 
der  Verfasser  das  Ergebniss  des  Gesprächs  in  folgenden 
Sätzen:  „Der  Teufel  kann  weder  immittelbar  durch  sich» 
noch  mittelbar  durch  die  Menschen  den  Elementen,  Men- 
schen oder  Thieren  schaden.  Da  Gott  allein  Herr  der 
Natur  ist,  so  kann  nichts  ohne  seine  Zulassung  geschehea 
Geister  können  keine  Kinder  erzeugen ;  kommen  aber  an- 
geblich doch  solche  vor,  so  sind  sie  untergeschoben.  Men- 
schen können  keine  andere  Gestalt  annehmen  imd  sich 
nicht  an  entfernte  Orte  versetzen ;  sie  können  sich  nur  ein- 
bilden, dass  sie  seien  wo  sie  nicht  sind,  und  dass  sie  sehen 
was  sie  nicht  sehen.  Ebensowenig  können  Hexen  viele 
Meilen  weit  zur  Nachtzeit  wandern  imd  von  diesen  Wan- 
derungen zurückkommen ,  sondern  indem  sie  träumen  und 
an  allzu  reizbarer  Phantasie  leiden,  kommen  ihnen  der- 
artige Gegenstände,  welche  sie  sich  einbilden,  so  lebhaft 
vor  die  Augen,  dass  sie  erwachend,  durch  Selbsttäuschung 
glauben,  sie  hätten  (was.  nur  eingebildet  war)  in  der  Wirk- 
lichkeit gesehen. 

So  hell  und  klar  wusste  MoUtoris  die  Nichtigkeit  de> 
Hexenglaubens  zu  durchschauen;  allein  die  praktischen 
Folgerungen  aus  dieser  Einsicht  zu  ziehen,  hatte  er  doch 
nicht  Muth  genug.  Schliesslich  erklärt  nämlich  Molitoris: 
„Obschon  also  dergleichen  böse  Weiber  in  der  That  nichts 
ausrichten,  so  müssen  sie  nichtsdestoweniger  desshalb.  weil 
sie  —  von  Gott  abfallen  und  mit  dem  Teufel  ein  Bündniss 
eingehen,  wegen  ketzerischer  Bosheit  mit  dem  Tode 
bestraft  werden.**  Das  Endergebniss  der  Erörterung  ist 
also,  dass  die  der  Hexerei  Angeklagten  zwar  keine  1  loxen. 
dass  sie  aber  Ketzer,  und  dass  sie  eben  darum  in  üblicher 
Weise    zu  behandeln   und   zu   bestrafen   sind.     In  diesem 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII.     Der  Malleus  maleficarum.     275 

Sinne  richtete  Molitoris  am  Schlüsse  seiner  Abhandlung 
an  das  weibliche  Geschlecht  die  Ermahnung,  des  Tauf- 
gelübdes eingedenk  zu  bleiben  und  sich  dem  Teufel  nicht 
zu  ergeben  *).  — 

Die  gemachten  Erfahrungen,  die  Schrift  Molitoris  und 
allerlei  andere  Kundgebungen  der  öffentlichen  Meinung 
jener  Zeit  mussten  nun  die  beiden  päpstlichen  Inquisitoren 
allmählich  zu  der  Ueberzeugung  bringen,  dass  für  die 
Hexenverfolgung,  wenn  dieselbe  wirklich  in  Gang  kommen 
sollte,  nothwendig  von  der  Bulle  Innocenz  VTH.  aus  eine 
breitere  und  praktischere  Grundlage  geschaffen  werden 
müsse.  Beide  beschlossen  daher  einen  Codex  des  Hexen- 
prozesses herzustellen,  der  —  da  die  bisherigen  Bemühungen 
der  Inquisitoren  nicht  das  rechte  Verständniss  gefunden 
hatten  —  eine  ganz  genaue  und  vollständige  Belehrung 
über  das  fluchwürdige  Wesen  und  Treiben  der 
Hexen  beigegeben  werden  musste.  Den  Haupttheil  der 
Arbeit  übernahm  Sprenger,  der,  alle  Elemente  des  Aber- 
glaubens, die  sich  zerstreut  und  vereinzelt  unter  dem  Volke 
vorfanden,  zusammentragend  ein  System  des  Hexenglau- 
bens schuf,  welches  weit  über  die  in  der  Bulle  vom 
5.    Decbr.  1584    gegebene  Darstellung   des    Hexenwesens 


')  Eine  deutsche  Uebersetzung  des  Buches  erschien  1544  unter  dem  Titel : 
„Hexen-Meysterei.    Dess  hochgeborenen  Fürsten,  Hertzog  Sigmunds  von 
Oesterreich  mit  D.  Virich  Molitoris  vnd  Herr  Cunrad  Schatz,  weiland  Burger- 
meister zu  Costentz,  ein  schön  gesprech  von  den  Unholden,  ob  die- 
selben  bösen  Weiber  hagel ,    reifFen   vnd   ander   ongefell ,   den    menschen    zu 
schaden,  machen  können.     Auch  sunst  ihrem  gantzen  Hexenhandel,  woher  der 
kumpt  vnd  was  davon  zu  halten  sey,  vnd  zum  letzten ,  das  sie  auss  K(aiser- 
lichen)  Rechten    abzuthun    seyen    etc."     Hier  findet  sich  jedoch  die  Schluss- 
ermahnung   des  Verfassers  an  das  weibliche  Geschlecht  gestrichen,    indem  es 
an    deren   Stelle    heisst :    dass    man  solche   bösen    Weiber    nach  Kaiserlichen 
Rechten    tödten  soll.     „Diess  steht   geschrieben    im  Kaiserlichen  Rechtsbuch, 
Codice  de  maleficis  et  Mathematicis."  —  Späterhin  erschien  noch  eine  zweite 
Uebersetzung    des  Buches    von  Pfarrer    Conr,  Lautenbach ,   Strassb.    1575.  — 
Kine  abgekürzte  Aufgabe  des  Werkes   (in  welcher  die  Reden   des  D.  Schatz 
g&nz  hinweggelassen  sind,   so  dass   der  Trilog  in   einen  Dialog  umgewandelt 
erscheint)  wurde  1595  zu  Köln  herausgegeben.  —  Vgl.  auch  über  das  Buch: 
Horst,  Zauberbibliothek,  IIL,  5.   163  ff.,  V.,  S.   151  ff.  und  VI..  S.  141  ff., 
so'^wie  Schreiber,  die  Hexenprozesse  zu  Freiburg,  S.  9  ff. 


2  76  Vierzehntes  Kapitel. 

hinausging,  indem  es  namentlich  den  Gedanken  der  Hexen- 
fahrt zum  Sabbath  des  Teufels  und  der  geschlechtUcheti 
Vermischung  mit  demselben  als  ein  wesentliches  Moment 
des  Hexenwesens  hinstellte.  So  entstand  im  Jahr  1487 
der  berüchtigte  Malleus  maleficarum*),  ein  Werk  so 
barbarisch  an  Sprache  wie  an  Gesinnimg,  spitzfindig  und 
unverständlich  in  der  Argumentation,  originell  nur  in  der 
Feierlichkeit,  mit  welcher  die  abgeschmacktesten  Mährchen 
als  historische  Belege  vorgetragen  werden.  Mit  einer 
seltsam  aussehenden  Bescheidenheit  erklären  die  Verfasser 
in  der  Vorrede,  dass  sie  keine  Poesien  schaiBFen,  keine 
sublimen  Theorien  entwickeln,  sondern  nur  aus  früheren 
Schriftstellern  schöpfen  und  von  dem  Ihrigen  Weniges 
hinzuthun  wollen,  wesshalb  ihr  Buch  dem  Inhalte  nach 
ein  altes  und  nur  in  der  Zusammenstellung  ein  neues  sei. 
Dieses  Buch  —  welchem  der  Wortlaut  der  Bulle  Inno- 
cenz  Vin.  vorgedruckt  ist  —  umfasst  drei  Haupttheile. 
Im  ersten  wird  die  Realität  der  Hexerei  aus  der  heil. 
Schrift,  und  aus  dem  kanonischen  und  bürgerlichen  Rechte 
erwiesen.  An  die  Spitze  der  ganzen  Ausfuhrung  wird  der 
Satz  gestellt:  Das  Läugnen  der  Wirklichkeit  der 
Hexerei  ist  —  Ketzerei^),  womit  der  Satz:  „Es  gibt 
Hexen,  die  mit  teuflischer  Hülfe  den  Menschen  schaden" 
als  Dogma  hingestellt   war.     Dann  folgt  die  Lehre  vom 


^)  Malleus  maleficarum.  in  tres  partes  divisus,  in  quibas  ooncor* 
rentia  ad  maleficia,  maleüciorum  effectus,  remedia  adversus  maleficia  et  modus 
denique  procedendi  ac  puniendi  maleficos  abunde  continetur.  Coloniae.  14^ 
(4®).  Neue  Ausgaben  des  Bucbes :  zu  CAIn  und  Nürnberg  1494,  CAln  14^ 
1511.  1520;  Frankfurt  1580  (1582).  Lyon  1595  (sehr  erweitert)  und  i6aa 
S.  Hauber f  Bibl.,  acta  et  scripta  magica  I.  S.  39,  91,  312.  Horst  ßhrt  in 
seiner  Zauberbibliothek  (Mainz,  1821  ff.)  auch  eine  Ausgabe  von  1600,  und 
Rieser t  (Merkw,  Hexenproz.  S.  XXX.)  erwähnt  ausserdem  Ausgaben  aus  den 
Jahren  1519  und  1669.  —  Eine  Uebersetzung  des  Buches  ist  nie  erschieo«. 
—  Eine  ausfQhrliche  Darlegung  seines  Inhalts  s.  bei  Horst,  Dftmonomagie, 
B.  II.  S.  39 — 117.  Schwager,  Versuch  einer  Geschichte  des  Hexenprotesset, 
B.  I.  S.  56—228.  bei  Roskoff,  Gesch.  des  Teufels.  B,  II.  S.  326—293.  uod 
in  Hitti^s  und  Demm/s  Annalen  fQr  die  Criminalrechtspflege .  B.  XXV.  S.  27B 
bis  398.  , 

*)  «.Haeresis  est  roaxima,  opera  maleficarum  non  credere.** 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII,     Der  Malleus  maleficarum. 


277 


Bunde  der  Hexen  mit  dem  Teufel,  von  den  Incuben  und 
Succuben,  von  der  Macht  der  Dämonen,  von  den  eigent- 
lichen Malefizien,  die  Erörterung,  warum  vorzugsweise  das 
weibliche  Geschlecht  sich  diesem  Verderben  hingebe,  der 
Beweis,  dass  das  Verbrechen  alle  übrigen  an  Strafbarkeit 
übertreflFe,  und  die  Entkräftung  verschiedener  von  Laien 
erhobenen  Einwürfe.  Augustin,  Thomas  von  Aquino  und 
Nider  müssen  die  Hauptargumente  liefern.  Namentlich 
wird  hinsichtlich  der  Incuben  und  Succuben  die  Theorie 
des  Thomas  festgehalten  und  die  Versicherung  gegeben: 
die  Ansicht,  dass  durch  Incuben  Menschen  erzeugt  werden, 
sei  so  sehr  katholisch,  dass  die  Behauptung  des  Gegen- 
theils  nicht  nur  den  heiligen  Kirchenlehrern,  sondern  auch 
der  Tradition  der  heil.  Schrift  widerstreite.  Die  sechste 
Quästion  bürdet  dem  weiblichen  Geschlechte  alles  SchUmme 
auf,  das  nur  denkbar  ist  ^),  insbesondere  unersättliche  Wol- 
lust, die  zum  Umgang  mit  den  Dämonen  reize ;  daher  sage 
man  auch  nicht  haeresis  maleficorum,  sondern  maleficarum 
(a  potiori),  obgleich  das  männliche  Geschlecht  keineswegs 
ausgeschlossen  sei*).  In  der  Lehre  von  der  „enormitas 
maleficorum"  heisst  es,  dass  seit  Lucifers  Fall  keine  so 
arge  Sünde  begangen  worden  sei,  und  dass  daher  die 
Schuldigen,  auch  wenn  sie  bereuen  und  zum  Glauben  zurück- 
kehren, nicht,  wie  andere  Ketzer,  mit  Gefangniss,  son- 
dern am  Leben  bestraft  werden  sollen.  Mit  Vorliebe  kom- 
men die  Verfasser  mehrmals  darauf  zurück,  dass  die  Hexen 
von  der  Ohrenbeichte  nichts  halten.  Unter  den  von  Laien 
erhobenen  Einwänden  sind  einige  sowohl  durch  ihre  eigene 


*)  Von  der  Gelehrsamkeit  des  Werkes  nur  zwei  Proben.  Bei  der  Beant- 
wortung der  Frage,  warum  bei  den  Weibern  die  Zauberei  mehr  Eingang  finde, 
als  bei  den  Männern,  meint  der  Verfasser,  diese  Hinneigung  des  Weibes  sei 
schon  in  seinem  Namen  angedeutet;  denn  das  Wort  femina  sei  gebildet  aus 
fe  und  minus,  quia  femina  semper  minorem  habet  et  servat  fidem.  Von  dem 
Teufel  aber  heisst  es :  Diabolus  dictus  est  a  Süö,  quod  est  duo,  et  bolus,  quod 
est  morsellus,  quia  duo  occidit,  scilicct  animam  et  corpus. 

*)  Später  beruft  sich  auch  Jakob  I.  von  England  wieder  auf  diese  Schwäche 
des  weiblichen  Geschlechts  und  weist  auf  die  Verführung  Eva*s  durch  die 
Schlange  zurück.     Daemonol.  IL  5, 


2^8  Vierrehntes  Kapitel. 

Verständigkeit,  als  durch  die  Albernheit  der  Widerlegung 
bemerklich.  Wie  kommts  —  hatte  man  gefragt  —  dass  die 
Hexen  trotz  ihrer  Macht  meistens  nicht  reich  werden?  Weil 
—  lautet  die  Antwort  —  der  Teufel  zur  Schmach  des 
Schopfers  den  Menschen  um  den  möglichst  niedrigen  Preis 
haben  will;  dann  auch,  damit  die  Hexen  durch  Reichthum 
nicht  auffallen  sollen.  Femer  war  gefragt  worden :  Warum 
schaden  die  Hexen  den  Fürsten  nicht?  warum  nicht  den 
Feinden  derjenigen  Fürsten,  bei  welchen  sie  Schutz  finden? 
Die  Antwort  auf  jenes  ist:  weil  sie  Alles  aufbieten,  um 
mit  den  Fürsten  in  Freundschaft  zu  bleiben;  auf  dieses: 
weil  ein  guter  Engel  die  Zaubereien  gegen  die  Feinde 
hexenfreundlicher  Fürsten  vereitelt. 

Der  zweite  Haupttheil  zerfallt  wiederum  in  zwei  Ab- 
handlungen: die  erste  gibt  das  Nähere  über  die  Art,  wie 
die  Zauberer  aufgenommen  werden,  das  Homagium  leisten, 
durch  die  Luft  fliegen,  mit  den  Dämonen  sich  vermischen, 
Thiergestalt  annehmen,  Hagel  machen,  Krankheiten  be- 
wirken u.  s.  w. ;  in  der  zweiten  entfaltet  sich  der  Schatz 
der  kirchlichen  Heilmittel  gegen  allerlei  Zauberschäden. 
In  diesem  ganzen  Haupttheile  bietet  sich  den  Verfassern 
häufige  Gelegenheit  dar,  ausser  den  scholastischen  Auc- 
toritäten  und  Nider's  und  gleichzeitiger  Inquisitoren  Er- 
zählungen auch  eigene  Amtserfahrungen  mitzutheilen.  Wir 
erfahren,  dass  die  beiden  CoUegen  in  Zeit  von  fünf  Jahren 
in  der  Kostnitzer  und  andern  Diöcesen  nicht  weniger  als 
achtundvierzig  Weiber  dem  Scheiterhaufen  überantwortet 
haben,  welche  sämmtlich  in  vieljähriger  Buhlschaft  mit 
dem  Teufel  gelebt  hatten.  Sie  berichten  uns  fiemer  aus 
den  ihnen  gemachten  Bekenntnissen,  wie  neben  dem  so- 
lennen Teufelsbund,  der  in  voller  Versammlung  vollzogen 
wird,  auch  noch  ein  schlichter  besteht,  der  zu  jeder  Stunde 
eingegangen  werden  kann;  wie  eine  Inquisitin  einst  in 
einer  Nacht  von  Strassburg  bis  Köln  geflogen  ist,  wie  der 
Teufel  solche,  die  unter  der  Tortur  gestanden  hatten,  an- 
stiftete, sich  im  Gefängnisse  zu  hängen,  um  sie  dadurch 
um  die  Busse  und  Aussöhnung  mit  der  Kirche  zu  bringen 
u.  s.  w.     Unter  den  Zaubermitteln   begegnen    wir   nichts 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VUI.     Der  Malleus  maleficarum. 


279 


wesentlich  Neuem ;  interessant  aber  ist  es,  den  Schweizer- 
helden Wilhelm  Teil  unter  den  Freischützen  (sagittarii) 
anzutreffen.  —  Bei  aller  scholastischen  Subtilität  sind  in- 
dessen den  Männern  in  ihrem  Eifer  doch  einige  Inconse- 
quenzen  begegnet.  So  ist  trotz  dem  früher  ausgesprochenen 
Grundsatze,  dass  alle  Hexen  dem  Scheiterhaufen  verfallen 
seien,  dennoch  hin  imd  wieder  von  solchen  die  Rede,  die 
tnan  zu  andern  Bussen  zuliess.  Anderwärts  heisst  es,  dass 
die  Obrigkeit  gegen  Zaubereien  gesichert  sei,  und  S.  340 
lesen  wir  nichtsdestoweniger  von  Hexen,  die  den  Richter 
durch  ihren  blossen  Anblick  bezaubern. 

Der  dritte  Theil  des  Malleus,  welcher  das  gerichtliche 
Verfahren  behandelt,  beginnt  mit  einer  Vorfrage  in  BetreflF 
der  richterlichen  Competenz.  Eben  dieselben  Männer,  die, 
bevor  sie  ihr  bluttriefendes  Buch  schrieben,  bereits  achtund- 
vierzig Hexen  verbrannt  und  noch  ganz  neuerdings  für 
ihre  Blutarbeit  die  ausgedehnteste  päpstliche  Autorisation 
sich  erwirkt  hatten,  erklären  sich  jetzt  geneigt,  von  der 
persönlichen  Mitwirkung  an  der  Verfolgung  der  Zauberer 
zurückzutreten  (se  exonerare)  und  dieselbe  den  Bischöfen 
und  weltlichen  Gerichten  zu  überlassen.  Ja  sie  strengen 
sich  nicht  wenig  an,  ihre  Berechtigung  zu  diesem  Zurück- 
treten der  päpstlichen  Bulle  und  den  widersprechenden 
Ansichten  der  spanischen  Ii;iquisitoren  gegenüber  mit  Gründen 
zu  erweisen,  indem  sie  das  pflichtmässige  Einschreiten  des 
Inquisitors  auf  diejenigen  Fälle  beschränken,  wo  die  Zauberei 
einen  offenbar  ketzerischen  Charakter  an  sich  trage.  Man 
sieht,  dass  die  beiden  Männer  Zeiten  und  Verhältnisse 
schlau  genug  zu  erwägen  wussten,  um  nicht  blindlings 
hineinzutappen.  Durch  ihre  ausgesprochene  Maxime  ent- 
waffneten sie  auf  der  einen  Seite  den  zu  befürchtenden 
Widerspruch  der  bischöflichen  imd  weltlichen  Gerichte; 
-auf  der  andern  aber  sicherten  sie  sich  vollkommen  freie 
Hand,  sowohl  gefahrliche  Prozesse  von  sich  abzulehnen 
—  vielleicht  war  ihnen  Konrad  von  Marburg  im  Traume 
erschienen  —  als  auch  auf  günstigem  Boden  nach  vollem 
Belieben  zu  inquiriren,  da  ja  über  den  häretischen  Charakter 
dler  einzelnen  Fälle  Niemand  anders  entschied,  als  sie  selbst. 


28o  Vierzehntes  Kapitel. 

Für  das  Verfahren   selbst  liegt  im  Wesentlichen  das 
Directorium   des  Eymericus  mit  den  im  Laufe  der  Zeit 
weiter   ausgebildeten  Gewohnheiten,    Grausamkeiten   und 
KniflFen  der  delegirten  Inquisition  zu  Grunde,  naturlich  mit 
denjenigen  Modificationen,   welche  der  besondere  Gegen- 
stand zu  erheischen  schien.  —  Von  der  päpstlichen  Vor- 
schrift ausgehend,  dass  in  Sachen  des  Glaubens  simpüciter 
et    de  piano  zu  verfahren  sei,    verwirft   der  Malleus  vor 
allen  Dingen    das  Anklageverfahren  ^) ;    es    sei   nicht  nur 
mit   allzuvielen  Förmlichkeiten  verbunden,    sondern   auch 
wegen   des   jus   talionis   von    zu    grosser  Gefahr  für  den 
Kläger.     Der  Richter  soll  demjenigen,  der  mit  einer  An- 
klage  auftreten  will,    abrathen  und   die  Weisung   geben, 
statt   dessen  den   Weg   der   Denunciation  zu  betreten. 
Der  Denunciant  verpflichtet  sich  nämlich  nicht  zur  Beweis- 
führung für  das  Ganze,    sondern  beschwort  lediglich  die 
Wahrheit  seiner  Aussagen,  die  nur  auf  einzelne  Indicien, 
bösen  Ruf  u.  dgl.  gerichtet  zu  sein  brauchen.     Zu  solchen 
Denunciationen   soll  der  Richter    durch    öfiFentlichen  An- 
schlag  auffordern.     Es  wird  angenommen,  dass  derjenige, 
der   sie   anbringt,    nicht   in   eigener  Sache,    sondern  aus 
Glaubenseifer,  oder  aus  Furcht  vor  den  dem  Schweigenden 
angedrohten  kirchlichen  und  bürgerlichen  Strafen  handle, 
und   es  trifft  ihn  keinerlei  Nachtheil,   wenn  auch  der  De- 
nuncirte  losgesprochen  wird.     Den  Namen  des  Inquisitions- 
prozesses gebraucht  der  Malleus  für  diejenigen  Fälle,  wo 
der  Richter    auf  den   öfiFentlichen   Ruf  (infamia)    hin  von 
Amtswegen    einschreitet.     Diese  Unterscheidung  des  De- 
nunciations-  \md  Inquisitionsprozesses  ist  übrigejis  eine  sehr 
imfruchtbare,  da  der  erstere  Ausdruck  nicht  in  dem  Sinne 
der  späteren  Kriminalistik  zu  nehmen  ist'),    sondern  hier 


')  Die  Ketzemchter  hatten  längst  drei  Hauptarten  des  Proxeases  unter 
schieden :  accusatio ,  denuntiatio ,  inquisitio.  Bei  Eymericus  findet  sich  dies» 
in  seiner  vollen  Ausbildung,  und  schon  dieser  will,  dass  man  das  Anklage* 
verfahren  möglichst  beseitige, 

')  d.  h.  nicht  als  jenes  aus  Civil-  und  Criroinalprozess  zusammengwelite 
Verfahren,  in  welchem  der  Denunciant  lugleich  ein  Privatinteresse  verfolgt, 
auah  AdhAsionsprozess  genannt. 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIU*    Der  Malleus  maleRcarum.     28 1 

durchaus  nichts  anders  bezeichnen  will,  als  einen  Inquisitions- 
prozess,  der  von  einer  gemachten  Denunciation  seinen 
Ausgang  nimmt.  Das  Inquisitionsverfahren  wird  übrigens 
dem  weltlichen  Richter  in  Zaubersachen  nicht  weniger 
empfohlen,  als  dem  geistlichen,  und  es  ist  daher  Thatsache, 
dass  gerade  die  Hexenprozesse  späterhin  der  allmählichen 
Verdrängung  des  Anklageverfahrens  durch  das  inquisi- 
torische in  Deutschland  einen  besonders  wirksamen  Vor- 
schub geleistet  haben. 

Da  eine  Untersuchung   wegen  Zauberei  es  nicht  nur 
mit  durchaus  unwirklichen  Dingen   zu  thun  hat,    sondern 
auch  auf  einen  Complex  unter  sich   verschiedener  Hand- 
lungen gerichtet  ist,   von    welchen   ein  grosser  Theil  als 
keine    Spuren    des    Verbrechens    zurücklassend    gedacht 
wurde,    so  begreift  es   sich  von  selbst,    dass   es  in  dieser 
Anweisung  mit  der  abgesonderten  Aufnahme  eines  That- 
bestandes    sehr    misslich   stehen   muss.    Im   Ganzen   liess 
man  die  Ermittlung  des  Thatbestandes  selbst  mit  der  Er- 
forschimg  des  Verhältnisses  des  Angeklagten  zu  demselben 
zusammenfallen.     Brach  z.  B.  ein  Hagelwetter  los  imd  es 
ward  zu  gleicher  Zeit  ein  altes  Weib  im  Felde  bemerkt, 
so    war   man  überzeugt,    dieses  Wetter   rühre    von  ihrer 
Zauberei  her,   und   ein  einfaches  ZusammentreflFen  zweier 
ausser  allem   Zusammenhange  stehenden  Umstände  ward 
zugleich   für  das  objektive,    wie    für  das   subjektive  Ver- 
brechen entscheidend.    Ward  Jemand  krank,  nachdem  ihm 
ein  Erzürnter  gedroht  hatte,  es  werde  ihm  nicht  gut  gehen, 
oder  er  solle  sein  Benehmen  einst  bereuen :    so  zweifelte 
man  nicht,  dass  er  behext  sei,  und  hatte  zugleich  auch  ein 
dringendes  Indicium    gegen  den  Thäter*  gefunden.     Doch 
ist  es  wahr,  der  MaUeus  empfiehlt,  der  Sicherheit  halber 
einen  Sachverständigen,  d.  i.  einen  Arzt  oder  eine  Hexe, 
darüber    zu    vernehmen,    ob    die    fragliche  Krankheit  ein 
morbus  maleficialis  (Nachtschaden)  sei,  oder  nicht  —  wenn 
gleich  nur  in  denjenigen  Fällen,  wo  etwa  der  Vertheidiger 
gegen  die  zauberische  Natur  des  Schadens  Einrede  erhe- 
ben sollte.   Im  Ganzen  hält  sich  der  Richter  an  den  überall 
ausreichenden  Satz:    damnum  minatum  et  effectus  subse- 


282  Vierzehntes  Kapitel. 

cutus,  —  ohne   sich   weder  über   den  Sinn  der  Drohung, 
noch   über  die   Beschaffenheit  des    eingetretenen  Uebels, 
noch  über   den  ursächUchen  Zusammenhang  beider  viek 
Sorgen  zu  machen.  —  In  höchst  verworrener  Weise  haiir 
delt    der  Malleus   weiter  von  den  Indicien,    dem   übelen 
Rufe,  den  verschiedenen  Graden  des  Verdachts  und  ihren 
Wirkungen,  den  Zeugen,  der  Einkerkerung  und  dem  Ver- 
höre der  Inculpaten,  der  Folter,  der  Defension,  die  er  so 
gut  als  ganz  abschneidet,  und  den  Endurtheilen,  zu  welchen 
er  eine  Menge  sehr  umständlicher  Formularien  gibt.    Die 
letzteren  schliessen,  wenn  sie  airf  Ablieferung  an  den  welt- 
lichen Arm  lauten,  stets  mit  der  den  Inquisitoren  von  jeher 
geläufigen  heuchlerischen  Phrase ,  wodurch  die  Obrigkeit, 
wenn  es  möglich  sei,  das  Blut  des  Verurtheilten  nicht  zu 
vergiessen   ersucht  wird.  —  Die  Einzelheiten  des  Verfah- 
rens, wie  sie  hier  unter  fast  steter  Berufung  auf  das  ka- 
nonische Recht  empfohlen  werden,  haben  sich  grossentheils 
auf  die  Folgezeit   vererbt   und  selbst   in   der  Praxis  der 
weltlichen  Richter  Eingang  gefunden;  sie  werden  bei  einer 
späteren  Gelegenheit    zu   einem    Gesammtbilde    vereinigt 
werden.     Für  jetzt  bemerken  wir  nur  in  Betreff  der  De- 
fensionsmittel,  dass,  nach  dem  Grundsatze  der  allgemeinen 
Inquisition^),    der   Malleus   die  Namen   der   deponirenden 
Zeugen  weder  dem  Inculpaten  selbst,  noch  dessen  Defensor, 
wenn  dieser  nicht  etwa  ein  anerkannt  glaubenseifriger  und 
verschwiegener  Mann   ist,   genannt  wissen  will.     Es  wird 
somit  selbst  die  einzige  Einrede,  die  man  im  Ketzer-  und 
Hexenprozesse    nach   kanonischem  Recht  dem  Inquisiten 
gegen  die  Zulässigkeit  eines  Belastungszeugen  übrig  liess, 
die   der  Todfeindschaft,   fast  unmöglich  gemacht.     Damit 
aber  doch  für  den  Schein  etwas  geschehe,  so  soll  der  An- 
geklagte  gleich  am  Anfang  gefragt  werden,    ob  er  Tod- 
feinde habe,  und  wer  diese  seien.    Hierbei  wird  aber  nicht 
nur   der   Begriff  der  Todfeindschaft    auf  möglichst  enge 


*)  Dicss  ward  schon  von  dem  Concil  zu  Narbonne  1243  ausgesprochen. 
Lamothe  Langen  T.  II.  p.  63o,  Später  in  püpstüchen  Bullen,  namentlich  von 
Innocenz  IV.  und  Bonifas  Vlll. 


Die  Hexenbulle  von  Inooccnz  VIII.    Der  Malleus  maleficaruni.     283 

Grenzen  zurückgeführt  —  gewöhnliche,  wenn  auch  heftige 
Feindschaft,  macht  den  Zeugen  nicht  unfähig  —  sondern 
der  Richter  erhält  auch  allerlei  pfiffige  Rathschläge,  wie 
er  gerade  aus  den  zu  Protokoll  gegebenen  Feindschaften 
neue  Vermuthungen  für  die  Schuld  des  Inquisiten  heraus- 
zuconstruiren  habe. 

Dem  nüchternen  Sinne  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
erscheinen  die  vom  Malleus  gebotenen  Inquisitionsmittel 
an  sich  schon  vollkommen  ausreichend,  um  einem  halb- 
wegs gewandten  Richter  über  alle  Gefahr  des  Stecken- 
bleibens in  einem  angefangenen  Hexenprozesse  hinauszu- 
helfen; das  fromme  Gemüth  eines  Sprenger  und  Institor 
hingegen  war  allzutief  von  der  Ueberzeugung  durchdrungen, 
dass  menschliche  Weisheit  ohne  den  Segen  des  Himmels 
eitel  Thorheit  sei.  Darum  wird  der  Richter  wiederholt 
und  eindringlichst  aufgefordert,  sich  der  kirchlichen  Schutz- 
mittel bei  seinem  Geschäfte  nicht  zu  entschlagen;  er  soll 
geweihtes  Wachs,  geweihtes  Salz  und  geweihte  Kräuter 
bei  sich  tragen.  Selbst  die  Tortur,  sagt  der  Malleus,  ist 
unwirksam,  wenn  nicht  Gott  die  vom  Teufel  eingegebene 
Verstocktheit  bricht  (nisi  coactio  divina  per  sanctum  An- 
gelum,  ut  maleficium  tacitumitatis  abscedat,  concurrat). 
Darum  soll  man  der  Hexe  unter  Anrufung  der  Dreieinig- 
keit Weihwasser,  mit  etwas  geweihtem  Wachse  vermischt, 
eingiessen,  einen  Zettel  mit  den  sieben  Worten,  die  Christus 
am  Kreuz  gesprochen,  umhängen  und  das  Verhör  vor- 
nehmen, während  eine  Messe  gelesen  wird  und  das  Volk 
die  Engel  um  Hülfe  gegen  die  Dämonen  anruft. 

Mit  dem  Malleus,  der  Bulle  Summis  desiderantes  und 
einem  Patente  des  neuerwählten  römischen  Königs  Maxi- 
milian I.  vom  6.  Nov.  i486  erschienen  nun  Sprenger  und 
Institor  im  Mai  1487  zu  Köln,  erwirkten  von  der  dasigen 
theologischen  Fakultät  die  Approbation  für  ihre  Schrift 
und  Hessen  ein  Notariats-Instrument  über  diese  Verhand- 
lung aufnehmen.  Aber  auch  hierbei  zeigte  es  sich,  dass 
die  Doktrin  des  Hexenwesens  in  der  Gestalt,  in  welcher 
sie  im  Hexenhammer  vorlag,  neu  war  und  den  Gelehrten 
'wrie  dem  Volke  erst  noch  eingeimpft  werden  musste.    Jene 


Z*.  •Ä=3a=5 


acfgesteCi 


GrjTLii^rze  r-r  in  =•:  t^  r^iIZ^  _ä1s  se  den  lieOigen 
C^LZiZirri  zlz'iz  'wzirfr^zT^zli.'rf^.-  «^c  5er  Traktat  soll  nur 
^^-^^^^^rrjrfz.  -zzLit  r  m-r^für :  ~"  ^^c.  ^Te^aoben  in  die  Hände 
^^'^^^zjffZL    -KrfTZrf^     Z-ie^^s    Vr:2i-?f:    =::ss   den   Verfassern 

riebt  eeril^t  h-beti:  ^^cig^eüis  =rerre£rhnete  die  Fatuhat 
&>:b  vier  z^rbtri^'izbe  Anfiel-  welrbe  das  Treiben  der 
ti^'-i^^^reri  Yeir  entscbfederer  biZi^en  und  die  weldiche 
Obrf^^eft  bn  Interesse  des  katb:  cscben  Glaubens  zur  Unter- 
stützung derserr^en  aufforiem.  Dekan  der  Fakultät  war 
dama.^  Lan:bercus  de  M:nte;  unter  den  übrigen  Xamcn 
finden  wir  aucb  einej  von  Bummel  van  Bommel?).  — 
Die  von  ^laximilian  auszestellte  Urkunde  wird  in  dem 
Xotariats-Instrumente  nicht  wiT^rtlich  mitgetheih  und  ist, 
unseres  Wissens,  nie  g^edruckt  worden;  es  wird  blos  ge- 
sagt, dass  sie  die  päpstliche  Bulle  zu  schützen  verspreche 
und  den  beiden  Inquisitoren  Vorschub  zu  leisten  gebiete; 
unter  welchen  Bedingimgen  und  Einschrankung'en ,  ist  je- 
doch nicht  bemerkt. 

So  war  denn  für  Deutschland  der  Hexenprozess  sanc- 
tionirt  und  hatte  zug-leich  durch  den  Malleus,  der  nach- 
gerade ein  fast  kanonisches  Ansehen  erlangte*),  eine  be- 
stimmte Gestalt  gewonnen.  Bald  folgten  für  andere  Länder 
Bullen  ähnlichen  Inhalts  nach,  welche  aber  ebenfalls  be- 
wiesen, dass  die  Hexenverfolgung  mit  dem  im  Hexen- 
hammer symbolisirten  Hexenglauben  dem  Widerstreben 
der  Völker  gegenüber  sich  überall  nur  allmählich  Raum 
schaffen  konnte. 

Alexander  VI.  trug  dem  Dominikaner  Angelus,  als 
Inquisitor   der    lombardischen  Provinz  auf*),    über  die  in 

')  Damhouder,  der  berühmte  Criroinaüst  des  l6.  Jahrhunderts,  sagt  ia 
seiner  Praxis  rerum  criminaliuni  Ober  den  Malleus  und  die  zunichst  aus  dem- 
selben K^Aossenen  Schriften:  Ita  rccepta  est  in  hoc  scribendi  genere  eorncD 
aucloritas,  ut  pro  Uge  apud  omnes  habcatur. 

•)  Ucber  das  Nächstfolgende  vgl,  im  Liber  septimus.  den  Tit,  de  male- 
flcis  et  incantatoribus. 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII.     Der  Malleus  maleßcarum.     285 

derselben  sich  umtreibenden  Frevler,  welche  diversis  in- 
cantationibus  et  diabolicis  superstitionibus  Menschen,  Vieh 
und  Felder  zu  schädigen  suchten,  fleissig  seines  Amtes  zu 
warten,  zu  welchem  Zwecke  er  ihm  —  alle  etwa  entgegen- 
stehenden  früheren  apostolischen  Verfügungen  aufhebend, 
plenam  et  omnimodam  fapultatem  ertheilte.  —  Leo  X. 
klagte  in  einem  an  die  Bischöfe  Venetiens  gerichteten 
Breve  vom  15.  Januar  1521  darüber,  dass  Einige,  welche 
in  der  Umgegend  von  Brixen  und  Bergamo  wegen  Zau- 
berei aufgegriffen  wären,  hartnäckig  lieber  ihr  Leben  preis- 
gegeben, als  ihre  Verirrung  bekannt  hätten,  und  dass  der 
Senat  der  Republik  Venedig  den  Hauptleuten  des  Landes 
verboten  habe,  die  Strafsentenzen  der  Inquisition  zu  voll- 
ziehen, indem  derselbe  in  seiner  Feindseligkeit  gegen  die 
Freiheit  der  Kirche  soweit  gehe,  dass  er  die  Prozessakten 
und  die  Urlheile  der  Inquisition  selbstständig  prüfen  und 
über  dieselben  entscheiden  wollte.  Die  Bischöfe  sollten 
daher  den  Senat  vor  einem  solchen  Unterfangen  verwarnen 
und  denselben  nöthigenfalls  mit  kirchlichen  Censuren  ge- 
fügig machen.  —  Schon  vorher  hatte  Julius  11.  an  den 
Inquisitor  Georg  de  Caseli  zu  Como  ein  Breve  erlassen, 
worin  er  seinen  Schmerz  darüber  ausgesprochen,  dass  seine 
Inquisitoren,  welche  die  Zauberei  verfolgen  und  ausrotten 
sollten,  von  vorwitzigen  Geistlichen  und  Laien  an  der 
Ausrichtung  ihres  Amtes  gehindert  worden,  indem  sie  von 
diesen  für  incompetent  erklärt  und  der  öffentlichen  Miss- 
achtung  preisgegeben  wären.  Daher  habe  er  jetzt  die 
Inquisitoren  mit  apostolischen  Briefen  versehen  und  be- 
glaubigt, durch  welche  er  alle  diejenigen,  welche  den 
Inquisitoren  beistehen  würden ,  dieselben  Ablässe  zu- 
sichere, die  durch  päpstliches  Indult  den  Kreuzfahrern 
zugesichert  wären.  —  Dieses  Breve  wurde  in  einem  Erlass 
Hadrians  VI.  vom  29.  Juli  1523  wiederholt.  —  Der 
Dominikaner  Bartholomäus  Spina  erwähnt  in  seiner 
Schrift  De  strigibus  noch  ein  von  Clemens  VII.  unter 
dem  18.  Januar  1524  an  den  Govematore  von  Bologna 
erlassenes  Breve,  in  welchem  derselbe  aufgefordert 
wird ,  den  Inquisitoren  in  der  Verfolgung  und  Bekämpfung 


2SO 

der  haereas  strrg^aras  f^dcn   zacgüchen  Vorschub   zu  ge- 


Indem   nxis    so  die  infaZibde   J 
thmns  für  den  Hexer^rla^iben  eingetreten  war,  so  kam  jetzt 
das  Unwesei  der  Kexenprozesse  aller  Orten  in  Gang*;  und 
indem    in   denselben   nach  dem  Hexenhammer   verfahren 
und  die  in  diesem  enthaltene  Doctrin  des  Hexenwesens  in 
der  Form  von  Sug^esdvöragren  den  wegen  Verdachts  der 
Hexerei  Eingi^iogrenen  und  den  über  dieselben  vernomme- 
nen Zeugen  vorgetrag>?n  ward»  so  wurde  die  Hexenlehre 
des  Malleus    mehr   und  mehr  unter  die  Leute  gebracht*) 
und  begann  allmählich  die  herrschende  Meinung  zu  werden. 
Die  Seuche  des  aUg'emeinen  Glaubens  an  teuflische  Zau- 
berei und  an  Teufelsbuhlschaft,   und   der  Furcht  vor   den 
Maletizien    der    Hexen,    in    welcher    die    abendländische 
Christenheit  zwei  Jahrhunderte  lang  erzitterte,  ist  grossen- 
theils  durch  den  Hexenhammer  selbst  hervorgerufMi,   der 
die  Millionen  von    Schlachtopfem,   die   er  zerschmetterte, 
sich  selbst  erst  zubereitet  hat.     Seitdem  dieser  Codex  der 
Hexenverfolgung  aufgestelh  war,  wirkten  Kirche  und  Gre» 
richtsstube  zusammen,  tun  die  Theorie  au£rabauen,   wobei 
Philosophie    und  Medizin    treulich  halfen,    und   die  Straf- 
praxis lieferte  wiederum  das  Material,  um  die  Theorie  zu 
bestätigen  *). 

Zunächst  freUich  stiess  der  Malleus  maleficarum  fast 
überaU  auf  den  heftigsten  Widerspruch.  Gerade  aus  den 
Schriften,  welche  zur  Vertheidigung  des  Hexenhammers  eben- 


*)  Dieses  wird  durch  den  Uexenhammer  selbst  bewiesen.  Derselbe  schreibt 
nämlich  in  P.  111.  Qu.  6  vor,  dass  jede  wegen  Hexerei  Angeklagte  im  VerhAr 
vor  Allem  befragt  werden  solle,  ob  sie  glaube,  dass  es  Hexen  gebe  und  be- 
merkt dabei,  dass  diese  Frage  fast  immer  verneint  werde.  Daher  empfiehlt  es 
der  Hexen hammer,  auf  diese  verneinende  Antwort  sofort  die  Frage  folgen  tu 
lassen,  ob  sie  etwa  glaube,  dass  die  als  Hexen  Hingerichteten  unschuldig  gc* 
Wesen  und  wider  das  Recht  verbrannt  worden  seien.  —  So  lAsst  es  der 
I^exenhamroer  selbst  erkennen ,  dass  am  Ende  des  fQnfzehnten  Jahrhunderts 
die  V6lker  von  dem  Hexenwahn  noch  nicht  beherrscht  waren,  und  dass  und 
wie  derselbe  den  VMkem  durch  ihn  erst  recht  eingehämmert  worden  ist. 

•)  Sthindier,  der  Aberglaube  des  Mittelalters,  S.  359. 


Die  Hexenbulle  von  InnoccDz  VIII.     Der  Malleus  maleficarum.     287 

falls  unter  dem  Titel  „Malleus  maleficarum"  zuerst  1 598   zu 
Frankfurt    a.  M.    in   vier  Bänden    erschienen ')    ist    es   in 
sonnenheller  Weise  zu  ersehen,  wie  wenig  das  christliche 
Abendland  trotz  des  allgemein  herrschenden  Aberglaubens 
für    die   in    denselben    vorgeschriebene    Hexenverfolgung 
vorbereitet  war.     Sprenger  belehrt  die  Geistlichen,   wie 
man    den  Zweifeln  der  Laien  an   der  Zauberei  und  deren 
Wirksamkeit    als    einem    argen  Irrthum   entgegenzutreten 
habe.     Denn  gar  viele  Leute  wollten  an  die  Wirklichkeit 
des  Unwesens,  gegen  welches  der  Hexenhammer  gerichtet 
war,  gar  nicht  glauben.    Noch  auffallender  aber  war,  dass 
in  der  Erzdiöcese  Köln,    als   in   derselben  auf  Grund  der 
Bulle    Innocenz  Vill.    die  Hexenverfolgung   begann   und 
überall  Schrecken  und  Entsetzen  hervorrief,  einzelne  Priester 
die    im    Volke    hervorgetretene    Aufregung    dadurch    zu 
dämpfen  suchten,  dass  sie  die  Wirklichkeit  des  Verbrechens 
der  Zauberei  in  Frage   stellten.     Ein  Beschluss  der  Doc- 
toren  der  Universität  Köln  rügte  daher  (i.  J.  1487)  in  den 
schärfsten  Ausdrücken  den  in  dieser  Skepsis  hervortreten- 
den Mangel  kirchlicher  Denkweise.  —  Etwa  dreissig  Jahre 
später,  i.  Jahr  1522,   gab  der  Predigermönch  Bartholo- 
mäus de  Spina  seine  Quaestio  de  strigibus  heraus.    Aus 
derselben  ist  zu  ersehen,    dass  die  Hexenverfolgimg  nach 
dem  Schema   des  Hexenhammers  in   einzelnen  Gegenden 
die    heftigste  Auflehnung  des  Volks  hervorgerufen  hatte. 
Namentlich   war   dieses    in  Oberitalien  der  Fall  gewesen. 
Darum  klagt  Spina :  „Die  Unwissendsten,  die  Gottlosesten 
und  die  Ungläubigsten  wollen  nicht  glauben,  was  sie  glau- 
ben sollten ;  und  was  noch  bedauemswerther  ist,  sie  bieten 
allen  ihren  Einfluss  auf,  um  diejenigen  zu  hemmen,  welche 
die  Feinde  Christi  vernichten."  — 

Aber  was  war  es  doch  eigentlich,  was  die  Völker  des 
christlichen  Abendlandes,  was  insbesondere  die  deutsche 
Nation  so  furchtbar  erregte,  als  die  Bulle  Innocenz'  VIII. 
mit  dem  Hexenhammer  in  sie  hineinfuhr  ?  Zunächst  frei- 
lich war    es    eben   der  Schrecken  des  mit  der  Folter  ge- 


*)  Mall,  malef.  vol.  1.  p.  460—468;  II.  p.   191.  253.  299.  300. 


288  Vicrtefaiites  Ki^itdL 

führten  Hexenprozesses,    der   alle  Welt   erbeben  machte. 
Der  Hexenprozess  brachte  aber  mehr  als  die  Qualen  her- 
vor,  welche   die  zahllosen  Opfer   des  Hexenhammers  auf 
der  Folter  zu  erleiden  hatten ;  der  auf  der  Bulle  des  Papstes 
Innocenz  Vlli.  beruhende  Hexenhammer  hämmerte  auch 
den  Völkern  des  Abendlandes  den  Glauben  an  die  Hexerei, 
den  Glauben   an   den  Dämonismus  des  Heidenthums   ein, 
der  vom  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  bis  über  den 
Anfang"    des  achtzehnten  Jahrhunderts   hinaus  die    abend- 
ländische Christenheit    mit  demselben   Schrecken  erfüllte, 
unter  welchem  einst  die  ganze  heidnische  Welt  erzitterte, 
als    das  Christenthum    in   dieselbe   eintrat.     Damals  über- 
raschte das  Evangelium  die  Welt  mit  der  frohen  Botschaft, 
dass  die  Gewalt  des  Teufels  imd  der  Dämonen  gebrochen, 
dass  der  Christ  durch  Gott  gegen  alle  Anläufe  der  Bösen 
ein  für  allemal  verwahrt  sei,   und    dass   nicht   dieser  den 
Teufel  und  dessen  Dämonen,  sondern  umgekehrt  der  Teufel 
den  Christen  zu  furchten  habe.     Zum  ersten  Male  war  der 
seit  Jahrtausenden  auf  dem  Menschengeschlechte  lastende 
Fluch    des    Dämonismus    gebrochen.     Die    Kirche   hatte 
diesen  Trost  des  Evangeliums  auch  bis  über  den  Anfang 
des  zweiten  Jahrtausends  hinaus  festgehalten,  indem  in  ihr 
unbeanstandet  gelehrt  war,  dass  alles  Hexenwerk  nur  Sa- 
tans Blendwerk,  und  dass  der  Glaube  an  die  Wirklichkeit 
desselben  Sünde  sei. 

Da  nahte  die  Zeit  heran,  wo  nach  Gottes  Rathschluss 
die  Kirche  nach  dem  Evangelium  erneuert  und  der  Grund 
zur  Befreiung  derselben  von  der  Gewalt  des  Papstthums 
gelegt  werden  sollte.  —  Indessen  noch  ehe  diese  neue 
Wende  der  Zeiten  eintrat,  fast  in  der  letzten  Stunde,  erhob 
sich  das  Papstthum  —  als  wollte  es  vor  dem  Beginne  des 
Zusammenbruchs  seiner  Weltherrschaft  noch  den  letzten, 
den  schrecklichsten  Fluch  über  die  abendländische  Christen* 
heit  sprechen,  indem  es  den  bis  dahin  —  im  Ganzen  und 
Grossen  —  kirchlich  verpönten  Glauben  an  die  Hexerei ') 

^)  Der  Canon  Episcopi,  den  Graiian  in  sein  Dekret  aufgenommen  hatte, 
war  damals,  wie  das  Dekret  Oberhaupt,  in  voller  Gesetzeskraft.  Erst  nach 
dem  Tridentlnum  begann  die  rArotsche  Kurie  das  Dekret  als  eine  Materialieo- 


Die  Hexenbulle  von  Innocenz  VIII.     Der  Malleus  maleficarum.     280 

zum  Dogma  erhob  und  dadurch  den  Fluch  des  heidnischen 
Dämonismus  über  die  Völker  des  Abendlandes  brachte. 
Das  Elend,  von  welchem  die  Welt  durch  den 
Sohn  Gottes  erlöst  worden  war,  wurde  durch  das 
Papstthum  von  Neuem  über  die  Welt  gelDracht. 
Die  abendländischen  Christen  erzitterten  seitdem  vor  dem 
geheimen  und  verborgenen  Treiben  des  Teufels,  der  Dä- 
monen, der  Zauberer  und  Hexen  in  derselben  bodenlosen 
Furcht,  die  vom  Anbeginn  der  Weltgeschichte  an  das 
charakteristische  Merkmal  alles  heidnischen  Wesens,  Den- 
kens und  Lebens  gewesen  war. 


Sammlung  zu  betrachten,  deren  einzelne  Kanones  nur  die  auf  ihrer  Herkunft 
beruhende  Auctorität  haben  sollten.  Danach  musste  dann  freilich  die  Auctorität 
des  Kanons,  den  man  mit  Unrecht  von  der  Synode  von  Ancyra  abgeleitet 
hatte,  in  Wegfall  kommen.  Aber  gar  viele  andere  Synoden  und  eine  Reihe 
kirchlich  anerkannter  PönitentialbQcher  hatten  ja,  wie  wir  gesehen  haben,  den 
Inhalt  des  Kanons  Episcopi  vollständig  bestätigt! 


8oId«n-Heppe^  Hexeuprozesse.  I9 


FÜNFZEHNTES    KAPITEL. 


Das  Verbrechen. 

a)    Das   Treiben   der   Hexen. 

Indem  wir  nun  dazu  übergehen,  diejenigen  Hand- 
lungen, welche  den  eigentlichen  Gegenstand  des  Ver- 
brechens der  Hexerei  bilden,  im  Zusammenhange  vorzu- 
führen, dürfen  wir  den  ersten  besten  konkreten  Fall  aus 
den  Untersuchungsakten  irgend  eines  beliebigen  Landes 
herausgreifen;  er  wird  im  Ganzen  ein  treues  Bild  aller 
übrigen  geben.  "Wir  wählen,  der  anschaulichen  Darstellung 
wegen,  die  vonLlorente  mitgetheilten  Bekenntnisse  der 
Hexen,  welche  im  Jahre  1610  zu  Logrofto  in  Spanien 
verurtheilt  und  zum  Theil  hingerichtet  wurden  *).  Einzelne 
Abweichimgen  und  Eigenthümlichkeiten ,  wie  sie  sich  in 
deutschen  und  andern  Prozessakten  finden,  werden  sich 
Llorente's  Berichte  anschliessen. 

Den  Ort  ihrer  Zusammenkunft  nannten  die  neunund- 
zwanzig Verurtheilten,  sämmtlich  aus  dem  Königreich  Xa- 
varra  gebürtig ,  in  gasconischer  Sprache  Aquelarre, 
d.  h.  Bockswiese,  weil  daselbst  der  Teufel  in  Gestalt  eines 
Bockes  zu  erscheinen  pflegte.  Montag,  Mttwoch  und 
Freitag   jeder  Woche    waren   für   die    gewohnlichen  Zu« 


')  Llortnt^s   kritische  Geschichte  der  spanischen   Inquisition.     Deutsch 
von  7,  K,  I/öck,    GmOnd  182I.  Bd.  III.,  Kap.  XXXVII.  Abschn.  2. 


Das  Verbrfchcn.  2QI 

sammenkünfte  bestimmt,  fiir  die  solenneren  dagegen  die 
hohen  Kirchenfeste,  wie  Ostern,  Pfingsten  und  Weihnachten, 
auch  Johannistag  und  andere  Heiligenfeste;  denn  so  wie 
diese  Tage  dem  feierlichsten  Gottesdienste  geweiht  sind, 
so  gefallt  es  dem  Teufel,  gleichzeitig  von  seinen  Anbetern 
eine  besondere  Verehrung  entgegen  zu  nehmen.  Er  er- 
scheint in  der  Gestalt  eines  düsteren,  jähzornigen,  schwarzen 
und  hässlichen  Mannes,  sitzt  auf  einem  hohen,  verzierten 
Stuhle  von  Ebenholz  und  trägt  eine  Krone  von  kleinen 
Hörnern,  zwei  grosse  Homer  auf  dem  Hinterkopfe  und  ein 
drittes  auf  der  Stime ;  mit  dem  letzteren  erleuchtet  er  den 
Versammlungsplatz.  Sein  Licht  ist  heller,  als  das  des 
Mondes,  aber  schwächer,  als  das  der  Sonne.  Aus  den 
grossen  Augen  sprühen  Flammen,  der  Bart  gleicht  dem 
der  Ziege,  die  ganze  Figiir  scheint  halb  Mensch,  halb 
Bock  zu  sein.  Die  mit  langen  Nägeln  bewaffneten  Finger 
spitzen  sich  wie  Vogelkrallen  aus,  die  Füsse  ähneln  den 
Gänsefussen.  Wenn  der  Teufel  spricht,  so  ist  seine  Stimme 
rauh  und  furchtbar,  wie  die  Stimme  des  Esels  ^).  Oft  redet 
er  undeutlich,  leise,  ärgerlich  und  stolz ;  seine  Physiognomie 
verkündigt  üble  Laune  und  Trübsinn. 

Bei  der  Eröffnung  der  Versammlung  wirft  sich  Alles 
nieder,  betet  den  Satan  an,  nennt  ihn  Herrn  und  Gott  und 
wiederholt  die  bereits  bei  der  Aufnahme  ausgesprochene 
Lossagung  vom  Glauben ;  hierauf  küsst  man  ihm  den  linken 
Fuss,  die  linke  Hand,  den  After  und  die  Genitalien.  Um 
neun  Uhr  Abends  beginnt  die  Sitzung  und  endet  gewöhn- 
lich um  Mittemacht;  über  den  Hahnenschrei  hinaus  darf 
sie  nicht  dauern. 

An  den  Hauptfeiertagen  der  katholischen  Kirche  beich- 
ten die  Zauberer  dem  Teufel  ihre  Sünden,  die  darin  be- 
stehen, dass  sie  dem  christlichen  Gottesdienst  beigewohnt 
haben.     Der  Teufel  macht  Vorwürfe,  legt  nach  den  Um- 

*)  PsiUus  redet  von  einer  schwachen,    undeutlichen  Sprache  der  Geister. 

—  Nach  lothringischen  Akten  singen   die  Teufel    mit  einem  heisern  Geschrei, 
„gleich  als  wenn  sie  durch  die  Nase  trommeten**  {Remig*  Daemonolatr.  I.  19), 

—  oder  sie  geben  eine  Stimme  von  sich  „gleich  denen,   so  den  Kopf  in  ein 
f  ass,  oder  zerbrochenen  Hafen  stecken  und  daraus  reden."  (Remig,  Daem.  I.  8.) 


2Q2  Fünfzehntes  Kapitel. 

Ständen  die  Busse  der  Geisselung  auf  und  gibt  die  Abso- 
lution, wenn  Besserung  verheissen  wird  *).     Hierauf  nimmt 
der  Teufel  im  schwarzen  Ornat,  mit  Infel  und  Chorhemd, 
Kelch,  Patene,  Missale  u.  s.  w.    eine  Parodie   der  Messe 
vor  ^).     Er  warnt  die  Anwesenden  vor  der  Rückkehr  zam 
Christenthum,  verheisst  ein  seligeres  Paradies,  als  das  der 
Christen  ist,   und  empfangt    auf  einem   schwarzen  Stuhle, 
den  König  und  die  Konigin  der  Hexen  zu  beiden  Seiten, 
•  die  Opfergaben,    welche   in  Kuchen,  Weizenmehl  u.  dgl. 
bestehen*).     Hierauf  betet   man  wiederum  den  Satan  an, 
küsst  ihm  abermals  den  After,  was  er  dadurch  erwiedert, 
dass  er  Gestank  von  sich  gehen  lässt,  während  ein  Assistent 
ihm  den  Schweif  aufhebt.   Dann  nimmt  und  gibt  der  Teufel 
nach  einer  Einsegnungsceremonie  das  Abendmahl  in  bei- 
derlei Gestalt;  was  er  zum  Essen  darreicht,  gleicht  einer 
Schuhsohle,  ist  schwarz,  herb  und  schwer  zu  kauen,    die 
Flüssigkeit,   in   einer  Kuhklaue  oder  einem  becherartigen 
Gefasse  dargereicht,  ist  schwarz,  bitter  und  ekelerregend*). 
Nach  der  Messe  vermischt  sich  der  Teufel  fleischlich 
mit   allen  Manns-   und  Weibspersonen  und  befiehlt  Nach- 
ahmung ^) ;  am  Ende  vermischen  sich  die  Geschlechter  ohne 


»)  Vgl,  Jiemi^.  L  22. 

')  J*avoue  encore,  comme  le  diable  est  un  vrai  singe  de  T^Hse,  faisant 
au  sabbat  tout  ce  qu*on  fait  en  I'^glise.  Hierauf  folgt  eine  fthnliche  6(* 
Schreibung  der  Messe;  dabei  ein  Gl6ckchen  von  Hom  mit  einem  h^Uernco 
Schlägel,  (Bekenntniss  des  l6ii  zu  Aix  verbrannten  Priesters  Gaufridy.) 

•)  In  französischen  Prozessen  im  fünfzehnten  Jahrhundert  opfert  raJin 
GeflOgel  und  Korn  {jfaquier  Flagell.  p.  51),  in  lothringischen  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  schwarze  Thiere  und  andere  Dinge  {Remig,  Daemonol.  S.  85« 
in  deutschen  von  162 8  auch  Geld  (M  on  e  Anzeiger  I839.  S,  130)  und  so  ^^ft«". 

^)  GeschwJlrzte  RQbenscheibe  als  Hostie  in  Südfrankreich  (Dtlric  Disqu* 
mag.  Lib.  V.  Append,  p.  855.  Ed.  Colon.  1679.),  in  deutschen  Prozessen 
schmeckt  die  Hostie  „wie  faules  Holz**  oder  sonst  fade  (Mone  Anz,  1839* 
S.  132.  Burg-f riedbergische  Originalakten  von  1666.)  Das  Teufel«* 
Abendmahl  wird  auch  tu  weilen  durch  einen  Hexenpfaffen  gereicht.  (Lind* 
heim  er  und  burg-fried  bergische  Originalakten,) 

')  „Mala  denique  malis  addendo  vos  viri  cum  su^cubis,  vos  mulieres  cum 
incubis  fomicati  estis,  todomiam  veram  et  nefandissimum  crimen  misere  cum 
litis  tactu  frigidissimo  exercuistis."  Urtheil  der  Inquisition  xu  Avignon  t3B3* 
l»ei  Delrio  Lib.  V.  sect.  16. 


Das  Verbrechen.  20^ 

Rücksicht  auf  Ehe  und  Verwandtschaft.  Nach  diesen  Be- 
gehungen sendet  der  Teufel  Alle  zurück  und  gebietet 
Jedem,  an  Menschen  und  Früchten  des  Feldes  nach  Mög- 
lichkeit Schaden  zu  stiften,  wozu  man  sich  theils  in  Hunde, 
Katzen  und  andere  Thiere  verwandelt,  theils  Pulver  und 
Flüssigkeiten  anwendet,  bereitet  aus  dem  Wasser  der  Kröte, 
die  jeder  Zauberer  von  dem  Augenblicke  seiner  Aufnahme 
an  bei  sich  trägt,  und  die  eigentlich  der  Teufet  selbst  ist. 
Zuletzt  verbrennt  sich  der  als  Bock  darstellende  Teufel 
zu  Asche  ^). 

Wer  aufgenommen  werden  will,  muss  seinen  Glauben 
abschwören  und  den  des  Teufels  annehmen.  Er  entsagt 
Gott,  Jesu  Christo,  der  heiligen  Jungfrau,  allen  Heiligen 
und   der   christlichen  Religion,    verzichtet    auf  die  ewige 


*)  ^ud,  Reuss  theilt  (La  sorcellerie  au  16  et  17  siede,  S.  23)  zwei  Ab- 
schwörungsformeln  mit,  die  eine  1659  im  Elsa&s  vorkommende :  „Hiermit  fahre 
ich  dem  lebendigen  Teufel  zu,  der  soll  mich  behüten  und  bewahren,  bin  auch 
Gott  nicht  mehr  angehörig."  —  Die  andere  lautet: 

„Da  stehe  ich  auf  dem  Mist, 
„Verleugne  Gott,  alle  Heiligen 
„Und  meinen  Jesum  Christ.'* 
Diese    letztere   war    in    der   einen,  oder  in    der  anderen  Modifikation   die  ge- 
bräuchh'chste  Formel.    Im  protestantischen  Hessen  z.  B,  begegnet  man  in  den 
Prozessakten  Öfters  der  Formel: 

„Ich  stehe  hier  auf  der  Mist 
„Und  verleugne  Jesum  Christ." 
Bei  wÄ^fj/ (Dämonologie  II.,  S.  161)  bekennt  eine  protestantische  Hexe,  welche 
1651  verbrannt  wurde,  „sie  habe  müssen  an  einen  weissen  Stock  fassen, 
der  gewesen,  als  wenn  er  von  einer  Weide  geschnitten  und  abgeschölfert 
wäre,  und  zwei  Finger  der  linken  Hand  auf  ihre  Brust  legen,  sich  an  einen 
Berg  lehnen  und  also  sprechen: 

„Hier  greife  ich  an  diesen  Stock, 
„Und  verleugne  hiermit  unsern  Herrn  Gott 
„Und  seine  zehn  Gebote." 
Katholische  Hexen  gebrauchten  auch  die  Formel: 

„Ich  fasse  an  diesen  weissen  Rock 
„Und  verleugne  Mariä's  Sohn  und  Gott." 
Andere  Hexen  gestehen,  Glockenspäne   vom  Teufel  erhalten   und  mit  den 
Worten*  ins  Meer  geworfen  zu  haben:    „So    wenig  diese  Späne  je   wieder  zur 
Glocke  kommen,  ebensowenig  ich  zu  Gott  und  seinen  Heiligen."     (S.  Schreiber 
im   Taschenbuch  für  Gesch.  und  Alterthum  in  Suddeutschland,   1846,  S.   172.) 


294  Fflofichntes  Kapitel. 

Seligkeit,  erkennt  den  Teufel  als  Gott  und  Herrn,  schwort 
ihm  Gehorsam  und  Treue,  um  alle  Ueppigkeit  dieses  Le- 
bens zu  gemessen  und  dereinst  in  das  Paradies  des  Teufels 
einzugehen.  Hierauf  drückt  der  Teufel  mit  den  Klauen 
der  linken  Hand  dem  Novizen  ein  Zeichen  auf  irgend  einen 
Theil  des  Körpers,  gewohnlich  auf  der  linken  Seite  ^),  der 
dadurch  vollkommen  unempfindlich  wird  (stigma  diaboli- 
cum)*),  zeichnet  mit  einem  Goldstücke  in  den  Stern  des 
linken  Auges  die  Fignr  einer  Kröte  zum  Erkennungszeichen 
für  andere  Zauberer  und  übergibt  dem  Pathen  eine  für 
den  Neuling  bestimmte  Kröte,  die  demselben  hinfort  die 
Kraft  verleiht,  sich  unsichtbar  zu  machen ,  durch  die  Luft 
zu  fliegen  und  allen  möglichen  Schaden  zu  stiften  ^).   Dieses 


*)  Freilich  waren  nicht  alle  Hexen  mit  dem  Stigma  behaftet,  sondern 
nach  herrschender  Meinung  im  Allgemeinen  nur  Diejenigen,  welchen  der  B5se 
nicht  recht  traute  und  \velche  er  daher  als  sein  Eigenthum  xu  bezeichnen  ftr 
rathsam  erachtete.  Er  that  es  gewöhnlich  durch  einen  Griff  mit  der  Hiftd 
oder  einen  Schlag  mit  der  Klaue  an  den  Schultern  oder  auch  den  der  UOffecn, 
Schenkeln  oder  an  anderen  Körpertheilen  —  d,  h.  er  hatte  es  überall  da  gf- 
than,  wo  man  im  Prozess  an  einer  Inquisition  ein  Muttermal,  eine  Warze,  einen 
Leberflecken  oder  dess  etwas  vorfand.  {Trechsel,  das  Hexenwesen  im  Kanton 
Bern:  im  Bemer  Taschenbuch  von  1870,  S,  174.) 

')  Das  Stigma  wird  den  sichern  Opfern  des  Teufels  nicht  aufgedrflckt 
bloss  den  zweifelhaften  (Bodin.  Daemonoroan,  II.  4,).  Analogien  zum  Sti|va 
im  alten  Ketzerwesen  s.  oben. 

Hexenzeichen  in  lothringischen  Prozessen  an  den  verschiedensten  Körper- 
theilen,  selbst  den  geheimsten,  Rtmig,  Daemonolatr.  S.  20  -^  in  schottischen 
auf  der  linken  Seite  eingedrückt  (W.  Scott  Br,  über  Dämonologie,  deutsch 
V.  Bärmann,  Th.  I.  S.  224)  •—  im  Badischen  auf  den  rechten  Arm  gepetzt, 
in  die  linke  Seite  gebissen ,  auf  die  linke  Schulter  geschlagen ,  an  das  rechte 
Auge  gestossen ,  an  den  linken  Fuss  gegeben ,  ins  linke  Auge  gestochen,  auf 
das  rechte  Knie  gebissen  u.  s.  w.  (Mone's  Anz,  1839  S.  124).  In  Frank* 
reich :  J'avoue,  que  la  premiöre  fois  qu*on  va  au  sabbat ,  tous  masques,  sor- 
ciers,  sorci^res  et  magiciens  sont  marqu^s  avec  le  petit  doigt  du  diable,    qui 

a  cette  Charge J'avoue.  que  j*ai  ^t^  marqu^  au  sabbat  de  moo  ood- 

sentement  et  y  ai  fait  roarquer  Magdelaine.  Elle  est  marqu^  h  la  tHe.  au 
coeur,  au  ventre,  aux  cuisses,  aux  jambes,  aux  pieds  et  en  plusieurs  aulres 
parties  de  son  corps.  Bekenntniss  des  Priesters  Gaufridy,  Neuser  BibK  maf(. 
Bd.  I.  S.  463. 

')  Die  Kröte  Bndet  sich  auch  in  englischen,  französischen  und  deuueben 
Prozessen.  In  englischen  ist  es  auch  zuweilen  ein  weisser  Hund,  eine  Katze, 
eine  Eule,  ein  Maulwurf  etc.,    und   die  Hexen  sind  verpflichtet,  diese  bOaen 


Das  Verbrecheo«  2q$ 

Thier  muss  sorgfaltig  gepflegt  und  geliebkoset  werden. 
Der  Noviz  übernimmt  die  Pflicht,  den  Christen  an  Leib 
imd  Gut  zu  schaden.  Hat  er  seine  Probezeit  ausgehalten, 
d.  h.  sich  hinlänglich  oft  am  Christenthum  vergangen,  so 
weiht  ihn  der  Teufel  definitiv  zum  Seinigen,  indem  er  ihm 
mit  den  tmanständigsten  Geberden  den  Segen  ertheilt. 

An  manchen  Tagen  wird  nach  der  Musäc  der  Quer- 
pfeife, der  Leier,  Trompete  oder  Trommel  getanzt.  Um 
sich  zum  FKegen  vorzubereiten,  bestreicht  sich  der  Zlaai- 
berer  mit  dem  aus  der  Kröte  ausgedrückten  Safte.  Grifte 
aus  Pflanzen,  Reptilien  und  Christenleichnamen  werden 
unter  besonderer  Aufsicht  des  Teufels  zubereitet.  Nicht 
alle  Zauberer  haben  bei  der  Bereitung  Zutritt,  aber  allen 
wird  von  der  Salbe  mitgetheilt,  damit  sie  ihre  Malefizien 
mittelst  derselben  bewerkstelligen.  Damit  der  eine  Ehe- 
gatte die  Bockswiese  besuchen  kann,  ohne  dass  der  andere 
es  bemerkt,  wird  der  letztere  entweder  in  tiefen  Schlaf 
gesenkt,  oder  es  wird  ein  Stock,  der  die  G-estalt  des  Ab- 
wesenden annimmt,  zu  ihm  ins  Bett  gelegt.  Oft  macht 
der  Teufel  auch  seine  unkeuschen  Besuche  in  den  Woh- 
nxmgen  der  Hexen.  Ein  kleines,  in  die  Thüre  gebohrtes 
Loch  genügt  den  Hexen  zum  Ausgang.  Sie  lieben  es, 
kleine  Kinder  durch  Blutaussaugen  zu  tödten.  Bei  zu- 
falliger oder  absichtlicher  Nenmmg  des  Namens  Jesus  ver- 
schwindet plötzlich  der  Teufel  und  die  ganze  Versamm- 
lung des  Sabbaths. 

Uebereinstimmend  mit  diesen  Bekenntnissen  der  Hexen 
von  Logrofio  in  allen  Hauptsachen  und  selbst  in  den  meisten 
Einzelheiten  sind  die  Aussagen  in  den  übrigen  Ländern; 
nur  versteht  es  sich,  dass  jedes  Land  seine  eigenen  Orte 
für  die  Zusammenkünfte  und  mancherlei  Modifikationen  im 
^Einzelnen  hat.  Versammeln  sich  die  Hexen  von  üaw^arra 
in  Aquelarre,  so  hat  Deutschland  seinen  Blocksberg  ^),  In- 


Ocister  Öfters  an  sich  saugen  zu  lassen.  (The  wonderful  discovery  of  the 
"iritchcrafts  of  Margaret  and  Phillip  Flower  etc.  London  1619.  Reprinted 
Grvenwich  1838.  —  Webster  Cap.  V.) 

')  £r  wird  zuerst  in  dieser  Beziehung  erwähnt  in  einem  Beichtbuche  des 
15«  }abrhundetts.     Grimm  deutsche  Mythe! .  S,  59 1. 


■2g6  FQnfzehnes  Kapitel. 

selsberg,  Weckingstein  bei  Minden,  Staffelstein  bei  Batn- 
bergf,  Kreidenberg  bei  Würzburg,  Bonnigsberg  bei  Loc- 
cum,  Hupella  auf  den  Vogesen,  Feller  Berg  bei  Trier, 
Kandel  im  Breisgau,  Heuberg  auf  dem  Schwarzwalde') 
und  viele  andere  Berge;  Frankreich  hat  seinen  Puy  de 
Dome,  Italien  den  Barco  di  Ferrara,  Patemo  di  Bologna 
und  namentlich  Benevent  (wo  sich  die  Hexen  unter  einem 
Nussbaum  versammelten  und  die  „beneventische  Hochzeit" 
feierten),  Schweden  den  Ort  BlacuUa.  In  der  deutchen 
Schweiz  wird  die  „Brattelenmatte"  (von  der  man  jedoch 
nicht  weiss,  wo  sie  zu  suchen  ist) ,  als  Stätte  der  Hexen- 
sabbathe  genannt.  Oft  sind  dem  Wohnorte  der  Inquisiten 
ganz  nahe  gelegene  Localitäten  genannt :  die  Hexen  des 
Busecker-Thals  versammeln  sich  in  den  klimbacher  Hecken, 
die  trierischen  zuweilen  auf  der  hetzeroder  Heide,  die 
offenburgischen  auf  der  dasigen  Pfalz,  die  coesfeldischen 
„ufr  Vlaemschen  Wieschen,  ufm  Vosskampfe";  oder  es 
heisst  auf  der  Wiese,  unterm  Nussbaum,  auf  dem  Zimmer- 
platze, auf  dem  Bühel  beim  heil.  Angesicht  u.  s.  w.  Kirch- 
höfe werden  in  Genf,  Frankreich  und  im  Elsass,  die  innem 
Räume  der  Kirchen  in  Berwick  und  England,  Plätze  vor 
Kreuzen  in  Poitou  und  Lothringen,  Kreuzwege  in  West- 
phalen,  Navarra  und  anderwärts,  —  kurz  Oertlichkeiten 
der  verschiedensten  Art,  unter  welchen  Berge  allerdings 
die  Hauptrolle  spielen,  werden  als  Schauplätze  des  obsconen 
Sabbaths  bezeichnet  ^).    Bei  den  Hexensabbathen  präsidirt 


*)  Der  Heuberg,  —  der  aOdwestlichste ,  hftchste  und  rauheste  Theil 
der  Alb  (wo  noch  jetit  bei  Obernheim  das  „Hexenbäurolein*'  zu  sehen  ist)» 
wird  schon  in  einem  1506  geschriebenen  und  1515  gedruckten  Tractat  des 
tObingischen  Theologen  Martin  Plantsch  erwähnt. 

*)  Die  zahlreichen  Versammlungsstätten  der  Hexen  im  Elsass  theilt  Htms 
(La  sorcellerie,  S,  36)  mit.  Der  Leser  wird  uns  von  der  weiteren  AufUhlunK 
von  Namen,  die  leicht  um  das  Sechsfache  vermehrt  werden  kannten,  so  wie 
von  der  Citining  der  Stellen,  wo  dieselben  vorkommen,  dispensiren.  Sie  finden 
sich  zahlreich  in  den  Hexentractaten,  so  wie  in  den  hiufig  abgedeckten  oder 
auch  im  Original  zu  habenden  Akten.  Hier  galt  es  zunächst  darum,  eine  an* 
sehnliche  Zahl  von  Oertern  aufzuführen ,  die  sämmtlich  mehr  oder  weniger 
einer  Ehre  genossen,  welche  irrigerweise  jetzt  so  oft  dem  Brocken  ausschlics»- 


D«3  Verbrechen. 


297 


der  Teufel,  entweder  in  eigener  Person  oder  durch  einen 
ihm  untergebenen  Dämon,  dem  die  Homer  fehlen  und  der 
vom  Platze  weicht,  sobald  der  Teufel  erscheint.  Als  Zeit 
der  Hauptversammlungen  treten  auch  anderwärts  die  gfrossen 
Kirchenfeste  hervor;  neben  diesen  der  Johannistag,  der  in 
Frankreich  und  Baiem  seine  besondere  Bedeutung  hat, 
der  Jakobstag,  die  übrigen  x\postel-  und  die  Marientage 
und  fiir  einen  grossen  Theil  Deutschlands  ganz  vorzüglicTi 
die  Walpurgisnacht^).  Ueber  die  letztere  wird  weiter 
unten  noch  besonders  geredet  werden.  Ausser  den  so- 
lennen Versammlungen  (an  denen  sich  oft  zehn-  bis  zwölf- 
tausend Hexen  und  Zauberer  zusammensehen)  finden  auch 
wöchentliche  mit  geringerer  Förmlichkeit  Statt;  für  die- 
selben haben  sich  die  lothringischen  Hexen  den  Mittwoch 
und  Freitag,  die  französischen  theils  den  Montag  imd  Freitag, 
theils  den  Mittwoch,  Donnerstag  und  Freitag,  die  trieri- 
schen und  lombardischen  aber  den  Donnerstag  ausersehen; 
und  die  launenhaften  oder  religionsschänderischen  Gründe 
dieser  Wahl  sind  von  Gelehrten,  wie  Bodin,  Binsfeld, 
Bernhard  von  Como  u.  A.  theils  aus  Schrift  und  Vernunft, 
theils  aus  dem  Talmud  nachgewiesen. 

In  Deutschland,  in  der  Schweiz  und  anderwärts  kommt 
es  häufig  vor,  dass  der  Teufel  auf  Werbung  ausgeht  — 
wie  es  überhaupt  immer  der  Versucher  ist,  der  den  ersten 
Schritt  zur  Einleitung  des  Bündnisses  thut.  Er  erscheint 
dann  gewöhnlich  als  schmucker  Cavalier  oder  Krieger, 
legt    sich   irgend   einen   mehr  oder  weniger  bedeutsamen 


lieh  beigemessen  wird.  Der  Brocken  hatte  allerdings,  man  möchte  sagen, 
einen  grösseren  Hexensprengel  als  andere  Berge,  weil  er  ein  grösseres  Flach- 
land beherrscht ;  doch  erstreckte  sich  seine  Bedeutung  ebenso  wie  die  der  (im 
Klsass,  in  Schwaben  etc.  unbekannten)  Walpurgisnacht  nur  auf  Norddeutsch- 
land, in  Mitteldeutschland  wird  er  selten ,  im  SQden  meines  Wissens  gar  nicht 
in  den  Akten  genannt.  Seine  angebliche  Beziehung  zu  dem  Aufkommen  des 
Hexenglaubens  Oberhaupt  wird  weiter  unten  besprochen  werden. 

^)  Sie  ist  nirgends  die  ausschliessliche  Hexenepoche;  am  meisten 
scheint  sie  im  nordwestlichen  und  nördlichen  Deutschland  hervorzutreten.  In 
bayerischen,  sdxwäbischen,  französischen  und  anderen  Prozessen  werden  mehr 
der  Johannestag,  Ostern,  Pfingsten,  Weihnachten  und  Fastnacht  genannt. 


298  Fanüehnte«  Ki^itel. 

Kamen  bei  ^),  tritt  vor  ein  einssunes,  einfaltigeSi  trauerndes 
oder  von  Noth  bedrängtes  Weib,  tröstet,  droht  oder  schreckt, 
zeigt  und  schenkt  Geld,  das  jedoch  am  nächsten  Morgen 
in  Koth  oder  dürres  Laub  verwandelt  ist  ^,  verheisst  ver- 
gnügtes Leben  und  grossen  Reichthum,  der  indessen  seltisn 
eintrifil  ^),  bethört  die  Arme,  vermischt  sich  mit  ihr  fleisch- 
lich, wobei  sich  seine  kalte  unangenehme  Natur  zu  erken- 
nen gibt  ^) ,  drückt  dem  Weibe   das  Stigma  auf  und  lässt 


*)  Z.  B,  Alexander,  Müsgen,  Firlenhan,  Laub,  Kreutlin,  Peterling,  Volant, 
Feuerchen,  Leichtfuss,  Moyset.  Hemmerlin,  Hans  Kumpel,  Schuhfleck,  Knipper- 
doUing,  Machleid,  Zumwaldfliehen.  Im  Mflnsterlande  nennt  sich  der  Teufel 
Frerichs,  Rodderbusch,  Jürgen,  Im  Elsass:  Blümlin,  Strohbutz,  KochlOfi^l, 
Rotmenlin,  GrOsslin,  L&ubel,  Ognon,  Ziegelscherb,  KSsperlin,  Schiffnmm. 
Schwarzkünstler,  LOwer,  Haverliedt,  Durst,  G15ckel,  M&noe],  GrQDläubel, 
Hurst,  Hurstel,  Hundsfutt,  in  Remiremont:  Mattre  Leonard.  Am  verbreitetsten 
waren,  namentlich  in  SQddeutschland  die  Bezeichnungen:  Federfaans, 
Federle,  Hans  Federlin,  Flederwisch,  Federspiel  u.  dgl.  (d«nen  offenbar  die 
Beziehung  auf  den  (edergeschmOckten  Hut,  mit  dem  der  Böse  so  oft  erscheint, 
zum  Grunde  liegt).  In  Holland  kommen  die  Namen  Pollepel,  Roltje,  Hendrik. 
Härmen,  Hanske  u.  s.  w.,  in  der  Schweiz  die  Namen  HAnsli,  Hans  Lc&g  oder 
Hans  Lcug,  Jean  Wxla,  HQrsch*MartiD,  Julius,  Robet,  Robin,  Remooius  n.  s.  w. 
vor.  In  Lothringen:  Maltre  Persil,  Joly-bois,  Verdelet,  Sauteboisson.  In 
Schottland:  Pastetenwftchter,  Beissindiekrone,  Thomas  Weinessig  u.  s.  w.  In 
Schweden:  Loeyta, 

')  Rtmigms  (Daemonolatr.  S.  19)  kennt  nur  einen  Fall,  wo  der  Teuiel 
drei  aufrichtige  Pfennige  ohne  Betrug  schenkte.  Bmsfeld  (de  coa- 
fessionibua  maleficorum  p.  32)  weiss  von  einem  doppelten  Dukaten  in  er* 
zählen ;  dergleichen  Anwandlungen  von  Ehrlichkeit  sind  jedoch  sdir  selten. 

')  Nur  wenn  reiche  Leute  in  Untersuchung  waren,  Itess  man  den  Teufel 
sein  Wort  gehalten  haben.  So  ward  bei  einer  Angeklagten  zu  OsnabrOck  der 
Reichthum  als  Indicium  des  Teufelsumgangs  genommen  (Witrus  de  Lamiis  51); 
dem  Kaufmann  Köbbing  zu  Coesfeld  wurde  ein  geldbringender  Succubos  bei* 
gelegt  (UUsert,  Ilexenpr.  zu  Coesfeld  S.  37);  in  burgfriedbergtschen  und  an- 
dern Akten  findet  sich  Aehnliches,  besonders  im  siebenzehnten  Jahrhundctt. 
wo  auf  die  Reichen  häufiger  Jagd  gemacht  wurde. 

^)  Diess  ist  durchgehender  Charakter  in  allen  Ländern,  £s  stimmt  mil 
der  bereits  oben  angeführten  Wahrnehmung  des  Psellus  Qber  die  kalte  Nator 
der  Dämonen  zusammen.  Spezialitäten  s.  Bodim  Daemonoman.  II.  7.  pi.  ast ; 
Rimig,  Daemonolatr.  p.  25  ff«  31  ff.;  Dario  Disquisit.  mag.  Lib.  V.  Appead. 
p.  8&4;  De  Laturt  Chap.  VIII.;  v.  Rüling  Auszöge  einiger  merkwQrdigea 
Hexenprozesse  im  Forsten thum  Calenberg.  •—  Prozess  v.  1638  «-  und  fiut  ia 
allrrn  Akten.     Eine   ganz  vereinzelte  Ausnahme  ist  es,   wenn  bei  GrUitmd,  de 


Das  Verbrechen. 


299 


"bei  seinem  Verschwinden  die  unzweideutigsten  Zeichen 
seines  diabolischen  Wesens  hinter  sich.  Nun  gehen  der 
Verblendeten,  die  auch  ihren  eigenen  Hexennamen  erhalten 
"hat  ^),  die  Augen  auf,  aber  sie  kann  nicht  zurück,  setzt  das 
Verhältniss  fort,  schwort  den  Glauben  ab  und  lässt  sich, 
nachdem  zuvor  das  Chrisam  abgestrichen  ist,  in  des  Teufels 
Namen  taufen,  wobei  Pathen  und  Ceremonien  nothig  sind. 
Seltener  isfs,  dass  der  Teufel  gleich  Anfangs  in  Bocks- 
gestalt oder  mit  Kuhfiissen  und  Hörnern  einem  Mädchen 
mit  seinen  Bewerbungen  entgegentritt  und  durch  Drohungen 
und  Gewaltthätigkeiten  zum  Ziele  gelangt.  Die  Taufe 
wird  mit  Blut,  zuweilen  mit  Schwefel  \md  Salz  vollzogen  ^). 
In  den  Hexenversammlungen  kam  auch  ein  teuflisches 
Weihwasser  vor,  womit  die  Versammelten  besprengt  wur- 
den'). Oft  werden  selbst  unmündige  Kinder  dem  Teufel 
2ur  Aufnahme  von  den  Hexen  zugeführt,  imd  auch  diese 
verschont   er   nicht  mit  seiner  Unzucht.    Oft  finden  sich 


sortilegiis  qu.  7«  29  eine  Hexe  bekennt,  den  Concubitus  geübt  zu  haben 
maadm&  cum  delectatione.  Regelmässig  erklären  die  Hexen  auf  peinliches  Be- 
DtigeR,  dass  ihnen  der  Ck)itus  mit  dem  Teufel  nicht  wohl  gethan  habe,  mit 
Hin  Weisung  auf  die  unangenehme  Beschaffenheit  des  membrum  virile  und  des 
kalten  semen  desselben. 

')  Im  Elsa  SS  nennen  sich  die  Hexen  Saufvessel,  Schwarzdesche,  Zipperle, 
Gnindt,  Krautdorsche,  GänsfQssel,  Kräutel,  BlQmel,  Grünspecht,  Sipp  etc.  In 
einem  westphäli sehen  Prozesse  nennt  sich  ein  Succubus  Christine. 

')  Mit  Blut  z.  B.  in  Schwaben,  wie  dergleichen  Fälle  in  Lauterback* s 
Consiliis  (Consil. ' Juridic.  Tübingens.  Tom.  IV,)  vorkommen,  in  Schottland 
{^Walier  Scott  Br.  über  Pämonol.  II.  139).  Die  Namen,  welche  der  Teufel 
in  dem  letztern  Lande  beilegt,  erinnern  in  ihrer  Bildung  an  die  der  englischen 
Glaubensmänner  zu  CromweU's  Zeit,  z.  B.  Pickel*nach-dem-Wind ,  Wirf-um- 
den-Komboden,  Ueber-den-Deich-mit-ihr  u.  s.  w.  —  Taufe  mit  Schwefel  undr 
Salz  z.  B.  in  Frankreich,  nach  den  Bekenntnissen  des  oben  angeführten 
Oaufridy. 

')  ^8^*  „Wunderbarliche  Geheimnussen  der  Zauberey,  darinn  aus  der  Uhr- 
.^cht  vnd  Bekenntnuss  vieler  vnderscheidlicber  Zauberer  vnd  Zauberinnen  die 
▼omembste  Stück,  so  bey  solchem  Teuffelswesen  umgehen,  beschrieben  werden** 
^1630).  wo  es  S.  91  heisst:  „Sie  brauchen  auch  weyhwasser,  dann  uns  wahr- 
hafllig  gesagt  ist,  dass  der  Teuffei  erst  durch  ein  Loch  pisset,  darnach  alle 
<lie  auf  demSabbath  seindt,  gross  und  klein,  vnd  dass  bisweilen  zween  Teuffein, 
2>tsweiJen  ein  Mann  das  Volk  damit  besprengete.'* 


ßOO  FQnfEehntes  Kapitel. 

beim  Teufelsbunde  eigentliche  Verschreibungen  mit  Blut, 
anderwärts  ist  diese  Formalität  mehr  den  Gliedern  der 
höheren  Klassen  des  satanischen  Reiches,  als  den  gemeinen 
Hexen  vorbehalten^).  Manche  Hexen  dienen  dem  Teufel 
sechs  bis  zehn  Jahre,  ehe  sie  das  Homagium  leisten,  an- 
dere thun  diess  gleich  Anfangs.  Der  Besuch  des  christ- 
lichen Gottesdienstes  ist  nicht  ganz  verboten;  vielmehr  gilt 
es  als  verdienstlich,  der  Messe  beizuwohnen  und  während 
der  Elevation  auszuspeien  und  unanständige  "Worte  zu  mur- 
meln, oder  zum  Abendmahl  zu  gehen  und  die  empfangene 
Hostie  aus  dem  Munde  zu  nehmen,  um  sie  später  dem 
Teufel  zur  Schändung  und  Bereitung  von  Zaubermitteln 
auszuliefern  *).  Die  Hexe  tritt  das  Kreuz,  fastet  am  Sonn- 
tage und  isst  am  Freitage  Fleisch.  Zum  Hexensabbath 
reitet  man  auf  Böcken,  Hunden,  Schweinen,  Stocken,  Ofen- 
gabeln, Besen,  Spiessen  oder  anderen  abenteuerlichen  Ve- 
hikeln ;  der  gewöhnliche  Weg  geht  durch  die  Luft,  seltener 
durchstreift  man  das  Land  zu  Fusse  in  Katzen-  und  Hasen- 
gestalt ^).     Zum    Flug,    wie    zur    Verwandlung    wird    eine 


')  Vcrschreibung  mit  Blut  aus  der  Nase  in  badischen  Akten  {yfone  Ani, 
1839  S.  125);  aus  dem  Finger  —  in  schwedischen  (Bekker  bez.  Welt  IV. 29) 
und  salzburgischen  {Hauber  Bibl.  mag.  III.  306).  In  Frankreich :  Expres» 
autem  conventio  modo  fit  verbis  sine  scripto,  modo  scriptura  confirmatur  (Bodim 
Daemonum.  II.  4).  In  England  ebenfalls  der  Bund  mit  Blut  (The  wonderful 
discovcry  etc.  p.  10).  Jakob  I.  sagt  (Daemonol.  1.  6),  dass  die  gelehrteren 
Magier  oft  eine  Vcrschreibung  mit  ihrem  Blute  geben ,  zuweilen  aber  auch 
nur  eine  leise  Berührung  vom  Teufel  erleiden,  wovon  ihnen  nicht,  w-ie  den 
Hexen,  eine  nota  indelebilis  bleibt.  —  Ein  flandrischer  Protess  von  1^<»3  ent- 
halt die  eigenthOmliche  Angabe,  dass  die  Angeklagte  den  Bund  machte,  naer 
dyen  sy  den  boosen  vyandt  van  haeren  bloede  tc  drincken  hadde  Regrven» 
ende  sy  van  den  synen  hadde  gedronken.  {Cannaert  Bydragen  tot  de  kennis- 
van  het  oude  strafrecht  in  Viaenderen,  p.  243.) 

*)  Urtheil  der  Inquisition  zu  Avignon  v.  1582,  Delrio  V.  16. 

■)  Ausfahrt  der  Hexen  auf  Besenstielen  in  Frankreich,  auf  Backen  in 
Italien,  stets  durch  den  Schornstein,  nach  Garinet  llist,  de  la  magie  en  France 
p.  XLII.  Dagegen  zeigt  das  Bekenntniss  Gaufridy*s.  dass  die  franz^ischen 
Hexen  auch  zuweilen  durch  das  Fen<:ter  fahren.  In  Deutschland  geht  es  durch 
den  Schornstein,  auch  durch  die  ThÖre  oder  das  Kammerfenster  (z.  B.  Rtmif^, 
117  fll).  —  Die  BAcke,  Stocke  u.  s.  w. ,  auch  die  Glieder  des  eigenen  KAr. 
pers  werden  mit  einer  grOnen ,    weissen ,    blauen    oder  schwarzen  Salbe.  Ober 


Da3  Verbrechen. 


301 


Salbe  *)  meist  auch  eine  Formel  („Auf  xmd  davon-,  Hui, 
oben  hinaus  xmd  nirgend  an")  gebraucht.  Erhellt  wird 
die  Mahlzeit  durch  „Leuchter",  d.  h.  durch  Hexen,  welche 
gebückt  stehend  im  Hinteren  brennende  Kerzen  tragen. 
Wer  den  Sabbath  versäumt  oder  sich  daselbst  ordnungs- 
widrig aufführt,  erlegt  eine  Geldstrafe,  oder  wird  am  Leibe 
gezüchtigt*).  Der  Teufel  ist  indessen  bei  diesem  Feste 
nicht  immer  ein  mürrischer  Gebieter.  Oft  sitzt  er  mit 
einem  gewissen  Ausdruck  der  Milde  da,  liebt  einen  Spass, 
lässt  die  Hexen  kopfüber  springen,  oder  zieht  ihnen  die 
Besen  und  Stangen  imter  den  Beinen  weg,  dass  sie  hin- 
fallen, lacht,  dass  ihm  der  Bauch  schüttert,  und  spielt  dann 
anmuthige  Melodien  auf  der  Harfe.  In  dem  berüchtigten 
Hexenprozesse  von  Mora  in  Schweden  (1670),  der  zwei- 
imdsiebenzig  Weibern   und  fünfzehn  Kindern  das   Leben 


deren  Substanz  die  Richter  und  Gelehrten  niemals  etwas  Sicheres  erfahren 
konnten  (R^mig.  Daem.  I,  2.),  bestrichen  und  dann  Formeln  ausgesprochen 
(z.  B.  Wohl  aus  und  an,  stoss  nirgend  an  !),  worauf  die  Hexe  sogleich  empor- 
getragen wird.  S.  Mone  Anz.  1839  S.  126.  Kernig,  117.  —  Ein  äusserst 
sinnreiches  Verfahren  w^endeten  die  schwedischen  Hexen  an,  wenn  sie  zur 
Fahrt  nach  BlacuUa  ihre  Nachbarinnen,  Freundinnen,  Kinder  mitnehmen  woll* 
ten.  Sie  steckten  nämlich  ihrem  Bock  eine  Stange  in  den  Hinteren,  auf  welche 
sich  die  lieben  Freundinnen  setzten,  worauf  es  dann  sofort  durch  die  Luft 
gen  Blacnlla  ging.  —  In  Schottland  besteigt  man  Strohschütten,  Bohnenstangen 
oder  BinsenbOndel  und  erhebt  sich  unter  dem  Rufe:  Ross  und  Heuhaufen,  in 
des  Teufels  Namen  {W,  Scott  Br.  über  Dämonologie  11.  235).  In  Sommer- 
setshire  war  die  Losung:  Tout,  tout,  throughout  and  about  {IV,  Scott  a.a,0. 
11.  105).  In  einen  Hasen  oder  in  eine  Katze  mittelst  der  Zaubersalbe  ver- 
wandelte Hexen  erwähnt  Mone  Anz.  1839.  S.  126.  —  Auf  Ochsen,  Säuen 
und  andern  Thieren  fahrende  Hexen  s.  Remig.  11 7, 

^)  Diese  Salbe  wird  von  den  Hexen  aus  allerlei  Ingredienzien,  z,  B.  aus 
Bilsenkraut,  Solanum  somniferum  und  andern  narkotischen  Mitteln  so  hergestellt, 
dass  dieselben  mit  Gel,  mit  dem  Blute  einer  Fledermaus,  eines  Wiedehopfs ;  am 
liebsten  aber  mit  dem  Fette  ermordeter  ungetaufter  Kinder  eingekratzt  werden. 
Da  diese  jedoch  nicht  immer  zu  haben  sind,  so  thut  es  auch  das  Fett  — 
aber  nur  von  den  Fingern  —  natürlichen  Todes  verstorbener  und  getaufter 
Kinder,  wesshalb  die  Hexen  gern  Kinderleichen  ausgraben.  —  Vgl.  Leubuscher, 
Wehrwölfe.  S.  4I. 

*)  Die  Hexen  von  Labourt  zahlen  ^/4  Krone  Strafe  für  das  Versäumen 
des  Sabbaths  {de  Lancre  Cap.  11.) ;  unehrerbietiges  Benehmen  ahndet  der  Teufel 
in  Schottland  durch  Prügel  oder  durch  Schläge  mit  Wollhecheln  (  W.  Scott  11, 137). 


XQ2  FOnfiehatca  KApitet, 

kost^e,  wird  er  auch  zuweilen  krank  und  lässt  sich  Schröpf- 
köpfe  ansetzen;  einmal  stirbt  er  sogar  auf  kurze  Zeit  und 
wird  in  BlacuUa  laut  betrauert. 

Die  Mahlzeiten  bei  den  grossen  Versamndung'en  — 
lauter  Schaugerichte  —  bestehen  bald  aus  schmaler  imd 
ekelhafter  Kost  ^),  bald  müssen  die  Vorräthe  der  Reichen 
das  Ausgesuchteste  und  Schmackhafteste  liefern '),  nur  fehlt. 
Salz  und  Brot,  oft  auch  der  Wein  —  drei  Dinge,  die  durch 
den  Gebrauch  der  katholischen  Kirche  als  gfeheiligt  galten. 
Als  besonderer  Leckerbissen  der  Hexen  bei  ihren  Sab* 
bathen  galten  kleine  Kinder.  Man  nahm  an,  dass  die 
Kinder,  welche  hierbei  (zum  Scheine)  geschlachtet  und 
verzehrt  wurden,  bald  nachher  sterben  müssten.  —  Uebri- 
gens  trinkt  hier  Jeder  fiir  sich,  Niemand  trinkt  dem  An- 
deren zu.  Nach  dem  Essen  geht  der  Tanz  an,  ein  runder 
Reigen,  das  Gesicht  nach  aussen  gekehrt*);  eine  Hexe  in 
der  Mitte  des  Kreises  steht  auf  dem  Kopfe  und  dient  als 
Lichtstock.  Tanzen  einzelne  Paare ,  so  kehren  die  Tan» 
zenden  einander  den  Rücken  zu.  Sackpfeifen,.  Geigen, 
Trommeln  ertönen  und  der  Chor  singt:  „Harr,  Harr,  Teufel, 
Teufel,  spring  hie,  spring  da,  hüpf  hie,  hüpf  da,  spiel  hie, 
spiel  da*)!"  oder  ein  ähnliches  Lied *).     Auch  Hexenhoch* 


*)  Remig,  I,  Cap.  l6,  —  In  badischen  Akten  (Mone  a.  a.  O.)  Fische 
und  Fleisch  vom  Geschmacke  faulen  Holzes,  ohne  Sali ;  Wein  wie  Mistlachen- 
wasser, oder  saurer  Wein.  —  Das  Brod  fehlt  z.  B.  in  burgfriedb.  Akten  von 
1665.  —  Oft  werden  die  Speisen  von  den  Abdeckeplälzen  geholt, 

')  „Sie  habe  bey  der  Zasammenkunfft  nacher  Giesen  in  die  Keller  fahren 
mOssen  undt  den  besten  Wein  daraus  hohlen  müssen,  der  Teuflfel  habe  sie  und 
andere  zun  löchern  hinausgeführt  und  den  Wein  in  kleine  fUsserchen  geföUt, 
und  wann  sie  wieder  heimb  wollen,  haben  sie  gesagt:  nun  fahr  hin  io  hun- 
dert Tausendt  Tcuffel  Nahmen.  {Buseckische  Akten  von  1656).  Die  wQrz- 
burgischen  Hexen  fahren  dem  Bischof  in  den  Keller  u.  s.  w. 

•)  Z,  B.  in  Lothringen  Remig,  S.  lU,  133.  —  In  Guienne  DelrtQ  Dtsqu. 
mag.  Lib.  V.  Append.  p.  855.  In  badischen  Akten  b.  Mone  S.  127,  —  in 
schottischen  IV,  Scott  U.  171.  —  Englische  Akten  ziehen  zuweilen  auch  die 
Feen  zu  den  Hexengelagen  mit  herbei. 

^)  Boäin,  Daemonoman.  II.  4- 

*)  In  Schottland  wird  zum  Ringeltanze  gesungen: 

Cummer,  gang  ye  before,  cummer,  gang  ye; 

Gif  (if)  ye  will  not  gang  before,  cummer,  let  me. 

iV.  Scott  11.    171. 


Das  Verbrechen.  ^05 

Zeiten  werden  in  zahlreicher  Versammlung*  gehalten  ^). 
Ausser  der  Würde  des  Königs  und  der  Königin  gibt  es 
in  der  Hexenwelt  auch  verschiedene  Militär-,  Civil-  und 
geistliche  Chargen :  man  findet-  Offiziergrade  vom  General 
bis  2nim  Lieutenant  und  Fähnrich  abwärts  und  selbst  Hexen- 
corporale,  ferner  Gerichtsschreiber,  Secretäre,  Rentmeister, 
Köche,  Spielleute  und  HexenpfafFen ^).  Die  Officianten 
werden  mittelst  zusammengeschossener  Beiträge  .salarirt. 
Die  Hauptverpflichtung,  welche  die  Hexe  durch  ihren 
Bund  mit  dem  Teufel  übernahm,  war  die,  dass  sie  bemüht 
sein  musste,  mit  Hülfe  und  nach  dem  Bescheid  des  Teu- 
fels die  Christen  an  Leib  und  Seele,  an  Hab  und  Gut  zu 
schädigen  und  zu  verderben.  Dabei  ist  zu  beachten,  dass 
die  Hexen,  wenn  sie  Schaden  stiften  wollten,  immer  ver- 
einzelt, fast  nie  in  Gemeinschaft  mit  anderen  operiren^). 
Die  Mittel  sind  ganz  dieselben  wie  im  vierzehnten  und 
funfeehnten  Jahrhundert.  Das  eigentliche  Sacrament,  durch 
welches  die  Hexen  ihre  Wirksamkeit  ausüben,  die  Hexen- 
salbe, mit  der  die  Hexen  sich  und  die  Spitzen  ihrer  Ga- 
beln zur  Ausfahrt  bestreichen,  mit  der  sie  Menschen  und 
Vieh  schädigen  und  tödten  etc.    Ausserdem  spielen  Pulver 


*)  Remig^  219  u,  225.  —  Offenburger  Hexen  fahren  nach  Obernehcnheim 
,^0  die  Sonnen*'  und  halten  daselbst  Hochzeit.  Originalakten  des  Reichs* 
Kammergerichts,  Hoffmännin  contra  Stadt  Offenburg. 

■)  General  und  Corporal  in  lindheimer  und  friedberger  Akten; 
Oberst,  Kapitän  und  Lieutenant  in  coesfelder  Akten?  Fahnenjunker  auf  der 
Insel  Schutt,  Theatr.  Europ,  VH.  S.  327.  —  Der  Gerichtschreiber  proto- 
kollirt  den  Eid,  welcher  dem  Satan  beim  Sabbath  geschworen  wird  (Coesf.  A.) ; 
der  Kentmeister  kassirt  die  für  den  König  eingehenden  Opferhaller  ein  (Friedb« 
Akten);  der  Pfaffe  reicht  das  Teufelsabendmahl  (ebendas.).  —  In  Schottland 
finden  sich  die  Hexen  zuweilen  in  Rotten  (covines)  und  Schwadronen  (squads) 
abgetheilt,  deren  jede  zwei  Offiziere  oder  Befehlshaberinnen  hat  ( W,  Scott  H. 
133).  —  lo  Gascogne  trägt  der  Ceremonienmeister  einen  vergoldeten  Stab. 
Dictionnaire  infernal  von  Gollin  de  Plancy,  Art.  Aguerre. 

')  In  den  von  MetckUn  herausgegebenen  „Annales  oder  Jahresgeschichten 
der  BaarfQsseren  oder  Mindern  Brüdern  S.  Francisci  ordinis  —  zu  Thann  — 
durch  P.  F,  Malachiam  Tschambser.  MDCCXXIV  (Colmar  1864)  wird  B.  II. 
S.  73  erzählt,  daas  am  10.  April  1533  das  Städtchen  Schiltach  (im  jetzigen 
Grossherzogthum  Baden)  von  den  dasigen  Hexen  gemeinschaftlich  angesteckt 
worden  ntx.    Ein  zweites  derartiges  Factum  ist  uns  aber  nicht  bekannt. 


^o4  FQnf zehntes  Kapitel. 

Kräuter  und  allerlei  Zauberformeln  eine  Hauptrolle  *).  Oft 
aber  genügt  schon  ein  Gruss,  ein  Hauch,  ein  Blick.  Auch 
die  Thonbilder  triflft  man  wieder  an^. 

Namentlich  war  das  Bestreben  des  Teufels  auch  da- 
hin gerichtet,  durch  die  Hexen  und  Hexenmeister  unter 
den  Menschen  Hass  und  Zwietracht  anzurichten,  insbe- 
sondere Ehegatten  einander  zu  entfremden.  In  einem 
bemer  Prozess  von  1591  gestand  ein  Hexenmeister,  der 
Teufel  habe  ihm  geboten,  die  Leute  gegen  einander  auf- 
zureizen und  Uneinigkeit  zu  stiften  so  viel  er  nur  könne 
und  möge.  Im  Jahr  1609  bekannte  eine  in  Bern  wohn- 
hafte Weibsperson  aus  dem  Kanton  Zürich  neben  vielen 
Krankheiten,  Lähmungen  und  Todesfallen,  die  sie  durch 
Berührung  mit  der  Hand,  ja  durch  blosses  Streifen  der 
Kleider  verursacht  habe,  auch  einige  Versuche,  die  sie 
gemacht,  selbst  Ehen  zu  zerstören,  indem  sie  den  Ehe- 
gatten unüberwindliche  Abneigung  einzuflössen,  welchen 
Zweck  sie  zwar  nicht  immer,  aber  doch  öfters  erreicht 
habe  ^). 

Wer  könnte  ausserdem  die  Zwecke  und  Mittel  der 
Hexerei  alle  im  Einzelnen  verfolgen  ?  Hier  wird  ein  Weib 
durch  einen  dargebotenen  Apfel  zu  sechsmaligem  Abortiren 
gebracht,  dort  ein  Mädchen  durch  einen  Trunk  Bier  be- 
zaubert, dass  es  die  Haare  verliert,  ein  ICind  mit  Sauer- 
kraut oder  einem  leisen  Schlag  auf  die  Schulter  behext, 
ein  Mann  durch  einen  Schluck  Branntwein  des  Verstandes 
imd  des  Lebens  beraubt.  Ueber  die  zahllosen  Störungen 
der  ehelichen  Freuden  durch  Nestelknüpfen  klagen  be- 
sonders die  Franzosen  Bodin  und  de  Lancre  *).     Eine  Hexe 


*)  Ueber  Salben  und  Pulver  s.  insbesondere  Rcmig.  I.  2.  Delrio.  Ausser 
den  oben  bezeichneten  Farben  der  Salben  erscheint  in  breisgauischen  Prozessen 
auch  noch  die  gelbe;  in  bambergischen  6ndet  sich  ein  rosenfarbiges  Pulver 
zum  Windmachen. 

")  Z.  B.  in  Schottland   IV,  Scctt  1.  227  u.  II.  I40. 

»)  Berner  Taschenbuch.  1870.  S.  180. 

^)  Bodin  versichert,  es  gebe  mehr  als  fllnfsig  Arten  des  NestelknOpfens, 
De  Lancre  sagt  :  Le  nouement  de  Taiguillette  devient  si  oommun,  qu*il  n*y  a 
gu^re  d'hommes  qui  s  osent  marier  qu*k  la  d^rob^.  On  se  trouve  \\k  Sans 
stvoir  par  qui,    et   de  tant  de  fa^ns.    que  le   plus  nis^   n  y   comprend  rien« 


Dus  Verbrechen. 


305 


im  Buseckerthaie  melkt  mittelst  einer  Spindel,  die  den 
Akten  als  corpus  delicti  beigelegt  wird,  fremde  Kühe. 
Eine  andere  ebendaselbst  gibt  der  Nachbarin  einen  Wecke 
zu  essen,  worauf  die  Kniee  derselben  so  anschwellen,  dass 
am  folgenden  Sonntage  der  Pfarrer  von  der  Kanzel  herab 
diese  Uebelthat  straft.  Die  Thäterin  lässt  sich  bestimmen, 
den  Zauber  abzuthun,  legt  einen  Aufschlag  von  Bienen- 
honig und  Tabak  auf  die  Geschwulst,  diese  Sffnet  sich 
imd  es  gehen,  den  Akten  zufolge,  anderthalb  Maass  Materie 
mit  Kellereseln,  Engerlingen,  Schmeissfliegen  und  haarigen 
Raupen  heraus,  die  Kranke  aber  ist  genesen  ^).  Ein  junger 
Lord  in  Rutlandshire  wird  getödtet,  indem  man  seinen 
rechten  Handschuh  siedet,  durchsticht  und  in  der  Erde 
begräbt  2).  An  andern  Orten  ist  die  Rede  von  Domen, 
Holzstücken,  Steinen,  Knochen,  Glas,  Nadeln,  Nägeln  und 
Haarknäueln,  die  den  Leuten  in  den  Leib  gezaubert  wer- 
den 3).     Die    Nonnen    eines   Klosters   bekommen    plötzlich 


Tantöt  le  malefice  est  pour  Thomme,  tantAt  pour  la  femme,  ou  pour  tous  les 
dcux,  Ici  c'est  pour  un  jour,  Ik  pour  un  mois,  ailleurs  pour  un  an.  L'un 
aimc  et  est  haT;  les  epoux  se  mordent  et  s'egratignent,  quand  ce  vient  aux 
embrassements.  la  chaleur  s'^teint  dans  les  reins,  le  mari  ne  peut  achever 
raruvre  etc.  —  Wie  sehr  in  einem  von  diesem  Aberglauben  angesteckten  Indi- 
viduum schon  die  blosse  Furcht  vor  solchen  Malefizien  psychisch  niederschla- 
gend wirken  und  mithin  Erscheinungen  herbeiführen  konnte,  die  man  dem 
Maleßcium  selbst  zuschrieb,  ist  an  sich  klar. 

*)  Zur  Heilung  von  Schäden ,  welche  durch  Hexen  bewirkt  waren ,  ge- 
brauchte man  allerlei  Benedictionen ,  Exorcismen  und  sonstige  Mittel.  Ins- 
besondere aber  galt  hier  der  Spruch: 

„Eine  schwarze  Katze,  ein  schwarzer  Hase 
„Ziehen  alle  Hexereien  an." 
Desshalb  wurde  nicht  selten  den  Behexten  eine  schwarze  Henne  auf  den  Kopf 
gebunden,  die  auf  demselben  drei  Tage  und  drei  Nächte  brüten  musste.  An- 
derswo wendete  man  die  Lunge  eines  mit  einem  einzigen  Streiche  getftdteten 
schwarzen  Kalbes  an.  5.  Schreiber  im  Taschenb.  f.  Gesch.  und  Alterthum 
in  SQddeutschland,   1846,  S.   185. 

■)  The  wonderful  discovery  etc.  pag.   16  u.  21. 

•)  Zahlreiche  Bezauberte  in  England,  Holland  und  Deutschland,  welche 
Nägel,  Stecknadeln  und  andere  harte  Körper  vomirten,  haben  oft  Mitleiden 
und  Almosen,  zuweilen  die  Schande  der  Entlarvung  ihres  Betrugs  geerntet. 
Noch  in  dem  berüchtigten  Hexenprozesse  zu  Glarus  (1782)  bildet  diese  Art 
Maleiiciums  den  Mittelpunkt  der  ganzen  Sache, 

Soldan-Heppef  Hezenprozesse.  ^^ 


■5o6  Fünfzehntes  Kapitel. 

Steife  Hälse,  weil  ein  Weib  ein  Geköche  von  Schlangen, 
Kröten  und  sangxiis  menstruus  bereitet  hat.  Solche  Mittel, 
gewöhnlich  Gifte  oder  Giftgüsse  genannt,  werden  häufig 
vor  Thüren  ausgeschüttet  oder  unter  der  Schwelle  ver- 
graben ;  man  verdirbt  mit  denselben  Menschen,  Thiere  und 
Bierbrauerei  ^).  Kochen  die  Hexen  allerlei  Obstblüthe  in 
einem  Hafen,  so  missräth  das  Obst;  werfen  sie  gewisse 
Gegenstände  in  einen  kochenden  Topf  zusammen,  so  ent- 
stehen Raupen  und  kleine  Würmer,  die  das  Eckerich  (die 
Frucht  der  Buchen)  zerstören  ^) ;  Mäuse  werden  durch  ahn* 
liehe  Künste  in  die  Felder  gezaubert.  Werwölfe  haben 
ihren  Zustand  bald  durch  den  Gebrauch  einer  Salbe,  bald 
durch  das  Anlegen  eines  Gürtels,  bald  in  anderer  Weise 
herbeigeführt  ^). 

In  Italien  verwandelten  sich  die  Hexen  in  Katzen. 
wogegen  die  Werwölfe  (loups-garous)  namentlich  in 
Frankreich   vorkamen*).     Hier   wurde    es   noch    am  Ende 


^)  Mehrere  Beispiele  der  Art  aus  Brandenburg  gibt  v.  Retuuur  in  den 
Märkischen  Forschungen  Bd.  1.  Berl.  184I.     S.  238  flf. 

^)  So  z.  B,  in  Rcic  hs-Kammergerichts-Aktcn  von  1609,  Hoff- 
nWinnin  contra  Stadt  Offenburg. 

')  Durch  eine  Salbe  z.  B.  der  »u  Poligny  verurtheilte  Pierre  BourgoL  — 
Ein  Anklage-Libell  aus  dem  Busecker-Thal  sagt:  „15.  Waar.  dass  tie  ge$agt, 
(l.iss  sie  sich  zum  Beerwolff  machen  kOnne.  16,  Undt  dass  ihr  P.  Beklagtin 
der  Teufel  einen  Gürtel  gegeben;  wann  sie  denselben  umbgethan,  habe  sie  sich 
xum  Beerwolff  gemacht,  und  wann  sie  den  abgethan.  seyc  sie  wider  zum 
Menschen  worden,  ist  waar."  —  Gilles  Garnier,  verbrannt  zu  Dole  1573 : 
bekannte :  que  le  Diable  lui  avait  donne  le  choix  de  devenir  quand  il  voudrait. 
ovi  loup,  ou  Hon,  ou  Uopard;  mais  il  avait  prefere  le  loup,  II  ajoutait  que 
si  le  poil  de  ces  animaux  lui  eüt  repugn^,  il  pouvait  encore  subir  d'autre^ 
nictamorphoses  et  courir  en  nuage,  en  vent,  cn  feu,  et  parier  sous  la  fonne 
adoptee. 

*)  Der  franz(^sische  Richter  Roguet,  der  es  viel  mit  Zauberern  und  Hexen 
zu  thun  hatte,  erzAhlt  in  einer  viel  gelesenen  Schrift  „Discours  execrables  des 
Sorcicrs  ensemble,  leurs  procis  faits  depuis  deux  ans  en  divers  endroits  de  U 
France  avec  six  avis  en  fait  de  sorccllcrie  (Lyon  1602,  1603.  iftOö,  1607, 
i^)C>8.  1610),  dass  unter  den  von  ihm  justißzirten  Hexen  sehr  viele  Lykan- 
thropen  gewesen  seien.  —  Ausserdem  vgl,  den  (in  Cimber  et  Danjou.  Archtves 
curieuses  de  l'histoire  de  France.  Ser.  1.  Tom  8.  S.  7  ff.)  mitgetheilten  Arrest 
memorahle  de  la  Cour  de  parlement  de  Dole  du  l8.  iour  de  Januier  1573 
contre  Gilles  Garnier.    lA'onnois ,    pour  luoir  en  forme  de  loup-garou  devorr 


Das  Verbrechen.  ^qj 

des  sechzehnten  Jahrhunderts  aktenmässig  festgestellt,  dass 
ein  Jäger,  der  die  einem  Wolfe  abgeschossene  Pfote  als 
Jagdbeute  in  die  Tasche  steckte,  nach  Hause  zurückgekehrt, 
zu  seinem  grössten  Entsetzen  sah,  dass  es  eine  Hand  seiner 
Frau  war.  Uebrigens  ist  sonst  das  gewöhnlichste  Hexen- 
thier  (in  allerlei  Beziehung  und  zu  allerlei  Beschädigung 
des  Menschen)  die  Katze ').  Häufig  dient  auch  eine  Art 
Ungeziefer,  das  die  Hexen  als  unmittelbare  Frucht  ihres 
Teufelsumgangs  gebären,  die  sogenannten  Eiben,  bösen 
Dinger,  guten  Holdchen  oder  guten  Kinder,  zur  Peinigung 
der  Bezauberten*).     Teufelsgeburten    in    Menschengestalt, 


plusieurs  enfans  et  commis  autres  crinies :  enrichy  d'aucuns  poincts  recueillis 
de  divers  autheurs  pour  esclaircir  la  mati^re  de  teile  transforraation.  —  Im- 
prime  h  Sens,   1574. 

*)  Siöbtr,  Üeber  die  sogen.  Gespenst erthiere  im  Elsass ,  im  „Neujahrs- 
stfillen"  auf  1850,  S.  48. 

^  Quod  non  parum  confirmant  confessiones  bene  multae  Sagarum  ac 
Lamiarum,  perhibentium,  partus  a  se  ex  concubitu  diabolico  procrealos  fuisse 
instar  vermiura  (solent  ut  plurimum  vocari  Eiben,  böse  Dinger),  quibus  post- 
niodum  hominibus  nocuerunt,  immissis  eis  per  fascinationem  in  crura,  brachia, 
aliave  hominum  membra.  Carpzov,  Nova  practica  rer.  criminal  Part.  1.  Qu,  XLIX. 
.^9.  —  In  den  von  Carpzov  zusammengestellten  Urtheilen  des  leipziger  Schöp- 
penstuhls  kommen  diese  Eiben  häufig  vor.  Z.  B.  Nr.  XXI.  ,,Hat  die  Ge- 
fangene G.  J.  bekannt  und  gestanden  etc.  Wenn  sie  mit  ihren  Bulen  [dem 
Buhlteufel  Lucas]  zu  schaffen  gehabt,  hätte  sie  weisse  Eiben,  und  derselben 
allezeit  zehn  bekommen,  so  gelebet,  spitzige  Schnäbel  und  schwarze  Köpffe 
nchabt ,  und  wie  die  jungen  Rauben  hin  und  wieder  gekrochen ,  welche  sie 
zur  Zauberey  gebraucht,  ihr  Bule  ihr  auch  etliche  gebracht,  ehe  sie  mit  ihm 
^trbulet.  Sie  habe  auch  der  Matthes  GQntherin  Kind  ein  bös  Gesicht  gemacht, 
indem  sie  es  angesehen ,  und  angehauchet ,  dazu  sie  diese  Worte  gebraucht : 
Ich  wollte,  dass  du  blind  wärst;  welches  ihr  Bule  Lucas  ihr  also  geheissen, 
und  sie  es  in  ihres  Bulen  Lucas  und  des  Teuffels  Namen  thun  müssen.  Ferner 
habe  sie  auch  die  weisse  Eiben  mit  schwartzen  Köpffen  in  den  Brandtewein 
^ethan,  und  darinnen  zergehen  lassen,  dieselben  auch  klein  zerrieben  in  Kuchen 
«rehacken,  und  solches  auf  ihres  Bulen  Lucassen  Befehl,  welcher  gesagt,  wenn 
>itr  zu  jemands  Feindschafft  hätte,  solte  sie  demselben  die  Kuchen  oder  Brandte- 
»vein  beybringen,  darauf  er  an  Gliedern  und  Leibe  übel  würde  geplaget  und 
.remartert  werden.  Hierüber  hat  Inquisitin  bekannt,  dass  sie  auf  des  Pfarr- 
hcrms  zu  Rotenschirmbach  Acker  mit  ihrem  Messer  einen  Ring  gemacht,  und 
Ar^i  Eiben  dahinein  verstecket  und  vergraben,  zu  dem  Ende,  dass,  wer  darüber 
'::ienge,  lahm  werden  und  Reissen  in  den  Gliedern  überkommen  solte,  welches 
d#»nn    vorfjedachtem  Pfarrherrn  zu  Rotenschirmbach  gegolten .    weil  er  ^io  auf 


3o8  Fünfzehntes  Kapitel. 

WechselBälge  und  Kielkropfe,  gehören  mehr  unter  die 
streitigen  Probleme  der  Theorie,  als  unter  diejenigen  Ge- 
genstände, welche  im  wirklichen  Leben  der  Entscheidung 
des  Richters  zu  unterliegen  pflegten  *).  Auch  von  den 
Eier  legenden  Hexen,  welche  hin  und  wieder  erwähnt 
werden,  und  welche  sogar  ihre  Erzeugnisse  zu  Markte  ge- 
bracht haben  sollen,  sehen  wir  hier  ab*).  Das  Merkwür- 
digste aber,  was  durch  solche  Teufelsbuhlschaften  jemals 
zum  Wehe  der  Memschheit  gewirkt  wurde,  hat  die  Polemik 
des  sechszehnten  Jahrhunderts  in  den  raschen  Fortschritten 
der  Reformation  zu  entdecken  gewusst.  Martin  Luther, 
behauptete  man,  habe  nur  darum  so  leicht  ganze  Völker 
um  ihr  Seelenheil  zu  betrügen  vermocht,  weil  ^r  der  Sohn 
des  Teufels  gewesen,  der  sich  einst  unter  der  Maske  eines 
reisenden  Juweliers  in  das  Haus  eines  wittenberger  Bürgers 
Eingang  verschaffte  und  dessen  Tochter  verführte.  So 
versicherte  im  Jahr  1 565  ein  Bischof  von  der  Kanzel  seiner 
Domkirche  herab,  und  Fontaine  wiederholte  es  in  seiner 
Kirchengeschichte,  wobei  es  denn  freilich  dem  frommen 
Bischof  nicht  gefallen  hat,  die  gemeine  Meinung,  welche 
Luther's  Erzeugung  nicht  nach  Wittenberg,  sondern  nach 
Thüringen  verlegt,  einer  weiteren  Beachtung  zu  würdigen. 
Auch  der  Jesuit  Delrio  erwähnt  diese  Ueberliefenmg,  ohne 
indessen  für  ihre  Glaubwürdigkeit  einstehen  zu  wollen. 

Unter  einen  weit  entschiedeneren  Schutz    glänzender 
Auctoritäten  stellt  sich  dagegen   der  Glaube   an  das  Ver- 


der  Cantzel  ^>iTentIich  fQr  eine  Zauberin  ausgescbryen,  sie  häUe  die  Elbeti  m 
aller  Teuffei  Nahmen  eingegraben  und  darzu  gesagt:  Wer  darüber  gienf^c.  (Irr 
solte  lahm  und  krumm  werden;  und  es  hat  sich  in  eingeholter  ErkundiKuni; 
aho  befunden,  dass  Matthes  Günthers  Kinde  und  andern  Personen  durch  Zju- 
herey  an  ihrer  Gesundheit  Schade  zugefüget  worden  u.  s.  w/*  Ein  1687  »Jch 
einem  Spruch  der  Juristenfacultftt  zu  Frankfurt  a.  d.  O.  hingerichtetes  M*«i* 
chen  sollte  vom  Teufel  Eidechsen  geboren,  dieselben  verbrannt  und  mit 
der  Asche  Menschen  und  Thiere  bezaubert  haben.  Märkische  Forschung«  '. 
1.  S.  260. 

')  Ein  Beispiel  der  Bestrafung  eines  solchen  Falles  in  Brabant  cr«.«b  » 
Delrio  Disqu.  mag.  Lib.  11.  (Juaest.  XV.  p.  177.  Ueber  WechselbÄke  s.  ins- 
besondere ^faU,  mahfic,  P»  IL  y.   11.  cap.  7.     Ddrio     a.  a.  U    S.   17'*. 

•^  Sthindltr,  der  Aberglaube  des  Mittelalters.  S.  28^. 


I 

1 


j 


Das  Verbrechen. 


309 


mögea  der  Zauberer,  ihre  Feinde  durch  das  Zusenden 
böser  Geister  wahrhaft  besessen  zu  machen.  König  Jakob  I. 
von  England  verficht  denselben  in  seiner  Dämonologie ; 
eine  Commission  des  Kardinals  Richelieu  hat  sich  in  den 
merkwürdigen  Exorcismen  von  Loudun,  eine  Commission 
von  Jesuiten  in  dem  nicht  minder  interessanten  würzburgi- 
sehen  Hexenprozesse  vom  Jahr  1749  von  der  Wahrheit 
desselben  überzeugt.  Von  beiden  Ereignissen  wird  weiter 
unten  die  Rede  sein. 

Der  Stab  hat  seit  Circe  und  Pharao's  Zauberern  lange 
Zeit  eine  Rolle  in  der  Magie  gespielt.  Im  ^littelalter  tritt 
er  mehr  zurück  und  ist  in  der  eigentlichen  Hexerei  nie- 
mals wieder  zu  allgemeinerem  Ansehen  gelangt.  Hier  und 
da  findet  er  sich  noch  als  Attribut  des  gelehrteren  Magus, 
der  mit  einem  zu  bestimmter  Zeit  und  in  bestimmter  Form 
abgeschnittenen  Haselschössling  einen  Kreis  zieht  und 
Geisterbeschwörungen  anstellt.  Auch  griff  gegen  das  Ende 
des  siebenzehnten  Jahrhunderts  besonders  in  Frankreich 
der  Wahn  um  sich,  dass  man  durch  einen  gabelförmigen 
Apfel-,  Buchen-,  Erlen-  oder  Haselzweig  die  Spur  eines 
verlorenen  Eigenthums  oder  eines  Missethäters  finden  könne. 
Dieses  Werkzeug  hiess  Wünschelruthe  (baguette  divina- 
toire).  Doch  machte  man  die  Kunst  mit  demselben  um- 
zugehen von  der  Zeit  und  den  Umständen  der  Geburt 
eines  Individuums  abhängig,  und  man  hat  lange  darüber 
gestritten,  ob  diese  Kunst,  deren  Realität  nicht  bezweifelt 
wurde,  aus  der  Macht  des  Teufels,  oder  aus  geheimen 
Naturkräften  zu  erklären  sei  ^).  Insofern  durch  die  Wün- 
schelruthe das  Vorhandensein  von  Metalladem  und  unter- 
irdischen Wassern  ermittelt  werden  könne,  ist  sie  in  un- 
serem Jahrhifndert  sogar  in  den  Kreis  der  Naturforschung 
hereingezogen  worden.  —  Das  mantische  Element  tritt 
überhaupt  in  dem  modernen  Hexenthum  wesentlich  zurück, 
zumal  so  weit  von  einem  kunstmässigen  Verfahren  die 
Rede  ist.     Wo  die  Hexe  etwas  Verborgenes  weiss,  da  hat 


*j  Weitschichtige  Abhandlungen  darüber  s.  bei  Le  Brun  Histoire  critique 
d  :s  pratiques  super.slilieuses. 


7IO  Fünfzehntes  Kapitel. 

es  ihr  in  der  Reg'el  der  Teufel  unmittelbar  gesagt,  der  ihr 
nöthigenfalls  selbst  im  Beisein  Anderer  als  Mücke,  Sperling 
oder  in  einer  andern  Maskirung  erscheint. 

b)  Begriff  und  Wesen  der  Hexerei. 

Die  vorstehenden  Einzelnheiten  mögen  genügen ,  um 
die  Xatur  derjenigen  Dinge  zu  bezeichnen,  welche  da> 
christliche  Europa  während  der  letzten  Jahrhunderte  unter 
dem  Begriffe  der  Zauberei  zusammenfasste.  Der  Malleu> 
maleficarum  suchte  dieses  alles  theoretisch  zu  begründen; 
seine  Dialektik  ist  jedoch  sehr  verworren.  In  mehr  wissen- 
schaftlicher Form  thaten  diess  auch  seine  zahlreichen  Nach- 
folger in  allen  Nationen,  am  gelehrtesten  der  Jesuit  Mar- 
tin Delrio,  dessen  Disquisitiones magicae  159Q  zum  ersten 
Male  gedruckt  wurden  ^).  Delrio  definirt  die  Magie  im 
Allgemeinen  als  eine  ars  seu  facultas,  \i  creata  et  non 
supematurali  quaedam  mira  et  insolita  efliciens,  quorum 
ratio  sensum  et  communem  hominum  captum  superat.  Ab 
efficiente  causa  ist  sie  entweder  naturalis,  oder  artificiosa, 
oder  diabolica;  a  iinali  causa  entweder  bona,  oder  mala, 
(rut  kann  nur  die  Ars  naturalis  imd  die  artificiosa  sein. 
Die  natürliche  Magie  ist  ihm  nichts  anders,  als  eine  tiefere 
Kenntniss  der  geheimen  Naturkräfte,  der  Sympathien  und 
Antipathien,  des  Stemenlaufs  und  seiner  Bedeutung;  sie 
ward  schon  Adam  gegeben,  und  Salomo  war  ihrer  in  hohem 
(irade  kundig.  Sie  zerfallt  wiederum  in  die  ars  operatrix 
und  divinatrix.  Beispielsweise  erinnert  Delrio  hierbei  an 
des  Tobias  Fischleber  und  an  das  Entzünden  des  Kalkei 
im  Wasser.  Die  magia  artificiosa  ist  entweder  mathema- 
tica  (Brennspiegel  des  Archimedes,  Automaten,  Aequili- 
bristen),  oder  praestigiatoria  (Blendwerke  der  Taschen- 
spieler etc.).  In  das  Gewand  der  ars  naturalis  imd  artifi- 
ciosa  hüllt    sich   oft  die    magia  diabolica;    diese   ist  eine 


')  Disquisitionuni  magicarum  libri  !>«*x  .  quibus  continetur  accurala  curi*»- 
.saium  artium  et  vanarum  superstitionum  confutatio,  utihs  Theologis.  Jur.^* 
con«,uUis,  Medicis.  PhiloloRis,  AuciOiy;  ^farfino  Dfl-Hio,  Sockl  Jesu  ptrsb)Lrtf. 
—  VA,  ("oUmi.  Apripp    I07u  pa>i.  3  v^q 


Das  Verbrechen.  ^11 

facultas  seu  ars,  qua,  vi  pacti  cum  daemonibus  initi,  mira 
quaedam  et  communem   hominum  captum  superantia  effi- 
ciuntur ;  sie  theilt  sich  wieder  in  magia  specialis,  divinatio, 
maleficium  und  vana    observ^antia.     Das  Pactum  mit  dem 
Teufel  war  entweder  ein  wirklich  vollzogenes,  ein  pactum 
expressum,  wenn  beide  Theile  den  Vertrag  ratifizirt  hatten, 
oder  (was  auch  als  todeswürdiges  Verbrechen  angesehen 
ward)  ein  pactum  tacidum,  impUcitum  —  ein  sehr  einseitiges 
Contractverhältniss,   bei  dem  wohl  der  Teufel,  aber  nicht 
der  Mensch   seinen  Beitritt  erklärt  hatte.     Jedes  Anrufen 
des  Teufels,  jedes  im  Namen  des  Teufels  ausgeführte  Ma- 
leficium, jeder  Akt,  in  welchem  man  Zauberei  durch  Zau- 
berei zu  vertreiben  suchte,  galt  nämlich  als  eine  Handlung, 
welche   den  Teufel  (und   folglich  auch  den  Hexenrichter) 
berechtige,  hierin  den  Eintritt  in  ein  diabolisches  Bundes- 
verhältniss    zu  erkennen  und  geltend  zu  machen.     Dieses 
Pact  ist  die  Basis  und  Bedingung,  auf  der  die  ganze  Hexerei 
beruht.     Ohne  dasselbe  kann  keine  dämonische  Magie  ge- 
dacht werden;,  der  Teufel  lässt  sich  vom  Menschen  nicht 
zwingen,  er  dient  ihm  freiwillig,   aber  nicht  unentgeltlich. 
Die  Zaubermittel  haben  nicht  ihre  Kraft  in  sich  selbst  — 
sofern  diese   nicht   etwa  eine  pharmakodynamische  ist  — 
sondern  sie  sind  blosse  Formen,  unter  welchen  der  Teufel 
vertragsmässig  den  Zauberern  seine  Kraft  zur  Vollbringung 
der  Malefizien  verleiht.  —   Welcher   Gattung    der    Magie 
die    alchymistischen   Operationen    angehören,    kann    nach 
Delrio  nur  aus  der  Beschaffenheit  der  konkreten  Fälle  be- 
urtheilt    werden.     Die  Alchymie    kann   sich   nämlich  bald 
als  magia  diabolica,    bald   als  praestigiatrix ,  bald  als  na- 
t\iralis  darstellen;    denn  unmöglich   ist  es  ja  nicht,    meint 
der  Verfasser,    dass  Jemand   durch    eigenes   Studium   die 
Kunst  des  Goldmachens  ergründen  könne.   In  diesen  vagen 
Bestimmungen  wusste  Delrio  dem  Zeitgeist  des  sechszehn- 
ten Jahrhunderts,  das  die  Alchymie  zu  Ehren  brachte,  wie 
kein  anderes,  zu  huldigen,  ohne  dem  finsteren  Wahne,  der 
früher   einen  Roger  Baco  und  andere   Naturforscher  ver- 
folgt hatte,  etwas  zu  vergeben.    Diese  Ansichten  erklären 
auch  die  Erscheinung,    warum,   während   die  ungelehrten 


^12  Fünfzehntes  Kapitel. 

Zauberer  zu  Tausenden  den  Scheiterhaufen  bestiegen,  die- 
jenigen, welche  sich  mit  den  sogenannten  geheimen  Wissen- 
schaften beschäftigten,  ein  Trittenheim,  Faust,  Agrippa 
voTiNettesheim,  Picus  von  Mirandola,  Paracelsus  u.  A.,  bald 
als  Koryphäen  der  Weisheit  gepriesen,  bald  als  Notabein 
im  Reiche  Satans  verschrieen  wurden ,  öfters  hart  genug 
an  den  Schranken  der  Inquisition  vorbeistreiften,  im  We- 
sentlichen aber  ungekränkt  blieben.  Der  Geist  der  Wissen- 
schaft war  schon  zu  weit  gediehen,  als  dass  nicht  das 
Wahre,  das  bei  allen  wunderlichen  Verirrimgen  in  ihren 
Studien  geahnt  ward,  Achtung  geboten  hätte;  der  Priester- 
geist aber  und  sein  Pflegling,  der  Pöbelglaube,  rächten 
sich  dafür  durch  das  Märchen  vom  Faust,  in  welchem 
ganz  eigens  der  Beweis  geführt  wird,  wie  der  Teufel  auch 
in  den  vornehmeren  Magiern,  deren  Kunst  auf  Legitimität 
Anspruch  machte,  seine  Vasallen  erkennt*).  —  In  Ueber- 
einstimmung  mit  seinen  Vorgängern  behandelt  Delrio  auch 
die  Lehre  von  den  Incuben  und  Succuben.     Es  steht  ihm 


*)  Der  Ductor  Faust,  der  als  historische  Person  —  man  mag  sich  nan 
an  den  Georg  Faustus  des  Trithemius  und  Mutianus  Rufus,  oder  an  den  Ji^ 
hanncs  Faushis  Melanchthon's  und  Weier*s  halten  wollen  —  jedenfalls  mehr 
abenteuernder  Charlatan,  als  Gelehrter  war,  gehört  in  die  Geschichte  des 
Hexenprozesses  in  keiner  andern ,  als  der  im  Texte  angedeuteten  Beziehon^. 
Einem  Zauberer  auf  freiem  Fusse  den  Hals  zu  brechen,  liegt  sonst  nicht 
in  den  Gewohnheiten  des  Teufels.  Er  greift  zu  diesem  Auskunflsmittel  ia 
der  Regel  nur  dann,  wenn  eine  verhaftete  Hexe  ihm  durch  reumOthiges  Be- 
kenntniss  und  RQckkehr  zum  Glauben  abtrünnig  zu  werden  droht,  d.  h..  in 
die  Sprache  des  neunzehnten  Jahrhunderts  übersetzt,  der  Teufel  wurde  »Is 
ThÄter  vorgeschoben,  wenn  der  Richter  den  durch  die  Folgen  der  Tortur  her- 
beigeführten Tod  oder  den  in  der  Verzweiflung  begangenen  Selbstmord  einer 
Verhafteten  zu  rechtfertigen  hatte.  —  Ueber  das  Historische  vom  Faust  «. 
Kirchner  Disquisitio  historica  de  Fausto  praestigiatore,  praeside  Smmanm^ 
Vileb.  1693  und  Hauber  Bibl.  mag.  11.  707  ff.  lU.  184  ff.  Der  abergUu- 
t)ische  Melchior  Goldast,  der  den  Strafgesetzen  gern  eine  ausgedehntere  An- 
wendung gegeben  hfttte,  sagt:  „Und  bezeugen  so  wol)  die  Hbtorien,  als  die 
Exempel,  so  sich  zugetragen,  dass  wann  gleich  die  Obrigkeit  ihr  Ampt  btenn 
nicht  gethan.  dass  der  Teuffei  selbst  zum  Hencker  an  den  Schwartz-Könstlrm 
worden,  wie  solches  mit  eingeführten  Exempeln  beweiset  der  Autor  der  Vor- 
rede Ober  D.  Fausten  Histori  etc.'*  (Rechtl.  Bedenken  v.  Confiscation  -l^f 
Hexen^Oter.     S.  80.) 


•  Das  Verbrechen.  ^l^ 

fest,  dass  ein  Incubus  mit  einem  Weibe  ein  Kind  erzeugen 
könne ;  dieses  geschieht  jedoch  nicht  durch  seinen  eigenen 
Samen,  sondern  durch  den  Samen  eines  Mannes,  mit  wel- 
chem sich  zuvor  der  Dämon  als  Succubus  vermischt  hat, 
so  dass  also  das  erzeugfte  Kind  nicht  eigentlich  den  Dämon 
selbst,  sondern  denjenigen  Mann  zum  Vater  hat,  welchem 
der  Samen  entwendet  worden  ist.  Diess  ist  ganz  nach 
Thomas  von  Aquino.  Ein  Succubus  hingegen  kann  weder 
empfangen,  noch  gebären,  sondern  den  aufgenommenen 
Samen  einzig  zu  dem  oben  bezeichneten  Zwecke  verwen- 
den. Der  Jesuit  Molina  gilt  als  Zeuge,  dass  solche  dia- 
bolische Geburten  noch  ganz  neuerdings  vorgekommen 
seien,  und  in  Brabant  fand  Delrio  selbst  das  noch  ganz 
frische  Beispiel  der  Hinrichtung  einer  Unglücklichen,  die 
vom  Satan  empfangen  und  geboren  hatte. 

Wollen  wir  die  Hexerei  als  ein  Ganzes  fassen,  so  er- 
scheint sie,  vom  Standpunkt  der  Doctrin  betrachtet,  als 
eine  in  sich  vollendete  diabolische  Parodie  des  Christen- 
thums,  oder  dessen,  was  man  als  solches  nahm.  Im  Princip, 
im  Ceremoniell  und  in  den  Wirkungen  lassen  sich  fast 
Schritt  für  Schritt  die  Glieder  eines  fortlaufenden  Parallelis- 
mus erkennen.  Das  Christenthum  ist  Gottesverehrung,  die 
Hexerei  Teufelscult;  der  Christ  sagt  dem  Teufel  ab,  die 
Hexe  entsagt  Gott  und  den  Heiligen.  Der  Christ  sieht  in" 
dem  Heiland  den  Bräutigam  seiner  Seele;  die  Hexe  hat 
in  dem  Teufel  ihren  Buhlen.  Im  Christenthum  waltet  Liebe, 
Wohlthun,  Reinigkeit  und  Demuth,  in  der  Hexerei  Hass, 
Bosheit,  Unzucht  und  Lästerung;  der  Christ  ist  strafbar 
vor  Gott,  wenn  er  das  Böse  thut,  die  Hexe  wird  vom 
Satan  gezüchtigt,  wenn  ein  Rest  von  Menschlichkeit  sie 
zum  Guten  verführt  hat.  Christi  Joch  ist  sanft  und  seine 
Bürde  leicht,  aber  des  Teufels  Joch  ist  schwer  und  es  ge- 
schieht ihm  nimmer  genug.  Gott  ist  wahrhaftig  und  barm- 
herzig, seine  Gnade  lässt  selbst  den  Schwachen  in  die 
Seligkeit  eingehen;  der  Teufel  aber  ist  ein  Lügner  von 
Anfang  und  betrügt  seine  treuesten  Diener  selbst  um  das 
vertragsmässig  bedungene  Wohlsein.  Eben  so  deutlich 
zeigt  sich  der  Teufel  in   den  Einzelheiten   des  Rituals  als 


^14  Fünfzehntes  Kapitel. 

der  Affe  Gottes.  Wie  der  Christ  den  Sabbath  Gottes  be- 
geht, so  feiert  die  Hexe  den  Sabbath  des  Teufels.  Was 
aber  der  Kirche  heilig  ist,  Feste,  Kreuz,  Weihwasser, 
Messe,  Abendmahl,  Taufe  und  Anrufung  der  Heiligen  — 
das  entweiht  der  Teufel  durch  Verzerrung,  Misshandlung 
und  Beziehung  auf  sich.  Die  Zauberei  in  der  Hexenperiode 
ist  die  Ketzerei  und  Apostasie  in  ihrer  höchsten  Steigerung ; 
sie  ist,  zwar  nicht  etymologisch,  doch  ihrer  Idee  nach  die 
vollendete  Teufelei  auf  Erden  ^).  Und  zwar  ist  sie  dieses, 
was  wohl  zu  beachten  ist,  durch  ihre  Stellung  zum  Christen- 
thum.  Ohne  Abfall  vom  Christenthum  ist  Hexerei 
nicht  denkbar.  Die  Lossagung  von  Gott  und  Christus 
muss  der  Ausgangspunkt  der  gegen  das  Christenthum  imd 
gegen  die  Christen  gerichteten  Feindschaft  sein.  Dieses 
ist  kein  ganz  wesentliches  Moment  im  Begriffe  der  Hexerei, 
wesshalb  unter  den  zahllosen  Opfern  des  Hexenwahns 
auch  nicht  Eine  Nicht-Christin  vorkommt  ^).  Eine  Hexe  ist 
ihrem  Begriffe  nach  eine  Zauberin,  welche  Christin  war. 
welche  sich,  vom  Teufel  dazu  verfuhrt,  von  Gott,  Christus 
und  der  Kirche  losgesägt,  sich  dem  Teufel  zu  Eigen  ge- 
geben und  sich  mit  ihm  fleischlich  vermischt  hat,  und 
welche  mit  Hülfe  des  Teufels  das  Reich  Gottes  und  die 
Christen  in  jeder  ihr  möglichen  Weise  zu  schädigen  sucht. 
Darum  gab  es  wohl  jüdische  und  zigeunerische  Zauberer 
und  Zauberinnen,    aber  Hexen    gab   es  unter  Juden   und 


')  Auch  etymologisch  hat  man  den  Teufel  einmengen  wollen.  ..Zau- 
berei —  sagt  Horst  Z.  B.  11.  44  —  ist  im  Deutschen  etymologisch  mit 
Teufelei  eins,"  S.  46  heisst  es  von  der  2Lauberei  weiter;  ..Zaubelei. 
Zabe  1  e i.  wie  der  Ausdruck  ursprünglich  hiess  (Zabolus  lt)r  Diabolus)  schrTinkt 
alles  auf  Hülfe  und  Mitwirkung  des  Teufels  ein.  —  Mit  Recht  wird  die>e* 
Wort  seiner  Etymologie  nach  —  Zaubelei  =  Teufelei  —  immer  nur  in  bttsem 
Sinne  gebraucht.  Es  drückt  die  Idee  der  Zauberei  nach  christlichen. 
Begriff  recht  eigentlich  und  charakteristisch  aus,**  —  J,  Grimm  hat,  wie  biHu 
auf  diese  Etymologie  keine  Rücksicht  genommen. 

•)  Es  gibt  unter  Juden.  Zigeunern  u.  s.  w,  wohl  Zauberer  und  Zaubennnen. 
aber  keine  „Hexen",  und  zwar  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  (ungetauftej 
Zigeuner  und  Juden  nicht  von  Christus  abfallen  können.  Jede  .«Hexe"  ist 
entweder  katholisch  oder  lutherisch  oder  reformirt,  überhaupt  Christin  pen-esen. 


i 


Das  Verbrechen.  5 1  e 

Zigeunern  nicht  —  weil  dieselben  den  christlichen  Glauben 
nicht  abschwören  konnten. 

Was  die  dem  Verbrechen  beigelegten  Namen  anbe- 
langt, so  werden  im  Hexenprozesse  die  Ausdrücke  Magus, 
lamia,  saga,  strix,  veneficus,  maleficus,  cpagiiaxog  und  9?apj[toxie, 
sortilegiis,  sortiaria,  mathematicus,  incantator  imd  incanta- 
trix,  veratrix  und  praestigiatrix  zuweilen  zur  Bezeichnung 
einzelner  Arten  gebraucht,  am  häufigsten  jedoch  ohne 
Unterschied  auf  das  Ganze  bezogen  ^).  Auch  die  hebräi- 
schen Ausdrücke  des  alten  Testaments  wurden  in  dieser 
Weise  generalisirt.  Diese  Vermengung  erleichterte  we- 
sentlich die  Anwendung  der  alten  speziell  gegriffenen 
Strafandrohungen  auf  das  neu  geschaffene  CoUectivver- 
brechen.  Im  Deutschen  ist  bekanntlich  Zauberei  der- 
jenige Name,  dessen  sich  das  Gesetz  bedient;  in  Akten, 
wie  in  der  Volkssprache  ist  jedoch  sehr  gewöhnlich  auch 
von  Hexen*),  Unholden^)  und  (namentlich  in  Süddeutsch- 


*)  Carpzov.  Nov.  Pracl.  rcr.  criminal.  P.  1.  Quest.  XLVlll.  9.  Binsftld. 
Comment.  in  tit.  Cod.  üb.  IX.  de  maleficis  et  mathematicis,  Notab.  5.  — 
Omnes  artes  perniciosae  Magorum  et  raaleficorum,  a  Daemone  contra  salutem 
hominum  inductae,  sunt  affines  et  caudas  habent  colligatas,  quamvis  facies 
habeant  diversas,  ut  de  haeresibus  etiam  dicitur  in  cap.  Excommunicamus  l 
et  2  de  haeret.  —  Quare  earum  sectatores  diversis  noniinibus  a  Doctoribus 
quandoque  appellantur,  quandoque  etiam  confunduntur.  Sic  vocantur  lamiae, 
striges,  magi  etc.  —  — 

*)  Das  Wort  Hexe  lautet  ahd.  liagazussa,  verkürzt  hazus,  h  a  z  i  s, 
h  a  z  i  s  s  a  ,  ags.  hägtesse,  hägesse.  —  Zur  Erklärung  der  eigentlichen  Bedeu- 
tung des  Wortes  sind  mannigfache  Versuche  gemacht  worden.  Grimm  zieht 
(Mythologie.  992)  das  altn.  hagr  =  klug  heran,  so  dass  das  Wort  Hexe 
ein  verschmitztes  Weib  bedeuten  würde«  In  dieser  Bedeutung  wird  auch  in 
der  Schweiz  das  Femininum  häagsch  gebraucht.  —  Schmitthenner  (in  Wei- 
gands  „deutschem  Wörterb."  3.  Aufl.  1857)  ist  geneigt,  das  Wort  von  dem 
ahd.  und  mhd.  hac  (Gen.  hages)  =  Gebüsch  abzuleiten,  so  dass  es  ein 
rum  Walde  fahrendes  Weib,  ein  Waldweib  bedeuten  würde.« —  Simroek 
Iheilt  in  seinem  „Handbuch  der  deutschen  Mythologie"  (Bonn  1855)  S.  492 
mit,  dass  die  Hexen  in  niederdeutschen  Gegenden  noch  jetzt  wulrSdcrske 
genannt  werden,  was  auf  „Walküren**  hinzuweisen  scheint,  vielleicht  aber  auch 
mit  Schmitthenner's  Erklärung  des  Wortes  zusammengestellt  werden  kann.  — 
In  Grimmas  „deutschem  W^^rtcrbuch"  wird  folgende  Erklärung  gegeben:  „Für 
die  richtige  Beurtheilung  des  Wortes  scheint  die  volle  ags.  Form  von  Wichtig- 


7l5  Fünfzehntes  Kapitel. 

land)  Truden^)  die  Rede*),  und  der  Name  der  Hexerei 
ist  ohne  Zweifel  der  bequemste,  um  ohne  weitere  Um- 
schreibung die  moderne  ungelehrte  Zauberei  von  der  an- 
tiken Magie,  wie  von  den  sogenannten  geheimen  Wissen- 
schaften der  neueren  Zeit  zu  unterscheiden. 


keit ;  sie  lehrt  uns,  dass  wir  es  mit  einem  Compositum  zu  thun  haben.  W.lre 
im  ags.  hägtesse  der  zweite  Theil  des  Wortes  blosses  Bildungssufßx ,  so 
würde  bei  der  engen  Verbindung,  welche  schliessende  Consonanten  der  Wurzel 
mit  dem  Anlaute  des  SufRxes  einzugehen  pflegen,  die  assimilirte  Form  h&h- 
tesse  (oach  dem  bekannten  Gesetz)  zu  erwarten  gewesen  sein.  Das  ags. 
tesse,  ahd.  —  zussa  in  dem  zu  erklärenden  Worte  dürfte  zusammenhingen 
mit  a^s.  tesu,  teosu  =  damnum,  interitus,  contentio,  praeiudicium,  Ver^ 
derben,  tesvian  =  in  Nachtheil  setzen .  schädigen ,  verderben.  Der  erste 
Theil  ist  hag  in  der  Bedeutung  von  Landgut,  Feld  und  Flur.  Die  Hexe 
ist  demnach  die  das  I^ndgut,  Feld  und  Flur  Schädigende.  —  Im  nordwest- 
lichen Deutschland  heisst  die  Hexe  auch  Wickersche,  vollständiger  Wickelersche, 
von  dem  niedersächsischen  wicken  =  zaubern. 

Uebrigens  kam  das  Wort  Hexe  erst  spät,  mit  dem  Allgemeinwerden  der 
Hexenverfolgung,  nämlich  erst  mit  dem  Anfange  des  siebenzehnten  Jahrhunderts 
in  den  allgemeinen  Volksgebrauch.  Vgl.  Wutike ,  der  deutsche  Aberglaube. 
2.  Aufl.  Berl.  1869,  S.  141. 

*)  Der  Name  „Unhold*  bezeichnet  eigentlich  einen  bftsen  Geist  und  erst 
später  eine  Hexe.  Ulfilas  übersetzt  ^atpiiuv,  oaip^viov,  saiavä^,  Sid^oi.o^ 
mit  dem  Masculinum  unhultha,  mit  dem  Femininum  unhulthA  nur  $at>uf» 
und  ^a'.piov'.ov. 

*)  Daher  die  Bezeichnungen  Trudenhaus  (=  Hexenthurm),  Trudentnahl 
(=  Hexenmahl),  Trudenrock  (der  den  Hexen  vor  der  Folterung  angelegte 
Rock),  Trudenzopf  u.  s.  w.  Grimm  bringt  (Deutsche  Mythol.  394)  das  Wurt 
mit  Thrüde,  dem  Namen  einer  Walkyrie,  in  Zusammenhang. 

*j  GoUast  (Rechtl,  Bedenken  von  Conflskation  der  Zauberer-  und  Hexen- 
güter S,  76)  gibt  eine  ansehnliche  Men^e  von  laufenden  Namen  für  die  Teufels- 
verbOndeten:  „diese  sind,  die  man  böse  Zauberer,  böse  Leuthe,  zu  Lxien  Ma- 
leficor«,  Veneficos  und  Sortilegos ,  auff  Teutsch  Nigromanten,  das  ist,  Schwartz- 
Künstler,  Hexenmeister.  Lossleger,  Sortzier.  Br>se  Männer,  Gifft-Kflche.  Mantel- 
fiihrer,  Bockreuter,*  Wettermacher,  Nachlhosen,  Gabelträger.  Nacht  Wanderer  etc. 
nennet.  Aber  die  Weiber  dieser  Arth  heisst  man :  Lamias,  Stryges,  Sortianas, 
Hexen,  .^llraunen,  Feen.  Drutten ,  Sägen,  Bftse  Weiber,  Zäubenchen,  Nacht- 
frAwen,  Nebelhexen,  Galsterweiber ,  Feld-Frawen,  Menschen-Diebin,  Milch- 
Diebin,  Gabel-Reitterin  ,  SchntiervOgel ,  Besemreitterin ,  SchmaltzflOgel.  Bock- 
Reuterin,  TeufTels-Buhlen,  Teuffels- Braut,  und  insgemein  Unholden  ,  daromb 
d.»vs  sie  Niemanden  hold,  sondern  Gottes,  der  Menschen  und  aller  Gcsch'^f'ffra 
Gtittes.  abhold,  und  geschworene  Feinde  sind.' 


Das  Verbrechen.  ^jy 


c)    Die    Walpurgisnacht. 

Es  ist  aus  dem  Obigen  bekannt,  dass  diese  Zeit  keines- 
wegs die  einzige  für  die  Sabbathe  ist;  ja  sie  ist  nicht  ein- 
mal diejenige,  welche  in  den  Akten  am  häufigsten  genannt 
wird.  Aber  in  einem  grossen  Theile  Deutschlands^)  hat 
sich  der  traditionelle  Hexenglaube  der  Gegenwart  fast 
ausschliesslich  an  diesen  Tag  geheftet,  vielleicht  nur  dess- 
wegen,  weil  gerade  für  ihn  sich  Volksgewohnheiten  er- 
halten  haben,  welche   der  Erinnenmg  zur  Stütze  dienen. 

Man  hat  die  Walpurgisnacht  von  den  Maiversamm- 
lungen der  alten  Deutschen  herleiten  wollen  *).  Mag  man 
nun  bei  diesen  Maiversammlungen  an  die  politischen  Mai- 
felder denken,  oder  an  die  hier  imd  da  in  den  Mai  fallen- 
den  Frühlingsfeste,  deren  Existenz  jedoch  in  sehr  alter 
Zeit  kaum  nachweisbar  sein  dürfte  —  in  beiden  Fällen 
scheint  es  uns  nicht  klar  zu  sein,  welche  Beziehung  diese 
theils  geschäftlichen,  theils  festlichen,  von  Obrigkeit  und 
Kirche  autorisirten  Versammlungen  zu  zauberischem  Spuke 
haben  können.  —  Andere  dagegen  haben  an  ein  Gaukel- 
werk gedacht,  das  die  alten  Sachsen  absichtlich  machten, 
um  ungestört  ihrem  Wotansdienste  auf  dem  Harze  obliegen 
zu  können.  Es  fehlen  hierbei  aber  nicht  nur  die  histori- 
schen Nachweisungen  für  das  Faktum  selbst,  sondern  die 
Walpurgisnacht  ist  auch  für  Gegenden,  die  vom  Harze 
weit  entfernt  sind,  übel  berüchtigt. 

Wie  die  auf  die  hohen  Kirchenfeste  und  Heiligentage 
verlegten  Hexenversammlungen  sich  aus  der  angenom- 
menen Opposition  des  Hexenwesens  gegen  das  Christen- 
thum  erklären,   so   scheint  dagegen   die  Wahl  der  ersten 


')  In  Söddeutschland,  z.  B.  in  Bayern,  haben  Walpurgisnacht  und  Blocks- 
berg niemals  eine  Geltung  im  Volksglauben  und  Landrecht  gehabt.  Daher 
erklärt  es  sich,  dass  Steruinger  in  seiner  Rede  über  die  Zauberei  sagen  konnte : 
Diese  Zusammenkunft  wird  der  Sabbath  genannt ,  und  der  vornehmste  soll  an 
St.  Johann  Baptist-Abend  auf  dem  Blocksberg  gehalten  werden? 
—  Akademische  Rede  etc.,    gehalten  zu  München  den    13.  Oct.   1766.  S.   11. 

')  Grimm  deutsche  Mythol.  S.  5c^i. 


•jl8  Fünfzehntes  Kapitel. 

Mainacht  für  den  gleichen  Zweck  in  einem  aus  dem  römi- 
schen Alterthum  ererbten  Aberglauben  ihren  Grund  zu 
haben ;  wie  denn  dergleichen  so  Manches ,  ohne  auf  den 
ersten  Blick  als  römisch  erkannt  zu  werden,  noch  heute 
unter  den  Völkern  fortlebt. 

Der  Mai  war  den  Römern  recht  eigentlich  ein  Polter- 
und  Spukmonat.  Gleich  auf  den  ersten  Tag  fiel  das  Fest 
der  Lares  Praestites,  Sind  diese  gleich  bei  Ovid  (Fast.  V. 
128  ff.)  Schutzgötter  des*  Hauses,  so  fand  doch  schon  zu 
Plutarch's  Zeit  die  Meinung  Eingang,  die  Laren  seien 
umherirrende  böse,  furienartige  Geister,  zum  Strafen  ge- 
schaffen  und  in  das  Familienleben  des  Menschen  sich  ein- 
mischend (Plut.  Quaest.  Rom.  51).  Femer  fallt  auf  den 
ersten  Mai  das  Fest  der  Bona  Den  ^).  Ueber  das  Wesen 
dieser  Göttin  waren  schon  die  Alten  uneinig ;  um  so  fähiger 
zeigte  es  sich  für  jede  LJmdeutung.  Nach  den  bei  Ma- 
crobius  (Sat.  I.  12)  gesammelten  Äleinungen  war  die  Bona 
Dea  bald  Maja,  bald  Fauna,  bald  Fatua,  bald  die  chthonische 
Hekate,  bald  Medea.  Bei  dem  Einen  ist  sie  Faim's  Ge- 
mahlin, bei  dem  Andern  Faun 's  Tochter,  welcher  der  Vater 
selbst  imkeusche  Gewalt  angethan  hat.  Wo  nun  die  Göttin 
als  Hekate  oder  Medea  gefasst  wurde,  da  ist  ihre  Be- 
ziehung zum  Zauberwesen  von  selbst  klar.  Gleiches  lässt 
sich  von  der  Fatua  sagen.  Diese  ist  ja  das  Wesen,  aus 
welchem  die  Fata  der  Italiener,  die  F6e  der  Franzosen, 
die  Fairy  der  Engländer  hervorgegangen  ist ').  Im  Tempel 
der  Bona  Dea  wurden  Kräuter  und  Arzneien  ausgetheilt. 
Ihr  Kult  wurde  von  Weibern  allein  verrichtet ;  man  stellte 
ihr,  weil  sie  den  Wein  bis  zur  Trunkenheit  geliebt  haben 
sollte,  beim  Opfern  ein  Weingefäss  hin*).  Ati  die  Feen 
knüpfen  sich  aber  nicht  allein  die  heiteren  und  poetischem 
Zauberfabeln  des  Mittelalters,  wie  die  vom  Venusberg  und 
den    unterirdischen   Prachtgemächem,    sondern    auch    die 

»)  Ovid.  Fast.  V.   14B. 

')  (Faunus)  sororem  suam  Fatuam  Fauna m  eandem^ue  conjugem  con» 
sccravit,  ()uam  Gabius  Ba.ssus  Fatuam  nominatam  tradit,  quod  mulieribus/tf^ 
cancre  consuevis^ct.  ut  Faunus  viris.      Lactant,  Instit.  1,   22.  w. 

*)   Lactiiut.    Instit.   I.   22.    II.      Arnon.   1.   p,    20   u.   III.    l6<». 


Das  Verbrechen.  jiq 

ernsten  und  diabolischen,  die  zum  Gegenstand  gerichtlicher 
Anklagen   wurden.     So   war    es  z.  B.  der  Feenbaum  von 
Bourlemont   bei   Domremy,    unter   welchem    der   Hexen- 
sabbath   in  Gemeinschaft    mit  den    Feen  gefeiert   wurde, 
und  unter  welchem ,  laut  der  Verhörartikel,  Jeanne  d*Arc 
ihre  Zaubereien  angestellt  haben  sollte  ^).    Auch  in  Schott- 
land  werden    die  Feen   mit  in   den  Hexentanz    hereinge- 
zogen; sie  heissen  daselbst  gute  Nachbarn  (boni  vicini). 
Der    letztere   Name    entspricht    dem  der   guten  Damen 
(bonae  Dominae)  in  Frankreich,   deren  Führerin  die  Kö- 
nigin Habundia  ist.     Die  Domina  Abundia 2)  oder  Dame 
Habonde,  welche  Guilielmus  Alvemus,  Bischof  von  Paris 
(t  1248)  erwähnt*),  soll  in  bestimmten  Nächten  mit  anderen 
Frauen  (nymphae  albae,  dominae  bonae,  dominae  noctumäe), 
welche  in  weissen  Gewändern  erscheinen,   in  die  Häuser 
kommen  und   die   für  sie  hingesetzten  Speisen  geniessen. 
In  diesen  weissgekleideten  Damen  haben  wir  wohl  keltische 
Feen  zu  erkennen;  aber  der  Roman  de  la  Rose  nennt  die 
Begleiterinnen  der  Habundia  geradezu  Hexen  (estries  = 
striges)  ^).  —  Mit  der  Habimdia  stellt  Guilielmus  Alvemus 
die  Satia  zusammen,  mit  welcher  die  (von  Augerius  epis- 
copus  Conseranus  erwähnte)  wälsche  Bensozia  wohl  iden- 
tisch ist  *).    Der  Habundia  hat  Grimm  die  nord-  und  mittel- 
deutsche Hol  da  (Frau  Holle)  zur  Seite  gesetzt^),   der  in 
Süddeutschland    die    Berchta    mit    ihrem    Gefolge    von 


*)  Art.  6-  Que  le  subdict  arbre  et  fontaioe  sont  surnommes  des  Fces, 
Aussi  luy  demandoyent,  si  eile  avoit  cognoissance  de  ceux  ou  Celles,  qui  cer- 
tains  jours  de  la  septmaine  vout  au  sabbat  avec  les  Fees.  Respondtt  avoir 
ouy  dire.  qu'on  y  alloit  le  jeudy.     Delrio  Lib.  V.  Append.  p,  853. 

')  Der  Name  hat  mit  dem  lat.  abundantia,  womit  ihn  Guil.  Alv.  zusam- 
menstellt, wohl  nichts  zu  schaffen.  W,  Müller  (altdeutsche  Religion,  S.  130) 
leitet  ihn  aus  dem  Keltischen  ab. 

*)  Gull,  AbJtrn.  Opera,  Par.   1674,  I.  1036.  1066.   1068. 
*)  Roman  de  la  Rose  (ed.  Meon)  V.   18625: 

mainlcs  gens  por  lor  folie 

Cuident  estre  par  nuit  estries 
Eirens  avecques  dame  Habonde. 
*)   W,  Müller,  S.   130. 
•)  Deutsche  Mythol.  S.  177  ff. 


^20  F-ntKrhr.tes  KapiteL 

Heimchen  und  Zwergen  entspricht.  In  den  Niederlanden 
war  die  Wanne  Thekla';  die  Konigin  der  Alven  und 
Hexen.  —  Alle  diese  Wesen  sind  nachtfahrende,  von  grossen 
Schaaren  begleitete  Geister;  ihr  Charakter  aber  wird  au^ 
verschiedenen  Gesichtspunkten  verschieden  gefasst.  Bald 
sind  sie,  wie  die  romischen  Laren,  Freunde  des  Hauses, 
schützen  dasselbe  und  bringen  Segen  und  Ueberfluss,  man 
stellt  ihnen  ein  leckeres  Mahl  bereit-;;  bald  benehmen  sie 
sich  als  neckische  Poltergeister*);  bald  treten  sie  den  Parcen 
nahe,  wie  bei  Hektor  Boethius,  der  zu  Shakespeare 's  Mac- 
beth und  seinen  weird-sisters  den  StoiF  geliefert  hat  ^) ;  bald 


»)    IV,  Müller,  S.  361. 
*)  Grimm  Mythol.  S.   179  u.  596  f. 

*)  Secunda  difTerentia  daemonuro  est  illonim,  qui  dicuntur  Z>«^isr  dt  ca.^\ 
Experiuntttr  saepe  bomines  de  nocte  in  domibus  suis  vigilantes  in  lectis  «ui«, 
quod  ambulat  aliquis  per  domum  mutaodo,  fraogendo  res  aliquas,  ictos  magDO"« 
dando,  special iter  in  vasis  vinariis,  amoveodo  etiam  a  capitibas  bomiouffl  t>ir- 

reta  sua  etc Et  secundum  veritatem  tales  non  sunt  bomines,  nee  niL- 

lieres«  sed  sunt  quidam  daemones,  qui  volunt  deridere  bomines ,  volentes  io>i* 
tari  angelum,  qui  luctat us  est  cum  Jacob  etc.  (Alphorn,  de  S/tna  Fortair. 
fidei  üb.  V.  Consid.  X.; 

*)  Boethius  hat  seinerseits  wieder  aus  Wyntownis  Cronykil  gesch^j)«. 
wo  die  Sache  in  ihrer  einfachen  Urgestalt  vorzuliegen  scheint.  £$  erscheint-o 
daselbst  dem  jungen  Macbeth,  als  er  in  dem  Hause  seines  Oheims  Duncan 
wohnt,  drei  Weiber  im  Traume,  die  er  für  Schicksalsschwr«tim  (\Ve:J 
Systrys)  hält: 

The  fyrst  he  herd  say  gangand  by, 

„Lo,  yhondyr  the  Thayne  of  Crwnibtiwchiy." 

The  tothir  Woman  sayd  agayne. 

^Of  Morave  yhondyre  1  se  the  Thayne, • 

The  ihryd  ihan  sayd.  „/  se  the  kyng.* 

All  this  he  herd  in  hys  dremyng. 

Dieser  Traum  hatte  Macbeths  Schandthat  zur  Folge.  —  Hektor  Buethiu* 
that  den  Banko  hinzu,  der  sich  im  Cronykil  noch  nicht  findet,  und  lieN>  dic'^fii 
mit  Macbeth  zusammen  die  drei  Weiber  im  Walde  äub.serlicb  crscttK 
nen.  Hekate  und  die  ganze  hexenthOmliche  Einkleidung  ist  von  Shakespeare 
selbst,  der  die  Tragödie  unter  dem  hexensüchtigen  Jakob  I.  schrieb,  bioju- 
gefQgt.  Das  StOck  ist  aus  verschiedenen  Elementen  gemischt  und  gibt  djr-w 
weder  für  die  Zeit  des  Dichters,  noch  für  die  des  Helden  einen  treuen  Ab- 
druck des  Zauberglaubens.  Sten-ens  protestirl  gegen  die  Zusammenstellung  <i«f 
alten  Valkyren  mit  den  Shakespearischen  Hexen,  —  Uebrigens  bat  da>  «u* 
dem  Angelsächsischen  stanmiende  Wort  Weird.  gleich   dem  lateinischen  fjtun«. 


Das  Verbrechen, 


321 


endlich  verlieben  sie  sich  sogar  in  die  Söhne  der  Menschen 
und  entfuhren  sie  zu  einem  Leben  voll  Wonne  in  den 
Venusberg.  Die  kirchliche  Auffassung  aber  hatte  hier 
unter  zwei  Dingen  die  Wahl:  entweder  musste  sie  die 
Existenz  dieser  Wesen  überhaupt  läugnen,  oder  sie  konnte 
dieselben  nur  als  Dämonen  erkennen,  durch  die  der  Teufel 
wirkt  und  deren  Walten  also  ein  böses  ist.  Beides  ist  ge- 
wählt worden,  das  erstere  in  der  helleren  Hälfte  des  Mittel- 
alters, das  zweite  zu  der  Zeit,  als  die  Finstemiss  einriss. 
Wie  die  Laren  schon  dem  späteren  Römer  Schreck-  und 
Quälgeister  waren,  so  wurden  auch  die  ihnen  entsprechen- 
den giitmüthigen,  schützenden  Hausgeister,  die  guten  Nach- 
barn und  galten  Damen  sammt  ihrer  Königin  Habundia 
unter  der  Feder  der  christlichen  Kirchenschriftsteller  zu 
bösartigen  Dämonen  imd  die  Holda  zur  Unholden;  das 
Fest  der  Bona  Dea,  die  nach  den  obigen  Bemerkungen 
mit  Fatua,  Hekate  oder  Medea  zusammenfallt,  begegnet 
am  ersten  Mai  dem  der  Hausgeister,  und  dieser  Tag  geht 
somit  schon  aus  dem  römischen  Material  und  dessen  mittel- 
alterlicher Umgestaltimg  als  ein  Tag  dämonischen  Zau- 
berspuks hervor. 

Er  ist  aber  auch,  und  zwar  durch  die  Floralien,  ein 
Tag  der  imgebundensten  Liederlichkeit^).     Was  Rom   an 


die  Doppelbedeutung  von  Weissagung  und  Schicksal.  (S.  Steevens  z. 
Macbeth.)  —  Auch  bei  Alphonsus  de  Spina  (Fortalit.  fid.  lib,  V,  consid.  10) 
'werden  die  Feen  (Fata)  wegen  der  Hinweisung  des  Namens  auf  das  Fatum 
mit  den  Farcen  verwechselt  und  als  Dämonen  dargestellt.  Voluerunt  quidam 
simplices  dicere ,  quod  Fata  sunt  quaedam  feuiinae ,  quas  dant  spiritus  super 
creaturam  noviter  natam.  Unde  et  Senecae  tragoedia  prima  in  choro  primo 
loquitur    de    eis   quasi  de  quibusdam  sororibus  sive  deis,    quae  sie  disponunt 

Vitara  humanam,  quod  nullus  potest  pertransire  ordinem  ab  eis  dispositum 

£t  secundum  veritatero,  si  alicui  nomen  fati  tribuatur,  nulli  nisi  voluntati  Dei 

tribuendum  est Sed  quid  dicendum  est  ad  illos,  qui  dicunt,  se  talia  Fata 

vidisse?  Respondetur,  quod,  si  talia  accidant,  non  feniinae,  sed  daemones  sunt, 
qui  volunt  imitari  et  deridere  illud,    quod  Deus   dixit  per   angelum  Abrae  de 

nativitate  Ysaac,  et  illud,  quod  dixit  angelus  de  nativitate  Sampson  etc. 

*)  Ovid.  Fast  IV.  945. 

Quis  Floralia  vestit  et  stolatum 

Permittit  meretricibus  pudorem  ? 

Martial, 

Soldan-Heppe,  Hexenprozesse.  ^  ^ 


322  Fünfzehntes  Kapitel. 

feilen  Dirnen  hatte,  strömte  unter  Trompetenschall  zum 
Theater;  nackte  Huren  führten  mit  den  Mimen  vor  allem 
Volke  die  wollüstigsten  Tänze  auf,  ahmten  die  Bewegungen 
des  Beischlafs  nach  oder  schwammen  im  Kolymbethron 
herum,  rannten  durch  die  Strassen  der  Stadt  und  trieben 
ihr  scheussliches  Unwesen  bei  Fackelschein  die  ganze 
Nacht  hindurch  ^), 

In  den  Mai  fielen  femer  die  Lemurien,  ein  Rest  der 
Anfangs  in  diesem  Monat  gefeierten  und  später  in  den 
Februar  verlegten  Feralien.  Man  vertrieb  die  spukenden 
Lemuren,  Geister  der  Verstorbenen,  die  aber  die  spätere 
römische  Zeit  als  Schreckbilder  in  Thiergestalt  fasste,  mit 
Ceremoniell  und  dem  Geräusche  zusammengeschlagener 
Erzplatten  2).  An  den  Feralien  selbst  übten  alte  Weiber 
allerlei  Zauberhandlungen,  um  die  Zungen  ihrer  Feinde 
zu  binden,  legten  Weihrauch  unter  die  Schwellen,  drehten 
sieben  schwarze  Bohnen  im  Munde,  schwangen  den  Zsjx- 
berhaspel,  rösteten  Fische,  deren  Köpfe  sie  mit  kupfernen 
Nadeln  durchstachen,  träufelten  etwas  Wein  in's  Feuer 
und  berauschten  sich  vom  Rest  ^).  Diess  geschah  zum  Ge- 
dächtniss  der  vom  Mercur  geschändeten  Lara,  am  letzten 
Tage  der  Feralien,  der  gewöhnlichen  Berechnung  zufolge 
am  i8.  Februar.  Bei  dem  engen  Zusammenhange  der 
Feralien  mit  den  Lemurien  mag  aber  ähnliches  Zauber- 
treiben auch  noch  für  den  Mai  geblieben  sein.  Wenigsten> 
nahm  man  auch  da,  um  die  Sicherheit  der  Familie  zu 
wahren,  schwarze  Bohnen  in  den  Mund  und  warf  sie  hinter 
sich  mit  der  Formel:  Haec  ego  mitto;  his  —  —  redimo 
meque  meosque  fabis,  worauf  das  Zusammenschlagen  der 
Erzplatten  folgte  *).  Eine  andere  Aehnlichkeit  der  Lemurien 
und  Feralien  besteht  darin,  dass  man  an  beiden  keine 
Hochzeiten  hielt.  Die  ersteren  brachten  sogar  den  ganzen 
Monat  Mai  desshalb  in  Verruf 

*)   Lactant,  Inst.  1.  2ü.    U).     Arnoh,  adv.  gent.  III.  p.   WX  \\\,  p    2:^\ 
Sen€€»  Epist.  97. 

')  Oziii.  Ka«t.  V.  44 1. 
»)  Ch-iif,  Fast.  II.  5J3  ff. 
*)  Ch'iiL  Fast.  V.  435. 


Das  Verbrechen. 


323 


Nec  viduae  taedis  eadem,  nee  virginis  apta 
Tempora.     Quae  nupsit,  non  diuturna  fuit. 
Hac  quoque  de  causa  (si  te  proverbia  tangunt) 
Mense  malas  Majo  nubere  vulgus  ait^). 

Wenn  wir  nun  die  Ansicht  aussprechen ,  dass  auch 
die  L'emurien  in  der  Walpurgisnacht  noch  fortleben ,  so 
befurchten  wir  wenigstens  nicht  den  chronologischen 
Einwurf,  dass  dieselben  erst  mit  dem  achtem  Mai  begannen. 
Die  als  Zauberwesen  gefasste  Bona  Dea,  die  den  Anfang 
des  Monats  beherrscht,  mochte  wohl  auch  die  übrigen 
Zauberelemente  desselben  an  sich  ziehen  können. 

Dass  aber  ausser  der  Abkunft  der  Feen  von  der  Fatua 
und  Bona  Dea  auch  noch  andere  Punkte  des  späteren 
Aberglaubens,  die  sich  an  den  Mai  und  besonders  an  sei- 
nen ersten  Tag  knüpfen,  auf  römischem  Boden  fussen, 
ist  kaum  zu  bezweifeln,  wenn  wir  auf  Folgendes  achten. 
Noch  im  vorigen  Jahrhundert  feierte  man  im  schottischen 
Hochlande  gewissenhaft  das  Beltane  oder  Fest  des  ersten 
Mai.  Unter  herkömmlichem  Ceremoniell  ward  ein  Kuchen 
gebacken,  in  Stücke  zerschnitten  und  feierlich  den  Raub- 
vögeln oder  wilden  Thieren  zuerkannt,  damit  sie,  oder 
vielmehr  das  böse  Wesen,  dessen  Werkzeuge  sie  sind,  den 
Schaf-  und  Rinderheerden  kein  Leid  zufügen  möge  *).  Feist 
derselbe  Gebrauch  fand  sich  in  Gloucestershire  ^).  Er  ent- 
spricht der  römischen  Redemtionsceremonie.  Die  Schotten, 
selbst  die  vornehmeren,  vermeiden  noch  jetzt,  im  Mai  eine 
Ehe  zu  schliessen.  Diese  Thatsache,  welche  Walter  Scott 
berichtet*),  ist  sehr  interessant,  die  von  ihm  gegebene  Er- 
klärung aber,  dass  es  wegen  der  unglücklichen  Ehe  der 
Maria  Stuart  mit  Bothwell  geschehe,  scheint  nicht  auszu- 
reichen. Ohne  Zweifel  hat  man  in  Maria's  Schicksal  ur- 
sprünglich für  dcis  alte  Malae  nubunt  Majo  nur  einen  neuen 
Beleg  gefunden  und  später,  als  über  dem  neuen,  auffallen- 
den Beispiele  der  alte  Grund  vergessen  war,  die  Stuart'sche 

»)  Oviä,  Fast.  V.  487. 

')  Permani  b.    IV.  Scott  Briefe   Ob.  Dämonol.  u.   Hexerei.   Bd.  I.  S.   130, 

')  Ebendas. 

*^    W,   Scott  a.  a.  O.  I.   MO. 


^24  Fünfzehntes  Kapitel. 

Vermählung  selbst  als  die  Quelle  des  Glaubens  ang-esehen. 
Auf  Frankreich  wenigstens  hatte  diese  Hochzeit  keinen 
Bezug,  und  doch  galt  auch  hier,  wie  Bayle  versichert*), 
der  Mai  fiir  unglücklich  zur  Abschliessung  einer  Ehe.  In 
Deutschland  besteht  noch  jetzt  eine  Sitte ,  die  an  die  Te- 
mesaea  aera  der  romischen  Lemurien  erinnert;  Anton  Prä- 
torius,  der  gegen  das  Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
schrieb,  lernte  sie  1 597  auf  dem  Vogelsberg  kennen.  Wah- 
rend seiner  Anwesenheit  in  Büdingen  zogen  die  Bürger 
in  der  Walpurgisnacht  schaarenweise  mit  Büchsen  aus, 
schössen  über  die  Aecker  und  schlugen  gegen  die  Bäume, 
um  die  Hexen,  die  auf  Beschädigung  des  Eigenthums  aus- 
gingen, zu  verjagen  ').  Noch  heute  unterhalten  in  Hessen, 
besonders  im  Schwalmgrunde,  die  jungen  Burschen  in  der 
Walpurgisnacht  ein  lautes  Peitschenknallen  auf  den  Hof- 
raithen  und  freien  Plätzen  der  Dörfer,  während  der  Haus- 
vater mit  Kohle  oder  Kreide  drei  Kreuze  auf  Haus  und 
Stallthüre  malt.  Hiermit  verbindet  sich  die  Sitte  des  Lehen- 
ausrufens.  Der  junge  Bauer  tritt  vor  das  Haus  seiner  Ge- 
liebten, schiesst,  klatscht  mit  der  Peitsche  und  ruft  zwischen- 
durch mit  lauter  Stimme: 

Ich  rufe  mir  die  (Katharine  etc.)  zum  Lehen  aus ! 
Ein  Lehen  ist  ein  Lehen, 
Wer's  nicht  will,  der  lässt's  gehen ! 
Hiermit  hat  er  sich    auf  ein  ganzes  Jahr  zum  Ritter  des 
Mädchens  erklärt  und  zugleich  sein  Verhältniss  zu  ihr  durch 
eine  dankenswerthe  Beschirmung  gegen  die  Gefahren  der 
Zaubernacht    eingeleitet.     Unter    Zechen    und    mancherlei 
Unfug  wird  der  Rest  der  Nacht  hingebracht*). 

*)  Pens^es  diverses  §.  loo. 

')  Prätoriui  Bericht  von  Zauberei  und  Zauberern.  Zweite  Aufl.  16 13*^  »>4. 

•)  Fast  wie  bei  den  Floralien  :  Ebrius  ad  durum  formosae  limen  amicae 
cantat.  Ovid,  Fast.  V.  339.  Soldan  hat  hier  das  Lehenausrufen  nach  «einer 
eigenen  Erinnerung,  wie  er  es  in  der  Gegend  von  Alsfeld  kennen  letute,  be- 
richtet. Etwas  anders,  doch  im  Wesentlichen  QbereinalimiDend  gibt  es  Lamiom 
in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  hess.  Geschichte  und  Landeskunde,  U.  Bd. 
2,  u.  3.  Hft.  S.  272.  An  manchen  Orten  steckte  man  am  L  Mai  Zweige  ^rom 
Ebereschenbaum  (sorbus  torminalis)  zum  Schutz  vor  den  Hexen  an  die  HSuser, 
in  Italien  und  Spanien  steckten  die  Liebhaber  ihren  Mädchen  Maien  von  Birkea 


Das  VerbrechcD. 


325 


Damit  aber  auch  in  Deutschland  neben  dem  Mai  der 
Februar  seine  Averrunealien  habe,  so  erwähnen  wir  einen 
Grebrauch  der  Bauern  im  Münsterlande,  welchen  ebenfalls 
der  oben  genannte  Prätorius  berichtet  ^).  „Im  Stifft  von 
Munster  in  Westfalen  haben  die  Bawem  ein  Gewonheit, 
dass  aufF  S.  Peter  Stulfeyer  (den  22.  Febr.)  Tag  ein  Freund 
dem  andern  frühe  vor  Sonnen  auffgang  für  sein  hauss 
läuffit,  schlagt  mit  einer  Axt  an  die  Thür  zu  jedem  Wort 
das  er  redt  und  rüfft  laut  in  seiner  Sprach  also: 

Herut,  herut  Sullevogel  etc. 
Auff  hochteutsch  also :  Herauss,  herauss  du  Schwellenvogel, 
S.  Peters  Stulfeyer  ist  gekommen,  verbeut  dir  Hauss  und 
Hoff  und  Stall,  Häwschoppen,  Schewer  und  anders  all, 
Biss  auff  diesen  Tag  über  Jahr,  dass  hie  kein  schade  wider- 
fahr. — -  Durch  den  Schwellenvogel  verstehn  sie  Krotten, 
Otter,  Schlangen  und  andre  böse  Gewürme,  das  sich  unter 
den  Schwellen  gern  auff  hält:  auch  alles  was  dahin  giffti- 
ges  mochte  vergraben  seyn  oder  werden.  Wenn  diss  ge- 
schieht, sind  sie  das  Jahr  für  Schaden  frey  und  wer's  thut, 
wird  begabt.** 

Fassen  wir  das  bisher  Erörterte  zusammen,  so  möchte 
wohl  als  Resultat  hervortreten,  dass  das  spätere  Hexen- 
wesen eben  so  gut  die  Walpurgisnacht,  als  Epoche  ge- 
nommen, aus  dem  römischen  Alterthum  ererbt  habe,  wie 
es  gewiss  ist,  dass  ein  grosser  Theil  der  Zauberübungen, 
welche  ihren  Inhalt  ausmachen,  aus  demselben  hervor- 
gegangen ist.  Wir  sehen  hier  in  ganz  analogen  Vorstel- 
lungen lind  Gebräuchen  Schotten,  Engländer,  Franzosen 
und  Deutsche  einander  begegnen,  vier  Völker,  die  unter 
sich  gegenseitig  einen  bei  weitem  geringeren  Einfluss  übten, 
als  derjenige  war,  welcher  aus  gemeinsamen  römischen 
Ueberlieferungen ,  zeitweise  sogar  durch  Vermittlimg  und 
unter  dem  Schutze  der  kirchlichen  Auctoritäten,  zur  Ver- 
breitung eines  gleichmässigen  Aberglaubens  nach  allen 
Seiten  ausströmte.     Der  sächsische  Wotansdienst  auf  dem 


Eichen  etc.  an  die  Thüren;  daher  das  Sprüchwort :  appiccare  il  majo  ad  ogni 
uscio  för  :  inamorarsi  per  tutto.     Spanisch :  majo  ^z  arbole  de  enamorado. 
*)  A.  a.  O.  S.  113. 


X2Ö  Fünfzehntes  Kapitel. 

Brocken  erklärt  die  Walpurgisnacht  auf  den  schottischen 
Hochgebirgen  und  in  der  Provence  nicht,  ja  nicht  einmal 
die  Walpurgisnacht  auf  dem  Kreidenberge  bei  Würzburg, 
wo,  laut  der  gerichtlichen  Bekenntnisse,  dreitausend  Hexen 
bei  Spiel  und  Tanz  den  Sabbath  feierten,  nachdem  sie 
sieben  Fuder  Wein  aus  dem  bischof  liehen  Keller  gestohlen 
hatten.  Uebrigens  stehe  hier  wiederholt  die  Bemerkung, 
dass  in  den  zahlreich  vorhandenen  Akten  weit  häufiger 
die  hohen  Kirchenfeste  und  ausserdem  Johannis-,  Jakobs- 
und andere  Heiligentage  als  Zeiten  der  Hexenversamm- 
lungen erscheinen,  als  die  durch  Goethe's  Faust  klassisch 
gewordene  Walpurgisnacht.  Als  Grundzug  der  Zauberei 
galt  es  ja,  dass  sie  den  christlichen  Kult  parodire  und 
befeinde,  und  vielleicht  mag  auch  der  Walpurgisunfug  in 
dem  Festkalender  der  Zauberei  seine  aus  dem  römischen 
Wesen  ererbte  Stelle  zum  Theil  eben  darum  festgehalten 
haben,  weil  dieses  Fest,  wo  die  Hexe  das  Kreuz  tritt, 
demjenigen,  wo  der  Christ  dasselbe  am  meisten  verehrt, 
dem  der  Kreuzerfindung,  nur  um  zwei  Tage  vorhergehl. 
Der  Tag  aber,  an  welchem  der  Münsterländer  den  Sulle- 
vbgel,  d.  h.  das  magische  Ungeziefer  unter  der  Schwelle, 
austrieb ,  fiel  mit  der  Schwellensühnung  der  Römerinnen 
nicht  ganz  zusammen;  diese  geschah  am  i8.,  jenes  am 
22,  Februar.  Vielleicht  hatte  das  Fest  der  römischen 
Stuhlfeier,  in  welchem  die  Schirmkraft  der  Kirche  über  die 
ganze  Christenheit  sich  aussprach,  diese  Attraction  bewirkt. 
Schliesslich  bemerken  wir  noch,  dass  im  siebenzehnten 
Jahrhundert  der  Festalmanach  der  Hexen  eben  so  zwie- 
spältig war,  als  der  christliche.  Diess  musste  auch  auf 
die  Walpurgisnacht  Anwendung  finden.  Zwar  geht  die 
grosse  Ausfahrt  bei  Katholiken ,  wie  bei  Lutheranern  no- 
minell am  I .  Mai  vor  sich,  aber  bei  jenen  nach  dem  Gre- 
gorianischen,  bei  diesen  nach  dem  alten  Stile,  so  das^, 
die  Angaben  der  beiderseitigen  Prozessakten  mit  einander 
verglichen ,  in  dieser  Periode  der  Teufel  dasselbe  Fe>t 
zweimal  im  Jahre  begangen  haben  muss  *). 

*)  S.  Prätorius,  Geographischer  Bericht  vom  Blocksberg.     S.  .'a**. 


SECHSZEHNTES     KAPITEL. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe. 

a)    Der  Prozess.  —  Accusatorisches    und    inquisi- 
torisches Verfahren.  —  Sieg  des  Inquisitions- 
prozesses. •. 

Der  Hexenprozess  war  die  Fortsetzung  desjenigen 
prozessualischen  Verfahrens,  welches  die  Inquisition  —  als 
Inquisitionsprozess  —  zur  Aufspürung  und  Bestrafung  der 
Ketzer  aufgebracht  hatte.  Dieses  ist  zur  richtigen  Beur- 
theilung  der  eigenthümlichen  Natur  des  Hexenprozesses 
vor  Allem  zu  beachten. 

Die  richterliche  Competenz  zum  Hexenprozess  be- 
treffend ist  die  Zauberei  nach  dem  Malleus  maleficarum, 
Delrio  und  andern  katholischen  Auctoritäten  ein  crimen 
fori  mixti :  sie  gehört  sowohl  vor  den  geistlichen,  als  vor 
den  weltlichen  Richter  —  vor  jenen,  weil  am  Glauben  ge- 
frevelt ist,  vor  diesen  wegen  der  an  Menschen  und  Eigen- 
thum  begangenen  Missethaten.  Der  weltliche  Richter  darf 
selbstständig  die  Todesstrafe  verhängen,  ist  jedoch  zur 
Vollziehung  derselben  nicht  befugt,  so  lange  die  Kirche 
nicht  auch  ihrerseits  über  Schuld  und  Busse  erkannt  hat ; 
er  ist  überhaupt  verpflichtet,  auf  die  erste  Aufforderung 
den  Angeklagten  an  das  geistliche  Gericht  abzuliefern  und 
dessen  Spruch  zu  erwarten.  In  der  Regel  verfolgt  die 
Kirche  den  Prozess  und  übergibt  dann  den  Verurtheilten 


1 


328  Sechszehntes  Kapitel. 

dem  weltlichen  Arme;  denn:  Judicis  ecclesiastid  est  cog- 
noscere  et  judicare,  et  judicis  saecularis  exequi  et  punire, 
ubi  sententia  transit  ad  vindictam  sanguinis,  secus  ubi  ad 
alias  poenas  poenitentiales. 

Was  nun  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  anbelangt,  so 
stand  diese  nach  der  Bulle  von  Innocenz  YIII,  hinstcfatUch 
des  Zauberwesens  den  Inquisitoren  besonders  zu;  doch 
haben  wir  bereits  oben  gesehen,  wie  die  Verfasser  des 
Malleus  mit  schlauer  Politik  die  der  Inquisition  niemals 
holden  Bischöfe  Deutschlands  und  selbst  die  weltlichen 
Gerichte  scheinbar  in  den  Vordergrund  der  Competenz 
vorschoben,  wahrend  ihnen  selbst  in  ihrer  bescheidenen 
Zurückgezogenheit  zugleich  mit  der  leiblichen  Sicherheit 
auch  die  Befugniss  blieb,  eine  anhängige  Sache  nach  Be- 
lieben an  sich  zu  ziehen  und  zu  Ende  zu  fuhren '). 

Diese  Ueberordnung  der  geistlichen  Grerichte  wurde 
jedoch  von  den  weltlichen  in  Deutschland  nicht  anerkannt; 
diese  behaupteten,  dass  zwischen  ihnen  und  der  geistlichen 
Behörde  in  den  einzelnen  Fällen  die  Prävention  entscheide. 
Hiermit  drangen  sie  jedoch  im  Anfang  nicht  durch;  viel- 
mehr wurden  sie,  wie  aus  den  Beschwerden  der  deutschen 
Nation  von  1522  erhellt,  hin  \md  wieder  von  den  Geist- 
lichen ganz  und  gar  vom  Erkennen  über  Zauberei  ausge* 
schlössen  *). 

Noch  im  Jahre  151 9  finden  wir  einen  Inquisitor  haere- 
ticae  pravitatis  zu  Metz  mit  Hexenverfolgung  beschäftigt 


1)  Pegna  (in  der  zweiten  Hälfte  des  sechszehnten  Jabrh.)  erkJlrt  den  In- 
quisitor  fOr  berechtigt,  jeden  Augenblick  die  Auslieferung  des  Inquithea  oder 
Akteneinsicht  vom  weltlichen  Richter  tu  begehren;  auch  dOrfe  er  gegen  die 
Zauberer  allein  verfahren,  doch  sei  es  sicherer  und  schicklicher,  den 
Diöcesanbischof  hinzuzuziehen.  (Paralipom.  ad  Bemard,  Comens.  addend.  im 
Mall,  malefic. 

■)  «Und  wiewol  nach  vermag  der  Recht,  öffentlich  Meineyd,  Ehehfruch, 
Za  u  b  erey  und  dergleichen,  geistlich  und  weltlich  Richter,  welcher  che  komoit. 
je  zu  Zeiten  bOrgerlich  «u  straffen,  und  also  praeventio  statt  haben,  so  unter» 
stehen  sich  doch  die  geistlichen  Richter,  solch  Straff,  wider  Recht,  allrtn  ßr 
sich  zu  ziehen :  das  dann  weltlicher  Oberkeit  auch  hoch  beschwerlich  und  un- 
leydentlich  ist.-  Des  Heil.  R^m.  Reichs  StÄnd  Beschwerden  etc.  Nr.  70 
GoUast.  Imp.  Const.  Tom.  IV.  Q.  II.  p.  71. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^2Q 

Als  später  die  Inquisition  in  den  deutschen  Ländern  durch 
die  mächtigen  Fortschritte  der  Reformation  ausser  Thätig^ 
keit  gesetzt  wurde,  zogen  in  katholischen,  wie  in  prote- 
stantischen Gebieten  die  weltlichen  Gerichte  das  Verbrechen 
der  Zauberei  ausschliesslich  vor  ihr  Forum  i),  eben  so  in 
Frankreich,  England,  Schweden  und  andern  Ländern,  wo 
das  Uebel  erst  später  in  grosserer  Ausdehnung  erscheint. 
Hier  und  da  werden,  wahrscheinlich  weü  die  Schwierig- 
keit der  Sache  ganz  besondere  Befahigimg  des  Richters 
erheischte,  Specialcommissionen  (sogenannte  Hexencom- 
missäre)  axigetroSexi,  In  den  Amtsbezirken  der  Grafschaft 
Spohheim  waren  im  siebenzehnten  Jahrhundert  sogenannte 
Hexenausschüsse,  deren  Aufgabe  es  war,  die  Hexen 
tmd  Zauberer  aufzuspüren  imd  zur  Anzeige  zu  bringen. 
Da  die  Mitglieder  dieser  Ausschüsse  für  die  Anzeige  und 
Anklage  der  Hexen  sowie  für  deren  Bewachimg  während 
der  Haft  aus  dem  Vermögen  derselben  eine  reiche  Ver- 
gütimg empfingen,  so  suchten  sie  natürlich  auch  überall 
Hexen  und   Zauberer    aufzuspüren*).  —    Aehnliche   Aus- 


*)  Doch  sagt  noch  Bins/e/ä,  welcher  1589  schrieb :  In  aliquibus  tarnen 
lods  inquirtmtur  (sagae)  ab  ecclesiasticis  et  post  cognitionem  traduntur  brachio 
saecuUri,  sicut  in  crimine  haereseos  fieri  consuevit.  Xract.  de  confess.  male- 
ficorum  et  sagarum  pag.  127. 

*)  Von  diesem  Gedanken  (des  crimen  exceptum)  war  zu  allen  Zelten  das 
Verfahren  des  Hexenprozesses  durchaus  beherrscht.  Der  Franzose  ^can  Bodin 
(t  1597)  sagt  in  seiner  (l579  zu  Paris  erschienenen)  Schrift  De  magorum  dae- 
monomania  B.  IV.  Kap.  3  von  dem  Verbrechen  der  Zauberei :  In  hoc  super 
alia  tarn  turpi,  tarn  horrendo  et  detestando,  onmique  parricidio  detestabiliori, 
in  quo  tarn  difficiles  sunt  probationes  tamque  abdita  scelera,  ut  e  roillenis  vix 
unus  merito  supplicio  affici  possit,  nihil  necesse  est  religiöse  haerere  regulis 
procedendi,  sed  extra  ordinem  oportet  fieri  iudicium,  diversa  a  ceteris  crimini- 
bus  ratione.  —  Dasselbe  erMärt  1590  der  Stadtschreiber /iw/ -^y^r  zu  Nörd- 
liogen  in  einem  ihm  vom  Magistrat  abverlangten  Rechtsgutachten,  worin  er 
ausführt:  dass  es  allerdings  sonst  wohl  bedenklich  sei,  auf  blosses  Angeben 
anderer  Gefangenen  gegen  Jemanden  peinlich  zu  procediren ,  aber  bei  so 
schrecklicher  That  als  die  Zauberei  sei  es  ein  probater  Grund  nach  den  be- 
zQchtigten  Personen  zu  greifen  und  sie  der  peinlichen  Frage  zu  unterziehen. 
Denn  das  Unholdenwerk  werde  für  gewöhnlich  bei  Nacht  in  der  Finstemi^s 
geübt  und  könne  daher  nur  durch  heilsame  Tortur  ans  Licht  gebracht  werden. 
—  Ganz    dasselbe    sagen  Delrio    (in   den    Disquisitiones    magicae    von    1599, 


^^O  SecUszelintcs  Kapitel. 

Schüsse    und    Commissionen    bestanden    auch    in    anderen 
Ländern. 

Es  lag  in  der  Natur  der  Sache,  dass,  bei  der  steten 
Beziehung  der  Hexerei  auf  theologische  Fragen,  der  Geist- 
lichkeit auch  da,  wo  ihr  die  richterliche  Entscheidung  ent- 
zogen war,  ein  gewisser  Einfluss  blieb.  Der  Beichtvater 
oder  Seelsorger  war  zuweilen  in  stetem  Rapport  mit  dem 
weltlichen  Inquirenten.  So  fand  sich  z.  B,  in  einem  burg- 
friedbergischen  Prozesse  von  1665  der  protestantische  In- 
spektor fast  Tag  für  Tag  in  dem  Kerker  einer  Inquisiän 
ein,  bestürmte  sie  mit  Schrecken  und  Hoffnung,  und  ar- 
beitete dem  Richter  vor,  indem  er  Geständnisse  erwirkte 
und  neue  Indicien  eruirte.  Sein  den  Gerichtsakten  fast 
immer  um  einen  Schritt  vorauslaufendes  Privatprotokoll 
wurde  dem  Richter  regelmässig  communicirt  und,  als  zu- 
letzt die  Akten  an  die  Juristenfakultät  zu  Strassburg  ver- 
sendet wurden,  denselben  beigelegt.  Die  Fakultät  belobte 
den  Eifer  des  Mannes  und  drückte  den  frommen  Wunsch 
aus,  dass  überall  beide  brachia  in  dieser  Weise  zur  Aus- 
rottung des  Hexenlasters  „cooperiren"  möchten.  —  Jesui- 
tische Beichtväter  zu  Würzburg,  Bamberg  und  anderwärts 
haben  an  die  Gerichte  stets  berichtet,  ob  die  Verurtheilten 
hinsichtlich  der  denuncirten  Mitschuldigen  bis  zum  letzten 
Augenblick  bei  ihren  Angaben  geblieben  sind,  oder  nicht; 
und  von  diesen  Berichten  hing  die  Verbreitung  oder  Be- 
schränkung einer  Verfolgung  wesentlich  ab.  —  In  der 
evangelischen  Kirche  trat  in  der  Regel  der  Verkehr  der 
Seelsorger  mit  den  Angeklagten  erst  ein,  wenn  über  die- 
selben dcLs  „Schuldig"  bereits  ausgesprochen  war.  Indessen 
sind    zahllose  Hexen    verbrannt  worden,   ohne  vom  Tage 


Lib.  V.  Sect.  I.)  und  Carpzov ,  und  mit  Berufung  auf  CarpK>v*s  Autoritit 
viele  Andere,  z.  B.  Nicolaus  von  Beckmann  in  seiner  Idea  iuris  (S.  426  IT.). 
wo  derselbe  klar  su  machen  sucht,  dass  man  es  im  Punkte  der  Hexerei  niit 
den  Torturalanzeigen  ja  nicht  so  genau  nehmen  möge,  als  dieses  sonst  wohl 
in  Criminalsachen  geschehen  müsse,  quoniam  impossibile  alioquin  forel,  ttUam 
»agam  in  tarn  occultis  delictis  plene  convincere  et  per  consequens  pro  rvi- 
publicae  securitate  condit(ne  punire.  —  Vgl.  «Annalen  der  deutschen  und  aus- 
ländischen Criminal-Kechtspflege*  von  Hitzig  \iTk^  Demme,   1843,  S,  3i>b— 3lo. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  221 

ihrer  Einziehung  an  einen  Geistlichen  gesehen  zu  haben. 
In  unzähligen  anderen  Fällen  haben  sich  die  Geistlichen 
der  Verhafteten  angenommen,  auf  eine  humanere  Behand- 
lung derselben  hingewirkt,  die  Nichtigkeit  der  gegen  die 
Angeklagten  vorgebrachten  Indizien  und  Zeugenaussagen 
nachgewiesen  und  überhaupt  der  Hexenverfolgung  ent- 
gegengearbeitet. Man  vgl.  z.  B.  Pfaff s  Berichterstattung 
über  die  zu  Esslingen  vorgekommenen  Hexenprozesse  ^), 
sowie  die  (weiter  unten*  mitzutheilenden)  Kimdgebungen 
der  hessischen  Prediger  auf  den  Generalsynoden  Gesammt- 
hessens  in  den  Jahren  1568 — 1582.  Es  Hess  sich  eine 
grosse  Anzahl  von  Orten  nachweisen,  in  denen  darüber 
die  Geistlichen  mit  den  Behörden  und  Gerichten  in  fort- 
währendem Kampfe  lagen.  Die  scheussliche  Brennerei 
zu  Nördlingen  ward  1590  trotz  der  beiden  Strafpredigten 
begonnen,  in  denen  darüber  der  dasige  Superintendent  den 
Magistrat  öffentlich  abkanzelte.  Noch  im  Jahr  1674  er- 
kühnte sich  sogar  der  Amtmann  zu  Tambach  in  einem  an 
den  Herzog  zu  Gotha  erstatteten  Bericht  es  auszusprechen, 
dass  man  die  Geistlichen  von  jeder  Einwirkung  auf  die 
Hexenprozesse  (z.  B.  durch  Einziehung  von  Zeugnissen 
über  die  Inhaftirten)  fem  halten  müsse,  indem  sie  den- 
selben nur  allzugern  die  günstigsten  Zeugnisse  zu  geben 
und  sogar  auf  die  Zeugen  einzuwirken  pflegten,  wesshalb 
man  fernerhin  in  Inquisitionssachen  „vorsichtiger"  (d.  h. 
brutaler,  teuflischer)  vorgehen  müsse.  Denn,  fahrt  der 
Amtmann  fort,  ich  habe  auch  in  Nachdenken  und  Be- 
trachtung gezogen,  dass  die  Geistlichen,  weil  sie  zum  Theil 
gern  nach  dem  Aeusserlichen  judiziren  (welches  bei  so- 
thanen,  des  Satanas,  heimlichen  verborgenem  Reich,  da 
die  Heuchelei  und  Gleisnerei  sehr  gross,  und  wie  man  all- 
hier  genugsam  erfahren,  solche  Hexenleute  mit  Kir- 
chengehen, Singen,  Beten,  Niessung  des  heil. 
Abendmahls  die  fleissigsten  und  sonst  dem  Näch- 


')  In  der  Zeit&chr.  für  deutsche  Kulturgesch.  1856.  —  Auch  was  Back 
in  der  Schrift  «die  evangelische  Kirche  im  Lande  zwischen  Rhein,  Mosel, 
Nahe  etc.  B.  HI.  S.  360  über  das  ehrenwerthe  Verhalten  so  vieler  Geistlichen 
den  Hexenprozessen  gegenüber  urkundlich  mittheilt. 


^j2  Sechszehntes  Kapitel. 

sten  ganz  gern  behülflich  seien  (Ml),  sich  nicht  thun 
lassen  will),  auch  davon  nichts  wissen  wollen,  dass 
sie  dergleichen  Zuhörer  in  ihren  anvertrauten 
Kirchen  haben,  solche  gute  Zeugnisse  ausstellen, 
welche  hernach  den  Prozess  in  dem  Curs  heilsamer  Justiz 
hindern  und  hemmen,  zimialen  wenn  es  zur  Defension 
kommt  *). 

Für  den  ganzen  Charakter  des  Hexenprozesses  waren 
nun  vor  Allem  zwei  Dinge  von  maassgebender  Bedeutung: 
i)  die  Auffassung  der  Hexerei  als  ein  crimen  exceptum 
imd  2)  die  Verdrängung  des  Accusationsproz^sses  durch 
den  Inquisitionsprozess. 

Man  theilte  nämlich  —  was  das  Erstere  betrifft  — 
alle  Verbrechen  in  crimina  ordinaria  und  in  crimina  ex- 
cepta  ein.  Zu  den  letzteren  rechnete  man:  Alajestäts- 
beleidigung,  Hochverrath,  Falschmünzerei,  Strassen-  und 
Seeraub,  Ketzerei  imd  Hexerei.  Zur  Verfolgung  dieser 
„ausserordentlichen"  Verbrechen  muss  der  Richter  noth- 
wendig  auch  mit  ausserordentlichen  Vollmachten  versehen 
sein,  wesshalb  er  an  den  gewohnlichen  Prozessgang  nicht 
gebunden  sein  kann.   „In  his  ordo  est,  ordinem  non  servare/' 

Aber  die  Hexerei  ist  nicht  bloss  ein  crimen  exceptum, 
sondern  sie  hat  unter  den  ausserordentlichen  Verbrechen 
noch  einen  ganz  besondem  ausserordentlichen  Charakter. 
Sie  wird  ausgeübt  mit  den  Mächten  der-Finstemiss  in 
tiefster  Verborgenheit,   und    wird   die  Hexe   wegen  ihrer 


^)  Dieses  Ehrenzeugniss ,  welches  der  AmtiDann  tu  Tambach  (olme  m 
wissen,  was  er  that)  den  Geistlichen  (zunächst  Thüringens)  bei  dem  Henoe 
von  Gotha  ausgestellt  hat,  findet  sich  abgedruckt  in  IIittig*s  Annalen,  B.  XXVI. 
S.  80 — 81.  —  Der  in  der  Geschichte  der  Hexenproeesse  sehr  kundige  A".  F- 
Koppen  sagt  in  seiner  Abhandlung  Ober  die  Hexenprozesse  (in  WigOMS* 
Vierteljahrsschrift,  B.  II.  S.  51):  ,Es  sind  FÄlle  vorgekommen.  In  denfn 
gewissenhafte  Beichtvater  offenbare  Widersprüche  und  Fehler  in  den  Prt^o> 
kollen  nachwiesen  —  und  was  thaten  die  Richter  ?  Sie  untersagten  den  Geist- 
liehen,  die  Gefangenen  ferner  zu  besuchen  und  Hessen  diese  eiligst  mit  dem 
Schwerte  hinrichten.  Und  warum  das  ?  Sie  wollten  die  Schande  nicht  habco. 
eine  Unschuldige  gefoltert  und  verurtheiit  zu  haben."  —  Nur  für  Calvm  un«! 
die  puritanischen  Geistlichen  war  der  Fanatismus  der  Hexen verfolgting  charak* 
terislisch. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^33 

Malefizien  zur  Untersuchung  gezogen,  so  steht  ihr  der 
Vater  der  Lüge  zur  Seite,  lehrt  sie  leugnen  und  lügen, 
verhärtet  sie  gegen  den  Schmerz,  verblendet  die  Augen 
der  Richter,  verwirrt  das  Gedächtniss  und  die  Gedanken 
der  Zeugen  etc.  Daher  hat  der  Richter  im  Hexenprozess 
eine  Aufgabe  zu  lösen,  wie  in  keinem  anderen  Criminal- 
prozess:  Er  hat  während  der  ganzen  Untersuchung  einen 
beständigen  Kampf  mit  dem  Teufel  zu  bestehen,  den  zu 
überlisten  imd  zu  bezwingen  er  bestrebt  sein  muss,  was 
nur  durch  ganz  ausserordentliche  Inquisitionsmittel  mög- 
lich ist  ^). 

Das  Alles  hatte  man  im  Auge,  indem  man  die  Hexerei 
ein  crimen  exceptum  nannte,  welches  (wie  Carpzov  sagte) 
ein  ganz  eigenartiges  crimen  atrox,  ja  atrocissimum  sei  ^) ; 
denn  in  ihr  vereinigen  sich  Ketzerei,  Apostasie,  Sacri- 
legium,  Blasphemie  und  Sodomie.  Darum  verjährt  die 
Schuld  der  Ketzerei  niemals  und  die  Untersuchung  und 
Bestrafung  kann  (an  der  auszugrabenden  Leiche)  selbst 
noch  nach  dem  Tode  des  Angeklagten  (durch  Verbrennung) 
stattfinden  *). 

Die  Verdrängung  des  Accusations-  durch  den  Inqui- 
sitionsprozess  erfolgte  zwar  nur  allmählich,  aber  doch  ver- 
hältnissmässig  ziemlich  rasch,  imd  zwar  z\mächst  in  Folge 
der  überaus  bedeutenden  Theilnahme  der  Geistlichen  an 
der  Rechtspflege  bis  in  die  Zeit  der  Reformation  hinein.  In 
Deutschland  wusste  man  es  bis  dahin  nicht  anders,  als 
dass  die  Rechtspflege  eine  offene  und  öffentliche  vor  den 
Volksgenossen  sein  müsse,    vor    denen    ein  Ankläger  die 


*)  Vgl.  die  vortreffliche  Charakterisirung  des  Hexenprozesses  von  K,  F, 
Koppen  in  «WIgand's  Vieneljahrsschrift/  B.  II.  S.  27  ff. 

*)  Ucber  den  Einfluss,  den  der  Klerus,  bis  zum  Erscheinen  der  Carolina 
hin  auf  die  deutsche  Rechtspflege  und  deren  allmähliche  Umbildung  ausübte, 
vgl.  Dreyer's  Sammlung  vermischter  Abb.  B.  II.  (Rostock  und  Wismar  1756) 
in  Nr.  I.  §.  4,  Note  17. 

•)  Imo  et  post  mortem  ratione  haeresis  poterit  ad  versus  eos  (magos)  in- 
quisilio  institui  et  eorum  cadavera  exhumari  et  comburi.  Sed  non  citatur 
reus.  sed  haeredes,  et  sententia  fertur  in  memoria m  ejus,  ne  in  mortuum  directe 
feratur  et  ob  id  esset  nulla.     Torreblanca  Daemon.  111.  y. 


334  Sechszehntes  Kapitel. 

als  Schuldige  Anzusehenden  zur  Anzeige  zu  bringen  habe. 
Die  Geistlichen  aber  waren  längst  an  den  canonistischen 
Inquisitionsprozess  gewohnt,  wesshalb  sie  denselben  auch 
alsbald  in  der  Hexen  Verfolgung  zur 'Geltung  zu  bringen 
wussten,  und  zwar  mit  solchem  Erfolge,  dass  auch  die 
protestantischen  Gerichte  allmählich  ihrem  Vorgange 
folgten.  Schon  gegen  das  Ende  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts behandelten  juristische  Schriftsteller  den  Inqui- 
sitionsprozess als  ein  in  subsidium  anwendbares  Gerichts- 
verfahren, und  als  einen  in  der  Praxis  selbst  der  welt- 
lichen Gerichte  bereits  anerkannten  modus  procedendi 
extraordinarius,  „so  kein  Ankläger  vorhanden"  *). 

Allerdings  war  der  Anklageprozess  in  der  Hexen- 
verfolgung nicht  gänzlich  ausgeschlossen ;  allein  der  inqui- 
sitorische war  von  Anfang  an  vorgezogen  und  besonders 
empfohlen.  Man  erwog  hierbei  die  Schwierigkeit  auf  dem 
Wege  des  Accusationsverfahrens  Hexen  aufzuspüren,  die 
missliche  Stellung  des  Anklägers,  der  Caution  leisten 
musste,  sich  zum  Beweise  verpflichtete  und  im  Falle,  dass 
er  diesen  nicht  führen  konnte,  der  poena  talionis  unterlag, 
während  der  Denunciant  oder  der  von  Amtswegen  ein- 
schreitende Richter  fast  ganz  ohne  Gefahr  handelte  *).  Zwar 
war  noch  in  der  Peinlichen  Gerichtsordnung  des  Reichs, 
in  der  Carolina,  der  accusatorische  Prozess  als  die  ordent- 
liche Form  des  Gerichtsverfahrens  bestätigt  worden ;  allein 
alle  die  heilsamen  Formen  des  Prozesses,  die  im  allen 
Rechte  begründet  waren,  schwanden  doch  allmählich  da- 
hin. Die  Schöffenverfassung  bestand  noch,  löste  sich  je- 
doch allmählich  fast  ganz  auf;  nur  hier  und  da  erhielten 
sich  auch  im  Hexenprozess  Reste  der  alten  Volksgerichte, 
wogegen  es  üblich  wurde,  die  Prozessakten  juristischen 
Fakultäten  oder  Schöppenstühlen  ^)  zur  Prüfung  und  Be- 
schlussfassung zuzusenden.    Die  OeflFentlichkeit  und  Mund- 


*)  Bientr,  Beitriige  zur  Gesch.  des  lnqui.sitionsprozes.se.>.  S.   145  ff. 

»)  Mall,  inalef.  Hart.  lU.  Qu.   l. 

•)  Von  der  Thätigkejt  des  Schfippenstuhls  zu  Leipzig  leugen  die  l«"» 
Curfun'  (Nov.  Pnict.  rer.  criniin.  H.  I.  Qu.  f»0^  Ueleuweise  annezo^nen  l'- 
tluMle.     Sie  reichen  von    1582 — 1622. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  335 

lichkeit  war  längst  aus  den  Gerichtsstuben  verschwunden, 
in    denen  man   jetzt  die  sorgfaltigsten  Protokolle  anlegte. 

Das  Beweis  verfahren  im  ICriminalprozess  wurde 
jetzt  auch  ein  wesentlich  anderes. 

Im  Mittelalter  hatte  man  im  Beweisverfahren  zwischen 
handhafter  und  übernächtiger  That  unterschieden.  Bei 
Hexen  konnte  es  nun  natürlich  zum  Prozess  auf  handhafte 
That  nicht  leicht  kommen,  —  weil  es  nicht  möglich  war 
eine  Hexe  mit  ihren  Malefizien  auf  frischer  That  zu  er- 
tappen. Im  Prozesse  auf  übernächtige  That  war  aber  der 
Unschuldige,  wenn  er  in  gutem  Rufe  stand  und  das  Ver- 
trauen und  Wohlwollen  der  „Nachbarn"  besass,  insofern 
in  ganz  günstiger  Lage,  als  er  sich  durch  seinen  Eid  los- 
schwören konnte.  Waren  nämlich  dabei  auch  nach  man- 
chen Statuten  Eidhelfer  nöthig,  welche  mit  ihrem  Eide 
ihren  Glauben  an  die  Wahrhaftigkeit  des  Angeklagten 
und  seines  Eides  bezeugen,  mussten ,  so  fand  ein  solcher 
Angeklagter  die  Zahl  der  nöthigen  Eidhelfer  ohne  Noth 
zusammen.  Dieses  ganze  Verfahren  wurde  jedoch  vom 
Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  an  durch  eine  ganz 
neue  Prozedur  verdrängt.  Die  Gerichte  begannen  nämlich, 
indem  sie,  zum  Theil  auf  kaiserliche  Privilegien  gestützt, 
nach  dem  Vorgange  der  geistlichen  Gerichte  ex  officio 
einschritten,  das  alte  Beweissystem  zu  verlassen  und 
Alles  (neben  der  Zeugenaussage)  vom  Geständniss 
der  Angeschuldigten  abhängig  zu  machen  welches  Ge- 
ständnisse man  nun  durch  alle  nur  mögliche  Mittel  herbei- 
zuführen suchte.  Als  Hauptmittel  hierzu  wurde  (wieder 
nach  dem  Vorgange  der  geistlichen  Gerichte,  welcher  zu- 
nächst die  italienische  Praxis  gefolgt  war)  die  Folter 
erkoren,  was  nach  und  nach  durch  die  Landesgesetze  und 
im  sechszehnten  Jahrhundert  auch  durch  die  Reichsgesetz- 
gebung, die  peinliche  Gerichtsordnung  Karls  V.  bestätigt 
ward  ^), 

Mit    der    Einführung   dieses    ganz    neuen    Beweisver- 


*)  V.   Wächter f  Beiträge  zur  deutschen  Geschichte,  insbesondere  zur  Gesch. 
des  deutschen  Strafrechts,  S.  97  ff. 


•3^6  Sechszehntes  Kapitel. 

fahrens  wurde  nun  der  Sieg  des.Inquisitiousproze^es  üb«' 
das  Anklageverfahren  erst  recht  befestigt,  -     .  / 

Späterhin  sehen  wir  in  vielen  Territpriejx  PeU(t$4;}iland6 
im  Hexenprozess .  (wije  überhaupt  im:KriminalprQzes6)  esii 
Institut  hervortreten,  welches  dejn,»  Gerichtsvorfahiren  we- 
nigstens die  Form  4^^  Anklageprozesses  ,wie4^au£^beii 
schien.  Es  war  dieses  das  Fiscalat,  ia  dev^  prooes^]» 
mixtus.  In  vielen  deuijschßn  Landen, (nam^utiich  ipn  Kuf* 
brandenburg)  wurde  nämlich  ein  Fiscab(Advoc^t^s  s-,  Com» 
missarius  iisci)  bestellt,  welcher  durch  Abfasfiwg  ^ines 
Klaglibells  den  ProzQgs  zu  eröffnen  und  durch  dep  gamcn 
Lauf  der  Verhandlungjen  hin  an  demselben. thei}^uiieh0ieo 
hatte  *).  Dabei  blieb  aber  doch  der  Inquisitioa^^o^ess, 
was  er  im  Unterschiede  vom  Anklageprozess  war.  De/ 
Sache  nach  verdrängte  der  Inquisitionsprozess,  der  den 
Angeklagten  ganz  der  Willkür  des  Untersuchmigsricfaters 
preisgab,  den  Accusationsprozess  gänzlich  und  liess  nur 
hier  und  da  einige  nichtssagende  Formen  desselben  übrig, 
bis  auch  diese  zuletzt  verschwanden  *).  Schon  Delrio  be- 
zeichnet jenen  als  den  gewö^inüchen  (ordinarium)  in  Hexen- 
sachen ^,  und  Carpzov  rechtfertigt  ihn  als  solchen  für  dieses, 
wie  für  alle  schwereren  und  verborgenen  Verbrechen*). 

Doch  liegen  uns  zwei  Hexenprozesse  aus  der  rom 
Herzogthum  Luxemburg  (und  zwar  nachmals  zu  dem  östär- 
reichischen  Antheil  an  demselben)  gehörigen  Herrschaft 
Neuerburg,  und  zwar  aus  den  Jahren  1629 — *63*  ^^^^^ 
in    denen   der  Accusationsprozess   vorherrscht  *)•  •  In  dem 


*)  Ueber  die  Fiscalate  vgl.  MtisUr,  Einleitung  in  die  peiaL  Kccfal*» 
gelehrs.  Theil  I.,  S.  193  ff.;  Hefter  im  Archiv  des  Kriminalrechts.  1&45, 
S.  600  ff.  und  Orthff  in  der  Zeitschr.  fQr  deutsches  Recht.  Bd.  XVI..  S.  307  «• 

')  Wenn  der  Ankläger  sein  Libell  einreichte,  so  befand  sich  der  Be- 
schuldigte gewöhnlich  schon  in  Haft  und  war  einer  tumuUuarischen  und  ce* 
waltsamen  Voruntersuchung  unterworfen  worden,  und  die  Klageschrift  ^^ 
dann  oft  grossentheils  aus  den  so  erpresstt^n  Geständnissen  conatruirt,  auf  welche 
man  sich  denn  auch  ausdrficklich  bezog. 

•j  Delrio  Lib.  V.  sect.  2. 

*)  Nov.  Pract.  rcr.  crim.  Part.  III.  Quaest.  103.  50  u.  Qu.   107. 

*)  Vgl,  Schütter ^  .Zauberei  und  Hexenproiesse*  in  Hiixig's  und  Dcmmt 
Annalen,  B.   16.  S.  236  —  253. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^^y 

ersten  dieser  Prozesse  tritt  als  Kläger  ex  officio  der  Amt- 
mann zu  Neuerburg  auf,  welcher  am  24.  Oktober  1629  vor 
Schultheiss  und  Gericht  daselbst  erklärt,  dass  des  Pastors 
Magd  „von   vielen  Jahren  des  abscheulichen  Lasters  der 
Zauberei   in  grossem  Verdacht  imd  Argwohn  nicht  allein 
per  rumorem  vulgi  gewesen,  sondern  auch  jüngsthin  von 
Stephan  Claussen  eines  solchen  denunzirt  und  besagt  wor- 
den sei."    Hierauf  wird  folgendes  Dekret  gegeben:  „Nach 
Verhör  ex   officio  Klägers  und  beschehenem  Begehr  er- 
nennen Schultheiss  und  Gericht  zu  Neuerburg  Herrn  Klä- 
gern Tag  gegen  Morgen  den   25.  dieses."    An  dem  an- 
beraumten Tage  produzirt  sodann  Kläger   einen  Zeugen, 
„begpehrend  selbigen  mediante  iuramento  über  mündlichen 
Vermess    zu   examiniren."     Dieses   geschieht   hinsichtlich 
dieses,  wie  an  den  beiden  folgenden  Tagen  mit  mehreren 
anderen  Zeugen,    nachdem   Kläger   jedesmal   um   „Conti- 
nuation"    angehalten   hat   und   darauf  solche   beschlossen 
worden  ist.  —  Bei  dem  zweiten  Prozess  tritt  der  Kläger, 
ein  Privatmann,   nicht  ex  officio  auf,  sondern  er  hat  sich 
„aus  Eifer  der  Gerechtigkeit"  vorgenommen,  als  „Formal- 
kläger" gegen   die  Inquisitin   sich   darzustellen.     Zu   dem 
Ende  muss  er  aber  nicht  nur  zwei  Bürgen  „setzen",  son- 
dern auch  mit  einem  leiblichen  Eid  beschwören,    dass  er 
diese  Handlung  „aus  keiner  anderen  Meinung,  denn  allein 
aus  purem  Eifer  der  Gerechtigkeit,  ohne  einigen  verbotenen 
Anhang,  durch  eigene  Bewegtiiss  sich  vorgenommen  habe", 
worauf  ihm  erst  ein  Tag  zur  Anstellung  der  Information 
„präfixirt"  wird.  —  Ja  selbst  in  weit  späterer  Zeit  finden 
sich  vereinzelte  Beispiele  vom  Gebrauche  der  alten  Prozess- 
formen  vor.    Die  burg-friedberg^sche  Obrigkeit  musste  sich 
noch  1666    von  den  strassburger  Juristen  die  Bemerkung 
machen  lassen,   dass   sie   sich  dadurch   in  Verlegenheiten 
gestürzt  habe,  die  auf  dem  Inquisitionswege  leicht  zu  um- 
gehen gewesen  wären  *). 


*)  Das  Aktenstück  befindet  sich  im  Hofgerichts- Archive  zu  Giessen. 
Soldan-Heppe^  Hexenprozesse.  ^^ 


l 


2  9g  Sechszehntes  Kapitel. 

An   ein  geordnetes  Vorschreiten  war  weder  auf  dem 
einen,  noch  auf  dem  andern  Wegfe  zu  denken.    Sehr  hädig 
sprang  man  von  diesem  auf  jenen  über,    und  umgekehrt. 
So   verfuhr   der  Dominikaner  Savini    mit   allen  Chicanen 
des  Ketzerrichters  gegen  ein  Weib  zu  Metz,  nachdem  die 
Privatankläger  desselben   ihn   durch  Bewirthung  und  Ge- 
schenke  in   ihr   Interesse   gezogen    hatten  ^).     Deutlicher 
noch  springt  diese  Vermengung  in  folgendem  Falle  her- 
vor.   Im  Mai  1 576  erschien  eine  Deputation  der  Gemeinde 
Feckelberg  vor  dem  Amtmann  zu  Wölfstein  in  der  Pfali 
und  erklärte,   dass  sie  beauftragt  sei,    ein  Weib  aus -dem 
Dorfe,  Katharine  Hensel,  der  Zauberei  förmlich  anzuklagen. 
Nach  geschehener  Erinnerung    an   die  Strafe  für  falsche 
Anklage  erklärte  sie   sich  weiter  bereit,  jede  Verantwor- 
tung zu  tragen,  und  bat  sofort  um  Einleitung  des  Prozesses. 
Der  Amtmann,   ein  Doktor  beider  Rechte,   Hess  sich  ein 
schriftliches  Verzeichniss  der  Punkte,  die  zu  solcher  Klage 
berechtigen  konnten,   einreichen  —  sie  betrafen  verschie- 
dene Behexungen  von  Menschen,  Kühen  und  Schweinen 
—  und  verfuhr  zuerst  auf  dem  Inquisitionswege,  erwirkte 
durch   die  Tortur  Geständnisse,  die  bald  widerrufen,  bald 
erneuert   wurden,    und  trat  hierauf  vor  dem   graflichen 
Malefizamte   als  Kläger   auf.     Das  Weib   wurde  im  Juli 
zum  Tode   verurtheilt,    widerrief  aber,   als  sie  zur  Richt- 
stätte gefuhrt  wurde,  so  entschieden,  dass  trotz  aller  Be- 
fehle des  Artitmanns  der  Scharfrichter  die  Exekution  ver- 
weigerte.    Hierauf  liess  sich   der  Pfalzgraf  Georg  Johann 
von  Veldenz  die  Akten  einschicken,  tmd  nach  langem  Hin* 
und  Wiederschreiben  war  die  Sache   so  verwickelt,  dass 
auf  seine  Anordnung  von  beiden  Theilen  ein  Schiedsgericht 
aus    drei    speyerischen    Rechtsgelehrten    ernannt    wurde, 
welches  am  27.  Februar  1580  sein  Urtheil  abgab.   Dieses 
lautete  dahin,  dass  die  seit  vier  Jahren  Eingekerkerte  sub 
cautione  fidejussoria   von   der  Instanz    zu  absolviren,   die 
Gemeinde  Feckelberg  aber  in  die  Kosten  zu  nehmen  sei. 


■)  Cornei.    Agrippai   a    Nettesh,    Epist.   II.    38,   39  u.  40.     Conir»  jun» 
tenorem  duplici  via,  accusationis  et  Inquisitionis,  contra  tpsam  processom  e»t. 


Das  gerichtliche  Vexfahren  und  die  Strafe.  ^iq 

Letzteres  geschah  mit  folgender  Motivirung:  „dagegen 
sich  die  Gemeine  zu  Feckelberg  nichts  zu  behelffen,  dass 
nicht  si^i  sondern  vielbemelter  fürstlicher  Rath  und  Ampt- 
man  die  Beklagtin  mit  peinlichem  Rechte  angelangt :  quia 
potest  tmiversitati  ex  consSio  Hippol)rt.  36  responderi :  ut 
maxime  ab initio  processum  sit  contra  ream  per  inquisitionem 
et  postmodum  via  ordinaria  accusationis,  tamen  illam  inquisi- 
tionem et  subsecutam  accusationem  non  fuisse  insitutam  ex 
miero  officio  judicis  et  motu  proprio,  sed  ad  instantiam  et  pe- 
titionem  dictae  universitatis.  Sciant  (inquiunt  Impp.  Gratian. 
Valentin,  et  Theodosius)  cimcti  accüsatores,  eam  se  rem 
deferre  in  publicam  notionem  debere,  quae  munita  sit  idoneis 
testibus,  vel  instructa  apertissimis  documentis  vel  indiciis 
ad  probationem  indubitatis  et  luce  clarioribus  expedita"  ^). 

Im  folgenden  Jahrhundert  galt  diese  Vermengxmg  der 
Prozessarten  in  Baiem,  Sachsen,  Württemberg  und  andern 
Ländern  bereits  als  etwas  durch  Gewohnheitsrecht  Ge- 
heiligtes.   Man  nannte  das  eine  Cumulation^). 

Hatte  man  nun  aber  auch  die  gewünschten  Geständ- 
nisse erpresst,  so  war  man  damit  noch  nicht  zum  letzten 
Ziele  gekommen,  auf  welches  der  Hexenrichter  hinarbeitete. 
Nach  der  Carolina  mussten  die  erpressten  Geständnisse, 
wenn  sie  gelten  sollten,  Thatsachen  enthalten,  welche  nicht 
lacht  ein  Unschuldiger  wissen  konnte,  und  die  angegebenen 
Umlstände  sollten  wahrscheinlich  sein  imd  nach  angestellten 
Nachforschungen  als  wahr  erfunden  werden.  Wie  war 
aber  bei  der  Zauberei  die  Feststellung  dieses  äusseren 
Thätbestandes,  des  sogen,  corpus  delicti  möglich?  Man 
half  sich  dabei  mit  den  willkürlichsten  Proceduren,  indem 
man  den  Verhafteten  eine  Reihe  von  Fragen  vorlegte,  auf 
die   nur    mit  Ja   oder  Nein  zu  antworten  war,   z.  B.  „Ob 


*)  Neue  Zusätze  zu  Johann  Weitr,  von  den  Hexen  und  Unholden,  in  der 
deutschen  Uebers.  der  Sehr.  De  praestigiis  daemonum,  S.  567  ff. 

*)  Modus  procedendi,  qui  observatur  hodiemis  temporibus,  est  quidani 
modus,  in  quo  potest  concurrere  mixtura  seu  cumulatio  utriusque  remedii, 
scilicet  ex  officio  et  ad  instantiam  partis ,  et  unum  *ab  altero  non  impeditnr, 
quinimo  multoties  concurrunt  denunciatio,  inquisitio  et  accusatio  in  eodem 
proccssu.     Ltib^  Consil.  p.  206. 


^^O  Sechszehntes  Kapitel. 

wahr,  dass  die  Angeklagte  an  einem  bestimmten  Tage  im 
Felde  gestanden  ?  Ob  wahr,  dass  sie  hierbei  eine  Hand  zum 
Himmel  ausgestreckt  oder  mit  der  Hand  gewinkt  habe? 
Ob  femer  wahr,  dass  damals  ein  Gewitter  ausgebrochen?*' 
Hatte  die  Angeklagte  diese  dsei  Fragen  bejahen  müssen, 
so  nahm  der  Richter  die  Thatsache  als  cöhstätirt  an,,  dass 
sie  auch  das  Unwetter  herbeigeführt  habe,  und  nun  folgte 
die  entscheidende  Frage:  „Ob  wahr,  dass  der  Teufel  sie 
veranlasst,  sich  selber  und  ihren  Mitmenschen  zum  Schaden 
das  Wetter  zu  machen?" 

Bezüglich  der  Bündnisse  und  Vermischungen  mit  dem 
Teufel,  der  Hexenfahrten,  Hess  sich  freilich  auch  nicht  ein- 
mal auf  diesem  Wege  der  Thatbestand  feststellen,  wess- 
halb  nach  der  sonst  herrschenden  juristischen  Ansicht  hier- 
bei nur  eine  gelindere  Strafe  eintreten  sollte.  Allein  bei 
den  Hexenprozessen  hielt  man  es  auf  Grund  der  Theorie 
von  dem  delictum  atrocissimum  et  occultum  anders.  Carp- 
z  o  w  z.  B.  erklärt  (Quaest.  49,  Nr.  60  ff.),  eine  andere  Ge- 
wissheit des  einbekannten  Verbrechens,  als  welche  man 
eben  haben  könne,  sei  nicht  erforderlich.  Bei  ver- 
borgenen und  schwer  nachweisbaren  Verbrechen  genüge 
es,  wenn  für  ihren  Thatbestand  die  Vermuthung  spreche, 
wesshalb  hier  eine  probatio  praesumptiva  et  conjecturata 
als  voll  und  genügend  gelten  müsse.  Aus  welchen  Ver- 
muthungen  und  Anzeigen  aber  die  Gewissheit  einer  voll- 
führten Hexerei  constatirt  werden  könne,  lasse  sich  nicht 
genau  bestimmen,  sondern  müsse  durchaus  der  Einsicht 
und  dem  Ermessen  des  Richters  überlassen  w^erden.  — 
Daher  war  noch  der  Professor  der  Jurisprudenz  zu  Tü- 
bingen und  Direktor  des  Konsistoriums  zu  Stuttgart  Wolf- 
gang Adam  Lauterbach  (t  1678)  der  Ansicht,  dass 
eine  Hexe  auf  ihr  blosses  Geständniss  hin  zum  Tode  ver- 
urtheilt  werden  könne,  auch  wenn  von  anderer  Seite  über 
den  objektiven  Thatbestand  gar  nichts  bekannt  sei ').   "Wie 


*)  Consil.  yurtd,  TuHngens,  1733.  Tom.  IV.  p.  I65.  In  cnmine  iöjIc- 
ficii  hoc  speciale  esse  dicitur.  ut  reus  confessus  condemnan  possit  ad  morteo- 
etiamsi    aliunde    de   crimine    non  constet.  —  quod   et    ipsi  verum  esse  exi»t>- 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^^i 

genau  oder  ungenau  man  aber  mit  der  Erhebung  des 
Faktischen,  auch  wq  es  unmittelbarer  Erforschung  zugäng- 
lich war,  zu  verfahren  pflegte,  davon  mögen  folgende  zwei 
Beispiele,  die  wir  aus.  einer  reic)ien  Fülle  herausgreifen, 
einci  Vorstellung  geben.  -         -    .. 

Eine  Magd  zu  Baden ,  die  an  einer  Armgeschwulst 
litt,  erinnerte  sich,  dass  kurz  zuvor  eine  Krämersfrau,  bei 
weichet  sie  Pfeffer  holte,  ihr  einige  Artigkeiten  wegen 
ihrer  schönen  Arme  gesagt  hatte.  Da  die  Frau  schon 
früher  einmal  zum  Verdruss  der  Obrigkeit  einem  gegen 
sie  eingeleiteten  Hexenprozess  sich  zu  entziehen  gewusst 
hatte,  so  ergriff  man  diese  (Gelegenheit,  sie  von  Neuem 
zu  verhaften.  Der  Ehemann  beschwerte  sich  hierauf  beim 
Kammergericht  wegen  Gewaltthätigkeit.  Das  badische 
Gericht  rechtfertigte  jedoch  seine  Befugniss  zu  peinlichem 
Vorschreiten  auf  Zauberei  aus  folgendem  Protokolle:  „Mat- 
thias Haug,  Burger  und  Balbirer  allhie  zu  Baden,  ist  be- 
fragt und  angehört  worden,  wie  er  diesen  Schaden  be- 
funden, :als  er  geschickht  worden,  selbigen  zu  besichtigen. 
—  Es  seye  nit  änderst  gewesen,  alss  wann  drey  Finger 
darein  getruckht  weren.  Inmasseri  die  mähler  noch  zu 
sehen  und  zu  erkhennen  geben.  Dahero  zu  besorgen,  ess 
möchten  drey  löcher  in  den  Arm  fallen  und  die  Schwind- 
sucht darzue  khommen.  Ihren  der  Magd  khönne  solliches 
natürlicher  Weiss  nit  geschehen  sein,  weilen  sie  zuvor 
nie  keinen  Schaden  daran  gehabt.  Liesse  es  also  auch 
darbey  bewenden"^). 

Fünf  bis  sechs  Weiber  zu  Lindheim,  erzählt  Horst*), 
wurden  entsetzlich  gemartert,  damit  sie  bekennen  sollten, 
ob  sie  nicht  auf  dem  Kirchhofe  des  Orts  ein  vor  Kurzem 
daselbst   verstorbenes    Kind    ausgegraben    und   zu    einem 


mamus.  Nam  in  delictis  occultis  et  difficilis  probationis  sufficit  de  eortttn 
corpore  constare  per  conjechiras.  Vgl.  auch  Carpzov,  N.  Pr.  er.  Part.  I. 
qu.  XLIX.  57  seq. 

*)  Aus  Originalakten  des  R.  K.  G,  rubric.  Weinhagen  contra  Wilhelm, 
Markgrafen  zu  Baden.     1628. 

*)  Zauber-Bibl.  Th.  II.  S.  374,  —  Ein  ähnliches  Beispiel  erzählt  Weng^ 
die  Hexenprozesse  der  ehemaligen  Reichsstadt  Nördlingen  von  1590—1594  S.  20. 


•9j^2  Sechszehntes  Kapitel. 

Hexenbrei  gekocht  hätten.  Sie  gestanden  dieses  g^than 
zu  haben.  Der  Gatte  einer  dieser  UnglückEchfen  brachte 
es  nun  allerdings  endlich  dahin,  dass  das  Grab  in  Gcgeti- 
wart  des  Ortsgeistlichen  und  mehrerer  Zeugen  geöfihet 
ward.  Man  fand  das  Kind  unversehrt  im  Sarge.  Der 
fanatische  Inquisitor  hielt  jedoch  den  imversehrten  Leich- 
nam für  eine  teuflische  Verblendimg  und  bestand  darauf, 
dass,  weil  sie  es  doch  Alle  eingestanden  hätten,  ihr  Ein- 
geständniss  mehr  gelten  müsse,  als  der  Augenschein,  und 
man  müsse  sie  „zur  Ehre  des  dreieinigen  Gottes*',  der  die 
Zauberer  imd  Hexen  auszurotten  befohlen  habe,  verbren- 
nen.    Sie  wurden  in  der  That  verbrannt. 

Nach  dem  Malleus  und  der  späteren  allgemeinen  Praxis 
war  der  Richter  auf  blosse  Denunciation ,  Übeln  Ruf  und 
sonstige  Indicien  vorzuschreiten  befugt.  Kam  der  wan- 
dernde Inquisitor  in  eine  Stadt,  wo  er  thätig  sein  woHte, 
so  forderte  er  durch  einen  Anschlag  an  den  Thüren  der 
Pfarrkirchen  oder  des  Rathhauses  unter  Androhimg  von 
Kirchenbann  und  weltlichen  Strafen  auf,  jede  Person,  von 
welcher  man  etwas  Zauberisches  oder  auf  Zauberei  Hin- 
deutendes wisse,  oder  von  welcher  man  selbst  nur  gehört 
habe,  dass  sie  in  üblem  Rufe  stehe ,  binnen  zwölf  Tagen 
anzuzeigen.  Der  Denuncismt  wurde  mit  geistlichem  Segen 
und  klingender  Münze  belohnt,  sein  Name  auf  Verlangen 
verschwiegen.  In  den  Kirchen  fand  man  an  manchen 
Orten  Kasten  mit  einem  Spalt  im  Deckel,  z\xr  Erlegung 
anonymer  Denunciationen  *).  Weltliche  Gerichte  beschie- 
den, wenn  irgend  ein  Impuls  ihre  Aufmerksamkeit  auf  das 
Hexenwesen  gelenkt  hatte,  GerichtsschofFen  aus  den  Dör- 
fern zu  sich,  um  sich  nach  verdächtigen  Personen  zu  er- 
kundigen, oder  sendeten  Späher  in  die  Gemeinden.  Manche 
ahmten   auch  den  umherziehenden  Ketzerrichtem  nach*). 


'}  So  z.  B.  in  Mailand,    Bodin,    Daemonnm.  IV.  i. 

*)  In  Trier  unter  Johann  VI.  Tota  dioecesi  in  oppidis  et  villU  per  tri- 
bunalia  currebant  selecti  accusatores.  inquisitores.  apparitores,  scabini.  judice». 
lictorea.  qui  homines  utriusque  sexus  trahebant  in  causam  et  quaestiooes  ic 
magno  numero  exurebant.    Gesta  Trevirorum. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  x^\ 

Hierbei  waren  auch  die  Jiarmlosesten  und  bedeutungs- 
losesten Aeusserungen ,  welche  Kinder  im  Verkehre  mit 
einander  thaten,  den  Spähern  oft  ein  willkommener  An- 
läse zur  Anzeige  luid  zur  Einleitung  eines  Hexenprozesses  ^). 

Hatte  der  Richter  die  nothigen  vorläufigen  Indicien, 
so  eröffnete  er  den  Prozess.  Was  aber  galt  vor  den  Ver- 
handlungen und  während  derselben  als  Indicium^)?  Ant- 
wort; Alles  1  Uebler  Ruf,  oft  begründet  durch  die  vor 
Jahren  aus  Hass  oder  auf  der  Folter  gethanen  Aussagen 
einer  Inquisitin,  oft  nicht  einmal  durch  Zeugen  erhoben, 
die  Angabe  eines  Mitschuldigen,  die  Abstammung  von 
einer  wegen  Zauberei  Hingerichteten,  Heimathslosigkeit, 
ein  wüstes  und  unstetes  Leben,  grosse  imd  schnell  erwor- 
bene Kenntnisse  ohne  bemerkbaren  Fleiss,  rasch  zuneh- 
mender Wohlstand,    eine  Drohimg,    auf  welche    den  Be- 


^)  Im  Jahr  1662,  in  welchem  die  Hexenverfolgung  in  mehreren  wdrtlem- 
bergischen  Gegenden  wOthete,  kam  es  vor,  dass  in  dem  Spitalorte  Deizisau 
der  zehnjährige  Sohn  eines  Schmieds  zu  einem  seiner  Schulkameraden  sagte: 
Meine  Ahne  (Grossmutter)  ist  auch  nichts  nutz;  ich  bin  mit  ihr  bei  Nacht 
schon  ausgefahren.  Dieas  wurde  gemeldet  und  aog]tfich  (10.  Decbr.  1662) 
erschien  der  Spitalmeister  in  Deizisau,  um  den  Knaben  zu  verhören.  Durch 
das  Versprechen  der  Straflosigkeit  und  eines  StQckes  Geld  für  den  Fall  eines 
aufrichtigen  Geständnisses  brachte  man  es  auch  dahin ,  dass  er  gestand,  der 
Teufel  habe  ihm  den  Mittelfinger  der  linken  Hand  geritzt  und  Blut  heraus- 
gelassen; auch  habe  ihm  derselbe  Wasser  über  den  Kopf  gegossen.  Auf  der 
Haide,  wohin  er  einige  Male  mit  seiner  Ahne  gefahren  sei,  habe  man  ge- 
sehmaust "und  getanzt.  Seine  Ahne  k&nne  Mäuse,  Kaupen,  Flöhe  machen  etc.  — 
Dieses  Bekenntniss  wurde  von  dem  Knaben  am  l9.  April  1663  vor  dem  Ge- 
richt selbst  wiederholt  und  weiter  ausgeführt,  und  trotzdem  dass  bezeugt 
wurde,  der  Bube  habe  ein  böses,  tückisches  Gemüth,  auch  geglaubt.  Die 
alte  Grossmutter  sollte  daher  verhaftet  werden.  Diese  aber  war  bereits  von 
Deizisau  entflohen.  Späterhin  hörte  man,  dass  sie  sich  in  Albershausen  auf- 
halte. Aber  auch  hier  konnten  die  nach  ihr  ausgesandten  Häscher  sie  nicht 
greifen,  indem  sie  sich  zeitig  genug  auch  von  hier  entfernt  hatte.  Wo  sie  sich 
versteckt  halte,  wusste  Niemand,  bis  man  im  Waldesdickicht  ihre  halbver- 
weste Leiche  auffand.     Vgl.  P/aff  in  der  Zeitschr.   für  deutsche  Kulturgesch. 

1856.  s.  351. 

*)  Ueber  die  Indicien  der  Magic  im  Allgemeinen  s.  Mall,  malef.  Pars  UI. 
Quaest.  6.  De/n'o  Üb.  V.  sect,  3  u.  4.  Bimfeld  in  Tit.  de  malef.  et  mathemat. 
p.  613.  —  Carpz(yv  a.  a.  O.  Part.  Hl.  Qu.  CXXH.  90.  —  Sehr  kurz  in  der 
C  C.  C.  Art.  44. 


344  SechszehnUs  Kapitel. 

drohten  ein  plötzlicher  Scha<len  traf,  die  Anwesenheit  im 
Felde,  kurz  vor  einem  Hc^elsefalag  —  dieos  altes  erschmt 
noch  als  etwas  ziemlich  Einfaches ;  aber  ausserdem  wurden 
noch  die  entgegengesetztesten  Dinge  zu  Indicien  gestern- 
pelt,  so  dass,  wer  die  Scylla  vermeiden  wölke,  nothwenffig 
in  die  Charybdis  gerieth,  £ine  wirkliche  HeSung  war  oft 
nicht  weniger  gefahrlich,  als  eine  imputirte  BeacfaadigOng  ^). 
Der  nachlässige  Besuche  des  Gottesdienstes  war  ver- 
dächtig, aber  der  fleissige  nicht  minder,  weil  sein  Beneh- 
men die  Absicht  verrieth,  den  Verdacht  von  sich  abzu- 
wälzen. Zeigte  sich  Jemand  bei  der  Gefangenndhmung 
furchtsam  und  erschrocken,  so  war  das  die  Aeusserung 
des  bösen  Gewissens ;  benahm  er  sich  gelassen  und  mutiiig, 
so  hatte  ihn  der  Teufel  verhärtet  und  verstockt.  Redete 
man  gegen  die  Hexenprozesse,  nahm  man  sich  der  Ver- 
folgten an,  bezweifelte  man  die  Wahrheit  der  magischen 
Gräuelgeschichten,  so  war  das  eine  oratio  pro  domo ;  ging 
man  auf  der  andern  Seite  im  Lobe  der  Inquisitoren  und 
ihrer  Bestrebungen  etwas  zu  weit,  so  galt  diess  als  eine 
höchst  verdächtige  captatio  benevplentiae.  Unverzügliches 
Denunciren  einer  vermeintlichen  Zauberhandlung  hatte  den 
Vorwurf  verdächtiger  Voreiligkeit  zu  furchten,  aber  das 
Unterlassen  der  Denunciation  war  wiederum  Begiinstigung 


*)  Die  Beklagte  hat  ihrer  kranken  Schwiegertochter  Lorbeeren  eingegeher< 
worauf  dieselbe  sich  besserte.  Der  Fiscal  folgert  daraus»  dass  sie  selbst  die 
Krankheit  zuvor  durch  Zauberei  herbeigefQhrt  habe.  (Deductionsschrift  vaa 
1675  in  buseckischen  Akten.)  —  Von  zwei  kranken  Zimmergeaellen  stirbt  6rt 
eine,  der  andere  geneset  unter  der  Pflege  der  Hausfrau ;  .dannenhero  der  Nico- 
laus  Sch6nle  (der  Zimroenneister)  ganz  wohl  gemerket,  wie  das  Spiel  gekartK 
gewesen  und  dass  die  Peinlich-Beklagtin  Zauberei  appliciret,  und  damit  es  nicht 
so  grob  herauskommen  möchte,  hat  sie  dem  Kerlen  fleissig  gearzet^  dass  rr 
wieder  gesund  worden  u.  s.  w,*  (Deductionsschrift  des  Fiscals  v.  1673*) 
Dergleichen  Dinge  wiederholen  sich  häufig  und  bilden  noch  in  den  Hexen* 
Prozesse  von  Glarus  1782  ein  Hauptargument.  —  «Dergleichen  ist  auch  hie 
zu  Schleutadt  geschehen,  da  eines  Schreiners  Fraw  in  jres  Nachbawren  Hausi 
viel  gewandelt,  und  jm^  letzlich  ein  jung  Kind  an  einem  Aermlein  erbennlic«^ 
verderbt  hat,  und  hernach  zum  Theil  mit  baden,  Kreutem  etc.  widerumb  st- 
holffen.**  Bericht  Ober  die  im  Jahr  1570  zu  Schietstadt  verbrannten  Hexen. 
im  Thealrum  de  veneficis,  Frankf.  1586,  S.  5. 


Das  gerichtliche  Verfahrea  und  die  Strafe.  7^^ 

des  l,astier»i  Wßr  einer  airffconömfenäen  Diffamation  nicht 
scbl^^Qig,.  (buti^h  {fecichtliche  Schritte  begpegnet^,  Hess  eines 
der  stärksten  iBdicieii  sich  l^criesttigen  ;>  Wc^r  dagegen  klagte, 
überHaf^rt^  '  sich .  freiwillig  ^  all^  *  Chicaa^n  -  eines  gefähr- 
licheo  Fi::(^sess6S.  Kurz,  .es  traf  Ätfch-  im  Hexenprozesse 
einj  w,a»  sghofi  Apalqiis  in  seinei-  Aj^ologie  von  der  Zauber- 
riecherei'  '»^iner '  Zeit  sagt.:  Ommbuä)  sicüt  forte  negotium 
magiae  .faxjessJtur,  quidquid  -  oinntao  egerint,  objicietur  ^). 

,'Zu'd^nIildicien  gehörte  auch  die  Flucht,  imd  zwar 
selbst  dann^  wenndas,  wa^  man  al^  Flucht  ansah/  in  Wahr- 
heit gar  k^e  Flucht  war.  So  erniählt  Spee,  eine  ehr- 
bare Fr^u,  welche  einige  Stunden  von  ihm  entfernt  wohnte, 
sei  zu  ihm- gekommen,  um  ihii  zu  fragen,  was  sie  thun 
sollte,  4a.  man  sie  als  Hex»  verdächtigt  habe.  Darauf  hin 
habe  er  ihr  gerathen,  nach  Hause  zurückzukehren;  da  ja 
durchaus  kein  Verdachtsgrund  gegen  sie  vorliege.  Diesen 
Rath  habe  die  Frau  auch  befolgt,  allein  sowie  sie  in  der 
Heimat  wieder  angekommen  sei,  habe  man  ihre  (nur  nach 
Stunden  zu  zählende)  Abwesenheit  als  Flucht  und  somit 
als  überführendes  Indicium  geltend  gemacht,  sie  gefoltert 
und  durch  fortgesetztes  Foltern   ein  Geständniss  erpresst, 


')  Wir  verrichten  darauf,  alles  Einzelne  aufzuzählen ;  doch  bemerken  wir 
noch,  da3s  man  beim  Abendmahl  sehr  darauf  lauerte ,  ob  ein  Weib  etwa  die 
Hostie  aus  dem  Munde  nehme.  Eine  zufällige  Annäherung  der  Hand  nach 
dem  Gesichte  konnte  gefährlich  werden.  Schon  der  Malleus  P.  II.  Quaest.  I. 
Cap.  5  macht  auf  dieses  Indicium  aufmerksam.  1665  wurde  zu  Friedberg  ein 
Weib  zum  Tode  verurtheilt,  deren  Prozess  damit  angegangen  war,  dass  eine 
Nachbarin  gesehen  haben  wollte,  wie  sie  nach  empfangener  Hostie  beim  Um- 
gang um  den  Altar  den  Mund  wischte.  —  Um  zu  zeigen,  wie  weit  man's  im 
Absurden  trieb,  folge  hier  noch  eine  Stelle  aus  der  Schrift  des  Fiscals  in 
einem  buseckischen  Prozesse  von  1672:  „14)  entsteht  auch  ein  merkliches 
Indicium  wider  die  P.  Beklagtin,  weil  sie  sich  so  unflSthig  hält,  es  auch  also 
bei  ihr  stinkt^  dass  die  Wächter  desshalben  unmöglich  bei  ihr  bleiben  können, 
sondern  die  F.  B.  in  ihrer  bisherigen  Wachtstuben  einsperren,  und  die  Wächter 
in  der  andern  Stuben  gegen  der  Ober  sich  aufhalten  müssen,  ex  hoc  enim 
exoritur  indicium  magiae  (Crusius  de  indic.  delict.  part.  2.  cap.  32.  no.  200. 
§.  41.  et  n.  69.  §.  30).  Und  damit,  dass  deme  also  seye.  der  Juristen  Facultaet, 
wohin  die  peinlichen  Acta  verschickt  werden  dürften,  auch  wissend  seye,  so 
bittet  Fiscalia,  einen  Schein  ad  acta  zu  legen,  oder  in  der  Missiv  dessen  zu 
bedenken." 


346  Sechszehntes  Kapitel. 

worauf  sie  verbrannt  worden  sei.  Auch  weist  v.  Wäch- 
ter (S.  104 — 105)  darauf  hin,  dass  schon  die  blosse  Be- 
rührung einer  Person  mit  einer  anderen,  wenn  dieser  her- 
nach etwas  Böses  widerfuhr,  genügte,  um  die  erstere  der 
Hexerei  anzuschuldigen.  Das  schrecklichste  Indicium  war 
aber  die  Aussage  einer  Hexe,  welche,  auf  der  Folter  nach 
Genossen  ihres  Hexenwesens  befragt,  um  von  der  gräss- 
lichen  Qual  befreit  zu  werden,  irgend  Jemanden  nannte, 
der  dann  sofort  verhaftet  wiu'de  ^).  Wie  leicht  auch  die 
harmloseste  Beschäftigung  ein  „Indicium  abgeben  konnte, 
hat  Hormayr  im  „Oesterreichischen  Archiv"  nachge 
wiesen,  wo  derselbe  berichtet,  dass  zwei  alte  Weiber  auf 
dem  Plinzenberg  bei  Fulnek  verbrannt  wurden,  „weil  sie 
zur  Sommerszeit  viel  in  Felsen  und  Wäldern  heruHige- 
wandelt  und  Kräuter  gesucht"*). 

Man  sieht,  dass  es  kein  Mittel  gab,  dem  Verdachte 
zu  entgehen ;  aber  es  gab  auch  kaimi  eines,  aus  den  Krallen 
eines  blutgierigen  Richters  sich  zu  befreien,  wenn  man 
einmal  hineingerathen  war^).  Dafür  bürgte  das  weitere 
Verfahren.  Zwar  gab  die  Carolina  hinsichtlich  der  Indi- 
cien  und  Untersuchungspunkte  Beschränkungen,  die  von 
einer  für  jene  Zeit  rühmlichen  Mässigung  zeugen ;  aber  in 
der  Anwendung  hielt  man  sich  auch  in  Deutschland  fast 


*)  z/.  Wächter  theilt  (S.  106—107)  zur  lUustrirung  dieses  Verfahret»  fol- 
genden Fall  mit: 

In  Bamberg  wurde  im  Jahr  1629  eine  Hexe  ledigjltch  auf  die  Angabe 
derer  hin,  welche  sie  bei  dem  Hexentanie  gesehen  haben  wolheo,  gefallen. 
Verzweifelnd  ruft  sie  aus:  «Mich  armen  Tropf  hat  man  von  meinen  Kindem 
genommen  und  die  Vornehmen  verschont  man",  und  nun  gibt  sie  buter  Vor- 
nehme als  Mitschuldige  an,  den  Bürgermeister  von  Bamberg  und  dessen  Frau. 
den  Forstmeister,  die  Frau  des  Apothekers  u.  s.  w.,  und  tue  meisten  denelbfn, 
die  sie  angab,  brachte  dann  die  Folter  auf  den  Richtplats. 

«)  Roskoff  II.  S.  343. 

')  «Denn  haben  wir  schon  dfter  von  den  Gefangenen,  ehe  sie  nock  bekaant. 
gehört,  wie  sie  wohl  einsehen,  dass  keiner  mehr,  der  Hexerei  halber  etngr* 
fangen  ist,  mehr  heraus  kommt,  und  ehe  sie  solche  Pein  und  Marter  ausstehen, 
wollten  sie  lieber  zu  Allem,  was  ihnen  vorgehalten  werde.  Ja  sagen,  ^««»* 
sie  es  auch  entfernt  nfe  gethan ,  noch  je  daran  gedacht  haben»*  (Aiu  einen) 
Erlasse  des  fOrstbischAflichen  Kabinets  zu  Bamberg ;  v.  Lamherg,  HexenproK«»* 
im  ehemaligen  Bisthum  Bamberg   während   der  Jahre  1624  bis  1630.  S.  \A^ 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe,  34-7 

immer  lieber  an  den  Malleus  und  seine  Nachtreter.  Wo 
nicht  das  Tumultuarische  und  Formlose  ganz  rückhaltlos 
hervorstürmte,  da  schlich  die  Chicane  in  den  Irrgewinden 
kanonistischer  und  romanistischer  Gelehrsamkeit  herum 
imd  beging  künstlich  ein  Dutzend  Nullitäten,  wo  der  plumpe 
Fanatismus  eine  einzige  aus  Dummheit  machte. 

Sehen  wir  zuvorderst,  wohin  der  Verhaftete  ge- 
bracht wird..  Wie  in  der  Einrichtimg  der  Detentions- 
gefangnisse  jener  Zeit  überhaupt  die  gewissenloseste  Nach- 
lässigkeit hervortritt,  so  zeigt  sich  in  denen  für  die  Hexen 
insbesondere  noch  eine  höchst  erfinderische  Grausamkeit. 
Es  gab  eigens  eingerichtete  Hexenthürme  und  Druden- 
häuser. Das  von  Bischof  Johann  Georg  II.  (1622 — 1633) 
zu  Bamberg  erbaute  Malefizhaus  hatte  allerlei  neu  erfun- 
dene Vorrichtungen  zur  Tortur;  über  dem  Portale  stand 
das  Bild  der  Themis  mit  der  Umschrift:  Discite  justitiam 
moniti  et  non  temnere  Divos  *) !  Bambergische  Inqtiisi- 
toren  rühmen  als  ein  äusserst  wirksames  Mittel  die  Hexen 
zahm  zu  machen  „das  gefältelt  Stüblein,"  wahrscheinlich 
eine  Art  Lattenkammer.  Der  Hexenthurm  zu  Lindheim 
in  der  Wetterau  ist  von  Horst  (Dämonomagie,  B.  11. 
S.  349 ff.)  genau  beschrieben;  der  auf  dem  Schloss  zu  Mar- 
burg ist  ganz  ähnlich  gebaut.  Lassen  wir  uns  von  einem 
Augenzeugen  ein  Bild  desjenigen  entwerfen,  was  man  vor 
dritthalb  Jahrhunderten  ein  Gefangniss  nannte  *). 

„In  dicken,  starken  Thürnen,  Pforten,  Blochhäusern, 
Gewölben,  Kellern,  oder  sonst  tiefen  Gruben  sind  gemein- 
lich die  Gefangnussen.  In  denselbigen  sind  entweder  grosse, 
dicke  Holzer,  zwei  oder  drei  über  einander,  dass  sie  auf 
und  nieder  gehen  an  einem  Pfahl  oder  Schrauben :  durch 
dieselben  sind  Löcher  gemacht,  dass  Arme  und  Beine 
daran  liegen  können. 

„Wenn  nun  Gefangene  vorhanden,  hebet  oder  schrau- 
bet man  die  Hölzer  auf,  die  Gefangen  müssen  auf  ein 
Klotz,   Steine   oder  Erden  niedersitzen,    die  Beine  in  die 


')  V,  Lamöerg  a.  a.  O,  S.   17. 

•)  Prätorius,  von  Zauberei  und  Zauberern,  S.  211  ff. 


348  Sechszehntes  Kapitel. 

untern,  die  Arme  in  die  obem  Löcher  legen.  Dann  lasset 
man  die  Holzer  wieder  fest  auf  einander  gehen,  verschraubt, 
keilt  und  verschliesset  sie  auf  das  härtest,  däss  die  Ge- 
fangen weder  Bein  noch  Arme  nothdürftig  gebrauchen 
oder  regen  können.  Das  heisst,  im  Stocic  liegen  oder 
sitzen. 

„Etliche  haben  grosse  eisern  oder  hölzern  Kreuz, 
daran  sie  die  Gefangen  mit  dem  Hals,  Rücken,  Arm  und 
Beinen  anfesseln,  dass  sie  stets  tmd  immerhin  entweder 
stehen,  oder  liegen,  oder  hangen  müssen,  nach  Gelegen- 
heit der  Klreuze,  daran  sie  geheftet  sind. 

„Etliche  haben  starke  eiserne  Ötäbe,  fünf,  sechs  oder 
sieben  Viertheil  an  der  Ellen  lang,  dran  beiden  Enden 
eisen  Banden  seynd,  darin  verschliessen  sie  die  Gefangenen 
an  den  Armen,  hinter  den  Händen.  Dann  haben  die  Stäbe 
in  der  Mitte  grosse  Ketten  in  der  Mauren  angegossen, 
dass  die  Leute  stäts  in  einem  Läger  bleiben  müssen. 

„Etliche  machen  ihnen  noch  dazu  grosse,  schwere 
Eisen  an  die  Füsse,  dass  sie  die  weder  ausstrecken,  noch 
an  sich  ziehen  können.  Etliche  haben  enge  Löcher  in  den 
Mauren,  darinn  ein  Mensch  kaum  sitzen,  liegen  oder  stehen 
kann,  darinn  verschliessen  sie  die  Leute  ohngebunden,  mit 
eisern  Thüren,  dass  sie  sich  nicht  wenden  oder  umbkehren 
mögen.  Ettliche  haben  fünfzehn,  zwanzig,  dreissig  Klaf- 
tern tiefe  Gruben,  wie  Brunnen  oder  Keller  aufs  aller- 
stärkest gemauret,  oben  im  Gewölbe  mit  engen  Löchern 
und  starken  Thüren  oder  Gerembsten,  dardurch  lassen  sie 
die  Gefangen,  welche  an  ihren  Leibern  sonst  nicht  weiter 
gebunden,  mit  Stricken  hinunter,  und  ziehen  sie,  wenn 
sie  wollen,  also  wieder  heraus. 

„Solche  Gefängnuss  habe  ich  selbst  gesehen,  in  Be- 
suchung der  Gefangenen ;  glaube  wohl,  es  seyn  noch  vnel 
mehr  und  anderer  Gattung,  etliche  noch  grexdicher.  etliche 
auch  gelinder  und  träglicher. 

„Nach  dem  nun  der  Ort  ist,  sitzen  etliche  gefangen 
in  grosser  Kälte,  dass  ihnen  auch  die  Füss  erfrieren  und 
abfrieren,  und  sie  hernach,  wenn  sie  loskämen,  ihr  Lebtage 
Krüppel  seyn  müssen.    Etliche  liegen  in  stäter  Finstemuss, 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  i^n 

dass  sie  der  Sonnen  Glanz  nimmer  sehen ,  wisaen  nicht, 
ob's  Tag^  oder  Nacht  ist.  Sie  alle  sind  ihrer  GUedmassen 
wenig  .oder -gar  nicht  mächtig,  haben,  immerwährende  Un- 
ruhe, liegen  in  ihrem  eigenen  Mist  und  Gestank,  viel  un- 
fläthiger  und. elender,,  denn  das  Viehe,  werden  übel  ge- 
speiset,  können  nicht  ruhig  schlafen,  haben  viel  Bekümmer- 
nuss, ..schwere  Gedanken,  böse  Träume,  Schrecken  und 
Anfechtung.  Und  weil  sie  Hände  und  Füsse  nicht  zusam- 
men bringen  und  wo  nöthig  hinlenken  können,  werden  sie 
von  Läusen  und  Mäusen,  Steinhimden  und  Mardern  übel 
geplaget,  gebissen  imd  gefressen.  Werden  über  das  noch 
täglich  mit  Schimpf,  Spott  imd  Dräuimg  vom  Stöcker  und 
Henker  gequälet  und  schwermüthig  gemacht, 

„Summa,  wie  man  sagt:  Alle  Gefangen  arm. 

„Und  weil  solches  alles  mit  den,,  armen  Gefangenen 
bisweilen  über  die  Massen  lang  währet,  zwei,  drei,  vier, 
fünf  Monat,  Jahr  und  Tag,  ja  etliche  Jahr :  werden  solche 
Leute,  ob  sie  wohl  aiifanglich  gutes  Muths,  vernünftig, 
geduldig  und  stark  gewesen,  doch  in  die  Länge  schwach, 
kleinmüthig,  verdrossen,  ungeduldig,  imd  wo  nicht  ganz, 
doch  halb  thoricht,   misströstig  und  verzagt.  —  —  —  — 

„O  ihr  Richter,  was  macht  ihr  doch?  Was  gedenkt 
ihr?  Meinet  ihr  nicht,  dass  ihr  schuldig  seyd  an  dem 
schrecklichen  Tod  eurer  Gefangenen?" 

Solche  Umgebungen  —  carceris  squalores  ist  der 
technische  Ausdruck  des  Meilleus  —  waren  es,  in  welchen 
sich  die  Gefangenen  einem  vorläufigen  Nachdenken  über 
ihre  Gegen>yart  und  Zukunft  überlassen  sahen.  Es  begreift 
sich,  dass  in  dieser  Lage  sich  mit  den  Unglücklichen 
allerlei  Schreckliches  zutrug.  Eine  Frau,  die  1664  zu 
Esslingen  im  Hexenthurm  sass,  erfuhr  am  22.  April,  dass 
ihr  Mann  gestorben  sei,  und  brach,  als  sie  diese  Nach- 
richt erhalten,  aus  dem  Kerker  und  stürzte  sich  vom  Thurm 
herab,  so  dass  sie  mit  zerschmettertem  Schädel  auf  der 
Strasse  lag  ^).  Dergleichen  Vorkommnisse  w^urden  jedoch 
von  den  Hexenrichtem  nicht  weiter  beachtet. 


*)  Zeitachr.  für  deutsche  Kulturgesch,  1856,  S.  455. 


•ICQ  Sechszehntes  Kapitel. 

Der  ^lalleus  gibt  die  Weisung,  verstockte  Personen 
nöthigenfalls  ein  ganzes  Jahr  in  diesem  Zustande  zu  er- 
halten und  dann  ihnen  die  kanonische  Reinigung  mit 
zwanzig  bis  dreissig  Eideshelfem  aufzuerlegen ;  können  sie 
diese  nicht  leisten,  so  soll  das  Verdammungsurtheil  er- 
folgen. Weltliche  Richter,  bei  welchen  jenes  kanonische 
Beweismittel  nicht  galt,  haben  die  Haft  zuweilen  auf  zwei, 
drei  und  vier  Jahre  ausgedehnt  ^}.  Doch  konnte  dieses 
nur  in  Folge  ganz  eigenthümlicher  äusseren  Verhältnisse 
oder  einer  seltenen  Untüchtigkeit  der  Gerichte  eintreten. 
In  der  Regel  wusste  man  schneller  zum  Ziele  zu  gelangen. 

Was  nun  in  diesen  finstem  Kammern  von  in  Teufel 
umgewandelten  ^lenschen  Unmenschliches,  Barbarisches^ 
Niederträchtiges,  Gemeines  verübt  worden  ist,  das  weiss 
nur  Gott-  Die  meisten  Prozessakten  existiren  nicht  mehr, 
und  die  vorhandenen  spezifiziren  die  Einzelheiten  nicht, 
da  Alles  „more  consueto"  herging^. 

Ehe  der  Richter  die  Hexe  selbst  vernahm,  schritt  er 
gewöhnlich  zu  einem  Zeugenverhöre,  das  auch  da,  wo 
die  accusatorischen  Formen  gewahrt  wurden ,  der  Litis» 
contestation  vorausgehen  durfte  und  dem  Amtsankläger 
das  Material  lieferte.  Dieses  Zeugenverhör  erhielt  aber 
durch  Zweierlei  einen  ganz  besondem  Charakter:  i)  der 
Untersuchungsrichter  betrachtete  die  Angeklagten  und 
Eingezogenen  von  vornherein  als  wirklich  Schuldige,  als 
imzweifelhafte  Hexen  und  Zauberer,  deren  geheime  Ver- 
brechen er  ans  Licht  zu  ziehen  habe,  und  2)  in  Malefiz- 
Sachen  wurde  durchaus  jedes  Zeugmss  als  gültig  be- 
trachtet, sofern  es  gegen  die  Angeschuldigten  gerichtet 
war.  Meineidige,  Lifame,  Excommiuiicirte ,  Mitschuldige, 
Zeugen  in  eigener  Sache,  Eheleute  gegen  einander,  Kinder 
gegen   Eltern    u.  s.  w.   u.  s.  w.   wurden   als   Belastungs- 


*)  Ein  Weib  zu  Offenburg  sass  vom  Oktober  1608  bis  zu  Anfang  iMi 
im  Kerker  und  wurde  dann  hingerichtet«  obgleich  der  Proxess  noch  vor  dem 
Kammergericht  schwebte.  (R.  K,  G.  Akten.)  Wunerin  zu  Bamberg  war 
drei  Jahre  lang  im  Kerker  an  Ketten  angeschlossen  {v,  Lamhirg  S.  25).  —  Die 
oben  gedachte  Hensel  aus  Feckelberg  hatte  bis  ins  vierte  Jahr  gesessen. 

')  Buchmann,  die  unfreie  und  die  freie  Kirche,  S.  309. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  x^l 

zeugen  zugelassen,  —  aber  alle  diese  nur  gegen  die  An- 
g^dagte,  nicht  für  dieselbe.  Auch  der  Vertheidiger 
war  veri)flichtet ,  gegen  die  Angeklagte  zu  zeugen  und 
ihre  etwaigen  Geständnisse  und  Mittheilungen,  wenn  sie 
durch  dieselben  gravirt  wurde,  dem  Richter  zu  über- 
geben. Selbst  die  Aussage  einer  verurtheilten  Hexe  ge- 
gen eine  andere  Verdächtige  galt  als  ein  vollgültiges 
Zeugniss.  Ja  sogar  die  Phantasien  von  Fieberkranken, 
die  man  im  Bette  vernahm,  wurden  als  vollgültige  Zeugen- 
aussagen behandelt '),  wenn  sie  für  den  Richter  brauchbar 
waren.  Nur  der  „Todfeind"  sollte  nicht  als  Zeuge  zuge- 
lassen werden;  was  aber  unter  einem  Todfeind  zu  ver- 
stehen sei,  galt  als  zweifelhaft  *).  —  Zur  Erleichterung  der 
Aussagen  pflegte  man  auch  ohne  dringende  Noth  die  Na- 
men der  Zeugen  nicht  zu  nennen,  wesshalb  man  leicht 
jede  wünschenswerthe  Mittheilung  von  denselben  erhalten 
konnte. 

Da  bezeugte  nun  der  Eine,  die  Inculpatin  gelte  seit 
längerer  Zeit  im  Dorfe  als  verdächtig;  der  Andere,  es  sei 
im  letzten  oder  vorletzten  Sommer  ein  Gewitter  gewesen 
uni  dieselbe  Zeit,  als  jene  von  dem  Felde  zurückgekom- 
men; ein  Dritter  hatte  bei  einem  Hochzeitschmause  (in 
Folge  seiner  Unmässigkeit)  plötzlich  Leibweh  bekommen, 
und  es  hatte  sich  später  ergeben,  dass  die  Inculpatin  ge- 
rade um  diese  Stunde  vor  dem  Hause  vorübergegangen 
war;  einem  Vierten  war  nach  einem  Wortwechsel  mit 
derselben  ein  Stück  Vieh  krank  geworden ;  ein  unwissender 
Arzt  erklärte  die  Krankheit  eines  Nachbarn,  aus  der  er 
nicht  klug  werden  konnte,  oder  die  unter  seinen  Händen 
den  Tod  zur  Folge  gehabt  hatte,  für  einen  morbus  male- 
ficialis.  Konnten  die  Verwandten  in  dem  Bette  des  Lei- 
denden einen  Kjiäuel  zusammenklebender  Federn,  eine 
Nadel    oder    sonst  einen   fremden  Körper  auffinden   oder 


*)  mtztys  Annalen.  B.  XVI.  S.  250. 

^)  ä:  /^  JOfppen  in  Wigands  Vierteljahrschrift,  B.  II.  S.  36.  —  Mall. 
Male  f.  P,  III.  quaest.  4.  —  Diirio,  Lib.  V.  secl.  5  und  KOnig  Jacob  /. 
Daemonol.  III.  6. 


9(2  Secbszehntes  Kapitel. 

heimlich  hineinbringen,  so  legte  der  Richter  denselben  den 
Akten  als  corpus  delicti  bei.  Büchsen,  Fläschchen,  Feder- 
wische, Besenstiele,  Schmalztöpfchen,  Kräuter,  die  man 
in  der  Wohnung  der  Inculpatin  fand,  wurden  ebenfalls 
beigelegt.     Diess  alles  fiel  schwer  ins  Gewicht. 

Jetzt  schritt  man  zum  Verhör  der  Gefangenen, 
und  von  dem  Maasse  der  Gewandtheit  des  Richters  hing 
es  ab,  ob  er  dieselbe  aus  einer  weiteren  Peripherie  in 
immer  engeren  Kreisen  umzingeln,  oder  ob  er  einen  un- 
maskirten  FrontangrifF  machen  wollte. 

Der  Malleus  will  das  Verhör  mit  der  Frage  eröffnet 
haben :  ob  die  Inquisitin  glaube,  dass  es  Hexen  gebe  ?  und 
macht  dann  die  weiteren  Bemerkimgen :  Nota,  quod  male- 
ficae  utplurimum  7iegant.  Tunc  interrogentur :  Quid  ergo, 
ubi  comburuntur,  tunc  innocenter  condemnantur?  Wer 
nun  die  Existenz  der  Hexen  läugnete,  der  wurde  jeden- 
falls als  Ketzer  verurtheilt;  denn  —  sagt  der  Malleus  — 
haeresis  est  maxima,  opera  maleficarum  non  credere.  Diese 
in  der  That  sehr  feine  Art  eine  Hexe  zu  fangen  war  in 
späteren  Zeiten  indessen  nicht  mehr  recht  praktisch,  weil 
—  Dank  sei  es  dem  Malleus  selbst !  —  jene  Häresie  des 
Zweifels  an  der  Hexerei  im  Allgemeinen  sehr  selten  ward 
und  der  Inquisit  sich  begnügte,  seine  eigene  Betheiligung 
zu  läugnen.  Desto  geeigneter  waren  jederzeit  Fragen  vne 
folgende :  was  Inquisitin  vor  dem  Gewitter  im  Felde  zu 
thun  gehabt  ?  warum  sie  sich  mit  dieser  und  jener  Person 
gezankt?  warum  sie  diesen  und  jenen  Knaben  angeredet 
oder  berührt  ?  warum  ihre  Gartenfrüchte  besser  gedeihen, 
als  die  des  Nachbarn?  warum  sie  in  des  Nachbarn  Stall 
gewesen  ?  warum  sie  sich  nicht  gegen  aufkommendes  Ge- 
schrei gerechtfertigt?  u.  s.  w. 

Erfolgen  die  gewünschten  Geständnisse  nicht,  so  wird 
die  Unglückliche  in  den  Kerker  zurückgeführt,  um  daselbst 
von  Neuem  bearbeitet  zu  werden.  Alle  Qualen  des  Mangels» 
des  Schmerzes  und  Ekels  umgeben  sie ;  falsche  Freunde 
kommen  und  spiegeln  die  Hoffnung  eines  glücklichen  Au>- 
gangs  vor;  der  Richter  tritt  ein  und  versichert,  er  werde 
Gnade  angedeihen  lassen,  wobei  er  vermöge  einer  erlaubten 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^c^ 

Mentalreservation  unter  der  Gnade  die  Verwandlung  de^ 
Feuertodes  in  Hinrichtung  mit  dem  Schwert  versteht  oder 
auch  die  Gnade  nicht  der  Gefangenen,  sondern  sich 
selbst  oder  dem  gemeinen  Besten/ zudenkt.  Auch  bleibt 
es  seinem  Ennessen  überlassen,  ob  er  nicht,  sagen  will: 
„Gestehest  du,  so  "werde  ich  dich  nicht  zum  Tode  verur- 
theilen,"  Wenn's  zum  Spruche  kommt,  kann  er  dann  ab- 
treten und  einen  Andern  das  Urtheil  verkünden  lassen.  — 
Solchfe  und  viele  ähnliche  Kniffe  empfahl  der  Malleus,  um 
ein  sogenanntes  freiwilliges  Bekenntniss  zu  erhalten, 
und  er  hatte  Recht,  auf  dasselbe  einen  hohen  Werth  zu 
legen,  weil  es,  so  lange  die  Doktrin  des  Hexen wesens 
noch  nicht  ganz  allgemein  geworden  war,  eine  ungleich 
kräftigere  Wirkung  machen  musste,  als  das  durch  die 
Folter  erzwungene.  Doch  vererbten  sich  diese  Misshand- 
lungen auch  auf  die  spätere  Zeit.  Priester  lockten  und 
schi-eckten  ') ,  Büttel  plaguen  und  suggerirten  *) ,  Richter 
logen  und  betrogen  3);  wenn  es  auf  andere  Art  nicht  gehen 


*)  Wie  die  Beichtväter  im  siebenzehnten  Jahrhundert  die  Inquisitoren 
spielten  und  selbst  zuweilen  den  geistlichen  Trost,  Beichte  und  Abendmahl  an 
die  Bedingung  des  vollen  Schuldbekenntnisses  knüpften,  s.  in  Spee's  Cautio 
criminalis  Quaest.  XIX.  Spee  hatte  seine  Erfahrungen  in  den  fränkischen 
Bistbümem  gesammelt.  —  Betheiligung  eines  protestantischen  Geistlichen  beim 
Inquisitionsgeschäft  ist  uns  bereits  oben  vorgekommen.  S.  auch  Horst  Z.  B. 
Th.  III.  S.  356  f. 

*)  S.  Mackemie  bei    W,  Scott  Br.  üb.  Däraonol.  Th.  11.  S.   143. 

•)  «Hat  die  Gefangene  W.  Brosii  Borschen  seinen  Jungen  beji^ossen,  davon 
derselbe  blind  worden  —  —  —  und  endlich,  als  man  ihr  Gnade  zuge- 
sagt, freiwillig  bekannt,  dass  sie  zu  dem  Goss  die  Worte  gesagt:  Der 
Junge  sollte  verblinden  ins  Teufels  Namen  etc. Da  ihr  eucli  nun  eigent- 
lich erkundiget  hättet,  oder  nochmals  erkundigen  würdet,  dass  der  Junge  bald 
nach  empfangenen  Goss  blind  worden,  und  die  Gefangene  würde  auf  ihrem 
gethanen  Bekenntniss  vor  Gericht  freiwillig  verharren,  oder  des  sonsten  ,  wie 
recht,  überwiesen :  so  möchte  sie  von  wegen  solcher  begangenen  und  be- 
kannten Zauberei,  nach  Gelegenheit  dieses  Falls,  weil  ihr  von  euch 
Gmade  versprochen,  und  über  ihr  gütliches  Bekenntniss  mit  der  Tortur 
-wider  sie  verfahren  worden,  mit  dem  Schwert  vom  Leben  zum  Tode 
gestraft  werden.  V.  R.  W."  Sentenz  des  leipziger  Schöppenstuhls  in 
einem  bautzener  Prozess  von   1599  bei  Carpzow  Nr.  XVI. 

Soldan-Heppe,  Hexenprozesse.  23 


^K^  SechssehntM  Kapitel. 

wollte.  Jeder  hielt  sich  zu  Allem  gegen  das  HexenvoUc 
berechtigt,  weil  er  damit  entweder  dem  Himmel  einen 
Dienst  zu  leisten  glaubte,  oder  sich  selbst. 

Während  so  die  Verhaftete  allen  Angriffen  blos^gestellc 
war,    sah  sie   sich  zugleich  auch  fast  aller  rechtlichen 
Vertheidigungsmittel  beraubt.     Weil    in    Glaubens- 
Sachen  überhaupt  nach  einer  Bestimmung  Bonifacius  VIE 
„simpliciter  et  de  piano,  absque  advocatorum  et  judiciorum 
strepitu  et  figura**  verfahren  werden  sollte,  so  erlaubte  der 
Malleus   nicht   die  Annahme  eines  Advokaten  nach  freier 
Wahl.     Es  durfte  zwar  ein  Rechtsbeistand  gegeben  wer- 
den;   dieser   musste.  aber  dem  Richter  als  ein  glaubens- 
eifriger Mann  (vir  zelosus)  bekannt  sein   imd  wurde  über- 
diess   feierlich  davor  verwarnt,    durch  Begünstigung  des 
Bösen   sich  selbst   schuldig  zu  machen.     Ein  solcher  Bei- 
stand wusste  somit,  was  er  seiner  eigenen  Sicherheit  we- 
gen zu  thun  und  zu  lassen  hatte.    Vor  weltlichen  Gerichts- 
stellen  ist    die  Wahl  des  Defensors  nicht  immer  so  be- 
schränkt,   aber  seine  Wirksamkeit  häufig  sehr  behindert 
worden.     So  wurde  ihm  in  Baiem,  Bamberg,  Osnabrück 
und   anderwärts  keine  Abschrift  der  Indizien  mitgetheilt. 
sondern    dieselben    dem    Inculpaten    zu    augenblicklicher 
mündlichen  Vertheidigung  vorgelegt.     Delrio  billigt  diess, 
weil  die  Advokaten  leicht  mit  unwesentlichen  Dingen  den 
Handel  in  die  Länge  ziehen  könnten.    Im  Bambergischen 
erlaubte  man  sich,  die  Defension  vor  der  Tortur  gänzlich 
abzuschlagen,  worüber  man  bei  Ferdinand  11.  Beschwerde 
führte;  in  Coesfeld  findet  sich  ein  Fall,  wo  noch  kein  De- 
fensor  gegeben  war,  als  der  Fiscal  nach  vollzogener  Tortur 
bereits  um   das   Endurtheil  bat.     Der  wandernde  Hexen- 
richter   Balthasar   Voss   im    Fuldischen    verweigerte  alle 
Vertheidigung   schlechthin*).      Und    was    half   überhaupt 


')  Die  obigen  Angaben  linden  sich  zerstreut  in  den  Schriften  von  ir^rr 
Delrio,  i\  Lambert  und  Niessert,    Im  Allgemeinen  rOgt  diesen  Unfug  Oldih^p 
Sunt  judices  quidam,    qui    ex    imperitia  jurium  et  judicii  defectu  (oe  dixerim 
ex  malitia)   reis    de   criminibus    atrocioribus  sive  exceptis   accusatis,    umulic 
capti  sunt,  advocatos  cum  injuria  denegant,  idque  ex  eo,  quod  dicitur,  in  cn- 
minibus  atrocibus  et  funestis  advocatos  non  esse  concedendos. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  2cc 

aiich  der  beste  Vertheidiger  bei  den  einmal  in  Geltung 
gekommenen  Voraussetzungen?  Aus  dem  siebenzehnten 
Jahrhimdert  gibt  6s  Prozesse,  die  in  allen  Formen  des 
Anklageverfahrens  verlaufen;  der  Defensor  reicht  die  licht- 
vollsten, der  Fiscal  die  Aiohstrosesten  Schriften  ein,  und 
dennoch  siegt  der  Letztere  vor  Richtern  und  Fakultäten. 
Es  lag  in  keinem  Falle  in  der  Gewalt  des  Defensors,  den 
Angeklagten  gegen  die  Wirkungen  seines  eigenen  Ge- 
ständnisses zu  schützen;  dieses  Geständniss  aber  war 
der  Zielpunkt,  auf  welchen  alle  Hebel  des  Vetr 
fahren s  hinwirkten.  Das  Schlimmste  aber  war  dabei, 
dass  nur  gar  zu  oft,  wenn  das  Gericht  selbst  von  der  Un- 
schuld einer  Inquisitin  durch  die  im  Prozesse  hervorge- 
tretenen Indizien  überzeugt  worden,  die  Richter  doch  um 
ihrer  Reputation  willen  ein  Geständniss  der  Unschuldigen 
zu  erzwingen  suchten.  So  sehen  wir  z.  B.  in  dem  be- 
kannten Coesfelder  Prozess  von  1632*)  die  satanische  Er- 
scheinung, wie  ein  ganzes  CoUegium  —  nämlich  der  Stadt- 
rath  zu  Coesfeld  —  es  als  seine  Ehrensache  ansieht,  dass 
der  nun  einmal  von  ihm  m  Untersuchung  Genommene, 
zur  Rechtfertigung  des  leichtfertig  angestellten  und  ge- 
führten Prozesses  vor  der  Welt  aJs  schuldig  erscheine  — 
wozu  der  ehrsame  Rath  die  unerhörtesten  Torturmittel  in 
grausamster  Weise  zur  Anwendung  brachte. 

b)    Die    Tortur. 

Im  Bisherigen  haben  wir  bereits  allerlei  nichts  weniger 
al§  hiunane,  aber  im  Erfolg  sehr  wirksame  Mittel  kennen 
gelernt,  die  man  zur  Anwendung  brachte,  um  die  Inquisiten 
zum  Geständniss  zu  treiben.  Keins  dieser  Hülfsmittel  der 
Inquisition  kaiin  jedoch  auch  nur  im  Entferntesten  mit  dem 
Marterwerkzeug  verglichen  werden,  dessen  Anwendung 
die  eigentliche  Seele  des  ganzen  Prozessverfahrens  war, 
nämlich  —  mit  der  Folter.  Denn  ohne  sie  würde  es  gar 
nicht  möglich    geworden    sein,    die    Massen    von   Hexen, 


*)  Vgl,  Jos,   Niesert,   Merkwürdiger  Hexenprozess   gegen  den    Kaufmann 
G.   Kfibbing  aus  d.  Jahren  1632.  (Coesfeld,   1827.) 


^^*>  aerff.sw  t.^^f^  Kjc^:ncl. 


Trelrhe  ::iäz:  ÄÜer  "C^rres:  prcxessin  und  justi£zirt  hat,  auf- 
zuf::ideii.  C-tzie  liSe  Fchaer  wäpe  der  Hexenprozess  in 
E-xi^ieh  rirhi  iis  ^eircrdesi.  äIs  was  er  in  der  Geschichte 
cer  Me:3>c!h2ien  d2i3ehi.  Ke  Tamir  war  der  Haupdien' 
aller  £»e"Vr isc^lhrsr: c.  ise  F z'.zer  war  das  ög^entliche  S}Tii- 


^  -  *       *  T_Z  —       «.^B..^      -  — 


Zur  Ar-rer^iun^  der  T:»m:r  scariu  man  schon  auf  die 
In.v'.TrrL  hin:  rarei  coer  drei  Denimnarionen,  wenn 


ter  Xatur,  oder  die  Angabe  eines 
e:-_r:cen  >:  jre^-^är.r.ier!  Coirplicen  wurden  als  gesetzhch 
C^r,ü<eT:d  c-eir&chiet  - ,  Wo  iran  dem  Satze  vom  crimen 
excerr*::^::  eir.e  erras  freiere  Ausiegung"  gab,  da  war  die 
Fiter  di5  AlrbÄ  und  das  ^►n:€iara  des  Verfahr«is*L  Kai^e^ 
Ferün.ini  IL  S3ii  sich  ^?Ki3th:gt.  dem  Bischöfe  von  Bam- 
berg einen  Gerichisprasidenten  za  bestellen,  „damit  nit 
ir.ehr  ierclei.^hers  Desunciationen  so  bald  a  captura  et 
tcrrura  •inrlincen.  sondern  die  Instruenten  ruvor  über  alle 
cirrumsCAr-iias  loci  ei  malencü  und  dass  sie  sich  in  ipso 
:\\j:c.  w\ihr  benr.den,  g^enug-same  Nachricht  einholen**'). 

Bei  vsr.^brüjldschen  Prozessen  aus  dem  achten  De- 
cennium  des  sechsiehnren  Jahrhunderts  klagt  der  Jurist 
Rüder.s^heid.  c.vss  die  verfolgten  Weiber,  .«alsbald  sie  g*e- 
!7inclic-  einc^^-ccen  worden,  der  Tortur  eodem  quasi  mo- 
ir.er.to  ur.ter-A  .>nen  sein  und  ihre  defensiones,  wie  sich  zu 
Re^v  h:  cebühn.  nicht  gehöret*'  * ,     Dergleichen  tumultuan- 

•  r.  '  .:  V  V.;:  ;.  /.•  -:.-:  -^»^  CXXII.  'v  f.  Xusfrf  Merkn 
lliVv  *. -.  ;e^*  ^c«-.r  -t-  K2>.!:i:Ar^  G.  K*:r.rz  ni  Coesfeld  im  J.  1632  ^ -.^ 
A.v--  -.c  r  / --*  j.  J -•«*:««  !TC.;r*:  .r  s^ineai  Proc^sai«  lundicus  cor»'» 
S  ^.  -  et  Vfv-^'c  <  :  ;.  Ei2  -ipvy:*  c*^r  Pr.-xes^  etc.  (au«  dem  Latein  Gb<r- 
s^'r.  Kl:  i'^v  ,:.f  /j^:<re  u  cer  rr:=i:~  ^u*  excrpüs,  denen  ceieaC^cf 
«.  '  --syc-^ew  *\-.,j''t>  Vc-x'.'e*^  i'w*As<u  5e:.  Daher  forden  ir  namentlich 
»>  .:  — :^  .  '.A.vx  -:i  *cr.-  au!  i.e  A--xa^e  vcl  nvei  oder  drei  Complicer 
h '.   :j'   A-vve-i-r^   .*f  K  ^*.;cr  «:  -t '^ 

•.  C«-*.  .-   c .•'.  •jwj«^!.  XViil 

•;  »."  »-  :e  I..'."..' ^  p.  :k^.  —  Ir  ^^r.vr.bj'^  thetite  nun  einsJ  «"la*^ 
Vc-*  .  ftfe-*  r.a.!  ! "  riV  ifr  Ge!*j-\:trrvcbaft  i:e  Inltiien  mit.  welciie  gro^^'*" 
i^'-.U  a-«  B^K^-.'tn-^^en  ^-e^ta^ier.  »iie  er^!  während  der  Gef»njlf'^- 
^«.  ^  a  f  t    a  *  ^  -r  •  .  1 :  t  r  T    w  ^  r  . «.  r     w  a  r  t  r..      NjchlsJestowenicer   lautet    »''«^ 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^ey 

sches  Vorschreiten  war  gewöhnlich  überall  da  zu  Hause, 
wo  die  Geschichte  einzelner  Jahre  durch  Reihen  grosser 
Hexenbrände  besonders  gebrandmarkt  ist. 

Der  Malleus  räth,  die  Folter  stufenweise  und  an  ver- 
schiedenen Tagen  anzuwenden,  jedoch  dürfe  man  das  nicht 
eine  Wiederholung,  sondern  nur  eine  Fortsetzung 
nennen.  Weltliche  Richter  haben  indessen  an  jenem  Aus- 
drucke keinen  Anstoss  genommen  ^).  Weil  die  Zauberei 
ein  crimen  exceptum  war,  so  erlaubte  man  sich  in  dem 
Grade,  der  Wiederholung  und  der  Zeitdauer  des  Akts  jede 
Freiheit.  Drei-  und  vierstündige  Tortur  war  nichts  Un- 
gewöhnliches *).  Ein  der  Lykanthropie  Angeklagter  in 
AVestphalen  wurde  einst  zwanzigmal  „mit  der  Schärfe" 
(wie  man  die  Tortur  nannte)  angegriffen');  in  Baden- 
Baden  peinigte  man  ein  Weib  zwölfmal  und  liess  sie  nach 
dem  letzten  Akt  noch  zweiundfiinfzig  Stunden  auf  dem 
sogenannten  Hexenstuhle  sitzen^).  Ein  Weib  in  Düren, 
das  in  wiederholter  Pein  standhaft  leugnete,  die  Kraut- 
gärten durch  Hagelschlag  verwüstet  zu  haben,  blieb,  mit 
ungeheuren  Beingewichten  beschwert,  an  der  Schnur 
hangen,  während  der  Vogt  zum  Zechen  ging ;  als  er  wieder 
kam ,  hatte  der  Tod  die  Arme  von  allen  Qualen  erlöst  *). 
Diesem  Vogte  fehlte  indessen  die  Geistesstärke,  mit  welcher 
man  sonst  in  solchen  Fällen  behauptete,  dass  der  Teufel 
sein  Opfer  geholt  habe^);  er  ward  wahnsinnig. 


Schlussartikel :  nitem  wahr,  und  erfolgt  aus  Hieroberzählteni,  dass  offtermelter 
Magistrat  der  St.  Offenburg  ganz  wohl  befuegt,  ja  von  Obrigkeit  schuldig  ge- 
wesen ,  Sie  Hoffmännin  in  gefänghche  Hafftung  anzunehmen  und  obgesetzter- 
niassen  mit  der  tortur  gegen  ihro  zu  verfahren.**  Originalakten  des  R.  K.  G., 
i^IofTmännin  contra  Stadt  Otfcnburg. 

^)  1593  sprach  z.  B.  der  Rath  zu  Havelberg  den  Satz  aus:  der  Teufel 
helfe  den  Hexen  oft  bei  der  ersten  Tortur,  man  müsse  dieselbe  wieder- 
holen.    V,  Räumer  in  den  Mark.  Forschungen.     1841.     Bd.  I.  S.  249. 

^  V,  Lamberg  S.  6.     Horst  Z.  B,  U.   153. 

')  En,  judicum  clemens  arbitrium  quo  se  porrigat  in  illis  partibus  Aqui- 
lonaribus!  ruft  Delrio  über  diesen  Fall  aus.     Lib.  V.  Cap.  IV.  Sect.  9. 

*)  Originalakten  des  R.  K.G.  von  1628,  Weinhagen  contra  Markgrafen  v. Baden. 

*)    Weier  de  praestig.  daemon.  S.  433. 

•)  «In  stillem  Rath.  Nächten  nach  eilf  Uhr  ist  des  Waischen  Mägdlein 
auf  dem  (Hexen) Stuhl   urplötzlich  gestorben,  und  unangesehen  man  sie  zuvor 


^eg  Sechszehntes  Kapitel. 

In  grausiger  Uebersichtlichkeit  ist  das  ganze  Verfahren 
von  dem  Juristen  Hartwig  v.  Dassell  zu  Lüneburg  in 
einer  1 597  herausgegebenen  Schrift  dargestellt  ^).  Er  sagt 
so:  „Um  zu  verhüten,  dass  die  der  Hexerei  Angeklagten 
nicht  das  maleficium  tacitumitatis  ausüben,  soll  man  vorher 
die  geeigneten  Vorsichtsmassregeln  anwenden.  Namentlich 
ist  darauf  zu  sehen,  dass  sie  nicht  etwa  in  Kleidern  und 
Haaren  ein  Amulet  versteckt  halten').  Man  lasse  sie  so- 
dann binden,  wobei  der  Richter  es  versuche  bei  der  Zu- 
rüstung  und  Anlegung  der  Marterwerkzeuge  sie  ztmi  Ge- 
ständniss  zu  bringen.  Hat  dieses  keinen  Erfolg,  so  beginnt 
die  Tortur.  Führt  auch  diese  (die  in  ihren  entsetzlichsten 
Einzelheiten  besprochen  wird)  nicht  zum  Ziele,  so  ist  den 
Angeklagten  ein  Termin  auf  den  zweit-  oder  drittnächsten 
Tag  zur  „Fortsetzung"  der  Tortur  zu  setzen.  Dabei  pflegen 
die  Henker  der  Vorsicht  wegen  zu  „protestiren"  und  der 
Richter  zu  „interloquiren",  dass  sie  einstweilen  mit  der 
Fortsetzung  der  Tortur  (die  eigentlich  nur  auf  neu  hinzu- 
gekommene Indizien  hin  erneuert  werden  sollte)  Anstand 
nähmen.  In  der  Zwischenzeit  sorgt  der  Richter  dafür,  dass 
die  Gefolterten  nicht  allein  bleiben,  weil  sie  sonst,  vom 
Teufel  aufgereizt,  einen  Selbstmord  versuchen  konnten. 
An  dem  anberaumten  Tage  muss  der  Richter  sie  abermals 
emstlichst  ermahnen,  um  sie  zu  einem  „freiwilligen"  Ge- 
ständniss  zu  treiben.     Fruchtet  dieses  nichts,   so  lässt  er 


zum  Bekenntniss  stark  ermahnt,  ist  sie  doch  allzeit  auf  ihrer  Unschuld  stark 
verharret.  — —  Ist  erkannt,  dass  man  sie  unter  dem  Galgen  > er- 
grabe." Offen  burger  RathsprotokoU  vom  1.  Juli  1628.  b.  Sckrd^tr  üexca* 
prozess  im  Breisgau,  S.  l8.  —  Aehn Hohes  bei  ffcrst  Z.  B,  Th.  U.  S.  410 
u.  Th.  lll.  S.  355  f 

»)  Das  Buch  fuhrt  den  Titel:  Hardewici  a  Dassel]  J.  C  Responsum 
iuris  in  causa  poenali  maleficarum  Winsiensium  prodefensione  innoxiarum  c! 
condemnatione  nocentum,  ne  quisquam  ante  iudicium  iniuste  innoceüter«)ut 
condemnetur.  —  Datum  Lüneburg.  Ultimo  Junii  die,  a,  1697.  Das  Gaisu 
ist  ein  Rechtsgutachten  Qber  einen  in  Winsen  vorgekommenen  Fall.  Vgl 
Trummtr,  Vorträge  etc.  S.  117  fL 

')  Auch  hier  die  acheusaliche  Vorschrift:  Pili  et  crines  ex  omni  parte 
corporis  abradantur  et  laventur  —  quod  interdum  in  pilis  teoeant  nuldiciuin 
pro  taciturnitate,  et  quandoque  in  locis  secretissimis  non  nominandis. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^^g 

sie  auf  die  Folter  bringen,  und  während  sie  in  die  Hohe 
geschraubt  werden,  lässt  er  die  Aussagen  ihrer  Genossen 
mit  Verschweigung  der  Namen  ihnen  vorlesen  und  ruft 
ihnen  zu:  Ihr  seht  also,  dass  ihr  durch  Zeugen  überführt  seid ! 

Wenn  das  Alles  noch  nicht  hilft,  so  darf  man  die  An- 
geklagten doch  noch  nicht  freigeben,  sondern  man  schafft  sie 
vielmehr  nach  einem  entfernten  castrum  (Hexenthurm  etc.), 
imd  wenn  sie  dort  mehrere  Tage  zugebracht  haben,  gibt 
der  Vogt  eine  weite  Reise  vor  und  lässt  inzwischen  die 
Verhafteten  durch  abgeschickte  Weiber  besuchen,  welche 
sich  mit  ihnen  unterhalten  imd  ihnen  versprechen  müssen, 
dass  sie  ihnen  die  Freiheit  verschaffen  wollten,  wenn  sie 
ihnen  nur  in  einigen  Hexereien  Unterricht  ertheüen  wollten  (!) 
Bleibt  aber  auch  dieses  erfolglos,  so  kann  ihnen  der  Richter 
das  Todesurtheil  verkündigen  und  kann  sie  auch,  wenn  die 
Umstände  es  erlauben,  anscheinend  zur  Hinrichtung  hinaus- 
führen lassen,  um  sie  zur  Reue  zu  bringen.  Hilft  auch 
dieses  nichts,  so  muss  er  sie  fragen,  ob  sie  die  glühende 
Eisen-  oder  die  Wasserprobe  wagen  wollten.  Antworten 
sie  im  Vertrauen  auf  die  Hilfe  des  Teufels  mit  Ja,  so  ent- 
gegnet ihnen  der  Richter,  dass  er  doch  eine  solche  Reini- 
gung als  auf  ein  vom  Teufel  ersonnenes  Blendwerk  nicht 
gestatten  könne.  Beharren  dann  die  Angeklagten  auch 
jetzt  noch  bei  ihrem  Schweigen,  so  hat  sie  der  Richter  in 
lebenswierige  Haft  zu  nehmen  *),  wobei  sie  dann  vielleicht 
der  Dunst  des  Gefängnisses  („carceris  squalor"!)  zum  Ge- 
ständniss  treibt  oder  wo  sich  neue  Indizien  ergeben,  welche 
zu  neuer  Anwendung  der  Folter  berechtigen.  Legen  aber 
die  Angeklagten  endlich  ein  Geständniss  ab,  so  hat  alsbald 
die  gewöhnliche  Hinrichtung  durch  Feuer  einzutreten.  — 

Alle  wesentlichen  Momente  des  teuflischen  Prozess- 
verfahrens sind  hier  allerdings  zusammengestellt,  und  im 
Wesentlichen  verlief  jede  „scharfe  Frage"  in  der  hier  an- 
gegebenen Weise. 


*)  Dassäl  meint  auch,  incarcerata  non  poterit  evadere  et  nocere,  quia 
divina  iustitia  tunc  non  permittit  daemoni  naturalem  potentiam  exercere  in* 
carceratis ! 


^6o  Sechszehntes  Kapitel. 

Ehe  man  nämlich  zur  Folter  schritt,  wurden  vor  den 
Augen  der  Angeklagten  die  Folterwerkzeuge  ausgekramt, 
wobei  der  Henker  deren  Anwendung  beschrieb-  Hatte 
diese  „Territion"  nicht  den  gewünschten  Erfolg,  so  wurden 
die  Angeklagten  gewöhnlich  einer  Procedur  so  scheuss- 
licher  Art  unterworfen,  dass  eine  ehrbare  Frau  oder  ein 
züchtiges  Mädchen  schon  dieser  blossen  Vorbereitung  der 
Folter  den  Tod  vorziehen  konnte.  Die  Unglückliche  wurde 
nämlich  zunächst  (zuweilen  aber  auch  erst,  nachdem  die 
ersten  Marter  erfolglos  angewendet  waren)  vollständig  ent- 
kleidet, und  sah  sich  nun  mit  ihrem  entblössten  Leibe  den 
rohen  Händen  des  Scharfrichters  und  der  Henkersknechte 
preisgegeben.  Dieselben  begannen  vor  Allem  in  der  scham- 
losesten Weise  an  dem  Körper  der  Unglücklichen  nach 
verborgenen  Zaubermitteln,  durch  welche  sich  dieselbe 
etwa  gegen  die  Folter  unempfindlich  machen  konnte,  zu 
suchen,  wobei  nicht  selten  von  Bütteln,  Scharfnchtern 
und  Gefangenwärtem  noch  die  scheusslichste  Unzucht  ver- 
übt wurde  ^).  Da  möglicher  Weise  im  Haar  ein  Zauber- 
mittel versteckt  sein  könnte,  so  wurden  der  Angeklagten 
an  allen  Körpertheilen  alle  Haare  und  Härchen  abrasirt 
beziehungsweise  abgesengt  ^).    Sodann  begann  der  Gericht«^ 

*)  Der  grimme  Hexenrichter  Remigius,  Verfasser  der  «Daenionolatria* 
von  1595.  erzählt  von  einem  seiner  Opfer,  Katharina  geheissen.  dieselbe  sei. 
obgleich  noch  ein  unniannbares  Kind,  im  Kerker  wiederholt  dergestalt  vom 
Teufel  genothzQchtigt  worden  ,  dass  man  sie  halbtodt  gefunden  habe.  Die 
Befriedigung  der  viehischen  GelQste,  welche  sich  die  wirklichen  Unholden 
erlaubten,  wurde  nämlich  dem  Teufel  in  Rechnung  gesetxt !  —  Der  engliiche 
Staatsrath  verurtheilte  wegen  Missbrauchs  einer  Hexe  1678  eine  Magistrat*- 
pcrson  (^K.  Scott  B.  ober  Däm.  H.  150).  Auch  Fr.  v,  Spet  erwihnt  ein  in 
Deutschland  von  einem  Scharfrichter  bei  dem  Scheeren  vor  der  Folterun« 
verübtes  derartiges  Verbrechen  in  der  Caut.  crim.  XXXI.  —  Auch  i^'nn 
(de  praest.  daem.  Ausg.  von  1563,  S.  295)  erwÄhnt  einen  (weiter  uDten  roit- 
zutheilenden)  Fall,  in  welchem  eine  Hexe  von  dem  Geftngnisswäiter  iweim*! 
geschwÄni^ert  ward. 

«)  Spei  (Dub.  XXXI.)  beschreibt  diese  grausige  Procedur  in  folgender 
Weise :  Cum  lorturis  admovenda  rea  est,  seducit  eam  prin)um  in  locum  proM« 
mum  infnmis  lictor,  et  non  modo  capite  et  axillis  sed  et  qua  parte  roüli'f 
est,  accurate  detondet  aut  admota  facula  adurit.  Causu  est,  ne  quid  imphci- 
tum  Sit  recularum  maKicarum .   ({uibus    ad  tormenta  induretur.     Er  fÖgt  noch 


Dsa  gerichtliche  Veriahren  uod  die  Strafe.  ^5l 

knecht  an  edlen  Theilen  des  Korpers  nach  dem  Hexen- 
mal,  Stigma  diabolicum,  zu  suchen.  Man  glaubte  nämlich, 
jede  Hexe  habe  an  ihrem  Körper  eine  Stelle,  an  welcher 
sie  unempfindlich  imd  ohne  Blut  sei.  Der  Knecht  stach 
daher  mit  einer  Nadel  in  alle  Leberflecken,  Warzen  u.  dgl. 
ein,  um  zu  sehen,  ob  nach  irgend  einem  Stiche  kein  Blut 
iliesse. 

Wollte  die  Angeklagte  jetzt  noch  kein  Geständniss 
ablegen,  so  begann  der  Richter  —  um  das  maleficium 
taciturnitatis  fortzuschaffen  —  dieselbe  mit  Drohungen  und 
Versprechungen  zu  bearbeiten  ^).  Dabei  war  dem  Richter 
im  Hexenhammer  der  Gebrauch  von  Amphibolinen,  Mental- 
reservationen und  anderer  Fallstricke  zur  Erwirkung  eines 
„freiwilligen**  Geständnisses  empfohlen*).  Bei  dem  Be- 
ginne der  Tortur  pflegten  insbesondere   katholische  (aber 


die  Worte  hinzu:  Obnoxium  est  id  illusionibus  et  foedissimis  tactibus  inconti- 
nentiuro  scurrarum.  —  Ego  detondendam  a  nequam  scurra  raptim  constupra- 
tani  audio,  tum  mox  coiupendio  facula  dcpilatam.  —  v.  Wächter  (Beiträge  zur 
deutschen  Gesch.  S.  323)  verrauthet ,  dass  dieses  schmähliche  Verfahren  von 
den  Inquisitores  haereticae  pravitatis  henühre,  und  hebt  dabei  hervor, 
dass  die  Verfasser  des  Hexenhammers,  die  dasselbe  adoptirten,  doch  noch  ein 
rühmendes  Zeugniss  für  deutsche  Ehrbarkeit  ablegen ,  indem  sie  sagen :  In 
Alenianniae  partibus  talis  abrasura  ,  praesertim  circa  loca  secreta, 
plurimuro  censetur  in  honesta,  qua  de  causa  nee  nos  inquisitores  usi  sumus, 
sed  tonsis  capillis  capitis  cum  calice  aquae  benedictae  guttulas  cerae  benedictae 
immittendo  et  sub  invocatione  sanctissimae  Trinitatis  jejuno  stomacho  trinies 
in  potum  ministrando  per  Dei  gratiam  a  plerisque  taciturnitatis  male- 
ficium abstinuimus.  Tarnen  in  aliis  regnis  inquisitores  talem  per  totum 
corpus  abrasuram  fieri  mandant,  ut  et  Cumanus  inquisitor  nobis  insinuavit, 
qui  anno  elapso  XLl.  maleficas  incinerari  mandasset,  omnibus  per  totum 
corpus  abrasis.  Leider  eigneten  sich  aber  späterhin  auch  die  deutschen  Hexen- 
richter die  italienische  Praxis  an.  wesshalb  Spee  darüber  ausruft:  Pudeat  ger- 
manos  nos,  si  quae  tunc  erat  peculiaris  Alemanniae  verecundia,  nee  hanc  in- 
quisitores illi  alias  severi  confundere  ausi  sunt,  nos  denique  nunc  nequissi- 
moruin  scurrarum  libidini  prostituimus. 

')  Eine  oft  vorkommende  Bedrohung,  mit  welcher  der  Henker  seine  grausige 
Arbeit  begann,  war:  «Du  sollst  so  dünn  gefoltert  werden,  dass  die  Sonne 
durch  dich  scheint." 

')  Wie  das  Versprechen  der  Gnade  zur  Erpressung  von  Geständnissen 
gcmissbraucht  ward,  ist  z.  B.  aus  dem  Urtheil  zu  ersehen,  welches  Carpzow 
im  Anhange  zur  Quaest.  L.  Nr.  17  mittheilt. 


362  Sechszehntes  Kapitel. 

auch  protestantische)  Untersuchungsrichter  allerlei  Vor- 
sichtsmassregeln anzuwenden,  durch  welche  sie  aUe  das 
Gerichtsverfahren  störende  Einwirkungen  des  Teufels  und 
anderer  Hexen  auf  die  Inquisiten  verhindern  wollten.  An 
manchen  Orten  legte  man  den  Angeklagten  zu  diesem 
Zwecke  ein  Hemd  an,  welches  an  Einem  Tage  gewirkt, 
gesponnen  und  zusammengenäht  sein  sollte.  An  anderen 
Orten  sah  man  wenigstens  darauf,  dass  dieselben  während 
der  Tortur  von  ihren  Kleidern  gar  nichts  am  Leibe  hatten; 
denn  eine  Hexe  zu  Innsbruck  hatte  sich  einst  gerühmt, 
wenn  sie  nur  einen  Faden  vom  Kleide  einer  Grefangenen 
habe,  so  wollte  sie  dieselbe  dergestalt  verzaubern,  dass 
sie  diu-ch  keine  Marter  zum  Geständniss  gebracht  werden 
könnte.  In  katholischen  Gegenden  gab  man  den  Unglück- 
lichen auch  einen  mit  allerlei  geweihten  Stoffen  zurecht- 
gemachten Trank  ein,  der  sie  zum  Geständniss  geneigt 
machen  imd  den  Beistand  des  Teufels  verhindern  sollte. 
Ganz  gewöhnlich  aber  war  es  hier,  dass  man  die  Folter 
wiederholt  mit  Weihwasser  besprengte  und  die  Folter- 
kammer mit  aus  geweihten  Kräutern  hergestelltem  Rauch 
erfüllte,  —  um  „des  Teufels  Gespenst"  vom  Orte  fem  zu 
halten^).  In  den  Akten  eines  161 9  im  Elsass  vorgekom- 
menen Hexenprozesses  (welche  Rud.  Reuss,  La  sorcel- 
lerie  etc.  S.  160  mittheilt)  wird  bezüglich  der  vorgenom- 
menen Tortur  berichtet,  dass  man  „propter  suspicionem 
initi  cum  diabolo  pacti  insensibilitatis  den  locus  torturae 
zuvor  exorcisirt,  dass  auch  der  Gefangenen  ganz  neue 
gebenedeite  Kleider,  darin  auch  eine  particula  de  agno 
Dei  genähet  gewesen,  angelegt  worden".  Dieses  Verfahren 
war  in  katholischen  Landen  ein  ganz  gewöhnliches. 

Zahllos  waren  die  Torturmittel,  durch  welche  eine 
sinnreiche  Kriminalistik  dem  Lügenteufel  im  Menschen  zu 
Leibe  ging,  vom  einfachen  Anlegen  der  Daumschrauben  an 
bis  zum  Abreissen  der  Fingernägel  mit  Schmiedezangen, 
welches  Jacob  I.  üben  Hess.  Raffinirter  war  \'ielleicht  keins 
als  das  sogenannte  tormentiim  insomniae,  das  schon  von 


')  L.  Rapp,  die  Hexenprozesse  und  ihre  Gegner  aus  Tiro],  S.  38* 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^()x 

Binsfeld  gebilligt  und  später  in  England  mit  Erfolg  an- 
gewandt wurde.  Matthäus  Hapkins,  der  berüchtigte 
General-Hexenfinder  Englands,  liess  die.  Gefangenen  stets 
wach  erhalten,  „damit  sie  keinen  Zuspruch  vom  Teufel 
erhielten."  Zu  diesem  Zwecke  wurden  sie  ini  Kerker  un- 
aufhörlich umhergetrieben,  bis  sie  wunde  Füsse  hatten  und 
zuletzt  in  einen  Zustand  vollkommener  Verzweiflung  imd 
Tollheit  geriethen*).  Dieses  „tormentum  insomnii"  oder 
„insomniae"  wurde  aber  zur  Steigerung  der  Tortur  auch 
in  Deutschland^)  und  namentlich  auch  im  Kirchenstaat 3) 
angewendet.  —  Andere  Untersuchungsrichter  pflegten  den 
Verhafteten  nur  gesalzene  Speisen  ohi^e  einen  Trunk  ver- 
abreichen zu  lassen*).  Hatte  die  Anwendung  dieser  Mittel 
nicht  den  beabsichtigten  Erfolg,  so  schritt  man  zur  eigent- 
lichen Tortur. 

In  Württemberg  bediente  man  sich  hierzu  der  so- 
genannten Wippe,  die  darin  bestand,  dass  man  der  An- 
geklagten Hände  und  Fasse  zusammenband,  und  sie  dann 
an  einem  über  eine  Rolle  laufenden  Seil  auf  und  niederzog. 
Bei  dem  zweiten  Grade  der  Folter,  wurde  ein  leichterer, 
bei  dem  dritten  ein  schwerer  Stein  (oft  vom  Gewicht  eines 
Centners)  angehängt,  was  eine  geringere  oder  stärkere  Ver- 
renkung der  Glieder  zur  Folge  hatte*). 

Das  gewöhnliche  Verfahren  ^)  bei  der  Anwendung  der 


')  Binsfeld  in  Tit.  Cod.  de  nialef.  et  mathemat.  —  W.  Scott  Br.  über 
Däm.  II.  92, 

')  Z.  B.  im  Elsass,  s.  Reuss,  la  sorcellerie  S.  177. 

-')  ChartariOf  Praxis  interrogandorum  reorum  (Rom.  i6l8)  p.  19S:  In 
Statu  KccksiastiGO  bi  duo  modi  magis  in  usu  sunt.  —  tormentum  taxiliorum 
et  vigiliae  per  somni  subtractione  m. 

♦)  P/ajr.  S.  374. 

■)  P/aff,  S.  259,  —  Erst  seit  1662  kamen  in  Württemberg  die  , Daum- 
schrauben* und  „spanischen  Stiefel*  zur  Anwendung.     S.  Pf  off,  S.  350. 

*)  Als  Beispiel  geben  wir  folgende  gerichtlich  erhobene  Tbatsachen  aus 
einem  Falle,  in  welchem  die  Inquisitin  durch  eine  seltene  Standhaftigkeit  in  der 
Marter  es  dabin  brachte,  dass  nur  die  Landesverweisung  als  ausserordentliche 
Strafe  Ober  sie  verhängt  werden  konnte ,  und  dass  ihr  so  wenigstens  die  Mög- 
lichkeit einer  Beschwerdeführung  blieb. 

.Insonderheit  saget  testis  2.  Philipp  Wagner,  der  Richter  selbsten,  ad  2.  art. 
Ob  Maderio  gleich,    bey    der  ersten  Marter  nichts  bekennet,   habe  man  doch 


x(y±  Sechszehnt«s  Kapitel. 

Folter  beschreibt  v.  Wächter  (Beitr.  ztir  deutschen  Gesch. 
S.  120)  in  folgender  Weise:  Man  begann  die  Tortur  (auch 
die  „peinliche  Frage",  die  „scharfe  Frage"  genannt)  ge- 
wöhnlich mit  dem  Daumenstock,  indem  man  den  An- 
geklagten entblosste  imd  anband  und  die  Daumen  desselben 
in  Schrauben  brachte,  diese  langsam  zuschraubte  und  so 
die  Daumen  quetschte.     Half  dieses  nichts,  so  nahm  man 


ohne  rechtliches  Erkenntniss,  die  Tortur  wiederholet,  und  der  Scharpffrichter 
ihr  die  Hände  gebunden,  die  Haar  abgeschnitten,  sie  auff  die  Leiter  gesetzet. 
Brandenwein  auff  den  Kopff  gössen,  und  die  Kolbe  vollends  wollen  abbrennen. 
Ad  artic.  3.  ihr  Schwefelfedern  unter  die  Arm.  und  den  Hals  gebrennei, 
art.  4.  binden  aufwärts  mit  dt-n  Händen  biss  an  die  Decke  getogen,  art.  5.  so 
bey  3.  oder  4.  Stunde  gewehret ,  und  sie  gehangen ,  der  Meister  aber  xnm 
Morgenbrodt  gangen,  art.  6.  7.  und  als  er  wiederkommen,  ihr  BrandenweiB 
auff  den  Ruck  gössen,  und  angezündet,  art.  8,  9.  10.  ihr  viel  GcMrichter  auü 
den  Rücken  gelegt,  und  sie  in  die  Höhe  gezogen;  Nach  diesem  wieder  au 3 
die  Leiter,  und  ihr  ein  ungehoffeltes  Bret  mit  Stacheln  under  den  Rücken  ge- 
leget,  und  mit  den  Händen  biss  an  die  Decke  auffgezogen.  art.  11.  Furier 
die  beyde  grosse  Fuaszehen.  und  bey  de  Daumen  zusammen  geschraubet,  eine 
Stange  durch  die  Arm  gestecket,  und  sie  also  auffgehänget,  dass  sie  ungcfeh: 
eine  viertheil  Stunde  gehangen,  war  ihr  immer  eine  Ohnmacht  nach  der  andern 
zugangen»  ad  art.  12.  et  13.  die  Beine  weren  ihr  in  den  Waden  geschrau^«l. 
und  wie  zu  vermercken.  die  Tortur  auff  die  Fragen  underschiedlich  wieder- 
holet worden. 

Bey  der  dritten  Tortur,  so  der  von  Dreissigacker  verrichtet,  seye  es  int« 
zugangen,  als  der  sie  mit  einer  ledernen  Peitschen  umb  die  Lenden,  u  nd  sonsi 
gehauen,  dass  das  Blut  durchs  Hembde  gedrungen,  art.  I4.  15.  16.  Ferner 
sie  auffgezogen,  ad  art.  15.  ihr  die  Daumen  und  grosse  Zehen  zusammen  ^?* 
schraubet,  sie  also  im  Bock  sitzen  lassen,  und  weren  der  Henker  neben  denen 
Gerichtjpersonen,  zum  Morgenbrodt  gangen,  ungefehr  vor  Mittage,  umb  lO  Ch' 
darinnen  sie  gesessen  bis  1.  Uhr,  nach  Mittag,  dass  auch  ein  beoichbsrtcr 
Beamdter  zu  Zedgen  kommen  und  gesagt,  warumb  man  so  unbannhertzit(  mit 
den  Leuten  umbgienge ,  man  hette  zu  Neustadt  davon  gesagt ,  dass  die  zu 
Possneck  so  unbarmhertzig  weren,  art.  17.  Darauff  sie  abermal  mit  der  Car- 
batschen  jämmerlich  zerhauen,  und  seye  es  hierbey  ersten  Tages  verblieben 
art.  18.  den  andern  Tag,  (notetur)  were  man  noch  einmal  (doch  ahsque  ^f- 
tentia  praevia)  mit  ihrdurchgangen,  Tortur  hette  bissweiln  mit  der  Peitschen 
zugehauen,  aber  nicht  so  sehr,  wie  den  vorigen  Tag.  es  were  ein  abscheultcn 
Werck  gewesen,  art.  19.  —  diesem  Zeugen  stimmet  in  den  meisten  Punkten 
bei  testis  4,  Christoph  Rhot,  auch  Richter  u,  s.  w.*  —  Urtheil  wegen  w 
harter  Tortur  in  puncto  veneficii,  in  Zit/^'j  Consil.  et  Respons.  Frankof.  1ö'^ 
i^.  4^»3.  —  Der  Fall  selbst  gehört  in  das  Jahr  162g, 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^6$ 

die  Beinschrauben  oder  spanischen  Stiefel,  durch 
welche  Schienbein  und  Waden  glatt  gepresst  wurden,  nicht 
selten  so,  dass  die  Knochen  zersplitterten.  Zur  Erhöhung 
der  Qual  wurde  dabei  noch  zwischendurch  mit  dem  Hammer 
auf  die  Schraube  geschlagen.  Um  nicht  durch  das  Jammer- 
geschrei der  Gefolterten  molestirt  zu  werden,  steckte  der 
Scharfrichter  derselben  ein  Capistrum  in  den  Mund,  welches 
das  Schreien  unmöglich  machte.  Der  nächstfolgende  Grad 
der  Folterung  war  der  Zug  oder  die  Expansion  oder 
Elevation,  Dem  Angeschuldigten  wurden  hierbei  die 
Hände  auf  den  Rücken  gebunden  und  an  dieselben  ein 
Seil  befestigt.  An  diesem  Seile  wurde  nun  der  Unglück- 
liche bald  frei  in  der  Luft  schwebend  durch  einen  an  der 
Decke  angebrachten  Kloben,  bald  an  einer  aufgerichteten 
Leiter  (bei  der  oft  in  der  Mitte  eine  Sprosse  mit  kurzen, 
spitzen  Hölzern  —  dem  „gespickten  Haasen"  —  ange- 
bracht war)  gemächlich  in  die  Höhe  gezogen  bis  die 
Arme  ganz  verdreht  über  dem  Kopfe  standen,  worauf  man 
ihn  mehrmals  rasch  hinabschnellen  Hess  tmd  ,, gemächlich" 
wieder  hinaufzog.  Erfolgte  auch  jetzt  noch  kein  Geständ- 
niss,  so  hing  man  dem  Gefolterten,  um  die  Glieder  noch 
ärger  und  noch  qualvoller  auseinanderzurecken,  schwere 
Gewichte  an  die  Füsse,  und  liess  ihn  so  eine  halbe,  oft 
eine  ganze  Stimde  und  noch  länger  hängen,  legte  ihm  oft 
auch  noch  die  spanischen  Stiefel  an.  Es  kam  dabei 
vor,  dass  während  dieser  Zeit  das  Gerichtspersonal  abtrat, 
mn  sich  bei  Speis  und  Trank  zu  erholen,  v.  Wächter 
berichtet  (S.  103)  nach  einem  Bamberger  Protokoll,  „dass 
ein  wegen  Zauberei  Angeschuldigter  drei  u^d  eine  halbe 
Stunde  lang  mit  Beinschrauben  und  Daumenstock  gefoltert 
und  am  Ende,  äa  er  nicht  gestand,  an  einem  Stricke  acht 
Schuhe  hoch  von  der  Erde  hinaufgezogen  und  ihm  an  die 
grosse  Zehe  ein  Gewicht  von  zwanzig  Pfund  gehängt 
wurde.  Half  auch  diese  oder  eine  ähnliche  Tortur  nichts, 
so  träufelte  man  dem  Inquisiten  brennenden  Schwefel  oder 
brennendes  Pech  auf  den  nackten  Körper  oder  hielt  ihm 
brennende  Lichter  unter  die  Arme  oder  unter  die  Fuss- 
sohlen  oder  an  andere  Theile  des  Körpers." 


^66  Sechszehntes  Kapitel. 

Im  Fürstenthum  Münster  pflegte  der  Scharfrichter  (wie 
Niesues  ^)  mittheilt)  dem  Angeklagten  in  diesem  letzten 
Stadium  der  Folter  die  Arme  und  die  Schulterknochen  aus 
ihrem  Schultergelenk  auszubrechen,  die  Arme  rückwärts 
am  Hinterkopf  fest  zusammenzuschnüren  und  ihn  durch 
seine  Knechte  so  aufziehen  zu  lassen,  däss  seine  Füsse 
einige  Spannen  weit  vom  Boden  hingen.  Zur  Vergrosserung 
der  Schmerzen  brachte  der  Scharfrichter  in  Zwischenpausen 
an  den  Händen  und  Füssen  des  Unglücklichen  wieder  die 
Daumschrauben  und  die  spanischen  Stiefel  an  und  liess 
dieselben  von  Zeit  zu  Zeit  versetzen  und  fester  anschrauben. 
Ausserdem  schlugen  ihn  die  Henkersknechte  mit  Ruthen 
oder  mit  Lederriemen,  die  am  Ende  mit  Blei  beschwert 
oder  mit  scharfen  Haken  versehen  waren,  und  zwar  so  lange 
bis  der  Scharfrichter  mit  der  Peinigung  einzuhalten  befahl« 
damit  nicht  der  Tod  des  Gefolterten  erfolge. 

Wie  qualvoll  dieser  letzte  Grad  der  Foltenmg  unter 
allen  Umständen  sein  sollte,  ist  aus  einem  Erlass  des 
Münsterischen  Ober-  und  Landfiscus  vom  g.  September  1725 
in  Sachen  eines  Verhafteten  Friedrich  Jacobs  zu  ersehen. 
Demselben  war  vom  Scharfrichter  im  vorletzten  Grad  der 
Tortur  der  Arm  zerbrochen,  so  dass  dieser  erklärte,  den 
letzten  (fünften)  Grad  nicht  mit  ihm  vornehmen  zu  können. 
Auf  die  Anfrage  des  Untersuchungsrichters,  was  er  daher 
an  die  Stelle  des  fünften  Grades  setzen  solle,  erklärte  der 
genannte  Ober-  und  Landfiscus,  dass  man  anstatt  des 
fünften  Grades  die  vom  Scharfrichter  in  Vorschlag  ge- 
brachte Foltenmg  anwenden  solle,  nämlich,  „dass  Inquisit 
von  hinten  auf  mit  Füssen  und  Armen  aufgezogen,  sodann 
mit  Ruthen  gehauen,  mit  brennendem  Schwefel  beworfen 
und  bei  weiter  in  confitendo  sich  ergebender  Obstination 
er  annoch  zwischen  den  beiden  vordersten  Fingern  jeder 
Hand  mit  einer  Lunte  durchgebrannt  werde.** 

Wurde  das  durch  eine  solche  Marterung  erpresste 
Geständniss   hernach  aus  Gewissensnoth  als  Lüge  wider- 


k 


')  ^Zur  Geschichte  des  Hexenglaubens  und  der  Hexenprozesse,  vomSmlich 
im  ehemaliffen  FflrstbisthuRi  MQnster",  (Münster,   1875)  S.  43—44. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  367 

rufen,  so  begann  die  Folterung*  aufs  Neue.  Niesues  theilt 
(S.  45)  aus  Münsterschen  Akten  einen  Fall  mit,  in  welchem 
der  Ober-  und  Landfiscus  nach  dreimaligem  Widerruf  zum 
vierten  Mal  die  Folterung  durch  alle  fiinf  Grade  sie  ver- 
ordnete. 

Konnte  aber  aus  den  Angeklagten  durch  keine  Tortur 
ein  Geständnissi  herausgemartert  werden,  so  wurden  die- 
selben nicht  etwa  freigegeben,  sondern  sie  wurden  in  das 
Gefangniss  zurückgebracht,  wo  ihnen  der  Scharfrichter 
die  auseinandergerissenen  Glieder  nothdürftig  wieder  inein- 
ander fügte,  sie  verband  und  ihnen  vorstellte,  dass  ihre 
Schuld  trotz  ihres  beharrlichen  Leugnens  doch  offen  zu 
Tage  liege,  und  dass  sie  jetzt  noch  durch  ein  offenes 
Geständniss  der  Strafe  des  Feuertodes  entgehen  und  Be- 
gnadigung zum  Tode  durchs  Schwert  erlangen  könnten. 

V.  Wächter  macht  (S.  103)  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  vom  Gerichte  der  Grad  der  Folter  in  der  Regel  nur 
in  sehr  unbestimmten  Ausdrücken  erkannt  wurde,  so  dass 
der  folternde  Untersuchungsrichter  so  ziemlich  ganz  freie 
Hand  hatte,  und  darum  nicht  selten  auch  durch  Anwendung 
der  ausgesuchtesten  Marter  (z.  B.  durch  Eijitreibung  von 
Keilchen  zwischen  die  Nägel  und  das  Fleisch  von  Fingern 
und  Zehen)  selbst  die  Vorschriften  des  Hexenhammers  und 
des  auf  demselben  beruhenden  Herkommens  zu  überbieten 
wussten. 

War  durch  die  Folterung,  trotz  aller  der  verschieden- 
artigen Qualen,  mit  denen  die  Unglücklichen  in  denselben 
gepeinigt  wurden,  doch  kein  Geständniss  erpresst,  so  sollte 
vorschriftsmässig  eine  abermalige  Folterung  nur  in  dem 
Falle,  dass  neue  Indizien  ermittelt  waren,  vorgenommen 
werden.  Derartige  Indizien  waren  aber  gar  leicht  zu  be- 
schaffen und  ausserdem  half  man  sich  mit  der  Phrase,  die 
abermalige  Tortur  sei  nicht  eine  Wiederholung,  sondern 
eine  Fortsetzung  der  ersten  und  einen  Folter.  Auch 
wurde  oft  geradezu  das  Ueberstehen  der  ersten  Folter 
als  Beweis,  dass  den  Gefolterten  der  Teufel  helfe,  d.  h.  als 
neues  Indicium  der  Zauberei  angesehen.  Bei  Unzähligen, 
namentlich  bei  Frauen,   wiu^de   erst  durch  Wiederholung 


ß58  Sechszehntes  Kapitel. 

der  Folter  das  verlangte  Eingeständniss  herausgemartert. 
Und  dabei  begnügte  man  sich  nicht  mit  einer  einmaligen 
Wiederholung  der  Folter;  \delmehr  wurde  in  derselben 
fortgefahren,  bis  man  das  Geständniss  erpresst  hatte,  oder 
bis  die  Gemarterten  auf  der  Folter  zum  Sterben  gekommen, 
oder  bis  man  das  Foltern  müde  war.  Schuegraf  (Zeit- 
schrift für  deutsche  Kulturgesch.,  1858,  S.  766)  berichtet 
sogar  von  einer  Hexe  „HoU",  dass  dieselbe  56  Mal  auf  die 
Folter  gespannt  wurde,  und  die  Tortur  überstanden  habe. 
Die  bestiale  Rohheit,  mit  der  diese  Proceduren  vorge- 
nommen wurden,  spricht  sich  oft  schon  in  der  Kürze  der 
Protokolle  aus,  welche  zuweilen  nur  auf  einem  einzigen 
Blatt,  über  die  entsetzlichsten  Gräuel  wie  über  die  ein- 
fachsten Sachen,  nur  mit  drei  Worten  berichten'). 

Andere  Protokolle  lassen  die  grässlichsten  Proceduren, 
die  man  bei  der  Folter  vornahm,  um  so  deutlicher  erkennen. 


*)  Vgl.  z.  B.  folgendes  von  Pfaff  (in  der  Zeilschr.  för  d.  Kultur^jesch. 
1856,  S.  367)  mitgetheilte  Esslinger  Torturprotokoll  vom  14.  Sept  i6^2: 
Wird  gebunden;  winselt,  „könne's  nicht  sagen";  „soll  ich  lügen'' 
O  weh,  o  weh,  liebe  Herrn!*  Bleibt  auf  der  Verstockung.  Der  Stiefel 
wird  angethan  und  etwas  zugeschraubt.  Schreit:  „Soll  ich  denn  lüger 
mein  Gewissen  beschweren?  Kann  hernach  nimracr  recht 
beten!"  Stellt  sich  weinend,  übergeht  ihr  aber  kein  Auge.  „Kann  wahr- 
lich nicht  und  wenn  der  Fuss  herab  müsste!"  Schreit  sehr:  ,St«ll 
ich  lögen,  kann's  nicht  sagen!"  Ob  zwar  stark  angezogen,  bleibt  sit 
doch  auf  Einerlei,  „O  Ihr  zwingt  Einen!"  Schreit  jämmerlich:  .0 
lieber  Herr  Gott!  Sie  wollts  bekennen,  wenn  sie  es  nur 
wüsste;  man  sage  ja,  sie  solle  nicht  lügen!"  Wird  weiter  zi. ge- 
schraubt. Heult  jämmerlich.  —  „A-ch,  liebe  Herrn,  thut  mir  nicht 
so  gar.  Wenn  man  Euch  aber  Eins  sagt,  wollt  Ihr  gleich 
wieder  ein  Anderes  wissen;"  u.  s.  w.  —  Ein  anderes  Protokoll  theiU 
V.  Wächter  (S.  108)  mit:  „Bamberg,  Mittwoch  den  20.  Juli  1628  ist  Ani>.i 
Bcurin.  62  Jahr  alt,  wegen  angegebener  Hexerei  in  der  Güte  examinirt  worden. 
Sie  will  auf  vielfältiges  Zureden  ganz  nichts  gestehen;  könne  und  wisse  nichts; 
derentwegen  mit  ihr  peinlich  procedirt  worden; 

Daumenstock.   —  Gott   soll  ihr  Zeuge  sein,    sie   könne  und  wi»'' 
nichts. 

Beinschrauben,  —  will   ebenmässig   nichts  gestehen  Samstags  ctn 
"21.    Juli.     Bock    auf   eine    Stunde    (d.  h.    Daumenstock   und  Beinschraubt n 
zugleich)   —  will  nichts  fruchten,  könne  und  wisse  nichts.  Erst  im  foli:i'ii- 
den  Jahre  gestand  sie  nach  wiederholten  Torturen. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  760 

Aus  dem  Jahre  1631  z.  B.  liegt  folgende  protokollarische 
Darstellung  der  Folterung  einer  Frau  vor*): 

„i)  Der  Scharfrichter  hat  der  Delinquentin  die  Hände 
gebunden  und  sie  auch  auf  die  Leiter  gezogen,  hierauf  an- 
gefangen sie  zu  schrauben,  und  auf  allen  Punkten  so  ge- 
schraubt, dass  ihr  das  Herz  im  Leibe  zerbrechen  mögen, 
und  sei  keine  Barmherzigkeit  dagewesen.  2)  Und  ob  sie 
gleich  bei  solcher  Marter  nichts  bekannt,  habe  man  doch 
ohne  rechtliches  Erkenntniss  die  Tortur  wiederholet,  und 
der  Scharfrichter  ihr,  da  sie  schwangeren  Leibes  ge- 
wesen, ihr  die  Hände  gebunden,  ihr  die  Haare  abge- 
schnitten und  sie  auf  die  Leiter  gesetzt,  Branntwein  auf 
den  Kopf  gegossen  und  die  Kolbe  vollends  wollen  ab- 
brennen. 3)  Ihr  Schwefelfedem  unter  die  Arme  und  an 
den  Hals  gebrannt.  4)  Sie  hinten  hinauf  rückwärts  mit 
den  Händen  an  die  Decke  gezogen.  5)  Welches  Hinauf- 
und  Niederziehen  vier  ganze  Stunden  gewährt,  bis  sie  (der 
Henker  und  dessen  Knechte)  zum  Morgenbrote  gegangen. 
6)  Als  sie  wieder  gekommen,  der  Meister  (Henker)  sie 
mit  den  Händen  und  Füssen  auf  den  Rücken  zusammen- 
gebunden; 7)  Ihr  Branntwein  auf  den  Rücken  gegossen 
und  angezündet;  8)  Damach  aber  viele  Gewichte  ihr  auf 
den  Rücken  gelegt  und  in  die  Höhe  gezogen;  g)  Nach 
diesem  sie  wieder  auf  die  Leiter  gelegt;  10)  Ihr  ein  un- 
gehobelt Brett  mit  Stacheln  unter  den  Rücken  gelegt  und 
mit  den  Händen  bis  an  die  Decke  aufgezogen.  11)  Femer 
hat  der  Meister  ihr  die  Füsse  zusammengebunden,  eine 
Klafterstütze,  50  Pfund  schwer,  unten  an  die  Füsse  nieder- 
wärts gehangen,  dass  sie  nicht  anders  gemeint,  sie  würde 
bleiben  und  das  Herz  ersticken.  12)  Bei  diesem  ist  es 
nicht  blieben,  sondern  der  Meister  ihr  die  Füsse  wieder 
aufgemacht  und  die  Beine  geschraubt,  dass  ihr  das  Blut 
zu  den  Zehen  herausgegangen.  1 3)  Bei  diesem  ist  es  auch 
nicht  geblieben,  sondern  ist  sie  zum  anderen  Mal  auf  allen 
Punkten  geschraubt  worden.    1 4)  Der  (Henker)  von  Dreissig- 


*)  Scģrr,  Geschichte  deutscher  Kultur  und  Sitte  (Berl.   1854)  S.  418. 
9oldan-Heppe,  Hexenprosesse.  24 


^yo  Sechszehntes  Kapitel. 

acker  hat  die  dritte  Marter  mit  ihr  angefangen,  welcher 
sie  erstlich  auf  die  Bank  gesetzt.  Als  sie  das  Hemd  an- 
gezogen, hat  er  zu  ihr  gesagt:  Ich  nehme  dich  nicht  an 
auf  ein  oder  zween,  auf  drei  auch  nicht  auf  acht  Tage, 
auf  vier  Wochen,  auf  ßin  halb  oder  ganz  Jahr,  (sondern) 
so  lange  du  lebst.  —  Und  wenn  du  meinst,  dass  du  nicht 
bekennen  willst,  dass  du  sollst  zu  Tode  gemartert  werden, 
so  sollst  du  doch  verbraimt  werden.  15)  Hat  sie  sein 
Eidam  mit  den  Händen  aufgezogen,  dass  sie  nicht  athmen 
können;  16)  Und  der  von  Dreissigacker  sie  mit  der 
Karbatsche  um  die  Lenden  gehauen.  1 7)  Damach  sie 
in  den  Schraubstock  gesetzt,  darinnen  sie  sechs  Stunden 
gesessen  und  1 8)  mit  der  Karbatsche  jämmerlich  zerhauen 
worden.  Bei  diesem  es  den  ersten  Tag  verblieben,  iq)  Den 
andern  Tag,,  als  sie  wiedergekommen,  ist  die  vierte  Marter 
mit  ihr  fiirgenommen  worden  und  sie  auf  etlichen  Punkten 
geschraubt  und  sechs  Stunden  darin  gesessen,"  etc. 

Dieser  Bericht  lässt  freilich  erkennen,  dass  in  der  An- 
wendung der  Tortur  Qual  auf  Qual  mit  Willkür  gehäuft 
wurde.  Dass  aber  eine  in  bester  Ordnung  vollzogene 
Folterung  nicht  minder  grausig  war,  ist  aus  folgendem  (von 
Niehus,  S.  40 — 45  mitgetheiltem)  Torturprotokoll  zu  er- 
sehen, welches  den  ganzen  Verlauf  der  „scharfen  Frage" 
in  haarsträubender  Weise  veranschaulicht.  Dasselbe  ist  von 
dem  Untersuchungsrichter  Dr.  Gogravius  bei  der  Folterung 
der  Enneke  Fürsteners  zu  Consfeld  am  31.  Oktober  1724 
aufgenommen. 

Nachdem  die  Angeklagte  vergebens  zum  gütlichen  Be- 
kenntniss  aufgefordert  war,  liess  Dr.  Gogra\4us  ihr,  wie 
es  in  den  Akten  heisst,  den  Befehl  der  Tortur  publiziren. 
und  „führte  ihr  demnächst  ernstlich  zu  Gemüthe,  dass  sie 
den  Umständen  nach  und  nach  der  Lage  der  Dinge  schuldig 
sein  müsse  und  sich  keineswegs  werde  rein  waschen  "können. 
Sie  möchte  darum  lieber  die  Wahrheit  gestehen,  als  dass 
sie  sich  selbst,  weil  die  peinliche  Frage  sie  ja  doch  zum 
Bekenntniss  bringen  werde,  die  Strafe  verdoppele. 

Wie  nun  Dr.  Gogravius  der  Angeklagten  die  Thal 
citra  tarnen  suggesti  (!)  also  umständlich  vorgehalten.  lies> 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ayi 

er  zum  ersten  Grade  der  Tortur  schreiten.  Der  Nach- 
richter Matthias  Schneider  wurde  herbeigerufen.  Derselbe 
zeigte  ihr  die  Folterwerkzeuge  und  redete  ihr  scharf  zu, 
während  der  Richter  ihr  die  einzelnen  Anklagepunkte 
vorlas.     Sie  verblieb  beim  Leugnen. 

Darauf  schritt  der  Richter  zum  zweiten  Grad  der 
Folterung.  Die  Angeklagte  wurde  in  die  Folterkammer 
gefuhrt,  entblösst  und  angebunden  und  über  die  Anklage- 
punkte befragt.  Sie  blieb  beständig  beim  Leugnen.  „Bei 
der  Anbindung  hat  Angeklagte  beständig  gerufen  und  um 
Gotteswillen  begehrt,  man  möge  sie  loslassen.  Sie  wolle 
gern  sterben  und  wolle  gern  Ja  sagen,  wenn  die  Herrn 
es  nur  auf  ihr  Gewissen  nehmen  wollten.  Und  wie  selbige 
beständig  beim  Leugnen  verblieben,  ist  zum  dritten  Grad 
geschritten  und  sind  der  Angeklagten  die  Daumschrauben 
angelegt  worden.  Weil  sie  unter  der  Tortur  beständig 
gerufen,  so  ist  ihr  das  Kapistrum  in  den  Mund  gelegft  und 
ist  mit  Applizirung  der  Daumschrauben  fortgefahren.  Ob- 
gleich Angeklagte  fünfzig  Minuten  in  diesem  Grade  ausge- 
halten, ihr  auch  die  Daumschrauben  zu  verschiedenen  Malen 
versetzt  und  wieder  angeschroben  sind,  hat  sie  doch  nicht 
allein  nicht  bekannt,  sondern  auch  während  der  peinlichen 
Frage  keine  Zähre  fallen  lassen,  sondern  nur  gerufen:  „Ich 
bin  nicht  schuldig!  O  Jesu,  gehe  mit  mir  in  mein  Leiden 
und  stehe  mir  bei!"  Sodann:  „Herr  Richter,  ich  bitte  Euch, 
lasst  mich  nur  unschuldig  richten!"  Ist  also  zum  vierten 
Grad  geschritten  vermittelst  Anlegung  der  spanischen 
Stiefeln.  Als  aber  peinlich  Befragte  in  diesem  Grade 
über  dreissig  Minuten  hartnäckig  dem  Bekenntniss 
widerstanden,  ungeachtet  die  spanischen  Stiefeln  zu  ver- 
schiedenen Malen  versetzt  und  aufs  Schärfste  wieder  an- 
geschroben werden,  auch  keine  einzige  Zähre  hat  fallen 
lassen;  so  hat  Dr.  Gogravius  besorgt,  es  möchte  peinlich 
Befragte  sich  vielleicht  per  maleficium  unempfindlich  gegen 
die  Schmerzen  gemacht  haben.  Darum  hat  er  dem  Nach- 
richter befohlen,  dieselbe  nochmals  entblössen  und  unter- 
'=iuchen  zu  lassen,  ob  vielleicht  an  verborgenen  Stellen 
ihres  Korpers   oder  unter    den  Unterkleidern   etwas  Ver- 


^•j2  Sechszehntes  Kapitel. 

dächtiges  sich  vorfinde.  Worauf  der  Nachrichter  berichtet, 
dass  er  Alles  auf  das  Genaueste  habe  untersuchen 
lassen,  aber  nichts  gefunden  sei.  Ist  also  demselben  be- 
fohlen, abermals  die  spanischen  Stiefeln  anzulegen.  Die- 
selbe aber  hat  die  That  beständig  geleugnet  und  zu  ver- 
schiedenen Malen  gerufen:  „O  Jesu,  ich  habe  es  nicht 
gethan,  ich  habe  es  nicht  gethan!  Wann  ich  es  gethan 
hätte,  wollte  ich  gern  bekennen!  Herr  Richter,  lasset  mich 
nur  unschuldig  richten!    Ich  bin  unschuldig,   unschiddig." 

„Als  demnach  peinlich  Befragte  die  ihr  zum  zweiten  Mal 
angelegten  spanischen  Stiefeln  abermals  über  drei^sii,' 
Minuten  hartnäckig  überstanden,  so  zwar,  dass  sie  wahrend 
der  Folterung  weder  die  Farbe  im  Gesicht  veränderte  noch 
eine  einzige  Zähre  hat  fallen  lassen,  auch  nicht  vermerkt 
werden  konnte,  dass  sie  an  Kräften  abgenommen  oder  die 
Strafe  sie  geschwächt  oder  verändert  hätte,  so  fürchtete 
Dr.  Gogravius,  der  vierte  Grad  möchte  die  Angeklafsrte 
nicht  zum  Geständniss  bringen  und  befahl  zum  fünften  Grad 
zu  schreiten." 

„Demgemäss  wurde  die  Angeklagte  vorwärts  auf- 
gezogen und  mit  zwei  Ruthen  bis  zu  dreissig  Streichen 
geschlagen.  Als  Angeklagte  aber  zuerst  gebunden  werd<*n 
sollte,  hat  dieselbe  begehrt,  man  möchte  sie  doch  nicht 
femer  peinigen,  mit  dem  Zusätze :  „sie  wollte  lieber  savren, 
dass  sie  es  gethan  hätte  und  sterben  unschuldig,  wenn  ^ie 
nur  keine  Sünde  daran  thäte."  Dieses  wiederholte  sie 
mehrmals;  in  Betreff  der  ihr  vorgehaltenen  Artikel  aber  N*- 
harrte  sie  beim  Leugnen.  Daher  dem  Xachrichter  befohlen 
worden,  peinlich  Befragte  rückwärts  aufzuziehen.  Mit 
der  Aufziehung  ist  dergestalt  verfahren,  dass  die  Arme  rück- 
wärts gerade  über  dem  Kopfe  gestanden,  beide  Schulter- 
knochen aus  ihrer  Verbindung  gedreht  und  die  Füsse  ein»- 
Spanne  weit  von  der  Erde  entfernt  gewesen  sind.** 

„Als  die  Angeklagte  ungefähr  sechs  Minuten  al-»« 
aufgezogen  gewesen,  hat  Dr.  Gogravius  befohlen,  sie  aber- 
mals mit  dreissig  Streichen  zu  hauen,  was  denn  auch 
geschehen  ist.  Peinlich  Befragte  verharrte  aber  boin 
Leugnen.     Auch    als    Dr.    Gogra\'ius   zu   zweien  Maler 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^n^ 

jedesmal  zu  acht  Schlägen  die  Corden  anschlagen  Hess, 
hat  sie  nur  gerufen:  „Ich  habe  es  nicht  gethan!  Ich  habe 
es  nicht  gethan!**  Ferner  auch,  obwohl  die  Corden  zum 
dritten  Mal  mit  ungefähr  zehn  Schlägen  angeschlagen 
und  ihr  ausserdem  die  bisherigen  Folterwerkzeuge  (die 
Daumschrauben  imd  die  spanischen  Stiefeln)  wieder  an- 
gelegt sind,  dergestalt,  dass  dieselbe  fast  unerträglich 
geschrieen,  hat  dieselbe  doch  über  dreissig  Minuten 
diesen  fünften  Grad  ebenso  unbeweglich  wie  die  vier  vor- 
hergegangenen überstanden,  ohne  zu  bekennen.** 

„Wie  nun  Dr.  Gogravius  dafür  halten  musste,  dass 
die  erkannte  Tortur  gehörig  ausgeführt,  gleichwie  dann 
der  Nachrichter  mittheilte,  dass  nach  seinem  Dafürhalten 
peinlich  Befragte  die  Folterung  nicht  länger  werde  aus- 
stehen können,  so  hat  Dr.  Gogravius  dieselbe  wieder  ab- 
nehmen und  losbinden  lassen  und  dem  Scharfrichter  be- 
fohlen, der  Gefolterten  die  Glieder  wieder  einzusetzen  und 
bie  bis  zu  ihrer  völligen  Genesung  zu  verpflegen.**  — 

Nach  einem  Protokoll  vom  folgenden  Tage  ging  der 
Scharfrichter  zu  der  Unglücklichen  ins  Gefängniss,  um  sie 
zu  verbinden  und  „redete  ihr  bei  dieser  Gelegenheit  zu 
und  führte  ihr  zu  Gemüthe,  dass  sie  die  gestern  über- 
standene  Tortur  nicht  hätte  überstehen  können,  es  wäre 
denn,  dass  sie  einen  Vertrag  mit  dem  Teufel  hätte.**  Worauf 
dieselbe  geantwortet,  dass  sie  mit  dem  Teufel  nichts  zu 
schaffen  habe,  sondern  sie  habe  nur  die  heilige  Mutter 
Gottes  angerufen,  dass  diese  sie  auf  der  Folter  stärken 
möge,  und  mit  deren  Hülfe  hätte  sie  die  Schmerzen  über- 
standen. —  Nichts  desto  weniger  brachte  der  Scharfrichter 
das  bis  dahin  so  starke  Weib  an  diesem  Tage  „durch 
gütiges  Zureden**  zum  Geständniss. 

Nicht  selten  geschah  es,  dass  eine  Gefolterte  während 
der  Tortur  den  Geist  aufgab.  In  diesem  Falle  war  es 
Herkommens,  dass  der  Scharfrichter  den  Hals  der  Un- 
glücklichen herumgedreht  fand,  was  dann  ein  Beweis 
dafür  war,  dass  der  Teufel  selbst  ihrer  Noth  ein  Ende 
gemacht  hatte,  um  sie  am  Geständniss  der  Wahrheit 
zu  hindern.     Stand   es  doch   sogar   in   der  Henkerpraxis 


^jA  Sechszehntes  Kapitel. 

jener  Zeit  fest,  dass  wenn  ein  wegen  Zauberei  Angeklagter 
unter  den  Qualen  der  Tortur  die  Sprache  verloren  hatte, 
dieselbe  zu  demselben  Zwecke  vom  Teufel  stumm  gemacht 
war!  So  heisst  es  z.  B.  in  einem  Protokolle  eines  zu 
Wasungen  im  Hennebergischen  geführten  Hexenprozesses 
vom  2  2,  August  1668:  „Als  sie  (die  auf  die  Folter  gelegte 
Angeschuldigte)  nun  eine  Weile  so  gesessen,  ist  sie  be- 
droht worden,  wo  sie  gutwillig  nicht  bekannte,  dass  mit 
der  Tortur  fortgefahren  werden  sollte,  auch  darauf  ein 
wenig  in  die  Höhe  gezogen.  Aber  als  sie  etwas,  jedoch 
imvemehmlich  geredet,  imd  man  vermeinet,  sie  würde 
weiter  Aussage  thun,  bald  wieder  heruntergelassen  worden, 
hat  man  vermerkt,  dass  es  nicht  richtig  um  sie  sei.  Daher 
der  Scharfrichter  sie  mit  dameben  stehendem  Weine  an- 
gestrichen. Als  aber  befunden,  dass  das  sonst  starke  Athetn- 
holen  nachliess,  ist  sie  auf  die  Erde  auf  ein  Bett  gelegt 
worden,  da  sie  sich  noch  in  Etwas  geregt  und  bald  gar 
ausgeblieben  und  gestorben.  Es  ist  aber  derselben,  als 
der  Scharfrichter  sie  erst  besehen,  der  Hals  oben  ira 
Gelenke  ganz  entzwei  gewesen.  Wie  es  damit 
hergegangen,  kann  Niemand  wissen.  Die  Tortur 
hat  von  früh  acht  Uhr  bis  zehn  Uhr  und  also  zwei  Stunden 
gewährt  u.  s.  w.  —  Vermuthlich  hat  der  böse  Feind 
ihr  den  Hals  entzweigebrochen,  damit  sie  zu  keinem 
Bekenntniss  kommen  sollen."  —  Auf  hierüber  er- 
statteten Bericht  rescribirte  der  Graf:  „Uns  ist  aus  Euerem 
Bericht  vorgetragen  worden,  wieweit  Ihr  mit  denen  ver- 
dächtiger Hexerei  halber  in  Haft  sitzenden  Personen  ver- 
fahren und  wie  Ihr  wegen  Paul  Mopens  Weibes,  welche 
bei  der  Tortur  verstorben,  des  Korpers  wegen  Verhal- 
tungsbefehl erholen  wollen.  Dieweil  nun  Euerem  Bericht 
nach  von  dem  Scharfrichter  kein  Excess  in  der  Tortur 
begangen  und  gleichwol  wider  diese  Inquisitin  unterschied- 
liche Indicia,  auch  endlich  ihr,  wiewohl  nur  generaliter 
und  zwar  bei  der  Tortur  auf  Befragung  des  ScharfrichttT> 
gethanes  Bekenntniss  vorhanden,  auch  aus  denen  bei  ihrem 
Absterben  sich  ereignenden  Umständen  und  vorherge- 
gangenen  Besichtigungen   soWel    abzunehmen,   dass   ihr 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^75 

von  dem  bösen  Feind  der  Hals  zerknickt  sein  muss, 
als  habt  ihr  bei  so  gestalten  Sachen  den  Körper  alsbald  hin- 
ausschaffen und  unter  das  Gericht  einscharren  zu  lassen  ^)." 

Viele  Unglückliche  starben  auch  in  Folge  der  erlittenen 
Tortur  im  Gefangniss,  ehe  die  Exekution  vollzogen  werden 
konnte.  Ein  solcher  Fall  trug  sich  z*  B.  1662  mit  einem 
fünfzigjährigen  Manne  aus  Möhringen  in  Württemberg  zu, 
dem  man  unter  Anderem  das  Geständniss  abgemartert 
hatte,  dass  er  ein  von  ihm  mit  einem  Mädchen  im  Ehe- 
bruch erzeugtes  Kind  in  Gesellschaft  des  Mädchens  und  der 
Mutter  desselben,  verzehrt  habe.  Ueber  sein  am  3.  April 
1662  erfolgtes  Ableben  berichtete  der  Thurmmeister:  „Vor 
seinem  Ende  that  er  zwei  unmenschliche  Schreie  wie  ein 
Ochs.  Als  man  zulief,  begehrte  er,  man  solle  ihn  loslassen, 
er  müsse  ersticken»  Gott  werde  ein  Zeichen  an  ihm  thun. 
Dann  schlug  er  wild  um  sich,  riss  die  Kleider  imd  das 
Hemd  vom  Leibe.  Bald  darauf  konnte  er  nicht  mehr 
reden,  bekam  ein  scheussliches  Gesicht,  wickelte  seinen 
Mantel  zusammen,  legte  den  Kopf  darauf  imd  war  plötz- 
lich todt."  —  Als  man  ihn  untersuchte,  fand  man  ,,sein 
Genick  ganz  eingedrückt".  Indem  daher  der  Teufel  ihm 
den  Hals  umgedreht,  so  wurde  die  Leiche  auf  den  Richt- 
platz geschleift  und  daselbst  verbrannt  2). 

Selbstentleibungen  der  Unglücklichen  im  Hexenthurm 
waren  nichts  Ungewöhnliches,  werden  aber  ebenfalls  in 
den  Relationen  über  die  Prozesse  oder  in  den  Akten  immer 
so  dargestellt,  dass  dabei  irgendwie  der  Teufel  die  Hand 
im  Spiel  hat*).    Als  man  gegen  das  Ende  des  sechszehnten 


>)  äopp,  in  Rüttecks  u.  Welckers  Staatslexikon,  Bd.  VII.  S.  4. 

*)  Pfafft  in  der  Zeitschr.  für  deutsche  Kulturgesch.  I856.    S.  443—446. 

■)  Eine  der  seltsamsten  Selbstentleibungsgeschichten  theilt  R,  Reuss{S,  116) 
aus  der  Chronik  von  Thann  mit:  Die  Hexe  Anna  Murgin  war  1641  zum  Tode 
vemrtbeilt«  Um  der  Vollstreckung  des  Urtheils  zuvorzukommen,  bringt  ihr 
der  Teufel  ein  Messer  in  den  Kerker,  mittelst  dessen  sie  sich  zweimal  die 
Kehle  durchschneidet.  Der  Henker  findet  sie  infolge  dessen  als  Leiche  vor, 
und  schafft  den  todten  Körper  aus  dem  Thurm  auf  den  Scheiterhaufen.  Schon 
beginnen  die  Flammen  an  der  Todten  heraufzuzüngeln,  als  dieselbe  laut  ^Jesus, 
Maria!*  ausruft.  Von  dem  Scheiterhaufen  herabgenommen ,  beginnt  sie  zu 
beichten,  und  eröffnet  dem  herbeigerufenen  Geistlichen,  dass  sie  wirklich  todt 


1-5  Scchsrclmtes  KapiteL 

Jahrhunderts  zu  Trier  nach  mehrjährig'em  Hinschlachten  zu 
einiger  Besmnung  gekommen  war,  klagt  ein  kurfürstliches 
Edikt:  insontes  cum  reis  permistos,  temere  mtdtos  rogo 
et  flammis  addictos,  ipso  non  raro  camifice  causae  arbitro 
constitiito ').  In  einer  späteren  Periode  kannte  Spee  immer 
noch  Scharfrichter,  „die  an  etlichen  Orten  das  Ruder  fuhren 
und  ihres  Gefallens  vorschreiben,  wie  imd  auf  was  Weise 
man  diese  oder  jene  foltern  müsse;  —  und  dürfen  sich 
ihrer  etliche  wohl  rühmlich  vernehmen  lassen,  dass  sie 
noch  keine  unter  Händen  gehabt,  welche  nicht  endlich 
gewonnen  gegeben  imd  geschwätzet  habe,  —  und  das 
seyn  dann  die  besten,  dieselbigen  werden  hingefordert,  wo 
etvvan  andre  Gewissens  halber  haben  aufhören  müssen**-). 
Was  hätte  einem  Verfahren,  wie  wir  es  soeben  skizzirt 
haben,  an  der  Vollendung  zu  absoluter  Zweckmässigkeit 
noch  gefehlt?  Sein  Zweck  war  die  Erzielung  des  Ge- 
ständnisses; Geständniss  wollte  der  von  der  Schuld  im 
Voraus  überzeugte  Richter,  imd  der  Inquisit  musste  es  zu- 
letzt ebenfalls  wollen.  Bei  Vielen  erstaunen  wir  über  die 
moralische  Kraft,  mit  welcher  sie  die  lange  Stufenfolge 
inquisitorischer  Grausamkeiten  bis  zum  letzten  schreck- 
lichsten Ziele  an  sich  erschöpfen  liessen;  bei  den  Meisten 
jedoch  bedurfte  es  des  Ganzen  bei  weitem  nicht.  War  diis 
Eis  einmal  gebrochen,  so  ergoss  sich  auch  der  Trotzigste 
in  eine  Fluth  von  Bekenntnissen;  ihr  Inhalt  war  theils  die 


gewesen  sei,  aber  durch  die  Gnade  der  heil.  Jungfrau,  zu  deren  Ehre  sie  im 
Gefängniss  täglich  einen  Rosenkranz  gebetet,  es  verlangt  habe,  dass  sie  in  die 
Welt  nochmals  zurückkehren  durfte,  um  durch  eine  oflfene  Beichte  die  ewi^e 
Verdamniniss  von  sich  abzuwehren.  —  Nachdem  sie  die  Beichte  abgelegt  und 
die  Absolution  empfangen,  wurde  sie  dem  geschehenen  Wunder  zu  Ehren  zur 
Hinrichtung  durch  das  Schwert  begnadigt. 

Dass  der  Scharfrichter  bei  dem  ganzen  scheussüchen  Prozessverfahren  ein 
Mann  von  grosser  Bedeutung  und  von  dem  entschiedensten  Einflüsse  war. 
geht  aus  dem  Bisherigen  zur  Genüge  hervor.  Von  seinem  guten  oder  schlim- 
men Willen  hing  so  Vieles  ab  !  Zumeist  aber  erachtete  es  der  Scharfrichter 
für  eine  Schande,  wenn  er  mit  einem  alten  Weibe  nicht  zum  Ziele  kommen, 
nicht  mit  ihm  »fertig  werden"  könnte.  Daher  erklärt  sich  die  bestiale  Roh- 
heit, mit  der  diese  Unmenschen  gegen  die  Unglücklichen  verfuhren. 

^)    IVyttenbach,  Animadvers.  ad  Gesta  Trevirorum,  III.  cap.  101. 

*)  Caut.  crim.  Quaest.  XX,  §.   10. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  xil 

eigne  Schuld,  theils  die  Angabe  von  Mitschuldigen.  Alle 
Gräuel  des  Hexenthums  wurden  jetzt  auf  Befragen  klein- 
laut zu  Protokoll  gegeben,  die  bisherige  Verstocktheit  auf 
die  unmittelbare  Einwirkung  des  Teufels  geschoben  ^) ;  mit 
den  Pimkten,  worauf  es  in  diesen  Prozessen  ankam ,  war 
ja  das  Volk  zuletzt  fast  genauer  bekannt,  als  mit  seinem 
Katechismus  ^).  Nun  kam  es  nur  noch  darauf  an,  den  Ge- 
ständigen bei  seinen  gethanen  Aussagen  zu  erhalten.  Sehr 
gewöhnlich  freilich  war  es,  dass,  wenn  die  Schmerzen  der 
Tortur  vorüber  waren,  im  nächsten  Verhöre  widerrufen 
wuxde,  was  das  vorhergehende  erwirkt  hatte;  derinquisit 
begab  sich  aber  damit  in  einen  eben  so  unnützen,  als  ge- 
fahrlichen Kreislauf.  Neue  Tortur  imd  der  Verlust  jedes 
Anspruches  auf  diejenige  mildere  Todesart,  mit  welcher 
man  den  Bussfertigen  begnadigte,  war  dann  das  Unaus- 
bleibliche, was  ihm  der  Richter  in  Aussicht  stellte^). 

In  dieser  Lage  war  Geständniss  und  Beharren  bei 
demselben  das  einzige  Heil ;  es  kürzte  und  milderte  wenig- 
stens die  Qualen.  Das  begriifen  Viele.  Mit  Schaudern 
sehen  wir  Verhaftete,  wenn  sie  nicht  die  Selbstentleibung, 
was  oft  geschah*),  vorzogen,  nicht  nur  unter  Betheurungen 


')  Ward  P,  Beklagtin  befragt;  Wer  sie  zum  Läugnen  beredet:  Antwort: 
Das  habe  der  böss  Feindt  gethan,  sie  solle  leugnen,  so  wolle  er  ihr  davon 
helffen."  Buseckische  Akten  von  1656.  —  So  sehr  häufig.  Oft  wird  sogar 
angegeben,  dass  der  Teufel,  von  den  gegenwärtigen  Richtern  unerkannt,  in 
Gestalt  einer  Mücke  oder  eines  Vogels  diese  Ueberredung  ausgeübt,  oder  dass 
er  mit  Halsbrechen  gedroht  habe. 

')  Qui  est  Thomme  ou  la  femme,  pour  rustiques  et  cauipagnards  qu'ils 
puissent  estre,  qui  ne  S9ache  desormais  jusqu'aux  circonstances  les  plus  me- 
DU$s  de  ce  qu'on  dit  estre  en  ces  Sabats?  II  ne  faut  qu'avoir  est^  assis  une 
demi-heure  sous  l'orme  ou  sous  la  tille  devant  l'eglise  de  son  village  en  con- 
versatioD  avec  ses  commöres,  au  four.  au  moulin,  aux  veill^es  d'hyver,  pour 
sqavoir  des  ces  particularitez  autant  k  peu  pr^s,  que  Kemi,  Bodin,  del  Rio, 
et  le  Maillet  des  sorciers  nous  en  ont  appris.  —  Nicolas ^  Dissertation,  si  la 
torture  est  un  moyen  seur  h  verifier  les  crimes  secrets.  Amsterdam,  1682, 
pag.    105. 

•)  Fickard  Consil.  Vol.  III.  p.  94.  —  Beispiele  finden  sich  in  zahllosen 
Prozessen. 

*)  In  Lothringen  entleibten  sich  binnen  Ewei  Jahren  fünfzehn  Inquisiten. 
Remig»  Daemonolalr.  416. 


7y3  Sechszehntes  Kapitel. 

der  aufrichtigsten  Zerknirschung  den  Richter  um  einen 
baldigen  Tod  anflehen^),  sondern  auch  mit  der  frechsten 
Stime  ihren  angeblichen  Complicen  das  Absurdeste  und 
Unmöglichste  ins  Gesicht  sagen  *).  Ja  es  verdient  bemerkt 
zu  werden,  dass  man  an  manchen  Orten  die  Hexen,  trotz 
der  allgemeinen  Vorstellung  von  ihrer  vollendeten  Ver- 
worfenheit, ihre  Complicen- Angaben  eidlich  zu  bekräftigen 
anging,  und  dass  solche  Eide  wirklich  geschworen  worden 
sind  ^). 

Nur  aus  den  Akten  der  Prozesse  selbst  vermag  man 
zu  erkennen,  bis  zu  welcher  Verzweiflimg  die  Unglück- 
lichen durch  die  Folterqual  getrieben  wurden,  und  wie  sich 
diese  Qual  in  ihnen  aussprach. 

Da  lesen  wir  z.  B.  aus  Hexenprozessakten  von  1658, 


*)  Remig,  Daemonol.  4 10  ff.  Eine  eingekerkerte  und  geständige  Eni:- 
länderin  bat  um  baldige  Hinrichtung  und  bestand  trotz  der  Bemühungen  des 
Geistlichen,  der  diessmal  ein  verständiger  war,  auf  ihren  Bekenntnissen.  Auf 
dem  Kichtplatse  redete  sie  mit  lauter  Stimme  zum  Volk:  «Wi&st,  ihr  Alk. 
die  ihr  mich  heute  sehet,  dass  ich  als  Hexe  auf  mein  eigenes  Bekenotni^s 
sterbe  und  dass  ich  alle  Welt,  vor  Allen  aber  die  Obrigkeit  und  die  Geii>t- 
lichen  von  der  Schuld  an  meinem  Tode  freispreche.  Ich  nehme  sie  glozlich 
auf  mich,  mein  Blut  komme  Ober  mich!  Und  da  ich  dem  Gott  des  Himtnrls 
bald  werde  Rechenschaft  ablegen  müssen,  so  erkläre  ich  mich  so  frei  von 
Hexerei  wie  ein  neugeborenes  Kind.  Da  ich  aber  von  einem  boshaften  Weibe 
angeklagt,  unter  dem  Namen  einer  Hexe  ins  Gef^ngniss  geworfen,  von  meincni 
Manne  und  meinen  Freunden  verleugnet  ward  und  keine  Hoffnung  zur  Bo 
freiung  aus  meiner  Haft  und  zu  ehrenvollem  Fortleben  in  der  Welt  mehr 
hatte,  so  leistete  ich  durch  Verlockung  des  Bösen  ein  Geständniss,  das  mir 
vom  Leben  hilft,  dessen  ich  Überdrüssig  bin.'  IV,  Sccti,  Br.  über  Dänen. 
Th.  II.  S.  145. 

')  S.  z.  B.  meinen  Beitrag  zur  Gesch.  des  Hexenpr.  in  v.  Jagcmaons  u. 
Nöllners  Zeitschr.  f.  d.  Strafrech U verfahren  III.  Bd.  3.  Heft. 

•)  .Disse  neun  weybss  Persohnen  seindt  beständiglich  darauf?  verharrdt. 
soUches  mit  dem  Leiblichen  Aydt  betheyrt,  auch  dass  heilig  Sacramendt  em- 
pfangen, und  letzlich  den  Thot  darüber  gelütten,  dass  sie  Nieroandt  wtder  aus 
Neüdt,  noch  Hass  angeben,  sondern  getrawen  es  vor  dem  Kichtcrituel  Christ, 
zu  verantwortten ,  Inmassen  man  ihnen  ein  solches  ausfierlich  zu  erkennen 
gibt."  Sie  hatten  verschiedene  Personen  gleichmässig  als  Complicen  bei  allen 
Hexengräueln  angegeben.  (Offen burger  Ralhsprotokoll  von  1608.  Oritstnal- 
akten  des  R.  K.  G.)  Aehnliche  eidliche  Angaben  der  Complicen  durch 
Verhaftete  in  Coesfeld  s.  Xicsert  S.  33. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  xjQ 

welche  der  Land-  und  Stadtrichter  Rautert  1827  zu 
Essen  („bloss  für  die  Subscribenten")  veröffentlicht  hat, 
wie  eki  als  angebliche  Hexe  gefoltertes  Weib  am  23.  Juni 
1658  flehentlich  bittet,  „man  möchte  sie  mit  weiteren  Tor- 
menten  verschonen,  —  denn  sie  wüsste  nichts  mehr,  — 
sie  sollten  ihr  nur  abhelfen",  wie  sie  aber,  weil  sie 
ihre  CompUces  nicht  vollständig  angegeben  zu  haben  schien, 
am  3.  Juli  nochmals  gefoltert  imd  zur  Nennung  von  Namen 
gebracht,  worauf  sie  bittet,  man  möchte  ihr  das  „vorige 
Gebet  wieder  vorlesen,  wie  denn  geschehen,  da  sie  aber- 
mals mitgebetet  und  dem  Teufel  abgesagt,  bittend  man 
sollte  sie  nun  nicht  lange  mehr  aufhalten  und  ihr 
bald  davon  helfen  und  ein  Vater-Unser  für  sie 
beten",  welche  Bitte  sie  dann  nach  geschehener  Confron- 
tation  mit  einer  von  ihr  angegebenen  Person  nochmals 
wiederholt;  wie  sie  dann  am  4.  Juli,  als  ihr  fiir  den  fol- 
genden Tag  die  Hinrichtung  mit  dem  Schwert  angekündigt 
wird,  „mit  gefaltenen  Händen"  nochmals  bittet,  „sie  wäre 
eine  Sünderin,  man  sollte  nur  morgen  mit  ihr  fortfahren 
und  helfen,  dass  ihre  Seele  zu  Gott  —  kommen  möchte, 
auch  allesammt  ein  Vater-Unser  für  sie  beten."  Da  sehen 
wir  also  ein  frommes,  gottergebenes  Weib,  das  nach  allen 
Qualen  des  Leibes  und  der  Seele,  die  ihm  angethan  waren, 
die  Qual  imd  Schmach  der  öffentlichen  Hinrichtimg  (die 
am  5.  Juli  erfolgte)  gegenüber  dem,  was  sie  unter  den 
Händen  ihrer  Peiniger  erlitt,  als  Erlösimg  ansah.  Und 
diese  fromme  gottergebene  Frau  war  durch  die  Tortur 
dahin  gebracht  worden,  dass  sie  Andere,  die  ebenso  im- 
schuldig  waren  als  sie  selbst,  als  Mitschuldige  bezeichnete 
xmd  diese  Angabe  mit  Anrufung  des  göttlichen  Namens 
im  Angesichte  des  Todes  betheuerte.  Daher  klingt  es  wie 
ein  Hohn  der  Hölle,  wenn  wir  lesen,  dass  der  Unglück- 
lichen noch  immittelbar  vor  der  Hinrichtung  vom  Gericht 
„ihrer  vorigen  Confession  halber  zu  Gemüthe  geführt  ward, 
dass  wenn  sie  den  Einen  oder  Anderen  aus  Hass  oder 
Neid  denunzirt  hätte,  sie  solches  anjetzo  andeuten  und 
ihrer  Seele  nicht  zu  kurz  thun  sollte." 

In  unzähligen  Fällen  ist  es  aus  den  Prozessakten  zu 


rSo  Sechszehntes  Ka^Mtel. 

ersehen,  dass  die  Wochen,  Monate  und  Jahre  lang*  im 
scheussHchsten  Kerker,  auf  der  Folter  und  unter  der  rohesten 
Behandlung  des  Gerichts  und  des  Henkers  erlittene  Qual 
die  Unglücklichen  schliesslich  zu  einer  Verwirrung  der 
Gedanken  und  zu  einem  Wahnsinn  trieb,  in  welchem  sie 
selbst  schliesslich  an  die  Wahrheit  der  ihnen  auf  der  Folter 
erpressten  Aussagen  glaubten  und  die  von  ihnen  Denun- 
zirten  bei  der  Confrontation  in  wildester  Erregung  ins  Ge- 
sicht hinein  der  Lüge  ziehen,  wenn  diese  von  den  ihnen 
zur  Last  gelegten  Malefizien  nichts  wissen  wollten*)!  — 

c)  Die  Geständnisse  der  Hexen,  deren  sogen. 
Freiwilligkeit    und    Uebereinstimmung-, 

Nichts  hat  in  unserer  Zeit  das  Urtheil  über  das  Hexen- 
wesen mehr  geneckt  und  in  die  Irre  gefuhrt,  als  die  Ent- 
deckung der  beiden  Umstände,  dass  die  Hexenakten  uns 
nicht  nur  so  viele  freiwillige,  sondern  auch  so  viele  bis 
in  die  kleinsten  Punkte  auffallend  \mter  einander  über- 
einstimmende Bekenntnisse  geben.  Aus  jenem  hat 
man  schliessen  wollen,  die  Hexen  selbst  seien  von  ihrer 
Schuld  überzeugt  gewesen,  es  habe  eine  Art  epidemischer 
Verrücktheit  unter  den  Weibern  geherrscht ;  dieses  hat 
sogar  zu  der  Vermuthung  gefuhrt,  die  Hexenversamm- 
lungen seien  etwas  objektiv  Wirkliches,  ein  fortlebender 
Rest  von  heidnisch-germanischem  Cultus.  Die  Sache  wird 
sich  sehr  einfach  losen,  wenn  wir  Folgendes  beachten 
wollen. 

Freiwillig  oder  gütlich  war  nach  dem  gericht- 
lichen Sprachgebrauch  jedes  Bekenntniss,  das  nicht  durch 
die  wirkliche  Anwendung  der  eigentlichen  Folter  ermittelt 
wurde.  Diess  bedarf  keines  weiteren  Belegs.  Wer  also 
gestand,  weil  er  der  angedrohten  Folter  überhoben  sein 
wollte,  weil  er  durch  massloses  Kerkerelend  mürbe,  durch 
Kreuzfragen  gedrängt,  durch  zweideutige  Zusagen  bethort* 

*)  ..Auf  Jemanden  sterben  wollen'*  war  die  gewöhnliche  Redensart,  welche 
die  Hexen  im  letzten  Stadium  ihrer  Pein  gebrauchten,  um  ihre  Angaben  der 
Complices  z\x  verifiriren. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe,  ^gj 

durch  beichtväterlichen  und  andern  psychologischen  Zwang 
bestürmt  war,  der  lieferte  ein  freiwilliges  oder  gütliches 
Bekenntniss.  Wer  in  richtiger  Würdigung  seiner  Lage, 
aus  welcher  kein  Weg  in  ein  unangefochtenes  Leben  und 
die  Achtung  der  Mitbürger  zurückführte,  die  Begnadigung 
mit  dem  Schwerte  oder  dem  Strange  anstatt  des  Lebendig- 
verbrennens sich  verdienen  wollte,  der  kam  dem  Richter 
auf  halbem  Wege  entgegen,  und  sein  Bekenntniss  war 
dann  mehr  als  gutwillig,  es  war  sogar  reumüthig.  Wie 
aber  diese  Freiwilligkeit  sich  nicht  nur  mit  der  sogenann- 
ten Realterrition ,  sondern  sogar  mit  der  wirklichen  An- 
wendung der  Folter  selbst  vertrug,  dafür  wollen  wir  Akten 
und  Zeitgenossen  reden  lassen. 

„Wahr,  —  sagt  ein  offenburgisches  Aktenstück  von 
1609  —  ^),  dass  als  Montag  hernach  den  20.  Octobris  die 
Herren  Examinatorn  auss  Bevelch  eines  Ersamen  Rhats 
wiederumb  zu  ihr  kommen ,  sie  ihrer  ersten  Aussagen 
güettlich  erinnert  und  begehrt,  solle  ihrem  Herzen  ferneres 
räumen,  Sie  nicht  allein  Weitters  nicht  aussagen  wollen: 
Sondern  dassjenig,  was  sie  erstlich  bekannt,  wieder  ver- 
neint: derowegen  man  sie  wieder  dem  Meister  (Scharf- 
richter) befohlen,  und  alss  er  sie  gebunden,  hatt  sie  wie- 
derumb Fürbitt  zue  Gott  dem  Herrn  angesprochen,  so  ihr 
abermahlen  widerfahren.  Ist  demnach  ohnaufgezogen  auf 
ihr  Begehren  ledig  gelassen  und  in  das  Stüblin  geführt 
worden ,  allda  sie  alles  wie  obgemelt  in  Guette  be- 
kennt." 

In  demselben  Prozesse  gelangte  ein  Jahr  später  eine 
Supplik  von  Seiten  der  Verwandtschaft  jener  Angeklagten 
an  das  Reichskammergericht,  aus  welcher  wir  folgende 
Stelle  entnehmen:  „Und  gehet  der  Rhat  zue  Offenburg 
darmit  umb,  dass  der  Verhaiftin  sine  indiciis  expressae 
confessiones,  so  aber  allbereit  hier  per  sententiam  zu  nichten 
gemacht,  auch  da  sie  schon  millies  ratificirt  weren  (da  sie 
doch  expressae  worden)  ne  *  minimum  quidem  effectum 
operiren  möchten,   vor  newe  Indicien  sollen  gehalten  und 


*)  Im  R.  K.  G.  Archive  befindlich,  Ruhr.  Hoffmännin  gegen  Stadt  Offenburg. 


^§2  Scchszrfiatcs  Kapitel. 

daranfF  sie  iterato  soll  torquirt  werden,  ja  dass  noch  mehr, 
wollen  solche  confessiones /r<t>  spontaneis  und  güettlich 
angeg'eben  werden,  wie  suh  lit.  C.  no.  25  zu  vememmen, 
da  doch  stracks  zuvor  no.  21.  ausstrüecldich  stehet,  dass 
der  Meister  sie,  Verhafftin,  auffgezogen  (oder  iDrcjuirt), 
welches  aber  so  schlecht  nicht  geschehen,  wie  daselbsten 
gesetzet :  sondern  ist  ihr  der  Arm  ex  illa  tortura  verrückt 
und  heftig  beschedigt  worden;  daraus  ja  zu  sehen,  dass 
solche  confessiones  nicht  spontaneae,  sondern  (et  quidem 
sine  indiciis)  dolore  extortae  sein.** 

War  eine  „Hexe**  vor  Gericht  geschleppt,  so  wusste 
sie  bereits,  dass  ihr  einziger  Trost  —  der  Tod  war,  der 
sie  vor  der  Qual  der  Folter  und  imzähligen  anderen  teuf- 
lischen Peinigungen  bewahren  konnte.  Diesen  Trost  aber 
konnte  sie  sich  nur  durch  ein  solches  „Gestandniss**  sichern, 
wie  es  die  Hexenrichter  haben  wollten.  Daher  erzählt 
der  Jesuit  Friedrich  v.  Spee,  wie  die  Angeklagten  immer 
darauf  bedacht  waren,  unwahre  aber  wahrscheinlich 
aussehende  Geständnisse  vorzubringen,  um  der  Folter  zu 
entgehen  und  nicht  durch  Unwahrscheinlichkeiten  in  deren 
Fänge  zu  gerathen,  wie  so  Viele  ihn  befragten,  in  welcher 
Weise  sie  wohl  auf  der  Folter  gegen  sich  und  gegen 
Andere  lügen  dürften;  wie  er  die  Einfalt  derer  beklagt, 
welche,  nachdem  sie  sich  auf  der  Folter  als  schuldig  be- 
kannt hatten,  dieses  Bekenntniss  hernach  widerriefen  — 
weil  sie  dasselbe  nicht  als  ein  freies  Bekenntniss  gelten 
lassen  —  und  dafür  aufs  Neue  auf  der  Folter  gemartert 
wurden.  „Wehe  der  Armen,**  ruft  er  aus,  „welche  einmal 
ihren  Fuss^  in  die  Folterkammer  gesetzt  hat!  Sie  wird  ihn 
nicht  wieder  herausziehen,  bevor  sie  alles  nur  Denkbare  ge- 
standen hat.  Häufig  dachte  ich  bei  mir:  dass  wir  Alle  nicht 
auch  Zauberer  sind,  davon  sei  die  Ursache  allein  die,  dass 
(Ho  Folter  nicht  auch  an  uns  kam,  und  es  ist  sehr  wahr,  was 
neulich  der  Inquisitor  eines  grossen  Fürsten  zu  prahlen 
watete,  dass,  wenn  unter  sfeine  Hände  und  Torturen  der 
Papst  fallen  sollte,  ganz  gewiss  auch  er  sich  als  Zauberer 
bok(»nnen  würde.  Das  Gleiche  würde  Binsfeld  thun,  das 
(fleicho  ich,   das  Gleiche  alle  Anderen,   \nelleicht  wenige 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ag'i 

überstarke  Naturen  ausgenommen."  —  Ebenso  wird  in 
einem  Bamberger  Rescript  aus  dem  siebzehnten  Jahrhundert 
an  die  Centrichter  über  die  „Mängelspunkte  der  zur  Zeit 
wider  die  Hexenpersonen  angestellten  Prozesse" .  (v.  Bam- 
berg, Anh.  S.  13)  unter  Anderem  gesagt:  „Wir  haben 
schon  öfter  von  den  Gefangenen,  ehe  sie  noch  bekannt, 
gehört,  wie  sie  wohl  einsähen,  dass  keiner,  welcher  Hexerei 
halber  eingefangen  sei,  mehr  herauskomme,  und  ehe  sie 
solche  Pein  und  Marter  ausstünden,  wollten  sie  lieber  zu 
Allem,  was  ihnen  vorgehalten  würde,  Ja  sagen,  wenn  sie 
es  auch  entfernt  nie  gethan,  noch  jemals  daran  gedacht 
hätten  i)." 

Durch  Suggestivfragen  torquirte  man  aus  den  unglück- 
lichen Schlachtopfem  alle  Geständnisse  heraus,  die  man 
überhaupt  haben  wollte.  Wurden  die  Qualen  der  Folter 
unerträglich,  so  gestanden  sieben-  und  achtjährige  Kinder, 
ehrbare  Frauen  und  achtzigjährige  Matronen,  dass  sie  erst 
noch  in  letzter  Zeit  mit  dem  Teufel  gebuhlt,  und  acht-, 
zehn-  und  zwölfjährige  Mädchen  gestanden,  dass  sie  in 
Folge  solchen  teuflischen  Beischlafs  mehrmals  geboren 
hätten «) !" 

Es  ist  also  wahr,  was  der  Verfasser  der  Cautio  crimi- 
nalis  schreibt:  „Ich  habe  es  mehr  dann  einmal  mit  meinen 
Ohren  gehört,  nicht  allein  von  Richtern  und  Commissarien, 
sondern  auch  von  Geistlichen,  dass  sie  gesprochen,  diese 
und  jene  haben  gutwillig  und  ungpepeiniget  bekennet  und 
derowegen  müssen  sie  nothwendig  schuldig  seyn.  Ist's 
aber  nicht  zu  verwundern,  dass  man  sich  der  Sprache 
so  weit  missbraucht?  Denn  als  ich  darauf  gefraget, 
wie  es  denn  mit  solcher  gütlicher  Bekenntniss  hergegangen, 
haben  sie  gestanden,  dass  selbige  Personen  zwar  gefoltert, 
aber  allein  mit  den  ausgehöhlten  oder  gezähnten  Bein- 
schrauben vor  den  Schienen  (da  denn  die  Empfindlichkeit 
und  Schmerzen  am  grössten  ist,   indem   man   dem  armen 


*)  Dasselbe    sagt    auch  der    Jurist  Godelmann   in    einem  Gutachten   vom 
Jahr  *l  587.     VrI.  v.   Wächter,  S.  321. 
•)  V,    Wächter,  S.  313. 


X^A  Sechszehntes  Kapitel. 

Menschen  das  Fleisch  und  die  Schienbeine  gleich  einem 
Kuchen  oder  Fladen  zusammenschraubt,  also  dass  das 
Blut  herausfliesst  und  Viele  dafür  halten,  dass  solche  Folter 
auch  der  stärkste  Mensch  nicht  ausstehen  mochte)  seyen 
angegriffen  oder  tentiret  worden.  Und  dennoch  muss  ihnen 
das  heissen  gutwillig  und  ohne  Folter  bekennen;  also 
bringen  sie  es  bei  dem  gemeinen  Mann  an,  das  schreiben 
sie  an  ihre  Fürsten  und  Herren  u.  s.  w.** 

Wer  diesen  richterlichen  Sprachgebrauch  mit  den 
faktischen  Verhältnissen  vergleicht,  muss  wohl  an  der 
vollen  Freiwilligkeit  der  Geständnisse,  dem  Glauben  der 
Hexen  an  ihre  eigene  Schuld  und  dem  beliebten  epidemischen 
Hexenwahnsinne  etwas  irre  werden.  Geben  wir  indessen 
billiger massen  zu,  dass  in  einzelnen  Fällen  die  Verrückt- 
heit eines  Weibes  sich  eben  so  gut  im  Hexensabbath  fest- 
fahren konnte,  als  es  unbezweifelt  ist,  dass  manche  Wahn- 
sinnige sich  für  Verstorbene  oder  für  Gott  den  Vater  ge- 
halten haben.  Wer  Hexenprozessakten  gelesen  hat,  wird 
geneigt  sein,  die  Zahl  solcher  möglichen  Wahnsinnsfalle 
sehr,  sehr  niedrig  anzuschlagen.  —  Dieselben  können  far 
die  Beurtheilung  des  Hexenwahns  und  des  Hexenwesens 
gar  nicht  in  Betracht  kommen. 

Was  nun  die  ins  Einzelne  gehende  Uebereinstim- 
mung  der  Bekenntnisse  anbelanget  ^),  auf  welche  namentlich 
Carpzov  (Quaest.  XLIX.,  Nr.  67)  und  der  dort  angeführte 
Moller  ganz  besonderes  Gewicht  legen,  so  hat  dieselbe 
durchaus  nichts  Räthselhaftes.  Waren  die  Angeklagten 
auf  die  Folter  gespannt,  so  wussten  sie,  dass  es  für  sie 
nur  ein  Mittel  gab,  um  von  der  unnennbaren  Folterqual 
befreit  zu  werden,  nämlich  das  Eingestandniss,  dass  sie 
Hexen  seien.  Sehr  richtig  ist  daher,  was  zur  Erläuterung 
dieses  Punktes  v.  Wächter  S.  325  hervorhebt:  Sie  mussten 
eben  gestehen  und  gestanden  (nach  den  näheren  Umstanden 
befragt),  was  man  in  jenen  Zeiten  gewöhnlich  von  den 
Hexen  erzählte,  was  die  Kirche  dem  Volke  genugsam  al> 

^)  Es  ist  jedoch  zu  bemerken,  dass  Prozessakten  oft  sehr  aufiaücDle 
Widersprüche  in  den  Aussagen  enthalten,  ohne  dass  die  Gerichte  merkücbm 
Anstoss  daran  nahmen.     Verständige  Defensoren  haben  dieses  Afters  fserüet. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^gc 

Warnung  vorhielt  und  was  noch  in  einer  Anzahl  populärer 
Traktatchen  über  das  Treiben  der  Hexen  und  über  die 
Geschichte  und  die  Bekenntnisse  hingerichteter  Hexen  unter 
das  Volk  gebracht  wurde.  So  erklärt  sich  die  Ueber- 
einstimmung  der  Bekenntnisse,  sofern  sie  sich  auf  die 
Sabbathsmysterien  überhaupt  bezieht,  vollkommen.  Hier 
hatte  der  Inquisit  lediglich  die  stereotypen,  sehr  bald  all- 
gemein verbreiteten  Gräuelgeschichten  mit  der  nöthigen 
Anwendung  auf  seine  Person  wiederzuerzählen.  Aber 
auch  in  vielen  Besonderheiten  konnten  sie  leicht  überein- 
stimmen, selbst  in  der  so  gefährlichen,  die  in  Hexen- 
prozessen so  häufig  vorkam,  —  in  der  Angabe  der  Per- 
sonen, die  bei  Hexenversammlungen  gewesen  sein  sollen. 
Hatten  sie  die  Hexerei  eingestanden,  so  verlangte  man 
natürlich  von  ihnen  auch  zu  wissen,  mit  wem  sie  auf  den 
Hexentänzen  gewesen  seien.  Die  häufige  Angabe,  dass 
sie  die  Leute  nicht  gekannt  hätten,  oder  die  Nennung  be- 
reits Verstorbener  oder  Hingerichteter  genügte  natürlich 
nicht.  Man  folterte,  bis  sie  Lebende  nannten;  und  hier 
nannten  sie  meistens  eben  solche,  die  (wozu  man  in  jenen 
Zeiten  so  gar  leicht  kommen  konnte,)  im  Gerüche  der 
Hexerei  standen,  oder  von  denen  sie  wussten,  dass  sie  be- 
reits in  Untersuchung  oder  von  Anderen  genannt  seien. 
So  erklärt  sich  ein  Zusammentreffen  der  Aussagen  ver- 
schiedener Angeschuldigten  leicht;  und  nannten  sie  auch 
eine  Reihe  von  Personen  auf  Geradewohl ,  so  konnte  leicht 
eine  solche  Person  unter  denen  sein,  die  auch  eine  andere 
Gefolterte  aufs  Geradewohl  genannt  hatte.  -Was  dann 
durch  solche  natürliche  Verhältnisse  nicht  vermittelt  wurde, 
das  ergänzten  Suggestionen  aller  Art,  des  Gefangen- 
wärters, des  Beichtvaters,  des  Richters. 

Ueberhaupt  hatte  jedes  Gericht  so  ziemlich  seine  fest- 
stehenden Fragen,  die  es  den  Hexen  vorlegte,  wodurch 
sich  die  Uebereinstimmung  der  Geständnisse  ganz  beson- 
ders erklärt  *).     Man  fragte  gewöhnlich,  wo  und  von  wem 


^)  In  den  Akten  des  hessischen  Staatsarchivs  liegt  in  der  Regel  bei  jedem 

Hezenprozess  ein  Fragebogen,   Generalia   und  Specialia  betreffend,  wobei  die 

erstereo  einander  durchweg  sehr  ähnlich  sind. 

8 oldan- He  ppe,  Hexenprosesse.  25 


3 86  Sechszehntes  Kapitel. 

die  Beklagten  die  Zauberei  erlernt,  wie  lange  sie  dieselbe 
getrieben,  und  wen   sie  selbst   darin  unterrichtet  hätten, 
wann  sie  sich  dem  Teufel  verschrieben  und  ob  sie  dabei  der 
Dreifaltigkeit  und  dem  christlichen  Glauben  entsagt  hätten 
und    vom  Teufel    getauft   worden   wären.     Femer    fragte 
man,  wo,  wann  imd  wie  sie  zu  den  Hexenversammlungen 
gefahren,  was  und  wen  sie  da  gesehen,  mit  wem  und  wie 
oft  sie  da  gebuhlt  hätten,    von  wem   sie  ihre  Salben  und 
Kräuter  empfangen,  wann  sie  Hagel,  Nebel  und  sonstiges 
Unwetter  gemacht ,  wem  sie  damit  hätten  schaden  wollen, 
welche  Genossen    sie   bei   ihren  Verbrechen   gehabt   etc. 
Manche  Particularrechte   schrieben  die  an   die  Hexen  zu 
richtenden  Fragen   mit  der  grossten  Umständlichkeit  vor. 
Liest  man  eine  solche  Fragerliste  und  erwägt  man  dabei, 
dass  die  Fragen  einer  gefolterten  Person  vorgelegt  wurden 
und  dass  die  Gefolterte  unter  der  grausigen  Qual,  die  sie 
empfand,  nur  daran  denken  konnte,  eine  dem  Richter  ge- 
nügende und  nicht   zu  neuer  Qual    führende  Antwort   zu 
geben,  so  begreift  man,  dass  die  Antworten  gerade  in  der 
Uebereinstimmung  gegeben  wurden,  in  welchen  sie  eben 
gegeben  sind.     Man  vergleiche  nur  (um  sich  von  dem  Ge- 
sagten zu  überzeugen)  das  Interrogatorium,    welches   das 
Landrecht    von  Baden-Baden   vom  Jahr  1588   vorschrieb. 
Nach  demselben    soll    der  Richter  an   die  Unglücklichen 
unter  Anderem  folgende  Fragen  richten: 

„Ob  sie  von  Hexenkunst  gehört,  von  wem  und  wa*^ 
für  Hexenwerk;  —  Item  (weil  man  bishero  Hexen  ver- 
brannt), ob  sie  nicht  auch  von  ihren  Kunststücklein  ge- 
hört; denn  die  Weiber  ohne  Zweifel  aus  Fürwitz  danach 
fragen  und  dessen  ein  Wissens  begeren.  Und  so  sich 
dessen  entschuldigt  wird,  ist  es  ein  Anzeigen,  da^s 
Solches  nicht  gar  ohne  werde  sein,  und  woher  ihr 
das  komme,  durch  wen  sie  es  erfahren,  wer  dieselbigen 
Personen  und  wess  Namens  sie  seien;  item,  was  es  für 
Hexenwerk  und  was  für  Stücke  sie  zum  Wettcrmachon 
und  zur  Schädigung  des  Viehes  haben  müssen.  —  Und  s«^ 
sie  solches  bestehet,  muss  und  soll  man  ferner  nachfragen: 

„Ob    sie    auch   etliche  Stücklein,    sie  seien  so  gering 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^gy 

sie  wollen,  gelernt,  als :  den  Kühen  die  Milch  zu  nehmen, 
oder  Raupen  zu  machen,  auch  Nebel  und  dergleichen. 
Item,  von  wem  und  mit  was  für  Gelegenheit  solches  be- 
schehen  und  gelernt,  wann  und  wie  lange,  durch  was  fiir 
Mittel,  ob  sie  kein  Bündnis  mit  dem  bösen  Feind  (einge- 
gangen), ob  es  allein  ein  schlecht  Zusagen  oder  ein  Schwur 
xmd  ein  Eid  ?  wie  derselbe  laute  ?  Ob  sie  Gott  verleugnet, 
und  mit  was  für  Worten?  in  wessen  Beisein,  mit  was  für 
Ceremonien,  an  was  für  Orten,  zu  was  für  Zeiten  und  mit 
oder  ohne  Charakter?  Ob  er  keine  Verschreibung  von  ihr 
habe,  ob  dieselbe  mit  Blut,  und  was  für  Blut  oder  mit 
Tinte  geschrieben  ?  Wann  er  ihr  erschienen  ?  Ob  er  auch 
Heirath  oder  allein  Buhlschaft  von  ihr  begehrt?  Wie  er 
sich  genannt,  was  er  fiir  Kleider  (getragen),  wie  auch  seine 
Füsse  ausgesehen?  Ob  sie  nichts  Teuflisches  an  ihm  ge- 
sehen und  wisse  ?  Auch  sollte  der  Richter  (natürlich 
deutsch)  fragen :  an  Diabolus  post  initum  pactum  cum  rea 
concubuerit  ?  quonam  modo  Diabolus  reae  potuerit  eripere 
virginitatem  ?  Quäle  fuerit  membrum  virile  Diaboli,  quäle 
eius  semen?  (auf  welche  Frage  die  Angeschuldigten  mit 
„kalt"  antworten  sollten,)  An  concubitus  cum  Diabolo  me- 
liore  et  maiore  ream  aflfecerit  voluptate  quam  concubitus 
cum  viro  naturali  ?  An  et  rea  semen  emiserit  ?  An  Diabolus 
cum  rea  noctu  pluries  rem  habuerit  et  semper  cum  semi- 
nis  effluxione?  Utrum  rem  cum  rea  peregerit  in  ipso 
membro  muliebri  an  et  in  aliis  corporis  locis?  An  et  ab 
aliis  viris  naturali  ratione  gravida  facta  ?  Quid  cum  partu 
fecerit  ?  An  vivus  fuerit  partus  ?  Quomodo  partum  ene- 
caverit  ? 

Dann  folgen  die  Fragen:  „Wer  sie  es  gelernt,  wer 
ihr  dazu  geholfen,  was  sie  sonsten  für  böse  Stücke  als  mit 
Stehlen,  Brennen,  Kinder-verthuen,  Morden  u.  dgl.  in  der 
Welt  begangen  ?  An  contra  naturam  peccaverit?  Quomodo 
cum  viris,  cum  mulieribus,  secum  ipsa,  cum  bestiis?  Mit 
Holz,  Wachs,  Gewächs,  Kräutern  ?  —  Ob  sie  auch  Leuten 
in  Kraft  ihres  Schwurs  und  wem  geschadet  mit  Gift,  An- 
rühren, Beschwören,  Salben?  Wie  viele  Männer  sie  gar 
g*etödtet,   Weiber,   Kinder?    Wie  viele   sie  nur  verletzt? 


383  Scchsiefciiies  KapiteL 


ö 


Wie  \'iele  schwangere  Weiber?   Wie  viel  \^eh?    Wieviel 
Hag^el  und  was  dieselbe  gewirkt?   Wie   sie  die  eigentlich 
gemacht  und  was  sie  dazu  gebraucht  ?    Ob  sie  auch  fahren 
könne    und   worauf  sie    gefahren?    Wie   sie  das    zuwege 
bringe,  wie  oft  diess  geschehe,  wohin  zu  allen  Zeiten  und 
Fristen?    Wer   in    diesem  Allen  ihre  Gesellen,    so  noch 
leben?    Ob  sie  auch,  und  durch  was  für  ÄEttel,  verwan- 
deln  könne?    Wie  lang   es,   dass    sie  ihre  Hochzeit   mit 
ihrem  Buhlen   gehalten,    wie  solches  geschehen  und  wer 
als  dabei  gewesen,   und   was  für  Speisen,  sonderlich  von 
Fleisch  (gegessen  worden^,  wo  solches  herkomme,  wer  das 
mitgebracht?  —  Item,  ob  sie  auch  Wein  bei  ihrer  Hoch- 
zeit und  woher  sie  den  gehabt  ?    Ob  sie  auch  damals  einen 
Spielmann  (gehabt),  ob  es  ein  Mensch  oder  ein  böser  Greist 
gewesen,  welches  Ansehen  er  gehabt,  und  ob  er  auf  dem 
Boden  oder  dem  Baum   gesessen  oder  gestanden?    Item, 
was   bei    vorgemeldter  Beisammenkunft  ihr  Anschlag  ge- 
wesen, und  wo  sie  künftig  Avieder  beieinander  erscheinen 
wollen  ?    Wo  sie  bei  nächtlicher  Weile  Zehrung  gehalten, 
auf  dem  Felde,  in  Wäldern  oder  Kellern,  auch  wer  jeder 
Zeit  bei  und   mit  gewesen?     Wie   viele  junge  Kinder  sie 
geholfen  essen,  wo  solche  hergekommen  und  zuwege  ge- 
bracht,   wem   sie   solche  genommen   oder  auf  den  Kirch- 
höfen ausgegraben,   wie   sie  solche  zugerichtet,  gebraten 
oder  gesotten,  item,  wozu  das  Häuptlein,  die  Füsse  und 
die  Händlein  gebraucht,  ob  sie  auch  Schmalz  von  solchen 
Kindern  bekommen,  und  wozu  sie  das  brauchen,  auch  ob 
sie   zur  Machung  der  Wetter  nicht  Kinderschmalz  haben 
müssen  ?  Wie  viele  Kindbetterinnen  sie  umbringen  helfen, 
wie    solches   zugegangen  und  wer  mehr  dabei  gewesen? 
Oder  ob  sie  Kindbetterinnen  auf  den  Kirchhöfen  geholfen 
ausgraben  und  wozu  sie  es  gebraucht,  item  wer  dabei  und 
mitgewesen,  wie  lange  sie  daran  gesotten,  oder  ob  sie  un- 
zeitige Kindlein  ausgegraben  und  was  sie  damit  angerichtet  r 
Bezüglich   der  Hexensalbe   sollte   der  Richter  weiter 
fragen:    „Wie    solche  zugerichtet  und  was  für  Farbe  su* 
habe ,  item  ob  sie  auch  eine  zu  machen  sich  getraue  ?  Da 
sie  so  Menschenschmalz    haben  müssen  und  consequenter 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe,  -389 

SO  viele  Morde  begangen  und  weil  sie  (die  Hexen)  ge- 
meinlich das  Schmalz  aussieden  oder  im  Braten  schmelzen : 
was  sie  mit  dem  gekochten  und  gebratenen  Menschen- 
fleisch gethan  ?  Item :  brauchen  allezeit  zu  solchen  Salben 
Menschenschmalz,  es  sei  gleich  von  todten  oder  lebendigen 
Menschen,  dessgleichen  desselben  Bluts,  Farrensamen  etc., 
des  Schmalzes  aber  ist  allezeit  dabei.  Die  anderen  Stücke 
werden  oft  ausgelassen;  doch  von  todten  Menschen  taugt 
es  zur  Tödtung  von  Menschen  und  Vieh,  aber  von  lebendi- 
gen zum  Fahren,  Wettermachen,  unsichtbare  Gestalten  an 
sich  zu  nehmen.  —  Ferner:  „Wie  viele  Wetter,  Reife, 
Nebel  sie  geholfen  machen  und  wie  lange  solches  ge- 
schehen, auch  was  Jedes  ausgerichtet,  und  wie  solches 
zugehe  und  wer  dabei  und  mitgewesen?  Ob  ihr  Buhle 
auch  im  Examen  oder  im  Gefängnis  zu  ihr  gekommen? 
Ob  sie  auch  die  consecrirte  Hostiam  bekommen,  und  von 
wem,  auch  was  sie  damit  ausgerichtet?  Und  ob  sie  auch 
zum  Nachtmahl  gegangen  und  dasselbe  recht  genossen  ?  — 
Wie  sie  Wechselkinder  bekommen  und  wer's  ihnen  gibt? 
Item:  den  Kühen  die  Milch  entziehen  und  zu  Blut  machen, 
auch  wie  solchen  wieder  zu  helfen?  Ob  sie  nicht  Wein 
oder  Milch  aus  einem  Weidenbaum  lassen  könne?  — 
Item :  wie  sie  den  Männern  die  Mannschaft  nehmen,  wo- 
durch und  wie  ihnen  wieder  zu  helfen?  u.  s.  w." 

Derartige  Fragenlisten,  welche  den  ganzen  Inhalt  des 
Hexenglaubens  mit  allen  seinen  Scheusslichkeiten  und 
Albernheiten  vollständig  vor  Augen  fuhren,  liessen  sich 
noch  viele  mittheilen '). 


*)  Oberlicutenant  Schuegraf  hat  z.  B.  zu  Kelheim  in  Baiern  eine  solche 
Instruktion  för  Hexenverhöre  unter  dem  Titel  „Absoluta  generalia  circa  con- 
fessionero  veneficarum.  Fragstuckh  auf  alle  Articul,  in  welchen  die  Hexen 
vnd  Toholden  auf  das  allerbequemest  mögen  examiniret  werden**  vorgefunden 
und  in  der  „Zeitschr.  für  deutsche  Kulturgesch.  1858,  S.  521  ff."  abgedruckt. 
wo  sie  sechs  enggedruckte  Oktavseiten  füllt.  —  Die  Instruktion  beginnt  mit 
einleitenden  Fragen  unter  dem  Titel:  Absoluta  generalia  circa  confessionem. 
Die  seclis  ersten  Fragen  lauten  :  l")  Warum  sie  verneine,  dass  sie  hierher  ge- 
führt worden  ?  2)  Wie  lange  es  dann  her  sei .  dass  sie  in  dieses  hochver- 
dammte Laster  der  Zauberei  gerathen  ?  3)  Was  sie  dazu  bewegt  habe  ?  4)  In 
was  Gestalt  anfangs  der  leidige  Teufel  zu  ihr  gekommen  war,  item  zu  Morgen, 


390  Sechszchntes  Kapitel« 

Die  Angeschuldigten  gestanden  oft  auf  der  Folter 
Dinge,  die  sich  im  Prozess  selbst  als  Unwahrheiten  und 
Unsinnigkeiten  erwiesen,  und  die  dennoch  von  den  Ge- 
richten als  baare  Münze  zur  Begründung  des  Todesurtheils 
hingenommen  wurden.  So  sagte  in  einer  Fuldischen  Pro- 
zessverhandlung ^)  die  „alte  BröUin"  von  Fulda  in  ihrer 
Urjicht  aus:  i)  sie  habe  eins  der  ungetauften Kinder  der 
Wittwe  des  Dr.  Hector  zu  ihrer  „Salb  oder  Schmier"  ge- 
braucht, und  doch  hatte  die  Wittwe  Hector  niemals  ein 
todtes  Kind  zur  Welt  gebracht  oder  war  eins  ihrer  Kinder 
vor  der  Taufe  gestorben;  2)  sie  habe  ihren  ersten  Mann 
„gesterbt"  d.  h.  durch  Zauberei  getödtet,  und  doch  war 
es  im  ganzen  Stift  Fulda  notorisch,  dass  ihr  erster  Mann 
Hans  Leibold  vor  fünf  Jahren  durch  einen  mit  Wein- 
fässern beladenen  Wagen,  der  ihm  zwischen  Hammelburg 
und  Untererthal  über  den  Leib  gefahren,  ums  Leben  ge- 
kommen war.  Auch  hatte  sie  3)  in  der  Tortur  angegeben, 
dass  ihre  „Schmier  oder  Salbe"  an  einem  bestimmten  Ort 
in  ihrem  Hause  stehe,  wo  man  sie  finden  werde ;  man  fand 
aber  an  dem  bezeichneten  Orte  nichts  anderes  als  ein 
Töpfchen  voll  frischen  Kirschenmuses,  woran  sich  ihr 
jetziger  alter  Mann  labte.  Und  dennoch  wurde  die  Brollin 
auf  ihre  Geständnisse  hin  als  Hexe  zum  Tode  verurtheilt.  — 
In  einem  anderen  Fuldischen  Hexenprozess  bekannte  Kurt 
Löser's  Weib  von  Langenbieber  während  der  Tortur,  dass 
sie  ihre  beiden  Kinder  durch  Zauberei  ums  Leben  ge- 
bracht und  dem  Hans  Bleuel  einen  Schimmel  gesterbt 
habe;  und  doch  lebten  ihre  Kinder  noch  und  dem  Bleuel 
war  kein  Schimmel  gestorben.  —  In  einem  anderen  Fuldi- 
schen Prozess   bekannte  die  Braunschweigerin   von  Mar- 

Mittags,  Abends  oder  Nachts  ?  5)  Was  er  mit  ihr  geredet,  bei  ihr  gelhan  und 
mit  ihr  verrichtet  habe?  6)  Was  er  hernach  an  sie  begehrt  und  warum  sie 
eingewilligt  habe  ?  etc.  —  Nun  folgt  eine  lange,  lange  Reihe  von  Fragen  unter 
den  Rubriken:  Circa  punctum  malefactorum.  —  Circa  sacrilegia  (Missbrauch 
der  Hostie  etc.)  —  Circa  punctum :  Ausfahren.  —  Circa  puncta :  Keller. 
Kammer  etc.  —  Circa  punctum:  Kinderausgraben.  —  Circa  compliccs.  — 
Adoratio  Diaboli.  —  Commixtura  carnalis.  —  Morbi  incurabiles.  —  Discordia 
inter  conjuges. 

')  Vgl.  Malkmus,  Fuldaer  Anekdotenbüchlein,  S.   124  ff. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^qi 

grethenhaun,  dass  sie  den  Wirth  Heinz  Vogel  daselbst  ge- 
sterbt habe,  und  doch  lebte  der  Wirth  noch  und  stand 
sogar  leibhaftig  bei  dem  Gericht,  als  diese  falsche  Urjicht 
vor  der  Exekution  vorgelesen  wurde. 

In  burg-friedbergischen  Akten  von  1633  finden  wir 
ein  in  einundvierzig  Artikeln  abgefasstes  Schema  für  die 
Generalinquisition  beigelegt.  Es  wird  darin  nach  allen 
Specialitäten  des  Hexenwesens  gefragt.  Aus  den  Ergeb- 
nissen der  Generalinquisition  wurde  sodann  das  Klagelibell 
des  Fiscals  construirt,  dessen  einzelne  Artikel  mit  Ja  oder 
Nein  zu  beantworten  waren.  Da  nun-  auch  in  diesem  An- 
klageprozesse der  Beschuldigte  späterhin  der  Tortur  unter- 
worfen und  abermals  auf  jene  Artikel  befragt  wurde,  so 
gewinnt  dadurch  dieses  peinliche  Verhör  den  Charakter 
einer  fortlaufenden  Suggestion. 

Ein  bereits  geständiger  Inquisit  zu  Lindheim  hatte  den 
Bürger  Johannes  Fauerbach  als  Mitschuldigen  angegeben; 
in  der  Confrontation  sagte  er  ihm  ins  Gesicht,  dass  er  der 
Hexenpfaffe  sei.  Fauerbach  leugnete  und  blieb  vorerst 
noch  auf  freiem  Fusse.  Bald  darauf  ward  ein  Weib  ein- 
gekerkert, gestand  auf  sich  selbst  und  nannte  Fauerbach 
als  Hexenpfaffen,  wie  er  denn  seit  seiner  Confrontation 
überhaupt  im  Dorfe  verschrieen  war;  er  wurde  angeklagt 
und  hatte  einen  langen  Prozess  durchzumachen.  Im  Laufe 
desselben  übersandte  der  mittlerweile  entsprungene  lind- 
heimische Inquisit  ein  Zeugniss,  worin  er  versicherte,  dass 
er  Fauerbach  nur  unter  der  Tortur  und  auf  ausdrückliche 
Suggestion  seines  Namens  genannt  habe  ^). 

Statt  aller  übrigen  Beispiele  mag  Folgendes  dienen, 
was  der  ehrliche  Spee  aus  guter  Quelle  über  das  Ver- 
fahren eines  berüchtigten  Hexenrichters  vernahm*):  „Dieser 
Richter,  wann  etwa  eine  Gefangene  auf  sich  selbst  be- 
kennet hatte,  und  darauf  um  ihre  Gesellen  gefragt  wurde, 
sie  aber  aufs  beständigste  darbei  bestünde,  dass  sie  deren 
keine  wüsste  oder  kennete,  pflegte  er  zu  fragen :   Ei,  ken- 


')  Burgfried  bergische  Originalakten  von  1664. 
«)  Caut.  crim.  Qu.  XXI.  §.  11  ff. 


3Q2  Seciiszehzztes  KspiteL 

nest  du  dann  die  Titfam  nicht,  hast  du  dieselbe  nicht  aut 
dem  Tanz  g'esehen?  Sagte  sie  alsdann  Nein,  sie  wüsste 
nichts  Böses  von  derselben,  so  hiesse  es  sobald:  Kleister. 
ziehe  auf.  spanne  besser  an !  Als  diess  g'eschahe  und  die 
Gemarterte  die  Schmerzen  nicht  «rhilden  konnte,  sondern 
rief:  Ja,  ja,  sie  kennete  dieselbe  und  hatte  sie  auch  auf 
dem  Tanz  g-esehen,  man  sollte  sie  nur  herunter  lassen,  sie 
wollte  nichts  verschweißten,  —  so  liess  er  solche  Denun- 
ciation  oder  Besagung'  ad  protocollum  setzen,  fuhr  fort 
und  fragete,  ob  sie  nicht  auch  die  Semproniam  kennete 
und  an  einem  solchen  Ort  gesehen  hätte?  Leugnete  sie 
dann  Anfangs,  so  wird  der  Meister  seines  Amts  erinnert 
welcher  dann  damit  so  lange  anhielte,  bis  Sempronia  auch 
schuldig  gemacht  wurde,  und  also  furder,  bis  er  zum  we- 
nigsten drei  oder  vier  aus  der  armen  gemarterten  Person 
gebannet  hätte."  Entrüstet  über  dieses  Verfahren,  brachte 
Spee  diese  Geschichte  zu  Papier,  um  den  Fürsten  die 
Augen  zu  offnen;  aber  ein  Freund,  der  dazu  kam,  lachte 
über  dieses  Beginnen  und  sagte:  „er  solle  diess  Exempel 
doch  wieder  ausstreichen,  dann  es  ja  ein  Ueberfluss  wäre, 
dasjenige  mit  Exempeln  zu  behaupten,  welches  nunmehr 
der  gemeine  Stylus  wäre  imd  fast  täglich  praktizirt  wurde.** 
Spee  überzeugte  sich  später  durch  eigenen  Anblick,  dass 
dem  so  war,  und  gelangte  zu  dem  für  uns  sehr  interes- 
santen Resultat:  „Daher  kommt  nun  femer  dieses,  dass 
weiln  die  Commissarii  (wie  ich  selbst  observiret  habe)  ob- 
angeregtermassen  die  armen  Sünder  nicht  allein  von  ihren 
Gesellen,  sondern  auch  von  ihren  Thaten,  von  Ort  und 
Zeit  der  Tänze  und  anderen  dergleichen  Umständen  ent- 
weder mit  Namen,  oder  doch  so  deutlich  und  umständlich, 
als  wann  sie  es  auch  in  specie  vorsagten  und  ihnen  in  den 
Mund  geben,  fragen,  nach  der  Hand  bei  ihren  Herren  und 
Andern  nicht  genugsam  rühmen  und  herausstreichen  kön- 
nen, wie  viel  Hexen  in  allen  Punkten  und  Umständen  so 
eigentlich  übereingestimmt  hätten**  *). 


*)  Uebcr  die  dctailUrtestcn  Suggestionen  durch   Vermittlung   der  Folter- 
knechte berichtet  S/te  Quaest.  XX.  §.  15.  XIII. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^gx 

Man  denke  indessen  nicht,  dass  man  überall  sich 
äng'stlich  um  die  Uebereinstimmung  def  Aussagen  beküm- 
mert habe.  Viele  Richter  nahmen,  wie  wir  bereits  sahen, 
selbst  an  den  gröbsten  Widersprüchen  keinen  Anstoss. 
„Ihrer  drey  sind  justificirt,  —  erzählt  Leib  in  seinen  Re- 
sponsen,  —  und  haben  bekennet,  wie  sie  einen  Müller 
umbgebracht,  aber  in  modo  interfectionis  und  aufF  was 
Weiss  eine  die  andere  zum  complicen  dabey  gehabt,  und 
wie  sie  ad  locum  facti  perpetrati  kommen,  sind  sie  gar 
wiederwertig  gewesen.  Da  auch  schon  die  Gefangene  von 
Umbstanden  gefragt  werden,  melden  sie  doch  solche  ent- 
weder gar  nicht,  oder  confundiren  sich,  oder  bekennen 
in's  gemein-,  was  alle  dergleichen  zu  bekennen  pflegen, 
und  der  gemeine  Mann  zu  erzehlen  weiss,  da  doch  an  der 
concordantia  confessionum  ac  nominationum  so  wohl  Er- 
zehlung  der  Umstand,  sehr  viel  gelegen." 

Das  Eingeständniss  des  Beschuldigten  war  übrigens 
bei  der  Zauberei  so  wenig,  als  bei  andern  Verbrechen 
eine  unumgängliche  Bedingung  zur  Verurtheilung.  Es 
ward  auch  hier  angenommen,  dass  die  Evidenz  des  Factums 
durch  einfachen  Zeugenbeweis  hergestellt  werden  könne, 
und  die  Sache  stand  dann  für  den  leugnenden  Ueber- 
führten  noch  schlimmer,  weil  er  Unbussfertigkeit  bezeigte  ^). 

d)    Die    Hexenproben. 

Ehe  wir  von  der  Bestrafung  der  Hexerei  handeln, 
haben  wir  noch  einiger  sogenannten  Proben  zu  gedenken, 
die  mehr  oder  minder  gewöhnlich  der  Folter  vorauszu- 
gehen pflegten. 

i)  Die  Feuerprobe  (ferrum  candens).  Dieses  alte 
Beweismittel,  von  welchem  sich  schon  bei  Sophokles  eine 
Spur  findet,  bei  den  germanischen  Stämmen  einst  so  ge- 
wohnlich, aber  auch  den  Japanesen  und  Slaven  nicht  un- 
bekannt, von  Konrad  von  Marburg  und  andern  Inquisitoren 
auch  gegen  Ketzer  angewandt,  kommt  im  Hexenprozesse 


')  Mall,  nialefic.  Part.  III.  Qu.  31. 


^QA  Sechszehntes  Kapitel. 

nur  in  dessen  firühester  Zeit  vor.     Der  Malleus  verwirft  es 
gänzlich  *).    Weit  gebräuchlicher  war 

2)  diejenige  Probe  mit  dem  kalten  Wasser,  welche 
man  das  Hexenbad  nannte.  Das  Ordale  des  kalten 
Wassers  (Judicium  aquae  frigidae)  reicht  tief  in  das  Mittel- 
alter zurück^).  Ludwig  der  Fromme  verbot  es,  Hinkmar 
von  Reims  trat  als  sein  Vertheidiger  auf,  zur  Zeit  Bern- 
hardts von  Clairvaux  wurde  es  gegen  sogenannte  Mani- 
chäer  in  Frankreich  angewendet ;  seitdem  aber  Innozenz  HI. 
auf  dem  Lateran-Concil  121 5  ein  neues  Verbot  darauf 
legte,  kam  es  in  Abnahme.  Das  Verfahren  bestand  darin, 
dass  der  Angesch\ildigte  an  ein  Seil  gebunden  imd  in's 
Wasser  hinabgelassen  wurde;  Aufschwimmen  war  das 
Zeichen  der  Schuld,  Untersinken  das  der  Unschuld.  Einige 
deutsche  Weisthümer  aus  dem  vierzehnten  und  fünfzehn- 
ten Jahrhundert  nehmen  jedoch  die  Entscheidung  gerade 
umgekehrt').  Im  sechszehnten  Jahrhundert  fing  man  in 
manchen  Gegenden  Deutschlands,  namentlich  in  West- 
phalen,  diese  Probe  bei  den  Hexen  zu  gebrauchen  an. 
Man  band  ihnen  die  Hände  mit  den  Füssen  kreuzweise 
zusammen  und  liess  sie  an  einem  Seile  in  einen  Fluss  oder 
Teich  dreimal  hinab,  wobei  das  Aufschwimmen  für  die 
Schuld  sprach.  Als  endliches  Ueberfühnmgsmittel  ist  die 
Wasserprobe  zwar  nirgends  recht  in  Gebrauch  gekommen« 
als  vorläufige  Prüfung  aber  erhielt  sie  sich  sehr  lange« 
Wurde  sie  genügend  bestanden,  so  folgte  entweder  augen- 
blickliche Freilassung,  oder  kanonische  Reinig^mg;  wo 
nicht,  so  schritt  man  zur  Tortur.  Aus  einem  Schreiben 
des  marburgischen  Professors  der  Philosophie  Scribonius 
an  den  Magistrat  zu  Lemgo  ersieht  man,  dass  die  Wasser- 
probe in  dieser  Stadt  erst  1 583  nach  dem  Muster  anderer 
Länder  eingeführt,   in   den  übrigen  Theilen  Deutschlands 


M  Pari.  in.  Qu.  17. 

*)  (Srimm,  deutsche  RechtsaUerthQmer,  B.  II.  S.  Q23.  Li  ßnm,  Histoire 
des  pratiques  sui>erstitieuse5.  Vol.  11.  p.  29u  ff. 

*)  Grimm  a»  a.  O.  S.  U24.  Auch  Da  Frtsne  Gloss.  v.  Aqua  erwihnt 
F&Ue  aus  .Mtcrer  Zeit,  wo  die  Sache  in  dieser  Weise  geoommeo  wurde. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^g^ 

aber  noch  fast  ganz  unbekannt  war.  Scribonius  suchte 
die  Zweckmässigkeit  des  Verfahrens  mit  Gründen  darzu- 
thun  und  verwickelte  sich  in  einen  Streit  mit  den  Aerzten 
Ewich  und  Neuwald,  in  welchem  er  den  Kurzem  zog. 
Aus  Westphalen  verbreitete  sich  die  Anwendung  des 
Hexenbades  nach  Lothringen ;  gegen  das  Ende  des  sechs- 
zehnten Jahrhunderts  finden  wir  es  auch  in  Belgien  \md 
Frankreich  ^) ,  wo  es  indessen  vom  pariser  Parlament  ver- 
boten wurde,  und  um  die  Mitte  des  siebenzehnten  trieb 
man  besonders  in  England  einen  argen  Unfug  mit  dem- 
selben. Auch  nach  Ostindien  ist  es,  wahrscheinlich  durch 
die  Engländer,  gekommen  2).  In  Italien  und  Spanien  da- 
gegen, wo,  wie  Delrio  sagt,  illibata  est  canonum  auctoritas, 
kam  es  gar  nicht  vor.  Der  Gerichtshof  von  Holland  liess 
sich  in  einem  vorkommenden  Falle  1594  von  den  Profes- 
soren zu  Leyden  ein  Gutachten  ausstellen,  welches  gegen 
die  Anwendbarkeit  dieser  Probe  ausfiel.  Im  folgenden 
Jahre  ward  sie  auch  in  den  spanischen  Niederlanden  ver- 
boten ^). 

Fragen  wir  nach  der  diesem  Ordale  zu  Grunde  liegen- 
den Vorstellung,  so  findet  sich  diese  bei  Hinkmar  dahin 
entwickelt,  dass  das  Wasser,  geheiligt  durch  die  Taufe 
Christi  im  Jordan,  keine  Verbrecher  aufnehme,  wenn  es 
darauf  ankomme,  sie  zu  entdecken.  Nach  König  Jacob  I. 
wollte  das  Wasser  in  Gemässheit  besonderer  Anordnung 
Gottes  die  Hexen  darum  nicht  in  seinen  Schooss  auf- 
nehmen, weil  dieselben  in  ihrer  Lossagung  von  Gott  und 
Christus  das  heil.  Taufwasser  von  sich  geschüttelt  hätten. 
Doch  möchten  wir  glauben,  dass,  als  man  die  ursprünglich 


')  Besonders  in  Bourgogne,  Anjou  und  in  der  Nähe  von  Paris.  Noch 
1696  unterwarfen  sich  zu  Montigny  bei  Auxerre  einige  Verdächtige  freiwillig 
der  Probe  und  Hessen  ein  Notariatsinstrument  darüber  aufnehmen;  die  Herr- 
schaft schlug  den  Prozess  derjenigen,  die  nicht  genügend  bestanden,  nieder. 
Le  Brun  II.  290  u.  294- 

*)  Ausland  1837.  Nr.  271. 

')  Cannaert,  Bydragen  pag.  219.  Vgl.  ausserdem  noch  über  das  Hexen- 
bad :  iPr^^'^r'j  Sammlung  vermischter  Abhandlungen  zur  Erläuterung  der  deutschen 
Rechte  und  Alterthümer,  Rost.  1756.  Th.  II.  S.  859  ff. 


xn()  Sechszehntes  Kapitel. 

für  ganz  andere  Verbrechen  angewendete  ^)  und  späterhin 
fast  ganz  vergessene  Probe  wieder  hervorsuchte,  um  sie 
speziell  an  den  Hexen  zu  vollziehen,  noch  eine  andere 
Vorstellung  leitete.  Den  Griechen  nämlich  galten  die 
Thibier  am  Pontus  für  Zauberer,  und  es  herrschte  der 
Glaube,  dass  sie  im  Meere  nicht  untergehen  konnten. 
Plinius,  der  diess  erzählt*),  war  stets  eine  Fundgrube  für 
die  Zauberdoktrinen  und  mag  auch  hier  eingewirkt  haben. 
Man  mass  den  Hexen  eine  sehr  geringe  spezifische  Schwere 
bei,  wie  diese  auch  in  ihrer  Flugfahigkeit  hervortritt,  und 
es  musste  wohl  der  Gedanke  nahe  liegen,  dass  man  sie 
an  diesem  Kriterium,  gleich  den  Thibiem,  zu  erkennen 
vermöge.  Mit  Bestimmtheit  lässt  sich  dieses  freilich  nicht 
nachweisen.  Die  mittelalterliche  Auffassung  der  Wasser- 
probe als  eines  Gottesurtheils  hatte  im  Hexenprozess  einer 
ganz  anderen  Auffassung  Platz  gemacht.  Dieselbe  galt 
jetzt  als  Mittel  um  Indizien  zu  erlangen.  Man  wollte  da- 
hinter kommen,  ob  die  Angeklagte  wohl  schwämme. 
Schwamm  sie,  so  war  ein  sehr  bedeutendes  Indizium  ge- 
gen die  Angeklagte  gewonnen,  wobei  zwei  Gesichtspunkte 
in  Betracht  kamen.  Einerseits  stand  es  dann  nämlich  fest, 
dass  der  Teufel  im  Wasser  mit  ihr  war  und  ihr  Unter- 
sinken verhinderte.  Bisweilen  versprach  der  Teufel  den 
Hexen  während  der  Wasserprobe  eine  eiserne  Stange  zu 
bringen,  damit  sie  sinken  konnten,  brachte  dann  aber  bloss 
eine  leichte,  unnütze  Nadel.  Andererseits  erkannte  man 
an  dem  Schwimmen  die  spezifische  Leichtheit  der  Hexen, 
die  denselben  kein  Teufel  abnehmen  konnte  •).  Dafür  dass 
dieses  letztere  der  Hauptgesichtspunkt  war,  spricht  auch, 
dass  Scribonius  sich  umständlich  über  die  Leichtheit  der 
Hexen  verbreitet,  Remigius  der  Plinianischen  Stelle  wirk- 


')  Wenn  es  bei  jVi/Aarä  ad  ann.  835  heisst :  Gerbergam.  more  maleßco- 
rum,  in  Ararim  mergi  praecepit,  —  so  ist  diess  ohne  Zweifel  nicht  von  einer 
Probe,  sondern  von  einer  Hinrichtung  zu  verstehen.  Wenigstens  heisst 
es  von  demselben  Falle  bei  dem  Auclor  vitae  Ludovici  Pii:  Gerberga«  —  — 
Unquam  veneftca,  aquis  pratfocata  est.     {DucMes$u  11.  312  u.  362.) 

•)  H.  N\  Vil.  2. 

•)  //itti£^  u.  Dtmmt,  Annalen,  1843,  S.  313. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^gy 

lieh  gedenkt^)  und  der  Wasserprobe  auch  eine  andere 
Probe  zur  Seite  steht,  welche  von  dem  spezifischen  Ge- 
wichte der  Hexen  ausgeht.     Diess  ist  nämlich 

3)  die  Probe  mit  der  Wage  (probatio  per  pondera 
et  lancem).  Diese  Probe  mit  der  „Hexenwage"  bestand 
darin,  dass  die  Angeklagten,  wenn  sie  auf  diesem  Wege 
ihre  Unschuld  darthun  wollten,  etwas  schwerer  sein  mussten, 
als  sie  geschätzt  worden  waren.  Besonderen  Ruf  hatte 
in  dieser  Beziehung  die  Stadtwage  zu  Oudewater^).  Man 
berief  sich  auf  ein  Privilegium  Karl's  V.,  nach  welchem 
ein  Zeugniss  des  Stadtraths,  dass  ein  Verdächtiger  amtlich 
gewogen  worden  sei  und  ein  seinem  Körperumfange  ent- 
sprechendes  Gewicht  bewährt  habe,  überall  rechtlichen 
Glauben  haben  und  alle  andern  Proben  ausschliessen  sollte. 
Wie  es  sich  mit  jenem  Privilegium  verhalten  möge,  steht 
dahin*);  gewiss  aber  ist,  dass  man  aus  den  Stiften  Köln, 
Münster  und  Paderborn  häufig  seine  Zuflucht  zum  Rath 
von  Oudewater  nahm  und  in  der  Regel  nicht  Ursache 
hatte,  sich  über  unbillige  Behandlung  zu  beschweren.  1754 
wurde  die  letzte  Probe  in  dieser  Stadt  vorgenommen,  mit 
zwei  Beschiddigten  aus  Coesfeld  und  Teiligt  im  Münster- 
schen.  Dass  man  ein  Minimum  von  ii — 14  Pfunden  für 
den  Unschuldigen  angenommen  habe,   ist   ein  Märchen^). 

')  Daemonolatr.  III.  9. 

*)  S.  Balthasar  Bekker  bezauberte  Welt,  Bch.  I.  Cap.  21. 

')  Bei  der  Verwüstung  der  Stadt  durch  die  Spanier  1575  ist  das  Rathhaus 
mit  allen  seinen  Urkunden  in  Flammen  aufgegangen.  Doch  weiss  man,  dass 
auf  Befehl  des  Kaisers  Karl  V.  die  Gerichte  der  Wage  zu  Oudewater  am 
2.  März  1547  nach  denen  zu  Gauda  geprüft  wurden.  Vgl.  Scheltema,  Ge- 
schiedenis  S.  I42  .  sowie  desselben  Verfassers  Geschied  =  en  Letterkundig 
Mengelwerk,  B.  IV.  S.  252—263. 

^)  Scheltema  Geschiedenis  der  Heksenprozessen  p,  141.  Camuurt  (S.  225) 
theilt  ein  Certificat  mit,  nach  welchem  die  Verdächtige,  ein  von  dem  Bürger- 
meister von  Bockholt  im  Münster'schen  hingesendetes  Mädchen,  1 34  Pfd.  wog. 
Die  Unkosten  betrugen; 

Schepenen Guld.  1  16  o 

Secretaris „  2  18  o 

Bode ,  o  12  o 

Waegmeester     ....        „  o  12  o 

Vroedfrouw       ....        „  O  12  o 

Te  zamen  Guld.     6     10    o 


398  Sechszehntes  Kapitel. 

Aehnliche  Proben  fanden  sich  auch  anderwärts.  1 707  er- 
griff der  Pöbel  bei  Bedford  ein  verschrieenes  Weib  und 
nahm  die  Wasserprobe  vor,  welche  ungenügend  bestanden 
wurde.  Nach  langen  Verhandlungen  verfiel  man  darauf» 
die  Verdächtige  gegen  die  zwölf  Pfund  schwere  Kirchen- 
bibel abzuwägen,  und  da  diessmal  das  Gewicht  genügte, 
so  stand  man  von  weiterer  Verfolgung  ab  ^). 

4)  Die  Nadelprobe.  Fand  sich  am  Körper  der  An- 
geklagten irgend  eine  Warze,  ein  Mal  oder  dergleichen, 
so  stach  der  Scharfrichter,  zuweilen  auch  ein  eigens  be- 
auftragter Chirurg,  hinein,  und  wenn  keine  Aeusserung 
des  Schmerzes  erfolgte  oder  kein  Blut  herausdrang,  so 
war  man  sicher,  das  Stigma  diabolicum  gefunden  zu  haben. 
Diese  Probe  war  sehr  gemein ;  sie  findet  sich  in  Deutsch- 
land, Frankreich,  Belgien,  England  und  Spanien*).  Bu- 
seckische Akten  von  1674  enthalten  eine  von  zwei  Ge- 
richtsschöffen  beglaubigte  Urkunde  über  eine  solche  Er- 
mittlung. Fand  sich  bei  der  Besichtigung  nichts,  was  als 
Stigma  genommen  werden  konnte,  so  war  der  Inquisit 
darum  nicht  besser  daran ;  es  galt  dann  der  Satz,  dass  der 
Teufel  nur  zweifelhaften  Anhängern  sein  Siegel  aufdrücke 
und  die  sicheren  ungezeichnet  lasse  ^).  Bei  dieser  Nadel- 
probe übte  der  Scharfrichter  zuweilen  den  Kniff,  dass  er 
auf  dem  angeblichen  Stigma  selbst  den  Kopf  der  Nadel 
aufsetzte,  dann  aber  zum  Beweise,  dass  der  Mensch  über- 
haupt dem  Schmerze  nicht  unzugänglich  sei,  die  Spitze  an 
einer   andern  Stelle   tapfer  einbohrte.     Walter  Scott   irrt. 


*)    iV.  Scott,  Br.  üb.  Dämonol.  Th.  II.  S.   112. 

*)  In  Frankreich  und  der  Schweiz  wurde  diese  Untersuchung  gewöhnlich 
von  Chirurgen  vorgenommen  {Hauöer  Bibl.  mag.  11.  640),  in  Deutschland 
durch  den  Scharfrichter  im  Beisein  der  Schöffen;  in  Belgien,  wo  zwischen 
dem  Büttel  und  den  Aerzten  oft  Meinungsverschiedenheit  vorkam,  bestimmte 
eine  Verordnung  von  1660,  dass  der  erstere  nicht  mehr  zuzulassen  sei,  son- 
dern nur  neutrale  en  insuspecte  docteurs.  Dennoch  findet  sich  eine  Rechnung 
des  Scharfrichters  von  Melin  in  Hennegau  von  l68t,  worin  für  dessen  Be- 
mühungen beim  Suchen  des  Stigma's  einer  Inquisitin  und  die  Torquirung  der- 
selben 62  livres  8  sols  angesetzt  sind.     (Cannaert  Bydragen  p.  207.  211.) 

•)  Bodin,  Daemonom.  II.  4.  u.  IV.  4.     Ego    tamen   cum  Danaeo  scntio, 
principes  quosque  magos  carere  signo  etc. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^qq 

wenn  er  die  Nadelprobe  eine  Erfindung  des  schändlichen 
Hopkins  nennt ;  schon  Remigius  und  Bodin  kennen  sie  ^). 

5)  Die  Thränenprobe.  Der  Mangel  an  Thränen 
während  der  Folter  war  Zeichen  der  Schuld;  nach  der 
Tortur  konnte  auch  der  reichlichste  Ergfuss  nicht  helfen  ^). 
Bodin  hat  sich  erzählen  lassen,  dass  nur  das  rechte  Auge 
einer  Hexe  in  der  Pein  drei  Thränen  zu  vergiessen  ver- 
möge. Das  Sprüchwort  „Hexen  weinen  nicht"  war  daher 
bald  im  allgemeinsten  Gebrauch  und  erst  spät  wagen 
Rechtsgelehrte  (Hert,  Opuscula,  T.  11.  1737,  S.  383)  be- 
scheidene Zweifel  auszusprechen,  indem  sie  mit  Berufung 
auf  die  Auctorität  von  Aerzten  hervorheben,  dass  das  Ueber- 
maass  der  Folterqual  es  nicht  zur  Thränenergiessung  kom- 
men lasse. 

Ein  besonderes  Kennzeichen  einer  Hexe  war  auch, 
dass  sie  bei  dem  Hersagen  des  Unser- Vaters  an  der  sechsten 
oder  siebenten  Bitte  anstiess  imd  im  Gebet  nicht  fortzu- 
fahren vermochte. 

Ebenso  fand  man  das  Laster  der  Hexerei  constatirt, 
wenn  die  oder  der  Beklagte  im  Verhör  sich  bestürzt  zeigte, 
in  der  Rede  stockte,  die  Zunge  spitzte,  sie  krümmte  und 
gegen  die  Untersuchungsrichter  herausstreckte,  wenn  er 
imter  sich  oder  auf  die  Seite  sah  und  sich  vergeblich  zu 
weinen  bemühte,  oder  sonst  (in  Folge  der  furchtbaren 
Seelenangst,  welche  den  Unglücklichen,  namentlich  bei 
dem  Anblick  der  Folterwerkzeuge  befiel)  etwas  Auffallen- 
des in  seinem  Benehmen  zeigte. 

Ausserdem  gab  es  noch  manche  seltenere  Proben  sehr 
eigenthümlicher  Art.  So  wurde  einst  zu  Nidda  einem 
achtzehnjährigen  Mädchen  nach  richterlichem  Erkenntniss 
das  Nasenbein  eingeschlagen,  um  aus  dem  Blutflusse  über 
Schuld  und  Unschuld  zu  urtheilen.  Eine  Art  von  offa 
judicialis    mit  Butterbrod   wurde   161 8   bei   einer  Hexe  zu 


*)  Remig»  Daemonolatr.  p.  31.     Bodin,  Daemonom.  lib.  IV.  cap.  4. 

*)  Mall,  malef.  Part.  III.  Qu.  15.  Der  Grund  ist  wohl  ein  sehr  natür- 
licher, auch  bei  Märtyrern  hat  man  die  Erscheinung  wahrgenommen,  bei 
Hexen  vielleicht  nur  darum  häufiger,  weil  deren  ungleich  mehr  gefoltert 
worden  sind. 


400  Sechszehntes  Kapitel. 

Lincoln  auf  deren  eigenes  Verlangen  angewendet;  sie  soll 
daran  erstickt  sein^). 

e)   Die    Bestrafung   der   Hexen. 

Waren  nun  durch  Verhöre,  Proben  und  Tortur,  durch 
Geständniss  oder  Ueberführung  die  Akten  endlich  zum 
Schlüsse  gekommen,  so  erfolgte  der  Spruch.  AuchCon- 
tumacialurtheile  fanden  Statt.  Völlige  Freisprechung  sollte 
nach  dem  Malleus  nicht  ertheilt  werden,  sondern  bloss 
Absolution  von  der  Instanz;  auch  Delrio  empfiehlt  diese 
als  sicherer,  obgleich  er  die  rechtliche  Möglichkeit  der 
ersteren  einräumt.  Und  diese  Maxime  befolgte  gewöhn- 
lich auch  der  weltliche  Richter,  wenn  das  Verfahren  ein- 
mal über  die  ersten  Stadien  der  Folterung  hinausgegangen 
war.  Der  Losgesprochene  wäre  mit  seinen  zerfolterten 
Gliedern  imd  seinem  durch  jahrelange  Haft  verkümmerten 
Leibe  ein  umherwandelnder  Vorwurf  fiir  die  Obrigkeit  ge- 
wesen. Sah  man  sich  aber  genöthigt,  die  Verhafteten  und 
Verhörten  wieder  in  Freiheit  zu  setzen,  so  mussten  sie 
vorher  die  Urfehde  schwören*),  in  der  sie  insbesondere 


*)  The  wonderful  discovery  of  the  witchcrafts  etc.  p.  11. 

')  In  einem  1562  zu  Esslingen  vorgekommenen  Prozess  z.  B.  wurden 
drei  Frauen  mit  Ausstellung  folgender  Urfehde  (welche  .^«^  in  der  Zeitschr. 
für  deutsche  Kulturgesch.  1856  S.  266  mitgetheilt  hat,)  entlassen: 

,,Ihr  drei  Weiber,  nachdem  ihr  sammt  und  sonders  in  die  Fronfeste  und 
das  Gefilngniss  des  Raths  zu  Esslingen  gekommen  seid  aus  wolbefugten  Ur- 
sachen, weil  ihr  euch  lange  Zeit  her  in  mancherlei  Weg  bAs,  venUchtig  und 
argwönisch  gemacht  habt,  so  dass  der  Rath  wohl  befugt  gewesen  wÄre,  mehr 
strenglich  mit  euch  zu  handeln:  will  er  doch  diesmal,  angesehen  euer  selbrt 
Bitten  und  euer  Verwandten  und  Freunde  vielftltig  Ansuchen  mit  der  erlittcseo 
Thurmstrafe  ein  Begnügen  haben,  und  euch  alle  drei,  doch  auf  euer  kQnfti;^ 
Wolverhalten,  sammt  und  sonders  solchen  GefÄngnisses  in  Gnaden  erlasseo; 
dergestalt  jedoch ,  dass  ihr  euch  hierfür  f u  allen  Zeiten  eueres  Lebens  in 
diesen  biSsen  Verdacht  der  fahrenden  Frauen,  Hexen  oder  Unholde  nie  mehr, 
weder  mit  Reden,  Gedanken  und  Werken  noch  sonst  in  anderer  Weise  öffent- 
lich oder  heimlich  begeben,  sondern  christlich  und  gottesfürchtig  leben  wollt 
Auch  sollt  ihr  schwören,  dass  ihr  weder  durch  euch  selbst  noch  durch  jeniaad 
Anders  von  euretwegen  euerer  Gefangenschaft  und  was  euch  darin  begegnete, 
gewen  den  Rath,  dessen  Zugehörige  und  Diener,  auch  gegen  mAnniglich.  so  lu 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^OI 

ZU  geloben  hatten,  dass  sie  sich  wegen  der  erlittenen  Ein- 
ziehung etc.  an  der  Obrigkeit  nicht  rächen  wollten. 

Gewöhnlich  sahen  sich  aber  die  Freigelassenen  doch 
noch  durch  besondere  Anordnungen  des  Gerichts  gemass- 
regelt.  Nicht  nur  wurde  denselben  oft  eine  Geldstrafe 
auferlegt,  sondern  wegen  des  an  ihnen  trotz  der  Freilassung 
noch  haftenden  Verdachts  der  Zauberei  wurden  sie  in  ge- 
wisser Aufsicht  behalten  und  in  schimpflichster  Weise  an 
ihrer  Freiheit  geschädigt.  Oft  wurde  ihnen  der  Besuch 
der  Kirche  untersagt,  und  wenn  ihnen  der  Kirchenbesuch 
gestattet  war,  so  mussten  sie  im  Gotteshaus,  von  allen 
Anderen  gesondert,  an  einem  ihnen  zugewiesenen  Platze 
sitzen.  Auch  im  eigenen  Hause  sollten  sie  ohne  Verkehr 
mit  den  Ihrigen,  in  einem  besonderen  Gemach  leben.  Nicht 
selten  aber  sahen  sich  die  Unglücklichen  von  ihrer  Heimath 
und  den  Ihrigen,  wenn  sie  zurückkehrten,  wie  Aussätzige 
Verstössen.  Man  reichte  ihnen  keine  Hand  und  die  Orts- 
obrigkeit liess  sie  nicht  selten  zum  Ort  hinauspeitschen, 
oder  sperrte  sie  in3  Findelhaus  oder  Spinnhaus  ein.  — 
Das  Günstigste  war  es  noch  für  die  Freigesprochenen, 
wenn  sie  zur  öffentlichen  Kirchenbusse  verurtheilt  und 
ihnen  nach  Vollziehung  derselben  die  Absolution  und  das 
heil.  Abendmahl  ertheilt  wurde,  wie  es  z.  B.  nach  einem 
Beschlüsse  des  Raths  zu  Esslingen  vom  i.  Juli  1664  mit 
mehreren    verhaftet  gewesenen  jungen  Leuten  geschah^). 

Die  vorerwähnte  Katharine  Lips  aus  Betziesdorf  in 
Oberhessen,  deren  Heldenhaftigkeit  auch  durch  die  furcht- 
barste Tortur  nicht  hatte  gebrochen  werden  können,  wurde 
nach  Ausstellung  folgender  Urphede  aus  dem  Hexenthurm 
zu  Marburg  entlassen: 

„Ich  Katharina,  Dieterich  Lipsen  Hausfrau,  Schul- 
meisters zu  Betziesdorf,  Urkunde  hiermit:  Als  in  der 
durchlauchtigen  etc.  unserer  gnädigen  Fürstin  gefängliche 


euerer  geßLoglicheii  Einziehung  Ratb,  HOlfe  und  FOrschub  that,  mit  Worten 
oder  Werken  ahnden  oder  rächen  wollt,  weder  vor  weltlichen  noch  vor  geist- 
lichen Gerichten.** 

')  Pfaff,  ebcndas.  S.  455—456. 
Boldsn-Heppe,  Hexenpzozeue»  26 


402  Sechszehntes  Kapitel. 

Haft  allhier  aufm  Schloss  ich  wegfen  angegebenem  Zauberei- 
verdachts gerathen,  auch  von  ihrer  Durchlaucht  fiscali  am 
hochpeinlichen  Halsgericht  hierselbst  deswegen  besprochen 
und   nach   geführtem  langem   peinlichem  Prozess  endlich 
Bescheid  ertheilt  worden,  dass  gegen  genügsame  Caution, 
da  man  ins  künftige  eine  mehrere  Anzeigen  und  Verdacht 
des  Zaubereilasters  gegen  mich   in  Erkundigung  bringen 
würde,   mich  jederzeit  mit  dem  Leibe  wieder  zu  sistieren, 
ich  für  diesmal  gegen  gewöhnliche  Urphede  und  Erstattung 
der  Unkosten   ab  instantia  zu  absolviren  und  der  gefäng- 
lichen Haften   zu  erlassen   sei;    dass   demnach  mit  Hand- 
gegebener Treue  an  Eidesstatt  angelobt  und  versprochen 
habe,  auch  hiermit  angelobe  und  verspreche,  nicht  allein 
die  aufgegangenen  Unkosten  unverlangt  zu  bezahlen,  und 
dieser  gefänglichen  Haften  und  was  mir  darinnen  begegnet 
weder  an  Ihrer  Durchlaucht,  noch  dero  Bedienten,  oder 
anderen  deren  Untertanen  in  keinem  Wege  zu  rächen  oder 
zu  ahnden,  sondern  auch,  da  inskünftig  eine  mehrere  An- 
zeige oder  Verdacht  erwähnten  Lasters  halber  in  Erkundi- 
gung sich  finden  würde,  mich  jederzeit  auf  Erfordern  mit 
dem  Leibe   wieder   zu   sistieren    oder   Ihrer   Durchlaucht 
höchstgedacht   mit  allem  dem  meinigen  verfallen  zu  sein, 
gestalt  ich  dann  deswegen,  weilen  ich  keinen  Bürgen  auf- 
bringen können,    alle  und  jede  meine  gegenwärtigen  und 
zukünftigen  Habe  und  Güter,  wie  die  Namen  haben  oder 
anzutreffen  sein  mögen,  zu  speciellem  und  gewissem  Unter- 
pfand hiermit  eingesetzt,    und  allen   \md  jeden  mich  da- 
gegen schützenden  Beneficien   und  Guttaten,   der  Rechte 
und  Gewohnheiten  wolerinnert  renunciert,  auch  den  edlen 
festen  \md  hochgelehrten  Herrn  Jacob  Blankenheim,  furstl 
Oberschultheis  allhier  mit  Fleiss   erbeten,    dass  er  diesen 
Cautionsschein    imd   Urphede    meinetwegen    eigenhändig 
unterschrieben   und  sein  gewöhnliches  Amtssiegel   aufge- 
drücket  hat,  doch  Ihrer  Durchlaucht,  seinem  Amt,  ihm  und 
den  Seinigen   ohne  Schaden.     So   geschehen  zu  Marburg 
den  4ten  Mai  anno  1672. 

Die  verdammenden  Sentenzen  des  geistlichen  Gerichts 
sprachen  die  Schuld  und   die  kirchlichen  Büssungen  aus. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^o^ 

verordneten  die  Abschworung  der  Ketzerei,  verhängften, 
wenn  der  Fall  sich  zur  Anwendung  besonderer  Milde  eig- 
nete, Kerkerstrafe  auf  Lebenszeit  („ut  ibi  semper  pane 
doloris  et  aqua  angustiae  crucieris",  sagt  der  Malleus),  oder 
übergaben,  was  das  Gewöhnlichste  war,  den  Schuldigen 
an  den  weltlichen  Arm.  Geschah  diess  einem  Geistlichen, 
so  musste  er  zuvor  degradirt  werden.  Der  weltliche  Arm 
strafte  mit  dem  Tode.  Die  Hinrichtimg  geschah  in  der 
Regel  so,  dass  der  Verurtheilte  in  Begleitung  von  bewaff- 
neten Reitern  oder  Musketieren  auf  den  Richtplatz  gefuhrt 
oder  geschleift  ward,  wo  dann  zunächst  die  Urgicht, 
d.  h.  das  Verzeichniss  der  auf  der  Tortur  erpressten  Ge- 
ständnisse oder  der  Verbrechen  vorgelesen  ward,  was  ge- 
wöhnlich mit  einer  vorausgeschickten  Einleitung  geschah. 
Eine  1662  in  Esslingen  zur  Publikation  der  Urgicht  und 
des  Urtheils  gebrauchte  Einleitimg  war  z.  B.  folgende^): 
„Es  sollen  billig  erschrecken  und  mit  stillschweigender 
Verwundenmg  alle  Zuseher  auf  diesem  traurigen  Schau- 
platz anhören  und  zu  Gemüt  ziehen,  was  der  von  Gott 
in  die  Höllenglut  verstossene  Mord  und  Lügengeist  in 
den  Kindern  des  Unglaubens  wirkt  und  zu  was  für  einem 
harten,  grausamen  Mord  und  anderen  Unthaten  er  sie  zum 
Verderben  ihrer  armen  Seele  anführt.  Weichergestalt  die 
erschrecklichen,  himmelschreienden  und  stummen  Sünden 
der  Zauberei  und  Sodomiterei  vieler  Orten  überhand  ge- 
nommen und  wie  der  Krebs  hochschädlicher  Weise  um 
sich  gefressen,  das  bezeugt  die  tägliche,  höchst  traurige 
Erfahrung.  Daher  muss  von  einer  christlichen  Obrigkeit 
auch  bei  Zeiten  durch  harte  und  exemplarische  Bestra- 
fungen solchen  seelenverderblichen  Unheü-  und  Gräuel- 
thaten  vorgebeugt  werden.  —  Unter  denjenigen  Tugenden, 
die  den  Regenten  und  Obrigkeiten  wohl  anstehen,  die 
Schärfe,  die  sie  gegen  die  Bösen  und  Leisterhaften  an- 
wenden will"  u.  s.  w.  Hierauf  erfolgte  sofort  die  Hin- 
richtung der  Verurtheilten,  d.  h.  in  der  Regel  „Einäsche- 
rung".    Als  eine  Linderung  der  Strafe  galt  es,  wenn  der 


*)  P/af,  in  der  Zeitschrift  für  die  deutsche  Kulturgesch.  1856  S.  362. 


^04  Sechszehntes  Kapitel. 

Verurtheilte  zuvor  enthauptet  oder  erwürgt  wurde,  worauf 
die  Leiche  auf  einem  Holzstoss  zu  Asche  verbrannt  ward. 
In  Schwaben  und  in  der  Schweiz  kam  es  auch  vor,  dass 
man  zur  Abkürzung  des  schrecklichen  Feuertodes  dem 
Verurtheilten  auf  dem  Scheiterhaufen  Pulversäcke  oder 
einen  Pechbesen  anhingt).  —  Sollte  die  Strafe  noch  ver- 
schärft werden,  so  wurden  die  Verurtheilten,  indem  man 
sie  zum  Richtplatz  schleifte,  noch  mit  glühenden  Zangen 
gezwickt,  oder  es  wurde  ihnen  vor  der  Einäscherung  eine 
Hand  abgehauen,  wie  z.  B.  aus  folgendem  St.  Galler  ür- 
theil  von  1691  zu  ersehen  ist^):  „Auf  solche  verlesene  xmd 
von  dem  armen  Mensch  bekannte  schwere  Verbrechen 
ist  mit  Urtel  und  Recht  erkannt,  dass  sie  in  die  Schranken 
geführt,  daselbst  ihr  die  rechte  Hand  abgehauen,  hernach 
auf  einen  Karren  gesetzt,  auf  den  Richtplatz  gezogen,  auf 
eine  Leiter  gelegt,  angebunden,  mit  aufrechtem  Angesicht 
auf  den  Scheiterhaufen  geworfen  und  also  lebendig  zu 
Staub  und  Asche  verbrannt  werde,"  —  Ein  früheres  St, 
Galler  Urtheil  von  1604  lautet:  „dass  die  Frau  vor  das 
Rathhaus  geführt,  ihr  die  Urgicht  vorgelesen  und  folgens 
dem  Nachrichter  befohlen  werde ,  der  solle  ihr  davor  ihre 
Hände  zusammenbinden  und  auf  die  gewöhnliche  Richt- 
statt führen,  und  ihr  auf  derselben  die  linke  Hand  ab- 
schlagen, und  folgens  ihr  einen  Pulversack  an  ihren  Hals 
hängen,  demnach  an  einen  Pfahl  binden,  mit  Holz  um- 
geben und  lebendig  verbrennen***). 

Die  Rechtmässigkeit  der  Todesstrafe  erweist 
Delrio  aus  der  Vernunft,  dem  mosaischen,  romischen  und 
päpstlichen  Rechte,  den  geschriebenen  und  ungeschrie- 
benen Gesetzen  von  fast  ganz  Europa,  der  Praxis  der  Inquisi- 
toren und  den  Ansichten  der  Kriminalisten  aller  Nationen*). 


*)  Vgl.  V.  Gonzenbaths  Mittheilungen  ,.aus  Stadt  St.  Gallischen  Hexen* 
aiclen  seit  1600**  in  SchUtUr's  Annalen  der  Krimi nairechtspflege ,  l856  S.  I  ff« 
und  lyaff,  a.  a.  O.  S.  442. 

')  V*  Gopu€nbach,  ebendaa.  S.  22. 

')  Ebendas.  S.  6. 

^)  Disqu.  mag.  lib.  V.  sect.  16.  Lamiae  occidendae,  etiamsi  hominem 
nullum  veneno  necassent;    etiamsi   segetibus   et   animantibus   noH  nocuissenl; 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  aq^ 

Was  nun  das  päpstliche  Recht  anlangt,  so  konnte  es 
scheinen,  als  ob  Delrio  hier  nur  dessen  Geist,  nicht  dessen 
wortlichen  Ausdruck  im  Auge  habe,  indem  sich  das  Papst- 
thum  allerdings  allezeit  gesträubt  hat,  die  Bestrafung  der 
Ketzer  und  Zauberer  am  Leben  ausdrücklich  zu  fordern. 
Die  Päpste  haben  aber  Folgendes  gethan:  sie  haben  von 
Bestrafung  durch  Vermittlung  der  Justiz,  von  Ausrottung 
der  Sekten  und  Uebergabe  an  den  weltlichen  Arm  ge- 
sprochen ;  sie  haben  die  Inquisitoren,  die  diesem  Arme  die 
meisten  Opfer  zuwiesen,  gefördert,  die  weltlichen  Behörden 
aber,  welche  ausser  dem  Arme  auch  ihre  Augen  gebrau- 
chen wollten,  wie  die  Venetianer,  mit  Bann  und  Interdikt 
bedroht,  wenn  sie  sich  unbedingter  Exekution  weigern 
würden;  sie  haben  endlich  Verpflichtung  der  Magistrate 
auf  Friedrich's  11.  Blutedikte  begehrt  und  denjenigen, 
welche  sich  in  der  Ausrottung  der  Zauberer  eifrig  zeigen 
würden,  gleichen  Ablass  verheissen,  wie  den  Kreuzfahrern. 
Dieses  alles  ist  so  bekannt,  dass  es  hier  keines  Beleges 
bedarf;  auf  Einzelnes  werden  wir  geeigneten  Orts  zurück- 
kommen. Concilien  haben  sich  zuweilen  weniger  verblümt 
ausgedrückt.  So  sagt  das  Lateran-Concilium  von  1179 
mit  Bezugnahme  auf  die  Katharer :  Licet  ecclesiastica  dis- 
ciplina,  sacerdotali  contenta  judicio,  cruentas  eflfugiat  ultio- 
nes,  catholicorum  tamen  principum  constitutionibus  adju- 
vatur,  ut  saepe  quaerant  homines  salutare  remedium,  dum 
capitale  super  se  metuunt  supplicium  evenire  ^).  Die  Synode 
zu  Narbonne  von  1246  verordnete  ausdrücklich,  dass  die 
imbussfertigen  Häretiker  an  den  weltlichen  Arm  zum 
Lebendigverbrennen  auszuliefern  seien *).  Die  Palme 
der  Heuchelei  trägt  aber  der  Malleus  davon,  wenn  er, 
nach  dem  Vorgange  früherer  Inquisitoren,  seine  auf  Ueber- 
gabe an  den  weltlichen  Arm  lautenden  Urtheile  stets  mit 
der  Phrase  schliesst:  Saecularem  curiam  affectuose  depre- 
eamur,     quatenus    citra    sanguinis    effiisionem    et    mortis 

etiarosi  necromanticae  fton  forent;   eo  ipso  tantum,   quod  daemoni  foederatae, 
quod  conventui  interesse  solitae,  et,  quae  ibi  exercentur,  praestare. 

*)  Decnt,  Gregor,  Lib.  V.  Tit.  VII.  Cap.  8. 

*)  Lamothe-Langon  Hist.  de  Tlnqu.  cn  France.  Tom,  I.  p.  XCVIII. 


4o6  Sechszehntes  Kapitel. 

periculum  suam  sententiam  moderetixr.  Nur  bei  dem  Ver- 
urtheilten,  der  auch  nach  dem  Spruche  noch  leugnet,  ge- 
winnt er  es  über  sich,  zu  sagen:  citra  et  circa  sanguinis 
eflfiisionem.  —  Von  einem  Endurtheile  der  Inquisition  zu 
Avignon,  welches  alle  Einzelnheiten  des  Verbrechens  fast 
genau  so  aufzählt,  wie  wir  sie  oben  bei  den  Hexen  von 
Log'roßo  kennen  gelernt  haben,  lautet  der  Schluss  folgen- 
dermassen:  Nos  F.  Florus,  Provincialis  ordinis  fratrum 
praedicatorum,    S.  Theologiae  Doctor  ac  sanctae  fidei  in 

tota  ista  Legatione  Avenionensi  Inquisitor  generalis, 

dicimus,  declaramus,  pronunciamus  et  diffinitive  sententia- 
mus:  Vos  omnes  supra  nominatos  et  vestrum  quemlibet 
fuisse  et  esse  veror  apostatas,  idololatras,  sanctissimae 
fidei  desertores,  Dei  omnipotentis  abnegatores  et  contem- 
tores,  Sodomiticos  et  nefandissimi  criminis  reos,  adulteros, 
fornicatores,  sortilegos,  maleficos,  sacrilegos,  haereticos, 
fascinarios,  homicidas,  infanticidas,  daemonumque  cultores, 
satanicae,  diabolicae  atque  infernaUs  disciplinae  et  damna- 
bilis  ac  reprobatae  fidei  assertores,  blasphemos,  perjuros 
infames  et  omnium  facinorum  et  delictorum  convictos  fuisse. 
Ideo  vos  omnes  vestrumque  quemlibet  tanquam  Satanae 
membra  hac  nostra  sententia  Curiae  saeculari  remittiraus, 
realiter  et  in  eflfectu  condignis  et  legitimis  poenis  eorum 
peculiari  judicio  plectendos  ^). 

Indessen  liegt  ein  Breve  des  Papstes  Paul  IV.  vom 
4.  Januar  1559  vor,  welches  doch  die  Aussage  Deines 
vollkommen  rechtfertigt.  In  diesem  auf  die  in  Spanien 
auch  unter  den  höheren  Kreisen  einreissende  lutherische 
Ketzerei   bezügHchen   Breve    autorisirt  nämlich  Paul  IV. 

den  Generalinquisitor  mit  den  Worten :  quod huius- 

modi  omnes  et  singulos  haeresiarchas,  —  etiamsi  relapsi 
non  fuerint  saecularis  iudicis  arbitrio,  poena  ultirai 
supplicii   plectendos   dimittere   sive   tradere   libere   et 

licite  valeas,  plenam  et  amplam concedimus 

potestatem  •). 


»)  Deirio  Lib.  V.  sect.  16. 

«)  Raynaldi,  Annal.  ecclcs.  T.  XV.  p.  31  ff. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^07 

f)  Die  Strafgesetzgebung  und  deren  allmähliche 

Entwicklung. 

Wie  die  Geschichte  lehrt,  dass  Hexen  erst  in  Folge 
der  Hexenverfolgung  vorkamen,  und  dass  eigentlich  erst 
durch  die  letztere  der  Hexenglaube  dem  Volke  eingeimpft 
worden  ist,  so  zeigt  die  Geschichte  auch,  dass  die  Straf- 
gesetzgebung, welcher  im  sechszehnten  und  siebenzehnten 
Jahrhundert  die  Massen  der  Hexen  zum  Opfer  fielen,  erst 
ganz  allmählich  in  der  Hexenverfolgung  und  durch  die- 
selbe erwachsen  ist. 

Was  nun  die  bürgerlichen  Strafbestimmungen  in 
Deutschland  betrifft,  so  haben  wir  oben  gesehen,  wie 
bereits  der  Sachsenspiegel  und  mehr  noch  die  späteren 
Redaktionen  des  Schwabenspiegels  in  der  Zauberei  neben 
dem  operativen  Elemente  auch  ein  apostatisches  bezeich- 
nen, ohne  dass  jedoch  hierin  eine  Bekanntschaft  mit  dem- 
jenigen ausgebildeten  Hexenthum,  wie  es  im  vierzehnten 
Jahrhundert  in  Frankreich  sich  abschloss,  ausgesprochen 
wäre.  Inquisitoren  waren  es,  welche  im  Laufe  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  das  vollendete  System  durch  Schrift 
imd  Praxis  in  Deutschland  einheimisch  zu  machen  suchten. 
Unter  mancherlei  Widerspruch  bildete  sich  die  Sache 
faktisch  durch,  und  die  bürgerlichen  Gerichte,  von  dem 
Malleus  selbst  nicht  nur  „propter  damna  temporalia"  an 
sich  für  competent,  sondern  auch  im  Falle  bischöflicher 
Commission  über  das  Uebrige  zu  sprechen  für  fähig  er- 
klärt*), zogen  nachgerade,  ohne  dass  es  einer  neuen  Ge- 
setzesformulirung  bedurft  hätte,  das  Ganze  vor  ihr  Forum. 
Doch  schritt  auch  im  Laufe  der  Zeit  die  Gesetzgebung 
mit  mehr  oder  weniger  Modifikationen  vor. 

Tengler's  Laienspiegel  (von  1509)  berührt  die  Zau- 
berei nur  in  dem  Kapitel  „von  Todtschlägen  und  andern 

^)  Videtur  etiam,  quod  in  haeresi  maleficarum,  licet  non  in  aliis  haeresibu3, 
etiam  ipsi  dioecesani  suas  vices  ad  cognoscendum  et  judicandum  in  foro  civili 
commiitere  valeant,  tum  —  —  quod  hoc  crimen  non  est  mere  ecciesiasticum, 
imo  potius  civile,  propter  damna,  quae  inferuntur,  temporalia,  tum  etiam,  quia 
leges  speciales  in  punitionem  maleficorum  quoad  omnem  viam  punitionis  editae 
cemuntur. 


^o8  Sechszehntes  Kapitel. 

Entieibungen" ;  der  theologische  Gesichtspunkt  ist  ihm 
durchaus  fremd,  er  beruft  sich  auf  kein  deutsches  Gesetz, 
sondern  bloss  auf  Gewohnheiten,  und  weiss  die  Todes- 
strafe nur  auf  römisches  Fundament  zu  gründen :  „Item 
nach  bemeltem  Gesatz  (nämlich  der  lex  Cornelia  de  sicarüs 
et  veneficis)  mögen  auch  gestrafft  werden,  die  mit  vergift, 
zauberey  oder  andern  verpoten  sachen  die  menschen  zu 
ertödten,  zu  latein  genannt  venefici,  malefici,  incantatores, 
phitonisse;  doch  werden  solche  weibs  person  gewonlichen 
im  feur,  oder  wasser  vom  leben  zum  tode  gerichtt,  oder 
zu  äschen  verbrannt." 

In  der  vom  Kaiser  Maximilian  1499  für  Tirol  (im 
Einvernehmen  mit  den  Landständen)  erlassenen  Halsge- 
richtsordnung —  dem  ältesten  derartigen  deutschen  Straf- 
gesetz —  findet  sich  über  Verbrechen  der  Zauberei  und 
Hexerei  gar  nichts  vor.  Zwar  wurde  dann  in  der  von 
Kaiser  Max  1514  aus  Gmunden  erlassenen  Ordnung  für 
die  Landgerichte  unter  der  Enns  „die  Zauberey  in  Rechten 
verpoten",  dagegen  in  der  1526  auf  Befehl  des  Erzherzogs 
Ferdinand  I.  herausgegebenen  „Landesordnimg  der  fürst- 
lichen Grafschaft  Tirol"  und  selbst  noch  in  der  Landes- 
ordnimg  für  Tirol  von  1532  ist  von  derartigen  Verbrechen 
nicht  die  Rede.  Ebenso  erklärte  Kaiser  Ferdinand  L  — 
trotz  der  zu  Recht  bestehenden  Carolina  —  in  seiner  Po» 
lizeiordnung  von  1544  Zauberei  und  Wahrsagerei  als  ein 
„Fürgeben"  und  „Betrug"  und  1552  wird  polizeilich  wieder- 
holt, dass  „Zauberei  und  Wahrsagen  abergläubisch  bos 
Sachen"  seien,  „das  aller  Orten  ausgereutet  und  an  denen, 
so  sie  brauchen,  gebürend  bestraft  werden  soll."  Von 
Todesstrafen  ist  keine  Rede.  Dem  entsprechend  verord- 
nete auch  Max  11.  1568,  dass  Zauberer  und  Wahrsager 
dem  öffentlichen  Hohn  und  Spott  ausgesetzt,  dass  sie  an- 
gehalten werden  sollen,  ihre  Kunst  öffentlich  zu  beweisen 
und  sich  unsichtbar  oder  „gefroren"  zu  machen.  Im  dritten 
Betretungsfall   sollen  sie  des  Landes  verwiesen  werden'). 


')  A,  Siilur stein,    Denksäulen    im    Gebiete   der    Kultur   und    Literatur 
(Wien  1879),  S.  212. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^OO 

In  der  sogen.  „Neureformirten  Landesordnung  der  fürst- 
lichen Grafschaft  Tirol",  welche  unter  Erzherzog  Ferdi- 
nand 11.  1573  publizirt  worden  ist,  wird  freilich  „Zauberey 
und  aberglaubige  Wahrsagerey"  unter  den  verbotenen 
Handlungen  aufgeführt,  jedoch  nur  in  der  „Polizey-Ord- 
nung,"  die  dieser  neureformirten  Landesordnung  von  1573 
beigegeben  ist  und  sich  auf  jene  geringeren  Vergehen 
bezieht,  die  man  gegenwärtig  als  schwere  Polizeiübertre- 
tungen aufzufassen  pflegt.  Hier  heisst  es  nämlich :  -  „Wir 
wollen  bei  gleicher  Straff,  wie  gegen  den  Gotteslästerern, 
auch  alle  Zauberey  und  aberglaubige  Wahrsagerey,  Spre- 
chen u.  dgl.,  es  seye,  dass  jemands  solche  Zauberey  und 
Wahrsagerey  selbst  treiben  oder  solche  Wahrsager  und 
Zauberer  besuchen  würde,  hiemit  gäntzlichen  verbotten 
haben."  Als  Strafe  wurden  aber  hier  hauptsächlich  nur 
Geldstrafen  bestimmt,  wovon  der  „Anzeiger"  insgeheim 
(damit  er  nicht  bekannt  würde)  ein  Viertel,  ein  anderes 
Viertel  die  Obrigkeit  für  ihre  Mühwaltung  erhalten, 
die  übrige  Hälfte  zu  milden  Zwecken  verwendet  werden 
sollte  1). 

In  einem  ganz  anderen  Charakter  gestaltete  sich  da- 
gegen das  Strafrecht  in  den  Landen  der  deutschen  Reichs- 
stände. Hier  ging  allen  anderen  Reichslanden  das  Fürst- 
bisthum  Bamberg  auf  dem  Wege  der  Gesetzgebung 
voran,  und  hier,  in  einem  geistlichen  Lande,  musste  natür- 
lich der  von  Innozenz  VIII.  erlassenen  Bulle  und  dem 
auf  derselben  beruhenden  Hexenhammer  Rechnung  ge- 
tragen werden.  Die  bambergische  Halsgerichtsordnung 
—  die  älteste  deutsche  nach  der  tyroler  —  welche  der 
intelligente  Freiherr  Johann  von  Schwarzenberg 
(t  1528  als  kurbrandenburgischer  Minister)  entwarf  und 
welche  der  Fürstbischof  Georg  von  Bamberg  1507  ge- 
nehmigte (und  1508  zu  Mainz  im  Druck  erscheinen  liess), 
die  auch  1516  in  den  fränkischen  Territorien  Kurbranden- 
burgs zur  Einführung  kamen,  enthält  zwei  aufeinander- 
folgende Artikel  (130  und  131),  welche  von  Ketzerei  und 


*)  Z.  Rappt  die  Hexenprozesse  und  ihre  Gegner  aus  Tyrol,  S.  13—14. 


^lO  Sechszehntes  Kapitel. 

Zauberei  handeln.  Der  Art.  1 3 1  von  „Straff  der  Zauberey" 
lautet:  „So  Jemandt  den  leuten  durch  Zauberey  schaden 
oder  Nachteyl  zufüget,  soll  man  straffen  vom  leben 
zum  tode,  vnd  man  soll  solche  straff  gleych  der 
ketzerey  mit  dem  fewer  thun.  Wo  aber  Jemandt  zau- 
berey gebraucht,  vndt  damit  niemant  keinen  Schaden  ge- 
than  hette,  sol  sunst  gestrafft  werden  nach  gelegenheit 
der  sach,  darinnen  die  Urteyler  rats  gebrauchen  sollen, 
als  von  radtsuchen  geschrieben  steht."  —  Diese  Bestim- 
mung ging  fünfundzwanzig  Jahre  später  in  die  Reichs- 
gesetzgebimg ,  nämlich  in  die  „Peinliche  Gerichtsordnui^ 
Kaiser  Karls  V.  und  des  heil,  römischen  Reichs",  welche 
nach  längeren  Verhandlungen  auf  dem  Reichstage  zu  Re- 
gensburg 1532  sanctionirt  wurde  und  für  welche  das  Bam- 
berger  Strafgesetz  als  Muster  gedient  hatte,  wörtlich  über, 
nur  dass  hier  (in  Art.  109  der  sogen.  Carolina)  die  Worte 
„gleych  der  ketzerey"  (welche  natürlich  1532  auf  dem 
Reichstage  nicht  mehr  durchzusetzen  waren)  hinwegge- 
lassen wurden. 

Nach  der  Carolina  sollte  also  ebenso  wie  nach  der 
Bambergensis  für  Zauberei  die  Strafe  des  Todes  durch 
Feuer  nur  dann  eintreten,  wenn  ein  Zauberer  oder  eine 
Hexe  Jemanden  durch  Teufelswerk  wirklich  Schaden  oder 
Nachtheil  zugefügt  hatte.  Für  diejenigen  Fälle  von  Zau- 
berei, wo  durch  dieselben  kein  damnum  illatum  verursacht 
war,  sollte  (nach  dem  Rathe  von  Sachverständigen)  eine 
mildere  Strafe  verhängt  werden^). 

Es  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  Carolina  in  ihrer 
Auffassung  der  Hexerei  sich  nicht  sowohl  auf  dem  Boden 
des  Hexenhammers  als  auf  dem  der  Bulle  Innozenz'  VIII. 
bewegt. 


')  Graf  v.  Lamberg  sagt  in  seiner  Schrift  „das  Criminalvcrfahren  vor- 
zQglich  bei  Hexenprozessen  im  ehemaligen  Bisthum  Bamberg",  S.  1:  in  der 
Peinlichen  Gerichtsordnung  werde  beurkundet,  wie  streng  dieses  grimmige 
Gesetzbuch  jede  fleischliche  Vermischung  mit  dem  Teufel  bestrafe. 
Dieses  beruht  jedoch  auf  einem  Irrthum,  Indem  die  Carolina  von  solcbeo 
Vermischungen  gar  nicht  spricht. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  ^I I 

Leider  aber  wendete  sich  die  Praxis  der  Hexenrichter 
allmählich  von  der  humaneren  Auffassung  Schwarzenbergs 
und  der  Carolina  ab.  Während  diese  die  Zauberei  ledig- 
lich wegen  des  etwa  durch  sie  verursachten  Schadens  als 
ein  mit  dem  Feuertode  zu  bestrafendes  Verbrechen  hin- 
stellten, —  was  auch  der  Papst  Gregor  XV.  im  Jahr  1623 
ausdrücklich  bestätigt  hatte  *),  —  wurde  in  der  Gerichts- 
praxis nicht  nur  die  im  Hexenhammer  entwickelte  Doctrin 
vom  Hexenwesen  (von  den  Vermischungen  mit  dem  Teu- 
fel etc.),  sondern  auch  der  Gedanke  herrschend,  dass  die 
mit  Hülfe  des  Teufels  vollbrachte,  also  auf  diabolischem 
Abfall  von  Gott  beruhende  Hexerei  an  sich  ein  Ver- 
brechen sfei,  welches  mit  dem  Tode  durch  Feuer 
bestraft  werden  müsste.  Und  leider  liess  sich  sowohl 
die  Rechtswissenschaft  als  die  Gesetzgebung  allmählich 
durch  diese  von  den  Hexenrichtem  geltend  gemachte  Auf- 
fassung der  Hexerei  überwältigen. 

Dasjenige  Strafgesetz,  in  welchem  diese  Thatsache 
zuerst  hervortritt,  ist  die  kursächsische  Kriminal- 
ordnung von  1572.  Dieselbe  bestimmt  nämlich:  „So  ie- 
mands  in  Vergessung  seines  Christlichen  Glaubens  mit  dem 
TeuflFel  ein  Verbündniss  aufrichtet,  umgehet,  oder  zu 
schaffen  hat,  dass  dieselbige  Person,  ob  sie  gleich  mit 
Zauberey  niemands  Schaden  zugefüget,  mit  dem 
Feuer  vom  Leben  zum  Tode  gerichtet  und  gestrafft  wer- 
den soll.  Da  aber  ausserhalb  solcher  Verbündnissen  je- 
mand mit  Zauberey  Schaden  thut,  derselbe  sey  gross  oder 
geringe,  so  soll  der  Zauberer,  Manns-  oder  Weibs-Person, 
mit  dem  Schwert  gestrafft  werden." 

Auch  in  anderen  Particularrechten  wurde  jetzt  dasselbe 


*)  Gregor  XV,  bestimmte  in  der  Constitution  „Omnipotentis  Dei"  vom 
20.  Milrz  1623  (Bullar.  Rom.  T.  III.),  dass  Zauberer  nur  dann  hinzurichten 
wären,  wenn  sie  durch  ihre  Bosheit  eine  oder  mehrere  Personen  so  verletzt 
hätten,  dass  darauf  der  Tod  erfolgt  sei;  diejenigen  dagegen,  die  durch  ihre 
Zauberkünste  nur  bewirkten,  dass  sie  den  Menschen  an  Thieren,  FeldfrQchten  etc. 
einen  vielleicht  auch  recht  erheblichen  Schaden  zufQgten,  sollten  nur  mit  Ein- 
kerkerung (muro  claudi)  bestraft  werden. 


412  S€chszehntes  Kapitel. 

ausgesprochen,  z.  B.  in  dem  kurpfalzischen  Landrecht  von 
1582,  im  Landrecht  von  Baden-Baden  u.  s.  w. 

Die  Praxis  des  siebenzehnten  Jahrhunderts  wollte, 
dass  nur  die  ausgezeichneten  und  unbussfertigen  Hexen 
lebendig  verbrannt  würden,  den  reumüthigen  aber  die  Be- 
gnadigung des  Schwertes  oder  Stranges  widerführe.  Diese 
Praxis,  die  der  Aufmerksamkeit  nicht  genug  empfohlen 
werden  kann,  wenn  gefragt  wird,  warum  es  in  jener  Zeit 
so  viele  reumüthige  Hexen  gab,  belegen  wir  mit  den 
Worten  einer  approbirten  Instruktion  ^) :  „Zu  jetziger  unser 
Zeit  aber,  obwohl  etliche  wenige  Zauberer  und  Unholden, 
so  ganz  vermessentlich,  gotteslästerlich  und  gleichfalls  an 
Gott  und  ihrer  Seelen  Heil  verzweifelt  hinfahren  wollen, 
in  das  Feuer  gestellt,  oder  unerhörter  Laster  wegen  le- 
bendig verbrannt  werden,  ist  jedoch  fast  bei  aller  Christen 
Tribunalibus  und  Richtstätten  der  milde  Brauch  ange- 
nommen, dass  jede  zauberische  Personen,  so  sie  der  bösen 
Geister  Gesellschaft  und  Verheiss  absagen  und  dem  lieben 
Gott  mit  reumüthigem  Herzen  wieder  zuschwören,  nicht 
mit  dem  langwierigen  Feuer  lebendig  gepeiniget,  sondern 
nach  jedes  Orts  Sitt  und  Gewohnheit  entweder  strangnilirt 
und  versticket,  oder  mit  dem  Schwert  zuvor  enthauptet 
und  ihre  todten  Körper  allen  Anderen  zum  Schrecken 
und  guter  richtiger  Justicierhaltung  ins  Feuer  und  Aesche 
gelegt  werden.  Dieweil  eine  christmilde  und  Gott  liebende 
Obrigkeit  sich  zu  besorgen  hat,  es  möchten  etliche  von 
solchen  Maleficanten,  so  sie  alle  lebendig  sollen  verbrennt 
werden,  aus  Verbitterung  oder  grosser  Kleinmüthigkeit 
in  gröbere  Sund  oder  Verzweiflung  gerathen  und  von 
einem  Feuer  ins  andere  (dafür  der  gütige  Gott  seyn  wolle ) 
wandern.** 

Nach  der  Hinrichtung  solcher  bussfertigen  Personen 
schrieb  man  wohl  auch,   wie   in  Bamberg,   ins  Protokoll: 


*)  Processus  juridicus  contra  sagas  et  veneficos,  das  ist  etc.  Posterior  et 
correctior  editio.  Permissu  superiorum  et  privilegio  S.  Caes.  Majest.  Aschaffexi* 
bürg  1629.     Tit.  XII.  3. 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  41^ 

Deus  ter  maximus  faxit,  ut  haec  mors,  quam  patienter  et 
fortiter  sustinuit,  sit  ipsi  vita,  et  quidem  beata  et  aeterna ') ! 
Nach  den  Bestimmungen  des  kanonischen  Rechts  sollte 
der  Verurtheilung  wegen  Zauberei  auch  die  Confiskation 
des  Vermögens  folgen 2).  Die  ersten  Ausgaben  der  Ca- 
rolina drücken  sich  indessen  über  die  Zulässigkeit  der  Con- 
fiskation im  Allgemeinen  so  dunkel  aus,  dass  es  zweifel- 
haft bleibt,  ob  es  ausser  dem  Verbrechen  der  beleidigten 
Majestät  noch  andere  gibt,  auf  welche  sie  dieselbe  ange- 
wendet wissen  will.  Die  Originalfassung  des  hierher  ge- 
hörigen Art.  2 1 8  wurde  in  der  Folge  durch  sinnverändemde 
Interpunktion  und  sogar  durch  Versetzung  der  Worte, 
Ausstreichimg  oder  Verwandlung  einer  wesentlichen  Ne- 
gationspartikel auf  das  Willkürlichste  entstellt,  so  dass  der 
Gegenstand  bis  in  die  neuere  Zeit  streitig  geblieben  ist  3). 
So  viel  ist  indessen  gewiss,  dass  Karl  V.  die  Gewohnheit 
der  Gütereinziehung  in  weiterer  Ausdehnung  vorgefunden 
hat  und  in  engere  Grenzen  zurückgewiesen  sehen  will. 
Auch  war  es  im  sechszehnten  Jahrhundert  Grundsatz  der 
deutschen  Juristen,  dieselbe  nur  bei  dem  Majestätsver- 
brechen, zum  Theil  auch  bei  der  Ketzerei,  zuzulassen''). 
Nun  war  freilich  ein  weiterer  Streit,  ob  die  Zauberei  vom 
Gesichtspunkte  der  Ketzerei  aufzufassen  sei ;  doch  hat  die 
Carolina  die  Ketzerei  gar  nicht  unter  die  bürgerlichen 
Verbrechen  aufgenommen,  und  wir  erfahren  durch  Julius 


*)  V,  Lamberg  S.  9. 

*)  Sofern  sie  nämlich  häretisch  war.  Decr,  Gregor,  Lib.  V.  Tit.  VII. 
Cap.  8  u.  13.  Sext.  Decr,  Lib.  V.  Tit.  II.  Cap.  19.  —  Johann  XXII.  drohte 
den  Zauberern  ausser  der  Bestrafung  durch  den  ordentlichen  Richter  insbe- 
sondere die  Confiskation  an. 

*)  S.  Koch*s  Vorrede  zu  seiner  Ausg.  der  Carolina,  Giessen  1769.  Des- 
selben Institut,  jur.  crim.  §.  140.   Giss.  1770. 

*)  Oifenbach   in  Fkhardi  Consil,    Tom.  III.   p.    116 ut   taceam, 

conüscationem  hodierno  tempore,  jure  novissimo  (solo  crimine  majestatis  laesae 
et  haereseos  excepto)  non  obtinere,  neque  bona  damnatorum  vel  delinquentium 
judicibus  aut  eorum  ofßciis  lucro  fieri,  sed  jure  successionis  ad  proximos 
haeredes    transire  eorumque    esse,  —  und   Fichard   selbst  Tom.   II.   p.  414*- 

Bona   damnatorum  manent   apud  illorum  haeredes, solo  laesae 

majestatis  crimine  excepto. 


^I^  Sechszehntes  Kapitel. 

Clarus,  dass  der  damaligen  Gerichtspraxis  zufolge  die  Ein- 
ziehung der  Hexengüter  nicht  Statt  fand.  Der  trierische 
Weihbischof  Binsfeld,  der  um  1589  schrieb,  betrachtet 
dieselbe  als  durch  die  Carolina  aufgehoben  *),  und  so  spricht 
sich  auch  wieder  Carpzov,  gestützt  auf  die  Novellen  und 
Art.  2 1 8  der  Halsgerichtsordnung,  den  er  jedoch  sehr  ver- 
stümmelt, gegen  die  Confiskation  aus,  ohne  übrigens  zu 
verkennen,  dass  manche  Zweifel  obwalten  können  *).  Mel- 
chior Goldast  rechtfertigt  dieselbe  wiederum  sehr  ent- 
schieden aus  dem  gemeinen  Rechte  überhaupt  und  aus  der 
Carolina  insbesondere.  Ihm  zufolge  sollen  nach  deutschem 
Rechte  die  Güter  der  Verurtheilten  demjenigen,  der  die 
fraisliche  Obrigkeit  oder  das  Halsgericht  hat,  nicht  dem 
Inhaber  der  Landeshoheit  als  solchem,  zufallen').  Was 
aber  auch  die  Theorie  bestimmen  mochte,  die  Praxis  hat, 
wie  sich  im  Folgenden  ergeben  wird,  stets  bald  unter  dem 
unverblümten  Namen  der  Confiskation,  bald  imter  dem 
Titel  der  Prozesskosten  das  Vermögen  der  Verurtheilten 
auszuplündern  gewusst*).  Binsfeld  erlebte  dergleichen 
Confiskationen  in  seinem  eigenen  Vaterlande  *),  Ferdinand  ü. 
erliess  nachdrückliche  Verbote  desshalb  ein  den  Bischof 
von  Bamberg,  gegen  welchen  Beschwerde  eingekommen 
war®),  aber  gleichzeitig  nahmen  die  österreichischen  Be- 
amten im  Breisgau  das  Vermögen  der  zu  OfFenburg  hin- 
gerichteten Hexen  weg ').    Auch  in  Nördlingen  verhängte 


^)  De  confessionibus  maleficonim  et  saganim.    Trevir.  1589.   13. 

•)  Carpzov.  Nov.  Pract.  rer.  crim.  P.  III.     Qu.  135- 

')  RechUiches  Bedenken  von  Confiskation  der  Zauberer-  und  Hexen*GQtbcr. 
Bremen  1661.    (Abgefasst  1629  fQr  den  Kurfürsten  von  Trier.) 

*)  Jener  Name  kommt  mehr  bei  den  Katholiken,  dieser  mehr  bei  des 
Protestanten  vor.  Leib  (Consil.  p.  136).  der  Ober  das  Sportuliren  der 
Richter  in  Sachsen  klagt,  nennt  die  Confiskation  in  diesem  Lande  etwas 
Unerhörtes. 

')  Supplicio  affectorum  liberi  exulabant,  bona  publicabantur.  Lirndtn  10 
Gest.  Trevir.  ed.  Wyttenbach  et  MOIIcf.    Tom.  UL  p.  54.    Bhuftid  a.  *.  O. 

•)  V,  Lambtrg  S,  20. 

»)  //.  Schnibcr,  die  Hexenprozesse  im  Breisgau  S.  19.  Oie  SUdt  Offe«- 
bürg  protestirte  1628  hiergegen.  Ein  vom  Stadtrathe  von  Brftunlingen  cinge* 
hohes  Rechtsgutachten  sagt  hierüber:   „So   viel  der  Hexen  Hab  und  Gut  u> 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe,  ^i^ 

der  Magistrat  die  Confiskation  ^).  Dergleichen  Mass- 
regeln mussten  nun  auch  in  den  Instruktionen  einige  Be- 
schönigung suchen.  So  sagt  der  mit  Erlaubniss  der  Oberen 
herausgegebene  Processus  juridicus  contra  sagas  et  vene- 
ficos*):  „So  dann  eine  zauberische  Person  zum  Tod  und 
zur  gewohnlichen  Leibesstrafe  ist  verurtheilet  imd  ver- 
dammet worden,  vergönnen  an  vielen  Orten  die  Rechte, 
dass  ihre  Güter  dem  Fisco  und  Rentseckel  zugesprochen 
imd  überliefert  werden,  welche  praxis  und  gemeiner  Ge- 
brauch jederzeit  von  den  Doctoribus  beider  Rechten  ist 
für  recht  und  gut  erkannt  worden."  Es  werden  sodann 
drei  Gründe  dafür  angeführt:  i)  „weil  diess  ein  gross  imd 
schwer  exceptum  crimen  und  ausgenommenes  Laster  ist, 
bei  welchem  was  zur  Zeit  beschlossen  und  gehandlet  wird, 
von  der  hohen  Obrigkeit  (ob  es  schon  nicht  ausdrücklich 
in  gemeinen  Rechten  verfasst  und  geschrieben  ist)  leicht- 
lich  entschuldigt  und  beantwortet  wird;"  —  2)  weil  die 
Zauberer  vom  katholischen  Glauben  abgefallen,  also  Ketzer 
sind;  3)  weil  sich  mit  der  Zauberei  gewöhnlich  das  Ver- 
brechen des  Dardanariats  verbindet. 

Auch  in  der  Schweiz^),  in  Italien  und  Frankreich*) 
findet  sich  die  Confiskation  der  Hexengüter  mehr  oder 
weniger;  in  Spanien  fand  sie  zwar  in  der  Regel  nicht 
Statt,  doch  ist  Torreblanca  (um  161 8)  der  Meinung,  dass 
diese  Gewohnheit  dem  Rechtsgrundsatze,  nach  welchem 
sie  eigentlich  geschehen  sollte,    nichts   vergeben  könne*). 

Um  durch  einen  aktenmässigen  Beleg  zu  veranschau- 
lichen,  wie  es   mit  der  Nennung  der  Complicen  herging. 


langt,  ist  selbiges,  wie  an  vielen  und  fast  an  allen  österreichischen  Orten  von 
Alter  herkommen,  der  Obrigkeit  verfallen.'*    Schreiber  S.  32. 

*)   Weng^  die  Hexenpr.  in  Nördlingen.     S.  24. 

»)  Tit.  XV.  7. 

')  Es  geschah  noch  bei  der  1782  zu  Glarus  verurtheilten  Anna  Göldi. 

*)  Z.  B.  bei  dem  1634  zu  Loudun  hingerichteten  Urbain  Grandier.  — 
Henri  Boguet,  Oberrichter  im  burgundischen  Gebiete  St.  Claude,  der  aus  seinen 
richterlichen  Erfahrungen  den  sogenannten  Code  des  sorciers  zusammenstellte 
(Ausgaben  von  1602,  1603,  l6o6,  1608  u,  1610),  drang  auf  strenge  Güter- 
einziehung.    CoUin  de  Plancy,  Dictionnaire  infernal  v,  Boguet. 

*)  Daemonol.  III.  11. 


^l5  SechszehDtes  Kapitel. 

geben   wir   anhangsweite    folgenden  Protokollauszug   aus 
einem  buseckischen  Prozesse. 

„Actum  den  29.  Aprilis  A.  1656. 

Ward  die  P.  Beklagtin  befragt :  Wer  sie  zum  Leug- 
nen beredet? 

R.  Das  habe  der  bösse  feindt  gethan;  sie  solle  leug- 
nen, so  wolle  er  ihr  darvon  helffen.  Ihr  Geist  heise  Hans 
und  seye  ihr  in  rothen  Kleidern  mit  einem  federbusch 
erschienen.  Item  ihr  Hans  (der  Geist)  seye  vor  wenig 
Tagen  einsmahls  dess  Nachts  im  gefangnus  zu  ihr  kom- 
men und  angezeigt,  dass  Koch  WUhelms  Frau  allhier  dem 
Meister  von  Grünbergk  Hans  Peter  in  einem  Trunk  Bier 
mit  Gift  vergeben  habe,  dass  er  sterben  solle,  imdt  wann 
er  todt  seye,  so  werde  keiner  Hexen  nichts  weiter  ge- 
schehen. [Folgen  einige  weitere  Aussagen  über  Einzel- 
heiten des  Sabbaths].     Von  Coraplicibus  zeigt  sie  an: 

Zu  Grossenbuseck :  Born  Johannes,  Mewer  Hansen 
Fraw,  Märten  Anneis,  Hof  Melchors  Fraw,  Mewer  Con- 
radts  Fraw,  Nickels  Stracken  Fraw,  der  alten  Kühe  Hirtin 
Jung  Curt  [folgen  einige  Specialitaten  über  denselben], 
Logerbes  Angels  könne  Wandtleus  und  die  scheiden  Möl- 
lerin  könne  Meus  machen,    und  Wilhelm  Sammen  Fraw 

könne   frösch   und  Schlangen   machen Item  Spar 

Conradts  Mägdlein,  Schmidt  Georg  Fraw,  Reichardt  Hanes 
Fraw  die  seye  auch  von  ihrer  Mutter  in  der  Jugend  hierzu 
verführt  worden.  Item  Reichardt  Hanes  Mägdlein,  und  seye 
kein  ärgeres  allhier  im  DorfF.  Merten  Göbels  Fraw,  Lud- 
wig Möllers  Fraw  und  sein  gros  Mägdlein,  Item  Peter 
Werners  Fraw,  Balzer  Schmitts  Wittib,  des  Herrn.  Fraw 
und  Mägdlein,  dem  alten  Schulmeister  Johann  Henrich 
hab  sie  ohnrecht  gethan  undt  wisse  nichts  bösses  von 
Ihme,  habe  ihn  auch  nicht  beym  Tanz  gesehen.  Matthäus 
Stein  von  Bewem  undt  Sittich  Otto  allhier  haben  mit  ihr 
gedanzet  und  nach  verrichteten  Danz  in  Beyschlaf  sich  mit 
ihr  vermischet.  Item  Koch  Wilhelms  Fraw  hab  ihr  der 
P.  Beklagtin  auch  erzehlet  in  Koch  Crein  Greben,  dass  sie 
Nickels  Schäfers  Fraw  allhier  bezaubert  und  es  ihr  in 
Bier  ein  und  vergeben  habe.   Item  habe  sie  den  Reiskircher 


Das  gerichtliche  Verfahren  und  die  Strafe.  4 1  y 

Pfarrherr  als  der  Hexen  Obersten  am  Hexen  Danz  be- 
kannt, und  habe  es  der  P.  Beklagtin  ihr  Geist  Hans  an- 
gezeigt, dass  sie  Koch  Wilhelms  Fraw  ihre  eignen  Pferdt 
bezaubert  habe.     Eulen  Johann. 

Warumb  sie  P.  Beklagtin  gesagt,  sie  wolle  auf  keinen 
Menschen  sterben? 

R.  Der  böse  feindt  wolle  es  nicht  haben,  dass  sie 
auf  die  Leuth  bekennen  solle. 

Was  sie  dann  von  Lipp  Bechtolds  Fraw  zu 
sagen  wisse? 

R.  Die  Seye  so  gut  als  sie  P.  Beklagtin  und  könne 
zaubern,  habe  auch  den  verstorbenen  Magnus  Fincken  be- 
zaubern heUFen,  welches  der  P.  Beklagtin  ihr  Geist  gesagt 
habe. 

Ob  sie  den  gewesenen  Pfarrherm  zu  Reiskirchen  am 
letzt  vergangenen  Jacobi  Nacht  auch  am  Hexen 
Conveni  gesehn,  und  derselbe  des  Teufelsabent- 
mahl  gehalten  habe? 

R.  Ja.  [Von  späterer  Hand  beigeschrieben]  Na.  Diesses 
wird  von  Jost  Haasen  imd  dem  Jungen  negirt. 

Er  habe  ja  zu  Giesen  gefangen  gesessen,  wie  er  dann 
dort  beym  Tanz  habe  seyn  können? 

R.  Er  habe  doch  beim  Tanz  seyn  können,  der  Teuffei 
habe  ihm  wohl  dahin  bringen  können. 

[Von  späterer  Hand].     Na.     Diesses  similiter." 

In  dieser  Weise  gehen  die  Denunciationen  fort.  Es 
werden  aus  Grossenbuseck  noch  weiter  zwei  Kinder,  aus 
Altenbuseck  acht ,  aus  Bersrod  zwei,  aus  Reiskirchen  zwei 
und  aus  Albach  zwei  Personen  namhaft  gemacht.  Hier 
war  Stoff  zu  einundvierzig  Prozessen. 


Soldan-Heppe,  Hexenprosesse.  27 


SIEBENZEHNTES    KAPITEL. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexen- 
prozesse und  des  Glaubens  an  Hexerei  im  sechs- 
zehnten Jahrhundert. 

Seit  Innozenzens  VIII.  berüchtigter  Bulle  haben  die 
Hexenprozesse  drei  Jahrhunderte  hindurch  die  Christenheit 
5::ei?einivrt  und  geschändet. 

Einer  Seuche  vergleichbar,  griffen  sie  um  sich,  sprangen 
au>  einem  Lande  in  das  andere  über,  erreichten  ihre  Hohe- 
runkte»  um  zeitweise  wieder  abzunehmen,  und  erwachten 
da-m  wMi  Neuem  mit  einer  Heftigkeit,  welche  die  endliche 
Vi's^une  Krisis  vorzubereiten  bestimmt  war.  Kinder  von 
acht  uuvl  ii reise  von  achtzig  Jahren,  Arme  und  Reiche, 
bMclhenren  und  Geschäftsleute,  Bürgermeister  und  Rechts- 
gelehrte»  Aerzte  und  Naturforscher,  Domherren  und  Mi- 
»»-^ter»  Marivmettenmänner  und  Schlangenzähmer  haben  den 
Sv  Nv  iterhaufen  bestiegen ;  im  Namen  von  Kaisem  und  Kr>- 
•»\>;vM.  YvM\  Bischöfen  und  Landjunkem  sind  die  Bluturtheile 
5^^eNi»rvvheu  wonlen,  imd  was  die  päpstliche  Bulle  den 
Ue\en  zur  Last  legt,  das  ist  wenigstens  durch  die  Pro- 

oxxo  <ev:vn  dieselben  vielfaltig  herbeigeführt  worden : 
Usl  vv>n  \lon>ohen  und  Thieren,  Verödung  der  Dörfer» 
l  sv^!ei   u?kI  Weinberge,   die  ihre  Bewohner  und  Bebauer 

^♦1^  Kuhti^uitie  schreiten,  oder,  um  diesem  zu  entgehen. 
Vi    ^*'iv*»^    ^-^^"^^  Vaterlande    den  Rücken   wenden  sahen. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         aiq 

Wer  vermag  sich  des  Entsetzens  zu  erwehren,  wenn  er 
liest,  dass  eine  etwa  fiinijährige  Verfolgung  in  dem  kleinen 
Stifte  Bamberg  sechshundert,  in  dem  nicht  viel  grösseren 
Bisthum  Würzburg  sogar  neunhundert  Opfer  und  eine  nur 
dreijährige  in  dem  ganz  kleinen  Stift  Fulda  zweihundert- 
fänfzig  Opfer  verschlang,  dc^s  im  Braunschweigischen  die 
Hexenpfähle  auf  dem  Richtplatze  wie  ein  kleiner  Wald 
anzusehen  waren,  dass  England  einen  General-Hexenfinder 
hatte  und  dass  die  Juristen  protestantischer,  wie  katho- 
lischer Universitäten  bis  in's  achtzehnte  Jahrhundert  Gnade 
zu  üben  wähnten,  wenn  sie  statt  des  Feuertodes  aufs 
Schwert  erkannten  ?  Und  das  alles  in  einer  Zeit,  die  als 
reich  gepriesen  wird  an  Fortschritten  geistiger  Aufklärung, 
als  gross  durch  Thaten  religiöser  Begeisterung  ! 

Um  diess  erklärlich  zu  finden,  müssen  wir,  ehe  die 
verschiedenen  Epochen  im  Verlaufe  der  Hexenprozesse 
dargestellt  werden  können,  den  Charakter  der  Zeit,  über- 
haupt die  allgemeinen  Gründe  des  Umsichgreifens  jenes 
heillosen  Wahns  einigermassen  beleuchten. 

Wenn  es  sich  nun  hierbei  vor  AUem  um  die  Frage 
nach  der  wissenschaftlichen  Bildung  und  Intelligenz  jener 
Zeit  ii\  allen  kirchlichen  Dingen  handelt,  die  sich  mit  den 
allgemeineren  Wissenschaften  berühren,  so  kann  unter  den 
Männern  der  Wissenschaft,  denen  wir  am  Ende  des  fünf- 
zehnten und  im  Anfange  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
begegnen,  kaum  ein  zweiter  so  vollwichtiger  Gewährs- 
mann imd  Zeuge  aufgerufen  werden  als  der  berühmte 
Abt  des  Klosters  Sponheim,  Joh.  Trithemius  (1642  bis 
1516),  Verfasser  der  auf  Befehl  des  Markgrafen  Joachim 
von  Brandenburg  ausgearbeiteten  und  am  16.  Oktober 
1508  vollendeten  (vier  Bücher  umfassenden)  Schrift  Anti- 
palus  maleficiorum  ^).  Wie  kein  anderes  Buch  jener 
Zeit  ist  dieser  „Gegner  der  Zaubereien"  geeignet  uns  über 
die  Stellung  der  damaligen  Gelehrtenwelt  zum  Hexen- 
glauben zu  belehren. 

*)  Vgl.  Silöernageis  Monographie  ,  Johannes  Trithemius'*  (Landshut,  I868) 
Abschnitt  XIX.  Wir  folgen  hier  durchaus  dem  von  Silbernagel  gegebenen 
Referat  über  das  Buch. 


^20  Sieben  zehntes  Kapitel. 

Trithemius  will  mit  seiner  Schrift  nicht  etwa  den 
Hexenglauben  bekämpfen;  vielmehr  steht  ihm  die  That- 
sache  diabolischer  Zauberei  fest  und  er  will  nur  zeigen, 
wie  der  Christ  sich  gegen  dieselbe  zu  schützen  vermag. 
Unter  den  Zauberern  und  Hexen,  welche  durch  die  Hülfe 
böser  Geister  und  durch  allerlei  Zaubertränke  den  Men- 
schen Schaden  zufügen,  sind  nach  ihm  vier  Klassen  zu 
unterscheiden,  nämlich  i)  solche,  welche  ohne  ein  Bünd- 
niss  mit  dem  Teufel  eingegangen  zu  haben,  durch  Gifte 
und  andere  natürliche  Mittel,  diejenigen  Menschen,  die  sie 
hassen,  schädigen,  indem  sie  z.  B.  die  Männer  beischlafs- 
unfähig  machen,  den  Gebärenden  Noth  bereiten,  auch 
sonstige  Krankheit,  ja  sogar  den  Tod  durch  ihren  Zauber 
bewirken;  2)  solche,  welche  durch  die  Kunst  der  sogen. 
Encunctica,  d.  h.  durch  geheimnissvolle,  abergläubische 
Worte,  Formeln  und  Zeichen  übernatürliche  Wirkungen 
hervorbringen  wollen;  3)  solche,  die,  ohne  sich  den  Teu- 
feln ergeben  zu  haben,  doch  mit  ihnen  verkehren  und  wie 
die  Nekromantiker  zur  Ausführung  ihrer  Zaubereien  sie 
um  Hülfe  anrufen;  imd  4)  solche  Zauberer  und  Hexen. 
welche  mit  dem  Teufel  einen  eigentlichen  Bund  abge- 
schlossen und  sich  ihm  zu  eigen  gegeben  haben.  Diese 
vermögen  nicht  bloss  wie  die  Unholde  der  dritten  Klasse 
Menschen  zeugungsunfähig  und  blind  zu  machen,  ihnen 
Kopfschwindel  zu  bereiten,  Unwetter  hervorzurufen  u.  dgl., 
sondern  mit  Hülfe  des  Teufels  können  sie  auch  Pest, 
Fieber,  Epilepsie,  Taub-  und  Lahmheit  bewirken,  Menschen 
wahnsinnig  und  in  allerlei  Weise  elend  machen.  Diese 
Art  der  Hexen,  welche  mit  dem  Teufel  sich  sogar  fleisch- 
lich vermischt,  ist  wegen  ihrer  Gottlosigkeit  und  Verderb- 
lichkeit mit  dem  Feuertode  zu  bestrafen,  „Und  leider  ist 
die  Zahl  solcher  Hexen  in  jeder  Landschaft  sehr  gross, 
und  es  gibt  kaum  einen  noch  so  kleinen  Ort,  wo  man 
nicht  eine  Hexe  der  dritten  und  vierten  Klasse  fände. 
Aber  wie  selten  findet  sich  ein  Inquisitor  und  wie  selten 
(fast  nirgends !)  findet  sich  ein  Richter ,  der  diese  offen- 
baren Frevel  gegen  Gott  und  die  Natur  rächt !  Es  sterben 
Menschen    und  Vieh   durch   die  Niederträchtigkeit  dieser 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         a21 

Weiber,  xmd  Niemand  denkt  daran,  dass  es  durch  die 
Bosheit  der  Hexen  geschieht.  Viele  leiden  fortwährend 
die  schwersten  Krankheiten  und  wissen  nicht,  dass  sie 
behext  sind!"  — 

Trithemius  sucht  nun  klar  zu  machen,  dass  diejenigen 
der  Bosheit  der  Hexen  am  meisten  preisgegeben  sind, 
welche  die  Sacramente  der  Kirche  verachten  und  in  Tod- 
sünden dahinleben,  welche  der  Unzucht  fröhnen  und  die 
geweihten  Heil-  und  Schutzmittel  der  Kirche  verschmähen ; 
wogegen  allen  Dienern  der  Gerechtigkeit,  welche  die 
Hexen  aufsuchen  und  verfolgen,  allen  gläubigen  Christen, 
welche  sich  der  Sacramente  und  der  Segnungen  der  Kirche 
bedienen  imd  sich  vor  Todsünden  hüten,  sowie  allen  denen, 
die  Gottes  Barmherzigkeit  durch  die  Engel  besonders  be- 
hüten lässt,  die  Hexen  nicht  leicht  etwas  anhaben  können. 
—  Er  warnt  davor,  dass  man  Frauen,  die  einigermassen 
wegen  Hexerei  anrüchig  wären,  zu  Hebammen  bestelle. 
Denn  diese  brächten  nicht  selten  die  Kinder  um  und  opfer- 
ten sie  dem  Teufel ;  auch  vermählten  sie  neugeborene 
Mädchen  den  Dämonen,  machten  die  Gebärenden  un- 
fruchtbar und  erfüllten  das  ganze  Haus  mit  Teufelsspuk. 
Taufwasser  mischten  sie  mit  Urin,  und  was  sie  mit  dem 
Sacrament  des  Leibes  Christi  verübten,  lasse  sich  gar  nicht 
aussagen.  Desshalb  haben  die  Priester  bei  der  Austheilung 
der  Communion  sorgfältigst  darauf  zu  achten,  dass  ver- 
dächtige Weiber  die  empfangene  Hostie  nicht  etwa  wieder 
aus  dem  Munde  herausnehmen,  weil  sie  dieselbe  sonst  in 
der  scheusslichsten  Weise  missbrauchen.  —  „Willst  du, 
o  Christ,  vor  Dämonen  imd  Hexen  sicher  sein,  so  stehe 
fest  im  Glauben  an  Christus  und  halte  dein  Gewissen  von 
Todsünden  rein.  Besuche  an  allen  Sonn-  und  Feiertagen 
die  heil.  Messe  und  lass  dich  vom  Priester  mit  Weih- 
wasser besprengen.  Nimm  geweihtes  Salz  in  deinen  Mund 
und  besprenge  mit  Weihwasser  auch  dein  Haus,  dein  Bett 
sowie  deinen  Viehstall.  Die  geweihten  Lichtmesskerzen, 
die  an  Maria  Himmelfahrt  geweihten  Kräuter  sowie  die 
am  Palmsonntage  geweihten  Zweige  hänge  über  der  Thüre 
deines  Hauses  auf.     An  den  Freitagen  und  Sonnabenden 


42  2  Siebenzehntes  Kapitel. 

der  vier  Quatemberfeste  durchräuchere  dein  ganzes  Haus 
mit  Rauch  von  geweihten  Kräutern  und  Palmen.  Früh- 
morgens, wenn  du  dich  vom  Lager  erhebst,  bezeichne  dich 
mit  dem  Zeichen  des  Kreuzes,  imd  ehe  du  issest  oder 
trinkst  oder  aus  dem  Hause  gehst,  bete  ein  Pater  noster, 
ein  Ave  Maria  imd  den  Glauben.  Dasselbe  thue  Abends, 
wenn  du  zu  Bett  gehst.  Denn  wenn  du  so  lebst,  wird 
keine  Hexe  über  dich  Gewalt  haben*)." 

Ausserdem  empfiehlt  Trithemius  noch  allerlei  beson- 
dere Schutzmittel.  Zur  Herstellimg  eines  derselben  ist 
Wachs  von  Lichtmess-  imd  Osterkerzen,  Weihrauch,  der 
zu  Ostern,  Kräuter,  die  an  Maria  Himmelfahrt,  Hostien, 
die  am  Gründonnerstag  geweiht  sind,  sowie  Friedhofserde, 
Weihwasser  und  benedicirtes  Salz  erforderlich.  Die  Kräuter. 
Hostien  und  die  Friedhofserde  werden  pulverisirt  und  in 
warmem  Weihwasser  mit  dem  Wachs  zu  einer  Masse  ver- 
mengt, wobei  man  über  dieselbe  das  Pater  noster,  das 
Ave  Maria  und  das  Credo  betet.  Aus  dieser  Masse  werden 
nun  in  gewärmtem  Weihwasser  kleine  Kreuze  bereitet, 
die  man  mit  Aussprechung  der  drei  heiligsten  Namen  über 
den  Thüren  des  Hauses,  der  Kammern  und  des  Stalles, 
auch  an  der  Wiege  anbringt  und  ausserdem  am  Halse  tragt. 

Zur  Aufhebimg  des  Zaubers  und  der  durch  denselben 
verursachten  Leiden  und  Uebel  dienen  die  mancherlei 
Exorcismen  der  Kirche.  Als  besonders  wirksam  empfiehlt 
Trithemius  ein  Bad,  welches  er  in  folgender  Weise  .be- 
schreibt: Der  Behexte  legt  eine  Generalbeichte  ab,  und 
empfangt  die  Communion,  entweder  in  der  Kirche  (wenn 
er  dahin  gebracht  werden  kann,)  oder  in  seinem  Hause, 
wo  dann  der  Priester  die  Messe  de  S.  Trinitate  mit  be- 
sonders eingelegten  Gebeten  auf  einem  Tragaltar  liest 
Das  Bad  ist  an  einem  verborgenen  Orte  in  einer  reinen 
Badewanne  mit  Flusswasser  herzurichten.     In  das  letztere 


*)  Trithemius  spricht  hier  —  nur  in  anderen  Ausdrücken  ganz  ehen.v 
wie  weiland  der  Heide  Plutarch  (s.  oben  den  Schluss  des  5.  Kap.)  und  wit 
Kob(rU  über  die  heidnischen  Hindus  und  wie  Ltn^rmami  über  die  heidnischra 
Akka<ier  berichtet  (s.  oben  den  Anfang  des  3.  Kap.), 


Allgemeine  GrQnde  der  VerbreitUDg  der  Hexenprozesse  etc.         a2x 

sind  Weihwasser,  geweihtes  Wachs  und  Salz,  geweihte 
Asche,  geweihte  Pahnen,  geweihte  Friedhofserde  und 
neunerlei  Kräuter  zu  thun.  Der  Mann  steigt  in  die  Wanne 
nackt,  das  Weib  mit  einem  Hemd  angethan,  worauf  der 
Priester  die  Wanne  unten,  in  der  Mitte  und  oben  mit  je 
einer  dreifachen  Lichtmesskerze  beklebt.  Sodann  bereitet 
er  aus  Weihwasser,  geweihtem  Salz  und  einem  zurück- 
behaltenen Theile  der  Friedhofserde  einen  Teig  und  bindet 
denselben  unter  Gebet  dem  Kranken  auf  den  leidenden 
Körpertheil.  Der  Behexte  ruft  dann,  im  Bade  sitzend,  die 
gottliche  Hülfe  an,  während  der  Priester  verschiedene 
Exorcismen  über  ihn  spricht  und  die  kranke  Stelle  mit 
einem  Wasser  wäscht,  welchem  Ysop  zugesetzt  ist.  Hierauf 
weiht  der  Priester  fiir  den  Kranken  einen  Wein,  stellt  aus 
achtimddreissig  Pulvern  das  sogen,  vollkommene  Wachs 
in  Form  eines  Kjreuzchens  her,  schUesst  dasselbe  in  eine 
Nussschale  ein,  welche  in  ein  Tuch  eingenäht  und  so  um 
den  Hals  gehängt  wird.  Ebenso  macht  er  aus  dem  ge- 
weihten Wachse  noch  andere  Kreuzchen,  die  er  an  die 
Thüren,  an  das  Bett,  an  den  Tisch  etc.  im  Hause  des  Be- 
hexten befestigt.  Dieses  Bad  hat  der  Kranke  neun  Tage 
hintereinander  zu  gebrauchen.  Während  dieser  ganzen 
Zeit  darf  er  nichts  anderes  trinken  als  den  fiir  ihn  bene- 
dicirten  Wein  und  ausserdem  hat  er  Morgens  und  Abends 
das  Pulver  des  Eremiten  Pelagius  in  warmem  Wein  oder 
in  Brot  zu  nehmen  und  dabei  sich  Vor  jeder  Sünde  zu 
hüten.  Ist  nach  Ablauf  der  neun  Tage  der  Kranke  ge- 
sund geworden,  so  wird  er  in  die  Kirche  geführt  um  Gott 
zu  danken.  Doch  darf  er  das  um  den  Hals  gehängte 
Kreuz  von  Wachs  vor  Ablauf  der  nächsten  zwölf  Monate 
nicht  ablegen  und  ebenso  hat  er  die  übrigen  Kreuzchen 
an  ihren  Stellen  zu  lassen.  Ist  aber  nach  neun  Tagen  der 
Zauber  noch  nicht  gehoben,  so  muss  dafür  Sorge  getragen 
werden,  dass  fromme  Leute  fasten,  beten,  Almosen  geben, 
dass  neun  Tage  lang  für  den  Behexten  Messe  gelesen 
wird  etc.  Bleibt  der  Zauber  auch  dann  noch,  so  muss  die 
Wohnung  gewechselt  werden,  das  Fasten  und  Beten  muss 
vermehrt,  die  Exorcismen  wiederholt  werden  u.  s.  w.  — 


^24  Siebenzehntes  Kapitel. 

So  sehen  wir  das  Denken  des  Trithemius  von  dem 
Glauben  an  Zauberei  vollständig  beherrscht.  Der  Dämo- 
nismus tritt  bei  ihm  geradezu  als  der  bestimmende  ^ßttel- 
punkt  seiner  Gedankenwelt,  seiner  ganzen  Weltanschauung 
hervor.  Und  dieselbe  Wahrnehmung  bietet  sich  uns  so 
ziemlich  bei  allen  Repräsentanten  des  Kulturlebens  jener 
Zeit  dar.  Das  ürtheil  über  den  Causalzusammenhang  der 
Dinge  gestaltete  sich  ganz  nach  den  überlieferten  Vor- 
stellimgen  des  Dämonismus.  In  der  Theologie  erwuchs 
hiemach  die  Lehre  vom  Teufel,  von  dem  Reiche  und  der 
Wirksamkeit  desselben  in  der  Weise,  dass  dieselbe  in  die 
ganze  Glaubenslehre  der  Kirche  und  in  das  ganze  Glau- 
bensleben der  Glieder  der  Kirche  tief  eingriff.  Aber  auch 
in  den  anderen  Wissenschaften,  namentlich  in  der  Philo- 
sophie und  in  der  Naturwissenschaft  machte  diese  dämoni- 
stische  Weltanschauung  ihre  Einwirkung  geltend.  Ueberall 
begegnen  wir  der  Neigung  zum  Magischen  und  zu  allerlei 
theosophischen  und  theurgischen  Mysterien. 

Das  sechszehnte  Jahrhundert  und  die  erste  Hälfte  des 
siebenzehnten  trägt  eine  vorherrschend  theologische 
Färbung,  die  sich  auch  den  nichttheologischen  Wissen- 
schaften und  der  Politik  mittheilte.  Reuchlin  und  Georg 
Venetus  erhoben  nach  Pico*s  von  Mirandola  Vor- 
gang mit  einem  Aufwände  glänzender  Gelehrsamkeit  die 
Kabbalah,  um  durch  diese  wieder  ihrer  Gelehrsamkeit  eine 
höhere  Weihe  zu  geben.  Wenn  die  Mönche  über  das 
Unchristliche  von  Reuchlin's  Studien  schrieen,  so  hatten 
sie  wenigstens  nicht  in  Allem  Unrecht;  dieselben  hingen 
zum  Theil  zusammen  mit  dem  Streben,  eine  edlere  Art 
der  weissen  Magie  darzustellen  *).  Das  Dämonologe  und 
Theosophe  gedieh  und  trat  selbst  in  die  Physik  ein,  so 
dass  im  fünfzehnten  und  sechszehnten  Jahrhundert  alles 
Wissen  von  der  Natur  und  deren  Kräften  noch  in  den 
Nebel  der  Magie,  Alchymie  und  Astrologie  eingehüllt  war. 


')  Ueber  Reuchlins  Einfluss  auf  das  sechszehnte  Jahrhundert  in  Beziehung 
auf  magische  Vorstellungen  s.  Meiners  Histor.  Vergleichung  der  Sitten  des 
Mittelalters  etc.   Th.  III.  S.  279  ff. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         425 

Selbst  Melanchthons  Initia  doctrinae  physicae  beruhten 
durchaus  auf  dem  Glauben  an  den  Teufel  und  dessen 
Diener,  welche  über  die  Dinge  der  Natur  Gewalt  hätten. 
Der  geniale  Abenteurer  Agrippa  von  Nettesheim*) 
verkündete  seine  sogenannte  natürliche  und  himmlische 
Magie  als  Vollendung  der  Philosophie,  als  den  Weg  zur 
wahren  Vereinigung  mit  Gott.  Von  der  Verträglichkeit 
seiner  occulta  philosophia,  die  er  in  der  That  nur  als  eine 
Magie  im  besseren  Sinne  des  Worts  gibt  *),  mit  den  Grund- 
sätzen der  katholischen  Kirche  will  er  vollkommen  über- 
zeugt sein ;  liest  man  aber,  was  er  z.  B.  vom  Binden  xmd 
Bannen  der  Liebe,  des  Hasses,  eines  Heeres,  eines  Diebes 
oder  des  Blitzes  sagt*),  so  findet  man  sich  so  ziemlich 
unter  dieselben  Dinge  versetzt,  welche  der  ältere  Plinius 
seinen  Lesern  als  vanitates  magicas  vorfuhrt.  Niemand 
hat  blendender  diese  Geheimnisse  zu  empfehlen  gewusst, 
als  Agrippa  in  seiner  occulta  philosophia.  Niemand  aber 
hat  sie  auch  in  jenem  Zeitalter  beissender  gegeisselt,  als 
er  selbst  etwas  später  in  seinem  Buche  de  vanitate  scien- 
tianim  that.  Mundus  vult  decipi !  Das  Zeitalter  klebte 
eigensinnig  an  der  ersteren  Schrift,  an  welcher  des  Ver- 
fassers Ehrgeiz  und  Gewinnsucht  nicht  weniger  Antheil 
hatten,  als  seine  Schwärmerei,  und  schmähte  auf  die  zweite, 
welche    die    ehrlichen  Bekenntnisse    eines   zur  Besinnung 


*)  Ueber  ihn  s.  Meiners  a.  a.  O.  Th.  III.   S.  291  ff. 

^  Magica  facultas  potestatis  plurimae  compos,  altissimis  plena  mysteriis, 
profundissimam  rerutn  secretissimarum  contemplationem ,  naturam,  potentiam, 
qualitatem^  substantiam,  virtutem  totiusque  naturae  cognitionem  complectitur, 
et  quomodo  res  inter  se  differunt  et  quomodo  conveniunt  nos  instruit,  hinc 
mirabiles  effectus  »uos  producens,  unicndo  virtutes  rerum  per  applicationem 
earuiii  ad  invicem  et  ad  sua  passa  congruentia,  inferiora  superlorum  dotibus 
ac  virtutibiis  passim  copulans  atque  maritans.  Haec  perfectissima  summaque 
scientia,  haec  altior  sanctiorque  philosophia ,  haec  denique  totius  nobilissimae 
philosophiae  absoluta  consumroatio.    Nam   cum  omnis  philosophia  regulativa 

divisa   sit   in  physicam,    mathematicam  et  theologiam,  — —  has  tres 

imperiosissimas  facultates  magia  ipsa  complectitur  unitque  atque  actuat ;  merito 
ergo  ab  antiquis  summa  atque  sanctissima  scientia  habita  est.  —  Occulta 
philos.  lib.  I.  cap.  1. 

•)  Occult.  philos.  lib.  I.  cap.  40. 


426  Siebenzehntes  Kapitel. 

gekommenen  grossen  Geistes  darlegt.  —  Gleichzeitig  mit 
Agrippa  wirkte  Paracelsus  ;  obgleich  seine  Richtung  mittel- 
bar zur  chemischen  Schule  der  Medizin  hinführte,  so  grün- 
dete er  doch  immittelbar  nur  die  theosophische  ^).  Theurgie, 
Astrologie  und  Alchymie  schlössen  sich  an;  das  Ganze 
erreichte  im  siebenzehnten  Jahrhundert  durch  Robert  Fludd 
und  die  Rosenkreuzer  seinen  Höhepunkt.  Diese  geheimen 
Lehren  und  Künste  wussten  sich  zu  adeln  und  selbst  an 
den  Fürstenhöfen  Eingang  zu  gewinnen;  eine  Menge  durch 
die  Mönche  untergeschobener  mystisch -alchjonistischen 
Schriften  unter  dem  Namen  des  Hippokrates,  Galenus, 
Avicenna  und  Andrer  war  im  Umlaufe. 

In  demselben  Boden  aber,  der  diesen  Glauben  an 
Theurgie  und  ihr  Verwandtes  wuchern  liess,  musste  auch, 
so  scheint  es,  der  Glaube  an  dämonische  Zauberei  als  na- 
türlicher Gegensatz  von  selbst  schon  tiefere  Wurzel  schlagen 
können ;  um  so  mehr  aber,  wenn  es  gerade  die  theosophi- 
sehen  Schwärmer  und  Gaukler  ihrer  eigenen  Sicherheit 
forderlich  fanden,  diesen  Gegensatz  recht  hervorzuheben. 
Reuchlin,  Franz  Pico  und  Paracelsus  waren  fest  von 
der  Wirklichkeit  des  Hexenwesens  überzeugt.  Cardanus, 
der  Astrologe  und  Chiromantiker,  läugnete  zwar  die  Wirk- 
lichkeit des  Sabbaths,  räumte  aber  eine  strafbctre  Apostasie 
und  das  Dasein  gemeinschädlicher  Künste  in  dem  Treiben 
der  Zauberer  ein.  Mag  es  sein,  dass  dieser  Glaube  bei 
\nelen  Gelehrten  gerade  auf  dasjenige  sich  stützte,  was 
nun  einmal  als  eine  durch  Folter  und  Bekenntniss  gericht- 
lich erhobene  Thatsache  galt:  so  ist  doch  nicht  zu  ver- 
konnen,  welchen  Einfluss  die  Ansicht  der  ersten  Gelehrten 
ihrer  Zeit  wiederum  auf  das  Gerichtswesen  und  die  Ge« 
staltung  der  öiFentUchen  Meinung  üben  musste. 

In  der  Jurisprudenz  herrschte  ein  Geist  engherriger 
Hesohränktheit,  aller  philosophischen  Betrachtimgsweise 
haar  und  ledig,  theils  an  den  Satzung^en  des  romischen 
und  kanonischen  Rechts   haftend   und   in   die   müssigsten 


M  vV*»/<«y/.V    Verbuch    einer  prAgmitischen  Geschichte   der  An&eikunde, 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         427 

Spiele  der  Dialektik  sich  verirrend,  theils  in  den  theologi- 
schen Begriffen  der  Zeit  befangen.  Was  von  Franzosen 
und  Italienern  Erfreuliches  geleistet  wurde,  bezog  sich  auf 
das  Civilrecht.  Die  Strafrechtspflege,  finster  und  streng 
wie  sie  war,  begnügte  sich  nicht,  den  Schutz  der  bürger- 
lichen Gesellschaft  zum  Ziele  zu  haben,  sie  fühlte  sich  zum 
Organ  der  göttlichen  Strafgerechtigkeit  berufen ;  der  Eifer 
galt  als  ein  grösseres  Lob,  als  Besonnenheit  und  vorur- 
theilfreies  Abwägen.  Der  Jurist  forschte  nicht  nach  der 
Möglichkeit  der  Zauberei;  er  hielt  sich  einfach  an  seinen 
Justinianeischen  Codex  und  an  die  Bibel.  In  der  letzteren 
fand  er  das  Gebot:  „die  Zauberer  sollst  du  nicht  leben 
lassen."  Hierin  lag  ihm  ein  göttliches  Zeugniss  für  die 
Existenz  der  Zauberei.  Ob  aber  die  moderne  Hexerei  mit 
demjenigen,  was  der  Pentateuch  und  das  römische  Recht 
als  Zauberei  verpönen,  zusammenfalle  oder  nicht,  das  war 
nicht  Gegenstand  seiner  Prüfung;  die  Bejahung  wurde 
vorausgesetzt,  Streitigkeiten  über  das  Einzelne  blieben  den 
Theologen  überlassen.  Nehmen  wir  hierzu  noch  die  weit- 
verbreitete Unwissenheit  und  unbewachte  Willkür  vieler 
Richter^),  besonders  der  Justitiarien  in  den  kleinern  Ge- 
bieten, so  haben  wir  das  Bild  der  Gerechtigkeitspflege  im 
sechszehnten  und  siebenzehnten  Jahrhundert  in  traurigster 
Gestalt.  Einzelne  Ausnahmen  —  z.  B.  der  in  der  Refor- 
mationszeit lebende  Jurist  Johannes  Franz  de  Ponzi- 
nibius  aus  Piacenza,  der  die  Möglichkeit  eines  Bundes 
mit  dem  Teufel  in  Zweifel  zog,  —  können  nicht  in  Be- 
tracht kommen.  Was  die  Carolina  Dankenswerthes  bot, 
ist  in  der  Praxis  arg  verkümmert  worden. 

Die  Medizin  endlich,  ohne  feste  physiologische  und 
pathologische  Grundlage ,  klebte  am  Altüberlieferten  und 
machte  sich  aus  der  Macht  des  Teufels  einen  Schild  gegen 
alle  Vorwürfe.  „Inscitiae  pallium  maleficium  atque  incan- 
tatio,"  —  war  nach  Reginald  Scot  das  Motto  der  Aerzte 
im    sechszehnten   Jahrhundert.     Weier,    der   selbst   Arzt 


*)  Für  Deutschland  Beispiele   anzuführen,   ist  Ueberfluss;   für  Schottland 
bezeugt  es   PV,  Scott  Br.  üb.  Dämonol.  Thl.  II.  150. 


^28  Siebenzehntes  Kapitel. 

war,  widmet  in  seiner  Schrift  über  die  Hexerei  ein  eigenes 
Kapitel  der  Ausführung*  des  Satzes ,  ,,dass  die  ung-elehrten 
Schlingel  in  der  Medizin  und  Chirurgie  jr  Unwissenheit 
\md  fehler  dem  verzaubern  oder  veruntrewen  und  den 
Heiligen  zuschreiben"*).  Van  Helmont  (geb.  1577),  der 
die  medizinische  Chemie  auf  ihren  Höhepunkt  brachte, 
hegte  doch  den  festen  Glauben  an  Metallverwandlung,  an 
den  Stein  der  Weisen,  fasste  Donner,  Blitz,  Erdbeben, 
Regenbogen  und  emdere  Naturerscheinungen  als  Wirkungen 
einzelner  Geister  auf  u.  s.  w.  —  Der  Londoner  Arzt  Ro- 
bert Fludd  (t  1637),  der  berühmteste  imter  den  Rosen- 
kreuzem,  leitete  die  Entstehung  der  Krankheiten  von 
bösen  Dämonen  her,  gegen  die  der  gläubige  Arzt  zu 
kämpfen  habe.  In  jedem  Planeten  hause  ein  Dämon,  und 
so  gebe  es  satumische,  jovialische,  venerische,  martialische 
und  mcrcurialische  Dämonen,  welche  ihnen  gemässe  Krank- 
heiten erzeugen»  —  Der  Rostocker  Professor  Sebastian 
Wird  ig  {i  1687)  sah  zwei  Arten  von  Geistern  durch  die 
ganze  Natur  verbreitet,  deren  sich  auch  im  menschlichen 
Körper  befanden  und  mit  den  Geistern  der  Luft  in  den 
Gestirnen  in  Gemeinschaft  ständen,  durch  deren  Einfluss 
sie  regiert  würden.  WHe  Thomas  Campanella,  Fludd  u.  A. 
gibt  auch  Wirdig  der  Wärme,  Kälte,  Luft  einen  Geist  und 
leitet  die  Krankheiten  von  den  zornigen  und  rachsüchtigen 
Ginstern  der  Luft  und  des  Firmaments  her.  Er  vertheidigt 
die  Wünschelruthe  wie  die  Nekromantie  und  findet  die 
IVweise  üi  bibUschen  Sprüchen.  Beispiele  ähnlicher  Art 
Hosson  iiich  aus  der  Geschichte  der  Medizin  und  der  Natur- 
\snssonschafton  in  Menge  anfuhren.  Denn  das  Denken  selbst 
dor  Kor\"phaen  der  \\1ssenschaft  war  bis  über  das  sieben- 
lohnio  Jahrhundert  hinaus  vom  Aberglauben  so  beherrscht, 
d^ss  nutit  in  dem  Verlaute  und  Zusammenhange  natürlicher 
Dinjjx'^  niohi  dos  Xaturgesett»  sondern  das  geheimnissvoUe 
umi  XM\l\<*unUv"ho  W\üten  \-erborgener  Geister  und  dämo» 
ni>ot\or  Maohto  s*\h*^» 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         429 

Unter  diesen  Umständen  wird  es  erklärlich,  warum 
die  Reformation  Hexenglauben  und  Hexenprozesse  nicht 
gestürzt  hat.  Sie  Hess  beide  bestehen,  wie  sie  den  Glauben 
an  den  persönlichen  Teufel  bestehen  liess.  In  diesem 
Glauben  erhitzte  sich  der  Eifer  gegen  die  Verbündeten 
des  Teufels  um  so  mehr,  je  weniger  eine  Religionsge- 
nossenschaft der  andern  im  Abscheu  gegen  das  Diabolische 
nachstehen  wollte;  imd  so  rasten  die  verschiedenen  Par- 
teien der  Protestanten  untereinander  selbst  und  mit  den 
Katholiken  um  die  Wette.  Zwar  will  Walter  Scott  be- 
merkt haben,  dass  in  England  unter  hervortretendem  cal- 
vinistischen  Uebergewichte  die  Hexenprozesse  immer  zahl- 
reicher gewesen  seien,  als  unter  dem  des  anglicanischen 
Klerus,  und  es  ist  richtig,  dass  im  sechszehnten  Jahrhtm- 
dert  England  verhältnissmässig  nur  wenige  Hinrichtungen 
kennt;  aber  Jakob's  I.  Blutgesetze,  die  im  siebenzehnten 
so  viele  Gräuel  brachten,  gingen  doch  nicht  von  den  Cal- 
vinisten  aus.  Weiter  ist  es  Thatsache,  dass  der  reformirte 
Theodor  Beza  den  französischen  Parlamenten  den  Vor- 
wurf der  Lässigkeit  in  den  Hexenprozessen  machte;  aber 
der  katholische  Florimond  de  Remond,  weit  entfernt, 
den  fanatischen  Eifer  seines  Gegners  zu  tadeln,  beeilt  sich 
nur,  das  behauptete  Faktum  in  Abrede  zu  stellen,  indem 
er  auf  die  zahllosen  Opfer  hinweist,  die  er  als  Parlaments- 
rath  zu  Bordeaux  täglich  zum  Feuer  verurtheilen  half. 
Arge  Verblendung  aber  ist's,  wenn  es  noch  neuerdings 
ein  katholischer  Schriftsteller  versucht  hat,  fiir  die  Ver- 
breitimg der  Hexenprozesse  nicht  der  geistlichen  Inqui- 
sition und  den  päpstlichen  Bullen,  sondern  der  Reformation 
und  dem  Beispiele  der  Protestanten  eine  besondere  Rolle 
zuzuweisen  und  Ignaz  Schmidt's  verkehrter  Ansicht, 
als  wenn  Luther's  Vorstellungen  von  der  Gewalt  des  Teu- 
fels das  Uebel  verschuldet  hätten,  irgend  einige  Aufmerk- 
samkeit zu  schenken  1).    Luther  hat  die  Lehre  vom  Teufel 


')  Jos,  Niesertf  merkwürdiger  Hexenprozess  gegen  den  Kaufmann  G.  Köb- 
bing,  an  dem  Stadtgerichte  zu  Coesfeld  im  Jahre  1632  geführt.  Coesfeld  1827. 
Vorrede  S.  XI.  ff. 


^^O  Siebenzehntes  Kapitel. 

aus  der  katholischen  Kirche  herübergenommen,  aber  frei- 
lich so,  dass  dieselbe  in  ihm  nach  zwei  Seiten  hin  eine 
ganz  neue,  und  zwar  gegen  den  dämonischen  Aberglauben 
der  Kirche  sich  abschliessende  Gestalt  gewann.  Denn 
i)  fasst  Luther  den  Teufel  wesentlich  als  Werkzeug  des 
göttlichen  Zornes  über  die  Sünde,  als  Mittel  der  Straf- 
gerechtigkeit Gottes  auf,  so  dass  sich  die  Gewalt  des 
Teufels  nicht  weiter  als  das  Zomgebiet  Gottes  erstreckt, 
auf  welchem  Gott  ihm  „Raum  lässt";  und  2)  sieht  Luther 
die  Stellung  des  Christen  im  Kampfe  mit  dem  Teufel  ganz 
anders  an  als  die  Kirche  es  that.  Diese  betrachtete  den 
Kampf  gegen  den  Teufel  als  ein  rein  äusserliches  Vor- 
gehen, welchem  sich  der  Christ  der  ihm  von  der  Kirche 
gebotenen  Mittel,  nämlich  bestimmter  Gebetsformeln,  des 
Weihwassers,  der  Nennung  des  Namens  Jesu,  des  Kreuzes- 
zeichens u.  s.  w.  bedienen  sollte.  Luther  dagegen  ver- 
legte den  Kampf  in  das  Innere  der  Seele,  wo  sich  der 
Christ  durch  anhaltendes  Gebet,  durch  immerwährende 
Busse,  durch  stetes  Wachsen  im  Glauben  imd  in  der  Ge- 
meinschaft mit  Gott  sich  gegen  alle  Anläufe  des  Bösen 
schirmen  und  sich  mehr  und  mehr  zum  Siege  über  den- 
selben erheben  sollte').  Darum  kann  von  Luther  nicht 
gesagt  werden,  dass  er  durch  seine  Lehre  von  der  Gewalt 
des  Teufels  das  Uebel  der  Hexenverfolgung  verschuldet 
habe.  Ist  es  doch  auch  unumstössliche  Thatsache,  dass 
die  katholischen  Länder,  und  zwar  unter  päpstlicher  Auc- 
torität,  den  Hexenprozess  nicht  nur  geraume  Zeit  vorher 
betrieben,  ehe  Luthers  Reformation  begann,  sondern  auch 
dass  das  Uebel  in  keinem  protestantischen  deutschen  Lande 
jemals  eine  gleiche  Höhe  erreicht  hat,  wie  in  den  Gebieten 
der  katholischen  Länder  und  namentlich  der  geistlichen 
Fürsten !  Allein  der  Parteihass  liess  die  katholischen 
Polemiker  dieses  nicht  erkennen. 

Wenn  der  Jesuit  Delrio  Leute  nennen  wollte,  die  im 
Hexenglauben  heterodox  seien,  so  fehlten  Luther  und  Me- 
lanchthon   nicht  leicht*).     Der  Pater  Angelicus  Preati, 

>)  S.  die  zahlreichen  Belege  bei  Roskoff,  B.  IL  S.  365—377. 
')  Disquis.  mag.  1.  11.  qu.  l6. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         ^^i 

indem  er  die  Realität  der  Hexenfahrten  als  Dogma  ver- 
ficht, nennt  das  Leugnen  der  Zauberei  eine  Nachfolge 
Luthers  und  Melanchthons;  der  Pater  Staidel  setzt  den 
Zweifel  an  der  Hexerei  einer  ketzerischen  Verleugnung 
der  Firmung  gleich;  der  Pater  Concina  wirft  abermals 
die  Meinung,  dass  es  keine  Hexen  gebe,  Luthem,  Me- 
lanchthon  imd  ihren  „Spiessgesellen"  vor  i),  und  der  Pater 
Agnellus  März  wiederholt  diess,  indem  er  den  münchener 
Akademiker  Sterzinger,  der  den  Hexenglauben  be- 
kämpft, zu  verketzern  sucht  *).  Torreblanca  endlich  zählt 
Luther  nebst  Huss  und  Wicleff  unter  denjenigen  auf, 
welche  sich  gegen  die  Bestrafung  der  Hexen  desswegen 
ausgesprochen  haben  sollen,  ut  se  et  suos  contra  Pontificem 
Maximum  et  potestates  temporales  tueantur*). 

Die  genannten  Väter,  deren  Zahl  wir,  wenn  sie  nicht 
so  schon  genügte,  leicht  noch  beträchtlich  vermehren  könn- 
ten, haben  eben  so  wenig  Recht  gehabt,  als  HerrNiesert 
mit  seiner  entgegengesetzten  Ansicht.  Luther  hat  nir- 
gends den  Zauberglauben  eigens  abgehandelt;  wo  er  bei 
Veranlassungen  auf  denselben  zu  reden  kommt,  da  ergibt 
es  sich,  dass  er  ihm,  jedoch  mit  Beschränkungen,  ergeben 
ist*).  Die  Incuben  und  Succuben  räumt  er  mit  besonderer 
Beziehimg  auf  Augnstins  Auctorität  ein ,  weil  der  Satan 
gerne  den  Menschen  in  der  angenommenen  Gestalt  eines 
Jünglings  oder  einer  Jungfrau  betrügen  möge;  dass  aber 
aus  solchem  Umgange  irgend  etwas  erzeugt  werden  könne, 
stellt  er  in  Abrede*).  Femer  glaubt  er,  dass  der  Teufel 
im  Stande  sei,  Kinder  zu  stehlen  und  anderwärts  unterzu- 
schieben (Wechselbalge,  Kielkröpfe)*).    Die  Hexenfahrten 


')  Deir  Osa,  die  Nichtigkeit  der  Zauberei,  Frankf.   1766.  S.  262. 

')  Urtheil  ohne  Vorurtheil  etc.  1766.  S.  57. 

')  Daemonol.  III.  1. 

*)  Man  findet  Luthers  Ansichten  im  Wesentlichen  an  folgenden  Orten 
ausgesprochen:  Auslegung  des  l.  B.  Mos.,  Gap.  6,  V.  l.  —  Ausführl.  Erkl. 
der  Epistel  an  die  Galater,  Cap,  3.  V.  1.  —  Kürzere  Erkl.  dieser  Epistel. 
ebendas.  —  Tischreden  Cap.  XXIV.  u.  XXV. 

»)  Erkl.  der  Genesis,  6.   1.     Tischreden,  XXIV.  §.  94  ff- 

•)  Ebendas. 


AX2  Siebeszeliotes  Kjipitel. 

erklart  er,  wie  Melancbthon,  for  Einbfldung ;  aber  er  ist 
für  die  strengste  Bestrafung-  der  Zauberinnen,  welche  Leib 
und  Grut  ihres  Nächsten  beschädigen,  und  will  sie  zum 
Scheiterhaufen  gefuhrt  sefa^i  ^).  In  einem  concreten  Falle, 
über  welchen  er  befragt  wurde,  zeigte  er  sich  vorsichtig, 
obgleich  nicht  völlig  al^eneigt,  an  das  berichtete  Teufels» 
bündniss  zu  glauben.     Er  schrieb  zurück:  Rogo  te,  onmia 

velis  certissime  explorare,   ne   subsit  afiquid  doli 

Xam  ego  tot  fucis,  dolis,  technis,  mendaciis,  artibus  etc. 
hactenus   sum  exagitatus,   ut  cogar  difficQis  esse  ad  cre> 

dendum. Quare  vide  et  prospice  tibi  quoque,    ne 

fallare  et  ego  per  te  fallar'). 

Um  Luthers  Verhältniss  zu  den  Hexenprozessen  mit 
wenigen  Worten  auszusprechen,  so  stand  er  immittelbar 
zu  dem  Gange  derselben  in  gar  keiner  Beziehung,  mittel- 
bar aber  allerdings  dadurch,  dass  er  nicht  noch  weit  d\irch- 
greifender  reformirte,  als  er  wirklich  gethan  hat. 

In  Süddeutschland  meinte  der  Reformator  Schwabens, 
Joh.  Brentz  zu  Stuttgart,  man  müsse  wenigstens  noch 
alle  diejenigen  Weiber  unter  das  Schwert  bringen^  die  es 
im  Ernste  versucht  hätten,  zauberische  Werke  zu  ver- 
richten'), wogegfen  die  Jülich-Clevische  Kirchenordnung 
von  1533  alle  Zauberei,  Wahrsager  und  Beschworer  als 
Gotteslästerer  behandelt  wissen  wollte.  Diese  Kirchen- 
ordnimg  war  theilweise  das  Werk  des  Konrad  v.  Heres- 
bach,  der  von  jeher  die  für  „Götzendiener**  hielt,  „welche 
wähnen,  ein  Geschöpf  könne  in  eine  andere  Grestalt  ver- 
wandelt werden"^). 

Uebrigens  war  Brentzens  Meinung*  von  der  Hexerei 
nicht  die  des  Hexenhammers.  Er  sagt  in  einer  Predigt 
von  1564  über  das  Wettermachen  der  Hexen,  „dass  die 
Unholde  Hagel,  Ungewitter  und  andere  böse  Dinge  zu 
machen,  zu  erregen  imd  aufzubringen,  g'ar  keine  Gewalt 
haben,    sondern,   dass  sie  vom   Teufel  damit  aufg'e- 

«)  Tischreden  Cap.  .\XV. 

')  Angelt  Annales  Marchiae  Branden burgicae,  pag.  326. 

*)   IVolUrs,  Konrad  v.  Heresbach,  S.  154, 

*)  Ebendas.  S.   152. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Uexenprozesse  etc.         a2^ 

zogen  und  verspottet  werden,  der  ihnen  weiss  macht, 
sie  hätten  solches  gethan.  Denn  in  dem  Augenblicke,  wo 
der  Teufel  weiss,  dass  ein  solches  Wetter  kommen  wird, 
gibt  er  einer  Hexe  ein,  dass  sie  ein  solches  herbeibe- 
schwören müsse,  um  sie  in  ihrem  Glauben  zu  stärken/*  — 
Als  Servedezu  Genf  auf  dem  Scheiterhaufen  stand,  redete 
Farel  die  versammelte  Menge  mit  den  Worten  an :  „Sehet 
ihr  wohl,  welche  Gewalt  dem  Satan  zu  Gebote 
steht,  wenn  sich  ihm  Einer  einmal  überlassen  hat! 
Dieser  Mann  ist  ein  gelehrter  Mann  vor  Vielen  und  viel- 
leicht glaubte  er  recht  zu  handeln;  nun  aber  wird  er 
vom  Teufel  besessen,  was  euch  ebenso  wohl  ge- 
schehen könnte!" 

Jene  Disposition  des  Zeitalters,  wie  wir  sie  darzulegen 
versucht  haben,  bildete  indessen  nur  die  allgemeine  Grund- 
lage, auf  welcher  niedrige  Motive  jeder  Art  ein  um  so 
freieres  Spiel  zur  Verbreitung  des  Uebels  entwickeln 
konnten. 

Vor  allem  knüpfte  sich  an  die  Bestrebungen  der 
hierarchischen  Reaction  fortwährend  der  alte  kirch- 
liche Macchiavellismus.  Zwar  war  ein  grosser  Theil 
Deutschlands  für  Rom  unwiederbringlich  verloren  imd 
ausser  dem  Bereiche  der  Inquisition ;  aber  es  musste  dafür 
gesorgt  werden,  dass  die  immer  weitergreifenden  Fort- 
schritte der  Reformation  gehemmt,  die  noch  schwankenden 
Länder  gerettet  würden.  Dem  Andringen  des  protestanti- 
schen Geistes  gegenüber  führten  daher  die  Jesuiten  überall 
das  Gespenst  des  Hexen thums  als  schreckendes  Medusen- 
haupt vor.  „Nur  die  Unverschämtheit  kann  leugnen,  sagt 
Delrio  in  der  Vorrede,  dass  die  Zaubergreuel  den 
Ketzereien  auf  dem  Fusse  folgen,  wie  der  Schatten  dem 
Körper;  die  ganze  Seuche  kommt  hauptsächlich  von  der 
Vernachlässigung  und  Verachtung  des  katholischen  Glau- 
bens." Dann  weist  er  darauf  hin,  wie  schon  die  Gnostiker 
und  andere  Sekten  des  Alterthums  Zauberer  gewesen  seien, 
schiebt  eine  Stelle  aus  TertuUian  in  das  VordertrefFen  und 
nähert   sich  mit  behutsamer  Taktik  dem  eigentlichen  An- 

Soldan-Heppe,  Hexenprozesie.  2^ 


434  Siebenzehnles  Kapitel. 

grifFspunkte.     „Erst  haben  die  Hussiten  Böhmen,  dann  die 
Lutheraner  Deutschland  überzognen.    Welche  Zaubergreuel 
jenen  nachfolgten,  haben  die  Inquisitoren  Nider  und  Sprenger 
dargethan;   welche  Ströme  von  Hexen   aber  die  letzteren 
ausschütteten,    davon  wissen  diejenigen  zu  erzählen,    die, 
gleichsam  eingefroren  in  jene  arktische  Kälte,  vor  Furcht 
erstarrt  sind ;  denn  kaum  gibt  es  dort  noch  irgend  etwas, 
was    frei   und  unbeschädigt  wäre  von  jenen  Bestien  oder 
vielmehr  Teufeln  in  Menschengestalt"     Sodann  wird  ver- 
sichert,   dass   man   auf  den  Alpen  kaum  noch  ein  Wöb 
treffe,  das  nicht  eine  Hexe  sei,  weil  daselbst  die  Reste  der 
Waldenser   sich   versteckt   hielten.     In   der    Schweiz,    in 
Frankreich,    England,    Schottland  und  Belgien  muss   der 
Calvinismus  das  ganze  Uebel  tragen;   auch    auf  die  soge- 
nannten Politiker  Italiens    wird  ein  Seitenblick  geworfen. 
Ganz  im  Einklänge  hiermit  ist  es,    wenn   man  im  Trieri- 
schen Leute    auf  der  Folter   bekennen  liess,   dass  sie  zu 
jener   Zeit    angesteckt   worden    seien,    als   der   Markgraf 
Albrecht  von  Brandenburg,  „diese  schändliche  und  höllische 
Stütze   des  Lutherthums,    der   selbst  ein  Erzzauberer  ge- 
wesen sei,"  das  Land  mit  seinen  Truppen  überzogen  habe. 
Am  Ende  der  Vorrede  lässt  D  e  1  r  i  o  seinen  Lehrer  und 
Mitjesuiten   Maldonatus   die  Frage   beantworten,    warum 
die  Zauberei  sich  so  unzertrennlich  an  die  Ketzerei  knüpfe. 
Die  angeführten  Gründe  laufen  hauptsächlich  darauf  hinaus, 
dass    der  Teufel   noch  immer  so  gerne  in  die  Leiber  der 
Ketzer  fahre,    wie  einst  derjenige,    dessen  Name  Legion 
war,    in  die  der  Schweine;   dass   die  Ketzerei,   wenn  sie 
Anfangs  auch  noch  so  geschickt  in  das  Gewand  der  Un- 
schuld und  Wahrheit  sich  zu  kleiden  wisse,    bald  veralte 
und,  um  ihre  Existenz  zu  retten,  zur  Magie  werde,  wie  die 
verblühte    Hure   zur  Kupplerin  u.  s.  w.      So    sieht    denn 
auch  Delrio   den  Calvinismus,    das  Lutherthum   und  den 
Anabaptismus,   die   drei   unreinen  Geister,   die   ihm   her- 
vorgegangen   sind   aus    dem  Rachen  der  Schlange,    dem 
Rachen  des  Thiers  und  dem  Rachen  des  falschen  Propheten, 
schon  kraftlos  hinwelken  und  nur  noch  mit  Mühe  athmen ; 
sie  können  Niemanden  mehr  locken,    aber  an  ihre  Stelle 


Allgemeine  Grunde  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         a-^c 

wird  Zauberei  und  Atheismus  in  unverhüllter  Hässlichkeit 
treten  und,  gleich  den  Heuschrecken  im  Propheten  Joel, 
das  Land  verzehren.  Nichtsdestoweniger  erblickt  sein 
scharfes  Auge  auch  in  der  katholischen  Kirche  nur  ein 
so  kleines  Häuflein  w^ahrhaft  Gläubiger,  dass  es  vor  dem 
Blicke  fast  verschwindet ;  alles  ist  ihm  auch  da  zu  lau  und 
schon  auf  dem  Wege  zum  Atheismus.  Diesen  lauen  Ka- 
tholiken nun  einen  heilsamen  Schrecken  einzujagen,  die 
ganze  Schändlichkeit  des  Zauberwesens  allen  Schwankenden 
vor  die  Augen  zu  halten,  das  Schwert  der  Gerechtigkeit 
gegen  die  Schuldigen  zu  schärfen,  schreibt  er  sein  Buch 
und  stellt  sich  in  inbrünstigem  Gebete  unter  den  Schutz 
der  ewigen  Weisheit,  der  heiligen  Jungfrau  und  des  heil. 
Michael. 

Wenige  Jahre  vor  dem  Erscheinen  dieses  merkwürdi- 
gen Werkes  hatte  Thomas  Stapleton,  ein  vertriebener 
Katholik  aus  England,  damals  Professor  der  Theologie  zu 
Löwen,  in  einer  öffentlichen  Promotionsrede  die  Frage 
erörtert :  Cur  magia  pariter  cum  haeresi  hodie  creverit  ? 
Die  Rede  enthält  fast  nichts  als  die  zügellosesten  Ausfalle 
auf  den  Protestantismus  und  schliesst  mit  den  Worten  : 
Ideo  crescit  cum  magia  haeresis,  cum  haeresi  magia  ^)! 

An  solchen  Bestrebungen  erkennen  wir  ganz  den  Geist 
der  Gesellschaft  Jesu  wieder,  denselben  Geist,  der  durch 
den  Pater  Andreas  zu  Wien  von  der  Kanzel  verkündigen 
liess,  dass  es  besser  sei,  mit  dem  Teufel  sich  zu  vermählen, 
als  mit  einem  lutherischen  Weibe,  weil  jener  doch  mit 
Weihwasser  und  Exorcismen  zu  vertreiben  sei,  an  diesem 
aber  Kreuz,    Salböl  und  Taufe  verloren  gehe;   denselben 


^)  Hauber  Bibl.  mag.  Bd.  11.  S.  505.  —  Pierre  Le  Loyer  sagt  in  seiner 
t)erüchtigten  Histoire  des  Spectres  (Livre  IV.  Chap.  5)  von  Luther  undZwinpli, 
dass  sie  ihre  Familiarität  mit  dem  Teufel  eingestanden  hätten.  Das 
Kapitel  schliesst  mit  der  Bemerkung:  En  somme  je  me  persuade,  qu'il  y  a 
fort  peu  de  docteurs  et  ministres  de  fausse  doctrine,  qui  ne  se  trouvent  as- 
sistes  du  diable,  qui  doit  encore  assister  TAntichrist,  duquel  tous  les  h^resiar- 
ques  marquent  le  logis,  et  lui  applanissent  le  chemin.  pour  lui  faire  voie  de- 
dans  les  cojurs  des  hommes,  qu'il  trouvera  tous  prepar^s  k  recevoir  ce  qu'il 
lear  pr^hera. 


4  70  Siebenzehntes  Kapitel. 

Geist,  der  andern  Vätern  dieser  Gesellschaft  offenbarte, 
dass,  wer  bei  den  Evangelischen  das  Abendmahl  unter 
beiderlei  Gestalt  empfange,  recht  eigentlich  den  Teufel 
selbst  geniesse,  und  dass  Luther  des  Satans  Sohn  und 
Spiessgeselle  sei. '  Und  wäre  nicht  derselbe  Geist  in  seinen 
Wirkungen  kennbar,  wenn  wir  die  Thatsache  erwägen, 
dass  es  unter  den  katholischen  Ländern  Deutschlands  ge- 
rade die  geistlichen  Stifte  sind,  wo  verhältnissmässig  bei 
weitem  die  meisten  Hinrichtungen  Statt  fanden?  Oder 
sollte  hier  bloss  das  grössere  Maass  der  Geistesfinstemiss 
gewirkt  haben?  Trier,  Bamberg,  Würzburg,  Fulda  und 
Salzburg  stehen  oben  an,  und  gerade  diejenigen  Fürsten 
dieser  Länder,  welche  die  Hexenverfolgung  am  blutigsten 
betrieben,  sind  von  ihren  Geschichtschreibem  auch  wegen 
ihrer  Triumphe  über  den  weit  vorgedrungenen  Protestan- 
tismus in  ihren  Gebieten  gepriesen  worden:  in  Trier  Jo- 
hann VI.,  in  Würzburg  Johann  Gottfried  von  Aschhausen 
und  Philipp  Adolph  von  Ehrenberg,  in  Bamberg  Johann 
Georg  n.,  in  Fulda  Balthasar  von  Dernbach,  in  Salzburg 
Max  Gandolph  von  Küenburg.  An  der  Spitze  dieser 
Reactionen  aber  standen  überall  die  Jesuiten,  oft  ausge- 
sprochenermassen  zu  diesem  Zwecke  herbeigerufen.  Wir 
werden  sie  unten,  bei  der  Durchmusterung  der  einzelnen 
Länder,  auch  in  die  Hexenprozesse  noch  oft  genug  un- 
mittelbar eingreifen  sehen. 

Ueber  das  Interesse,  welches  die  geistlichen  Fürsten 
an  der  Unterdrückung  der  Reformation  in  ihren  Ländern 
nehmen  mussten,  kann  kein  Zweifel  bestehen :  dem  eigenen 
Uebertritte  stellte  sich  der  geistliche  Vorbehalt  und  der 
unglückliche  Vorgang  der  kölnischen  Kurfürsten  Hermann 
und  Gebhard  entgegen;  die  Duldung  der  neuen  Lehre 
imter  den  Unterthanen  aber  musste  leicht  ein  unfreiwilliges 
Aufhören  der  Bischofswürde  herbeiführen,  wie  in  Halber- 
stadt, Magdeburg  und  andern  Stiften  Norddeutschlands. 
Nun  aber  schnitten  die  Erfolge  des  schmalkaldischen  Krieges 
dem  Verfolgungsgeiste  die  Anwendung  der  Todesstrafe 
ab,  wenn  die  Anklage  auf  das  Bekenntniss  der  lutherischen 
Lehre  oder  auf  die  Hinneigung  zu  derselben  lautete.    Der 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc,         ^2*7 

augsburger  Friede  gestattete  nur  die  Landesverweisung, 
und  diese  entzog,  wo  sie  versucht  wurde,  wie  in  Salzburg 
unter  Wolfgang  Dietrich*),  mit  dem  Vermögen  der  aus- 
wandernden Reichen  den  Ländern  ihre  besten  Kräfte. 
Dagegen  verbot  kein  Gesetz ,  öffentliche  und  heimliche 
Freunde  des  Protestantismus  wegen  des  Verbrechens  der 
Zauberei,  die  man  so  geschickt  mit  diesem  in  Verbindung 
zu  bringen  wusste,  zum  Tode  zu  fuhren.  Zauberei  war  ja 
nach  römischem  Grundsatze  auch  Ketzerei;  wer  den  Tod 
des  Zauberers  starb,  der  litt  auch  die  Strafe  des  Ketzers, 
sein  Vermögen  blieb  im  Lande  und  fiel  sogar,  wie  wir 
oben  gesehen  haben,  an  vielen  Orten  dem  Fiscus  zu.  Es 
war  also  hiermit  die  Möglichkeit  gegeben,  unter  der  Maske 
des  gesetzlichen  Hexenprozesses  eine  blutige  Verfolgung 
des  Protestantismus,  die  das  Gesetz  verbot,  zu  betreiben.  — 
Auch  in  Frankreich  fällt,  wie  Delrio  richtig  bemerkt,  die 
Hauptepoche  seines  wiederauflebenden  Hexenwesens  in 
die  Zeit,  wo  die  Hugenotten  am  mächtigsten  emporstrebten, 
d.  h.  es  fanden  die  meisten  Hinrichtungen  Statt,  geboten 
von  katholischen  Richtern,  in  jeder  Periode,  wo  die  Re- 
formirten  sich  zwar  durch  einen  Religionsfrieden  nach  dem 
andern  gesetzliche  Existenz  erkämpften,  aber  immer  wieder 
durch  alle  möglichen  Mittel,  die  dem  Fanatismus  tauglich 
schienen,  unterdrückt  wurden.  In  Spanien  erscheint  die 
Zahl  der  wegen  Zauberei  Hingerichteten  im  Verhältnisse 
zu  der  Gesammtsumme  der  Opfer  des  Glaubensgerichts 
gering;  diess  erklärt  sich  gerade  aus  der  ausgedehnten 
Macht  der  dortigen  Inquisition,  die  ohne  Umschweife  auf 
ihr  Ziel  losgehen  durfte.  Dagegen  wütheten  in  Polen  die 
Hexenprozesse  am  meisten  seit  der  Zeit,  wo  der  Jesuiten- 
orden seine  Bestrebungen  zur  Ausrottung  der  zahlreichen 
Dissidenten  begann. 


^)  ,,DanD  die  Lutherische  Flaccianische  Sect  so  gewaltig  übergenommen 
hat^  dass  damit  die  reicheste  Häuser  und  Geschlecht  behalTt  gewesen,  und  also 
die  grösste  Vermögen  zu  merklichem  Abbruch  des  gemeinen  Manns-  und  Lands- 
KrSften  aus  dem  Land  kommen  u.  s.  w."  Franz  Duckher  Salzburgische 
Chronica  S.  268. 


^j8  Siebeniehntes  Kapitel. 

Das  Nähere  dieser  Verhältnisse  muss  einer  späteren 
Erörterung  vorbehalten  bleiben.  Um  jedoch  das  Gesagte 
zu  erhärten,  theilen  wir  einige  Vorkommnisse  mit,  die 
keiner  weiteren  Erläuterung  bedürfen. 

Louis  B  er  quin,  Rath  am  Hofe  Franz  I.,  hatte 
sich  über  die  frommen  Betrügereien  der  Mönche  etwas 
freimüthig  ausgesprochen,  ward  der  Begünstigung  des 
Lutherthums  beschuldigt  und  entging  der  öffentlichen  Ab- 
schwörung nur  durch  den  besonderen  Schutz  des  Königs. 
Hierauf  erhob  man  die  Anklage  der  Zauberei  und  Teufels- 
anbetung, und  der  König  wagte  es  nicht  mehr,  ihn  zu 
vertreten.  Berquin  wurde  mit  durchbohrter  Zunge  den 
17.  April  1529  auf  dem  Greveplatze  zu  Paris  lebendig 
verbrannt  ^). 

Ein  Spezereihändler  zu  Baden  führte  1628  gegen  sei- 
nen Landesherm,  den  nach  protestantischer  Landesver- 
waltung erst  kürzlich  eingesetzten  katholischen  Markgrafen 
Wilhelm  von  Baden-Baden,  Klage  beim  Reichskammer- 
gericht wegen  widerrechtlicher  Verhaftung  seiner  Ehe- 
frau. Er  erzählt:  „Als  für*s  Erste  sie,  meine  liebe  Haus- 
frau, jetzt  nunmehr  ein  Jahr,  uf  6  blosse  Angebimgen, 
alss  wann  sie  bei  einem  Hexen  Tantz  seye  gesehen  wor- 
den, uf  eim  Zinstag  umb  10  Uhr  zu  Mittag  urplötzlich  zue 
gefänglicher  Hafft  genommen  undt  alssbaldt  da  sie  in 
Thurn  kommen,  ihr  angezeigt,  auss  fürstlichem  Bevelch 
geschehe  dass,  \mdt  hatt  sie  Eppach  und  ein  Schreiber 
mit  diessen  ungestümen  Wortten  angeredt:  Sie  seye  die 
gröste  Hur  in  Baden  undt  darzue  ein  Hex,  undt  habe 
solche  Hexerey  von  iren  Eltern  (welche  lutherisch 
gewesen  und  die  Frauw  gleichfalls)  gelernt,  sie  soll 
es  nur  nicht  leugnen,  sondern  rundt  bekennen,  darauf  sie 
beständiglich  geantworttet,  man  thue  ihr  für  Gott  und  aller 
Welt  Unrecht,  hatt  man  sie  also  bsddt  ohne  alle  Barm- 
hertzigkeit  ahne  die  Folter  geschlagen  u.  s.  w.**  *). 


*)  Carimt  Hist.  de  la  magic  en  France  p.  120.  Bodin  Daemonoman. 
üb.  IV.  cap.  5.     Dictionnaire  infernal,  art.  Berquin. 

')  Aus  Originalakten  des  R.  K.  G.  Ruhr.  Weinhagen  ca.  Wilhelmen 
Markgrafen  zu  Baden. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         ^^^q 

Von  dem  Kaufmann  Köbbing  zu  Coesfeld,  wel- 
cher 1633  hingerichtet  wurde,  sagt  der  Fiscal  in  den  ein- 
gereichten Artikeln:  „Art.  68.  Inmassen  wahr,  dass  er  ein 
Gottvergessener  Mensch  sey,  der  nicht  allein  die  Kirchen 
nicht  frequentirt,  sundem  auch  zu  sagen  pflegt,  man  müsse 
temporisiren,  und  soviel  den  Glauben  anbelangt  allen 
Sekten  und  Religionen  sich  accommodiren  kön- 
nen. 69,  Item  er  wolle  sich  wegen  den  Glauben  so  viel 
nicht  bekümmern,  dass  er  darumb  verfolgt  oder  getodtet 
werden  solle.  70.  Wahr,  dass  man  uf  solche  Gottver- 
gessene unrechtfertige  und  heillose  Leuth  desto  leichtlicher 
solchs  Laster  versehen  müge."  —  Die  beiden  ersteren 
Artikel  waren  unter  den  fünfundsiebenzig  der  Klageschrift 
die  einzigen,  deren  Inhalt,  sofern  er  gravirend  war,  der 
Beschuldigte  in  seinem  ersten  Verhöre  nicht  gänzlich  in 
Abrede  stellte.  Köbbing  stand  als  Kaufmann  mit  Hol- 
ländern in  Verbindung;  auch  hatte  er  die  Tochter  eines 
protestantischen  Geistlichen  in  seinem  Hause  beherbergt. 
Jesuiten,  seit  1626  in  Coesfeld  eingenistet,  spielten  die 
Beichtväter  in  den  Hexenprozessen  dieser  Stadt  imd  re- 
ferirten  dem  Rathe  über  die  letzten  Erklärungen  der  Ver- 
urtheilten  ^). 

Neben  dem  negativen  Nutzen  der  Herabsetzung  des  Prote- 
stantismus suchten  viele  Kleriker  auch  noch  einen  positiven 
Gewinn  zur  direkten  Verherrlichung  der  römischen  Kirche 
zu  ziehen.  Bot  ja  doch  ihr  Ritual  die  Specifica  gegen 
alle  zauberischen  Anfeindungen :  Exorcismen,  Weihwasser, 
geweihtes  Salz,  geweihte  Kerzen,  Zweige  u.  s.  w. !  Und 
von  wie  vielen  einzelnen  Fällen  wissen  die  Kleriker  zu 
erzählen,  dass  diese  Mittel  wirklich  geholfen  haben,  — 
Fälle  freilich,  in  welchen  man  die  Vorsicht  gebraucht  hatte, 
sich  des  Erfolgs  im  Voraus  zu  versichern  *) !     Femer,  wie 


*)  NUseri  Mcrkw.  Hexenprozess  gegen  den  Kaufm.  G.  Köbbidg. 

*)  IVtier  hat  ein  eigenes  Kapitel  (Buch  V.  Kap.  3):  „Mit  welchen 
StQcken  die  ZauberpfafEen  in  der  Kur  der  Besessenen  die  Leute  betrügen." 
Zur  Zeit  der  Königin  Elisabeth  wurden  mehrmals  katholische  Priester,  die 
sich  mit  ihren  Exorcismen  in  das  Hexenwesen  einmischten,  auf  sehr  plump 
angelegten  Betrügereien  ertappt.     Ein  Dr.  Harsnett  hat  ein  eigenes  Buch  Qber 


440  Siebenzehntes  Kapitel. 

man  einst  zu  Gunsten  der  Lehre  von  der  Ohrenbeichte, 
der  Brodverwandlung,  und  der  unbefleckten  Empfangniss 
Erscheinungen  von  Heiligen  und  Gespenstern  aufgeboten 
hatte,  so  traten  jetzt  unter  den  Händen  geschickter  Exor- 
cisten  auch  die  Behexten  in  die  Reihe  der  Zeugen  für  die 
Wahrheit  katholischer  Dogmen,  und  der  Teufel  selbst 
musste  aus  dem  Munde  der  Bezauberten  Zeugniss  ablegen 
für  die  Religion,  deren  Widersacher  er  ist.  In  salzburgi- 
schen Akten  haben  die  Gefolterten  deponirt,  und  man  trug 
Sorge  dafür,  dass  diess  weiter  verbreitet  wurde,  —  dass 
man  nur  durch  des  Teufels  Antrieb  dazu  komme,  den 
Heiligendienst  und  die  Ohrenbeichte  zu  verwerfen,  und 
dass  aus  der  beim  Teufelssabbath  durchstochenen  Hostie 
Ströme  von  Blut  geflossen  seien  ^).  Die  blutenden  Hostien 
vererbten  sich  jetzt  aus  den  Judenverfolgungen  auf  den 
Hexenprozess;  auch  in  bambergischen  Akten  ^)  und  in  den 
Exorcismen  von  Loudun  ^)  begegnen  wir  ihnen,  in  den 
letzteren  auch  ausdrücklichen  Zeugnissen  für  die  Trans- 
substantiation ,  die  der  beschworene  Teufel  aus  den  Be- 
sessenen heraus  ablegte. 

Ein  zweites,  sehr  wirksames  Motiv  war  die  Habsucht. 
Niemanden  ist  es  unbekannt,  wie  sehr  dieselbe  in  das  Ge- 
richtswesen des  sechszehnten  Jahrhunderts  überhaupt  ein- 
griff". „Die  Gerichtsherren,  —  sagt  U  dal  rieh  Zasius,  — 
statt  auf  dcis  gemeine  Beste  zu  sehen,  strafen  nur,  um  ihre 
Einkünfte  zu  vermehren.     Aergerlich  ist's,  im  Voraus  das 


solche  Machinationen  geschrieben  ( W,  Scott,  Br.  Üb.  Dämon.  U.  69  ff.)-  Dci> 
gleichen  Bestrebungen  kannte  auch  Jakob  I,  und  wies  sie  von  seinem  eigenen 
beschränkten  Standpunkte  in  folgender  Weise  zurück:  Quidni  enim  de  iUis 
(Dämonenaustreibungen)  jure  dubitemus,  an  facta  sint»  cum  sciamus,  quae 
nunquani  facta  sunt,  ab  illis  (Papistis)  venditari,  ut  hac  fraude  labentis  ec- 
clesiae  suae  fulciant  putredinem?  —  Deinde  vero  experientia  compertum  est, 
paucos  omnino  liberari  daemoniis,  qui  istorum  opera  curati  sunt,  Satana  tan* 
tum  ad  tempus  torturam  et  carnificinam  intermittente ,  ut  in  Pontificiani  hac- 
resin  per  falsa  miracula  alios  alliciat,  alios  in  eadem  confirmet,  omnes  super- 
stitione  captos  in  aeternam  animae  periculum  inducat.     Daemonol.  IIL  4. 

*)  Hauber  Bibl.  mag.  Bd.  III.  S,  306. 

*)  V,  Lamberg,  Beilage  Lit.  S. 

■)  Diese  berüchtigten  Ereignisse  werden  unten  erzählt  werden. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         aai 

Unglück  der  Menschen  in  Anschlag  zu  bringen,  und  ver- 
damnilich  ist  daher  die  Sitte,  beim  Verkauf  der  Güter, 
mit  denen  peinliche  Gerichtsbarkeit  verknüpft  ist,  die  Stra- 
fen mit  zum  Bestände  der  Einkünfte  zu  rechnen"  i).  Wie 
aber  diese  niederträchtige  Triebfeder  ganz  besonders  auf 
die  Hexenprozesse  wirkte,  das  erkannten  schon  unter  den 
Zeitgenossen  die  Scharfsichtigeren.  Der  Kanonikus  Loos, 
dem  die  Freimüthigkeit,  mit  welcher  er  gegen  solchen 
Unftig  auftrat,  mehrmals  Kerkerstrafe  zuzog,  nannte  diese 
Prozesse  eine  neuerftmdene  Alch5miie,  durch  welche  man 
aus  Menschenblut  Gold  und  Silber  mache.  Vierzig  Jahre 
später  sagte  Friedrich  Spee,  dass  Viele  nach  den 
Verurtheüungen  der  Zauberer  hungerten,  „als  den  Brocken, 
davon  sie  fette  Suppen  essen  wollten".  Die  Bauten  und 
Ankäufe  mancher  Richter  entgingen  selbst  der  Aufmerk- 
samkeit des  Pöbels  nicht.  Und  in  der  That  konnte  es  fiir 
eine  Behörde,  die  ihre  Sache  verstand,  keine  bessere  Finanz- 
operation geben.  Die  Güter  der  Verurtheüten  wurden 
auf  dem  Wege  der  Confiskation  oder  unter  andern  Titeln 
eingezogen;  Inqmsitoren  und  Richter  nahmen  entweder 
eine  beträchtliche  Quote,  oder  reichliche  Sportein;  auch 
Denunciant,  Häscher*)  und  Scharfrichter  waren  bedacht. 
Nun  war  aber  keine  andere  Untersuchung  so  gänzlich 
nach  Belieben  einzuleiten  und  zu  verzweigen,  als  die  wegen 
Zauberei.  Jeder  andere  Prozess  verlangte  doch  die  Er- 
hebung eines  objektiven  Thatbestandes  und  war  an  feste 
Formen  und  Grrenzen  gebunden ;  bei  der  Zauberei  ist  Alles 
gesagt,  wenn  man  daran  erinnert,  dass  sie  ein  crimen  ex- 
ceptum  war.  Jedes  Indizium,  jedes  Verfahren,  jeder  Be- 
weis galt,  nur  der  des  Alibi  nicht.  Richter  und  Folter- 
knecht mussten  entweder  sehr  ehrlich,  oder  sehr  unge- 
schickt, oder  abgefunden  sein,  wenn  sie  nicht  aus  dem 
ersten  Angeklagten  Stoff  zu  zehn,  zwanzig  oder  mehr  neuen 

')  Henktf  Grundr.  einer  Geschichte  des  deutschen  peinl.  Rechts.  Sulz- 
bach 1809.  Th.  I.  S.  319. 

')  Der  offenburger  Magistrat  versprach  1628  Jedem  ^  der  eine  Hexe  ein- 
liefere, zwei  Schilling  Pfenning  Fanggebühr.  Schreiber,  die  Hexenpr.  im 
Breisgau,  S.  18. 


^^2  Siebenzchntes  Kapitel. 

Prozessen  herauspressten.  Bei  Mord  und  Raub  ergfab  sich 
die  Zahl  der  in  dem  Gerichtssprengel  begangenen  Ver- 
brechen aus  der  Wirklichkeit,  bei  der  Zauberei  waren  es 
eben  so  gut  tausend,  als  ein  einziges;  dort  bestimmte  die 
That  den  Richter,  hier  der  Richter  die  That.  Darum  darf 
es  nicht  befremden,  wenn  in  manchen  Bezirken  zehn  er- 
giebige Hexenprozesse  auf  eine  einzige  Hinrichtung  wegen 
Strassenraubs  kommen. 

„In  dem  Rechte  —  sagt  Agrippa  ^)  —  ist  ausdrück- 
lich bestimmt,  dass  den  Inquisitoren  über  Verdacht,  Ver- 
theidigung,  Beschützung  und  Begünstigung  einer  Ketzerei 
keine  Jurisdiction  zustehe,  sobald  nicht  erwiesen  ist,  dass 
eine  offenbare  und  ausdrücklich  verdammte  Ketzerei  vor- 
liege. Aber  diese  blutgierigen  Geier  gehen  über  ihre 
Privilegien  hinaus  und  drängen  sich  gegen  alle  Rechte 
und  kanonischen  Bestimmungen  in  die  Jurisdiction  der 
Ordinarien  ein,  indem  sie  sich  anmassen,  auch  über  solche 
Dinge,  die  gar  nicht  ketzerisch,  sondern  nur  anstössig  oder 
sonst  irrthümlich  sind,  abzuurtheilen.  Gegen  arme  Bauern- 
weiber  wüthen  sie  auf  das  Grausamste  und  unterwerfen 
die  wegen  Zauberei  Angeklagten  oder  Denuncirten,  oft 
ohne  dass  das  mindeste  rechtsbeständige  Indizium  vorliegt, 
einer  schrecklichen  und  maasslosen  Folter,  bis  sie  ihnen 
das  Bekenntniss  von  Dingen,  an  welche  dieselben  nie  ge- 
dacht haben,  auspressen,  um  einen  Vorwand  zur  Ver- 
urtheilung  zu  gewinnen.  Sie  glauben  nur  dann  ihres 
Namens  würdig  zu  sein,  wenn  sie  nicht  eher  ablassen,  als 
bis  die  Arme  entweder  verbrannt  ist,  oder  dem  Inqui- 
sitor Gold  in  die  Hände  gedrückt  hat,  damit  er  sich  er- 
barme und  sie  durch  die  Folter  gerechtfertigt  finde  und 
freispreche.  Der  Inquisitor  vermag  nicht  selten  eine  Leibes- 
strafe in  eine  Geldstrafe  zu  verwandeln  und  diese  seinem 
Inquisitionsgeschäfte  zuzuwenden,  woraus  ein  nicht  uabe- 


*)  De  vanitate  scientiarum  cap.  c;^.  De  arte  Inquisitorum.  —  Vgl.  hierzu, 
was  Cardanus  (De  rerum  varietate  Lib.  XV.  Cap.  8o)  über  diese  Prozesse 
sagt:  Olim  permissum  erat»  ut  iidem  accusarent  cöndemDarentque ,  ad  quos 
bona  damnatorum  perveniebant.  Unde,  ne  hos  miseros  adeo  injuste  damnare 
viderentur,  multas  fabulas  addebant. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         aa^ 

trächtlicher  Gewinn  gezogen  wird.  Sie  haben  unter  jenen 
Unglücklichen  nicht  wenige,  die  eine  jährliche  Steuer 
zahlen  müssen»  um  nicht  von  Neuem  vor  Gericht  gezogen 
zu  werden^  Da  man  überdiess  die  Ketzergüter  confiscirt, 
so  macht  der  Inquisitor  auch  daran  eine  schone  Beute, 
und  da  endlich  die  Anklage  oder  Denunciation ,  ja  selbst 
der  leiseste  Verdacht  der  Zauberei  und  sogar  die  Vor- 
ladung einen  Makel  nach  sich  zieht,  der  nur  dadurch  ge- 
heilt wird,  dass  man  dem  Inquisitor  Geld  gibt,  so  macht 
auch  dieses  etwas  aus.  Vermöge  dieser  Cautel  misshan- 
-delten,  als  ich  in  Italien  war,  die  meisten  Inquisitoren  im 
Mailändischen  viele  unbescholtene  Frauen,  auch  aus  dem 
vornehmeren  Stande,  und  erpressten  so  im  Stillen  unge- 
heure Summen  von  den  Geängstigten.  Als  der  Betrug 
herauskam,  fiel  der  Adel  über  sie  her,  und  sie  entrannen 
nur  mit  Noth  dem  Feuer  und  dem  Schwerte." 

Gleichzeitig  verfolgten  in  Deutschland  die  bischoflichen 
Officialate,  wenn  gleich  etwas  glimpflicher,  ihren  Gewinn. 
War  eine  Person  in  bösen  Leumund  gerathen,  so  lud  sie 
der  Official  vor,  Hess  sie  einen  Reinigungseid  schwören 
und  nöthigte  ihr  dann  einen  lossprechenden  Urtheilsbrief 
auf,  der  mit  2^4  Gulden  bezahlt  wurde.  Dieser  Punkt 
Ijildet,  unter  namentlicher  Hervorhebung  der  Zauberei, 
die  siebenundfünfzigste  unter  den  Beschwerden,  welche 
der  Nürnberger  Reichstag  von  1522  gegen  den  römischen 
Stuhl  erhob. 

In  Trier,  wo  unter  dem  schwachen  Jesuitenfreunde 
Johann  VI.  das  Uebel  auf  den  höchsten  Grad  stieg,  waren 
zwar  Aecker  und  Weinberge  aus  Mangel  an  Arbeitern 
verödet,  aber  Notarien,  Actuarien  und  der  Nachrichter 
waren  reich  geworden.  Der  letztere  ritt,  in  Gold  und 
Silber  gekleidet,  auf  einem  stolzen  Pferde;  seine  Frau 
wetteiferte  in  ICleiderpracht  mit  den  vornehmsten  Damen. 
Als  jedoch  das  Uebermaass  des  Elends  die  Sporteltaxe 
endlich  etwas  zu  ermässigen  gebot,  war  alsbald  auch  einige 
Abnahme    des   Verfolgungseifers   bemerkbar  ^) ,    obgleich 

*)  Subitoque    sicut    in    hello   deficiente   pecuöiae   nervo  cessavit  impetus 
inquirentiun).    —  Linden  in  Gest.  Trevir.  ed.  Wytlenb.,  Vol.  III.  p.  54» 


^^^  Siebenzehntes  Kapitel. 

auch  jetzt  noch  der  Notarius  täglich  einunddreissig  Albus 
und  der  Nachrichter  für  Jeden,  der  unter  seine  Hände 
kam ,  1  ^2  Gulden  erhielt.  Zu  Coesfeld  bezog  der  Nach- 
richter 1631  binnen  sechs  Monaten  169  Rthlr.-  allein  für 
seine  Bemühungen  an  den  Hexen  ^).  Der  zu  Coburg  ver- 
anlasste um  dieselbe  Zeit  für  sich,  seine  Pferde,  Knechte 
und  Boten  in  Jahresfrist  einen  Kostenaufwand  von  mehr 
als  1 100  Gulden  ^).  An  manchen  Orten  erhielt  der  Richter, 
wie  Spee  versichert,  von  jedem  Kopfe  4  bis  5  Rthlr.; 
und  doch  hatte  Karl's  V.  peinliche  Gerichtsordnung  sehr 
treffend  den  Richter,  der  „von  jedem  Stuck  sein  belonung 
het",  mit  dem  Nachrichter  verglichen.  Unter  den  eng- 
lischen Hexenfindem  nahm  Hopkins  Transportkosten,  freie 
Station  und  Diäten;  ein  Schotte,  der  nach  Newcastle  ent- 
boten wurde,  erhielt  ausser  der  Vergütung  der  Reisekosten 
20  Schillinge  für  jede  entdeckte  Zauberin'). 

Von  besonderem  Interesse  ist,  was  in  dieser  Beziehung 
neuerdings  aus  Oesterreichisch-Schlesien  und  Mähren 
mitgetheilt  wird  ^).  Dort  suchte  man  zur  Leittmg  eines 
Hexenprozesses  oder  eines  Complexes  desselben  einen  darin 
erfahrenen  Mann  zu  gewinnen,  und  indem  selbst  unter  den 
Amt-  und  Hofleuten  der  Gerichtsherren  sich  selten  solche 
fanden,  die  dazu  bereit  oder  geneigt  gewesen  wären,  so 
musste  die  Gerichtsherrschaft  bei  der  geringen  Ausw^ahl, 
die  man  hatte,  guten  Lohn  geben.  Die  Hexenrichterei 
wurde  also  zum  Gewerbe,  von  dem  man  lebte.  Ein  ims 
namhaft  gemachter  Hexenrichter  Namens  Boblig  erhielt 
von  der  Gerichtsherrschaft,  der  Gräfin  Galle,  Kost  und 
bequeme  Wohnung  für  sich  und  seinen  Diener,  ausserdem 
einen  Reichsthaler  täglich  und  für  Commissionsreisen   die 


')  Nies  er  t  S.   100. 

*)  Leib,  Consilia,  responsa   ac   deducliones  juris  variae,  Francof,    1666« 

p.  124. 

')  Hutchinson,  Histor.  Versuch   Über   die  Zauberei,    Cap.  4.     A  triftl  of 

witches  at  the  assizes  held  at  Bury  St.  Edmonds,  1664.    London  1838.  p.  25. 

*)  „Zur  Geschichte  des  Glaubens  an  Zauberer,   Hexen  und  Wampyrc  in 

Mähren   und  Oesterreichisch-Schlesien'*   von   Bischof  und    cTEIwert  und  JRos^ 

koff,  II.  332  flf. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         ^^^ 

Üblichen,  nicht  unbedeutenden  Zehr-  und  Wartegelder. 
Die  nämliche  Bezahlung  erhielt  er  auch  vom  Fürsten  von 
Liechtenstein,  als  die  Prozesse  auf  dessen  Gebiet  hinüber- 
gespielt worden  waren,  und  diese  Bezahlung  wurde  bei 
weiterer  Ausdehnung  der  Hexenverfolgung  noch  bedeutend 
erhöht.  —  Eben  dieselbe  Bezahlung,  wie  er  sie  anderwärts 
bekam,  sagte  auch  der  Fürstbischof  von  Olmütz  dem  Boblig 
zu,  als  er  ihm  die  Leitung  des  Prozesses  gegen  den  De- 
chant  Lauthner  von  Schönberg  übertrug.  Inzwischen  hatte 
Boblig  auch  in  Prossnitz  zwei  Weiber,  Elisabeth  Brabe- 
netzki  und  Katharina  Wodak,  auf  den  Scheiterhaufen  ge- 
bracht, und  dafür  täglich  3  Gulden,  in  Summa  246  Gulden 
erhalten.  —  Erwägt  man  nun,  dass  die  Hexenrichter  keine 
anderweite  Stellung  einnahmen,  sondern  lediglich  von  der 
Verfolgimg  der  Hexen  lebten,  so  begreift  es  sich  leicht, 
dass  dieselben  an  der  ununterbrochenen  Weiterverbreitung 
der  Hexenprozesse  das  grösste  Interesse  haben  mussten. 
Die  von  Bischof  eingesehenen  Akten  lassen  es  deutlich 
wahrnehmen ,  wie  eifrig  Boblig  darauf  bedacht  war,  die 
Hexenprozesse  nicht  ins  Stocken  kommen  zu  lassen.  An 
vielen  Orten  erhoben  sich  daher  Klagen  über  den  Auf- 
wand der  Henker  imd  ihrer  Weiber,  dass  diese  in  seidenen 
Kleidern    einherrauschten   oder  gar  in  Kutschen    fuhren. 

Agrippa  von  Nettesheim  erzählt  auch,  dass  einzelne 
Inquisitoren  gewisse,  der  Hexerei  verdächtige  Personen 
zu  besteuern  pflegten,  und  dass  diese  gern  die  jährliche 
Rente  zahlten,  weil  sie  sich  nur  dadiurch  vor  der  Ein- 
ziehung schützen  konnten. 

Der  Scharfrichter  von  Dieburg  (in  der  hessischen 
Provinz  Starkenburg)  verrechnete  sich  für  die  Jahre  1628 
und  1629  die  enorme  Summe  von  253  fl.  i3*/2  Batzen.  In 
dieser  Rechnung  befinden  sich  43  Personen,  die  ä  3  fl. 
hingerichtet  wurden,  und  23  Personen,  „wie  es  sein  Ver- 
fahren gehabt,  als  wären  dieselben  justificirt  worden" 
k  3  fl. *).     (Waren  dieselben  im  Gefangniss  erdrosselt?) 

Spee  kannte  einen  Inquisitor,    der  sein  Geschäft  auf 


>)  MaUe»,  Neueste  Weltk.   1843.  B.  I.  S.  lll. 


446  Sieben  zehntes  Kapitel. 

folgende  Weise  betrieb.  Zuerst  liess  er  durch  seine  Leute 
das  Landvolk  bearbeiten,  bis  dieses  sich  vor  lauter  Hexen« 
furcht  nicht  mehr  zu  fassen  wusste  und  den  Schutz  des 
Inquisitors  anflehte.  Nun  nahm  er  die  Miene  an,  als  riefen 
ihn  seine  Geschäfte  anderswohin,  liess  sich  jedoch  durch 
eine  zusammengeschossene  reichliche  Arrha  bewegen,  zu 
erscheinen,  leitete  auch  die  Untersuchimg  ein,  redete  aber- 
mals von  seinen  anderweitigen  Obliegenheiten,  sammelte 
nochmals  Geld  und  begab  sich  dann  in  ^n  anderes  Dorf, 
um  dasselbe  Spiel  von  vomen  anzufangen  ^). 

Neben  dem  Gewinne,  der  von  dem  Vermögen  des 
Verfolgten  ausfloss,  wurde  auch  noch  der  Bezauberte 
mannichfach  besteuert.  Eine  reiche  Ernte  hatten  die 
Pfaffen,  wo  sie  einzuleiten  verstanden,  dass  es  zur  Ab- 
wendung oder  Heilung  eines  sogenannten  morbus  male- 
ficialis  Messen  zu  lesen  oder  Exorcismen  anzustellen 
gab;  danmi  kamen  ihnen  die  Beheximgen  nie  häufig  ge- 
nug. Terminirende  Bettelmönche  zogen,  —  wie  in  einigen 
Gegenden  noch  vor  nicht  langer  Zeit  —  mit  ganzen  Säcken 
sogenannten  Hexenrauchs  umher  und  spendeten  ihn  als 
Schutzmittel  gegen  Zauberei  für  reichliche  Gaben  aus. 

In  Grossenbuseck  ereignete  sich  folgender  Fall.  Ein 
Judenkind  soll  von  einer  alten  Frau  bezaubert  sein;  die 
Sache  kommt  zur  Untersuchung.  Dem  Vater  wird  der 
Eid  zuerkannt;  da  der  Richter  indessen  mit  der  Form  des 
Judeneides  nicht  hinlänglich  bekannt  ist,  so  wendet  er  sich 
an  seinen  Gevatter,  den  Dr.  Komacher,  btiseckischen 
Syndikus,  zu  Giessen.  Dieser  gibt  die  nothige  Anweisung, 
legt  ein  Begleitungsschreiben  bei,  in  welchem  er  Einiges 
nachträgt,  klagt  darin  aber  zugleich  auch  über  die  Theu- 
rung  des  Kalbfleisches  in  Giessen,  bemerkt  dann  dem  Ge- 
vatter, dass  er  für  das  bevorstehende  Fest  noch  nicht  ver* 
sehen  sei,  und  scbUesst  mit  dem  Ansinnen:  Ich  halte  da» 
für,  der  Jude  solle  wohl  ein  Kalb  ausmachen  können«  Mit 
sonderbarer  Naivetät  ist  dieses  Schreiben  den  Akten  ein- 
verleibt worden. 

»)  Caut.  Crim.  Quaest.  XVI.  6. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         AAy 

Doch  der  morbus  maleficialis  war  auch  wiederum  ein 
Kapital,  das  dem  Behafteten  selbst  Renten  trug.  Viele 
Taug^enichtse  spekuKrten  darauf,  wie  heutzutage  die  Bettler 
auf  ihre  fingirte  Kruppelhaftigkeit.  In  Deutschland ,  Hol« 
land  und  England  hat  man  sogar  Kinder  gesehen,  die 
mit  erstaunlicher  Verschlagenheit  ihre  einträgliche  Rolle 
Monate  lang  fortspielten,  bis  sie  endlich  entlarvt  wurden. 
Auch  protestantische  Geistliche  haben  sich  durch  solche 
Gaukeleien  betrügen  lassen  und  salbungsreiche  Gebete 
angestellt.  Balthasar  Bekker  kannte  einen  schulkranken 
Knaben  in  Oberyssel,  der  die  Obrigkeit  als  Bezauberter 
äffte:  er  gab  Nadeln  mit  dem  Urin  von  sich,  vomirte 
Zöpfe,  Scherben  und  lateinische  Exercitien;  erst  spät  merkte 
man  den  Betrug,  imd  das  alte  Weib,  das  ihn  behext  haben 
sollte,  ward  nur  mit  Mühe  gerettet*).  —  Der  ehrwürdige 
Agobard  von  Lyon  hatte  für  dergleichen  Fälle  andere 
Mittel,  als  Exorcismen  und  Gebete.  Als  man  einst  eine  so- 
genannte Besessene  vor  ihn  brachte,  liess  er  sie  auspeitschen, 
und  es  ergab  sich  alsbald,  dass  die  ganze  Besessenheit 
nur  um  der  erwarteten  Almosen  willen  angenommen  war. 
Solche  vorurtheilsfreie  Männer,  welche  im  Karolingischen 
Zeitalter  lebten,  besass  das  sechszehnte  und  siebenzehnte 
Jahrhundert  wenige.  Doch  liest  man  vom  Bischöfe  von 
Amiens,  dass  er  Agobard's  Beispiel  an  einer  ähnlichen 
Betrügerin  im  Jahr   1587   mit  Erfolg  nachgeahmt  habe^). 

Die  Triebfeder  der  Habsucht,  in  Verbindung  mit  der 
jammervollen  Befähigung  der  Justitiarien ,  ist  es  haupt- 
sächlich, was  die  Erscheinung  erklärt,  dass  unter  den 
protestantischen  Gebieten  Deutschlands  gerade  die  klei- 
neren, besonders  die  ritterschaftlichen  Territorien  verhält- 
nissmässig  die  meisten  Hinrichtungen  aufzuweisen  haben. 
Hier  lieferten  die  Hexenverfolgungen  den  oft  beschränkten 
Finanzen  der  kleinen  Herren  einen  stets  willkommenen 
Zuschuss  für  sie  selbst  und  ihre  Diener,  am  meisten  zu 
der  Zeit,    als   das  Elend  des  dreissigj ährigen  Kriegs  ihre 


*)  Bezauberte  Welt  Bch,  IV.  Cap.  10. 
2)  ^auÖ£r  Bibl.  mag.  Bd.  I.  S.  498. 


AA^  Siebeozehntes  Kapitel. 

Kassen    geleert   und   die   Gemüther  bis  zum  Aeussersten 
verwildert  hatte  *). 

Ein  merkwürdiges  Aktenstück  hierzu  gibt  Horst  in 
seiner  Dämonomagie  (Th.  11.  S.  369).  Der  Justizamtmann 
Geiss  zu  Lindheim,  ein  ehemaliger  Soldat  und  ohne  alle 
juristische  Bildung,  schrieb  1661  an  seine  adeligen  Herren: 
dass  neuerdings  das  Zauberwesen  wieder  ausbreche»  „dass 
auch  der  mehren  Theilss  von  der  Burggerschaft  sehr  dar- 
über bestürzet  und  sich  erbotten,  wenn  die  Herrschaft  nur 
Lust  ztmi  Brennen  hätte,  so  wollten  sie  gerne  das  Holtz 
darzu  und  alle  Unkosten  erstatten,  undt  konndte  die 
Herrschaft  auch  so  viel  bei  denen  bekommen, 
dass  die  Brügck  wie  auch  die  Kierche  kendten 
wiederumb  in  guten  Stand  gebracht  werden.  Noch 
über  dass  so  kendten  sie  auch  so  viel  haben,  dass  deren 
Diener  inskünftige  kendten  so  viel  besser  be- 
suldet  werden,  denn  es  dürflFten  vielleicht  gantze Häusser 
und  eben  diejenigen,  welche  genung  darzu  zu 
thun  haben,  infociret  (inficiret?)  se5m.** 

Dieser  Geiss  nun  war  es  auch,  welcher  den  grossen 
lindheimischen  Hexenprozess  leitete  und  ausbeutete»  Er 
setzte  sich  z.  B.  für  einen  Ritt  nach  einem  zwei  Stunden 
entlegenen  Städtchen  5  Rthlr.  Gebühren  an-  Aus  einer 
von  ihm  selbst  gestellten  Rechnung  ergibt  sich,  dass  er 
sich  bei  den  verschiedenen  Verhaftungen  allein  an  baarem 
Gelde  eine  Summe  von  188  Rthlr.  18  Alb.  zugeeignet  hat. 
Ausserdem  setzt  sich  Geiss  zu  gut: 

Pag.  13.     Itemb  von  denen,  so  aus  der  custodia 

im  Hexenthurn   gebrochen  imdt  wass  ich  an 

Unkosten  ausgeleget: 

Johann  Schüler 20  Rthlr. 

Seine  Frawen 10 

Peter  Weber  Rest  noch 5 

Hanss  Peppel  Rest  noch 10 


tt 


')  Die  »Rcfusion  der  Kosten"  vertrat  hier  oft  geradezu  die  Stelle 
der  Confiskation ,  deren  Namen  man  in  protestantiv:hen  LAndera  nicht 
gern  in  den  Mund  nahm.    Ueber  llenneberg  z.  B.  s.  Lei^  Consil.  p.  137. 


Allgemeine  Grunde  der  Verbreitung  der  Hexen prozesse  etc.         ^.^q 

Henrich  Broch  Rest  noch lo  Rthlr. 

Hanss  Peppelss  Frawen 20       „ 

Hanss  Annigs  Frawen 20       „ 

u.  s.  w. 

Was  er  sich  an  Vieh  aus  den  Ställen  der  lindheimer 
Unterthanen  zugeeignet,  hat  er,  wie  eine  spätere  Unter- 
suchung ergab,  nicht  jederzeit  aufzuschreiben  für  nöthig 
erachtet. 

Um  zu  zeigen,  dass  auch  die  Häscher  ihre  Emolu- 
mente  hatten,  ziehen  wir  aus  den  Geissischen  Rechnungen 
noch  einige  Posten  aus  *) : 

Pag.  15.     Dem  Wihrth  zu  Hainchen 

[V2  Stunde  von  Lindheim]  NB.  Was 

die  der  Hexenkönigin  nachgesetzed- 

ten  Schützen   daselbst  vertrunken .     2  Rthlr.     7  Alb. 
Pag.  16.     Den  29.  Julyus  dem  Keller 

zu  Geldern  bei  der  Hexenverfolgung 

in  Beyseyn  Herrn  Verwaltern  .     .12  Rthlr.   15  Alb. 
Pag.   18.  Den  12.  Januarii  1664  Hanns 

Emmeichen  zu  Bleichenbach  [2  St. 

von  Lindheim]  wass  der  Ausschuss 

bei  der  Hexenjagt  allda  verzehret, 

NB.    in  zwey  Tag   daselbsten   ver- 
soffen     8  Rthlr. 

u.  s.  w. 

Ueber  die  Kosten  der  grossen  Prozesse,  welche  1662 
und  1663  zu  Esslingen  vorkamen  und  über  welche  Pf  äff 
(in  derZeitschr.  für  deutsche  Kulturgesch.)  1856  berichtet 
hat,  wird  mitgetheilt,  dass  dieselben  aus  dem  Vermögen 
der  Justifizirten  und  aus  den  Strafgeldern  gedeckt  wurden. 
Bis  zum  30.  Juni  1663  hatte  man  2300  fl.  aufgewendet  und 
2045  fl.  eingezogen.  Was  für  die  vielen  (bei  den  Juristen- 
fakultäten zu  Tübingen,  Heidelberg,  Strassburg)  einge- 
holten Gutachten  bezahlt  wurde,  ist  unbekannt.  Von  den 
Geistlichen,  welche  mit  der  Seelsorge  der  Verhafteten  viel 


*)  Horst  Dämonomagie  Bd.  IL  S.  436  f. 
Soldan-Heppe,  Hexenprozesse.  29 


4  CO  SiebeDzebntes  Kapitel, 

ZU  thun  hatten,  erhielt  nach  Beschluss  vom  20.  Sept.  1664 
jeder  drei  Tonnen  Ehrenwein,  wobei  dieselben  wiederholt 
ermahnt  wurden ,  in  ihren  Schranken  zu  bleiben  und  den 
Untersuchungsrichtern  nicht  in  ihr  Amt  zu  greifen.^  Diese 
selbst  erhielten  vom  Spital  für  jedes  Verhör  eine  Kanne 
Wein  und  einen  Laib  weisses  Brot.  Dasselbe  bekam 
wöchentlich  der  aufwartende  Knecht,  Auch  die  Wein- 
zieher,  Kommeister  und  Wächter  auf  der  Burg  wurden 
für  ihre  Dienste  bei  den  Hinrichtungen  mit  Brot  und  Wein 
vom  Spital  belohnt.  Dem  Scharfrichter  Deigentesch  ver- 
willigte man  am  i.  Dezember  1664  eine  ausserordentliche 
„Ergötzlichkeit"  von  20  fl.  wegen  seiner  vermehrten  Ge- 
schäfte und  weil  er  die  herbeigezogenen  fremden  Scharf- 
richter hatte  traktiren  müssen. 

Nach  einer  Originalrechnung  des  Raths  von  Zuck- 
mantel vom  20.  Oktober  1639  brachte  das  Einäschern  von 
elf  Hexen  425  Rthlr.  ein.  (Man  bedenke  den  damaligen 
Geldwerth !) 

Davon  empfing: 

der  Bürgermeister      .     .       9  Thlr.     6  Gr. 


9 
18 

18 

Q 

9 


6 


12    „ 

12     „ 

6    „ 

6     „ 


der  Rath 

der  Vogt 

die  Gerichtsschöppen 

der  Stadtschreiber 

der  Stadtdiener  .  . 
Der  Ueberrest  von  351  Thlm.  23  Groschen  wurde  dem 
Fürstbischof  von  Breslau  als  dem  Landesherm  eingehän- 
digt. Da  das  Urtheil  über  die  Hingerichteten  in  Neisse 
gefallt  war,  so  hatte  der  Rath  von  Zuckmantel  diesmal 
nur  halbe  Gebühren  erhalten;  sonst  würde  er  doppelt  so 
viel,  nämlich  ein  Schock  Groschen  für  den  Kopf  empfangen 
haben  ^). 

Auch  in  buseckischen,  burg-friedbergischen  und  vielen 
andern  Akten  finden  sich  ganz  enorme  Posten  für  Be- 
wirthung  des  Gerichts  und  der  Häscher  angesetzt.  Als 
in    einem    friedbergi sehen    Prozesse    das  Gerichtspersonal 


*)  pHexenproresse  in  Nci'ise'*,  S.   13. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         ^^^i 

nach  gehaltenem  peinKchen  Gerichte  auf  Kosten  des  An- 
geklagten schmauste  und  der  Prälat  von  Arnsburg  zu- 
fallig dazukam,  liess  man  noch  etliche  Flaschen  Wein 
kommen,  und  auch  diese  wurden  dem  Manne  zur  Last 
gesetzt.  Der  Beschuldigte  überstand  Verhöre  und  Folter 
mit  seltenem  Muthe,  wurde  zuletzt  aus  dem  Lande  gejagt 
und  musste  nach  Ausweis  der  Akten  404  fl.  4g  kr.  an 
Kosten  bezahlen,  wobei  jedoch  die  Deserviten  seines  De- 
fensors,  die  Abschlagszahlungen  an  die  Wächter  imd  an- 
dere Posten  nicht  mitgerechnet  sind^). 

Wenn  Hass  und  Rachsucht  überhaupt  oft  genug 
Motive  zur  Denunciation  von  Verbrechen  gewesen  sind, 
so  hatten  sie  bei  keinem  ein  freieres  Spiel,  als  bei  der 
Zauberei,  wo  sie  des  Erfolgs  so  sicher  sein  durften.  Wie 
konnte  man  sich  eines  Feindes,  eines  Nebenbuhlers,  eines 
Ueberlästigen  leichter  entledigen?  Grandier's  Geschichte 
nimmt  in  dieser  Kategorie  eine  der  ersten  Stellen  ein; 
Weiber  in  England  wurden  damals,  wenn  der  Ehegatte 
ihrer  überdrüssig  war,  nicht  nur  als  Waare  am  Stricke 
auf  den  Markt,  sondern  auch  als  Hexen  dem  Strange  des 
Henkers  zugeführt  2);  ein  elfjähriges  Mädchen  zu  Paisley 
rächte  sich  nach  einem  Zank  mit  der  Hausmagd  dadurch, 
dass  es  sich  besessen  stellte,  und  führte  seine  Rolle  so 
geschickt  durch,  dass  zwanzig  Personen  auf  sein  Zeugniss 
hin  verurtheilt  wurden,  von  welchen  fünf  wirklich  den  Tod 
erlitten  (1697)  3).  Oft  griffen  Angeklagte  zur  Denunciation 
Vornehmer,  um  durch  deren  Einfluss  die  Niederschlagung 
des  Ganzen  zu  erwirken ;  oft  aber  war  es  auch  dem  Ver- 
zweifelten eine  schauderhafte  Genugthuung,  Personen,  die 
er  im  Leben  gehasst  und  beneidet,  oder  die  er  als  Urheber 


')  Burg-fricdb.  Originalakten ,  Ruhr.  In  Sachen  Inquisit.  ex  offic.  et 
Fiscalis  ca.  Johannettam  Quantsin  von  Rodenbach  und  Johannes  Feuerbach 
von  Altstadt,  pto.  Zauberei.  De  Anno  1663  usque  1666.  —  Es  war  fast 
allgemeine  Praxis,  dass,  wer  gefoltert  war,  die  Kosten  zu  zahlen  hatte,  auch 
wenn  er  fQr  unschuldig  erklärt  wurde.  Ueber  Eisenach,  Coburg  und  Henne- 
berg s.  Leib  Consilia  p.  126. 

*)  Reginald  Scot  bei  SchdUma  Geschiedenis   der  Heksenprocessen  p.  62. 

')    Walter  Scott  Br.  üb.  Däm.  Th.  II.  S.   199. 


^e^  Siebenzehntes  Kapitel. 

dualistische  Weltanschauung'  erwachsen,  welche  sich  von 
dem  eigentlich  sogenannten  Dualismus  nur  dadurch  unter- 
schied, dass  man  den  Bestand  der  Herrschaft  des  Teufels 
über  die  gefallene  Welt  aus  göttlicher  Zulassung  ableitete  ^). 
Die  Angehörigen  des  Teufels,  durch  welche  dieser 
den  wahren  Christenleuten,  den  Angehörigen  Gottes,  un* 
ablässig  allerlei  Schaden  an  'Leib ,  Seele  und  Gut  zuzu- 
fügen trachte,  nannte  man  Zauberer  und  Hexen.  Gegen 
die  geheimen  Anläufe  derselben  gewährte  die  Kirche  den 
Gläubigen  thunlichsten  Schutz  durch  ihre  Exorcismen, 
durch  ihr  Weihwasser,  durch  die  Kraft  des  Kreuzeszeichens 
und  allerlei  geweihten  Dinge  (Amulette).  Auch  wurden 
notorische  Zauberer  und  Hexen  vorkommenden  Falles  von 
ihr  ganz  ebenso  gemassregelt,  wie  diejenigen,  welche  als 
Ketzer  ihren  Abfall  von  der  Kirche  und  von  Gott  kund- 
gegeben hatten.  Allein  Satans  Macht  war  gewaltiger  und 
die  Zahl  seiner  Werkzeuge  unter  den  Menschen  war 
grösser,  als  dass  die  Mittel  der  Kirche  den  Gläubigen 
gegen  die  im  Verborgenen  schleichende  Tücke  des  Bösen 
den  nöthigen  Schutz  hätte  gewähren  können.  Von  dieser 
Ueberzeugung  war  die  ganze  abendländische  Christenheit 
erfüllt,  als  Papst  Innozenz  VIII.  durch  seine  Hexenbulle 
zu  einem  Kampfe  ganz  anderer  Art  gegen  den  Teufel 
und  dessen  Reich  aufrief.  Der  Teufel  sollte  jetzt  durch 
Aufspürung  und  Ausrottung  seiner  Werkzeuge,  der  Zau- 
berer und  Hexen,  bekämpft  und  unschädlich  gemacht 
werden.  Daher  gewann  jetzt  die  Hexenverfolgung  einen 
ganz  neuen  Anfang. 


^)  Sehr  richtig  ist,  was  Z.  H^,  E.  Rauiot-nhcff  in  seiner  Geschiedenis  van 
het  Protestanlisme,  T.  II.  p,  l8o — l8l  von  jener  Zeit  sagt:  Eigcnlijk  bestond 
de  cliristelijke  Theologie  uit  twee  deelen,  waarvan  mcn  kan  betwijfelcn,  aan 
welk  van  beiden  de  meeste  waarde  werd  geheclil :  het  geloof  aan  God  en  het 
geloof  aan  den  Duivel.  Zoo  als  natuur  en  menschheid  onder  de  macht  ston- 
den  van  God,  zoo  ook  onder  die  van  den  Duivel.  Zoo  als  God  zijne  engelen 
en  goedegasten  had  tot  redding  den  menschen .  zoo  ook  de  Duivel  zijne  Ira* 
Wanten  tot  hun  verderf.  Zoo  als  God  zyne  vromen  door  hooger  geest  bezielde 
en  hun  wondermacht  verleende,  zoo  verkoos  ook  de  Duivel  zijne  gunsthlingeo 
uit  de  menschen  en  gaf  hun  beveti  natuurlijkc  macht  om  kwaad  tc  doen  en 
onheil  te  stiebten. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.         ^cc 

Die  allgemeine  Ausbreitung  und  die  lange  Dauer  der- 
selben erklärt  sich  also  zunächst  aus  dem  die  Kirche  da- 
mals  beherrschenden  Teufels-  und  Hexenglauben,  über- 
haupt aus  dem  Aberglauben  der  Zeit;  dazu  aber  kam, 
dass  um  diese  Zeit  in  Deutschland  im  Kriminalprozess  ein 
völlig  neues  Verfahren  und  ein  völUg  neues  Beweissystem 
eingeführt  ward,  wodurch  eine  Einrichtung  des  Hexen- 
prozesses möglich  ward,  bei  der  man  nothwendig-  alle 
Hexen  und  Hexereien,  die  man  nur  irgend  aufspüren 
wollte,  nothwendig  auch  finden  musste. 

Der  Inquisitionsprozess  machte,  vne  Tvir  sahen, 
den  Richter  von  allen  Fesseln  frei,  ermöglichte  es  dem- 
selben inquisitorisch  vorzugehen  wo  er  nur  wollte  —  denn 
der  Hexerei  verdächtig  waren  so  ziemlich  Alle,  sobald 
sie  darauf  angesehen  wurden,  —  und  gab  die  Verhafteten 
ganz  und  gar  seiner  Willkür  preis.  Dem  entsprach  das 
neue  Beweisverfahren.  Dasselbe  war  lediglich  auf 
Zeugenaussagen  imd  auf  das  Geständniss  des  Angeschul- 
digten basirt.  Die  wünschenswerthe  Zeugenaussage 
war  aber  um  so  leichter  zu  gewinnen,  als  die  Namen  der 
Zeugen  nicht  genannt  zu  werden  brauchten,  und  zur  Her- 
beiführung des  Geständnisses  des  Angeschuldigten  hatte 
man  ein  ganz  sicheres  Mittel,  nämlich  die  Folter,  mit  der 
man  die  Inquisiten  einfach  so  lange  quälte,  bis  das  Ge- 
ständniss ermartert  war. 

Wirklich  war  auch  die  Zeit  der  Einführung  des  neuen 
Beweisverfahrens  und  der  Folter  die  Zeit  des  Anfangs 
der  Hexenverfolgung.  Das  Einschreiten  von  Amtswegen 
bewirkte  bei  dem  Drängen  der  Hierarchie  und  der  allge- 
mein herrschenden  Ueberzeugung  von  der  heiligen  Pflicht 
der  Hexenverfolgung,  dass  man  jetzt  überall  nach  Hexen 
suchte,  und  die  Folter  bewirkte  es,  dass  man  sie  in 
Menge   fand^).     Beide  Mittel   wusste  schon    der   Hexen- 


^)  Auch  Trummtr  bestiHtigt  dieses  bezüglich  der  Stadt  Hamburg,  in- 
dem er  in  seinem  „Abriss  der  Geschichte  des  kriminellen  Zauberglaubens  etc." 
S.  111  sagt:  »Sobald  die  Tortur  sich  bei  uns  Eingang  zu  verschaffen  an- 
fing, findet  sich  gleichzeitig  die  bis  dahin  bei  uns  durchaus  unerhörte  Er- 


456  SiebeDzehntcs  Kapitel. 

hammer  wohl  zu  würdigen,  und  ohne  diese  Mittel  wäre 
aller  Hexenglaube,  wäre  die  Bulle  von  Innozenz  ViLL.  und 
Aehnliches  durchaus  wirkungslos  gewesen. 

Die  teuflische  Wirksamkeit  der  Folter  wurde  aber 
durch  die  eigenthümliche  Einrichtung  und  Behandlung  des 
Hexenprozesses  noch  gesteigert.  Die  bestehenden  Grrund- 
Sätze  über  den  Gebrauch  der  Folter  hatten  nämlich  für 
denselben  im  gewohnlichen  Kriminalprozess  gewisse  Schran- 
ken aufgerichtet;  für  den  Hexenprozess  waren  diese 
Schranken  jedoch  nicht  vorhanden,  indem  Praxis  und 
Doktrin  schon  im  fünfzehnten  Jahrhundert  den  Grundsatz 
zur  Geltung  brachte,  dass  die  Hexerei  —  ein  noch  viel 
grosseres  und  gräulicheres  Verbrechen  als  die  Gottes- 
lästerung —  ein  delictum  exceptum  sei,  bei  welchem 
der  Richter  die  beschränkenden  Vorschriften  der  Gesetze 
überschreiten  und  -ganz  willkürlich  verfahren  konnte  und 
müsste.  Somit  war  der  Angeschuldigte  im  Hexenprozesse 
völlig  schutzlos;  der  Richter  hatte  bezüglich  der  Anwen- 
dung der  Tortur  völlig  freie  Hand,  imd  konnte  die  Ange- 
schuldigten so  oft  und  so  lange  imd  so  grausam  auf  die 
Folter  spannen  und  martern,  bis  dieselben  das  Geständniss 
ihrer  Schuld  ablegten.  Hiermit  aber  begnügte  sich  der 
Richter  nicht.  War  das  Geständniss  der  eigenen  Schuld 
abgelegt,  so  wurde  die  nunmehr  notorische  „Hexe**  ge- 
fragt, von  wem  sie  das  Hexen  gelernt,  wer  sie  es  gelehrt 
habe,  wen  sie  bei  dem  Hexentanze  gesehen  habe  etc.;  und 
der  Hexenrichter  hörte  nicht  auf,  sein  Schlachtopfer  zu 
foltern,  bis  die  nominatio  socii  erfolgte,  d.  h.  bis  die 
Zermarterte  in  der  Höllenqual,  die  sie  erlitt,  beliebige 
andere,  lebende  Personen  als  Hexen  genannt  hatte.  So 
verfehlte  die  Anwendimg  der  Folter  nicht  allein  (von  den 
seltensten  Ausnahmefallen  abgesehen)  niemals  ihres  un- 
mittelbaren Zweckes,  —  indem  die  Angeschuldigte  regel- 


scheinung  von  Hexen,  die  bisher  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bei  uns 
vorgekommen  zu  sein  scheinen,  wie  denn  unsere  Stadtrechte  den  Namen  gar 
nicht  kennen."  —  Die  Hexenverfolgung  und  der  Gebrauch  der  Tortur  be- 
(;annen  in  Hamburg  im  Jahr  1555. 


Allgemeine  Gründe  der  Verbreitung  der  Hexenprozesse  etc.  i  ey 

massig  durch  ihr  eigenes  Geständniss  als  Hexe  erwiesen 
ward,  —  sondern  sie  führte  von  jedism  einzelnen  Hexen- 
prozesse zu  neuen  Hexen  Verfolgungen.  Der  Hexenrichter 
wurde  nie  mit  seiner  Arbeit  fertig,  vielmehr  zog  es  ihn 
aus  jedem  einzelnen  Hexenprozess  zur  Verfolgung  einer 
ganzen  Anzahl  neu  entdeckter  Hexen  hin.  Erwägt  man 
nun,  dass  die  im  Hexenhammer  vorgeschriebene  Einrich- 
tung der  Hexenprozesse  recht  dazu  angethan  war,  die 
Geldgier  und  andere  Leidenschaften  aufzustacheln,  so  be- 
greift es  sich,  dass  in  die  peinlichen  Gerichte  eine  wahre 
Sucht  nach  Aufspürung  und  Verfolgung  der  Hexen  fahren 
und  die  Hexenverfolgiing  wie  eine  Seuche  sich  über  die 
Lande  verbreiten  und  Jahrhunderte  lang  unter  den  Völ- 
kern wüthen  konnte. 


ACHTZEHNTES     KAPITEL. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz, 
Italien,  Spanien,  England,  Schottland  und  Prank- 
reich bis  zur  Mitte  des  sechszehnten  Jahrhunderts. 

Als  Innozenzens  Bulle  erschienen  war  und  bereits 
blutige  Früchte  trug,  konnte  die  deutsche  Geistlichkeit 
und  die  öffentliche  Meinung  der  Nation  sich  noch  nicht 
sogleich  in  die  Ansichten  und  Absichten  des  heiligen  Va- 
ters finden.  Zwar  hatten  Sprenger  und  Institor  in  einer 
fünfjährigen  Wirksamkeit  achtundvierzig,  ihr  College  im 
Wormserbad  in  dem  einzigen  Jahre  1485  sogar  einund* 
vierzig  Opfer  den  Flammen  übergeben  i);  aber  noch  immer 
wurde  von  deutschen  Kanzeln  herab  die  Existenz  solcher 
Wesen,  die  durch  geheime  Künste  Menschen  und  Thiere 
beschädigen  könnten,  kräftig  bestritten.  Diesen  Wider- 
spruch zum  Schweigen  zu  bringen  und  den  dadurch  der 
Gerechtigkeit  und  dem  Glauben  zugefügten  Schaden  für 
die  Zukunft  zu  entfernen,  wurde,  wie  das  kölnische  No- 
tariatsinstriunent  versichert,  der  Malleus  maleficarum  ge- 
schrieben und  die  Approbation  der  kölnischen  Theologen 
für  denselben  eingeholt,  in  welcher  insbesondere  auch  das 
Predigen  gegen  den  Hexenglauben  als  verwerflich  be- 
zeichnet ward.    Der  Malleus  verfehlte  seinen  Zweck  nicht. 


*)  Mall,  malef.  Part.  I.  Quaest.  1.  Cap.  4. 


Hexenprozessc  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  elc.     ^.cq 

die  Prozesse  kamen  allmählich  in  Gang.  Aber  dennoch 
wurden  auch  jetzt  noch  Stimmen  laut,  welche  gegen  die 
Doktrin  des  Hexenhammers  Verwahrung  einlegten.  Gegen 
den  Glauben  an  die  leibliche  Ausfahrt  der  Hexen  erklärten 
sich,  auf  den  Kanon  Episcopi  gestützt,  die  Juristen  Ale  la- 
tus *)  und  Ponzinibi.us;  sie  betrachteten  den  Hexentanz 
als  leere  Einbildung.  Dafür  wurde  Ponzinibius  von  dem 
Dominikaner  Bartholomäus  de  Spina,  Sacri  palatii 
Magister  zu  Rom,  bekriegt 2).  .Spina  macht  besonders' 
geltend,  dass  der  Jurist  eigentlich  vom  Hexenwesen  nichts 
verstehe  und,  wenn  er  zum  Prozesse  hinzugezogen  werde, 
dem  Inquisitor,  der  seine  eigene  Art  zu  procediren  habe, 
leicht  durch  unnütze  Weiterungen  hinderlich  werde.  Eras- 
mus  von  Rotterdam,  obwohl  muthiges  Hervortreten 
überhaupt  seine  Sache  nicht  war,  konnte  es  doch  nicht 
über  sich  gewinnen,  die  Sache  ganz  ungerügt  zu  lassen. 
In  einem  Briefe  von  1500  nennt  er  den  Bund  mit  dem 
Teufel  eine  neue  Art  von  Missethat  und  fügt  hinzu,  die- 
selbe  sei  dem  römischen  und  kanonischen  Rechte  fremd 
und  erst  von  den  Ketzermeistem  erfunden  worden.  Im 
Encomium  moriae  satyrisirt  er  über  Zauberei  und  deren 
Richter.  — 

Während  sich  so  die  Gelehrten  theils  billigend,  theils 
missbilligend  oder  einschränkend  aussprachen,  ging  die 
Praxis  ihren  Gang. 

In  Deutschland  sehen  wir  Anfangs  noch  die  bi- 
schöfliche Jurisdiction  mit  der  weltliphen  concurriren,  ja 
während  des  ersten  Viertels  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
die  delegirte  Inquisition  ihr  Unwesen  treiben.  Die  eilfer- 
tige Plumpheit  eines  niederen  bürgerlichen  Richters  im 
Kontrast  mit  der  langsamen  Förmlichkeit  des  Reichs- 
kammergerichts zeigt  folgender  Fall,  den  wir  aus  den 
Originalakten  mittheilen.  Er  ist  ohne  Zweifel  der  erste, 
der  im  Punkte  der  Hexerei  diesem  höchsten  Tribunal  zur 


*)  Parerg.  juris,  cap.  21. 

')  In  Ponzinibium  de  laiiiiis  apologia  I.  et  II,  im  2.  Th.  des  Mall,  malef. 
Lugdun.   1669.    Auch  ist  er  Verfasser  eines  weitläuftigen  Tractats  de  strigibus. 


i6o  Achtzehntes  Kapitel. 

Entscheidung  vorlag*,    und  mag  wohl   wie    so  viele  Fälle 
nach  ihm,    ohne  Ende  geblieben  sein. 

Im  Dezember  1 508  klagte  Anna  Spulerin  aus  Ringingen 
vor  dem  Stadtammann  zu  Ulm  gegen  dreiundzwanzig  Ein- 
wohner von  Ringingen  auf  Entschädig^ung  (Wandel,  Ab- 
trag und  Bekehrung,  angeschlagen  auf  zweitausend  Gul- 
den) für  eine  durch  die  Schuld  derselben  erlittene  Unbill. 
Ihrer  Erzählung  zufolge,  die  in  ihren  wesentlichen  Pimkten 
*  durch  spätere  Zeugenverhore  bestätigt  wurde,  verhielt  sich 
die  Sache  folgendermassen.  Als  vor  einem  Jahre  ihre 
Mutter  nebst  einigen  andern  Weibern  auf  Anrufen  der 
Einwohner  von  Ringingen  durch  den  Vogt  von  Blaubeuren 
als  Zauberin  eingezogen  worden,  seien  ihr,  der  Tochter, 
Worte  gerechter  Entrüstung  entfallen,  in  Folge  deren  ihr 
Warnungen  zugekommen,  als  wenn  sie  dadurch  sich  selbst 
verdächtig  gemacht  habe.  Eines  Morgens  .habe  sie  einen 
grossen  Auflauf  um  ihr  Haus  bemerkt,  und  als  sie,  um 
der  Gefahr  zu  entgehen,  sich  durch  die  Hinterthüre  auf 
das  Feld  begeben,  hätten  die  von  Ringingen  sie  eingeholt 
und,  ohne  über  ihre  Absicht  sich  bestimmt  auszusprechen, 
nach  Blaubeuren  abgeführt.  Daselbst  im  Gefängnisse  habe 
sie  erwartet,  dass  man  sie  baldigst  etwa  ihrer  ausgestos- 
senen  Reden  wegen  zur  Verantwortung  ziehen  und  dann 
wieder  entlassen  würde.  „Aber  nyemands  were  zu  Ir 
komen  annders,  dann  gleich  aubents  ains  Ersamen  Rats 
hie  zu  Ulm  zuechtiger  und  nachrichter,  der  hette  gegen 
Ir  strenngklich  peenlich  unmentschlich  und  unweyplich 
gehanndelt  und  von  Ir  wissen  haben  wollen,  Sy  were  aine, 
das  Sy  soUichs  bekennen  sollte.  Aber  alls  Sy  sich  sollichs 
frey  und  unschuldig  gewisst,  hette  Sy  Ir  selbs  kain  un- 
warheit  auflegen,  noch  nichtzit  bekennen  wollen,  sonnder 
Ir  Hoffnung  zu  Gott  dem  AUmechtigen  gesetzt,  nachgennds 
were  Sy  in  ain  annder  fanngknus  und  gemach  gefürt  und 
abermals  nit  ain  zway  drew  viermal,  Sonnder  unmentsch- 
lich peenlich  gemartert,  alle  Ire  glüder  zerrissen,  Sy  Irer 
vernunflft  und  auch  Fünff  Synn  beraupt  und  entsetzt  worden, 
dann  Sy  Ir  gesicht  und  gehördt  nit  mer  hette  alls  vor. 
So  wer  Ir  auch  in  sollicher  grossen  Irer  unmentschlichen 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     461 

marter  begegnet,  das  Sy  besorgte,  wie  wol  Sy  kain  gründ- 
lich wissen,  noch  das,  mangel  halb  Irer  gesicht,  nit  wol 
erkennen  noch  sehen,  das  von  Ir  kommen  were,  das  vil- 
leicht  darauss  ain  lebenndeSeelmug'en  hett  werden,  solliche 
Marter  hett  dannocht  nit  gtiug  sein ,  noch  erschiessen 
wolln,  Sonnder  were  ain  anderer  Züchtiger  von  Tüwingen 
mit  dem  Vogt  komen,  da  hett  Sy  der  Vogt  bereden  wollen, 
auf  sich  selbs  zubekennen,  und  Ir  selbs  ab  der  Marter  zu- 
verhelffen  und  gleich  mit  guten  Worten  gesagt,  Was  Sy 
sich  doch  züge,  Sy  sollte  der  Sach  bekennen,  So  Sy  dann 
auss  diesem  Zeitt  füre,  So  sollten  und  müssten  die  von 
Ringingen,  nemlich  yeder  insonnder  Ir  ain  mess  fromen 
lassen,  Dartzu  Sy  geantwurt  hette,  dass  sollte  In  diser 
danncken,  dann  Sy  sich  unschuldig  gewisst  hette.  Als 
nun  der  Vogt  nichtzit  von  Ir  bringen  mögen,  hette  er 
wej^er  angefanngen  und  gesagt,  wie  Ir  Muter  auf  Sy 
bekennt  und  verjehen  haben  sollte,  das  Sy  auch  aine  were, 
das  hette  Sy  widersprochen  und  veranntwurt,  Sy  wisste 
wol,  das  Ir  Muter  nichtzit  args  von  Ir  zu  sagen  wisste, 
auch  sollichs  von  Ir  nit  sagte,  So  wisste  Sy  sich  auch 
ganntz  unschuldig  frey  und  ledig,  were  also  für  und  für 
auf  der  warheit  verharret  und  darab  nit  weychen  wollen. 
AllsSy  aber  sollichs  gesehen,  hetten  Sy  weytter  mit  der 
Muter  und  mit  vil  troworten  an  Sy  gesetzt  und  gesagt, 
Sy  wollen  Ir  alle  Adern  im  leib  zerreyssen,  und  wiewoln 
Sy  mermaln  gütigklich  gesagt  het,  was  Sy  Sy  doch  zeyhen^ 
ob  Sy  Sy  von  der  warhait  treyben  wollten,  So  hette  Sy 
doch  sollichs  nit  fürtragen,  noch  fassen  mögen,  Sonnder 
hetten  Sy  für  und  für  gesagt  und  von  Ir  wissen  haben 
wollen,  Sy  were  aine,  und  nie  genennt  ain  unhollden,  bis 
zum  letsten.  Also  hette  Ainer  unnder  den  widertailen,  so 
yetzo  gegenwürttig  alda  stünde,  gesagt  und  Sy  gefragt, 
wahin  das  Hembt  vor  unnser  lieben  Frawen  in  der  kirchen 
zu  Ringingen  komen  were,  dann  Sy  wisste,  wer  das  zer- 
schniten,  hette  Sy  geanntwurt,  ob  Sy  es  yemands  be- 
schuldigte, und  alls  der  Vogt  gesagt.  Er  hette  des  wissen 
und  Im  sein  klains  fingerlin  gesagt,  hette  Sy  wieder  geannt- 
wurt, Ir  geschehe  damit  unrecht,  Sy  were  dess  unschuldig. 


462  Achtzehntes  Kapitel. 

Mit  Erbiettung,  wa  sollichs  ain  Alentsch  von  Ir,  das  Sy 
das  gethan  hette,  sagte,  wollte  Sy  darumb  den  tod  leiden, 
aber  nyemands  hette  Sy  sollichs  ferrer  beschuldigen  wol- 
len. Mit  dem  wem  Sy'von  Ir  abgeschieden  mit  dem  traw, 
Sy  wollten  enmordnens  wider  komen  und  mit  noch  hertter 
und  strennger  peen  und  martter  gegen  Ir  hanndeln,  und 
hetten  Sy  darauf  in  ain  noch  hertter  und  schwerer  fanngk- 
nus  dann  vor,  gelegt,  in  dem  alls  yedermann  von  Ir  komen 
were  Ir  eingefallen  und  hette  bedacht  Ir  Zuflucht  zu  ne- 
men  zu  dem,  der  Ir  helflfen  mügen  het,  das  wem  nemlich 
Got  der  Allmechtig  und  sein  gepererin  die  himelkonigin 
Marie,  hett  dieselbigen  auss  Innigkeit  und  grundt  Irs 
Hertzen,  imd  in  ansehung  Irer  Unschuld,  der  gerechtigkait 
und  warhait  angeruftt,  Sy  sollicher  Irer  strenngen  hertten 
fanngknus  zuerledigen,  und  Sy  bei  der  warhait  zubehalten. 
Sollich  Ir  gebett  und  auch  die  verhaissung  der  wallfarten, 
so  Sy  dabey  zu  Sannt  Leonhart  und  an  annder  ort  gethan 
hett,  w^ere  bey  Gott  dem  AUmechtigen  erhört,  und  Sy 
derselben  nacht  zwischen  der  zehennden  und  Aylfften  stund 
auss  sollicher  fanngknus  erledigt  worden.  Dem  allem  nach 
und  die  weyl  Sy  also  auf  anruffen  der  von  Rynngingen  in 
sollich  fanngknus  komen,  darynn  strenngklich  peenlich 
und  unmentschlich  gemartert,  Ir  Ire  glüder  zerrissen,  Sy 
Irer  vemimft  und  Synn  entsetzt,  Auch  um  Ir  Er  und  ge- 
fiir,  und  desshalb  in  gross,  unüberwintlich  hertzlaid  komen 
und  bracht,  dadurch  Sy  sich  selbs  und  Ire  klaine  kynnd- 
lin  nicht  mer  alls  dann  vor  der  zeitt  geschehen  w^ere,  Er- 
neren  und  hinbringen  und  Ir  auch  Ir  Eelicher  Hausswirt 
nicht  mer,  alls  vor,  Eelich  beywonnen  mochte.  So  were 
Ir  anruffung  und  bitt,  die  von  Rynngingen  gütlich  zuver- 
mögen  und  daran  zu  weisen,  Ir  imib  sollich  Ir  zugefugt 
(»rlitten  Schmertzen,  Marter  schmach  und  schaden,  nach 
Irer  Eren  notturft  wandel  abtrag  und  bekerung  zu  thiin, 
wii  aber  das  gütlich  nit  sein  mochte,  So  hoffte  Sy  Es 
sollte  billich  wesen,  mit  Recht  erkannt  werden."  Hierauf 
(»Kcipirten  die  Verklagten,  die  Spulerin  habe  bei  der  Hin- 
richtung ihrer  Mutter  die  Drohung  ausgestossen,  sie  wolle 
'o  von  Ringingen  an  Leib  und  Gut  unglückhaft  machen. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^63 

Der  Vogt  habe  sie  desshalb  gleich  damals  greifen  wollen, 
doch,  da  diess  An&tand  gefunden,  den  Befehl  hinterlassen, 
man  solle  das  Weib,  wenn  es  solche  Drohungen  wieder- 
holen würde,  ihm  nachbringen.  Da  sie  von  ihren  Reden 
nicht  gelassen,  so  habe  man  sie  nach  Blaubeuren  gebracht. 
Für  die  weiteren  Handlungen  des  Vogts  seien  sie  nicht 
verantwortlich  und  darum  zur  Genugthuung  nicht  ver- 
pflichtet. Nach  verschiedenen  Verhandlungen  erkannte 
das  Gericht  zu  Ulm  den  Verklagten  den  Eid  zu,  dass  sie 
an  der  Peen  und  Marter  der  Spulerin  nicht  schuld  ge- 
wesen imd  dieselbe  bloss  ihrer  Drohworte  wegen  auf  Be- 
fehl verhaftet  hätten.  Die  Ringinger  erklärten  sich  bereit 
zu  schwören ;  die  Klägerin  aber  appellirte  gegen  das  Ur- 
theil  an  das  Kammergericht,  wobei  insbesondere  geltend 
gemacht  wurde,  dass  hier  nichtiglich  das  jiuramentum  in 
supplementum  probationis  ertheilt  worden  sei.  Das  Kam- 
mergericht wies  die  Sache  zu  weiterer  Verhandlung  an 
das  Gericht  der  Stadt  Biberach  und  gab  schon  damals 
eine  gute  Probe  von  der  Langsamkeit  seines  Geschäfts- 
ganges, durch  welche  es  späterhin  so  ausgezeichnet  war. 
Die  in  dieser  Sache  eingereichte  Duplik  der  Appellaten 
trägt  das  Präsentatum  vom  2^,  Juni  151 8  und  ist  das 
jüngste  Stück,  das  sich  unter  den  Akten  findet.  Wie  lange 
der  ganze  Prozess  gedauert  hat,  ob  und  wie  er  entschieden 
ward,  bleibt  daher  im  Dunkel ;  doch  ist,  was  uns  hier  am 
meisten  angeht,  aus  den  Zeugenaussagen  ersichtlich,  dass 
die  Appellantin  das  gegen  sie  eingeschlagene  tumultua- 
rische  und  grausame  Verfahren  der  Wahrheit  gemäss  an- 
gegeben hatte. 

Wie  um  jene  Zeit  ein  Inquisitor  haereticae  pravitatis 
in  Deutschland  sein  Geschäft  betrieb,  mag  uns  Agrippa 
von  Nettesheim  erzählen;  „Als  Syndikus  zu  Metz,  — 
schreibt  er  i),  —  hatte  ich  einen  harten  Kampf  mit  einem 
Inquisitor,  der  ein  Bauernweib  um  der  abgeschmacktesten 
Verleumdungen  willen  mehr  zur  Abschlachtung,  als  zur 
Untersuchung   vor    sein    nichtswürdiges    Fonmi    gezogen 


^)  Epist.  üb.  II.  38,  39  et  40.     De  vanitate  scicntiarum  Cap.  96. 


i54  Achtzehntes  Kapitel. 

hatte.  Als  ich  ihm  in  der  Vertheidigiing  der  Angeklagten 
bewies,  dass  in  den  Akten  kein  genügendes  Indicium  vor- 
liege, sagte  er  mir  ins  Gesicht :  Allerdings  liegt  ein  sehr 
genügendes  vor,  denn  ihre  Mutter  ist  als  Zauberin  ver- 
brannt worden.  Ich  versvarf  ihm  diess  als  ungehörig;  er 
aber  berief  sich  auf  den  Malleus  maleficarum  und  die  peri- 
pathetische Theologie  und  behauptete,  das  Indicium  müsse 
gelten,  weil  Zauberinnen  nicht  nur  ihre  Kinder  sogleich 
nach  der  Geburt  den  Dämonen  zu  weihen,  sondern  sogar 
selbst  aus  ihrem  Umgang  mit  den  Incuben  Kinder  zu 
zeugen  und  so  das  Zauberwesen  in  den  Familien  zu  ver- 
erben pflegten.  Ich  enviderte  ihm:  Hast  du  eine  so  ver- 
kehrte Theologie,  Herr  Pater  ?  Mit  solchen  Himgespinnsten 
willst  du  unschuldige  Weiber  zur  Folter  schleppen  und 
mit  solchen  Sophismen  Ketzer  verurtheilen ,  während  du 
selbst  mit  deinem  Satze  kein  geringerer  Ketzer  bist,  als 
Faustus  und  Donatus?  Angenommen,  es  wäre,  wie  du 
sagst:  wäre  damit  nicht  die  Gnade  der  Taufe  vernichtet? 
Der  Priester  würde  ja  vergeblich  sagen:  Ziehe  aus,  un- 
sauberer Geist,  und  mache  Platz  dem  heiligen  Geiste,  — 
wenn  wegen  des  Opfers  einer  gottlosen  Mutter  das  Kind 
dem  Teufel  verfallen  wäre  u.  s.  w."  Voll  Zorn  drohte  der 
Heuchler,  dass  er  Agrippa  als  Begünstiger  der  Ketzerei 
vor  Gericht  ziehen  werde;  dieser  jedoch  liess  sich  in  seiner 
Vertheidigung  nicht  irren.  Die  Angeklagte  wurde  befreit 
die  falschen  Ankläger  mit  einer  Geldstrafe  belegt,  und 
den  Inquisitor  traf  die  allgemeine  Verachtung.  —  Dieser 
Dominikaner  hatte  sich  bei  der  Gegenpartei  berauscht  und 
Geschenke  von  ihr  genommen.  Den  Feinden  war  die 
Wahl  zwischen  dem  Anklage-  und  dem  Denunciations- 
prozesse  gelassen  worden ;  sie  hatten  den  ersteren  gewählt, 
und  dennoch  hatte  der  Mönch  sich  alle  Chikanen  des  da- 
maligen Inquisitionsverfahrens  erlaubt.  Das  erzählte  Er« 
eigniss  fällt  in  das  Jahr  1519. 

Was  nun  die  Einführung  des  Hexenprozesses  in  den 
verschiedenen  Territorien  Deutschlands  betrifft,  so  lehrt 
die  Geschichte,  dass  dieselbe  im  sechszehnten  Jahrhundert 
fast  überall  ganz  allmählich  erfolgte,  indem  man  in  \ielen 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     465 

Landen  noch  geraume  Zeit  hindurch  nur  im  Allgemeinen 
von  Zauberei  sprach,  ohne  die  Hexerei  von  ihr  zu  unter- 
scheiden, so  dass  sich  der  Begriff  der  Hexe  erst  nach  imd 
nach  im  Volksbewusstsein  fester  gestaltete. 

In  der  Mark  Brandenburg  liegt  die  älteste  akten- 
mässige  Urkunde  über  Hexereien  aus  der  Zeit  des  Kur- 
fürsten Joachim  11.  (1535 — 1571)  vor.  Es  heisst  nämlich 
in  derselben,  dass  in  Neustadt-Eberswalde  Zauberei  mit 
Molken  und  Bier  getrieben  sei,  und  der  Kurfürst  befahl 
darüber  ein  Erkenntniss  der  Schöffen  in  Brandenburg  ein- 
zuholen, indem  er  bemerkte,  dass  er  die  Sache  mit  Schrecken 
gehört  habe.  Diese  Zauberei  mit  Bier  trat  seitdem  in  der 
Mark  auffallend  häufig  hervor.  Im  Jahr  1545  kochte  ein 
Weib  im  Lande  Rhinow  eine  Kröte,  Erde  von  einem 
Grabe  und  Holz  von  einer  Todtenbahre  zu  einer  „Zauber- 
suppe" zusammen,  welche  sie  in  einen  Thorweg  goss,  den 
ein  Anderer  passiren  musste.  Diese  Hexe,  deren  Mutter 
schon  den  Achim  v.  d.  Hagen  um  sein  Gesicht  gebracht 
haben  sollte,  wurde  nach  einem  Urtheile  des  Branden- 
burgischen Schöffenstuhles  verbrannt.  Auch  jene  „Zauber- 
suppen" kamen  seitdem  in  der  Mark  öfters  vor.  Doch 
erfolgten  Hexenprozesse  einstweilen  nur  ganz  vereinzelt: 
1551»  1553»  i554i  1563  u.  s.  f.  In  den  beiden  letzten  De- 
cennien  des  Jahrhunderts  dagegen  sehen  wir  die  Hexen- 
verfolgung sich  in  allen  Orten  des  Landes  erheben  *). 

Im  Herzogthum  Jülich-Cleve-Berg  und  Mark  tritt 
ganz  vereinzelt  eine  Art  von  Hexenprozess  im  Jahr  1516 
hervor*).  Eine  gewisse  Ulant  Dammartz,  die  Tochter 
angesehener  Eltern,  war,  weil  dieselben  zur  Verehelichung 
mit   einem  jungen  Manne    ihre  Einwilligung   nicht    geben 


*j  V,  Rautner,  Aktenmässige  Nachrichten  von  Hexenprozessen  und  Zau- 
bereien in  der  Mark  Brandenburg,  in  den  Märkischen  Forschungen,  Berl.  1841, 
S.  236  flf. 

2)  Vgl.  darüber  die  aktenmässige  Berichterstattung  von  W.  Crecelius, 
^Bekenntniss  einer  als  Hexe  angeklagten  Nonne  aus  dem  Jahr  1516"  in  der 
Zeitschr.  des  Bergischen  Geschichtsvereins,  B.  IX.  S.  103 — 110,  wonach  zu 
berichtigen  ist,  was  sich  darüber  in  Tross,  Westphalia  IH.  Jahrg.  (1826)  S.  11 
mitgetheilt  findet. 

Soldan-Heppe,  Hexenprozesse.  30 


466  Achtzehntes  Kapitel. 

wollten,  in  dem  Kloster  Marienbaum  bei  Xanten  als  No- 
vize eingetreten,  wo  nun  alsbaid  ein  Teufelsspuk  begann. 
Ulant  Dammartz  erscheint  als  vom  Teufel  besessen,    imd 
steckt  mit  ihrer  Besessenheit  auch  andere  Nonnen  an,  die 
darunter    zum  Theile  viele  Jahre  leiden  müssen.     Endlich 
wird    im  Jahr    1516   eine  Untersuchung    gegen  die   inzwi- 
schen   aus  dem  Kloster  Entflohene,    die    im  Hause   ilires 
Vaters  verhaftet   und   nach  Dinslaken   ins  Gefangniss  ge- 
bracht war,  eingeleitet.     In  dem  mit  ihr  angestellten  Ver- 
hör gesteht  sie  (ohne  Tortur)  Folgendes  :    In  ihrem  Jammer 
darüber,  dass  sie  dem  Geliebten  hatte    entsagen  müssen» 
hatte  sie  den  Teufel  angerufen.    Derselbe  war  ihr  alsbald 
erschienen  und  hatte  sie  Gott   und  der  heil.  Jungfrau  ab- 
schwören und  geloben  lassen,  dass  sie  ihm  treu  und  hold 
sein  wollte.    So  oft  sie  es  nun  wünschte,  kam  er,  zuweilen 
mit  anderen   frischen  Gesellen   und   Jungfern   (lauter  Dä- 
monen),   die    alle,    wie    ihr  eigener  Buhlteufel   irgend  ein 
Gebrechen   an  sich  trugen.     Dann  tanzten  sie,  ohne  dass 
es  von  andern  Menschen  gesehen  werden  konnte,   indem 
sie  ganz   still  zu  stehen  schienen.     Auch  fleischliche  Ver- 
mischungen kamen  vor.     Sie  vergrub   und   schändete    die 
in   der  Communion  empfangene   Hostie,  machte  blasphe- 
mische   Eintragungen   in    das  Gebetbuch.     Sie    schädigte 
immer  nur  diejenigen  Nonnen,  welche  gerade  ihre  Freun- 
dinnen waren  und  mit  ihr  verkehrten,  durch  Aepfel,  Feigen 
und  Kuchen,  die  der  Böse  vorher  bezaubert  hatte.    Sonbt 
beschränkte    sie    sich  auf  den    eigenen  Verkehr  mit  dem 
Buhlteufel,  dessen  Versuchungen  sie  mitimter  auch  wider- 
stand,   z.  B.  als  er  sie  aufforderte,    dem   eigenen   Vater 
Böses  anzuthun. 

Man  sieht,  die  Hexe  war  hier  noch  keine  richtige 
„Hexe"  und  der  Prozess,  den  man  ihr  machte,  war  noch 
kein  richtiger  Hexenprozess  im  Sinne  des  Hexenhammers. 
Die  Angeklagte    ward   nicht  gefoltert,  nicht  geschoren  M. 


*)  Sie  wurde  aber  (wie  If^fter  in  seiner  Schrift  de  praestigüs  daemonum. 
L.  111.,  Ausg.  von  1563,  S.  295  ff.  mittheilt,)  von  dem  Gef&ngnisswSrter  iwei^ 
mal  geschwängert ! 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz.  Italien,  Spanien  etc.     467 

wurde  nur  (indem  man  sie  unschädlich  machen  wollte,) 
lange  Zeit  im  Gefängniss  zurückgehalten ,  und  schliesslich 
entlassen. 

Aber  auch  in  den  nächstfolgenden  Decennien  blieb 
das  Herzogthum  Jülich-Cleve-Berg  und  Mark  von  dem 
Gräuel  der  Hexen  Verfolgung  frei,  namentlich  auch  unter 
dem  Herzog  Wilhelm  (t  1592),  der  in  dieser  Beziehung 
ganz  dem  Rathe  seiner  einsichtsvollen  Aerzte  Joh.  Weyer 
aus  Grave  und  Reiner  Solmander  aus  Büderich  folgte  ^). 
Der  Glaube  an  die  Wirklichkeit  der  Hexerei  war  natürlich 
auch  in  Jülich-Cleve  vorhanden;  allein  als  das  richtigste 
Verfahren  gegen  die  der  Hexerei  Angeschuldigten  galt 
nicht  die  Tortur,  sondern  die  Wasserprobe,  deren  Vor- 
nahme in  einem  derartigen  Falle  durch  ein  herzogliches 
Mandat  vom  24.  Juli  1581  ausdrücklich  befohlen  ward  2). 
Erst  ganz  am  Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts  nahm 
die  Hexenverfolgung  auch  hier  ihren  Anfang.  Damals 
machte  namentlich  das  Verfahren  gegen  eine  ehrbare,  vor- 
nehme Greisin  aus  Büderich,  welche  während  der  Tortur 
starb  und  deren  Leiche  dann  durch  die  Stadt  geschleift 
imd  zu  Asche  verbrannt  wurde,  grosses  Aufsehen^). 

Im  Herzogthum  Württemberg  gab  es  wie  überall 
Segensprecher,  Geisterbanner,  Zauberer  und  Hexen,  aber 
bis  zur  Mitte  des  sechszehnten  Jahrhunderts  kam  nur  ver- 
einzelte Bestrafung,  nicht  aber  eine  systematische  Ver- 
folgung derselben  vor.  Damals  war  in  dem  württembergi- 
schen Orte  Rüdern  ein  Mann,  Ludwig  Morsch,  der  im 
Rufe  stand  böse  Geister  bannen  zu  können,  der  auch  einen 
Spruch    gegen  den  Hagel    wissen   wollte*).     Derselbe  ist 


*)    Wolters,  Conrad  v.  lleresbach,  S.   153—155. 

^  Wigand,  Archiv  für  Gesch.  und  Alterthumskunde  Weslphalens,  B.  VI, 
Heft  4.  S.  417. 

•)  Grevius,  Tribunal  reformatum,  p.  433. 

*)  Vgl.  IC.  Pf  äff ,  „die  Hexenprozesse  zu  Esslingen  im  sechszehnten  und 
siebenzehnten  Jahrh."  in  der  „Zeitschr.  för  deutsche  Kulturgesch."  1856, 
S.  264.     Der  Zauberspruch  des  Morsch  gegen  Hagel  lautete: 

„Ich  beschwöre  die  Wind*  und  Hagel 

bei  Jesus  Christus,  dem  Nagel, 


a5S  Achtiehntes  Kapitel. 

aber  desfalls  niemals  belästigt  worden.  Im  Jahr  1 550  war 
zu  Esslingen  eine  Frau  Berta  Bull  angeklagt  worden,  dass 
sie  ein  Kind  behext  habe ,  allein  sie  war  von  dem  Unter- 
suchungsrichter für  unschuldig  erklärt  worden.  Es  bestand 
überhaupt  damals  in  Württemberg  noch  kein  dem  Hexen- 
hammer entsprechendes  Gerichtsverfahren.  Dieses  begann 
daselbst  erst  im  Jahr  1562  Platz  zu  greifen,  als  im  An- 
fange dieses  Jahres  Graf  Ulrich  von  Helfenstein,  weicher 
im  Schlosse  zu  Wiesensteig  wohnte,  „aus  grossen  Ursachen 
und  vielfältigem  Geschrei  seiner  Unterthanen  auch  aller- 
hand gründlichen  Anzeigimgen  höchlich  bewegt"  mehrere 
(über  zwanzig)  Weiber  wegen  Verdachts  der  Hexerei  in 
Untersuchung  nehmen  Uess.  Nicht  lange  nachher  verheerte 
(am  3.  August  1562)  ein  furchtbares  Hagelwetter  die  Ge- 
gend von  Esslingen  und  Stuttgart  auf  achtzehn  Meilen  im 
Umkreis  in  entsetzlicher  Weise,  und  indem  es  nun  in  der 
öffentlichen  Meinung  feststand,  dass  dieses  Unheil  von 
Hexen  verursacht  sei,  so  nahm  die  Hexenverfolgung  ihren 
Anfang '),  Man  begann  die  der  Hexerei  Verdächtigen 
auf  die  Folter  {die  , .Wippe")  zu  spannen,  aber  die  Landes- 
herrschaft, welche  dieses  billigte,  vermochte  doch  noch 
die  Gerichte  zu  einer  möglichst  schonenden  Anwendung 
der  Tortur  zu  ermahnen.  Die  eigenthche  Manie  der 
Hexen  verfolgung  brach  aber  in  Württemberg  erst  im  letzten 
Jahrzehnt  des  sechszehnten  Jahrhunderts  aus. 

In  Waldsee  —  im  jetzigen  württembergischen  Do- 
li.uil-niNe  gelegen,  —  dem  Hauptorte  der  Standesherrschaft 
W.iliiliurg-Wolfcgg-Waldsee  ,  nahmen  die  Hexenprozesse 
im  Jalir  1518  ihren  Anfang,  kamen  jedoch  bis  1585  nur 
M'lir  vreinzelt  vor.  Dagegen  verging  seitdem  kaum  ein 
Jiihr,  in  dem  das  kleine  Städtchen  nicht  mehrere  auf  dem 
ScluMtorhaufen    endigende    Prozesse    sah.     Dabei    ist    zu 


illr  ihm  wanl  aufucthon. 

Du  «ilUl  uns  unsere  Frachle  unbe«cli.1digt  Ion. 

Im  Naiiirn  liiHtts  des  V.'i.  GoHe^  des  S,'s  und  GoUcs  de«  b.  Gcisln. 

>)  VhI,  ilic  cl>en  an);ri<>Kene  Abhandlung  PfiRs  in  der  .ZeitichT.  f.  dtuuctie 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^5q 

beachten,  dass  ebenso  die  Untersuchungsakten  ein  mit  der 
Zeit  mehr  und  mehr  anwachsendes  Conglomerat  der  tollsten 
Geständnisse  erkennen  lassen,  wie  die  Urtheile  des  Ge- 
richts allmählich  immer  grausamer  werden  ^).  Das  letzte, 
uns  bekannt  gegebene  Urtheil  vom  Jahr  1645  befiehlt: 
Die  Verurtheilte  soll  dem  Scharfrichter  übergeben,  an  den 
Richtplatz  gefuhrt,  und  soll  „unterwegs  zum  dritten  Male 
mit  glühenden  Zangen  zu  ihr  gegriffen,  hernach  an  eine 
Säule  gebunden,  daran  erdrosselt,  hernach  verbrannt  und 
die  Asche  vergraben  werden.  „Gott  der  Allmächtige  wolle 
ihrer  Seele  gnädig  und  barmherzig  sein!" 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Nachrichten,  welche 
über  den  Beginn  der  Hexenverfolgung  in  der  (in  Schwaben 
gelegenen)  Reichsstadt  Nördlingen  vorliegen*).  —  Hier 
begann  das  Gerede  von  Hexerei  und  die  Furcht  vor  der- 
selben erst  in  den  Jahren  1 588  und  1 589  Platz  zu  greifen, 
wesshalb  der  Bürgermeister  Georg  Pferinger  mit  Hülfe 
der  beiden  Doktoren  der  Rechte  Sebastian  Röttinger  und 
Conrad  Graf  und  des  Stadtschreibers  Paul  Majer  alsbald 
die  Stadt  von  demHexengeschmeiss  zu  reinigen  beschlossen. 
Drei  der  Hexerei  verdächtige  arme  Weiber  wurden  auch 
1589  gefänglich  eingezogen  und  nach  allen  Regeln  des 
Hexenprozesses  torquirt ;  allein  sie  gestanden  nichts,  wur- 
den unschuldig  befunden  und  mussten  entlassen  werden.  — 
Unglücklicher  Weise  erregte  nun  dieses  rohe  Verfahren 
des  Magistrats  den  Zorn  des  Superintendenten  zu  Nörd- 
lingen, Wilhelm  Lutz,  der  zwar  an  die  Wirklichkeit  der 
Hexerei  glaubte,  aber  über  die  Hexenrächerei  und  über 
das  Torquiren  empört  war  und  den  Rath  wegen  seines 
ganz  unchristlichen  Verfahrens  gegen  angebliche  Hexen 
in  zwei  Predigten  abkanzelte.  In  einer  der  Predigten 
klagte  er  darüber,  dass  es  des  Bezüchtigens  wegen  Hexerei 
kein    Ende    nehme.     Etliche   hätten    bei   ihm    schon    ihre 


^)  S.  die  urkundlichen  Mittheilungen  bei  C.  Haas,  «die  Hexen prozesse* 
(Tübingen  1865)  S.  84—102. 

•)  IVeng,  die  Hexenprozesse  zu  Nördlingen  (Beck'sche  Buchhandlung  da- 
selbst ohne  Jahresangabe)  und  .Hexenprozess- Drangsal  E.  E.  Raths  der  freien 
Stadt  Nördlingen"  in  Hitzig's  und  Demme*s  Annalen,  B.  XXVI.  S.  105—125. 


470  Achtzehntes  Kapitel. 

Schwiegermütter,  ja  ihre  eigenen  Eheweiber  angegeben; 
wohin  sollte  das  noch  führen?  Dem  Rath  aber  hielt  er 
vor,  dass  er  wohl  einige  arme  Hündlein  gefangen  habe, 
aber  die  rechten  wohl  durchschlüpfen  lassen  werde.  — 
Mit  diesen  Worten  fühlte  aber  der  wohlweise  Rath  der 
Stadt  seine  Ehre  angetastet.  Daher  ertheilte  derselbe 
nicht  nur  dem  Superintendenten  einen  scharfen  Verweis 
dafür,  dass  er  sich  in  so  ungeziemender  und  höchst  be- 
denklicher Weise  zum  Vertheidiger  der  Hexen  aufge- 
worfen habe,  sondern  er  beschloss  daher  jetzt  gegen  diese 
auf  Grundlage  eines  von  dem  Stadtschreiber  Majer  aus- 
gestellten Gutachtens  (worin  die  Hexerei  als  ein  nur  im 
nächtlichen  Dunkel  mögliches  Verbrechen  hingestellt  ward, 
das  darum  nur  durch  eine  „heilsame  Tortur"  ans  Licht 
gebracht  werden  könnte,)  mit  aller  Strenge  vorzugehen, 
und  dabei  alle  Welt  es  sehen  zu  lassen,  dass  er  ganz  ohne 
Ansehen  der  Person  verfahre,  wesshalb  er  eine  Menge 
alter  Weiber,  nicht  nur  aus  den  niederen  Ständen,  son- 
dern auch  aus  den  angesehensten  Familien  verhaften  und 
einthürmen  liess.  Doch  wurde  im  letzteren  Falle  nur  an 
Wittwen  Hand  angelegt;  unter  denselben  befanden  sich 
die  Wittwen  mehrerer  Rathsherrn,  auch  die  Wittwe  des 
erst  158g  verstorbenen  Bürgermeisters  Gundesfinger.  — 
Das  Prozessverfahren,  welches  man  mit  den  Eingezogenen 
anstellte,  war,  da  man  mit  der  Folter  ganz  entsetzlich 
operirte,  ein  sehr  kurzes,  so  dass  schon  im  Mai  15^0  drei 
Hexen,  acht  Wochen  nachher  wieder  drei,  sieben  Wochen 
später  fünf  auf  Einmal  verbrannt  werden  konnten.  Unter 
den  letzteren  befand  sich  auch  die  Frau  des  Zahlmeisters 
Peter  Lemp  —  ein  frommes,  edles  Weib  —  deren  Prozess 
wir,  weil  er  die  Art  und  Weise  der  Hexen  Verfolgung  zu 
Nördlingen  in  das  hellste  Licht  setzt,  auch  an  herzbe- 
wegenden Momenten  besonders  reich  ist,  spezieller  ins 
Auge  fassen  wollen. 

Rebecka  Lemp  war  in  Abwesenheit  ihres  Mannes 
auf  die  durch  die  Folter  erpressten  Angaben  anderer  An- 
geklagten hin  schon  im  April  1590  verhaftet  worden.  Mit 
blutendem  Herzen   hatten   es  die  sechs  Kinder  mit  ange- 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     a^i 

sehen,  wie  die  liebe  Mutter  gepackt  und  in  den  schreck- 
lichen Thurm  abgeführt  wurde.  Daher  schickten  sie  ihr 
nicht  lange  nachher  folgenden  Trostbrief  zu:  „Unseren 
freundlichen ,  kindlichen  Gruss ,  herzliebe  Mutter !  Wir 
lassen  Dich  grüssen,  dass  wir  wohlauf  sind.  So  hast  Du 
uns  auch  entboten,  dass  Du  wohlauf  seiest,  und  wir  ver- 
meinen, der  Vater  wird  heute,  will's  Gott,  auch  kommen. 
So  wollen  wir  Dich's  wissen  lassen,  wann  er  kommt,  der 
allmächtige  Gott  verleihe  Dir  seine  Gnade  und  heiligen 
Geist,  dass  Du,  Gott  woir,  wieder  mit  Freuden  und  ge- 
sundem Leib  zu  uns  kommest.  Gott  woU',  Amen.  — 
Herzliebe  Mutter,  lass  Dir  Beer  kaufen  und  lass  Dir  eine 
Salfan  backen  und  Schnittlein,  und  lass  Dir  kleine  Fisch- 
lein holen  und  lass  Dir  ein  Hühnlein  holen  bei  uns,  und 
wenn  Du  Geld  darfst,  so  lass  holen;  hast's  in  Deinem 
Säckel  wohl.  Gehab  Dich  wohl ,  herzliebe  Mutter.  Du 
darfst  nicht  sorgen  um  das  Haushalten,  bis  Du  wieder  zu 
uns  kommst  etc." 

Zu  den  leiblichen  Nöthen,  unter  denen  die  Unglück- 
liche in  dem  scheusslichen  Gefängniss  zu  leiden  hatte,  kam 
nun  auch  die  ihre  Seele  folternde  Sorge,  dass  ihr  zärtlich 
geliebter  Alann  sie  für  schuldig  halten  möchte.  Daher 
schrieb  sie  ihm,  als  sie  seine  Rückkehr  erfuhr:  „Mein 
herzlieber  Schatz,  bis  ohne  Sorge.  Wenn  auch  ihrer  Tau- 
send auf  mich  bekenneten,  so  bin  ich  doch  unschuldig; 
oder  es  kommen  alle  Teufel  und  zerreissen  mich.  Und 
ob  man  mich  sollt'  strenglich  fragen,  so  könnte  ich  nichts 
bekennen,  wenn  man  mich  auch  zu  tausend  Stücke  zerriss. 
Vater,  wenn  ich  der  Sach'  schuldig  bin,  so  lass  mich  Gott 
nicht  vor  sein  Angesicht  kommen  immer  und  ewig.  — 
Wenn  ich  in  der  Noth  muss  stecken  bleiben,  so  ist  kein 
Gott  im  Himmel.  Verbirg  doch  Dein  Antlitz  nicht  vor 
mir;  Du  hörst  ja  meine  Unschuld,  um  Gottes  Willen,  lass 
mich  nicht  in  der  schwülen  Noth  stecken." 

Indessen  nahm  der  Prozess  mit  Rebecka  Lemp  in 
üblicher  Weise  seinen  Anfang.  Zweimal  überstand  sie  die 
Tortur  ohne  sich  schuldig  zu  bekennen;  bei  der  dritten 
Folterung  begann  sie  jedoch  zu  verzagen,  indem  dieselbe 


An 2  Achtzehntes  Kapitel. 

weit  länger  dauerte  und  weit  grausiger  verlief,  als  die 
beiden  ersten  Male.  Sie  bekannte  sich  zu  einigen  der  ge- 
ringeren Anschuldigungen;  so  auch  bei  der  vierten  Tortur. 
Da  war  es  aber,  dass  sie  heimlich  an  ihren  Mann  folgen- 
den Brief  schrieb :  „Mein  auserwählter  Schatz ,  soll  ich 
mich  so  unschuldig  von  Dir  scheiden  müssen,  das  sei  Gott 
immer  und  ewig  geklagt !  Man  nöthigt  Eins,  es  muss  Eins 
ausreden,  man  hat  mich  so  gemartert,  ich  bin  aber  so  un- 
schuldig  als  Gott  im  Himmel.  Wenn  ich  im  Wenigsten 
ein  Pünktlein  um  solche  Sache  wüsste,  so  wollte  ich,  dass 
mir  Gott  den  Himmel  versagte.  O  Du  herzlieber  Schatz, 
wie  geschieht  meinem  Herzen !  O  weh,  o  weh  meine  armen 
Waisen!  Vater,  schick  mir  Etwas,  dass  ich  sterb; 
ich  muss  sonst  an  der  Marter  verzagen.  Kommst  heut 
nicht,  so  thue  es  morgen.  Schreib  mir  von  Stund  an.  O 
Schatz,  Deiner  unschuldigen  Rebecka  1  Man  nimmt  mich 
Dir  mit  Gewalt !  Wie  kann's  doch  Gott  leiden !  Wenn 
ich  ein  Unhold  bin,  sei  mir  Gott  nicht  gnädig.  O  wie 
geschieht  mir  so  unrecht.  Warum  will  mich  doch  Gott 
nicht  hören?  Schick  mir  Etwas,  „ich  möchte  sonst  erst 
meine  Seele  beschweren"  u.  s.  w. 

Der  Mann  aber  kannte  sein  Weib,  wesshalb  sein  Glaube 
an  die  Unschuld  desselben  durch  Nichts  erschüttert  ward. 
Daher  machte  er  mit  einer  Eingabe  an  den  Rath  den 
Versuch,  das  geliebte  Weib  aus  den  Händen  der  Peiniger 
zu  befreien.  Die  Eingabe,  welche  sich  in  den  Prozess- 
akten zwischen  dem  siebenten  und  achten  Torturprotokoll 
vorfindet,  beginnt  mit  den  Worten:  „Ehrenveste,  fürsich- 
tige, ehrsame,  wolweise,  grossgünstige,  gebietende  Herrn ! 
Jüngst  verschienener  Zeit  habe  ich  wegen  meiner  lieben 
Hausfrau  eine  demüthige  Supplikation  übergeben,  darin 
ich  um  Erledigung  meines  lieben  Weibes  gebeten,  mir 
aber  damals  eine  abschlägige  Antwort  erfolgt:  dass  auf 
die  SS  mal  mein  Bitt  und  Begeren  nicht  statt  habe."  Da- 
her richtet  er  jetzt  an  den  Rath  die  Bitte,  „meine  gross- 
günstigen  gebietenden  Herrn  wollen  fümehmlich  und  erst- 
lich dahin  sehen,  dass  sie  mit  allem  Ehesten  gegen  die 
missgünstigen  —  Personen,    die    sie  freventlich  —  ange- 


Hexen  pro  ze 


n  Deutschland,  der  Schweiz,  lullen,  Span 


473 


g-eben  haben,  möge  confrontirt  und  hierbei  Bescheid  und 

Antwort   gegeneinander    angehört    werden.    —    Ich    hoffe 

und    glaube    und    halte    es    für   gewiss,   dass   mein  Weib 

Alles,    dessen    man    sie    bezüchtigt,  —  nicht   einmal  Zeit 

ihres  Lebens  i 

sie  solches  rcii 

nur    im  Gerij 

mit    meinem] 

Leuten ,  —  o, 

furchtig,  steti 

Bösen  aber  ji 

Kinder  hat  s 

lieh,  und  fleist 

auch    in  der 

Psalmen  Dav 

Gott  sei  Dan! 

Gottes  Segen 

liehe  Psalmen 

Ueberdiess  ki 

ich,  —  mit  G 

dass   sie   irge 

kleinsten  Seh. 

oder  man  des 

Daher  glaubti 

erwarten  zu  c 

weder   gleich 

frontirung  mit 

gewähren  moi 

ging    der  Rat 

zu  erhalten,   j 

gegen  das  arr..! 

Ständnisse  hatte. 

verbrannt. 

Immer  schrecklicher  wüthete  nun  das  Gericht  gegen 
die  Weiber  zu  Nördlingen.  Für  die  Menge  der  Ver- 
hafteten fanden  sich  kaum  die  nöthigen  Haftlokale  vor 
und  der  „Peinmann"  sah  seiner  Arbeit  kein  Ende. 

Da  geschah  es  im  Oktober  1593,  dass  auch  die  Srau 


Alsdann  wurde  sie  rasch  am  9.  Sept.  1 590 


AHA  Achtzehntes  Kapitel. 

des  Gastwirths  zur  Krone,  Maria  Hol!  aus  Ulm  gebürtig, 
auf  Grund  der  Angaben  einer  Gefolterten  ins  Gefangniss 
und  alsbald  zur  Folterbank  geführt  wurde.  Was  vor  ihr 
keine  Gefolterte  vermocht  hatte,  das  vermochte  sie.  Stand- 
haft ertrug  sie  alle  wiederholten,  und  mit  satanischer  Grau- 
samkeit immer  von  Neuem  wiederholten  und  mit  jeder 
Wiederholung  auch  immer  noch  verschärften  Torturen,  ohne 
sich  ein  Schuldbekenntniss  abquälen  zu  lassen ;  und  als  in 
dieser  Verlegenheit  zur  Torquirung  der  Seele  gegriffen 
wurde  —  indem  der  Rath,  sich  zu  perfiden  Vorspiege- 
lungen herablassend,  bemüht  war,  ihr  die  Meinung  beizu- 
bringen, dass  ihre  Verwandten  und  Freunde,  ja  selbst  ihr 
Ehemann  sie  für  schuldig  hielten,  —  da  hielt  das  helden- 
müthige  Weib  auch  diese  Folter  aus. 

Nach  W  e  n  g's  völlig  glaubhafter  Schrift  wurde  gegen 
die  unschuldige  Maria  HoU  die  Tortur  sechsund fünfzig- 
mal „mit  der  ausgesuchtesten  Grausamkeit"  angewendet, — 
das  letzte  Mal  im  Februar  1594. 

Jetzt  aber  sah  sich  der  Rath  im  Gedränge.  An  dem 
stahlfesten  Heldensinn  des  Weibes  hatten  alle  sonst  sicher 
treffenden,  zermalmenden  Mittel  ihre  Kraft  verloren  und 
das  Volk,  in  dessen  Augen  die  Gequälte  längst  vollkom- 
men gerechtfertigt  war,  begann  seinen  Zorn  und  Unwillen 
über  die  nun  Jahre  lang  andauernde  Brennerei  laut  und 
unverhohlen  zu  äussern.  Aber  freilassen  wollte  der  Rath 
die  sechsundfünfzigmal  Gefolterte  nicht,  um  sich  nicht  vor 
der  Bürgerschaft  eine  Blosse  zu  geben.  Am  22,  Aug.  1594 
versuchte  man  es  daher  noch  Einmal  mit  der  Verhafteten, 
indem  man  es  ihr  vorhielt,  dass  ihr  Ehemann  und  ihre 
ganze  Blutsfreundschaft  von  ihr  als  einer  Teufelszuhälterin 
durchaus  nichts  mehr  wissen  wollten ;  allein  auch  diese 
verruchte  Tücke  verfehlte  ihren  Zweck  durchaus,  und  der 
Rath  von  Nördlingen,  der  in  guter  Manier  aus  der  Sache 
herauskommen  wollte,  stand  wieder  rathlos  da,  —  als  die- 
selbe plötzlich  eine  ganz  neue  Wendung  erhielt,  indem  die 
Verwandten  der  Maria  Holl  in  Ulm  die  Hülfe  der  Ulmer 
Gesandtschaft  zu  Regensburg  anriefen.  Durch  Vermine- 
lung   der  Nördlinger  Abgeordneten  zu  Regensburg  rieh- 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     aj^ 

teten  daher  die  Ulmer  Gesandten  an  den  Rath  das  Er- 
suchen, die  Gefangene  „ohne  Entgeld  und  mit  unverletzter 
Ehre**  auf  freien  Fuss  zu  setzen.  Dieses  hatte  zur  Folge, 
dass  man  die  nun  elf  Monate  lang  Inhaftirte  glimpflicher 
behandelte,  indem  man  sie  soweit  mürbe  gemacht  zu  haben 
glaubte,  dass  sie  bei  gütlichem  Zureden  sich  zum  Ge- 
ständniss  herbeilassen  würde.  Allein  die  Kronenwirthin 
blieb  standhaft,  der  Rath  wusste  wiederum  nicht,  was  zu 
thun  sei,  und  die  Ulmer  erhielten  gar  keine  Antwort.  Da 
aber  erliessen  die  Ulmer  Abgeordneten  auf  nochmaliges 
Bitten  der  Verwandten  unter  dem  i8.  September  1594  ein 
abermaliges  Schreiben  an  den  Rath  zu  Nördlingen,  worin 
sie  insbesondere  Folgendes  sehr  bestimmt  erklärten:  Sie 
(die  Gesandten)  hätten  nach  ihrer  Zurückkunft  in  ihrer 
Vaterstadt  fleissig  Bericht  eingezogen  und  erfahren,  dass 
sie  (die  Verhaftete)  als  eine  Ulmer  Bürgerstochter  jeder- 
zeit gottesfürchtig ,  ehrlich  und  ohne  verdächtigen  Arg- 
wohn dessen,  was  man  sie  beschuldigt,  sich  erhalten  habe. 
Ihr  verstorbener  Vater,  vieljähriger  Diener  des  Raths  und 
Amtmann  auf  dem  Lande,  habe  sie  mit  ihren  Brüdern  und 
Schwestern  in  der  Furcht  Gottes,  des  Allmächtigen,  er- 
zogen, und  erstere  seien  von  ihren  Oberen  zu  ehrlichen 
Dingen  gebraucht  worden.  Sie  könnten  sich  daher  des 
Argwohns  nicht  erwehren,  dass  besagte  Frau  durch  miss- 
günstige Leute  (von  welchen  auch  anderen  Orts  die  Obrig- 
keit übel  verleitet  und  übereilt  worden  sei,)  angegeben 
worden.  Auf  erneutes  Ansuchen  der  Freundschaft,  und 
weil  die  Frau  nun  elf  Monate  enthalten  werde,  hätten  sie 
diese  Fürbitte  ergehen  lassen,  deren  Schluss  so  lautet: 
„Darum  an  E.  E.  W.  nochmals  unsere  freundliche  und 
dienstwillige  Bitte,  es  wolle  ein  E.  E.  W.  nunmehr  selbst 
diesen  Sachen  endlich  ab-  und  zur  Ruhe  helfen,  sie,  die 
gefangene  Frau,  solcher  ihrer  Haft  ohne  ferneren  Verzug 
und  Aufhalt,  ohne  Entgeld  und  ihrer  Ehren  halben  unver- 
letzt, ledig  und  auf  freien  Fuss  stellen  und  sie  ihrem  Ehe- 
wirth,  auch  ehrlicher  Freundschaft  solches  unseres  Bittens 
freundlich  und  dienstlich  gemessen  lassen.** 

Somit   war  also   jetzt   wiederholt   ein  Reichs  st  and 


An(y  Achtzehntes  Kapitel. 

für  das  heldenhafte  Weib  eingetreten !  Darüber  war  nicht 
so  leicht  hinauszukommen.  In  seiner  Noth  forderte  daher 
der  Rath  den  Rechtsgelehrten  Sebastian  Röttinger  auf, 
sich  über  das,  was  dem  Andringen  der  Ulraer  gegenüber 
mit  der  Kronenwirthin  anzufangen  sei,  gutachtlich  zu  äus- 
sern. —  Röttinger  erklärte,  nach  den  bei  allen  Gerichten 
anerkannten  Grundsätzen  könnte  man  die  Verhaftete  nicht 
weiter  torquiren  und  könne  sie  auch  nicht  für  immer  im 
Gefangniss  zurückhalten.  Man  möchte  sie  daher  unter 
allerlei  Beschränkungen  entlassen,  d.  h.  sie  vor  Allem  nur 
von  der  Instanz  entbinden.  Der  Verhafteten  sei  zu  er- 
öffnen, dass  man  diese  Gnade  nur  um  der  gegen  sie  ein- 
gelegten Fürbitte  willen  ihr  zu  Theil  werden  lasse,  dass 
sie  aber  vor  der  Entlassung  aus  dem  Gefangniss  eine  ihr 
noch  vorzulegende  Urphede  zu  unterschreiben  liabe  imd 
dass  sie  nach  der  Entlassung  ihr  Haus  niemals  weder  bei 
Tage  noch  bei  Nacht  verlassen  dürfte.  —  Die  Unglück- 
liche unterzeichnete  die  Urphede  und  ging  nun  (im  Februar 
1595)  aus  der  Gefängnisshaft  in  einen  immerwährenden 
Hausarrest  über!  (Das  war  der  Ausweg,  den  man  gefun- 
den hatte !)  Sie  und  die  Ihrigen  riefen  späterhin  noch- 
mals die  Ulmer  Gesandtschaft  zu  Regensburg  mit  der 
Bitte  an,  dahin  wirken  zu  wollen,  dass  eine  angemessene 
ehrenvolle  Freisprechung  erfolge  und  der  Hausarrest  auf- 
gehoben werde.  Gern  entsprachen  die  Ulmer  auch  diesem 
Gesuch,  jedoch,  wie  es  scheint,  ohne  Erfolg,  da  die  Akten 
wohl  die  Ulmer  „Fürschrift"  vom  28.  September  enthalten, 
dagegen  über  eine  auf  dieselbe  bezügliche  EntSchliessung 
des  Raths  durchaus  nichts  mittheilen.  — 

So  waren  die  vier  Schreckensjahre  von  Nördlingen, 
1590 — 1594,  verlaufen,  von  denen  der  Zahlmeister  Peter 
Lemp  in  seiner  Xördlinger  Chronik  sagt,  dass  man  ge- 
sehen, wie  während  derselben  der  Verstand  in  Nördlingen 
spazieren  gegangen  sei.  Fünfunddreissig  Weiber  waren 
während  dieser  vier  Jahre  in  der  kleinen  Stadt  in  Asche 
verwandelt  worden.  Röttinger  und  Graf,  die  beiden  Haupt- 
acteurs  bei  diesen  wüsten  Prozessen,  starben  plötzlich  in 
Einem  Jahre,  —  beide    vor  Gottes  Gericht  geladen,   wie 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     47 y 

man  in  Nördlingen  allgemein  sagte.  —  Auch  im  übrigen 
Deutschland  zeigt  es  sich,  dass  der  Begriff  der  Hexerei 
sich  im  Laufe  des  sechszehnten  Jahrhunderts  ganz  all- 
mählich gestaltete  und  dass  daher  eine  eigentliche  Ver- 
folgung derselben  erst  in  den  beiden  letzten  Jahrzehnten 
desselben  begann.  Dabei  bietet  sich  in  der  zweiten  Hälfte 
des  sechszehnten  Jahrhunderts  noch  vielfach  die  Wahr- 
nehmung dar,  dass  abergläubisches  Segensprechen  u.  dgl. 
und  Hexerei  neben  einander  bestanden  und  von  einander 
unterschieden  wurden.  Pas  erstere  war  im  Volksglauben 
fest  begründet  und  wurde  von  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Obrigkeit  in  der  Regel  nur  durch  Belehrung  und 
Verwarnung  bekämpft.  Die  Hexerei  dagegen  wurde  mit 
eigentlichen  Strafen  geahndet;  aber  anfangs  noch  mit  ge- 
ringeren Strafen,  erst  später  mit  dem  Feuertode  und  erst 
ganz  allmählich  beginnt  vom  Ende  des  sechszehnten  Jahr- 
hunderts an  die  Hexenverfolgung  epidemisch  zu  werden. 
Fassen  wir  z.  B.  das  evangelisch-kirchliche  Gebiet  im  Lande 
zwischen  Rhein,  Mosel,  Nahe  und  Glan  ins  Auge,  so  theilt 
F.  Back  in  B.  III.  seines  auf  dasselbe  bezüglichen  Werkes, 
S.  352  Folgendes  mit: 

In  der  Grafschaft  Sponheim  wurde  bei  einer 
Kirchenvisitation  im  Jahr  1575  überall  danach  geforscht, 
ob  das  Volk  bei  Krankheitsfällen  von  Menschen  und  Vieh 
zu  den  Segensprechern  laufe  oder  sonst  Zaubermittel  ge- 
brauche. Dabei  trat  nun  Allerlei  zu  Tage.  Zu  Winter- 
burg berichtete  der  Censor  von  Repach,  seine  eigene  Frau 
gehöre  zu  den  Segensprechern  und  ihre  Hülfe  werde  oft 
gesucht,  wenn  einem  Menschen  oder  einem  Pferde  ein 
Glied  verrenkt  sei.  Als  darauf  die  Frau  vorgefordert  und 
nach  ihrem  Segenspruch  befragt  wurde,  sagte  sie,  sie  ge- 
brauche folgenden: 

Der  h.  Mann  St.  Simeon 
Soll  gen  Rom  reiten  oder  gähn, 
Da  trat  sein  Fohlen  uf  ein  Stein 
Und  verrenkt  ein  Bein. 

Bein  zu  Bein« 

Blut  zu  Blut 
Im  Namen  Gottes  des  V. 


478  Achtzehntes  Kapitel. 

Ader  zu  Ader,  Fleisch  zu  Fleisch 

So  rhein  khome  sie  zusammen 

In  unseres  Herrn  Jesu  Christi  Namen. 

Also  rhein  du  aus  Mutterleib  khomen  bist. 

Wie  tief  aber  mit  diesem  Unsinn  zugleich  noch  das 
katholische  Kultusleben  im  Herzen  des  Volkes  sass,  war 
aus  der  Bemerkung  der  Frau  zu  ersehen,  dass,  wenn  ihr 
Segen  Kraft  haben  sollte,  bei  demselben  fünfzehn  Pater- 
noster, fünfzehn  Ave  Maria  und  einmal  der  Glaube  ge- 
betet werden  müssten. 

Zu  Enkirch  gebrauchte  die  Gebärmutter  (Hebamme)» 
um  die  Entbindungen  zu  erleichtem,  folgenden  Segen: 

Bärmutter,  war  solltu  gähn? 

Ich  geh  Ober  Feit  dem  sein  Herz  abstossen. 

Bärmutter,  du  solst  es  nit  thun. 

Die  Messen  sind  gesungen, 

Die  Messen  sind  gelesen» 

Der  N.  Bauch  soll  genesen 

Sey  wahr  in  Christi  Namen.     Amen. 

Der  Frau  des  Censors  wurde  gesagt,  dieweil  ihr  Segen- 
sprechen wider  Gottes  Wort  sei,  so  habe  sie  zur  Vermei- 
dung des  göttlichen  Zornes  und  der  Strafe  der  Obrigkeit 
davon  abzustehen.  „Solches  zu  thun  hat  sie  gutwilhg  an- 
genommen und  auch  die  Wehmutter  zu  Enkirch  sprach 
für  die  ihr  gewordene  Unterrichtung  ihren  Dank  aus." 

Auch  ergab  es  sich  bei  der  Kirchenvisitation,  dass 
man  in  den  dortigen  Gemeinden  allerlei  besondere  Segen 
wie  für  Geburten  und  Knochenbrüche,  so  auch  für  kranke 
Kinder,  Kühe,  Schweine,  Pferde  etc.  gebrauchte. 

Bei  einer  Kirchenvisitation  im  Jahr  1591  wurde  der 
Pfarrer  zu  Gebroth  beschuldigt,  dass  er  wie  für  sein  Kind 
so  auch  für  sich  selbst  in  Krankheitsfallen  den  Teufels- 
beschwörer in  DiUenburg  und  andere  Teufelsbanner  ge- 
braucht habe,  und  der  Pfarrer  war  nicht  im  Stande  von 
dieser  Anschuldigung  sich  völlig  zu  reinigen. 

Gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts  hatte  ein  gewisser 
Kistenmacher  zu  Leusel  grossen  Zulauf  von  Leuten,  welche 
vermeinten,  er  könne  Pferde  und  anderes  Vieh,  was  ihnen 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^yg 

abhanden  gekommen,  durch  sein  Beschwören  wieder  her- 
beischaffen oder  den  Zauber  lösen,  dem  sie  das  Erkranken 
ihres  Viehes  beimassen.  Fast  auf  allen  Pfarrconventen, 
die  um  jene  Zeit  in  den  Aemtem  AUenbach,  Birkenfeld 
und  Herstein  gehalten  wurden,  führten  die  Geistlichen 
Klage  darüber,  wie  durch  des  Kistenmachers  gottloses 
Treiben  die  Leute  immer  tiefer  in  den  Unglauben  ver- 
strickt würden.  Durch  landesherrlichen  Befehl  wurde  da- 
her der  Inspektor  Conon  angewiesen,  unter  Zuziehung 
mehrerer  Geistlichen  den  Beschwörer  zu  verhören,  und  ihn 
durch  Belehrung  und  Bedrohung  dazu  zu  vermögen,  dass 
er  sein  sündiges  Treiben  aufgebe.  —  Derartige  Beschwörer 
fanden  sich  aber  auch  an  vielen  anderen  Orten  vor. 

Von  dieser  den  Namen  Gottes  gebrauchenden  und  auf 
die  Abwehr  von  allerlei  Uebel  gerichteten  Zauberei  wurde 
aber  das  eigentlich  sogenannte  Zaubern,  welches  der  Volks- 
glaube als  eine  auf  ein  Bündniss  mit  dem  Teufel  zu- 
rückzuführende Hexerei  auffasste ,  unterschieden.  Aber 
auch  dieses  Vergehen  wurde  in  der  zweiten  Hälfte  des 
sechszehnten  Jahrhunderts  nur  selten  in  der  barbarischen 
Weise  geahndet,  die  in  dem  nächstfolgenden  Jahrhundert 
allgemein  anerkannte  Regel  war.  Es  ist  dieses  z.  B.  aus 
zwei  Fällen  zu  ersehen,  die  Back  S.  357  mittheilt. 

Bei  der  im  Jahr  1591  vorgenommenen  Kirchenvisitation 
war  es  zur  Anzeige  gekommen,  dass  zu  Eckweiler  des 
alten  Hennen  Frau  der  Zauberei  verdächtig  sei.  Die 
Visitatoren  untersuchten  daher  die  Sache,  befanden  jedoch, 
dass  der  einzige  Ankläger  der  Frau  ihr  eigener  Mann  sei, 
der  im  Verdacht  stehe,  dass  er  sie  habe  umbringen  wollen, 
wie  er  sie  denn  bereits  aus  seinem  Hause  Verstössen  habe. 
Daher  ermahnten  die  Visitatoren  den  Mann,  er  solle  seine 
Frau  wieder  zu  sich  nehmen,  friedlich  mit  ihr  leben,  die 
Predigten  fleissig  besuchen  und  sich  des  Besuches  der 
Wirthshäuser  enthalten.  Die  Frau  aber  wurde  ermahnt, 
ihrem  Manne  zu  verzeihen. 

In  der  hinteren  Grafschaft  Sponheim  war  1586  eine 
Frauensperson  eingezogen  worden,  welche  der  Zauberei 
angeklagt    war.     Dieselbe   ward    von    dem    Gericht    „mit 


102  Achtzehntes  Kapitel. 

gethan,  sondern  nur  infolge  teuflischer  Berückung"  sich 
dieser  Vergehen  schuldig  bekannt  habe.  Der  Teufel  sei 
doch  ein  Lügner  von  Anfang  an,  dem  nicht  zu  glauben 
sei.  Auch  sei  er  ein  geistiges  Wesen  ohne  Leib,  könne 
also  keinen  geschlechtlichen  Umgang  ausüben.  Man  möge 
daher  mit  ihr  als  einem  schwachen,  vom  Teufel  bethorten 
Weibe  Erbarmen  haben.  —  Nun  erklärte  allerdings  die 
Juristenfakultät  zu  Marburg  nichts  destowemger,  dass  An- 
geklagte für  eine  vera  saga  zu  halten  sei,  welche  mit  ihrer 
Zauberei  Menschen  geschädigt  habe  und  daher  zu  ver- 
brennen sei.  Ueber  den  Vollzug  dieser  Sentenz  wird  jedoch 
nichts  gesagt. 

Auch  unter  dem  hochgebildeten  ältesten  Sohne  Philipps, 
dem  Landgrafen  Wilhelm  IV.  von  Hessen-Cassel  (den 
die  Nachwelt  mit  Recht  den  „Weisen"  genannt  hat,)  ist 
in  dem  von  demselben  regierten  Niederhessen  keine  Hexe 
verbrannt  worden.  Allerdings  war  auch  Er  von  den  Vor- 
stellungen seiner  Zeit  abhängig.  Als  im  Jahr  1571  zu 
Allendorf  a.  d.  Werra  durch  verdächtige  Weiber  an  einem 
Knaben  allerlei  Gaukeleien  verübt  waren,  (sie  brachten 
aus  seinem  Auge  Fliegen,  Kalk  und  grosse  Stücke  Holz 
hervor,)  und  Landgraf  Wilhelm  desshalb  den  damals  als 
Humanist  und  Naturforscher  vielgenannten  Joachim  Ca- 
merarius  um  Rath  fragte,  übersandte  ihm  dieser  eine 
Abhandlung  über  die  Erforschung  der  Dämonen,  tadelte 
die  Folterung  vermeintlicher  Zauberinnen  als  abergläubisch 
und  grausam  und  erklärte  die  Wasserprobe  für  durchaus 
unsicher.  Allein  L.  Wilhelm  antwortete:  Er  müsse  das 
Recht  ergehen  lassen  und  könne  nach  dem  Beispiel  be- 
nachbarter Obrigkeiten  die  Wasserprobe  nicht  ganz  ver- 
werfen. Denn  wenn  er  gleich  nicht  verstehe,  wie  es  zu- 
gehe, dass  solche  Zauberinnen  nicht  untergingen,  so  schienen 
doch  die  von  ihnen  verübten  Gaukeleien  übernatürlich  zu  sein. 
Es  gebe  noch  mehr  Geheimnisse,  wie  die  Wirkungen  des 
Magnets,  die  er  Gott  anheim  stelle.  —  Diese  Antw^ort  des 
Landgrafen  gab  nun  Camerarius  Veranlassung,  denselben  in 
ernstester  Weise  vor  dem  Gräuel  der  Hexenverfolgung  und 
Hexenverbrennung  zu  warnen,  wobei  er  ihm  insbesondere 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^gß 

das  Geschick  einer  unglücklichen  Frau  zu  Ellwangen  vor- 
hielt, die  darum,  weil  ihr  dem  Trunk  und  Spiel  ergebener 
Sohn  ihr  nachgesagt,  dass  der  Teufel  ihr  Geld  gebracht 
habe,  durch  die  grausamste  Tortur  zu  einem  falschen  Ge- 
ständniss  getrieben  und  hingerichtet  worden  sei^). 

Wie  es  scheint,  blieben  diese  Vorstellungen  auch  nicht 
ohne  Erfolg;  wenigstens  war,  so  lange  L.  Wilhelm  re- 
gierte, in  Hessen-Cassel  von  Hexen  Verbrennungen  nicht 
die  Rede. 

Die   erste    Discussion    über   die   Zauberei   und   deren 
Verfolgung   trat  in  Hessen  1575   hervor,    indem  bei  dem 
zu  Marburg  residirenden  Landgraf  Ludwig  von  Oberhessen 
zwei  im  Amte    Blankenstein    ergriffene    Frauenspersonen, 
Mutter   und    Tochter,    welche   im   Gerüche  der   Zauberei 
standen  und  sich  auch  gegenseitig  „Zäubersche"  schimpften, 
zur  Anzeige  imd   nach  Marburg  in  Haft  gebracht  waren. 
Der  Landgraf  kam  über  diesen  Fall  in  die  grosste  Noth; 
denn  gegen  die  Verhafteten  ohne  Weiteres  nach  der  pein- 
lichen Halsgerichtsordnung  des  Reichs  verfahren  zu  lassen, 
hinderte    ihn   sein  Gewissen.     Daher  legte   er  die    Sache 
der    gerade    damals   in    Marburg    versammelten   General- 
synode Gesammthessens  vor,    die   er  aufforderte  sein  Ge- 
wissen zu  berathen  *).    Bei  der  hierdurch  veranlassten  Dis- 
cussion der  Synode  zeigte  es  sich  nun  allerdings,  dass  die 
Mitglieder  derselben  von  dem  Glauben  an  die  Möglichkeit 
einer  mit  teuflischer  Hülfe  zu  bewerkstelligenden  Zauberei 
beherrscht  waren.     Der  Superintendent   der  Casseler  Diö- 
cese  klagte,    deiss   das  Unwesen   der  Zauberei  neuerdings 
immer   mehr  überhand  nehme,    wesshalb  man  demselben 
mit  aller  Macht  zu  wehren  verpflichtet  sei.    Andere  Stim- 
men   aber  machten  darauf  aufmerksam,    dass  der  Teufel 
ein  Lügner  von  Anfang  sei  und  nicht  aufhöre,  unschuldige 
Leute  in  argen  Verdacht  zu  bringen.    Schliesslich  mochte 
aber  die  Synode  sich  in  diese  Angelegenheit,  die  gar  nicht 


*)  V.  Rommel,  Gesch.  von  Hessen,  B.  V.  S.  657. 

*)  Vgl.  Heppe,  Gesch.    der   hessischen  Generalsynoden   von    1568—1582, 
B.  1.  S.   139  ff- 


aSa  Achtzehntes  Kapitel. 

vor  ihr  Forum  gehöre,  mischen  und  überliess  es  dem  Land- 
grafen dieselbe  nach  Recht  und  Gesetz  untersuchen  zu 
lassen. 

Mit  dieser  Kundgebung  der  Generalsynode  war  jedoch 
der  zu  Cassel  residirende  Landgraf  Wilhelm,  der  Weise 
genannt,  durchaus  nicht  zufrieden,  wesshalb  er  alsbald 
durch  ein  Generalausschreiben  alle  Pfarrer  Niederhessens 
aufforderte  ^) ,  das  Volk  zu  belehren ,  dass  die  Zauberei 
Niemandem  schaden  könne,  wenn  man  nicht  daran 
glaube.  Denn  der  böse  Feind  habe  keine  Macht,  wo 
man  ihm  nicht  Raum  gebe. 

Anders  aber  als  der  erleuchtete  Landgraf  Wilhelm 
dachte  dessen  jüngerer  Bruder  Georg  zu  Darmstadt,  der 
gegen  Ende  des  Juni  1582  mehrere  Frauenspersonen  als 
überführte  Hexen  verbrennen  liess^).  Es  war  dieses  das 
erste  Vorkommniss  dieser  Art  in  Hessen.  Um  so  erfreu- 
licher war  die  für  jene  Zeit  wahrhaft  imponirende  Frei- 
sinnigkeit, welche  die  in  diesem  Jahre  zu  Marburg  ver- 
sammelte Generalsynode  in  ihrer  Auffassung  der  Hexerei 
und  des  Teufelsspuks  kund  gab. 

Hier  theilte  nämlich  der  Superintendent  Meier  zu  Cassel 
mit,  in  Cassel  sei  ein  gewisser  Heinz  Badstuber,  der  an- 
geblich vor  einer  Reihe  von  Jahren  mit  dem  Teufel  einen 
Pact  auf  zwölf  Jahre  eingegangen  habe,  nach  deren  Ab- 
lauf er  dem  Teufel  verfallen  sein  wollte.  Da  nun  die 
Verfallzeit  seiner  Seele  bevorstehe,  und  er  desshalb  in 
grosser  Noth  sei,  so  bitte  er,  dass  ihm  seitens  der  Kirche 
gegen  den  Teufel  Schutz  und  Hülfe  gewährt  werden 
mochte.  Der  Superintendent  füg^e  hinzu,  vorläufig  habe 
er  den  Badstuber  ermahnt,  gegen  die  Anfechtungen  des 
leidigen  Satan  die  Waffen  des  Gebets  zu  gebrauchen,  und 
den  Bund  zu  halten,  welchen  er  in  der  Taufe  mit  seinem 
Gott  und  Heiland  geschlossen  habe,  um  den  Bund  mit  dem 
Teufel  aber  sich  nicht  zu  kümmern.  —  Diese  Mittheilung 
war  natürlich  der  ganzen  Synode  sehr  überraschend :  aber 


*)  Gencralsynoden   II.  S.  245 — 246. 
-)  Oenfrahvnoden,  B.  11.  S.  245. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     485 

nicht  Eine  Stimme  forderte,  dass  gegen  den  Badstuber 
peinlich  vorgegangen  würde.  Vielmehr  wurde  mehrseitig 
geäussert,  dass  möglicher  Weise  die  ganze  Geschichte  er- 
logen sei,  imd  schliesslich  vereinigte  man  sich  zu  dem 
Beschluss,  der  Badstuber  sollte  in  spezielle  kirchliche  Auf- 
sicht genommen,  zum  täglichen  Besuch  der  Gottesdienste 
angehalten,  in  denselben  sollte  für  eine  vom  Teufel  ange- 
fochtene Person  gebetet  und  eventuell  sollte  er  in  Kirchen- 
busse genommen  imd  öffentlich  absolvirt  werden.  Von 
einer  „Leibesstrafe**  aber  habe  man,  „weil  dieser  Fall  mehr 
durch  des  bösen  Feindes  betrügliche  Nachstellung  als  durch 
des  Badstubers  Rath  und  zeitigen  Vorbedacht  geschehen," 
Abstand  zu  nehmen. 

Weiterhin  wurde  angezeigt,  dass  sich  eine  der  Hexerei 
bezüchtig^e  Frau  zu  Darmstadt  durch  ihr  Davonlaufen  ver- 
dächtig gemacht  habe.  Sie  sei  allerdings  zurückgekehrt, 
allein  sie  sage  selbst,  dass  sie  des  Teufels  sei  und  dass 
der  Teufel  in  ihrem  Namen  gethan  habe,  was  man  ihr 
Schuld  gebe.  Es  frage  sich  daher,  wie  man  gegen  die- 
selbe zu  verfahren  habe.  Der  Berichterstatter  fügte  je- 
doch hinzu,  man  habe  ein  gross  Geschrei  gemacht,  dass 
die  Angeklagte  mehrere  Eheweiber  behext  habe;  es  sei 
dieses  aber  jedenfalls  erlogen.  —  Diese  Mittheilung  gab 
zu  einer  Discussion  über  das  Zauberwesen  überhaupt  Ver- 
anlassung. Die  Stellimg,  welche  die  meisten  Synodalen 
zu  der  Frage  einnahmen,  war  in  der  von  dem  Hauptmann 
von  Ziegenhain  Eitel  v.  Berlepsch  (als  landesherrlichem 
Comraissar)  abgegebenen  Erklärimg  dargestellt :  Er  sei 
der  Meinung,  ein  Christ  solle  nur  den  Teufel  und  die 
Zauberei  verachten,  und  der  Teufel  habe  verloren.  Wenn 
man  aber  die  bösen  Künste  hochachte  und  sie  fürchte,  so 
habe  der  Teufel  gewonnen.  —  Am  ausführUchsten  sprach 
sich  der  damalige  Stadtpfarrer  zu  Marburg  (H.  Herder) 
aus :  Wenn  die  Zauberin  zu  Darmstadt  erkläre,  der  Teufel 
möge  das  ihr  Schuld  gegebene  in  ihrem  Namen  gethan 
haben,  so  sei  dieses  wohl  zu  überlegen.  Denn  es  sei  be- 
kannt, wie  der  Teufel  durch  seine  betrüglichen  Einge- 
bungen bei  den  zauberischen  Tänzen  die  Hand  im  Spiele 


486 


Achtzehntes  Kapitel. 


habe,    indem   wohl    Etüche    bei    denselben    zugegen    sein 
möchten,   aber  sehr  Viele  nur  durch   die  Berückung  und 
Illusion   des  Satans    dabei    gewesen    zu    sein    vermeinten. 
Auch   stelle  des  Teufels  Trug  dabei  gar   manchmal  ima- 
gines   innocentissimorum  hominum   als  Zauberer    vor  und 
bringe  dieselben  dadurch  in  bösen  Verdacht.     Der  Satan 
gebe  den  von  ihm  Besessenen  auch  Träume  ein  und  suche 
dieselben  dadurch  zu  berücken,  dass  sie  glauben  müssten, 
sie  hätten  das  in  Wahrheit  erlebt  oder  die  Dinge  wirklich 
gethan,  mit  denen  sie  nur  im  Traume  zu  thun  gehabt  hätten. 
Man  solle  das  Volk  darüber  belehren,    dass   ohne  Gottes 
Willen    die  Zauberei    keinem  Menschen   Schaden  bringen 
könnte,    und   wenn  Jemand   durch  sie  geschädigt  zu  sein 
glaube!    so    solle   er    sagen:    Dominus  dedit,    Dominus 
abstulit.     Auch    solle   man    das  Volk   ermahnen,    sich  mit 
der  Waffe  des  Gebets  gegen  die  Anläufe   des  Teufels  zu 
schützen,  und  nicht  Alles,  was  unerklärUch  erscheine,  für 
des  Teufels  Blendwerk  zu  halten.     Denn   gar  Vieles  sehe 
man,  wie  der  Superintendent  Meier  richtig  bemerkt  habe. 
als  Zauberei  an,    was    doch   mit  ganz  natürlichen  Dingen 

zugehe. 

In  dem  Beschluss,    den  die  Synode  betreffs  der  Zau- 
berei in  ihren  Abschied  aufnahm,  Hess  daher  dieselbe  wohl 
den  Glauben   an   Zauberei   und   an  die  MögUchkeit    eines 
Bundes    mit    dem  Teufel  unangetastet,    aber   sie  forderte 
auch,  „dass  nicht  allein  insgemein  gegen  die  Zauberei  ge- 
predigt, sondern  auch  das  Volk  unterrichtet  werde,   dass 
nicht  Alles,    so  den  Leuten  begegnet,  der  Zauberei  zuzu- 
schreiben sei,  da  gar  Vieles  aus  Gottes  sonderücher  Schickung 
oder  auch  natüriichen  Ursachen  geschehe,  und  dass  keiner 
weiter    als   es  Gott  verhänge,    durch   Zauberei   könne  be- 
schädigt werden ;    dagegen  wahre  Busse ,    das  Gebet  und 
andere    christliche    und    auch   natürliche  Mittel  gebraucht 
und  auch  das  unchristliche  Verieumden  und  unschuldiger 
Leute  Diffamation  gänzlich  verhütet  werden  solle,  wie  das- 
selbe von  einem  Christen  insonderheit  erfordert  wird"  *).  - 

~      ')  üeber  alle  diese  Verhandlungen  vgl.  ire/>/>e,  hessische  Generalsynoden. 
B.  11.  S.  230—252. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^87 

Die  Generalsynode  von  1582  war  die  letzte,  aufweiche 
sich  Vertreter  der  Kirche  aller  Theile  Hessens  zusammen- 
sahen. Durch  die  Verhandlungen  über  die  Concordien- 
formel  waren  die  confessionellen  Gegensätze  so  stark  an- 
geregt, dass  fernerhin  nur  Spezialsynoden  der  einzelnen 
hessischen  Territorien  möglich  waren.  Nun  ist  zu  beach- 
ten, dass  während  in  Niederhessen  bis  zu  des  Landgrafen 
Wilhelm  IV.  Tod  (1592)  nicht  Eine  Hinrichtung  wegen 
Hexerei  vorkam,  in  den  anderen  hessischen  Territorien, 
nämlich  in  dem  von  L.  Ludwig  zu  Marburg  regierten 
Oberhessen,  und  in  Hessen-Darmstadt,  wo  der  lutherische 
Confessionalismus  Platz  gegriffen  hatte,  eben  damals  auch 
die  Hexenverfolgung  ihren  Anfang  nahm.  Im  Jahr  1584 
klagte  ein  achtzigjähriger  Greis  zu  Nidda  bei  dem  L.  Lud- 
wig zu  Marburg,  seine  Frau  sei  der  Hexerei  angeklagt 
und  desshalb  mit  der  scharfen  Frage  angefasst  und  ge- 
martert, endlich  aber  unschuldig  befunden  und  allen  Ver- 
dachts frei  gesprochen  worden.  Gleichwohl  wolle  sie  nun 
der  Rentmeister  zu  Nidda  als  eine  verdächtige  Person  in 
der  Stadt  nicht  dulden.  Im  Jahr  1591  war  eine  Frau  wegen 
Verdachts  der  Hexerei  torquirt  und  als  unschuldig  ent- 
lassen worden.  Ihr  Mann  bat  nun  den  Landgrafen  Lud- 
wig den  Kläger  zum  Schadenersatz  anzuhalten,  weil  seine 
Frau  durch  die  Tortur  für  ihr  ganzes  Leben  zum  Krüppel 
geworden  sei.  Im  Jahr  1595  wurde  eine  Hexe  auf  der 
Amöneburg  verbrannt,  während  viele  andere  Verdächtige 
in  Haft  waren.  Die  heftigste  Hexenverfolgung  fand  aber 
in  den  Jahren  1596 — 1598  statt.  Aus  allen  Aemtem  des 
Landes  wurden  damals  Verdächtige,  namentlich  nach  Mar- 
burg, in  Haft  gebracht. 

In  der  Landgrafschaft  Hessen-Darm  Stadt  stellte 
L.  Georg  zu  Darmstadt  ^)  (t  1596)  eine  peinliche  Gerichts- 
ordnung, welche  für  dieses  Land  die  erste  gegen  das 
Hexenwesen  gerichtete  Strafbestimmung  brachte.  In  der- 
selben heisst  es  nämlich:  „Die  Zauberei  ist  ein  gräuliches, 


*)  Vgl.    Steiner,    Georji   I.    Landgr.    von    H.-Darmstadt   (Gross-Steinheim. 
1861)  S.  55  ff. 


AgQ  Achtzehntes  Kapitel. 

sonderbares,  ungöttliches ,  hochsträfliches  Laster,  welches 
jetziger  Zeit   fast   allenthalben   unter   den  Weibspersonen 
durch  Gottes  gerechten  Zorn  und  Verhängniss  eingerissen, 
daher    die  Beamten    mit  allem  Fleisse  inquiriren,    alsbald 
eine  Person  des  Lasters  bezüchtigt   und   ein  Geschrei  er- 
schollen,   da  es  sich  befindet,   dass  eine  publica  vox  et 
fama   sei,    zu  Haften  bringen  sollen.*'     Nach   dieser  Vor- 
schrift wurde    denn    auch   in    Darmstadt   alsbald   wacker 
Hand   ans  Werk  gelegt.     Im  Jahr  1585    waren   daselbst 
nicht   weniger    als   dreissig   Personen    wegen    Hexerei   in 
Untersuchung,  von  den  siebenzehn  (derenNamen  wir  wissen,) 
hingerichtet,    und   sieben   des  Landes   verwiesen  wurden. 
Eine  Unglückliche  machte  ihrem  Leben  selbst  ein  Ende'). 
In  der  Landgrafschaft  Hessen-Cassel    (Nieder- 
hessen) dagegen   hielt    man   sich  noch  immer  an  die  alte 
Reformationsordnung  von  1573,  welche  alle  Wahrsagerei, 
Cristallenseherei  und   dergleichen  Aberglauben   streng  zu 
ahnden   befahl;    dagegen  war   hier   von    der   spezifischen 
Hexerei  noch  immer  keine  Rede.    Ein  ganz  vereinzelt  da- 
stehender  Fall    war   die    in    einer   Schmalkalder  Chronik 
zum  Jahr  1 598  erwähnte  Verbrennung  einer  Hexe,  welche 
„die  Milch  der  nachbarlichen  Kühe  stehen  gemacht,  sechs 
Pferde  gesterbt    und  das    aus  dem  Munde  genommene  h. 
Abendmahlsbrot  in    ein   anderes  Brot   gebacken    und   auf 
Anstiften  des  Satans  ihrem  Sohne  zu  essen  gegeben.*'  Es 
wird  dabei  bemerkt,    dass   dieses  ein  seit  hundert  Jahren 
nicht  vorgekommener  Fall  gewesen  sei  *).    Im  eigentlichen 
Niederhessen  ist  der  erste  aktenmässig   feststehende  Fall, 
dass   ein   wegen  Zauberei  Angeklagter   (Joh.  Kohler,  gt** 
nannt  Stölzelfuss  aus  Niederurf)  „durch  Richter  und  Schöffen 
zur  scharfen  Frage  erkannt"  werde,  im  Jahr  1605  vorge- 
kommen.   Seitdem  nahmen  die  Hexenprozesse  freilich  auch 
in  Niederhessen  überhand.     Doch   ist    zu   beachten,    dass 
einer  der  ersten,    welche  auf  die  gefahrliche  Anwendung 


')  V^l.    <ien   Art.    .Zur    Hexen^cschichlc*    m   der    Danwst.    Zeitunu    voo 
j85^  Nr.  11  ;i. 

*-)  Ä'of/imt'/,  (u'stli.  V.   Ill'^^en.  H    VI,  S.  f>3l. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz.  Italien,  Spanien  elc.     ^go 

der  Tortur  aufmerksam  machten,  ein  Hesse  war,  nämlich 
Ludwig  Gilhausen^),  des  berühmten  Vultejus  würdiger 
Schüler. 

In  der  Grafschaft  Nassau-Dillenburg  wurde  der 
Ausbruch  der  Hexenverfolgung  am  Ende  des  sechszehnten 
Jahrhunderts  für  geraume  Zeit  durch  den  trefflichen  (re- 
forrairten)  Grafen  Johann  VI.  (t  1606)  —  der  die  Leib- 
eigenschaft in  seinem  Lande  aufhob  und  für  die  Hebung 
der  geistigen  Bildung  seines  Volkes  sehr  thätig  war,  — 
aufgehalten.  Es  liegt  ein  Erlass  desselben  vom  28.  Juli 
1582  vor^),  aus  welchem  zu  ersehen  ist,  mit  welchem 
Ernste  und  mit  welcher  Freisinnigkeit  er  sich  über  die 
Frage,  wie  die  Hexerei  anzusehen  und  was  ihr  gegenüber 
zu  thun  sei,  ins  Klare  zu  bringen  suchte.  Er  sagt,  dass 
er  trotz  vielfältiger  Klagen  über  Beschädigung  von 
Menschen  und  Vieh,  welche  „von  Zauberinnen  entspringen 
sollen",  und  trotzdem,  dass  ihm  die  angeblichen  Hexen 
genannt  worden  seien  und  ihre  „Ausrottung**  verlangt  werde, 
doch  nicht  gegen  sie  vorgegangen  sei,  sondern  er  habe 
erst  bei  sich  selbst  nachgedacht,  dann  habe  er  sich  bei 
vornehmen  Standespersonen  und  in-  und  ausländischen 
Rechtsgelehrten  erkundigt  und  sei  zu  dem  Resultat  ge- 
langt, dass  man  in  Sachen,  welche  Leib  und  Leben  und 
der  Seelen  Seligkeit  betreffen,  „nicht  liederlich**  und  auf 
blosse  Anzeige  hin  handeln,  auch  Niemanden  vor  einge- 
zogener besserer  Erkundigung  angreifen,  geschweige  denn 
mit  ihm  zum  Feuer  eilen  dürfe.  Damit  er  aber  jeder  Zeit 
wissen  möge,  was  es  mit  Denjenigen,  die  als  „Hexen  oder 
Zauberinnen  angegeben  werden**,  für  eine  Beschaffen- 
heit habe,  so  sollten  sich  die  Schultheissen  jedesmal  bei 
den  Heimburgen ,  bei  vier  Geschworenen  und  anderen  un- 
parteiischen Leuten  im  Stillen  erkundigen,  wodurch  die 
angeschuldigten  Personen  in  den  Verdacht  der  Hexerei 
gekommen  wären,  ob  gegründete  Beweise  für  die  ihnen 


')   Tittmanns  Gesch.  der  deutschen  Strafgesetze  (1830),  S.  290—291. 

*)  Dieses  interessante  Actum  hat  L.  Götze  in  den  ^Annalen  des  Vereins 
für  Nassauische  Alterthumskunde  und  Geschichtsforschung",  B.  XIII.  S.  327 
bis  329  mitgetheilt. 


AQO  Achtzehntes  Kapitel. 

zur  Last  gelegte  Schadenstiftung  vorhanden  und  nament- 
lich, „wie  sie  sich  von  Jugend  auf  bis  anhero  erzeigt,  ob 
sie  sich  christlich  und  fromm,  auch  aller  guten  Nachb<ir- 
Schaft  beflissen  und  sich  diesfalls  unbescholten  verhalten 
hätten."  —  Durch  diesen  so  verständigen  Erlass  des  Gra- 
fen wurden  damals  die  Schultheissen  zu  Herbom,  Haiger, 
Dillenburg,  Dringenstein,  Eberspach  und  Burgpach  be- 
schieden. 

In  Hamburg  war  schon  im  Jahr  1521  ein  Doktor 
Viet,  der  besonders  als  Accoucheur  viel  beschäftigt  war, 
wie  es  scheint,  wegen  der  Hexen-  und  Zauberkünste,  die 
er  dabei  getrieben  haben  soll,  lebendig  verbrannt.  Der 
nächstfolgende  Fall  zeigt  dann  bereits,  dass  die  Justiz  vom 
Boden  des  alten  Rechts  sich  zu  dem  die  Hexenprozesse 
charakterisirenden  Willkürverfalnpen  hinzuneigen  beginnt, 
zumal  da  hier  gar  nicht  eine  Anklage  auf  Zauberei  vor- 
lag. Der  Fall  betraf  den  ersten  Märtjn-er  des  Evangeliums 
in  jener  Gegend,  Heinrich  von  Zütphen,  deneinHam- 
burgischer  Offizial  durch  seinen  Vikar  Johann  Schnittger 
1524  zum  Scheiterhaufen  verurtheilen  liess.  Das  Urtheil 
lautete  :  „Dieser  Bösewicht  hat  gepredigt  wider  die  Mutter 
Gottes  und  wider  den  christlichen  Glauben,  aus  w^elcher 
Ursache  ich  ihn  vonwegen  meines  gnädigsten  Bischofs 
zum  Feuer  verurtheile."  Doch  kamen  derartige  Fälle  zur 
Zeit  in  Hamburg  wie  anderswo  nur  ganz  vereinzelt  vor. 
Anders  aber  wurde  die  Sache,  als  in  Hamburg  die  Folter 
eingeführt  wurde,  indem  eben  damit  auch  die  grosseren 
Hexen verfolgimgen  begannen.  Der  erste  Fall,  wo  zu 
Hamburg  erweislich  die  Tortur  zur  Anwendimg  kam,  war 
auch  der  erste  Fall  einer  grösseren  Hexenverfolgung.  Am 
16.  Juli  1555  nämlich  wurden  zu  Hamburg  von  vierzehn 
Hexen,  welche  in  Haft  waren,  zwei  zu  Tode  gepeinigt 
und  vier  (worunter  die  „Vögtin  aus  Hamm"  war)  lebendig 
verbrannt.  Schon  1556  wurde  sodann  am  25.  Juli  ein 
Hexenmeister  sammt  seinen  Kameraden  lebendig  mit  dem 
Feuertode  bestraft.  Dasselbe  geschah  am  12.  August  1576 
mit  fünf  Hexen  (deren  Namen  genannt  werden).  Später 
wurden  am  12.  August   1581  sechs  Hexen,  am  8.  März  158.^ 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^g  i 

eine  und  am  26.  August  desselben  Jahres  fünf  Hexen  ver- 
brannt*). Auch  werden  Hexenverbrennungen  zu  Hamburg 
aus  den  Jahren  1589,  1591  und  1594  erwähnt*). 

In  Hamburg  erschien  auch  damals  (1587)  die  erste  nie- 
der deutsche  Druckschrift  über  den  Hexenprozess  unter  dem 
Titel;  De  Panurgia  lamiarum,  sagarum,  strigum  ac  vene- 
ficarum  totiusque  cohortis  magicae  Cacodaemonia  LL.  m., 
Dat  ys:  Nödige  vnd  nütte  vnderrichtinge,  i)  Van  der  Tö- 
verschen  geschwinden  list  vnd  geschicklichkeit  quadt  to 
donde;  2)  Vnde  dat  Töverye  eine  düvelsche  Sünde  sy,  de 
wedder  alle  teyn  Gebade  Gades  strydet ;  3)  Vnde,  wo  eine 
Christlike  Ouericheit  mit  sodanen  gemeinen  Fienden  Minsch- 
likes  geslechtes  vmmeghan  schöle.  Durch  M.  Samuel em 
Meigerium,  Pastoren  tho  Nordtorp  in  Holstein  (Ma- 
lachiä  3)."  — 

Sehr  geringen  Anklang  scheint  die  Hexenverfolgung 
im  sechszehnten  Jahrhundert  in  Lübeck  gefunden  zu 
haben;  wenigstens  werden  in  Dittmer's  Sassen-  und 
Holstengericht  {Lübeck,  1843)  ^^^  ^^^  Gerichts-Annalen 
des  klösterlichen  Vogteigerichts  zu  Lübeck  nur  drei  Fälle, 
aus  den  Jahren  1551,  1581  und  1591  erwähnt*).  Im  Falle 
von  1551  dringen  aber  die  Angeklagten  selbst  mit  Unge- 
stüm auf  Untersuchung  der  gegen  sie  erhobenen  Anschul- 
digung, wobei  eine  Frau  äussert:  „will  mir  Gott  nicht 
helfen,  so  helfe  mir  der  Teufel,"  infolge  dessen  diese  nun 
peinlich  verhört,  zum  Bekenntniss  gebracht  und  nun  zum 
Feuertode  verurtheilt  wird.  Der  Prozess  von  1591  endete 
so,  dass  der  Ankläger  verhaftet  wird  und  der  Angeklagten 
;i^  Schill,  für  ihre  Unkosten,  sowie  60  Seh.  Brüche  an  das 
Kloster  zahlen  muss. 

In  der  Reichsstadt  Nordhausen  erfolgten  die  ersten 
Hexenverbrennungen,  von  denen  wir  wissen,  im  Jahr  1573. 
Etwas  Eigenartiges  tritt  in  der  dortigen  Zauberei  insofern 
hervor,  als  die  beiden  Hexen,  welche  in  dem  genannten  Jahre 


1)  C.   Trümmer,  Vorträge  etc.  S.   110—112. 

'^)  Ebendas.  S.   115. 

')  Der  nächstfolgende  Fall  gehört  dem  Jahre  1631  an. 


^Q2  Achtzehntes  Kapitel. 

justifizirt  wurden,  die  Geschicklichkeit  besassen,  den  Leuten 
Eiben  (Plagegeister)  im  Namen  des  Teufels  massenweise 
anzuhexen,  und  dieselben  auch  im  Namen  Gottes  aus  den 
Menschen  wieder  zu  vertreiben*). 

Auffallend  früh  und  mit  besonderer  Heftigkeit  trat  die 
Hexenverfolgung  in  denjenigen  deutschen  Landen  her\'or, 
welche  an  romanische  Gebiete  angrenzten. 

Im  Elsa  SS  begannen  sich  die  Hexenprozesse  nament- 
lich seit  1570  zu  mehren^).  Ein  furchtbares  Brennen  fand 
an  vier  Oktobertagen  des  Jahres  1582  statt').  In  dem 
kleinen  Städtchen  Thann  im  oberen  Elsass  wurden  in  einem 
Zeitraum  von  achtimdvierzig  Jahren  (1572 — 1620)  nicht 
weniger  als  hundertsechsunddreissig  Hexen  hingerichtet, 
und  zwar  fast  alle  verbrannt,  einzelne  dabei  noch  auf  dem 
Wege  zur  Richtstätte  wiederholt  mit  glühenden  Zangen 
gezwickt  *).  Und  doch  war  das  Alles  nur  das  Vorspiel  zu 
den  massenhaften  Hinrichtungen,  welche  nach  1620  er- 
folgten! In  den  Jahren  161 5 — 1635  wurden  im  Bisthum 
Strassburg  an  fünftausend  Hexen  hingerichtet*). 

In  Flandern  wüthete  die  Hexenverfolgung  durch 
die  zweite  Hälfte  des  sechszehnten  und  durch  das  sieben- 


*)  Försiemann,  Kleine  Schriften  zur  Gesch.  der  Stadt  Nordhausen  (lb5;>) 
S.   102  fF. 

')  Wie  gross  die  Angst  des  Strassburger  Magistrats  vor  dem  Teufel  im 
Jahr  1535  war,  ist  aus  einem  Vorfall  2u  ersehen,  den  Retiss  (in  der  unten  an- 
geführten Schrift  S,  179)  mittheilt.  Damals  hatte  ein  Ungenannter  den  Magi- 
strat ersucht,  ihm  den  Druck  einer  Schrift  Über  die  Werke  des  Teufel >  zu 
Schiltach  (welches  Städtchen  die  Hexen  angezündet  hatten,)  zu  gestatten.  Der 
Magistrat  lehnte  jedoch  das  Gesuch  mit  dem  Bemerken  ab,  dass  er  mit  dem 
Teufel  nichts  zu  schaffen  haben  wollte. 

')  WarhalTte  vnd  glaubwirdige  Zeyttung  von  Hundert  vnd  vicrvnddrey^sii; 
Unholden,  So  vmb  irer  Zauberey  halben  diss  verschinen  ISB'i  Jars  zu  Gc- 
fcncknus  gebracht  vnd  den  15.  19.  24.  28  October  auff  ihr  vnmcnschlicbc 
Thaten  vnd  gräwliche  aussag  —  —  zum  Fe  wer  verdampt  vnd  verbrennet 
worden.*     Strassburg,   1583  (4'*)- 

*)  Rudolphe  Reuss^  La  sorcellerie  au  16.  et  au  17.  si^cle,  particulicrcmenl 
en  Alsace,  S.   192  — 194. 

*)  SchrtUur  iiu  Taschenb.  für  Gesch.  u.  Alterth.  in  Süddcutschhnil, 
l84^>,  S.   19:1. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     403 

zehnte  Jahrhundert  hin  und  wie  überall,  so  war  es  auch 
hier  die  Folter,  welche  die  Hexen  an  den  Tag  brachte  ^). 

O  est  erreich  hielt  sich  —  Dank  seiner  verständigen 
Gesetzgebung!  —  von  den  Gräueln  der  Hexenverfolgung 
ziemlich  lange  frei.  Aus  den  Jahren  1498  und  1499  wird 
von  einer  „Alraune"  (d.  h.  Zauberin)  zu  Wien  berichtet, 
welcher  der  Landeshauptmann  und  der  Bürgermeister  mit 
vierundzwanzig  Gewappneten  auf  dem  Lande  nachgestellt 
habe.  Man  will  nun  zwar  nicht  die  „Alraune",  aber  deren 
Gefährten  bei  Dümkrut  gefasst  haben  und  derselbe  soll 
mit  dem  Schwerte  hingerichtet  und  verbrannt  worden  sein  ^), 
Verbürgt  ist  nur  eine  1498  am  21.  Oktober  zu  Wien  vor- 
gekommene Hinrichtung  durch  das  Schwert  und  Ver- 
brennen, wobei  die  Weigerung  des  Wiener  Scharfrichters 
bemerkenswerth  ist,  „der  nicht  richten  hat  wollen".  Man 
hatte  daher  den  Scharfrichter  von  Krems  herbeiholen 
müssen,  welchem  —  und  das  ist  ebenfalls  zu  beachten,  — 
nach  geschehener  Exekution  „das  Schwert  neu  gefasst 
und  zugerichtet  wurde".  Dieses  ist  der  einzige  akten- 
mässig  feststehende  Wiener  Fall  im  fünfzehnten  Jahr- 
hundert ^). 

Auch  um  die  Mitte  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
treten  in  Oesterreich  nur  wenige  Fälle  von  Hinrichtungen 
hervor.  Grosses  Aufsehen  machte  die  1540  an  einer  Un- 
holdin Barbara  Pachlerin,  die  auf  dem  Hexenstein  im  Ti- 
roler Samthai  ihr  höllisches  Unwesen  getrieben,  vollzo- 
gene Exekution,  indem  dieselbe  durch  den  Henker  von 
Meran  zu  Asche  verbrannt  wurde*). 

Der  nächste  Fall,  dessen  Akten  noch  vorhanden  sind, 
gehört  dem  Jahre  1 583  an.    Derselbe  betraf  ein  sechszehn- 


')  Eine  Sammlung  von  hierauf  bezüglichen  Urkunden  wird  von  Cannaert 
in  dessen  Schrift  Ober  den  Procös  des  sorci^res  en  Belgique  (Gand  1847) 
mitgetheilt. 

')  A.  Silber  stein,  Denksäulen  im  Gebiete  der  Kultur  und  Literatur  (Wien, 
1879),  S.  211. 

■)  Schlager,  Wiener  Skizzen  aus  dem  Mittelalter,  Neue  Folge,  II.  S.  35. 

*)  „Barbara  Pachlerin,  die  Sarnthaler  Hexe",  herausgegeben  von  Jgn, 
Zingerle,  Insbr.   1858. 


AQA  Achtzehnles  Kapitel. 

jähriges  Mädchen,    Anna  Schlutterbauer  aus  Mank,   und 
deren   Grossmutter,    die    siebenzigjährige    Elisabeth  Plai- 
nacherin.     Das  junge  Mädchen  litt  an  Krämpfen  und  galt 
als  besessen,    wesshalb    es   auf  kaiserlichen    und   bischöf- 
lichen Befehl  exorcisirt  werden  sollte.    Die  Jesuiten,  denen 
man    nun    diese    ehrenvolle    Operation   zuwies,   bereiteten 
sich    alsbald   durch  Fasten,    Geisselung   und   andere  dem 
Teufel  verhasste  Werke  auf  ihr  schwieriges  Vorhaben  vor. 
Doch  war  der  Kampf  der  frommen  Väter  mit  dem  hart- 
näckigen und  verschmitzten  Satan  nicht  leicht.    Er  dauerte 
(zuerst    in   St.  Polten    begonnen,    dann    in    Mariazell  und 
schliesslich    in    der    St.  Barbarakirche  am   alten  Fleisch- 
markt zu  Wien  fortgesetzt,)    geraume  Zeit.     Endlich  aber 
(am  14,  August  1583)  gewannen  die  Patres  doch  die  Ober- 
hand,   indem    sie    nicht    weniger  als    12652    (sage:  zwölf- 
tausendsechshundertzweiimdfünfzig)    lebendige    Teufel    aus 
dem  Leibe  des  Mädchens  austrieben.    Dasselbe  wollte  ge- 
sehen  haben,    wie    seine  Base    die  Teufel   als  Fliegen   in 
Gläsern  bewahrte,  mit  Teufeln  umging  u*  s.  w.    Die  arme 
Greisin    wurde   nach    den  Betheuerungen    ihrer   Unschuld 
erst  mit  zwei,  dann  mit  drei  Steingewichten  auf  die  Leiter 
gestreckt,    und    schliesslich  bekannte  sie   nicht  nur  Alles, 
sondern  noch  mehr  als  man  haben  wollte,   nämlich:    dass 
der  Teufel   ihr  als  Zwirnknäuel,    als  Kätzchen  erschienen 
sei,  dass  sie  während  fünfzig  Jahren  Wetter  gemacht,   ja 
dass  sie  zum  Hexensabbath  auf  den  Oetscher  —  eine  ein- 
sam hervorragende,  mächtige  Alpenhohe  —  gefahren  sei  ^). 
—  Vergeblich  hatte  der  Stadtrichter  anfanglich  beantragt, 
die  Greisin  als  eine  altersschwache  Person  in  einem   Ver- 
sorgungshaus  unterzubringen ;    er    musste   sie    schliesslich 
verurtheilen,  worauf  sie  zum  Richtplatz  auf  zwei  Brettern, 
die  mit  Stricken  an  einem  Pferdeschwanz  gebunden  waren, 
hinaus   nach  Erdberg   auf  die  „Gänsweid"    geschleift  und 
dort  verbrannt  wurde. 

Aus  dem  Jahr  1 588  wird  berichtet,  dass  man  in  Wiener- 

*)  Schlager,  Wiener  Skizzen  im  Mittelalter,  U.  65  ff.;    Jos,  Huber ,   der 
Jesuitenorden  (Rerl.    1873),  S.  339—340  und  Silberstein,  S.  212—213. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz.  Italien,  Spanien  etc.     4g  e 

Neustadt  zwei  Zauberinnen  und  einen  Zauberer,  die  Un- 
geziefer machten,  gefangen  hatte.  Ein  Inquisitor  ward 
verschrieben,  der  auch  nach  Wien  kam,  aber  am  Tage 
nach  seiner  Ankunft  daselbst  im  Bette  todt  gefunden 
wurde  ^).  —  Der  Hexenprozess  war  immer  noch  nicht  recht 
im  Gange,  aber  die  Folter  that  schon  ihre  Dienste. 

In  den  Jahren  1601  imd  1603  waren  zwei  arme  Weiber 
als  angebliche  Hexen  im  Kriminalhause  in  der  Himmel- 
pfortgasse zu  Wien  in  Haft.  Eine  derselben  machte  ihrem 
Leben  imd  ihren  Qualen  ein  Ende,  indem  sie  sich  in  den 
Brunnen  des  Gefängnisses  stürzte;  die  andere  unterlag 
den  Qualen  der  Folter.  Die  Leiche  der  letzteren  wurde 
daher  auf  die  Gänseweide  am  Erdberge  geschleift  imd 
daselbst  verbrannt.  Die  Leiche  der  ersteren  dagegen,  die 
noch  nichts  gestanden  hatte,  durfte  nicht  verbrannt,  konnte 
aber  auch  nicht,  als  der  magia  posthuma  verdächtig,  in 
der  Nähe  Wiens  beerdigt  werden.  Sie  wurde  daher  in 
ein  Fass  gepackt  und  mit  demselben  in  die  Donau  ge- 
worfen, damit  sie  fem  von  Wien  verwese*). 

Mit  am  frühesten,  brach  die  Hexenverfolgung,  —  die 
bisher  nur  vereinzelt  vorgekommen  war,  —  in  grösseren 
Massen  im  italienischen  Tyrol  hervor.  Eine  im  Statt- 
halterei-Archiv  zu  Insbruck  aufbewahrte  Aufzeichnung  vom 
Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  berichtet  über  die  Justifi- 
zinmg  von  etwa  dreissig  Hexen  aus  dem  Fleimser  Thale, 
die  unter  dem  Hauptmann  Vigil  von  Firmian  eingezogen 
worden  waren.  Die  meisten  wurden  verbrannt  oder  er- 
säuft :  einige  retteten  sich  durch  die  Flucht.  Das  Vermögen 
Aller  (welches  bei  jeder  Delinquentin  genau  angegeben  ist,) 
wurde  confiscirt ^).  —  Auch  im  deutschen  Südtirol 
kamen  schon  in  den  ersten  Jahren  des  sechszehnten  Jahr- 
hunderts vereinzelte  Hexenverbrennungen  vor.  Der  erste 
grössere  Prozess  fand  is'io  gegen  neun  Weiber  aus  dem 
Gericht  Völs   statt.     Aus    den  Akten   desselben*)   erhellt, 


')  Silber  stein,  S.  213— 214. 

*)  Roskoff,  Gesch.  des  Teufels.  B.  II.  S.  305. 

')  Z.  Rapp,  die  Hexenprozesse  und  ihre  Gegner  aus  Tirol,  S.  16—17, 

*)  Dieselben  finden  sich  bei  Rapp,  S.  143—175  abgedruckt. 


4q6  Achtzehnte«  Kapitel. 

dass  damals  die  Doktrin  des  Hexenhammerb  von  der  Teu- 
felsbuhlschaft  dem  Volke  Tirols  noch  fremd  war.  Die  den 
Hexen  auf  der  Folter  abgemarterten  Gestandnisse  weisen 
aber  auf  einen  Tiroler  Volksaberglauben  hin,  der  manches 
Eigenthümliche  hatte.  Die  Hexen  standen  in  einem  Bund- 
niss  mit  dem  Teufel,  welches  die  Ausrottung  des  christ- 
lichen Glaubens  zum  Zwecke  hatte.  An  gewissen  „Erch- 
tagen"  (Dinstagen)  fuhren  sie  auf  Stöcken ,  Stühlen  oder 
sonstigen  Dingen  zu  Versammlimgsstatten,  wobei  sie  in 
des  Teufels  Xamen  die  Worte  sprachen:  „Oben  aus  und 
nindert  an,"  imd  dadurch  sicher  gen  Terlan,  auf  die  Wolff, 
auf  Gfell  oder  auf  den  Schalem  (Schiern)  gelangten.  Dort 
traf  man  mit  dem  Teufel  zusammen,  der  in  der  Gestalt 
eines  „Königs  von  England"  erschien,  und  dem  eine  der 
anwesenden  Hexen  als  „Königin  von  England  (Engelland)" 
erkoren  wurde.  Dieselbe  wurde  dann  mit  dem  Schein 
von  königlichem  Schmuck  angethan,  worauf  ein  Schmaus 
folgte,  bei  dem  namentlich  kleine  Kinder  verzehrt  wurden. 
Unerlässliche  Vorbedingimg  der  Theilnahme  an  dieser 
diabolischen  Festlichkeit  war  die  feierliche  Lossagung  der 
Einzelnen  von  Gott,  der  Jungfrau  Maria  und  allen  Heiligen. 
Die  daraufhin  den  Hexen  gewährte  Hülfe  des  Teufels  be- 
thätigt  sich  darin,  dass  dieselben  böse  Wetter  zu  machen, 
Menschen  und  Vieh  an  ihrer  Gesimdheit  zu  schädigen,  die 
Milch  der  Kühe  zu  verderben  und  sonstige  Malefizien 
auszuüben  vermochten. 

Vom  Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts  an  haben 
die  Tiroler  Hexenprozesse  durchaus  den  Charakter  der  im 
übrigen  Deutschland  vorkommenden  Proceduren.  Zahl- 
reiche Hexenprozesse  in  Welsch-Tirol  werden  aus  der 
ersten  Hälfte  des  siebenzehnten  Jahrhunderts  gemeldet, 
z.  B.  auf  dem  Nonsberge  in  den  Jahren  1614  und  1615*), 
zu  Nogaredo,  wo  fünf  Weiber  gleichzeitig  verbrannt  wur- 
den^) u.  s.  w. 

*)  ^Sammler  für  Gesch.  und  Statistik  von  Tirol •.  B.  III. 

')  Vj»l.  die  Schrift  C.  P.  Dandolo's  .La  Si^nora  di  Monxa  e  le  streghr 
del  Tirolo .  processi  famosi  del  secolo  17  per  la  prima  volta  cavati  dallc 
Fitze  orii^inali.     Milano.    18^5. 


Hexen  Prozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz.  Italien,  Spanien  etc.      igy 

Auch  im  nordlichen  Tirol  begannen  gegen  das  Ende 
des  sechszehnten  Jahrhunderts  die  gerichtlichen  Einschrei- 
tungen gegen  Hexen  und  Zauberer  häufiger  und  schärfer 
zu  werden.  Die  Regierung  zu  Innsbruck  erliess  wiederholt 
an  die  ihr  untergebenen  Gerichte  und  Magistrate  den 
strengsten  Befehl,  auf  alle  wegen  geheimer  Zauberei  ver- 
dächtigen Personen  zu  achten  und  gegen  dieselben  ge- 
bührend zu  verfahren  ^). 

Aus  der  Erzdiöcese  Salzburg  liegen  die  Akten  eines 
Prozesses  gegen  eine  Ursula  Zanggerin,  Ehefrau  des  Paul 
Riedl  zu  Neukirchen,  vor,  welche  als  Hexe  verurtheilt 
und  am  24.  Mai  1594  verbrannt  wurde. 

Bemerkenswerth  ist  bei  diesen  Prozessen  aus  dem 
sechszehnten  Jahrhundert,  dass  auch  hier  bei  denselben 
noch  Geschworene  fungirten,  die  aus  dem  Bürger-  und 
Bauernstände  gewählt  waren.  Erst  im  siebenzehnten  Jahr- 
hundert, wo  die  gelehrten  Richter  und  das  geheime  Ge- 
richtsverfahren im  Terrain  der  Strafrechtspflege  zur  Allein- 
herrschaft kamen,  verschwand  hier  das  Institut  der  Ge- 
schworenen 2). 

In  Ungarn  und  Siebenbürgen')  kamen  während 
des  ganzen  sechszehnten  Jahrhunderts  eigentliche  Hexen- 
prozesse gar  nicht  vor.  Allerdings  hatte  der  ungarische 
Reichstag  1525  die  Verbrennung  der  Ketzer  nachdrück- 
lichst gefordert;  aber  es  kam  doch  kaum  einmal  (1550) 
zur  Ausführung  dieses  Gesetzes.  In  Siebenbürgen  be- 
stimmte ein  im  Jahr  1577  von  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Universität  bestätigter  Visitationsartikel:  „Die  Zau- 
berei der  alten  Weiber  und  wsis  sonst  an  Teufels  Gespenst 
ist  —  soll  die  Obrigkeit  nach  dem  Gebote  Gottes  und 
Kaiserlichen  Rechten  mit  dem  Feuer  strafen  oder  mit  dem 
strengen  Edikt  der  Obrigkeit  wehren ;  und  bis  Solche 
nicht  ablassen,    sollen   sie   nicht  zum  Sakrament  gelassen 


^)  Rapp,  S.   18. 
*)  Ebendas.  S.   18. 

•*)  /".  Müller,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Hexenglaubens  und  des  Hexen- 
Prozesses  in  Siebenbürgen  (Braunschw.  1854)  S.   17  ff. 

Soldan-Heppe,  Hexenprozesse.  32 


o  Achtzehntes  Kapitel. 

werden,  denn  man  mu-^s  das  Heiligthum  nicht  vor  die 
Hunde  werfen."  Hier  ist  also  von  Hexerei  die  Rede; 
aber  die  Bestrafung  derselben  soll  (nicht  nach  nationalem, 
sondern)  nach  Kaiserlichem  Recht  erfolgen,  —  was  hin- 
länglich die  Neuheit  des  hier  angeordneten  Strafverfahrens 
beweist.  Daher  begreift  es  sich,  dass  das  Gesetzbuch  des 
Fürsten  Stephan  Bathori  von  1 583  zwar  Strafbestimmungen 
über  Giftmischung  und  offenbaren  Mord  (die  in  späteren 
Hexenprozessen  häufig  als  strafentscheidend  angezogen 
werden),  aber  keinen  einzigen  gegen  die  Hexerei  gerich- 
teten Paragraphen  enthielt. 

In  der  Schweiz  griff  die  Hexenverfolgung  zunächst 
in  den  romanischen  Kantonen  Platz,  während  die  deutschen 
Kantone  derselben  erst  später  und  nur  geringeren  Raum 
gaben.     Älit  besonderer  Heftigkeit  erhob  sich  die  Hexen- 
verfolgung in  Genf,    was    sich   theilweise   aus    dem  theo- 
kratischen  Staatsbegriff  C  a  1  v  i  n's  und  aus  dem  mächtigen 
Einfluss    erklärt,    den   Calvin  auch   auf  alle   bürgerlichen 
Dinge  Genfs,    namentlich  auch  auf  die  Strafgesetzgebung 
der  Stadt  ausübte.    Nicht  mit  Unrecht  ist  von  den  Straf- 
gesetzen ,    welche  der  Rath  der  Stadt  nach  Calvin's  Wei- 
sung aufstellte ,    gesagt  worden ,    sie  seien  noch  mehr  mit 
Blut  geschrieben   als   die  Satzungen   Drakons   und  kaum 
anwendbar  auf  fehlbcire  Menschen  dieser  Erde.   Die  oberste 
Norm  aber,  nach  der  sich  diese  Strafgesetzgebung  Genf:, 
gestaltete,  w^ar  der  Gedanke :  Alles  was  vor  Gott  straf- 
bar ist.  das  muss  in  einem  christlichen  Staate,    soweit  os 
von    Menschen    wahrgenommen    werden  kann,    auch    vor 
dem  Staatsgesetz  strafbar  sein.     Nun  hat  Gott   z.  B.  aus- 
drücklich die  Zauberei  mit  Todesstrafe  zu  ahnden  befohlen. 
Daher  wollte  Calvin,    dass    alle  Zauberer  in  Genf  —  /.ur 
Ehre  (xottes  -  ausgerottet  würden ').    Das  ganze  Gerichts- 


')  Vul.  £.  Sliilulin,  Joh.  Calvin.  Leben  und  .lu^sewShlte  Schriften  (Elt.ert. 
186 •<)  b"|  S  34«.,  wo  aus  einem  Genfer  Ehescheidungsprozess  jener  Tt.\ 
das  sc'usäme  Kaktun.  mitgetheilt  wird,  dass  ein  Bürger  seit  fünfzehn  Jahr.,, 
eine  Figur  aus  Gh.s  ausge|.ra«t  in  seinem  H.iu.se  aufhewahrte .  d,e  er  sei...  n 
häuslichen   Dämon  nannte  und  von  der  er  nlhn.te.  dass  sie  ihm  jede  IntreLo 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^qq 

verfahren  Genfs  lässt  darum  nicht  nur  eine  ungewöhnliche 
Strenge    sondern    auch    eine    beklagenswerthe   Härte    er- 
kennen *).     In  dem  kurzen  Zeitraum  von  1542  — 1546  Hess 
der  Rath  der  Stadt  nicht  weniger  als  achtundfiinfzig  To- 
desurtheile  (wegen  allerlei  Vergehen  und  Verbrechen)  voll- 
strecken und  daneben  wurden  noch  sechsundsiebenzig  Per- 
sonen   mit  Verbannung    bestraft,    —  darunter    siebenund- 
zwanzig, gegen  welche  nur  der  Verdacht  vorlag,  ein  Ver- 
brechen begangen    oder  „beabsichtigt"   zu  haben.     Dabei 
richtete  sich  mm  die  Straf  Justiz  des  Raths  ganz  besonders 
gegen  das  Verbrechen  der  Zauberei,  indem  man  die  Pest, 
welche    1542   in  Genf  hervortrat  und   furchtbare  Verhee- 
rungen  anrichtete,    auf  ein  Complott  von   „Pestbereitem" 
zurückführte.      Allerdings    erscheint    der   Hexenglaube, 
wie  er  im  Malleus  maleficarum  dokumentirt  war,  in  Genf 
noch  nicht  vollständig  entwickelt.     Aber  „Bündniss 
mit    dem  Satan,    Zauberei   und  Pestbereitung"    waren  die 
Anklagetitel,    auf   welche    hin  jetzt    Unzählige    in    lange, 
schreckliche  Haft,    auf  die  Folter,    aufs  SchaflFot  und  auf 
den  Scheiterhaufen  gebracht  wurden.     Namentlich  zu  An- 
fang des  Jahres  1545    häuften    sich  die  Verhaftungen  und 
Prozesse    in   erschreckendem  Maasse.     Der  Kerkermeister 
erklärte  am  6.  März  dem  Rathe,    dass  jetzt  alle  Gefang- 
nisse der  Stadt  überfüllt  wären  und  er  fernerhin  Verhaftete 
nicht  mehr  unterzubringen  wisse.     Dabei   war   das  gegen 
die  Verhafteten    angewandte  Verfahren    ein    entsetzliches. 
Man  zwickte  sie  mit  glühenden  Zangen,  man  mauerte  sie 
ein  und  liess  sie  verschmachten,    wenn   sie  kein  Geständ- 
niss  ablegten  ^)  und  ersann  zu  diesem  Behufe  alle  möglichen 


seiner  Frau  anzeige.  Er  hatte  das  Bild  behalten  und  versteckt,  obwohl  ihm 
vom  Rath  und  vom  Consistorium  streng  befohlen  worden  war,  es  zu  zer- 
stören. 

^)  Ueber  das  zunächst  Folgende  hat  zuerst  /^  P^.  Kampschulte  zu  Bonn 
in  seiner  Schrift  , Johann  Calvin,  seine  Kirche  und  sein  Staat  in  Genf* 
(Leipz.   1869)  S.  424  ff.  aktenmässige  Mittheilung  gemacht. 

■^)  Rathsprotokoll  vom  2.  April  1545:  Ordonne,  qu'ils  soient  murcs  et  ne 
soient  6t^s  de  Ih  jusqu'h  ce  qu'ils  aient  confesse  la  verite;  autrement  fini- 
ront  leurs  jours  h  tel  tourment. 


cQo  Achtzehntes  Kapitel. 

anderen  Torturniittel.  Es  ist  vorgekommen,  dass  Ange- 
klagte neunmal  die  Marter  der  Estrapade  (am  Schwibb- 
oder  Schnellgalgen)  ertragen  mussten.  „Aber  welche  Pein 
man  ihnen  auch  anthat,"  klagt  das  Rathsprotokoll  ein- 
mal, „so  wollten  sie  die  Wahrheit  doch  nicht  bekennen." 
Mehrere  der  Unglücklichen  endeten  während  oder  bald 
nach  der  Tortur  unter  Betheuerung  ihrer  Unschuld.  An- 
dere gaben  sich,  um  den  furchtbaren  Qualen  der  Kerker- 
haft und  der  Tortur  zu  entgehen,  aus  Verzweiflung  selbst 
den  Tod,  „auf  Eingebung  des  Satans",  wie  oft  gesagt 
wird.  Der  Arm  des  Henkers  ermattete  imter  der  Last 
der  Arbeit,  die,  wie  er  am  i8.  Mai  1545  dem  Rath  er- 
klärte, Eines  Mannes  Kraft  überstieg.  Wurden  doch  in 
den  wenigen  Monaten  vom  17.  Februar  bis  15.  Mad  1545 
vierunddreissig  jener  Unglücklichen  —  und  unter  ihnen 
des  Scharfrichters  eigene  Mutter  —  durch  Schwert,  Schei- 
terhaufen, Galgen  und  Viertheilung  vom  Leben  zum  Tode 
gebracht!  Und  dabei  war  es  etwas  ganz  Gewöhnliches, 
dass  der  eigentlichen  Exekution  noch  grausame  Verstüm- 
melungen des  Körpers  vorhergingen  *). 

Nicht  besser  aber  als  in  Genf  sah  es  im  Waadtland 
aus,  welches  eben  erst  von  den  Bernem  erobert  worden 
war.  Hier  hatte  die  Bemer  Regierung  mit  den  vielen 
Zwingherrn,  deren  Kastellane  und  Gerichte  sich  nament- 
lich in  der  Verfolgung  der  Zauberei  die  ärgsten  Unregel- 
mässigkeiten erlaubten,  fortwährend  ihre  grosse  Noth*). 
Keine  zehn  Jahre  nach  der  Eroberung  des  Landes  sah  sie 
sich  genöthigt,  unter  dem  25.  Juli  1543  an  ihre  welschen 
Amtleute  desfalls  zu  rescribiren :  „Wir  vernehmen,  wie  die 
Edelleute  und  Twingherrn  in  deiner  Verwaltung  und  an- 
derswo in  unserem  neugewonnenen  Lande  mit  den  armen 
Leuten,    so   der   Unhulde  oder  Hexerei   verdächtigt    und 


^)  Alle  Einzelheiten  dieser  Berichterstattung  Kampschultc's  sind  au5  den 
Akten  belegt. 

^)  Was  hier  über  die  Vorkommnisse  in  den  Kantonen  Bern  und  Waadt* 
land  mitgetheilt  wird,  ist  der  treflflichen,  auf  archivarischen  Studien  beruhenden 
Abhandlung  des  Pfarrers  Dr.  Trechsd  in  dem  Berncr  Taschenbuch  von  1S70. 
S.   14^>— -234,  grossenlhcils  wörtlich,  entlehnt. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien.  Spanien  etc.      coi 

verleumdet  werden,  ganz  unweislich  grob  seien  und  un- 
rechtformig  handeln,  als  dass  gesagte  Twingherm  oder 
Seigneurs-banderets  auf  ein  jedes  schlechtes  Läumden, 
Angeben  oder  einzigen  Prozess  unerfahrener  Sachen  die 
verzeigten,  verargwohnten  Personen  mit  grosser,  unge- 
bräuchlicher Marter  (als  mit  dem  Feuer  und  Brand  an 
den  Füssen,  Strapaden^)  u.  dgl.)  zu  Bekennung  und  Ver- 
jahung  un verbrachter  Sachen  bringen  und  ohne  weiteren 
Rath  vom  Leben  zum  Tod  richten.  Daran  wir  in  diesem 
gefahrlichen  Fall  der  Hexerei  besonderes  Missfallen  haben." 
Den  Amtleuten  soll  desshalb  eingeschärft  werden,  sich 
selbst  noch  den  Gerichtsleuten  solches  zu  gestatten,  vor 
dem  Einschreiten  sich  zu  erkundigen,  ob  genügender  Grund 
dazu  vorhanden,  ob  und  unter  was  für  Umständen  die  an- 
geklagten Thaten  von  den  Betreffenden  wirklich  verübt 
worden  seien  u.  s.  w. ,  gegen  die  Verhafteten  mit  Be- 
scheidenheit zu  verfahren  und  keine  grausame  oder  unge- 
w^öhnliche  Tortur  anzuwenden,  den  Malzeichen  fleissig 
nachzuforschen  und  in  zweifelhaften  Fällen  sich  bei  an- 
deren oder  bei  der  Obrigkeit  Raths  zu  erholen,  „damit 
Niemandem  zu  kurz  geschehe,  und  doch  das  Uebel  ge- 
straft werde".  In  diesem  Sinne  sollten  sie  auch  mit  den 
Twingherm  „trungenlich  reden".  Bald  nachher  (21.  Au- 
gust 1545)  wurde  sogar  jede  Hinrichtung  in  der  Waadt 
untersagt,  bevor  die  Prozessakten  nach  Bern  gesandt,  und 
das  Urtheil  vom  Rathe  bestätigt  worden  wäre.  Dagegen 
liess  man  es  selbst  dem  hochgestellten  George  de  Rive, 
Gouverneur  von  Neuchatel,  aber  als  Herrn  von  Prangins 
bernischem  Vasallen,  nicht  ungerügt  hingehen,  dass  sein 
Kastellan  sich  nebst  Anderen  zu  Gunsten  einiger  der 
Hexerei  Angeklagten  mit  dreissig  Kronen  habe  bestechen 
lassen,  sondern  verlangte  exemplarische  Bestrafung,  damit 
man  nicht  von  Obrigkeits  wegen  ein  Einsehen  thun  müsse. 
Dennoch  blieben  die  Vorschriften  der  Berner  Obrig- 
keit nur  zu  häufig  unbeachtet  und  wurden  umgangen,  und 
selbst    wo    der    Prozess    ganz    regelrecht    geführt    ward, 


^)  Estrapades  =  Wippen. 


^02  Achtzehntes  Kapitel. 

erscheint  uns  das  dabei  beobachtete  Verfahren  in  hohem 
Grade  vexatorisch  und  grausam.  Es  beruhte  auch  hier 
nicht  auf  dem  System  direkter  (gefahrlicher !)  Anklage, 
sondern  auf  dem  der  Denunciation  und  Inquisition,  wess- 
halb  ein  vages  Gerücht  schon  zum  Beginne  eines  Pro- 
zesses genügend  war,  —  was  selbst  Pachter  und  hohe 
Beamte  zu  ihrem  grossen  Schaden  erfahren  mussten. 

Der  Kastellan  von  Gland  und  Prangins,  Nicolas  de 
la  Foge,  war  fünf  Jahre  lang  der  Zielpunkt  der  hart- 
näckigsten Angriffe.  Von  drei  Hexen  zu  Nyon  im  Jahr 
1600  der  Mitschuld  angeklagt,  wurde  er  gefangen  ge- 
setzt und  mit  denselben  confrontirt ;  und  da  die  Hexen  auf 
ihrer  Aussage  bestanden,  so  wurde  auf  höhere  Weisung 
-der  Prozess  gegen  ihn  eingeleitet.  Indessen  betheuerte  er 
auch  in  der  Tortur  seine  Unschuld,  wesshalb  die  Ge- 
schworenen ihn  freisprachen.  Allein  im  Jahr  1602  er- 
klärten zwei  andere  Hexen  ihn  wiederum  für  mitschuldig ; 
da  dieselben  jedoch  bei  der  Confrontation  ihr  Urtheil  nicht 
recht  aufrecht  erhalten  wollten,  so  kam  von  Bern  der  Be- 
scheid zurück,  „da  es  eine  heikle  Sache  sei,  deren  rechten 
Grund  allein  Gott  wisse,  so  müsse  man  es  Ihm  anheim- 
geben und  den  de  la  Foge  seiner  Gelöbniss  und  Bürg- 
schaft entlassen."  Zugleich  wurde  dem  Kastellan  Bor>% 
seinem  Nachfolger,  wegen  schlechter  Befolgung  der  Ord- 
nung das  obrigkeitliche  Missfallen  ausgedrückt  und  eine 
ernste  Warnung  ertheilt.  Allein  auch  jetzt  hatte  der  Ge- 
plagte keine  Ruhe,  indem  er  sechs  Monate  später  noch- 
mals zur  Untersuchung  kam.  Ja  noch  1605  erhielt  Bor}- 
auf  |eine  neue  Beschuldigung  und  Anfrage  seinethalb  die 
Antwort,  weil  nicht  erhelle,  dass  er  etwas  Böses  begangen, 
sondern  nur,  dass  man  ihn  bei  der  „Versammlung**  gesehen 
haben  wolle  u.  dgl.,  so  sei  darauf  als  auf  blosse  Illusion 
nichts  zu  geben ;  doch  möge  er  immerhin  seinem  Ankläger 
gegenüber  gestellt  werden. 

Zu  Büren  hatte  im  Jahr  1620  ein  junger  Mensch  von 
siebenzehn  Jahren  vor  Gericht  mancherlei  gegen  seine 
Mutter  eingestanden.  Nach  Bern  transportirt  erklärte  er 
Alles  für  unwahr;   was   er  dort  geredet,   sei    nur  auf  An- 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.      cq^ 

dringen  des  Schultheissen ,  des  Prädikanten  und  Anderer 
geschehen,  denn  obschon  er  ihnen  gleich  anfangs  den 
Verlauf  der  Dinge  der  Wahrheit  gemäss  eröffnet,  hätten 
sie  sich  doch  dessen  nicht  begnügt,  sondern  „mit  vielem 
Fräglen,  bald  liebkosenden  glatten,  bald  aber  mit  rauhen 
Worten,  vorgebend,  seine  Mutter  habe  schon  bekannt," 
—  ihn  endlich  dazu  gebracht,  dass  er  geredet,  was  sie 
wollten,  und  zu  Allem  Ja  gesagt.  Darauf  seien  sie  noch 
weiter  gegangen,  hätten  ihn  eingesetzt  und  gefoltert,  ihn 
befragt,  ob  nicht  ein  Mann  zu  seiner  Mutter  gekommen, 
auf  sein  Ja,  ob  er  nicht  grün  bekleidet  gewesen  u.  s.  w. 
Bei  seiner  Abführung  nach  Bern  hatte  man  ihm  noch  ein- 
geschärft, nicht  wieder  zu  leugnen,  sonst  würde  man  ihn 
noch  mehr  martern,  was  auch  leider  geschehen.  Erst  als 
er  den  Worten  seiner  neuen  Examinatoren  und  seines 
Mitgefangenen  nachgedacht,  er  solle  sich  selbst  nicht  Un- 
recht thun,  habe  er  billig  widerrufen  und  Gott  gebeten, 
dass  er  ihn  bei  der  Wahrheit  erhalten  wolle.  —  Mutter 
und  Sohn  wurden  infolge  dessen  gegen  Erlegung  der 
Kosten  freigegeben. 

Bei  der  Anwendung  der  Tortur  unterschied  man  im 
Bernerland  hauptsächlich  zwei  Stufen,  die  ,,ziem liehe" 
und  die  „noth wendige"  oder  „strenge".  Das  ge- 
wöhnliche Werkzeug  war  das  Seil  oder  die  Strecke.  Der 
Gefangene  wurde  zuerst  leer  d.  h.  ohne  Gewicht,  dann 
auch  mit  Gewichten  von  25 — 50,  auch  100  Pfund  an  den 
Füssen  aufgezogen.  Nach  Umständen  schritt  man  aber 
auch  bis  zur  Anlegung  von  1 50-Pfundgewichten  fort  und 
zwar  mit  mehrmaliger  Wiederholung.  Nur  wo  die  körper- 
liche Beschaffenheit  der  Inquisiten  das  Aufziehen  nicht 
räthlich  erscheinen  liess,  —  im  Ganzen  jedoch  selten,  — 
kamen  auch  andere  Torturmittel  wie  die  Daumschraube, 
die  Wanne,  die  Breche  oder  Leiter  zur  Anwendung.  Na- 
türlich brachte  dieses  Verfahren  —  welches  gleichwohl 
ein  weit  gelinderes  als  das  in  Deutschland  übliche  Tortur- 
verfahren war  —  so  ziemlich  Alle  zum  Geständniss.  Aber 
sowie  die  Tortur  aufhörte,  nahmen  gar  Viele  ihr  Geständ- 
niss wieder  zurück ,   indem  sie  dasselbe  als  ein  nur  durch 


cQ\  Achtzehntes  Kapitel. 

die  ungeheuere  Qual  ihnen  abgepresstes  bezeichneten,  dass 
sie  Unwahres  bekannt  und  sich  und  Anderen  Unrecht  ge- 
than  hätten. 

Hatte  dagegen  die  Beschuldigte  sich  gerechtfertigt, 
und  den  Ungrund  der  Anklage  dargethan,  so  erfolgte 
allerdings  seine  Freisprechung,  bald  mit  einer  Censur 
bald  auf  Urfehde  d.  h.  auf  das  Versprechen  hin  sich  an 
Niemandem  rächen  zu  wollen,  bald  auch  mit  einer  schrift- 
lichen Ehrenerklärung  begleitet ;  in  der  Regel  jedoch  blieb 
sie  unter  polizeilicher  Aufsicht  und  musste,  selbst  wenn 
sie  das  „Kaiserliche  Recht"  d.  h.  die  Tortur  ohne  Ge- 
ständniss  ausgehalten,  dennoch  die  Kosten  bezahlen.  Aber- 
gläubische, unwissende,  lasterhafte  Personen  wies  man 
auch  dem  Pfarrer  oder  dem  Chorgerichte  zu,  und  bis- 
weilen wurde  ihnen  öffentliche  Kirchenbusse  und  Abbitte 
vor  der  Gemeinde  auferlegt.  Bei  starkem,  aber  nicht  ganz 
erwiesenem  Verdachte  und  widerrufenem  Geständnisse 
traten  willkürliche  oder  ausserordentliche  Strafen  ein,  z.  B. 
der  Ausschluss  aus  gewissen  Bezirken,  die  eidliche  Landes» 
Verweisung  mit  oder  ohne  Ruthenstreiche. 

Zu  einem  Todesurt heile  genügte  indessen  gesetz- 
lich der  blosse  Zeugen-  und  Indizienbeweis  nicht,  sondern 
es  musste  das  Eingeständniss,  sei  es  gütlich  oder  peinlich, 
hinzukommen.  Im  letzteren  Falle  schützte  sogar  die  spä- 
tere Zurücknahme  unter  Umständen  nicht  immer.  Man 
sollte,  heisst  es  in  den  Prozessakten  mehr  als  einmal,  zur 
Vollziehung  schreiten,  ,, unangesehen  zu  erwartenden  Ab- 
falls". Im  deutschen  Kantonstheile  stand  die  Rechtsprechung 
den  Landgerichten  zu ;  in  zweifelhaften  Fallen  jedoch  wurde 
öfters  , »Weisung"  eingeholt,  oder  der  Angeklagte  selbst 
nach  Bern  gebracht.  Auch  die  Exekution  geschah 
meistens  ohne  Rekurs  oder  Bestätigung  der  Obrigkeit, 
welche  sich  bloss  das  Milderungs-  oder  Begnadigungsrecht 
vorbehielt. 

Mildernde  Umstände  hatten  allerdings  auch  einen 
entsprechenden  Einfluss,  und  als  solche  galten  Jugend, 
hohes  Alter,  aufrichtige  Reue,  frühzeitig  erfolgter  Rück- 
tritt von  dem  Teufelsbund  und  insbesondere  die  glaubhaft 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.      ^05 

gegebene  Versicherung,  dass  durch  teuflische  Mittel  kein 
oder  nur  wenig  Schade  bewirkt  worden  sei.  Die  Gnade 
erstreckte  sich  jedoch  nur  ausnahmsweise  bis  zur  Schonung 
des  Lebens;  gewöhnlich  blieb  es  bei  einer  Umwandlung 
der  Strafe  in  die  der  Ertränkung  für  Frauen  imd  der 
Enthauptung  oder  Strangulirung  fiir  Männer  und  nach- 
folgende Einäscherung  der  Leiche.  In  späterer  Zeit  wur- 
den manchmal  zur  Abkürzung  der  Leiden  den  Delinquen- 
ten Beutel  mit  Schiesspulver  an  den  Hals  gehängt.  — 
Der  Exekution  ging  wie  immer  die  Verlesung  der  Urgicht 
(„Vergicht")  oder  des  Bekenntnisses  —  mit  Auslassung 
anstössiger  Theile  des  letzteren  —  nebst  dem  Urtheile 
voran  und  auf  dem  Richtplatze  selbst  wurde  der  Verur- 
theilte  nochmals  mit  Hinweisung  auf  Gottes  Gericht  be- 
fragt, ob  er  Niemanden  fälschlich  beschuldigt,  ehe  man 
ihn  dem  Henker  übergab. 

In  Betreff  des  Nachlasses  der  Hingerichteten  herrschte 
eine  verschiedene  Ansicht  und  Uebung.  Die  waadtländi- 
scheri  Gerichtsherm  nahmen  ihn  als  dem  Fiscus  verfallenes 
Gut  oft  in  sehr  ausgedehnter  und  eigennütziger  Weise  in 
Anspruch;  die  Regierung  zu  Bern  dagegen  brachte,  wo 
sie  die  Gerichtsbarkeit  besass,  meistens  andere  Grundsätze 
zur  Anwendung.  Begreiflich  war  es,  dass  sie  vor  Allem 
die  Prozesskosten  zu  decken  suchte ;  sie  behielt  aber  auch 
die  Rechte  der  Gläubiger  und  der  Geschädigten  vor,  wies 
ihre  Beamten  an,  denselben  darin  behülflich  zu  sein  oder 
bestimmte  zuweilen  die  Entschädigung  von  sich  aus^). 
Den  Rest  überliess  sie  entweder  den  natürlichen  Erben 
oder  theilte  wenigstens  mit  ihnen,  sei  es  nach  einem  ge- 
wissen Verhältnisse  oder  nach  gerichtlichem  Ausspruche. 
—  Auch  die  Sorge  für  die  Hinterbliebenen  vergass  man 
nicht  ganz.  Die  Kinder  wurden  mit  ihrem  Erbtheil  bald 
den  Verwandten  zur  Erziehung  übergeben,  bald  an  „gute 
Orte"  unter  Aufsicht  des  Amtmanns  verdingt. 


*)  So    heisst    es  z.  B.  Raths-Manual    vom    19.  April   1603:    „da    Claude 
Pavillard  laut  Vergicht  der  Pernette  Michauld    die   b^sen   Geister  eingegeben 
und  sie  dadurch  unnütz  gemacht,  so  solle  ihr  aus  seinem  Gut  —  fronfestlich 
zwei  Kopf  Korn  und  zehn  Fl.  verordnet  werden.*' 


CQÖ  Achtzehntes  Kapitel« 

Dessenungeachtet  waren  auch  die  Familien  hinge- 
richteter Hexen  immer  schwer  betroffen.  Nach  der  öffent- 
lichen Meinung  lastete  eine  Art  von  Fluch  auf  Denen, 
welche  zu  jenen  Personen  in  näherer  verwandtschaftlicher 
Beziehung  standen.  Sie  hatten  allgemein  das  Vorurtheil 
wider  sich,  welches  sie  ähnlicher  Dinge  für  fähig  hielt.  Hier 
und  da  schienen  auch  besondere  Maassnahmen  zur  Ver- 
hütung von  Gewaltthat  an  den  Gefangenen  nöthig,  imd  es 
wird  sogar  (in  Haller's  und  Müslin's  Chronik  S.  107)  erzählt, 
dass  zu  Thonon  1565  ein  Sohn  zum  Rade  verurtheilt  wurde, 
der  seine  im  Rufe  der  Hexerei  stehende  Mutter  zur  Ver- 
meidung der  Schande  mit  Hülfe  eines  gedungenen  Mörders 
umgebracht  hatte. 

Im  deutschen  Theile  des  Kantons  Bern  war  der  erste 
vollständig  bis  zur  Hinrichtung  durchgeführte  Hexenprozess 
im  Jahr  1571  vorgekommen.  In  dem  welschen  Kantons- 
theile  wurden  in  den  Jahren  1591  — 1595  durchschnittlich 
in  jedem  Jahre  elf  (im  Ganzen  sechsundfunfzig)  Hexen, 
dagegen  in  den  Jahren  1596 — 1600  durchschnittlich  in 
jedem  Jahre  einundfünfzig  (im  Ganzen  zweihundertfunfund- 
fünfzig),  also  im  Laufe  von  zehn  Jahren  dreihundertundelt 
Hexen  hingerichtet.  Der  Ruhm  jedoch,  in  kürzester  Frist 
das  Äleiste  gethan  zu  haben,  gebührt  dem  Amte  Chillon, 
wo  in  dem  einzigen  Jahre  1 598  nicht  weniger  als  vierzehn 
Hexen  verurtheilt  wurden. 

Mit  diesem  Treiben  der  Gerichte  in  dem  welschen 
Waadtland  lag  jedoch  die  Berner  Regierung  im  fortwäh- 
renden Kampfe.  Es  muss  zu  deren  Ruhm  hervorgehoben 
werden,  dciss  sie  zur  Zeit,  wo  in  allen  anderen  europäischen 
Landen  der  Glaube  an  die  Wirklichkeit  teuflischer  Hexerei 
und  an  die  Pflichtmässigkeit  der  Verfolgimg  und  Aus- 
rottung derselben  unerschütterlich  feststand  und  wo  daher 
von  Schranken,  innerhalb  deren  sich  die  Hexenverfolgung 
zu  halten  habe,  gar  keine  Rede  war,  aller  der  Unglück- 
lichen, die  als  Hexen  zur  Anzeige  gebracht  wurden,  5x.> 
weit  es  nur  die  Zeit  erlaubte,  sich  annahm.  Schon  in 
einem  Erlass  an  die  welschen  Amtleute  vom  8.  Aug.  158^ 
hatte  sie  es  ertrügt,  dass  bei  der  Vergichtung  der  Hexen 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,   Italien,  Spanien  etc.      cqt 

SO  wenig  nachgeforscht  werde,  ob  die  von  ihnen  bekann- 
ten Malefizien  auch  wirklich,  und  unter  welchen  Umständen 
durch  sie  geschehen  wären,  da  ohnediess  ihre  Schuld 
zweifelhaft  bleibe,  ,,weil  ihr  Meister,  der  Satan,  ihnen  wohl 
auch  einbilden  könnte,  dass  der  Abgang  von  Menschen 
und  Vieh  u.  dgl.  m.  von  ihrem  Thun  herrühre,  während 
es  vielleicht  in  Krankheiten  und  anderen  Zufällen  seinen 
Grund  habe." 

Noch  war  es  unerhört,  dass  eine  Landesregierung  in 
solcher  Weise  die  Geständnisse  der  Hexen  aus  diabolischer 
Eingebimg  herleiten  und  deren  Wirklichkeit  leugnen  wollte. 
Die  Berner  Regierung  hatte  hiermit  den  alten  Kanon 
Episcopi  erneuert.  Im  Jahr  1600  entschloss  sich  sogar 
der  Berner  Rath  eine  Revision  der  Prozessordnung  in 
Hexensachen  vornehmen  zu  lassen,  zu  welchem  Zwecke 
derselbe  eine  Commission  unter  dem  Vorsitz  des  Schult- 
heissen  Manuel  niedersetzte.  Der  von  der  Commission 
ausgearbeitete  Entwvirf,  den  der  Berner  Rath  am  1 9.  Juni 
1 600  bestätigte,  war  folgenden  Inhalts  : 

Im  Eingange  spricht  die  Regierung  wegen  des  Ueber- 
handnehmens  der  Hexerei  im  Waadtlande  ihr  tiefes  Be- 
dauern aus  und  kommt  dann  sogleich  auf  die  aus  den 
Akten  geschöpfte  Wahrnehmung  zu  sprechen,  dass  die 
Hexen  sich  so  oft  gegenseitig  angäben,  als  hätten  sie  ein- 
ander in  ihren  „gleichwohl  vermeinten**  Versammlungen 
gesehen,  zusammen  gegessen  u.  s.  w.  Dadurch  sähen  sich 
dann  gewöhnlich  die  Amtleute,  Twing-  und  Pannerherrn 
veranlasst,  alsbald  solche  angegebenen  Personen  aufzu- 
greifen und  mit  der  Tortur  gegen  sie  zu  verfahren.  Es 
sei  ciber  zu  besorgen,  der  Teufel,  der  ein  Feind  und  Lüg- 
ner von  Anfang  sei,  möchte  den  Denuncianten  die  Gestalt 
ehrlicher  Leute  vorstellen,  wodurch  diese  in  grosse  Gefahr 
geriethen,  zumal  wenn  man  alsbald  mit  grosser  Marter 
gegen  sie  vorgehe.  Um  dem  Allen  vorzubeugen,  werde 
daher  folgende  Ordnung  festgesetzt:  Erstlich  solle  kein 
Amtmann  oder  Gerichtsherr  eine  wegen  Hexerei  verdäch- 
tigte Person  gefänglich  einziehen,  „sie  sei  denn  in  dreien 
unterschiedlichen  Prozessen  angegeben  und  verzeigt.**    In 


:^o8  Achtzehntes  Kapitel. 

diesem  Falle  und  sofern  es  sich  nur  darum  handle,  dass 
die  angeklagte  Person  in  der  „Sekte"  (d.  h.  bei  demHexen- 
sabbath)  gewesen,  ohne  etwas  Thätliches  vollbracht  zu  ha- 
ben, sei  sie  allerdings  zu  verhaften,  jedoch  nicht  sofort  zu 
torquiren,  sondern  nur  mit  strengen  und  drohenden  Worten 
zu  befragen  und  ausserdem  habe  man  sie  zur  Ermittelung 
etwaiger  Malzeichen  sorgfaltig  zu  untersuchen.  Lege  sie 
nun  kein  frei\vilUges  Bekenntniss  ab,  so  habe  man  über 
ihren  Wandel  genaue  Information  einzuziehen,  und  —  wenn 
diese  verdächtig  ausfalle  —  die  „ziemliche**  Folter  anzu- 
wenden oder  höheren  Orts  sich  Bescheid  einzuholen.  Kämen 
dagegen  Malefizien  so  zur  Anzeige,  dass  sich  bei  genauer 
Untersuchung  der  Sache  die  Anzeige  als  begründet  er- 
weise, so  habe  man  zur  strengeren  Folter  zu  schreiten, 
immerhin  jedoch  nur  mit  dreimaligem  Aufziehen  mit  dem 
fünfzig-,  hundert-  oder  auch  mit  dem  hundertfunfzigpfun- 
digen  Steine.  Die  zu  Lausanne  immer  noch  gebräuch- 
lichen ungesetzlichen  Folterwerkzeuge  sollten  gänzlich  ab- 
gethan  werden.  Die  Kosten  der  Exekution  sollten  aus 
dem  Nachlass  der  Hingerichteten  gedeckt  werden,  indem 
es  ein  „ungereimt  Ding**  sei,  dass  die  Gerichtsherrn  den- 
selben einzögen  und  die  Regierung  die  Kosten  trage. 

Die  Publikation  dieser  für  ihre  Zeit  mild  zu  nennenden 
Prozessordnung  hatte  zur  Folge,  dass  sich  im  Waadt- 
lande  in  den  nächstfolgenden  Jahren  die  Zahl  der  Todes- 
urtheile  bedeutend  verminderte.  Doch  erreichte  sie  in 
dem  Jahrzehent  von  1601  — 16 10  immerhin  noch  die  Höhe 
von  zweihundertundvierzig;  dagegen  in  den  unter  unmittel- 
bar Bernischer  Verwaltung  stehenden  Aemtem  sank  sie 
bedeutend,  zu  Avenches  von  siebenunddreissig  auf  acht- 
zehn, zu  Chillon  von  fünfunddreissig  auf  neun  und  aus 
Yverdon  und  Morges  sind  gar  keine  bemerkt.  In  anderen 
Bezirken  dagegen  steigerte  sich  die  Zahl  der  Exekutionen. 
Zu  Colombier  mussten  in  den  drei  ersten  Monaten  des 
Jahres  1602  acht  Personen,  zu  Etoy  in  derselben  Zeit  eben- 
falls acht  und  1609  ebendaselbst  während  eines  einzigen 
Monats  sieben  Personen  den  Hexentod  erleiden.  Auch 
kamen   hin   und    wieder    (was   unter   der   Bemischen    Ge- 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.      eog 

richtsbarkeit  nie  der  Fall  war)  Massenexekutionen  vor.  Es 
geschah,  dass  in  Colombier  und  St.  Saphorin  je  vier,  zu 
Etoy  sogar  fünf  Hexen  auf  Einem  Scheiterhaufen  ver- 
brannt wurden.  Und  das  Alles  geschah  in  einem  Umkreis 
von  nur  wenigen  Stunden !  Bald  fing  die  Seuche  der  Hexen- 
verfolgung aber  auch  auf  deutschem  Gebiet  zu  wüthen  an, 
namentlich  im  Seelande,  welches  durch  seine  Lage  der 
Einwirkung  romanischer  Denkart  und  Sitte  am  meisten 
offen  stand. 

Die  Aufstellung  der  Prozessordnung  von  1600 
hatte  also  ihren  Zweck  nicht  erreicht.  Stieg  doch  im  Jahr 
£609  im  Waadtland  die  Zahl  der  Einäscherungen  wieder  auf 
50 !  Um  daher  das  Prozessverfahren  noch  mehr  einzu- 
schränken, erliess  der  Bemer  Rath  im  Jahr  i  6oq  eine  neue 
Verordnung,  in  welcher  es  derselbe  auszusprechen  wagte, 
dass  auch  ein  dreimaliges  Gesehenwerden  einer  Person  in 
der  „Sekte"  und  eine  darauf  sich  gründende  dreimalige 
Anzeige  derselben  nichts  zu  beweisen  vermöchte ,  weil  das 
Ganze  nur  auf  ein  Teufelsgespenst  hinaus  laufen  könnte. 
Es  sei  ja  bekannt,  dass  der  leidige  Satan  auch  christ- 
gläubige Leute  verblende,  wie  viel  mehr  also  diejenigen, 
welche  sich  ihm  ergeben  hätten,  denen  er  „die  Gestalt 
ehrlicher  Biederleute  vorstellen  kann  imd  ein  solches  zwei-, 
drei-  imd  mehrmal  zuwege  bringen  mag,  dannenhero  et- 
wan  ehrliche  Leute  in  böse  Geschäfte,  ja  auch  äusserste 
Tortur  gefallen  und  alsbald  Sachen  bekannt,  deren  sie 
nicht  behaftet  gewesen."  Daher  solle  bei  Personen  von 
gutem  Rufe,  die  wegen  nichts  Anderem  bezüchtigt,  als 
dass  man  sie  bei  der  Sekte  gesehen,  auch  wenn  dieses 
noch  so  oft  vorgekommen  sein  solle,  „solches  für  eine 
Illusion  und  Betrug  des  Satans  gehalten  und  geachtet 
werden."  Beim  Hinzukommen  schlechten  Leumunds  wird 
der  Richter  angewiesen,  gründliche  Informationen  einzu- 
ziehen und  die  Befehle  der  Regierung  abzuwarten.  Jedoch 
dürfe  man  nur  unverdächtige  Zeugen  vernehmen,  die  mit 
dem  Angeschuldigten  nicht  in  Feindschaft  ständen,  worüber 
eine  besondere  Vermahnung  an  sie  zu  richten  sei.  Im 
Uebrigen   blieb   es  bei   der  vorigen   Prozessordnung,  mit 


c^lO  AchUehntes  Kapitel. 

wiederholtem  Verbot  der  ungebührlichen  Tortur  und  der 
verfänglichen  Fragen.  Auch  wird  den  Amtleuten  das 
persönliche  Anwohnen  bei  den  Verhören  zur  Pflicht  ge- 
macht. Diesem  für  beide  Landestheile  berechneten  Er- 
lasse folgte  (unter  dem  12.  Mai  1610)  bald  hernach  eine 
Warnung  vor  den  schweren  Sünden  der  Zauberei,  wie 
Wahrsagen,  Beschwören,  Segnen  etc. 

Wie  früher,  so  Hess  sich  auch  jetzt  wieder  augen- 
blicklich eine  günstige  Wirkung  der  neuen  Vorschriften 
verspüren.  Schon  im  Jahr  1610  sank  die  Zahl  der  waadt- 
ländischen  Hexenfalle  auf  das  bisherige  Minimum  von  fünf, 
und  erhielt  sich  auch  in  den  beiden  folgenden  Jahren  auf 
einer  verhältnissmässig  bescheidenen  Höhe.  Allein  1613 
betrug  sie  schon  wieder  sechzig,  und  im  Jahr  1616  sogar 
fünfundsiebenzig.  Mit  geringen  Abwechselungen  blieb 
dieser  Stand  der  Dinge  noch  volle  fünfzig  Jahre  lang.  Im 
Amte  Chillon  wurden  161 3  in  der  Zeit  von  vier  Monaten 
siebenundzwanzig  Hexen,  und  zwar  am  9.  Juni  sechs,  am 
24.  Juni  drei,  am  2^,  Juli  vier,  am  18.  August  acht  und 
am  26.  September  sechs  Hexen  hingerichtet. 

An  ihrem  Theile  liess  es  die  Regierung  in  Ermange- 
lung eines  besseren  an  Aufsicht  und  Handhabung  ihrer 
Mandate  nicht  fehlen,  wobei  sich  mitunter  sogar  eine  ge- 
wisse Schärfe  kund  gab.  Der  Herr  v.  Berchier  z.  B. 
musste  es  hinnehmen,  dass  ihm  zugeschrieben  wurde,  „sich 
inskünftig  solcher  Improzedüren  bei  Ihrer  Gnaden  Strafe 
und  Ungnade  zu  überheben".  Der  Amtmann  zu  Grandson 
wird  ernstlich  getadelt,  dass  er  ordnungswidrig  Angege- 
bene verhaftet  und  unmässige  Tortur  angewendet;  und 
einzelne  Kastellane  und  Gerichte  erhalten  strenge  Vor- 
weise über  ihr  Vorgehen  „auf  einfaltige  Accusation**  hin. 
Bereits  seit  161 6  war  es  auch  verboten,  die  Namen  derer, 
welche  nur  als  Theilnehmer  an  den  nächtlichen  Versamm- 
lungen verklagt  wurden,  in  den  Akten  zu  verzeichnen. 
Die  letzte  Verordnung  wurde  1634  vervollständigt,  wieder- 
holt und  mit  einer  Erläuterung  versehen,  welche  jedorh 
nichts  wesentlich  Neues  enthielt. 

In  den  Baseler  Archiven  liegen  die  Aktcni  von  xior- 


Hexenprozessc  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^i  i 

zehn  Hexenprozessen  vor,  von  denen  die  ersten  fünf  der 
Periode  von  151 9  bis  1550  angehören  i).  Von  da  an  hörten 
die  Prozesse,  soviel  aiis  den  Akten  zu  ersehen  ist,  für  ein 
halbes  Jahrhundert  auf,  bis  sie  mit  dem  Jahre  1602  wieder 
in  Gang  kamen.  Es  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass  zu 
Basel  in  der  Hexen  Verfolgung  allezeit  mit  seltener  Hu- 
manität verfahren  wurde.  Nur  Einmal,  1624,  ist  eine  Hexe 
hingerichtet  worden.  Sehr  heilsam  wirkte  hier  auf  die 
Behandlung  der  Hexen  und  auf  den  Gang  der  Prozesse 
die  reformirte  Geistlichkeit  ein  ^).  Allerdings  wurde  in  der 
Baseler  Reformations-  und  Polizeiordnung  von  1637  das 
Hexenwesen  und  alle  Zauberei  sehr  ernst  bedroht,  indem 
es  in  derselben  heisst :  „Sintemalen  durch  die  teuflische 
Zauberei,  Wahrsagerei,  Teufelsbeschwörungen  und  der- 
gleichen abergläubische  Dinge,  deren  sich  etliche  mit 
Charakteren  sich  vor  Hauen  und  Stechen  oder  mit  der 
bekannten,  verfluchten  Passauischen  Kunst  vor  Schiessen 
fest  und  hart  zu  machen,  gebrauchen,  die  heil.  Majestät 
Gottes  zum  höchsten  beleidigt  und  an  seiner  Statt  der 
leidige  Satan  gleichsam  angebetet  wird,  so  gebieten  wir 
ernstlich,  dass  sich  Jedermänniglich  solcher  Segen,  Wahr- 
sagens,  Zauberens,  Beschwörens,  des  Nachlaufens  von  Hei- 
den und  Zigeunern  u.  s.  w.  gänzlich  entziehe.  Denn  wir  sind 
beständig  entschlossen,  die  diessfalls  fehlbar  Befundenen 
an  Leib,  Ehre,  Hab  und  Gut,  ja  auch  am  Leben,  je  nach 
Gestalt  und  Befindung  ihres  Uebertretens  ohne  Gnade  ab- 
strafen zu  lassen."  Allein  auch  diese  Polizeiordnung  spricht 
es  doch  aus,  dass  gegen  Hexen  und  Zauberer  nicht  ohne 
Weiteres  mit  Feuer  und  Schwert  verfahren  werden  solle, 
und  die  Folter  kam  seit  1643  im  Hexenprozess  zu  Basel  gar 
nicht  mehr  zur  Anwenduug,  obschon  man  es  zum  Oefteren 
mit  recht  bedenklichen  Personen  zu  thun  zu  haben  glaubte. 
In  den  Niederlanden  begann  die  Hexenvor- 
folgung   namentlich   seit    1555   in   Amsterdam  und   in   an- 


*)  Fr,  Fischer^    die.  Basler  Hexenprozesse    im    l^\  und   17.  Jahrh.  Hasel 
1840  (Universitätsprogramm). 

*)  Z.  B.    der   berühmte    Jakob  Grynätts    im    Jahr     1602.     Vgl.    Fischer, 

s.  12—13. 


e  I  2  Achtzehntes  Kapitel. 

deren  Städten  betrieben  zu  werden.  In  den  einzelnen 
Prozessen  tritt  dabei  ganz  derselbe  Wahnwitz  und  die- 
selbe Grausamkeit  wie  in  Deutschland  hervor.  In  Amster- 
dam wurde  z.  B.  im  Jahr  1564  eine  im  Hospital  liegende 
kranke  Frau  daran  als  Hexe  erkannt ,  dass  sie  in  der 
Fieberhitze  viel  vom  Teufel  und  von  Hexen  gefaselt  hatte. 
Sie  wurde  daher,  krank  wie  sie  war,  in  den  Kerker  ge- 
schleppt, und,  da  sie  sich  nicht  schuldig  bekennen  woUte, 
geschoren  und  so  lange  gefoltert,  bis  sie  sich  des  Abfalls 
von  Gott,  der  Buhlerei  mit  dem  Teufel  und  vielfacher 
Schadenstiftung  schuldig  bekannte,  worauf  sie  (am  vierten 
Tage  nach  ihrer  Abführung)  zum  Feuertod  verurtheilt  w<ird. 
Doch  starb  sie  Tags  darauf  im  Gefangniss,  wesshalb  man 
ihren  todten  Körper  auf  den  Scheiterhaufen  legte  und  zu 
Asche  verbrannte.  —  In  den  „Geständnissen**  der  nieder- 
ländischen Hexen  tritt  es  namentlich  häufig  hervor,  dass 
sie  Seestürme  und  den  Untergang  von  Schififen  herbei- 
geführt haben  wollen.  Bei  der  Justifikation  pflegte  man 
auch  hier,  wie  in  Süddeutschland,  in  der  Schweiz  etc.  den 
Verurtheilten  auf  dem  Scheiterhaufen  einen  Pulversack 
umzuhängen.  Bei  einer  Exekution  zu  Bommel  im  Jahr 
1557  kam  es  dabei  vor,  dass  der  Scharfrichter,  der  das 
Pulver  ungeschickt  anzündete ,  sich  selbst  verbrannte. 
Uebrigens  kamen  Hexenverbrennungen  in  den  Niederlan- 
den durch  das  ganze  Jahrhundert  hin  nur  vereinzelt  vor. 
Ganze  Provinzen  (Friesland  bis  zum  Jahr  1620)  und  grosse 
Städte  (z.  B.  Antwerpen)  blieben  von  dem  Gräuel  der 
Hexen  Verbrennung  vollständig  frei.  Die  Schöffen  der  Ba- 
ronie  von  Brügge  in  Flandern  beschlossen  1542,  Klagen 
wegen  Hexerei  gar  nicht  anzunehmen.  Die  Stadt  Oude- 
water  war  so  glücklich  durch  die  ihr  von  Kaiser  Karl  V. 
verliehene  Wage  alle  Angeklagten  vor  dem  Tode  und 
sich  selbst  vor  der  Manie  der  Hexenverfolgung  schützen 
zu  können  *). 

Die  Zahl  der  Hexenprozesse  wurde  allerdings  häufiger, 
als  Philipp  n.   1570   für   die  Niederlande   eine  Kriminal- 

*)  Sclieltetna,  Geschiedenes  etc.  S.    II4 — 147. 


1 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etp.      ^^i  2 

Ordnung  publizirte,  welche  in  Art.  60  eine  sorgfaltigere 
Aufspürung  und  strengere  Bestrafung  der  Hexerei  befahl. 
Indem  aber  die  nördlichen  Provinzen  das  spanische  Joch 
abschüttelten,  und  ein  freies,  niederländisches  Staatswesen 
bildeten,  kennzeichnete  sich  der  Geist,  der  dasselbe  be- 
seelte^  unter  Anderem  auch  dadurch,  dass  die  Hexenver- 
folgung in  demselben  keinen  rechten  Raum  finden  konnte. 
Eine  1 593  zur  peinlichen  Frage  verurtheilte  Frau  zuSchiedam 
appellirte  an  die  obere  Instanz  und  wurde  freigesprochen, 
während  der  Amtsrichter,  der  sie  für  schuldig  erklärt  hatte, 
in  die  Kosten  verurtheilt  ward.  Gleichzeitig  sah  sich  der 
Gerichtshof  von  Holland  anlässlich  eines  anderen  Hexen- 
prozesses bemüssigt,  die  Professoren  der  Medizin  und  der 
Philosophie  zu  Leiden  um  ihr  Urtheil  über  die  Zulässig- 
keit  der  Wasserprobe  zu  ersuchen.  Das  unter  dem  9.  Ja- 
nuar 1594  ausgestellte  Gutachten  lautete  dahin,  dass  die 
Wasserprobe  in  keiner  Weise  als  Beweismittel  gelten 
könne.  Denn  da^  Wasser  könne  doch  nichts  berathschla- 
gen  und  beschliessen,  und  „wenn  das  Wasser  die  Hexen 
für  schuldig  erkennt,  warum  trägt  sie  die  Erde,  warum 
gibt  ihnen  die  Luft  Lebensathem  ?**  Dass  angebliche  Hexen 
so  oft  auf  dem  Wasser  schwämmen,  erkläre  sich  aus  der 
Art,  wie  sie  kreuzweise  gebunden  ins  Wasser  gesenkt 
würden,  indem  sie  auf  dasselbe  mit  dem  Rücken  wie  kleine 
Schiffchen  zu  liegen  kämen  u.  s.  w.  *). 

Aus  den  Jahren  1594 — 1601  finden  wir  freilich  nichts- 
destoweniger eine  Anzahl  von  Hexenprozessen  verzeichnet, 
welche  mit  der  Hinrichtung  der  Angeklagten  endigten. 
In  denselben  bekannten  Einzelne  auch,  dass  sie  Jahre  lang 
als  Werwölfe  gehaust,  dabei  ihr  Denkvermögen  aber  keine 
Sprachfahigkeit  gehabt,  dass  sie  Kühe  gebissen  hätten 
u.  dgl.  In  den  Jahren  1601  — 1604  dagegen  wird  gegen 
alle  der  Hexerei  schuldig  Befundenen  nicht  auf  Hinrich- 
tung, sondern  auf  mehrjährige  Verbannung  erkannt  -). 


*)  Schdtema,  S.  250  ff.  und  Beilagen  S.  51    ff. 
2)  Schdtema,  S.  25^. 
Soldan-Hcppc.  Hexenproze^m-.  'X-^ 


514  Achtzehntes  Kapitel. 

Die  entsetzlichste  Hexenverfolgung  erlebte  aber  das 
Herzogthum  Limburg  im  Jahr  161 3.  Dieselbe  erwuchs 
aus  dem  Gerede  eines  Kindes  zu  Roermonde,  durch  wel- 
ches zunächst  nur  eine  einzige  Frau  in  den  Verdacht  der 
Hexerei  kam,  was  aber  weiterhin  zur  Folge  hatte,  dass 
in  Roermonde  und  in  den  umliegenden  Ortschaften  Straelen, 
Ool,  Wassenberg,  Swalm  imd  Herringen  ganze  Massen 
von  Männer,  Frauen  und  Mädchen  in  Anklagestand  ver- 
setzt wurden.  Schon  nach  wenigen  Monaten  war  das 
ganze  Land  fieberhaft  erregt.  Man  erzählte  sich,  dass  die 
Hexen  und  Zauberer  wenigstens  tausend  Menschen  umgfe- 
bracht,  zahlloses  Vieh  getodtet  und  an  Ackerland,  Feld- 
früchten und  Obstgärten  unglaublichen  Schaden  ange- 
richtet hätten,  und  alsbald  hatte  die  Inquisition  ihre  Fall- 
stricke in  dem  ganzen  Lande  ausgeworfen,  und  nicht  ohne 
Erfolg.  Dieselbe  brachte  heraus,  dass  die  eigentliche 
„Hexenprinzessin'*  eine  Hebamme,  und  deren  Helfer,  der 
„Fahnenträger  der  Zauberer"  ein  Chirurg  war,  die  beide 
furchtbar  gefoltert  und  verbrannt  wurden.  Im  Ganzen 
aber  wurden  vom  24.  September  161 3  an  bis  in  den  Ok- 
tober desselben  Jahres  hinein  nicht  weniger  als  vierund- 
sechszig  Hexen  und  Zauberer  zu  Roermond  gehängt  und 
verbrannt.  —  Am  Schlüsse  der  Akten  dieses  Monstre- 
prozesses  findet  sich  der  Wunsch  ausgesprochen,  dass  alle 
Obrigkeiten  und  Justizstellen  sich  an  der  zu  Roermonde 
ein  Vorbild  nehmen  möchten  *). 

Gleichzeitig  wirkte  die  Inquisition  in  verschiedenen 
Theilen  Italiens.  In  der  Lombardei  trieb  sie  es  so  arg, 
dass  die  Bauern  die  Waffen  ergriffen  und  den  Schutz  der 
Bischöfe  begehrten.  Wer  sich  nicht  loskaufte,  den  ver- 
brannte man.  Agrippa*)  und  Alciatus*)  erzählen  diess 
aus  eigener  Wahrnehmung,  letzterer  namentlich  berichtet, 
dass  allein  in  den  Alpenthälem  über  hundert  Personen 
verbrannt  worden    seien.     Diese    Zahl   wurde    noch  über- 


>)   Schdtcma,  S.   240— 242. 
^)  De  vanit.  scient.  Ctip.  96. 
'j   r.irrrv;.   VIll.   2  1. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ^i  ^^ 

boten  in  dem  Bezirke  von  Como,  als  Papst  Hadrian  VI. 
1523  den  Inquisitor  dieser  Diöcese  mit  einer  neuen  Hexen- 
bulle bewaffnet  hatte  ').  Es  heisst  darin :  in  der  Lombardei 
sei  eine  Sekte  von  Männern  und  Weibern,  die  den  katho- 
lischen Glauben  verlassen,  das  Kreuz  Christi  mit  Füssen 
treten,  das  Abendmahl  missbrauchen,  sich  dem  Teufel  er- 
geben, durch  Zauberei  Thiere  und  Feldfrüchte  vielfaltig 
beschädigen  u.  s.  w.  Vor  Jahren  schon  habe  der  Domini- 
kaner Georg  von  Casali,  Inquisitor  zu  Cremona,  gegen 
diese  Zauberer  vorgehen  wollen,  mehrere  vorwitzige  Laien 
und  Kleriker  hätten  jedoch  seine  Competenz  bestritten, 
sein  Geschäft  behindert  und  ihm  selbst  grossen  Hass  er- 
regt, wodurch  der  Glaube  in  nicht  geringe  Gefahr  ge- 
kommen; Julius  IL  habe  ihn  desshalb  mit  ausdrücklichen 
Vollmachten  ausgerüstet,  den  Widerstrebenden  mit  Ex- 
kommunikation gedroht,  alle  Förderer  der  Inquisition  da- 
gegen gleicher  Indulgenzen  mit  den  Kreuzfahrern  ge- 
würdigt. Dieselben  Vollmachten  werden  nun  von  Hadrian 
auch  auf  den  Inquisitor  von  Como  und  alle  übrigen  In- 
quisitoren aus  dem  Dominikanerorden  ausgedehnt.  Wie 
blutige  Früchte  diese  Bulle  trug,  erzählt  Bartholomäus 
de  Spina  ^).  In  der  einzigen  Diöcese  von  Como  rechnet 
er  im  Durchschnitt  jährlich  tausend  Prozesse  vor  der  In- 
quisition und  über  hundert  Hexenbrände. 

Auf  grössere  Schwierigkeiten  stiess  dagegen  die  Hexen- 
verfolgung in  dem  venetianischen  Theile  der  Lombar- 
dei. Kein  Staat  hat  seine  Selbstständigkeit  gegen  die 
Eingriffe  der  geistlichen  Inquisition  eifersüchtiger  gewahrt, 
als  die  Republik  Venedig.  Vermöge  ihres  nach  langen 
Kämpfen  1289  abgeschlossenen  Concordats  wohnten  den 
Sitzungen  der  vom  Papst  bestellten  Inquisitoren  jedesmal 
drei  Commissarien  der  Regierung  bei ;  ohne  ihre  Anwesen- 
heit war  jede  Verhandlung  nichtig;  sie  konnten  Urtheile 
suspendiren,    hatten  an  den  Senat  zu  berichten  und  über- 


')  Sept,  Beeret,  Lib.  V.  Tit.  XII,  de  malef.  et  incantat.  cap.  2. 

*)  De    strigibus   cap.   12, et    annis   paene    singulis   plus    quam 

centum  incinerantur. 


ci5  Achtzehntes  Kapitel. 

wachten  das  Ganze.  Ausserdem  war  die  Jurisdiction  des 
heiligen  Officiums  strenge  auf  die  Ketzerei  beschränkt; 
Juden,  Griechen,  Gotteslästerung  und  Bigamie  gehörten 
nicht  vor  sein  Forum,  die  Zauberei  nur  dann,  wenn  mit 
den  Sakramenten  Missbrauch  getrieben  worden  war.  Auch 
gingen  die  Güter  der  Verurtheilten  auf  deren  nächste  Er- 
ben über  *).  Dieser  Beschränkungen  versuchte  die  Inqui- 
sition bei  verschiedenen  Gelegenheiten  sich  zu  entledigen, 
jedoch  ohne  Erfolg.  Solche  Versuche  schienen  am  thun- 
lichsten  in  den  neuerworbenen  Provinzen,  wo  die  Inqui- 
sition schon  bisher  eine  freiere  Stellung  behauptet  hatte. 
So  autorisirte  bereits  Alexander  VI.  den  Dominikaner 
Angelo  von  Verona,  Inquisitor  in  dem  venetianischen  Theile 
der  Lombardei,  auch  allein,  d.  h.  ohne  Regierungscom- 
missarien,  gegen  die  Zauberer  beiderlei  Geschlechts  fleissig 
zu  inquiriren  und  dieselben  durch  Vermittlimg  der  Justiz, 
d.  h.  durch  Uebergabe  an  den  weltlichen  Arm,  zu  be- 
strafen-). Hiergegen  schritt  die  Regierung,  als  man  1518 
in  der  Provinz  Brescia  viele  Verurtheilungen  vornahm, 
kräftigst  ein,  kassirte  die  Urtheile  und  zog  die  anmassenden 
Richter  zur  Verantwortung  ^),  Der  Papst  schwieg  für  den 
Augenblick,  um  bald  eine  desto  stolzere  Sprache  zu  führen. 
Ein  Ausschreiben  Leo's  X.  von  1521*)  rühmt,  wie  der 
römische  Stuhl,  um  den  Wünschen  der  Venetianer  zu  will- 
fahren, den  Bischof  von  Polo  mit  der  Revision  der  bis- 
herigen Prozesse  beauftragt  und  die  Leitung  der  künftigen 
an  dessen  Mitwirkung  geknüpft  habe.  Nun  habe  dieser 
in  der  Person  des  Bischofs  von  Istria  einen  Subdelegaten 
bestellt,  und  als  derselbe  in  Verbindung  mit  den  Inqiüsi- 
toren  im  Val  Camonica,  wo  das  verdammte  Zaubervolk 
am  meisten  grassire,  mehrere  Schuldige  dem  weltlichen 
Arm  habe  übergeben  wollen,  so  habe  der  Podesta  von 
Brescia  auf  Befehl  der  Regierung  die  Vollstreckung  ver- 
boten, den  Inquisitoren  die  Gebühren  entzogen,  Einsendung 

')  Daru,  Hist.  de  Venise,  Toni.  I,  p.  463. 

2)  Sept^  DccretaL  Lib.  V.  Tit.  XU.  cap.   1. 

^)  Daru  a.  a.  O. 

*)  Sept.  Decrctal.   Lib.  V.  Tit.  XII.  cap.  6. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     e  i  y 

der  Akten  nach  Venedig  verlangt  und  sogar  den  Subdele- 
gaten  zu  persönlichem  Erscheinen  vor  dem  Senate  genöthigt. 
Um  jeden  Zweifel  abzuschneiden,  erkläre  der  Papst,  dass  hier- 
durch den  Rechten  der  Inquisitoren  nichts  derogirt  werde, 
dass  die  weltliche  Obrigkeit  über  geistliche  Personen  und 
Sachen  nichts  zu  entscheiden,  keine  Akteneinsicht  zu  be- 
gehren, sondern  die  gesprochenen  Urtheile  ohne  Weiteres 
zu  vollstrecken  habe;  denn  laicos,  —  sagt  der  Papst,  — 
obsequendi  et  exsequendi  manet  necessitas,  non  auctoritas 
imperandi.  Schliesslich  werden  die  Inquisitoren  aufge- 
fordert, ihren  Privilegien  imd  Gewohnheitsrechten  gemäss 
in  der  Verfolgung  der  Zauberer  fortzufahren  und  die  Re- 
gierung sammt  dem  Dogen  nöthigenfalls  durch  kirchliche 
Censur  imd  „andre  geeignete  Rechtsmittel**  (alia  juris  op- 
portuna  remedia)  zur  blinden  UrtheilsvoUstreckung  anzu- 
halten'). —  Solche  Sprache  von  Rom  fand  im  Jahr  1521 
in  Venedig  keine  allzu  geneigten  Ohren.  Man  las  daselbst 
in  dieser  Zeit  Luther's  Schriften  mit  fast  \mgetheiltem  Bei- 
fall, und  als  in  demselben  Jahre  von  den  Kanzeln  die  Ex- 
kommunikation über  den  Reformator  und  seine  Anhänger 
verkündigt  werden  sollte,  gestattete  es  die  Regierung  nur 
ungern  und  mit  Beschränkungen.  Der  Widerspruch  der 
Venetianer  gegen  die  Hexenprozesse  betraf  übrigens  nicht 
lediglich  die  Competenzfrage ;  man  hatte  das  Verfahren 
der  Inquisitoren  gegen  die  Angeklagten  alles  Maass  über- 
schreitend, oder,  —  wie  sich  der  Papst  ausdrückt,  —  zu 
rigoros  gefunden. 

In  Spanien  scheint  das  erste  Auto  da  Fe  gegen 
Zauberer  1507  Statt  gefunden  zu  haben.  Die  Inquisition 
von  Calhahorra  verbrannte  in  diesem  Jahre  über  dreissig 
Weiber.  Genauere  Nachrichten  gibtLlorente  über  eine 
ausgedehnte  Untersuchung,    welche  zwanzig  Jahre  später 


')  Bereits  aus  dem  Jahr  i486  findet  sich  eine  Bulle  von  Innozenz  VIII., 
welche  Klage  führt  über  die  Weigerung  der  Obrigkeit  zu  Brescia,  ohne  vor- 
hergehende Akteneinsicht  Inquisitionsurtheile  zu  vollstrecken.  Auch  hier  wird 
für  weitere  Fälle  mit  dem  Banne  gedroht.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  sich  die 
Art  der  Ketzerei  nicht  näher  angegeben  findet.  Bzavii  Annal,  eccles.  ad  ann. 
i486,  cap.   14. 


5 1 8  Achtzehntes  Kapitel. 

in  Navarra  eröffnet  ward.  Zwei  Mädchen  von  neun  und 
elf  Jahren  denuncirten  gegen  die  Zusage  der  eigenen 
Straflosigkeit  eine  Menge  von  Hexen,  die  sie  an  einem 
Zeichen  des  linken  Auges  zu  erkennen  vorgaben.  Die 
Verhafteten  lieferten  eine  genaue  Beschreibung  des  Sab- 
baths,  und  eine  derselben  legte  sogar,  wie  der  Bischof 
Sandoval  in  seinem  Leben  Karl's  V.  versichert,  vor  den 
Augen  der  Richter  und  auf  deren  Auffordenmg  eine  Probe 
des  Luftfluges  ab,  nachdem  sie  sich  aus  ihrer  Büchse  an 
verschiedenen  Theilen  des  Korpers  gesalbt  hatte.  Die 
Inquisition  zu  Estella  verurtheilte  die  Angeklagten,  hun* 
dertundfünfzig  an  der  Zahl,  nur  zu  zweihundert  Peitschen- 
hieben und  mehrjährigem  Gefangniss.  Dagegen  veran- 
staltete bald  darauf  das  heil.  Officium  zu  Saragossa  etliche 
Brände  (i  536).  —  Ein  vom  General-Inquisitor  ausgegangenes 
Edikt  gebot,  alle  Personen,  von  welchen  man  etwas  auf 
Zauberei  Hindeutendes  wisse  oder  gehört  habe,  der  Inqui- 
sition anzuzeigen  ^).  —  Als  Hauptsitz  der  Zauberer  galt 
Toledo. 

In  England^)  erscheinen  die  ersten  Prozesse  als  Ver- 
folgungen wirklicher  oder  bloss  vorgegebener  Angriffe  auf 
die  Person  des  Regenten.  So  sah  sich  die  Herzogin  von 
Gloucester  zur  Kirchenbusse  und  Verbannung  auf  die  Insel 
Man  verurtheilt,  weil  man  ihr  zur  Last  leg^e,  mit  Zau- 
berinnen über  die  Todtung  Heinrich's  VI.  sich  berathen 
zu  haben.  Die  ganze  Beschuldigung  war  von  dem  todt- 
lichen  Hasse  des  Kardinals  von  Beaufort  gegen  seinen 
Halbbruder,  den  Herzog  von  Gloucester,  ausgegangen. 
Eben  so  gedachte  der  ränkevolle  Richard  in.  seine  Gegner 
am  sichersten  zu  vernichten,  indem  er  die  Anklage  der 
Zauberei  gegen  die  Königin  Wittwe,  gegen  Morton,  nach- 
maligen Erzbischof  von  Canterbury,  und  andere  Anhänger 
des  Grafen  von  Richmond  erhob.     Die  Konigin  sollte  an 


')  LlorenU,  krit.  Gesch.  d.  span.  Inqu.  Th.  11.  Cap.  15. 

*)  Im  AUgem.  Hutchinson,  Uislor.  Versuch  von  der  Hexerei.  Deutsch 
von  Arnold.  Leipz.  1726.  IValttr  Scott,  Br,  üb.  D5monol.  Th.  II.  S.  12  ff, 
vor  Allen»  aber  Thomas  Wright^  Narrativs  of  Sorcer>*  and  Magic.  Lond.  iSM 
T.  I.  Chap.  XI.— XIV, 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     ciq 

seinem  verschrumpften  Arme  Schuld  s^in.  Eine  Wahr- 
sagung, welche  der  Lord  Hungerford  über  die  Lebens- 
dauer Heinrich's  VIH.  eingeholt  hatte,  wurde  1541  die  Ur- 
sache seiner  Enthauptung  und  zugleich  die  Veranlassung 
zweier  Parlamentsakten,  von  welchen  die  eine  gegen  falsche 
Prophezeiungen,  die  andere  gegen  Beschwörung,  Zauberei 
und  Zerstörung  der  Kruzifixe  gerichtet  war.  Letzteres 
Statut  ward  im  ersten  Jahre  Eduard's  VI.  wieder  aufge- 
hoben; als  aber  unter  Elisabeth  die  Gräfin  Lenox  des 
Hochverraths  und  der  Befragung  um  die  Lebensdauer  der 
Königin  beschuldigt  ward,  erschien  1 562  nicht  nur  ein  Ge- 
setz gegen  die  Stellung  der  Nativität  des  Regenten,  son- 
dern auch  ein  anderes  gegen  die  Zauberei  überhaupt.  Be- 
reits wenige  Monate  nach  ihrer  Thronbesteigung  war 
Elisabeth  vom  Bischof  Jewel  von  der  Kanzel  herab  in  fol- 
gender Weise  apostrophirt  worden :  „Mögen  Eure  Gnaden 
geruhen,  sich  von  der  wunderbaren  Vermehrung  zu  über- 
zeugen, welche  Zauberer  und  Hexen  während  der  letzten 
Jahre  in  Ihrem  Königreiche  gewonnen  haben.  Ew.  Gnaden 
Unterthanen  Schwinden  dahin  bis  zum  Tode,  ihre  Farbe 
verbleicht,  ihr  Fleisch  modert,  ihre  Sprache  wird  dumpf, 
ihr  Sinn  betäubt.  Ich  bitte  Gott,  dass  die  Zauberer  ihre 
Kraft  niemals  weiter  anwenden  mögen,  als  an 
dem  Unterthanen"*).  Doch  waren  die  englischen  Ge- 
setze gegen  Zauberei  im  Ganzen  weit  milder  als  das  auf 
dem  Festland  übliche  Verfahren.  Die  erste  Uebertretung 
des  Verbots  der  Zauberei  war  —  falls  die  Hexe  mit  ihren 
Zauberformeln  nicht  Jemandem  einen  Schaden  zugefügt 
hatte  —  nur  mit  Gefangniss  und  mit  Ausstellung  an  den 
Pranger  bedroht.  Auch  liess  man  die  zum  Tode  Verur- 
theilten  nicht  auf  dem  Scheiterhaufen,  sondern  am  Galgen 
sterben.  Ausserdem  war  die  Tortur  in  England  nicht  ge- 
setzlich eingeführt.  Zur  Auffindung  der  Hexen  und  zur 
Erpressung  von  Geständnissen  bediente  man  sich  der  Nadel- 
probe (mit  der  man  nach  dem  Stigma  diabolicum  suchte,) 


*)  A  trial  of  vjUchcs  etc.  —  with   an  appendix    by    C.    Clark.     London 
1838  pag.  27. 


e2o  Achtzehntes  Kapitel. 

des  Hexenbades  (wobei  das  Untersinken  als  Zeichen  der 
Unschuld  galt,)  und  der  tortura  insomniae.  —  Allerdings 
ist  unter  der  Regierung  Elisabeth 's  öfters  Blut  geflossen, 
doch  im  Vergleich  mit  dem  was  in  der  folgenden  Zeit 
vorkam,  nur  wenig.  Siebenzehn  Personen  fielen  1576  in 
Essex,  drei  1593  in  Warbois.  Mit  der  Thronbesteigung 
Jacobs  I.  (Jacobs  VI.  von  Schottland)  1603,  also  mit  dem 
Beginne  der  Herrschaft  der  Stuarts  wurde  es  indessen  in 
England  düsterer.  Jetzt  folgte  ein  Hexenprozess  dem  an- 
deren^), insbesondere  seit  dem  Prozess  von  161 2. 

Dieser  Prozess*)  von  161 2  —  der  in  der  Geschichte 
der  Hexenverfolgung  in  England  epochemachend  war,  — 
endete  mit  der  Hinrichtung  von  zehn  Menschen.  Unter 
denselben  gehorten  ne\m  einer  der  rauhesten  Gegenden 
in  Lancashire,  nämlich  dem  unter  dem  Namen  Pendle- 
Forst  bekannten  Bezirk  an,  wo  zwei  alte  achtzigjährige 
Weiber,  die  „alte  Demdike"  und  die  „alte  Chattox"  als 
Hexen  verschrieen  waren.  Alles  Unheil,  was  in  Nah  und 
Fem  vorkam,  jedes  Erkranken  und  Sterben  von  Menschen 
und  Vieh  wurde  ihrer  Tücke  und  ihren  Zauberkünsten  zur 
Last  gelegt.  Daher  sah  sich  endlich  ein  Richter,  Roger 
Stowell  in  Read,  veranlasst,  beide  Weiber  mit  ihjen  Töch- 
tern Alison  Davis  und  Anna  Redfem  am  2.  April  161 2  in 
Haft  zu  nehmen.  Infolge  dessen  versammelten  sich  die 
Kinder  und  Anverwandten  der  Verhafteten  am  Charfrei- 
tage  in  einem  alten,  abgelegenen,  steinernen  Gebäude, 
Malking  Tower  genannt,  um  die  zur  Vertheidigung  der 
Angeklagten    erforderlichen  Schritte   zu  berathen.     Diese 


')  Thomas  IVright,  Narratives  of  Sorcery  and  Magic,  Lond.  1851  B.  11, 
S.  16  sagt:  No  period  of  English  history  offers  us  so  much,  that  is  dark  and 
repugnant,  as  the  reign  of  James  I, 

'^)  Der  Schreiber  des  Gerichtshofes,  vor  dem  sich  der  Prozess  abspielte . 
Pott,  vcrfasste  auf  Geheiss  der  Richter  eine  Darstellung  der  ganzen  Prourss- 
Verhandlung,  welche  vor  ihrer  Verftffenllichung  im  Jahr  16 13  von  einen»  der 
letzteren  sorgfältig  revidirt  wurde,  damit,  wie  Pott  sagt,  «nicht««  als  rhat> 
Sachen  aufgenommen  würden".  Dieses  Referat  ist  1845  auf  Kosten  der  The  1- 
tarn  Society  in  England  von  James  CrossUy  abermals  unter  dem  Titel  herau?*- 
gegehen:  „/Vz/'j  Discovery  of  witches  in  the  county  of  Lancashire.  Reprintcd 
from  the  original  edition  of  16 13." 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.     52 1 

Zusammenkunft  wurde  jedoch  ruchbar,  und  alsbald  wollte 
man  wissen,  dass  die  Angehörigen  der  alten  Hexen  be- 
schlossen hätten ,  den  Gefangnissvogt  zu  Lancaster  Castle, 
wo  dieselben  in  Haft  wären,  umzubringen  und  das  Schloss 
in  die  Luft  zu  sprengen.  Eiligst  Hess  daher  der  Richter  aus 
der  Verwandtschaft  der  Angeklagten  noch  mehrere  andere 
Personen  in  Haft  bringen,  unter  ihnen  eine  Gutsbesitzerin, 
mit  der  er  seit  längerer  Zeit  in  einem  Grenzstreit  lebte. 
Der  Hauptzeuge  bezüglich  der  in  Malking  *  Tower  ge- 
triebenen „schwarzen  Künste"  war  ein  Kind  von  neun 
Jahren,  der  „alten  Demdike"  Enkelin ,  auf  deren  Aussage 
hin  ihre  nächsten  Anverwandten,  Mutter,  Grossmutter, 
Bruder  und  Schwester,  nachdem  sie  im  Gefängnisse  sich 
die  gewünschten  Geständnisse  hatten  abpressen  lassen, 
zum  Tode  verurtheilt  wurden.  Die  Uebrigen  behaupteten 
ihre  Unschuld  bis  zum  letzten  Augenblick.  —  Unter  den 
Geständnissen  der  ersteren  kommt  der  Pakt,  aber  nicht 
die  fleischliche  Vermischung  mit  dem  Teufel  vor.  —  Zehn 
Personen  waren  zum  Strange  verurtheilt,  unter  ihnen  auch 
die  alte  Demdike,  die  jedoch  vor  der  Exekution  im  Ge- 
fangnisse starb. 

So  endete  der  Prozess  der  „Hexen  von  Lancashire". 
Gleichzeitig  wurden  in  Northampton  fünf  Personen,  unter 
denen  nur  Eine,  ein  Mann,  sich  zum  Geständniss  treiben 
liess,  hingerichtet.  —  Ein  Hexenprozess,  der  161 8  in  dem 
Schlosse  Belvoir  (auf  der  Grenze  der  Grafschaften  Leicester 
und  Lincoln)  vorkam,  machte  darum  ganz  besonderes  Auf- 
sehen, weil  er  eine  der  angesehensten  F'amilien  des  Lan- 
des betraf*).  —  In  England  waren  eben  damals  die  beiden 
mächtigsten  Potenzen  des  Reichs  den  Hexen  gegenüber 
im  Bunde:  das  Königthum  und  der  Puritanismus. 

In  der  schottischen  Geschichte  hängen,  —  um 
die  Fabel  von  dem  durch  ein  Wachsbild  getödteten  König 
Duffus  und  die  Zauberschwestem  Macbeth's  zu  übergehen, 
—  die  ältesten  wirklichen  Zaubergeschichten  ebenfalls  mit 


')  Die   ausführlichsten   Nachrichten    ober   die    damalige    Hexenverfolgung 
in  England  gibt  Wright  in  den  Narratives,  Kap.  XXIV. 


=  22  Achtzehntes  Kapitel. 

politischen  Dingen    zusammen  ^).     Als  Jakob  III.    auf  den 
Argwohn  verfiel,  dass  sein  Bruder,  der  Graf  Mar,  in  feind- 
seliger Absicht  Hexen  befrage,    Hess    er   zuerst  diesen  in 
seinem  Zimmer    unverhörter  Sache    zu    Tode   bluten   und 
darauf  zwölf  Weiber  und  \der  Männer  verbrennen,  um  das 
Verbrechen  des  Grafen  als  ein  weit  verzweigtes  erscheinen 
zu  lassen.     1537  ^^1»  vom  Volke  allgemein  betrauert,   die 
Lady  Johanna  Douglas,  Schwester  des  Grafen  Angus,  an- 
geklagt des  Versuchs,    den  König   durch    Gift   zu  tödt€»n, 
um    die  Familie   der  Douglas   auf   den  Thron    zu  bringen. 
Niemand  glaubte  an  ihre  Schuld.    Seit  dieser  Zeit  mehrten 
sich  die  schottischen  Hexenprozesse  -),  im  Ganzen  eintönig, 
wie    die    übrigen ,    nur   selten    einige   phantastischere  Ab- 
weichungen bietend,    welche  Walter  Scott    der  Abwechs- 
lung halber  in  seine  Darstellung  zu  verflechten  nicht  ver- 
säumt hat.     Unter  Maria  Stuart  wurden  sie  überaus  zahl- 
reich,   und    die    dreiundsiebenzigste    Akte    ihres    neunten 
Parlaments    unterwarf  das   Verbrechen    einer  geschärften 
Bestrafung.    Ihr  Sohn  Jakob  hat  in  der  Folge  sogar  durch 
seine  persönliche  Theilnahme   an   diesen   Angelegenheiten 
Epoche  gemacht. 

Frankreich  hatte  schon  im  Laufe  des  vierzehnten 
Jahrhunderts  seine  Opfer  gebracht  und  war  für  längere 
Zeit  zur  Besinnung  gekommen.  Seitdem  das  pariser  Par- 
lament den  Hexenprozess  den  geistlichen  Richtern  abge- 
nommen hatte  (1390),  kam  derselbe  nur  selten  vor.  ,,Seil 
dieser  Zeit,  —  sagt  Bodin,  — ^  trieb  der  Satan  sein  Sjjiel 
so  weit,  dass  Alles,  was  man  v-on  den  Zauberern  erzählte, 
für  Fabeln  gehalten  wurde*'  ^).  Das  Parlament  erfüllte 
nicht  nur  die  nationale  Pflicht,  die  Ehre  der  unter  engh- 
schem  Einflüsse  verurtheilten  Jungfrau  von  Orleans  wieder 
herzustellen ;  sondern  es  that  später  auch  ein  Gleiches  mit 
den    noch   unter   der   burgundischen   Herrschaft  schmach- 

')    W^  Scott  a.  a.  O,     Neunter  Brief. 

*)  Vgl.  Htii^o  Arnoif  Collcclion  of  Criminal  Trials  in  Schottland  fVorvi 
1536  to  1784.  Edinb.  1785,  S.  347  ff.  Der  früheste  hier  erwähnte  K.'ill 
einer  Ilexcnverhrennung  ist  aus  dem  Jahr   15H8. 

^)  ßoiÜN,  Daemonuni.  Lib.  IV.  Cap.   1. 


Hexenprozesse  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien,  Spanien  etc.      C2  7 

voll  verfolgten  Waidensem  von  Artois-^).  Ludwig  XL, 
Karl  VIII.  ^)  und  Ludwig  XII.  waren  einsichtsvoll  genug, 
um  die  alten  Gräuel  nicht  wiederkehren  zu  lassen.  Auch 
unter  Franz  I.  kam  nur  Weniges  vor.  C  r  e  s  p  e  t  klagt  ^), 
dass  die  Zahl  der  angegebenen  Zauberer  damals  hundert- 
tausend überstiegen  habe*),  dass  aber  durch  die  Lauheit 
der  Richter  und  die  Gunst  der  Grossen  das  Uebel  nur 
noch  gewachsen  sei.  Wenn  die  Anklage  nicht  auf  Be- 
schädigungen, sondern  bloss  auf  den  Nachtflug  und  den 
Besuch  des  Sabbaths  ging,  so  sprach  das  pariser  Parla- 
ment in  jener  Zeit  keine  Verurtheilung  aus*).  Unter 
Heinrich  II.  fing  man  indessen  an,  dem  allgemeinen  Zuge 
zu  folgen;  1549  wurden  sieben  Zauberer  auf  einmal  zu 
Nantes  verbrannt,  andere  bald  darauf  zu  Laon  und  ander- 
wärts^). Solche  Brände  wiederholten  sich  unter  Karl  IX. 
obgleich  für  den  Eifer  der  Hexenfeinde  viel  zu  selten. 


^^)  S.  oben  Gap.   U. 

*)  Von  diesem  König  haben  wir  nur  einen  Befehl  zur  Verfolgung  von  Be- 
trugern, die  sich  für  Weissager  ausgeben,  und  derer,  die  sie  befragen.  Garinct  p.  1 14. 

'}  De  odio  Satanae,  s.  Delrio  üb.  IV.  sect.   16, 

**)  Scheltema  (Geschiedenis  der  Heksenpr.  pag.  106)  hat  diess  sehr  miss- 
verslanden,  wenn  er  berichtet,  dass  unter  Franz  I.  Ober  100,000  Verur- 
theilungen  wegen  Zauberei  Statt  gefunden  haben. 

•)  So  berichtet  Dunrenus  (f  1659)  in  Tit.  ad  leg.  Cornel.  de  sicariis. 
Man  darf  indessen  nicht  glauben,  dass  das  pariser  Parlament  seit  jener  Zeit 
überhaupt  keine  Zauberprozesse  mehr  verhandelt  habe.  1582  sprach  es  ein 
Todesurtheil  aus  wegen  Nestelknöpfens  und  Teufelsumgangs  (Collin  de  Plancy 
Dictionnaire  infernal,  Art.  Abel  de  Larue),  Andere  Urtheile  derselben  Behörde 
von  158B — 1604  finden  sich  bei  Le  Brun  Hist,  critique  des  pratiques  super- 
stitieuses,  Par.  1750.  Vol.  1.  p.  306.  Gewöhnlich  knüpfte  man  an  den  Galgen 
auf  und  verbrannte  dann  den  Leichnam. 

*)  Bodin^  Daemon.  II.  5.  —  Indessen  genügte  das  dem  frommen  König 
noch  nicht.  Die  Sache  musste  methodischer  betrieben  werden.  Im  Jahr  1557 
eröffnete  daher  Heinrich  II.  dem  Papst  Paul  IV.,  dass  er  gewillt  sei,  in  Frank- 
reich die  Inquisition  einzuführen,  und  bat  um  die  apostolische  Bestätigung. 
Infolge  dessen  ernannte  Paul  in  einem  Breve  v.  25.  April  1557  die  in  Frankreich 
sich  aufhaltenden  Kardinäle  (v.  Lothringen,  v.  Bourbon,  v.  Chatillon  ?)  zu  In- 
quisitoren, respect.  Kommissären  der  Inquisition  und  ermächtigte  sie  zu  ver- 
fahren gegen  quoscunque  Lutheranos  ac  cuiusvis  alterius  damnatae  haeresis 
sectatores,  seu  sortilegia  haeresin  sapientia  committentes  illorum- 
que  sequaces,  fautores  et  defensores.  (^<jy«a/<// Annal.  eccles.  ad  a.  1557,  p.  623). 


C2A  Achtzehntes  Kapitel. 

Auffallend  häufig  trat  in  Frankreich  die  Hexerei  als  Ly- 
kanthropie  hervor  *).  Ueberall  erzahlte  man  sich  mit  grosster 
Angst  von  Zauberern  und  Zauberinnen,  die  sich  dem  Teufel 
ergeben,  von  diesem  die  Gabe  empfangen  hätten  sich  in  Wölfe 
und  Wolfinnen  verwandeln  zu  können,  als  solche  mit  dem 
Teufel  oder  mit  wirklichen  Wölfinnen  und  Wölfen  Unzucht 
trieben  und  Menschen  und  Thiere  in  Masse  anfielen,  zerrissen 
und  frässen.  Im  Herbst  1573  wurden  durch  einen  Parlaments- 
erlass  die  Bauern  in  der  Umgegend  von  D61e  (in  der  Franche 
Comt6)  sogar  ermächtigt,  auf  Werwölfe  Jagd  zu  machen. 
Nach  Boguets  Schilderung  (Discours  de  sorciers,  1603  bis 
1 6 10)  war  um  1 598  im  Juragebirge  dieLykanthropie  geradezu 
epidemisch  geworden.  Aber  auch  die  gewöhnliche  Hexerei 
sah  man  aller  Orten  in  Frankreich  ihr  Unwesen  treiben. 

Ein  Verurtheilter, Trois-Echelles,  versprach  einst  um  den 
Preis  seiner  Begnadigung,  alle  Hexen  Frankreichs  zu 
entdecken,  deren  Gesammtzahl  er,  wie  Bodin  erzählt,  auf 
dreihunderttausend  angab  *).  Er  zog  umher ,  erkannte  die 
Schuldigen  vermittelst  der  Nadelprobe  am  Stigma  und  soll 
deren  über  dreitausend  der  Obrigkeit  bezeichnet  haben,  unter 
diesen  selbst  Reiche  und  Angesehene.  Die  Verfolgung  der- 
selben wurde  jedoch  unterdrückt.  Mehrere  gleichzeitige 
Schriftsteller  tadeln  bitter  Katharina's  von  Medici  eigene 
Hinneigung  zu  magischen  Dingen  und  die  Nachlässigkeit  der 
Richter,  wodurch  das  Zaubervolk  in  Frankreich  an  Menge 
immer  mehr  zugenommen  habe.  Dieser  Tadel ,  der,  soweit 
er  dem  Parlamente  gilt,  nur  ein  Lob  ist  für  diese  Behörde, 
an  deren  Spitze  damals  der  wackere  Achilles  von  Harlay 
wirkte,  hängt  mit  einer  heilsamen  Krise  der  Ansichten  zu- 
sammen, welche  in  jener  Epoche  von  Deutschland  aus  über 
ganz  Europa  ausgehen  zu  wollen  schien.  Ein  Zeitgenosse  be- 
hauptet nämlich'*),  dass  die  Lauheit  der  französischen  Richter 
hauptsächlich  durch  Weier's  Schriften  veranlasst  worden  sei. 

*)  Vgl.  Leuhuscher,  üeber  die  Wcrwftlfc  und  Thicrverwandlungcn  im 
Mittelalter.  Berl.  1850.  S.   15—29. 

•)  Bodin  Daemonuni.  IV.  ft.  üeber  Trois-Echelles  und  die  abweichenden 
Nachrichten  über  ihn  s.  Hauber  Bibl.  ma«.  Bd.  II.  S.  438  ff,  u.  454  ff.  Vgl. 
BayU  R<*ponse  aux  questions  d'un  provincial.  Chap.  55. 

•)  Crtsptt  de  odio  Saianae  bei  Delrio  lib.  V,  sect.  16. 


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