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Spinozas
Lehren voa der Ewigkeit
UQd Unsterblichkeit
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Dr. Siegfried Grzymisch.
Breiilau 11198.
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HARVARD COLLEGE LIBR\RY
FROM THE
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SocialWIelfare & MoralPhilosophy
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SINCERmr AND FEARLESSNESS
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Spinozas
Lehren von der Ewigkeit
und Unsterblichkeit
von
Dr. Siegfried Grzymisch.
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BRESLAU 1898.
Druck von Th. Schatz ky. Neue Graupen-Strasse No. 5.
(?f:X5^.-i.i
HARWUID COUEQF UBRAmr
JACKSON FUND
Seinen teuren Eltern
und
seinem hochverehrten Lehrer
Herrn
Prof. Dr. J. Freudenthal
in Dankbarkeit gewidmet
vom Verfasser.
Inhalt.
Seite
Vorwort l
I. Abschnitt.
Entwicklnng nnd kritische Erlänternng.
A. Der kurze Traktat.
3. Der Begriff an sich 3
b. Der Begriff in seiner Anwendung auf Gott (göttliche
Substanz und Attribute) 4
c. Der Begriff in seiner Anwendung auf die Welt (1. un-
endliche Modi und 2. der Mensch) 5
B. Der Tractatns de intellectas emendatione, die cogitata metaphysica
und andere Sehriften.
a. Der Begriff an sich 9
b Der Begriff in seiner Anwendung auf Gott (göttliche
Substanz und Attribute) 12
c. Der Begriff in seiner Anwendung auf die Welt (1. un-
endliche Modi und 2 der Mensch) 13
€. Die Ethik.
a. Der Begriff an sich 17
b. Der Begriff in seiner Anwendung auf Gott (göttliche
Substanz und Attribute) 18
c. Der Begriff in seiner Anwendung auf die Welt (1. un-
endliche Modi und 2 der Mensch) . 22
II. Abschnitt.
Probleme.
a. Abhängigkeit der ewigen Modi von der Substanz ... 30
b Stellung des ewigen Geistes im unendlichen Intellekt . 33
c. Uebergang von der Dauer zur Ewigkeit des mensch-
lichen Geistes 38
III. Abschnitt.
Quellen.
a. Der Begriff an sich 41
b. Der Begriff in seiner Anwendung auf Gott (göttliche
Substanz und Attribute) 46
c. Der Begriff in seiner Anwendung auf die Welt (1. un-
endliche Modi und 2. der Mensch) 48
Schluss 55
Anmerkungen 67
Vorwort.
Wohl den schwierigsten Teil der Metaphysik Spinozas
bildet seine Lehre von der Ewigkeit und Unsterblichkeit. Noch
immer schwanken die Meinungen der bedeutendsten Spinoza-
forscher über sie, darum wird es von Interesse sein, die Ent-
wicklung dieser Lehre bei Spinoza zu verfolgen, ihre Bedeu-
tung ins rechte Licht zu setzen und ihre Quellen aufzusuchen.
Das soll die Aufgabe dieser Abhandlung sein.
Die Gedanken Spinozas über Ewigkeit und Unsterblich-
keit sind nicht von Anfang an fertig und vollendet seinem
Geiste entsprungen, sie mussten vielmehr eine längere Ent-
wicklung durchmachen, deren Stufen im kurzen Traktat, ferner
im Tractatus de intellectus emendatione, in den cogitata meta-
physica und anderen kleineren Schriften, vor allem aber in der
Ethik hervortreten. Diese nun darzustellen und genauer zu
untersuchen, soll zunächst unsere Aufgabe sein.
I. Abschnitt.
A. Der kurze Traktat.
a. Der Begriff an sich.
In seiner frühesten Schrift, dem kurzen Traktate, giebt
Spinoza zwar keine Definition der Ewigkeit, man kann jedoch
aus den Stellen, welche über sie handeln, ersehen, dass ihr
Begriff hier von dem der ununterbrochenen Dauer nicht wesent- i
lieh geschieden ist.
Nirgends wird von einem Unterschied zwischen Ewig-
keit und Dauer oder Zeit gesprochen, sie erscheint vielmehr
als eine Zeit^ von unendlicher Grösse, als eine Dauer ohne
Anfang und Ende. Daher werden hier die Ausdrücke „ewig"
und „unvergänglich", welch' letzterer als Verneinung der Ver-
gänglichkeit nur die bestimmte Dauer ausschliesst, eine unend-
liche aber zulässt, als synonym gebraucht (Sigwart: Kurz.
Trakt. Th. 11 5 [9]). Dort wird auch unserem Verstände eine
ewige und beständige „E>auer" zugeschrieben (11. 26 [9]).
Ebenso wird in dem Satze: „ . . . dass die Beständigkeit
und Dauer einer Weise in der denkenden Sache allein aus
ihrer Vereinigung mit Gott entsteht", das Wort „Dauer" in dem
hier allein passenden Sinne von Ewigkeit genommen, und end-
lich wird der ewige und unendliche Modus als „Sohn, Ge-
schöpf oder Wirkung, unmittelbar von Gott geschaffen", oder
als „Sohn, Werk oder unmittelbares Geschöpf Gottes, von aller
Ewigkeit von ihm geschaffen" bezeichnet (I 9 [2, 3], Anh. 2
[10]), eine merkwürdige Ausdrucksweise, welche jedoch nur
im Zusammenhange mit Dauer und Zeit verständlich wird.
Zwar ist der Substanz eine Existenz beigelegt, welche zum
Wesen derselben gehört (I 1), so dass es unmöglich ist, eine
Substanz zu denken, welche nicht existierte (Anh. 1, Lehrs. 4),
aber diese Existenz wird daselbst nicht die wahrhaft ewige
genannt und in Gegensatz zu der Dauer gestellt. Ja an
einigen Stellen (I 2 [29], 7 [6]) wird die Eigenschaft „ewig"
direkt als eine „auswendige Benennung" bezeichnet, die nicht
zum Wesen der Gottheit gehöre.
— 4 —
b. Gott.
Die soeben erwähnte Anschauung von der Existenz
Gottes tritt uns auch am Anfang des kurzen Traktates ent-
gegen. Dort wird nämlich die letztere in dem ersten der
apriorischen Beweise in folgender Weise dargethan. Wir er-
kennen klar und deutlich, dass die Existenz zum Wesen
Gottes gehört. Was wir aber klar und deutlich als zum
Wesen gehörig ansehen, das gehört ihm auch realiter an. Folg-
lich schliesst Gottes Wesen in Wirklichkeit Existenz ein, d. h.
Gott existiert (1 [1]). Auch hiemach ist zwar das Dasein Gottes als
in seiner Natur begründet, jedoch in dieser Hinsicht noch nicht
' als ein ewiges anerkannt. Im Gegenteil soll durch obigen Be-
weis, wie die Ueberschrift lehrt und auch aus der Ordnung
der Kapitel ersichtlich ist, nur die Existenz, nicht aber die
Ewigkeit der Gottheit dargethan werden. Jedoch gerade , mit
dieser letzteren Thatsache steht der darauffolgende Beweis in
Widerspruch. Derselbe lautet: Die Wesenheiten existieren von
und in alle Ewigkeit, „die Existenz Gottes ist Wesenheit",
folglich existiert auch Gott ewig (1 [2]). Anstatt nun das
Dasein Gottes zu erweisen, geht die Demonstration vielmehr
von ihm aus, denn der Satz „die Existenz Gottes ist Wesen-
heit" setzt voraus, dass Gott ein reales Ding' ist; und sie be-
weist die Ewigkeit Gottes, welche ihm nach dem zweiten Vorder-
satz: „die Wesenheiten sind ewig" zukommen muss. Diese
Schwierigkeit ist nicht anders zu heben als durch Vereinigung
beider Beweise. Dann erst erhält man eine folgerichtige Ge-
dankenreihe, welche in den Gedanken der Ewigkeit Gottes
ausläuft. Denn nachdem zuerst erschlossen worden war, dass
dem Wesen Gottes in Wirklichkeit Dasein zukomme, dass
also die Gottheit als Wesenheit real existiere, knüpft dann
folgerecht der Beweis an, dass idie Gottheit auch ewig existiere.
Eine solche Vereinigung aber scheint unser Philosoph offenbar
nicht im Sinne gehabt zu haben, da er ausdrücklich (I 1 [1]
Ende) den zweiten Beweis als einen besonderen ansieht, und
so ist nur anzunehmen, dass hier die Begriffe nicht scharf und
klar auseinander gehalten sind, und so auch der Ewigkeits-
begriff keine streng geschiedene, genau bestimmte Bedeutung
hat. Im Uebrigen lässt gefade der Beweisgang dieser zweiten
Demonstration eine völlig neue Ewigkeitsbestimmung ahnen,
welche sich auf der zum Wesen eines Dinges gehörigen Existenz
aufbaut.
Die Attribute werden hier als Wesenseigenschaften oder
Wesensbestandteile der Gottheit aufgefasst, die direkt auf
einander keinen Einfluss ausüben und dennoch zusammen die
alleinige, unteilbare, göttliche Substanz ausmachen (I 2 [17],
II 20 [4]), „deren jede unendlich vollkommen in ihrer Gattung
ist, zu deren Wesen die Existenz gehört" (Th. I, 2, Anm. 5,
— 5 —
Anh. I 4 Cor.), die also „nicht nach ihrer Existenz unter-
schieden werden, denn sie selbst sind die Subjekte ihrer Wesen"
(Anh. 2 [10], s. Th. I 7 [10] 1). Ihre Ewigkeit wird ebenso
wenig wie die der Gottheit direkt bewiesen, jedoch angenommen;
denn als identisch mit ihr kommt ihnen naturgemäss auch
ewiges Sein zu. Femer wird hervorgehoben, dass es nur zwei
uns bekannte Eigenschaften gebe, nämlich Denken und Aus-
dehnung (I 2 [28]), die also ebenfalls ewig sind.
c. Die Welt.
Die Modi dieser beiden Attribute sind es mithin allein,
welche von den Bestimmungen der unendlich vielen göttlichen
Attribute uns zugänglich sind und daher einer Betrachtung
unterzogen werden können. Nur sie bilden den uns bekannten
Teil der Welt, und indem diese in eine allgemeine und be-
sondere zerfällt (I 8), werden auch sie 1. in unmittelbar aus
den „Eigenschaften" abfliessende allgemeine und unendliche
Modi und 2. in Einzeldinge zu teilen sein, welche aus jenen
allgemeinen Erscheinungsweisen hervorgehen.
1. Zur ersteren Klasse gehört in der Ausdehnung die
Bewegung, im Denken der Verstand, und von beiden be-
hauptet der kurze Traktat, dass sie „ein Sohn, Werk oder
unmittelbares Geschöpf von Gott seien, von aller Ewigkeit von
ihm geschaffen und in alle Ewigkeit unveränderlich bleibend"
(1 9 [3]). Für die Ewigkeit des Verstandes wfrd sogar ein
Beweis erbracht. Alles, heisst es, was in der Natur ist, hat
seine Idee im Denken, so auch Gott. Weil er nun selbst
ewig ist, muss auch seine Idee, der unendliche Verstand, ewig
sein (II 22 Anm. 1). Doch was ergiebt sich aus jener De-
finition? Sie lässt den Einfluss zweier Anschauungen deutlich
erkennen. Die eine, welche sich in dem ebenfalls in demselben
Abschnitte gebrauchten Ausdruck „Modus" charakterisiert, ist
die Spinoza ursprünglich eigentümliche. Als Modi, als Er-
scheinungsweisen, müssen Bewegung und Verstand notwendig
in einem Anderen sein und von diesem, das in sich, also
durchaus selbstständig ist, d. h. von der Gottheit abhängen;
als unendliche Modi ferner werden sie nur ein gleichfalls Un-
endliches, und zwar Gott selbst zu ihrer Ursache haben, mit-
hin unmittelbar aus Gott folgen, und weil sie drittens Er-
scheinungsweisen eines ewigen Wesens sind, selbst, so lange
dieses Wesen besteht, also von und in alle Ewigkeit von ihm
abhängen müssen. Soweit führt die Consequenz des spino-
zistischen Denkens. Sie betrachtet eine Abhängigkeit nur in-
sofern als vorhanden, inwiefern der Modus die Ausdrucksform
desjenigen ist, was durch ihn in die Erscheinung tritt, niemals
aber insofern dadurch die Existenz des unendlichen Modus
von der Gottheit gesetzt wird. Ist er doch eine ewige Wesen-
— 6 —
heit, kann daher als solche niemals geschaffen werden. Das
aber scheint die obige Begriffsbestimmung der Ewigkeit nicht
anzunehmen ; sie findet keinen Widerspruch in dem Ausdrucke
„von aller Ewigkeit her von ihm geschaffen", und ver-
gleicht ohne Einschränkung das Verhältnis der ewigen Be-
wegung und des ewigen Denkens zur Gottheit mit dem eines
Sohnes Werkes und Geschöpfes zu seinem Vater, Meister und
Schöpfer, welche jene doch ganz und gar ins Leben rufen.
Es ist also, wenn man nicht in jenen öfters und in einer
Definition ausgesprochenen Worten nur unpassende Bilder
erblicken will, eine dem echt spinozistischen Geiste nicht ent-
sprechende Vorstellung, welche unseren Philosophen hier im
Banne hält und den geraden Fortgang seines Denkens hemmt,
und sie hat ihre krystallisierte Form in der genannten De-
finition des ewigen Modus erhalten. Dass Spinoza selbst sich
kurz darauf dieser Schwierigkeit bewusst wurde, erhellt schon
aus I 2 Anm. 3, wo er sagt: „Doch was wir hier Schaffen
' nennen, kann eigentlich nicht gesagt werden, dass es je ge-
schehen wäre." Deutlich aber ist es, dass diese Worte, wie
die ganze Anmerkung erst später als der Text des Traktates
geschrieben worden sind, da der Verfasser sonst den in
letzterer klargelegten Unterschied zwischen Schaffen und Er-
zeugen auch bei der Begriffsbildung der unendlichen Modi
angewandt und daselbst nur. von einem Erzeugen gesprochen
hätte.
2. Gehen wir nun von der Ewigkeit der unendlichen
zu derjenigen der endlichen Modi über, unter denen der Mensch,
und speziell der menschliche Geist eine besonders ausführliche
Behandlung findet. Seine ewige Existenz wird aus der Ver-
einigung mit Gott, die durch intuitive Erkenntnis desselben
bewirkt wird, hergeleitet (11 22, 23). Jedes Ding in der Natur,
heisst es, hat seine Idee im Denken, und je vollkommener es
ist, um so inniger wird seine Idee mit Gott oder mit ihm selbst
vereinigt. Auch unserem Körper entspricht ein solcher Modus
des Denkens, der menschlische Geist, dessen allererste Aufgabe
es ist, jenen zu erkennen, wodurch er mit ihm verbunden
wird. Nun vergeht aber der Körper, es würde also auch der
Geist mit ihm vernichtet werden, wenn er nicht das Streben
hätte, über die Erkenntnis desselben hinauszugehen zur Er-
forschung seiner Ursache, d. h. desjenigen, ohne welches er
weder sein noch begriffen werden kann, der Gottheit. Da-
durch aber lösen sich die Bande zwischen ihm und seinem
Körper, und er wird sofort in Liebe mit Gott vereinigt. Da
dieser aber in aller Ewigkeit ist und sein wird, so muss auch
der Geist unsterblich sein. Denn weder kann er durch sich
selbst zu Grunde gehen, ebensowenig wie er durch sich selbst
ins Leben getreten ist, noch durch eine äussere Ursache zer-
— 7 —
stört werden. Diese nämlich müsste, wenn sie die Vernichtung
des Geistes bewirken wollte, sich selbst verändern oder vergehen,
Gott aber, der jetzt unmittelbar als seine Ursache gelten kann,
ist unvergänglich, kann ihn also niemals der Existenz berauben;
woraus folgt, dass der Geist ewig ist (11 23). — Einen zw«ten,
dem vorangegangenen sehr ähnlichen Beweis für die Un-
veränderlichkeit des „wahren Verstandes" liefert unser Philosoph,
indem er davon ausgeht, dass jener nicht eine Wirkung äusserer
Ursachen ist, daher könne er durch sie nicht verändert werden.
Er hat vielmehr eine innere Ursache, und diese ist Gott. So
lange die letztere nun vorhanden ist, besteht apch der Geist.
Sie dauert aber ewig, folglich auch er (11 26 [8] 2). — Alles nun,
was aus* dieser unvergänglichen Vereinigung folgt, muss gleich
ihr unvergänglich sein (11 26 [8] 3). Welcher Art ist sie jedoch,
und welche Wirkungen bringt sie hervor.^ Ihr Wesen lässt
sich ungefähr ahnen, wenn man die Verbindung des Geistes
mit dem Körper zum Massstabe nimmt. Schon hier fühlen und
empfinden wir alles, was in unserem Körper durch Bewegung
der Lebensgeister vorgeht, um wieviel vortrefflicher und voll-
kommener werden also die Folgen sein, welche aus der Ver-'
bindung mit dem allerherrlichsten und besten Objekte, der Gott-
heit, in uns entstehen, „welche keineswegs körperlich ist" (n22[6]).
Wenn wir so die Vereinigung mit unserem Körper als unsere
erste Geburt bezeichnen, so wird das Zusammenfliessen mit
diesem „unkörperlichen Objekte" eine schönere Wiedergeburt zu
nennen sein, welche sich von der ersteren insoweit unterscheidet
„als die Verschiedenheit zwischen körperlich und unkörperlich,
Geist und Fleisch beträgt" (II 22 [7]). Und das Ausgezeichnete
einer solchen Verschmelzung offenbart sich eben in ihren
Wirkungen, in unserem Zustande während des ewigen Lebens.
Dieser kann, allgemein betrachtet, als ein Zustand der reinsten
Seligkeit, der vollkommensten Freude angesehen werden (II
22 [2]). Er kennzeichnet sich näher 1. durch 4ie uns durch-
dringende Liebe zum göttlichen Wesen, welche (11 22 [2]) aus
der intuitiven Erkenntnis derselben unmittelbar (^ 22 [3]) und
notwendig (11 10 — 11) folgt, eine Liebe, welche so erhaben
und heilig ist, wie ihr Gegenstand selbst (II 5 [4]), und in
enger Vereinigung mit ihm gefühlt, uns den höchsten Genuss
gewährt; 2. in der wahren Freiheit, die wir geniessen, indem
unsere Ideen durch keine äussere Ursache beeinflusst und ver-
wandelt werden, sondern „in fester Wirklichkeit" und ewiger
Gleichmässigkeit in Gott verlaufen (11 26 [9]).
Nehmen wir zu den eben auseinandergesetzten Lehren
über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele Stellung, so
werden wir das charakteristische derselben in folgenden Punkten
finden: 1. in einer Ewigkeit, welche als Unsterblichkeit, als
Dauer ohne Ende gefasst ist; 2. in dem Momente der Ver-
y
— 8 —
einigung, das wiederholt und nachdrücklidi betont wird ; 3. in
der Lösung jeder Verbindung mit dem Körper und dem Ein-
gehen in die Gottheit, als ein unkörperliches, rein geistiges Wesen.
In diesen Gedanken aber ist am deutlichsten die zwingende
M^cht zu erkennen^ mit welcher die alt überlieferten Ansichten
das Denken Spinozas beherrschten.
1. Die Seele ist ihm noch fast im gewöhnlichen Sinne un-
sterblich. Sie entsteht zugleich mit ihrem Körper, trennt sich aber,
insofern sie ihren eigenen Zweck erfüllt, von ihm, als dem vergäng-
lichen, dem Tode anheimgegebenen Teile, um ununterbrochen
fortdauernd ein glückseliges Leben zu führen. Freilich wird
dieser Zustand schon in diesem Lebert eintreten, während der
Körper noch existiert, aber auch das wagt unser Philosoph
noch nicht ausdrücklich in Worten zu bekennen, und die
scharfe Entgegensetzung der Vereinigung mit dem Körper und
derjenigen mit der Gottheit (II 23 [4]) deutet sogar positiv auf
das Gegenteil hin, [denn wie sollte bei dieser Anschauung die
Seele zugleich im Körper und in Gott sein?] ein Zeichen, dass
die Lehre von dem glückseligen Leben unseres Geistes nach
dem Tode von ihm noch nicht vergessen ist. Wir sagen,
noch nicht vergessen ist, denn dass sie jede reale Bedeutung
für ihn verloren hat, leuchtet aus jedem Punkte des Traktats
hervor, nach welchem im Augenblicke der unmittelbaren Er-
kenntnis der göttlichen Wesenheit die seligmachende Ver-
einigung erfolgt.
2. Dass auch die letztere Lehre, welche unter dem Stich-
wort der „Vereinigung" steht, fremden Einflüssen entsprungen ist,
wird in späteren Darlegungen gezeigt werden; vor allem aber
muss die Abhängigkeit von der Volksreligion auffallen, welche
3. die Auffassung von der Art der Vereinigung der Seele mit
Gott hervortreten lässt. Die bereits oben (S. 8) im Wortlaute ange-
führten Ausdrücke stellen Gott als ein rein unkörperliches, geistiges
Objekt hin, als ein Wesen, welches dem echt spinozistischen Be-
griffe scharf entgegengesetzt ist. Dieser Gott soll nicht unendliche
(I 2 [1]), sondern nur ein einziges spinozistisches Attribut enthalten,
und aus diesem soll erst alles Uebrige hervorgebracht werden,
ferner soll jene Eigenschaft gerade die geistige, das Denken
sein, als ob Spinoza in seinen reiferen Schriften diesem irgend
einen Vorzug vor jedem anderen Attribute gegeben hätte, und
es soll drittens damit der Gottheit die Ausdehnung abge-
sprochen werden, was an anderer Stelle des Traktates auf das
Allerbestimmteste bekämpft wird (I 2 [18 ff]). Diese Aeusse-
rungen erscheinen demnach als ein völliger Rückfall in den
religiösen Glauben und allen Prinzipen widersprechend, die
Spinoza schon im kurzen Traktat aufgestellt hatte. Ausserdem
aber wird, wiederum den gewöhnlichen Meinungen gemäss,
der Körper als der absolut sterbliche Teil bezeichnet, und nicht
- 9 —
daran gedacht, ihm als Modus eines dem Denken genau ent-
sprechenden Attributs gleiche Ewigkeit mit dem Geiste zuzu-
erteilen (nach I 9 [2] 4). So verraten denn vor allem die Ge-
danken «her die Unsterblichkeit der Seele, dass unser Philosoph
sich hier noch nicht von den landläufigen Anschauungen frei
gemacht hat, ja im Gegenteil stark von ihm beeinflusst wird.
B. Der TraktatMS de int. emend,, die cog. met
und andere Schriften.
a. Der Begriff an sich.
Verstand man im kurzen Traktat allgemein unter dem
Begriff der Ewigkeit eine unendliche Dauer, so stand doch
diese Bestimmung zi| sehr im Widerspruch mit den Grund-
lagen des spinozistisQhen Systems, als dass sie sich länger
hätte halten können» Denn unser Philosoph schied von vorn-
herein die Substanz als das Wesen, „das wir durch sich
selbst, ohne etwas anderes als es selbst nötig zu haben, klar
und deutlich begreifen", von dem Modus, welcher, „um gut
begriffen zu werden, eine Substanz nötig hat" (Tr. brev. I 8).
Dieser Gegensatz beider aber fordert notwendig auch einen
prinzipiellen Unterschied in ihrer Existenzform, indem nach
ihrer obigen Definitiqn der Gottheit unabhängiges, ihren Be-
stimmungen abhängiges Dasein verliehen werden muss. Legt
man nun, wie es natürlich ist, Gott Ewigkeit bei, so wird
diese einerseits identisch mit der unabhängigen Existenz, be-
deutet also auf sich beruhendes, im eigenen Wesen liegendes
Dasein; andererseits aber stellt sie sich scharf der Existenz
der Modi entgegen, l^st also nicht mehr zu, dass beide unter
dem einen Begriff der Dauer gedacht werden. Letztere tritt
daher aus der Ewigkpit heraus, und indem sie sich dann nur
auf die Modi beschränken kann, auch der Ewigkeit gegenüber.
So verlangt die Definition des kurzen Traktates selbst, indem
sie mit den echt spinozistischen Lehren unvereinbar ist, ge-
bieterisch eine Forteqtwickelung, welche logisch nur in der
angegebenen Richtung erfolgen kann und auch thatsächlich in
dieser zweiten Periode erfolgt ist.
Es wurde schon behauptet (S. 4), dass der Substanz eine
Existenz zukomme, die in ihrem Wesen enthalten sei, sodass man
sich überhaupt keine Substanz denken könne, welche nicht auch
wirklich existierte. Aus dieser letzteren Bemerkung aber ergiebt
sich der allgemeine Satz, dass das Dasein dann in der Natur eines
Dinges liege, wenn es unmöglich ist, von ihm eine Idee zu
haben, ohne dass es realiter vorhanden sei, ein Gedanke,
den der Tract. de int. emend. direkt fortsetzt. Denn eine
solche Idee, welche ein nicht in Wirklichkeit Existierendes als
existierend vorstellt, nennt er eine Fiktion. Demnach würde
— 10 —
es von einer Wesenheit, die in sich die Existenz enthält, eine
Fiktion nicht geben. Dasselbe aber behauptet er von den
ewigen Wahrheiten. „Hieraus ergiebt sich, dass eine Fiktion,
von der wir hier reden, nicht bei den ewigen Wahrheiten
stattfindet" (van Vloten I 17, 22). Es ist also die im Wesen
enthaltene Existenz eine ewige Wahrheit, und demnach ewig
dasjenige, in dessen Wesen eben die Existenz enthalten ist,
eine Definition, welche von der des kurzen Traktates völlig
verschieden ist. Und wenn sie auch erst durch einen Schluss
erzielt werden muss und in bündiger Weise nicht vorliegt, es
vielmehr heisst: „Unter ewiger Wahrheit verstehe ich eine
solche, die, wenn sie affirmativ ist, nie negativ sein kann
(v. VI. I 17 Anm. 3), so zeigt doch obige Erörterung, dass
sie sich bereits im Geiste Spinozas gebildet hatte. Zum Be-
weise diene ferner noch die Bemerkung: „. . . . da ja die
Existenz der Dinge mit ihrem Wesen in keiner Verbindung
steht oder keine ewige Wahrheit ist" (v. VI. I 33), wo die
ewige Wahrheit als ein Verbundensein der Existenz mit dem
Wesen gilt. Aber nicht nur eine durchaus neue Begriffs-
bestimmung der Ewigkeit deutet diese Schrift an; sie weist
sogar schon deutliche Spuren einer scharfen Trennung von
Dauer und Ewigkeit auf. Unter den Eigenschaften des Ver-
standes zählt sie nämlich auch folgende: „Er nimmt die Dinge
nicht sowohl unter der Dauer als vielmehr unter einer Form
der Ewigkeit . . . wahr, oder vielmehr er nimmt zum Ver-
ständnis der Dinge . . . nicht die Dauer in Betracht (v. VI.
I 36 V). Hier sind unzweifelhaft die beiden Existenzformen,
Dauer und Ewigkeit, gegensätzlich von einander geschieden,
indem diese in die Machtsphäre des Verstandes gezogen, jene
von ihr ausgeschlossen wird.
Die Principia philosophiae cartesianae, in denen übrigens
auf das Klarste festgestellt wird, dass Ewigkeit eine unbegrenzte
Dauer ist [S. I P. 11 Dem: ergo Deus non limitatem sed in-
finitam habet existentiam, quam aeternitatem vocamus], kommen
hier nicht in Betracht, da Spinoza in ihnen nicht seine
eigenen, sondern Descartes' Gedanken entwickelt.
Auch von den cogitata metaphysica hat Freudenthal
(Spinoza und die Scholastik) unwiderleglich nachgewiesen, dass
sie zum allergrössten Teile nicht Spinozas Lehren enthalten,
jedoch zugegeben, dass der Verfasser hier „die Objektivität der
Darstellungsweise bisweilen aufgegeben und in leisen Winken
und verständlichen Andeutungen seine eigene Lehre hat her-
vortreten lassen" (S. 102). Das Letztere scheint uns bei dem
Ewigkeitsbegriff der Fall zu sein, nur dass seine Definition
klar und deutlich unseres Philosophen Meinung wiedergiebt.
„Aus unserer Einteilung des Wesens", heisst es dort, „in
solches, dessen Wesenheit die Existenz in sich schliesst, und
— 11 —
solches, dessen Wesenheit nur die mögliche Existenz in sich
schliesst, entspringt auch der Unterschied zwischen Ewigkeit
und Dauer." „Hier sagen wir nur, dass sie (die Ewigkeit)
ein Attribut ist, unter welchem wir die unendliche Existenz
Gottes begreifen ; die Dauer aber ist ein Attribut, unter welchem
wir die Existenz der geschaffenen Dinge begreifen, insofern
sie in ihrer Wirklichkeit verharren" (cog. met. I 4). In diesen
Sätzen giebt sich der weitere Fortschritt zu erkennen, dass
eine feste Begriffsbestimmung der Ewigkeit und Dauer gegeben
wird, in denen ihr Gegensatz hervortritt. Freilich ist sie nicht
allgemein gehalten, sondern nennt die Gegenstände, auf welche
sie sich bezieht, schliesst also formell ihr Objekt ein (vgl. II
1 r, III). Ewigkeit gehört zu der göttlichen Substanz, Dauer
zu den Modis, soll hier ausdrücklich betont werden. Ebenso^
klar aber ist ausgesprochen, dass Ewigkeit das zum Wesen
gehörige Dasein sei, und so tritt uns das, was im tract. de
int. emend. erst erschlossen werden musste, hier in fertiger,
wenn auch formell unvollendeter Ausgestaltung entgegen.
Doch noch andere für uns bedeutsame Gedanken enthält
dieser Abschnitt. Die Pauer eines Modus ist identisch mit seiner
wirklichen Existenz und nur dem Begriffe nach von ihr ge-
schieden. Je grösser also die Dauer eines Dinges ist, umso
grösser ist auch seine Existenz. Je kleiner seine Dauer ist, um
so kleiner ist seine Existenz. Die Bestimmung der Dauer durch
Zahlen jedoch gehört allein uns an. Wir nehmen nämlich das
Dasein irgend eines Wesens, das eine bestimmte Bewegung
hat, als Grundlage an und vergleichen mit ihr die Existenzen,
welche anderen, in anderer Weise bewegten Körpern ent-
sprechen. So entsteht die Zeit. Diese ist also 1. eine Ein-
richtung unseres Geistes, sofern er die Dinge getrennt von ihrer
Existenz betrachtet, 2. eine Eigenschaft der Existenz und nicht
des Wesens, 3. als aus Teilen zusammengesetzt, bald grösser,
bald kleiner zu denken. In allen diesen Punkten tritt sie der
Ewigkeit gegenüber.
Damit aber hat der Begriff der Ewigkeit durch genaue
Bestimmung seiner selbst und seines Gegenteils, der Dauer und
der Zeit, seine inhaltlich vollendete Ausgestaltung erhalten,
und Spinoza kann es in seinem Briefe an Ludwig Meyer
(v. VI. 12ter) als das Resultats eines Denkens bezeichnen, wenn
er dort dieselben Gedanken in ähnlicher Form auseinandersetzt.
Zum Teil spricht er dort sogar unbestimmter, indem er von Modi
im Allgemeinen und nicht lediglich von solchen redet, die
actualiter vorhanden sind (v. VI. 11 41), zum Teil aber auch
genauer, indem er die Zeit als Existenzform der Imagination
ansieht, welche durch sie die Dinge leichter in den Geist ein-
führt, (v. VI. n 42, 43.).
— 12 —
b. Gott.
Der Fortschritt des Denkens, den wir in Bezug auf den Ewig-
keitsbegriff soeben schrittweise verfolgen konnten, muss uns natür-
lich auch bei seiner Anwendung auf die Gottheit entgegentreten.
Für diese Frage kann zwar der Tractatus de int. emend.,
der nur eine Methodenlehre des Denkens geben will, keine beson-
deren Erörterungen enthalten, nichtsdestoweniger aber bemerkt
man dort die Worte: „So ist die erste ewige Wahrheit, dass
Gott ist" (v. VI. I 17 Anm. 3), welche das ewige Dasein der
göttlichen Substanz bereits formell aussprechen.
In den Princ. phil. cart. findet sich jedoch schon ein
regelrechter Beweis für die Ewigkeit Gottes (I 19), der-
selbe kann aber an dieser Stelle nicht angeführt werden, da
die genannte Schrift im Prinzip die Ansichten unseres Philo-
sophen nicht wiedergeben will. Von der Klarheit jedoch, mit
welcher die Ableitung der Ewigkeit von der Wesenheit Gottes
ihm bereits gegenwärtig ist, zeugt die Bemerkung: „Ja von
diesem einen, dass zur Natur Gottes die Existenz gehört, oder
dass der Begriff Gottes die notwendige Existenz in sich schliesst,
wie der Begriff eines Dreiecks, dass seine drei Winkel zwei
Rechten gleich seien oder dass seine Existenz nicht
anders als sein Wesen eine ewige Wahrheit sei,
hängt fast die ganze Erkenntnis der Attribute Gottes ab."
(Princ. phil. cart. I 5 Schol.)
Der Abschnitt, welcher in den cog. met. von der Ewig-
keit Gottes handelt (11 1), führt in seinem Anfange zwar un-
spionozistische Gedanken aus, giebt aber in seinem weiteren
Verlaufe mit solcher^ Bestimmtheit die Meinung unseres Denkers
wieder, dass sein Inhalt und seine Bedeutung hier dargelegt
werden müssen. Spinoza knüpft an die bereits früher (I 4)
gegebene Definition der Ewigkeit an und legt Gott ewige
Existenz bei, d. h. solche, welche keinerlei Dauer in sich
schliesst. Denn letztere ist nur eine Eigenschaft der Existenz
und ihr Subjekt kann gedacht werden, ohne dass es wirklich
vorhanden ist, während Ewigkeit zur Wesenheit gehört, mit
der sie unauflöslich verbunden ist. Gottes Dasein nun bildet
sein Wesen, ist also nur als ewiges anzusehen und von jedem
zeitlichen auf das Strengste zu scheiden. Darum ist es
thöricht, wenn man glaubt, dass Gott bis heute länger existiert
hat als bis zur Zeit Adams, des ersten Menschen, denn indem
man ihn mit jedem Tage älter macht und ihn eine immer
grössere Zeitreihe durchlaufen lässt, trennt man nur sein Dasein
von seiner Natur. Das aber darf bei ihm nimmermehr ge-
schehen. Gott war daher damals genau so gegenwärtig, wie
er es heute ist und in alle Zukunft sein wird, und jeder Ver-
gleich zwischen seiner göttlichen und der zeitlichen Existenz
ist von vornherein zurückzuweisen. Man hüte sich also vor
— la-
den beiden Extremen, entweder neben Gott auch den einzelnen
geschaffenen Dingen Ewigkeit beizulegen (I) oder Gott neben
diesen Dingen eine Existenz zuzuschreibeA, welche von seinem
Wesen unterschieden ist (in), denn beide Irrtümer führen dazu,
die Ewigkeit als eine Art der Dauer anzusehen. Gott lebt in
unendlicher Existenz „und diese unendliche Existenz nenne
ich Ewigkeit, die Gott allein und keinem geschaffenen Wesen
beigelegt werden muss, keinem, sage ich, obgleich seine Dauer
keinen Anfang und kein Ende hat" (cog. met. 11 1 Ende).
Auch hier bestätigt sich, was bereits bei der Besprechung des
Ewigkeitsbegriffes in dem cog. met. (S. 12) hervortrat, wie un-
zertrennlich derselbe mit dem Gottesbegriff verwebt ist, wofür
besonders die Worte bezeichnend sind: „als ob die Ewigkeit
ohne die Betrachtung der göttlichen Wesenheit erkannt werden
könnte oder etwas ausser der göttlichen Wesenheit wäre"
(v. VI. II 479 1). Dass Gott ewig ist, wird aus der Betrach-
tung der göttlichen Natur, in welcher Existenz eingeschlossen
ist, erwiesen, jedoch in loser, nicht gedankenstrenger Form.
Ueber die Ewigkeit der spinozistischen Attribute wissen
die Schriften dieser Periode nichts Besonderes zu berichten.
c. Welt.
1. Dagegen tritt uns in der Bestimmung der unendlichen
Modi, also der gewirkten Natur, als ein Allgemeines gefasst,
eine Fortentwickelung des spinozistischen Denkens entgegen.
Der kurze Traktat hatte noch die Ansicht vertreten, dass Be-
wegung und Verstand von Ewigkeit her geschaffen seien. Der
Widerspruch, welcher, wie oben (S. 6 f.) gezeigt wurde, in ihr
liegt, konnte dem klaren Geiste Spinozas nicht verborgen
bleiben, und in der That rang er sich los von der altererbten
Anschauung, die in ihr zum Vorschein kam, und schon die
cog. met. beweisen ganz entsprechend der Umbildung des
Ewigkeitsbegriffes, dass es keine Schöpfung von Ewigkeit her
gebe (n 10, V. VI. n 496). Wir glauben, dass auch diese
Aeusserungen, obwohl Spinoza mit ihnen nur fremde Mei-
nungen wiedergeben wollte, auch seinen eigenen Ansichten
entsprechen, indem sie nicht nur als ein notwendiges Glied in
der Entwickelungskette erscheinen, sondern auch auf die
spinozistisch gefasste Ewigkeit Gottes Bezug nehmen (v. VI.
II 479). Daher wird eine Würdigung derselben, die zudem
wesentlich zur Beleuchtung des ganzen, auf die Ewigkeit be-
züglichen Ideenganges Spinozas beiträgt, hier wohl am Platze
sein. Spinoza untersucht zuerst den Ausdruck, „von Ewig-
keit". Derselbe sei in Beziehung auf die Welt anders aufzu-
fassen als in Beziehung auf Gott. Bei diesem bedeute er die
immer gegenwärtige, das Wesen ausmachende Existenz selbst,
bei jener aber eine Art der Existenz, die Dauer ohne Anfang,
— 14 —
eine Dauer, welche durch keine Multiplication einzelner zeit-
lichen Momente, und werde sie auch noch so häufig vorge-
nommen, erreicht werden könne. Diese Sätze, welche ganz
auf dem Boden der in derselben Schrift gegebenen Begriffs-
erklärung der Ewigkeit (S. 1 1 f.) stehen, beweisen zweierlei ;
1. dass Spinoza im allgemeinsten Sinne einen Unterschied
zwischen der Existenz der Gottheit und derjenigen seiner
Schöpfung, als Ganzes genommen, kennt, was auch im kurzen
Traktat der Fall war; denn die Worte „Sohn, Geschöpf"
u. s. w. setzen das voraus ; 2. dass dieser Unterschied zu einem
gegensätzlichen, die Theile vollständig von einander aus-
schliessenden gemacht wird, indem der göttlichen Substanz
Existenz im Wesen, dem Weltall als solchem Existenz ausser-
halb des Wesens zuerteilt wird, ein Gedanke, auf den jedoch
im kurzen Traktat nirgends hingewiesen wird. Ja nicht ein-
mal die geeignetste Stelle, an welcher hinter einander von der
wirkenden und gewirkten Natur gehandelt wird (I 8, 9), er-
wähnt auch nur mit einem Worte dieses Gegensatzes, woraus
hervorgeht, dass er dort für Spinoza nicht bestanden hat, und
Schöpfer und Geschaffenes unter eine Existenzform gebracht
werden müssen. Letztere kann aber nicht die Existenz im
Wesen bezeichnen, denn die Begriffsbestimmung der ewigen
Modi (I 9) ergiebt gerade das Gegenteil; also nur die Dauer.
Diesem Standpunkte gegenüber weisen unsere Sätze einen
Fortschritt auf, der freilich schon durch den kurzen Traktat
genügend vorbereitet war, sie verleihen der Gottheit die wahr-
haft ewige, in ihrer Natur entspringende Ezistenz (vgl. S. 13).
Aber Spinoza begnügt sich nicht damit, die Anwendbarkeit der
Dauer dadurch zu beschränken, dass er ihr den Gottesbegriff
entzieht, er geht noch weiter, indem er auch die Dauer ohne
Anfang verwirft, ja schlechthin als ein Unding bezeichnet.
Denn wenn man von unserem jetzigen Zeitpunkte aus immer
weiter rückwärts schreite, so dürfte man in diesem Falle nie
zu einem Ende gelangen, könne also niemals eine solch un-
endliche Dauer erreichen, folglich wird auch umgekehrt bis zu
unserem Zeitpunkte nie eine solche Dauer verstrichen sein
können. Ferner gebe es keine Dauer, welche so gross sei,
dass nicht noch eine grössere als sie gedacht werden könne.
Die anfangslose Dauer, über die hinaus in der That keine
grössere zu begreifen sei, sei also dann keine Dauer, mithin
ein Widerspruch in sich, ein Nichts. Wir begnügen uns, zu
konstatieren, dass Spinoza in den cog. met. überhaupt solche
Gedanken entwickelt hat, dass er Gott ein in seinem Wesen
begründetes, ewiges Dasein zuspricht und seiner unmittelbaren
Schöpfung eine Dauer ohne Anfang abspricht, ein negatives
Resultat, aus welchem der positive Satz: Auch die unendlichen
Modi sind wahrhaft ewig, bereits hervorblickt.
— 15 —
2. Was endlich die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele
anbetrifft, so liefern die bisher benutzten Schriften zwar keinen
Anhaltspunkt für die Fortbildung derselben, wohl aber finden
wir einen solchen auf einer anderen Seite. Das erste Glied
ihrer Weiterentwickelung zeigt sich nämlich in dem dem
kurzen Traktate angeschlossenen, zweiten Anhang, welcher
schon aus chronologischen Gründen nach dem kurzen Traktat
und vor die Ethik zu setzen ist (Sigw. kurz. Trakt. Proleg.
LXni). Derselbe handelt von der menschlichen Seele. Er
definirt dieselbe als ein objektives Wesen oder eine Vorstellung,
welche im Denken von dem Körper, einer wirklichen Proportion
von Bewegung und Ruhe innerhalb der Ausdehnung, vorhanden
ist, und beweist Punkt für Punkt dieser Definition. Zuerst
weist er nach, dass das Wesen der Seele eine Idee und nicht
ein Gefühl oder Streben wie Liebe, Begierde u. s. w. sei, so-
dann, dass sie einem wirklich existierenden Gegenstande
entspreche, ferner, dass eben dieser der Ausdehnung angehöre
und viertens ein ganz bestimmtes Verhältnis von Bewegung
und Ruhe darstelle. Liegt schon so in der strengen Ordnung
der Gedanken, welche alle einem Ziele zustreben und immer
genauer und bestimmter das Wesen der menschlichen Seele
auszudrücken suchen, ein Fortschritt, so wird er auch inhalt-
lich offenbar durch die zum zweiten Punkt gegebenen Er-
klärungen, welche über den Ursprung der Seele in den Attri-
buten zu berichten wissen. Bevor sie, heisst es da, ins Dasein
getreten, war ihr Wesen und das des Körpers „gleichmässig
in ihren Attributen enthalten", nichts hatte sie von anderen Ideen
getrennt, sie gehörte einem unendlichen und unterschiedslosen
Denkmeere an. Aus demselben heraus, oder besser in ihm
bildete sich ihre bestimmte, umgrenzte Wesenheit und zugleich
damit die ihres Körpers, und zwar so, dass beide in allen
ihren Zuständen einander auf das Genaueste entsprechen.
„Und aus allem diesem", bemerkt unser Verfasser zum Schluss,
„wie auch, weil unsere Seele mit Gott vereinigt und ein Teil
der unendlichen Idee ist, die unmittelbar aus Gott entsteht,
kann sehr deutlich .... die Unsterblichkeit der Seele er-
sehen werden." Spinoza behält hier den im kurzen Traktat
gegebenen Ewigkeitsbeweis bei, dem er jedoch — der erste
Schritt nach vorwärts — einen Teil seines fremdartigen Bei-
geschmackes nimmt. Denn er spricht nicht mehr von einem Ein-
gehen des Geistes in die Gottheit, als eines überhaupt un-
körperlichen, rein geistigen Wesens, sondern nur, inwiefern
derselbe an dem unendlichen Verstände Theil hat, womit unser
Denker in seine eigentliche Geistesbahn einlenkt. Ausserdem
aber verweist er den Leser darauf, aus dem Vorhergegangenen
die Unsterblichkeit der Seele zu erschliessen, welche darnach
ebenfalls durch ihre Rückkehr und Auflösung in das Denk-
— 16 —
attribut erreicht wird. Denn mit ihrem Entstehen und Bestehen
neben dem Körper, ihrem wirklichen, räumlich begrenzten
Dasein ist gewiss auch eine zeitlich begrenzte Dauer verbunden,
welche durch das Aufhören dieses ihres Verhältnisses gleich-
falls ein Ende findet und von der ewigen Dauer ihrer Wesen-
heit in ihrem Attribute abgelöst wird. Diese Erklärung aber
steht schon ganz auf echt spinozistischem Boden.
Noch weiter führen vielleicht die Anmerkungen zu Be-
ginn des zweiten Teiles unseres Traktates (S. 57 ff.), die schon
äusserlich, durch die Reihenfolge der fast Lehrsätzen gleichen-
den und genau einander ergänzenden Behauptungen sich über
die ungebundene Form des Anhangs erheben und der vom
Schema der Mathematik beherrschten Ethik sich nähern. Sie
leiten, womöglich noch schärfer jeden Schritt markierend, das
Einzeldasein der Seele von ihrer „Eigenschaft" ab und
lassen sie selbst alle Vollkommenheiten und Unvoll-
kommenheiten des Körpers teilen, all seine Schwankungen
mitempfinden. Mit dem Tode des Körpers, der Zerstörung
des ihn bildenden Verhältnisses von Ruhe und Bewegung,
erfolgt auch der Tod der Seele, soweit sie eine Idee
dieses Verhältnisses ist. „Doch weil die Seele ein Modus ist
in der denkenden Substanz, so hätte sie auch diese neben der
Substanz der Ausdehnung erkennen, lieben und durch Ver-
einigung mit Substanzen, die immer dieselben bleiben, sich
selbst ewig machen können." Diese Worte sagen ausdrücklich,
was aus den früheren erst gefolgert werden musste. Sie lassen
im Menschengeiste neben der vergänglichen Idee des Körpers
einen Begriff von der Denkeigenschaft sich bilden, und dieser
ist es, welcher sie mit ihrem Objekte vereinigt und zur Ewig-
keit hinüberführt. Sodann fehlt auch hier bereits der Hinweis
auf Gott, der früher bei ähnlichen Gelegenheiten hervortrat,
und an seiner Statt tritt ebenso wie im Anhange eine genauere
Bezeichnung, das Denkattribut. Aber noch wird der Parallelis-
mus der Glieder erst bis zum Tode der Menschenseele geführt
und einseitig nur ihre Unvergänglichkeit hervorgehoben, ob-
gleich nach dem zweiten Anhang eine vollständige Gleich-
stelung des Körpers mit ihr auf der Hand lag. Aber Spinoza
scheint dem Strom seiner Gedanken absichtlich Halt geboten
zu haben, und so erfuhr das Attribut der Ausdehnung von ihm
eine Vernachlässigung, die er formell oft genug bekämpft hat,
die jedoch aus dem dringenden Verlangen seines Herzens her-
vorging, eben nur die wahre Glückseligkeit des Menschen-
geistes zu lehren. Ferner aber wird hier die Erkenntnis des
Denkattributes als die wahre angesehen und nicht, wie es der
Parallelismus erfordert hätte, die Erforschung des Wesens der
körperlichen Dinge verlangt. Eine solche scheint jedoch schon
der tract. de int. emend. anzunehmen, wenn er unter den
— 17 —
Eigenschaften des Verstandes diejenige nennt, dass er die
Dinge nicht sowohl unter der Dauer als vielmehr unter einer
Form der Ewigkeit wahrnimmt" (v. VI. I 36).
C. Die Ethik.
a. Der Begriff an sich.
Ihre höchste Entwickelungsform erhielten die Anschau-
ungen Spinozas über die Ewigkeit in der Ethik. Das tritt
schon beim Begriffe selbst hervor. Hatte sich seine Definition
bereits in den cog. met. inhaltlich voll ausgebildet, so gab ihr
die Ethik auch die formelle Vollendung, indem sie das Objekt
vollständig aus ihr entfernte und rein abstrakt die Eigenschaften
der Ewigkeit zusammenfasste. So heisst es: „Unter Ewigkeit
verstehe ich die Existenz selbst, sofern sie aus der blossen
Definition eines ewigen Dinges als notwendig folgend begriffen
wird." (Eth. I Def. 8.)
Ewigkeit ist demnach eine Art der Existenz und kündet
das Dasein eines Wesens an, ist aber, um mit dem Tract. de
int. em. zu reden (s. S. 11), so beschaffen, dass sie keine
Fiktion zulässt, also ohne das wirkliche Vorhandensein eines
Dinges gar nicht gedacht werden kann. Das ewige Ding lebt
in unveränderlicher, stets gegenwärtiger Existenz, sein Dasein
kann niemals aufgehoben werden, und wäre das möglich, so
würde, eben weil es eine Fiktion von ihm nicht geben kann,
auch seine Idee im Geiste verschwinden. Die Existenz gehört
so zu seinem Wesen. Da nun aber die wahre Definition eines
jeden Dinges nichts in sich schliesst noch ausdrückt als die
Natur des definierten Dinges (I 8 Schol.), zur Natur eines
ewigen Dinges aber, wie gezeigt, die Existenz gehört, so wird
letztere also auch in der Definition enthalten sein oder als aus
derselben notwendig folgend begriffen werden.
Aus dem Gesagten erhellt nun auch der Unterschied
zwischen dem zeitlichen und dem ewigen Dasein, der ein
genereller genannt werden muss, da die ewigen Dinge nicht
anders als existierend, die vergänglichen jedoch auch anders
als existierend, nämlich als nicht existierend begriffen werden
können. Die letzteren entstehen in einem bestimmten Zeit-
punkte, dauern eine gewisse Zeit lang fort, um dann zu Grunde
zu gehen. Sie kann daher auch der Geist als früher, später
oder überhaupt nicht existierend auffassen, denn ihr Wesen
schliesst kein Dasein ein (I Ax. 7). Sie haben keine unend-
liche (infinita) sondern eine unbestimmte (indefinita) Existenz,
also eine Dauer (11 Def. 5), und sie leben nur in der Zeit
fort. Anders aber das ewige Wesen. Dasselbe ist niemals
entstanden und kann auch niemals vergehen, in ihm giebt es
2
— 18 —
kein Wann, weder ein Vorher noch ein Nachher (I 33 Schol. ü),
es ist überhaupt unter dem Gesichtspunkte der Zeit nicht zu
erfassen. Darum heisst es in der Erläuterung zur 8. Definition :
„Denn eine solche Existenz, wie z. B. eine ewige Wahrheit,
wird wie das Wesen des Dinges aufgefasst und kann daher
durch die Dauer oder Zeit nicht erklärt werden, wenn man
auch Dauer als ohne Anfang und Ende begreift." Denn auch
dahinter versteckt sich nur eine Fortdauer in der Zeit, welche
mit dem ewigen Wesen der Dinge nicht vereinbar ist.
So zeigt sich in diesem Zusätze in der That nur die
Consequenz der Definition, indem er nichts anderes enthält,
als das Bestreben noch schärfer die Grenzlinie zu ziehen und
jede Verbindung zwischen Dauer und Ewigkeit auf das Aller-
bestimmteste auszuschliessen. Wie sehr aber die Erinnerung
an die frühere Fassung des Ewigkeitsbegriffes (S. 12) unseren
Verfasser beherrscht, zeigt die Bemerkung: „Ewigkeit ist das
Wesen Gottes selbst, sofern dieses notwendige Existenz ein-
schliesst" (V 30 Dem.), welche als aus obiger Definition abgeleitet
angeführt wird. Ja es wird sich uns (S. 23 f.) ergeben, dass
Spinoza die Merkmale seines Ewigkeitsbegriffes nur auf den
Gottesbegriff und nicht auf den der Modi angewandt hat, und
die hier in der Ethik vorgenommene Ausscheidung der Sub-
stanz aus der Definition für ihn in der That nur eine rein
äusserliche, dem mathematischen Schema entsprechende war.
Die Richtigkeit der hier gegebenen Definition zu prüfen, wird
Aufgabe einer späteren Erörterung sein (S. 22).
b. Gott.
Auch bezüglich der Ewigkeit Gottes will uns Spinoza in
der Ethik den formellen und inhaltlichen Abschluss seiner Ge-
danken geben, indem er ihnen einerseits in den Demonstrationen
einen strengen, mathematisch bestimmten Ausdruck verleiht,
andererseits aber die Resultate der beiden Ewigkeitsbeweise,
welche er in seinen Prinzipien des Cartesius und in den cog.
met. gewonnen hatte, zusammenfasst, und durch Beziehung
der Gottesbegriffe auf den Begriff der spinozistischen Substanz
ein neues Moment hinzufügt. So entstanden die drei Beweise
für die Ewigkeit Gottes.
1. Der erste derselben zieht die Gottheit in ihrer Eigen-
schaft als Substanz (Eth. I Def. 6) in Betracht. Als solche
kommt ihr unbedingte Selbständigkeit also auch notwendige
Existenz zu (I P. 7), derzufolge sie in ihrem Dasein nicht von
einer anderen Wesenheit abhängt, sondern in sich selbst, in
ihrer eigenen Natur die Bedingungen ihrer Existenz enthält.
Da aber dasjenige, was zum Wesen eines Dinges gehört, in
~ 19 —
seinem Begriffe liegen oder aus seiner Definition folgen muss,
so folgt auch das Dasein Gottes aus seiner Definition d. h.
(L Def. 8) er ist ewig (P. 19 Dem.).
2. Hat so der erste Beweis das ewige Dasein Gottes aus
dem gefolgert, was ihm als Substanz zukommt, so beruft sich
der zweite auf die Art und Weise, wie seine notwendige
Existenz dargethan worden ist. Letzteres ersieht man aus den
Beweisen des 11. Lehrsatzes. Von ihnen zeigt der erste auf
indirektem Wege, dass Gott, schon als Substanz betrachtet
(s. obigen Beweis), notwendig existiere. Der zweite geht von
der Erwägung aus, dass es eine Ursache geben müsse, welche
die Existenz der Dinge setzt oder aufhebt, und dass diese
Ursache nur in oder ausserhalb ihrer Natur liegen könne.
Demnach seien vier Klassen der Dinge zu unterscheiden, von
denen Gott nur derjenigen Klasse angehören könne, deren
Wesenheiten die ihre Existenz setzende Ursache in sich, in
ihrer eigenen Natur haben. Der dritte Beweis, welcher der
Gottheit noch keine grössere Notwendigkeit als den Dingen
der Welt zuschreibt, kann hier übergangen werden. Im Gegen-
satz zu ihm aber sucht das Scholion des 11. Lehrsatzes in
dem Begriffe Gottes selbst wiederum den Grund für seine
Existenz zu finden. Indem dieser Begriff nämlich die höchste
Vollkommenheit einschliesse, zu dieser aber das Dasein ge-
höre, müsse letzteres auf das Allerbestimmteste von der Gott-
heit ausgesagt werden. Aus allen diesen Demonstrationen
aber ergiebt sich nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch
die Ewigkeit Gottes. Denn seine Existenz ist nicht als eine
solche, die aus äusseren Ursachen notwendig hervorgeht (Ax. 3),
sondern als in der Natur der göttlichen Substanz, im Gottes-
begriffe selbst enthalten erwiesen worden und ist daher (Def. 8)
eine ewige zu nennen (P. 19 Schol.).
3. Als dritten Beweis für die Ewigkeit Gottes endlich
sieht Spinoza das an, was er hierüber in seinen Prinzipien
der cartesianischen Philosophie (I P. 19) ausgeführt hat. An-
genommen, sagt er dort, Gott komme nicht eine ewige, sondern
eine begrenzte Existenz zu. Diese müsste dann von ihm, da
er die höchste Intelligenz besitzt, erkannt werden, d. h. er
müsste sich bis zu einer bestimmten Grenze als existierend,
über diese hinaus aber als nicht existierend erfassen. Dies ist
jedoch widersinnig, da nach einem früheren Satze (P. 5) das
Dasein Gottes aus seiner Natur folgt, er selbst also über-
haupt nicht als nicht existierend gedacht werden kann. „Daher
hat Gott nicht begrenzte sondern unendliche Existenz, welche
wir Ewigkeit nennen" (P. 19 Schol).
Mit der Ewigkeit Gottes, der einzigen und allumfassenden
Substanz, ist zugleich die Ewigkeit seiner Attribute gegeben.
Denn jedes derselben bezeichnet ja nichts anderes als das
— 20 —
Wesen der Substanz (Def. 4), muss also wie diese durch sich
selbst erfasst werden (P. 10), mit ihr identisch sein (Def. 3).
Sowie nun die Substanz ewig ist, werden auch die Attribute
ewig sein (P. 19 Dem.). — Unter der unendlichen Zahl der gött-
lichen Eigenschaften befindet sich auch die Ausdehnung (U P. 2)
und das Denken (11 P 3). Nur diese beiden können mit ihrem
Inhalt einer näheren Betrachtung unterzogen werden, da sie
allein der menschlischen Erkenntnis zugänglich sind (11 Ax. 5),
und somit kann lediglich ihre und ihrer Modi Ewigkeit von
uns thatsächlich gewusst und erfahren werden.
Soweit die Ausführungen Spinozas über das ewige Da-
sein der Gottheit und der Attribute. Die Ewigkeit der
letzteren folgt aus derjenigen der ersteren so einfach und
selbstverständlich, dass es hierzu keiner weiteren Bemerkungen
bedarf, wohl aber können die Beweisführungen für die Ewig-
keit Gottes, einen so grossen Foitschritt sie auch aufweisen,
nicht kritiklos hingenommen werden. Der erste Beweis legt
Gott Ewigkeit bei, weil zu seinem Wesen als demjenigen einer
Substanz Existenz gehöre. Es ist das derselbe Schluss, wie
er bereits in den früheren Ausführungen Spinozas sich immer
wiederholt, wenn man von dem Begriff der Substanz absieht,
welche hier gleichsam als Ersatzglied (S. 19) auftritt. Merk-
würdig aber bleibt, um auf das Einzelne des Beweises einzu-
gehen, der Satz : „ . . . welche notwendig existiert" (I P. 19
Dem.), der in dem ganzen Zusammenhange nicht nur voll-
ständig überflüssig erscheint, sondern sogar zu dem Glauben
verführt, dass von ihm die Ewigkeit Gottes abgeleitet werde.
Letzteres aber soll erst in der zweiten Demonstration (I P. 19
Schol.) geschehen. Diese nun baut sich auf dem Grunde der
in P. 1 1 geführten Beweise für die notwendige Existenz Gottes
auf, aus ihnen aber erhellt, dass unser Verfasser den Begriff
des Notwendigen nicht immer in gleichem Sinne angewandt
hat. Schon im Tract. de int. emend. erklärt er: „Notwendig
[nenne ich] das Ding, dessen Natur einen Widerspruch dagegen
einschliesst, dass sie nicht existiert" (v. VI. I 17), oder in po-
sitiver Umkehrung: dessen Natur die Ezistenz einschliesst, das
also notwendig in Bezug auf sein Wesen ist. Damit
würde es freilich übereinstimmen, wenn es heisst: „Gott ist
eine Substanz, welche notwendig existiert, d. h. zu deren
Natur es gehört zu existieren" (Eth. I 19 Dem.). Dem jedoch
widersprechen entschieden die Worte: „Ein Ding heisst not-
wendig, entweder in Beziehung auf sein Wesen oder in Be-
ziehung auf seine Ursache" (Eth. I 33 Schol.), desgleichen
die Bemerkung: „Auf zweierlei Weise wird ein Ding not-
wendig . . genannt, entweder rücksichtlich seiner Wesenheit oder
seiner Ursache (cog. met. 1 3, v. V 1. II S. 468). Denn die erste De-
finition schliesst das verursachte Ding aus und setzt Notwendigkeit
— 21 —
gleich Ewigkeit, während die zweite, die eigentliche Ansicht
Spinozas, in die Notwendigkeit auch das Folgen der Wirkung
einschliesst, welches nach unabänderlichen Gesetzen vor sich
geht. In Anbetracht seines Schwankens bei der Bestimmung
dieses Begriffes wird es erst erklärlich, warum in der Ethik (111)
zwar eine notwendige Existenz behauptet, im ersten, vor allem
aber im zweiten und vierten Beweis mehr als das, nämlich
die Notwendigkeit als Wesenseigenschaft dargethan wird. Der
Lehrsatz an sich will vorläufig nur Gott in seinem Dasein
den Dingen gleichstellen, die genannten Beweise aber erheben
ihn über dieselben und machen ihn schon hier zu einem
ewigen Wesen. Sie verdienten mithin viel eher, ihren Platz,
beim zweiten Ewigkeitsbeweise zu erhalten, der an und für
sich, ohne sie keinen wirklichen Fortschritt aufweist. Die
dritte, den Cartesianischen Prinzipien entlehnte Demonstration
endlich scheint uns vollends garnicht der in der Ethik ge-
gebenen Begriffsbestimmung der Ewigkeit zu entsprechen.
Denn der ganze Gang der Beweisführung führt zu dem auch aus-
gesprochenen Ziele, eine nicht begrenzte d. h. ein unbegrenzte
Existenz, also eine Dauer ohne Anfang und Ende der göttlichen
Substanz zuzuschreiben, und daran wird nichts geändert durch die
Gleichstellung derselben mit der unendlichen Existenz, welche
hier in ihrem uneigentlichen Sinne (v. VI. 11 Ep. 12 Anfang,
S. 41) gebraucht ist. Der Hinweis freilich auf den Satz:
„dass das Dasein Gottes schon in seiner Natur miteinbegriffen
sei" hätte zur Fortführung des Beweises im spinozistischen
Sinne veranlassen können, derselbe hätte aber dann als nicht
cartesianisch in der Ethik vorgeführt werden müssen. Doch
selbst in diesem Falle wäre er nur eine weitere Variation des
allen drei Demonstrationen zu Grunde liegenden und wie ein
roter Faden sich durch Spinozas Schriften ziehenden Ge-
dankens gewesen: Die Ewigkeit Gottes folgt unmittelbar da-
raus, dass seinem Wesen Existenz zuzuschreiben ist. Dieser
jedoch als der ontologische Beweis fällt mit der Widerlegung
Kants, dass wir aus dem geistigen Sein niemals die
reale Existenz zu erweisen vermögen, mithin im
Begriffe eines Dinges nie sein wirkliches Dasein
eingeschlossen sein könne. Aber gerade die vollständige
Gleichsetzung der wahren Ideen mit den Dingen, welche
auf dem Parallelismus der Attribute beruht, bildet die
Grundvoraussetzung und die innerste Natur der spino-
zistischen Lehre. Durch diese Erwägungen sind aber
nicht nur unsere Gottesbeweise, sondern auch die Definition
der Ewigkeit selbst als unrichtig erkannt. Denn auch diese
ist, wie wir bereits (S. 18) erfahren haben, aus der oben-
genannten Vorstellung abzuleiten und nichts anderes als der
abstrakte, des Subjekts enkleidete Ausdruck derselben.
— 22 —
c. Welt.
1. Auf das Engste mit der Substanz verknüpft sind die un-
endlichen Bestimmungen derselben, die entweder als eine un-
mittelbare oder als eine mittelbare Wirkung der absoluten
Natur Gottes anzusehen sind, je nachdem ein Modus direkt
aus seinem Attribute folgt oder einem Modus entspringt,
welcher unmittelbar aus dem Attribute gefolgt ist. Welche
Existenz ist nun der ersteren Art der Daseinsformen zuzu-
erteilen? Angenommen, dies wäre die beschränkte Dauer, über
welche hinaus sie nicht mehr existieren könnten. So z. B.
müsste die Idee Gottes, welche direkt aus dem Attribute des
Denkens hervorgeht, nach einer bestimmten Zeit nicht mehr
vorhanden sein. Da aber das Denken, als Eigenschaft Gottes
notwendig (P. 1 1) und unveränderlich (P. 20 Cor. II) fortbesteht,
so müsste es sich nach der Existenz der Gottesidee in einer
anderen Idee ausdrücken. Dann aber könnte jene nicht aus
der Natur des Denkens notwendig folgen, was der Voraus-
setzung widerspricht. Es ist also die Annahme einer be-
schränkten Dauer unrichtig und auf indirektem Wege bewiesen,
dass der Modus, welcher aus der blossen Natur irgend eines
göttlichen Attributes folgt, ewig sei (P. 21). Ebenso muss
eine Daseinsform, welche aus dem Wesen eines der ebenge-
nannten Modi hervorgeht, ewig existieren. Denn käme ihr
bestimmtes zeitliches Dasein zu, so könnte ebenso in der Zeit
nach ihr ein anderer Modus existieren, jener also nicht aus
dem Wesen der ewigen Daseinsform entspringen, wie es vor-
ausgesetzt war (P. 22).
In obigen Aeusserungen will die Ethik, indem sie die
negative Bestimmung der cog. met., derzufolge die Welt auch
eine Dauer ohne Anfang nicht haben könne, in eine positive
verwandelt, die unendlichen Daseinsformen zu echt spinozisti-
scher Ewigkeit erheben. Sie hat die althergebrachte Ansicht
von der Erschaffung des Weltalls als solches oder der un-
endlichen Erscheinungsformen überwunden, sie redet daher
nicht mehr von einem „Geschaffen werden (creari)", sondern
von einem „Folgen (sequi)" derselben (Eth. 121 ff.), und be-
achtenswert bleibt die Aeusserung: „welche er unmittelbar
hervorgebracht hat, oder vielmehr, welche aus seiner absoluten
Natur folgen" (Eth. I 28 Schol), denn sie zeigt, in welchem
Sinne Spinoza das Wort „immediate produci" gefasst wissen
will. Soweit müsste ihn allerdings der gerade Gang seiner
Gedanken treiben, und doch ist er sich, wie man bei genauerem
Eingehen bemerken kann, nicht treu geblieben. Zwar wird
die Behauptung aufgestellt, dass die aus der absoluten Substanz
direkt hervorgehenden Modi ewig, d. h. der früheren Definition
zufolge zeitlos seien, aber wie wird sie bewiesen? Dadurch,
dass gezeigt wird, dass ein solcher Modus, wenn er zeitlich
— 23 —
begrenzt gedacht würde, aus seiner ewigen Ursache nicht not-
wendig folgen könnte, wie es vorausgesetzt war. Hieraus
ergiebt sich jedoch nicht, dass dieser Modus zeitlos, sondern
dass er zeitlich unbegrenzt, in unendlicher Dauer existiere.
Das wahrhaft ewige, im Wesen begründete Dasein hätte auch
nie dadurch erschlossen werden können, dass man es auf eine
bestimmte Dauer bezog, sondern nur, indem man ihm die
gesammte Dauer als ein vom Wesen nicht abhängiges Dasein
gegenüberstellte, aus deren Verneinung sodann die Ewigkeit
gefolgt wäre. Darin, dass Spinoza das nicht gethan hat, offen-
bart sich eine Schwäche, übrigens dieselbe, welche er durch
Heranziehung des cartesianischen Beweises von der Ewigkeit
Gottes bekundet hat (S. 22). Es ist damit aber zugleich eine Be-
stätigung unserer Annahme (S. 12, 14) gegeben, dass die
Ewigkeit, wie sie aus dem Begriff der Gottheit stammte, so
auch nur in Verbindung mit ihr ihre logische Rechtfertigung
findet. In Wirklichkeit ist sie nicht auf die unendlichen Modi
ausgedehnt worden, wenn dies auch Spinoza nicht zum Be-
wusstsein gekommen ist.
Doch sieht man davon ab, so lässt sich als zweiter
Fortschritt in der Ethik wahrnehmen, dass sie Bewegung
und Denken als bestimmte Daseinsformen aus dem Beweise
entfernt, den sie allgemein und abstrakt fasst, und drittens,
dass sie diesen unmittelbaren Wirkungen der Substanz
eine zweite Reihe aus ihnen hervorgehender, gleichfalls ewiger
Modi angliedert. Der 64. Brief an Schuller, welcher ebenfalls
als Beispiele der ersten Art im Attribut des Denkens den
absolut unendlichen Verstand, in der Ausdehnung Ruhe und
Bewegung nennt, fügt als Beispiel der zweiten Art die Form
des ganzen Universums hinzu. Hier verändern sich zwar die
einzelnen Teile auf unendliche Weise, sie selbst aber bleibt
ewig dieselbe,
2. Getrennt von den unendlich-ewigen Modis aber läuft
eine andere Reihe von Daseinsformen, welche endlich sind und
eine bestimmte Existenz haben (I 28), und unter ihnen
wiederum befindet sich eine Gattung, deren Behandlung der
grösste Teil der Ethik gewidmet ist, es ist der Mensch. Er
besteht aus gewissen Daseinsformen göttlicher Attribute (II 10
Cor.) und zwar (II 13 Cor.) einem Körper, jenem Modus,
welcher die Natur Gottes, nach der Seite seiner Ausdehnung
betrachtet, auf eine bestimmte Weise wiedergiebt (11 Def. 1),
und dem Geiste (II Ax. 2), welcher eine Bestimmung des Denkens
ist und wiederum in verschiedener Weise sich kundgiebt, als
Idee, als Gefühl, Streben u. s. w. (11 Ax. 3). Von diesen ist
es die Idee, welche allen anderen Daseinsformen des Denkens
vorangeht (U Ax. 3) und dessen Wesen ausmacht (nach II
Def. 2). Denn nur, wenn sie existiert, können auch die
— 24 —
übrigen Modi da sein, sobald sie aber aufgehoben ist, hat auch
der Geist zu sein aufgehört (nach Ax. 3). Das Verhältnis
zwischen Körper und Geist ist nicht ein derartiges, dass jener
auf diesen einen Eindruck ausübt und dadurch bewirkt, dass
ein Bild seiner selbst im Geiste erzeugt wird, sondern es stellt
sich als ein durchaus paralleler Vorgang dar, indem mit dem
Erscheinen des Geistes in der Wirklichkeit auch der Körper
hervortritt und umgekehrt das Auftreten des Körpers notwendig
das Dasein des ihm entsprechenden Geistes erfordert (nach
P. 7). Genau genommen aber ist es die Idee, die Vorstellung
des menschlichen Körpers, welche als erste der mannigfachen
Erscheinungsarten des Denkens (Ax. 3) zugleich mit dem
Körper auftreten muss, ja sogar den Körper allein zu ihrem
Objekte hat (P. 13), d. h. nichts anderes enthält als die Be-
stimmungen desselben. Denn beide sind Wirkungen eines und
desselben Wesens, der absoluten Substanz, welche sich durch
sie in bestimmter Weise in den Attributen der Ausdehnung
und des Denkens äussert. Der Körper als Modus der Aus-
dehnung und der Geist als Idee jenes Modus sind ein und
dasselbe Ding, nur nach verschiedenen Seiten betrachtet (nach
P. 7 Schol).
Auf dieser kurz dargestellten Grundlage erhebt sich die
Lehre Spinozas von der Ewigkeit des menschlichen Geistes.
Der Beweis für diese wird erbracht, indem die göttliche
Substanz als Vermittlerin hinzugezogen wird. In Gott ist
nämlich notwendig auch eine Idee alles dessen, was aus
seinem Wesen notwendig folgt (II P. 3), nun folgt nicht nur
die Existenz, sondern auch die Wesenheit der Dinge, mithin
auch die des menschlichen Körpers aus Gott (I P. 25) und
zwar mit ewiger Notwendigkeit (I P. 16) [ewig darum, weil
ihre Ursache die ewige Gottesnatur ist]. Es giebt also in Gott
notwendig eine Idee, welche die Wesenheit unseres Körpers
unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit ausdrückt. Eben diese
Idee aber ist nichts anderes als das Wesen des menschlichen
Geistes (II P. 13), welcher daher selbst das Wesen seines
Körpers als ewig aus der Natur Gottes folgend begreift. Nun
ist ihm aber nur insofern zeitliche Dauer zuzuschreiben, als er
die wirkliche Existenz seines Körpers vorstellt (II P. 8 Cor.).
Mithin wird der Teil des Geistes, welcher das Wesen des
Körpers unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit begreift, nicht
der Dauer unterworfen, sondern ewig sein (V P. 23).
Welches aber ist der Weg, auf dem wir uns ewiges
Dasein erringen? Der obige Beweis hat ihn bereits ange-
deutet, es ist das klare Denken, welches uns zu diesem Ziele
verhilft. Das Wesen unseres Geistes besteht, wie schon oben
(S. 24 f.) gezeigt (s. auch V 9 Dem. u. a.), in der Idee des mensch-
lichen Körpers, dessen Erregungen ersämmtlich erfasst(IIP. 12).
— 25 —
Da nun letzterer von sehr vielen äusseren Körpern affiziert
wird (II Posth. III nach Lemma 7), hat auch der Geist die
Ideen derselben. Er begreift sie aber in zweierlei Weise,
entweder an und für sich, ohne ihre Ursachen, sowie sie ihm
gerade zufällig entgegentreten, oder indem er sie prüft, ver-
gleicht, Uebereinstimr^endes und Verschiedenes an ihnen fest-
stellt, überhaupt die Dinge nach ihrer wahren Natur zu er-
kennen strebt (nach 11 29 SchoL). Im ersteren Falle ist die
Einbildungskraft (imaginatio), im letzteren die reine Vernunft
im Sinne Spinozas (ratio) thätig ; dort entstehen verworrene,
inadäquate, hier klare und bestimmte, adäquate Ideen (Das.) ;
dort werden die Dinge bald als vergangene, bald als zukünftige,
und im Ganzen als zufällige (II P. 44 Cor. 1.), hier aber als
wahre (11 P. 41), als notwendige (II P. 44) angesehen, oder
unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit betrachtet (II P. 44
Cor. 2), und es wird das ewige und unendliche Wesen Gottes
in ihnen erblickt (11 P. 47). „Es bilden daher (den Inhalt
und) die Grundlagen der Vernunft diejenigen Begriffe,
welche jenes ausdrücken, was allen gemeinsam ist, und nicht
das Wesen eines einzelnen Dinges ausdrücken, deshalb aber
ohne eine Beziehung auf die Zeit, vielmehr unter einer Form
der Ewigkeit begriffen werden müssen" (11 44 Cor. II Dem.).
Ist nun so die Vernunft, welche^ als zweiter Erkenntnisgrad
bewirkt, „dass wir Gemeinbegriffe und adäquate Ideen der
Eigenschaften der Dinge haben" (II 40 Schol. 2), so erreichen
wir dieses Ziel sicherer und unmittelbarer durch die dritte und
vollkommenste Art des Erkennens, die intuitive Erkenntnis.
Diese hat die Aufgabe, „von der adäquaten Idee des formalen
Wesens einiger Attribute Gottes bis zur adäquaten Erkenntnis
des Wesens der Dinge vorzuschreiten" (Das.). Sie soll nicht
wie die Vernunft durch Sondern und kritisches Sichten, durch
Unterscheiden des Wahren vom Falschen ihre Ideen erlangen,
sondern ohne überhaupt mit dem Falschen in irgend eine Be-
rührung zu kommen, durch unmittelbare Anschauung die
höchsten Prinzipien des Seins erkennen, um von ihnen aus,
Schritt für Schritt vorwärts schreitend und alles mit mathe-
matischer Bestimmtheit beweisend, zu dem Wesen der Einzel-
dinge zu gelangen, welche notwendig aus ihnen folgen; sie
soll also nicht, wie die Vernunft, auf induktivem sondern auf
deduktivem Wege ihre Begriffe ableiten (II P. 47 Schol.).
Dieses Verfahren hat auch Spinoza in seiner Ethik an-
gewandt, indem er zuerst über die höchsten Bedingungen des
Weltalls, die Substanz und ihre Attribute, spricht, um dann
der aus ihnen hervorgehenden ewigen Welt der Modi seine
Aufmerksamkeit zu widmen und schliesslich zu dem vergäng-
lichen Reiche, dem Menschen und den Objekten seiner Er-
kenntnis herabzusteigen, deren unveränderliches Wesen fest-
— 26 —
stellend. Diese unmittelbare Erkenntnis, vermöge deren wir
das Göttliche im Einzelnen schauen (V 24), ist noch mehr
als die Vernunft das Mittel, die Ewigkeit des Geistes zu er-
ringen, während sinnliche Vorstellung und Erinnerung, welche
an die Erregungen des wirklich existierenden Körpers ge-
knüpft sind, nur so lange bestehen, als der Körper dauert
(V P. 21). Diesen also ist nicht, wie es die meisten Menschen
glauben, ewiges Dasein zuzuerkennen (V 34 Schol.); sie
schwinden mit dem wirklich existierenden Körper dahin,
während die klaren und deutlichen Ideen der zweiten und
dritten Erkenntnisart fortleben.
Worin aber, fragt man weiter, besteht des Näheren der
glückselige Zustand des Menschen im ewigen Leben?
1. „Die Glückseligkeit muss darin bestehen, dass der
Geist mit der Vollkommenheit selbst begabt ist" (V 31 Schol.).
Diese jedoch ist nicht, wie man oft anzunehmen geneigt ist,
in träger Ruhe und stiller Beschaulichkeit zu suchen, welche
ihm etwa als Lohn für die vollbrachte geistige Arbeit winken.
Das wäre gerade eine Unvollkommenheit, es förderte nicht die
Realität des Geistes (11 Def. 6), weil es seinem Wesen nicht
entspräche. Denn dieses ist lediglich klares und deutliches
Erkennen (U 40 Schol. 2), welches notwendig mit Thätigkeit
und nicht mit Ruhe verbunden ist (IE 1). „Je mehr nun ein
Ding thätig ist, desto vollkommener ist es" (V 40) und „der
ewige Teil des Geistes ist die Erkenntnis, vermöge welcher
allein wir thätig heissen" (V 40 Cor.). Es ist also eine un-
unterbrochene, denkende Thätigkeit, welche unser Geist
in seinem ewigen Dasein zu üben hat, und zwar eben jene
intuitive Erkenntnis, welche ihm (s. o.) vor allem die Ewig-
neit erringt (V 21). „Je mächtiger daher jemand dieser Er-
kenntnisgattung ist, . . . desto vollkommener und glückseliger
ist er" (V 21 Schol.).
2. und 3. Dieses adäquate Denken nun, die intellektuelle
Versenkung des Geistes in die Natur der Dinge, die Betrach-
tung der Wesenheit des Körpers und seines Zusammenhanges
mit der übrigen Welt bringt zugleich die Erkenntnis Gk)ttes mit
sich (V 24), der als die Ursache des Wesens der Dinge (I 25)
mit ihnen zugleich begriffen werden muss (I Ax. 4). Ferner
aber wurde dieses Denken soeben als eine Thätigkeit erkannt,
welche die Natur unseres Geistes ausmacht, und insofern ist
es auch als eine Tugend anzusehen (IV Def. 8). Die klare
Erkenntnis Gottes, des höchsten Wesens, ist daher die höchste
Tugend des Menschen (IV 28), führt ihn zur grössten Voll-
kommenheit, d. h. erzeugt in ihm die höchste Freude (Äff.
Def. 2). Diese aber, dem adäquaten Begriffe Gottes ent-
springend, ist
a) einerseits von dem Bewusstsein begleitet , dass es der
— 27 —
Denkende selbst sei, der diese wahre Idee habe (II 43),
also der Idee seiner selbst, welche beide zusammen (Äff.
Def . 25) die höchste Befriedigung erzeugen ;
b) andererseits nichts anderes, als die Liebe zu Gott (Aft.
Def. 6), und da wir ihn hier in seiner ewigen Wesenheit
erkennen (intelligere), die intellektuelle Liebe zu Gott
(V 32 Cor.). Sie ist, weil aus dem ewigen Denken folgend,
selbst ewig (V 33) und versetzt uns in den Zustand der
Glückseligkeit (V 36 Schol.).
4. Doch noch mehr als diese Liebe empfindet der ewige
Geist. Indem er das Wesen seines Körpers erfasst, denkt er
ihn unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit (V 29) und dringt
damit selbst in das Wesen der Gottheit ein, zu welcher die
Ewigkeit gehört (V 30 Dem.). „Er hat damit notwendig eine
Erkenntnis Gottes und weiss, dass er in Gott ist, und
durch Gott begriffen wird" (V 30). Er fühlt sich als ein Glied
des ewigen Universums, als Teil von Gottes ewigem und
unendlichen Intellekt (V 40 Schol.), und die intellektuelle Liebe,
die ihn beseelt, verknüpft ihn so innig mit der Gottheit, dass
seine Liebe Gottes Liebe, und umgekehrt die Liebe Gottes
seine Liebe genannt werden kann (V 35), und dass, genauer
gefasst, seine Glückseligkeit „in der beständigen und ewigen
Liebe zu Gott und in der Liebe Gottes zu dem Menschen be-
steht" (V 36 Schol.).
5. Sie lässt auch keinerlei Unruhe oder Besorgnis
in den Menschen aufkommen. So wird er, ganz der adäquaten
Erkenntnis hingegeben, ganz im Anschauen des erhabensten
Wesens begriffen, den Tod nicht fürchten (V 38), zumal da
es nur der geringere [und unvollkommenere] Teil seines Geistes
ist, welcher diesem Schicksale anheimfällt (V 38 Schol.). „Der
Weise", schliesst Spinoza seine Ethik, „wird kaum in der
Seele beunruhigt, sondern seiner, Gottes, und der Dinge in
einer ewigen Notwendigkeit bewusst, hört er niemals auf zu
sein, sondern geniesst immer die wahre Seelenruhe (V42
Schol.).
6. Endlich findet der Geist in der Ewigkeit die wahre
Freiheit. Denn frei sein heisst nicht der Willkür und seinen
Lüsten (V 41 Schol.), sondern dem Gebote der Vernunft folgen
(IV 67 Dem.). Und das gerade thut der ewige Geist. Im
Gefühle seiner Freiheit denkt er überhaupt nicht über den Tod,
sondern nur über das Leben nach (IV 67), und dieses Gefühl
ist identisch mit seiner Glückseligkeit (V 36 Schol.).
Die Verschiedenheit der soeben entwickelten Anschau-
ungen von denjenigen, welche wir bisher über die Unsterb-
lichkeit der Seele kennen gelernt haben, springt in die Augen.
Zunächst ist jener Gesichtspunkt der Vereinigung, der als
durchgängiges Merkmal der Unsterblichkeit alle Aeusserungen
— 28 —
des kurzen Traktates begleitet, hier nicht mehr zu entdecken.
Hat sich aber damit die äussere Gestalt der Lehre durchgängig
verändert, so ist auch ihr Inhalt nicht derselbe geblieben. Zwar
haben sich die beiden Kernpunkte, die hohe Bedeutung der
intuitiven Erkenntnis ^Is Mittel und ausschliessliche Thätigkeit
im ewigen Leben und die daraus entspringende Liebe des
Geistes zu Gott erhalten, aber auch nur, um manche Ver-
besserungen zu erfahren. Die erstere wurde in ihrer Allein-
herrschaft durch die zweite Erkenntnisart, die Vernunft, be-
schränkt, deren Ideen als adäquate (Eth. 11 40 Schol. 2) und
wahre (Eth. II 41) angesehen werden, sodass sie die Dinge
unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit betrachtet (II 44 Cor. 2)
d. h. selbst ewig ist (V 31 Dem.), während im kurzen Trak-
tate der Vernunft nur die Macht eingeräumt wird, die durch
Hörensagen entstandenen, nicht aber die durch direkte Erfahrung
gewonnenen Wahnvorstellungen zu berichtigen (Th. II 21 [2]),
daher in keinem Falle unsere Glückseligkeit zu bewirken (Th. 11
22 [1]).^) Zweitens aber wird für die ewige Gottesliebe der neue
Begriff der intellektuellen Liebe geprägt (Eth. V 32 Cor.) und
sowohl ihre Allmacht (V 37) als auch die sie begleitende Ruhe des
Gemüts (V 27) und Freude in Gott (V 32) ausführlich dargethan,
was der kurze Traktat für unnöthig hält (Th. II 24 [1]). Und end-
lich wird hier eine Liebe Gottes zum Menschen ange-
nommen (V 36 Cor., Das. Schol.), welche jener verwirft
(Th. n 24 [2]).^) Sind die genannten Veränderungen als eine
reifere Ausgestaltung, als ein Fortschritt anzusehen, so bietet
dagegen die Ethik in Bezug auf das Verhältnis des ewigen
Geistes zum Körper noch keine befriedigende Erklärung. Der
kurze Traktat hatte da gelehrt, dass der Körper durchaus
sterblich sei, ohne ihn als ausgedehnten Modus auch nur im
mindesten dem ihm entsprechenden Denkmodus, dem ewigen
Geiste, gleich zu setzen. Dies war freilich dort, wo der ab-
solute Parallelismus der körperlichen und geistigen Zustände
noch nicht ausgesprochen war, nicht zu erwarten, wohl aber
hier in der Ethik, welche mit geradezu staunenswerter Conse-
quenz jeder körperlichen Affektion eine geistige gegenüber
stellt; freilich nur, solange Körper und Seele des actuellen
Daseins sich erfreuen. Bevor jedoch die Ewigkeit des Geistes
bewiesen werden soll, heisst es: „Nun aber ist es Zeit, auf
das überzugehen, was zur Dauer (!) des Geistes ohne Be-
ziehung auf den Körper gehört" (V 20 Schol. Schluss), und
nachdem dies geschehen ist, wird gesagt: „Das ist es, was ich
über den Geist, sofern er ohne Beziehung auf die körperliche
Existenz betrachtet wird, zu zeigen mir vorgenommen hatte"
(V 40 Schol.). Beide Sätze, nach denen nur dem Geiste und
nicht dem Körper ewiges Dasein zuerteilt wird, machen nur
dem gemeinen Glauben und dem religiösen Bedürfnisse Spinozas
— 29 —
selbst ein Zugeständnis und durchbrechen ihnen zuliebe die
strenge Folgerichtigkeit des Systems, lassen aber zugleich
ahnen, wie fest und tief die gewöhnliche Unsterblichkeitslehre
in unserem Denker gelebt haben muss, wenn sie noch hier,
in der Ethik, eine lang fortgesetzte Reihe von Gedanken plötz-
lich aufhalten und am pflichtgemässen Vorwärtsschreiten hindern
konnte. Doch ganz konnte der in der Natur der spinozistischen
Lehre liegende Zug nicht unterdrückt werden, und fast un-
beabsichtigt bricht sich der Parallelismus Bahn in den Lehr-
sätzen, nach denen der Geist etwas nur in sofern unter dem
Gesichtspunkt der Ewigkeit betrachtet, als er das Wesen seines
Körpers unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit betrachtet
(V 29), in diesem Falle aber Gott erkennt und sich in ihm
fühlt (V 30), und derjenige, welcher einen besonders befähigten
Körper hat, auch einen Geist besitzt, dessen grösster Teil ewig
ist (V 39). Hier erst kommt rein und unverfälscht das spino-
zistische Prinzip zum Ausdruck, welches sonst bei der Ewig-
keit des Menschengeistes gegenüber dem Volksglauben zurück-
gesetzt worden war, das Prinzip nämlich, dass die Ordnung
und Verknüpfung der Ideen (Geister) dieselbe sei wie die
Ordnung und Verknüpfung der Dinge (Eth. II 7).*)
II. Abschnitt.
Waren im ersten Teile unseres Abschnittes die verschie-
denen Aeusserungen Spinozas über das Ewige zusammen-
gestellt und in das Ganze einer Entwickelungsreihe eingefügt
worden, zeigte sich dort, wie der Begriff der Ewigkeit sich
allmählich aus dem der Dauer herauswand, um ihm gegen-
über eine selbständige Stellung einzunehmen und schliesslich
in der Ethik seine Anwendung auf Substanz und Modus zu
finden, so konnten die Resultate doch nur an den einzelnen
Seinsarten in ihrer Besonderheit eingehender nachgewiesen und
geprüft werden, der Zusammenhang der letzteren dagegen
wurde nur oberflächlich berührt. Man erfuhr nur, dass
Substanz, Attribut und die unendliche Daseinsform ewig seien
und im Gebiete des Endlichen die menschliche Seele Ewigkeit
und ein seliges in Gott ruhendes und von Liebe und höchster
Befriedigung erfülltes Leben erlangen könne. Sobald man
aber des Näheren auf das Verhältnis zwischen unseren Grund-
begriffen eingeht, die Beziehungen der einzelnen Teile in der
ewigen Welt genauer festzustellen sucht, ergeben sich manche
Fragen, die wir nun zu erörtern haben.
Den Standpunkt, welchen Spinoza im Prinzip in der
Ewigkeitslehre seiner Ethik einnimmt, hat er selbst in der
8. Definition des 1. Teiles dargelegt. Darnach ist ihm ewiges
Sein die Existenz im Wesen der Dirlge, die vollkommene
Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Daseins. Wie aber
gestaltet sich die Durchführung dieses Grundsatzes? Sowei-
sie die göttliche Substanz betrifft, durchaus klar und folget
richtig. Ist Gott doch das Wesen, welches „in sich ist", also
den höchsten Grad der Selbständigkeit ausdrückt. Seine
Existenz kann ja nur eine wahrhaft ewige sein, da es nichts
Vollkommeneres giebt, welches sie der Gottheit mitgeteilt
haben könnte. Wie aber steht es mit dem Dasein der Modi?
Diese sind nichts als „Bestimmungen der Substanz oder das,
was in einem Anderen ist" (Eth. I Def. 5); von diesem
Anderen, der Substanz, erst haben sie somit ihre Existenz
entlehnt. Schon ihre Natur widerstrebt daher, indem sie eine
— 31 —
Unselbständigkeit einschliesst, der spinozistischen Ewigkeit.
Ferner hat unser Philosoph von den unendlichen Modi aus-
drücklich hervorgehoben, dass sie aus Gott folgen (I 23), und
von der Gesamtheit der Daseinsformen erklärt, dass sie zu
der gewirkten Natur gehöre (I 29 Schol.), jede Folge oder
Wirkung aber setzt eine Ursache voraus, und dieser, nicht
sich selbst verdankt sie ihr Dasein. Wie durfte aber dann
überhaupt ein Modus ewig genannt werden, da ja gerade die
Ewigkeit in dem Gegenteil, nämlich in der zum eigenen Wesen
gehörigen Existenz besteht?
Dagegen wird man einwenden: Wohl sei eine Abhängig-
keit der ewigen und unendlichen Modi von der absoluten
Substanz nicht zu leugnen, diese sei jedoch nicht darin zu
erblicken, dass erstere ihr Dasein von der letzteren erhalten
hätten, sondern nur darin, dass sie in ihrer Thätigkeit von
der Gottheit beeinflusst, kurz, dass sie nicht „ad existendum"
sondern „ad operandum" bestimmt würden. Das sei eben
das Eigentümliche der Erscheinungsform an sich, dass sie das
durch sie Erscheinende in gewisser Weise zum Ausdruck
bringe; doch darunter sei nicht ihre völlige Erschaffung zu
verstehen, vielmehr sei die Substanz ohne jeden Modus ebenso
undenkbar, wie die Ursache ohne Wirkung, könne also ohne
ihn nie gewesen sein, ihn mithin nicht hervorgebracht haben.
Demnach sei das Verhältnis unserer beiden Faktoren als ein
derartiges anzusehen, dass von Ewigkeit her die unendlichen
Daseinsformen in der Substanz bestehen und als notwendige
Ergänzung die letztere stets auszudrücken bestimmt seien.
Diesem Einwurf wird man seine Berechtigung nicht ver-
sagen können. Gewiss ist es wahr und schon im vorigen
Teile gezeigt worden, dass Spinoza in der Ethik nicht mehr
von vor aller Ewigkeit geschaffenen Erscheinungsweisen redet,
sondern diese der Entwicklung seines Denkens gemäss bereits
zu höheren Graden erhoben hat, so dass sie zwar ohne Sub-
stanz nicht vorhanden sind, so notwendig aber wie jene auch
selbst zu allen Zeiten oder vielmehr zeitlos — ewig existiren
müssen. Damit aber tritt nur umso schärfer der Gegensatz
zwischen der eigentlichen Meinung unseres Philosophen und
Aeusserungen hervor, in denen er allen Produkten der Substanz
nicht nur, was berechtigt ist, selbständige Thätigkeit, sondern
auch selbständige, unabhängige Existenz abspricht. Wie ist
z. B. die spinozistische Ewigkeit der aus der göttlichen Natur
folgenden Modi mit dem Satze zu vereinen: „Das Wesen
der von Gott hervorgebrachten Dinge schliesst nicht die
Existenz ein" (I 24)? Hiermit wird gerade das bejaht, was
soeben unter dem Drucke unseres Einwandes hatte verworfen
werden müssen. Dieser Behauptung zufolge würde auch eine
unendliche Existenz dieser hervorgebrachten Wesenheiten nicht
— 32 —
wahrhaft ewiges Sein, sondern Dauer ohne Anfang und Ende
genannt werden müssen, indem ihr Dasein in dauernder Ab-
hängigkeit von einer anderen Ursache bleibt; eine Identificirung
beider Begriffe aber ist nach Spinoza unmöglich (I Def. 8
Expl.). Doch sehen wir auch von der zuletzt hervorgehobenen
Schwierigkeit ab, so bleibt unsere ursprüngliche Frage noch
immer bestehen. Selbst dann, wenn unsere Daseinsformen
niemals von der Gottheit geschaffen werden, sondern in
ewigem Beharren in ihr sind und wirken, so erhalten sie doch
von ihr all ihren Inhalt, all ihr Wesen, ohne sie sind sie ein
Wesenloses, ein Nichts. Soll aber ein Ding, welches in sich
solch eine absolute Abhängigkeit begreift, dessen Dasein ohne
die Substanz undenkbar wäre, ewig sein, d. h. wiederum in
sich die Existenz enthalten? Das ist offenbar ein Widerspruch.
Wie ist also bei der in der Ethik gegebenen Definition der
Ewigkeit ein ewiges Sein der Modi zu begreifen?
Eine befriedigende, auf dem Boden des Systems ver-
harrende Lösung des Problems erscheint unseres Erachtens
nach nicht möglich, nur verständlicher, begreiflicher kann es
gemacht werden, wenn man sich die Entwicklung des Ewig-
keitsbegriffes noch einmal kurz vor Augen führt. Letzterer
wurde in dem Augenblicke, wo er nicht mehr unendliche
Dauer, sondern im Wesen enthaltene Existenz bedeutete,
allein auf die Gottheit bezogen, und die cog. met. stellten ihn
darum der Existenzform der Modi als einer von äusseren Ur-
sachen bedingten, zeitlichen und vergänglichen auf das Schärfste
entgegen. Dieser Gegensatz jedoch wurde in der Ethik that-
sächlich nicht beseitigt, denn sie hat an der Definition lediglich
eine äusserliche Verbesserung vorgenommen, indem sie den
Namen ihres Gegenstandes, der Gottheit, daraus entfernte.
Durch dieses Verfahren aber erhielt die Begriffsbestimmung,
welche jetzt allgemein geworden war, formell auch das Recht,
auf alles, was mit ewig bezeichnet wurde, bezogen zu werden,
während sie in Wirklichkeit nach wie vor nur auf die Sub-
stanz anwendbar war. Einen Modus, der im echt spino-
zistischen Sinne ewig ist, kann es demnach nicht geben, und
wenn unser Philosoph dennoch von ewigen Daseinsformen
spricht, so befindet er sich im Widerspruch mit dem Gedanken
seiner eigenen Definition und lehnt sich dem Ausdrucke nach
dem allgemeinen Sprachgebrauche an, dem er, wie wir er-
fuhren, schon so manche Zugeständnisse gemacht hatte.
Höchstens Dauer ohne Anfang und Ende darf man somit den
Modis beilegen, und in der That hat unser Denker nur eine solche
von den unendlichen Bestimmungen der Substanz bewiesen
(Eth. I 21), während er ihre Ewigkeit behauptet hatte
(S. 23 f).
i
— 33 —
b.
Es steht fest, dass die allumfassende absolute Substanz an
sich, d. h. ohne Modi nicht existiere, vielmehr durch sie erst sich
offenbare. Ihr am nächsten, weil aus ihrer absoluten Natur
hervorgehend, stehen die unendlichen Bestimmungen derselben,
unter denen im Attribute des Denkens der unendliche Intellekt
zu nennen ist. Dieser also umfasst das Wesen Gottes, inso-
fern es als denkendes begriffen w^ird, und seinen Inhalt bilden
die Ideen oder Geister, daher auch unser Geist (II 11 Cor.,
II 43 Schol., V 40 Schol.). Derselbe ist nun als Bestandteil
dieses unendlichen Denkmodus, welcher selbst ewig ist, eben-
falls ewig. Wenn aber so seine Ewigkeit feststeht, so erhebt
sich die Frage, ob er als gesondertes, von anderen genau
unterschiedenes und als solches sich fühlendes Einzelwesen
sein ewiges Leben führe oder in ein unterschiedsloses Denk-
meer versinke, ohne in ihm ein individuelles Sein zu besitzen, kurz
ob seine Existenz in der Ewigkeit eine persönliche sei oder nicht.
1. „Es ist, wie gesagt, diese Idee, welche das Wesen des
Körpers unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit ausdrückt, ein
gewisser Modus des Denkens, welcher zum Wesen des Geistes
gehört und welcher notwendig ewig ist" (V 23 Schol.), oder
einfacher: Der menschliche Geist ist insofern ewig, als er das
Wesen seines Körpers unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit
erfasst (V 22 u. 23), lehrt Spinoza und verweist uns damit
bei der näheren Betrachtung der ewigen Verhältnisse des Geistes
auf das Wesen des Körpers. Und in der That ist dies ge-
rechtfertigt angesichts der parallelen Beziehungen, welche
beide Teile verbinden und bewirken, dass selbst die kleinste
Veränderung auf der einen Seite von einer entsprechenden auf
der anderen Seite begleitet ist. Mit ihrer Hilfe wird es denn
auch, indem man das Wesen des Körpers bestimmt, möglich
sein, das ewige Wesen des Geistes und damit seine Stellung
in der ewigen Welt festzustellen. Man könnte diesem Versuche
leicht entgegenhalten, dass er ayf umständlichem Wege das
Wesen der Seele zu finden suche, während es doch schon
durch die Definition gegeben sei: „Zum Wesen eines Dinges ....
gehört das, durch welches, wenn es gegeben wird, das Ding
notwendig gesetzt, und durch welches, wenn man es aufhebt,
das Ding notwendig aufgehoben wird" (IL Def. 2). Doch diese,
wird mit Recht darauf erwidert werden, giebt nur die Merk-
male an, die allen dem Begriffe „Wesen" unterstellten Begriffen
zukommen müssen, lässt aber noch immer die Frage offen,
was in jedem bestimmten Falle thatsächlich darunter zu ver-
stehen sei. Und gerade das ist hier, und zwar zuerst in
Bezug auf den Körper auseinanderzusetzen.
Die Grundelemente ausgedehnter Dinge sind nach Spinoza
kleinste Körperchen, welche sich nicht der Substanz, sondern
3
i
— 34 —
dem Grade ihrer Bewegung nach von einander unterscheiden,
(II Lemma 1). Sie vereinigen sich zu einem Individuum, in-
dem sie ^ihre Bewegungen in einer gewissen Weise einander
mitteilen" (Def. vor Lem. 4), und diese ist es, welche über
das Dasein des Individuums entscheidet. Daher kann das feste
gemeinsame Bewegungsverhältnis der Teile in Wahrheit als
Wesen eines Körpeis angesehen werden. Dieses Gesetz lässt
sich auch auf unseren Körper beziehen, der ja nichts weiter
als ein Individuum ist, welches in sich mehrere widerum zu-
sammengesetzte Körper enthält (Post. I), und ist auch bereits
früher von unserem Philosophen selbst angewendet worden
(s, Anm. zur Vorr. d. 2 Th. d. Tr. br. Sig\v. S. 57 ff.).
Ebendaselbst wird aber auch erklärt, dass jenes Verhält-
nis, z. B. 1 : 3, keineswegs für ewig bestehe, sondern zerstört
werden könne, in welchem Falle der Tod eintrete (Anmerk. 14).
Dasselbe stellt also das Wesen unseres Körpers nur dar, in-
wiefern er ein besonderes, für sich bestehendes Einzelding ist
und unter dem Gesichtspunkt der Vergänglichkeit betrachtet
wird, und insofern wird unser Körper überhaupt von Spinoza
einer Behandlung gewürdigt. Wir aber werden, von den
gegebenen Prämissen ausgehend, auch über sein zeitlos-ewiges
Wesen urteilen können. Dieses wurzelt nämlich, genau wie
das der Seele im unendlichen Intellekt, seinerseits in der all-
gemeinen Bewegung und Ruhe, welche als ein dem unend-
lichen Verstände genau entsprechender Modus (I 32 Cor. 2)
ebenfalls ewig ist. Wenn nun das Wesen des Körpers als eines
besonderen Modus dem Untergange geweiht, die allgemeine Bewe-
gung dagegen als ein unendlicher Modus ewig ist, was liegt da
näher als die Annahme, dass die Ewigkeit jenes nur im All-
gemeinen zu finden sei, oder genauer nur insofern bestehe,
als das Wesen des Körpers teilhabe an der unendlichen Be-
wegung und Ruhe und mit dem ihnen eigenen Verhältnisse
zu einander übereinstimme! Das also ist das Wesen des
Körpers, unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit betrachtet.
Es würde nun der vollen Consequenz des Gedankens nach
durchaus seine Besonderheit verlieren und sich ganz und gar
in die allgemeine Natur auflösen.
Den Gestaltungen des Körpers jedoch müssen auf Grund
des Parallelismus auf das Allergenaueste die Bestimmungen
des Geistes, die Ideen, entsprechen. Wie jene werden auch
sie nicht sein Wesen ausmachen, sondern einzeln sich ver-
ändern oder verschwinden können, ohne dass dadurch die
Natur des Ganzen eine andere werden oder der Zerstörung
anheimfallen muss (U 24 Dem. Ende). Vielmehr ist es dem
Körper entsprechend ein ganz bestimmtes Verhältnis der Ideen
zu einander, eine gewisse Art ihrer Vereinigung, welche das
Wesen der Seele bildet. Aber auch da nur, sofern sie als ein
— 35 —
wirklich existierendes, als ein endliches und vergängliches Ding
angesehen wird [Man beachte, dass 11 P. 15 — 32 excl. sich
lediglich auf das zeitliche Dasein unseres Geistes beziehen].
Als ewiger Modus dagegen wird sie, auch darin dem Körper
gleichend, in allgemeinen Intellekt zerfliessen und in ihm voll-
kommen lebend, sich als etwas Individuelles zu denken auf-
hören. Indem sie das ewige Wesen ihres Körpers erkennt,
wird die unendliche Ausdehnung, in welche er ja übergeht, und
damit das ewige und unendliche Wesen Gottes ihr Objekt; als
Idee eines Unendlichen aber kann sie unmöglich ein Endliches
und Besonderes sein, sondern muss selbst zum Unendlichen
werden, d. h. sich mit dem göttlichen Intellekt identificieren.
2. Ergiebt sich schon vom Standpunkt des Parallelismus
der Attribute eine unpersönliche Existenz des Geistes im ewigen
Leben, so erhält man dasselbe Resultat, wenn man den Inhalt
desselben einer genaueren Prüfung unterzieht. Dieser zerfällt
nämlich in zwei Hälften, in die Erzeugnisse der Imagination
und der eigentlichen Denkkraft. Jene sind die unvollständigen,
unzusammenhängenden, einzelnen Ideen, welche eng an den
vergänglichen Körper gefesselt sind und nur solange existieren,
als er selbst dauert (V 21), also mit seiner Zerstörung eben-
falls vergehen; diese aber geniessen eines ewigen Daseins, sind
jedoch nicht besondere, sondern gerade allgemeine Begriffe
(II 40 Schol. 2), allgemein als Produkte der Vernunft und
ganz besonders der intuitiven Erkenntnis, durch welche das
göttliche Wesen angeschaut wird. Bilden aber diese die Be-
standteile des ewigen Geistes, so wird auch seine Existenz
eine allgemeine sein, und das Gefühl des Persönlichen vor
dem Bewusstsein des Grossen und Ganzen zurücktreten,
welches durch die Gemeinbegriffe ausgedrückt wird. Doch hier
hat Spinoza der ewigen Seele einen kleinen Ueberrest von
Persönlichkeit gelassen, indem er ihr bei ihrer Allgemeinheit
immerhin einen Grad von Besonderheit anhaften lässt, und
indem er es als die Aufgabe der dritten Erkenntnisart, welche
sie auszubilden hat, bezeichnet, von der Idee der unendlichen
Attribute „zur adäquaten Erkenntnis des Wesens der Dinge
fortzuschreiten", also vom Allgemeinen einen Schritt zum
Besonderen zu thun.
3. Nachdem wir soeben von zwei Grundgedanken des
spinozistischen Systems aus im Allgemeinen zu derselben Be-
hauptung gelangt waren, werden wir sie drittens durch besümmte
Bemerkungen unseres Philosophen zu stützen suchen. „Das
was allen gemeinsam ist", lautet ein Lehrsatz, „und was
ebenso in einem Teile wie im Ganzen ist, macht nicht das
Wesen irgend eines einzelnen Dinges aus* (11 37). Die Ge-
meinbegriffe also, aus denen der ewige Geist besteht, können
nicht als Wesensbestandteile einem besonderen Modus angehören,
— So-
und daher muss unsere ewige Seele ein Allgemeines sein.
Ebendahin führen auch die Worte: „Daher sind sie [die Ideen]
inadäquat und verworren nur, sofern sie sich auf den ein-
zelnen Geist irgend eines Menschen beziehen" (II 36 Dem.).
Daraus schliesst man consequent, dass adäquate Ideen, und
diese sind gerade das Ewige in uns, nie Teile eines einzelnen
Geistes sein können, zumal da^alle besonderen Dinge zufällig
und zerstörbar sind" (II 31 Cor.). Ferner wird erklärt, dass
man die Daseinsformen als wirklich begreife „entweder in
Beziehung auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort",
oder ^als in Gott enthalten" (V 29 Schol.). Hiermit wird also
ein Gegensatz geschaffen zwischen der Existenz an einem
bestimmten Orte und derjenigen in Gott, und da der ewigen
Seele nur letztere zukommt (V v30), erstere aber die notwendige
Voraussetzung für ein individuelles Dasein bildet, wird dieses
auch hiernach dem Geiste nicht zugesprochen werden dürfen.
Dann ist auch V 20 Schol. hier anzuführen. Im Anfange
desselben sagt nämlich unser Philosoph: „Und damit habe ich
das alles, was der Geist, blos an sich betrachtet, gegen
die Affekte vermag, zusammen gefasst" ; zum Schluss aber wird
bemerkt: „Und damit habe ich alles, was sich auf dieses
gegenwärtige Leben bezieht, abgehandelt." Aus der Ver-
gleichung dieser beiden einander so ähnlichen Äusserungen
ergiebt sich klar, dass unsere Seele nur in dem vergänglichen
Leben ein besonderes Wesen ist, in der Ewigkeit aber, wird
man folgern, diese Sonderstellung aufgiebt. Ferner erwähnen
wir folgende Aeusserung: ^Der Mensch ist die Ursache der
Existenz, nicht aber des Wesens eines anderen Menschen,
denn dieses ist eine ewige Wahrheit; und deswegen können
sie ihrem Wesen nach vollkommen übereinstimmen, im
Existieren aber müssen sie verschieden sein, und darum wird,
wenn die Existenz des einen aufhört, noch nicht die des
anderen aufhören, wenn aber das Wesen des einen zerstrört
oder falsch werden könnte, so würde auch das Wesen des
anderen zerstört werden" (I 17 Schol.). Hier wird verschiedenen
Einzelexistenzen, welche eben als solche vergänglich sind, ein
ihnen Gemeinsames als ihr ewiges Wesen zu Grunde gelegt
und somit ein Allgemeines gesetzt, in dem sie unterschiedslos
zu sammenfliessen, und welches im Bereiche des Denkens der
unendliche Intellekt ist (n. V. 40 Schol.). Ebendieselbe Vor-
stellung ist es endlich, welche, auf die menschliche Seele be-
zogen, den Grundgedanken des II. Anhangs bildet (Sigw. Sp's.
kurz. Trakt. S. 152 ff. vgl. das. S. 231), und die aus dem-
jenigen sich ergiebt, was Spinoza im 12., an L. Meyer gerichteten
Briefe über das Unendliche sagt. Dasselbe kann darnach
durch keinerlei Mass, Zahl und Zeit ausgedrückt werden, und
unsere Unklarheiten über diesen Punkt rühren eben daher, dass
— 37 —
wir es nicht als das erkennen, „dessen Teile, obgleich wir ein
Maximum oder Minimum davon haben, wir doch keiner Zahl
gleichsetzen und durch keine ausdrücken können". Wendet
man das auf den unendlichen Intellekt an, so folgt, dass auch
seine Teile, unsere ewigen Seelen, nicht gezählt werden können,
auch nicht bis ins Unendliche hinaus. Dann aber können sie
unmöglich eine persönliche Existenz besitzen, da diese einer
Zählung zugänglich ist. Somit ergiebt sich auch aus der
Fassung des Begriffs der Unendlichkeit direkt ein unpersönliches
Dasein des menschlichen Geistes in der Ewigkeit.
Deuten diese Aeusserungen auf ein direkt unpersönliches
Leben des ewigen Geistes hin, so fehlt es auch nicht an
solchen, welche das Gegenteil zu behaupten scheinen. So
sagt Spinoza: „Die intellektuelle Liebe des Geistes zu Gott ist
Gottes Liebe selbst, womit Gott sich selbst liebt, nicht insofern
er unendlich ist; sondern insofern er durch das Wesen des
menschlichen Geistes, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit
betrachtet, ausgedrückt werden kann, d. h. die intellektuelle
Liebe des Geistes zu Gott ist ein Teil der intellektuellen Liebe,
womit Gott sich selbst liebt'* (V 36). Was nun von der
intellektuellen Liebe gilt, das hat auch auf das Ding Bezug,
von welchem dieses Gefühl ausgeht, und so ist auch der ewige
Geist des Menschen nicht als identisch mit dem unendlichen
Intellekt Gottes, sondern als Teil, als Modifikation desselben
gedacht. Andererseits aber soll gerade hervorgehoben werden,
dass er in Gott sei, dass er sich mithin als Element einer
unteilbaren Substanz zu fühjen habe. Damit jedoch wird
wieder auf seine Unpersönlichkeit hingespielt. In demselben
Sinne nennt Spinoza die Idee des Wesens unseres Körpers
„einen gewissen Modus des Denkens, der zum Wesen des
Geistes gehört und welcher notwendig ewig ist" (V 23 Schol.),
und das ist es auch, was später erklärt wird: „Dass unser
Geist, sofern er erkennt, ein ewiger Modus des Denkens ist,
welcher von einem anderen Modus des Denkens bestimmt
wird, und dieser wiederum von einem anderen und so ins
Unendliche, sodass alle zusammen Gottes ewigen und unend-
lichen Intellekt ausmachen (V 40 Schol.). Auch hier soll mehr
als das Besondere, Persönliche gerade der Zusammenhang und
die innige Verknüpfung unseres Geistes mit den übrigen Be-
standteilen des unendlichen Intellekts betont werden. Darum
wird endlich in V 39 behauptet: „Wer einen zu sehr Vielem
befähigten Körper hat, der hat einen Geist, dessen grösster
Teil ewig ist"; und im Scholion zu diesem Satze wird be-
merkt: „Wer einen zu sehr Vielem geeigneten Körper hat,
der hat einen Geist, welcher, an sich allein betrachtet, sich
seiner, Gottes und der Dinge sehr bewusst ist." Daraus geht
aufs Klarste hervor, dass der Zustand des ewigen Geistes nicht
— 38 —
nur ein Bewusstsein seiner selbst, sondern auch der göttlichen
Substanz und der in ihr lebenden Wesen ist, denen gegen-
über die Bedeutung seines eigenen Ichs auf ein Minimum
herabsinkt.
Nach alledem wird man die eigentliche Meinung Spinozas
über die Stellung der menschlichen Seele in der Ewigkeit dahin
präzisieren können, dass zwar wiederholt das persönliche
Moment hervortritt, dass aber sowohl die Grundsätze des
Systems als auch die bei weitem überwiegende Anzahl der
Aeusserungen Spinozas es gebieten, als seine eigentliche
Meinung die unpersönliche Existenz des ewigen Geistes an-
zunehmen.^) Wo unser Denker das Gegenteil behauptet, da
setzt er sich schon mit der Grundtendenz seiner Philosophie
in Widerspruch, welche ihn unmittelbar dazu treibt, aus dem
Reiche der Ewigkeit alles Bestimmte und Individuelle aus-
zuschliessen; da folgt er anderen Quellen, deren Einfluss er
jedoch nicht mit dem Geiste seiner Lehre zu versöhnen
vermag.
c.
Spinoza hatte durch seine Definition der Ewigkeit einen
unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dieser und der Dauer
geschaffen, denn letztere ist ihm die Existenz des Dinges, so-
fern sie von einer äusseren Ursache abhängt, erstere, sofern
sie ein Ding in sich, in seiner eigenen Natur enthält. Daher
konnte er auch sagen, dass „die Ewigkeit durch Dauer oder
Zeit nicht ausgedrückt werden könne" (I. Def. 8. E^pL,
V 29 Dem.). Dieser Grundsatz, auf den menschlichen Geist
angewendet, bestimmt, dass auch sein vergänglicher Teil mit
dem unvergänglichen in keiner Verbindung stehen dürfe, so-
dass also das einem jeden denkenden Modus zugeteilte Mass
des Sterblichen unwiederbringlich sterblich bleiben muss, und
ein Uebergang zum ewigen Sein völlig ausgeschlossen ist.
1. Wie ist es dann aber möglich, dass der Menschen-
geist eine Ewigkeit erlangt, die nicht bereits von Urbeginn an
in ihm vorhanden gewesen ist, dass kraft seiner Erkenntnis
ein immer grösserer Teil von ihm ewig wird (V 38 Dem.)?
Fliessen ihm die ewigen Ideen von aussen zu, so treten sie
doch in einem bestimmten Zeitpunkte in ihm ein, vor welchem
sie nicht in ihm gewesen sind, werden also schon damit unter
dem Begriff der Zeit und der Dauer betrachtet und hören auf,
wahrhaft ewig zu sein. Abgesehen davon aber vermag sie
der Geist überhaupt nicht in einem bestimmten Augenblicke
zu erfassen, da er als ewiger mit der Zeit nicht in Berührung
tritt. Kommt ihm aber sein Zuwachs von innen her, indem
Ideen aus seinem vergänglichen Teile sich in unvergängliche
— 39 —
verwandeln, so ist damit die Verbindung zwischen diesem und
dem ewigen Teile hergestellt, was nach der Begriffsbestimmung
der Ewigkeit niemals geschehen kann. Wird also letztere an-
gewendet, so kann eine Vergrösserung des Umfangs der ewigen
Seele nicht stattfinden. Mit der Zunahme an ewigen ist dann
auch die Zunahme an adäquaten Ideen, welche ja sämmtlich
ewig sind, und damit überhaupt die Gewinnung einer um-
fassenderen Erkenntnis ausgeschlossen, was Spinozas Lehren
offenbar widerstreitet.
2. Erfordert schon die obige Betrachtung eine Ver-
bindung des dauernden und ewigen Elements in unserer
Seele, so wird dies noch klarer, wenn man näher auf das
eingeht, welchem unsere Existenzformen anhaften, auf die
Ideen. Diese sind nun teils inadäquat, teils adäquat und bilden
darnach entweder die Imagination oder den Intellekt, von denen
jene sterblich, dieser ewig ist (V 40 Cor.). Demnach geht
die Existenz der Denkmodi auf die wahre oder falsche Er-
kenntnis zurück, welche sie enthalten. Beide aber stehen
gerade nach Spinoza in keinem schroffen, positiven Gegensatz
zu einander. Denn ausdrücklich wird betont, dass das Falsche
an den Ideen nichts Positives sei, sondern in einem Mangel,
einer fehlerhaften Beschaffenheit derselben bestehe (II 33, 35).
Und in der That werden nach Spinoza nur verworrene d. h.
weniger klare ■ und durchaus klare, oder unvollständige und
vollständige Erkenntnisse unterschieden, von denen jene ein-
fach durch Vertiefung und Vervollkommnung des Denkens in
die Reihe der letzteren erhoben, also aus der Dauer in die
Ewigkeit versetzt werden.
3. Und zwar geschieht das durch den Verstand, die
Vernunft im Sinne Spinozas (ratio), dessen Vorhandensein
schon an und für sich einen lebendigen Widerspruch gegen
die schroffe Trennung beider Existenzformen bildet. Seine
Aufgabe ist es ja gerade, die Einzelvorstellungen, welche, für
sich betrachtet, inadäquat sind, zusammenzustellen, und in-
dem er ihre gemeinsamen und trennenden Merkmale feststellt,
sie zu klaren Ideen umzugestalten (II 29 SchoL). Gäbe es
nun keine Vermittlung, so wäre auch die Wirksamkeit des
Verstandes, der bei unserem Philosophen eine nicht unbedeut-
same Rolle spielt, vollständig aufgehoben.
Diese drei Punkte bilden einen schweren Angriff auf den
Gegensatz der absoluten Scheidung zwischen ewiger und zeit-
licher Existenz, eine Schwierigkeit, die wir aufzulösen nicht
imstande sind, die wir aber auf eine allgemeinere und schon
bekannte zurückzuführen vermögen. Schon oben (S. 38)
mussten wir wahrnehmen, dass Spinoza nicht immer dem
menschlichen Geiste dieselbe Stellung im göttlichen Intellekt
einräumte, indem die Grundrichtung seiner Gedanken ihn
— 40 —
zwang, jenen im allgemeinen Denken ganz untergehen zu
lassen, die Einwirkung einer fremden Quelle es jedoch ver-
anlasste, dass er zuweilen auch seine persönliche Existenz be-
tonte. Eine ähnliche Erscheinung tritt uns auch hier ent-
gegen.
Die Begriffsbestimmung der Ewigkeit erfordert, dass das
Ewige dem Dauernden streng entgegengesetzt werde. Indem
aber unser Philosoph jenes als das ^Itliche, das vollkommene
und allein reale Sein ansieht, hätte er folgerichtig dieses als
etwas nicht Reales, nicht wirklich Existierendes und nur unserer
Einbildungskraft Erscheinendes betrachten, damit aber das
Dasein einer zeitlichen Welt gänzlich leugnen müssen. So-
-weit konnte indess Spinoza unmöglich gehen. Er hat es
daher lieber aufgegeben, die Consequenz aus seiner Definition
zu ziehen, um einerseits den dauernden Wesenheiten eine,
wenn auch geringe Realität verleihen, andererseits aber im
Denken überhaupt einen Uebergang von verworrenen, ver-
gänglichen zu klaren, ewigen Ideen herstellen zu können.
Bedenkt man nun, dass das ewige Sein das allgemeine, das
zeitliche jedoch das besondere ist, so tritt auch hier wie bei
den übrigen Fragen als die Grundursache aller Schwierigkeiten
das Bestreben unseres Denkers hervor, die pantheistischen
Prinzipien seines Systems mit der Wirklichkeit in Einklang zu
bringen, dem Einzelnen gegenüber dem Unendlichen eine Be-
deutung einzuräumen, ein Versuch, der ihn zwar mit der
wirklichen Welt versöhnt, seinen Gedanken aber die Folge-
richtigkeit raubt.
II f. Abschnitt.
Die bisherigen Ausführungen haben die Gedanken Spinozas
über die Ewigkeit dargestellt und kritisiert, jedoch schon aus
ihnen konnte man entnehmen, dass äussere Einflüsse seinen
Lehren vielfach ihre Gestalt und Richtung gegeben haben.
Und in der That hat unser Philosoph nicht in strenger Ab-
geschlossenheit und kühner Unabhängigkeit dieselben gewonnen
und fortgebildet, es haben vielmehr zu verschiedenen Zeiten
verschiedene philosophische Anschauungen auf ihn eingewirkt.
Von ihnen werden für unseren Zweck vor allem die Ansichten
der jüngeren Scholastik, des Descartes sowie der jüdischen und
arabischen Religionsphilosophen in Betracht kommen, des-
gleichen die Philosophie des Giordano Bruno. Dagegen kann
die Kabbala nicht berücksichtigt werden. Denn ihre Gedanken
weisen zwar manche Berührungspunkte mit den spinozistischen
Lehren auf, sind jedoch, soweit sie wenigstens unsere Frage
betreffen, auch Bestandteile der arabischen und eigentlich
jüdischen Religionsphilosophie, die dann mit viel grösserem
Rechte als die eigentliche Quelle angesehen werden kann.
Nach diesen Gesichtspunkten betrachtet, gestaltet sich in der
Ewigkeitsfrage das Verhältnis Spinozas zu anderen Denkern
in folgender Weise.
a.
Der Begriff an sich.
Das Eigentümliche des Ewigkeitsbegriffes, wie es in der
echt spinozistischen Ethik hervortritt, beleuchtet am hellsten
die Beziehungen Spinozas zur Scholastik seiner Zeit (Ueber
sie vergl. Freudenthal: Sp. u. d. Schol. S. 104 f.), als deren
Vertreter unter anderen Suarez, ferner Burgensdijk, Heerebord
und Scheibler gelten können. Von ihnen haben:
1. Suarez in seinen Disputationes metaphysicae [D. m.],
2. Burgensdijk in den Institutiones metaphisicae [J. m.]
und der Idea Philosophiae naturalis [J. Ph.|
3. Heerebord in den Meletemata Philosophiae [M. Ph.],
— 42 —
4. Scheibler in der Metaphisica [M.],
vor allem ihre philosophischen Ueberzeugungen niedergelegt.
Von welchem Einflüsse sie nun hinsichtlich der Ewig-
keit auf unseren Denker gewesen sind, erkennt man schon
aus den cogitata metaphysica, jenem Werke, in welchem unser
Denker im grossen Ganzen nur eine Zusammenstellung der
scholastischen Ansichten seiner Zeit geben wollte. Indem
nämlich in ihnen, wie (S. 10 f.) nachgewiesen ist, der Ewig-
keitsbegriff seinem Inhalte nach zugleich vollkommen spino-
zistisch ist, wird unser Philosoph notwendig in diesem Punkte
mit den zeitgenössischen Scholastikern die innigsten Berührungs-
punkte haben.
Und in der That kann dieser allgemeine Nachweis dahin
vervollständigt werden, dass zu jeder Aeusserung Spinozas in
Betreff des Ewigkeitsbegriffes Analoga in den Schriften des
angeführten Philosophen zu finden sind. Bevor wir aber diese
in ihrer Bedeutung für uns kennzeichnen, ist zu bemerken,
dass dort der Begriff „Dauer" nicht mit dem gleichnamigen
spinozistischen identisch ist, wie denn auch die Definition :
„Das Verharren im Sein wird Dauer genannt" (M. I 16 [42])
oder „die Dauer ist die Continuität des I)aseins** (J. m. I 21 [13])
mit derjenigen der Ethik nicht übereinsfimmt (Eth. II Def. 5,
45 Schol.). Es ist also die scholastische Dauer bei Spinoza etwa
dem Verlauf der Existenz gleichzusetzen. Dieses vorausgesetzt,
werden wir in nachstehenden Punkten den Vergleich führen
können.
1. Spinoza hält seine Ewigkeit für die Existenz, die
zur Definition also zum inneren Wesen eines ewigen Dinges
gehört (Eth. I Def. 8). Ebendasselbe behaupten auch viele
seiner scholastischen Zeitgenossen, wenn sie sagen: „Die
Ewigkeit aber schliesst in ihrem eigenen Begriff ein, dass sie
eine einfach notwendige und ebenso von einer anderen unab-
hängige Dauer ist" (D. m. Disp. 50 Sect IVxrii), oder: „es
ist nämlich die Ewigkeit die l3auer des Seins selbst seinem
Wesen nach" (das. Sect III x), sie dauert kraft ihrer eigenen
inneren Dauer" (das. Sect III n) und sie ist eg, „welche mit
ihrem Wesen indentisch ist" (M. II 3 [359]). Diese Eigen-
schaft wird auch in vielen der folgenden Citate von ihr aus-
gesagt.
2. Darum scheidet unser Philosoph auf das Strengste die
Ewigkeit von der Zeit oder Dauer, durch die sie nicht aus-
gedrückt werden kann (Eth I Def. 8 Expl.). Mit derselben
Entschiedenheit trennt aber auch die zu seiner Zeit herrschende
Philosophie diese beiden Existenzformen, indem sie erklärt:
„Wie einerseits das Fliessende die Zeit ausmacht, so macht
andererseits das Beharrende die Ewigkeit aus, es sind nämlich
Zeit und Ewigkeit zwei ganz verschiedene Masse. (M. Ph.
— 43 —
Disp. ex. Phil. sei. Vol. I 25iv); „denn wenn wir den Haupt-
unterschied angeben wollen, so liegt er darin, dass die Ewig-
keit eine Dauer durch sich, innerlich notwendig, von nichts
abhängig und folglich überhaupt unveränderlich ist Keine
andere Dauer aber ist so notwendig, unabhängig und un-
veränderlich, da jede andere Dauer von einer äusseren Ursache
ihren Ursprung hat und von ihr abhängt, kann sie nämlich
durch die Macht derselben zu Grunde gehen. Das ist nun der
erste und wesentlichste Unterschied . . . . " (D. m. Disp. 50
Sect IIIix). Sodann zerfällt unseren Scholastikern die Dauer
in eine geschaffene und ungeschaffene. „Die ungeschaffene
Dauer ist die einfache oder im Wesen enthaltene Ewigkeit,
geschaffen aber ist jede andere Dauer, welchje nicht wahre
Ewigkeit ist" (das. Sect lUi). Der Unterschied ferner zwischen
den ewigen und den ihnen am nächsten stehenden, gleichfalls
permanenten Wesen besteht darin, dass jene „aus sich heraus
sind", diese „von einem Andern erhalten werden** (das.
Sect Vlllm).
3. Jede Art von Dauer aber ist es, sagt Spinoza, die wir
der Ewigkeit absprechen müssen, auch die Dauer ohne Anfang
und Ende (Eth. I Def. 8 Expl.). Aehnlich drückt sich Suarez
aus. Man hat, meint er, unter „aeternum" das verstanden,
was „extra terminum* im Sinne von „ohne Grenze", d. h.
„ohne Anfang und Ende** sei. „Diese Bezeichnungen aber**,
fügt er hinzu, ,.sind weniger genau, denn jene Dauer allein ist
wahr und eigentlich „extra terminum", welche durch sich
selbst unfähig einer Begrenzung ist und durch ihren eigenen
inneren Grund eine Unendlichkeit im Dauern einschliesst; und
daher wird jene allein eigentlich und einfach Ewigkeit ge-
nannt" (das. Sect Ulm).
4. Nur Dauer ist nach Spinoza fähig gemessen zu werden,
und das Mass derselben ist die Zeit. Mass und Zeit sind
demnach lediglich Modi der Imagination, können mithin die
Ewigkeit, welche durch den Intellekt allein begriffen wird,
nicht ausdrücken (Ep, 12. v. VI. II 42 f). Letztere, welche
nur als unendlich erfasst werden kann, vermag daher nicht
als grösser und kleiner gedacht oder in Teile zerlegt zu
werden (das. S. 42). Nicht anders will sie aber auch die
zeitgenössische Scholastik aufgefasst wissen. „Aus dem eigenen
Begriff der Ewigkeit wird gezeigt werden können, dass die
Ewigkeit nicht durch den Begriff des Masses ausgedrückt
werden könne, also eigentlich kein Mass sei." „Sie sei un-
fähig zu erkennen, wie lange ein Geschöpf gedauert habe, und
zwar sowohl wegen ihrer Unendlichkeit als auch wegen des
Mangels an jeder Quantität, ohne welche wir diesen Mass-
begriff nicht erfassen** (D. m. II Disp. 50 Sect IVm); ,.und
dieses ist der apriorische Grund, weswegen die Ewigkeit nicht
— 44 —
messbar ist, weil sie unendlich ist in Bezug auf die Dauer:
was aber unendlich ist, das ist als solches nicht messbar."
(das. Sect. IV v); „die permanenten Dinge, welche nicht dem
beständigen Flusse ihrer Teile ausgesetzt sind, werden an
sich nicht durch die Zeit gemessen" (J. Ph. Disp. VII [4]).
5. Da für Spinoza die Ewigkeit nicht mess- und teilbar
ist, kann man auch in ihr keine Zeitabschnitte unterscheiden,
mithin „giebt es im Ewigen kein Wann, weder ein Vorher
noch ein Nachher" (Eth. I 33 Schol. 11). Ebenderselbe Ge-
danke tritt uns in der Zeitphilosophie entgegen, und zwar in
folgenden Sätzen: „Die Dauer der Ewigkeit kann nicht unter
der Kategorie des Wann stehen" (M II 12 [12]); Jn der ewigen
Sache, an sich betrachtet, giebt es nichts Vergangenes oder
Zukünftiges, weder in seinem Sein, noch in seinem Wissen,
noch in seiner Liebe" (D. m. II Dis. 50 Sect IIIxi und xii).
Heerebord hat besonders diese Seite hervorgehoben. Ihm ist
die Ewigkeit „eine gegenwärtige, feste, bleibende Dauer . . .
zum Unterschiede von der Zeit, in welcher es eine Folge des
Früheren und Späteren giebt, . . . aber die Ewigkeit ist ganz
zugleich einfach". Daher definiert er sie als „eine Dauer,
immer gegenwärtig, ohne Anfang oder Ende, ohne ein Früher
und Später ..." (M. Ph. Disp. ex Phil. sei. Vol. I 25iv).
6. Eine Existenz mit solchen Eigenschaften kommt aber
nur einem Wesen zu, nämlich der Gottheit. Darum ist unserem
Philosophen „die Ewigkeit das Wesen Gottes selbst" (Eth.
V 30 Dem.), darum „können wir die Existenz der Substanz
durch die Ewigkeit ausdrücken" (Ep. 12 v. VI. II 41). Auch
hierin ist eine Uebereinstimmung mit den Scholastikern seiner
Zeit nicht zu verkennen. Genau wie bei Spinoza heisst es da:
„Die Ewigkeit ist das Wesen Gottes selbst" (M. II 3 [102])
oder „die Ewigkeit ist das Unendliche realiter, dasselbe wie
Gott selbst (das. 12 [12]), sie ist sein vollkommenes Mass „wie
das Wesen Gottes selbst" (M. Ph. Disp. ex Phil. sei. Vol. I 25 m).
7. Endlich aber nennt Spinoza die Ewigkeit „den unend-
lichen Genuss des Existierens oder . . . des Seins" (Ep. 12
V. VI. II 41), eine Aeusserung, welche jener Definition des
Boetius sehr ähnlich ist, die „bisher von allen Philosophen
und Theologen angenommen worden ist" (M. Ph. Disp. ex
Phil. Sei. Vol. I 25 iv). Sie lautet: „Die Ewigkeit ist der un-
endliche, ganz gleichzeitige und vollkommene Genuss des
Lebens" (das. u. a.).
Diese Vergleichungen, die noch nicht den Anspruch
machen, erschöpfend zu sein, zeigen zur Genüge, in welcher
Abhängigkeit sich Spinoza in Bezug auf den Ewigkeitsbegriff
von der christlichen Scholastik seiner Zeit befindet. Doch jene
Abhängigkeit hat nicht schädlich auf ihn eingewirkt, indem
sie ihn von dem geraden Gange seiner Gedanken ablenkte.
— 45 —
sondern vielmehr glücklich in die richtige Entwicklung seines
Geistes eingegriffen, dieselbe gestützt und gefördert. Nur in
einem Punkte ist er hier über seine scholastischen Zeitgenossen
hinausgegangen, indem er die inhaltlich bereits getrennten
Existenzfcrmen auch dem Ausdrucke nach schied und die
Dauer lediglich dem endlichen, vergänglichen Teile der Wesen-
heiten zuerteilte. Ob er aber gerade hinsichtlich dieser grund-
sätzlichen Unterscheidung von Ewigkeit und Dauer im Rechte
war, kann wohl bezweifelt werden, denn was auch immer
beide trennen mag, den Begriff der Existenz haben sie gemein-
sam, und für diesen ist das Wort „Dauer" seinem eigentlichen
Sinne nach ein durchaus passender Ausdruck, den man ohne
Zwang der Ewigkeit als Prädicat beilegen kann. Dass übrigens
Spinoza selbst seinen prinzipiell strengen Standpunkt nicht
immer eingehalten hat, beweist z. B. der Umstand, dass er
von einer „Dauer" des Geistes ohne Beziehung auf den Körper
spricht (Eth. V 20 Schol. Ende), ein Ausdruck, welcher im
spinozistischen Sinne nicht richtig ist, und durch das Wort
„Existenz" ersetzt werden muss; dass er ferner erklärt „die
Dauer" unseres Körpers hänge von seinem Wesen nicht ab
(Eth. II 30 Dem.), als ob überhaupt nach ihm die Dauer
eines endlichen Dinges von seinem Wesen abhängen könne.
Uebrigens enthält die Grundstelle für die letztere Entlehnung
(Eth. II Ax. 1) das richtige Wort „Existenz" (s. das.). Doch
sieht man von alledem ab, so wird man doch behaupten
müssen, dass Spinoza schon früh der Dauer in ihrer Gesammt-
heit eine untergeordnete Stellung der Ewigkeit gegenüber an-
wies, denn schon die cog. met. thun das in nicht misszuver-
stehender, scharf ausgeprägter Weise (I 4, II 1.). Und gerade
darin liegt uns ein charakteristisches Beispiel vor für die Art,
in welcher unser Philosoph seine cog. met. abzufassen beliebte.
Hätte er sich streng und treu an seinen Zweck gehalten, ein
Abbild der scholastischen Zeitphilosophie zu geben, so hätte
er, wie diese es that, die Ewigkeit zwar den anderen Existenz-
formen gegenüberstellen, aber gleichwohl in den Begriff der
Dauer als einen Teil derselben aufnehmen müssen. Jedoch
durchdrungen von der ihm durch die Scholastik eingepflanzten
Idee der vollkommenen Scheidung des ungeschaffenen Wesens
und seiner Geschöpfe, glaubte er die Trennung auch formell
durchführen zu müssen und that so Eigenes zu dem Em-
pfangenen hinzu, auch da, wo er eigentlich nur die Meinung
der Scholastik wiedergeben wollte. In analoger Weise werden
vielleicht auch einige andere Fälle in dieser Schrift aufzu-
fassen sein.
— 46 —
b.
Gott.
Hat soeben unsere Erörterung bewiesen, wie sehr Spi-
noza von der herrschenden Scholastik bestimmt wurde, so
wird sich jetzt zeigen, dass er bei der Ewigkeit Gottes zu-
meist Descartes gefolgt ist. In drei Beweisen wird in der
Ethik die Ewigkeit Gottes dargethan, von denen die beiden
ersten gemeinsam auf den Satz zurückgehen, dass das Wesen
der göttlichen Substanz Existenz einschliessen müsse. Der
letztere Gedanke aber ist es, der bereits am Anfang des
kurzen Traktates (I 1) die Existenz Gottes beweist, und der,
wie schon Sigwart (Sp.'s neuentd. Tract. S. 8) und Trendelen-
burg (Hist. Beitr. III 310) bemerken, auf Descartes hinweist.
Jener Philosoph hat ihn an mehreren Orten ausgesprochen
(Princ. phil. § 14, Resp. ad prim. obj. S. 60). Besonders be-
achtenswert aber ist der Beweis, den er am Schluss der „Re-
sponsio ad secundas objectiones" (S. 89) für das Dasein Gottes
giebt, denn dieser weist eine auffallende, fast bis auf den
Wortlaut sich erstreckende Uebereinstimmung mit dem ent-
sprechenden Beweise des kurzen Traktates auf, sodass hier
unstreitig der Punkt liegt, in welchem Spinoza, jedenfalls be-
wogen durch die mathematische Beweisführung daselbst, an
seinen Meister anknüpft. Aus dem Umstände nämlich, dass
man klar und deutlich erkenne, dass in der Natur Gottes auch
die Existenz enthalten sei, schliessen beide, dass er auch
wirklich existieren müsse. Damit hat aber Spinoza ebenso-
wenig wie Descartes die Ewigkeit Gottes bewiesen (vgl. S. 4), je-
doch den Keim gelegt, aus dem sich dann mit Hilfe des aus
der Scholastik genommenen Ewigkeitsbegriffes die beiden Be-
weise der Ethik entwickelten. Diese konnte somit unser
Denker noch als sein Eigentum betrachten, obgleich sie in
Descartes begründet waren, den dritten Beweis jedoch sprach
er, indem er ihn in seinen Princ. phil. cart. (I 19) aufstellte,
ausdrücklich seinem Lehrer zu. Doch diese Thatsache darf
dem Quellenforscher nicht genügen, er hat jetzt noch zu
fragen: Wie entwickelte Spinoza aus den Lehren seines
Meisters diesen Ewigkeitsbeweis? Wer die Schriften des Letz-
teren zu diesem Zwecke durchsucht, wird darin nirgends einen
solchen finden, und in der That war es nur eine kleine Be-
merkung, welche unserem Philosophen das Material lieferte.
In seinen Principia philosophiae (I 22) bemerkt Descartes:
„Indem wir auf die uns eingeborene Idee desselben [d. h.
Gottes] hinblicken, sehen wir, dass jener ewig . . . sei." Also
aus der Idee Gottes als des vollkommensten W^esens, wie er
in den vorangegangenen Ausführungen genannt worden war,
folgt, dass er ewig sei, und wir, indem wir ihn als ein durch-
aus vollkommenes Wesen ansehen, müssen ihm notwendig
— 47 —
die Ewigkeit, die unendliche, unbegrenzte Existenz ais eine
Vollkommenheit beilegen. Thun wir das aber nicht, d. h. legen
wir ihm nicht unbegrenzte, sondern begrenzte Existenz bei,
dann hört er auf, das vollkommenste Wesen zu sein. Das
ist der Gedankengang, wie er aus den obigen Worten sich er-
giebt, und Spinoza ist ihm in seinem Beweise ganz gefolgt.
Nur am Schlüsse schlägt er einen anderen Weg ein, indem er
fortfährt: „Wenn wir ihm [d. h. Gott] eine begrenzte Existenz zu-
erteilen, so müssen die Grenzen seiner Existenz notwendig,
wenn auch nicht von uns [vielleicht zielt gerade diese Be-
merkung auf die obige Auslegung der cartesianischen Worte
hin], so doch wenigstens von Gott selbst erkannt werden,
weil er die höchste Intelligenz ist; dann aber wird Gott über
jene Grenzen hinaus sich d. h. das höchst vollkommene
Wesen als nicht existierend erkennen, was widersinnig ist.
Darum u. s. w." Diese Fortsetzung hat unstreitig den Vorzug,
schärfer den Widersinn des Gegenteils hervorzuheben, liegt
aber schon nicht mehr im einfachen geraden Sinn der car-
tesianischen Erklärung, sondern ist ein origineller Zusatz, zu-
gleich aber wiederum (vgl. S. 45) ein interessantes, charakte-
ristisches Zeichen für die Art, in welcher Spinoza in den
Princ. phil. cart. die Lehre seines Meisters verarbeitete und
wiedergab.
Was endlich den im kurzen Traktak an zweiter Stelle '
(I 2) ausgeführten Beweis für die Ewigkeit Gottes anbetrifft,
so lässt sich für ihn bei Descartes kein Analogon finden, da
dieser bei seinen Gottesbeweisen stets die Idee Gottes zu
Grunde legt. Jedoch der Ausgangspunkt desselben, dass die
Wesenheiten ewig seien, ist durchaus auch die Ansicht des
französischen Philosophen, welcher sagt: „So glaube ich nicht,
dass die Wesenheiten der Dinge und jene mathemaüschen
Wahrheiten, welche von ihnen selbst erkannt werden können,
von Gott unabhängig seien, sondern ich glaube nichtsdestoweniger
dass sie selbst, weil Gott es so gewollt, weil er es so an-
geordnet hat, unveränderlich und ewig seien" (Resp. quint.
S. 72). Daher steht nichts der Annahme entgegen, dass Spi-
noza, diese Meinung sich aneignend, daraus selbst seinen Be-
weis gebildet hat. Er hat ihn aber bald wieder fallen lassen,
denn wir finden ihn in seinen anderen Schriften nicht mehr
wieder.
Aus der Ewigkeit der göttlichen Substanz folgt die Ewig-
keit ihrer Attribute, wie sie unser Denker auffasst, so selbst-
verständlich und notwendig, dass für sie eine andere, ausser-
halb des Systems liegende Quelle nicht aufzusuchen ist, zu-
mal da der Begriff des Attributs von Spinoza in einer von
der bisherigen Philosophie durchaus abweichenden Weise be-
— 48 —
stimmt worden ist. Aus letzterem Grunde ist es auch be-
greiflich, dass unser Philosoph schon im kurzen Traktat den
Kampf aufnimmt gegen die von den christlichen Dogmatikem
und jüdischen Religionsphilosophen festgehaltene Ansicht, welche
Begriffe wie „ewig" zu den Attributen Gottes rechnet (Tr.
br. I 7). Um so eigentümlicher aber wirkt dann die That-
sache, dass er selbst die Ewigkeit als das Wesen Gottes be-
trachtet (Eth. V 30 Dem.), ihr also eine Definition giebt,
welche derjenigen des Attributes ganz gleicht.
c.
1. Die Welt.
Die Daseinsformen insgesammt bilden die gewirkte
Natur, oder sie sind, um mit dem kurzen Traktat zu sprechen,
die Geschöpfe Gottes. Von den unendlichen Modi aber, welche
die höchsten Bestimmungen der Substanz bilden, so z. B. von
der Bewegung in der Ausdehnung und vom Verstand inn
Denken behauptet derselbe Traktat, dass sie seit aller Ewig-
keit von der Gottheit geschaffen seien. Somit also nimmt
Spinoza in seiner ersten Schrift eine Schöpfung von Ewigkeit
her an, und es wird sich fragen, welchen Anschauungen er
diese seine Meinung entlehnt hat.
Sowohl Descartes als auch die zeitgenössische Scholastik
können in diesem Punkte auf ihn nicht eingewirkt haben,
da beide Teile mit Entschiedenheit eine Schöpfung in der Zeit
annehmen. Viel eher aber wird die jüdische Religionsphilo-
sophie hier in Betracht kommen, welche nicht so einhellig
eine absolut zeitliche Erschaffung der Welt behauptet und
selbst da, wo sie dies thut, durch ausführliche Darlegung und
Untersuchung der entgegengesetzten Ansicht unserem Denker
wichtige Anknüpfungspunkte bieten konnte. Schon der Haupt-
vertreter derselben, Maimonides (Über sein Verhältnis zu Sp.
vgl. Joel: Zur Genesis der Lehre Sp. s.) hat in breiter Aus-
führlichkeit die Schöpfungsfrage behandelt (More Nebokhim
II 13 — 25), Ewigkeit und Zeitlichkeit der Welt genau gegen
einander abgewogen, um lange Zeit beide für gleich möglich
und denkbar anzusehen und zum Schluss erst der letzteren
nur ein wenig mehr Beweiskraft zuzuerteilen als der ersteren
(More II 16).
Von den Anschauungen der Philosophen entwickelt er
auch diejenigen des Aristoteles, welcher die Ewigkeit des Uni-
versums verficht (M. 11 13), und unter den vorgeführten Be-
wei:^en des griechischen Denkers befindet sich jener von der
Ewigkeit der Bewegung (M. 11 14), welche auch der kurze
Traktat ausdrücklich betont (vgl. Trend.: Hist. Beitr. UI 395).
Desgleichen ist auch von Intelligenzen die Rede, die von Gott
— 49 —
abhängen, und die letzte derselben, „der wirkende Verstand*
genannt, hat mit dem unendlichen Verstand Spinozas grosse
Aehnlichkeit. [Beide sind denkende Wesenheiten, beide unend-
lich, beide umfassen die Vorstellungen alles Seins, beide hängen
direkt von Gott ab, wobei freilich Spinoza die zu seiner Zeit
unbrauchbar gewordene Sphärentheorie des Maimonides,
derzufolge dem göttlichen Intellekte erst die zehnte Stufe nach
der Gottheit zukam, fallen liess, beide endlich bilden aus sich
die endlichen aber ewigen Geister.] Demnach konnte unser
Philosoph von d^r Ewigkeit jenes leicht zu derjenigen seines
göttlichen Intellekts geführt werden. Abweichend von Mai-
monides erklärt ein anderer jüdischer Religionsphilosoph,
Gersonides, die Materie für ewig (Milchamoth Adonaj Th. 6),
und endlich ein dritter, Chasdai Kreskas, lehrt sogar, wie man
mit Joel (Sp. s. theol. pol. Trakt. VII) annehmen muss, die
ewige, mit Notwendigkeit erfolgte Schöpfung des Alls (Or
Adonaj III I5). Die Erinnerung an diese Lehren und an die
damit zusammenhängenden Erörterungen hat jedenfalls be-
stimmend auf unseren Denker eingewirkt, sodass er im Gegen-
satz zu Descartes und der zu seiner Zeit herrschenden
Philosophie ein Entstandensein des Universums seit Ewigkeit
her behaupten konnte. Wenn ferner Spinoza in der Ethik
das notwendige Folgen der unendlichen Modi, also der ge-
schaffenen Natur, aus Gott annimmt und daraus die Ewigkeit
derselben erweist, so wird man vielleicht an die Worte des
Kreskas (a. a. O.) denken können, dass nämlich eine Schöpfung
aus Notwendigkeit nur zu verstehen sei, wenn sie als eine
ewige begriffen werde, oder auch Maim. damit vergleichen,
welcher die ewige Notwendigkeit der Welt und ihrer Gesetze
darum glaubt verwerfen zu müssen, weil dadurch die Grund-
lagen der Religion und die Wunder aufgehoben würden
(M. n 25), ein Grund, welchen unser kritischer Philosoph, wie
der theol. pol. Traktat lehrt, keineswegs gelten lässt; mass-
gebenden Einfluss jedoch auf jenen Gedanken wird man
diesen Quellen nicht zugestehen können, da derselbe dem
innersten Wesen des spinozistischen Systems entspricht,
und auch ohne sie zustande gekommen wäre.
2. Der Mensch.
Wenden wir uns nun von der Ewigkeit der unendlichen
zu derjenigen der endlichen Modi und zwar des Menschen,
und suchen wir auch hier die Vorbilder für die Anschauungen
unseres Philosophen aufzufinden.*)
*) Die folgenden Darlegungen geben mehr in grossen Zügen die An-
sicht des Verfassers bezüglich der hier hergehörigen Quellen wieder. Eine
ausführlichere, bis in die kleinsten Einzelheiten sich erstreckende Behand-
lung und Begründung derselben erscheint nicht zweckmässig bei einer Ab-
handlung, in welcher der Abschnitt von der Ewigkeit der menschlichen
Seele nur einen kleineren Bruchteü bildet
4
— 50 —
1. Früher bereits (S. 33 fif.) ist ausführlich dargethan
worden, dass die eigentliche, der Grundrichtung des spino-
zistischen Denkens entsprechende Ansicht nur in der rein
unpersönlichen Existenz des Menschengeistes im ewigen Leben
erblickt werden muss. Damach also verliert unsere Seele* als
ewige jeden Schein der Besonderheit, sie löst sich auf und
verschwindet in dem unendlichen Denkmodus, dem göttlichen
Intellekt, eine Ewigkeit des menschlichen (Geistes an sich giebt
es nicht Andrerseits aber konnte nicht geleugnet werden,
dass viele Aeusserungen Spinozas auch das persönliche Moment
hervortreten lassen, sodass sich uns hier das Ringen zweier
Anschauungen darstellt, von denen nur die erstere der eigen-
tümlichen Denkweise unseres Meisters angehört. Die letztere
wird daher wohl von einer äusseren Quelle abzuleiten sein,
und diese ist in der Theologie, Schulphilosophie und dem all-
gemeinen Glauben seiner Zeit zu suchen, welche einmütig die
individuelle Fortdauer unserer Seele behaupteten. Einer solchen
Macht, welcher vor ihm schon Descartes, nach ihm auch der
geniale Leibniz so manches Opfer gebracht hatten, vermochte
unser Denker nicht ganz zu widerstehen, und sowie er unter
ihrem Einflüsse im kurzen Traktat von einem unkörperlichen
Gotte redete (S. Sa) und noch in der Ethik dem Körper nicht
in gleicher Weise wie dem Geiste Ewigkeit verlieh (S. 28 f.),
wie er endlich, beinflusst durch die mittelalterliche Scholastik,
den Begriff der idea Dei in widerspruchsvoller Weise bestimmte
(Freudenthal: Sp. u. die Schol. S. 134), so hat er auch hier
nur unter dem Drucke der ihn umgebenden herrschenden An-
sicht, vielleicht auch den Bedürfnissen seines Herzens Folge
leistend, zuweilen die Persönlichkeit des ewigen Geistes betont.
2. Was nun Wesen, Ziel und wahre Thätigkeit des
menschlichen Intellekts anbetrifft, so folgt Spinoza hierin viel-
lipicht vor allem dem jüdischen Religionsphilosophen Maimonides,
der sich wiederum in diesem Punkte in Uebereinstimmung mit
der arabischen Philosophie befindet (Joel: Zur Gen. S. 66).
Denn wie unser Philosoph lehrt auch Maim.: „Die Natur des
Geistes und seine Wesenheit ist Erkenntniss" (More 11), und
überall in seinen Schriften betont er, dass nicht die Einbildungs-
kraft, sondern das Denken den Wert des Menschen ausmache;
sie ist das Ziel seines Lebens (M. III 8), und wegen der Ver-
nunfterkenntnis heisst es von ihm: „Im Bilde Gottes schuf er
ihn" (Miloth. Higgajon C. 9, M. II). Insbesondere aber hat er
die Gotteserkenntnis zu pflegen, denn „die vierte Art, die
wahre menschliche Vollkommenheit, tritt dann ein, wenn der
Mensch sich die geistigen Tugenden, d. h. die Einsicht in die
metaphysischen Wahrheiten erwirbt und hierdurch zu richtigen
Erkenntnissen in den göttlichen Dingen gelangt. Das ist sein
höchster Zweck, das macht den Menschen wahrhaft vollkommen,
— 51 —
das gehört ihm allein an, darum erlangt er die Unsterblichkeit,
und dadurch wird der Mensch erst zum Menschen" (M. III 54
vgl, m 51 u. 8).
3. Doch auch in seiner Anschauung von der Vereinigung
unserer Seele, wie sie besonders im Tr. br. II 22 (6,7) u. 23
ausgesprochen ist, zeigt Spinoza grosse Aehnlichkeit mit Mai-
monides. Das Dasein unseres Geistes in diesem Leben, lehrt
Letzterer, besteht in der Vereinigung mit dem Körper, aber gerade
sie ist es, welche uns den Lastern, Leidenschaften und über-
haupt der Vergänglichkeit unterwirft (M. III 8). Dem allen
entflieht unsere Seele, wenn sie sich durch die Kraft des
Denkens zu ihrem Schöpfer erhebt. „Darum wird, wenn sich
der Stoff, welcher aus den Elementen gebildet ist, trennt und
die Seele [d. h. ihr sinnlicher Teil] zu Grunde geht, weil sie
nur mit dem Körper existiert und bei allen ihren Thätigkeiten
des Körpers bedarf, die Form [d. h. die denkende Seele] nicht
vernichtet, weil sie bei ihren Thätigkeiten der [sinnlichen] Seele
nicht bedarf, sondern sie erkennt den Schöpfer des All und
besteht in alle Ewigkeiten" (Jessode Hatthora C. 4,9). „Denn
es giebt Menschen, deren ganzes Streben es ist, das ewig
Beständige zu erforschen und zu erwählen, welche nur die
höhere Weisheit und die wahre Einsicht in alle Dinge zu
erlangen suchen und die Vereinigung mit dem göttlichen
Geiste, der über sie ausströmt und von dem diese Form
[d. h. ihr denkender Geist] herrührt" (M. III 8). Dieser Ge-
danke der Vereinigung mit Gott, der gerade im kurzen Traktat
eine Rolle spielt, wird im More öfter und in verschiedenen
Ausdrücken wiederholt. So heisst es: „Solche [d. h. die Ver-
nunftwahrheiten begreifende] Menschen stehen mit Gott in
ewiger Gemeinschaft" (das.) oder: ,.Die Vernunft, welche von
Gott auf uns ausströmt, bildet das Band zwischen uns und
ihm" (M III 51). Er wird ferner durch ein Gleichnis darge-
than, demzufolge unser Verhältnis zu der Gottheit als das
eines Königs zu seinen Unterthanen hingestellt wird, von denen
die einen in grösserer, die anderen in geringerer Entfernung
von ihm sich aufhalten (das. Anfang). „Wer aber mit all'
seinem Denken nach Vervollkommnung in göttlichen Erkennt-
nissen strebt, sich der Gottheit ganz weiht, sein Denken von
anderen Zielen abwendet und alle seine Geisteskräfte dazu
verwendet, das Seiende zu prüfen, um von ihm einen Schluss
auf Gott zu ziehen und möglichst zu erkennen, wie er da-
rüber waltet, der gehört zu denen, welche in den Palast des
Königs gelangt sind (das.); _„die aber von den göttlichen
Dingen entweder die Wahrheit selbst erforschen oder sich ihr
wenigstens nähern, sind diejenigen, welche sich beim Könige
im Palaste befinden" (das.). Jene Verbindung nun hat der
jüdische Denker des Näheren jedenfalls als das Eingehen des
4*
— 52 —
Geistes in Gottes „wirkenden Verstand" aufgefasst. Denn dieser
ist es, durch dessen „Ausströmen" unser Geist seine ewigen
Wahrheiten erlangt, der, indem er sich über uns ergiesst,
unseren Verstand zu einem unvergänglichen gestaltet (M. II
12 Ende, 36, 37). In ähnlicher Weise stellt sich auch unser
Philosoph den Zusammenhang der endlichen Geister mit der
denkenden Substanz (Sigwart: Kurz. Trakt. S. 59 Anm. 15)
d. h. der unendlichen Idee (das. S. 158 [17]) oder dem un-
endlichen Intellekt (Eth. H 43 Schol., V 40 Schol.) der Gott-
heit vor, welche, wie schon (S.49) erwähnt, mit dem wirkenden
Verstand auffallende lieber einstimmung zeigen.
Die Lehre von der Vereinigung der menschlichen Seele
mit dem wirkenden Verstände wird übrigens auch von
fast allen arabischen Philosophen, so von Al-Farabi oder Ihn
Sina u. a. ausgesprochen (Ricardou: de immort. an. ap. Sp.
34 f), vor allem aber ist es Averroes, jener pantheistische
Erklärer des Aristoteles, der ihr Ausdruck gegeben hat [Bd.
X Vened. 1560 De animae beatitudine (S. 353 ff.) u. de connex.
int. abstr. c. hom. (S. 358 ff.)]. Nach ihm ist der Menschen-
geist nichts anderes als eine Modification des göttlichen Ver-
standes selbst, welche als Anlage ein Einzeldasein führt. Seine
Aufgabe ist es, durch Speculation sich desselben zu entledigen
und restlos in den „wirkenden Verstand" aufzugehen. Die An-
sicht dieses Philosophen kann zwar nicht durch Maimonides
selbst zu unserem Philosophen gedrungen sein, da er Averroes
nicht benutzt hat (Renan: Averroes et TAverroisme S. 178),
wohl aber durch dessen Commentatoren oder durch den jü-
dischen Religionsphilosophen Gersonides, dessen Argumenta
de aeternitate z. B. sich nach dem Berichte Schullers in dem
von Spinoza selbst angefertigten Bücherverzeichnisse befunden
haben (L. Stein : Leibn. und Spin. S. 287). Gersonides handelt
im ersten Teile seines Werkes Milchamoth. Adonaj eigens und
ausführlich über die Unsterblichkeit der Seele und setzt da-
selbst auch die Meinung des Averroes auseinander (Joel :
Levi b. Gerson S. 26). Eine ausserordentliche Verwandtschaft
der letzteren mit derjenigen Spinozas ist nicht zu verkennen.
Der Ansicht des Maim. gegenüber enthält sie noch ein
weiteres gemeinsames Merkmal, nämlich die Unpersönlichkeit
des ewigen Geistes (Munk: Guide desegares S. 434 f., Renan
a. a. O. S. 179) und kann daher ebenfalls für unseren
Denker mitbestimmend gewesen sein. Doch ausser, dem
genannten Wege giebt es noch andere, auf welchen die
averroistische Lehre zu unserem Philosophen gedrungen
sein könnte. Bei den grossen Peripatetikern des Mittelalters,
bei Albertus Magnus und ganz besonders bei Thomas,
von Aquino, fand sie nämlich eingehende Würdi-
gung. Beide setzten sich mit ihr in ihren Schriften
— 53 —
wiederholt auseinander und schrieben sogar gegen sie be-
sondere Abhandlungen, mit dem gemeinsamen Titel: De uni-
tate intellectus contra Averro'istas, in denen sie mit dialekti-
scher Gewandtheit die individuelle Unsterblichkeit der Seele
verfochten (Renan: a. a. O. S. 232 f., 239 f.). Ferner aber war
um das Jahr 1500 in der Schule zu Padua unser Problem zu
einer brennenden Frage geworden, welche das philosophische
Leben Oberitaliens beherrschte, und die Gelehrten in die beiden
Heerlager der Alexandristen und Averroisten teilte (Renan:
a. a. O. S. 355 f.). Von beiden Punkten ging eine Bewegung
aus, deren Spuren — und das ist ganz besonders bei den Er-
öiterungen des Thomas von Aquino wahrscheinlich — wohl
bis zu Spinoza gelangt sein und auf ihn eingewirkt haben
können.
4. Aus dem Eingehen unseres Geistes in den göttlichen
Intellekt folgen für ihn gewisse vollkommene Wirkungen,
deren Bestimmung von Seiten unseres Denkers ebenfalls auf
äussere Einflüsse zurückweist. Sie finden sich zunächst in
ähnlicher Weise schon bei Maim. So die bereits genannte
ewige Dauer des Geistes selbst, indem „seine Erkenntnis
alsdann ewig und unveränderlich bleibt" (M. III 51), sodann
die Freude und Befriedigung, denn „sobald das Feuer der
Leidenschaften sich abkühlt, wird der Geist stark, sein Licht
heller, und seine Erkenntnis rein, sodass er sich freut über
das, was er erkannt hat" (das.), ferner die intellektuelle
Liebe, welche in den Worten klar ausgesprochen ist: „Schon
oft haben wir nachgewiesen, dass die Liebe sich nach der
Erkenntnis richtet", oder „die Vernunft, welche Gott auf uns
ausströmt, bildet das Band zwischen uns und ihm. Befestigt
wird dieses Band nur dadurch, dass du dich seiner zur Liebe
Gottes bedienst", und endlich die reine Denkthätigkeit,
indem unser ewiger Geist ein Teil des „wirkenden Ver-
standes" ist.
Der wichtigste dieser seelischen Zustände ist für Spinoza
die ewige intellektuelle Liebe, deren nähere Bestimmungen
aber noch mit den Lehren anderer Denker grosse Verwandt-
schaft aufweisen. So wird man an Heerebord denken, der in
seinem Collegium ethicum z. B. sagt: „Indem wir Gott und
Gottes Eigenschaften erforschen, vereinigen wir uns mit Gott;
indem wir den Erkannten lieben, werden wir aufs Innigste
mit ihm vereint" (S. 40), oder: „Eine Liebe zu Gott kann es
nicht geben, wenn nicht schon seine Erforschung voran-
gegangen ist" (S. 41), (Sigwart: Sp.'s kurz. Tr. S. 222 f.).
Vorzüglich aber wird Giordano Bruno hier genannt werden
müssen, dessen Uebereinstimmung mit den entsprechenden
Sätzen des kurzen Traktats im Einzelnen von Sigwart (Sp.
neuentdeckter Tr. S. 128 ff.) nachgewiesen wurde. Wenn
— 54 —
schliesslich Spinoza als die dem ewigen Geiste eigentümliche
Art des Denkens gerade das intuitive , bezeichnet, so findet
man auch hierfür sowie für die besondere Definierung des-
selben Parallelstellen bei Bruno (Sigwart: das. S. 124).
5. Endlich aber ist noch eine Eigenschaft zu beachten,
welche Spinoza unserem Geiste zuerteilt, dass er nämlich
nicht erst nach dem Tode, in einem zukünftigen oder gar
jenseitigen Leben Ewigkeit und Seligkeit erlangt, sondern
schon in den Augenblicken, in welchen er denkend das Wesen
der Dinge erfasst, und dass er das letztere nicht unter dem
Gesichtspunkte der Zeit als ein vergangenes oder zukünftiges,
sondern als ein immer und ewig gegenwärtiges Erkenntnis-
objekt betrachtet. Dieser Gedanke ist freilich an sich nicht neu, er
ist bereits bei Epicur angedeutet (D. L. X. 135, Usener: Epi-
curea S. 66) und wird auch sonst in der Renaissance, z. B.
von Giordano Bruno (Opp. it. 11 341, 425), mehr oder weniger
klar ausgesprochen, nichtsdestoweniger aber lehrt eine tiefere
Einsicht in die Philosophie Spinozas, dass er hier nicht einer
äusseren Anregung entsprang, sondern innerhalb des Systems,
aus der Entwicklung des spinozistischen Denkens hervorging.
Er folgt nämlich notwendig aus der Gestaltung des Begriffs
der Ewigkeit, wie wir sie im ersten Abschnitte kennen gelernt
haben. Darum ist es natürlich, dass er im kurzen Traktate
noch nicht hervortritt, denn dort ist Ewigkeit noch nicht zeit-
lose, stets gegenwärtige Existenz, und dass erst spätere
Schriften, besonders aber die Ethik dem Menschengeist diese
Fähigkeit beilegen, welche ganz seiner Ewigkeit entspricht.
Schluss.
Aber wenn auch unser Denker in dem leztgenannten
Punkte seinen eigenen Weg ging, so steht doch fest, dass er
fast im ganzen Gebiete des Ewigkeitsbegriffes die Arbeiten
früherer Philosophen mehr oder weniger benutzt und in
manchen Punkten sogar der allgemeinen Volksanschauung Zu-
geständnisse gemacht hat. Das raubt zwar seinen Ewigkeits-
lehren die Originalität, würde ihm jedoch nicht zum Vorwurf
gereichen, wenn er die empfangenen Elemente mit den Grund-
sätzen seines Systems und der Vernunft in Einklang gebracht
hätte.
Jedoch die mannigfachen Widei-sprüche, welche sich uns
in einzelnen, nebensächlichen, wie in wichtigen, grundlegenden
Ansichten offenbarten, lassen die vielgerühmte Folgerichtigkeit
des spinozistischen Systems in einem bedenklichen Lichte er-
scheinen. Der alles tragende Begriff der Ewigkeit, wie er in
der Ethik hervortritt, entbehrt zwar nicht eines höheren, edleren
Wertes als die gewöhnliche Fassung desselben, ist jedoch
schon an sich als völlig unhaltbar erkannt worden. Mit ihm aber
fielen alle Ewigkeitsbeweise Gottes, von denen einer sogar
nicht spinozistisch geführt war, die anderen auf denselben
falschen Grundgedanken zurückgingen. Die behauptete ewige
Existenz der unendlichen Modi hat unser Philosoph von vorn-
herein gar nicht darzuthun versucht, und sie ist auch mit
unserer Definition nicht zu erschliessen; ebenso stellten sich
der Ewigkeit des Menschengeistes unüberwindliche Schwierig-
keiten entgegen. Damit jedoch sind die Grundlagen der
gesammten Ewigkeitslehre erschüttert, und das scheinbar un-
zerstörbare Gebäude von Lehrsätzen hat sich an vielen Stellen
und schon in seinem Fundamente als schadhaft erwiesen.
Aber ist auch eine logisch tadellose Begründung der
Sätze über das Ewige nicht gelungen, so kann doch ihr
— 56 —
ethischer Wert, der sich besonders auf Spinozas Anschauungen
von dem Menschengeiste gründet, nicht übersehen werden.
Zwar wird es uns auch da kaum befriedigen zu hören, dass
unser eigenes Ich im ewigen Leben ganz zu sein aufhören,
die unpersönliche Existenz der Lohn unserer Geistesarbeit sein
soll, dass ferner lediglich die Erkenntnis die Quelle unserer
Seligkeit bildet, die edle That jedoch ohne Bedeutung ist;
indessen hat der Gedanke immer etwas Anziehendes, Erheben-
des an sich, in der Gottheit zu leben und vereint mit ihr
solch' vollkommener und beglückender Gefühle teilhaftig zu
werden, wie sie am Schlüsse der Ethik geschildert sind.
Anmerkungen.
S. 16. 1) Dass hier von zwei Substanzen die Rede ist, lässt noch nicht den
Schluss zu; dass damit die Existenz zweier realiter verschiedener Substanzen
eingeräumt wird, denn der Ausdruck „Substanz" wird noch im kurzen
Traktate bisweilen statt „Attribut* gebraucht, obgleich ebendaselbst schon
bewiesen worden ist, dass es nur eine einzige Substanz nämlich Gott oder
die Natur gebe (Th. I 2 [12]).
S. 28» 2) Es ist nicht zu leugnen, dass die zweite Erkenntnisart in der Ethik
eine schwankende Stellung einnimmt, denn während ihr im II. Buche (P. 41 ff.)
ein der unmittelbaren Erkenntnis ebenbürtiger Platz eingeräumt wird, kommt
sie im V. Buche fast gar nicht vor. Diese Thatsache erscheint zwar
als eine Inkonsequenz, ist aber dadurch zu erklären, dass im II. Buche, wo
es gilt, die wahren Ideen von den falschen zu scheiden, der Verstand in
Betracht gezogen wird, da ja seine Aufgabe gerade darin liegt (Eth. II 40
Schol 2, III,-29 Schol.), im V. Buche jedoch, wo der Kampf bereits vorüber
ist, die inadäquate Idee als schädlich verworfen wird, und die adäquate
allein das Feld behauptet, wird auch der Verstand zurückgesetzt und das
intuitive Denken herrscht allein. Nur zweimal tritt er auf den Plan (V 7, 38),
aber dann auch mit ihr die Affekte, die er abzuwehren bestimmt ist Der
Verstand ist seiner Natur nach die Erkenntnis, welche gleichsam zwischen
den wahren und falschen Ideen stehend, ersteren zum Siege und zur Ewig-
keit verhilft, das Wesen der dritten Erkenntnisart aber besteht darin, ledig-
lich unter adäquaten Ideen zu wohnen (Eth. II 40 Schol. 2 IV). Nichtsdesto-
weniger ist es unzweifelhaft, dass auch seinen Produkten gleich denen der
obersten Erkenntnis die Ewigkeit zukommt, sind sie doch ebenso wahr und
adäquat wie jene. Ja eine gelegentliche Bemerkung spricht das ausdrück-
lich aus: „Je mehr Dinge der Geist nach der zweiten und dritten Erkennt-
nisart erkennt, ein um so grösserer Teil von ihm bleibt übrig" (V 38 Dem,).
Nur der Umstand, dass das V. Buch in seinem zweiten Teüe von dem
Leben des Geistes in der Ewigkeit spricht, dieses aber lediglich von klaren
Ideen erfüllt ist und nicht durch verworrene gestört wird, also des Ein-
greifens des Verstandes gar nicht bedarf, hat bewirkt, dass sein Begriff dort
keine Aufnahme fand, aber, wie aus dem angeführten Satze hervorgeht, als
ewig vorausgesetzt wurde.
S. 28. ^ Hierbei muss der Widerspruch auffallen, in welchem Eth. V 36 Cor.
und Schol. mit Eth. V 17 Cor. stehen, denn während dort mit aller Bestimmt-
heit eine Liebe Gottes zum Menschen angenommen wird, ist hier zu lesen:
„Gott liebt genau genommen niemanden (vgl. auch Eth. V 19). Dieser Wider-
spruch tritt um so schärfer hervor, als einerseits die letztere Anschauung
mit derjenigen des kurzen Traktates (11 24 [2] [3]) übereinstimmt, anderer-
seits auch die erstere durch verschiedene^Aeusserungen gesichert ist. Es
kann daher nur eine Meinungsänderung unsereres Philosophen stattgefunden
haben. Und diese ist auch auf natürliche Weise zu erklären. Schon seiner
ursprünglichen, in Eth. V 17 Cor. vertretenen Ansicht zufolge spricht Spinoza
— 58 —
nicht ganz gewiss, sondern nur „genau genommen (proprie loquendo)" das
Gefühl der Liebe der Gottheit ab, und meint in Eth. V 19, dass der Mensch
es nicht „verlangen (conari)" könne, dass Gott ihn widerliebe. Er gebraucht
also Ausdrücke, welche sein Schwanken in diesem Punkte verraten. Und
in der That hat er, nur genötigt durch den Gedanken, dass der Gottheit
kein Gefühl, weder ein freudiges, noch ein schmerzliches beigelegt werden
dürfe (V 17), diese Behauptung aufgestellt, während ihn andere Erwägungen
von jenem Schlüsse entfernten. Letztere mussten ganz naturgemäss an den
Stellen in den Vordergrund treten, in denen er das glückselige Leben unseres
ewigen Geistes behandelt. Denn hier, wo ihn sein warmes Gefühl fortreisst,
und das Streben deutlich erkennbar ist, unseren Zustand in der ewigen Welt
in möglichst glänzenden Farben zu schÜdern, konnte er leicht auch eine
Liebe Gottes zum Menschen lehren und die entgegengesetzte Ansicht ausser
Acht lassen, der seine augenblicklichen Empfindungen widersprachen und
die er auch früher nur in zweifelhafter, wenig entschiedener Weise be-
hauptet hatte. Es ist ihm sogar möglich, hier (V 35 f.) dasselbe durch
mathematischen Beweis zu erhärten, was er früher (V 17) auf demselben
Wege zurückgewiesen hatte.
S. 29 *) Durch die Art der Entwicklung, die nach obiger Darstellung der
Ewigkeitsbegriff genommen hat, wird in schlagender Weise die Ansicht
widerlegt, nach welcher Spinoza seine Ewigkeit aus der Erfahrung aufgelesen
und zwar einfach durch Beziehung auf die endlichen Dinge und Weglassen
der Zeitbestimmung gewonnen habe (Baumann, die Lehren von Raum, Zeit
und Mathematik Bd. I S. 180); denn aus dem Gesagten geht klar hervor,
dass die Bestimmung der Ewigkeit auf dem gerade entgegengesetzten Wege
erfolgte. Spinoza hatte nicht Einzeldinge sondern das göttliche Wesen vor
seinem Geiste, als er ihren Begriff schuf. Es stand ihm fest, dass die
Existenz Gottes, welche zu seinem Wesen gehört, allein die wahrhaft ewige
sei, und so bildete er aus ihr seinen Begriff der Ewigkeit. Dieser bezog
sich daher anfangs nur auf die Gottheit und stellte sie sogar in den cog.
met. in scharfen Gegensatz zu den Modis, auf die er erst später ausgedehnt
wurde. Er kam gleichsam von oben, der Zeitbegriff aber von unten, und
diese gegenüberliegende Stellung beider erzeugte den gegenseitigen Aus-
schluss Ausserdem würde ja unser Philosoph seine vielgerühmte intuitive
Erkenntnis völlig verleugnen, wollte er seine ersten und höchsten Begriffe
auf empirischem Wege ableiten.
S. 38. *) Der Standpunkt einer durchaus persönlichen Existenz unseres
Geistes in der Ewigkeit ist von Th. Camener in seinem Werke „Die Lehre
Spinozas" S. 121 ff vertreten und durch folgende Argumente gestützt
worden: 1 Durch das Moment der idea mentis, des persönlichen Bewusst-
seins, welches der Geist von sich habe, nicht nur sofern er sterblich, sondern
auch sofern er ewig sei; 2. durch den Umstand, dass er die Idee des
Wesens seines Körpers, eines Individuums, sei, daher müsse er selbst ein
Individuum sein; 3. durch Stellen aus der Ethik, in denen ein Selbst-
bewusstsein des Geistesg elehrt werde (V 30, 31 Schol , 39 Schol.); 4 (S. 291)
dadurch, dass der ewige Geist, indem er von intellektueller Liebe zur Gott-
heit erfüllt ist, die Idee derselben vor Augen hat und sich selbst als ihre
notwendige Wirkung auffasst.
Nehmen wir nun zu diesen Beweisen kurz Stellung, so werden wir
es an dem ersten für richtig und erwiesen finden, dass unser ewiger Geist
ein Selbstbewusstsein besitze. Damit ist aber noch immer nicht ein per-
sönliches gesetzt, d. h. gesagt, dass er sich als individuelles Wesen denke.
Auch die Gottheit wird, indem sie eine Idee ihres Wesens und alles dessen
hat, was aus demselben notwendig folgt (II 3), zugleich ein Bewusstsein
ihres eigenen Denkens besitzen, deshalb ist ihr aber noch keine Persönlich-
keit beizulegen. Eine solche, in Beziehung auf den ewigen Geist, wird
auch von den angeführten Beweisstellen (II 43 Dem , V 23 Dem.) nicht gefordert.
_J
— 59 —
Dagegen erinnere man sich, dass die Idee des Geistes mit dem Oeiste ver-
einigt sei (II 21), dass sie beide ebendasselbe Ding seien (II 21 Schol.).
Demnach wird die Beschaffenheit unseres Selbstbewusstseins sich genau
nach unserem Denkinhalte richten. Die Imagation also, das Vermögen der
einzelnen, besonderen Ideen, wird ein durchaus persönliches, das reine
Denken aber, unser ewiger Teil, welcher allgemeine Begriffe enthält, nur
ein Bewusstsein seiner selbst als allgemeines Wesen haben, welches eben
unpersönlich ist
Thut so dieser Teil gerade das Gegenteil dessen dar, was eigentlich
hätte bewiesen werden sollen, so ist auch der zweite Beweis hinfällig. Dieser,
vom Parallelismus der Attribute und der in ihnen befindlichen Modi aus-
gehend, giebt dem ewigen Geiste ein individuelles Dasein, weil sein Körper
ein Individuum ist. Unsere ewige Seele entspricht aber nicht dem Körper,
sondern dem Wesen des Körpers, und dass dieses ein Individuum sei, ist
damit noch nicht gesagt, vielmehr nach unseren Erörterungen (S. 34)
zu verneinen.
Die aber als dritter Beweisgrund genannten Bemerkungen Spinozas
besagen nicht, dass die denkende Seele im ewigen Leben nur ein Bewusst-
sein ihrer selbst habe, sondern stellen sie gerade als zugleich in Gott be-
findlich dar, wollen also direkt darauf hindeuten, dass sie nicht unter dem
Gesichtspunkte des Vergänglichen und somit wie die Ideen der Imagination
als Einzelmodus aufzufassen sei, sondern teilnehme an Gottes unendlichem
Wesen und in seiner Allgemeinheit sich verliere. Das ist die Grundtendenz
jener Aeusserungen, das persönliche Moment aber, welches in ihnen liegt,
ist nur durch eine Inkonsequenz Spinozas selbst hineingekommen.
Derselbe Gedanke geht noch viel dentlicher hervor aus dem, was
der vierte Beweis enthält. Denn auch hier durchdringt uns nicht die in-
tellektuelle Liebe, insofern die Idee unserer selbst, sondern insofern die Idee
Gottes und seines unendlichen Wesens in uns lebt, und da die Natur des
Geistes in der Idee besteht (II 11), diese aber hier eine allgemeine ist, so
ist dem Schlüsse gar nicht auszuweichen, dass auch unsere Seele als ewige
den Charakter der Allgemeinheit erhalte. Nur eine schwache Abweichung
von dieser Anschauung bedeutet es. wenn Spinoza hinzufügt, dass der
Mensch auch sich selbst als Wirkung der Idee Gottes empfindet Diese aber
liegt bereits im Wesen des intuitiven Denkens (S. So^). So scheinen die
Darlegungen Camerers nicht nur seine Ansicht nicht zu beweisen, sondern
vielmehr die entgegengesetzte zu bestätigen.
Die persönliche Existenz unseres Geistes in der Ewigkeit wird
übrigens auch von Zeller verworfen, welcher sagt: „Er [Spinoza] entzieht
mit dem Wunder, mit der Persönlichkeit Gottes, und mit der persönlichen
Fortdauer nach dem Tode der herrschenden Denkweise ihren ganzen
Boden" (Gesch. d Deutsch Philos. S. 63); und ferner von J. E. Erdmann
mit der Bemerkung abgelehnt: „Wer in den letzten Worten eine persön-
liche Fortdauer findet, möge nicht vergessen, dass ihm Selbstheit
nur Figmente der Imagation sind, die er doch gewiss nicht verewigen will,
endlich, dass er Religion und Seligkeit nur in der selbstvergessenen Hin-
gabe bestehen lässt, durch die der Mensch ein Werkzeug Gottes wird, das,
unbrauchbar geworden, weggeworfen und durch ein anderes ersetzt wird.
In einem solchen dauern die Ideen fort, die meinen Geist constituiert hatten"
(Gesch. der neueren Philos. Bd. II 3. Aufl. S. 74).
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