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Religionsphilosophie
in Einzeldarstellungen
Herausgegeben von
O. Flügel.
Heft Vli.
Spinozas
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Religionsphilosophie
nach
Chr. A. Thilo.
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Langensalza
Hermann Beyer & Söhne
(Beyer & Mann)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
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Preis 1,25 Mark.
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Religionsphilosophie.
VII.
Religionsphilosophie
in Einzeldarstellungen.
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Herausgegeben
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O. Flügel.
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Heft VII.
Langensalza
Hermann Beyer & Söhne
(Beyer & Mann)
Henjogl, Sachs. Hofbuchhändler
1906
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Religionsphilosophie
nach
\ Chr. A. Thilo.
I —
Langensalza
Hermann Beyer & Söhne
(Beyer & Mann)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
1906
Alle Rechte vorbehalten.
Dpick von Horraano Beyer & Söhne (Beyer & Mann) in Lanirensalza.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1
Ziel • 5
Substanz und Attribut 6
Beweise für das Dasein der Substanz oder Gottes 10
Bestimmtheit ist Verneinung 14
Pantheismus 15
Wie folgt aus dem Unbestimmten das Bestimmte? 20
Plato und Spinoza über Kausalität 26
Gott und Welt 32
Selbstbewußtsein Gottes 40
Zweckursachen 44
Der menschliche Geist 49
Ethik 57
Über die menschliche Freiheit G6
Unsterblichkeit 70
Schlußergebnis 77
Daruch oder Benedictus de Spinoza ist in Amsterdam 1632 ge-
boren. Er stammt aus einer portugiesisciien jüdischen Familie, wird
aber 1656 aus der Synagoge ausgestoßen. Das Exkommunikations-
dekret ist aus dem Archiv der portugiesischen Synagoge zu Amsterdam
abgedruckt in der Zeitschrift für exakte Philosophie Bd. V, S. 448.
Spinoza lebte an verschiedenen Orten Hollands zurückgezogen
ganz seinen philosophischen Studien und erwarb sich seinen Lebens-
unterhalt durch schleifen optischer Gläser. 1672 lehnte er einen
Ruf an die Universität Heidelberg ab und starb im Haag 1677 an
der Schwindsucht.
Seine Schriften: Renati des Cartes Principiorum philosophiae
pars 1 et II more geometrico demonstratae per Bened. de Spinoza;
accesserunt ejusdem cogitata metaphysica 1663. (Hierin ist nicht
Spinozas eignes System zu finden.) Tractatus theologico -politicus
1670 enthält vornehmlich eine Kritik des alten und neuen Testamentes
mit einigen Anmerkungen des eignen Systems. Ethica, ordine geo-
metrico, ist mit den folgenden Schriften nach seinem Tode heraus-
gegeben unter dem Titel: Benedictus de Spinoza opera posthuma
1677. Dies ist die Hauptquelle für Spinozas System, obgleich dieses
nicht ganz darin enthalten ist, sondern in der Tat nur die Ethik,
nämlich der Nachweis, daß seine Ansicht von Gott und der Welt zu
der höchsten Gemütsruhe führt. Tractatus politicus; tractatus de
intellectus emendatione. Epistolae doctorum quorundam virorum ad
Benedictum de Spinoza et auctoris responsiones. Gesamtausgaben
von M. E. G, Paulus: Benedicti de Spinoza opera quae supersunt
omnia. Jenae 1802—03. C. H. Bruaer, Benedicti de Spinoza opera
quae supersunt omnia ex editionibus princ. denuo ed. et praefatus
est Lips 1843—46. Die vollständigste Ausgabe ist die von van Vloten
und Land Hagae 1895.
Einige Literatur über Spinoza: Baltzer, Spinozas Entwicklungs-
gang, Kiel 1888. Camerer, Die Lehre Spinozas, 1877. Camerer,
Spinoza und Schleierraacher. Stuttgart 1903. Kuno Fischer, Spinozas
Jjeben, Werke und Lehre, Heidelberg. Freudenthal, Spinoza. Stutt-
Rc 1 igionsphilosophio: Spinoza. •'^
2 Spinoza.
gart 1904. Sigwart, Spinozas neuentdeckter Traktat von Gott.
Gotha 1866.
Für die Auffassung Spinozas und seine Bedeutung in der neuen
Geschichte der Philosophie ist besonders wichtig geworden H. Fr.
Jacobis Darstellung der Lehre Spinozas in Jacobis sämtlichen Werken
1812—25.
Von der gewöhnlichen Auffassung weicht K. Thomas ab in
folgenden Schriften: Spinozae systema philosophiciim delineavit, Re-
giomonti 1835. Spinoza als Metaphysiker. Vom Standpunkte der
historischen Kritik. Königsberg 1848. Spinozas Individualismus und
Pantheismus. Königsberg 1848.
Die Übersetzung der Anführungen aus Spinozas Schriften wird
im folgenden vornehmlich gegeben nach 0. Baensch, Baruch de Spinoza.
Ethik. Leipzig, Dürr, 1905.
Spinoza ist ein für seine Zeit tüchtiger, aber kein origineller
Denker. Er ist ein Schüler des Descartes. Mittelbar oder meist un-
mittelbar hat Spinoza alle seine Begriffe aus der Philosophie des
Descartes aufgenommen. Die bedeutendsten Abweichungen in der
Weltansicht von seinen Vorgängern beruhen darauf, daß Spinoza den
Substanzbegriff des Descartes in Verbindung mit der Meinung von
der Realität des Unendlichen strenger anwendet. Er setzt nicht mit
Descartes zwei verschiedene Bedeutungen des Substanzbegriffes, eine
für Gott und eine für die Geschöpfe, sondern nur die eine, daß die
Substanz das unabhängige, alles Sein in sich fassende Seiende ist.
Dadurch geriet Spinoza in den Pantheismus und damit in Gegensatz
gegen die religiösen Lehren seiner Zeitgenossen.
Spinoza selbst hatte ein sehr deutliches Bewußtsein davon, daß
er mit der Weltanschauung, welche durch die Religion des alten und
neuen Testamentes herrschend geworden war, gebrochen hatte, obgleich
er, wie alle Reformatoren sich an das Ursprüngliche anzulehnen
lieben, die Sache gern so darstellte, als ob er nur mit den neuern
Christen hinsichtlich der Gottesidee in Zwiespalt sei, dagegen mit
einigen alten Hebräern und dem Apostel Paulus übereinstimmend
lehre, daß alles in Gott sei und Gott nicht als die transeunte, sondern
immanente Ursache der Welt angesehen werden müsse. Er beruft
sich dafür auf die von Paulus einem heidnischen Dichter entlehnten
Worte Act. 17, 28 „in ihm leben, weben und sind wir^ An die
Stelle der zu seiner Zeit geltenden christlichen und jüdischen Religion
will er also seine Lehre setzen. Denn er spricht es in seiner Ethik
(IL Teil, Ende) offen aus, daß diese ganz dieselben Aburteile gewähre,
wie jene: „Endlich ist noch übrig anzuzeigen, Avie nützlich die Kennt-
Einleitung.
nis dieser Lehre für das Leben ist. Wir können das leicht aus dem
Folgenden abnehmen. Sie ist nämlich von Nutzen:
Erstens sofern sie uns lehrt, daß wir allein nach dem Wink
Gottes handeln, und daß wir teilnehmen an der göttlichen Natur,
und dies um so mehr, je vollkommner die Handlungen sind, die wir
tun und je mehr wir Gott erkennen. Abgesehen davon also, daß
diese Lehre das Gemüt ganz friedlich stimmt, hat sie auch noch den
Nutzen, daß sie uns lehrt, worin unser höchstes Glück oder unsere
Glückseligkeit besteht, nämlich allein in der Erkenntnis Gottes, die
uns anleitet, nur das zu tun, was Liebe und Pflichtgefühl erheischen.
Von hier aus erkennen wir klar, wie weit von der Schätzung der
wahren Tugend die entfernt sind, die für ihre Tugend und für ihre
guten Handlungen, wie für die schwerste Knechtschaft von Gott mit
den größten Belohnungen ausgezeichnet zu werden erwarten, als ob
Tugend und Gottes Knecht sein nicht selbst schon das Glück und
die höchste Freiheit wären.
Zweitens sofern sie uns lehrt, wie wir uns gegen die Fügungen
des Schicksals oder gegen das, was nicht in unserer Gewalt steht,
d. h. gegen die Dinge, die nicht ans unserer Natur folgen, verhalten
müssen, nämlich beiderlei Antlitz des Schicksals mit Gleichmut er-
warten und ertragen, weil ja alles nach dem ewigen Beschluß Gottes
mit derselben Notwendigkeit folgt, wie aus dem Wesen des Dreiecks
folgt, daß seine drei Winkel gleich zwei Rechten sind. Drittens ist
diese Lehre von Nutzen für das Gemeinschaftsleben, sofern sie uns
lehrt, niemanden zu hassen, gering zu schätzen, zu verspotten, nie-
mandem zu zürnen und niemanden zu beneiden. Außerdem sofern
sie uns lehrt, daß ein jeder mit dem Seinigen zufrieden und dem
Nächsten behilflich sein soll, nicht aus weibischer Barmherzigkeit,
aus Parteilichkeit oder aus Aberglauben, sondern allein nach der
Leitung der Vernunft, nämlich je nachdem Zeit und Umstände es
erfordern, wie ich im 3. Teile zeigen werde.
Viertens endlich ist diese Lehre auch von nicht geringem Nutzen
für die staatliche Gemeinschaft, sofern sie lehrt, auf welche Weise
die Bürger zu regieren und zu leiten sind, nämlich so, daß sie nicht
als Knechte dienen, sondern freiwillig tun, was das Beste ist.''
Was kann man mehr von einer Religion für dieses Leben ver-
langen, als wachsende Veredelung des Gemüts durch Erkenntnis und
Liebe Gottes, Seelenfrieden, ja Teilhaben an der göttlichen Natur,
Trost und Ergebung in jegliches Schicksal, Antrieb zu Gerechtigkeit
und Liebe gegen den Nächsten und endlich die echte Bürgergesinnnng,
aus eigener Freiheit für das Staatswohl zu sorgen?
1*
4 Spinoza.
So bescheiden und zurückhaltend Spinoza also auch mit seiner
Lehre auftrat ohne irgend welche Aufdringlichkeit, so mußte er doch
in sich selbst das Bewußtsein haben, daß seine Lehre in der Tat
eine Religion sei, oder deren Stelle ersetzen könne. Und so sehen
auch seine Verehrer in seinem theologisch -politischen Traktat die
kritische Überwindung der alten Weltanschauung und in der Ethik
die positive Darstellung der neuen Religion des von aller Autorität
erlösten freien Menschen.
Wir werden indessen auf Spinozas kritische Streifzüge gegen das
alte und neue Testament an diesem Orte keine Rücksicht nehmen,
auch überhaupt keine Vergleichung seiner Lehre mit dem Christen-
tume anstellen, sondern unserm bisherigen Verfahren getreu, uns auf
dem bloßen Boden der Philosophie halten.
Bei der folgenden Kritik werde ich nicht umhin können, mir
denselben zwiefachen Vorwurf zuzuziehen, welcher gegen Herbarts
Kritik des Spinoza — mit der jedoch die meinige nicht in allen
Punkten übereinstimmt — früher und aach neuerlich erhoben ist,
daß er nämlich den Spinoza für frivol erkläre und sich weniger auf
eine Beurteilung im großen und ganzen einlasse, als nur einzelne
logische Fehler kritisiere. Wenn die Frivolität darin bestand, daß
Herbart ohne vorgefaßte Ehrfurcht vor Spinoza ihm zu Leibe ging
und ihn seines Nimbus entkleidete, so kann ihm das nur zum Lobe
angerechnet werden; denn er hat damit bewiesen, daß er nicht zu
den Schwächlingen gehörte, welche unbesehens sich von den Vor-
urteilen ihres Zeitalters anstecken lassen. Was aber den andern
Vorwurf betrifft, so pflegt eine sogenannte Beurteilung eines philo-
sophischen Systems im großen und ganzen ziemlich wertlos zu sein.
Sie läuft meistens darauf hinaus, eine Weltanschauung gegen die
andere zu setzen und seinen Wert darnach zu schätzen, ob es solche
Resultate ergibt, welche dem Beurteiler wünschenswert sind oder
nicht; oder höchstens einem Systeme einen Platz in einer vorher
fertig gemachten Schablone der philosophischen Entwicklung anzu-
weisen, oder es unter den möglichen Gegensätzen, die sich von einem
oft willkürlich genug aufgegriffenem Gesichtspunkte ergeben, einzu-
gliedern. Auch die damit verwandte Art der Kritik, die darin be-
stehen soll, daß man ein System bloß darauf ansieht, ob es seinen
Grundsatz konsequent durchgeführt hat und dazu im stände gewesen
ist, kann ich nicht als zureichend anerkennen. Die Innern Inkonse-
quenzen können auch zufällige sein, indem sie auf einzelnen Denk-
fehlern des Urhebers beruhen, und werden in diesem Falle nicht
über den Wert oder Unwert der Grundgedanken entscheiden. Aller-
Ziel.
dings kann es auch Inkonsequenzen geben, welche dem Philosophen
durch die seinen Grundsätzen widersprechende Erfahrung im Physi-
schen und Ethischen abgedrungen sind; allein diese werden sich von
selbst ergeben, sobald man die einzig richtige Art der Kritik anwendet,
die Begriffe und deren Zusammenhang nach ihrer logisch richtigen
Bildung und nach ihrer durch physische und ethische Erfahrung
bedingten Notwendigkeit zu untersuchen. Ein System besteht aus
einem bestimmten Zusammenhange einzelner bestimmter Begriffe.
Es muß also untersucht werden, ob die einzelnen Begriffe richtig
bestimmt und in den ihnen gebührenden Zusammenhang gebracht
sind. Außerdem gibt es in der Metaphysik, wie der Ethik, einzelne
Begriffe, deren richtige oder unrichtige Bearbeitung über das ganze
System entscheidet. Es kann einzelne logische Fehler geben, welche
für das Ganze von wenig Belang sind, darum weil die Tragweite
derjenigen Begriffe, bei deren Bearbeitung sie vorkommen, keine
große ist. Fehler aber, welche bei den Begriffen des Seins, der Ur-
sache, der Materie, des Ich usw. gemacht werden, haben eine ungleich
größere Bedeutung für die Richtigkeit eines Systems, als die etwa
bei der Erklärung des Magnetismus, der Elektrizität, oder einer be-
stimmten Art von Gefühlen und dergl. gemacht werden. Wer daher
einer solchen Kritik, wie sie Herbart im ersten Teile seiner Meta-
physik an Spinoza geübt hat, vorwirft, sie bleibe am einzelnen kleben,
beweist in meinen Augen damit nur eine geringe Kenntnis in philo-
sophischen Dingen. Doch zur Sache!
Ziel.
Spinoza will in seiner Ethik nicht etwa ein vollständiges System
der Philosophie geben, sondern in der Tat nur seine sittlich-religiöse
Weltanschauung aufstellen und nach zwei Seiten hin begründen;
nicht nur daß sie theoretisch richtig sei, sondern auch eine genügende
Anweisung zum seligen Leben gebe, ^) also in der Tat das leiste, was
seine christlichen und jüdischen Gegner von ihren Glaubensweisen
behaupteten. In Betracht dieses Zweckes ist die Anlage des Ganzen
nicht ungeschickt zu nennen. Es wird nämlich zuerst der Begriff
Gottes gewonnen, sein Dasein bewiesen und sein Verhältnis zur
Welt bestimmt; dann der Begriff des menschlichen Geistes soweit
^) Eth. II. Ich gehe ni;nmehr dazu über, auseinander zu setzen, was aus
der "Wesenheit (essentia) Gottes, des ewigen und unendlichen "Wesens notwendig
folgen mußte. Indes beschränke ich mich auf das, was uns zur Erkenntnis der
menschlichen Seele und ihrer höchsten Glückseligkeit gleichsam an der Hand leiten
kann.
6 Spinoza.
dargelegt, um die Entstehung der Gemütsbewegungen und ihre natür-
liche Herrschaft über das menschliche Leben begreifen zu können,
und endlich dargetan, daß durch die Erkenntnis Gottes die Herr-
schaft über jene Gemütsbewegungen möglich sei und also Freiheit
und Seelenfriede gewonnen werden könne.
Um also den Wert der Weltanschauung Spinozas zu ermitteln,
wird unsere Aufmerksamkeit sowohl auf die theoretische Eichtigkeit
der Gedanken, als auf ihren religiösen Wert gerichtet sein müssen.
Zunächst wird die Grundlage des Ganzen, der Gottesbegriff, in
Frage kommen müssen. Um denselben zu gewinnen, geht Spinoza
von dem der Substanz aus, und sucht darzutun, daß es nur eine und
zwar eine absolut unendliche Substanz geben könne, welche er Gott
nennt.
Substanz und Attribut.
Unter dem Begriffe der Substanz versteht er zunächst im allge-
meinen das Seiende. Er drückt das auf seine Weise so aus, daß
die Substanz das in sich Seiende sei. Allein dies ist bloß als ein
verfehlter Ausdruck dafür anzusehen, daß die Substanz nicht in etwas
anderm ist, also in ihrem Sein nicht von anderem abhängig gedacht
werden soll; von dem eigentlichen Begriffe des Insichseins der Sub-
stanz aber macht Spinoza in seinem System keinen Gebrauch. Daß
diese Auffassung die richtige sei, sieht man aus der Erklärung des
Zusatzes, daß die Substanz durch sich begriffen werde; denn dies
soll eben nur bedeuten, daß der Begriff dessen, was Substanz ist,
nicht den Begriff einer andern Sache bedürfe, von dem er gebildet
werden müsse, i)
Hierin liegt ein richtiger Gedanke, der aber, weil er mit andern
unrichtigen Meinungen verbunden wird, zu großen Irrtümern führt.
Der Begriff dessen, was Substanz oder was absolut seiend ist, darf
allerdings nicht von anderen Begriffen abhängig gedacht werden,
denn sonst entspräche das als seiend gedachte Was. oder der Begriff,
nicht der Bedingung, daß er absolut gesetzt werden könnte. Wenn
man aber bei dieser wichtigen Erkenntnis noch der andern Meinung
ist, daß unter den inhaltlichen Begriffen, welche wir haben, solche
zu finden seien, welche dieser Bedingung entsprächen, so läuft man
Gefahr, die scheinbar unabhängigen Begriffe, d. h. die allgemeinen.
*) Etil. I^ 3. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch
sich selbst begriffen wird, d. h. das, dessen Begriff den Begriff eines andern Dinges
als Voraussetzung nicht bedarf.
Substanz und Attribut.
als das absolut Seiende oder als die Essenz der Substanz anzusehen.
Und dieser Gefahr wird man um so sicherer erliegen, wenn man
noch eine Spur von der anderen Meinung hat, als sei die logische
Abhängigkeit der Begriffe voneinander ein wirkliches Abbild der
realen Abhängigkeit der Dinge voneinander. Daraus folgt dann noch
eine andere für das System des Spinoza durchgreifende Meinung.
Sind nämlich die inhaltlichen Allgemeinbegriffe, wie z. B, Ausdehnung,
der Ausdruck dessen, was die Substanz ist, und sind sie die unab-
hängigen Begriffe, die besonderen dagegen, welche ohne jene allge-
meinen nicht gedacht werden können, die abhängigen, so scheint in
diesem Verhältnis logischer Abhängigkeit auch das reale Abhängig-
keitsverhältnis der Wirkung von ihrer Ursache enthüllt zu sein. Denn
wenn von Ursache und AYirkung die Rede ist, so muß offenbar die
Substanz in die Stelle der Ursache gesetzt werden; darum erscheint
dann das Allgemeine als das Wirkende, die besondern Begriffe, welche
ohne jenes Allgemeine nicht gedacht werden können, als die Wir-
kungen. Daraus folgt dann aber der höchst wichtige Satz, daß nur
dasjenige miteinander im Verhältnis von Ursache und Wirkung stehen
kann, in welchem ein und derselbe allgemeine Begriff vorkommt. In
allen Begriffen vom geistigen Geschehen kommt der Begriff der Aus-
dehnung nicht vor; in allen Begriffen vom körperlichen Geschehen
nicht der des Denkens, also kann es zwischen Ausdehnung und Denken
keinen ursächlichen Zusammenhang geben, oder, wie Spinoza sich
ausdrückt, ein Gedanke kann keinen Körper und ein Körper kann
keinen Gedanken bestimmen.
Auf Grund dieser Meinungen schließt Spinoza zunächst, daß
zwei Substanzen, welche verschiedene Attribute haben, nichts mit-
einander gemein haben und folglich auch nicht voneinander die
Ursache sein können. ^) Unter Attribut versteht er nämlich das Was
der Substanz, dasjenige welches ihre Essenz ausmacht, also eben
den absolut unabhängigen inhaltlichen Begriff, welcher als absolut
seiend oder als Substanz gesetzt wird. Wäre die obige Meinung,
daß das Bereich der Kausalität einer Substanz sich mit dem Um-
fange ihres Begriffs deckte, richtig, so würden diese Folgerungen
unumstößlich sein. Hiermit hat Spinoza seinen folgenden Hauptsatz,
daß keine Substanz von einer andern hervorgebracht werden kann,
von der Seite vorbereitet, daß ein solches Kausalverhältnis zwischen
Substanzen verschiedener Attribute nicht stattfinden kann. Aber es
kann auch nicht zwischen mehreren Substanzen desselben Attributs
^) a. a. 0. prop. 2. 3.
g Spinoza.
der Fall sein, denn es gibt nur eine Substanz ein und desselben
Attributs. ^)
Diesen für ihn wichtigen Satz (weil er die letzte Möglichkeit,
daß eine Substanz auf die andere wirken könne ausschließt) beweist
er dadurch, daß mehrere Substanzen desselben Attributs sich nicht
würden unterscheiden lassen, also in eine gleichsam zusammenfallen
müßten, wie ihre Begriffe logisch in ein und denselben zusammen-
fallen.
Allein das ist nur eine unvorsichtige Übertragung logischer
Verhältnisse auf das Seiende. Logisch fallen allerdings absolut gleiche
Begriffe in einen einzigen zusammen; aber wie will man denn nun
beweisen, daß diesem Einen Begriffe auch nur Ein Gegenstand ent-
sprechen könne? An einem andern Orte 2) sieht Spinoza selbst das
Richtige, indem er sagt, daß die Definition einer Sache keine be-
stimmte Anzahl der Individuen einschließe, da sie eben nur die
Natur des definierten Dings ausdrücke. Kann also aus der Definition,
d, h. bei Spinoza dem Was oder der Essenz, einer Sache nicht ge-
schlossen werden, ob sie auf einen oder mehrere reale Gegenstände
angewandt werden könne, sondern müssen darüber andere Gründe
entscheiden, so folgt eben nicht, daß es nur Eine Substanz ein und
desselben Attributs geben könne; denn daraus, daß der Begriff nur
Einer ist, folgt, nach Spinoza selbst, nicht, daß er nur auf Einen
realen Gegenstand bezogen werden dürfe. Indessen könnte man dies
nur für einen beiläufigen Irrtum halten wollen, den Spinoza zu
seinem Satze, daß keine Substanz von der andern hervorgebracht
werden könne, 3) gar nicht nötig gehabt habe. Denn hierfür brauchte
er sich in der Tat nur auf den Begriff des absolut Seienden zu be-
rufen; in welchem es ja hinlänglich klar vorliegt, daß das absolut
Seiende nicht von einem andern in seinem Sein abhängig gedacht
werden darf, weil es eben dann nicht absolut gesetzt würde.
Jener Satz jedoch dient noch weiter zu dem andern Schlüsse,
daß jede Substanz als solche notwendig als unendlich gedacht werden
müsse.*) Denn gibt es keine zweite Substanz desselben Attributs,
so gibt es auch nichts, wodurch eine Substanz eingeschränkt werden
kann, da nur Dinge gleicher Natur einander einschränken oder deter-
minieren können. Aber auch diese sogenannte Unendlichkeit der
') prop. 4. 5.
*) prop. 8. Sohol.
•') prop. 6.
■•) prop. 8.
Substanz und Attribut.
Substanz folgt schon, ohne jenen falschen Beweis, aus der oben an-
gedeuteten allgemeinen Denkweise dieses Systems; denn danach
muß das Was der Substanz als ein absolut Allgemeines und an sich
Unbestimmtes in seiner Art gedacht werden, weil ein Begriff,
welcher noch einen allgemeineren über sich hat, von diesem ab-
hängig ist, also nicht „durch sich" gedacht oder als Substanz gesetzt
werden kann.
Alle diese Voraussetzungen aber würden nicht zu dem Ziele der
Einen absolut unendlichen Substanz führen, wenn nicht noch ein
anderer Irrtum hinzukäme. Denn nach dem vorigen ist es noch
immer möglich anzunehmen, daß es mehrere Substanzen in der Wirk-
lichkeit gibt, deren jede ein verschiedenes Attribut hat, und deren
keine daher auch der anderen an ihrer Unendlichkeit Abbruch tut^
da sie einander nicht einschränken. Warum soll denn nur eine
einzige Substanz existieren?
Die Antwort liegt in dem Satze: Je mehr Realität oder Sein
eine jede Sache hat, desto mehr Attribute kommen ihr zu.^) Die
Attribute drücken nämlich eben das aus, was die Substanz ist; also
je mehr Attribute einer Sache zugeschrieben werden, desto mehr
Seiendes wird in ihr gedacht, oder desto mehr Realität besitzt sie.
Denkt man sich also eine Substanz, welche aus unendlich vielen,
d. h. aus allen möglichen Attributen besteht, so kommt ihr unend-
liche Realität zu, außer welcher es keine mehr geben kann. Folglich
kann es außer einer solchen Substanz keine andere geben, da alle
möglichen Attribute in ihr schon vereinigt sind. Aber, wird man
fragen: können denn mehrere Attribute als Eine Substanz existieren,
folgt nicht eben daraus, daß jedes Attribut absolut gedacht werden
muß, daß es wenigstens ebensoviel Substanzen gibt als Attribute?
Diese Frage ist allerdings auch dem Spinoza aufgefallen, aber er
antwortet: das folgt gar nicht, denn es ist einmal so die Natur der
Substanz, daß jedes ihrer Attribute für sich gedacht werden muß.
Es ist also weit entfernt, daß es ungereimt sei, einer Substanz mehrere
Attribute beizulegen, daß es vielmehr .lichts Klareres in der Natur
gibt, als daß jedes Ding unter irgend einem Attribute muß begriffen
werden, und daß es desto mehr Attribute hat, je mehr Realität oder
Sein ihm zukommt. 2) Aus dieser Antwort sieht man, wie weit er
davon entfernt war, den Sinn und die Bedeutung jener Frage zu
begreifen. Er sieht nicht, daß der Begriff der absoluten Setzung
^) prop. 9.
«) prop. 10. Schol.
10 Spinoza.
unfehlbar sovielmal in Anwendung kommen muß, als man absolute
Qualitäten oder Attribute setzt, daß also nicht Eine Substanz, sondern
ebensoviele Substanzen (wenigstens) gesetzt werden, als absolute
Qualitäten, daß es also ein Widerspruch ist zu sagen: man habe nur
Ein Seiendes gesetzt, während man doch Vieles gesetzt hat. Hätte
er diese einfache Wahrheit erkannt, so würde er auch sofort gesehen
haben, wie unmöglich es sei, die Realität durch Anhäufung von At-
tributen zu vermehren. So aber mit aller Welt gewohnt, der sinn-
lichen Erfahrung gemäß, Dinge mit vielen Attributen oder zusammen-
gesetzten Essenzen als seiend anzunehmen, erhebt er sich in seinem
Denken nicht über diese rohen Begriffe, sondern läßt sich noch zu
dem Wahne verleiten, als vermehre die Summe der Attribute das
Sein eines Dinges.
Beweise für das Dasein der Substanz oder Gottes.
In diesem Wahne bildet er nun ganz willkürlich den Ge-
danken der absolut unendlichen Substanz, als einer solchen, welche
aus unendlich vielen Attributen besteht, deren jedes eine ewige und
unendliche Essenz ausdrückt, i)
Für das Dasein dieser Substanz, welche er ebenso Avillkürlich
sofort Gott nennt, bringt er nun eine Reihe von Beweisen vor, von
denen einer so ungereimt ist wie der andere.
Zuerst stützt er sich auf den Satz, daß keine Substanz von
einer andern hervorgebracht werden kann; daraus soll folgen, daß
es zur Natur der Substanz gehört zu existieren, oder daß sie eine
causa sui sei, dessen Inhalt oder Wesenheit notwendig die Existenz,
das Sein in sich schließt.''^) Gehört das also zur Natur der Substanz,
so muß man auch notwendig die unendliche Substanz als existierend
denken. — Die Ungereimtheit dieses Beweises aber liegt auf der Hand.
Denn der richtige Satz, daß eine Substanz nicht von einer andern kann
hervorgebracht werden, heißt doch weiter nichts als: was man als seiend
denkt, darf seinem Sein nach nicht als abhängig gedacht werden. Dieser
Satz ist eigentlich nur eine Tautologie, welche warnen soll, das was man
als seiend denkt, nicht wider den logischen Satz der Identität als nicht
seiend zu denken, oder solche Begriffe mit dem des Seienden zu ver-
binden, welche die absolute Position aufheben würden; was allerdings
ohne große Behutsamkeit leicht geschehen kann, Avie die Geschiciite
der Philosophie sattsam bezeugt. Jener Satz sagt aber nicht, daß alles.
*) prop. 11.
*) prop. 7. Demonstrat.
Beweise für das Dasein der Substanz oder Gott. H
was ich als Substanz setze, darum auch in der Tat existiert. Man
kann also nicht schließen: weil das Seiende als seiend und nicht als
nicht seiend gedacht werden muß, so existiert dieses bestimmte Was,
welches ich als seiend setze! und doch ist der Schluß Spinozas kein
anderer als dieser absurde. Die Ungereimtheit liegt eben darin, daß
der menschliche Geist dann es in seiner Gewalt hätte zu bewirken,
was sein solle und was nicht, und er also in der Tat der Weltschöpfer
wäre, während doch etwas absolut setzen nichts anderes sein kann,
als das als seiend anerkennen, was in der Tat unabhängig von allem
Denken und -Setzen, seiend ist.
Der zweite Beweis lautet: Jedes Ding muß eine Ursache oder
einen Grund haben, sowohl weshalb es existiert, als weshalb es nicht
existiert. Wenn also kein Grund da ist, weshalb Gott nicht existiert,
-oder kein Grund, der seine Existenz aufhebt, so existiert Gott not-
wendig. Gäbe es einen solchen Grund, so müßte derselbe entweder
in der Natur Gottes oder außerhalb derselben liegen. Aber außer
der Natur Gottes kann er nicht liegen, denn dann müßte er in einer
Substanz anderer Natur liegen; diese aber hätte mit Gott nichts
gemein, also könnte sie seine Existenz weder aufheben noch setzen.
Also müßte jener Grund in der göttlichen Natur liegen; dann müßte
sie aber einen Widerspruch in sich schließen, was von dem absolut
unendlichen und vollkommensten Wesen zu behaupten ungereimt wäre.
Da also weder in noch außer Gott ein Grund sein kann, weshalb er
nicht existiert, so existiert er notwendig, i) Hier wird offenbar von
der Möglichkeit auf die Notwendigkeit geschlossen; denn das ist eben
das Mögliche, von dem man keinen Grund angeben kann, warum es
nicht sein sollte, oder das nicht Unmögliche. Sollte das Mögliche
nun notwendig sein, so müßte in seinem Begriffe ein Widerspruch
liegen, wenn es als nicht seiend gedacht würde; was offenbar unge-
reimt ist. Was aber das anbetrifft, daß es ungereimt sei, von dem
absolut unendlichen und vollkommenen Wesen zu behaupten, daß es
einen Widerspruch in sich schließe, so liegt sicherlich in der wirk-
lichen Natur des wirklichen Gottes kein Widerspruch; aber wir haben
hier nur den willkürlich gemachten Begriff einer Substanz, die aus
unendlich vielen Attributen besteht, vor uns, und von diesem Begriffe
ist es nicht etwa ungereimt, sondern nichts ist gewisser und klarer, als daß
er nicht einen, sondern mehrere Widersprüche in sich enthält. Denn
sie soll Eine Substanz sein und besteht doch aus vielem absolut Ge-
setztem, welches untereinander nichts gemein hat. Die Einheit ist
^) prop. 11. aliter.
12 Spinoza.
also nur ein gedachtes Band, welches dieses Viele zusammenhalten
soll und doch nicht kann. Die Attribute sollen ferner unendlich
viele sein; das unendlich Viele kann aber nicht absolut gesetzt wer-
den, weil der Begriff des objektiv unendlich Vielen (nicht des sub-
jektiv Unermeßlichen) die widersprechende Aufgabe enthält, eine An-
zahl zu setzen, wo jede bestimmte Anzahl verneint wird. Endlich
ist der Inhalt der dem menschlichen Verstände bekannten Attribute
dieser Substanz — die unendliche Ausdehnung und das unendliche
Denken — der Art, daß er gar keine absolute Position verträgt.
Folglich trägt dieser Begriff allerdings wegen seiner Widersprüche
den Grund in sich, weshalb er nicht existiert.
Der dritte Beweis kann eigentlich im Deutschen nicht wieder-
gegeben werden, weil durch die Übersetzung die Zweideutigkeit ver-
loren geht, auf der seine Beweiski-aft beruht: Posse non existere, so
lautet er, irapotentia est et conti'a posse existere potentia est (ut per
so notum). Das heißt eigentlich: Nicht existieren können ist Un-
möglichkeit, existieren können, ist Möglichkeit, soll aber in dem
andern Sinne genommen werden, daß Nichtexistieren Ohnmacht,
Existieren können aber Macht sei. Wenn daher, fährt Spinoza foii;,
das Existierende nui" endliche Dinge wären, so wären die endlichen
mächtiger als das absolut unendliche Ding. Also existiert entweder
nichts oder das absolut unendliche Ding existiert notwendig. Aber
wir existieren, also usw. Soll man nun noch diesen Obersatz wider-
legen, in welchem das bloß Mögliche, also nicht als seiend Gesetzte,
doch schon als existierend gedacht wird, indem ihm Macht oder
Ohnmacht beigegeben wird?
Aus diesem Satze aber leitet Spinoza noch einen vierten Beweis
her: Wenn existieren können Macht ist, so folgt, daß je mehr Realität
der Natur eines Dinges zukommt, es desto mehr Kräfte von sich hat,
um zu existieren, daß also das absolut unendliche Ding oder Gott
eine absolut unendliche Macht von sich habe, um zu existieren; der
daher absolut existiert.^) Man kann kaum wünschen, daß die Wider-
sinnigkeit der causa sui in deutlicheren Worten ausgesprochen werde,
als hier von Spinoza selbst geschieht. Das bloß Mögliche, also Nicht
seiende erhebt sich durch eigene Machtvollkommenheit in die Existenz!
Endlich deutet Spinoza in einem Briefe an Simon de Vries noch
') Eth. I. 11. Denn da existieren können Macht ist, so folgt, daß die Natur
eines Dinges in sich um so mehr Kräfte hat zu existieren, je mehr Realität ihr
zukommt. Das unbedingt, unendliche Wesen oder Gott muß denmach in sich un-
bedingt unendliche Macht (potentia) haben zu existieren und mithin unbedingt exi-
stieren.
Beweise für das Dasein der Substanz oder Gott. 13
eine andere Wendung dieses Beweises an. Je mehr Attiibute man
einem Wesen zulegt, desto mehr ist man gezwungen, demselben
Existenz zuzuschreiben, d. h. desto mehr begreift man es unter dem
Gesichtspunkte des Wahren, i)
Hier wird unbewußt die Willkür eingestanden, mit der man bei
der Büdung dieses Begriffs vom allen-ealsten Wesen verfährt; man
hat's in seiner Gewalt, einem Wesen mehr oder weniger Attribute
beizulegen. Aber je mehr Attribute man einem Dinge beilegt, desto
wahrer wird es! Das allerrealste Wesen ist also das wahrste, und
was nicht ist, ist unwahr und falsch!
Kann man es, beiläufig gesagt, Herbart verdenken, daß er un-
willig wurde, wenn er zu seiner Zeit einen solchen Denker, welcher
die handgreiflichsten Ungereimtheiten mit der größten Naivität als
mathematisch bewiesene Lehrsätze vorträgt, als den konsequentesten,
tiefsten Denker allerorten preisen hörte, dessen System die einzig
haltbare Philosophie sei?
Alle jene Beweise laufen zuletzt auf die eine Ungereimtheit
liinaus, daß man das MögHche versteckterweise schon als existierend
dachte. Deshalb glaubt man, daß das Mögliche seine Existenz ent-
weder in sich tragen könnte oder nicht, und deshalb sollte die Macht
zu existieren mit der Menge der Attribute wachsen. Erkennt man
diese Ungereimtheit, so sinkt der Gedanke einer unendlichen Sub-
stanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, zu einer völlig
grundlosen, willkürlichen und in sich selbst widersprechenden Hypo-
these hinab, welche weder in der Erfahrung noch im Denken irgend
welchen Halt hat. In der Erfahrung nicht, weü diese auf den Ge-
danken, daß das Seiende nur ein einziges sei, gar nicht hindeutet.
Diese weist vielmehr auf eine Yielheit des dem Scheine zum Grande
liegenden Seienden hin. Denn die gegebene Mannigfaltigkeit des
Scheins kann nicht aus dem absolut einfachen Einen erklärt werden.
Außerdem würde auch, selbst wenn man in Spinozas Weise denken
wollte, die Erfahrung nui* airf eine Substanz mit zwei Attributen, der
Ausdehn img und dem Denken, hinweisen; denn die andern unendlich
vielen Attribute sind durch die Erfahrung nicht im mindesten ange-
deutet. Im Denken aber hat jene Substanz ebensowenig Halt. Denn
ihr Grund liegt entweder in den oben augefiihrfen Ungereimtheiten,
oder in dem ebenso falschen Satze, daß dem absolut vollkommenen
*) Ep. 27. Je mehr Attribute ich einem Dinge zusclireibe, uni so mehr bin
ich genötigt, ihm selbst die Existenz zuzuschreiben, um so mehr begreife ich es
unter der Rücksicht (ratio) des Wahren.
14 Spinoza.
Wesen das Sein nicht fehlen dürfe, weil das Sein selbst eine Realität
sei, wie der ontologische Beweis behauptet, oder endlich in der gleich-
falls falschen Meinung, daß Bestimmtheit Negation sei. ^)
Bestimmtheit ist Verneinung.
Über diesen letzten Satz muß noch eine Bemerkung folgen.
Spinoza nimmt ihn in einem etwas andern Sinne, als die modernen
Spinozisten. Diese behaupten: Bestimmtheit ist deshalb Negation,
Aveil das Bestimmte eben deshalb, weil es dieses und nicht ein
Anderes ist,, eine Negation einschließt; nun darf aber das Seiende
nicht als ein Negatives gedacht werden, also folgt, daß nur das absolut
Unendliche das Seiende sein kann. Spinoza schreibt den Attributen
seiner Substanz einen bestimmten Inhalt zu, wie Ausdehnung und
Denken, und behauptet nicht, daß etwa die Ausdehnung deshalb ein
Endliches sei oder eine Negation einschließe, weil sie nicht zugleich
Denken oder ein anderes Attribut sei. In diesem Betracht steht er
über jenen Neueren, weil in diesem Falle, die aus der willkürlichen
Vergleichung des Einen mit dem Anderen entspringende Negation:
daß Dieses nicht Jenes sei, nicht in den Inhalt des Begriffs, als eine
ihm innewohnende Verneinung verlegt. Er behauptet vielmehr nur, daß
die Bestimmtheit deshalb Negation sei, insofern sie etwas verneint, wa&
zu dem Begriffe gehört. ^) Er denkt nämlich das Unendliche, z. ß. das
unendliche Denken, als ein Quantum, dem nichts fehlen darf. Ein einzelner
bestimmter Gedanke ist nun nicht alles Denken, sondern nur ein Teil
desselben; wenn also ein bestimmter Gedanke gesetzt wird, so wird
in ihm das übrige Quantum des Denkens nicht gesetzt oder verneint.
Die Ausdehnung aber verneint oder begrenzt deshalb nicht das Denken,
weil sie ein disparater Begriff ist, der mit dem Denken gar nichts
gemein hat. Wenn also Ausdehnung gesetzt wird, so wird dadurch
nichts von dem unendlichen Quantum des Denkens verneint, sondern
überhaupt niu- vom Denken nichts ausgesagt. Aus diesem Grunde
würde also auch die Substanz unendlich oder affirmativ bleiben, auch
Avenn es nur ein einziges Attribut gäbe. Aber gäbe es außer dieser
Substanz noch andere mit gleichen oder andern Attributen, so würde
sie nicht absolut unendlich sein, weil ihr dann fi'eiHch nichts an
ihrem Attribute, wohl aber an der Realität etwas fehlen Avürde. Denn
auch diese denkt Spinoza als ein Quantum.
*) Eth. p. I. pr. 8. Schol. Endlichsein ist in Wahrheit teilweise Verneinung.
\a. Epist. 50.
■) Epist. 41. Wiewohl z. B. die Ausdehnung den Gedanken über sich ver-
neint, ist dies doch keine UnvoUkommenheit in sich selbst.
Pantheismus. \ 5
Bei Spinoza also gründet sich der Satz, daß Detennination Ne-
gation sei, darauf, daß er die Attiibute und dann auch die EeaKtät
überhaupt als Quanta denkt, von denen in einer bestimmten einzelnen
Sache nur ein Teil gesetzt, also das übrige verneint wird.
Gegen ihn ist deshalb zu bemerken, daß weder das Sein noch
die Qualität als ein Quantum gedacht werden darf. Das Sein nicht;
denn es ist die absolute Position. Entweder ist etwas oder es ist
nicht; da gibt es keinen Komparativ, noch einen Superlativ. Die
Qualität des absolut Seienden läßt aber ebensowenig den Quantitäts-
begriff zu, denn dieser Begriff führt notwendig eine Vielheit herbei,
welche in dem absolut Seienden nicht stattfinden kann.
Man wird also von keiner Seite her auf die Annahme einer ab-
solut unendlichen Substanz geführt und sie bleibt was sie ist. eine
nichtige Hypothese.
Pantheismus.
Nachdem aber einmal dieser Begriff gesetzt war, so folgte aller-
dings notwendig, daß sie das einzige Seiende sei, außer der nichts
Seiendes zu denken ist, daß also alles was ist, nur allein die Substanz
oder Gott ist. Denn in ihrem Begriffe wird eben alles vereinigt ge-
dacht, was als seiend gesetzt werden kann. Wenn es deshalb etwas
Wirkliches gibt, welches nicht als Substanz oder Gott gedacht werden
kann, so können dieses nur die modi oder die näheren Bestimmungen
der Atti'ibute der Substanz sein ; diese sind aber natürlich nicht außer
denselben, sondern in denselben; denn sie sind eben nur die mehr
oder weniger bestimmten Weisen, wie die Substanz existiert. Diesen
modis kommt also kein eigenes Sein zu, sondern nur das der Sub-
stanz. Denn insofern sie sind, oder insofern sie etwas Positives sind,
sind sie Substanz; insofern sie besondere Weisen derselben sind, sind
sie nur Negationen. Ein bestimmter Gedanke z. B. ist etwas Positives,
insofern er ein Denken ist, aber weil er nur dieser besondere Ge-
danke ist und nicht auch zugleich alles andere mögliche Denken, ist
er nur ein bestimmter Teil des unendlichen Denkens, schließt also
eine Verneinung ein. Dieser bestimmte Teil des unendlichen Denkens
kann indes nicht für sich oder außer jenem existieren, so daß er
wäre und neben oder außer ihm nun noch das ganze Quantum des
unendlichen Denkens, sondern er ist in der Substanz; sein Sein ist
aber nicht ein absolute esse, sondern ein iuesse.
Hiermit ist der Grundgedanke des eigentlichen wissenschaftlichen
Pantheismus ausgesprochen. Das Seiende, die Substanz ist Gott, die
Weltdinge oder das Daseiende ist nur eine nähere Bestimmung Gottes.
16 Spinoza,
Beti'achtet man danach vorwiegend die Substanz oder Gott, so kann
man sagen: die Dinge sind in Gott; betrachtet man die Dinge, inso-
fern sie ein Teil der Substanz sind, also Substanz in sich haben,
kann man sagen: Gott ist in den Dingen. Und ebenso: betrachtet
man ein Ding nur, insofern es eine nähere Bestimmung der Substanz
ist, so ist es nicht die Substanz selbst, oder es ist von Gott ver-
schieden, also nicht Gott; erwägt man aber, daß jeder Teil der
Substanz selbst Substanz ist, weil er ja sonst Nichts wäre, so ist
er der Substanz nach mit Gott identisch. Hier sieht man das Hin-
und Herschillernde des Pantheismus. Der menschliche Geist z. B. ist
einerseits von Gott verschieden, also nicht Gott, denn sein Sein ist
nicht das absolute Sein der Substanz, sondern nui- ein inesse, ein
Getragen werden von der Substanz; aber insofern der menschliche
Geist dennoch ein Teil des unendlichen Denkens ist, also selbst wirk-
liches Denken ist, ist in ihm die eine Substanz oder Gott selbst, oder
er ist seinem "Wesen nach mit Gott identisch.
Bis jetzt hat Spinoza nur den allgemeinen fomialen Begriff von
Gott gewonnen, daß er die absolute Substanz sei, welche aus unend-
lich vielen Attributen besteht. Es fehlt aber für diese Attribute noch
gänzlich an Inhalt. Wie gewinnt er nun denselben? Weder der all-
gemeine Begriff der Substanz, noch der des Attributs können diesen
Inhalt angeben. Nur die Bedingung liegt in dem Begriff des Attri-
buts, daß nur solche Begriffe dazu tauglich sind, welche ohne Hilfe
anderer Begriffe gedacht werden können, also von ihnen absolut un-
abhängig sind. Denn die Attribute sind eben das Wesen der Sub-
stanz, Wie findet man nun solche Begriffe? Wenn man die logische
Natur der besondern Begriffe vor Augen hat, liegen in ihnen Allge-
meinbegriffe, ohne welche sie nicht gedacht werden können, abei'
jene allgemeinen Begriffe bedürfen zu ihrem Gedachtwerden nicht
der besonderen. Ein Dreieck ist eine durch drei Linien begrenzte
Ausdehnung. Es kann also ohne Hilfe des allgemeinen Begriffs Aus-
dehnung nicht' gedacht werden, wohl aber kann der Begriff Aus-
dehnung ohne Hilfe des Begriffs: Begrenzung durch die Linien ge-
dacht werden. Folglich sind die allgemeinen Begriffe selbständiger
als die besonderen, also können zu den Attributen nur solche Begriffe
taugen, welche gar kein genus mehr über sich haben, also nur die
xibsolut allgemeinen. Aber auch nicht alle allgemeinen, wie z. B,
Ding, Etwas u. dergl.; denn diese drücken, als rein formale, keine
Essenz aus, oder sagen nicht, was das Seiende ist. Die Attiibut-
begriffe müssen also solche sein, die sowohl absolut allgemein sind,
als auch ein wirkliches Wesen, oder das was ist, ausdrücken.
Pantheismus. 17
Sieht man nun die empirisch gegebenen Dinge an, so zerfallen
sie in zwei große Klassen, in Körper und Geister, welche unter
keinen höheren Begriff, der noch eine essentia oder ein Was aus-
drückte, zusammengefaßt werden können. Alles Körperliche aber ist
eine bestimmte Art der Ausdehnung oder des Räumlichen, alles
Geistige eine bestimmte Weise des Denkens. Der Begriff der Aus-
dehnung ist also für alles Körperliche der absolut allgemeine Begriff
und ebenso der Begriff des Denkens füi* alles Geistige. Daher er-
füllen diese beiden Begriffe die Anforderungen, welche an den
Attributsbegriff gesteht werden. Alles wirklich Gegebene fällt ent-
weder unter den einen oder den andern dieser Begriffe, sie sind also
die absolut allgemeinen, welche ohne Hilfe der besonderen Arten der
Ausdehnung und des Denkens gedacht werden können, ohne welche
aber kein besonderes gedacht werden kann. Beide Begriffe aber
können nicht uuter einen höheren subsuiniert werden, der noch eine
Essenz ausdrückte, weil keiner mit dem andern seinem Inhalte nach
etwas Gemeinschaftliches hat. Daher setzt Spinoza nun diese beiden
Begriffe, die unendliche Ausdehnung und das unendliche Denken,
als den Inhalt zweier Atti'ibute Gottes. Die übrigen aber von den
unendlich vielen Attributen Gottes sind dem menschlichen Geiste
unerkennbar, weil ihm nur diese beiden Arten von wirklichen Dingen,
Körper und Geister, gegeben sind. Daher denn auch Spinoza wohl
hinsichtlich dieser beiden Attribute eine adäquate Erkenntnis behauptet,
nicht aber eine vollkommene Erkenntnis von Gott überhaupt.
Man hat es dem Spinoza zum Vorwurfe gemacht, daß er den
Inhalt dieser beiden Attribute aus der Erfahrung nehme, da er doch
viehnehr, wenn er eine intuitive Erkenntnis Gottes behaupte, denselben
a priori ableiten müsse. AUein Spinoza versteht unter dem dritten
Grade der Erkenntnis oder der intuitiven gar nicht eine solche,
welche also a priori anschauend verfährt, und also aus intellektueller
Anschauung des Absoluten das Mannigfaltige in demselben konstruiere,
sondern sie ist ihm nur eine Erkenntnis, welche aus gegebenen Ver-
hältnissen die richtigen Folgerungen ohne weiteres erkennt, die aber,
wenn es darauf ankäme, den Beweis für die Eichtigkeit dieser ihrer
anschauenden Erkenntnis Liefern kann, obgleich sie selbst der Wahr-
heit auch ohne diesen Beweis gewiß ist. i)
') Eth. p. II. pr. 40. Schol. 2. Spinoza führt hier ein Beispiel an. um den
Unterschied seiner drei Erkenntnisarten zu unterscheiden. Es seien z. B. drei
Zahlen gegeben, um eine vierte zu finden, die sich zur dritten verhält, wie die
zweite zur ersten. Ein Kaufmann wird sich nicht bedenken und die zweite n;it
•der dritten multiplizieren und das Produkt durch die erste dividieren, und dies ent-
Religionsphilosophio; Spinoza. "
lg Spinoza.
Spinoza behauptet also nicht wie Schelling eine solche intellektuelle
Anschauung des Absoluten, welche hinsichtlich desselben eben das-
selbe leisten soll, wie die sinnliche Anschauung hinsichtlich des Sinn-
lichen. Die sinnliche Anschauung, ebenso wie die intellektuelle An-
schauung Scheilings kann nicht den Beweis liefern, daß es so ist,
was sie schaut, sie kann nur voraussetzen, daß jeder dasselbe schaut.
Die intuitive Erkenntnis Spinozas dagegen bedarf zwar für sich keiner
Demonstration, sie kann sie aber liefern. Er verfährt hier im allge-
meinen ganz so, wie jede richtige Spekulation verfahren muß. Wenn
sie den Begriff des Sein gefunden und daraus die Bedingungen ent-
wickelt hat, welche jeder Begriff erfüllen muß, um als seiend gedacht
zu werden, so muß sie sich dann an die Erfahrung wenden, um in
ihr das zu suchen, was als seiend gegeben ist. Der Fehler des Spi-
noza liegt aber darin, daß er wähnt, unter den empirischen Begriffen
solche finden zu können, welche sich als absolut seiend denken lassen,
und nicht sieht, daß seine Begriffe Denken und Ausdehnung nur
relative sind, die sich nicht absolut setzen lassen.
So ist also Spinozas Gott nicht allein eine denkende, sondern
auch eine ausgedehnte Substanz. Er fühlte auch, wie auffallend diese
letztere Bestimmung sein müsse, und sucht deshalb nachzuweisen,
daß sie der göttlichen Natur nicht unwürdig sei. Darum verneinte
er zuerst die Teilbarkeit der Ausdehnung, i) Wenn, sagt er, die
körperliche Substanz so getrennt werden könnte, daß ihre Teile realiter
unterschieden wären, warum könnte nicht ein Teil vernichtet werden,
und die übrigen, wie vorher, untereinander verbunden bleiben, und
warum müssen alle so zusammengepaßt sein, daß kein leerer Kaum
entsteht? Dazu sei, meint er, die Materie überall dieselbe und es
würden keine Teile in ihr unterschieden, als nur insofern man sie
auf verschiedene Weise modifiziert auffasse; daher würden ihre Teile
nur modaliter nicht aber realiter getrennt. Man müsse nur die
weder, weil er noch nicht vergessen hat, was er von seinem Eechenlehrer ohne
irgend welchen Beweis vernommen (dies entspricht dem ersten Grade, der Meinung
oder Imagination) oder weil er es oft bei den ganz einfachen Zahlen erfahren hat
oder auf Grund des Beweises zu Lehrsatz 19 im 7. Buch des Eukhd nämlich auf
Grund der gemeinsamen Eigenschaften der Proportional zahlen (dies entspricht dem
zweiten Grade, wo man Gemeinbegriffe und adäquate Ideen hat und daraus Erkennt-
nisse folgert). Allein bei den ganz einfachen Zahlen ist dies alles nicht nötig. Sind
z. B. die Zahlen 1, 2, 3 gegeben, so sieht jedermann, daß die 4. Proportionale 6
ist und zwar viel klarer, weil wir aus dem Verhältnis der ersten zur zweiten Zahl,
das wir auf Ein Anschauen sehen, die vierte selbst erschließen (dies ist ein Beispiel
des dritten Grades der Erkenntnis, wie oben angegeben).
') Eth. p. I. pr. 15. Schol.
Pantheismus. ]^9
Quantität nicht auffassen, wie sie in der Einbildung, sondern wie sie
im Verstände sei. Mit andern Worten, man muß den allgemeinen
Begriff der räumlichen Ausdehnung nehmen und denselben real als
die eigentliche Materie, das körperliche Seiende setzen; dann folgt
allerdings notwendig, daß die Materie unteilbar sei, denn dann faßt
man sie als realisierten Raum; dann muß sie notwendig auch überall
dieselbe sein und kann realiter nicht zertrennt werden, weil sonst
die Zwischenräume zwischen den getrennten Stücken kein Raum sein
dürften; deshalb kann endlich kein vacuum existieren, weil wo Raum,
auch Materie ist. Diese ganze Ansicht hat aber wieder nur den
alten Fehler zum Orunde, daß logische Beziehungen als reale gesetzt
werden. Der Begriff des Raumes bezieht sich logisch notwendig auf
das Seiende, da er die Möglichkeit des Zusammen- und Nicht-
zusammenseins des Realen darbietet; wird nun diese Beziehung real
genommen, so heißt das: kein Raum ist ohne Seiendes.
Ist die körperliche Substanz unteilbar, so entsteht und ver-
geht sie auch nicht wirklich, sondern ist ewig, und deshalb meint
Spinoza, sei es nicht Gottes unwürdig, ihn als körperliche Substanz
zu denken, »deshalb darf in keinem Falle gesagt werden, daß Gott
von etwas anderem leide«. Das also scheint ihm das für Gott eigent-
lich Unwürdige zu sein. Er spricht hiermit beiläufig eine Regel für
die Bildung des Gottesbegriffs aus, welcher viel Scheinbares für sich
hat, die aber konsequent dahin führen muß, in den pantheistischen
Monismus zu verfallen. Der eigentliche Sinn, weshalb man Gott als
leidensunfähig denkt, ist der, daß man ihn der Unvollkommenheit
entnehmen will ; in seinem Wollen und Handeln durch etwas anderes
gehemmt zu werden, das ist das Leiden im eigentlichen Sinne. ISTun
hat man sich aber auch namentlich in der philosophischen Sprache
gewöhnt, jede Einwirkung, die eins von einem anderen erfährt, ein
Leiden zu nennen; wonach auch schon die menschlichen Sinnes-
empfindungen ohne allen Bezug auf eine schmerzKch empfundene
Hemmung eines Strebens ein Leiden genannt werden. Wirft mau
nun jenen eigentlichen Sinn des Leidens mit diesem uneigentlichen
zusammen, so wird man es auch für Gottes unwürdig halten müssen,
in irgend einem Kausalverhältnis mit anderem zu stehen. Man wird
also den Kausalzusammenhang, welchen jede rehgiöse Ansicht zwischen
Gott und Mensch setzt, daß Gott in seinem Tun durch Rücksicht auf
den Menschen bestimmt werde, als einen bloßen Schein auffassen,
und vielmehr sagen müssen: daß Gott in seinem Verhältnis zum
Menschen nur- mit sich selbst im Verhältnis stehe, damit nur nicht
2*
20 Spinoza.
eine kausale Beziehung zAvischen Grott und solchem sei, das er nicht
selbst ist. Doch das nur beiläufig.
ISTachdem wir nun die Hauptbestimmuugen des Gottesbegriffs bei
Spinoza betrachtet haben, können wir seinen Sinn kui"z dahin zu-
sammenfassen: die Substanz ist, abgesehen von den dem Menschen
unbekannten Attiibuten, einerseits die unendliche unterschiedslose
Materie, der real gedachte Raum, worin aber an ihr selbst keine ver-
schiedene Qualitäten noch Formen gedacht werden dürfen, sie ist
also der absolute Körperstoff, der an sich selbst noch gar keine
andere Bestimmung hat, aber möglicherweise alle körperlichen Be-
stimmungen annehmen kann; auf der andern Seite ist sie das abso-
lute Denken, oder der absolute Denkstoff, welcher an sich auch
keinerlei bestimmte Gedanken enthält, aber fähig ist, alle möglichen
Denkformen anzunehmen. Gott ist also in dei- Tat weiter nichts, als
der Gedanke der Möglichkeit, daß eine Körper- und Geisteswelt exi-
stiere; und das ist der wahre Wert dieser unendlichen Substanz.
In dem Begriffe der Substanz liegt versteckterweise die Beziehung
auf das, dessen Substanz sie ist; in dem Begriffe des Stoffes die auf
die bestimmten Dinge und in dem der Möglichkeit die auf das Wirk-
Kche. Denn alle diese Begiiffe haben nur Sinn in ihrer Beziehung
auf die gegebenen wirklichen Dinge. Geht man also in seinem
Denken von jenen Begriffen aus, so entsteht die Frage, wie denn aus
dem Unbestimmten das Bestimmtwerden, oder, in Spinozas Sprache,
die Frage nach dem Grunde, aus welchem die modi der Attribute
folgen.
Wie folgt aus dem Unbestimmten das Bestimmte?
Er antwortet darauf: Aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur
muß Unendliches auf unendliche "Weise folgen, d. h. alles, was unter
einen unendlichen Yerstand fallen kann, i) Dieser Satz, meint er,
muß einem jeden offenbar sein, wenn er nur darauf achtet, daß aus
der gegebenen Definition eines jeden Dinges der Yerstand mehrere
Eigenschaften schließt, welche in der Tat aus ihr, d. h. eben aus der
Essenz des Dinges, notwendig folgen; und desto mehr, je mehr
Realität die Definition eines Dinges ausdrückt, d. h. je mehr Realität
die Essenz des definierten Dinges einschheßt. Da aber die göttliche
Natur absolut unendlich viele Attribute hat, deren jedes eine unend-
liche Essenz in ihrer Art ansdiückt, so muß also aus der Notwendig-
keit derselben Unendliches auf unendliche Weise folgen.
') Eth. p T. pr. 10. Dem.
"Wie folgt aus dem Unbestimmten das Bestimmte? 21
Gegen diesen Beweis wurde schon dem Spinoza selbst die Ein-
wendung gemacht: wenn aus einer Definition mehrere Eigenschaften
gesucht würden, so müsse man sie notwendig auf anderes beziehen;
dann gingen aus dieser Verbindung der Definition neue Eigenschaften
hervor; mau könne aber nicht einsehen, wie aus einem Attribute an
und für sich betrachtet, z. B. aus der Ausdehnung, sich eine unend-
liche Menge von Körpern ableiten lasse, i) Spinoza gibt hierauf zu,
daß man aus dem Begriffe der Ausdehnung allein die Mannigfaltig-
keit der Dinge nicht beweisen könne, daß man aber eben deshalb
die Ausdehnung definieren müsse als ein Attribut, welches ein un-
endliches und ewiges Wesen ausdrückt; und behauptet, daß man bei
realen Dingen aus der Definition viele Eigenschaften (proprio tates)
schließen könne. »Denn allein daraus, daß ich Gott definiere als ein
Wesen (ens), zu dessen Wesenheit (essentia) die Existenz gehört,
schließe ich auf mehrere seiner Eigenschaften, nämlich, daß er not-
wendig existiert, daß er einig, unveränderlich, unendlich usw. sei.« 2)
Aber möchte er noch so viele Eigenschaften aus seiner Definition
Gottes schließen, so handelt es sich hier gar nicht um dergleichen,
sondern um Modifikationen der göttlichen Substanz. Jene Eigen-
schaften, wie Ewigkeit, Unendlichkeit, Einzigkeit, sind nämlich gar
keine modi, keine näheren Bestimmungen der unendlichen Ausdehnung
und des unendlichen Denkens, sondern sind nur äußere Bestimmungen
des BegTiffs, welche aber nicht zur Essenz Gottes gehören, weshalb
auch Spinoza sie nicht unter die Attribute Gottes aufnimmt (und
hierin beiläufig viel richtiger verfährt als die gewöhnlichen Dog-
matiker, welche solche proprietates mit den Attributen durcheinander
werfen). Eben deshalb aber beweist er damit, daß aus einer Definition
dergleichen Eigenschaften folgen, gar nicht, daß auch Modifikationen
der Attribute daraus folgen. Im 65. Briefe hatte ihn jemand nach
dem gefi-agt, was Gott unmittelbar hervorgebracht habe. Spinoza
antwortet im 66.: Im Denken: die absolut unendliche Erkenntnis; in
der Ausdehnung: Bewegung und Ruhe. Hätte er nun zeigen wollen,
daß aus der Definition des Attributs der Ausdehnung unendliche
modi folgten, so hätte er also z. B. zuerst beweisen müssen, daß aus
der realen unendlichen Ausdehnung notwendig Bewegung folge, d. h.
daß der Begriff derselben einen Widerspruch in sich enthalte, wenn
sie nicht mit dem modus der Bewegung gedacht werde. Aber so
oft sich auch Spinoza auf seinen 16. Satz des ersten Teils benift,
') Epist. 71.
2) Epist. 72.
22 Spinoza.
wird man in seinen Schriften vergeblich auch nur nach dem Ansätze
zu solch einem Beweise suchen.
Und jedenfalls wäre auch ein solcher Versuch vergeblich ge-
wesen. Denn aus keiner Definition lassen sich Folgerungen ziehen,
wenn sie nicht auf einen andern Gedanken bezogen wird; und nur
nach der Yerschiedenheit solcher Gedanken oder Gesichtspunkte er-
geben sich verschiedene Folgen. Nach Spinoza ist z. B. ein Ki-eis
eine Figui", die durch die Bewegung einer an einem Ende festliegen-
den, an dem andern Ende beweglichen Linie entsteht. Wie folgt
nun aus dieser Definition, daß der Mittelpunkt gleichweit von allen
Punkten der Peripherie entfernt sei? Offenbar nur dadurch, daß ich
den in der Definition nicht unmittelbar ausgedrückten Begriff der
Entfernung herbeibringe und nach diesem Gesichtspunkte das Ver-
hältnis des Mittelpunkts zur Peripherie bestimme. Aber möchte es
dem Spinoza auch erlaubt gewesen sein, seine absolute Substanz oder
deren Attribute auf allerlei formale Begriffe, wie Zahl, Zeit, Ganzes
und Teil u. dergl., zu beziehen und daraus mancherlei Eigenschaften
zu schließen, so handelt es sich hier gar nicht, wie schon gesagt,
um solche formale Folgen, sondern, wie man aus den Corollarien zu
jenem 16. Satze sieht, um reelle Wirkungen Gottes. Denn es soll
daraus folgen: »Daß Gott die bewirkende Ursache aller Dinge ist,
die Objekt des unendlichen Verstandes sein können; daß Gott Ur-
sache durch sich selbst ist, nicht Ursache durch Zufall (per accidens);
daß Gott die unbedingt erste Ursache ist. Wie aber in aller Welt
soll denn das aus jenem Beweise folgen? Sind denn Folgen und
Wirkungen einerlei? Eine Wirkung ist doch ein reelles Geschehen,
ein reeller, von aUem Gedachtwerden unabhängiger Zustand in einem
Seienden, welcher ohne eine Ursache nicht sein würde, ohne daß
darum, d. h. wenn jene Wirkung nicht wäre, auch dasjenige Seiende,
welches als Ursache gesetzt wird, nicht wäre. Folgen aber sind Be-
stimmungen nicht eines einfachen Seienden, sondern eines Komplexes
von Verhältnissen, welche als besondere Folgen nur durch das Denken
herausgehoben werden, aber in der Tat immanente Verhältnisse sind,
ohne welche dieser Komplex gar nicht sein würde. Die Gesamtheit
der Folgen ist nur der nach allen möglichen Innern und äußern
Verhältnissen dargelegte Begriff, und in der Tat sind alle Folgen
schon mitgesetzt, sobald der Begriff gesetzt ist. Die Wirkungen eines
Dinges sind aber nicht eo ipso gesetzt, sobald\das Ding existiert.
Denn mit seiner Existenz ist es noch nicht in alle möglichen reellen
Verhältnisse zu andern. Dingen gesetzt. Es könnte ja möglicherweise
völlig isoliert existieren, dann hätte es gar keine Wirkungen.
"Wie folgt aus dem ünbestimmtea das Bestimmte V 23
Wo also sollen die Wirkungen Gottes, der einzigen Substanz,
außer welcher es nichts gibt, herkommen? Yielleicht aus den Innern
reellen Yerbältnissen der unendlich vielen Attribute? Aber obwohl
diese Attribute in ein und derselben Substanz vereinigt sind, so haben
sie eben nach Spinoza selbst nichts miteinander gemein, stehen also
miteinander in gar keinem Kausalverhältnis. Die Ausdehnung soll
nicht das Denken, und das Denken nicht die Ausdehnung bestimmen.
Die Wirkungen jedes Attributs müssen sich aus ihm allein ergeben.
Aber wo ist nun die Ursache zu finden, daß die unendliche überall
gleiche, in sich unterschiedslose Ausdehnung oder Materie sich, sei
es durch unendliche oder endliche Modifikationen, näher bestimme
und also verschiedene Formen annähme? Außer ihr ist nichts vor-
handen und in ihr selbst kann man auch keinen finden. Oder sollte
Spinoza gemeint haben, das Seiende als solches müsse notwendig
auch als ein Wirkendes gedacht werden? Man könnte das aus der
oben angeführten Äußerung vermuten, daß zwar aus dem bloßen
Begriffe der Ansdehnimg die mannigfaltigen Körper nicht geschlossen
werden könnten, daß man aber eben deshalb die Ausdehnung als
ein ewiges und unendliches Wesen definieren müsse.
Aber, wie schon oft erinnert ist, das absolute Seiende kann
und darf nicht an sich als notwendig wirkend gefaßt werden. Denn
das würde heißen: das Seiende ist ohne seine Wirkung in sich wider-
sprechend; es würde also dann nicht absolut an sich, sondern nur
in Beziehung auf seine Wirkung gesetzt. Hätte Spinoza auf diese
Weise die unendliche Tätigkeit seiner Substanz beweisen wollen, so
hätte er nachweisen müssen, daß das Wesen der Substanz in Wahr-
heit innerlich widersprechend sei, und dieser innere Widerspruch
es sei, der sie treibe, besondere Modifikationen anzunehmen. Dann
wäre er auf die Spur Hegels geraten. Aber weder dieser Yersuch,
aus dem im Wesen des einen Seienden vorhandenen Widerspruche
das Werden der besonderen Formen oder das Leben und Wirken
der Substanz zu erklären, noch ~ und noch viel weniger — die
richtige Erkenntnis, daß nicht im W'^sen des Seienden, sondern in
den unwillkürlichen Begriffen vom Gegebenen Widersprüche vor-
handen sind, welche das Triebrad der Spekulation sind, kann vom
Spinoza und seiner Zeit erwaitet werden. Dazu mußten erst die
Widersprüche in den Begriffen vom Gegebenen wieder entdeckt
werden.
Spinoza hat also gar keinen rechtmäßigen Grund, von einem
Tun und Wirken der absoluten Substanz zu reden. Denn in den
Begriffen, unter welchen er die absolute Substanz denkt, liegt gar
24 Spinoza.
keine Notwendigkeit, daß in ihr besondere Zustände oder Deter-
minationen entstehen. Freilich hat die unendliche Ausdehnung und
das unendliche Denken keinen Sinn, wenn diese Attribute nicht auf
besondere Körper und Gedanken bezogen werden. Aber diese not-
wendige Beziehung sah Spinoza nicht, und hätte er sie gesehen, so
hätte er solche ihrem Wesen nach relative Begriffe nicht für das
absolute Was des Seienden ausgeben dürfen. Er täuscht sich da-
durch, daß er meint, weil er aus seinem Begi'iffe von der Substanz
allerlei logische Denkbestimmungen folgern könne und die Substanz
unendlich sei, also imendlich viele Folgerungen aus ihrem Be-
griffe gezogen werden könnten, so würden sich auch unendlich viele
Wirkungen aus ihr ergeben. Er ist also in der gewöhnlichen Yer-
wechslung zwischen Ursache und Grund, Wirkung und Folge be-
fangen, und denkt sich in der Tat, wie wir sofort sehen werden, die
Wirkungen nach Art der logischen Folgen.
Nach diesem Ergebnis ist also die ganze nachfolgende Rede von
der Wirksamkeit Gottes oder der Substanz rein erschlichen und hat
damit an sich gar keinen wissenschaftlichen Wert. Indessen müssen
wir ihm darin noch weiter folgen, wobei dieser gänzliche Unwert sich
in immer hellerem Lichte offenbaren wird.
Da die Substanz oder Gott das einzige Seiende ist, so folgt
natürlich, daß sie auch die einzige Ursache ist, und daß sie nur
nach ihren eigenen Gesetzen und von niemand gezwungen oder deter-
miniert wirkt. Er nennt dies: Gott sei allein eine freie Ursache. i)
Aber dies Prädikat: fi'ei hat bei ihm gar keine andere Bedeutung,
als daß jeglicher Einfluß einer andern Ursache damit abgewiesen
wird. Er selbst verwahrt sich gegen die Meinung anderer, welche
Gott darum frei nennten, weil sie glaubten, Gott könne bewirken,
daß das, was in seiner Macht stände, auch nicht geschehe. Das,
meint er, sei dasselbe, als ob man sage, Gott könne bewirken, daß
aus der Natur des Dreiecks nicht folge, daß seine Winkel gleich zwei
Rechten seien. Er habe klar genug in der 16. Proposition gezeigt,
daß aus der Macht Gottes alles notwendig ausgeflossen sei, oder
immer mit derselben Notwendigkeit folge; wie aus der Natur des
Dreiecks von Ewigkeit und in alle Ewigkeit folgt, daß seine drei
Winkel gleich sind zwei Rechten. 2)
Aus diesen Aussprüchen folgt aber zunächst, daß die Tätigkeit
Gottes nicht in einem geistigen Sinne fi-ei genannt wird. Denn in
') Eth. p. I. prop. 17. Coroll.
•') Ibid. Schol.
Wie folgt aus dem Unbestimmten das Bestimmte? 25
diesem SiDiie ist nur das Tun ein freies, welches durch bewußte
Gründe bestimmt wird, und im höchsten Sinne ist es frei, wenn
diese Motive wahr und gut sind. Also ein wertvolles Prädikat ist
die Freiheit für den Spinozischen Gott nicht, sondern nur die gleich-
gültige theoretische Bestimmung, daß er allein wirke. Sodann aber
sieht man hier deutlich, wie Spinoza das Wirken Gottes eben nach
der Art notwendiger logischer Folgen denkt. Er vergleicht selbst
das Ausfließen aller Dinge aus der Macht Gottes mit der Weise, wie
aus der Natur des Dreiecks folge, daß seine Winkel = 2 R. sind.
Daraus ergibt. sich aber weiter, daß dann auch alle Wirkungen Gottes
ewig, d. h. zeitlos und unveränderlich, alle zumal und zugleich ohne
irgend einen zeitlichen Verlauf und ohne alle Veränderung vorhanden
sein müssen; wie wir schon oben darauf aufmerksam gemacht haben,
daß alle Folgen eines Begriffs eo ipso mit ihm selbst gesetzt sind,
mögen sie nun für unser Denken besonders hervorgehoben sein
oder nicht.
Hiermit zeigt sich aufs neue von einer andern Seite, daß die
wirkliche gegebene Welt nicht mit Spinozas absoluter Substanz zu-
sammenpaßt. Denn in dieser ist Veränderung, Wechsel, Succession
gegeben; in der Welt aber, welche aus Spinozas Substanz folgen
könnte, müßte alles ohne irgend welche denkbare Succession zeitlos
und unveränderlich feststehen. Damit ist alle Entwicklung, alle Ge-
schichte verneint; damit aber auch aller mögliche Widersti'eit unter
den Dingen; denn ebensowenig wie die notwendigen Folgen aus
einem wahren und vollkommenen Begriffe miteinander streiten oder
gar einander aufheben können, dürfen es auch die Folgen oder
Wirkungen jener Substanz. Wollte man aber den Spinoza damit
verteidigen, daß er selbst die Zeit unter die modi imaginandi setze,
welchen keine objektive Wahrheit zukomme, daß er also ähnlich wie
Kant das zeitliche Nacheinander bloß für eine subjektive mensch-
liche Einbildung halte, so ist auch diese subjektive Einbildung nicht
mit jener Substanz und ihren Folgen verträglich. Denn diese sub-
jektive Form ist ohne ein wirkliches, objektives Nacheinander gar
nicht denkbar. Denn wären unsere Gedanken wirklich alle ohne
Ausnahme zeitlos zumal vorhanden, folgten sie nicht wirklich nach-
einander, so w^ürde die Erscheinung des Nacheinander gar nicht vor-
handen sein. Denn wenn man auch sich dazu entschließen wollte
zu sagen, sie seien in Wirklichkeit ohne Succession vorhanden, das
Nacheinander sei nur in ihrer Apperzeption, nun so wäre doch in
dieser Apperzeption selbst ein wirkliches Nacheinander. Nun aber
müßte diese successive Apperzeption doch auch eine AVirkung der
26 Spinoza.
Substanz sein; das aber ist unmöglich. Denn wenn alle Wirkungen
Gottes zeitlos aus seiner Macht fließen, so ist eine Succession, es sei
welche sie wolle, damit gänzlich unverträglich.
Plato und Spinoza über Kausalität.
Je größer sonst der Gegensatz zwischen Plato und Spinoza ist,
um so mehr verdient es hervorgehoben zu werden, wie genau beide
übereinstimmen im Begriff der Kausalität. Beide denken hier die
logischen Folgerungen als reale Folgen, sehen die logischen Verhältnisse
unter den Gedanken für reale Yerhältnisse unter den Dingen an.i)
N"ach Plato haben die Ideen streng genommen keine Kausalität,
sie sind und bleiben sich selbst genug. Die den Ideen im Phädo
beigelegte Kausalität reduziert sich in Wahrheit auf eine logische
Unterordnung des Besondern unter das Allgemeine. Dadurch ist
etwas schön, oder groß oder zwei usw., daß sich in ihm der allge-
meine Begriff der Schönheit oder der Größe oder der Zweiheit usw.
findet. Wie und wodurch aber diese sogenannte Teilnahme geschieht,
davon redet Plato im Phädo nicht, denn er sagt mit keinem Worte,
daß sie durch eine Tätigkeit der Ideen entstehe. Da ihm aber die
allgemeinen Begriffe das wahrhaft Seiende sind, so entsteht ihm der
Schein, daß das Sein derselben die Bedingung ist, unter welcher
allein die allgemeinen Qualitäten in den besonderen Dingen enthalten
sein können : gäbe es überhaupt kein an sich Schönes oder Großes usw.,
so könnten diese Qualitäten sich auch nicht in den voi'handenen
Dingen finden.
Die späteren Platoniker liielten zwar die Realität der allgemeinen
Begriffe fest, aber nicht den strengen Begriff des wahrhaft Seienden,
in welchem weder ein Tun noch Leiden enthalten ist, sondern
meinten, das Seiende ohne weiteres als ein Wirkendes setzen zu
müssen, zumal Plato in seinen Meinungen über die Idee des Guten
ebenso verfahren war, und es dem nicht tiefer N'achdenkenden über-
haupt scheint, daß von dem, was der gemeine Yerstand als seiend
setzt, Wirkungen auf anderes auszugehen scheinen. Da nun das
Yerhältnis des Allgemeinen zum Besonderen ein logisches ist, so
werden in dieser Ansicht die logischen Folgen unwillkürlich reale
Folgen oder Verui'sachuugen, indem man von dem Realen auf die
Erscheinungen wie vom Allgemeinen auf das Besondere zu schließen
versuchte. ^
1) Über den Begriff der Kausalität bei Plato und Spinoza. lu Zeitschrift für
exakte Philosophie XIX. 304.
Plato und Spinoza über Kausalität. 27
Kein bekannter Philosoph hat diese Ansicht so deutlich und
konsequent durchgeführt als Spinoza. In seinem tractatus de intel-
lectus emendatione sagt er: die ewigen Dinge, welche von Natur alle
zugleich und die wahrhaften Bedingungen der veränderlichen sind,
sind in Wahrheit singulare Dinge, aber wegen ihrer Allgegenwart
und weithin sich erstreckenden Macht verhalten sie sich für uns wie
üniversalien ; und ferner: die Ideen (Gedanken, Begriffe), welche
eine Unendlichkeit ausdrücken, bildet der Verstand absolut, die be-
stimmten aber bildet er aus diesen. Was also der gewöhnliche Ver-
stand, welchen Spinoza emendieren wül, für bloße Allgemeiubegriffe
hält, das sind ihm evnge (d. h. zeitlose) Dinge und als solche singu-
lare, da das, was man als seiend ansieht, überhaupt einzelne Dinge
sind. Aus diesen unendlichen (d. h. unbestimmten) Dingen büdet
der Verstand die bestimmten, also die besonderen Dinge, wie es ja
in der logischen Determination geschieht. Die Allgegenwart und die
sich weithin ersti'eckende Macht ist die Übersetzung logischer Ver-
hältnisse ins Reale, die Allgemein - Begriffe sind in den Besonderen
als ihre Merkmale enthalten, also in ihnen gegenwärtig, und die
Macht jener ist der Umfang der allgemeinen Begriffe. Je größer
dieser ist, desto größer ist jene Macht, und mit der Macht auch die
Realität des allgemeinen Begriffes. Derjenige Begriff, in dessen Um-
fange alle besonderen Begriffe hegen, ist also der absolut mächtige
und vollkommene. Diesen Begriff findet Spinoza in der einen un-
endlichen Substanz, welche er Gott nennt: deus est omne esse, sine
quo datur non esse. (Gott ist alles Sein, ohne den es kein Sein gibt.)
Dieser ist daher auch die alleinige Ursache der Welt der vorhandenen
bestimmten oder besonderen Dinge. Diese sind nur Modifikationen
jener Substanz, also nähere Bestimmungen des allgemeinsten Begriffs,
welcher in ihnen allen enthalten ist. Daher ist der Gott allen Dingen
immanent. jSTun hält Spinoza jedoch nicht alle möglichen AUgemein-
begriöe für real, sondern nur diejenigen, welche eine Qualität der
vorhandenen Dinge ausdrücken. Von diesen sind ihm die allge-
meinsten die Ausdehnung und das Denken, welche daher auch die
beiden uns allein bekannten Attribute der einen Substanz sind.
Daß die Metaphysik Spinozas in Wahrheit nur den Wert einer
logischen von oben herabsteigenden Klassifikation hat, zeigt sich be-
sonders deutlich in seinen Bestimmungen über die Kausalität. Die
Kenntnis der Wirkungen hängt von der Kenntnis der Ursachen ab.
Dasjenige, was nichts miteinander gemein hat, kann nicht durch-
einander erkannt werden. Daher muß der Begriff der Ursache immer
in dem der Wirkung enthalten sein. Diese Gesetze sind für eine
28 Spinoza.
logische Klassifikation vollkommen richtig; ein besonderer Begriff
kann nur einem solchen allgemeinen untergeordnet werden, der in
ihm als Merkmal zu finden ist. Da Spinoza aber diese logischen
Gesetze auf das Reale anwendet, so bedeutet die Überordnung eines
Begriffs soviel wie seine Kausalität und der untergeordnete ist dessen
Wirkung. Daraus folgt konsequent, daß die Ausdehnung und das
Denken nicht aufeinander wirken können, weil in ihnen kein gemein-
sames Merkmal enthalten ist. Aus dem logischen Satze, daß, jemehr
ein Begriff allgemein ist, desto größer sein Umfang ist, folgt ins
Reale übersetzt, daß der größere Umfang eine größere Macht be-
deutet; je kleiner sein Umfang aber ist, desto kleiner ist diese. Da-
her sollen die ersten Produktionen der unendlichen Substanz voll-
kommener d. h. mächtiger sein, als die nachfolgenden, wie man ja
auch in der vom Allgemeinsten beginnenden Klassifikation zu immer
mehr Besonderem herabsteigt. Da endlich eine solche bloß logische
Unterordnung nur zeigen kann, daß ein besonderer Begriff unter
einen allgemeinen fällt, nicht aber woher ihm die Merkmale kommen^
die in dem allgemeinen nicht enthalten sind, weil das ihr Greschäft
nicht ist, da sie bloß die vorhandenen Begriffe ordnen will, so kann
Spinoza nicht sagen, und sagt es auch nicht, woher es überhaupt
kommt, daß in der unendlichen Substanz solche besondere Deter-
minationen derselben vorhanden sind. Daher kümmert er sich auch
nicht um einen Beweis, daß z. B. die obersten Modifikationen des
Attributs der Ausdehnung Ruhe und Bewegung und die des Denkens
Verstand, Wille sind, sondern er nimmt diese, wie alle andern Modi-
fikationen einfach aus der Erfahrung auf.
Es ist mir schon längst auffällig gewesen, daß Herbart in seiner
sonst so lehrreichen Kritik Spinozas (Met. 1, § 40 ff.) diese Über-
setzung des Logischen ins Metaphysische nicht berührt hat, obgleich
er diesen Fehler der früheren Metaphysik neben den übrigen sehr
wohl kennt und ihn auch (1. c. S. 81), aber fi-eilich nur in einer An-
merkung anführt. Hätte er Spinoza unter diesem Gesichtspunkte
betrachtet, so würden manche seiner kritischen Bemerkungen meiner
Ansicht nach eine andere Gestalt bekommen haben.
So findet er in dem Satze, daß zwei Substanzen nichts gemein
haben, wenn ihre Attribute verschieden sind, eine gefährliche Zwei-
deutigkeit. Nichts gemein haben, könne bedeuten, unähnlich sein,
aber auch, daß dadurch alle Gemeinschaft und Wechselwirkung aus-
geschlossen würde, und er sieht darin eine Mißdeutung jenes Satzes,
daß Spinoza dieses letztere daraus schließt (§ 48, Anm. 2). Allein
dieser mißdeutet hier nichts, sondern wendet die logische Regel, daß
Plato und Spinoza über Kausalität. 29
der allgemeinere Begriff in jedem ihm untergeordneten Begriffe ent-
halten sein muß, auf das Reale an. Weil das Allgemeine für ihn
das Reale ist, und die ihm untergeordneten Begriffe dessen Wir-
kungen sind, so versteht sich ihm von selbst, daß zwei Substanzen
oder auch deren Attribute, welche keinen gemeinsamen Begriff als
ihr Merkmal haben, auch nicht aufeinander wirken können. Auf
dieser Übersetzung des Logischen in das Metaphysische beruht eben
die das ganze System Spinozas charakterisierende Annahme, daß die
beiden Attribute der Substanz Ausdehnung und Denken, weil sie
keinen gemeinsamen Begriff miteinander haben, weder sie selbst,
noch ihre Folgen oder Wirkungen aufeinander wirken können. Weder
das Ausgedehnte, die Körper, noch das Denkende, die Geister, stehen
miteinander in Wechselwirkung, sondern nur in einem angeblichen
Parallelismus, weil Ausdehnung und Denken die Attribute der einen
Substanz sind.
Einen anderen Satz: diejenige Wirkung ist die vollkommenste,
welche unmittelbar von Gott ausgeht, jemehr Mittelursachen aber
nötig sind, desto unvollkommener ist das Bewirkte, leitet Herbart
davon ab, daß dem Spinoza der Versuch, alle Wertbestimmungeu zu
verbannen, mißlungen sei. Hätte er die Konsequenz seiner Lehre
aushalten können, so hätte er die letzten Wirkungen Gottes als
ebenso natürlich anerkennen müssen, wie die ersten, und er würde
begriffen haben, daß man die Natur niemals als müde und matt dar-
stellen müsse; aber er hätte nicht begriffen, daß nach seiner Lehre
alles, was ist, auf gleiche Weise ohne irgend eine Verminderung, in
Gott, mithin göttlich sein müsse (1. c). — Allein jener angegriffene
Satz folgt mit Notwendigkeit aus der richtig verstandenen Lehre
Spinozas und keineswegs aus der von Herbart angenommenen Quelle,
sondern aus dem ins Reale übersetzten logischen Satze, daß, je all-
gemeiner die Begriffe sind, desto größeren Umfang, und je weniger
allgemein, desto kleineren Umfang sie haben. Sieht man nun in
dem logischen Umfange eine wirkliche Macht, deren Größe sich nach
der des Umfangs richtet, so folgt jener Satz notwendig. Denn in
der logischen Determination, welche von dem Allgemeinsten beginnt,
folgen zuerst die Begriffe, welche einen größeren Umfang haben,
und dann stufenweise die von immer kleinerem Umfange. Hätte
Herbart jenen Satz unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, so hätte
er die Konsequenz desselben anerkennen müssen, und brauchte sich
nicht zu dem Vorwurfe zu versteigen, daß Spinoza nicht begriffen
habe, daß nach seiner Lehre alles, was ist, ohne Verminderung in
Gott, mithin göttlich sein müsse. Denn dieses letztere hat Spinoza
'^Q Spinoza.
nie geleugnet, wenn auch nicht alles eine gleiche Portion des gött-
lichen Wesens ist. Herbart ist hier nur darin in seinem vollen
Rechte, es zu tadeln, daß in einer rein theoretischen Wissenschaft
der Wert eines Dinges nach der Größe seiner Macht bemessen wird,
zumal wenn unter dieser Macht in Wahrheit nur der logische Um-
fang verstanden werden muß.
Ebendaselbst bemerkt er: Wenn die Substanz sich in unendlich
vielen Gestalten zeigen, unzählige Modifikationen annehmen muß, so
verrät sie, daß einfaches ursprüngliches Sein ihr nicht genügt; daß
vielmehr etwas hinzukommen und werden und wechseln muß, damit
das vorgebliche Sein durch ein Geschehen ergänzt werde. — Allein
so ausgedrückt sind das dem Spinoza ganz fremdartige Gedanken,
wenn auch der wahre Grund für das Folgen unendlich vieler Modi-
fikationen darin sich dunkel ausgedrückt findet. Der von Spinoza
selbst vorgebrachte Beweis ist allerdings nichtig. Er sagt nämlich,
deshalb folge aus der Substanz Unendliches, weil der Verstand aus
der Definition jedes Dinges viele Eigenschaften schließe, die aus der
Essenz desselben notwendig folgen. Damit ist indessen nicht be-
wiesen, daß viele Dinge aus derselben folgen. Aus der Natur des
Dreiecks folgt allerdings, daß seine drei Winkel = 2 K sind, aber
es folgt nicht aus der Substanz, daß es Dreiecke gibt. Der eigent-
liche Grund, weshalb die Substanz Folgen haben muß, liegt darin,
daß die allgemeinen Begriffe nur unter der Bedingung allgemein sind,
daß sie untergeordnete Begriffe haben. Daher muß das real gesetzte
Allgemeine notwendig Ursache und zwar eine immanente sein, d. h.
der Begriff muß in allen ihren Wirkungen als Merkmal enthalten sein.
In Bezug auf die immanente Ursache sagt Herbart, bei Leibniz
und Spinoza liege der Grund der prästabilierten Harmonie zwischen
den Dingen und ihren Vorstellungen in der Absicht, die causa tran-
siens zu vermeiden (1. c. § 56). Bei Leibniz ist diese Absicht offen-
bar; denn er hat den Widerspruch, welcher in dem Begriffe des in-
fluxus physicus liegt, erkannt. Hätte Spinoza denselben Grund dafür
gehabt, so würde er als Philosoph einen viel höheren Rang einnehmen,
als ihm zukommt; aber es findet sich bei ihm keine Spur dieser Ab-
sicht. Der Grund, daß bei ihm Gott oder die Substanz nur eine
immanente Ursache sein kann, liegt darin, daß sie außerhalb nicht
wirken kann, weil außerhalb derselben nichts existiert; und in einem
etwas anderen Grunde, weil der Begriff dessen, was als Ursache
gelten soll, in der Wirkung enthalten sein muß. Dies gilt jedoch bei
ihm nur hinsichtlich der ewigen Dinge. Denn unter den besonderen
Begriffen, welche denselben allgemeinen Begriff enthalten, läßt er die
Plato und Spinoza über Kausalität. 31
causa externa zu. Denn diese determinieren einander, ja sie erhalten
durch diese gegenseitige Determination ihre Existenz. Jedes einzehie
Ding, welches eine endliche und bestimmte Existenz hat, kann nur
durch eine andere auch endliche und bestimmte Ursache zum
Existieren und Handeln determiniert werden, und diese wiederum
durch eine eben solche und so fort ins Unendliche. Freilich ist jedes
Ding zum Existieren und Wirken von Gott determiniert; aber was
eine endliche und bestimmte Existenz hat, konnte nicht von der ab-
soluten Natur eines Attributes Gottes hervorgebracht werden, weil es
dann ewig und unendlich wäre; sondern es konnte nur aus einem
Attribute Gottes folgen, insofern dieses durch eine endliche und be-
stimmte Modifikation modifiziert ist. — Hier findet sich also gar
keine Ähnlichkeit zwischen Leibniz und Spinoza, weder in dem
Grunde noch in den Folgen.
Vergleicht man Plato und Spinoza, so stimmen beide allerdings
in der Annahme, daß das Allgemeine real ist, überein, aber der
Grund derselben ist bei ihnen durchaus verschieden. Plato sucht das
absolut Seiende, um die Widersprüche die im absolut Werdenden
liegen, zu vermeiden und weil er der Meinung ist, daß die wahre
Qualität desselben erkennbar sei, kann er unter den gegebenen Vor-
stellungen keine anderen finden, welche jene Qualität ausdrücken,
als die allgemeinen Begriffe, da diese unwandelbar ewig dieselben
sind. Spinoza dagegen hat zu dieser Annahme keinen weiteren Grund
als den hergebrachten scholastischen Realismus. Jener setzt ferner
nicht ein einziges Seiende, sondern viele, weil viele allgemeine Be-
griffe vorhanden sind, dieser setzt dagegen nur ein Seiendes. Jener
setzt in seinem Wissen die Seienden nicht als wahrhaft bewirkende
Ursachen, sondern nur insofern sie die Bedingungen sind, daß in
den einzelnen gegebenen Dingen die Qualitäten der seienden Ideen
sich finden, ohne aber die dies bewirkenden Ursachen anzugeben,
weil er sie nicht begreifen kann. Erst in seinen Meinungen läßt er
die Idee des Guten als eine wirkende Ursache hervortreten, die aber
im Grunde nicht alles ohne Ausnahme wirkt, sondern nur das, was
richtig und schön ist. Denn das Gute wirkt notwendig nur das, was
seiner Natur entspricht. In diesem letzteren Gedanken kommt er mit
Spinoza zusammen, dessen Substanz oder Gott auch nur nach der
Notwendigkeit seiner Natur handelt, nicht aber aus Einsicht und mit
Willen, da Verstand und Wille nicht zur natura naturans, sondern
zur natura naturata gehören. Spinoza ist in dieser Hinsicht kon-
sequenter als Plato, da nach diesem im Timäus der gute Gott in be-
wußter Absicht die Welt so vollkommen als möglich schafft. Diese Ein-
32 Si)iuoza.
scbränkung setzt er, weil er außer dem wirkenden Gott noch eine
Materie kennt, — welche notwendig an der Herstellung des voll-
kommenen Guten hindert, während Spinoza konsequent die Ausdehnung
als ein Attribut Gottes setzt. In der Konsequenz der Ansicht mag
also dieser jenem überlegen sein. Dagegen ist Plato von dem me-
taphysischen Grundfehler Spinozas frei, welcher Grade des Seins je
nach der größeren oder kleineren Macht der Dinge annimmt, die
Plato in seinem Wissen nicht kennt. Und hierin, daß Plato den
richtigen Begriff des Seienden festhält, und nicht wie seine Nach-
folger das Seiende ohne weiteres als verursachend und wirkend setzt,
liegt seine große Überlegenheit gegen Spinoza und die übrigen,
welche die Begriffe des Seins und Geschehens zusammenwerfen, und
eben deshalb das Seiende als ein absolut Werdendes setzen, und
diesen ünbegriff, gegen welchen Plato seine Ideenlehre erfand, sogar
wider seine deutlichen Worte ihm wieder in die Schuhe schieben.
Der größte Unterschied endlich zwischen beiden liegt darin, daß
Plato eine absichtlich wirkende causa finalis kennt, wogegen Spinoza
die vorhandenen Dinge nur durch eine blind wirkende causa efficiens
entstehen läßt. —
Dieser Gegensatz gegen Plato zeigt sich besonders im folgenden.
Gott und Welt.
Es handelt sich hierbei besonders um die bei Spinoza auf die
Freiheit Gottes folgende Lehre von dessen Immanenz.^) Denn alles,
was ist, ist in Gott und muß durch Gott begriffen werden und außer-
halb Gottes existiert keine Substanz, die außer ihm in sich selbst
sei. Da nämlich nach Spinoza der Begriff der Wirkung den der Ur-
sache einschließt, so muß in allen Begriffen von den Dingen der
Begriff Gottes, d. h. eines oder mehrerer seiner Attribute sich finden.
Gott unter dem Attribut der Ausdehnung gedacht oder die ausge-
dehnte Substanz ist also in allen Körpern, wie der Begriff des
Denkens in allem geistigen Geschehen; oder was dasselbe ist: Jeder
Körper ist ein bestimmtes Quantum der unendlichen Ausdehnung und
jeder Gedanke ein bestimmtes Quantum des unendlichen Denkens.
Die Substanz existiert also nicht außer und neben den wirklichen
Körpern und Geistern, und diese nicht außer der Substanz, sondern
sie selbst sind die Substanz, und die Substanz ist diese Körper und
Geister, insofern sie nämlich als auf eine bestimmte Art und Weise
') propr. 18. Gott ist die ininiauente aber nicht die transieiite Ursache aller
Diuge.
Gott und Welt. 33
determiniert gedacht wird. Dasselbe wird nun mit andern Worten
gelehrt, wenn es heißt, Gott sei nicht nur die wirkende Ursache der
Existenz der Dinge, sondern auch ihrer Essenz, weil die Essenz der
Dinge nicht ohne Gott begriffen werden kann, also der Begriff Gottes
in ihrer Essenz enthalten ist. Daraus folgt dann, daß die Dinge
nichts sind als die Affektionen der Attribute Gottes, oder modi, durch
welche die Attribute] auf eine bestimmte und begrenzte Weise aus-
gedrückt werden.^) Dies also ist der eigentliche und wahre Sinn
der Immanenz Gottes in der Welt. 2)
Man sieht leicht, daß wenn einmal eine absolute Substanz, außer
welcher nichts ist und sein kann, und wenn einmal eine Welt end-
licher Dinge gegeben ist, auch die Annahme notwendig wird, daß
der Substanz allein das Sein im wahren und eigentlichen Sinne zu-
kommt, und daß die einzelnen Dinge nur bestimmte Weisen der
Substanz sein können, in denen sie existiert.
Allein hier erhebt sich die Frage wieder, wie folgen nun die
endlichen Dinge aus der Substanz? denn aus ihr müssen sie doch
folgen, wenn Gott ihre Ursache sein soll.
Die bisher betrachteten Äußerungen des Spinoza über seine ab-
solute Substanz: daß sie die immanente und alleinige wirkende Ursache
sowohl der Essenz als der Existenz aller Dinge sei, zeigen nur soviel,
daß, wenn einmal endliche Dinge gegeben sind und wenn man ein-
mal eine absolute Substanz angenommen hat, auch die Annahme not-
wendig ist, daß der Substanz allein das Sein zukommt und daß die
einzelnen Dinge nur bestimmte Weisen sein können, wie die Substanz
existiert. Allein mit dem allen ist die Frage noch nicht beantwortet:
wie denn die absolute Substanz dazu komme, in solchen endlichen
und bestimmten Weisen zu existieren, oder wie aus den unendlichen
^) propr. 25 und Coroll.
') Gegenwärtig rühmen sich viele christlichen Theologen der Erkenntnis, daß
"Gott der "Welt immanent sei ; aber schwerlich werden sie den obigen Begriff beibehalten
haben. Man meint eigentlich nur, daß Gott stetig in der Welt wirke, — was mau
früher einfacher und richtiger die Aligegenwart nannte, — schmückt aber diese
alte Lehre mit dem neuen Namen der Immanenz. Denn dieser Begriff hatte in
den Zeiten, als der moderne Spinozismus unter der Herrschaft Schellings und Hegels
blühte, und man durch deren Lehren den christlichen Glauben in eine wissenschaft-
liche Erkenntnis verwandeln zu können wähnte, einen bedeutenden Nimbus erlangt,
so daß es noch jetzt wohllautet, davon zu reden, und den Schein einer tiefern Er-
kenntnis und höherer Wissenschaftlichkeit gewährt. Andere, welche die Danaer-
geschenke des Spinozismus verschmähen, jnüssen sich deshalb den Namen Deisteu
gefallen lassen. Über die Immanenz Gottes vgl. 0. Flügel, Zur Philosophie des
Christentums. 1899. S. 73.
Religionsphilosophie: Spinoza. 3
34 Spinoza.
Attributen Gottes die endlichen Dinge folgen? Auf die Beantwortung
dieser Frage muß man aber um so gespannter sein, als Spinoza aus-
drücklich gelehrt hat, daß aus der absoluten Natur eines Attributs
nur Ewiges und Unendliches folgen kann, i)
Auf diese Frage aber wird man in allen Schriften Spinozas keine
andere Antwort finden, als welche die berühmte 28. Proposition des
ersten Teils seiner Ethik enthält: Jedes Einzelne oder jedes Ding,
das endlich ist und eine bestimmte Existenz hat, kann nur existieren
und zum Wirken bestimmt werden, wenn eine andere Ursache es
zum Existieren und Wirken bestimmt, die gleichfalls endlich ist und
eine bestimmte Dauer hat; und diese Ursache wiederum kann auch
nur existieren und zum Wirken bestimmt werden, wenn eine andere,
die gleichfalls endlich ist und eine bestimmte Dauer hat, sie zum
Existieren und Wirken bestimmt, und so weiter ins Unendliche.
Aber ist denn das eine Antwort? Wenn es in dem Beweise
dieses Satzes heißt: „Was zum Existieren und Wirken determiniert
ist, ist von Gott so determiniert; aber das Endliche konnte von der
absoluten Natur eines Attributes Gottes nicht hervorgebracht werden
— weil daraus nur Unendliches und Ewiges folgen kann — ; es
mußte aus einem Attribute Gottes folgen, insofern dieses Attribut
durch eine Modifikation, welche eine endliche und determinierte
Existenz hat, modifiziert war. Diese Ursache aber, oder dieser modus,
mußte wiederum aus demselben Grunde von einem andern endlichen
modus determiniert werden, und dieser letzte wiederum von einem
andern endlichen und sofort ins Unendliche", — so ist dieser Beweis
vollkommen richtig, wenn bewiesen werden sollte, daß die unendliche
Substanz gar nicht als auf endliche Weise modifiziert gedacht werden
dürfe, denn aus der absoluten Natur der unendlichen Substanz folgen
die endlichen Dinge nicht ; eine andere Ursache derselben aber kann
es nicht geben; denn diese müßte in einer andern Substanz außer
jener liegen; eine solche aber gibt es nicht, da die absolute Substanz
allein existiert. Also kann diese gar nicht endlich modifiziert sein,
und es kann gar keine endliche Dinge geben, d. h. das Gegebensein
der endlichen Dinge und die Annahme jener absoluten Substanz sind
absolut unvereinbar. Dasselbe Resultat ergibt sich, wenn man darauf
achtet, daß die Existenz der endlichen Dinge einen progressus in
infinitum (Fortschritt ins Unendliche) von Ursachen in aufsteigender
Linie voraussetzt. Einen solchen progressus aber setzen oder sagen:
es gibt gar keine solche Ursachen und solche Wirkungen, ist völlig
') Eth. p. ]. Prop. 21.
Gott und Welt. 35
dasselbe. Denn jede dieser Wirkungen existiert nur, insofern die
vorhergehende existiert; nun kommt man aber in einer unendlichen
Keihe niemals zu der letzten und eigentlichen Ursache, welche die
ganze Reihe determiniert; fehlt aber die letzte Ursache, so fehlen
auch alle Wirkungen, i)
Spinoza gesteht also im Grunde selbst ein, daß gar keine Möglich-
keit da ist, zu begreifen, wie die endlichen Dinge aus der Substanz
gefolgt sein können ; daß also hier eine unausfüllbare Kluft in seinem
Systeme vorhanden ist. Und diese allein reicht schon hin, um es
gänzlich unbrauchbar zu machen. Aber er scheint diese Kluft gar
nicht gesehen, sondern sich dabei beruhigt zu haben, daß, da auf der
einen Seite die endlichen Dinge vorhanden sind, und auf der andern
die Eine absolute Substanz notwendig (nach seiner Meinung) an-
genommen werden muß, auch die endlichen Dinge auf irgend eine
Weise aus ihr folgen müssen, da er ja bewiesen zu haben glaubte,
daß aus der unendlichen Substanz Unendliches auf unendliche Weise
folgen müsse.
Vielleicht möchte man zur Entschuldigung des Spinoza darauf
hinweisen wollen, daß er sich doch hier nur mit aller menschlichen
Wissenschaft in demselben Falle befinde. Denn noch niemand hat
die Schöpfung der Welt begreifen können. Allein der Eali liegt doch
bei Spinoza ganz anders. Wenn etwa eine theistische Religions-
^) Man könnte sich vielleicht versucht fühlen, hiergegen einzuwenden: dieser
Beweis des Spinoza sei nur darin ungeschickt, daß er sich auf eine unendliche Eeihe
voneinander voraussetzenden Ursachen und Wirkungen einlasse. Seine eigentliche
Meinung sei doch vielmehr, daß alle Determinationen gleichsam mit einem Schlage
vorhanden seien; wenn man aber alle zumal setze, so habe man nicht nötig, die
eine gleichsam auf die andere warten zu lassen, weil sich nun alle zumal gegenseitig
determinieren. Auf diese Weise sucht z. B. Lotze (Mikrokosm. Bd. 3, S. 468) dem
Einwände gegen seine ähnliche Ansicht auszuweichen, daß nämlich, wenn das Sein
jedes Dinges das Sein des anderen voraussetzt, keins sein kann, ehe sein Fundament,
das andere, ist. Er meint: waram denn die weltschaffende Macht so einarmig sein
müsse, um immer nur ein Element auf einmal zu setzen? Hiermit will er offenbar
andeuten, jener Einwurf werde verschwinden, wenn man nur denke, daß jene ein-
ander voraussetzenden Dinge alle auf einmal und zugleich vorhanden seien. Allein
diese Ausflucht ist nur scheinbar. Denn man setzt dann unvermerkt die Dinge
jedes selbständig an sich ohne eine Beziehung auf die andern, und vergißt dabei
seine eigene Behauptung, daß das Was eines jeden Dinges nur in den Beziehungen
zu den andern bestehen soll. Sollen sich endliche Dinge einander determinieren,
so müssen sie notwendig an sich etwas sein, ohne diese gegenseitige Determinationen,
denn sonst ist nichts da, das sich determiniert. Setzt man das Was der Dinge nur
in die gegenseitigen Beziehungen, so setzt man notwendig Beziehungen ohne Be-
zogenes und versucht das Sein aus dem Nichts zu weben. Über Lotze vgl. Zeit-
schrift für exakte Philosophie VIII, 36.
3*
3ß Spinoza.
Philosophie bekennt, die Schöpfung der Welt durch Gott nicht zu be-
greifen, so wird sie, wenn sie irgend besonnen ist, schwerlich damit
sagen wollen : Ich habe eine adäquate Erkenntnis von Gott und dieser
mein adäquater Begriff Gottes enthält die Unmöglichkeit, daß Gott
die Welt geschaffen habe; vielmehr wird sie bekennen, daß sie gar
nicht die Mittel hat, vom Wesen und Wirken Gottes einen so exakten
Begriff zu erlangen, um in deutlicher Erkenntnis das Wie der Schöpfung
einsehen zu können; sie wird also diese Unmöglichkeit in der für
alle Menschen gemeinsamen subjektiven Dunkelheit der Gotteserkenntnis
finden. Spinoza dagegen behauptet einen adäquaten Begriff von Gott
zu haben, und dieser exakte Begriff ist es eben selbst, welcher ver-
bietet, die Welt des Endlichen zu setzen.
Ebenso nichtssagend würde die andere Ausflucht sein, daß alle
die endlichen Bestimmungen, durch welche die Dinge diese und keine
andern sind, ja nur Negationen seien, von denen natürlich das Posi-
tive (die Substanz) die Ursache nicht sein könne. Denn damit sagt
man eben selbst, daß es unmöglich sei, zu begreifen, wie die positive
Substanz dazu komme, mit allerlei Negationen behaftet zu sein. Die
Meinung aber, als ob bloß der menschliche Verstand, also eine be-
schränkte Erkenntnis, diese Negationen schaffe, daß eine vollkommene
Erkenntnis dagegen nur das Positive schauen würde, ist nicht allein
dem Spinoza völlig fremd, der die endlichen Dinge unabhängig vom
menschlichen Verstände wirklich existieren läßt; sondern vergißt auch,
daß diese endliche, abstrakte Erkenntnis, die selbst eine Negation ist,
doch auch in der absoluten Substanz vorgehen muß, und also immer
die Frage übrig bleibt: woher die Negationen in dem absolut Posi-
tiven?
Die letzte Schuld dieses Mißgeschicks, welches hier den Spinoza
trifft, liegt an seinem Kausalbegriffe, welcher, wie gezeigt ist, weiter
nichts ist, als das als real gedachte logische Verhältnis der Über- und
Unterordnung der Begriffe. Das Allgemeine wird als Ursache, das
Besondere als Wirkung angesehen. Nun aber liegt das Spezifische
des Besonderen nicht in dem Allgemeinen, also kann es auch nicht
aus ihm folgen. Das hätte Spinoza -mit nur einiger Aufmerksamkeit
schon selbst sehen müssen; da es aus seinem eigenen Axiom, daß
die Wirkung den Begriff der Ursache in sich schließen müsse, un-
mittelbar folgt. 1) Denn nimmt man z. B. den Begriff eines Vierecks,
so ist in ihm wohl der Begriff der Ausdehnung enthalten, und es
könnte danach das Attribut der Ausdehnung als seine Ursache ange-
^) Eth. p. 1. Ax. 4.
Gott und Welt. 37
sehen werden; aber der Begriff Vier enthält nicht den Begriff der
Ausdehnung, also kann diese Figur in ihrer besonderen Bestimmtheit,
als Viereck nicht eine Folge jenes Attributs sein. Hätte also Spinoza
seinen eigenen Sätzen schärfer nachgedacht, so hätte er finden müssen,
daß sein Kausalbegriff überhaupt nichts taugte, um eine Wirkung aus
ihrer Ursache zu erklären.
Nachdem er nun auf diese Weise die Welt des Endlichen ge-
wonnen hat, beweist er weiter, daß es in derselben nichts Zufälliges
gibt, sondern, daß alles aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur
bestimmt ist, auf gewisse Weise zu existieren und zu handeln, i) Diese
Annahme folgt natürlich aus seiner ganzen Ansicht vom Kausal-
zusammenhange. Denn wenn man das Verhältnis von Ursache und
Wirkung ansieht, wie ein sich Ergeben der Folgen aus ihren Gründen
beim Erkennen, so muß man eine absolute Notwendigkeit in jenem
Zusammenhange annehmen. Die Folge liegt also notwendig in ihrem
Grunde, oder sie ist gar keine. Denn wäre es möglich, aus ein und
demselben Grunde zwei entgegengesetzte Folgen zu ziehen, so wären
beide gar keine Folgen. Wäre es z. B. möglich, daß einige Eadien
eines Kreises länger wären als andere, so würde aus dem Begriffe
des Kreises weder folgen, daß sie gleich, noch daß sie ungleich lang
wären. — Wird also die Kausalität der Substanji so gedacht, wie ein
Begründen von Folgen, so ist es nur konsequent, alle Möglichkeit des
Andersseins in der Welt zu leugnen.
Hierbei läßt sich Spinoza auf eine Polemik gegen die gewöhn-
liche Ansicht ein, daß die Welt durch den freien Willen Gottes ge-
schaffen sei. Diese Polemik ist aber für uns von großer Wichtigkeit,
weil sich bei ihrer Gelegenheit die Unvereinbarkeit der spinozischen
absoluten Substanz mit einem religiösen Gottesbegriffe in deutliches
Licht stellt.
Als Vorbereitung für seinen Beweis, daß in Gott gar kein freier
Wille gedacht werden dürfe, führt er den Unterschied zwischen der
natura naturans und natura naturata ein. Jene besteht aus solchen
Attributen der Substanz, welche eine e\7ige und unendliche Wesen-
heit ausdrücken, oder sie ist — Gott, insofern er als freie Ursache
betrachtet wird.-) Diese Freiheit aber besteht darin, daß Gott bloß
nach der Notwendigkeit seiner eigenen Natur handelt, und sie ist ein
unterscheidendes Merkmal Gottes: er allein ist eine freie Ursache. 3)
M a. a. 0. Prop. 29.
') a. a. 0. Prop. 29. Schol.
=*} Prop. 17. Coroll. 2.
38 Spinoza.
Wenn man also einen Unterschied zwischen Gott und seinen Er-
zeugnissen oder der "Welt machen will, so ist die natura naturans
und was zu ihr gehört, allein Gott; alles aber, was zur natura naturata
gehört, muss zu den Erzeugnissen Gottes oder zur Welt gerechnet
werden; denn diese natura naturata besteht aus allen modis der Attri-
bute Gottes, sofern sie als Dinge betrachtet werden, die in Gott sind
und die ohne Grund weder sein noch begriffen werden können, i)
Zu dieser natura naturata gehören nun aber aller Verstand und
Wille. Denn sie sind nicht das absolute Denken selbst, sondern nur
modi desselben, welche sich von andern modis, wie Begierde, Liebe
u. dgl. , unterscheiden. '^) Deshalb kann kein Wille eine freie, sondern
nur eine notwendige oder gezwungene (coacta) Ursache genannt werden,
denn als ein modus kann der Wille, wie jeder andere modus, nur
dadurch existieren, dass eine andere Ursache vorhanden ist, durch
welche er determiniert wird. Wenn Gott also auch aus der Freiheit
seines Wesens handelt, so doch nicht aus der Freiheit des Willens. 3)
Denn der Wille gehört eben nicht zur natura naturans, d. h. zur
Natur Gottes, wenn man ihn im Unterschiede von seinen Erzeugnissen
als die alleinige, höchste und freie Ursache auffaßt. Spinoza sagt
deshalb ausdrücklich: Wille und Verstand verhalten sich zur Natur
Gottes so wie Bewegung und Ruhe und überhaupt alles Natürliche,
was von Gott zum Existieren und Wirken auf gewisse Weise de-
terminiert werden muß. Und wenn auch aus einem angenommenen
(data) Willen oder Verstände Unendliches folgte, so könnte doch
deshalb nicht mit größerem Rechte gesagt werden, Gott handle aus
der Freiheit des Willens, als deswegen, weil aus Bewegung und Ruhe
Unendliches folgt, gesagt werden kann, Gott handle aus der Freiheit
der Bewegung und Ruhe; deshalb gehört der Wille nicht mehr zur
Natur Gottes als Bewegung und Ruhe und alles Übrige, was aus der
Notwendigkeit der göttlichen Natur folgt. '^)
Also, schließt Spinoza aus dem allen, konnten die Dinge auf
keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott ge-
schaffen werden, als sie geschaffen sind. Wenn wir daher die Dinge
zufällig nennen, so geschieht es nur, weil wir die Ordnung derselben
nicht erkennen. 5)
') Prop. 29. Schol.
'') Prop. 32.
") Ibid. CoroU. 1.
*) a. a. 0. Prop. 32. CoroU.
'') Prop. 33.
Gott und Welt. 39
Insofern Spinoza hier diejenigen bestreitet, welche alles einer
absolut indifferenten Willkür Gottes unterwerfen, wird man ihm bei-
stimmen müssen; denn jene heben mit ihrer Behauptung in der Tat
alle Vernunft und Weisheit in Gott auf. Allein jene sind nicht seine
eigentlichen Gegner; diese findet er vielmehr in denen, welche an-
nehmen, daß Gott mit Rücksicht auf das Gute handle. „Ich gestehe,
daß diese Meinung, die alles einem indifferenten Willen Gottes
unterwirft und von seinem Gutdünken alles abhängen läßt, weniger
von der Wahrheit entfernt ist, als die Meinung derer, die behaupten,
Gott tue alles im Hinblick auf das Gute. Denn diese nehmen damit
etwas außerhalb Gottes an, was von Gott nicht abhängt, auf das Gott
beim Handeln wie auf ein Vorbild hinblickt oder auf das er wie
auf ein bestimmtes Ziel hinstrebt. Dies heißt in der Tat nichts als
Gott dem blinden Schicksal unterwerfen, und etwas Ungereimteres
kann man von Gott nicht behaupten.-' i) Und allerdings ist diese
zuerst von Plato vertretene Weltansicht der spinozischen unvereinbar
entgegengesetzt. Denn für diese sind die Dinge, Zustände und Vor-
gänge der Welt in der Art absolut notwendig, dass sie durchaus
unabsichtliche Folgen aus den Attributen Gottes sind, an denen durch
keine Einsicht und keinen Willen irgend etwas geändert werden kann.
Daß ich existiere, und dieses oder jenes vornehme oder denke, ist
ebenso absolut notwendig, als daß ein Dreieck drei Winkel hat.
Diese Ansicht ist aber eine notwendige Folge davon, daß Spinoza den
Kausalzusammenhang als einen als real gedachten Zusammenhang
von Gründen und Folgen auffaßt. Ebendeswegen ist es für ihn un-
möglich, Einsicht und Willen in die Reihe der Ursachen mitauf-
zunehmen, denn sonst müßte er, wie er meint, auch zulassen können,
daß ein A^erstand und Wille die Ursache sei, daß ein Dreick drei
und nicht vier Winkel habe. Freilich unterwirft er mit dieser seiner
Ansicht seinen Gott nicht dem fatum, denn die Notwendigkeit ist
eine Notwendigkeit Gottes selbst, aber dafür ist dieser Gott selbst
das fatum, die absolute Vorherbestimmtheit ohne allen Zweck, Der
Einwand aber gegen die platonische Ansicht ist offenbar töricht.
Denn die Meinung, daß Gott durch Rücksichtnahme auf das Gute
einem fatum unterworfen werde, setzt voraus, daß man die Muster-
bilder des Guten, auf welche er schaut, als reale Ursachen denkt,
welche außer Gott vorhanden sind, und daß dieselben auf Gott
physisch einwirken, so daß er durch sie ohne alles Mittel eines be-
wußten AVoUens bestimmt werde. Selbst Plato hat die Realität seiner
1) a. a. 0. Prop. 33. Schol. 2.
40 Spinoza.
Ideen nicht auf diese Weise gedacht, und heutzutage wird sich
noch viel weniger ein Besonnener eine solche Vorstellung von der
AVirksamkeit und Kealität der ästhetischen und ethischen Ideen machen.
Dieser ausdrückliche Gegensatz aber und die offenbare Gering-
schätzung der platonischen Weltanschauung zeigen mit großer Deut-
lichkeit, wie wenig Spinoza daran denkt, seinem Gotte das zuzu-
schreiben, was sonst für das charakteristische des vernünftigen Selbst-
bewußtseins geachtet wird, das bewußte Handeln nach Erkenntnis.
Folgerichtig kann auch gar nicht daran gedacht werden, daß Spinoza
seinem Gotte, der absoluten Substanz, ein bewußtes Wollen und
Handeln zugeschrieben habe. Denn zu der natura naturans, der
Substanz oder dem Gotte als solchen, gehört nur das absolute Denken
und die absolute Ausdehnung; folglich ebensowenig ein bestimmter
Gedanke als ein bestimmter Körper. Der Verstand (intellectus)
und der Wille also, welche als wirkliche nur aus besonderen
Ideen und deren Verbindung untereinander bestehen, können
nicht zur Essenz der Substanz, sondern nur zu deren Folgen,
oder zu den Wirkungen Gottes gerechnet werden. Daher sagt
Spinoza selbst: Wenn zum ewigen Wesen Gottes Verstand und
WMlle gehören, so muß unter diesen beiden Attributen etwas ganz
anderes verstanden werden, als die Menschen gewöhnlich zu tun
pflegen. Denn ein Verstand und Wille, welche das Wesen Gottes
bildeten, müßten von unserem Verstände und Willen unendlich weit
verschieden sein, und könnten in keiner Sache, als bloß im Namen
übereinstimmen: so wie das Sternbild Hund und das bellende Tier
Hund dem JSFamen nach übereinstimmen. ^) Hierbei ist zum richtigen
Verständnis zu bemerken, daß Spinoza nicht von dem intellectus
infinitus Dei (unendlichen Verstände Gottes) spricht, von dem unser
Verstand ein Teil ist — denn dieser intellectus ist eine Wirkung
des Attributs des unendlichen Denkens — , sondern nur von einem
hypothetisch angenommenen Verstände und Willen, welche nicht
Wirkungen oder modi eines Attributs, sondern Attribute selbst wären.
Diese würden natürlich nur den Namen mit unserem Verstände und
AVillen gemein haben können; denn jene könnten als Attribute Gottes
gar kein Denken sein, weil jedes Attribut Gottes nur einmal existiert.
Selbstbewußtsein Gottes.
Hier wird der Ort sein, noch mit einigen Worten die Frage zu
besprechen, ob Spinoza wenn auch inkonsequent, seinem Gotte Selbst-
') a. a. 0. Prop. 17. Schol.
Selbstbewußtsein Gottes. 4]_
bewußtsein zugeschrieben habe. Manche Stellen der Ethik scheinen
diese Annahme zu begünstigen, namentlich die bekannte: In Gott
gibt es notwendig eine Idee von seiner Wesenheit und von allem,
was aus seiner Wesenheit notwendig folgt.
Die Idee Gottes, aus der unendlich vieles auf unendlich viele
Weisen folgt, kann nur eine einzige sein.
Wir haben gezeigt, daß Gott mit derselben Notwendigkeit handelt,
mit der er sich selbst erkennt, d. h. sowie aus der Notwendigkeit der
göttlichen Natur folgt (wie alle einstimmig annehmen), daß Gott sich
selbst erkennt, so folgt auch mit derselben Notwendigkeit, daß Gott
unendlich vieles auf unendlich viele Weisen tut. i) Allein weder das
„in Gott gibt es" noch das ,,er erkennt sich selbst", zwingt dazu, ein
solches Selbstbewußtsein Gottes anzunehmen, das nicht mit dem
Wissen von Gott, welches in der Welt ist, ein und dasselbe wäre.
Denn bei Spinoza ist alles in Gott, und alles Erkennen Gottes,
welches in der Welt ist, kann von ihm als ein Sichselbsterkennen
Gottes bezeichnet werden. Außerdem aber führt Spinoza diese
Sätze gar nicht an, um von einem überweltlichen Selbstbewußt-
sein Gottes zu reden, sondern, wie aus der sofort folgenden
Proposition hervorgeht, um den Grund zu dem Beweise zu legen,
daß die Ideen Gott nur zur Ursache haben, insofern er ein denkendes
Wesen ist.
Am scheinbarsten könnte dieses Selbstbewußtsein Gottes auf die-
selbe Weise aus Spinozas Sätzen zu folgen scheinen, wie das mensch-
liche Selbstbewußtsein. Wie es nach ihm nämlich notwendig eine
Idee der Idee des menschlichen Körpers, oder eine Idee des Geistes
gibt, und die Idee ein wirkliches Denken, nicht bloß ein Bild ist,
diese Idee aber des menschlichen Geistes mit ihm notwendig ver-
bunden ist, 2) so könnte man schließen wollen, muß es auch von den
unendlich vielen Attributen Gottes von jedem eine Idee geben und
namentlich auch eine Idee des Attributs des Denkens. Alle diese
Ideen müssen nun notwendig in der Einen Substanz ebenso vereinigt
sein, als die Attribute in derselben vereinigt sind, und wie die Sub-
stanz die Einheit aller Attribute ist, so muß es auch ein Zusammen-
fassen oder eine Einheit aller dieser Ideen der göttlichen Attribute
geben, welche eben das göttliche Selbstbewußtsein ist.
Allein der Schluß ist falsch. Freilich sind alle Attribute in der
einen Substanz insofern vereinigt, als sie alle nur Eine Substanz
1) Eth. p. 2. Prop. 3. 4 und Scliol. zu Prop. 3.
-) Eth. p. 2. Prop. 20. 21.
42 Spinoza.
ausmachen; allein das ist dennoch keine reale Yereinigung. Kein
Attribut geht das andere etwas an, jedes ist für sich isoliert; aus
jedem folgt gleichsam eine Welt für sich, die zwar mit den andern
übereinstimmt, aber in gar keinem Kausalzusammenhang mit der andern
steht: daher stehen auch die Ideen der verschiedenen Attribute nicht
miteinander in Verbindung, wie Spinoza selbst sagt.i) Die Ideen der
verschiedenen Attribute sind daher ebenso isoliert, wie die Attribute
selbst, und können deshalb nicht in die Einheit eines Selbstbewußt-
seins zusammengefaßt werden, weil sie dadurch in Gemeinschaft mit-
einander treten würden. Freilich redet auch an dieser Stelle Spinoza
wiederum von einem unendlichen Verstände Gottes. Aber dieser
intellectus infinitus üei darf nicht mit dem Selbstbewußtsein identifi-
ziert werden. Er besteht aus den unendlich vielen Ideen, deren
Objekte nicht allein die Attribute der Ausdehnung und des Denkens
mit ihren unendlich vielen Modifikationen sind, sondern auch alle
andern unendlich vielen Attribute Gottes, Avelche uns unbekannt sind.
Diese unendlich vielen und unendlich qualitativ und quantitativ ver-
schiedenen Ideen bilden den intellectus Dei infinitus selbst; nicht ist
er ein Denken, welches diese Ideen zu seinen Objekten hätte, sondern
sie selbst sind der göttliche Verstand.
Nun sind aber diese Ideen selbst die mentes oder Geister der
einzelneu Dinge, oder die modi der Attribute, und sind mit den
Dingen, deren Geister sie sind, ein und dieselbe Sache; sie sind also
Gedanken, welche selbst denken, oder ihre Objekte erkennen. Daraus
erklärt sich, wie Spinoza den menschlichen Geist einen Teil des un-
endlichen Verstandes Gottes nennen kann; denn der menschliche
Geist ist eine der unendlich vielen Ideen, aus denen der göttliche
Verstand besteht. Nun sind freilich alle diese Ideen auch wiederum
Gegenstände des Denkens, oder von jeder Idee gibt es wiederum eine
Idee. Allein auch aus diesen Ideen zweiter Ordnung kann kein
Selbstbewußtsein Gottes folgen. Denn die Möglichkeit alles Selbst-
bewußtseins beruht darauf, daß eine Apperzeption von Gedanken
anderen Inhalts als der apperzipierenden Gedanken geschehen kann.
Denn indem ich im wirklichen Selbstbewußtsein denke: diese Ge-
danken a, b, c usw. sind meine Gedanken, so ist dieses Denken, daß
sie meine Gedanken sind, offenbar noch von einem andern Inhalt als
die bloßen Gedanken a, b, c usw. Ebensowenig als die Vorstellung
dieses viereckigen Tisches dieser Tisch selbst ist, kann der Gedanke,
mit welchem ich denke, daß diese Vorstellung eines viereckigen
') Epist. 68.
Selbstbewußtsein Gottes. 43
Tisches meine Yorstellung ist, die Vorstellung dieses Tisches selbst
sein. Nach Spinoza aber haben die Vorstellungen der zweiten Ordnung,
oder die Ideen der Ideen, gar keinen andern Inhalt, als die Vor-
stellungen der ersten Ordnung. Daher kann auch aus ihnen kein
Selbsbewußtsein entstehen, welches gleichsam über jenen Ideen erster
Ordnung schwebte und dem sie sich vorstellten als seine Gedanken.
Deshalb kann auch in Wahrheit nicht einmal das menschliche
Selbsbewußtsein daraus erklärt werden, daß nach Spinoza mit dem
menschlichen Geiste die Idee desselben so verbunden ist, wie der
Geist mit dem menschlichen Körper. Man kann das schon daraus
sehen, daß es aus demselben Grunde auch eine Idee der Idee
des menschlichen Körpers, also eine Idee der dritten Ordnung
und so fort ins Unendliche, also eine unendliche Reihe von Selbst-
bewußtsein in Wirklichkeit geben müßte.
Die Unmöglichkeit aber, daß in der Konsequenz der spmozischen
Ansicht ein wirkliches Selbstbewußtsein Gottes liege, erhellt auch aus
folgender Betrachtung. Nach dem Satze: Ordnung und Zusammen-
hang der Dinge ist derselbe wie der der Ideen ^) muß jedem modus
eines Attributs ein modus eines andern Attributs entsprechen. Nun
würde das Selbsbewußtsein Gottes auch ein modus, nicht aber ein
Attribut selbst sein, und zwar ein solcher modus, welcher ähnlich
wie der menschliche Geist aus vielen einzelnen Ideen oder modis
bestände, welche er in eine Einheit zusammenfaßte. Wie nun dem
menschlichen Geiste ein modus der Ausdehnung, der menschliche
Körper, entspricht, der aus ebenso vielen einzelnen Körpern zu-
zusammengesetzt ist, als der Geist aus einzelnen Ideen, so müßte dem
göttlichen Geiste auch ein modus der Ausdehnung entsprechen, in
welchem die einzelnen Körper ebenso zu einer wirklichen Einheit
sammengefaßt wären, wie die Teile des menschlichen Körpers in
diesem vereinigt sind. Das könnte nun allenfalls das ganze Uni-
versum der Welt sein. Allein gesetzt auch, man könnte in Spinozas
Geiste das ganze Universum für einen ebenso organisch verbunde-
nen Leib halten, wie den menschlichen Leib und ihm eben eine
solche Einheit zuschreiben, so würde daraus doch noch kein göttliches
Selbstbewußtsein, keine mens divina, folgen, sondern nur eine Seele
der ausgedehnten Welt. Für die übrigen unendlich vielen Attribute
Gottes und die aus ihnen folgenden Welten müßten dann auch ebenso
viele Weltseelen angenommen werden. Alle diese Weltseelen aber
zusammengenommen würden doch kein einheitliches Selbstbewußtsein
') Etil. p. 2. Pr. 7.
44 Spinoza.
Gottes ergeben, weil jede derselben nach oben angeführten Gründen
völlig von den andern isoliert wäre.
Aber gesetzt auch, Spinoza wäre, wie viele seiner modernen
Nachfolger, inkonsequent genug gewesen, Gott als absolute Person zu
denken, so würde er damit einer religiösen Weltansicht um nichts
näher gerückt sein. Denn dieses Selbstbewußtsein Gottes wäre ein
vollkommen müßiges, welches sozusagen nur das bloße Zusehen
hätte. Denn von ihm könnte gar keine Kausalität ausgehen und in
der Welt würde durch dasselbe nicht das Mindeste bestimmt werden.
Möchte dieser Gott selbstbewußt sein oder nicht, die Dinge würden
demnach aus derselben blinden, unabänderlichen Notwendigkeit folgen.
Denn es ist nicht zu vergessen, daß bei Spinoza aus den göttlichen
Attributen alles mit derselben Notwendigkeit folgt, als aus dem Be-
griffe des Dreiecks folgt, daß seine Winkel gleich zwei Rechten sind.
Verhalten sich Ursache und Wirkung gerade so wie Grund und Folge,
so sind die Wirkungen mit zeitloser Notwendigkeit in der Ursache
enthalten und kein Denken und Wollen kann irgend etwas daran
ändern. Das bewußte und absichtliche Denken und Wollen ist also
aus dem Reiche der Kausalität verbannt, und das eben ist das Un-
erträgliche dieser Ansicht, namentlich in religiöser Hinsicht. Es
kommt daher alles darauf an, daß man sich von der Unrichtigkeit
jener Meinung, die in der sechzehnten Proposition des ersten Teils
der Ethik offen hervortritt, überzeuge und eine solche Erkenntnis
vom Geschehen und seiner Gesetze zu gewinnen suche, welche dem
bewußten Denken und Wollen seinen gebührenden Platz im Reiche
der Kausalität zurückzugeben im stände ist.
Zweckursachen.
Dieselbe verkehrte Ansicht vom Kausalnexus mußte nun auch
den Spinoza zu einem abgesagten Feinde aller Zweckursachen machen,
Im Anhange zum ersten Teile seiner Ethik spricht er mit großer
Verachtung, ja mit Bitterkeit, von der teleologischen Weltansicht.
Freilich findet man dort noch einen andern Grund seines Wider-
willens dagegen. Er redet gegen diejenigen, welche meinen, Gott
habe die Welt der Menschen wegen geschaffen, die Menschen aber,
damit sie ihn ehren. Die Menschen, sagt Spinoza, tun alles wegen
eines Zwecks, nämlich des Nutzens wegen, den sie erstreben. Daher
betrachten sie alle Dinge in der Welt nur als Mittel zu irgend einem
Zwecke, und erdichten einen oder mehrere Weltlenker, dem sie die-
selbe Denkweise zuschreiben. Wie die Menschen alles aus Eigennutz
Zweckursachen. 45
tun, so auch ihr Gott. Die Begünstigungen der Natur sehen sie als
Belohnungen an, die Übel als Strafen des erzürnten Gottes.
Aber wenn man es ihm auch nicht verdenken kann, daß sein
besseres sittliches Gefühl — welches jedoch auch bei ihm selbst nur
ein sehr unklares geblieben ist — sich gegen solche der Selbstsucht ent-
sprungene Weltansicht empört, so war es doch nicht nötig, überhaupt
alle und jede teleologische Ansicht zu verwerfen; denn es sind auch
andere als eigennützige Zwecke möglich. Freilich, wenn alles mit
unabänderlicher logischer Notwendigkeit aus den Attributen Gottes
folgt, so ist damit jede Absicht als Ursache unverträglich.
Jedoch beruft sich Spinoza in jenem Anhange nicht bloß auf
seine sechszehnte Proposition, sondern führt auch noch andere
Gründe an.
Er sagt zunächst: die Wirkung ist die vollkommenste, welche
von Gott unmittelbar hervorgebracht wird, und je mehr etwas der
Zwischenursachen bedarf, um hervorgebracht zu werden, desto unvoll-
kommener ist es. Wenn aber die Dinge, welche unmittelbar von
Gott hervorgebra'cht sind, deshalb gemacht wären, damit Gott seinen
Zweck erreichte, so wären notwendig die letzten, um derentwillen die
vorhergehenden gemacht sind, von allen die vorzüglichsten.
Dieser Einwurf ist in seiner ganzen theoretischen Ansicht tief
begründet. Zunächst ist bei dem Worte Vollkommenheit nicht an
eine sittliche oder ästhetische Vollkommenheit zu denken, sondern
nur an die Größe der Realität. Unter Realität und Vollkommenheit
verstehe ich dasselbe. ^) Gemäß seiner Anschauung denkt er sich das
Sein als ein Quantum. Die unendliche Substanz ist das ganze Quantum,
die unmittelbaren Folgen derselben sind unendliche modi, so im
Denken: das Erkennen überhaupt; in der Ausdehnung: Ruhe und
Bewegung. Diese Allgemein- Begriffe enthalten zwar weniger Realität,
als die absolute Substanz selbst (weil ihr logischer Umfang geringer
ist), aber mehr als die ihnen untergeordneten spezielleren Begriffe.
Dem Erkennen z. B. fehlen bloß die anderen modi des Denkens, wie
der Wille, es umfaßt aber alle mögliche Arten von Erkenntnis; da-
gegen einer besonderen Art der Erkenntnis, z. B. der mathematischen,
fehlen nicht bloß die übrigen modi des unendlichen Denkens, sondern
auch die anderen modi des Erkennens, z. B. die ethische, psycho-
logische usw., also ist in der mathematischen Erkenntnis ein geringeres
Quantum des Erkennens und darum auch weniger Realität und Voll-
kommenheit enthalten, als im Erkennen überhaupt. Deshalb hat
1) Eth. p. 2. Ax. 6.
46 Spinoza.
Spinoza auf seine Weise recht zu behaupten, daß die von Gott
unmittelbar hervorgebrachten Dinge mehr Realität oder Yollkommen-
heit haben, als die, welche noch anderer Zwischenursachen bedürfen,
denn diese Zwischenursachen sind bei ihm die anderen modi des
Attributs, welche jenes Ding einschränken, also ihm fehlen. Je be-
stimmter also ein Ding ist, desto weniger oder desto unvollkommener
ist es.
Da nun diese ganze Art der Beurteilung darauf hinauskommt^
die YoUkommenheit nach dem logischen Umfange eines Begriffs ab-
zumessen, so können wir sie getrost beiseite schieben. Wir suchen
die Vollkommenheit der Welt in ganz anderen Verhältnissen, und
uns verschlägt es wenig, ob die in einem logischen Begriffssystem
zuerst oder zuletzt vorkommenden Begriffe die größte oder kleinste
Vollkommenheit ausdrücken.
Zweitens aber erhebt Spinoza gegen die teleologische Ansicht den
Einwurf, daß sie die Vollkommenheit Gottes aufhebe; denn wenn
Gott wegen eines Zweckes handele, so begehre er notwendig etwas,
dessen er entbehre. Dies «ist der scheinbarste Einwurf, denn ein
Wollen geht immer auf etwas, was noch nicht ist oder geschieht
Ein ens realissimum also, in welchem alles mögliche Sein und Ge-
schehen ewig und unveränderlich vorhanden ist, kann nichts wollen
und nichts beabsichtigen, denn ihm kann nichts mangeln. Solange
man also an diesem Begriffe des ens reaüssimum festhält, ist dieser
Einwurf auch nicht zu widerlegen; dann werden alle Reden vom
göttlichen Wollen eben nur Redensarten sein, die, genauer besehen^
keinen Sinn haben.
Es ist schon bei Gelegenheit der Kantischen Religionsphilosophie
darauf hingewiesen, wie sehr die Theologie mit diesem ihrem Begriffe
vom allerrealsten Wesen über ihr eigenes Ziel hinausschießt.^) Es
bedarf daher hier nur einer kurzen Erörterung darüber, daß der Be-
griff des absichtlichen Handelns nicht notwendig einen solchen Mangel
in einer Person voraussetzt, welcher eine tadelnde Beurteilung der-
selben hervorrufen müßte. Das menschliche Handeln allerdings setzt
beim Begehren (von dem der Kürze halber hier allein die Rede sein
soll) immer eine gegen Hindernisse im Bewußtsein aufstrebende Vor-
stellung voraus, und das Handeln besteht eben in dem Wegräumen
dieser Hindernisse oder in der Herbeischaffung von Hilfen, um jene
Vorstellung zum vollendeten Vorstellen zu bringen; jene Hemmung
der aufstrebenden Vorstellung aber wird immer, wenn auch in sehr
>) I. Heft. S. 21. 51.
Zweckursachen. 47
vielen Fällen, von einem kaum merklichen Gefühl der Unlust be-
gleitet sein. In diesem Vorgänge liegt allerdings eine ünvollkommen-
heit; denn das mühsame Aufstreben gegen Hindernisse bezeichnet
einen Grad von Schwäche des Wollens, oder jener zur vollen Ent-
faltung aufstrebenden Vorstellung. Aber auch schon beim mensch-
lichen Handeln köunen Verhältnisse eintreten, welche die Möglichkeit
einer Abänderung dieses Verhältnisses andeuten.
Wenn etwa ein Künstler klagt, daß er in seiner Darstellung
hinter dem in seinem Geiste schwebenden Ideale zurückbleibe, so
setzt diese Klage jenes Ideal nicht voraus, insofern es erst im Ge-
müte aufstrebt, sondern insofern es darin schon ausgebildet ist und
angeschaut wird. Die Unvollkommenheit liegt hier nicht sowohl in der
Vorstellung, welche er darstellen will, sondern darin, daß es ihm
nicht gehngt, die Hindernisse zu überwinden, welche der bleibenden
und vollen Festhaltung des angeschauten Bildes in seinem Gemüte
entgegenstehen. Gesetzt nun, man dächte sich ein künstlerisches
Gemüt, in welchem das Bild schon bis ins einzelnste ausgeführt und
vollendet schwebte, so daß dieses gleichsam in sinnlicher Klarheit
angeschaut würde, denke man sich auch den Mangel hinweg, daß
dieser Künstler fürchten müßte, dieses Bild aus seinem Gemüte wieder
zu verlieren; er brauchte nicht zu streben, es für sich durch äußere
Darstellung festzuhalten; er wüßte vielmehr, so oft er nur wollte,
könnte er sich dasselbe ohne alles Hindernis in vollendete geistige
Anschauung zurückrufen: könnte dann in solchem Falle kein Wille
in ihm sein, dieses Bild auch äußerlich darzustellen? Freilich nicht
in Rücksicht auf ihn selbst, um einem eigenen Mangel abzuhelfen;
aber warum nicht in Rücksicht auf andere intelligente Wesen? Er
würde darstellen, um andere zu erfreuen und zu veredeln. Ihm selbst
mangelte nichts, aber anderen mangelte etwas. Das Wohlwollen also,
die reine Güte, der selbst nichts mangelte, würde ihn zur Darstellung
bewegen.
Aber scheint nicht dennoch hier wieder ein persönliches Bedürfnis^
also ein Mangel einzutreten, welcher iLn zum Darstellen treibt? Das
Wohl des andern ist die in ihm aufstrebende ^Vorstellung und das
Nochnichtsein desselben ist der Mangel, welchen er in sich fühlt,
und um diesem seinem Mangel abzuhelfen, handelt er! Allein möchte
auch diese Auffassung den im wirklichen menschlichen Gemüte sich
ereignenden Vorgang beim Handeln aus Wohlwollen richtig bezeichnen,
so kann man doch auch diesen Mangel wegdenken, und dennoch das
Handeln aus Wohlwollen behalten. Denn im vollendeten Wohlwollen
wird das Handeln nicht durch einen als persönliche Unlust empfundenen.
48 Spinoza.
Mangel hervorgerufen, sondern durch die bloße Vorstellung des
Mangels des andern. Das volle Ideal eines Wohlwollenden wäre
also ein allgenugsamer Geist, der nicht seinen eigenen Mangel er-
gänzen will, dem also aus persönlicher Rücksicht gar kein Wollen
entstände, Avenn er nicht dem vorgestellten Mangel anderer abhelfen
wollte. In ihm würden nicht gegen Hindernisse aufstrebende Vor-
stellungen zu denken sein, die sich mühsam emporarbeiteten, sondern
in vollkommener Klarheit im Bewußtsein schwebende Vorstellungen
würden mühelos die andern Gedanken herbeirufen, welche zu ihrer
Darstellung im Äußeren tauglich wären. Denkt man sich also einen
solchen unbeschränkten Geist, so würde man allerdings ihn nicht wie
einen unendlichen Bildersaal vorstellen dürfen, in welchem absolut
alle möglichen Vorstellungen in zeitlos unbeweglicher vollendeter
Klarheit vorhanden wären; damit würde allerdings alles Leben und
Wollen unverträglich sein; sondern man Avird sich auch in ihm einen
Unterschied zwischen herrschenden und dienenden Vorstellungen
denken müssen; und während jene herrschenden in unverrückter
Klarheit sein ewiges Bewußtsein ausmachen, werden sie mühelos die
sämtlichen dienenden Vorstellungen so bewegen, wie es die Darstellung
der ewigen ethischen und ästhetischen Ideen im Äußeren verlangt,
ohne daß dabei irgend welches Suchen, Schwanken, Nichtwissen und
dergleichen vorzukommen braucht.
Danach ist also gar wohl ein bewußtes Wollen, welches auf einen
noch nicht ausgeführten Zweck geht, möglich, ohne damit zugleich
einen Mangel in dem wollenden Geiste annehmen zu müssen, dessen
Ergänzung der Zweck des Wollens sei.
Setzt man freilich die Vollkommenheit in die unendliche Quantität
des Seins, und die Unvollkommenheit darein, daß etwas nicht zugleich
alles andere ist, muß man deshalb dann auch leugnen, daß neben
oder außer dem vollkommenen Wesen etwas anderes existiert, so wird
man allerdings unrettbar dem Spinozismus verfallen und zu der An-
nahme eines Wesens getrieben werden, welches zeitlos alle seine
Folgen zumal in sich ausgeführt enthält, in welchem aber eben des-
wegen auch kein bewußtes Wollen und damit keine Zwecktätigkeit
und keine ethische Eigenschaft gedacht werden darf. Und außerdem
wäre ein Geist, der diese unvollkommene Welt als vollkommen, diese
werdende Welt als fertig dächte, ein irrender Geist, der diese Welt
falsch auffaßte. \
Der menschliche Geist. 49
Der menschliche Geist.
Wir haben im bisherigen nachzuweisen versucht, daß der spino-
zische Gottesbegriff, die absolute Substanz, auf theoretisch falschen
Grundlagen ruht, daß sie ihren Zweck als absolute Ursache der Welt
gedacht zu werden, nicht erreicht und daß die Einwürfe Spinozas
gegen einen andern Gottesbegriff nicht stichhaltig sind. Ehe aber
über den religiösen Wert jenes Gottesbegriffs vollkommen geurteilt
werden kann, müssen wir vorab fortfahren, den theoretischen Wert
auch der übrigen Lehren Spinozas, welche auf seine religiöse Ansicht
Bezug haben, zu untersuchen.
Wir folgen ihm daher zunächst in seine Lehre vom menschlichen
Geiste, ohne welche sein ethisches Prinzip und das, was bei ihm die
Stelle der Frömmigkeit vertritt, die Lehre von der Erhebung über die
Affekte, nicht zu verstehen ist.
Die Grundlage seiner Ansicht vom menschlichen Geiste ist die,
daß dieser ein modus des göttlichen Attributs des absoluten Denkens
ist, und als solcher zwar nicht mit dem Leibe, einem modus der
absoluten Ausdehnung, im Kausalzusammenhange stehen kann, daß
aber die geistigen und leiblichen Vorgänge dessenungeachtet einander
notwendig vollkommen entsprechen.
Ein Kausalzusammenhang zwischen Seele und Leib, und über-
haupt zwischen den Attributen des Denkens und der Ausdehnung,
kann nämlich von Spinoza deshalb nicht angenommen werden, weil
nach seinem Kausalbegriffe eine ursächliche Verknüpfung nur da sein
kann, wo ein und derselbe allgemeine Begriff waltet. Denn die
Ursache verhält sich nach ihm zur Wirkung, wie ein allgemeiner
Begriff zu den ihm untergeordneten. Ebensowenig wie ein Gedanke
ein körperliches Ding ist, also nicht dem Begriffe Körper unter-
geordnet werden kann, kann auch gedacht werden, daß ein Körper
oder ein ausgedehntes Ding die Ursache eines Gedankens sei. Des-
halb sagt Spinoza: die modi jedes Attributs haben Gott zur Ursache
nur sofern er unter diesem Attribut, dessen modi sie sind, nicht aber
sofern er unter einem andern Attribut betrachtet wird.^) Dennoch
aber passen die Seelen zu den Leibern, oder die sämtlichen Ideen
zu sämtlichen Körpern, denn die Ordnung und Verbindung der
Ideen ist dieselbe, wie die Ordnung und Verbindung der Dinge. 2)
Diesen für ihn höchst wichtigen Satz beweist Spinoza kurz durch
den andern, daß die Idee des Verursachten von der Erkenntnis der
') Eth. p. 2. Pr. 6.
2) Prop. 7.
Religionsphilosophio: Spinoza.
50 Spinoza.
Ursache, dessen Wirkung es ist, abhängt. Wie also die wirklichen
Dinge ursachlich verknüpft sind, ebenso müssen auch die Ideen der-
selben untereinander verknüpft sein. Allein dieser Beweisgrund ist
nicht genügend, denn er würde bloß dartun, daß nur dann eine Er-
kenntnis der Ursachen und AVirkungen der Dinge vorhanden sei,
wenn die Ideen derselben auf dieselbe Weise wie die Dinge ver-
bunden sind; es wird also damit nur eine ideale Forderung an das
Denken gestellt, nicht aber ein Beweis geliefert, daß notwendig und
unausbleiblich die Ordnung und Verbindung der Ideen mit der der
Dinge zusammentreffe, und das ist's doch eigentlich, was Spinoza
will und wollen muß, um durch den Gedanken der prästabilierten
Harmonie zwischen Leib und Seele die Annahme eines Kausal-
zusammenhanges zwischen denselben überflüssig zu machen.
In diesem Sinne erläuterte er auch diesen Satz durch die Er-
innerung daran, daß die denkende und die ausgedehnte Substanz
ein und dieselbe ist, welche bald unter diesem bald unter jenem
Attribut begriffen wird. Deshalb sind auch die modi der Ausdehnung
und die des Denkens, also die Ideen jener, ein und dieselbe Sache,
nur auf verschiedene Weise ausgedrückt; z. B. der wirklich existierende
Kreis und die Idee desselben sind ein und dieselbe Sache. Mögen
wir also die Natur unter dem Attribut der Ausdehnung oder des
Denkens oder unter irgend einem andern begreifen, so werden wir finden,,
daß ein und dieselbe Ordnung und Verbindung der Ursachen oder
eben dieselben Dinge auseinander folgen. So kann man daher die
Ordnung der ganzen Natur sowohl durch das bloße Attribut der
Ausdehnung als auch eben dieselbe ganze Natur bloß durch das
Attribut des Denkens erklären und dasselbe gilt von allen Attributen.
Also ist Gott in Wahrheit die Ursache der Dinge, wie sie an sich
sind, insofern er aus unendlichen Attributen besteht.^)
Allein dennoch ist dies Ganze nur eine selbst im System des
Spinoza unbegründete Hypothese. Geht man nämlich davon aus, daß
die Attribute das absolute Was der unendlichen Substanz sind, —
und man muß davon ausgehen, da Spinoza von den Attributen aus-
drücklich alle Inhärenz vorneint, — so wird man gar keinen Grund
entdecken können, weshalb die modi der voneinander durchaus
unabhängigen Attribute einander entsprechen müssen. Was geht es
das Denken an, wie die Ausdehnung eingeteilt ist, und umgekehrt:
warum kann nicht jedes Attribut seine eigene Einteilung haben?
Will man darauf antworten: aber diese Attribute sind ja nur ein
•) Ibid. Prop. 7. Sohol.
Der menschliche Geist. 5]^
und dieselbe Substanz, die sie bloß auf verschiedene Weise aus-
drücken, und eben weil sie nur solche Ausdrücke ein und derselben
Substanz sind, können sie auch allein auf dieselbe Weise modifiziert
sein, so daß an sich jedes Ding derselbe modus aller unendlich vielen
Attribute ist, und also eine Intelligenz, welche das Ganze durchschaute,
das Ding, welches wir menschlichen Leib und menschliche Seele
nennen, nicht bloß als einen modus des Denkens und der Ausdehnung,
sondern auch als einen modus aller der unendlich vielen, uns leider
unbekannten Attribute Gottes anschauen würde; will man die Sache
auf diese Weise erklären, so versetzt man unbemerkt die Attribute
an die Stelle der modi, welche der Substanz innewohnen. Man setzt
dann als das absolut Seiende ein einfaches Was, welches die absolute
Substanz selbst ist, und die Attribute werden dann nur die qualitativ
verschieden modifizierten Ausdrücke dieses Einen Was. Dann aber
muß man nach dem Grunde oder der Ursache der Attribute fragen,
wie es nämlich komme, daß das einfache Was der Substanz sich
solche unendlich viele qualitative Ausdrücke gebe? Das aber ist
wider die erste Voraussetzung des Systems, nach welchem die Attri-
bute das in sich und in keinem andern Existierende sind; denn sie
sind nicht in der Substanz, sondern sie selbst sind die Substanz.
Attribut ist das, was der Verstand an der Substanz als deren
Wesenheit ausmachend wahrnimmt; und somit muß es durch sich
selbst begriffen werden, i)
Was aber durch sich selbst begriffen werden muß, das ist auch
in sich selbst und nicht in einem Andern. 2) Wenn man also der
ursprünglichen Ansicht treu bleibt, daß jedes Attribut das absolut
Seiende ist, so hat jener Satz: Die Ordnung und Verbindung der
Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verbindung der Sachen im
Systeme gar keinen Halt; diesen gewinnt er nur, wenn die Attri-
bute zu modis oder affectionibus eines unbekannten einfachen Was
der absoluten Substanz herabgesetzt werden. Da dies aber an unserer
Stelle von Spinoza offenbar geschieht, so ergibt sich nur, daß er mit
seiner Substanz und ihren Attributen der Dialektik des Dinges mit
mehreren Merkmalen unbewußt erliegt; indem bald die Merkmale
selbst das Seiende sein sollen (in welchem Falle die Einheit des
Dinges verschwindet), bald aber ihnen unter dem Namen der Sub-
stanz eine Einheit untergeschoben wird, von deren eigentlichem (uns
unbekanntem) Was die Attribute nur Modifikationen sind.
') Eth. 1. Pröp. 10.
') Eth. 1. Def. 3.
52 Spinoza.
Zugleich aber ergibt sich an diesem Orte die andere damit
zusammenhängende Inkonsequenz des Spinoza, daß er nämlich die
beiden Attribute Gottes: das Denken und die Ausdehnung, nicht bloß
das Denken, dem menschlichen Geiste bekannt sein läßt. Spinoza
erliegt nämlich derselben Unvollendetheit des Denkens, an dem seine
ganze Zeit (Leibniz so gut als die Occasionalisten) leidet. Man sah
nicht, daß man sich in Wahrheit schon in einer Art Idealismus
befand, sondern glaubte noch realistisch zu denken, obgleich man
sich selbst allen Grund abgeschnitten hatte, eine reale Welt außer
dem menschlichen Geiste anzunehmen. Denn indem man den gegen-
seitigen Kausalzusammenhang zwischen Geist und Körper leugnete,
weil Körper und Geist als völlig disparate Wesen nicht aufeinander
wirken könnten, so behielt man auch nicht den Schatten eines Grundes,
eine solche Körperwelt anzunehmen, mit deren Harmonie in Bezug
auf die Geisterwelt man sich auf unsägliche, aber ganz nutzlose
Wei.-o abquälte. Man hätte auf diesem Standpunkte einsehen müsseu,
daß die sogenannte Harmonie des Denkens mit der Außenwelt nur
als Schein anzusehen sei, in Wahrheit aber nur ein Passen einiger
Gedanken zu andern Gedanken sei. Anstatt dessen stellt Spinoza es
unbedenklich als ein Axiom hin: Wir nehmen wahr, daß der Körper
durch viele modi affiziert wird^); und setzt also ohne weiteres voraus,
daß eine körperliche Welt außer dem Geiste existiere; nach seinen
Prämissen hätte er vielmehr behaupten müssen, daß der Geist gar
nichts von einer Körperwelt wissen könne, da diese dem Geiste ihre
Existenz auf keine Weise kund tun könne. Daraus folgte dann aber
auch hinsichtlich des Gottesbegriffes, daß dem menschlichen Geiste
nur ein Attribut der absoluten Substanz, das Denken, bekannt sein
konnte, denn was hier der menschliche Geist ist, ist nur das Denken;
die Körperwelt ist nur eine Vorstellung in ihm, der eine wirkliche
Existenz zuzuschreiben auf diesem Standpunkte völlig grundlos ist.
In völliger Unbekanntschaft mit diesen Überlegungen setzt Spi-
noza vielmehr, daß das Denken sich auf die Ausdehnung beziehe,
oder daß dasjenige, welches das wirkliche Sein des menschlichen
Geistes bildet, die Idee einer wirklich existierenden Sache sei;
das Objekt dieser Idee ist ihm der Leib oder ein wirklich existierender
modus der Ausdehnung und nichts anderes. ^) Denn wir haben Ideen
von den Affektionen des Körpers, wie die Erfahrung zeigt, also muß
der Leib das Objekt des Geistes sein. \
') Eth. p. 2. Ax. 4. .
') Etil. p. 2. Prop. 11. 13.
Der menschliche Geist. 53
Diese Idee aber, welche das wirkliche Sein des menschlichen
Geistes ausmacht, ist nicht einfach, sondern aus sehr vielen Ideen zu-
sammengesetzt. Denn der menschliche Leib ist aus sehr vielen sehr
zusammengesetzten Individuen zusammengesetzt, und von jedem
körperlichen Individuum muß es notwendig eine Idee geben, da zu
jedem modus der Ausdehnung ein entsprechender des Denkens ge-
hört. Also muß die Seele aus so vielen Ideen bestehen, als es Teile
des Körpers gibt, welche als Individuen betrachtet werden können, i)
Daher muß auch von allem, was sich im Körper ereignet, eine Idee
im menschlichen Geiste sein, oder er muß es perzipieren. 2) Daraus
würde folgen, daß alle Vorgänge im menschlichen Leibe dem Geiste
bekannt seien und alle Teile des Körpers somit den Ereignissen m
ihnen jenem unmittelbar in vollständiger und klarer Erkenntnis vor-
liegen. Allein weil das der Erfahrung zu sehr widerstreitet, so weiß
Spinoza die Sache doch so zu drehen, daß er nur eine inadäquate
und verworrene Kenntnis der Seele sowohl von ihr selbst als von
ihrem Leibe samt dessen Affektionen heraus bekommt.^)
Der Beweis dafür beginnt mit dem Satze: ,,Die menschliche
Seele erkennt den menschlichen Körper und weiß um seine Existenz
nur durch die Ideen der Affektionen, die der Körper erleidet.
Die menschliche Seele ist nämlich die Idee oder Erkenntnis des
menschlichen Körpers" und schließt mit dem gerade entgegengesetzten:
„Die menschliche Seele erkennt den menschlichen Körper nicht." 4)
Allein dennoch hat Spinoza im Ganzen seines Systems nur recht
und mehr recht, als er selbst glaubt und will, wenn er für den
menschlichen Geist nur eine inadäquate Erkenntnis seiner selbst und
des Leibes herausbringt.
Für imsern gegenwärtigen Zweck interessiert uns nicht das Ein-
zelne seiner Psychologie, sondern nur seine Lehre von den inadä-
quaten und adäquaten Ideen überhaupt, da auf ihr die Richtigkeit
oder Unrichtigkeit alles Eolgenden beruht. Wir übergehen daher
seine speziellen psychologischen Lehren und halten uns nur an das
Allgemeine derselben.
Wir haben oben schon gesehen, daß Spinoza den menschlichen
Geist als einen Teil des unendlichen göttlichen Verstandes betrachtet.
Wenn man daher sagt, meint er, daß der menschliche Geist dieses
1) Ibid. Prop. 15.
2) Prop. 12.
8) Prop. 19. 23. 24 ff.
*) Prop. 19. Dem.
54 Spinoza.
oder jenes wahrnimmt, so sagt man nichts anderes, als daß Gott, niclit
inwiefern er unendlich ist, sondern inwiefern er durch die Natur des
menschlichen Geistes erklärt wird, oder inwiefern er das Wesen des
menschlichen Geistes ausmacht, diese oder jene Idee habe; und wenn
wir sagen, Gott habe diese Idee, nicht bloß inwiefern er die Natur
des menschlichen Geistes ausmacht, sondern inwiefern er zugleich
mit dem menschlichen Geiste auch die Idee einer andern Sache hat,
dann sagen wir, daß der menschliche Geist die Sache zum Teil oder
inadäquat wahrnehme, i) Denn dann liegt diese Idee des göttlichen
Verstandes nur zum Teil im menschlichen Geiste, zum Teil aber
außer ihm in der Idee der andern Sache. Der menschliche Geist
hat von ihr also keine vollständige, sondern nur eine verstümmelte,
also auch unklare, oder eine inadäquate Erkenntnis.
Erinnern wir uns nun daran, daß die endlichen Dinge nicht un-
mittelbar aus der absoluten Substanz folgen, sondern daß sie nur da-
durch sind, daß sie von einem andern endlichen Dinge und dieses
wiederum von einem andern und so ins Unendliche fort determiniert
werden, so folgt notwendig, daß nur in dem Falle eine adäquate Er-
kenntnis eines endlichen Dinges möglich wäre, wenn der menschliche
Geist diesen ins Unendliche gehenden Kausalzusammenhang durch-
schaute. Die Idee jedes einzelnen Dinges ist nur dann eine voll-
ständige, wenn zugleich die Ursache desselben erkannt wird; denn
nur durch seine Ursache ist es eben dieses bestimmte; diese Ursache
aber kann auch nur vollständig erkannt werden, wenn wiederum ihre
Ursache erkannt wird und so fort ins Unendliche. Der endliche
menschliche Geist also kann die einzelnen Dinge nur inadäquat er-
kennen. Aber es folgt auch wider Spinozas Absicht daraus, daß
selbst im unendlichen göttlichen Verstände keine adäquate Erkenntnis
der endlichen Dinge sein kann, denn auch er wird mit derselben nie
zu Stande kommen, da die Reihe der Ursachen ins Unendliche fort-
läuft. Das Unendliche aber entläuft jedem Begriffe, auch dem göttlichen,
da es eben seine Natur ist, nicht zusammengefaßt werden zu können.
Wie kommt denn nun aber der menschliche Geist zu adäquaten
Ideen und welche sind sie? Nach der Konsequenz des Systems
scheint ihre Möglichkeit gänzlich ausgeschlossen zu sein. Allein Spi-
noza glaubt dennoch einen Platz für sie gefunden zu haben. Was
allem gemeinsam ist, sagt er, was ebenso im Teile, wie im Ganzen
ist, macht nicht die Essenz irgend eines einzelnen Dinges aus; dieses
allem Gemeinsame ist aber der Gegenstand der adäquaten Ideen, denn
^) Ibid. Prop. 11. C!oroiI.
Der menschliche Geist. 55
es kann nur adäquat begriffen werden, i) Denn die Idee desselben
wird notwendig in Gott adäquat sein, sowohl insofern er die Idee
des menschlichen Körpers hat, als die Idee von dessen Affektionen,
welche sowohl die Natur des menschlichen Körpers als die der äußeren
Körper einschließen. Die Idee dieses Gemeinsamen wird also in Gott
adäquat sein, insofern er den menschlichen Geist bildet, oder der
menschliche Geist erkennt es adäquat. Daraus folgt dann weiter,
daß es gewisse Begriffe gibt, welche allen Menschen gemeinsam sind,
weil alle Körper in gewissen Dingen übereinstimmen, z. B. in der
Möglichkeit der Bewegung und der Ruhe, welche also von allen
adäquat oder klar und deutlich begriffen werden müssen; und daß
endlich der Geist desto fähiger zu umfassender adäquater Erkenntnis
ist, je mehr sein Körper mit andern Gemeinsames hat. ^) Kurz, die
allgemeinen Begriffe sind die adäquaten. Daher kann es denn auch
nicht verwundern, daß der menschliche Geist eine adäquate Idee von
dem spinozischen Gott hat. Denn jedes wirklich existierende Wesen
schließt die ewige und unendliche Idee dieses Gottes ein, weil er
eben weiter nichts ist als der Komplex der allgemeinsten Begriffe,
welche sich in dem Existierenden finden, der absolut allgemeine Be-
griff des Denkens und der Ausdehnung. Es ist daher auch ganz in
der Ordnung, wenn Spinoza geradezu sagt, daß die unendliche Essenz
Gottes allen bekannt sei. ^)
Hiermit hängt nun auch beiläufig sein dritter Grad der Er-
kenntnis oder die intuitive Erkenntnis genau zusammen. Diese be-
steht nämlich darin, daß das Erkennen von den Attributen Gottes
ausgeht und von ihnen aus die Essenz der Dinge erschließt.-^) Ver-
mittels dieser Erkenntnis glaubt er sehr viele adäquate Erkenntnisse
ableiten zu können, weil alles in Gott ist und durch Gott begriffen
wird.^) Der erste Grad der Erkenntnis nämlich schließt aus absti-akten
Begriffen, die wir aus den einzelnen inadäquaten Begriffen bilden
und gibt bloß Meinung und Einbildung. Der zweite schließt aus
Allgemeinbegriffen und den adäquat erkannten Eigenschaften der
Dinge, und liefert allerdings richtige Erkenntnis. Der Vorzug des
dritten Grades aber besteht darin, daß es keines Schlußverfahreus be-
darf, sondern daß man die Folge vermittels der Intuition erkennt;
wie man z. B. bei den Proportionen aus den einfachsten Zahlen
') Ibid. Prop. 37. 38.
'■') Ibid. Prop. 39. Coroll.
•') Ibid. Prop. 47. Schol.
*) Prop. 40. Schol. 2.
°) Prop. 47. Schol.
56 Spinoza.
1 : 2 = 3 : 6 das vierte Glied auf einen Blick aus dem einfachen
Verhältnis 1 : 2 erschließt.^) — Es bedarf danach wohl kaum der
Bemerkung, wie dürftig diese intuitive Erkenntnis ausfallen wird.
Von größerer Wichtigkeit ist die Frage, wie denn die allge-
meinen Begriffe, also die adäquate Erkenntnis, im menschlichen Geiste
entstehen können? Darauf antwortet Spinoza: Ich sage ausdrücklich,
daß der Geist weder von sich selbst noch von seinem Körper, noch
von äußeren Körpern eine adäquate, sondern nur eine konfuse Er-
kenntnis hat, so oft er nach der gemeinen Ordnung der Natur die
Dinge wahrnimmt, d. h. so oft er äußerlich aus dem zufälligen Ent-
gegenkommen (occursu) der Dinge bestimmt wird dieses oder jenes
zu betrachten, nicht aber so oft er innerlich bestimmt wird (disponi-
tur), dadurch, daß er mehrere Dinge zugleich betrachtet, ihre Über-
einstimmungen, Unterschiede und Gegensätze einzusehen; denn so oft
er auf diese oder andere Weise innerlich disponiert wird, dann be-
trachtet er die Dinge klar und deutlich. 2)
Fragen wir nun aber weiter, woher diese innerliche Disponierung
des Geistes komme? so fehlt alle Antwort, und muß im System des
Spinoza fehlen, denn die Möglichkeit der Bildung der Allgemeinbe-
griffe kann in ihm nur ein zu den Grundsätzen nicht passendes Ein-
schiebsel aus der Erfahrung sein. Was entspricht in der Körperwelt etwa
dem Allgemeinbegriff Obst oder Getreide? Nach dem Satze, daß die
Ordnung und Verbindung der Ideen der der Dinge entspricht, muß das
geistige Geschehen in strenger und unabänderlicher Parallele mit dem
körperlichen stehen; alle Vorgänge im Körper müssen sich gleichsam
in der Seele abspiegeln und umgekehrt kann sich in der Seele nichts
ereignen, was sich nicht auch in entsprechender Weise im Körper
ereignet. Nun ergeben sich aber doch alle Ereignisse im Körper
aus der gemeinen Ordnung der Natur, folglich müssen sich auch alle
Ereignisse in der Seele aus derselben gemeinen Ordnung ergeben.
Und gesetzt, die Seele könnte einen allgemeinen Begriff bilden, etwa
den der unendlichen Ausdehnung, welcher körperhche Vorgang könnte
dann nun wohl diesem allgemeinen Begriffe entsprechen? Diese inner-
liche Disponierung des Geistes zur Bildung der adäquaten Ideen würde
also den Geist aus dem strengen Parallelismus mit dem Körper los-
lösen, damit aber die Konsequenz der Ansicht völlig durchbrechen.
Denn wird dieser Parallelismus nicht festgehalten, so fällt für Spinoza
alle Möglichkeit der Erkenntnis und Behandlung der Außenwelt hin-
weg, die bei ihm nur auf jenem Parallelismus beruhen kann, da er
0 1- c.
*) P. 2. Prop. 29. Schol.
Ethik. 57
das eigentliche Kausalverhältnis zwischen Seele und Leib aufgehoben
hat. Die richtige Eonsequenz aber unterwirft den Geist, wie den
Körper nur dem gemeinen Laufe der Natur, und dieser liefert nur
inadäquate Ideen.
Hiermit bricht aber das System des Spinoza wiederum in zAvei
unvereinbare Stücke auseinander. Denn auf den adäquaten Ideen
beruht, wie wir sofort sehen werden, das eigentliche und wahre
Handeln des Menschen und darauf wiederum die Möglichkeit der
Glückseligkeit, dieses letzten Zieles, auf welches Spinoza mit seiner
ganzen Ethik zusteuert.
Ethik.
Seine Lehre von den Affekten oder vom Handeln und Leiden
des Menschen beginnt er daher mit dem Satze: daß der Mensch in-
sofern handelt; als er adäquate Ideen, und insofern leidet, als er in-
adäquate hat. Denn der Mensch handelt, wenn in ihm oder außer ihm
etwas geschieht, von dem er die adäquate Ursache ist, d. h. wenn das
Geschehen aus unserer Natur allein klar und deutlich erkannt werden
kann, und dies stimmt allerdings zu dem Satze, daß die adäquaten
Ideen solche sind, welche Gott hat, insofern er durch die Essenz
unseres Geistes allein erklärt wird. Hieraus folgt, daß der Geist desto
mehr den Leidenschaften unterworfen sein wird, je mehr inadäquate
Ideen er hat. ^) — Da wir nachgewiesen haben, daß er auch niemals
adäquate Ideen haben kann, so folgt, daß er auch niemals handelt,
sondern nur leidet. Diese Konsequenz liegt auch in der Definition
vom Handeln^ welche er aufstellt. Denn da die Natur unseres Geistes.
als eines endlichen Wesens, nicht aus sich selbst erklärt werden kann,
sondern nur aus dem unendlichen Zusammenhange der endlichen
Dinge , so kann auch kein Geschehen aus unserer Natur allein er-
klärt werden, sondern immer nur aus ihr in ihrer Verbindung mit
andern Dingen. Wir sind also von allem nur die teilweise Ursache,
und darin besteht eben nach Spinoza das Leiden.
Es ist beiläufig gesagt ein merkwürdiger Umstand, daß Spinoza
hier von einer eigenen Natur der Seele redet, als ob sie ein Reales
wäre, das ist was es ist, ohne durch anders bedingt zu sein. Er
kann nicht umhin, es zuweilen zu vergessen, daß nach seinen Grund-
sätzen das Einzelne nur in und mit der unendlichen Eeihe seiner
Bedingungen Halt und Bestand hat, und sofort verschwindet, wenn
es von dieser unendlichen Reihe der Bedingungen losgelöst betrachtet
') Eth. p. 3. Def. 1. 2. Prop. 1. CoroU.
58 Spinoza.
werden soll. Aber so oft er das Kichtige sieht, so oft bricht er auch
mit seinem eignen Systeme.
Zu dieser Bemerkung wird uns sofort wieder Gelegenheit gegeben,
wenn wir nach der Ursache fragen, die ein Handeln, also überhaupt
ein Streben, hervorruft. Spinoza erkennt sehr gut, daß kein Streben
sein kann ohne einen zu überwindenden Widerstand. Daher stellt
er sofort den Satz auf, daß die Dinge einander entgegengesetzt sein
und sich gegenseitig zerstören können, und indem er hierin die Vor-
aussetzung des Handelns gefunden hat, erklärt er für das Gemeinsame
alles Handelns das Streben sich selbst zu erhalten.^) Jedes Ding
nämlich ist ein bestimmter modus des göttlichen "Wesens und also
auch der göttlichen Macht, es hat also auch ein bestimmtes Quantum
Kraft, mit welcher es gegen die entgegengesetzten Dinge reagiert und
sich selbst zu erhalten strebt.
Aber leider ist die Störung der Dinge durcheinander und also
die Veranlassung zum Handeln im Zusammenhange des Systems nur
erschlichen. Erinnern wir uns daran, daß nur die modi ein und des-
selben Attributs miteinander im Kausalzusammenhange stehen, daß also
die modi verschiedener Attribute nicht aufeinander weder hemmend
noch fördernd einwirken können und sodann daran, daß das unendlich
Viele, was aus einem Attribute folgen soll, nur den logischen Folgen
einer Definition gleichen soll. Unter diesen aber kann es keinen Wider-
streit geben, wenn nicht die Definition selbst einen Widerspruch enthält,
— eine Annahme, die sich Spinoza in Bezug auf seine absolute Sub-
stanz ausdrücklich verbeten hat. Woher soll also der Widerstreit
und damit die Veranlassung zui Selbsterhaltung iü diesem Systeme
kommen? Gehen wir namentlich auf die 28. Proposition des ersten
Teils zurück, wo zuerst das Endliche auftritt, so sieht man, daß in
dem übrigen Endlichen nur der Grund zu suchen ist, warum dieses
Ding gerade dieses und kein anderes ist; das übrige Endliche ent-
hält also nur den Grund des Seins, nicht aber des Nichtseins dieses
bestimmten Dinges. Außerdem muß diese Reihe der Bedingungen
«T
ewig dieselbe sein, ohne die Möglichkeit eines Wechsels, ebeusoweni
als in den Folgen aus einer Definition ein Wechsel möglich ist.
Die Möglichkeit einer Störung oder gar Zerstörung ist da gänzlich
ausgeschlossen, folglich auch jeder conatus in suo Esse perseverandi
(Versuch in seinem Sein zu beharren).
Auf dieser erschlichenen Grundlage des Selbsterhaltungstriebes
ruht nun die Lehre von den Affekten. Auf die Einzelnheiten dieser
') r. 3. Trop. U.
Ethik. 59
sehr weitschweifig ausgeführten Lehre verlohnt sich nicht der Mühe
näher einzugehen. Es wird genügen, die leitenden Grundgedanken
herauszuheben.
Da das Streben sich selbst zu erhalten das Wesen des mensch-
lichen Geistes ist (als Ausdruck seiner Macht; die Macht ist aber
wiederum das Wesen selbst), der menschliche Geist aber sowohl
adäquate als inadäquate Ideen hat, so strebt er auf beide Weise sich
zu erhalten. Insofern er sich mit inadäquaten Ideen zu erhalten
strebt, ist er den Passionen unterworfen, deren Hauptarten Freude
und Traurigkeit und dann weiter Liebe und Haß sind. Die Handlungen
aber, welche aus den adäquaten Ideen hervorgehen, bilden die Tapfer-
keit mit ihren Unterarten des Mutes und der Großmut. Die Macht
der Leidenschaften beruht also auf Unwissenheit und Irrtum; die
Kraft des Handelns aber auf Erkenntnis. Denn der Mensch handelt
eben nur dann, wenn er durch adäquate Ideen bestimmt wird; alles
andere Handeln ist nur ein Scheinhandeln, in Wahrheit ein Leiden,
Insofern aber der Mensch adäquate Ideen hat, besitzt er Einsicht
oder Vernunft; das eigentliche Handeln besteht also im Erkennen;
was wir aus Vernunft erstreben, ist nichts anderes als Erkennen, i)
Das Höchste aber, was der Mensch einsehen kann, ist Gott, das ab-
solut unendliche Wesen. Also besteht das eigentliche Handeln, wo-
durch der Mensch sich selbst erhält, in der Erkenntnis Gottes. 2)
Mit dem Begriffe des Strebens, sich selbst zu erhalten, sind wir
auch zugleich bei der Grundlage der spinozischen Sittenlehre an-
gelangt. Denn die Grundlage der Tugend ist eben das Streben nach
Erhaltung des eigenen Seins. ^) Die Selbsterhaltung ist der einzige
Zweck alles Handelns und Leidens, sie ist das absolut Gute und
zwar allein ; denn alles andere erhält seinen Wert nur durch sie, und
wird nur gelobt oder getadelt, je nachdem es der Selbsterhaltung
förderlich oder hinderlich ist. Je mehr daher jemand seinen Nutzen
suchen kann, d. h. sein Sein zu erhalten strebt und es auch vermag,
desto mehr ist er mit Tugend begabt, dagegen, insofern jemand seinen
Nutzen, d. h. seine Selbsterhaltung vernachlässigt, ist er ohnmächtig. ^)
Hierbei ist jedoch nicht sofort an den gewöhnlichen Eigennutz zu
denken. Denn das eigentliche Wesen des menschlichen Geistes, als
eines modus des Denkens, ist das intelligere; daher handelt nur der-
jenige oder ist nur der mit Tugend begabt, welcher nicht durch
1) P. 4. Prop. 26.
^) Ibid. Prop. 28.
') Prop. 32. CoroU. u. p. 4. Prop. 18.
*) Prop. 20.
gQ Spinoza.
inadäquate Ideen oder durch Passionen, wie Zuneigung oder Ab-
neigung, Liebe und Haß, zum Handeln bestimmt wird, sondern den
vielmehr Einsicht und Vernunft, die sein eigenes Wesen ausmachen,
zum Handeln treiben. Also je mehr der Mensch vernünftig ist, Ein-
sichten hat, desto mehr erhält er sein eigenes Wesen, oder desto
mehr ist er mit Tugend begabt; nun aber besteht die höchste Ein-
sicht in der Erkenntnis Gottes; folglich ist diese die höchste Tugend
und Kraft des Menschen, oder sein höchstes Gut; denn je mehr der
Mensch Gott erkennt, desto besser kann er sich selbst erhalten. Das
Höchste, was die Seele erkennen kann, ist Gott d. h. das unbedingt
unendliche Wesen, ohne das nichts sein noch begriffen werden kann ;
und mithin ist der höchste Nutzen für die Seele oder das höchste
Gut die Erkenntnis Gottes, i) Also kein gemeiner Eigennutz, aber
dennoch nichts mehr als Eigennutz. Denn die Erkenntnis Gottes
wird zuletzt nur deshalb als das höchste Gut wert geschätzt, weil sie
der höchste Nutzen des Menschen ist, d. h. am meisten seinem Streben
sich zu erhalten dienlich ist.
Vermittels dieser Grundbestimraungen wird man sich leicht in
der Anlage der spinozischen Ethik orientieren können. Denn eine
Ethik, d. h. ein Vorbild des Handelns, will er wirklich aufstellen,
wenn auch noch nicht im dritten Teile, in welchem er nur eine
Theorie der Affekte als Vorbereitung gibt, so doch im 4. und 5. Teile
seines Werks, in denen er de Servitute und de libertate humana
(von der menschlichen Knechtschaft und Freiheit) handelt. Er er-
klärt sich darüber im Eingange des 4. Teils ziemlich deutlich. Die
Begriffe gut und böse, sagt er, zeigen zwar nichts Positives in den
Dingen an, insofern man sie an sich betrachtet, sie sind bloße raodi
cogitandi, welche aus der Vergleichung der Dinge entspringen (sie
sind also keine Erkenntnisbegriffe, was vollkommen richtig ist). Aber
obgleich es sich so verhält, so müssen wir doch diese Worte bei-
behalten. Weil wir eine Idee des Menschen zu bilden beabsichtigen,
als das Musterbild der menschlichen Natur, auf das wir hingehen
sollen, wird es für uns von Vorteil sein, dieselben Wörter in dem
erwähnten Sinn beizubehalten. Er will also ein Musterbild des
Menschen aufstellen, auf welches geschaut werden soll. Daher fährt
er fort: Unter gut werde ich das verstehen, wovon wir gewiß wissen,
daß es ein Mittel ist, dem Musterbilde der menschlichen Natur, das
wir uns vorsetzen, näher und näher zukommen; unter schlecht da-
gegen das, wovon wir gewiß wissen, daß es uns hindert, diesem
') P. 4. Prop. 28. Dem.
Ethik. ßl
Musterbild zu entsprechen. Wenn er also in dem Folgenden darstellt,
daß der MeDSch sich am besten selbst erhält, welcher nur nach adä-
quaten Ideen handelt, oder Gott erkennt, und er also die Erkenntnis
Gottes das höchste Gut nennt, so ist offenbar, daß er hiermit den
Inhalt jenes Musterbildes der menschlichen Natur angeben will.
Daraus ist auch zu verstehen, wie er unter der Erkenntnis des Guten
und Bösen nichts anderes als den Affekt der Freude und der Traurig-
keit, sofern wir uns desselben bewußt sind, verstehen will, i) Was
nämlich unsere Macht oder Tugend vermehrt, erregt uns Freude, das
Gegenteil aber- Trauer. Also wird das höchste Gut, die Erkenntnis
Gottes, uns auch die höchste Freude erregen, und also die Seligkeit
iu dieser Erkenntnis, oder was dasselbe ist, in der intellektuellen
Liebe zu Gott bestehen.
Hält man sich nun mehr an den Klang dieser Worte, als an den
Sinn, welchen sie im Systeme des Spinoza allein haben können, so
ist es leicht erklärlich, daß diese Ethik viele Verehrer gefunden hat,
welche die hohe Reinheit derselben nicht genug zu rühmen wissen,
denn daß die Erkenntnis Gottes das höchste Gut sei, und die Seligkeit
in der intellektuellen Liebe zu Gott bestehe, lautet vortrefflich genug.
Aber leider kann sich dieser günstige Schein vor einer genaueren
Untersuchung nicht halten!
Zunächst ist nicht aus den Augen zu lassen, daß das Streben,
sich selbst zu erhalten, das alleinige absolut Gute in dieser Ethik
ist, oder *das Prinzip, von welchem alles Lob und aller Tadel aus-
geht. Nur aus diesem Grunde wird die Erkenntnis Gottes als das
höchste Gut gelobt, weil sie dem Menschen zu seiner Selbsterhaltung
am nützlichsten ist. Nur deshalb wird der Mensch streben, daß auch
andere nach der Führung der Vernunft leben, weil sie unter dieser
Bedingung ihm am nützlichsten sind, also am meisten zu seiner
Selbsterhaltuug beitragen. 2) Nur deshalb ist der Haß schlecht, weil
er eine Art von Traurigkeit ist, und die Traurigkeit eine Passion ist,
durch welche der Geist zu geringer Vollkommenheit übergeht, also
weniger fähig wird, sich selbst zu erkalten u. s. f. Damit ruht also
diese ganze Ethik auf der Selbstsucht, wie auch ziemlich unverblümt
gesagt wird: Niemand strebt sein Sein eines andern Dinges wegen
zu erhalten. Denn wenn der Mensch eines andern Dinges wegen
sein Sein zu erhalten strebte, dann würde jenes andere Ding die erste
Grundlage seiner Tugend sein. ^)
') P. 4. Prop. 8.
») Prop. 37. Dem.
*) P. 4. Prop. 25 u. Dem.
62 Spinoza.
Weiter aber ist dieses Streben sich selbst zu erhalten, nichts
anderes, als das wirkliche Wesen oder die Macht eines jeden Dinges,
und aus seinem Wesen folgen alle seine Handlungen mit Notwendig-
keit. 1) Ein jedes Ding sucht sich also mit Notwendigkeit zu erhalten,
soviel an ihm liegt und in seiner Macht steht. Was also als gut
oder böse bestimmt wird, muß sich nach diesem Streben oder dieser
Begierde richten, die unwillkürlich in der Natur des Menschen liegt.
Nicht ein vom Wollen oder Begehren des Menschen unabhängiges
Prinzip entscheidet über das, was gut oder böse ist, sondern diese
Begierde selbst gibt diese Entscheidung. Aus diesem allen geht hervor,
daß wir nach nichts streben, nichts wollen, nichts erstreben noch
begehren, weil wir es als gut beurteilen, vielmehr umgekehrt, daß
wir etwas als gut beurteilen, weil wir darnach streben, es wollen,
erstreben, begehren. -} Die Begierde ist also die absolute Herrscherin
im Reiche dieser Ethik, sie ist's, welche billigt und verwirft. Aller-
dings kann über einzelne, besondere Begierden auch ein Urteil er-
gehen, je nachdem sie der allgemeinen Begierde nützlich oder schäd-
lich sind, allein dieses Urteil steht selbst im Dienste jener allgemeinen
Begierde nach Selbsterhaltung. Aber dieses Urteil kann den ein-
zelnen Willensstrebungen nicht das Prädikat gut und böse, sondern
nur des guten und schlechten, d. h. des nützlichen und weniger nütz-
lichen anheften: ein absolutes Urteil der Billigung oder Verwerfung
ist nicht möglich. Denn jede Begierde, sie sei welche sie wolle, hat
die Selbsterhaltung des Menschen zu ihrem Zwecke; auch die Pas-
sionen, die aus inadäquaten Ideen entstehen; weil, wie oben gezeigt
ist, der Mensch sich nicht bloß insofern zu erhalten strebt, als er
adäquate, sondern auch als er inadäquate Ideen hat. Jede Begierde
ist daher an sich gut, nur die eine mehr, die andere weniger, je
nach ihrer Stärke oder Macht, die Selbsterhaltung wirklich zu erreichen.
Es gibt daher in dieser Ethik keinen absoluten Gegensatz gegen das
Gute. Dieser, das absolut Verwerfliche oder das Böse, wäre die ab-
solute Ohnmacht, das Nichtexistieren. Jedes aber, was existiert, hat
einen Teil an der Realität, also auch an der Vollkommenheit, der
Macht, der Tugend, und jede Äußerung seines Willens und Strebens
ist ein Zeichen dieser Vollkommenheit, Macht und Tugend, sie sei so
groß oder klein wie sie wolle. Das Böse ist also in dieser Ethik nur
das, was niemand will und niemand kann. Diese ethische Ansicht
mußte für Spinoza um so verführerischer sein, je mehr sie in Harmonie
') P. 3. Prop. 7 u. Dem.
') P. 3. Prop. 9. Schol.
Ethik. 63
mit seiner theoretischen Weltanschauung stand und die volle Kon-
sequenz derselben ihm verborgen blieb.
Wir haben schon früher gesehen, daß seine ganze Weltanschauung
unter dem Quantitätsbegriff steht. Die absolute Substanz mit ihren
unendlich vielen Attributen ist das volle Quantum der Realität, Voll-
kommenheit und Macht; daher auch das absolut Unabhängige und
Freie, welches allein nach seinen eigenen Gesetzen handelt. Sie
erscheint daher auch als das Vorzüglichste und Würdigste, solange
man nämlich vergißt, daß ihr gar kein -wirkliches Wollen zugeschrieben
werden kann, sondern sie nur der Komplex der höchsten Allgemein-
begriffe ist, unter welche alles Wirkliche subsumiert werden kann.
Denn nur aus einem solchen Vergessen ist es zu erklären, daß man
das Sein, die Realität, die Größe der Wirkung oder die Macht mit
dem sittlich Guten identifiziert, abgesehen davon, daß diese Größe
das geistige Auge dergestalt blendet, daß es die übrigen sittlichen
Ideen nicht sehen kann. Ist nun dieses ens realissimum das volle
Maß der Vorzüglichkeit, so werden natürlich die modi desselben,
oder die einzelnen Quanta, in welche es eingeteilt ist, an ihm ge-
messen, und ihnen je nach ihrer Größe, oder nach dem Quantum der
Realität und Macht Tugend und Vorzüglichkeit beigelegt. Spinoza sagt
das selbst mit deutlichen Worten in der Vorrede zum vierten Teile der
Ethik: Wir pflegen nämlich alle Individuen in der Natur auf eine
Gattung zurückzuführen, die wir die allgemeinste nennen: auf den
Begriff des Wesens, der sich auf alle Individuen in der Natur über-
haupt erstreckt. Sofern wir daher die Individuen in der Natur auf
diese Gattung zurückführen, sie dann miteinander vergleichen und
dabei bemerken, daß die einen mehr Seinsgehalt oder Realität haben,
als die andern , insofern sagen wir, daß die einen vollkommener sind
als die andern. — Es ist dies freilich ein anderer und in Wahrheit
ein einem Teile der richtigen ethischen Beurteilung näher liegender
Gesichtspunkt, als der, welcher vom Prinzip der Selbsterhaltung aus-
geht. In ihm zeigt sich wenigstens ein Ansatz zu einer Beurteilimg,
die nicht im Dienste der Begierde steb^; die Größe der Macht wird
hier unmittelbar gelobt, während sie vom Prinzipe der Begierde, sich
selbst zu erhalten, nur mittelbar, als ein für die Begierde Nütz-
liches, gelobt wird. Allein wo dieser Unterschied der absoluten und
relativen Wertschätzung noch nicht scharf genug erkannt wird, da
verschwimmen beide natürlich leicht ineinander, zumal wenn wie hier
der Erfolg derselbe ist, und von dem einen wie dem andern Prinzip
aus das Lob auf dasselbe, auf die Realität oder die Macht, fällt.
Bei alledem würde Spinoza aber doch sein System selbst ver-
54 Spinoza.
worfen haben, wenn sich ihm die volle Konsequenz desselben offen-
bart hätte. Nach dem Satze : Die Ordnung und Verbindung der Dinge
ist dieselbe als der Ideen, und dem andern, daß Geist und Körper
ein und dieselbe Sache ist, nur unter verschiedenen Attributen be-
trachtet, muß folgerichtig die Kraft des Körpers sich selbst zu er-
halten derselben Kraft des Geistes genau entsprechen. Im stärksten
Körper muß die stärkste Seele wohnen; und daraus folgt auf Grund
der Gleichung zwischen potentia (Macht) und virtus (Tugend), daß
der Körper, welcher sich am besten erhalten kann, auch die tugend-
hafteste, vernünftigste Seele hat. Krankheit, Schwäche u. dergl. sind
sichere Kennzeichen einer schlechten, tugendiosen, wenig vernünftigen
Seele. Ja man ist berechtigt, noch häßlichere Folgen daraus zu
ziehen. Derjenige, welcher dem andern an Körperkraft überlegen ist,
ist ihm auch an geistiger Tugend überlegen. Der Mörder, welcher
einen andern erschlägt, ist tugendhafter, als der Ermordete, denn
jener erhält sich selbst, dieser hat nicht die Macht dazu. Freilich
wird Spinoza dem Mörder inadäquate Ideen zuschreiben und sein
Handeln für ein Leiden ausgeben, und etwa dem an Körper schwachen
Weisen wegen seiner adäquaten Ideen mehr Tugend beilegen, als
seinem Mörder. Allein darin liegt eben die Inkonsequenz. Denn
wenn es auch gelingen möchte, die Handlung des Mordens für ein
Leiden auszugeben, so wird man doch schwerlich mit aller Kunst
herausbringen, daß das passive Ermordetwerden eines Weisen eine
Handlung desselben ist, oder daß sich darin der Parallelismus der
körperlichen und geistigen Kraft offenbart. In der Konsequenz des
Systems liegt immer, daß die Kraft des Geistes und des Körpers sich
selbst zu erhalten dieselbe sein muß, denn Geist und Körper sind
ein und dieselbe Sache. In gewisser Hinsicht spricht auch Spinoza
diese Konsequenz selbst aus, wenn er sagt: Wer einen Körper hat,
der zu sehr vielerlei fähig ist, der hat eine Seele, deren größter Teil
ewig ist 1) (d. h. hat die meisten adäquaten Ideen) ; er denkt hier aber
wahrscheinlich nur an den Unterschied des menschlichen und tierischen
Körpers und an den eines durch Übung in Kunst und Wissenschaft
ausgebildeten und eines ungeschickten und ungeübten Körpers.
Abgesehen von dieser unglücklichen Konsequenz, welche dem
Spinoza nur deshalb widerfahren ist, weil er seine Ethik auf eine
verunglückte Metaphysik baute; abgesehen auch von der gänzlich
falschen Begründung der gesamten ethischen Anschauung auf den
Selbsterhaltungstrieb, ist endlich auch dasjenige, was er als das ethisch
^) Eth. p. 5. Prop. 39.
EthiL 65
Höchste preist, die Einsiciit oder die intellektuelle Liebe zu Gott,
durchaus ungenügend. Denn unter dieser intellektuellen Liebe Gottes
dart man nicht etwa dasselbe verstehen wollen, was etwa im Christen-
tum die Liebe zu Gott bedeutet, sondern nur die Freude an der
theoretischen Erkenntnis. Wir freuen uns an dem, sagt er, was wir
vermittels des dritten Grades der Erkenntnis einsehen, und zwar in-
dem die Idee Gottes, als die Ursache dieser Freude, sie begleitet.
Aus diesem dritten Grade der Erkenntnis entspringt notwendig die
intellektuelle Liebe zu Gott; denn die Freude, welche von der Idee
Gottes, als ihrer Ursache begleitet wird, ist die Liebe zu Gott, nicht
inwiefern wir uns einbilden, Gott sei uns gegenwärtig, sondern in-
wiefern wir einsehen, daß Gott das ewige Sein ist. i) Es ist also nur
die Freude an dieser theoretischen Erkenntnis, welche das meta-
physische System Spinozas bietet; an der Erkenntnis also jener
unendlichen Substanz, aus welcher Unendliches auf unendliclie Weise
mit absoluter Notwendigkeit folgt.
Nun ist allerdings eine wirklich theoretische Einsicht und noch
vielmehr die ethische Einsicht ein sehr hohes und wertvolles Gut,
weil sie eine von den Bedingungen ist, um einen vollendet sittlichen
Willen in der Wirklichkeit zu ermöglichen; auch gewährt sie ohne
alle Frage eine reine und hohe Freude und Befriedigung in ihrer
Art; allein weder dieses ihr Resultat noch ihre Eigenschaft als Be-
dingung zum wirklichen sittlichen Wollen können sie zu dem absolut
Guten oder Lobenswerten selbst machen. Sie leuchtet doch gleich-
sam nur mit fremdem Glänze; mit dem Glänze nämlich, welchen der
absolut gute Wille, als ihr Zielpunkt, ihr leiht. Wir können nur
mit dem Apostel Paulus sprechen: Und wenn ich wüßte alle Ge-
heimnisse und hätte alle Erkenntnis und hätte der Liebe nicht, so
wäre ich nichts.
Die Ethik des Spinoza ist daher, wie Herbart zwar mit hartem,
aber doch nicht ungerechtem Worte sagt, unter aller Kritik.-) Denn
ihr fehlt eben das, was das eigentlich Ethische in der Ethik ist, die
Aufstellung der Ideen, welche den absolut guten Willen charakterisieren;
sie kennt gar nicht den Gedanken eines an sich guten AYollens, das
absolut um seiner Beschaffenheit willen, von allem Erfolge und Werke
desselben abgesehen, gelobt werden müsse. Sie kennt in der Tat
^) P. 5. Prop. 32, Coroll.
2) Hei-bart im 5. Brief über die Freiheit des menschl. Willens, 109. Harteiist.
IX. 310, Kehrbach X. 258.
Religionsphilosophie: Spinoza. •-'
QQ Spinoza.
nur die nackte Begierde der Selbsterhaltiing und einige Regeln, nach
denen diese Begierde am sicliersten befriedigt wird.
Das sind der Vorwürfe genug, und es ist nicht nötig, ihnen den
nicht ganz gerechten hinzuzufügen, daß Spinoza die Begriffe des
Guten und Bösen, Schönen und Häßlichen in die Reihe der bloßen
Vorteile stelle. Allerdings sind die Äußerungen im Anhange zum
ersten Teile der Ethik etwas unvorsichtig.
Allein es ist nicht zu übersehen, daß er dort gegen diejenigen
streitet, welche durch die Begriffe, gut, böse, Ordnung, Verwirrung,
warm, kalt, Schönheit, Häßlichkeit die Natur der Dinge erklären
wollen, und daß er dort die aus einem ganz gemeinen Eudämonis-
mus entsprungenen ethischen und ästhetischen Begriffe vor Augen
hat. Darin aber werden wir ihm im allgemeinen recht geben
müssen, daß die ethischen Begriffe nicht Erkenntnisbegriffe sind,
oder wie er sagt, nichts Positives von den Dingen an sich betrachtet
aussagen; daß sie vielmehr aus einer A^ergleichung entspringen. Nur
ist Spinoza allerdings unendlich weit davon entfernt zu wissen, was
und wie verglichen werden muß, oder welche Verhältnisse aufgesucht
werden müssen, um die absoluten Urteile über das, was böse und
gut ist, zu finden.
Die Ethik des Spinoza ist von jeher anstößig gewesen. Aber
wir möchten den Grund des Absehens, welchen man vor ihr gehabt
hat weniger ihrem Eudäraonismus zuschreiben. Denn darin mußten
sich die meisten ethischen Philosophen mit ihm verwandt fühlen,
wenn es ihnen auch nicht gelang, denselben so rein und nackt aus-
zusprechen. Dieser Eudämonismus war die Philosophie jenes ganzen
Zeitalters. Das eigentlich Abschreckende war dagegen der Fatalismus,
das Fehlen dessen, was man als Freiheit des menschlichen Willens
mehr mit dunklem Gefühle pries, als mit deutlichen Begriffen erkannte.
Und doch hat Spinoza gesucht, auch diese mit in sein System auf-
zunehmen, wie sein fünfter Teil der Ethik bezeugt, welcher über die
Macht des Verstandes oder die menschliche Freiheit handelt.
Wir werden daher etwas näher nachzusehen haben, wie sich die
Sache eigentlich verhält.
Über die menschliche Freiheit.
Gehen wir auf die Grundzüge seines Systems zurück, so ist
offenbar, daß eine solche Freiheit des Willens,, wie sie etwa Kant
verlangte, das Vermögen, einen absolut neuen Anfang in den Kausal-
reihen zu machen, mit der spinozischen Ansicht absolut unverträglich
ist. Ist alles Geschehen in der Welt nur ein notwendiges Abfließen
über die menschliclie Freiheit. (37
der Folgen aus ihren Gründen, oder geschiebt alles mit derselben
Notwendigkeit, mit welcher in einem Dreiecke die Winkel gleich zwei
Rechten sind, wie Spinoza oft genug wiederholt, und ist jedes einzelne
Ding in seinem Sosein durch die unendliche Eeihe der andern Dinge
bestimmt, so bleibt für den Gedanken, daß in diesem festzusammen-
gefügten Universum möglicherweise etwas anders sein könnte, als es
nun gerade ist und geschieht, kein Raum übrig. Gott allein ist eine
freie Ursache, aber nicht weil er die Wahl hätte anders zu handeln,
sondern weil er allein nach den Gesetzen seiner Natur handelt; wes-
halb auch die Dinge auf keine andere Weise von Gott hervorgebracht
werden konnten, als sie hervorgebracht sind. Jede endliche Ursache
aber, also auch jeder Wille, ist eine gezwungene, unfreie; denn sie
wird von einem andern modus der absoluten Substanz, also von
einer fremden Ursache zum Sein und Handeln bestimmt. ^) Ebenso-
wenig wie Gott aus der Freiheit des Willens handelt, handelt auch
der Mensch aus einer solchen. Er handelt und kann nur handeln
gemäß derjenigen Bestimmung, welche seine Natur nun einmal hat.
Aber mitten in dieser Bestimmung, nach welcher der Mensch der
gemeinsamen Ordnung der Natur unterworfen ist und also der blinden
Notwendigkeit gehorcht, sucht Spinoza dennoch für die Freiheit, d. h.
für die Macht und Herrschaft der Yernunft über die Begierde, Raum
zu gewinnen.
Zu dem Ende behauptet er, daß jeder Affekt, welcher eine
Passion ist, aufhört eine solche zu sein, sobald man eine klare und
deutliche Idee desselben bildet. Nun kann man aber von allen
Körperaffektionen eine klare und deutliche oder adäquate Idee bilden,
da diese Affektionen etwas Gemeinsames sind, und die Begriffe dessen,
was allen gemeinsam ist, adäquat sind. Ein jeder hat es also in
seiner Gewalt, sich und seine Affekte, wenn auch nicht absolut, so
doch zum Teil klar und deutlich einzusehen, und dadurch zu be-
wirken, daß er von den Passionen weniger leidet.-) Ferner leidet
der Geist weniger von den Passionen, wenn er erkennt, daß alle
Dinge notwendig sind. '^) Denn wenn er ein Ding frei betrachtet, so
denkt er, es sei allein die Ursache des Affekts und hat daher gegen
dasselbe allein entweder Liebe oder Haß; sieht er aber ein, daß es
nicht frei ist, sondern durch andere Ursachen bestimmt ist, ihn zu
affizieren, so vermindert sich gegen dasselbe sein Affekt. (Liebe oder
') Eth. p. 1. Prop. 32.
2) P. 5. Prop. 3. 4. Schol.
=») Prop. 6.
68 Spinoza. ^
Hass wird sich also auf die andern Ursachen mit verteilen; wenn
man also etwa einsieht, daß das ganze Universum mitwirkt, um uns
irgend ein Leid oder eine Freude anzutun, so wird sich der Haß
oder die Liebe auf das ganze Universum verteilen und also gegen
das einzelne Ding unendlich klein werden.) Dazu kommt noch, daß
der Geist in diesem Falle eben durch den Affekt bestimmt wird, an
mehrere Dinge zu denken, er also durch denselben nicht am Denken
gehindert wird. Damit aber verschwindet das Übel des Affekts; denn
dieser ist nur insofern ein Übel, als der Geist durch ihn am Denken
gehindert wird.^)
Erkennt man endlich in klaren und deutlichen Begriffen, daß
ein Affekt aus dem notwendigen Zusammenhange aller Dinge ent-
steht, so bezieht man eben dadurch denselben auf die Idee Gottes. 2)
Daraus aber erwächst dem Geiste Freude. Denn diese ist überhaupt
eine unzertrennliche Begleiterin der adäquaten Erkenntnis, da der
Geist in derselben seiner eigenen Macht inne wird. Erkennt nun
der Geist adäquat, daß Gott die Ursache seiner Affekte ist, so freut
er sich, indem er in dieser Freude die Idee Gottes, als die Ursache
dieser Freude hat; er liebt also Gott. Bezieht folglich der Mensch
alle seine Affekte auf Gott, so bewirkt er dadurch, daß die Liebe zu
Gott seinen Geist am meisten einnimmt; ^) denn dann ist diese Liebe
ja mit allen Affekten verbunden, und wird also selbst der beständigste
aller Affekte sein. ^) Da nun aber die Ordnung und Verbindung der
körperlichen Affektionen sich nach der Ordnung und Verbindung der
Ideen richtet, so hat hiernach also die Vernunft die Affekte in ihrer
Gewalt und kann bewirken, daß der Geist sich über dieselben erhebt.
Ohne uns bei der Dürftigkeit des Inhalts dieser Sätze, durch
welche die Macht der Vernuft über die Affekte dargestellt werden
soll, hier aufzuhalten, da es ohnehin auf der Hand liegt, daß hier
alles auf eine Ergebung in das absolut Unvermeidliche und Unver-
änderliche hinauslaufen muß, bemerken wir vielmehr, daß Spinoza
nicht, unrecht haben würde, mitten in seinem Determinismus von
einer durch die Macht der Vernunft zu erlangenden Freiheit zu
reden, wenn er nur irgendwo in seinem ganzen System die Ursache
nachweisen könnte, durch welche die adäquaten Ideen im Geiste des
Menschen entstehen. Wir haben oben nachgewiesen, daß nach der
^) Prop. 9. dem.
^ Prop. 14.
=0 Prop. 16.
*) Prop. 20. Schol.
über die menschliche Freiheit. 69
ganzen Anlage des Systems der endliche Geist nur inadäquate Ideen
haben kann. Denn der endliche Geist besteht nur aus den Ideen
der Teile des Körpers, dessen Idee er ist. Diese Teile des Körpers
aber sind in ihrem Sosein durch andere Körper bestimmt, die
nicht zu jenem Körper gehören, deren Ideen also auch nur insofern
als sie den Körper bestimmen, also nur partiell, in dem Geiste sein
können. Also ist jede einzelne Idee im Geiste notwendig inadäquat;
denn um sie adäquat zu denken, müßte die ganze unendliche Reihe
ihrer Ursachen mitgedacht werden.
Und hier — ■ nicht in der Leugnung einer indeterministischen
Freiheit — sondern in der Unmöglichkeit, eine Ursache nachzuweisen,
daß im menschlichen Geiste vernünftige Einsicht entstehe and sich
vermehre, oder in der völligen Gebundenheit des menschlichen Geistes
an den gemeinen Lauf der Natur liegt das Ungenügende und Ab-
stoßende des spinozischen Systems.
Steht das geistige Geschehen auf allen Stufen seiner Ausbildung
in strenger Parallele mit dem Geschehen im menschlichen Leibe, so
ist gar keine Möglichkeit abzusehen, wie eine vernünftige Einsicht
und ein sittliches Wollen im menschlichen Geiste entstehen können,
worin sich nach den Gesetzen dieser Einsicht und dieses Wollens
Antriebe zum Handeln erzeugen könnten, die von den körperlichen
Affektionen und deren Verkettung unabhängig wären. Und das ist
das Eigentliche, was man durch die Behauptung eines freien Willens
retten will, und was man in den Systemen vermißt, die man des
Fatalismus beschuldigt.
Hiermit hängt endlich noch der alle religiöse Hoffnung ver-
nichtende Umstand zusammen, daß in der Welt des Spinoza durch
sittliches Handeln weder etwas gebessert, noch durch unsittliches
etwas verschlechtert werden kann, oder mit andern Worten, daß sein
System alle sittliche Weltentwicklung ausschließt. Zwar in dem ein-
zelnen Menschen oder auch in dieser oder jener begrenzten mensch-
lichen Gemeinschaft mag es möglich sein, wenn es die Ordnung der
Natur so mit sich bringt, daß sich ein größeres Quantum von Realität,
Vollkommenheit, Macht oder Tugend anhäufe, oder daß die intellek-
tuelle Liebe zu Gott die Affekte bändige; aber damit wird für das
Ganze nichts gewonnen; denn je mehr Realität oder Tugend an dem
einen Orte ist, desto weniger muß davon an einem andern sein, weil
das absolute Quantum der Realität, die absolute Substanz, nicht ver-
mehrt noch vermindert werden kann. Jeder endliche modus ist ein
bestimmtes Quantum der Substanz, und alle die unendlich vielen
modi zusammengenommen enthalten das ganze Quantum der Substanz
70 Spinoza.
oder der Realität. Würde also die Realität des einen modus vermehrt,
ohne daß zugleich die eines oder einiger andern vermindert würde,
so wäre die ganze Summe der Realität größer geworden , oder die
Realität der absoluten Substanz wäre gewachsen. Da dies nun un-
möglich ist, so muß die Vermehrung der Realität des einen modus
die Verminderung desselben in andern zur Folge haben. Alle Welt-
geschichte und Weltentwicklung ist also ein eitles Bemühen; denn
im großen und ganzen bleibt immer dasselbe Quantum von Realität
also auch von Einsicht, Tugend und Gottesliebe.
Unsterblichkeit.
Nachdem wir den Gottesbegriff und die ethischen Prinzipien bei
Spinoza untersucht haben, bleibt uns noch die Frage nach dem dritten
Faktor einer Religionsphilosophie übrig: die Frage nach der Unsterb-
lichkeit des menschlichen Geistes.
Nachdem Spinoza die gesamten Heilmittel der Affekte, wie sie
oben aufgeführt sind, glaubt angegeben zu haben, fährt er merkwürdiger-
weise also fort: Es ist an der Zeit, zu dem überzugehn, was die
Dauer der Seele ohne Beziehung auf den Körper betrifft, i) Kein
Wort kann in dem Systeme des Spinoza unerwarteter kommen!
Wenn ein modus der Ausdehnung und die Idee dieses modus ein
und dieselbe Sache ist, nur auf zwei verschiedene Weisen ausge-
drückt,-) so muß auch der menschliche Körper und der Geist dieses
Körpers, der ja eben als die Idee desselben erklärt ist, ein und die-
selbe Sache sein, nur auf zwei verschiedene Weisen ausgedrückt.
Wie kann denn nun von der Dauer des menschlichen
Geistes ohne Bezug auf den Körper die Rede sein; dann müßten ja
der Geist und sein Körper nicht ein und dieselbe Sache, sondern
zwei verschiedene Sachen sein, die nur zufällig miteinander verbunden
wären !
Unser Staunen wächst, wenn wir weiter lesen, daß der Geist zwar
nichts sich vorstellen (imaginari), noch sich einer Sache erinnern kann,
wenn nicht der Körper vorhanden ist; daß aber in Gott notwendig
sich eine Idee findet, welche die Essenz dieses oder jenes Körpers
sub aeternitatis specie (Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit) aus-
drückt, weil Gott nicht nur die Ursache der Existenz, sondern auch
der Essenz desselben ist, daß also der menschliche Geist nicht mit
dem Körper absolut vernichtet werden kann, sondern etwas von ihm
^) Eth. p. 5. Prop. 20. Schol. infim.
') P. 2. Prop. 7. Schol.
Unsterbliclikeit. ^ 1
übrig bleibt, was ewig ist. ^) Dieser Teil des Geistes aber, welcher
übrig bleibt (quae reraauet), ist der Intellekt, der Teil aber, welcher
mit dem Körper untergeht, ist die Imagination (das Vorstellen und
das Gedächtnis).-)
Ob sich Spinoza den Schein geben wollte, daß auch er von einer
Unsterblichkeit des menschlichen Geistes zu reden habe, oder ob er
sich selbst getäuscht und gemeint hat, die Ewigkeit des Geistes auf
bessere Art zu verstehen, als die gewöhnliche Meinung, nach welcher
das Gedächtnis nach dem Tode übrig bleiben solle, können wir da-
hin gestellt sein lassen. Offenbar ist, daß er sich hier in den gröb-
sten Selbstwidersprüchen umhertreibt.
Der Eingang zu dieser Lehre läßt erwarten, daß er von der
Dauer (duratio) der Seele ohne Körper reden will. In der Tat aber
redet er von „einer ewigen Existenz, die durch die Zeit nicht bestimmt
noch durch die Dauer erklärt werden kann''. 3) Denn er sagt: Ob-
gleich wir uns nicht erinnern, daß wir vor dem Körper existiert haben,
so sind wir uns doch bewußt (sentimus), daß unser Geist ewig sei
und diese seine Existenz nicht durch die Zeit bestimmt oder durch
die Dauer nicht erklärt werden könne. Diese Ewigkeit der Existenz,
welche er wie eine ewige Wahrheit auffaßt, unterscheidet er aber sonst
ausdrücklich von der Dauer, auch selbst wenn diese ohne Anfang
und Ende gedacht wird.-*) Er redet also in Wahrheit nur von der
Ewigkeit oder zeitlosen Geltung, wie sie den Begriffen zukommt.
Hiermit ist aber für das Übrigbleiben des Geistes nach Auflösung des
Körpers, also für eine von der Existenz des Körpers unabhängige
Existenz des Geistes gar nichts gewonnen. Hätte Spinoza aber diesen
seinen Sätzen keine andere Bedeutung beilegen wollen, als daß sie
die Zeitlosigkeit des Begriffs der Seele dartun sollten, warum redet
er denn nicht auch von der Ewigkeit des Körpers? Diese folgt ja
auch auf dieselbe Weise aus seineu Voraussetzungen. Denn wenn der
Geist deshalb ein ewiger modus des unendlichen Denkens ist, weil
die Essenz des Körpers, dessen Idee er ist, mit ewiger Notwendigkeit
aus der Essenz Gottes folgt, so ist aus demselben Grunde auch der
Körper ein ewiger modus der unendlichen Ausdehnung Gottes. Daß
aber Spinoza mehr als bloß die Zeitlosigkeit oder ewige Notwendigkeit
des Begriffs beweisen will, geht endlich auch aus folgendem Satze
') Eth. p. 5. Prop. 21—23.
iä) Prop. 40. Coroü.
•') P. ö. Prop. 23. Schul.
^) P. 1. Def. 8. Explic.
72 Spinoza.
hervor: die Seele ist den Affekten, die zu den Leidenschaften gehören,
nur unterworfen, solange der Körper dauert, i) zu welchem er das
CoroUarium hinzufügt: hieraus folgt, daß keine andre Liebe ewig ist,
als die geistige Liebe. Mit dem Tode des Körpers hören also die
Affekte und mit ihnen die Einbildung und das Gedächtnis auf, und
es bleibt nur der reine Verstand , oder die intellektuelle Liebe zu
Gott übrig.
Wie sehr Spinoza mit diesem allen aus seiner Rolle fällt, ist
offenbar. Die einfache Konsequenz seiner Lehre war die Auflösung
des menschlichen Geistes mit der Auflösung des Körpers. Der Geist
ist die Idee des Körpers und besteht aus soviel einzelnen Ideen als
der Körper aus Körperteilen. Hört also die Verbindung der Körper-
teile auf, welche sie zu diesem menschlichen Körper macht, so muß
auch die Verbindung der einzelnen Ideen aufhören, welche sie zu
diesem menschlichen Geiste macht; so fordert es der strenge Paral-
lelismus zwischen den modis der Ausdehnung und des Denkens, und
der Satz, daß Geist und Körper ein und dieselbe Sache ist, nur unter
verschiedenen Attributen angesehen. Diese strenge Identität des Geistes
und Körpers verließ Spinoza aber schon an dem Punkte, wo er mit
einer kurzen Behauptung die Möglichkeit der adäquaten Ideen er-
schlich, und hier scheint er sie gänzlich vergessen zu haben, wo er
von einem Übrigbleiben des Geistes nach Aufhören des Körpers redet.
Daß Spinoza aber trotzdem verleitet werden konnte, von einer ewigen
Existenz des menschlichen Geistes zu reden, hängt mit einem der
tiefsten Schäden seines ganzen Systems zusammen. Wir haben ge-
sehen, wie nach der reinen Konsequenz der 10. Proposition im ersten
Teile alle Folgen der unendlichen Substanz mit ewiger, unveränder-
l'icher Notwendigkeit sich ergeben; wenn ihnen also eine Existenz
zugeschrieben wird, so muß dies eine zeitlose, ewige sein. Da hier-
aus sich aber die wirklich in Zeit und Raum erscheinende und ver-
änderliche Welt nicht erklären läßt, so mußte die Ursache dieser
endlichen Existenz in der unendlichen Reihe der endlichen .Dinge,
die sich einander bedingen, gesucht werden. Hiermit entstand
nun der Schein, als ob die Dinge auf zweierlei verschiedene Weisen
existierten, wie Spinoza das auch mit deutlichen Worten sagt: die
Dinge werden von uns auf zweierlei W^eisen als wirklich begriffen:
entweder sofern wir sie als mit Beziehung auf eine gewisse Zeit und
einen gewissen Ort existierend begreifen, oder sofern wir sie in Gott
') P. 5. Prop. 34.
Uri Sterblichkeit. 73
enthalten und aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgend
begreifen. ^)
Wenn nun diese beiden Existenzweisen, welche sich miteinander
ebensowenig vertragen als die unendliche Substanz mit den endlichen
modis, dennoch miteinander in Verbindung gebracht werden, so kann
der Schein entstehen, als ob die endliche Existenzweise z. B. des
menschlichen Geistes in Zeit und Kaum gleichsam nur ein Abschnitt
auf der unendlichen Linie der ewigen Existenzweise sei, so daß diese
jener begrenzten Existenz sowohl vorhergeht, als auch nachfolgt.
Und wir haben ja auch gesehen, wie Spinoza es zu erklären bemüht
ist, daß wir uns unserer Präexistenz nicht bewußt sind, und wie er
dann Avieder die reine Existenz des menschlichen Geistes „sofern er
erkennt", oder als reinen Verstandes nach dem Aufhören des Leibes
beginnen läßt.
Aber ebenso wie diese Unterbrechung der ewigen Existenz des
Geistes durch seine zeitliche, oder vielleicht genauer: dieses zeitweilige
Li- und Miteinandersein der ewigen und zeitlichen Existenz desselben
völlig unbegreiflich und widersprechend ist, so ist es auch völlig ohne
Zweck und Sinn^ da der Geist durch diese zeitliche Existenz gar
nichts gewinnt; denn ebenso wie nach derselben, so ist er auch vor
derselben, derselbe ewige modus des Denkens, dem ja eben weil er
ewig, d. h. zeitlos ist, kein Wechsel, also auch keine Vermehrung oder
Verminderung seiner Realität oder Vollkommenheit zugeschrieben
werden darf. Damit streitet auch nicht, daß Spinoza annimmt, der
nach dem Tode übrig bleibende Teil des Geistes werde bei Ver-
schiedenen verschieden ausfallen. Er sagt geradezu: wer einen zu
sehr vielem geschickten Körper hat, der hat einen Geist, dessen größter
Teil ewig ist, 2) und fügt hinzu: ,,Und in der Tat, wer einen Körper
hat, wie ein Kind und ein Knabe, der zu sehr Wenigem geschickt
ist, und sehr viel von äußeren Ursachen abhängt, hat einen Geist, der
an sich betrachtet, kaum seiner selbst, noch Gottes, noch der Dinge be-
wußt ist.'- — Aber der starke Geist, dessen größter Teil aus Vernunft
oder Gottes- und Welterkenntnis besteh^, wird auch ewig eine größere
Portion vom unendlichen Denken sein müssen, als der schwache Geist,
und deshalb auch einen stärkern Körper haben. Stirbt also z. B. je-
mand als Kind, so wird dessen Seele ein geringes Quantum des gött-
liche q Denkens von Ewigkeit her gewesen sein, und auch ewig bleiben.
Die Entwicklung aber eines stärkeren Geistes zu höherer Vernunft
') P. 5. Prop. 29. Schol.
-) P. 5. Propr. 39.
74 Spinoza.
kann danach nur eine scheinbare sein; es tritt viehnehr darin nur
die ewige und unveränderliche Kraft desselben mehr aus Tageslicht.
Freilich bleibt die Frage dabei gänzlich unbeantwortet, wie es denn
komme, daß der ewige modus des Denkens, dieser Teil des göttlichen
Verstandes dazu komme, sich in einem anfangs schwachen Körper mit
allerlei Imaginationen oder inadäquaten Vorstellungen zu verhüllen.
Der übrig bleibende Teil des Geistes also ist bloß der intellectus;
alles Übrige, die inadäquaten Vorstellungen und mit ihnen die
Passionen, aber auch das Gedächtnis, vergehen. Das Gedächtnis näm-
lich kann nicht bleiben, weil es sich nicht auf das ewig Gleich-
bleibende, die ewigen Wahrheiten, die das Eigentum des Verstandes
sind, bezieht, sondern nur auf die einzelnen Körperaffektionen. Es
ist ja nichts anderes als eine Verkettung von Ideen, welche die
Natur von Dingen, die außer dem menschlichen Leibe sind, ein-
schließen, und diese Verkettung geschieht im Geiste nach der Ordnung
und Verkettung der Affektionen des menschlichen Körpers." i) Folg-
lich kann es nach dem Tode nicht zurückbleiben, sondern gehört zu
dem, was vergeht. Nur schade, daß mit dem Gedächtnis auch not-
wendig das Selbstbewußtsein des Menschen verloren geht. Da nun
aber aller Wert der Unsterblichkeit des menschlichen Geistes für uns
darauf beruht, daß die Identität des Selbstbewußtseins bewahrt bleibt,
so kann es uns ziemlich gleichgültig sein, ob die Portion Verstand,
welche in unserm Geiste gewesen ist, bleibt oder nicht, wenn sie nicht
eben unser Verstand bleibt.
Aus diesem Grunde ist auch die Lehre, mit welcher Spinoza sein
Werk schließt, von wenig Wert für die religiöse Hoffnung auf ein
nach dem Tode sich zu vollendeter Heiligkeit und Erkenntnis ent-
wickelndes Leben. Er lehrt nämlich, daß die intellektuelle Liebe zu
Gott ewig sei, diese Liebe zu Gott aber sei ein Teil der Liebe, mit
welcher sich Gott selbst liebt und zugleich auch die Menschen liebt,
und in dieser Liebe bestehe eben die Seligkeit. -') — Diese Lehre
aber besitzt nicht allein keinen Wert, sondern auch keine Wahrheit
im Systeme des Spinoza. Denn in diesem kann die Liebe, mit
welcher Gott sich liebt, nur eine Phrase sein, und gründet sich auch
nur auf eine Phrase.
Man lese nur den Beweis: Gott ist unbedingt unendlich d. h.
Gottes Natur erfi'eut sich unendlicher Vollkommenheit und zwar unter
Begleitung der Idee ihrer selbst d. h. der Idee ihrer Ursache; und
') Eth. p. 2. Prop. IS. Schol.
-) P. 5. Prop. :i.^. 3(). Scliol.
Unsterbliclikeit. 75
dies ist es, was wir in coroll. prop. 82 als geistige Liebe bezeichnet
haben. ^) Dieser ganze Beweis ruht offenbar auf dem Worte: ,,er
erfreut sich unendlicher Vollkommenheit." Nun kann aber Spinoza
im Ernste seinem Gott keine „Freude" (gaudium) zuschreiben; denn
Freudigkeit (gaudium) ist Freude (laetitia), begleitet von der Idee eines
vergangenen Dinges, das unverhofft eingetroffen ist;-) auch keine Liebe
(amor), denn Liebe ist Freude (laetitia), begleitet von der Idee einer
äußern Ursache, ^) auch keine Laetitia überhaupt, denn diese ist Über-
gang von geringerer zu größerer Yollkommenheit, *) noch endlich über-
haupt einen Affekt, der bei dem unendlichen Wesen, außer welchem
nichts ist, undenkbar ist, weshalb auch Spinoza selbst sagt: Eigent-
lich zureden liebt oder haßt Gott niemanden. 5) Daher hat jenes
Wort: Gott freut sich einer unendlichen Vollkommenheit, eben soviel
Wert, als wenn man etwa sagt: dieser Baum erfreut sich eines
schönes Wuchses. Deshalb haben auch die — von andern hoch-
gepriesenen — Sätze, daß die intellektuelle Liebe des Geistes zu Gott
ein Teil der unendlichen Liebe Gottes zu sich selbst sei, und daß
Gott, insofern er sich selbst liebt, auch die Menschen liebt, nur den
Wert einer der Sache selbst sehr unwürdigen Spielerei.
Von einem ethischen Verhältnis aber zwischen Gott und den
Menschen ist hier nicht im entferntesten die Rede. Wer dergleichen
hier finden wollte, würde damit nur sein völliges Mißverständnis des
Spinoza verraten. Denn die sogenannte intellektuelle Liebe des
Geistes zu Gott ist an sich, wie schon oben gezeigt ist, nur die Freude,
welche das theoretische Wissen mit sich bringt; diese Liebe aber ist
der Liebe Gottes zu sich selbst gleich, weil die Summe der Liebe zu
Gott, welche in allen einzelnen Geistern zusammengenommen ist,
eben das Ganze jener intellektuellen Freude ist, welche überhaupt in
der Substanz vorhanden ist.
Alle Teile zusammengenommen lieben das Ganze heißt soviel
als das Ganze liebt sich selbst; oder auch das Ganze liebt alle seine
Teile, aus denen es besteht. Daher ist die Liebe Gottes zu sich selbst
und zu den Menschen ein und dieselbe Sache. Spinoza hätte aber
noch hinzufügen müssen, daß auch die Summe aller Liebe der
Menschen zu sich selbst gleich sei der Liebe Gottes zu sich selbst
und seiner Liebe zu den Menschen, wodurch denn für seine Be-
') P. 5. Prop. 35. Demoustr.
2) P. 3. Del 16.
«) P. 3. Def. 6.
*) Ibid. Def. 2.
^) P.5. Prop. 17. Coroll.
76 Spinoza.
wunderer die vollkommene Einheit der Gottesliebe, der Liebe zu den
Menseben und der Liebe zu sich selbst hoffentlich im scharfen Lichte
gestanden hätte.
In dieser Liebe zu Gott, d. h. also in der Freude am theore-
tischen Erkennen besteht die Seligkeit; diese Seligkeit aber ist selbst
die Tugend. Denn das Erkennen ist das wahre Wesen des Geistes
oder, was dasselbe ist, seine Macht, und die Macht ist die Tugend.
Deshalb ist diese Seligkeit oder Tugend oder Erkenntnis auch nicht
die Folge von der Bezwingung der Leidenschaften , sondern die Ur-
sache der Herrschaft über dieselben. Der Weise also, insofern er
als solcher betrachtet wird, ist sich seiner selbst und Gottes und
der Welt mit ewiger Notwendigkeit bewußt und genießt immer die
wahre Seelenruhe. ^)
Sehen wir nun nach, was dies alles im Systeme Spinozas
eigentlich bedeuten kann, so findet sich folgendes Ergebnis: der
Weise, als solcher, ist derjenige, welcher vernünftig denkt; ver-
nünftig denken aber heißt adäquate Ideen haben; adäquate Ideen
sind aber nur allgemeine Begriffe. Der Geist des Weisen, als
solchen, besteht also nur aus einem Systeme von Aligemeinbegriffen,
und weiter ist als Inhalt seines Geistes gar nichts z.u denken. Denn
alles andere, etwa persönliche Beziehungen zu andern Menschen
und besondern Wesen überhaupt und damit verknüpfte Willens-
und Gefühlsregungen gehören in das Gebiet der inadäquaten Ideen,
und sofern diese im Geiste smd, ist er unvernünftig, erkennt er nicht
das Allgemeine und Ewige.
Denkt man sich nun einen Geist nur mit allgemeinen Begriffen
erfüllt, also gleichsam als eine menschgewordene Wissenschaft, so ist
es natürlich, daß in demselben keine Leidenschaften sind, sondern
daß er einer ewigen und unveränderlichen Kühe genießt. Das Ideal
des Spinoza ist also der Mensch als reine Intelligenz, welche aber
von allem Wollen und also auch von allen Willensverhältnissen
durchaus entblößt ist. Es erinnert dieses Ideal lebhaft an die' Götter
des Aristoteles, welche deshalb die glückseligsten sind, weil sie
nicht handeln, sondern nur schauen oder erkennen. Die Glück-
seligkeit aber mit Aristoteles und Spinoza in das theoretische Er-
kennen setzen ist sowohl ein unbrauchbares, als ein die Sittlichkeit
alifhebendes Ideal. Denn um dasselbe zu erreichen, müßte sich der
Mensch aller persönlichen Beziehungen zu der menschlichen Gemein-
') P. 5. Prop. 42. Demonstr, Schol.
Schlußergebnii5. 77
Schaft entäußern und völlig isoliert für sich leben, um alles "Wollen
in sich ertöten zu können.
SchlußergebnJs.
Zum Schluß wollen wir die Hauptergebnisse unserer Unter-
suchung zusammenfassen, um überschauen zu können, ob dem
Spinoza sein Vorhaben gelungen ist. eine solche Weltansicht aufzu-
stellen, aus welcher sich die sittliche Veredelung und der Frieden
des Gemüts ergibt, ob sie also der Art ist, daß sie sich einer wahr-
haft religiösen an die Seite stellen, ja deren Stelle einneimien kann.
Wir haben gefunden, daß der Gottesbegriff des Spinoza nur ein
dürrer theoretischer Begriff ist, welcher an wirklichem Inhalt nichts
anderes hat, als die allgemeinen Begriffe der Ausdehnung und des
Denkens, d. h. die bloße Möglichkeit einer Körper- und Geister-
Welt. Das Handeln aber oder Wirken dieses Gottes hat sich darauf
beschränkt, daß alles aus ihm mit derselben Notwendigkeit folgen
soll, wie logische Folgen sich aus ihren Gründen ergeben. Dieser
Gottesbegriff ist also notwendig von allen sittlichen Eigenschaften ent-
blößt und mit solchen durchaus unvereinbar, und auch Spinoza
selbst kann ihm in seinem eigenen Sinne gar nichts Ethisches bei-
legen, da das Bemühen, sein Sein zu erhalten, diese einzige Grund-
lage der Tugend, der einzigen absoluten Substanz, außer welcher
nichts ist, nicht zugeschrieben werden kann. Aus demselben Grunde,
weil alles mit logischer Notwendigkeit aus seinem Gotte folgen soll,
mußte Spinoza auch alle teleologische Tätigkeit Gottes verwerfen.
Wo nun aber alles wirkliche Wollen Gottes geleugnet, und wo ihm
deshalb auch jedes sittliche Ziel bei der Weltschöpfung abgesprochen
wird, da kann auch unmöglich eine religiöse Gesinnung auf Gott
bezogen werden; weder die Liebe zu Gott, oder ein reines ethisclies
Wohlgefallen an ihm, noch Dank, noch Vertonen. Bloß die Demut
bleibt übrig; aber auch diese kann hier nicht das Bewußtsein der
sittlichen Nichtigkeit vor Gott sein, sondern nur das Gefühl der
Ohnmacht, an den mit unabänderlicher Notwendigkeit aus der abso-
luten Substanz sich ergebenden Folgen etwas ändern zu können;
also eine willenlose, apathische Ergebung in die eiserne Notwendig-
keit des Weltlaufs. Wie dieses einzige Gefühl, was bei Spinoza
eine entfernte Ähnlichkeit mit einem religiösen haben kann, ein
freudiges, erhebendes und den Menschen veredelndes sein könne,
ist schwerlich abzusehen. Diese blinde, durch keine bewußte Ver-
nunft geleitete Notwendigkeit lastet aber um so drückender auf
78 Spinoza.
dieser Weltansicht, als es eine völlig iinbegriffeue und unbegreifliche
Notwendigkeit ist. Spinoza behauptet nämlich bloß, daß alles mit
Notwendigkeit aus der absoluten Substanz folge, aber er weist nir-
gends und von keinem Dinge diese Notwendigkeit nach; sein ein-
ziger Beweis ist der verunglückte formale im sechszehnten Satze
des ersten Teils. Auch kann er keinen Beweis führen, denn aus
den bloß abstrakten Begriffen der Ausdehnung und des Denkens
läßt sich natürlich nicht beweisen, daß gerade diese und keine
anderen Dinge und in dieser und keiner andern Ordnung und Ver-
bindung existieren müssen.
Böte er dagegen eine wirkliche Erkenntnis der Notwendigkeit,
mit der alles geschieht so daß man ihre Gründe einsehen könnte,
so möchte sich damit noch eher eine wirklich beruhigende Ergebung
verbinden lassen. So aber sinkt diese unbegriffene Notwendigkeit
zu einem bloßen Glauben an das fatum herab. Ein Glaube aber,
der so unwillkommen und unerträglich wie dieser ist, wird immer
den Zweifel aus sich gebären und damit nie zur Ruhe führen
können. Die Weltansicht, in welcher der Mensch wahrhaft ausruhen
soll, muß ihm einerseits die Überzeugung bieten, daß der Weltlauf
von einer vernünftigen, d. h. mit Absicht wollenden und sittlich be-
stimmten Macht gelenkt werde, andrerseits ihm aber auch nicht die
Möglichkeit verschließen, selbsttätig mit eigenem vernünftigen Willen
in sein Schicksal eingreifen zu können. Eine solche Ansicht aber
ist nicht möglich, wenn die Welt die Notwendigkeit einer logischen
Folgerung aus der absoluten Substanz hat, und die Vernunft in der
Welt immer nur das Zusehen haben kann, weil ohne sie alles unab-
änderlich bestimmt ist.
Ein weiteres Erfordernis einer befriedigenden Weltansicht
ist, daß in ihr die Möglichkeit einer vernünftigen Ausbildung des
menschlichen Geistes begriffen werden könne. Diese ist aber bei
Spinoza, wie gezeigt ist, nur empirisch aufgenommen, widerspricht
jedoch seinem Systeme, nach welchem folgerecht der menschliche Geist
nur inadäquate Ideen haben kann. Indes auch zugegeben, daß der
Mensch zu vernünftiger Einsicht komme, was kann er denn nun nach
diesem Systeme erkennen ? Es lautet ganz schön , daß das höchste
Objekt der Erkenntnis Gott sei. Allein in diesem Gottesbegriffe be-
steht leider der einzige Inhalt in den beiden Attributen der Aus-
dehnung und des Denkens; das Donken aber hat zu seinem Objekte
die Idee der ausgedehnten und denkenden Dinge, und die denkenden
Dinge, die Geister, haben als ihren Inhalt und Objekt wiederum nur
die ausgedehnten Ding-e; so daß die Körperwelt das eigentliche Ob-
Schlußergebnis. 79
jekt des Denkens ist und nichts anderes. Nun aber können aus
dem Begriffe der Ausdehnung — wenn wir freigebig sein wollen
— nur verschieden eingeschränkte Ausdehnungen, d. h. quantitativ
verschiedene Formen, nicht jedoch qualitativ bestimmte Dinge folgen.
Solche qualitativ bestimmte Dinge dürfte es eigenthch gar nicht
geben; denn sie folgen weder aus der Ausdehnung noch dem Denken.
Wenn sie aber einmal da sind, so ist wenigstens keine vernünftige
Erkenntnis von ihnen möglich. Folglich beschränkt sich die wissen-
schaftliche Erkenntnis der körperlichen Dinge auf das rein Mathe-
matische. Die Mathematik ist die ausgeführte Erkenntnis des einen
Attributs Gottes, der Ausdehnung. Wird von dem mathematischen
Inhalte abgesehen und werden die Denkbestimmungen, welche
sich bei Gfelegenheit der Mathematik ergeben, rein und abstrakt be-
trachtet, so ergibt sich eine zweite Wissenschaft, die der bloßen
Denkbestimmungen, die formale Logik, und diese ist die ausgeführte
Erkenntnis des andern göttlichen Attributs, des Denkens. In Wahr-
heit also ist nach Spinoza die Erkenntnis Gottes die mathematische
und logische Erkenntnis, und die Liebe zu Gott besteht in der Liebe
zu mathematischen und logischen Studien, — allerdings höchst
nötige und edle Studien, aber schwerlich wird man sie als die ein-
zigen Betätigungen der Liebe zu Gott betrachten können. Die Ge-
winnung der Gemütsruhe endlich besteht darin, daß man seinen
Geist nur mit logischen und mathematischen Studien nährt. Auf
dies dürftige Resultat läuft die ganze Ethik des Spinoza hinaus.
Denn die eigentliche Selbsterhaltung besteht in der Erkenntnis, dem
vernünftigen Denken, und der Inhalt desselben ist die Erkenntnis
Gottes; was nach Spinoza der einzig mögliche Inhalt der Gottes-
erkenntnis sei; haben wir eben gesehen. Mathematik und Logik
sind es also, in denen die Tugend des Menschen allein bestehen
kann.
Aller andere Inhalt, welcher bei Spinoza der Liebe zu Gott und
der Tugend gegeben werden mag, ist erschlichen und folgt nicht aus
den Grundbegriffen. Die Unsterblichkeit des Geistes aber, also alle
Vervollkommnung desselben in intellektueller, ästhetischer und ethischer
Hinsicht über die engen Grenzen hinaus, welche derselben auf
Erden gezogen sind, ist endlich mit der Konsequenz des Systems
völlig unvereinbar.
Die Ansprüche der spinozischen Lehre also, dasselbe zu leisten
wie die Religion, sind null und nichtig. Es fehlt ihr alles dazu.
Es fehlt ein Gott, der dieses Namens würdig ist; denn die blinde
Notwendigkeit ist kein Gott; es fehlt ein Ziel, welches die Welt er-
30 Spinoza.
reichen soll: es fehlt gänzlich eine sittliche Lehre; denn die dürftige
Anweisung, die Affekte durch Erkenntnis zu bändigen, hat an und
für sich gar keinen sittlichen Inhalt; es fehlt endlich die Möglichkeit
für die Gesamtheit, wie für den einzelnen, zu wahrer Geistes-
vollendung sich zu erheben. Es ist nichts vorhanden als die blinde
Notwendigkeit und das Streben, für diese kurze Zeit des Erdenlebens
durch die Erkenntnis dieser Notwendigkeit sich in dieselbe zu ergeben.
Indessen wenn denn doch diese Lehre die alleinige Wahrheit ent-
hielte? Ja freilich, dann müßte man sich in dieselbe ergeben. Aber
sie ist nicht allein sittlich und religiös ungenügend, sondern sie ist
auch theoretisch falsch. Alle ihre metaphysischen Begriffe, auf welche
sie sich stützt, sind, wie gezeigt ist, unrichtig bestimmt; die absolute
Substanz mit unendlich vielen Attributen, aus der Unendliches auf
unendliche Weise mit logischer Notwendigkeit folgen soll, ist nicht
allein eine völlig grimdlose, sondern auch eine ungereimte Hypothese.
-..^.-j^
Verlag von Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann) in Langensalza.
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4. Aufl. 1901. XVI u. 120 Seiten. Preis 1,60 M, eleg. geb. 2,30 M.
— — Idealismus und Materialismus der Geschichte. 1898. V und
221 Seiten. Preis 3 M, geb. 3,80 M.
Die Bedeutung der Metaphysik Herbarts für die Gegenwart.
1902. VII und 218 Seiten. Preis 3 M, geb. 3,80 M.
Herbart und Strümpell. (Päd. Mag. 235.) 1904. Preis 65 Pf.
Über das Verhältnis des Gefühls zum Intellekt in der Kindheit
des Individuums und der Völker. 1905. VI u. 40 Seiten. Preis 75 Pf.
Über die Phantasie. 2. Aufl. (Päd. Mag. 10.) 1895. Preis 0,30 M.
Das Seeleuleben der Tiere. 3. Auflage. 1897. IV und 176 Seiten.
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Das Ich und die sittlichen Ideen im Leben der Völker. 1903.
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Die Sittenlehre Jesu. 5. Aufl. 1904. 80 Seiten. Preis 1 M 20 Pf., geb.
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F. H. Th. AUihn's Grundriß der Ethik. Neu bearbeitet und erweitert.
1898. XII und 272 Seiten. Preis 4 M, eleg. geb. 5,20 M.
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Über das Absolute in den ästhetischen Urteilen. (Päd. Mag. 167.)
1901. Preis 0,40 M.
Über die persönliche Unsterblichkeit. 3. Aufl. 1899. 24S. Pr. 0,40 M.
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1895. VIII und 244 Seiten. Preis 2 M, geb. 2,80 M.
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Zur Philosophie des Christentums. Abhandlungen und Betrachtungen.
1899. 127 Seiten. Preis 1,80 M, geb. 2,70 M.
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Richard Rothe als spekulativer Theologe. 1899. 47 S. Preis 1 M.
Falsche und WiJire Apologetik. (Päd. Mag. 236.) 1904. Preis 75 Pf.
Die Reli-ionsphilosophie in der Schule Herbarts. (Päd. Mag. 51.)
1894. Preis' 0,50 M,
Religionsphilosophie in Einzeldarstellungen. Heft I: Kant. 1905.
VII u. 65 S. Preis 1,20 M. Heft II: Fr. H. Jacobi. 1905. XX u. 54 Seiten.
Preis 1,20 M. Heft III: Drobisch und Haitenstein. 1905. VI u. 88 Seiten.
Preis 1,50 M. Heft IV: Fichte, Schelling, Hegel und Schopenhauer. 1905.
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