Full text of "Spohr"
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Hnfiker- Biographien.
Siebenter Band:
Spohr.
Von
Ludwig Nohl.
Leipzig.
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
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Biographie Spohrs
von
Ludwig Rohl.
Und wenn ſie die Hände ſich reichen
Zum Freundſchaftsbund, dann weinen ſie,
Sind ſentimentale Eichen.
Heine (Wintermärchen).
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in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/spohrnoh00nohl
Am 8. November 1859 ſchrieb von Paris aus
Richard Wagner an die Conſtitutionelle Zeitung in Dres⸗
den Folgendes:
„Faſt gleichzeitig ſtarben mir zwei würdige hochverehrte
Greiſe. Der Verluſt des einen traf die ganze muſikaliſche
Welt, die den Tod Ludwig Spohrs betrauert: ihr über-
laſſe ich's zu ermeſſen, welch' reiche Kraft, welch' edle Pro⸗
ductivität mit des Meiſters Hingange aus dem Leben ſchied.
Mich gemahnt es kummervoll, wie nun der letzte aus der
Reihe jener echten, ernſten Muſiker von uns ging, deren
Jugend noch von der ſtrahlenden Sonne Mozarts un⸗
mittelbar beleuchtet ward und die mit rührender Treue
das empfangene Licht, wie Veſtalinnen die ihnen anver⸗
traute Flamme, pflegten und gegen alle Stürme und Winde
des Lebens auf keuſchem Herde bewahrten. Dieſes ſchöne
Amt erhielt den Menſchen in Spohr rein und edel, und
wenn es gilt, mit Einem Zuge das zu bezeichnen, was
aus Spohr ſo unauslöſchlich eindrucksvoll zu mir ſprach,
ſo nenne ich es, wenn ich ſage: er war ein ernſter, red⸗
licher Meiſter ſeiner Kunſt und ſeine ſchönſte Erquickung
quoll aus der Kraft ſeines Glaubens. Und dieſer ernſte
Glaube machte ihn frei von jeder perſönlichen Kleinheit;
was ihm durchaus unverſtändlich blieb, ließ er als ihm
fremd abſeits liegen, ohne es anzufeinden und zu ver⸗
folgen: dies war ſeine ihm oft nachgeſagte Kälte und
Schroffheit! Was ihm dagegen verſtändlich wurde, — und
ein tiefes feines Gefühl war dem Schöpfer der Jeſſonda
wohl zuzutrauen, — das liebte und ſchützte er unum⸗
wunden und eifrig, ſobald er Eines in ihm erkannte:
6 Biographie Spohrs.
Ernſt, Ernſt mit der Kunſt! Und hierin lag das
Band, das ihn noch im hohen Alter an das neue Kunſt⸗
ſtreben knüpfte: er konnte ihm endlich fremd werden, nie
aber feind. — Ehre unſerm Spohr! Verehrung ſeinem
Andenken! Treue Pflege ſeinem edlen Beiſpiele!“
So haben wir es diesmal nicht mit einem jener
Heroen der Kunſt zu thun, die deren Entwicklung mit
einem mächtigen Ruck in weſentlicher Weiſe erweiterten.
Sondern in behaglicher und faſt idylliſcher Ruhe breitet
ſich in dieſem langen Künſtlerleben der bis dahin gewon⸗
nene Beſtand der Muſik als ein wonnig beglückender Beſitz
freundlich zum Mitgenuſſe einladend aus. Darum ſind es
nicht eigentlich entſcheidend große Kunſtthaten, was uns
diesmal begegnen wird, wohl aber ein durch das Ideale
der Kunſt ſchön verklärtes menſchliches Daſein, ſodaß wir
hier mehr ein Intermezzo zwiſchen den vorwärts dringen⸗
den Acten einer großen Handlung als ſelbſt ein Drama
vor uns ſehen. „Spohr zeigt ſich überall muthvoll, ent⸗
ſchloſſen, tapfer, mit einem Wort echt männlich,“ heißt es
in dem Vorworte zu ſeiner Selbſtbiographie von dem faſt
ſieben Fuß hohen kräftigen Manne; „Spohr war wie alle
edlen Naturen ſtreng ſittlich und von einer faſt mädchen⸗
haften Züchtigkeit; er kannte keinen Neid, ſondern nur
die aufrichtigſte Freude über die Erfolge und Leiſtungen
Anderer, er hatte daher eigentlich keinen Feind; wir wa⸗
ren oft Zeuge, daß ſtarke Ausdrücke des Beifalls über
ſeine Leiſtungen ihn eher drückten und beläſtigten als er⸗
freuten.“ Als er bei ſeinem Jubiläum ſtürmiſch hervor⸗
gerufen wurde, äußerte er, es ſei ihm als ob er auf das
Schaffot geführt werde, und als er einſt zum Geburtstage
ſeines Kurfürſten in Gala zu erſcheinen hatte, hüllte er
ſich bei zwanzig Grad Wärme in einen großen Winter⸗
mantel und antwortete einem theilnehmend nach feier
Geſundheit fragenden Freunde, den Mantel zurückſchlagend
und die mit Orden bedeckte Bruſt zeigend: „Ich ſchäme
Diographie Spohrs. 7
mich nur, fo über die Straße zu gehen.“ Niemals auch
widmete er ohne unabweisbare Aufforderung einem Für⸗
ſten oder Großen eines ſeiner Werke.
Es erklingen alfo hier jo recht alle jene Saiten, die
ganz eigens das Gemüth und den Charakter des deutſchen,
zumal des norddeutſchen Künſtlers ausmachen, und wir
haben dieſelben eben nur als ſolche erklingen zu laſſen,
um fühlbarſt in der Nähe und ſogar in dem eigenſten
Athemskreiſe dieſes Altmeiſters der ausgehenden claſſiſchen
Muſikperiode zu weilen. Wozu uns denn zum Glück dies⸗
mal obendrein ſeine eigenen Lebensaufzeichnungen die
leichteſte Brücke ſchlagen, die zugleich gar manches anzie—
hende Genre- und Sittenbild bringen und daher auch
allgemeineren Antheil erwecken!
1. Die Lehrzeit.
(1784—1803.)
„Da ging mir die Herrlichkeit der Mozartſchen Muſik auf.“
Spohr ward am 5. April 1784 zu Braunſchweig als
Sohn eines Arztes geboren; doch war väterlicher wie
mütterlicherſeits die Familie dem Predigerſtande zugehörig
geweſen und ſchon früh wurde der Vater nach Seeſen ver⸗
ſetzt, das am Fuße des geſpenſtigen Brocken liegt. Die
Eltern waren muſikaliſch, der Vater blies nach damaliger
Neigung Flöte, welche Neigung manchmal ſo groß war,
daß das Inſtrument im Spazierſtocke verborgen war, da⸗
mit an landſchaftlich ſchönen Stellen auch die ſentimenta⸗
len Empfindungen ſich nicht gehemmt fanden. Die Mutter
war Schülerin deſſelben Kapellmeiſters Schwaneberger, der
als Schüler Salieri's bei der Nachricht, daß Mozart ein
Opfer des Neides der Italiener geworden ſei, den ſonder⸗
baren Ausruf that: „Narrheit! Er hat nichts gethan, um
dieſe Ehre zu verdienen!“ Sie ſang demgemäß die ita⸗
lieniſchen Bravourarien jener Tage, die ſie ſich zum Cla⸗
viere ſehr fertig begleitete. So war Muſik ein Lebens⸗
element des Hauſes und der Knabe durfte ſchon im fünften
Jahre in Duetten mit der Mutter an den Abendmuſiken
theilnehmen. Zugleich kaufte ihm der Vater nach ſeinem
Wunſch auf dem Jahrmarkte eine Geige, auf der er nun die
telodien wiederſuchte, während die Mutter ihm begleitete.
Etwa um 1791 kam nach Seeſen ein Emigrant Dufour,
der ein fertiger Dilettant war. Der Knabe war bis zu
Thränen gerührt, als er den fremden Mann ſo ſchön
ſpielen hörte, und ließ den Eltern keine Ruhe, als bis er
W
Biographie Spohrs. 9
Unterricht bei ihm erhielt. Dieſer entdeckte trotz ſeines blo⸗
ßen Dilettantismus ſo ſicher des Schülers Begabung, daß
er darauf drang, denſelben Muſiker werden zu laſſen. Bald
wurden auch bereits Compoſitionsverſuche gemacht, Duetten
für zwei Geigen, und ein ſchmucker neuer Anzug war der
Lohn. Ja ſogar an ein Singſpiel wagte er ſich, natürlich
von Weiße, dem Begründer der Gattung in Deutſchland,
und in der Muſik waren Hillers „Jagd“ und „Lottchen
am Hofe“ Vorbild, jedoch nur nach dem oft durchgeſunge—
nen Clavierauszuge, denn das kleine Seeſen hatte kein
Theater. Die Formen und der Ton dieſer deutſchen
Werke ſind denn auch zeitlebens für Spohr maßgebend
und bannend zugleich geblieben.
Bald kam der Knabe, der nun wirklich Muſiker wer-
den ſollte, zur Confirmation zu ſeinem Großvater in das
Hildesheimiſche und erhielt dort guten Unterricht. Doch
die Muſik mußte in dem nahen Städtchen weiter betrieben
werden. Auf dem beſchwerlichen Wege dorthin war er
einmal bei Regenguß in einer einſamen Mühle unterge⸗
ſtanden und hatte dabei die Gunſt der Müllerin ſo ſehr
gewonnen, daß er von da an ſtets vorſprechen mußte und
mit guten Sachen gelabt ward. Zum Dank phantaſirte
er ihr dann jedesmal etwas vor und ſetzte ſie einſt durch
Variirung des Liedes „Du biſt liederlich“ von Wranitzky,
in der all die Kunſtſtückchen vorkamen, durch die ſpäter
Paganini die Welt entzückte, ſo außer ſich, daß ſie ihn an
dem Tage gar nicht wieder von ſich ließ. So ward die
Sprache der Muſik zumal auf ſeiner Geige ſchon früh
ſeine Mutterſprache und die Welt weiß, wie viele der
edelſten Schüler er in dem langen Laufe ſeines Lebens
gerade auf dieſem Inſtrumente zu derſelben herange⸗
bildet hat.
Jetzt kam er nach Braunſchweig, wo der Erbprinz Karl
Ferdinand ein beſcheidenes franzöſiſches Theater nebſt Ka⸗
pelle hielt. Sein Lehrer ward ein Mitglied derſelben, der
10 Biographie Spohrs.
Kammermuſikus Kuniſch, dem er viel verdankte, weil derſelbe
ſehr gründlich war. Ebenſo war es mit dem Harmonie⸗
unterrichte bei dem Organiſten Hartung, der zwar wenig
freundlich war, aber doch die beſte Grundlage legte: denn
er blieb der einzige Lehrer, den Spohr je in der Theorie ſei⸗
ner Kunſt gehabt hat. Er half ſich in der Folge mit gedruck⸗
ten Werken und guten Partituren, die ihm Kuniſch aus
der Theaterbibliothek verſchaffte. Bald bereiteten ihm ſeine
kleinen Compoſitionen denn auch Eintritt in die Concerte
der Stadt und er konnte ſeinen Eltern mit Stolz von
eigenen Einnahmen melden. Dadurch kam er denn auch
in das Theaterorcheſter und hörte viel gute Muſik. Sein
Lehrer ward dann der erſte Geiger deſſelben, Concertmei⸗
ſter Maucourt, und dieſer bildete ihn bald zu einem ſo tüch⸗
tigen Soloſpieler heran, daß er ihm vorſchlug, ſein Glück
als reiſender Künſtler zu ſuchen. Er ſchickte ihn nach Ham⸗
burg, den Vierzehnjährigen! Daß der Knabe darauf ein⸗
ging, beruhte auf den Ueberlieferungen des Vaters, der
nach norddeutſcher Wikingerart im höchſten Grade kühn
und unternehmend geweſen war. Um einer Strafe zu
entgehen, war derſelbe von der Schule entflohen und hatte
ſich dann auf kümmerliche aber immer höchſt ſelbſtſtändige
Weiſe zu ſeiner jetzigen ärztlichen Stellung emporgearbeitet.
Dieſer fand alſo in dem Unternehmen des Sohnes trotz der
Mutter Kopfſchütteln nichts Beſonderes. Er empfahl ihn
an einen alten Freund in Hamburg, allein derſelbe empfing
ihn mit den Worten: „Ihr Vater iſt doch immer noch
der Alte! Welche Tollheit, einen Knaben ſo auf gut Glück
in die Welt zu ſenden!“ Dann ſetzte er ihm die Schwie⸗
rigkeit eines Concertes in der großen von Künſtlern über⸗
laufenen Handelsſtadt auseinander. Spohr wußte kaum
die Thränen zurückzuhalten und rannte ohne nur die übri⸗
gen Empfehlungsbriefe abzugeben, voller Verzweiflung nach
Hauſe. Ja bei ſeiner geringen Baarſchaft ſich, den großen
ſchlanken Jungen, ſchon in den Händen jener Seelenver⸗
—
Biographie Spohrs. 11
käufer ſehend, von denen ihm der Vater ein warnendes
Bild entworfen hatte, wanderte er ſpornſtreichs zu Fuße
nach Braunſchweig zurück.
In ſeiner Beſchämung, namentlich dem energiſch kühnen
Vater gegenüber, ſann und ſann er auf Mittel, auf an⸗
derem Wege zu ſeinem Ziele der entſprechenden Ausbil⸗
dung zu gelangen, und verfiel endlich zu ſeinem Glücke
auf den Herzog Ferdinand, der ſelbſt einſt Violine geſpielt
hatte. „Er iſt ein ſehr angenehmer ſchöner freundlicher
Herr,“ ſchreibt Mozarts Vater nach einer Begegnung in
Paris im Jahre 1766 über den damaligen Erbprinzen.
Und der Eneyklopädiſt Grimm ſagt in einer Correſpon⸗
denz von dort über den zehnjährigen Knaben: „Das Un⸗
begreiflichſte iſt jene tiefe Kenntnis der Harmonie und ihrer
geheimſten Wege, die er im höchſten Grade beſitzt und wo—
von der Erbprinz von Braunſchweig, der gültigſte Richter
in dieſer Sache ſowie in vielen andern, geſagt hat, daß
viele in ihrer Kunſt vollendete Kapellmeiſter ſtürben, ohne
das gelernt zu haben, was dieſer Knabe in einem Alter
von neun Jahren leiſte.“ (Mozart. Nach den Schilde⸗
rungen der Zeitgenoſſen. Leipzig, 1880). Zu den „anderen
Sachen“ gehörten des Prinzen glückliche Unternehmungen
des Jahres 1760 gegen dieſelben Franzoſen, deren Ver⸗
ehrer und Nachahmer er ſonſt in faſt allen Dingen war
und deren Neigung zur Beſchützung der Kunſt er denn
auch theilte. „Hat er dich nur erſt eines deiner Concerte
ſpielen gehört, ſo iſt dein Glück gemacht!“ dachte ſich alſo
auch unſer junger Künſtler und beendete in heiterſter
Stimmung den öden Marſch durch die Lüneburger Haide.
Eine Bittſchrift war bald entworfen. Der Herzog
nahm fie auf ſeinem Spaziergange denn auch von dem
treuherzigen ſchlanken jungen Menſchen nach ſeiner gewohn⸗
ten Leutſeligkeit entgegen. Nach einigen furchtlos beant⸗
worteten Fragen über Eltern und Lehrer erkundigte ſich
der Fürſt nach dem Verfaſſer der Bittſchrift. „Nun wer
12 Biographie Spohrs.
anders als ich? Dazu brauche ich keinen Andern!“ —
„Nun, komm morgen aufs Schloß, dann wollen wir über
dein Geſuch reden!“ ſchloß mit Lächeln und Freude die
Unterredung ab. Präcis elf Uhr ſtand er vor dem Kam⸗
merdiener. „Wer iſt Er?“ fuhr dieſer ihn ziemlich un⸗
freundlich an. „Ich bin kein Er. Der Herzog hat mich
hierher beſtellt und Er hat mich anzumelden!“ lautete die
Antwort der Entrüſtung. Der Kammerdiener ging und
ehe die Aufregung ſich gelegt hatte, ſtand der junge
deutſche freie Mann vor ſeinem Fürſten. „Durchlaucht, Ihr
Kammerdiener nennt mich Er, das muß ich mir ernſtlich
verbitten!“ platzte er heraus. Der Herzog lachte laut und
ſagte: „Nun, beruhige dich nur, er wirds nicht wieder
thun.“ Nach einigen unbefangenen Antworten Spohrs
ertheilte er dann den Beſcheid, er habe ſich bei Maucourt
nach ihm erkundigt und ſei begierig ihn zu hören, es
könne im nächſten Concerte bei der Herzogin geſchehen.
Ueberglücklich eilte der junge Künſtler nach Haus, um ſich
aufs emſigſte vorzubereiten.
Die nächſte Scene führt uns nun ſo recht in das
ancien régime, wo auch die Kunſt, vor allem die Muſik
noch die gefällige Magd des Vergnügens war, aus der
erſt männlich große Erſcheinungen wie Beethoven, Liszt
und Wagner die Muſe, die Prinzeſſin, die Königin
gemacht haben. Doch erkennen wir, daß auch unſerem
jungen Künſtler das Gefühl dieſer Würde nicht fehlte, die
das Innere des Menſchen ſelbſt zu erheben, zu adeln ge⸗
ſchaffen und geeignet iſt.
In den Concerten der Herzogin wurde nämlich Karten
geſpielt und um dies nicht zu ſtören, mußte das Orcheſter
ohne Pauken und Trompeten und immer piano bleiben,
ja es war demſelben noch ein dicker Teppich untergebreitet,
ſodaß das „ich ſpiele, ich paſſe“ lauter war als die Muſik.
Diesmal waren allerdings Spieltiſche und Teppich ver⸗
ſchwunden und dem Herzog gefiel des jungen Künſtlers
Biographie Spohrs. 13
Talent ſo ſehr, daß er ihn zum Kammermuſikus ernannte.
Allein in der Folge trat auch die alte Pein wieder her⸗
vor. Jedoch einmal, als Spohr dort ein neues Concert
probirte, vergaß er, ganz erfüllt von ſeinem Werke, das
er zum erſtenmal mit Orcheſter hörte, völlig des ſtrengen
Verbotes und ſpielte mit aller Kraft und allem Feuer,
ſodaß er ſelbſt das Orcheſter mit fortriß. Plötzlich wurde
er mitten im Solo von einem Lakai am Arme gefaßt, der
ihm zuflüſterte: „Die Frau Herzogin läßt Ihnen ſagen,
fie ſollen nicht jo mörderiſch darauf losſtreichen.“ Wüthend
über dieſe Störung ſpielte er womöglich nur noch ſtärker,
mußte ſich aber dafür einen Verweis vom Hofmarſchall
gefallen laſſen.
Der Herzog lachte über den Vorfall, erinnerte ſich da⸗
bei aber ſeines Verſprechens, ihn mit der Zeit zu einem
großen Meiſter zu ſenden. Dies ward natürlich jemehr
Spohrs Wunſch, je tiefer er in den Geiſt ſeiner Kunſt ein⸗
drang. Zuerſt lernte er nun jene leichten franzöſiſchen
Operetten kennen, ſpäter aber auch Cherubinis „Waſſer⸗
träger“. „Ich erinnere mich lebhaft der Abende, als die
deux journdes zum erſtenmal gegeben wurden, wie ich
ganz trunken von dem gewaltigen Eindruck, den dieſes
Werk auf mich gemacht hatte, mir noch am Abend die
Partitur geben lies und die ganze Nacht darüber ſaß und
wie es hauptſächlich dieſe Oper war, die mir den erſten
Impuls zur Compoſition gab,“ ſo erzählt er ſelbſt. Dann
kam aber eine deutſche Truppe. „Da ging mir die Herr⸗
lichkeit der Mozartſchen Opernmuſik auf und nun war für
meine ganze Lebenszeit Mozart mein Idol und Vorbild,“
ſagt er. „Ich erinnere mich noch deutlich der Wonne-
ſchauer und des träumeriſchen Entzückens, mit welchem ich
zum erſtenmal Zauberflöte und Don Juan hörte und wie
ich nun nicht ruhte, bis ich die Partituren geliehen bekam,
über denen ich dann halbe Nächte brütete.“ Dies war um
die Wende des Jahrhunderts, als Mozart zuerſt auch in
14 Biographie Spohrs.
weitere Kreiſe drang. Allein nicht lange und es kamen
die ſchönen erſten Quartette Beethovens und er ſchwärmte
ſogleich für ſie nicht weniger als bisher für diejenigen
Haydns und Mozarts. Zugleich hörte er bald darauf den
ausgezeichneten Geiger Seidler, für den ſpäter Beethoven
das Tripleconcert entwarf, und den außerordentlich fer⸗
tigen Knaben Pixis, der bald in der Welt glänzen ſollte.
So erfüllte der Herzog nur einen heißen Wunſch, als er
den jungen Kammermuſikus nun auch einen letzten Lehrer
wählen lies. Spohr nannte ohne Zaudern Viotti in
London, allein dieſer antwortete, er ſei — Weinhändler ge⸗
worden und nehme keine Schüler mehr an. Nach ihm war
Ferdinand Eck in Paris damals am berühmteſten. Jedoch
dieſer hatte ſoeben eine reiche Gräfin entführt und war
jetzt ein vornehmer Herr geworden. Er ſchlug aber ſeinen
Bruder Franz vor, der gerade Deutſchland bereiſte. Dieſer
wurde nun, nachdem er ſich in Braunſchweig hatte hören
laſſen, erwählt und nahm im Frühjahr 1802 den acht⸗
zehnjahrigen Jüngling mit ſich auf die Reiſe, die ſogar
nach Petersburg gehen ſollte.
Schon in Hamburg begann der Unterricht. „Aber ach
wie ſehr wurde ich gedemüthigt! Ich, der ich einer der
erſten Virtuoſen Deutſchlands zu ſein geglaubt hatte, konnte
ihm nicht einen einzigen Tact zu Dank ſpielen, ſondern
mußte jeden wenigſtens zehnmal wiederholen, um nur
einigermaßen ſeine Zufriedenheit zu erlangen,“ beginnt
das Tagebuch dieſer Reiſe. Allein ein wahrhaft eiſerner
Fleiß, der Uebung bis zu zehn Stunden des Tages nicht
ſcheute und dem „herkuliſchen Körperbau“ auch zumuthen
durfte, ließ ihn bald nicht blos die volle Zufriedenheit
des Lehrers erlangen, ſondern allmählich jene ſouveräne
Fähigkeit gewinnen, die als Franzoſe ſein Lehrer nicht be⸗
ſaß: jedem Style der Meiſter aller Zeiten und Länder
gerecht zu werden. Dazu verhalf ihm eben das An⸗
hören aller möglichen Muſik und verſchiedener anderer
Biographie Spohrs. 18
damals berühmten Geiger, — darunter Fränzl, — Klavier-
ſpieler — darunter Field, — und Sänger. Es trieb ihn
dabei zugleich der Ehrgeiz. Denn die ihm Mißgünſtigen
in Braunſchweig hatten geäußert, er werde ſich wohl eben⸗
ſowenig auszeichnen wie die übrigen jungen Leute, die
der gütige Herzog bisher bei ihren Studien unterſtützt
habe. Inzwiſchen vernachläſſigte er aber weder feine all⸗
gemeine Bildung noch das Componiren, ja ſchon in die⸗
ſem Jahre entſtand ſein Violinconcert Op. 1, und ſeiner
reinmenſchlichen Entwickelung half manches kleine Herzens⸗
abenteuer nach, wie ſie die Biographie gar unbefangen und
unſchuldsvoll berichtet. Und wie ſehr ihm ſchon jetzt der
volle Ernſt in dem Dienſte der heiterſten aller Künſte in
Fleiſch und Blut übergegangen war, beweiſt die Aeuße⸗
rung, als in Danzig nach der dumpfen Anſchauung ſolcher
Stände in Bezug auf Kunſt eine Dame die Frage hin⸗
warf, ob er nicht doch beſſer gethan haben würde dem
Berufe des Vaters zu folgen, zu dem dieſer ihn anfangs
beſtimmt hatte. „So hoch der Geiſt über dem Körper
ſteht, ſo hoch ſteht auch Der, welcher ſich der Veredlung
des Geiſtes widmet, über Dem, der nur den vergänglichen
Körper pflegt!“ lautete ſeine Entgegnung.
Die mancherlei kleinen Abenteuer und bunten Bilder,
die Spohr ſelbſt von dieſer ruſſiſchen Reiſe berichtet, haben
wir hier zu übergehen. Einen weſentlichen Vorſchub lei⸗
ſtete ſeit dem Aufenthalte in Petersburg der Schönheit
feines Tones, die ja jo weltberühmt wurde, noch ein Ge—
ſchenk: ein „artiger allerliebſter junger Franzoſe,“ der Vio⸗
linſpieler Remi tauſchte in einem Gefühle der liebenden
Freundſchaft für Spohr an deſſen Geburtstage mit ihm
ſeine Geige aus, ſodaß dieſer eine echte Guarneri erhielt.
Sein Entzücken über den „himmliſchen Ton“ war grenzen⸗
los, ſollte aber, wie wir noch hören werden, nicht lange
dauern. Am 1. Juni 1803 ging es nach Deutſchland zu⸗
rück. Der Abſchied von Remi war ſehr ſchmerzlich, der
16 Biographie Spohrs.
von dem Lehrer, der in Petersburg blieb, ein ſehr be⸗
trübter. Er ſollte denſelben nicht wiederſehen: Leichtſinn
und Liebesleidenſchaft führten ihn in Petersburg zu ſchlimm⸗
ſten Erlebniſſen, er ſtarb nach wenig Jahren im Irrenhauſe.
Am 5. Juli war Spohr wieder in Braunſchweig und fand
ſich von allen Seiten aufs herzlichſte aufgenommen: die
Lehrzeit war überwunden, der fertige Künſtler ſtand da.
2. Erſte Erfolge.
(1803 1806.)
„Wollen wir ſo fürs Leben miteinander muſiciren?“
Die erſte Probe ſeiner jetzigen Meiſterſchaft ſollte Spohr
bald beſtehen. Der damals weltberühmte Rode beſuchte
Braunſchweig. „Je öfter ich ihn hörte, deſto mehr wurde
ich von ſeinem Spiele hingeriſſen,“ ſagt er ſelbſt. „Ja
ich trug kein Bedenken, Rode's Spielweiſe, damals noch
ganz der Abglanz der ſeines großen Meiſters Viotti, über
die meines Lehrers Eck zu ſtellen und mich eifrigſt zu be⸗
fleißigen, ſie mir durch ſorgfältiges Einüben möglichſt an⸗
zueignen.“ Er wurde ſo unter allen damaligen jungen
Geigern die getreueſte Copie von Rode, und ſein erſtes
Auftreten war von ſo glänzendem Erfolge, daß dieſer
Tag einer der glücklichſten ſeines Lebens blieb.
Bald darauf ging es denn auch auf eine Kunſtreiſe,
zu der der treffliche Herzog den Urlaub leicht gewährte. Der
Anfang war nach Wunſch, das Ziel ſollte Paris ſein.
Allein auf der erſten Station, wo Concert gegeben werden
ſollte, fand ſich zu des Künſtlers höchſtem Schrecken der
Koffer vom Wagen los geſchnitten und dieſer enthielt das
Reiſegeld und was ſchlimmer war, die edle Guarneri⸗Geige.
Mit gezogenem Hirſchfänger rannte Spohr wie raſend zum
Biographie Spohrs. 17
Thore hinaus. Vergebens! Der leere Koffer ward am
Morgen gefunden, der Violinkaſten daneben, aber er ent⸗
hielt nur den — Bogen. Nun blieb nichts übrig als zu⸗
rückzukehren. Erſt im Herbſt 1804 ward dann eine zweite
Reiſe unternommen, deren Ziel Leipzig war, das ſchon
damals neben Wien einen muſikaliſchen Ruf zu bekommen
begann. Allein eine kleine Begebenheit zeigt uns, daß
wie wir Nachlebenden es dort mit R. Wagner erfuhren,
Spohr es damals mit Beethoven erlebte. Er war zu
einer großen Abendgeſellſchaft dieſer reichen Kaufleute ein⸗
geladen und wählte zum Vortrage eines der Quartette Op.
18, mit dem er in Braunſchweig ſo oft entzückt hatte.
Allein wenn ſchon ſeine Mitſpieler mit dieſer Muſik noch
unbekannt und daher unfähig waren in den Geiſt derſelben
einzudringen, ſo blieb die Geſellſchaft dieſen hehren Tönen,
die einem Wagner noch in ſpäten Jahren Thränen des
wonnigſten Wehs entlocken konnten, ſo taub, daß ſich ſogar
eine allgemeine Unterhaltung entſpann, die das Quartett
faſt übertönte. Spohr ſprang daher mitten im Spiele
auf und eilte zu ſeinem Geigenkaſten. Dies erregte große
Bewegung und er entgegnete dem betroffenen Hausherrn:
„Ich war bisher gewohnt, daß man meinem Spiele mit
Aufmerkſamkeit zuhörte; da dies hier nicht geſchah, ſo
glaubte ich der Geſellſchaft gefällig zu ſein, indem ich auf⸗
hörte.“ Der Hausherr bat dann verlegen aber freundlich
um etwas, was ihrem Geſchmacke und Faſſungsvermögen
angemeſſener wäre, und Spohr fand dann mit einem
Rodeſchen Quartett eine lautloſe Zuhörerſchaft, ja mit
ſeinem Paradepferd, den Rodeſchen Variationen, volles
Entzücken der ſämmtlichen Anweſenden. Und dies war
eines derjenigen Quartette Beethovens geweſen, von denen
ihr eigener Schöpfer ausrief, man merke ihnen an, daß
ſie ein junger Mann von viel Empfindung geſchrieben
habe, — allerdings in einer Epoche ſeines Schaffens, in
der er die höchſten Wunder wirkte, die es in dieſem Style
2
18 Biographie Spohrs.
giebt, ſeine Letzten Quartette! Gerade durch ſeinen
verſtändnisvollen Vortrag aber wurden dann hier in
Leipzig jene Quartette Op. 18 zu voller Anerkennung ge⸗
bracht und ſo auch Beethoven ſelbſt der Weg zu dem
Beutel dieſer „reichen Handelsherren“ beſſer geebnet. Von
Spohrs Spiel aber heißt es damals: „Seine Individua⸗
lität neigt ihn am meiſten zum Großen und in ſanfter
Wehmuth Schwärmenden; Herr Spohr kann alles, aber
durch jenes reißt er am meiſten hin. Die Seele, der Flug
der Phantaſie, das Feuer, die Zartheit, die Junigkeit des
Gefühles, der feine Geſchmack und nun ſeine Einſicht in
den Geiſt der verſchiedenen Compoſitionen und ſeine Kunſt,
jede in dieſem ihrem Geiſte darzuſtellen, dies macht ihn
zum wahren Künſtler.“ Dieſer Bericht war von Mozarts
Verehrer Rochlitz und ſtand in der Allgemeinen muſika⸗
liſchen Zeitung. Damit war alſo Spohrs Ruf in Deutſch⸗
land begründet und das Lebensgeſchick des kaum zwanzig⸗
jährigen Künſtlers entſchieden.
Spohr ward aber auch jetzt ein förmlicher Apoſtel
Beethovens, und wie nothwendig ſolch perſönliches Ver⸗
treten dieſer Werke ward, zeigt der ſogleich folgende Vor⸗
fall in Berlin. Es war beim Fürſten Radziwill, der die
bekannte Muſik zum Fauſt geſchrieben hat und Beet⸗
hoven aufrichtig verehrte. Es waren unter anderen erſten
Künſtlern der Stadt der berühmte Celliſt Bernhard Rom⸗
berg, der mit Beethoven gemeinſam in der Bonner Hof⸗
capelle geſtanden war, und Seidler anweſend. „Ich hatte
Romberg noch nicht gehört und war entzückt von ſeinem
Spiele,“ erzählt Spohr. „Nun ſelbſt zu einem Vortrage
aufgefordert, glaubte ich ſolchen Künſtlern und Kennern
nichts Würdigeres bieten zu können als eines meiner Lieb⸗
lingsquartette von Beethoven. Doch abermals mußte ich
bemerken, daß ich einen Fehlgriff gethan hatte. Denn die
Muſiker Berlius kannten dieſe Quartette ebenſowenig wie
die Leipziger und wußten ſie daher auch weder zu ſpielen
Biographie Spohrs. 19
noch zu würdigen. Nachdem ich geendigt, lobten ſie zwar
mein Spiel, ſprachen aber ſehr geringſchätzend von dem,
was ich vorgetragen hatte. Ja Romberg fragte mich ge-
radezu: Aber lieber Spohr, wie können Sie nur jo ba—
rockes Zeug ſpielen?“
Hier in Berlin lernte er auch den ſo ſehr muſikaliſchen
Prinzen Louis Ferdinand kennen, der allerdings Beet⸗
hoven beſſer verſtand und ſich kurz zuvor auf einem Be—⸗
ſuche bei deſſen Freunde Fürſt Lobkowitz in Böhmen ſogar
die damals noch völlig mißverſtandene Eroica hatte drei—
mal hintereinander vortragen laſſen. Spohr war
aber durch ſeine Erfahrungen „gewitzigt“ und ſpielte nur
Compoſitionen, in denen er als Geiger glänzen konnte.
Von den Orgien aber, in die ſich des Prinzen Muſikpar⸗
tien aufzulöſen pflegten, war er um ſo weniger erbaut,
als er dort von einer jungen italieniſchen Sängerin Roſa
Alberghi begleitet war, deren Herz er ſich zugewendet hatte.
Eine weitere Bekanntſchaft war der dreizehnjährige
Meyer Beer. „Der talentvolle Knabe erregte ſchon da—
mals durch ſeine Virtuoſität auf dem Pianoforte ſolches
Aufſehen, daß ſeine Verwandten und Glaubensgenoſſen
nur mit Stolz auf ihn blickten,“ berichtet Spohr. „Man
erzählte ſich, daß einer von ihnen aus einer Vorleſung
über Aſtronomie zurückkehrend den Seinen voll Freude zu⸗
rief: Denkt euch, man hat unſeren Beer ſchon unter die
Sterne verſetzt! Der Profeſſor zeigte uns ein Sternbild,
das ihm zu Ehren der „kleine Beer“ genannt wird.“ Er
war ſo klug, den jungen Virtuoſen zur Mitwirkung in
ſeinem Concerte einzuladen, was dem Beſuche deſſelben
ſehr zuſtatten kam, denn es war das erſte öffentliche Auf-
treten des Knaben und ſeine Glaubensgenoſſen wußten
den Augenblick zu würdigen.
Derweilen hatte ſich jene ſüdlich feurige italieniſche
Sängerin immer inniger an ihn angeſchloſſen und ihm
unverhohlen ihre Zuneigung gezeigt. Er mußte ſich aber
2 *
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20 Biographie Spohrs.
bei näherer Bekanntſchaft ſagen, daß ſie zu ſeiner Lebens⸗
gefährtin ſich nicht eigne, und hatte daher jede Erklärung
ſorgfältig vermieden. Denn ſo liebenswürdig und unver⸗
dorben ſie war, ſo fand er ihre Erziehung zu ſehr ver⸗
nachläſſigt, und was ihn beſonders abſtieß, war die natio⸗
nale Bigotterie, die ſogar den lutheriſchen Ketzer ſelbſt
manchmal hatte bekehren wollen. Sie zerfloß beim Ab⸗
ſchied in Thränen und drückte ihm bei der letzten Um⸗
armung ein Andenken von ihrem ſchönen ſchwarzen Haare
in die Hand. Ja im nächſten Frühjahr meldete ſie ihre
Ankunft in Braunſchweig und war auf echt italieniſche Art
in ihrer herzlichen Wiederſehensfreude ſo unbefangen, daß
ſie die Erwiderung ihrer Gefühle für zweifellos hielt und
auf der Rückreiſe ſich ſogar bei ſeinen Eltern einführte,
die ſie denn auch ebenſo unbefangen als ſeine Verlobte
umarmten. Spohr war nicht wenig erſchrocken und der
Vater wollte einem „ſo herrlichen Mädchen“ gegenüber
ſeine Gründe nicht gelten laſſen. Wir werden aber
Spohrs Gefühl als wohlberechtigt erkennen. Denn ein
verehrtes Mädchen iſt noch lange nicht auch Gefährtin
fürs Leben.
Im Sommer 1805 wurde Spohr zum Coneertmeiſter
in Gotha erwählt. Sein Alter mußte dabei der Capelle
gegenüber um vier bis fünf Jahre erhöht werden. Sein
Herzog bewies ſich auch in dieſem Falle als der gleiche
gütige Herr, der nur das Wohl der Seinen im Auge
hatte. „Mein lieber Spohr!“ entgegnete er auf das Ent⸗
laſſungsſchreiben. „Ich habe mit vieler Theilnahme den
Beifall vernommen, welchen Ihr Spiel in Gotha gefun⸗
den hat. Das vortheilhafte Anerbieten iſt von der Art,
daß es ganz Ihren Talenten entſpricht, und da ich jeder⸗
zeit vielen Antheil an Ihrem Glück und Wohlergehen ge⸗
nommen habe, ſo kann ich nicht anders als Ihnen Glück
zu der Stelle wünſchen, worin Sie unſtreitig mehr Ge⸗
legenheit finden werden Ihre Talente auszuüben.“ Er
Biographie Spohrs. 21
enthielt ſich dabei zum erſtenmale des „wohlwollenden
väterlichen Du“ gegen ſeinen Schützling und ſagte beim
Abſchied zu dem tiefgerührten jungen Manne: „Sollte es
Ihnen, lieber Spohr, in Ihrer neuen Stellung nicht ge⸗
fallen, ſo können Sie jeden Augenblick in meine Dienſte
zurückkehren.“ Ein Jahr ſpäter und er erlag bei Jena
den anſtürmenden Franzoſenmaſſen als einer der Führer
der gleichen Preußen, mit denen er gegen dieſe zuerſt ſei⸗
nen Feldherrnruf erworben hatte.
Das gleiche Schickſal traf bekanntlich den Prinzen
Louis Ferdinand, von dem uns Spohr auch noch eine
kleine Erinnerung bietet. Es war Manöver bei Magde—
burg und Spohr war zu den Muſikpartien geladen. Es
wogte ein ſonderbar wild bewegtes Leben um den Prinzen.
Oft ſchon um ſechs Uhr wurde er mit deſſen Muſikmeiſter
Duſſek aus dem Bette gejagt und im Schlafrock zu dem
Prinzen beſchieden, der bei der großen Sommerhitze ſogar
in noch leichterem Coſtüme am Clavier ſaß. Nun begann
das Probiren für die Abendmuſiken und dauerte oft ſo
lange, bis der Saal ſich mit beſternten Offizieren gefüllt
hatte. Dieſer ſonderbare Contraſt genirte den Prinzen
durchaus nicht. Es mußte erſt alles gut gehen und dann
ging's nach einem raſchen Frühſtück an das andere Erer-
ciren. Von Honorirung war freilich diesmal nicht die
Rede, es war wieder einmal Ebbe in der prinzlichen Kaſſe
und ſein baldiger Tod machte das Wiedereinholen des
Verſäumten unmöglich.
In Gotha ſtanden tüchtige Künſtler zu ſeiner Ver⸗
fügung und des Herzog Auguſts Muſikliebe iſt ja aus
Webers Leben bekannt. Außer dieſer künſtleriſchen Be⸗
friedigung ward Spohr aber auch hier bald die ſeines
Herzens zutheil. Die Hofſängerin Frau Scheidler hatte
eine achtzehnjährige Tochter Dorette, deren Virtuoſität
auf der Harfe ihm ſchon gerühmt worden war. „Ich er-
kannte in dieſer reizenden Blondine das Mädchen wieder,
22 Biographie Spohrs.
welches ich bei meinem erften Aufenthalte in Gotha be⸗
reits geſehen und deren freundliche Geſtalt mir ſeitdem
oft vorgeſchwebt hatte,“ erzählte er. „Sie ſaß nämlich
bei dem Concerte, welches ich damals gab, in der erſten
Zuhörerreihe neben einer Freundin, die bei meinem Auf⸗
treten, über eine ſo lange und ſchlanke Geſtalt erſtaunt,
wohl lauter als fie es wollte, ausrief: ‚Sieh doch, Dorette,
welch eine Hopfenſtange!“ Da ich dies gehört hatte, warf
ich einen Blick auf die Mädchen und ſah Dorette verlegen
erröthen. Mit einem ſolchen holden Erröthen ſtand ſie
jetzt abermals vor mir, wahrſcheinlich ſich jenes Vorfalls
erinnernd. Um dieſer für mich peinlichen Lage ein Ende
zu machen, bat ich ſie mir etwas vorzuſpielen. Ohne
Ziererei erfüllte fie meinen Wunſch.“ Sie ſpielte vortreff⸗
lich, ſodaß Spohr, der das Inſtrument einmal ſelbſt ge⸗
übt hatte, ausruft: „Ich war ſo ergriffen, daß ich kaum
die Thränen zurückhalten konnte. Mit einer ſtummen
Verbeugung ſchied ich, — mein Herz aber blieb zurück.“
Der Verkehr im Hauſe ward dann bald um ſo inniger,
als zugleich die holdeſte Muſe die beiden unſchuldsvollen
Herzen verband. „Das waren glückliche Stunden!“ ruft
er aus, als er für ſie und ſich eine concertirende Sonate
geſchrieben und ihr aufs ſorgfältigſte eingeübt hatte. Bald
darauf muß er fie im Wagen zu einem Hofconcerte ab⸗
holen. „So zum erſtenmal allein mit dem geliebten Mäd⸗
chen drängte es mich ihr meine Gefühle zu geſtehen,“ er⸗
zählt er, „doch fehlte mir der Muth und der Wagen hielt,
bevor ich nur eine Silbe hatte über die Lippen bringen
können. Als ich ihr beim Ausſteigen die Hand reichte,
fühlte ich an dem Beben der ihrigen, wie bewegt auch ſie
war. Dies gab mir neuen Muth und faſt wäre ich noch
auf der Treppe mit meinem Geſtändniſſe herausgeplatzt,
hätte ſich nicht ſoeben die Thüre zum Geſellſchaftszimmer
geöffnet.“ Ebenſo nahe aber ſtand die Eröffnung dieſer
Herzen. „Wir ſpielten an dieſem Abende mit einer Be⸗
Biographie Spohrs. 23
geifterung und einem Einklange des Gefühles, die nicht
nur uns ſelbſt ganz hinriß, ſondern auch die Geſellſchaft
ſo elektriſirte, daß ſie unwillkürlich aufſprangen, uns um⸗
ringten und mit Lobſprüchen überhäuften,“ heißt es wei⸗
ter. „Die Herzogin flüſterte dabei Doretten einige Worte
ins Ohr, welche ſie erröthen machten. Ich deutete auch
dies zu meinen Gunſten und jo gewann ich auf der Rück-
fahrt den Muth zu fragen: ‚Wollen wir jo fürs Leben
miteinander muſiciren?“ Mit hervorbrechenden Thränen
ſank ſie mir in die Arme: das Band für das Leben war
geſchloſſen! Ich führte ſie zur Mutter hinauf, die ſegnend
unſere Hände ineinander legte.“
Sein erſter Brief war an die Eltern gerichtet, der
zweite an die ſchwarzäugige Roſa. Dieſer aber blieb un—
beantwortet und Spohr hörte ſpäter in Dresden, daß ſie
nach Italien zurückgekehrt und von ihrer Frömmigkeit ge⸗
trieben in ein Kloſter gegangen ſei. „Ich konute nie ohne
tiefe Wehmuth an das liebe Mädchen denken,“ ſchließt er:
ſein Herz hatte ihn aber auch hier nicht getäuſcht.
Nach wenig Wochen fand die Trauung ſtatt, der Tauf—
ſchein erwies zum Erſtaunen der Betheiligten, daß der
Herr Bräutigam in Gotha anſtatt älter um einige Jahre
jünger geworden war. Die Trauung fand der dabei in-
tereſſirten gütigen Frau Herzogin wegen in der Schloß—
kapelle ſtatt. Bei dem heiteren Hochzeitsfeſte fehlte auch
die Geſpielin nicht, die den Bräutigam mit einer Hopfen⸗
ſtange verglichen hatte, fie mußte ſich für ſolchen unge-
bührlichen Vergleich manche Neckerei gefallen laſſen. Wie
beglückend aber dieſe ſeine Ehe auf unſeren Künſtler wirkte,
werden wir ſehen: jetzt war ſein Inneres in jeder Weiſe
beſeligt erfüllt und dies hat einen Strahl höheren Lichtes
über ſein ferneres Daſein als Künſtler wie als Menſch
geworfen.
24 Biographie Spohrs.
3. Allerlei Erlebungen.
(1806—1812.)
„Unter Muſik verlebte das glückliche Paar auch die
Flitterwochen,“ erzählt Spohr. Er hatte jetzt nichts Ei⸗
ligeres zu thun als auch die Natur des Inſtrumentes zu
erforſchen, das ſeine geliebte Frau ſo zart und kräftig zu⸗
gleich ſpielte, und brachte es dabei auf ganz neue Wir⸗
kungskräfte deſſelben. Ja um auch in der Kunſt möglichſt
gemeinſam mit ſeiner Dorette zu wirken, ſchuf er eigens
concertirende Compoſitionen für Violine und Harfe und
kam dabei, um beide Inſtrumene thunlichſt ihrer Natur
nach erklingen zu laſſen, auf den Gedanken, die Harfe,
die am ſchönſten in den B-Tönen klingt, einen halben
Ton tiefer als die Violine zu ſtimmen, die am hellſten in
den Kreuztönen tönt. Dann wurde eine Nadermannſche
Pedalharfe gekauft und ein beſonderer Wagen ausge⸗
dacht, der alles miteinander, Mann und Frau, Harfe
und Violine, bequem bergen konnte: denn die Hauptſache
war jetzt auf Reiſen Ruhm und Geld zu gewinnen. Da
find denn mancherlei Einzelnheiten zu berichten, die aller⸗
dings oft mehr die Culturgeſchichte als die Kunſt an⸗
gehen, aber doch, da ja die letztere in ihrer Geltung
und Beachtung nur zu ſehr von dem Stande der all⸗
gemeinen Cultur abhängt, auch hier von einiger Bedeu⸗
tung erſcheinen.
Nach der Geburt eines Töchterchens ging es alſo im
nächſten Jahre 1807 auf die Wanderſchaft. „In Weimar
ſpielten wir mit großem Beifalle bei Hofe“ erzählt er.
„Unter den Zuhörern befanden ſich auch Goethe und Wie-
land. Letzterer ſchien von den Vorträgen ganz hingeriſſen
zu ſein und äußerte dies in ſeiner lebhaft freundlichen
Weiſe. Auch Goethe richtete mit vornehm kalter Miene
Biographie Spohrs. 25
einige lobende Worte an uns.“ Leipzig gab ihm diesmal
„im Ton und Ausdruck, in Sicherheit und Fertigkeit“ das
Zeugnis einer der erſten der lebenden Violiniſten. Dres⸗
den und Prag waren gleicherweiſe über das ſeltene Künſt⸗
lerpaar entzückt. Von München vernehmen wir etwas über
den ſo herzensgütigen erſten König von Bayern, den Ur⸗
großvater des in der Geſchichte unſerer geiſtigen Entwicklung
unübertroffen daſtehenden Monarchen, der uns „Bayreuth“
geſchenkt. „Als wir vortraten, fehlte es an einem Stuhle
für Dorette,“ erzählt Spohr. „Der König Max, der neben
feiner Gemahlin in der erſten Reihe der Zuhörer ſaß, be⸗
merkte es und brachte ſogleich ſeinen eigenen vergoldeten
und mit der Königskrone geſchmückten Lehnſeſſel, bevor
noch ein Diener das Fehlende herbeiſchaffen konnte. In
ſeiner freundlich⸗gutmüthigen Weiſe beſtand er darauf, daß
Dorette ſich deſſen bedienen ſolle, und erſt dann, als
ich ihm bemerklich machte, daß die Armlehnen beim Spie⸗
len hinderlich ſein würden, geſtattete er, daß ſie den vom
Bedienten herbeigebrachten Stuhl annahm. Nach been⸗
detem Spiele ſtellte er ſelbſt uns der Königin und ihrer
Umgebung vor, die ſich auf das zuvorkommendſte mit uns
unterhielt.“ Wir werden ſogleich die Kehrſeite ſolchen
deutſchen Fürſtenweſens von damals kennen lernen.
Etwas Charakteriſtiſches hören wir von Peter Winter,
dem in Mozarts Briefen nicht eben das ſchönſte Denkmal
ſteht. Spohr war oft bei dem Componiſten des „Opfer-
feſtes“, der ihn in feiner aufrichtig derben Weiſe feines Bei⸗
falles verſicherte, und ergötzte ſich an deſſen originellem We⸗
ſen, das die ſonderbarſten Widerſprüche in ſich vereinigte.
Winter, gleich Spohr von koloſſalem Körperbau und be⸗
gabt mit rieſiger Kraft, war dabei furchtſam wie ein Haſe.
Die jüngeren Mitglieder der Hofcapelle neckten ihn denn
unaufhörlich und hatten namentlich wegen ſeiner Furcht vor
Geiſtern ihm einmal eine höchſt komiſche Spukgeſchichte
angethan. Er beſuchte im Sommer öfters einen öffeut—
26 Biographie Spohrs.
lichen Garten vor der Stadt, kehrte aber, da er ſich im
Dunkeln fürchtete, ſtets vor anbrechender Nacht zurück.
Eines Tages nun hatten ihn die muthwilligen jungen
Leute durch allerlei Künſte länger als gewöhnlich aufge⸗
halten, es war ſchon dämmerig, als er den Rückweg au-
trat. Da die übrigen Gäſte in guter Ruhe ſitzen blieben,
ſo fand er ſeinen Weg, der zwiſchen düſtern Hecken hin⸗
lief, ſchauerlich einſam. Es überfiel ihn daher eine fürch⸗
terliche Angſt und unwillkürlich fing er an zu traben.
Kaum war dies geſchehen, ſo fühlte er eine ſchwere Laſt auf
ſeinem Rücken und glaubte nun nicht anders, als es ſei
ein Kobold auf ihn herabgeſprungen. Da er noch Mehrere
hinter ſich her traben hörte, ſo ſchien ihm, als ſei die ganze
Hölle auf ſeinen Ferſen, und er rannte nur noch ſtärker.
Schweißtriefend keuchend kam er endlich am Thore an.
Da ſprang der Kobold von ſeinem Rücken und ſprach mit
wohlbekannter Stimme: „Ich danke Ihnen, Herr Capell⸗
meiſter, daß Sie mich getragen haben, denn ich war ſehr
müde.“ Ein Kichern der Andern folgte dieſer Rede, wäh⸗
rend der Gefoppte in ſeinen gewohnten unbändigen Zorn
ausbrach. Eine andere Neigung theilte Winter mit dem
großen Contrabaſſiſten Dragonetti, für den Beethoven die
mächtigen Recitative der Neunten Symphonie gewagt hat.
Wie dieſer leidenſchaftlich mit Puppen, ſo ſpielte Winter
ſtundenlang mit den Figuren des weihnachtlichen Krippen⸗
ſpiels. „Müſſen Sie denn ewig ſpielen? Setzen Sie ſich
ſogleich ans Clavier und machen Sie Ihre Arie fertig!“
rief dann wohl ſeine Haushälterin zu.
In Stuttgart lernen wir einen ſolchen gekrönten Her⸗
kules kennen, der ja auch in Webers Leben eine Rolle
ſpielt, den unmäßig dicken König Karl. „Meine Auf⸗
merkſamkeit wurde beſonders auf den Spieltiſch des Königs
gelenkt, an welchem, um es der Majeſtät bei ihrer Cor⸗
pulenz bequemer zu machen, ein halbrunder Ausſchnitt an⸗
gebracht war, in welchen der Bauch des Königs genau
Biographie Spohrs. 27
hineinpaßte,“ erzählt Spohr. „Der große Umfang des—
ſelben und der kleine des Königreiches haben bekanntlich
Veranlaſſung zu der hübſchen Carricatur gegeben, auf
welcher der König im Krönungsornate, die Landkarte ſeines
Reiches auf dem Hoſenblatte, in die Worte ausbricht: Ich
kann meine Staaten nicht überblicken.“ Derſelbe Poten⸗
tat, von Napoleon I. le grand cochon genannt, hatte
übrigens einen Charakter, der ſeiner gemüthlichen Erſchei⸗
nung durchaus nicht entſprach. „Würtemberg ſeufzte da⸗
mals unter einer Deſpotie, wie fie das übrige Deutſch⸗
land wohl nie gekannt hat,“ ſchreibt Spohr. „So mußte,
um einiges anzuführen, jeder, der den Schloßhof betrat,
den Weg vom Thore bis zum Portale, es mochte regnen
oder ſchneien, mit entblößtem Haupt zurücklegen, weil
Se. Majeſtät nach dieſer Seite hin wohnte. Ferner war
jeder Civiliſt auf Allerhöchſten Befehl gehalten, vor den
Schildwachen den Hut abzuziehen, ohne daß dieſe ihm die
Honneurs zu machen brauchten. Im Theater war es durch
Anſchlag ſtrenge verboten Beifall zu klatſchen, bevor nicht
der König damit begonnen hatte. Die Majeſtät ſteckte
aber ihre Hände wegen der ſtrengen Winterkälte in einen
großen Muff und brachte ſie nur heraus, wenn Höchſtdie⸗
ſelben das Bedürfnis fühlten eine Priſe zu nehmen. War
dies geſchehen, dann wurde unbekümmert um das, was
gerade auf dem Theater geſchah, auch geklatſcht. Der
Kammerherr, welcher hinter dem Könige ſtand, fiel ſogleich
ein und gab dadurch dem loyalen Volke das Zeichen, nun
auch ſeinerſeits Beifall zu ſpenden. So wurden denn faſt
immer die intereſſanteſten Scenen und beſten Stücke der
Oper durch einen heilloſen Lärm geſtört und unterbrochen.“
Bei ſolcher Tyrannei der königlichen Launen war es
den Stuttgartern daher ein großes Erſtaunen, als ſie
hörten, was nach ſeiner königlich freien deutſchen Art
Spohr bei ſeinem Auftreten im Hofconcerte ſich ausbe—
dungen und bewilligt erhalten hatte. Gleich der Herzogin
28 Biographie Spohrs.
von Braunſchweig ließ König Karl nur während des
Spieles Concert ſein. Spohr nahm ſich die Freiheit, für
ſich und ſeine Frau zu erbitten, während ihres Spie⸗
les das Kartenſchlagen aufzuheben. „Wie? Sie wollen
meinem gnädigſten Herren Vorſchriften machen? Nie
werde ich es wagen, Ihm dies vorzutragen!“ rief einen
ganzen Schritt zurücktretend der erſchrockene Hofmarſchall.
„Dann muß ich auf die Ehre verzichten bei Hofe gehört
zu werden,“ entgegnete einfach der Künſtler. Wie es nun
angefangen ward, dem hohen Herren, deſſen Heftigkeit auch
C. M. von Weber zu erfahren hatte, ſolch Unerhörtes vor⸗
zutragen, vernehmen wir nicht. Nur hörte Spohr, Se.
Majeſtät werde die hohe Gnade haben, nur müßten die
Muſikſtücke der Beiden einander ſogleich folgen, damit Se.
Wohlbeleibtheit nicht öfter incommodirt würde.
So geſchah es denn auch. Während der Ouverture
und der Arie liefen die Bedienten geräuſchvoll hin und
her, um Erfriſchungen anzubieten und die Kartenſpieler
riefen ihr „Ich ſpiele! Ich paſſe!“ ſo laut, daß von der
Muſik und dem Geſange nichts Zuſammenhängendes zu
hören war. Dann kam der Hofmarſchall, um Spohr anzu⸗
kündigen, daß er ſich bereit halten ſolle. Zugleich benach⸗
richtigte er den König. Alsbald erhob ſich dieſer und mit
ihm alle Uebrigen. Die Bedienten ſtellten zwei Stuhl⸗
reihen auf, der Hof ließ ſich nieder. „Unſerem Spiele
wurde in großer Stille und mit Theilnahme zugehört,“
heißt es weiter. „Doch wagte niemand ein Zeichen des
Beifalles laut werden zu laſſen, da der König damit nicht
voranging. Seine eigene Theilnahme an den Vorträgen
zeigte ſich nur am Schluſſe derſelben durch ein gnädiges
Kopfnicken, und kaum waren ſie vorüber, ſo eilte alles
wieder zu den Spieltiſchen und der frühere Lärm begann
von neuem.“ So wie dann der König das Spiel beendet
hatte und den Stuhl rückte, wurde das Concert mitten in
einer Arie abgebrochen, ſodaß der Sängerin die letzten
Biographie Spohrs. 29
Töne förmlich im Halſe ſtecken blieben. Die Muſiker, an
ſolchen Vandalismus gewöhnt, packten ruhig ihre Inſtru⸗
mente in die Kaſten. „Ich war im Innerſten empört über
eine ſolche Entwürdigung der Kunſt,“ endigt Spohr, und
wir wiſſen, daß im Jahre 1814 in Wien Beethoven und
im Jahre 1876 in Bayreuth Wagner Kaiſer und Könige
zu Gäſten hatten. Spohr aber war ihnen ein würdiger
Vorgänger geweſen.
„In Stuttgart lernte ich auch zuerſt den ſo berühmt
gewordenen Carl Maria von Weber kennen, mit dem
ich dann bis zu ſeinem Tode ſtets in freundſchaftlicher
Verbindung blieb,“ erzählt Spohr weiter. „Ich erinnere
mich noch ſehr gut damals einige Nummern aus der Oper
‚Der Beherrſcher der Geiſter“ bei ihm gehört zu haben.
Dieſe kamen mir aber, da ich gewohnt war, bei drama—⸗
tiſchen Arbeiten ſtets Mozart als Maßſtab anzulegen, ſo
unbedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im
entfernteſten ahnte, es werde Weber einſt gelingen können,
mit irgend einer Oper Aufſehen zu erregen,“ — ein neuer
Beweis, wie ſchwer es iſt, eines Menſchen beſondere Be⸗
gabung zu erkennen.
Die Rückkehr nach Gotha brachte die beiden Künſtler
wieder in gewohnte Verhältniſſe. Dorette hatte von Hei⸗
delberg das Zeugnis bekommen, ſie ſpiele „mit einer Zart⸗
heit, Leichtigkeit und Anmuth, mit einer Sicherheit und
Stärke, mit einem Ausdruck, der hinreißend ſei,“ und ſo
war es nur natürlich, daß ſobald wie thunlichſt wieder
Concertreiſen ſtattfanden. Dieſe und das Dirigiren von
Muſikfeſten erweiterten Spohrs Ruf immer mehr. Das
zwiſchen aber unterbrach er auch ſeine Compoſitionsthätig⸗
keit nicht. Ein paar Opern und das „jüngſte Gericht“
entſtanden in dieſer Zeit bis zum Jahre 1812. Die erſten
hatten wohl den Beifall der Zuhörer, aber behielten ihn
ſowenig wie das Oratorium bei dem Componiſten ſelbſt,
und dies, obwohl er dazu vorerſt die nöthigen Vor⸗
30 Biographie Spohrs.
ſtudien in Marpurgs „Kunſt der Fuge“ gemacht hatte.
Doch für einige Chöre und Fugen des Werkes ſowie für
die Partie des Satanas behielt er eine ſolche Vorliebe, daß
er ſie faſt für das Großartigſte erklärte, was er je zu
Stande gebracht. In den Chören des „Fauſt“ und in der
Geſtalt des Mephiſtopheles ſollte beides mehr für die
Dauer wiedererſcheinen.
Endlich im Herbſt 1812 führte ihn ein wohlbegreif⸗
liches Sehnen auch nach Wien. Er fühlte ſein Herz
klopfen, als er über die Donaubrücke fuhr. Denn zu
gleicher Zeit war der „größte Geiger der Zeit“, Rode
aus Rußland zurückgekehrt und concertirte in Wien. Die
Aufnahme entſprach aber auch hier ſeinem edlen Können,
ja ward entſcheidend für ſein ferneres Daſein. „Spohr
iſt unſtreitig im Angenehmen und Zarten die Nachtigall
unter allen jetzt lebenden Violinſpielern,“ ſagte die Muſik⸗
zeitung. Dagegen vermißte man bei Rode das „was alle
Herzen elektriſirt, den Zauber der alles entzückt und be⸗
geiſtert.“ Er ſelbſt fand Rode, den auch Beethoven da⸗
mals kennen lernte und beim Zuſammenſpiel als „wenig
muſikaliſch“ erkannte, „ſehr zurückgegangen“ und ſpielte
ihm eines Tages, ſowie einſt Liſzt es mit Chopin gethan,
eine ſeiner eigenen Compoſitionen genau in der Weiſe
vor, wie er ſie zehn Jahre zuvor ſo oft von ihm gehört
hatte, die aber jetzt zu einer Manier verſchliſſen war, die
nahe an Carricatur grenzte. „Nach beendetem Spiele
brach die Geſellſchaft in großen Jubel aus und ſo mußte
mir denn auch Rode Schicklichkeitshalber ein Bravo zu⸗
rufen,“ erzählt er. „Doch ſah man deutlich, daß er ſich
durch meine Indelikateſſe verletzt fühlte. Und dies mit
vollem Recht. Ich ſchämte mich bald derſelben und er⸗
wähne des Vorfalles nur, um zu zeigen, wie ſehr ich mich
damals als Geiger fühlte.“
In dem Augenblicke nun, als er „in hohem Grade mit
Wien zufrieden“ weiter reiſen wollte, trug ihm Graf Palffy,
Biographie Spohrs. 31
aus Beethovens Leben bekannt genug, die Stelle als Ca⸗
pellmeiſter ſeines Theaters an der Wien auf drei Jahre
an. Da nun nicht bloß fein Gehalt dadurch ſich ver—
doppelte, ſondern auch die beſten Kräfte an das Theater
gezogen waren und Spohr ſelbſt das Orcheſter herſtellen
ſollte, ſo ſchlug er ein und ſah ſich bald an der Spitze
einer der erſten Capellen Deutſchlands, deren Mitglied
eben damals auch ſein Schüler Moritz Hauptmann ward.
Die Trennung von Gotha war ſchwer, beſonders die Frau
Herzogin wollte es nicht begreifen, daß das ſo aufrichtig
geliebte Künſtlerpaar ſie dauernd verließ. Doch das ſichere
Gefühl in größeren Verhältniſſen auch ſelbſt zu wachſen,
ließ ihn alle Schwierigkeiten überwinden, und man darf
ruhig ſagen, ohne Wien wäre wohl Spohr, der große
Geiger, aber nicht der Spohr erſtanden, der auch außerhalb
der Grenzen ſeines Inſtrumentes etwas gilt. Zudem ward
jene Zeit von 1812— 15 auch in der Muſik noch einmal
Wiens große Zeit: die Kriege und der Wiener Congreß
gaben Anlaß zu ſehr hervorragenden öffentlichen Kundge—
bungen auch in der Muſik und dieſe fanden zu ihrer wür⸗
digen Erfüllung den richtigen Mann, — Beethoven.
4. In Wien.
(1813—1815.)
Die Berufung nach Wien wäre für unſeren Künſt⸗
ler nahezu eine vergebliche geweſen. Beim Mittags⸗
tiſch auf der Rückreiſe nach Gotha geſchah ihm der Unfall,
daß er beim Abſchneiden des Schwarzbrodes auf einen
Stein gerieth: das ſcharfe Meſſer ſprang ab, fuhr in die
Kuppe ſeines linken Zeigefingers und ſchnitt ein bedeuten⸗
des Stück Fleiſch ab, das auf dem Teller vor ihm nieder⸗
fiel. „Dieſer Anblick oder vielmehr der Gedanke, daß es
32 Biographie Spohrs.
nun mit meinem Violinſpiele zu Ende ſei und ich nicht
mehr im Stande ſein werde, mich und die Meinigen zu
ernähren, erſchreckte mich ſo, daß ich bewußtlos vom Stuhle
niederſank,“ erzählt der Mann von dem „herkuliſchen Kör⸗
perbau“. Als er nach etwa zehn Minuten die Beſinnung
wiedergewann, ſah er die ganze Geſellſchaft in Aufruhr
und um ihm beſchäftigt. Sein erſter Blick fiel auf den
Finger, den er mit einem großen Stück engliſchen Pflaſters
umwickelt fand. Es hatte ſich feſt in die Vertiefung hinein⸗
gelegt. Denn wenn auch nicht die ganze Kuppe, ſo war
doch faſt die Hälfte derſelben mit einem großen Stück
Nagel fort. Der Arzt ließ zum Glück alles unberührt
und ſo war bei der Rückkunft nach Wien die Wunde faſt
geheilt. „Zu meinem Erſtaunen und noch viel mehr zu
dem der Wundärzte,“ erzählt er jedoch, „war unter dem
engliſchen Pflaſter neues Fleiſch gewachſen und hatte ſich
bis zu dem früheren Umfange ausgedehnt. Auch das
fehlende Stück Nagel war nachgewachſen, jedoch nur noth⸗
dürftig mit dem übrigen Nagel verbunden, ſodaß eine Ver⸗
tiefung zurückblieb.“ Jedoch konnte er mit Hilfe eines
Lederüberzuges den Finger wieder gebrauchen und war ſo
auch der eigentlichen Lebensſorge bald baar.
Er führte nun ein ſehr thätiges, im Genuſſe des Fa⸗
milienglückes auch höchſt zufriedenes Leben und der Um⸗
gang mit Wiens Künſtlern, überhaupt die ganze gerade in
ſeiner Geiſtesſphäre höchſt angeregte Kaiſerſtadt ſchwellte
ihm die Segel ſo, daß er wohl kaum je wieder in ſolcher
frohen und ergiebigen Schaffenslaune ſich befunden hat.
„Der frühe Morgen fand mich ſchon am Clavier oder am
Schreibtiſche,“ erzählt er, „und auch jede andere Zeit, die
mir der Orcheſterdienſt und mein Unterrichtgeben frei ließen,
wurde der Compoſition gewidmet. Ja mein Kopf gährte
und arbeitete ſo unaufhörlich, daß ich ſelbſt auf dem Weg
zu meinen Schülern, ſowie auf Spaziergängen fortwährend
componirte und dadurch bald die Fähigkeit gewann, lange
Biographie Spohrs. 33
Perioden, ja ganze Muſikſtücke im Kopfe völlig auszu⸗
arbeiten, die dann ohne weitere Nachhilfe niedergeſchrieben
werden konnten. Sobald dies geſchehen, waren ſie in
meinem Gedächtniſſe wie ausgelöſcht und ich hatte wieder
Raum für neue Combinationen. Dorette ſchmälte oft
auf unſeren Spaziergängen über dieſes unaufhörliche Den⸗
ken und war froh, wenn das Geplauder der Kinder mich
davon abzuziehen vermochte. War dies einmal geſchehen,
ſo gab ich mich gern den äußeren Eindrücken hin; nur
durfte man mich nicht in mein Grübeln zurückfallen laſſen,
was Dorette auch ſtets mit großer Gewandtheit zu ver-
hüten wußte.“
Sie vergnügten ſich mit ihren Kindern an all dem
lebendigen Leben in und um Wien, am Prater, in Schöun⸗
brunn, bei der „Spinnerin am Kreuz“, in Laxenburg, Ba⸗
den und der Brühl und er bekennt nur das ganze innige
Gemüthsleben ſeiner deutſchen Natur, wenn er noch in
dieſen ſpäten Jahren der Aufzeichnung ſagt: „Ich und
meine Frau, im Gemüthe ſelbſt noch halbe Kinder, nahmen
an der Freude unſerer Lieblinge bei dieſen Carouſſels,
Puppen⸗ und Hundecomödien und anderen Herrlichkeiten
den innigſten Antheil. Es war eine ſchöne, frohe und
ſorgenloſe Zeit.“
Sie zeugte denn auch Spohrs umfangreichſtes drama—
tiſches Werk, den „Fauſt“. Doch ſtammtdie heutige Form
der Partitur aus dem Jahre 1852.
Schon vor der Reiſe nach Gotha hatte er einen Opern⸗
ſtoff im Auge, den der damals ſo gefeierte Theodor
Körner ihm bearbeiten ſollte, der auch mit Beethoven
wegen eines Operntextes verkehrte. Doch der Tod riß den
liebenswürdigen Jüngling bald hinweg. Seine Freunde
hatten ihm den Entſchluß für die Befreiung feines Bater-
landes zu kämpfen auszureden getrachtet. Doch nicht allein
dieſe Begeiſterung war es, was ihn forttrieb, ſondern zu-
gleich eine unerwiderte Neigung zu der ſchönen Toni Adam⸗
3
34 Biographie Spohrs.
berger, für die kurz zuvor Beethoven Clärchens Lieder im
Egmont geſchrieben hatte. Da trat denn ein anderer
Freund Beethovens, der Dichter Carl Bernard ein, der
das Volksbuch des Fauſt zu einem buntgemiſchten Opern⸗
text bearbeitet hatte. Spohr erzählt darüber:
„Aus dem Verzeichnis meiner Compoſitionen erſehe
ich, daß ich dieſe Oper in weniger als vier Monaten, von
Ende Mai bis Mitte Septembers, geſchrieben habe. Noch
jetzt iſt mir erinnerlich, mit welcher Begeiſterung und Aus⸗
dauer ich daran arbeitete. Hatte ich einige Nummern
vollendet, ſo eilte ich damit zu Meyerbeer, der ſich da⸗
mals in Wien aufhielt, und bat ihn, ſie mir aus der
Partitur vorzuſpielen, worin dieſer ſehr excellirte. Ich
übernahm dann die Singſtimme und trug ſie in ihren
verſchiedenen Charakteren mit großer Begeiſterung vor.
Reichte meine Kehlfertigkeit nicht aus, ſo half ich mir mit
Pfeifen, worin ich ſehr geübt war. Meyerbeer nahm großes
Intereſſe an dieſer Arbeit, welches ſich bis in die neueſte
Zeit erhalten zu haben ſcheint, da er ſie während ſeiner Lei⸗
tung der Berliner Oper von neuem in Scene ſetzte und
mit großer Sorgfalt ſelbſt einübte.“
Meyerbeer wußte wohl, was er mit der Einſtudirung
des „Fauſt“ that. Hielt er ſo den damaligen Berliner oder
eigentlich deutſchen Geſchmack auf ſeiner Bahn, ſo hemmte
er den Strom des Neuen, der mit Richard Wagner ihm
ſelbſt wie allen „deutſchen Kapellmeiſtern“ mit vernichten⸗
dem Vergeſſen drohte. Denn Spohrs „Fauſt“ iſt, man ge⸗
denke nur ſeines eigenen Wortes „Nummern“, eben eine
Oper alten Schlages, gute „deutſche Kapellmeiſtermuſik“,
wie Wagners Ausdruck lautete. Allein während in echt
effecthaſchender Weiſe Meyerbeer Himmel und Hölle auf⸗
bietet, um auch den ſo geſuchten rein äußerlichen Erfolg
zu erreichen, irrt Spohr unbefangen naiv. Schon ſein
Textbuch iſt kein Drama, ſondern eben ein — Opernbuch.
Contraſtirende Scenen, aber keine ſtetige Handlung, die
Biographie Spohrs. 35
auch ohne Muſik durch ihren einfach ſicheren Gang unſeren
Antheil erweckte! Und jo hat auch der Componiſt einzelne
„Nummern“ aus dem Werke gemacht, das in jedem der
drei Acte ebenſo der regelrechten „Finales“ nicht ermangelt.
Es ſind eben die herrſchende Compoſitionsform der Arie
und was aus ihr gebildet worden, wie andererſeits die
ſogenannte thematiſche Arbeit, dieſes „ewige Wiederkäuen
des Themas in allen Stimmen und Tonlagen“, wie ein
Wiener Blatt von Spohrs Weiſe ſagte, vor allem hier
über den lebendig flutenden Inhalt geworfen, der doch
auch dem verfehlteſten Operntext als Naturart innewohnt,
und darin iſt hier in der dramatiſch-muſikaliſchen Kunſt
ſelbſt nicht entfernt ein Fortſchritt gemacht oder nur etwas
dem Mozartſchen und Beethovenſchen Ideal Ebenbürtiges
geſchaffen worden.
Dagegen hat Spohr wohl Grund, von „verſchiedenen
Charakteren“ in dem Werke zu ſprechen. Denn wenn auch
nicht entfernt in der Schärfe Wagners oder nur Webers
iſt innerhalb jener gegebenen feſten Formen den einzelnen
Gefühlszuſtänden und in beſchränktem Maße ſogar den
einzelnen Perſonen eine gewiſſe eigene Phyſiognomie ver⸗
liehen worden, die von der ernſten inneren Theilnahme des
Autors und von ſeiner daher rührenden ſchöpferiſchen Kraft
zeugt. Vor allem die Gemüthsſaite der einzelnen Perſonen
iſt, wenn auch mit etwas ſentimentaler Fär ung, doch voll-
tönend zur Geltung gebracht und erklingt in Lauten, wie ſie
außer Weber damals wenig Muſiker der Welt beherrſchten.
Aber den norddeutſchen Romantiker, dem das ſtille Weben
der Natur eine ſtets erneuende Quelle eben dieſes Ge⸗
müthslebens iſt, verräth vor allem, was ſich in Fauſts
Berührung mit dem Elementarweſen der Hexen und anderer
Naturgeiſter darſtellt: der Hexenchor ſchlägt neue Laute in
der Muſik an, die durch Weber erſtarkt, erſt in Wagner
ihr volles Ertönen finden. Und wenn auch überall noch
zünftig hergebracht, es iſt doch Innigkeit und Ernſt, was
3*
36 2 Biographie Spohrs.
den Charakter dieſer Muſik ausmacht, nicht entfernt der
Hautgout franzöſiſcher Geiſtreichigkeit oder gar die fade
und doch ebenſowenig reine Weichheit italieniſcher Ton⸗
ſchwelgerei jener Tage.
Es beſtätigt darum auch nur Wagners Wort über
Spohrs redlichen Ernſt in ſeinem künſtleriſchen Beſtreben,
wenn Weber eben aus Wien damals über Meyerbeer
ſchreibt: „Mit Beer iſt es ſo eine Sache, ich kam ihm
mit der alten Liebe und Herzlichkeit entgegen und erwähnte
nichts, auch er hat bis jetzt kein Wort von unſerer Span⸗
nung geſprochen, es ſieht ſo aus, als ob wir die alten
wären, aber mein reines Vertrauen iſt dahin. Sein
Stolz und ſeine unſägliche Eitelkeit und Empfindlichkeit
ſind gleich groß und werden ewig jeden zurückſtoßen.“ Und
von ihrem gemeinſchaftlichen Lehrer Abbé Vogler meldet
er, daß er ebenfalls fortwährend über feinen Schüler klage,
wobei denn das charakteriſtiſche Wort fällt: „S'iſt doch ein
nachläſſiger Hund, der keine Verhältniſſe ehrt“ (Muſiker⸗
briefe 1873 S. 229). Während er ſelbſt ſeine Verecundia,
die Schopenhauer dem geſammten ju diſchen Volke abſpricht,
und ebenſo die unverbrüchliche Treue gegen die zu ihm
Gehörigen mit einer Nachricht an Gäusbacher bekundet, die
vom Sommer 1816 aus Prag herrührt: „Spohrs Fauſt
brachte ich noch auf die Bühne und er gefiel. Leider
war es mir bis jetzt unmöglich etwas darüber öffentlich
zu ſagen, ja ihm ſelbſt konnte ich noch nicht einmal dieſen
glücklichen Erfolg anzeigen, da ich nicht weiß, wo er jetzt
ſteckt.“ Meyerbeer warf ſich zunächſt der italieniſchen Opern⸗
muſe in die Arme, die allerdings noch mehr bloße Scha⸗
blonenfiguren hatte als die deutſche, und fand ſpäter ſeine
Gloriole in dem Potpourri der franzöſiſchen großen Oper.
Beide, Spohr wie Meyerbeer, das reine Licht wie das
Blendfeuerwerk, ſind dann freilich vor dem Stern der Wag⸗
nerſchen Kunſt erblichen, aber erſte Spuren des Wagner⸗
ſchen Herzensklanges findet man immer noch in Spohrs
Biographie Spohrs. 37
Fauſt, bei Meyerbeer nicht. Doch hat auch Spohr von
der Bedeutung der Bühne in Betreff der Oper keine rechte
Vorſtellung gehabt. Wie er einmal, wenn auch nicht in
unſerem Sinne, von ſeinem „harmloſen Componiren“
ſpricht, ſo ertrug er es auch „mit großer Gemüthsruhe“,
daß ſein Fauſt in der Bibliothek des Wiener Theaters
aus einem rein zufälligen Grunde Jahre lang ungenützt
ruhte. Einen größeren Gegenſatz gegen die Rieſenenergie
Wagners, ſich und nur ſich auf dieſen „Brettern die die
Welt bedeuten“ zur Geltung zu bringen, kann es kaum
geben. Aber wer dieſe Bühne kennt, weiß, daß dies noth⸗
wendig iſt, um die Braut davon zu tragen. Gluck hat es
ebenfalls gewußt.
Ein Hauptintereſſe dieſes Wiener Aufenthaltes bietet
dann Spohr und uns Nachlebenden ſeine Bekanntſchaft
mit Beethoven. Er erzählt darüber Folgendes:
„Nach meiner Ankunft in Wien ſuchte ich Beethoven
ſogleich auf, fand ihn aber nicht und ließ deshalb meine
Karte zurück. Ich hoffte nun, ihn in irgend einer der mu⸗
ſikaliſchen Geſellſchaften zu finden, zu denen ich häufig ein⸗
geladen wurde, erfuhr aber bald, Beethoven habe ſich, feit-
dem ſeine Taubheit ſo zugenommen, daß er Muſik nicht
mehr deutlich und im Zuſammenhange hören könne, von
allen Muſikpartien zurückgezogen und ſei überhaupt ſehr
menſchenſcheu geworden. Ich verſuchte es daher nochmals
mit einem Beſuche, doch wieder vergebens. Endlich traf
ich ihn ganz unerwartet in einem Speiſehauſe, wohin ich
jeden Mittag mit meiner Frau zu gehen pflegte. Ich hatte
nun ſchon Concert gegeben und zweimal mein Oratorium
‚Das jüngſte Gericht‘ aufgeführt. Die Wiener Blätter
hatten günſtig darüber berichtet. Beethoven wußte daher
von mir, als ich mich ihm vorſtellte, und begrüßte mich
ungewöhnlich freundlich. Wir ſetzten uns zuſammen an
einen Tiſch und Beethoven wurde ſehr geſprächig, was die
Tiſchgeſellſchaft ſehr verwunderte, da er gewöhnlich düſter
38 Biographie Spohrs.
und wortkarg vor ſich hinſchaute. Es war aber eine ſaure
Arbeit ſich ihm verſtändlich zu machen, da man ſo laut
ſchreien mußte, daß es im dritten Zimmer gehört werden
konnte. Beethoven kam nun öfter in dieſes Speiſehaus
und beſuchte mich auch in meiner Wohnung. So wurden
wir bald gute Bekannte. Beethoven war ein wenig derb,
um nicht zu ſagen roh. Doch blickte ein ehrliches Auge
unter den buſchigen Augenbrauen hervor.“
„Nach meiner Rückkehr aus Gotha traf ich ihn dann und
wann im Theater an der Wien dicht hinterm Orcheſter,
wo ihm Graf Palffy einen Freiplatz gegeben. Nach der
Oper begleitete er mich gewöhnlich nach meinem Hauſe
und verbrachte den Reſt des Abends bei mir. Dann konnte
er auch gegen Dorette und die Kinder ſehr freundlich ſein.
Von Muſik ſprach er höchſt ſelten. Geſchah es, dann waren
ſeine Urtheile ſehr ſtreng und ſo entſchieden, als könne gar
kein Widerſpruch dagegen ſtattfinden. Für die Arbeiten
Anderer nahm er nicht das geringſte Intereſſe, ich hatte
deshalb auch nicht den Muth ihm die meinigen zu zeigen.
Sein Lieblingsgeſpräch in jener Zeit war eine ſcharfe Kritik
der beiden Theaterverwaltungen des Fürſten Lobkowitz und
des Grafen Palffy. Auf Letzteren ſchimpfte er oft ſchon
überlaut, wenn wir noch innerhalb des Theaters waren,
ſodaß es nicht nur das ausſtrömende Publikum, ſondern
auch der Graf ſelbſt in ſeinem Bureau hören konnte.
Dies ſetzte mich ſehr in Verlegenheit und ich war im⸗
mer bemüht, das Geſpräch auf andere Gegenſtände zu
lenken.“
„Das ſchroffe, ſelbſt abſtoßende Weſen Beethovens in
jener Zeit rührte theils von ſeiner Taubheit her, die er
noch nicht mit Ergebung zu tragen gelernt hatte, theils
war es Folge ſeiner zerrütteten Vermögensverhältniſſe.
Er war kein guter Wirth und hatte noch das Unglück, von
ſeiner Umgebung beſtohlen zu werden. So fehlte es oft
am Nöthigſten. In der erſten Zeit unſerer Bekanntſchaft
|
Biographie Spohrs. 39
fragte ich ihn einmal, nachdem er mehrere Tage nicht ins
Speiſehaus gekommen war: „Sie waren doch nicht krank?“
— Mein Stiefel war's, und da ich nur das eine Paar
beſitze, hatte ich Hausarreft‘, war die Antwort.“
„Aus dieſer drückenden Lage wurde er aber nach einiger
Zeit durch die Bemühungen ſeiner Freunde herausgeriſſen.
Sein Fidelio, der 1805 und 1806 einen ſehr geringen
Erfolg gehabt hatte, wurde jetzt (1814) von den Regiſſeuren
des Kärntnerthortheaters wieder hervorgeſucht und zu
ihrem Benefize in Scene geſetzt. Beethoven hatte ſich be-
wegen laſſen mit dem Werke Abänderungen vorzunehmen.
In dieſer neuen Geſtalt machte nun die Oper großes
Glück und erlebte eine lange Reihe zahlreich beſuchter Auf-
führungen. Der Componiſt wurde am erſten Abend meh-
reremale herausgerufen und war nun wieder der Gegen-
ſtand allgemeiner Aufmerkſamkeit.“
Das jetzt Folgende iſt zwar hiſtoriſch inſofern unrichtig,
als die Aufführung der neueſten Compoſitionen Beethovens
vor der des Fidelio geſchah und gerade auf denſelben wie—
der aufmerkſam gemacht hatte, enthält aber ſonſt nur
Wahrheitsgetreues.
„Alles was geigen, blaſen und ſingen konnte, wurde
zur Mitwirkung eingeladen,“ erzählt Spohr von dem Con⸗
certe zum Beſten der Invaliden im December 1813 im
großen Redoutenſaale, „und es fehlte von den bedeuten⸗
deren Künſtlern Wiens auch nicht einer. Ich und mein
Orcheſter hatten uns natürlich auch angeſchloſſen und ich
ſah Beethoven zum erſtenmale dirigiren. Obgleich mir
ſchon viel davon erzählt war, ſo überraſchte es mich doch
in hohem Grade. Beethoven hatte ſich angewöhnt, dem
Orcheſter die Ausdruckszeichen durch allerlei ſonderbare
Körperbewegungen anzudeuten. So oft ein Sforzando
vorkam, riß er beide Arme, die er vorher auf der Bruſt
kreuzte, auseinander. Bei dem Piano bückte er ſich nieder,
und um ſo tiefer, je ſchwächer er es haben wollte. Trat
dann ein Crescendo ein, jo richtete er fih nach und nach
wieder auf und ſprang beim Eintritte des Forte hoch in
die Höhe. Auch ſchrie er manchmal, um das Forte noch
zu verſtärken, ohne es zu wiſſen, mit hinein! Das Con⸗
cert ſelbſt hatte den glänzendſten Erfolg. Die neuen Com⸗
poſitionen gefielen außerordentlich, beſonders die Sym⸗
phonie in Adur. Der wundervolle zweite Satz wurde
dacapo verlangt, er machte auch auf mich einen tiefen
nachhaltigen Eindruck.“
Ueber das eigene Spiel des Meiſters giebt er folgenden
wehmuthvoll ſtimmenden Bericht: „Da Beethoven zu der
Zeit, wo ich ſeine Bekanntſchaft machte, bereits aufgehört
hatte, ſowohl öffentlich wie in Privatgeſellſchaften zu ſpielen,
ſo habe ich nur ein einziges Mal Gelegenheit gefunden
ihn zu hören, als ich zufällig zu der Probe eines neuen
Trios (Ddur ¼ Tact) in Beethovens Wohnung kam. Ein
Genuß war's nicht. Denn erſtlich ſtimmte das Pianoforte
ſehr ſchlecht, was Beethoven wenig kümmerte, da er nichts
davon hörte, zweitens war von der früher ſo bewunderten
Virtuoſität des Künſtlers in Folge dieſer Taubheit faſt gar
nichts übrig geblieben. Im Forte ſchlug der arme Taube
ſo darauf, daß die Saiten klirrten, im Piano ſpielte er
wieder ſo zart, daß ganze Tongruppen ausblieben, ſodaß
man das Verſtändnis verlor, wenn man nicht zugleich in
die Klavierſtimme blickte. Ueber ein ſo hartes Geſchick
fühlte ich mich von tiefer Wehmuth ergriffen. Iſt es ſchon
für jedermann ein großes Unglück taub zu ſein, wie ſoll
es ein Muſiker ertragen, ohne zu verzweifeln! Beethovens
faft fortwährender Trübſinn war mir nun kein Räthſel
mehr.“
Der gleiche ſo tief bedauernswerthe „Trübſinn“ war
aber zugleich die Quelle unendlich ſchöner Ergießungen
ſeines Gemüthes: die Muſik mußte ihm zugleich Tröſterin
ſein und ſo hieß er ſie reden. Dieſer hohen Geiſtes⸗
freiheit der Kunſt vermochte aber der an hergebrachte
40 Biographie Spohrs.
Biographie Spohrs. 41
Formen gefeſſelte Spohr nicht mehr ganz zu folgen. Die
nachſtehende Stelle aus ſeiner Selbſtbiographie beſtimmt
genau den Stand ſeiner eigenen künſtleriſchen Entwicklung.
„Bis zu dieſem Zeitpunkte war eine Abnahme der Beet⸗
hovenſchen Schöpferkraft nicht zu bemerken,“ ſchreibt er.
„Da er aber von nun an bei immer zunehmender Taub⸗
heit gar keine Muſik mehr hören konnte, ſo mußte dies
lähmend auf ſeine Phantaſie zurückwirken. Sein ſtetes
Streben originell zu ſein und neue Bahnen zu brechen,
konnte nicht mehr wie früher vor Irrwegen bewahrt wer-
den. War es daher zu verwundern, daß ſeine Arbeiten
immer barocker, unzuſammenhängender und unverſtändlicher
wurden? Zwar giebt es Leute, die ſich einbilden, ſie zu
verſtehen und in ihrer Freude darüber ſie weit über ſeine
früheren Meiſterwerke erheben. Ich gehöre aber nicht dazu
und geſtehe frei, daß ich den letzten Arbeiten Beethovens
nie habe Geſchmack abgewinnen können. Ja ſchon die viel
bewunderte Neunte Symphonie muß ich zu dieſen rechnen,
deren drei erſte Sätze mir trotz einzelner Genieblitze
ſchlechter vorkommen als ſämmtliche der acht früheren
Symphonien, deren vierter Satz mir aber ſo monſtrös
und geſchmacklos und in ſeiner Auffaſſung der Schillerſchen
Ode (An die Freude) ſo trivial erſcheint, daß ich immer
noch nicht begreifen kann, wie ihn ein Genius wie der
Beethovenſche niederſchreiben konnte. Ich finde darin einen
neuen Beleg zu dem, was ich ſchon in Wien bemerkte, daß
es Beethoven an äſthetiſcher Bildung und an Schönheits⸗
ſinn fehle.“
Spohr nimmt in der Kunſt einen Rang ein wie Rafaels
Nachbildner Giulio Romano. Wie hätte er den Michel⸗
angelo der Tonkunſt da begreifen ſollen, wo er ſich erſt
ganz als ſolchen zeigt? Und doch ſollte gerade er unter
den Zunftmeiſtern derſelben zuerſt Denjenigen verſtehen, der
allein dieſe Bahnen Beethovens fortgeſchritten iſt und ſo—
gar erweitert hat, Richard Wagner! Jedenfalls hatte
42 Biographie Spohrs.
ihm ſelbſt dieſer Aufenthalt in Wien den wahren Maßſtab
in ſeiner Kunſt in die Hand gegeben. Er ſchied von der
Kaiſerſtadt, nachdem ihm Beethoven in ſein Album den
Canon „Kurz iſt der Schmerz, und ewig währt die Freude“
mit folgenden Abſchiedsworten geſchrieben hatte:
„Möchten Sie doch, lieber Spohr, überall, wo Sie
wahre Kunſt und wahre Künſtler finden, gerne meiner
gedenken, Ihres Freundes
Wien, am 3. März 1815. Ludwig van Beethoven.“
5. In Italien.
1815-1817.
„Er fragte uns unter anderem, wie wir mit unſerer
Reiſe in Italien zufrieden ſeien,“ erzählt Spohr bei der
Rückkehr von einem deutſchen Bekannten. „Ich klagte ihm
darauf, daß wir ſo manches nicht den Erwartungen gemäß
gefunden hätten, die von früheren Reiſenden in uns rege
gemacht geweſen. Er fand dies ſehr natürlich und meinte,
das komme daher, weil keiner der Reiſenden nach der Rück⸗
kehr geſtehen wolle, daß er gleichſam in den April ge⸗
ſchickt worden ſei.“ Dieſes ungerechte Urtheil des Künſt⸗
lers beruht gewiß zum größten Theile darauf, daß er als
ſolcher weder mit feiner Kunſt noch auch in feinen pecu⸗
niären Erfolgen ſich recht befriedigt geſehen hatte. Wenn
wir nun dennoch ſeine Mittheilungen, ſoweit dieſelben die
Muſik betreffen, in dieſe biographiſche Darſtellung einreihen,
ſo geſchieht dies eben wegen des hiſtoriſchen Intereſſes,
welches dieſelben haben. Und dann iſt es doppelt bedeut⸗
ſam zu ſehen, wie dieſes hochbegabte Volk, das als ſolches
ſeit einem Menſchenalter ſich wieder zu ſich ſelbſt zu er⸗
heben begonnen hat, ſelbſt aus ſo un- und untergeordneten
muſikaliſchen Zuſtänden zur Aufnahme der ernſten deutſchen
Biographie Spohrs. 43
Muſik, ſogar bis zum Lohengrin und Nibelungenringe em⸗
porzuſchwingen vermochte.
Zum Gebrauche für die bevorſtehende Reiſe hatte
Spohr in Wien, nachdem ſeine Stellung am Wiedner
Theater durch Schuld des Grafen Palffy gelöſt war, ſich
fein ſchönſtes Concert, das in Emoll, geſchrieben. „Eine
herrliche gediegene Compoſition, ſchöner fließender Geſang,
überraſchende Modulationen, voll kühner canoniſchen Imi⸗
tationen, eine immer neue reizende glücklich berechnete
Inſtrumentirung! Vorzüglich hinreichend iſt das ſchmel—
zende Adagio,“ berichtet die Muſikzeitung nach der erſten
Aufführung in Wien. Dieſes Werk und die berühmte Ge⸗
ſangsſcene, die er ein Jahr ſpäter in der Schweiz compo⸗
ponirte, waren gewichtige Hilfstruppen für den Feldzug,
den der damalige „General der Geiger“ jetzt nach Süd⸗
deutſchland, der Schweiz und Italien antrat.
Allerdings nahm er von der deutſchen Inſtrumental⸗
muſik noch zuletzt einen ſehr tiefgehenden Eindruck mit: er
hörte ein Concert der „muſikaliſchen Akademie“ in München.
„Da die Münchener Kapelle noch immer ihren Ruf als
eine der erſten der Welt behauptet, ſo war meine Er⸗
wartung ſehr geſpannt,“ ſchreibt er am 12. December 1815.
„Dennoch wurde fie durch die Aufführung der Beethoven⸗
ſchen Symphonie in Cmoll noch weit übertroffen.“ Es
war dies die gleiche Kapelle, die im Jahre 1778 Carl
Theodor unter Cannabichs Leitung von Mannheim nach
München mitgebracht hatte und der mehrfach auch Mozarts
Inſpiration zutheil geworden war. „Es iſt wohl kaum
möglich, daß ſie mit mehr Feuer, mehr Kraft und dabei
größerer Zartheit, ſowie überhaupt genauerer Beobachtung
aller Nüancen von Stärke und Schwäche ausgeführt wer—
den kann!“ ruft Spohr von jener Symphonie aus. Um
ſo unbegreiflicher iſt ſein Urtheil, das Werk bilde kein
claſſiſches Ganze. Von neuem ein Beiſpiel, wie langſam
gerade in der Muſik das Verſtändnis für wahrhaft Neues
44 Biographie Spohrs.
und Geiſtiges ſich bildet! Doch blieb ihm dieſer Zauber⸗
reichthum unſerer Inſtrumentalmuſik allzuſehr in Herz und
Ohr, als daß er nicht die damalige Muſik anderer Lande
arm und unbeholfen hätte finden ſollen.
Bereits aus der Schweiz meldet er: „Die guten Leute
hier ergötzen ſich noch an Compoſitionen, die man in
Deutſchland ſchon zur Zeit der Pleyelſchen Epoche unge⸗
nießbar fand. Mozart, Haydn und Beethoven kennen die
Meiſten kaum dem Namen nach. Aber Freude haben ſie
an der Muſik und das Beſte iſt, ſie ſind leicht zu befrie⸗
digen. Denn ſo ſchlecht auch alle Orcheſterſätze executirt
wurden, die Leute waren doch zufrieden und fanden, das
Orcheſter habe ſich diesmal beſonders ausgezeichnet. Selbſt
eine Bravourarie von Wenzel Müller, die ein Dilettant
jämmerlich herausquälte, fanden ſie köſtlich.“ Dieſes Mül⸗
lers „Donauweibchen“ hatte aber dennoch einſt noch eine
Rivalin der „Zauberflöte“ ſein können. „Bei der Probe
brachte ich es durch unzähliges Wiederholen der ſchwierig⸗
ſten Stellen zwar dahin, daß es wie Muſik klang, am
Abend aber war das Orcheſter ſo conſternirt, daß es alles
wieder über den Haufen warf,“ erzählt er von einer an⸗
deren Stadt, kann aber wieder hinzufügen: „Zum Glück
ſchien das Auditorium nichts davon zu merken, denn es
äußerte ſeine große Zufriedenheit über alles was es hörte.“
Zuletzt von Bern: „Das Orcheſter iſt hier womöglich noch
ſchlechter als in Baſel und Zürich und das Publikum noch
ungebildeter, mit Ausnahme ſehr Weniger.“ Daß Richard
Wagner den größten Theil ſeiner Verbannungszeit in der
Schweiz zubringen mußte, iſt dort der Muſik ebenſo zugute
gekommen wie den bildenden Künſten der Aufenthalt ſeines
Exilgenoſſen Gottfried Semper. Heute würde Spohr zu⸗
friedener ſein.
Sogleich vom Scala- Theater in Mailand empfing
Spohr den Eindruck, daß Muſik oder doch wenigſtens die
Oper in Italien mehr dem geſelligen Leben als dem Be⸗
Biographie Spohrs. 45
dürfniſſe des Idealen im menſchlichen Weſen angehörte.
„Die kleinen unbedeutenden Cantabiles waren es heute
allein, was mit Aufmerkſamkeit angehört wurde,“ berichtet
er. „Während der kräftigen Ouverture, mehreren ſehr
ausdrucksvoll begleiteten Recitativen und allen Enſemble⸗
ſtücken war ein Lärm, daß man kaum etwas von der
Muſik hörte. In den meiſten Logen wurde Karten geſpielt
und im ganzen Hauſe überlaut geſprochen. Es läßt ſich
für einen Fremden, der gern aufmerkſam zuhören möchte,
nichts Unausſtehlicheres denken als dieſer infame Lärm.
Indeſſen iſt von ſolchen, die dieſelbe Oper vielleicht dreißig⸗
bis vierzigmal ſehen und das Theater nur der Geſellſchaft
wegen beſuchen, keine Aufmerkſamkeit zu erwarten. Zu⸗
gleich kenne ich aber auch nichts Undankbareres als für ein
ſolches Publikum zu ſchreiben. Nach dem erſten Acte wurde
ein großes ernſtes Ballet gegeben. Da daſſelbe beinahe
eine Stunde dauerte, ſo hatte man die erſte Hälfte der
Oper ganz vergeſſen. Nach dem zweiten Acte wurde noch
ein nicht viel kürzeres komiſches Ballet gegeben, ſodaß die
ganze Vorſtellung von acht bis zwölf Uhr dauerte. Welche
Arbeit für die armen Muſiker!“ Es iſt wohlbegreiflich,
daß auf dieſem Wege die Oper dort zu jener Armſeligkeit
und Stätigkeit bloßer Geſangseffecte herabſank, aus der
ſie ſich endlich heute langſam zu erkräftigen beginnt. „Alles
wurde auf dieſelbe Art und mit den ſchon tauſendmal ge⸗
hörten Verzierungen verbrämt vorgetragen, mochte es ko⸗
miſch oder ernſt ſein,“ ſagt er noch von dem Concerte
einer Muſikgeſellſchaft.
Gerade dieſe Vorliebe für alles Geſangsmäßige machte
es aber, daß ſeine „Geſangsſcene“ mit großem Enthuſias⸗
mus aufgenommen wurde, jedoch ebenfalls vorwiegend in
den Geſangsſtellen, ſodaß Spohr klagt: „Dieſer lärmende
Beifall, ſo erfreulich und aufmunternd er für den Spieler
iſt, bleibt doch für den Componiſten ein gewaltiges Aer⸗
gernis.“ Ja bald nennt er das Land „wo die Citronen
46 Biographie Spohrs.
blühen“ in Bezug auf Muſik ein „Sibirien der Kunſt“.
In Venedig hatte er in einem Dilettantenconcert zuerſt
eine „uralte Symphonie“ von Krommer, dann eine von
Andreas Romberg, dem Componiſten von Schillers „Glocke“
gehört und dann ſelbſt Beethovens Ddur-Symphonie zu
dirigiren. „Ich hatte meine liebe Noth,“ ſchreibt er. „Denn
man war ganz andere Tempi gewöhnt als ich nahm und
ſchien gar nicht zu wiſſen, daß es Nüancen von Stärke
und Schwäche in der Muſik giebt: alles arbeitete, ſtrich
und blies beſtändig aus Leibeskräften, ſodaß mir noch die
ganze Nacht von dem hölliſchen Lärm die Ohren wehe
thaten. Das Gute hat es indeſſen, daß die Muſikfreunde
unſere Inſtrumentalcompoſitionen zu hören bekommen und
wenn auch nur dunkel fühlen lernen, daß die Deutſchen in
dieſer Gattung ihnen ungeheuer überlegen ſind. Sie ſagen
dies zwar ſelbſt, aber nur um nachher um ſo ungenirter
ihre Ueberlegenheit im Geſange herausſtreichen zu können.
Die Selbſtzufriedenheit der Italiener bei ihrer Geiſtesar⸗
muth iſt überhaupt unerträglich. Habe ich ihnen etwas
vorgeſpielt, ſo glauben ſie mich nicht glücklicher machen zu
können, als wenn ſie mir verſichern, es ſei im echt ita⸗
lieniſchen Geſchmack.“ In demſelben Venedig führte im
December 1882 Wagner zum letztenmal eines ſeiner Werke,
die Jugendſymphonie in Cdur auf, und war von der Tüch⸗
tigkeit der Inſtrumentaliſten des Liceo Benedetto Marcello
ſehr befriedigt.
Nun begegnet er, der Rode beſiegt hatte, dem einzigen
lebenden Rivalen, Paganini. „So wie er hat noch nie
ein Inſtrumentaliſt die Italiener entzückt,“ heißt es da.
„Erkundigt man ſich nun näher, ſo hört man von den
Nichtmuſikaliſchen die übertriebenſten Lobſprüche, daß er
Töne hervorbringe, die man früher nie gehört habe. Die
Kenner hingegen meinen, daß ihm zwar eine große Ge⸗
wandtheit in der linken Hand, in Doppelgriffen und allen
Arten von Paſſagen nicht abzuſprechen ſei, daß ihn aber
Biographie Spohrs. 47
gerade das, was den großen Haufen entzücke, zum Char-
latan erniedrige und für ſeine Mängel, einen großen Ton,
einen langen Bogenſtrich und einen geſchmackvollen Vortrag
des Geſanges, nicht zu entſchädigen vermöge. Dasjenige
aber, wodurch er den Namen des Unerreichbaren, den man
ſogar unter ſein Porträt ſetzt, beſteht nach genauer Erkun⸗
digung in einer Reihe von Herrlichkeiten, welche in den
Zeiten des guten Geſchmackes der weiland ſo berühmte
Scheller zum Beſten gab, nämlich in Flageolettönen, in
Variationen auf Einer Saite, in einer gewiſſen Art Pizzi⸗
cato der linken Hand ohne Hilfe der rechten oder des Bo⸗
gens und in manchen der Geige unnatürlichen Tönen,
als Fagott⸗Ton, Stimme eines alten Weibes und der⸗
gleichen mehr.“ So ſagte er denn auch ſelbſt zu Spohr,
als er ihn gehört hatte, ſeine Spielart ſei für das große
Publikum berechnet und verfehle bei dieſem nie ſeine Wir⸗
kung. Wenn er aber ihm etwas vorſpielen ſolle, ſo müſſe
er auf eine andere Art ſpielen und dazu ſei er jetzt viel
zu wenig im Zuge, ſie würden einander aber wahrſcheinlich
in Rom oder Neapel treffen. Dazu kam es aber nicht
und Spohr blieb damals ohne Kenntnis des „Wunder-
mannes“. Muß er nun ebenfalls Paganinis „ungefälliges
und unartiges Betragen“ gegen die Muſikfreunde Venedigs
beſtätigen, das zweifellos wieder in feinem Geldgeize wur—
zelte, ſo iſt nicht zu vergeſſen, daß derſelbe Künſtler, der
durch Paganinis egoiſtiſches Weſen zu dem Ausrufe „Génie
oblige!“ getrieben wurde, andererſeits nichts Beſſeres zu
thun hatte, als ſich dieſelbe bis dahin unerhörte Virtuoſität
durch ſorgſamſtes Studium anzueignen und ſie ſo auch
für das Klavier der ganzen Nachwelt zu überliefern. Spohr
ſelbſt aber erhielt in Venedig das öffentliche Zeugnis, daß
er die italieniſche Lieblichkeit mit der Tiefe des Studiums
ſeiner Nation verbinde und daß man ihm unter den le⸗
benden Geigern den erſten Rang einräumen müſſe.
All ſolches freundliche Begegnen hindert ihn aber nicht
48 Biographie Spohrs.
in feiner Kunſt klar zu ſehen. Roſſini, der als Com⸗
poniſt damals ebenſo wie Paganini vergöttert zu werden
begann, begegnet ihm in Florenz mit ſeiner „L'Italiana
in Algeri“. „Erſtlich fehlt ihr, was aller anderer italie⸗
niſchen Muſik fehlt, Reinheit des Styles, Charakteriſtik
der Perſonen und vernünftige Berechnung der Länge der
Muſik für die Scene“, urtheilt er. „Man iſt ja ſchon ge⸗
wöhnt, hier dieſelbe Perſon bald im tragiſchen, bald im
komiſchen Style ſingen und von einer Bäuerin dieſelben
pompöſen Geſangsverzierungen zu hören wie von einer
Königin, bei der leidenſchaftlichſten Situation eine der Per⸗
ſonen allein viertelſtundenlang ſingen zu hören, während
die übrigen im Hintergrunde ſpazieren gehen. Wohl aber
habe ich Eigenſchaften erwartet, die Roſſinis Arbeiten aus⸗
zeichnen würden, Neuheit der Ideen, Reinheit der Har⸗
monie u. ſ. w. Aber auch hiervon habe ich nicht viel ge⸗
funden. Was den Italienern neu erſcheint, iſt es uns
nicht, indem es größtentheils ſchon längſt bekannte Ideen
und Modulationen ſind.“ Wie lange währte es, daß man
ſich davon überzeugte! Mußten doch 1822 und 1823 noch
Beethoven und Weber vor dem allerdings unvergleichlich
aufgeführten Roſſini in den Schatten treten. Aber freilich
heute leben dieſe Meiſter ſowie Roſſinis Hauptſchaffensquelle
Mozart noch mit faſt all ihren Werken lebendig wirkend, von
Roſſini hört man nur noch den allerdings ſprudelnd le⸗
bendigen „Barbier von Sevilla“ und den „Tell“. Spohrs
Ausruf: „Wann werden doch die Deutſchen einmal aufhören,
die blinden Bewunderer und Affen der Fremden zu ſein!“
ſcheint endlich weniger Berechtigung erlangen zu wollen.
Aus Rom theilt Spohr die neapolitaniſche Dudelfad-
Melodie mit, die Liſzt dem Hirtengeſang an der Krippe
in ſeinem Oratorium „Chriſtus“ zu Grunde gelegt hat.
In Neapel erlebte er wunderbare Dinge an dem Opern⸗
componiſten Zingarelli, der das dortige Conſervatorium
leitete. „Bei einem Beſuche ſprach er lange von Haydn
Fm
Biographie Spohrs. 49
und einigen anderen unſerer Componiſten ſehr ehrenvoll,
ohne auch nur ein einzigesmal Mozarts zu erwähnen,“
heißt es da. „Ich brachte alſo die Rede auf dieſen, wor⸗
auf er äußerte, ja, auch dieſer ſei nicht ohne Anlage ge⸗
weſen, er habe nur zu kurze Zeit gelebt, um ſie gehörig
ausbilden zu können; wenn er noch zehn Jahre fortſtudirt
hätte, jo würde er wohl einmal etwas Gutes haben ſchrei⸗
ben können.“ Wozu Spohr ein großes Ausrufungszeichen
und den Kopf eines — Eſels mit recht aufrecht ſtehenden
Ohren hinzeichnet!
Von Werth find noch die Bemerkungen über die da-
mals weltberühmte Catalani, weil ſie ſo recht illuſtriren,
was ſpäter R. Wagner über den kühlen Egoismus ſolcher
berühmten Sängerinnen wie der Lind und anderer gegen-
über wahrer Hingebung an die Kunſt ausgeſprochen hat.
Er traf ſie in Neapel, wo ſie natürlich ebenfalls alle
Muſikfreunde in Bewegung ſetzte und daher ſogleich den
Eintrittspreis auf das Siebenfache erhöhte. „Sie gewährte
durch ihre immer reine Intonation, durch die Vollendung,
mit der ſie alle Arten von Verzierungen und Paſſagen
macht, und durch ihre eigenthümliche Art zu ſingen großes
Vergnügen, das Ideal einer Sängerin erreicht ſie aber
nicht,“ ſchreibt er. „Was wir hauptſächlich vermißten, war
Seele. Im Recitativ fingt fie ohne Ausdruck und im
Adagio läßt ſie kalt. Wir waren auch nicht einmal er⸗
griffen, ſondern hatten nur das Gefühl der Freude, wenn
man mechaniſche Schwierigkeiten mit Leichtigkeit beſiegen
ſieht.“
So war denn der perſönliche Gewinn, den Spohr von
Italien davon trug, nicht gerade groß und nicht entfernt
demjenigen zu vergleichen, den der allerdings unvergleich-
lich viel geiſtbegabtere Liſzt von dem Umgang mit der
bildenden Kunſt der Antike und des Cinquecento hatte.
Die italieniſche Muſik arte immer mehr in Ohrenlltzel
aus und verlerne immer mehr aufs Herz zu wirken, ſagt
4
50 Biographie Spohrs.
er; ſowie er denn ohne Uebertreibung behaupten könne,
daß er von allen Compoſitionen auch nicht ein einzigesmal
ergriffen worden ſei, eine oder zwei Stellen in der „Statua
di Bronzo“ von dem aus Beethovens Leben bekannten
Soliva abgerechnet. Auch Allegris Miſerere zur Oſter⸗
woche in der Sixtiniſchen Kapelle machte ihm bei den erſten
Accorden durch die Quintenfolgen in der Ausführung
einen geradezu barbariſchen Eindruck. Dann aber heißt
es: „Dieſe einfachen Harmoniefolgen, faſt nur aus Drei⸗
klängen beſtehend, dieſes Miſchen und Tragen der Stimmen,
bald zum brauſendſten Forte anwachſend bald im leiſeſten
Pianiſſimo verhallend, dieſes ewig lange Aushalten ein⸗
zelner Töne und dann hauptſächlich das zarte Einſetzen
eines Accordes, wenn von anderen Stimmen der vorher⸗
gehende noch ſchwach verklingend ausgehalten wird, geben
dieſer Muſik bei allen Mängeln etwas ſo Eigenthümliches,
daß man ſich unwiderſtehlich davon angezogen fühlt.“ Doch
vermißte er bei allem Sinn dieſer neueren Italiener für
Melodie mit Recht die Kenntnis der Harmonie und be⸗
ſtätigt dadurch R. Wagners Wort, daß man nach Anhö⸗
rung des Stabat mater von Paleſtrina unmöglich der
Meinung bleiben könne, daß die neuere italieniſche Muſik
eine legitime Tochter dieſer wundervollen Mutter ſei.
6. In London.
(1817—1820.)
Spohrs Aufenthalt in London hat dadurch erhöhten
Werth, daß er uns zu vielen Perſonen und Dingen führt,
die in dem Leben unſerer größten Künſtler wie Beethoven,
Weber, Liſzt, Berlioz, Wagner ebenfalls ihre Rolle ſpielen.
Biographie Spohrs. .
Die italieniſche Reiſe hatte unſere beiden Künſtler durch
die ſchlechten Concerteinnahmen in arge Bedrängnis ge⸗
bracht und das Concertiren in der Schweiz und Weft-
deutſchland im nächſten Frühjahr konnte dieſe ebenfalls
nicht heben, denn es war die Zeit der ſchrecklichen Hun⸗
gersnoth von 1816—17, die auch aus Beethovens Leben
wiederklingt. So ging es denn nach Holland. Allein
mitten im beſten Zuge kam ihm der Antrag, die Muſik⸗
directorſtelle am Theater in Frankfurt am Main einzu⸗
nehmen. Hier hat denn Spohr einige Jahre gewirkt.
Angeregt durch dieſen Verkehr mit der Oper begann er
den „Freiſchütz⸗Stoff“ zu componiren, bis die Schröder⸗
Devrient ihm mittheilte, daß C. M. von Weber den-
ſelben bearbeite. Da gab er das Werk auf. „Denn,“ ſo
ſagte er ſich, „mit meiner Muſik, die nicht geeignet iſt ins
Volk zu dringen und den großen Haufen zu enthuſiasmiren,
würde ich nie den beiſpielloſen Erfolg gehabt haben, den
der Freiſchütz fand.“ Ebenſo hatte Weber einmal die
Tannhäuſerſage vorgelegen. Allein wie Spohrs Muſik
für eine Volksoper zu „akademiſch“, ſo war Weber nicht
eigentlich für das Tragiſche angelegt. Wie er denn ja
auch den tragiſchen Schluß der Freiſchützſage, den Spohrs
Text feſthalten wollte, in einen guten Ausgang umgebogen
hat! Dagegen entſtand hier im Jahre 1818, angeregt
durch den „wahren Beifallsſturm“, den bald darauf Roſ—
ſinis „Tanered“ hatte, die Oper „Zemire und Azor“, die
denn auch ſoviel Coloraturen enthält. Ein Stück daraus,
„Roſe wie biſt du lieblich und mild“, lebt jedoch noch
heute in weiteſten Kreiſen.
Bald freilich merkte er, daß die Herrn Actionäre das
Theater ebenfalls nur geſchäftsmäßig betreiben wollten: es
gab Scenen, bei denen Spohr hören mußte, daß ſie für
ihr Inſtitut keines berühmten Künſtlers bedürften, ſondern
nur eines tüchtigen Arbeiters, der all ſeine Zeit und Kräfte
dem Theater widme, und ſo kündigte er für den Herbſt
4*
52 Biographie Spohrs.
1819, um aufs neue ſeiner Reiſeluſt nachzugehen, wie ſie
ja heute auch ſeinen großen Künſtlerenkel Auguſt Wilhelmy
ſogar um die Welt getrieben hat. Er beſuchte Norddeutſch⸗
land, wo beſonders Berlin die „Fülle und Zartheit des
Tones, welche der fühlende Künſtler aus einem klangreichen
Inſtrumente ziehe, und den trefflichen Vortrag des Cantabile“
rühmte, — Vorzüge, davon ja auch Wagner die herrlichſte
künſtleriſche Verwendung machte, und ging auf Einla⸗
dung derſelben Philharmoniſchen Geſellſchaft, die auch
Beethoven ſo gern bei ſich geſehen hätte und wenigſtens
ein größtes Erzeugnis ſeines Genius, die Neunte Sym⸗
phonie, durch Beſtellung unmittelbar veranlaßt hat, im
Jahre 1820 nach London.
Dieſe Geſellſchaft war nicht lange zuvor von den da⸗
mals berühmteſten Künſtlern Englands wie Clementi,
John Cramer, Moſcheles, Potter, Ries, Smart, Stumpff,
alle aus Beethovens Leben bekannt, gegründet worden, um
im Gegenſatz zu den der alten Muſik gewidmeten Vereinen
dem Schaffen der neueren großen Künſtler Raum zu
ſchaffen, und Spohrs Aufzeichnungen geben uns nun
manches Charakteriſtiſche über London, das zum größeren
Theile zwar ebenfalls bereits der Vergangenheit angehört
und mehr anekdotiſch iſt, allein doch immerhin von Werth
für uns bei einer Stadt und einem Volke bleibt, das
auch in der Muſik ſo manchen wirkſamen Anſtoß gegeben
und noch kürzlich den großen Tragiker unſerer Kunſt,
Richard Wagner, ſo wahrhaft würdig aufgenommen hat.
Er hatte auch eine Empfehlung an Rothſchild. Um
den Empfang bei dieſem ganz zu würdigen, holen wir
ein bezeichnendes Begegnis aus dem Jahre 1809 in Ham⸗
burg nach. „Ein reicher jüdiſcher Banquier, der mein
Quartettſpiel hatte rühmen hören, wollte ſeine Geſellſchaft
ebenfalls damit regaliren,“ erzählt Spohr. „Obgleich ich
dort eine für ſolch edle Muſik wenig empfängliche Geſell⸗
ſchaft zu finden hatte, ſagte ich doch unter der Bedingung
Biographie Spohrs. 53
zu, daß zu meiner Begleitung die beſten Künſtler Ham⸗
burgs eingeladen würden. Wirklich fand ich auch nicht
nur Andreas Romberg anweſend, ſondern auch noch einen
andern ausgezeichneten Geiger. Als aber das Quartett
beginnen ſollte, kam noch ein vierter — Geiger herbei
und wir ſahen nun zu unſerem Erſtaunen, was der Haus⸗
herr eingeladen hatte. Als guter Rechner wußte er näm⸗
lich, daß zu einem Quartett Viere gehören, aber nicht
daß unter dieſen auch ein Bratſchiſt und Violoncelliſt ſein
müſſen.“ Als er aber Abſchied nahm, hieß es unter Vor⸗
reichung von vierzig Speciesthalern: „Ich höre, Sie geben
ein zweites Concert, ſchicken Sie mir wieder vierzig Billets;
ich habe zwar die andern noch faſt alle, will aber doch
wieder neue nehmen.“ Empört über die „Unverſchämtheit
des reichen Juden“ ließ er denſelben abermals verlegen
und beſchämt vor ſeiner Geſellſchaft ſtehen und kehrte ihm
den Rücken zu.
Eine ebenſo ergötzliche Geſchichte alſo erlebte er in
London, als er ſeinen Creditbrief und eine Empfehlung
des Frankfurter Bruders perſönlich überbrachte. „Nachdem
Rothſchild mir beide Briefe abgenommen und flüchtig über⸗
blickt hatte, ſagte er zu mir in herablaſſendem Tone: „Ich
leſe eben‘ (auf die Times deutend) ‚daß Sie Ihre Sachen
ganz gut gemacht haben. Ich verſtehe aber nichts von
Muſik. Meine Muſik iſt dies (auf die Geldtaſche ſchlagend),
die verſteht man an der Börjel‘ worauf er feinen Witz
laut belachte. Dann rief er ohne mich zum Sitzen zu
nöthigen, einen Commis herbei, gab ihm den Creditbrief
und ſagte: ‚Zahlen Sie dem Herrn fein Geld aus“ Hier⸗
auf winkte er mit dem Kopfe und die Audienz war zu
Ende. Doch als ich bereits in der Thüre war, rief er
mir noch nach: ‚Sie können auch einmal zum Eſſen zu
mir kommen, draußen auf mein Landgut!“ Einige Tage
nachher ſchickte auch wirklich Madame Rothſchild. Ich ging
aber nicht hin, obwohl ſie die Aufforderung noch einmal
54 Biographie Spohrs.
wiederholte.“ Der empfehlende Bruder aber war derſelbe,
der eine Vorſtellung in Frankfurt in ſeinem Salon mit
den Worten ausführte: „Mein Neffe, Herr Oppenheim,
Maler, hat's aber nicht nöthig!“
Spohr hatte mit ſeiner Geſangsſcene und einem So⸗
loquartett in der That ſogleich den allgemeinſten Beifall
gefunden und zeigt beſondere Freude, daß der alte Viotti,
der, von jeher ſein Vorbild, auch ſein Lehrer hatte werden
ſollen, ihm viel Lobendes geſagt hatte. So war er in der
Rieſenſtadt bald ein geſuchter Mann, ſollte aber in Ernſt
und Scherz auch bald den äſthetiſchen wie moraliſchen Bil⸗
dungsgrad der Engländer vor allem ſeiner Kunſt gegen⸗
über kennen lernen. „Die meiſten meiner Schüler waren
ohne Talent und Fleiß und ließen ſich nur von mir un⸗
terrichten, um ſagen zu können, ſie ſeien Schüler von
Spohr,“ erzählt er. Ein berühmter Arzt wollte ein Ur⸗
theil über ſeine zahlreichen Geigen. Spohr prüfte ſie alle
getreulich und fand, daß diejenige, auf die der alte freund⸗
liche Herr die zärtlichſten Blicke warf, auch der Matador
der ganzen Sammlung ſei. Beim Abſchiede überreichte
der weiße Alte mit tiefem Bücklinge ihm noch eine Fünf-
pfundnote. Spohr, anfangs erſtaunt, ſchüttelte dann lä⸗
chelnd mit dem Kopfe, legte das Papier auf den Tiſch und
drückte dem Doctor die Hand. Allein dieſer folgte ihm
bis auf die Straße und ſprach in ſichtlicher Erregung einige
Worte zum Kutſcher. Sie lauteten in der Ueberſetzung:
„Da fährſt du einen Deutſchen, der ein echter Gentleman
iſt, bring' ihn mir unverſehrt in die Wohnung, das rathe
ich dir!“
Von der geringen Schätzung des Künſtlers und gar
des „Fiedlers“ in ſozialer Hinſicht, die dieſe beiden Käuze
einigermaßen entſchuldigt, weiß man aus Haydns und
Webers Leben. Spohr hat aber gerade in London den
tonangebenden Kreiſen auch in dieſem Punkte eine Lection
ertheilt, die ihn unmittelbar neben Beethoven ſtellt, der ja
Biographie Spohrs. 90
perſönlich erſt dem Künſtler feine volle geſellſchaftliche
Ebenbürtigkeit errungen hat.
Er ſah ſich bald auf allen Concertprogrammen der
Saiſon figuriren, konnte ſich aber nie entſchließen, auch
in Privatgeſellſchaften aufzutreten, da ihm die Aufnahme
der Künſtler dort gar zu unwürdig vorkam. Dieſelben
wurden nämlich nie zur Geſellſchaft gezogen, ſondern hatten
das Zimmer nach dem Vortrage ſogleich wieder zu verlaſſen.
Spohr und Frau waren nun zu den Brüdern des Königs
eingeladen, deren einer eine Herzogin von Meiningen hatte.
Als dabei ein Diener ihnen das Zimmer der übrigen Mu⸗
ſiker öffen wollte, übergab er ſeinem Dolmetſcher ſeinen
Geigenkaſten und ſchritt, ſeine Frau am Arme, ſogleich die
Treppe hinauf. Vor dem Zimmer nannte er dem dortigen
Diener ſeinen Namen und als dieſer zu öffnen zögerte,
machte er Miene es ſelbſt zu thun. Sogleich riß dieſer die
Thüre auf und rief ſeinen Namen hinein. Die Herzogin,
deutſcher Sitte eingedenk, erhob ſich ſogleich und führte
ſeine Frau zum Damenkreiſe. Auch der Herzog ſtellte ihn
ſelbſt nach einigen freundlichen Worten den Herren vom
Hofe vor. Doch bald bemerkte er, daß die Dienerſchaft
ihn ignorirte. Der Herzog jedoch winkte dem Haushof-
meiſter und ſogleich wurde den beiden Künſtlern ebenfalls
der Servirte präſentirt.
Als nun das Concert beginnen ſollte, ließ der Haus⸗
hofmeiſter nach dem Programm die Künſtler heraufholen.
Sie erſchienen mit Notenblatt oder Inſtrument und
grüßten mit einer tiefen Verbeugung, die aber nur von der
Herzogin erwidert wurde. Es war die Elite der Künſtler
Londons und ihre Leiſtungen faſt alle entzückend ſchön.
Dies ſchien die vornehme Geſellſchaft aber nicht zu fühlen,
denn die Unterhaltung riß keinen Augenblick ab. Nur als
eine ſehr beliebte Sängerin auftrat, wurde es etwas ruhiger
und man hörte einige leiſe Bravos, für die ſie ſich ſogleich
durch tiefe Verbeugungen bedankte. „Ich ärgerte mich
56 Biographie Spohrs.
ſehr über dieſe Entwürdigung der Kunſt und noch mehr
über die Künſtler, die ſich ſolche Behandlung gefallen
ließen und hatte große Luſt gar nicht zu ſpielen,“ erzählt
er weiter. „Ich zögerte daher, als die Reihe an mich
kam, abſichtlich ſo lange, bis der Herzog, wahrſcheinlich
auf einen Wink ſeiner Gemahlin, mich ſelbſt zum Spielen
aufforderte. Nun erſt ließ ich durch einen Diener mein
Violinkäſtchen heraufholen und begann dann, ohne vorher
eine Verbeugung zu machen, meinen Vortrag. Alle dieſe
Umſtände mochten die Aufmerkſamkeit der Geſellſchaft er⸗
regt haben, denn es herrſchte während meines Vortrags
eine große Stille im Saal. Als ich geendet hatte, ap⸗
plaudirte das herzogliche Paar und die Gäſte ſtimmten
mit ein. Nun erſt dankte ich durch eine Verbeugung.
Bald darauf ſchloß das Concert und die Muſiker zogen
ſich zurück. Hatte es nun ſchon Senſation erregt, daß
wir uns der Geſellſchaft angeſchloſſen, ſo ſteigerte ſich dieſe
noch um Vieles, als man ſah, daß auch wir zum Souper
dablieben und bei demſelben von dem herzoglichen Paare
mit großer Auszeichnung behandelt wurden. Wir hatten
dieſes Unerhörte wohl dem Umſtande zu verdanken, daß die
Herzogin ſchon im elterlichen Hauſe Zeuge der guten Auf⸗
nahme in Meiningen geweſen war. Auch der Herzog von
Suſſex zeichnete mich ſehr aus und unterhielt ſich viel mit
mir.“ So ward denn auch hier Spohr's echte deutſche
Würdigkeit im Gefühl des eigenen Werthes das Zeichen
zum Durchbruch einer würdigen geſellſchaftlichen Aufnahme
wahrer Künſtler auch in England.
Sein Benefice⸗Concert war, gewiß zum großen Theile
auch infolge dieſes männlichen Benehmens eines der glän⸗
zendſten und beſuchteſten der ganzen Saiſon: auch Lindley
und Dragonetti, aus Beethovens Leben bekannt, wirkten
dabei mit. Er erzählt dann noch von der Unterrichtsme⸗
thode Logier's, der in London eine Lehranſtalt hatte und
bewundernswerthe Erfolge gerade in der Harmonielehre
Biographie Spohrs. 57
erzielte: ſein Lehrbuch war das erſte, wodurch wenig Jahre
ſpäter Richard Wagner zuerſt in die Geheimniſſe dieſer
Kunſt einzudringen verſuchte. Darauf kehrte er mit ſeiner
Frau, die mit ihrem Harfenſpiele ebenfalls höchlich bewun⸗
dert worden war aber daſſelbe zu ihrem großen Leidweſen
aus Rückſichten auf ihre Geſundheit gänzlich aufgeben
mußte, aufs Feſtland zurück.
7. In Paris.
(1820—1821.)
„Während ſich die Pariſer zu ſinnlichen
Genüſſen drängen, muß man ſie zu gei⸗
ſtigen faſt an den Haaren herbeiziehen.“
Spohr.
Die Schilderung der Zuſtände des muſikaliſchen Paris
der zwanziger Jahre, die Spohr macht, gewinnt uns um
ſo größeren Antheil ab, als ſich gerade an ihnen, freilich
auf ſehr verſchieden geartete Weiſe die beiden Genien Liſzt
und Wagner zur künſtleriſchen Mannheit erzogen: Liszt
nahm die einſeitige aber bis dahin unerhörte Virtuoſität
jener Tage auf, um damit auch in geiſtiger Weiſe Uner⸗
hörtes auszudrücken, Wagner ward durch jenen falſchen
Glanz und Schimmer erſt völlig auf das einfach Echte und
Wahrhaftige in unſerer Kunſt geführt. Es iſt ein Zeichen
der innerlich ſicheren Künſtlernatur, daß Spohr von all
dieſem Gleißen und Flimmern völlig unberührt blieb und
ein tapfrer Deutſcher „ging ſeines Weges Schritt vor Schritt.“
Die volle Naivetät des franzöſiſchen Selbſtbewußtſeins,
das ja damals in höchſter Blüte ſtand, hatte Spohr be⸗
reits einige Zeit vorher in Brüſſel kennen gelernt, wo
der durch ſeine Aehnlichkeit mit Napoleon bekannte Alexan⸗
der Boucher aus Paris ſich hören ließ. „Er hatte ſich die
Haltung des verbannten Kaiſers, feine Art den Hut auf-
58 Biographie Spohrs.
zuſetzen, eine Priſe zu nehmen möglichſt getreu eingeübt,“
erzählt Spohr. „Kam er nun in eine Stadt, wo er noch
unbekannt war, ſo präſentirte er ſich ſogleich mit dieſen
Künſten auf der Promenade oder im Theater. In Lille
hatte er ſogar fein letztes Concert fo angekündigt: ‚Eine
unglückliche Aehnlichkeit zwingt mich zur Verbannung, ich
werde jedoch, ehe ich mein ſchönes Vaterland verlaſſe, ein
Abſchiedsconcert geben.“ Auch andere Charlatanerien hatte
jene Ankündigung enthalten, wie ‚Sch werde jenes berühmte
Concert in Emoll von Viotti ſpielen, deſſen Ausführung
mir in Paris den Namen des Alexander der Violiniſten
erworben hat.“ Solche Ruhmredigkeit abgerechnet erwies
er ſich aber gegen Spohr ſehr liebenswürdig gefällig und
gab ihm einen Empfehlungsbrief nach Lille mit, in dem
es nach einer Charakteriſtik des Spieles unſeres Künſtlers
hieß: „Genug, wenn ich, wie man behauptet, der Napoleon
der Geiger bin, iſt Herr Spohr gewiß der Moreau.“
Recht komiſche Züge ſolcher Naivetät der kindlichen
Selbſtgefälligkeit erfuhr Spohr noch in Lille ſelbſt. Ein⸗
mal nämlich hatte der „Napoleon der Geiger“ mitten im
Spiele, als ihm ſeiner Meinung nach etwas nicht recht
geglückt war, plötzlich aufgehört und ohne auf die Be⸗
gleitenden Rückſicht zu nehmen, die verunglückte Stelle
wiederholt, indem er ſich laut zurief: „Das war nicht rich⸗
tig, auf, Boucher, noch einmal!“ Im letzten Concert hatte
er als letzte Nummer ein Rondo von ſeiner Compoſition
gewählt, welches am Schluß eine improviſirte Cadenz hatte.
Bei der Probe bat er die Dilettanten, die ihn begleiteten,
nach dem Triller ſeiner Cadenz ja recht kräftig einzuſetzen,
er werde ihnen dazu das Zeichen durch Niedertreten geben.
Am Concertabend war es nun ſchon recht ſpät, als die
Schlußnummer begann und die Herren mochten ſich nach
dem Souper ſehnen. Als daher die Cadenz, in der Bou⸗
cher noch einmal all ſeine Kunſtſtücke vorführte, gar nicht
enden wollte, legten einige der Herren ihre Inſtrumente
Biographie Spohrs. 59
fort und ſchlichen ſich davon. Dies ward ſo anſteckend,
daß binnen wenig Minuten das ganze Orcheſter verſchwun⸗
den war. Boucher, der in der Begeiſterung nichts davon
gemerkt hatte, hob ſchon beim Beginn ſeines Schlußtrillers
den Fuß auf, um auf das Zeichen vorher aufmerkſam zu
machen. Als er es nun am Ende wirklich gab, war er
des Erfolges, nämlich des kräftigſten Einſatzes des Or-
cheſters und des dadurch hervorgerufenen Beifalles der ent—
zückten Zuhörer ganz gewiß. Man denke ſich alſo ſein
Erſtaunen, als er außer ſeinem eigenen derben Fußtritte
nichts weiter hörte. Erſchreckt ſah er um ſich und entdeckte
nun die verlaſſenen Pulte. Das Publikum aber, das dieſen
Augenblick hatte kommen ſehen, brach in ſchallendes Ge⸗
lächter aus, in welches Boucher wohl oder übel mit ein⸗
ſtimmte.
So kannte Spohr die guten wie die üblen Seiten
dieſer franzöſiſchen Künſtler recht gut und eben der Um⸗
ſtand, daß Paris künſtleriſch in der That damals ſo gut
wie die Welt bedeutete, reizte ſeinen deutſchen Muth auch
hier den Kampf aufzunehmen: es war in gewiſſer Weiſe
ebenfalls ein Kampf mit dem Drachen, nämlich des horn-
feſten allgemeinen Vorurtheils.
„Mit klopfendem Herzen fuhr ich durch die Barriere,“
beginnt er ſeine ſchon damals veröffentlichten Reiſeberichte.
„Der Gedanke, daß mir nun die Freude zutheil werden
würde die Künſtler perſönlich kennen zu lernen, deren
Werke mich ſchon in der früheſten Kindheit begeiſtert hatten,
erregte dieſe lebhafte Bewegung in mir. Ich verſetzte mich
in Gedanken in die Zeit meiner Knabenjahre zurück, als
Cherubini mein Idol war. Den Schöpfer des Waſſer—
trägers und mehrere andere Männer, deren Werke auf
meine Ausbildung als Componiſt und Geiger den ent⸗
ſchiedenſten Einfluß gehabt hatten, ſollte ich nun bald
ſehen.“ Von allen dieſen ward er denn auch freundlich
empfangen und Cherubini, der ihm als gegen Fremde zu-
60 Biographie Spohrs.
rückhaltend, ja finſter geſchildert worden war, lud ihn ein,
ſeinen Beſuch ſo oft er wolle zu wiederholen. Beſonders
wurde ihm Derjenige befreundet, den Beethoven im Jahre
1798 in Wien als Begleiter des franzöſiſchen Geſandten
Bernadotte kennen gelernt hatte und dem er wenig Jahre
ſpäter ſeine berühmte Kreutzer⸗Sonate gewidmet hat,
Viotti's Schüler Rudolph Kreutzer, der ebenfalls als Com⸗
poniſt thätig war.
Sogleich der erſte Eindruck einer Oper war aber der
denkbar mißlichſte. Man gab in der Grand’ Opera Les
mysteres d'Isis, die Zauberflöte. Dabei enthüllte ſich ihm
der franzöſiſche Kunſtgeſchmack nach all ſeinen Richtungen.
Die Entſtellung des Werkes war der Art, daß die Fran⸗
zoſen ſelbſt dieſe Verballhornung Les miseres d'ici nann⸗
ten. „Man ſchämt ſich, daß es Deutſche ſind, die ſich ſo
an dem unſterblichen Meiſter verſündigen,“ ſchreibt er.
„Es iſt nichts unangetaſtet geblieben als die Ouvertüre:
alles übrige iſt durcheinander geworfen, verändert und
verſtümmelt. Die Oper fängt mit dem Schlußchore an,
dann folgt der Marſch aus Titus, dann bald dieſes bald
jenes Bruchſtück aus anderen Mozartſchen Opern, ſogar
auch ein Stückchen einer Haydnuſchen Symphonie, dazwiſchen
denn Recitative von des Herrn Lachnith eigener Fabrik.
Aerger aber als dies iſt es, daß die Bearbeiter vielen
freundlichen, ſelbſt komiſchen Stellen ernſten Text unter⸗
gelegt haben, wodurch die Muſik nun zur Parodie des
Textes und der Situation wird. So ſingt Papagena die
Arie des Mohren, und das Terzett der drei Knaben ‚Seid
uns zum zweitenmal willkommen“ wird von drei Damen
geſungen. Aus dem Duett „Bei Männern, welche Liebe
fühlen“ ift ein Terzett geworden, und fo giebt es der Ver⸗
ſündigungen mehr. Man muß den Franzoſen die Gerech⸗
tigkeit widerfahren laſſen, daß ſie dieſe vandaliſche Ver⸗
ſtümmelung entſchieden gemißbilligt haben. Aber wie
kommt es, daß die mysteres demungeachtet ſeit 18—20
Biographie Spohrs. 61
Jahren ruhig auf dem Repertoire bleiben, da doch hier
das Publikum ſo despotiſch im Theater regiert und alles
durchzuſetzen weiß was es will?“ Die ernſte Antwort
darauf geben die Verſtümmelung wie die Wiederherſtellung
des „Freiſchütz“, von der ſeinerzeit R. Wagner berichtet
hat, und die rohe Mißhandlung ſeines „Tannhäuſer“ im
Jahre 1861.
Er trug auch bald von ſeinen Werken vor: „Die Com⸗
poniſten ſagten mir viel Schönes über meine Compoſition,
die Geiger über mein Spiel.“ Es waren Viotti, Kreutzer,
Baillot, Lafont, Habeneck, alles Namen von europäiſchem
Klang. Allein ſelbſt Cherubini war nicht weit genug vor⸗
geſchritten, er ſagte: „Ihre Muſik wie überhaupt die Form
und der Stil dieſer Muſikgattung iſt mir noch ſo fremd,
daß ich mich nicht ſogleich hineinfinden und gehörig folgen
kann; es würde mir daher ſehr lieb ſein, wenn Sie das
ſoeben geſpielte Quartett ſogleich noch einmal ſpielten.“
Er kannte nur erſt Haydns Quartette! Was war da von
den bloßen Virtuoſen zu erwarten? Henry Herz gab ſelbſt
in der Geſellſchaft von Künſtlern nur „halsbrechende Kunft-
ſtücke“ zum Beſten. „Daß bei ſolchem Verfahren der Geiſt
getödtet werden muß iſt leicht begreiflich. Man hört daher
ſelten oder nie ein ernſtes gediegenes Muſikſtück, etwa
ein Quartett von neueren großen Meiſtern, jeder reitet
nur ſein Paradepferd vor, da giebt es denn nichts als
Airs variées, Rondos favoris, Nocturne und dergleichen
Bagatellen mehr, und wenn dies alles auch noch jo incor⸗
rect und fade iſt, es verfehlt ſeine Wirkung nie, wenn es
nur recht glatt und ſüß vorgetragen wird,“ erzählt Spohr,
— wer dächte dabei nicht an die Romanzen der Loiſa
Puget, gegen die ein Wagner mit ſeinen Liedern nicht an⸗
kommen konnte? „Ebenſo iſt es in den Theatern; der
tonangebende große Haufen weiß durchaus das Schlechteſte
nicht vom Beſten zu unterſcheiden; man braucht nicht lange
hier zu ſein, um der Meinung beizutreten, daß die Fran⸗
62 Biographie Spohrs.
zoſen ein unmuſikaliſches Volk ſind,“ heißt es kurzab. Im
Don Juan blieben die herrlichſten Stücke, das erſte Duett,
das Quartett, das große Sextett ohne Eindruck, der Bei⸗
fall zweier Nummern galt mehr den Sängern als dem
Componiſten. Spohrs ganzer Bericht iſt eine vortreffliche
Erläuterung zu den bekannten Briefen Wagners vom
Jahre 1840—41.
Dazu die Anmaßung, dennoch auch in dieſem Punkte
die grande nation zu ſein! Spohr giebt auch davon
köſtliche Beiſpiele, indem er uns Urtheile über ſein eigenes
Concert überliefert.
„In all dieſen Berichten ſpricht ſich die franzöſiſche
Eitelkeit recht ſelbſtgefällig aus,“ ſagt er. „Alle fangen
damit an, ihre eigenen Künſtler und ihre Kunſtbildung
über die aller übrigen Nationen zu erheben; ſie meinen,
das Land, welches die Herren Baillot, Lafont, Habeneck
beſitzt, brauche kein anderes um ſeine Geiger zu beneiden,
und wenn man hier demungeachtet einen Fremden mit
Enthuſiasmus aufgenommen habe, ſo ſei dies ein Beweis,
wie gaſtfreundlich die Franzoſen überhaupt ſeien. Dieſe
Eitelkeit abgerechnet ſind die Berichte aber ſehr widerſpre⸗
chend. Der Eine ſagte: „Spohr ergreift mit unglaublicher
Kühnheit die größten Schwierigkeiten und man weiß nicht
was mehr erſtaunt, ſeine Kühnheit oder die Sicherheit, mit
der dieſe Schwierigkeiten ausgeführt werden.“ Der Andere:
„Das vorgeführte Concert iſt durchaus nicht mit Schwie⸗
rigkeiten überladen.“ Seine Compoſitionen fand man gut,
ohne indeſſen zu ſagen warum. Ein Blatt aber ſagte:
„Das iſt eine Art germaniſchen Harmonie⸗ und Enhar⸗
monie-Gepäds, die als Contrebande, ich weiß nicht aus
welcher Gegend Deutſchlands, eingeführt wird.“ Dafür
iſt aber Roſſini deſſen Mann: „Dieſer moderne Orpheus
hat das Concert mit ſeinem Geſange freigehalten und es
genügte dazu eine kleine Arie und ein kleines komiſches
Duett.“ Als Geiger fand Spohr jedoch hier mehr Gnade.
Biographie Spohrs. 63
Er ſei ein Mann von Verdienſt, hieß es da, er habe zwei
ſeltene und koſtbare Eigenſchaften: „Reinheit und Richtig⸗
keit“. Dann aber kommt folgender Schluß: „Wenn er ei-
nige Zeit in Paris bleibt, kann er feinen Geſchmack vervoll⸗
kommnen und zurückgekehrt den der guten Deutſchen bilden.“
„Wenn doch der gute Mann wüßte, was die bons Alle-
mands von dem Kunſtgeſchmacke der Franzoſen denken!“
endigt Spohr.
Zum Abſchluſſe geben wir noch einige Urtheile Spohrs
über Kunſt und Künſtler des Paris jener Tage, die auf
Liſzt, Chopin, Wagner warteten und den genialen Berlioz
ſchon halbbekannt in ſich bargen.
Die Sorgfältigkeit der Ausführung in der einmal er⸗
griffenen Aufgabe rühmt Spohr wie Wagner an den Pa⸗
riſer Künſtlern als einen Vorzug vor der deutſchen Ge—
wohnheit. Doch vermißt er andererſeits deutſchen Werken
gegenüber die Energie und Zartheit, die unſere Muſik zu⸗
gleich erfordere. Das Orcheſter der großen Oper nennt er
wegen ſeiner Discretion im Begleiten mit Recht berühmt
und ſtellt es darin ſelbſt manchem deutſchen als Muſter hin.
Von den Geigern ſetzt er Lafont obenan, nur mangele ihm
wie allen Franzoſen in der Muſik wahres tiefes Gefühl
und er ſei zu einſeitig in ſeinen Stücken. Auch Baillots
nüancenreiches Spiel, das beſonders Beethovens Romanze
„jo ſchön fang“, litt unter der ſonſt waltenden Gehaltloſig⸗
keit der Compoſitionen. Im höchſten Grade ausgezeichnet
fand er die Bläſer. „Es iſt unmöglich einen ſchöneren Ton
zu hören,“ lobt er von dem berühmten Tulou. „Seitdem
ich ihn gehört, kommt es mir nicht mehr jo unpaſſend
vor, wenn unſere Dichter den Wohllaut einer ſchönen
Stimme dem Flötenton vergleichen.“ Auch die vollkom-
mene Gleichheit des Tones und des Anſatzes der Oboe, ſo—
wie den Vortrag „voll Grazie und Geſchmack“ des Spielers
bewundert er, doch weiſt deſſen Name Georg Vogt auf
deutſche Herkunft, er war im Elſaß geboren. Man weiß
64 Biographie Spohrs.
heute in höherem Maße durch R. Wagner, was ſolche Ein⸗
zelinſtrumente dem dramatiſchen Componiſten bedeuten.
Von lebenden Componiſten waren dort am bedeutſamſten
Reicha und Cherubini. Erſterer, als Freund Beetho⸗
vens und Lehrer Liſzts für immer der Kunſtgeſchichte an⸗
gehörend, war ein geborener Böhme. „Deutſche Gründ⸗
lichkeit und Tüchtigkeit ſind auch dieſes Meiſters ſchönſte
Zierden,“ ſagt Spohr. Das Urtheil über Cherubini zeigt
uns den Künſtler, dem es um ſeine Kunſt Ernſt iſt. Er
bedauert, daß auch dieſer Meiſter ſich vom wahren Kirchen⸗
ſtil entferne und in ſeinen Meſſen oft den Theaterſtil vor⸗
herrſchen laſſe, ſodaß der klug berechnete Effect und ein
„ausſchweifender Stil“ den reinen Kunſtgenuß zurückdränge.
„Was würde dieſer Mann geleiſtet haben, wenn er anſtatt
für Franzoſen immer für Deutſche geſchrieben hätte!“
ſchließt er und erinnert dabei lebhaft an das milde Wort
Wagners über den blitzenden Genius Roſſinis, der von
dem ſchlaffen Geiſt der Reſtaurationsepoche in die Arme
der Sinnenluſt gezogen und ſo in ſeiner beſten Entwick⸗
lung gehemmt wurde.
8. Jeſſonda.
(1822—1823.)
Im Herbſt 1821 zog Spohr nach Dresden. Dort traf
er abermals mit Weber zuſammen, der ihn aufs herzlichſte
empfing und in alle muſikaliſche Cirkel einführte. Wich⸗
tiger aber als dieſe Neuanregung zur Compoſition von
Kammermuſik ward ihm und uns die Aufführung des
Freiſchütz, die eben damals in Dresden ſtattfand, denn ſie
führte zu der Entſtehung von Spohrs poeſievollſtem Werke,
der Jeſſonda.
Biographie Spohrs. 65
„Da ich das Compoſionstalent Webers bis dahin nicht
ſehr hoch hatte ſtellen können,“ erzählt er, „ſo war ich
begreiflicherweiſe nicht wenig geſpannt, dieſe Oper kennen
zu lernen, um zu ergründen, wodurch ſie in den beiden
Hauptſtädten Deutſchlands einen fo enthuſtaſtiſchen Erfolg
gefunden habe. Die nähere Bekanntſchaft mit dem Werke
in den Proben löſte mir das Räthſel ihres ungeheuren
Erfolges freilich nicht, es ſei denn, daß ich ihn durch die
Gabe Webers für die Faſſungskraft des großen Haufens
ſchreiben zu können, erklärt finden wollte. Da mir nun
dieſe Gabe von der Natur verſagt war, ſo iſt es ſchwer zu
erklären, wie mich demungeachtet eine unbezwingliche Luſt
anwandeln konnte, mich von neuem in einer dramatiſchen
Compoſition zu verſuchen. Aber es war fol Kaum zu
Hauſe angelangt ſuchte ich aus meinem Koffer eine halb⸗
vergeſſene Arbeit hervor, die ich bereits in Paris begonnen
hatte. An einem langweiligen Regentage, der in dem
kothigen Paris jedes Ausgehen unmöglich macht, bat ich
meine Wirthin um Lectüre. Sie brachte mir einen alten
ſchon ganz zerleſenen Roman ‚Die Witwe von Malabar“.
Ich fand, daß der intereſſante Stoff derſelben ſich recht
gut zu einer Oper eignen würde und erſtand das Buch
für einige Sous. Ich hatte ſchon einen Scenenentwurf
begonnen. Jetzt überarbeitete ich denſelben mit erneutem
Eifer, beſtimmte aufs genaueſte, was in jeder Scene ge-
ſchehen ſollte, und ſuchte nach einem Dichter. Ich fand
ihn in Eduard Gehe. So entſtand die Dichtung der Oper
Jeſſonda.“
N Ihr Inhalt iſt ein in ſeiner Einfachheit rührender. Eine
Fremde, die in der Jugend den Portugieſenführer Triſtan
kennen und lieben gelernt hat, iſt wider ihren Willen an
einen greiſen Rajah verheirathet geweſen und ſoll nun mit
ſeinem Leichnam verbrannt werden. Ein Brahmine Nadori,
der ihr den Tod verkündigt, wird von ihrer und ihrer
Schweſter Amazili Schönheit ſo ſehr ergriffen, daß ſein Herz
5
66 Biographie Spohrs.
ihnen Theilnahme und Hilfe zuwendet. Triſtan iſt zur
Wiedereroberung des indiſchen Gebietes zurückgekehrt und
hat während der Verbrennungsfeier Waffenſtillſtand zugeſagt.
Bei der vorausgehenden Ceremonie erkennt er Jeſſonda wie⸗
der und iſt nun in Verzweiflung ſie nach dem erneuten Be⸗
ſitze für immer verlieren zu ſollen. Allein ſein Wort bindet
ihn. Da verräth der Brahmine, daß die Indier die frem⸗
den Schiffe heimlich anzünden wollen: ſo iſt er frei und
rettet Jeſſonda und ihre Schweſter, die des helfenden Brah⸗
minen Gattin wird.
Die Compoſition dieſes zu mancherlei Situationen und
Spielen ausgeſponnenen Textes ward freilich zunächſt noch
hinausgeſchoben: er erhielt durch den Einfluß Webers die
Berufung nach Caſſel, wo heute ſein Denkmal ſteht. Denn
wie Mozart zu Wien, Weber zu Dresden, ſo gehört Spohr
zu Caſſel, er hat es zeitlebens nicht wieder verlaſſen.
Weber hatte nach ſeiner ſchönen Denkungsart nicht ver⸗
geſſen, daß Spohrs höhere techniſche Ausbildung auch ihm
einſt zugute gekommen war. Schon an jenem Tage, als
die Oper für Wien beſtellt wurde, die ſein Schmerzenskind
aber auch das Juwel ſeiner Werke werden ſollte, die Eu⸗
ryanthe, hatte er mit Spohr bei ſchäumendem Wein auf
deren Heil angeſtoßen, und wenn auch nicht das „Com⸗
poſitionstalent“, den echten Künſtler in Weber wußte auch
Spohr zu erkennen und zu würdigen. Da Weber, an den
der Ruf nach Caſſel urſprünglich ergangen war, demſelben
nicht folgen wollte, weil er mit ſeiner Stellung in Dres⸗
den zufrieden war, ſo empfahl er Spohr und dieſer ward
denn kurz darauf wohlbeſtallter kurfürſtlich heſſiſcher Hof⸗
capellmeiſter auf Lebenszeit.
In dem gleichen Jahre 1822 wurde denn auch in der
behaglichen Sicherheit ſeines jetzigen Daſeins die Jeſſonda
componirt. „Ich war in der letzten Zeit mit einer neuen
Oper ſo eifrig beſchäftigt, daß ich darüber alles Andere
ein wenig vernachläſſigt habe,“ ſchreibt er im Januar 1823
Biographie Spohrs. 67
au einen Freund. „Nun iſt ſie fertig und ich bin recht
froh, eine ſo bedeutende Arbeit vollendet zu haben. Wenn
ich von dieſer Oper mehr erwarte als von den früheren,
ſo ſtützt ſich dies auf meine vermehrte Erfahrung und auf
die Begeiſterung, mit der das wohlgerathene Buch mich
faſt bei jeder Nummer erfüllte. Um nie anders als in
Stunden der Weihe an die Arbeit zu gehen, habe ich mir
bei dieſer auch mehr Zeit als bei allen früheren gegönnt.“
Die erſte Aufführung fand am 28. Juli zum Geburtstage
des Kurfürſten ſtatt. „Sie wünſchen durch mich von der
erſten Aufführung der Jeſſonda etwas zu erfahren,“ ſchreibt
er weiter. „Dieſer Auftrag will ſich für mich nicht recht
ſchicken, denn ich werde ohne es zu wollen doch wohl zu
ihrem Lobredner werden müſſen. Der Effect war groß!
Es iſt hier Sitte, daß an Geburtstagen nur der Hof mit
Applaudiſſement empfangen und dann die Oper ohne laute
Aeußerungen des Beifalls angehört wird. Dies hatte dies⸗
mal auch ſo ſein ſollen. Aber ſchon vor Ende des erſten
Actes brach ein ſtürmiſcher Beifall los und nun war die
Etiquette für den Reſt des Abends vergeſſen. Die Auf-
führung war vorzüglich. Chöre und Orcheſter, Scenerie,
Tänze, Schaugefechte, Decorationen, Kleider, alles vortreff⸗
lich. Mich hat dieſe Arbeit ſehr glücklich gemacht und ich
darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten ſehr
gefallen wird.“
Dies Letztere hat ſich erfüllt: die Jeſſonda lebt noch
heute, und zwar trotz all des Bunterleis der Scene, das
Spohr da ſelbſt aufzählt und das uns ſo gut wie ſeine
Bezeichnungen „Buch“ und „Nummern“ völlig auf den
Standpunkt der alten Oper zurückſtellt, ſie lebt durch das
aufrichtig warme Gefühl, das dieſe einzelnen Nummern
beſeelt, und den Adel der Sprache, den alles in ihr hat.
Ja, an einzelnen Stellen wie in dem noch heute ſo be—
liebten Duett zwiſchen Amazili und Nadori breitet die
ſchönſte Seele völlig ihre Schwingen aus, und in der Tod-
5 *
68 Biographie Spohrs.
kündigung Nadoris iſt etwas von der erhabenen Ruhe, mit
der bald Wagner ſogar all dieſe Vorbilder von Gluck über
Mozart bis zu Spohr im Dramatiſchen übertreffen und
die volle Weihe des Antiken wiederherſtellen ſollte. Im
ganzen Tone erinnert das Werk ebenſo an Gluck wie an
Mozart, hat die gleiche edle Sentimentalität, wenn auch
mit Hilfe des Chromatiſchen um ein Bedeutendes ſenti⸗
mentaler, wodurch denn die beſondere Bezeichnung „Spohr⸗
ſches weiches Chroma“ entſtanden iſt. Im übrigen iſt es
gerade das größere „Compoſitionstalent“ Spohrs, was
dem Werke die entſcheidende Bedeutung vorenthält und die
ſtete Fortdauer geraubt hat: es iſt eben eine „Oper“; die
Situationen ſind zu muſikaliſchen Einzelbildern zertheilt, die
im Grunde nur Muſik ſind und wenn ſie auch geſungen
erſt völlig erklingen, dennoch im Grunde ebenſo gut irgend
einem Snftrumentalwerfe angehören könnten als fie ge⸗
ſungen werden. Doch hat das Ganze einige gute Fort⸗
ſchritte, die einzelnen „Nummern“ ſind häufig in einander
übergeleitet und ſo in das Ganze mehr Fluß gebracht als
die hergebrachte Oper hatte. Und in der leiſen Benutzung
des „Leitmotives“ zeigt ſich das Beſtreben, auch für das
rein ſinnliche Gefühl einen fühlbaren Zuſammenhang
herzuſtellen, ſodaß das Werk der Kunſtgeſchichte zweifellos
angehört und Spohrs Namen darin für immer aufgeſtellt hat.
Gerade was an „Compoſitionstalent“ dem edlen Weber
mangelte, nöthigte und befähigte ihn auf gleiche Weiſe,
aus den Grenzen ſeiner Perſönlichkeit herauszutreten und
den Dingen, mit denen er da dramatiſch zu thun hatte,
näher auf den Leib zu gehen. Während daher Spohrs
Geſtalten in einer gewiſſen Paſſivität des bloßen Fühlens
verharren und daher einander ſoſehr gleichen, daß der Ein⸗
druck der Monotonie bei ſeinen Opern nicht überwunden
wird, blitzt in Webers Partituren, vorab im Freiſchütz und
im Oberon oft geradezu blendend der Genius auf, und dies
manchmal mit überraſchend geringer Benutzung der uner⸗
Biographie Spohrs. 69
ſchüpfiichen Mittel des Melodiſchen, Rhythmiſchen, Har-
moniſchen oder auch blos Inſtrumentalen. Dazu kommt,
daß die unausgeſetzte Verwendung der hergebrachten For⸗
men Spohr auch gar zu oft in gewiſſe Wendungen, Re⸗
densarten und Verbrämungen verfallen läßt, die in ihrer
ſtehenden Weiſe am allerwenigſten mit dem ſcharf Charaf-
teriſirenden und lebhaft Fortſchreitenden des Dramas zu
thun haben. Daher gerade er denn auch gleich dem ihm
nach dieſer Seite hin höchſt verwandten Händel, dem eben⸗
falls die mechaniſche Cadenzirung ſtets ſo verführeriſch nahe
lag, am meiſten dem geiſtreichen Spott ihres doch gewiß auf-
richtigen Verehrers Wagner verfällt, — man denke nur an die
Meiſterſinger! Allein dieſer etwas breit behagliche, gemüth⸗
lich⸗bürgerliche Ton, dieſes Sichhineinweben in die eigene
Empfindung, während da draußen die Welt laut toſt und
brauſt und ebenſo ewig neu gebiert wie zerſtört, er iſt immer⸗
hin eine Idealiſirung des ewig bedürftigen Tagesdaſeins, wie
ſie ſelbſt die der Kunſt Befliſſenen nur ſelten beſitzen, und
was uns Wagner an Echtem, Tüchtigem und Erhebendem
in ſeinem Hans Sachs zeichnet, Spohr war dies in völli⸗
ger Wirklichkeit. Dieſer verklärende Engel ſeines ganzen
Daſeins aber iſt in wahrhaft lieblich holder Erſcheinung
ſeine Jeſſonda. Daher ſie uns dauernd geweiht bleibe!
9. Wachſende Erfolge.
(1824 —1840.)
In Caſſel ſollte Spohr während eines Zeitraums von
faſt vierzig Jahren unter zwei Regenten die ganzen Wun⸗
der jener Reactionszeit erleben, die jedem freigeborenen
Deutſchen ein Gräuel bis in die Seele war. Doch lin—
derte ſeinen Widerwillen gegen ſolche Zuſtände die auf⸗
70 Biographie Spohrs.
richtige Kunſtliebe ſeiner Fürſten ſowie deren perſönliche
Geſinnung für ihn. Konnte er es zum Beiſpiel nicht durch⸗
ſetzen, daß die Leibgardiſten, die im Theaterorcheſter mit⸗
wirkten, ebenfalls in Civil erſchienen, ſodaß daſſelbe dem
Auge ein komiſches Bunterlei zeigte, ſo wurden ſeine An⸗
träge um Vermehrung dieſer Capelle ſelbſt ſämmtlich ge⸗
nehmigt, und er rühmt mit Recht, daß dieſelbe „durch dieſen
Zuwachs und ein fleißiges Einüben“ eine der vorzüglichſten
in Deutſchland geworden ſei.
Er richtete ſich nun bald in einem eigenen Häuschen ein,
in dem dann vor allem viel Kammermuſik getrieben wurde,
und genoß eines Behagens, um das ihn mancher Künſt⸗
ler beneiden konnte, das große Genien wie Mozart und
Beethoven nicht gekannt haben. Auch der Ruf, der ihm
als Geiger zutheil geworden, harrte bis in ſeine alten Tage
aus und wurde ſogar noch durch den des Componiſten
übertroffen. War dies letztere nun auch kurzſichtige Ueber⸗
treibung, da Spohr immer nur, namentlich gegen ſein
Vorbild Mozart, wie Goethe den Mond beſingt, die
„Schweſter von dem erſten Licht“ bleibt, ſo iſt es gerade
für die Geſchichte unſerer Kunſt und ihrer Meiſter von
Werth zu ſehen, wie meiſt eben erſt die Nachbildner des
Großen dieſem ſelbſt den Weg bahnen: wie Spohr auch im
weiteſten Kreiſe erſt den Sinn für ernſtere Muſik, au⸗
ßerhalb des Religiöſen, ſo hat ſpäter Mendelsſohn ins⸗
beſondere für die Auffaſſung von Bach und Beethoven
vorbereitet, deren ſoviel ſchwächerer Nachbildner er war.
Die Aufnahme Bachs, Mozarts, Beethovens aber hat erſt
das Verſtändnis der großen Schöpfungen ermöglicht, die
dann wir Heutigen auch auf dem Gebiete des Dramatiſchen
erleben, und wir werden ſehen, daß Spohrs ernſte Liebe
für ſeine Kunſt auch hier das wirklich Neue und Selbſt⸗
eigene ſogar in ſeinen jugendlichen Anfängen verſtand.
Er ſelbſt blieb immer darauf bedacht, die Grenzen ſeiner
Kunſt zu erweitern und ſie namentlich dem freien geiſtigen
Biographie Spohrs. 71
Leben anzunähern. Hatte er früher bereits das Doppel-
quartett verſucht, ſo ſchrieb er jetzt eine Symphonie für
zwei Orcheſter, und zwar ward er darauf durch ſein Thema
geführt, welches lautete: „Irdiſches und Göttliches im
Menſchenleben“. Sein unbefangener Sinn leitete ihn alſo
zu jener Programm⸗Muſik, die im Grunde ſchon bei Beet⸗
hoven völlig vorhanden, in Berlioz, Liſzt und Wagner
herrlichſte muſikaliſche Geiſtesfrüchte tragen ſollte. Seinen
ferneren Compoſitionen hängt freilich ein vorwiegend for⸗
males Weſen an, das ſie eben doch auf die Dauer der
Vergänglichkeit weiht. Zu dem Oratorium „Die letzten
Dinge“, das ihm Hofrath Rochlitz geſchickt hatte, machte
er noch „neue Studien des Contrapunktes und des Kirchen-
ſtiles“. War aber ſchon ſelbſt ſeine beſte Oper opernhaft
geblieben, fo ſchmeckt in dieſen und den folgenden orato⸗
riſchen Werken Spohrs eben alles nach „Kirchenſtil“. Erſt
unſere Zeit hat dieſe unverbundene Miſchung des ſtrengen
Stiles der Alten mit dem melodiſchen, dem ſogenannten
Gala⸗Stile der claſſiſchen Zeit überwunden und in dieſer
Hinſicht wirklich Neues und Eigenes erzeugt. Es ſei dafür
einzig an Liſzts „Chriſtus“ und den „Parſifal“ erinnert.
Wir laſſen nun ihn ſelbſt und ſeine zweite Gattin die
ferneren Begebniſſe weiter erzählen.
Im Jahre 1830 kam Paganini, den er ja in Italien
perſönlich ſchon kennen gelernt hatte, und gab zwei Con⸗
certe. „Seine linke Hand ſowie die immer reine Intonation
erſchienen mir bewunderungswürdig,“ ſagt er. „In ſeinen
Compoſitionen und ſeinem Vortrage aber fand ich eine
ſonderbare Miſchung von höchſt Genialem und kindiſch Ge⸗
ſchmackloſem, wodurch man ſich abwechſelnd angezogen und
abgeſtoßen fühlte, weshalb der Totaleindruck nach öfterem
Hören für mich nicht befriedigend war.“ Es mochte ihm
dieſe phänomenale Erſcheinung zugleich ein Antrieb ſein,
ſeine Wiolinſchule zu ſchreiben, um fo der Künſtlerſchaft
auf ſeinem Inſtrumente eine erneute dauernde Grundlage zu
1
72 Biographie Spohrs.
geben. Was daraus hervorgegangen, ſehen wir heute in
entzückter Bewunderung an A. Wilhelmy, durch Davids
Ausbildung ein Zögling der Schule Spohrs zu nennen.
Im Jahre 1832 entſtand feine Symphonie „Die Weihe
der Töne“, nach einem Gedichte R. Pfeiffers. „Im erſten
Satze hatte ich die Aufgabe, aus den Naturlauten ein har⸗
moniſches Ganze zu bilden,“ ſagt er und fand ſich durch
einen ſolchen Preis der eigenen Kunſt höchſt angezogen.
Das Werk fand denn auch bald weite Verbreitung. Im
Jahre 1835 ſchrieb er ebenfalls auf Rochlitz' Anregung
das Paſſionsoratorium „Des Heilands letzte Stunden“.
Sein Gemüth war bei dieſer erhabenſten aller Begeben⸗
heiten und Vorſtellungen um ſo tiefer mit betheiligt, als
er eben damals ſeine ſo ſehr geliebte Frau verlor. „Heute
noch gedenke ich mit tiefer Wehmuth des Momentes, als
ich ihrer Stirne den letzten Kuß aufdrückte!“ ſchreibt er
und nennt das Werk ſelbſt die „gelungenſte meiner Ar⸗
beiten“.
Dieſe Werke waren es nun, mit denen er, vor allem
in England, ſich höchſten Ruhm erwarb und ſo den Höhe⸗
punkt ſeines menſchlichen wie künſtleriſchen Daſeins erlebte.
Er ward fortan ſehr häufig zur eigenen Leitung ſeiner
Compoſitionen eingeladen, und dadurch wie durch ſeine
fortgeſetzten Reiſen lernte er die Mehrzahl der mitlebenden
Meiſter ſeiner Kunſt und andere ſchaffende Geiſter kennen.
Spontini in Berlin, der mit gewiſſeſtem Selbſtbewußtſein
als Heros der muſikaliſch-dramatiſchen Welt von damals
dreinſchauende hochtoupirte Pariſer Italiener, hatte ihn
ſchon 1825 zur Leitung der Jeſſonda eingeladen, die auch
dort ihren Beifall fand. Eine Reiſe ins Seebad führte
ihn über Düſſeldorf, wo Immermann und Mendels⸗
ſohn wirkten. Letzterer ſpielte ihm die erſten Nummern des
„Paulus“ vor, an denen ihm nur das nicht recht gefallen
wollte, daß ſie zu ſehr dem Händelſchen Stile nachgebildet
waren. Deſtomehr ſchien dem jüngeren Meiſter ein neues
Biographie Spohrs. 73
Concertino zu gefallen, in dem Spohr als „Novität“ ein
eigenthümliches Staccato in einem langen Striche ange⸗
bracht hatte. Er begleitete das Stück auf ſehr gewandte
Weiſe aus der Partitur, konnte das Staccato nicht oft
genug hören und ſagte zu ſeiner Schweſter: „Sieh, das
iſt das berühmte Spohrſche Staccato, welches ihm kein
Geiger nachmacht.“ Als er von da zu Immermann ging,
ſchlug ihm dieſer einen Beſuch bei dem „Sonderling“
Grabbe, dem Dichter von „Fauſt und Don Juan“ vor,
wobei etwas recht Drolliges paſſirte. „Als wir bei ihm
eintraten und der kleine Menſch mich Koloß zu Geſicht
bekam,“ erzählt Spohr, „zog er ſich ſchüchtern in eine Ecke
des Zimmers zurück und die erſten Worte, die er ſprach,
waren: „Es wäre Ihnen ein Leichtes, mich da zum Fenſter
hinauszuwerfen“. Ich antwortete: „Ja ich könnte es wohl,
aber darum bin ich nicht hierher gekommen“. Erſt nach
dieſer komiſchen Scene ſtellte mich Immermann dem när⸗
riſchen aber intereſſanten Menſchen vor.“ Im übrigen
verlebte er in Mendelsſohns wie Immermanns Geſell⸗
ſchaft abwechſelnd angenehme Tage. Man ſieht, der ältere
Künſtler ſtand ſtets mit lebhaftem Intereſſe zu den jüngeren.
Im Jahre 1838 machte er auf der Durchreiſe nach
Carlsbad in Leipzig die „längſt gewünſchte“ Bekanntſchaft
mit Robert Schumann, der, „obgleich im Uebrigen ſehr
ſtill und ernſt“ doch mit großer Wärme ſeine Verehrung
für ihn an den Tag legte und ihn durch den Vortrag
mehrerer ſeiner intereſſanten Phantaſieſtücke erfreute. So
erzählt, da Spohr ſelbſt ſeit dieſem Jahre nichts mehr
aufzeichnete, ſeine zweite Frau, die Schweſter jenes früh
verſtorbenen Dichters Pfeiffer. In demſelben Jahre hatte
er den erſt kürzlich geſtorbenen Norweger Ole Bull ge⸗
hört. „Sein vollgriffiges Spiel und die Sicherheit der
linken Hand ſind bewundernswerth,“ ſchrieb Spohr einem
Freunde, „er opfert aber wie Paganini ſeinen Kunſtſtücken
zuviel Anderes des edlen Inſtrumentes. Er ſpielt mit
74 Biographie Spohrs.
vielem Gefühl, doch nicht mit gebildetem Geſchmack.“
Kleine Züge von Charlatanerie, die ſeinem eigenen ein⸗
fachen Weſen ſtets ſo fern gelegen, waren ihm bei Bull
nicht entgangen. So erzählte er ſpäter öfters unter gut⸗
müthigem Lächeln zu ſeinem und Anderer Ergötzen, wie
derſelbe an einer Stelle, die Gelegenheit bot durch eines
ſeiner unübertrefflichen pp. zu glänzen, noch ſecundenlang
den Bogen dicht über den Saiten ſchwebend gehalten habe,
um das Publikum, welches in athemloſer Stille dem letz⸗
ten Verklingen lauſchte, glauben zu machen, der Ton
dauere noch in einem unerhörten ppp. fort.
Im Sommer 1839 ging Spohr auf Einladung zu
einem Muſikfeſte nach Norwich. Hier ſollte er ſeinen Ruhm
in vollen Zügen trinken. Auf Befehl der Regierung blieb
ſein Gepräck unviſitirt, dies war ein deutlicher Vorgeſchmack.
Beim Beſuche der Kathedrale, in die ihn der Mayor der
Stadt führte, ſtellten ſich am Schluſſe des Gottesdienſtes
die Menſchenmaſſen zu beiden Seiten auf, um ſie durchgehen
zu laſſen und Spohr wie ein Wunder anzuſtaunen. Selt⸗
ſamerweiſe war die Predigt gegen Spohr und ſein Paſ⸗
ſionsoratorium, das hier aufgeführt werden ſollte, gerichtet
geweſen, es galt der pietiſtiſchen Partei für ſündlich einen
ſo heiligen Gegenſtand zu einem Kunſtwerke zu benutzen,
und die Predigt beſchwor die Andächtigen, ſie möchten nicht
ihre Seele für eines Tages Vergnügen dahingeben. „Wir
erblicken nun auf der Emporkirche dem fanatiſchen Eiferer
gerade gegenüber ſitzend den großen Componiſten mit glück⸗
licherweiſe für Engliſch taubem Ohre, aber in ſo würdi⸗
ger Haltung, mit dem Ausdruck reinen Wohlwollens und
ſoviel Demuth und Milde in den Zügen, daß ſein bloßer
Anblick wie eine gute Predigt zum Herzen ſpricht,“ ſagte
ein engliſches Blatt. „Wir machen unwillkürlich einen
Vergleich und können nicht zweifeln, in welchem von beiden
der Geiſt der Religion wohnt, die den wahren Chriſten
bezeichnet.“ Das Urtheil über das Werk ſelbſt aber muß
Biographie Spohrs. 75
den mehr an formelle Dinge gewöhnten Engländern zugute
gehalten werden. Es lautet: „Man kann mit Recht von
dieſem Oratorium ſagen, daß ein göttlicher Hauch es
durchweht; mehr als irgend ein Werk der neueren Zeit
iſt es aus warmem Herzen gequollen und kann nicht ohne
Thränen gehört werden.“ Die eigene Herzenswärme hat
hier doch nicht die alte Form in Fluß gebracht und zu
eigener Geſtaltung weiter geführt. Uebrigens waren die
Zuhörer zu Tauſenden herbeigeſtrömt und der Erfolg war
ein „wahrer Triumph der Kunſt und ungefälſchter Gottes⸗
empfindung.“ Die engliſchen Kirchenſänger ſind aber auch
die rechten Kräfte, um ſolche Werke zur Geltung zu brin⸗
gen: ſie haben „tiefe Andacht und fromme Hingebung“
bei ſolchen Aufführungen. Spohr äußerte dies ſelbſt nach
einer Anhörung von Händels „Iſrael in Egypten“.
Ein weiterer Erfolg dieſer Reiſe war der Auftrag eines
Oratoriums für das Norwicher Muſikfeſt von 1842: es
entſtand dadurch „Der Fall Babylons“. Einen guten
Rückſchlag hatte ſolche Aufnahme des Deutſchen in Eng⸗
land: man beſann ſich auch in weiteren Kreiſen gegenüber
der damals noch allherrſchenden franzöſiſchen und italieni⸗
ſchen Kunſt dann und wann wieder der eigenen deutſchen.
Es ſei davon unter vielen nur das eine Beiſpiel gegeben.
Die Hamburger Zeitung ſchreibt 1840: „Am Sonnabend zog
die ganze ſangluſtige Geſellſchaft italieniſcher Operiſten
fröhlich zum Thore hinaus, am Sonntag nahm der deutſche
Meiſter Spohr den Dirigentenſitz ein, um ſeine herrliche
Jeſſonda zu leiten. Dort viel Geräuſch, Luſtigkeit, auch
etwas Zank und Aufſehen, ſubmiſſe Höflichkeit, hier Ruhe,
edle Würde, ehrliche Denkungsart, Anſtand und bleibendes
Verdienſt!“ In demſelben Jahre war Wagners „Rienzi“
ſchon vollendet und wurde nicht lange hernach in Hamburg
aufgeführt, erſchien aber leider noch als für dieſes Publi⸗
kum „zu hoch gegriffen“. Dennoch haben eben Spohr und
Weber dafür geſorgt, daß der Faden einer wahrhaft deut⸗
\
76 Biographie Spohrs.
ſchen Kunſt wenigſtens niemals völlig abgeriſſen ward.
Aber auch ein Beiſpiel jener liebenden Hingebung deutſcher
Fürſten an deutſche Kunſt, wie ſie ja in denkbar höchſtem
Maße ſpäter R. Wagner erfahren ſollte, erzählt Spohr.
Er mußte den Fürſten von Hohenzollern-Hechingen in
Donaueſchingen eigens aufſuchen und es hat etwas tief
Wohlthuendes zu leſen, wie dieſer ihn empfing. Er konnte
ſich nicht mäßigen, hielt Spohr ſtets am Arme oder an
der Hand feſt und flüſterte nicht nur ihm ſeine begeiſterten
Empfindungen zu, ſondern ließ ſie oft ganz laut werden.
In Deutſchland gehören die Fürſten in der That zum
Volke, Spohr iſt einer derjenigen Künſtler geweſen, die
wenigſtens auf ihrem Gebiete dieſe Empfindung wach er⸗
halten haben. Welch herrliche Früchte ſollte uns dies
bringen!
— — —
10. Der fliegende Holländer.
(1842—1843.)
„Ich bin der hieſigen Vexationen ſo müde, daß ich mich
in meinen alten Tagen noch entſchließen könnte, von hier
wegzugehen,“ ſchreibt im Jahre 1843 von Caſſel aus
Spohr an ſeinen Schüler und Freund, den ſo hervorra⸗
genden Theoretiker Moritz Hauptmann, welcher Cantor
an derſelben Thomaskirche zu Leipzig war, die mehr als
zwanzig Jahre der große Sebaſtian Bach mit ſeinem
Schaffen erfüllt hatte. „Eine Veranlaſſung böte mir ein
Antrag, die durch Dionys Weber erledigte Stelle als
Director des Prager Conſervatoriums zu übernehmen.
Ein ſolcher Wirkungskreis könnte mir ſchon zuſagen.“ Rück⸗
ſicht auf ſeine Familie veranlaßte ihn jedoch den ehren⸗
vollen Ruf abzulehnen; auch wußte er, daß durch ſeinen
Abgang Caſſel eine „muſikaliſche Steppe“ werden würde.
Biographie Spohrs. 77
Um ſo mehr trachtete er daſſelbe ſtets weiter zu jener
Oaſe auszubilden, die es für Wahrung des deutſchen Sti⸗
les in der Muſik ſeit Jahrzehnten war. Hatte er zum
Beiſpiel auch die Matthäuspaſſion dort eingebürgert, indem
er dieſe „großartige, überaus ſchwierige Muſik“ ſo ſicher
einſtudirte, daß ſie in würdiger Weiſe vorgeführt werden
konnte, ſo achtete er ebenſo aufmerkſam auf jede Regung
in der deutſchen Oper. Denn was erzählt Richard Wagner
im Gegenſatz zu Hamburg und dem dort nach Dresden
zuerſt aufgeführten „Rienzi“? „Hiergegen machte ich wie—
der andere Erfahrungen mit dem fliegenden Hollän⸗
der,“ heißt es in den „Drei Operndichtungen“ von 1852.
„Bereits hatte der alte Meiſter Spohr dieſe Oper ſchnell
zur Aufführung gebracht. Dies war ohne Aufforderung
meiner Seits geſchehen. Dennoch fürchtete ich Spohr fremd
bleiben zu müſſen, weil ich nicht einzuſehen vermochte, wie
meine jugendliche Richtung ſich zu ſeinem Geſchmacke ver⸗
halten könnte. Wie war ich erſtaunt und überraſcht, als
dieſer graue, von der modernen Muſikwelt ſchroff und kalt
ſich abſcheidende ehrwürdige Meiſter in einem Briefe ſeine
volle Sympathie mir kundthat und dieſe einfach durch die
innige Freude erklärte, einem jungen Künſtler zu begegnen,
dem man es in allem anſehe, daß es ihm um die Kunſt
Ernſt ſei! Spohr der Greis blieb der einzige deutſche
Kapellmeiſter, der mit warmer Liebe mich aufnahm, meine
Arbeiten nach Kräften pflegte und unter allen Umſtänden
mir treu und freundlich geſinnt blieb.“
Wir beſitzen zum Glück über dieſes Ereignis und Ber-
hältnis die zuverläſſige Aufzeichnung von Spohrs Umge⸗
bung, müſſen uns jedoch vorher einigermaßen deutlich
machen, in welchem Verhältnis Spohr zu der damaligen
„modernen Kunſt“ ſtand. Auch dazu verhelfen uns ſeine
eigenen Thaten und Aeußerungen. Spohr hatte nämlich
im Jahre 1839 eine „Hiſtoriſche Symphonie im Stil und
Geſchmack vier verſchiedener Zeitabſchnitte“ geſchrieben:
78 Biographie Spohrs.
erſter Satz Bach⸗Händelſche Periode 1720, Adagio Haydn⸗
Mozartſche 1780, Scherzo Beethovenſche 1810, Finale aller⸗
neueſte Periode 1840. Das Werk fand ſehr verſchieden⸗
artige Aufnahme. Am ſchärfſten und geiſtreichſten ſprach
ſich Robert Schumann in ſeiner bahnbrechenden „Neuen
Zeitſchrift für Muſik“ darüber aus.
„Daß gerade Spohr auf dieſe Idee verfällt,“ ſagt er,
„Spohr, der fertig abgeſchloſſene Meiſter, Spohr, der nie
etwas über die Lippen gebracht, was nicht ſeinem eigenſten
Herzen entſprungen, und der immer beim erſten Klange
ſchon zu erkennen, — dies muß wohl uns allen intereſſant
erſcheinen. So hat er denn ſeine Aufgabe gelöſt, wie wir
es faſt erwarteten: er hat ſich in das Aeußere, die Formen
verſchiedener Stile zu fügen angeſchickt, im Uebrigen bleibt
er der Meiſter, wie wir ihn lange kennen und lieben, ja
es hebt gerade die ungewohnte Form ſeine Eigenthümlich⸗
keit noch ſchreiender hervor, wie denn ein irgend von der
Natur Ausgezeichneter ſich nirgends leichter verräth, als
wenn er ſich maskirt. So ging Napoleon einſtmals auf
einen Maskenball und kaum war er einige Augenblicke da,
als er ſchon — die Arme in einanderſchlang. Wie ein
Lauffeuer ging es durch den Saal: ‚Der Kaiſer!“ Aehnlich
konnte man bei der Symphonie in jedem Winkel des
Saales den Laut ‚Spohrl‘ hören. Am beſten, ſchien es
mir, verſtellte er ſich noch in der Mozart-Haydnuſchen Maske.
Der Bach⸗-Händelſchen fehlte viel von der nervigen Ge⸗
drungenheit der Originalgeſichter, der Beethovenſchen aber
wohl alles. Als völligen Mißgriff möchte ich aber den
letzten Satz bezeichnen. Dies mag Lärm ſein, wie wir
ihn oft von Auber, Meyerbeer und Aehnlichen hören.
Aber es giebt auch Beſſeres, jene Einflüſſe Paralyſirendes
genug, daß wir die bittere Abſicht jenes Satzes nicht ein⸗
ſehen. Ja Spohr ſelbſt darf ſich nicht über Nichtaner⸗
kennung beklagen. Wo gute Namen klingen, klingt auch
ſeiner, und dies geſchieht täglich an tauſend Stellen.“
Biographie Spohrs. 79
Aehnlich ſchreibt von dieſem letzten Satze Mendelsſohn
an Spohr ſelbſt: „Mir iſt dabei immer zu Muthe gewor-
den, als wäre die neuere Zeit, gerade weil Sie ſie in
Muſik ausdrücken, anders und großartiger hinzuſtellen ge⸗
weſen. Ich dachte, es würde dem Ganzen dadurch die
Krone aufgeſetzt werden, wenn nach den drei erſten ein⸗
fachen Sätzen nun ein letzter nach Ihrem eigenen Sinn
durchgeführt recht ernſthaft und vielſagend käme, der in
ſich ſelbſt den Hauptgedanken der Symphonie ausſpräche.“
In Wien dagegen hatten gerade die „leichte pikante Ma⸗
nier“ und „fröhlichen Rhythmen“ dieſes Satzes am beſten
gefallen. Ebenſo begreiflicherweiſe in England, und dadurch
erfahren wir Spohrs eigentliche Meinung. „Die Berichte
von London laſſen mich hoffen, daß ich die früheſten Pe⸗
rioden, wozu ich förmliche Vorſtudien gemacht hatte, ſowie
die beiden mittleren gut charakteriſirt habe, nur über die
neueſte war man dort getheilter Meinung. Einige glaubten
zu erkennen, daß ich in dieſem Satze die allerneueſte Schule,
dort ſpottweiſe die metallene genannt, habe perſifliren
wollen, andere aber, Freunde dieſer Schule, fanden, daß
dieſer Satz klar darthun ſolle, daß die allerneueſte Muſik in
ihrer Wirkung doch alles Frühere übertreffe. Da dieſe
Widerſprüche die allerneueſte Muſik am beſten charakteri⸗
ſiren, ſo kann ich auch mit der Wirkung dieſes letzten
Satzes wohl zufrieden ſein.“
Daß ihm das an allen Ecken und Enden Geiſt, Aus⸗
druck und Leben Gewordene dieſer ſoeben erblühenden mo⸗
dernen Muſik nicht völlig klar geworden, erſehen wir
daraus, daß er es an demjenigen Künſtler nicht erkennt,
der zuerſt daſſelbe wenigſtens in der ſinnenhaften Dar⸗
ſtellung in höchſter Vollendung hinſtellte und dadurch fo-
gar Wagner wieder ganz neue Aufſchlüſſe über Bach wie
über Beethoven gab, — an Liſzt, der 1841 auch in Caſſel
war. Es verlautet da nur von dem „ſtürmiſchen Beifall
des begeiſterten Publikums“, von „großem Genuß“, von
80 Biographie Spohrs.
„unübertroffener Meiſterſchaft“, von der Bewunderung ſeines
„Vom Blatt⸗Spielens in höchſter Vollendung“, — von dem
abſolut Neuen dieſer plaſtiſchen Vortragsweiſe iſt keine
Rede, und gar die eigenen Compoſitionen, die Liszt vor⸗
führte, werden keiner näheren Erwähnung würdig gefunden,
obwohl darin doch ſogleich ein ganz neuer, höchſt poeti⸗
ſcher Stil ſich ankündigte. Wenn wir nun wiſſen, daß
Spohr auch den letzten Werken Beethovens, namentlich
der Neunten Symphonie, dem eigentlichen Ausgangspunkte
der modernen Epoche, nie hat „Geſchmack abgewinnen
können“, ſo iſt die Aufnahme des „Holländers“, der ganz
unmittelbar an dieſen Beethoven anknüpft, ebenſo verwun⸗
derns⸗ wie anerkennenswerth: ſie bleibt ein Beweis, daß
dieſer Künſtler in der That, wenn es darauf ankam, ſich
auch über die Grenze des eigenen Urtheils zu erheben und
das Neue freudig gelten zu laſſen wußte.
Es heißt alſo in der Biographie weiter: „So war nun
Spohr dem auch ihm als zweite Heimat liebgewordenen
Caſſel erhalten und er fuhr fort, mit dem gewohnten Eifer
ſeinen Berufsgeſchäften obzuliegen. Da galt es denn aber⸗
mals ein ſchwieriges Werk einzuſtudiren, nämlich den flie⸗
genden Holländer‘ von Richard Wagner, den Spohr zur
Feſtoper für den zweiten Pfingſttag von 1843 vorgeſchla⸗
gen, nachdem er von Dresden viel Rühmliches darüber
vernommen und bei Durchſicht des eingeſchickten Textbuches
daſſelbe in jeder Beziehung ſo befriedigend gefunden hatte,
daß er es ein kleines Meiſterſtück nannte und bedauerte,
nicht zehn Jahre früher ein ähnliches ebenſo gutes zur
eigenen Compoſition gefunden zu haben. Als er dann in
den Proben die Oper genauer kennen gelernt, ſchrieb er
darüber: ‚Dieſes Werk, obwohl es nahe die Grenze der
neu⸗romantiſchen Muſik a la Berlioz ſtreift und mir un⸗
erhörte Arbeit wegen ſeiner immenſen Schwierigkeit macht,
intereſſirt mich doch im höchſten Grade, da es augenſchein⸗
lich in reiner Begeiſterung geſchrieben iſt und nicht wie ſo
Biographie Spohrs. 81
vieles der modernen Operumuſik in jedem Takte das Be⸗
ſtreben, Aufſehen zu erregen oder gefallen zu wollen, her⸗
aushören läßt. Es iſt viel Phantaſie darin, durchaus edle
Erfindung, iſt gut für die Singſtimmen geſchrieben und
zwar enorm ſchwer und etwas überladen inſtrumentirt,
aber voll neuer Effekte, und wird gewiß, wenn es erſt in
den größeren Raum des Theaters kommt, vollkommen
klar und verſtändlich werden. Ende dieſer Woche beginnen
die Theaterproben, auf die ich beſonders geſpannt bin, um
zu ſehen, wie ſich das phantaſtiſche Sujet und die noch
phantaſtiſchere Muſik in Scene ausnehmen werden. Inſo⸗
weit glaube ich ſchon mit meinem Urtheil im Klaren zu
ſein, daß ich Wagner unter den jetzigen dramatiſchen
Componiſten für den begabteſten halte. Wenigſtens iſt
ſein Streben in dieſem Werke dem Edlen zugewendet und
dies beſticht in jetziger Zeit, wo alles darauf ausgeht, Auf⸗
ſehen zu erregen oder dem gemeinſten Ohrenkitzel zu
fröhnen!“
Trotz der faſt unüberſteiglich ſcheinenden Schwierigkei⸗
ten, von denen man noch zwanzig Jahre ſpäter bei der
ausgezeichneten Capelle in München unter Wagners eigener
Leitung eine Probe hatte, brachte Spohr ſchließlich eine
Aufführung zu Stande, die nichts zu wünſchen übrig ließ
und auch beim Publikum die günſtigſte Aufnahme fand.
Zur wahren Genugthuung gereichte es ihm dann, ſogleich
ſelbſt hierüber an Wagner zu berichten, worauf dieſer
hochbeglückt Folgendes erwiderte:
„Mein hochverehrter Herr und Meiſter!
Von der Freude, ja von dem Entzücken, das mir Ihr
ſo außerordentlich liebenswürdiger Brief bereitete, mußte
ich mich wirklich erſt etwas erholen, ehe ich daran gehen
konnte, Ihnen zu ſchreiben, und mein dankbares Herz gegen
Sie auszuſchüttenn
Um Sie in den Stand zu ſetzen, ſich die außerordent⸗
liche Bewegung erklären zu können, die Ihre Nachrichten
6
82 Biographie Spohrs.
in mir hervorbrachten, muß ich Ihnen zunächſt kaltblütig
auseinanderſetzen, welches meine Erwartungen auf den
Erfolg dieſer Oper waren. Bei den großen und unge⸗
wöhnlichen Schwierigkeiten, die ſie darbietet, konnte ich
mir nur wenig davon erwarten, ſobald bei einer Bühne,
möge ſie auch die beſten muſikaliſchen und dramatiſchen
Kräfte aufweiſen können, nicht an der Spitze ein Mann
ſtünde, der mit beſonders energiſcher Fähigkeit und gutem
Willen ſich von vornherein meines Intereſſes gegen alle
Hinderniſſe annähme. Daß Sie, mein hochverehrter Mei⸗
ſter, wie kein anderer die Eigenſchaften zu ſo energiſcher
Ueberwachung beſäßen, wußte ich, — ob aber meine Arbeit
Ihnen würdig erſcheinen konnte, ſich ihrer mit ſolch ent⸗
ſcheidendem Intereſſe anzunehmen, dies war der gewiß
ſehr natürliche Zweifel, der, je näher die Zeit der mir
angezeigten Vorſtellung rückte, mich immer entmuthigender
einnahm, ſodaß ich es geſtehe, wenn ich in meinem Klein⸗
muthe nicht wagte, nach Caſſel zu gehen, um mich nicht
perſönlich und zu meiner Beſchämung von der Wahrheit
meiner Befürchtungen überzeugen zu müſſen.
Nun ſehe ich aber wohl, daß ein Glücksſtern über mir
aufgegangen iſt, da ich die Theilnahme eines Mannes ge⸗
winnen konnte, von dem ſchon eine nachſichtige Beobachtung
mir zum Ruhme gereicht hätte: — ihn ſelbſt mit der för⸗
derndſten und entſcheidendſten Thätigkeit ſich meiner Sache
annehmen zu ſehen, das iſt ein Glück, welches mich gewiß
vor Vielen auszeichnet und welches mich denn wirklich
zum erſten Male mit einem Gefühle des Stolzes erfüllt,
das bis jetzt noch nie, durch kein Zujauchzen des Publi⸗
kums in mir hervorgerufen werden konnte.“
Selbſt die von Spohr gemachten Ausſtellungen, in wel⸗
chen er deſſen „wahre Theilnahme“ erkannte, nahm Wag⸗
ner mit gleicher Dankbarkeit und Freundlichkeit auf, ſowie
er ſich in allen feinen fpäteren Briefen ſtets mit der wärm⸗
ſten Anhänglichkeit und Verehrung gegen ihn ausſprach.
Biographie Spohrs. 83
Der wahre „Glücksſtern“ freilich ſollte Wagner erſt
zwanzig Jahre ſpäter aufgehen, als ein deutſcher König
ſich mit der „förderndſten und entſcheidendſten Thätigkeit“
ſeiner annahm. Und was jedenfalls im Gegenſatz zu
unſerer heutigen Auffaſſung Spohr hauptſächlich an dem
Werke anzog, war das in demſelben noch waltende opern⸗
geſanghafte Element, um deſſentwillen er das „Phanta⸗
ſtiſche“ und namentlich das ausgeſprochen Dramatiſche gern
mit in den Kauf nahm. Ehre aber auch hier ſeinem An⸗
denken, daß er wahrhaft ernſte Beſtrebungen deutſcher
Kunſt von Anbeginn thätig unterſtützte!
11. Das Ende des Gerechten.
(1844 —1859.)
„Die Muſik war bei ihm eng verbunden
mit Glaube, Liebe, Hoffnung!“
Mit den ſteigenden Jahren unſeres Altmeiſters mehrten
ſich ſeine Ehren der Zahl wie dem Grade nach. Er genoß
ſeines Ruhmes vollſtändig, während Mozart und Beet⸗
hoven mit dem Bewußtſein ihn würdig verdient zu haben
ins Grab ſanken. Um ihn bei einer Aufführung ſeines
Oratoriums „Der Fall Babylons“ in Norwich zu haben,
wandten ſich Lord Aberdeen und der Herzog von Cambridge
perſönlich an den eigenſinnigen Kurprinzen von Heſſen, und
als dies nichts fruchtete, kam eine Bittſchrift der Reprä⸗
ſentanten der geſammten Grafſchaft Norfolk (100000 Men⸗
ſchen). Es nutzte zwar ebenfalls nichts, aber Spohrs Ruhm
ward dadurch nur vergrößert. Bei einer kurz darauf fol⸗
genden Einladung nach London wurde er „gleich einem
Fürſten bewillkommt, indem die ganze Verſammlung ſich
freiwillig von ihren Sitzen erhob, um ihn zu begrüßen.“
Ebenſo verſammelte bei einem Aufenthalte in Paris Ha⸗
a
84 Biographie Spohrs.
beneck zu feinen Ehren ſogar während der Ferien das Or-
Heſter des Conſervatoriums, um ihm feine Symphonie
„Die Weihe der Töne“ vorzuführen. Es iſt begreiflich,
daß es in beiden Städten, zumal in London, wo Mendels⸗
ſohn womöglich noch höher gehalten war, ſpäter originalen
Geiſtern wie Berlioz und Wagner ſchwer wurde durchzu⸗
dringen: ihre Werke leben aber dafür dauernd.
Eine Folge der Einwirkung des „Fliegenden Holländers“
war die 1844 „mit beſonderer Vorliebe“ componirte Oper
„Die Kreuzfahrer“ nach dem Kotzebueſchen Schauspiele. Sie
iſt „ganz abweichend von der bisher gebräuchlichen Form
ſowie von dem Stil ſeiner früheren Opernmuſik, das Ganze
gleichſam als muſikaliſches Drama ohne Textwiederholun⸗
gen und Ausſchmückungen mit immer fortſchreitender Hand⸗
lung durchcomponirt“. Das Oleiche lobte er ſelbſt auch
an R. Schumanns „Genoveva“, obgleich er ſonſt an ihm
öfter „Wohllaut und melodiſche Harmoniefolgen“ vermißte.
Die „Kreuzfahrer“ fanden in Caſſel eine „beiſpiellos glän⸗
zende“ Aufnahme und hatten auch 1845 in Berlin einen
„überaus glücklichen Erfolg“, — in Berlin, wo das Jahr
zuvor der „Fliegende Holländer“ nicht hatte durchdringen
können! „Sieglinde ſtarb, doch Siegfried, der genaß!“
heißt es in Wagners Nibelungenring.
Die rückſichtsloſe Zurückſendung der Partitur des Wer⸗
kes von Dresden brachte nun Spohr im Jahre 1846 auch
in perſönliche Bekanntſchaft mit dieſem jüngeren Meiſter.
Er hatte ihm zu ſeinem Verdruſſe zu melden, daß der
Kurprinz die Aufführung des „Tannhäuſers“ abgeſchlagen
habe, und macht dabei ausführliche Mittheilung von dem
unbegreiflichen Verfahren der Dresdener Intendanz. Wag⸗
ner legte ebenfalls ſeine Entrüſtung darüber in ſcharf be⸗
zeichnenden Ausdrücken an den Tag und ward darauf von
Spohr zu einem Rendez-vous nach Leipzig eingeladen.
Er ergriff die Idee mit großer Befriedigung und ſo wurde
denn die längſt gewünſchte Bekanntſchaft zu gegenſeitiger
Biographie Spohrs. 85
größten Befriedigung gemacht. „Wir verleben hier wonne⸗
volle Tage und ſchwelgen in den ſchönſten muſikaliſchen
Genüſſen,“ berichtete Frau Spohr nach Hauſe. Spohr
ſpielte mit Mendelsſohn Compoſitionen Beider, ein Diner
bei Wagners Schwager Profeſſor Brockhaus, „mit lauter
geiſtreichen Menſchen“, darunter H. Laube, lief jehr ver⸗
gnügt ab. „Am beſten gefiel uns Wagner, der mit jedem⸗
mal liebenswürdiger erſcheint und deſſen vielſeitige Bil⸗
dung wir immer mehr bewundern müſſen,“ heißt es dabei.
„So äußerte er ſich auch über politiſche Angelegenheiten
mit einer Theilnahme und Wärme, die uns wahrhaft
überraſchte und umſomehr erfreute, da er in höchſt libera—
lem Sinne ſprach.“ Den Abend fand man ſich bei Men⸗
delsſohn wieder zuſammen, der für Spohr „ganz rührend
unverkennbare Liebe und Verehrung bezeugte“. Dieſer
ſpielte von ſeinen Quartetten, darunter auch das neueſte
dreißigſte, bei welchem Mendelsſohn und Wagner „mit
entzückten Mienen“ in der Partitur nachlaſen: „Neidlos
geb' ihrem Zauber ich mich hin“. Wagner nahm noch am
Abend Abſchied, was beiden Theilen ſehr nahe ging.
„Doch haben wir auch nach ſeiner Abreiſe uns noch viel
mit ihm beſchäftigt, indem er uns einen neu gedichteten
Operntext zurückließ, der höchſt eigenthümlich und anziehend
iſt,“ heißt es vom Lohengrin. Ein Jahr ſpäter war Men⸗
delsſohn, als deſſen „Reizendſtes“ auch Spohr die Muſik
zum Sommernachtstraum pries, todt und drei Jahre ſpäter
Wagner in der Verbannung. „Sein Verluſt iſt ſehr zu
beklagen, da er der begabteſte unter den jetzt lebenden
Componiſten und ſein Kunſtſtreben ein ſehr edles war,“
ſchreibt Spohr von Erſterem. Dem lebenden Meiſter aber
bewahrte er die thätige Theilnahme und zwar obwohl er
im Grunde die Bedeutung ſeines Schaffens nicht ermaß,
er war dazu zuviel „Componiſt“. Wir vernehmen denn
auch darüber Spohrs eigene Worte. Er ſchreibt im Jahre
1852 an Moritz Hauptmann:
86 Biographie Spohrs.
„Wir ſtudiren jetzt den Tannhäuſer. Die Oper hat
viel Neues und Schönes, aber auch manches ohrzerreißende
Unſchöne.“ Und ſpäter: „Die Oper hat durch ihren Ernſt
und ihren Inhalt viel Freunde gewonnen, und vergleiche
ich ſie mit anderen Erzeugniſſen der letzten Jahre, ſo ge⸗
ſelle ich mich auch zu dieſen. Manches was mir anfangs
ſehr zuwider war, bin ich durch das öftere Hören ſchon
gewohnt geworden; nur das Rhythmusloſe und der häu⸗
fige Mangel an abgerundeten Perioden iſt mir fortdauernd
ſehr ſtörend. Die hieſige Aufführung iſt wirklich eine ſehr
ausgezeichnete, man wird wenig ſo präciſe in Deutſchland
hören. In den enorm ſchweren Enſembles im zweiten
Akt iſt geſtern auch nicht eine Note weggeblieben. Dies
hindert freilich nicht, daß ſich dieſe an einigen Stellen zu
einer wahrhaft ſchaudervollen Muſik geſtalten, beſonders
kurz vor der Stelle, ehe Eliſabeth ſich den auf Tann⸗
häuſer eindringenden Sängern entgegenwirft. Was wür⸗
den Haydn und Mozart für Geſichter machen, müßten ſie
einen ſolchen Höllenlärm, den man jetzt für Muſik aus⸗
giebt, mit anhören! Die Chöre der Pilger wurden ſo rein
intonirt, daß ich mich zum erſten Male mit den unnatür⸗
lichen Modulationen derſelben einigermaßen verſöhnte. Es
iſt merkwürdig, woran ſich das menſchliche Ohr nach und
nach gewöhnt!“ Ebenſo ſagt er nach Anhörung des „Ben⸗
venuto Cellini“ in London: „Es geht dem Berlioz, wie
den anderen Koryphäen der Zukunftsmuſik: ſie überlaſſen
ſich bei der Arbeit nicht ihrem natürlichen Gefühl, ſondern
ſpeculiren auf Nochnichtdageweſenes. So geſchieht es, daß
dieſe begabten Muſiker ſelten etwas Genießbares zuſtande
bringen, beſonders für Leute, die bei Haydn, Mozart und
Beethoven groß gezogen ſind.“ Und ein andermal von
der Oper ſeines Schülers Jean Bott: „Es iſt mehr gute
Muſik, überſichtliche Form und rhythmiſches Geſchick darin
als in den Wagnerſchen Opern und doch gehört fie im
Stil der ſogenannten Zukunftsmuſik an.“
Biographie Spohrs. 87
Die Pilger⸗Chöre des „Tannhäuſer“ athmen, wie Liſzt
es treffend ausgedrückt, eine „gewiſſe Exſtaſe und geheime
überſchwängliche Wonne des Reuegefühls“, — wie follte da
der bloße äußerliche Wohlklang herrſchen! Den „Höllen⸗
lärm“ aber verurſachte und verurſachen noch heute ſo oft in
Wagnerſchen Aufführungen die Ungeſchicktheiten der Inſtru⸗
mentaliſten, beſonders der Bläſer, die an ſolchen Ste len
wie die des „Tannhäuſer“ Tod und Teufel darauf los⸗
toſen, ſtatt auch hier den Ton geiſtig zu intoniren und ſo⸗
zuſagen ſprechen zu laſſen.
Gleichwohl war Spohr ſehr geſpannt auch den „Lohen⸗
grin“ zu hören. Allein der Kurfürſt verſagte die Geneh⸗
migung und ſo hörte er daraus 1855 nur einige „Num⸗
mern“ in einem Concerte in Hannover. „Auch die Neunte
Symphonie Beethovens, ſo abnorm manches darin, na⸗
mentlich der letzte Satz ſein mag, gewährte in dieſer Voll⸗
endung einen wahrhaft hohen Genuß,“ ſchreibt Frau
Spohr 1853 von London aus. Woran ſich das menſchliche
Ohr doch nicht gewöhnt! Hätte Spohr erſt Werke wie
Triſtan und Parſifal hören können!
Während auf ſolche Weiſe auch Spohr der geiſtbeſchrän⸗
kenden Wirkung feiner Zeitepoche verfiel, der ja ſelbſt grö⸗
ßere und ſogar genialiſche Geiſter oft nicht widerſtanden
haben, — faßte doch der alte Fritz den Genius Goethes
nicht und Schopenhauer nicht den geiſtigfreien Dichter in
R. Wagner! — iſt eine Seite feines Daſeins und Wirkens
von dauerndem Gewinn für Kunſt und Leben geblieben: er
hat, wohin er kam, der Muſik die weiteſten Kreiſe der Bildung
erobert und dem Muſiker die entſprechende Geltung und
Stellung in der Geſellſchaft verſchafft. Er ließ der Würde
ſeiner Kunſt auch in ſocialer Hinſicht niemals zu nahe
treten und wie dem Souverain der Kunſträume imponirte
er ſo dem Souverain des Thrones. Konnte doch Friedrich
Wilhelm IV. nicht umhin, ihn durch den damals weltbe⸗
rühmten Alexander von Humboldt perfönlich zur königlichen
88 Biographie Spohrs.
Tafel laden zu laſſen und beſuchten die Potentaten, wo er
weilte, die Productionen ſeiner Kunſt! Der letzte Grund
dieſer Wirkung lag in ſeiner menſchlichen Perſönlichkeit,
die ſich durchaus mit ſeiner Kunſt identificirte, weil dieſe
eben ganz aus ihr, nicht aus einem angelernten Können
ſtammte. Er hielt als Mann ebenſo auf Freiheit und
Ehre, wie als Künſtler auf die Reſpectirung alles Idealen.
Einige Beiſpiele aus ſeinen letzten Lebenstagen mögen uns
dieſe wahrhaft würdige Künſtler- und Manneserſcheinung
zum Abſchluß völlig vergegenwärtigen.
Bei der Durchreiſe nach London trafen ſie in Gent ein
großes Sängerfeſt. Der Erkennung folgte die Nöthigung
in den Feſtſaal einzutreten. „Meine Herren, der große
Meiſter Spohr kommt ſoeben in unſere Stadt, da iſt
er!“ — auf dieſen Aufruf eines Mitgliedes erhob ſich die
ganze ungeheure Verſammlung und rief: „Es lebe Spohr,
der große Spohr!“ „Die Scene hatte durch das ganz
Ueberraſchende etwas ſehr Eigenthümliches und faſt Ueber⸗
wältigendes,“ erzählt ſeine ihn begleitende Gattin. Die
Märzrevolution von 1848 fand in Spohr einen lebhaften
Vorkämpfer. „Geſchrieben zur Zeit der glänzenden Volks⸗
revolution zur Wiedererweckung der Freiheit, Einheit und
Größe Deutſchlands,“ ſteht bei der Eintragung ſeines Sex⸗
tetts Op. 140, und die Schilderung: „reich an lebens⸗
friſchen Melodien und wahrhaft ätheriſchem Wohlklang
wie kaum ein anderes Werk Spohrs“ bezeugt die freudige
innere Antheilnahme an dieſem erſten Emporblühen poli⸗
tiſchwürdigerer Zuſtände. „Iſt auch die Einheit Deutſch⸗
lands noch nicht geſichert, ſo iſt es die Freiheit ganz
gewiß und ich preiſe mich glücklich eine ſolche Zeit noch
erlebt zu haben,“ ſchrieb er und wies es ab in einer Stadt
wie Breslau zu ſpielen, wo der Belagerungszuſtand pro⸗
clamirt ſei, denn da könne man nicht frei athmen, viel
weniger aber muſiciren! „Unſere Lage iſt jetzt eine ver⸗
zweiflungsvolle! In wenig Tagen wird der Kurfürſt zu⸗
Biographie Spohrs. 89
rückkehren, mit ihm Haſſenpflug und ſeine ...!“ ſchrieb
er 1850 und ließ von da an ſeine Geige, die er ſonſt ſo
gern „zu Freude und Nutzen ſeiner Mitbürger“ hatte er⸗
tönen laſſen, öffentlich ferner nicht erklingen. Der Kurfürſt
wußte den renitenten Capellmeiſter durch Urlaubsverweige⸗
rung zu treffen und verhängte, als Spohr dennoch abge-
reiſt war, eine bedeutende Geldſtrafe über ihn. Spohr
proceſſirte, verlor aber dabei, und ſein einziger Troſt war,
daß das Geld an den von ihm geſtifteten Penſionsfonds fiel.
Zwar hatte er ihn im Jahre 1847 zu ſeinem fünfund⸗
zwanzigjährigen Capellmeiſterjubiläum zum Generalmuſik⸗
director mit „Hoffähigkeit“ ernannt, aber er vermochte ihn
auch nach dem Grundſatze des ancien regime: „Car tel
est notre plaisir“ 1857 gegen ſeinen Willen kaltblütigſt
zu penſioniren. Spohr jedoch ertrug, obwohl er noch rüſtig
genug geweſen wäre, auch dieſen Schlag „mit der ihm ei⸗
genen Seelengröße“.
Ungleich ſchmerzlicher war es ihm, als er wegen man⸗
gelnder Fähigkeit ſeine Ideen zuſammenzufaſſen, vom Com⸗
poniren laſſen mußte, ſogar ein Requiem blieb unvollendet.
Ein Armbruch, der den durch ſeine Körperſchwere etwas
unbeholfen Gewordenen traf, berührte ihn noch tiefer:
der Arm zeigte die erforderliche Kraft und Elaſticität nicht
mehr, worauf er dann abermals „um eines feiner köſt⸗
lichſten Lebenselemente ärmer geworden, trauernd die ge⸗
liebte Geige zur Ruhe legte“. Ihr Erbe ward fein ge-
liebteſter Schüler, Auguſt Kömpel, Concertmeiſter in Wei⸗
mar. Er weiß denn auch dieſer Straduvari Töne zu
entlocken, die uns Nachlebenden Spohrs Seelenweiſe zur
erquickenden Empfindung bringen können.
Jetzt war er dieſes Lebens müde, in dem er nichts mehr
wirken konnte. Er habe ausgenoſſen, was das Erdenleben
eben zu bieten vermöge, ſagte er; er habe namentlich eine
ſo weit verbreitete Anerkennung und Liebe für ſeine Muſik
erlebt, wie er es kaum je hätte hoffen können, jetzt wünſche
90 Biographie Spohrs.
er ſehnlich ſein Ende herbei. Es ward dem Fünfundſieb⸗
zigjährigen denn auch ohne beſondere Krankheit am 22. Oc⸗
tober 1859 im Kreiſe ſeiner Lieben in vollſter inneren
Ruhe zutheil: „mit dem Ausdruck der größten Zufrieden⸗
heit in ſeinen ſchönen edlen Zügen“ lag er auf dem To⸗
desbette.
„Wer in allen unſeren ſocialen Verhältniſſen, nament⸗
lich in den Beziehungen der modernen Künſtler zu einan⸗
der die grenzenlos eigenſüchtige Liebloſigkeit kennt, der muß
mehr als erſtaunt, er muß durch und durch entzückt ſein,
wenn er von dem Verhalten einer Perjönlichkeit Wahr⸗
nehmungen macht, wie ſie mir ſich von jenem außerordent⸗
lichen Menſchen au fdrängten,“ ſagt Wagner von ſeiner
Begegnung mit Liſzt im Jahre 1849. Ebenſo erquickend
und troſtreich beglückend iſt es zu ſehen, wie ſich über das
ganze Leben dieſes Altmeiſters, des Neſtors der Tonkunſt
ſeiner Tage „der uns das Bild des olympiſchen Zeus, mit
dem Augenwink alles bewegend vergegenwärtigt“, ein ſchönes
Gewebe von Freundſchaft und Liebe gegen alles ihm Begeg⸗
nende verbreitet. Den letzten Grund dieſes ſo reich ſpen⸗
denden Weſens aber giebt uns ſeine Selbſtbiographie an,
wenn ſie ſagt, nichts ſei ihm lieber geweſen, als wenn von
ſeinen Tonwerken ein Rückſchluß auf ſeine Gemüthsart und
Religion gemacht worden ſei: „ſeine Kunſt war ihm ja
auch heilig und Muſik bei ihm eng verbunden mit Glaube,
Liebe und Hoffnung!“
Ende.
Inhaltsverzeichnis.
F
Die Lehrzeit (1784—1803).
Erſte Erfolge (1803 — 18060)
Allerlei Erlebungen (1806—1812) .
In Wien (1813—1815)
In Italien (1815—1817).
In London (1817—1820) .
In Paris (1820—1821)
Jeſſonda (1822—1823) .
Wachſende Erfolge (1824—1840)
Der fliegende Holländer (1842—1843)
Das Ende des Gerechten (1844 — 1859)
Aus Philipp
Reclam’s Univerſal-Vibliothek.
Preis einer Nummer 20 Pf.
——— —
Mufiker:Biograpbien.
Auber. Von A. Kohut. 3389.
Bach. Von Richard Batka. 3070.
Beethoven. Von C. Nohl. 1181.
Bizet. Von Paul Voß. 3925.
Cherubini. Von Wittmann. 3434.
Franz. Von Prochäzka. 3273/74.
Gluck. Von Heinr. Welti. 2421.
Händel. Von Schrader. 3497.
aydn. Von Cudw. Nohl. 1270.
iſzt. 1. Thl. Von C. Nohl. 1661.
Liſzt. 2. Thl. Von A. Göllerich. 2392.
Erinnerungen an
Lortzing. Von H. Wittmann. 2634.
Marſchner. Von Wittmann. 3677.
Mendelsſohn. Von Schrader. 3794.
Meyerbeer. Von A. Kohut. 2734.
Mozart. Von C. Nohl. 1121.
Roſſini. Von Dr. A. Kohut. 2927.
Schubert. Von A. Niggli. 2521.
Schumann. Von K. Batka. 2882.
Spohr. Von Ludw. Nohl. 1780.
Wagner. Von L. Nohl. 1700.
Weber. Von Ludw. Nohl. 1746.
Richard Wagner.
Von H. von Wolzogen.
Nr. 2831.
Geſammelte Schriften über Muſik und Muſiker
von Rob. Schumann.
Herausgegeben von Dr.
Heinrich Simon.
3 Bände. Nr 2472/73. 2561/62. 2621/22.
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von Br
A. Herm. Wolff,
Kapellmeiſter und Lehrer der Muſitk.
Nr. 3311. — Geb. 60
Pf.
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Populär dargeftellt von Dr. Cu
wig Nohl,
Dozent der Muſikgeſchichte an der Univerſität Heidelberg.
Nr. 1511/13. — In Ganzleinenband: 1 Mark.
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Donizetti, Lucia v. Lammermoor. | ständigem Dialog.) — Preoiosa.
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Entführung a. d. Serail.“) Mozart. (Univ.⸗Bibl. No. 2667.)
Fra Diavolo. Auber. (Univerſal⸗Bibltothek No. 2689.)
Fidelio. Beethoven. (Univerſal⸗Bibltothek No. 2555.)
Figaros Hochzeit.“) Mozart. (Univerſal⸗Bibliothek No. 2655.)
Der Freiſchütz.“) Weber. (Univerſal⸗ Bibliothek No. 2530.)
Hans Heiling. Marſchner. (Univerſal⸗ Bibliothek No. 3462.)
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