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Full text of "Spohr"

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Spohr. 


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Verlag von Philipp Reclam jun. 


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Vollständige Verzeichnisse der Universal- Bibliothek Em durch 
jede Buchhandlung stets gratis zu beziehen 


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Hnfiker- Biographien. 


Siebenter Band: 


Spohr. 


Von 


Ludwig Nohl. 


Leipzig. 


Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. 


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Biographie Spohrs 


von 


Ludwig Rohl. 


Und wenn ſie die Hände ſich reichen 
Zum Freundſchaftsbund, dann weinen ſie, 
Sind ſentimentale Eichen. 


Heine (Wintermärchen). 


Digitized by the Internet Archive 
in 2010 with funding from 
University of Toronto 


http://www.archive.org/details/spohrnoh00nohl 


Am 8. November 1859 ſchrieb von Paris aus 
Richard Wagner an die Conſtitutionelle Zeitung in Dres⸗ 
den Folgendes: 

„Faſt gleichzeitig ſtarben mir zwei würdige hochverehrte 
Greiſe. Der Verluſt des einen traf die ganze muſikaliſche 
Welt, die den Tod Ludwig Spohrs betrauert: ihr über- 
laſſe ich's zu ermeſſen, welch' reiche Kraft, welch' edle Pro⸗ 
ductivität mit des Meiſters Hingange aus dem Leben ſchied. 
Mich gemahnt es kummervoll, wie nun der letzte aus der 
Reihe jener echten, ernſten Muſiker von uns ging, deren 
Jugend noch von der ſtrahlenden Sonne Mozarts un⸗ 
mittelbar beleuchtet ward und die mit rührender Treue 
das empfangene Licht, wie Veſtalinnen die ihnen anver⸗ 
traute Flamme, pflegten und gegen alle Stürme und Winde 
des Lebens auf keuſchem Herde bewahrten. Dieſes ſchöne 
Amt erhielt den Menſchen in Spohr rein und edel, und 
wenn es gilt, mit Einem Zuge das zu bezeichnen, was 
aus Spohr ſo unauslöſchlich eindrucksvoll zu mir ſprach, 
ſo nenne ich es, wenn ich ſage: er war ein ernſter, red⸗ 
licher Meiſter ſeiner Kunſt und ſeine ſchönſte Erquickung 
quoll aus der Kraft ſeines Glaubens. Und dieſer ernſte 
Glaube machte ihn frei von jeder perſönlichen Kleinheit; 
was ihm durchaus unverſtändlich blieb, ließ er als ihm 
fremd abſeits liegen, ohne es anzufeinden und zu ver⸗ 
folgen: dies war ſeine ihm oft nachgeſagte Kälte und 
Schroffheit! Was ihm dagegen verſtändlich wurde, — und 
ein tiefes feines Gefühl war dem Schöpfer der Jeſſonda 
wohl zuzutrauen, — das liebte und ſchützte er unum⸗ 
wunden und eifrig, ſobald er Eines in ihm erkannte: 


6 Biographie Spohrs. 


Ernſt, Ernſt mit der Kunſt! Und hierin lag das 
Band, das ihn noch im hohen Alter an das neue Kunſt⸗ 
ſtreben knüpfte: er konnte ihm endlich fremd werden, nie 
aber feind. — Ehre unſerm Spohr! Verehrung ſeinem 
Andenken! Treue Pflege ſeinem edlen Beiſpiele!“ 

So haben wir es diesmal nicht mit einem jener 
Heroen der Kunſt zu thun, die deren Entwicklung mit 
einem mächtigen Ruck in weſentlicher Weiſe erweiterten. 
Sondern in behaglicher und faſt idylliſcher Ruhe breitet 
ſich in dieſem langen Künſtlerleben der bis dahin gewon⸗ 
nene Beſtand der Muſik als ein wonnig beglückender Beſitz 
freundlich zum Mitgenuſſe einladend aus. Darum ſind es 
nicht eigentlich entſcheidend große Kunſtthaten, was uns 
diesmal begegnen wird, wohl aber ein durch das Ideale 
der Kunſt ſchön verklärtes menſchliches Daſein, ſodaß wir 
hier mehr ein Intermezzo zwiſchen den vorwärts dringen⸗ 
den Acten einer großen Handlung als ſelbſt ein Drama 
vor uns ſehen. „Spohr zeigt ſich überall muthvoll, ent⸗ 
ſchloſſen, tapfer, mit einem Wort echt männlich,“ heißt es 
in dem Vorworte zu ſeiner Selbſtbiographie von dem faſt 
ſieben Fuß hohen kräftigen Manne; „Spohr war wie alle 
edlen Naturen ſtreng ſittlich und von einer faſt mädchen⸗ 
haften Züchtigkeit; er kannte keinen Neid, ſondern nur 
die aufrichtigſte Freude über die Erfolge und Leiſtungen 
Anderer, er hatte daher eigentlich keinen Feind; wir wa⸗ 
ren oft Zeuge, daß ſtarke Ausdrücke des Beifalls über 
ſeine Leiſtungen ihn eher drückten und beläſtigten als er⸗ 
freuten.“ Als er bei ſeinem Jubiläum ſtürmiſch hervor⸗ 
gerufen wurde, äußerte er, es ſei ihm als ob er auf das 
Schaffot geführt werde, und als er einſt zum Geburtstage 
ſeines Kurfürſten in Gala zu erſcheinen hatte, hüllte er 
ſich bei zwanzig Grad Wärme in einen großen Winter⸗ 
mantel und antwortete einem theilnehmend nach feier 
Geſundheit fragenden Freunde, den Mantel zurückſchlagend 
und die mit Orden bedeckte Bruſt zeigend: „Ich ſchäme 


Diographie Spohrs. 7 


mich nur, fo über die Straße zu gehen.“ Niemals auch 
widmete er ohne unabweisbare Aufforderung einem Für⸗ 
ſten oder Großen eines ſeiner Werke. 

Es erklingen alfo hier jo recht alle jene Saiten, die 
ganz eigens das Gemüth und den Charakter des deutſchen, 
zumal des norddeutſchen Künſtlers ausmachen, und wir 
haben dieſelben eben nur als ſolche erklingen zu laſſen, 
um fühlbarſt in der Nähe und ſogar in dem eigenſten 
Athemskreiſe dieſes Altmeiſters der ausgehenden claſſiſchen 
Muſikperiode zu weilen. Wozu uns denn zum Glück dies⸗ 
mal obendrein ſeine eigenen Lebensaufzeichnungen die 
leichteſte Brücke ſchlagen, die zugleich gar manches anzie— 
hende Genre- und Sittenbild bringen und daher auch 
allgemeineren Antheil erwecken! 


1. Die Lehrzeit. 
(1784—1803.) 


„Da ging mir die Herrlichkeit der Mozartſchen Muſik auf.“ 


Spohr ward am 5. April 1784 zu Braunſchweig als 
Sohn eines Arztes geboren; doch war väterlicher wie 
mütterlicherſeits die Familie dem Predigerſtande zugehörig 
geweſen und ſchon früh wurde der Vater nach Seeſen ver⸗ 
ſetzt, das am Fuße des geſpenſtigen Brocken liegt. Die 
Eltern waren muſikaliſch, der Vater blies nach damaliger 
Neigung Flöte, welche Neigung manchmal ſo groß war, 
daß das Inſtrument im Spazierſtocke verborgen war, da⸗ 
mit an landſchaftlich ſchönen Stellen auch die ſentimenta⸗ 
len Empfindungen ſich nicht gehemmt fanden. Die Mutter 
war Schülerin deſſelben Kapellmeiſters Schwaneberger, der 
als Schüler Salieri's bei der Nachricht, daß Mozart ein 
Opfer des Neides der Italiener geworden ſei, den ſonder⸗ 
baren Ausruf that: „Narrheit! Er hat nichts gethan, um 
dieſe Ehre zu verdienen!“ Sie ſang demgemäß die ita⸗ 
lieniſchen Bravourarien jener Tage, die ſie ſich zum Cla⸗ 
viere ſehr fertig begleitete. So war Muſik ein Lebens⸗ 
element des Hauſes und der Knabe durfte ſchon im fünften 
Jahre in Duetten mit der Mutter an den Abendmuſiken 
theilnehmen. Zugleich kaufte ihm der Vater nach ſeinem 
Wunſch auf dem Jahrmarkte eine Geige, auf der er nun die 

telodien wiederſuchte, während die Mutter ihm begleitete. 

Etwa um 1791 kam nach Seeſen ein Emigrant Dufour, 
der ein fertiger Dilettant war. Der Knabe war bis zu 
Thränen gerührt, als er den fremden Mann ſo ſchön 
ſpielen hörte, und ließ den Eltern keine Ruhe, als bis er 


W 


Biographie Spohrs. 9 


Unterricht bei ihm erhielt. Dieſer entdeckte trotz ſeines blo⸗ 
ßen Dilettantismus ſo ſicher des Schülers Begabung, daß 
er darauf drang, denſelben Muſiker werden zu laſſen. Bald 
wurden auch bereits Compoſitionsverſuche gemacht, Duetten 
für zwei Geigen, und ein ſchmucker neuer Anzug war der 
Lohn. Ja ſogar an ein Singſpiel wagte er ſich, natürlich 
von Weiße, dem Begründer der Gattung in Deutſchland, 
und in der Muſik waren Hillers „Jagd“ und „Lottchen 
am Hofe“ Vorbild, jedoch nur nach dem oft durchgeſunge— 
nen Clavierauszuge, denn das kleine Seeſen hatte kein 
Theater. Die Formen und der Ton dieſer deutſchen 
Werke ſind denn auch zeitlebens für Spohr maßgebend 
und bannend zugleich geblieben. 

Bald kam der Knabe, der nun wirklich Muſiker wer- 
den ſollte, zur Confirmation zu ſeinem Großvater in das 
Hildesheimiſche und erhielt dort guten Unterricht. Doch 
die Muſik mußte in dem nahen Städtchen weiter betrieben 
werden. Auf dem beſchwerlichen Wege dorthin war er 
einmal bei Regenguß in einer einſamen Mühle unterge⸗ 
ſtanden und hatte dabei die Gunſt der Müllerin ſo ſehr 
gewonnen, daß er von da an ſtets vorſprechen mußte und 
mit guten Sachen gelabt ward. Zum Dank phantaſirte 
er ihr dann jedesmal etwas vor und ſetzte ſie einſt durch 
Variirung des Liedes „Du biſt liederlich“ von Wranitzky, 
in der all die Kunſtſtückchen vorkamen, durch die ſpäter 
Paganini die Welt entzückte, ſo außer ſich, daß ſie ihn an 
dem Tage gar nicht wieder von ſich ließ. So ward die 
Sprache der Muſik zumal auf ſeiner Geige ſchon früh 
ſeine Mutterſprache und die Welt weiß, wie viele der 
edelſten Schüler er in dem langen Laufe ſeines Lebens 
gerade auf dieſem Inſtrumente zu derſelben herange⸗ 
bildet hat. 

Jetzt kam er nach Braunſchweig, wo der Erbprinz Karl 
Ferdinand ein beſcheidenes franzöſiſches Theater nebſt Ka⸗ 
pelle hielt. Sein Lehrer ward ein Mitglied derſelben, der 


10 Biographie Spohrs. 


Kammermuſikus Kuniſch, dem er viel verdankte, weil derſelbe 
ſehr gründlich war. Ebenſo war es mit dem Harmonie⸗ 
unterrichte bei dem Organiſten Hartung, der zwar wenig 
freundlich war, aber doch die beſte Grundlage legte: denn 
er blieb der einzige Lehrer, den Spohr je in der Theorie ſei⸗ 
ner Kunſt gehabt hat. Er half ſich in der Folge mit gedruck⸗ 
ten Werken und guten Partituren, die ihm Kuniſch aus 
der Theaterbibliothek verſchaffte. Bald bereiteten ihm ſeine 
kleinen Compoſitionen denn auch Eintritt in die Concerte 
der Stadt und er konnte ſeinen Eltern mit Stolz von 
eigenen Einnahmen melden. Dadurch kam er denn auch 
in das Theaterorcheſter und hörte viel gute Muſik. Sein 
Lehrer ward dann der erſte Geiger deſſelben, Concertmei⸗ 
ſter Maucourt, und dieſer bildete ihn bald zu einem ſo tüch⸗ 
tigen Soloſpieler heran, daß er ihm vorſchlug, ſein Glück 
als reiſender Künſtler zu ſuchen. Er ſchickte ihn nach Ham⸗ 
burg, den Vierzehnjährigen! Daß der Knabe darauf ein⸗ 
ging, beruhte auf den Ueberlieferungen des Vaters, der 
nach norddeutſcher Wikingerart im höchſten Grade kühn 
und unternehmend geweſen war. Um einer Strafe zu 
entgehen, war derſelbe von der Schule entflohen und hatte 
ſich dann auf kümmerliche aber immer höchſt ſelbſtſtändige 
Weiſe zu ſeiner jetzigen ärztlichen Stellung emporgearbeitet. 
Dieſer fand alſo in dem Unternehmen des Sohnes trotz der 
Mutter Kopfſchütteln nichts Beſonderes. Er empfahl ihn 
an einen alten Freund in Hamburg, allein derſelbe empfing 
ihn mit den Worten: „Ihr Vater iſt doch immer noch 
der Alte! Welche Tollheit, einen Knaben ſo auf gut Glück 
in die Welt zu ſenden!“ Dann ſetzte er ihm die Schwie⸗ 
rigkeit eines Concertes in der großen von Künſtlern über⸗ 
laufenen Handelsſtadt auseinander. Spohr wußte kaum 
die Thränen zurückzuhalten und rannte ohne nur die übri⸗ 
gen Empfehlungsbriefe abzugeben, voller Verzweiflung nach 
Hauſe. Ja bei ſeiner geringen Baarſchaft ſich, den großen 
ſchlanken Jungen, ſchon in den Händen jener Seelenver⸗ 


— 


Biographie Spohrs. 11 


käufer ſehend, von denen ihm der Vater ein warnendes 
Bild entworfen hatte, wanderte er ſpornſtreichs zu Fuße 
nach Braunſchweig zurück. 

In ſeiner Beſchämung, namentlich dem energiſch kühnen 
Vater gegenüber, ſann und ſann er auf Mittel, auf an⸗ 
derem Wege zu ſeinem Ziele der entſprechenden Ausbil⸗ 
dung zu gelangen, und verfiel endlich zu ſeinem Glücke 
auf den Herzog Ferdinand, der ſelbſt einſt Violine geſpielt 
hatte. „Er iſt ein ſehr angenehmer ſchöner freundlicher 
Herr,“ ſchreibt Mozarts Vater nach einer Begegnung in 
Paris im Jahre 1766 über den damaligen Erbprinzen. 
Und der Eneyklopädiſt Grimm ſagt in einer Correſpon⸗ 
denz von dort über den zehnjährigen Knaben: „Das Un⸗ 
begreiflichſte iſt jene tiefe Kenntnis der Harmonie und ihrer 
geheimſten Wege, die er im höchſten Grade beſitzt und wo— 
von der Erbprinz von Braunſchweig, der gültigſte Richter 
in dieſer Sache ſowie in vielen andern, geſagt hat, daß 
viele in ihrer Kunſt vollendete Kapellmeiſter ſtürben, ohne 
das gelernt zu haben, was dieſer Knabe in einem Alter 
von neun Jahren leiſte.“ (Mozart. Nach den Schilde⸗ 
rungen der Zeitgenoſſen. Leipzig, 1880). Zu den „anderen 
Sachen“ gehörten des Prinzen glückliche Unternehmungen 
des Jahres 1760 gegen dieſelben Franzoſen, deren Ver⸗ 
ehrer und Nachahmer er ſonſt in faſt allen Dingen war 
und deren Neigung zur Beſchützung der Kunſt er denn 
auch theilte. „Hat er dich nur erſt eines deiner Concerte 
ſpielen gehört, ſo iſt dein Glück gemacht!“ dachte ſich alſo 
auch unſer junger Künſtler und beendete in heiterſter 
Stimmung den öden Marſch durch die Lüneburger Haide. 

Eine Bittſchrift war bald entworfen. Der Herzog 
nahm fie auf ſeinem Spaziergange denn auch von dem 
treuherzigen ſchlanken jungen Menſchen nach ſeiner gewohn⸗ 
ten Leutſeligkeit entgegen. Nach einigen furchtlos beant⸗ 
worteten Fragen über Eltern und Lehrer erkundigte ſich 
der Fürſt nach dem Verfaſſer der Bittſchrift. „Nun wer 


12 Biographie Spohrs. 


anders als ich? Dazu brauche ich keinen Andern!“ — 
„Nun, komm morgen aufs Schloß, dann wollen wir über 
dein Geſuch reden!“ ſchloß mit Lächeln und Freude die 
Unterredung ab. Präcis elf Uhr ſtand er vor dem Kam⸗ 
merdiener. „Wer iſt Er?“ fuhr dieſer ihn ziemlich un⸗ 
freundlich an. „Ich bin kein Er. Der Herzog hat mich 
hierher beſtellt und Er hat mich anzumelden!“ lautete die 
Antwort der Entrüſtung. Der Kammerdiener ging und 
ehe die Aufregung ſich gelegt hatte, ſtand der junge 
deutſche freie Mann vor ſeinem Fürſten. „Durchlaucht, Ihr 
Kammerdiener nennt mich Er, das muß ich mir ernſtlich 
verbitten!“ platzte er heraus. Der Herzog lachte laut und 
ſagte: „Nun, beruhige dich nur, er wirds nicht wieder 
thun.“ Nach einigen unbefangenen Antworten Spohrs 
ertheilte er dann den Beſcheid, er habe ſich bei Maucourt 
nach ihm erkundigt und ſei begierig ihn zu hören, es 
könne im nächſten Concerte bei der Herzogin geſchehen. 
Ueberglücklich eilte der junge Künſtler nach Haus, um ſich 
aufs emſigſte vorzubereiten. 

Die nächſte Scene führt uns nun ſo recht in das 
ancien régime, wo auch die Kunſt, vor allem die Muſik 
noch die gefällige Magd des Vergnügens war, aus der 
erſt männlich große Erſcheinungen wie Beethoven, Liszt 
und Wagner die Muſe, die Prinzeſſin, die Königin 
gemacht haben. Doch erkennen wir, daß auch unſerem 
jungen Künſtler das Gefühl dieſer Würde nicht fehlte, die 
das Innere des Menſchen ſelbſt zu erheben, zu adeln ge⸗ 
ſchaffen und geeignet iſt. 

In den Concerten der Herzogin wurde nämlich Karten 
geſpielt und um dies nicht zu ſtören, mußte das Orcheſter 
ohne Pauken und Trompeten und immer piano bleiben, 
ja es war demſelben noch ein dicker Teppich untergebreitet, 
ſodaß das „ich ſpiele, ich paſſe“ lauter war als die Muſik. 
Diesmal waren allerdings Spieltiſche und Teppich ver⸗ 
ſchwunden und dem Herzog gefiel des jungen Künſtlers 


Biographie Spohrs. 13 


Talent ſo ſehr, daß er ihn zum Kammermuſikus ernannte. 
Allein in der Folge trat auch die alte Pein wieder her⸗ 
vor. Jedoch einmal, als Spohr dort ein neues Concert 
probirte, vergaß er, ganz erfüllt von ſeinem Werke, das 
er zum erſtenmal mit Orcheſter hörte, völlig des ſtrengen 
Verbotes und ſpielte mit aller Kraft und allem Feuer, 
ſodaß er ſelbſt das Orcheſter mit fortriß. Plötzlich wurde 
er mitten im Solo von einem Lakai am Arme gefaßt, der 
ihm zuflüſterte: „Die Frau Herzogin läßt Ihnen ſagen, 
fie ſollen nicht jo mörderiſch darauf losſtreichen.“ Wüthend 
über dieſe Störung ſpielte er womöglich nur noch ſtärker, 
mußte ſich aber dafür einen Verweis vom Hofmarſchall 
gefallen laſſen. 

Der Herzog lachte über den Vorfall, erinnerte ſich da⸗ 
bei aber ſeines Verſprechens, ihn mit der Zeit zu einem 
großen Meiſter zu ſenden. Dies ward natürlich jemehr 
Spohrs Wunſch, je tiefer er in den Geiſt ſeiner Kunſt ein⸗ 
drang. Zuerſt lernte er nun jene leichten franzöſiſchen 
Operetten kennen, ſpäter aber auch Cherubinis „Waſſer⸗ 
träger“. „Ich erinnere mich lebhaft der Abende, als die 
deux journdes zum erſtenmal gegeben wurden, wie ich 
ganz trunken von dem gewaltigen Eindruck, den dieſes 
Werk auf mich gemacht hatte, mir noch am Abend die 
Partitur geben lies und die ganze Nacht darüber ſaß und 
wie es hauptſächlich dieſe Oper war, die mir den erſten 
Impuls zur Compoſition gab,“ ſo erzählt er ſelbſt. Dann 
kam aber eine deutſche Truppe. „Da ging mir die Herr⸗ 
lichkeit der Mozartſchen Opernmuſik auf und nun war für 
meine ganze Lebenszeit Mozart mein Idol und Vorbild,“ 
ſagt er. „Ich erinnere mich noch deutlich der Wonne- 
ſchauer und des träumeriſchen Entzückens, mit welchem ich 
zum erſtenmal Zauberflöte und Don Juan hörte und wie 
ich nun nicht ruhte, bis ich die Partituren geliehen bekam, 
über denen ich dann halbe Nächte brütete.“ Dies war um 
die Wende des Jahrhunderts, als Mozart zuerſt auch in 


14 Biographie Spohrs. 


weitere Kreiſe drang. Allein nicht lange und es kamen 
die ſchönen erſten Quartette Beethovens und er ſchwärmte 
ſogleich für ſie nicht weniger als bisher für diejenigen 
Haydns und Mozarts. Zugleich hörte er bald darauf den 
ausgezeichneten Geiger Seidler, für den ſpäter Beethoven 
das Tripleconcert entwarf, und den außerordentlich fer⸗ 
tigen Knaben Pixis, der bald in der Welt glänzen ſollte. 
So erfüllte der Herzog nur einen heißen Wunſch, als er 
den jungen Kammermuſikus nun auch einen letzten Lehrer 
wählen lies. Spohr nannte ohne Zaudern Viotti in 
London, allein dieſer antwortete, er ſei — Weinhändler ge⸗ 
worden und nehme keine Schüler mehr an. Nach ihm war 
Ferdinand Eck in Paris damals am berühmteſten. Jedoch 
dieſer hatte ſoeben eine reiche Gräfin entführt und war 
jetzt ein vornehmer Herr geworden. Er ſchlug aber ſeinen 
Bruder Franz vor, der gerade Deutſchland bereiſte. Dieſer 
wurde nun, nachdem er ſich in Braunſchweig hatte hören 
laſſen, erwählt und nahm im Frühjahr 1802 den acht⸗ 
zehnjahrigen Jüngling mit ſich auf die Reiſe, die ſogar 
nach Petersburg gehen ſollte. 

Schon in Hamburg begann der Unterricht. „Aber ach 
wie ſehr wurde ich gedemüthigt! Ich, der ich einer der 
erſten Virtuoſen Deutſchlands zu ſein geglaubt hatte, konnte 
ihm nicht einen einzigen Tact zu Dank ſpielen, ſondern 
mußte jeden wenigſtens zehnmal wiederholen, um nur 
einigermaßen ſeine Zufriedenheit zu erlangen,“ beginnt 
das Tagebuch dieſer Reiſe. Allein ein wahrhaft eiſerner 
Fleiß, der Uebung bis zu zehn Stunden des Tages nicht 
ſcheute und dem „herkuliſchen Körperbau“ auch zumuthen 
durfte, ließ ihn bald nicht blos die volle Zufriedenheit 
des Lehrers erlangen, ſondern allmählich jene ſouveräne 
Fähigkeit gewinnen, die als Franzoſe ſein Lehrer nicht be⸗ 
ſaß: jedem Style der Meiſter aller Zeiten und Länder 
gerecht zu werden. Dazu verhalf ihm eben das An⸗ 
hören aller möglichen Muſik und verſchiedener anderer 


Biographie Spohrs. 18 


damals berühmten Geiger, — darunter Fränzl, — Klavier- 
ſpieler — darunter Field, — und Sänger. Es trieb ihn 
dabei zugleich der Ehrgeiz. Denn die ihm Mißgünſtigen 
in Braunſchweig hatten geäußert, er werde ſich wohl eben⸗ 
ſowenig auszeichnen wie die übrigen jungen Leute, die 
der gütige Herzog bisher bei ihren Studien unterſtützt 
habe. Inzwiſchen vernachläſſigte er aber weder feine all⸗ 
gemeine Bildung noch das Componiren, ja ſchon in die⸗ 
ſem Jahre entſtand ſein Violinconcert Op. 1, und ſeiner 
reinmenſchlichen Entwickelung half manches kleine Herzens⸗ 
abenteuer nach, wie ſie die Biographie gar unbefangen und 
unſchuldsvoll berichtet. Und wie ſehr ihm ſchon jetzt der 
volle Ernſt in dem Dienſte der heiterſten aller Künſte in 
Fleiſch und Blut übergegangen war, beweiſt die Aeuße⸗ 
rung, als in Danzig nach der dumpfen Anſchauung ſolcher 
Stände in Bezug auf Kunſt eine Dame die Frage hin⸗ 
warf, ob er nicht doch beſſer gethan haben würde dem 
Berufe des Vaters zu folgen, zu dem dieſer ihn anfangs 
beſtimmt hatte. „So hoch der Geiſt über dem Körper 
ſteht, ſo hoch ſteht auch Der, welcher ſich der Veredlung 
des Geiſtes widmet, über Dem, der nur den vergänglichen 
Körper pflegt!“ lautete ſeine Entgegnung. 

Die mancherlei kleinen Abenteuer und bunten Bilder, 
die Spohr ſelbſt von dieſer ruſſiſchen Reiſe berichtet, haben 
wir hier zu übergehen. Einen weſentlichen Vorſchub lei⸗ 
ſtete ſeit dem Aufenthalte in Petersburg der Schönheit 
feines Tones, die ja jo weltberühmt wurde, noch ein Ge— 
ſchenk: ein „artiger allerliebſter junger Franzoſe,“ der Vio⸗ 
linſpieler Remi tauſchte in einem Gefühle der liebenden 
Freundſchaft für Spohr an deſſen Geburtstage mit ihm 
ſeine Geige aus, ſodaß dieſer eine echte Guarneri erhielt. 
Sein Entzücken über den „himmliſchen Ton“ war grenzen⸗ 
los, ſollte aber, wie wir noch hören werden, nicht lange 
dauern. Am 1. Juni 1803 ging es nach Deutſchland zu⸗ 
rück. Der Abſchied von Remi war ſehr ſchmerzlich, der 


16 Biographie Spohrs. 


von dem Lehrer, der in Petersburg blieb, ein ſehr be⸗ 
trübter. Er ſollte denſelben nicht wiederſehen: Leichtſinn 
und Liebesleidenſchaft führten ihn in Petersburg zu ſchlimm⸗ 
ſten Erlebniſſen, er ſtarb nach wenig Jahren im Irrenhauſe. 
Am 5. Juli war Spohr wieder in Braunſchweig und fand 
ſich von allen Seiten aufs herzlichſte aufgenommen: die 
Lehrzeit war überwunden, der fertige Künſtler ſtand da. 


2. Erſte Erfolge. 


(1803 1806.) 


„Wollen wir ſo fürs Leben miteinander muſiciren?“ 


Die erſte Probe ſeiner jetzigen Meiſterſchaft ſollte Spohr 
bald beſtehen. Der damals weltberühmte Rode beſuchte 
Braunſchweig. „Je öfter ich ihn hörte, deſto mehr wurde 
ich von ſeinem Spiele hingeriſſen,“ ſagt er ſelbſt. „Ja 
ich trug kein Bedenken, Rode's Spielweiſe, damals noch 
ganz der Abglanz der ſeines großen Meiſters Viotti, über 
die meines Lehrers Eck zu ſtellen und mich eifrigſt zu be⸗ 
fleißigen, ſie mir durch ſorgfältiges Einüben möglichſt an⸗ 
zueignen.“ Er wurde ſo unter allen damaligen jungen 
Geigern die getreueſte Copie von Rode, und ſein erſtes 
Auftreten war von ſo glänzendem Erfolge, daß dieſer 
Tag einer der glücklichſten ſeines Lebens blieb. 

Bald darauf ging es denn auch auf eine Kunſtreiſe, 
zu der der treffliche Herzog den Urlaub leicht gewährte. Der 
Anfang war nach Wunſch, das Ziel ſollte Paris ſein. 
Allein auf der erſten Station, wo Concert gegeben werden 
ſollte, fand ſich zu des Künſtlers höchſtem Schrecken der 
Koffer vom Wagen los geſchnitten und dieſer enthielt das 
Reiſegeld und was ſchlimmer war, die edle Guarneri⸗Geige. 
Mit gezogenem Hirſchfänger rannte Spohr wie raſend zum 


Biographie Spohrs. 17 


Thore hinaus. Vergebens! Der leere Koffer ward am 
Morgen gefunden, der Violinkaſten daneben, aber er ent⸗ 
hielt nur den — Bogen. Nun blieb nichts übrig als zu⸗ 
rückzukehren. Erſt im Herbſt 1804 ward dann eine zweite 
Reiſe unternommen, deren Ziel Leipzig war, das ſchon 
damals neben Wien einen muſikaliſchen Ruf zu bekommen 
begann. Allein eine kleine Begebenheit zeigt uns, daß 
wie wir Nachlebenden es dort mit R. Wagner erfuhren, 
Spohr es damals mit Beethoven erlebte. Er war zu 
einer großen Abendgeſellſchaft dieſer reichen Kaufleute ein⸗ 
geladen und wählte zum Vortrage eines der Quartette Op. 
18, mit dem er in Braunſchweig ſo oft entzückt hatte. 
Allein wenn ſchon ſeine Mitſpieler mit dieſer Muſik noch 
unbekannt und daher unfähig waren in den Geiſt derſelben 
einzudringen, ſo blieb die Geſellſchaft dieſen hehren Tönen, 
die einem Wagner noch in ſpäten Jahren Thränen des 
wonnigſten Wehs entlocken konnten, ſo taub, daß ſich ſogar 
eine allgemeine Unterhaltung entſpann, die das Quartett 
faſt übertönte. Spohr ſprang daher mitten im Spiele 
auf und eilte zu ſeinem Geigenkaſten. Dies erregte große 
Bewegung und er entgegnete dem betroffenen Hausherrn: 
„Ich war bisher gewohnt, daß man meinem Spiele mit 
Aufmerkſamkeit zuhörte; da dies hier nicht geſchah, ſo 
glaubte ich der Geſellſchaft gefällig zu ſein, indem ich auf⸗ 
hörte.“ Der Hausherr bat dann verlegen aber freundlich 
um etwas, was ihrem Geſchmacke und Faſſungsvermögen 
angemeſſener wäre, und Spohr fand dann mit einem 
Rodeſchen Quartett eine lautloſe Zuhörerſchaft, ja mit 
ſeinem Paradepferd, den Rodeſchen Variationen, volles 
Entzücken der ſämmtlichen Anweſenden. Und dies war 
eines derjenigen Quartette Beethovens geweſen, von denen 
ihr eigener Schöpfer ausrief, man merke ihnen an, daß 
ſie ein junger Mann von viel Empfindung geſchrieben 
habe, — allerdings in einer Epoche ſeines Schaffens, in 
der er die höchſten Wunder wirkte, die es in dieſem Style 
2 


18 Biographie Spohrs. 


giebt, ſeine Letzten Quartette! Gerade durch ſeinen 
verſtändnisvollen Vortrag aber wurden dann hier in 
Leipzig jene Quartette Op. 18 zu voller Anerkennung ge⸗ 
bracht und ſo auch Beethoven ſelbſt der Weg zu dem 
Beutel dieſer „reichen Handelsherren“ beſſer geebnet. Von 
Spohrs Spiel aber heißt es damals: „Seine Individua⸗ 
lität neigt ihn am meiſten zum Großen und in ſanfter 
Wehmuth Schwärmenden; Herr Spohr kann alles, aber 
durch jenes reißt er am meiſten hin. Die Seele, der Flug 
der Phantaſie, das Feuer, die Zartheit, die Junigkeit des 
Gefühles, der feine Geſchmack und nun ſeine Einſicht in 
den Geiſt der verſchiedenen Compoſitionen und ſeine Kunſt, 
jede in dieſem ihrem Geiſte darzuſtellen, dies macht ihn 
zum wahren Künſtler.“ Dieſer Bericht war von Mozarts 
Verehrer Rochlitz und ſtand in der Allgemeinen muſika⸗ 
liſchen Zeitung. Damit war alſo Spohrs Ruf in Deutſch⸗ 
land begründet und das Lebensgeſchick des kaum zwanzig⸗ 
jährigen Künſtlers entſchieden. 

Spohr ward aber auch jetzt ein förmlicher Apoſtel 
Beethovens, und wie nothwendig ſolch perſönliches Ver⸗ 
treten dieſer Werke ward, zeigt der ſogleich folgende Vor⸗ 
fall in Berlin. Es war beim Fürſten Radziwill, der die 
bekannte Muſik zum Fauſt geſchrieben hat und Beet⸗ 
hoven aufrichtig verehrte. Es waren unter anderen erſten 
Künſtlern der Stadt der berühmte Celliſt Bernhard Rom⸗ 
berg, der mit Beethoven gemeinſam in der Bonner Hof⸗ 
capelle geſtanden war, und Seidler anweſend. „Ich hatte 
Romberg noch nicht gehört und war entzückt von ſeinem 
Spiele,“ erzählt Spohr. „Nun ſelbſt zu einem Vortrage 
aufgefordert, glaubte ich ſolchen Künſtlern und Kennern 
nichts Würdigeres bieten zu können als eines meiner Lieb⸗ 
lingsquartette von Beethoven. Doch abermals mußte ich 
bemerken, daß ich einen Fehlgriff gethan hatte. Denn die 
Muſiker Berlius kannten dieſe Quartette ebenſowenig wie 
die Leipziger und wußten ſie daher auch weder zu ſpielen 


Biographie Spohrs. 19 


noch zu würdigen. Nachdem ich geendigt, lobten ſie zwar 
mein Spiel, ſprachen aber ſehr geringſchätzend von dem, 
was ich vorgetragen hatte. Ja Romberg fragte mich ge- 
radezu: Aber lieber Spohr, wie können Sie nur jo ba— 
rockes Zeug ſpielen?“ 

Hier in Berlin lernte er auch den ſo ſehr muſikaliſchen 
Prinzen Louis Ferdinand kennen, der allerdings Beet⸗ 
hoven beſſer verſtand und ſich kurz zuvor auf einem Be—⸗ 
ſuche bei deſſen Freunde Fürſt Lobkowitz in Böhmen ſogar 
die damals noch völlig mißverſtandene Eroica hatte drei— 
mal hintereinander vortragen laſſen. Spohr war 
aber durch ſeine Erfahrungen „gewitzigt“ und ſpielte nur 
Compoſitionen, in denen er als Geiger glänzen konnte. 
Von den Orgien aber, in die ſich des Prinzen Muſikpar⸗ 
tien aufzulöſen pflegten, war er um ſo weniger erbaut, 
als er dort von einer jungen italieniſchen Sängerin Roſa 
Alberghi begleitet war, deren Herz er ſich zugewendet hatte. 

Eine weitere Bekanntſchaft war der dreizehnjährige 
Meyer Beer. „Der talentvolle Knabe erregte ſchon da— 
mals durch ſeine Virtuoſität auf dem Pianoforte ſolches 
Aufſehen, daß ſeine Verwandten und Glaubensgenoſſen 
nur mit Stolz auf ihn blickten,“ berichtet Spohr. „Man 
erzählte ſich, daß einer von ihnen aus einer Vorleſung 
über Aſtronomie zurückkehrend den Seinen voll Freude zu⸗ 
rief: Denkt euch, man hat unſeren Beer ſchon unter die 
Sterne verſetzt! Der Profeſſor zeigte uns ein Sternbild, 
das ihm zu Ehren der „kleine Beer“ genannt wird.“ Er 
war ſo klug, den jungen Virtuoſen zur Mitwirkung in 
ſeinem Concerte einzuladen, was dem Beſuche deſſelben 
ſehr zuſtatten kam, denn es war das erſte öffentliche Auf- 
treten des Knaben und ſeine Glaubensgenoſſen wußten 
den Augenblick zu würdigen. 

Derweilen hatte ſich jene ſüdlich feurige italieniſche 
Sängerin immer inniger an ihn angeſchloſſen und ihm 
unverhohlen ihre Zuneigung gezeigt. Er mußte ſich aber 


2 * 


— 


20 Biographie Spohrs. 


bei näherer Bekanntſchaft ſagen, daß ſie zu ſeiner Lebens⸗ 
gefährtin ſich nicht eigne, und hatte daher jede Erklärung 
ſorgfältig vermieden. Denn ſo liebenswürdig und unver⸗ 
dorben ſie war, ſo fand er ihre Erziehung zu ſehr ver⸗ 
nachläſſigt, und was ihn beſonders abſtieß, war die natio⸗ 
nale Bigotterie, die ſogar den lutheriſchen Ketzer ſelbſt 
manchmal hatte bekehren wollen. Sie zerfloß beim Ab⸗ 
ſchied in Thränen und drückte ihm bei der letzten Um⸗ 
armung ein Andenken von ihrem ſchönen ſchwarzen Haare 
in die Hand. Ja im nächſten Frühjahr meldete ſie ihre 
Ankunft in Braunſchweig und war auf echt italieniſche Art 
in ihrer herzlichen Wiederſehensfreude ſo unbefangen, daß 
ſie die Erwiderung ihrer Gefühle für zweifellos hielt und 
auf der Rückreiſe ſich ſogar bei ſeinen Eltern einführte, 
die ſie denn auch ebenſo unbefangen als ſeine Verlobte 
umarmten. Spohr war nicht wenig erſchrocken und der 
Vater wollte einem „ſo herrlichen Mädchen“ gegenüber 
ſeine Gründe nicht gelten laſſen. Wir werden aber 
Spohrs Gefühl als wohlberechtigt erkennen. Denn ein 
verehrtes Mädchen iſt noch lange nicht auch Gefährtin 
fürs Leben. 

Im Sommer 1805 wurde Spohr zum Coneertmeiſter 
in Gotha erwählt. Sein Alter mußte dabei der Capelle 
gegenüber um vier bis fünf Jahre erhöht werden. Sein 
Herzog bewies ſich auch in dieſem Falle als der gleiche 
gütige Herr, der nur das Wohl der Seinen im Auge 
hatte. „Mein lieber Spohr!“ entgegnete er auf das Ent⸗ 
laſſungsſchreiben. „Ich habe mit vieler Theilnahme den 
Beifall vernommen, welchen Ihr Spiel in Gotha gefun⸗ 
den hat. Das vortheilhafte Anerbieten iſt von der Art, 
daß es ganz Ihren Talenten entſpricht, und da ich jeder⸗ 
zeit vielen Antheil an Ihrem Glück und Wohlergehen ge⸗ 
nommen habe, ſo kann ich nicht anders als Ihnen Glück 
zu der Stelle wünſchen, worin Sie unſtreitig mehr Ge⸗ 
legenheit finden werden Ihre Talente auszuüben.“ Er 


Biographie Spohrs. 21 


enthielt ſich dabei zum erſtenmale des „wohlwollenden 
väterlichen Du“ gegen ſeinen Schützling und ſagte beim 
Abſchied zu dem tiefgerührten jungen Manne: „Sollte es 
Ihnen, lieber Spohr, in Ihrer neuen Stellung nicht ge⸗ 
fallen, ſo können Sie jeden Augenblick in meine Dienſte 
zurückkehren.“ Ein Jahr ſpäter und er erlag bei Jena 
den anſtürmenden Franzoſenmaſſen als einer der Führer 
der gleichen Preußen, mit denen er gegen dieſe zuerſt ſei⸗ 
nen Feldherrnruf erworben hatte. 

Das gleiche Schickſal traf bekanntlich den Prinzen 
Louis Ferdinand, von dem uns Spohr auch noch eine 
kleine Erinnerung bietet. Es war Manöver bei Magde— 
burg und Spohr war zu den Muſikpartien geladen. Es 
wogte ein ſonderbar wild bewegtes Leben um den Prinzen. 
Oft ſchon um ſechs Uhr wurde er mit deſſen Muſikmeiſter 
Duſſek aus dem Bette gejagt und im Schlafrock zu dem 
Prinzen beſchieden, der bei der großen Sommerhitze ſogar 
in noch leichterem Coſtüme am Clavier ſaß. Nun begann 
das Probiren für die Abendmuſiken und dauerte oft ſo 
lange, bis der Saal ſich mit beſternten Offizieren gefüllt 
hatte. Dieſer ſonderbare Contraſt genirte den Prinzen 
durchaus nicht. Es mußte erſt alles gut gehen und dann 
ging's nach einem raſchen Frühſtück an das andere Erer- 
ciren. Von Honorirung war freilich diesmal nicht die 
Rede, es war wieder einmal Ebbe in der prinzlichen Kaſſe 
und ſein baldiger Tod machte das Wiedereinholen des 
Verſäumten unmöglich. 

In Gotha ſtanden tüchtige Künſtler zu ſeiner Ver⸗ 
fügung und des Herzog Auguſts Muſikliebe iſt ja aus 
Webers Leben bekannt. Außer dieſer künſtleriſchen Be⸗ 
friedigung ward Spohr aber auch hier bald die ſeines 
Herzens zutheil. Die Hofſängerin Frau Scheidler hatte 
eine achtzehnjährige Tochter Dorette, deren Virtuoſität 
auf der Harfe ihm ſchon gerühmt worden war. „Ich er- 
kannte in dieſer reizenden Blondine das Mädchen wieder, 


22 Biographie Spohrs. 


welches ich bei meinem erften Aufenthalte in Gotha be⸗ 
reits geſehen und deren freundliche Geſtalt mir ſeitdem 
oft vorgeſchwebt hatte,“ erzählte er. „Sie ſaß nämlich 
bei dem Concerte, welches ich damals gab, in der erſten 
Zuhörerreihe neben einer Freundin, die bei meinem Auf⸗ 
treten, über eine ſo lange und ſchlanke Geſtalt erſtaunt, 
wohl lauter als fie es wollte, ausrief: ‚Sieh doch, Dorette, 
welch eine Hopfenſtange!“ Da ich dies gehört hatte, warf 
ich einen Blick auf die Mädchen und ſah Dorette verlegen 
erröthen. Mit einem ſolchen holden Erröthen ſtand ſie 
jetzt abermals vor mir, wahrſcheinlich ſich jenes Vorfalls 
erinnernd. Um dieſer für mich peinlichen Lage ein Ende 
zu machen, bat ich ſie mir etwas vorzuſpielen. Ohne 
Ziererei erfüllte fie meinen Wunſch.“ Sie ſpielte vortreff⸗ 
lich, ſodaß Spohr, der das Inſtrument einmal ſelbſt ge⸗ 
übt hatte, ausruft: „Ich war ſo ergriffen, daß ich kaum 
die Thränen zurückhalten konnte. Mit einer ſtummen 
Verbeugung ſchied ich, — mein Herz aber blieb zurück.“ 
Der Verkehr im Hauſe ward dann bald um ſo inniger, 
als zugleich die holdeſte Muſe die beiden unſchuldsvollen 
Herzen verband. „Das waren glückliche Stunden!“ ruft 
er aus, als er für ſie und ſich eine concertirende Sonate 
geſchrieben und ihr aufs ſorgfältigſte eingeübt hatte. Bald 
darauf muß er fie im Wagen zu einem Hofconcerte ab⸗ 
holen. „So zum erſtenmal allein mit dem geliebten Mäd⸗ 
chen drängte es mich ihr meine Gefühle zu geſtehen,“ er⸗ 
zählt er, „doch fehlte mir der Muth und der Wagen hielt, 
bevor ich nur eine Silbe hatte über die Lippen bringen 
können. Als ich ihr beim Ausſteigen die Hand reichte, 
fühlte ich an dem Beben der ihrigen, wie bewegt auch ſie 
war. Dies gab mir neuen Muth und faſt wäre ich noch 
auf der Treppe mit meinem Geſtändniſſe herausgeplatzt, 
hätte ſich nicht ſoeben die Thüre zum Geſellſchaftszimmer 
geöffnet.“ Ebenſo nahe aber ſtand die Eröffnung dieſer 
Herzen. „Wir ſpielten an dieſem Abende mit einer Be⸗ 


Biographie Spohrs. 23 


geifterung und einem Einklange des Gefühles, die nicht 
nur uns ſelbſt ganz hinriß, ſondern auch die Geſellſchaft 
ſo elektriſirte, daß ſie unwillkürlich aufſprangen, uns um⸗ 
ringten und mit Lobſprüchen überhäuften,“ heißt es wei⸗ 
ter. „Die Herzogin flüſterte dabei Doretten einige Worte 
ins Ohr, welche ſie erröthen machten. Ich deutete auch 
dies zu meinen Gunſten und jo gewann ich auf der Rück- 
fahrt den Muth zu fragen: ‚Wollen wir jo fürs Leben 
miteinander muſiciren?“ Mit hervorbrechenden Thränen 
ſank ſie mir in die Arme: das Band für das Leben war 
geſchloſſen! Ich führte ſie zur Mutter hinauf, die ſegnend 
unſere Hände ineinander legte.“ 

Sein erſter Brief war an die Eltern gerichtet, der 
zweite an die ſchwarzäugige Roſa. Dieſer aber blieb un— 
beantwortet und Spohr hörte ſpäter in Dresden, daß ſie 
nach Italien zurückgekehrt und von ihrer Frömmigkeit ge⸗ 
trieben in ein Kloſter gegangen ſei. „Ich konute nie ohne 
tiefe Wehmuth an das liebe Mädchen denken,“ ſchließt er: 
ſein Herz hatte ihn aber auch hier nicht getäuſcht. 

Nach wenig Wochen fand die Trauung ſtatt, der Tauf— 
ſchein erwies zum Erſtaunen der Betheiligten, daß der 
Herr Bräutigam in Gotha anſtatt älter um einige Jahre 
jünger geworden war. Die Trauung fand der dabei in- 
tereſſirten gütigen Frau Herzogin wegen in der Schloß— 
kapelle ſtatt. Bei dem heiteren Hochzeitsfeſte fehlte auch 
die Geſpielin nicht, die den Bräutigam mit einer Hopfen⸗ 
ſtange verglichen hatte, fie mußte ſich für ſolchen unge- 
bührlichen Vergleich manche Neckerei gefallen laſſen. Wie 
beglückend aber dieſe ſeine Ehe auf unſeren Künſtler wirkte, 
werden wir ſehen: jetzt war ſein Inneres in jeder Weiſe 
beſeligt erfüllt und dies hat einen Strahl höheren Lichtes 
über ſein ferneres Daſein als Künſtler wie als Menſch 
geworfen. 


24 Biographie Spohrs. 


3. Allerlei Erlebungen. 
(1806—1812.) 


„Unter Muſik verlebte das glückliche Paar auch die 
Flitterwochen,“ erzählt Spohr. Er hatte jetzt nichts Ei⸗ 
ligeres zu thun als auch die Natur des Inſtrumentes zu 
erforſchen, das ſeine geliebte Frau ſo zart und kräftig zu⸗ 
gleich ſpielte, und brachte es dabei auf ganz neue Wir⸗ 
kungskräfte deſſelben. Ja um auch in der Kunſt möglichſt 
gemeinſam mit ſeiner Dorette zu wirken, ſchuf er eigens 
concertirende Compoſitionen für Violine und Harfe und 
kam dabei, um beide Inſtrumene thunlichſt ihrer Natur 
nach erklingen zu laſſen, auf den Gedanken, die Harfe, 
die am ſchönſten in den B-Tönen klingt, einen halben 
Ton tiefer als die Violine zu ſtimmen, die am hellſten in 
den Kreuztönen tönt. Dann wurde eine Nadermannſche 
Pedalharfe gekauft und ein beſonderer Wagen ausge⸗ 
dacht, der alles miteinander, Mann und Frau, Harfe 
und Violine, bequem bergen konnte: denn die Hauptſache 
war jetzt auf Reiſen Ruhm und Geld zu gewinnen. Da 
find denn mancherlei Einzelnheiten zu berichten, die aller⸗ 
dings oft mehr die Culturgeſchichte als die Kunſt an⸗ 
gehen, aber doch, da ja die letztere in ihrer Geltung 
und Beachtung nur zu ſehr von dem Stande der all⸗ 
gemeinen Cultur abhängt, auch hier von einiger Bedeu⸗ 
tung erſcheinen. 

Nach der Geburt eines Töchterchens ging es alſo im 
nächſten Jahre 1807 auf die Wanderſchaft. „In Weimar 
ſpielten wir mit großem Beifalle bei Hofe“ erzählt er. 
„Unter den Zuhörern befanden ſich auch Goethe und Wie- 
land. Letzterer ſchien von den Vorträgen ganz hingeriſſen 
zu ſein und äußerte dies in ſeiner lebhaft freundlichen 
Weiſe. Auch Goethe richtete mit vornehm kalter Miene 


Biographie Spohrs. 25 


einige lobende Worte an uns.“ Leipzig gab ihm diesmal 
„im Ton und Ausdruck, in Sicherheit und Fertigkeit“ das 
Zeugnis einer der erſten der lebenden Violiniſten. Dres⸗ 
den und Prag waren gleicherweiſe über das ſeltene Künſt⸗ 
lerpaar entzückt. Von München vernehmen wir etwas über 
den ſo herzensgütigen erſten König von Bayern, den Ur⸗ 
großvater des in der Geſchichte unſerer geiſtigen Entwicklung 
unübertroffen daſtehenden Monarchen, der uns „Bayreuth“ 
geſchenkt. „Als wir vortraten, fehlte es an einem Stuhle 
für Dorette,“ erzählt Spohr. „Der König Max, der neben 
feiner Gemahlin in der erſten Reihe der Zuhörer ſaß, be⸗ 
merkte es und brachte ſogleich ſeinen eigenen vergoldeten 
und mit der Königskrone geſchmückten Lehnſeſſel, bevor 
noch ein Diener das Fehlende herbeiſchaffen konnte. In 
ſeiner freundlich⸗gutmüthigen Weiſe beſtand er darauf, daß 
Dorette ſich deſſen bedienen ſolle, und erſt dann, als 
ich ihm bemerklich machte, daß die Armlehnen beim Spie⸗ 
len hinderlich ſein würden, geſtattete er, daß ſie den vom 
Bedienten herbeigebrachten Stuhl annahm. Nach been⸗ 
detem Spiele ſtellte er ſelbſt uns der Königin und ihrer 
Umgebung vor, die ſich auf das zuvorkommendſte mit uns 
unterhielt.“ Wir werden ſogleich die Kehrſeite ſolchen 
deutſchen Fürſtenweſens von damals kennen lernen. 
Etwas Charakteriſtiſches hören wir von Peter Winter, 
dem in Mozarts Briefen nicht eben das ſchönſte Denkmal 
ſteht. Spohr war oft bei dem Componiſten des „Opfer- 
feſtes“, der ihn in feiner aufrichtig derben Weiſe feines Bei⸗ 
falles verſicherte, und ergötzte ſich an deſſen originellem We⸗ 
ſen, das die ſonderbarſten Widerſprüche in ſich vereinigte. 
Winter, gleich Spohr von koloſſalem Körperbau und be⸗ 
gabt mit rieſiger Kraft, war dabei furchtſam wie ein Haſe. 
Die jüngeren Mitglieder der Hofcapelle neckten ihn denn 
unaufhörlich und hatten namentlich wegen ſeiner Furcht vor 
Geiſtern ihm einmal eine höchſt komiſche Spukgeſchichte 
angethan. Er beſuchte im Sommer öfters einen öffeut— 


26 Biographie Spohrs. 


lichen Garten vor der Stadt, kehrte aber, da er ſich im 
Dunkeln fürchtete, ſtets vor anbrechender Nacht zurück. 
Eines Tages nun hatten ihn die muthwilligen jungen 
Leute durch allerlei Künſte länger als gewöhnlich aufge⸗ 
halten, es war ſchon dämmerig, als er den Rückweg au- 
trat. Da die übrigen Gäſte in guter Ruhe ſitzen blieben, 
ſo fand er ſeinen Weg, der zwiſchen düſtern Hecken hin⸗ 
lief, ſchauerlich einſam. Es überfiel ihn daher eine fürch⸗ 
terliche Angſt und unwillkürlich fing er an zu traben. 
Kaum war dies geſchehen, ſo fühlte er eine ſchwere Laſt auf 
ſeinem Rücken und glaubte nun nicht anders, als es ſei 
ein Kobold auf ihn herabgeſprungen. Da er noch Mehrere 
hinter ſich her traben hörte, ſo ſchien ihm, als ſei die ganze 
Hölle auf ſeinen Ferſen, und er rannte nur noch ſtärker. 
Schweißtriefend keuchend kam er endlich am Thore an. 
Da ſprang der Kobold von ſeinem Rücken und ſprach mit 
wohlbekannter Stimme: „Ich danke Ihnen, Herr Capell⸗ 
meiſter, daß Sie mich getragen haben, denn ich war ſehr 
müde.“ Ein Kichern der Andern folgte dieſer Rede, wäh⸗ 
rend der Gefoppte in ſeinen gewohnten unbändigen Zorn 
ausbrach. Eine andere Neigung theilte Winter mit dem 
großen Contrabaſſiſten Dragonetti, für den Beethoven die 
mächtigen Recitative der Neunten Symphonie gewagt hat. 
Wie dieſer leidenſchaftlich mit Puppen, ſo ſpielte Winter 
ſtundenlang mit den Figuren des weihnachtlichen Krippen⸗ 
ſpiels. „Müſſen Sie denn ewig ſpielen? Setzen Sie ſich 
ſogleich ans Clavier und machen Sie Ihre Arie fertig!“ 
rief dann wohl ſeine Haushälterin zu. 

In Stuttgart lernen wir einen ſolchen gekrönten Her⸗ 
kules kennen, der ja auch in Webers Leben eine Rolle 
ſpielt, den unmäßig dicken König Karl. „Meine Auf⸗ 
merkſamkeit wurde beſonders auf den Spieltiſch des Königs 
gelenkt, an welchem, um es der Majeſtät bei ihrer Cor⸗ 
pulenz bequemer zu machen, ein halbrunder Ausſchnitt an⸗ 
gebracht war, in welchen der Bauch des Königs genau 


Biographie Spohrs. 27 


hineinpaßte,“ erzählt Spohr. „Der große Umfang des— 
ſelben und der kleine des Königreiches haben bekanntlich 
Veranlaſſung zu der hübſchen Carricatur gegeben, auf 
welcher der König im Krönungsornate, die Landkarte ſeines 
Reiches auf dem Hoſenblatte, in die Worte ausbricht: Ich 
kann meine Staaten nicht überblicken.“ Derſelbe Poten⸗ 
tat, von Napoleon I. le grand cochon genannt, hatte 
übrigens einen Charakter, der ſeiner gemüthlichen Erſchei⸗ 
nung durchaus nicht entſprach. „Würtemberg ſeufzte da⸗ 
mals unter einer Deſpotie, wie fie das übrige Deutſch⸗ 
land wohl nie gekannt hat,“ ſchreibt Spohr. „So mußte, 
um einiges anzuführen, jeder, der den Schloßhof betrat, 
den Weg vom Thore bis zum Portale, es mochte regnen 
oder ſchneien, mit entblößtem Haupt zurücklegen, weil 
Se. Majeſtät nach dieſer Seite hin wohnte. Ferner war 
jeder Civiliſt auf Allerhöchſten Befehl gehalten, vor den 
Schildwachen den Hut abzuziehen, ohne daß dieſe ihm die 
Honneurs zu machen brauchten. Im Theater war es durch 
Anſchlag ſtrenge verboten Beifall zu klatſchen, bevor nicht 
der König damit begonnen hatte. Die Majeſtät ſteckte 
aber ihre Hände wegen der ſtrengen Winterkälte in einen 
großen Muff und brachte ſie nur heraus, wenn Höchſtdie⸗ 
ſelben das Bedürfnis fühlten eine Priſe zu nehmen. War 
dies geſchehen, dann wurde unbekümmert um das, was 
gerade auf dem Theater geſchah, auch geklatſcht. Der 
Kammerherr, welcher hinter dem Könige ſtand, fiel ſogleich 
ein und gab dadurch dem loyalen Volke das Zeichen, nun 
auch ſeinerſeits Beifall zu ſpenden. So wurden denn faſt 
immer die intereſſanteſten Scenen und beſten Stücke der 
Oper durch einen heilloſen Lärm geſtört und unterbrochen.“ 

Bei ſolcher Tyrannei der königlichen Launen war es 
den Stuttgartern daher ein großes Erſtaunen, als ſie 
hörten, was nach ſeiner königlich freien deutſchen Art 
Spohr bei ſeinem Auftreten im Hofconcerte ſich ausbe— 
dungen und bewilligt erhalten hatte. Gleich der Herzogin 


28 Biographie Spohrs. 


von Braunſchweig ließ König Karl nur während des 
Spieles Concert ſein. Spohr nahm ſich die Freiheit, für 
ſich und ſeine Frau zu erbitten, während ihres Spie⸗ 
les das Kartenſchlagen aufzuheben. „Wie? Sie wollen 
meinem gnädigſten Herren Vorſchriften machen? Nie 
werde ich es wagen, Ihm dies vorzutragen!“ rief einen 
ganzen Schritt zurücktretend der erſchrockene Hofmarſchall. 
„Dann muß ich auf die Ehre verzichten bei Hofe gehört 
zu werden,“ entgegnete einfach der Künſtler. Wie es nun 
angefangen ward, dem hohen Herren, deſſen Heftigkeit auch 
C. M. von Weber zu erfahren hatte, ſolch Unerhörtes vor⸗ 
zutragen, vernehmen wir nicht. Nur hörte Spohr, Se. 
Majeſtät werde die hohe Gnade haben, nur müßten die 
Muſikſtücke der Beiden einander ſogleich folgen, damit Se. 
Wohlbeleibtheit nicht öfter incommodirt würde. 

So geſchah es denn auch. Während der Ouverture 
und der Arie liefen die Bedienten geräuſchvoll hin und 
her, um Erfriſchungen anzubieten und die Kartenſpieler 
riefen ihr „Ich ſpiele! Ich paſſe!“ ſo laut, daß von der 
Muſik und dem Geſange nichts Zuſammenhängendes zu 
hören war. Dann kam der Hofmarſchall, um Spohr anzu⸗ 
kündigen, daß er ſich bereit halten ſolle. Zugleich benach⸗ 
richtigte er den König. Alsbald erhob ſich dieſer und mit 
ihm alle Uebrigen. Die Bedienten ſtellten zwei Stuhl⸗ 
reihen auf, der Hof ließ ſich nieder. „Unſerem Spiele 
wurde in großer Stille und mit Theilnahme zugehört,“ 
heißt es weiter. „Doch wagte niemand ein Zeichen des 
Beifalles laut werden zu laſſen, da der König damit nicht 
voranging. Seine eigene Theilnahme an den Vorträgen 
zeigte ſich nur am Schluſſe derſelben durch ein gnädiges 
Kopfnicken, und kaum waren ſie vorüber, ſo eilte alles 
wieder zu den Spieltiſchen und der frühere Lärm begann 
von neuem.“ So wie dann der König das Spiel beendet 
hatte und den Stuhl rückte, wurde das Concert mitten in 
einer Arie abgebrochen, ſodaß der Sängerin die letzten 


Biographie Spohrs. 29 


Töne förmlich im Halſe ſtecken blieben. Die Muſiker, an 
ſolchen Vandalismus gewöhnt, packten ruhig ihre Inſtru⸗ 
mente in die Kaſten. „Ich war im Innerſten empört über 
eine ſolche Entwürdigung der Kunſt,“ endigt Spohr, und 
wir wiſſen, daß im Jahre 1814 in Wien Beethoven und 
im Jahre 1876 in Bayreuth Wagner Kaiſer und Könige 
zu Gäſten hatten. Spohr aber war ihnen ein würdiger 
Vorgänger geweſen. 

„In Stuttgart lernte ich auch zuerſt den ſo berühmt 
gewordenen Carl Maria von Weber kennen, mit dem 
ich dann bis zu ſeinem Tode ſtets in freundſchaftlicher 
Verbindung blieb,“ erzählt Spohr weiter. „Ich erinnere 
mich noch ſehr gut damals einige Nummern aus der Oper 
‚Der Beherrſcher der Geiſter“ bei ihm gehört zu haben. 
Dieſe kamen mir aber, da ich gewohnt war, bei drama—⸗ 
tiſchen Arbeiten ſtets Mozart als Maßſtab anzulegen, ſo 
unbedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im 
entfernteſten ahnte, es werde Weber einſt gelingen können, 
mit irgend einer Oper Aufſehen zu erregen,“ — ein neuer 
Beweis, wie ſchwer es iſt, eines Menſchen beſondere Be⸗ 
gabung zu erkennen. 

Die Rückkehr nach Gotha brachte die beiden Künſtler 
wieder in gewohnte Verhältniſſe. Dorette hatte von Hei⸗ 
delberg das Zeugnis bekommen, ſie ſpiele „mit einer Zart⸗ 
heit, Leichtigkeit und Anmuth, mit einer Sicherheit und 
Stärke, mit einem Ausdruck, der hinreißend ſei,“ und ſo 
war es nur natürlich, daß ſobald wie thunlichſt wieder 
Concertreiſen ſtattfanden. Dieſe und das Dirigiren von 
Muſikfeſten erweiterten Spohrs Ruf immer mehr. Das 
zwiſchen aber unterbrach er auch ſeine Compoſitionsthätig⸗ 
keit nicht. Ein paar Opern und das „jüngſte Gericht“ 
entſtanden in dieſer Zeit bis zum Jahre 1812. Die erſten 
hatten wohl den Beifall der Zuhörer, aber behielten ihn 
ſowenig wie das Oratorium bei dem Componiſten ſelbſt, 
und dies, obwohl er dazu vorerſt die nöthigen Vor⸗ 


30 Biographie Spohrs. 


ſtudien in Marpurgs „Kunſt der Fuge“ gemacht hatte. 
Doch für einige Chöre und Fugen des Werkes ſowie für 
die Partie des Satanas behielt er eine ſolche Vorliebe, daß 
er ſie faſt für das Großartigſte erklärte, was er je zu 
Stande gebracht. In den Chören des „Fauſt“ und in der 
Geſtalt des Mephiſtopheles ſollte beides mehr für die 
Dauer wiedererſcheinen. 

Endlich im Herbſt 1812 führte ihn ein wohlbegreif⸗ 
liches Sehnen auch nach Wien. Er fühlte ſein Herz 
klopfen, als er über die Donaubrücke fuhr. Denn zu 
gleicher Zeit war der „größte Geiger der Zeit“, Rode 
aus Rußland zurückgekehrt und concertirte in Wien. Die 
Aufnahme entſprach aber auch hier ſeinem edlen Können, 
ja ward entſcheidend für ſein ferneres Daſein. „Spohr 
iſt unſtreitig im Angenehmen und Zarten die Nachtigall 
unter allen jetzt lebenden Violinſpielern,“ ſagte die Muſik⸗ 
zeitung. Dagegen vermißte man bei Rode das „was alle 
Herzen elektriſirt, den Zauber der alles entzückt und be⸗ 
geiſtert.“ Er ſelbſt fand Rode, den auch Beethoven da⸗ 
mals kennen lernte und beim Zuſammenſpiel als „wenig 
muſikaliſch“ erkannte, „ſehr zurückgegangen“ und ſpielte 
ihm eines Tages, ſowie einſt Liſzt es mit Chopin gethan, 
eine ſeiner eigenen Compoſitionen genau in der Weiſe 
vor, wie er ſie zehn Jahre zuvor ſo oft von ihm gehört 
hatte, die aber jetzt zu einer Manier verſchliſſen war, die 
nahe an Carricatur grenzte. „Nach beendetem Spiele 
brach die Geſellſchaft in großen Jubel aus und ſo mußte 
mir denn auch Rode Schicklichkeitshalber ein Bravo zu⸗ 
rufen,“ erzählt er. „Doch ſah man deutlich, daß er ſich 
durch meine Indelikateſſe verletzt fühlte. Und dies mit 
vollem Recht. Ich ſchämte mich bald derſelben und er⸗ 
wähne des Vorfalles nur, um zu zeigen, wie ſehr ich mich 
damals als Geiger fühlte.“ 

In dem Augenblicke nun, als er „in hohem Grade mit 
Wien zufrieden“ weiter reiſen wollte, trug ihm Graf Palffy, 


Biographie Spohrs. 31 


aus Beethovens Leben bekannt genug, die Stelle als Ca⸗ 
pellmeiſter ſeines Theaters an der Wien auf drei Jahre 
an. Da nun nicht bloß fein Gehalt dadurch ſich ver— 
doppelte, ſondern auch die beſten Kräfte an das Theater 
gezogen waren und Spohr ſelbſt das Orcheſter herſtellen 
ſollte, ſo ſchlug er ein und ſah ſich bald an der Spitze 
einer der erſten Capellen Deutſchlands, deren Mitglied 
eben damals auch ſein Schüler Moritz Hauptmann ward. 
Die Trennung von Gotha war ſchwer, beſonders die Frau 
Herzogin wollte es nicht begreifen, daß das ſo aufrichtig 
geliebte Künſtlerpaar ſie dauernd verließ. Doch das ſichere 
Gefühl in größeren Verhältniſſen auch ſelbſt zu wachſen, 
ließ ihn alle Schwierigkeiten überwinden, und man darf 
ruhig ſagen, ohne Wien wäre wohl Spohr, der große 
Geiger, aber nicht der Spohr erſtanden, der auch außerhalb 
der Grenzen ſeines Inſtrumentes etwas gilt. Zudem ward 
jene Zeit von 1812— 15 auch in der Muſik noch einmal 
Wiens große Zeit: die Kriege und der Wiener Congreß 
gaben Anlaß zu ſehr hervorragenden öffentlichen Kundge— 
bungen auch in der Muſik und dieſe fanden zu ihrer wür⸗ 
digen Erfüllung den richtigen Mann, — Beethoven. 


4. In Wien. 


(1813—1815.) 


Die Berufung nach Wien wäre für unſeren Künſt⸗ 
ler nahezu eine vergebliche geweſen. Beim Mittags⸗ 
tiſch auf der Rückreiſe nach Gotha geſchah ihm der Unfall, 
daß er beim Abſchneiden des Schwarzbrodes auf einen 
Stein gerieth: das ſcharfe Meſſer ſprang ab, fuhr in die 
Kuppe ſeines linken Zeigefingers und ſchnitt ein bedeuten⸗ 
des Stück Fleiſch ab, das auf dem Teller vor ihm nieder⸗ 
fiel. „Dieſer Anblick oder vielmehr der Gedanke, daß es 


32 Biographie Spohrs. 


nun mit meinem Violinſpiele zu Ende ſei und ich nicht 
mehr im Stande ſein werde, mich und die Meinigen zu 
ernähren, erſchreckte mich ſo, daß ich bewußtlos vom Stuhle 
niederſank,“ erzählt der Mann von dem „herkuliſchen Kör⸗ 
perbau“. Als er nach etwa zehn Minuten die Beſinnung 
wiedergewann, ſah er die ganze Geſellſchaft in Aufruhr 
und um ihm beſchäftigt. Sein erſter Blick fiel auf den 
Finger, den er mit einem großen Stück engliſchen Pflaſters 
umwickelt fand. Es hatte ſich feſt in die Vertiefung hinein⸗ 
gelegt. Denn wenn auch nicht die ganze Kuppe, ſo war 
doch faſt die Hälfte derſelben mit einem großen Stück 
Nagel fort. Der Arzt ließ zum Glück alles unberührt 
und ſo war bei der Rückkunft nach Wien die Wunde faſt 
geheilt. „Zu meinem Erſtaunen und noch viel mehr zu 
dem der Wundärzte,“ erzählt er jedoch, „war unter dem 
engliſchen Pflaſter neues Fleiſch gewachſen und hatte ſich 
bis zu dem früheren Umfange ausgedehnt. Auch das 
fehlende Stück Nagel war nachgewachſen, jedoch nur noth⸗ 
dürftig mit dem übrigen Nagel verbunden, ſodaß eine Ver⸗ 
tiefung zurückblieb.“ Jedoch konnte er mit Hilfe eines 
Lederüberzuges den Finger wieder gebrauchen und war ſo 
auch der eigentlichen Lebensſorge bald baar. 

Er führte nun ein ſehr thätiges, im Genuſſe des Fa⸗ 
milienglückes auch höchſt zufriedenes Leben und der Um⸗ 
gang mit Wiens Künſtlern, überhaupt die ganze gerade in 
ſeiner Geiſtesſphäre höchſt angeregte Kaiſerſtadt ſchwellte 
ihm die Segel ſo, daß er wohl kaum je wieder in ſolcher 
frohen und ergiebigen Schaffenslaune ſich befunden hat. 
„Der frühe Morgen fand mich ſchon am Clavier oder am 
Schreibtiſche,“ erzählt er, „und auch jede andere Zeit, die 
mir der Orcheſterdienſt und mein Unterrichtgeben frei ließen, 
wurde der Compoſition gewidmet. Ja mein Kopf gährte 
und arbeitete ſo unaufhörlich, daß ich ſelbſt auf dem Weg 
zu meinen Schülern, ſowie auf Spaziergängen fortwährend 
componirte und dadurch bald die Fähigkeit gewann, lange 


Biographie Spohrs. 33 


Perioden, ja ganze Muſikſtücke im Kopfe völlig auszu⸗ 
arbeiten, die dann ohne weitere Nachhilfe niedergeſchrieben 
werden konnten. Sobald dies geſchehen, waren ſie in 

meinem Gedächtniſſe wie ausgelöſcht und ich hatte wieder 
Raum für neue Combinationen. Dorette ſchmälte oft 
auf unſeren Spaziergängen über dieſes unaufhörliche Den⸗ 
ken und war froh, wenn das Geplauder der Kinder mich 
davon abzuziehen vermochte. War dies einmal geſchehen, 
ſo gab ich mich gern den äußeren Eindrücken hin; nur 
durfte man mich nicht in mein Grübeln zurückfallen laſſen, 
was Dorette auch ſtets mit großer Gewandtheit zu ver- 
hüten wußte.“ 

Sie vergnügten ſich mit ihren Kindern an all dem 
lebendigen Leben in und um Wien, am Prater, in Schöun⸗ 
brunn, bei der „Spinnerin am Kreuz“, in Laxenburg, Ba⸗ 
den und der Brühl und er bekennt nur das ganze innige 
Gemüthsleben ſeiner deutſchen Natur, wenn er noch in 
dieſen ſpäten Jahren der Aufzeichnung ſagt: „Ich und 
meine Frau, im Gemüthe ſelbſt noch halbe Kinder, nahmen 
an der Freude unſerer Lieblinge bei dieſen Carouſſels, 
Puppen⸗ und Hundecomödien und anderen Herrlichkeiten 
den innigſten Antheil. Es war eine ſchöne, frohe und 
ſorgenloſe Zeit.“ 

Sie zeugte denn auch Spohrs umfangreichſtes drama— 
tiſches Werk, den „Fauſt“. Doch ſtammtdie heutige Form 
der Partitur aus dem Jahre 1852. 

Schon vor der Reiſe nach Gotha hatte er einen Opern⸗ 
ſtoff im Auge, den der damals ſo gefeierte Theodor 
Körner ihm bearbeiten ſollte, der auch mit Beethoven 
wegen eines Operntextes verkehrte. Doch der Tod riß den 
liebenswürdigen Jüngling bald hinweg. Seine Freunde 
hatten ihm den Entſchluß für die Befreiung feines Bater- 
landes zu kämpfen auszureden getrachtet. Doch nicht allein 
dieſe Begeiſterung war es, was ihn forttrieb, ſondern zu- 
gleich eine unerwiderte Neigung zu der ſchönen Toni Adam⸗ 

3 


34 Biographie Spohrs. 


berger, für die kurz zuvor Beethoven Clärchens Lieder im 
Egmont geſchrieben hatte. Da trat denn ein anderer 
Freund Beethovens, der Dichter Carl Bernard ein, der 
das Volksbuch des Fauſt zu einem buntgemiſchten Opern⸗ 
text bearbeitet hatte. Spohr erzählt darüber: 

„Aus dem Verzeichnis meiner Compoſitionen erſehe 
ich, daß ich dieſe Oper in weniger als vier Monaten, von 
Ende Mai bis Mitte Septembers, geſchrieben habe. Noch 
jetzt iſt mir erinnerlich, mit welcher Begeiſterung und Aus⸗ 
dauer ich daran arbeitete. Hatte ich einige Nummern 
vollendet, ſo eilte ich damit zu Meyerbeer, der ſich da⸗ 
mals in Wien aufhielt, und bat ihn, ſie mir aus der 
Partitur vorzuſpielen, worin dieſer ſehr excellirte. Ich 
übernahm dann die Singſtimme und trug ſie in ihren 
verſchiedenen Charakteren mit großer Begeiſterung vor. 
Reichte meine Kehlfertigkeit nicht aus, ſo half ich mir mit 
Pfeifen, worin ich ſehr geübt war. Meyerbeer nahm großes 
Intereſſe an dieſer Arbeit, welches ſich bis in die neueſte 
Zeit erhalten zu haben ſcheint, da er ſie während ſeiner Lei⸗ 
tung der Berliner Oper von neuem in Scene ſetzte und 
mit großer Sorgfalt ſelbſt einübte.“ 

Meyerbeer wußte wohl, was er mit der Einſtudirung 
des „Fauſt“ that. Hielt er ſo den damaligen Berliner oder 
eigentlich deutſchen Geſchmack auf ſeiner Bahn, ſo hemmte 
er den Strom des Neuen, der mit Richard Wagner ihm 
ſelbſt wie allen „deutſchen Kapellmeiſtern“ mit vernichten⸗ 
dem Vergeſſen drohte. Denn Spohrs „Fauſt“ iſt, man ge⸗ 
denke nur ſeines eigenen Wortes „Nummern“, eben eine 
Oper alten Schlages, gute „deutſche Kapellmeiſtermuſik“, 
wie Wagners Ausdruck lautete. Allein während in echt 
effecthaſchender Weiſe Meyerbeer Himmel und Hölle auf⸗ 
bietet, um auch den ſo geſuchten rein äußerlichen Erfolg 
zu erreichen, irrt Spohr unbefangen naiv. Schon ſein 
Textbuch iſt kein Drama, ſondern eben ein — Opernbuch. 
Contraſtirende Scenen, aber keine ſtetige Handlung, die 


Biographie Spohrs. 35 


auch ohne Muſik durch ihren einfach ſicheren Gang unſeren 
Antheil erweckte! Und jo hat auch der Componiſt einzelne 
„Nummern“ aus dem Werke gemacht, das in jedem der 
drei Acte ebenſo der regelrechten „Finales“ nicht ermangelt. 
Es ſind eben die herrſchende Compoſitionsform der Arie 
und was aus ihr gebildet worden, wie andererſeits die 
ſogenannte thematiſche Arbeit, dieſes „ewige Wiederkäuen 
des Themas in allen Stimmen und Tonlagen“, wie ein 
Wiener Blatt von Spohrs Weiſe ſagte, vor allem hier 
über den lebendig flutenden Inhalt geworfen, der doch 
auch dem verfehlteſten Operntext als Naturart innewohnt, 
und darin iſt hier in der dramatiſch-muſikaliſchen Kunſt 
ſelbſt nicht entfernt ein Fortſchritt gemacht oder nur etwas 
dem Mozartſchen und Beethovenſchen Ideal Ebenbürtiges 
geſchaffen worden. 

Dagegen hat Spohr wohl Grund, von „verſchiedenen 
Charakteren“ in dem Werke zu ſprechen. Denn wenn auch 
nicht entfernt in der Schärfe Wagners oder nur Webers 
iſt innerhalb jener gegebenen feſten Formen den einzelnen 
Gefühlszuſtänden und in beſchränktem Maße ſogar den 
einzelnen Perſonen eine gewiſſe eigene Phyſiognomie ver⸗ 
liehen worden, die von der ernſten inneren Theilnahme des 
Autors und von ſeiner daher rührenden ſchöpferiſchen Kraft 
zeugt. Vor allem die Gemüthsſaite der einzelnen Perſonen 
iſt, wenn auch mit etwas ſentimentaler Fär ung, doch voll- 
tönend zur Geltung gebracht und erklingt in Lauten, wie ſie 
außer Weber damals wenig Muſiker der Welt beherrſchten. 
Aber den norddeutſchen Romantiker, dem das ſtille Weben 
der Natur eine ſtets erneuende Quelle eben dieſes Ge⸗ 
müthslebens iſt, verräth vor allem, was ſich in Fauſts 
Berührung mit dem Elementarweſen der Hexen und anderer 
Naturgeiſter darſtellt: der Hexenchor ſchlägt neue Laute in 
der Muſik an, die durch Weber erſtarkt, erſt in Wagner 
ihr volles Ertönen finden. Und wenn auch überall noch 
zünftig hergebracht, es iſt doch Innigkeit und Ernſt, was 

3* 


36 2 Biographie Spohrs. 


den Charakter dieſer Muſik ausmacht, nicht entfernt der 
Hautgout franzöſiſcher Geiſtreichigkeit oder gar die fade 
und doch ebenſowenig reine Weichheit italieniſcher Ton⸗ 
ſchwelgerei jener Tage. 

Es beſtätigt darum auch nur Wagners Wort über 
Spohrs redlichen Ernſt in ſeinem künſtleriſchen Beſtreben, 
wenn Weber eben aus Wien damals über Meyerbeer 
ſchreibt: „Mit Beer iſt es ſo eine Sache, ich kam ihm 
mit der alten Liebe und Herzlichkeit entgegen und erwähnte 
nichts, auch er hat bis jetzt kein Wort von unſerer Span⸗ 
nung geſprochen, es ſieht ſo aus, als ob wir die alten 
wären, aber mein reines Vertrauen iſt dahin. Sein 
Stolz und ſeine unſägliche Eitelkeit und Empfindlichkeit 
ſind gleich groß und werden ewig jeden zurückſtoßen.“ Und 
von ihrem gemeinſchaftlichen Lehrer Abbé Vogler meldet 
er, daß er ebenfalls fortwährend über feinen Schüler klage, 
wobei denn das charakteriſtiſche Wort fällt: „S'iſt doch ein 
nachläſſiger Hund, der keine Verhältniſſe ehrt“ (Muſiker⸗ 
briefe 1873 S. 229). Während er ſelbſt ſeine Verecundia, 
die Schopenhauer dem geſammten ju diſchen Volke abſpricht, 
und ebenſo die unverbrüchliche Treue gegen die zu ihm 
Gehörigen mit einer Nachricht an Gäusbacher bekundet, die 
vom Sommer 1816 aus Prag herrührt: „Spohrs Fauſt 
brachte ich noch auf die Bühne und er gefiel. Leider 
war es mir bis jetzt unmöglich etwas darüber öffentlich 
zu ſagen, ja ihm ſelbſt konnte ich noch nicht einmal dieſen 
glücklichen Erfolg anzeigen, da ich nicht weiß, wo er jetzt 
ſteckt.“ Meyerbeer warf ſich zunächſt der italieniſchen Opern⸗ 
muſe in die Arme, die allerdings noch mehr bloße Scha⸗ 
blonenfiguren hatte als die deutſche, und fand ſpäter ſeine 
Gloriole in dem Potpourri der franzöſiſchen großen Oper. 
Beide, Spohr wie Meyerbeer, das reine Licht wie das 
Blendfeuerwerk, ſind dann freilich vor dem Stern der Wag⸗ 
nerſchen Kunſt erblichen, aber erſte Spuren des Wagner⸗ 
ſchen Herzensklanges findet man immer noch in Spohrs 


Biographie Spohrs. 37 


Fauſt, bei Meyerbeer nicht. Doch hat auch Spohr von 
der Bedeutung der Bühne in Betreff der Oper keine rechte 
Vorſtellung gehabt. Wie er einmal, wenn auch nicht in 
unſerem Sinne, von ſeinem „harmloſen Componiren“ 
ſpricht, ſo ertrug er es auch „mit großer Gemüthsruhe“, 
daß ſein Fauſt in der Bibliothek des Wiener Theaters 
aus einem rein zufälligen Grunde Jahre lang ungenützt 
ruhte. Einen größeren Gegenſatz gegen die Rieſenenergie 
Wagners, ſich und nur ſich auf dieſen „Brettern die die 
Welt bedeuten“ zur Geltung zu bringen, kann es kaum 
geben. Aber wer dieſe Bühne kennt, weiß, daß dies noth⸗ 
wendig iſt, um die Braut davon zu tragen. Gluck hat es 
ebenfalls gewußt. 

Ein Hauptintereſſe dieſes Wiener Aufenthaltes bietet 
dann Spohr und uns Nachlebenden ſeine Bekanntſchaft 
mit Beethoven. Er erzählt darüber Folgendes: 

„Nach meiner Ankunft in Wien ſuchte ich Beethoven 
ſogleich auf, fand ihn aber nicht und ließ deshalb meine 
Karte zurück. Ich hoffte nun, ihn in irgend einer der mu⸗ 
ſikaliſchen Geſellſchaften zu finden, zu denen ich häufig ein⸗ 
geladen wurde, erfuhr aber bald, Beethoven habe ſich, feit- 
dem ſeine Taubheit ſo zugenommen, daß er Muſik nicht 
mehr deutlich und im Zuſammenhange hören könne, von 
allen Muſikpartien zurückgezogen und ſei überhaupt ſehr 
menſchenſcheu geworden. Ich verſuchte es daher nochmals 
mit einem Beſuche, doch wieder vergebens. Endlich traf 
ich ihn ganz unerwartet in einem Speiſehauſe, wohin ich 
jeden Mittag mit meiner Frau zu gehen pflegte. Ich hatte 
nun ſchon Concert gegeben und zweimal mein Oratorium 
‚Das jüngſte Gericht‘ aufgeführt. Die Wiener Blätter 
hatten günſtig darüber berichtet. Beethoven wußte daher 
von mir, als ich mich ihm vorſtellte, und begrüßte mich 
ungewöhnlich freundlich. Wir ſetzten uns zuſammen an 
einen Tiſch und Beethoven wurde ſehr geſprächig, was die 
Tiſchgeſellſchaft ſehr verwunderte, da er gewöhnlich düſter 


38 Biographie Spohrs. 


und wortkarg vor ſich hinſchaute. Es war aber eine ſaure 
Arbeit ſich ihm verſtändlich zu machen, da man ſo laut 
ſchreien mußte, daß es im dritten Zimmer gehört werden 
konnte. Beethoven kam nun öfter in dieſes Speiſehaus 
und beſuchte mich auch in meiner Wohnung. So wurden 
wir bald gute Bekannte. Beethoven war ein wenig derb, 
um nicht zu ſagen roh. Doch blickte ein ehrliches Auge 
unter den buſchigen Augenbrauen hervor.“ 

„Nach meiner Rückkehr aus Gotha traf ich ihn dann und 
wann im Theater an der Wien dicht hinterm Orcheſter, 
wo ihm Graf Palffy einen Freiplatz gegeben. Nach der 


Oper begleitete er mich gewöhnlich nach meinem Hauſe 


und verbrachte den Reſt des Abends bei mir. Dann konnte 
er auch gegen Dorette und die Kinder ſehr freundlich ſein. 
Von Muſik ſprach er höchſt ſelten. Geſchah es, dann waren 
ſeine Urtheile ſehr ſtreng und ſo entſchieden, als könne gar 
kein Widerſpruch dagegen ſtattfinden. Für die Arbeiten 
Anderer nahm er nicht das geringſte Intereſſe, ich hatte 
deshalb auch nicht den Muth ihm die meinigen zu zeigen. 
Sein Lieblingsgeſpräch in jener Zeit war eine ſcharfe Kritik 
der beiden Theaterverwaltungen des Fürſten Lobkowitz und 
des Grafen Palffy. Auf Letzteren ſchimpfte er oft ſchon 
überlaut, wenn wir noch innerhalb des Theaters waren, 


ſodaß es nicht nur das ausſtrömende Publikum, ſondern 


auch der Graf ſelbſt in ſeinem Bureau hören konnte. 
Dies ſetzte mich ſehr in Verlegenheit und ich war im⸗ 
mer bemüht, das Geſpräch auf andere Gegenſtände zu 
lenken.“ 

„Das ſchroffe, ſelbſt abſtoßende Weſen Beethovens in 
jener Zeit rührte theils von ſeiner Taubheit her, die er 
noch nicht mit Ergebung zu tragen gelernt hatte, theils 
war es Folge ſeiner zerrütteten Vermögensverhältniſſe. 
Er war kein guter Wirth und hatte noch das Unglück, von 
ſeiner Umgebung beſtohlen zu werden. So fehlte es oft 
am Nöthigſten. In der erſten Zeit unſerer Bekanntſchaft 


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Biographie Spohrs. 39 


fragte ich ihn einmal, nachdem er mehrere Tage nicht ins 
Speiſehaus gekommen war: „Sie waren doch nicht krank?“ 
— Mein Stiefel war's, und da ich nur das eine Paar 
beſitze, hatte ich Hausarreft‘, war die Antwort.“ 

„Aus dieſer drückenden Lage wurde er aber nach einiger 
Zeit durch die Bemühungen ſeiner Freunde herausgeriſſen. 
Sein Fidelio, der 1805 und 1806 einen ſehr geringen 
Erfolg gehabt hatte, wurde jetzt (1814) von den Regiſſeuren 
des Kärntnerthortheaters wieder hervorgeſucht und zu 
ihrem Benefize in Scene geſetzt. Beethoven hatte ſich be- 
wegen laſſen mit dem Werke Abänderungen vorzunehmen. 
In dieſer neuen Geſtalt machte nun die Oper großes 
Glück und erlebte eine lange Reihe zahlreich beſuchter Auf- 
führungen. Der Componiſt wurde am erſten Abend meh- 
reremale herausgerufen und war nun wieder der Gegen- 
ſtand allgemeiner Aufmerkſamkeit.“ 

Das jetzt Folgende iſt zwar hiſtoriſch inſofern unrichtig, 
als die Aufführung der neueſten Compoſitionen Beethovens 
vor der des Fidelio geſchah und gerade auf denſelben wie— 
der aufmerkſam gemacht hatte, enthält aber ſonſt nur 
Wahrheitsgetreues. 

„Alles was geigen, blaſen und ſingen konnte, wurde 
zur Mitwirkung eingeladen,“ erzählt Spohr von dem Con⸗ 
certe zum Beſten der Invaliden im December 1813 im 
großen Redoutenſaale, „und es fehlte von den bedeuten⸗ 
deren Künſtlern Wiens auch nicht einer. Ich und mein 
Orcheſter hatten uns natürlich auch angeſchloſſen und ich 
ſah Beethoven zum erſtenmale dirigiren. Obgleich mir 
ſchon viel davon erzählt war, ſo überraſchte es mich doch 
in hohem Grade. Beethoven hatte ſich angewöhnt, dem 
Orcheſter die Ausdruckszeichen durch allerlei ſonderbare 
Körperbewegungen anzudeuten. So oft ein Sforzando 
vorkam, riß er beide Arme, die er vorher auf der Bruſt 
kreuzte, auseinander. Bei dem Piano bückte er ſich nieder, 
und um ſo tiefer, je ſchwächer er es haben wollte. Trat 


dann ein Crescendo ein, jo richtete er fih nach und nach 
wieder auf und ſprang beim Eintritte des Forte hoch in 
die Höhe. Auch ſchrie er manchmal, um das Forte noch 
zu verſtärken, ohne es zu wiſſen, mit hinein! Das Con⸗ 
cert ſelbſt hatte den glänzendſten Erfolg. Die neuen Com⸗ 
poſitionen gefielen außerordentlich, beſonders die Sym⸗ 
phonie in Adur. Der wundervolle zweite Satz wurde 
dacapo verlangt, er machte auch auf mich einen tiefen 
nachhaltigen Eindruck.“ 

Ueber das eigene Spiel des Meiſters giebt er folgenden 
wehmuthvoll ſtimmenden Bericht: „Da Beethoven zu der 
Zeit, wo ich ſeine Bekanntſchaft machte, bereits aufgehört 
hatte, ſowohl öffentlich wie in Privatgeſellſchaften zu ſpielen, 
ſo habe ich nur ein einziges Mal Gelegenheit gefunden 
ihn zu hören, als ich zufällig zu der Probe eines neuen 
Trios (Ddur ¼ Tact) in Beethovens Wohnung kam. Ein 
Genuß war's nicht. Denn erſtlich ſtimmte das Pianoforte 
ſehr ſchlecht, was Beethoven wenig kümmerte, da er nichts 
davon hörte, zweitens war von der früher ſo bewunderten 
Virtuoſität des Künſtlers in Folge dieſer Taubheit faſt gar 
nichts übrig geblieben. Im Forte ſchlug der arme Taube 
ſo darauf, daß die Saiten klirrten, im Piano ſpielte er 
wieder ſo zart, daß ganze Tongruppen ausblieben, ſodaß 
man das Verſtändnis verlor, wenn man nicht zugleich in 
die Klavierſtimme blickte. Ueber ein ſo hartes Geſchick 
fühlte ich mich von tiefer Wehmuth ergriffen. Iſt es ſchon 
für jedermann ein großes Unglück taub zu ſein, wie ſoll 
es ein Muſiker ertragen, ohne zu verzweifeln! Beethovens 
faft fortwährender Trübſinn war mir nun kein Räthſel 
mehr.“ 

Der gleiche ſo tief bedauernswerthe „Trübſinn“ war 
aber zugleich die Quelle unendlich ſchöner Ergießungen 
ſeines Gemüthes: die Muſik mußte ihm zugleich Tröſterin 
ſein und ſo hieß er ſie reden. Dieſer hohen Geiſtes⸗ 
freiheit der Kunſt vermochte aber der an hergebrachte 


40 Biographie Spohrs. 


Biographie Spohrs. 41 


Formen gefeſſelte Spohr nicht mehr ganz zu folgen. Die 
nachſtehende Stelle aus ſeiner Selbſtbiographie beſtimmt 
genau den Stand ſeiner eigenen künſtleriſchen Entwicklung. 
„Bis zu dieſem Zeitpunkte war eine Abnahme der Beet⸗ 
hovenſchen Schöpferkraft nicht zu bemerken,“ ſchreibt er. 
„Da er aber von nun an bei immer zunehmender Taub⸗ 
heit gar keine Muſik mehr hören konnte, ſo mußte dies 
lähmend auf ſeine Phantaſie zurückwirken. Sein ſtetes 
Streben originell zu ſein und neue Bahnen zu brechen, 
konnte nicht mehr wie früher vor Irrwegen bewahrt wer- 
den. War es daher zu verwundern, daß ſeine Arbeiten 
immer barocker, unzuſammenhängender und unverſtändlicher 
wurden? Zwar giebt es Leute, die ſich einbilden, ſie zu 
verſtehen und in ihrer Freude darüber ſie weit über ſeine 
früheren Meiſterwerke erheben. Ich gehöre aber nicht dazu 
und geſtehe frei, daß ich den letzten Arbeiten Beethovens 
nie habe Geſchmack abgewinnen können. Ja ſchon die viel 
bewunderte Neunte Symphonie muß ich zu dieſen rechnen, 
deren drei erſte Sätze mir trotz einzelner Genieblitze 
ſchlechter vorkommen als ſämmtliche der acht früheren 
Symphonien, deren vierter Satz mir aber ſo monſtrös 
und geſchmacklos und in ſeiner Auffaſſung der Schillerſchen 
Ode (An die Freude) ſo trivial erſcheint, daß ich immer 
noch nicht begreifen kann, wie ihn ein Genius wie der 
Beethovenſche niederſchreiben konnte. Ich finde darin einen 
neuen Beleg zu dem, was ich ſchon in Wien bemerkte, daß 
es Beethoven an äſthetiſcher Bildung und an Schönheits⸗ 
ſinn fehle.“ 

Spohr nimmt in der Kunſt einen Rang ein wie Rafaels 
Nachbildner Giulio Romano. Wie hätte er den Michel⸗ 
angelo der Tonkunſt da begreifen ſollen, wo er ſich erſt 
ganz als ſolchen zeigt? Und doch ſollte gerade er unter 
den Zunftmeiſtern derſelben zuerſt Denjenigen verſtehen, der 
allein dieſe Bahnen Beethovens fortgeſchritten iſt und ſo— 
gar erweitert hat, Richard Wagner! Jedenfalls hatte 


42 Biographie Spohrs. 


ihm ſelbſt dieſer Aufenthalt in Wien den wahren Maßſtab 
in ſeiner Kunſt in die Hand gegeben. Er ſchied von der 
Kaiſerſtadt, nachdem ihm Beethoven in ſein Album den 
Canon „Kurz iſt der Schmerz, und ewig währt die Freude“ 
mit folgenden Abſchiedsworten geſchrieben hatte: 

„Möchten Sie doch, lieber Spohr, überall, wo Sie 
wahre Kunſt und wahre Künſtler finden, gerne meiner 
gedenken, Ihres Freundes 

Wien, am 3. März 1815. Ludwig van Beethoven.“ 


5. In Italien. 
1815-1817. 


„Er fragte uns unter anderem, wie wir mit unſerer 
Reiſe in Italien zufrieden ſeien,“ erzählt Spohr bei der 
Rückkehr von einem deutſchen Bekannten. „Ich klagte ihm 
darauf, daß wir ſo manches nicht den Erwartungen gemäß 
gefunden hätten, die von früheren Reiſenden in uns rege 
gemacht geweſen. Er fand dies ſehr natürlich und meinte, 
das komme daher, weil keiner der Reiſenden nach der Rück⸗ 
kehr geſtehen wolle, daß er gleichſam in den April ge⸗ 
ſchickt worden ſei.“ Dieſes ungerechte Urtheil des Künſt⸗ 
lers beruht gewiß zum größten Theile darauf, daß er als 
ſolcher weder mit feiner Kunſt noch auch in feinen pecu⸗ 
niären Erfolgen ſich recht befriedigt geſehen hatte. Wenn 
wir nun dennoch ſeine Mittheilungen, ſoweit dieſelben die 
Muſik betreffen, in dieſe biographiſche Darſtellung einreihen, 
ſo geſchieht dies eben wegen des hiſtoriſchen Intereſſes, 
welches dieſelben haben. Und dann iſt es doppelt bedeut⸗ 
ſam zu ſehen, wie dieſes hochbegabte Volk, das als ſolches 
ſeit einem Menſchenalter ſich wieder zu ſich ſelbſt zu er⸗ 
heben begonnen hat, ſelbſt aus ſo un- und untergeordneten 
muſikaliſchen Zuſtänden zur Aufnahme der ernſten deutſchen 


Biographie Spohrs. 43 


Muſik, ſogar bis zum Lohengrin und Nibelungenringe em⸗ 
porzuſchwingen vermochte. 

Zum Gebrauche für die bevorſtehende Reiſe hatte 
Spohr in Wien, nachdem ſeine Stellung am Wiedner 
Theater durch Schuld des Grafen Palffy gelöſt war, ſich 
fein ſchönſtes Concert, das in Emoll, geſchrieben. „Eine 
herrliche gediegene Compoſition, ſchöner fließender Geſang, 
überraſchende Modulationen, voll kühner canoniſchen Imi⸗ 
tationen, eine immer neue reizende glücklich berechnete 
Inſtrumentirung! Vorzüglich hinreichend iſt das ſchmel— 
zende Adagio,“ berichtet die Muſikzeitung nach der erſten 
Aufführung in Wien. Dieſes Werk und die berühmte Ge⸗ 
ſangsſcene, die er ein Jahr ſpäter in der Schweiz compo⸗ 
ponirte, waren gewichtige Hilfstruppen für den Feldzug, 
den der damalige „General der Geiger“ jetzt nach Süd⸗ 
deutſchland, der Schweiz und Italien antrat. 

Allerdings nahm er von der deutſchen Inſtrumental⸗ 
muſik noch zuletzt einen ſehr tiefgehenden Eindruck mit: er 
hörte ein Concert der „muſikaliſchen Akademie“ in München. 
„Da die Münchener Kapelle noch immer ihren Ruf als 
eine der erſten der Welt behauptet, ſo war meine Er⸗ 
wartung ſehr geſpannt,“ ſchreibt er am 12. December 1815. 
„Dennoch wurde fie durch die Aufführung der Beethoven⸗ 
ſchen Symphonie in Cmoll noch weit übertroffen.“ Es 
war dies die gleiche Kapelle, die im Jahre 1778 Carl 
Theodor unter Cannabichs Leitung von Mannheim nach 
München mitgebracht hatte und der mehrfach auch Mozarts 
Inſpiration zutheil geworden war. „Es iſt wohl kaum 
möglich, daß ſie mit mehr Feuer, mehr Kraft und dabei 
größerer Zartheit, ſowie überhaupt genauerer Beobachtung 
aller Nüancen von Stärke und Schwäche ausgeführt wer— 
den kann!“ ruft Spohr von jener Symphonie aus. Um 
ſo unbegreiflicher iſt ſein Urtheil, das Werk bilde kein 
claſſiſches Ganze. Von neuem ein Beiſpiel, wie langſam 
gerade in der Muſik das Verſtändnis für wahrhaft Neues 


44 Biographie Spohrs. 


und Geiſtiges ſich bildet! Doch blieb ihm dieſer Zauber⸗ 
reichthum unſerer Inſtrumentalmuſik allzuſehr in Herz und 
Ohr, als daß er nicht die damalige Muſik anderer Lande 
arm und unbeholfen hätte finden ſollen. 

Bereits aus der Schweiz meldet er: „Die guten Leute 
hier ergötzen ſich noch an Compoſitionen, die man in 
Deutſchland ſchon zur Zeit der Pleyelſchen Epoche unge⸗ 
nießbar fand. Mozart, Haydn und Beethoven kennen die 
Meiſten kaum dem Namen nach. Aber Freude haben ſie 
an der Muſik und das Beſte iſt, ſie ſind leicht zu befrie⸗ 
digen. Denn ſo ſchlecht auch alle Orcheſterſätze executirt 
wurden, die Leute waren doch zufrieden und fanden, das 
Orcheſter habe ſich diesmal beſonders ausgezeichnet. Selbſt 
eine Bravourarie von Wenzel Müller, die ein Dilettant 
jämmerlich herausquälte, fanden ſie köſtlich.“ Dieſes Mül⸗ 
lers „Donauweibchen“ hatte aber dennoch einſt noch eine 
Rivalin der „Zauberflöte“ ſein können. „Bei der Probe 
brachte ich es durch unzähliges Wiederholen der ſchwierig⸗ 
ſten Stellen zwar dahin, daß es wie Muſik klang, am 
Abend aber war das Orcheſter ſo conſternirt, daß es alles 
wieder über den Haufen warf,“ erzählt er von einer an⸗ 
deren Stadt, kann aber wieder hinzufügen: „Zum Glück 
ſchien das Auditorium nichts davon zu merken, denn es 
äußerte ſeine große Zufriedenheit über alles was es hörte.“ 
Zuletzt von Bern: „Das Orcheſter iſt hier womöglich noch 
ſchlechter als in Baſel und Zürich und das Publikum noch 
ungebildeter, mit Ausnahme ſehr Weniger.“ Daß Richard 
Wagner den größten Theil ſeiner Verbannungszeit in der 
Schweiz zubringen mußte, iſt dort der Muſik ebenſo zugute 
gekommen wie den bildenden Künſten der Aufenthalt ſeines 
Exilgenoſſen Gottfried Semper. Heute würde Spohr zu⸗ 
friedener ſein. 

Sogleich vom Scala- Theater in Mailand empfing 
Spohr den Eindruck, daß Muſik oder doch wenigſtens die 
Oper in Italien mehr dem geſelligen Leben als dem Be⸗ 


Biographie Spohrs. 45 


dürfniſſe des Idealen im menſchlichen Weſen angehörte. 
„Die kleinen unbedeutenden Cantabiles waren es heute 
allein, was mit Aufmerkſamkeit angehört wurde,“ berichtet 
er. „Während der kräftigen Ouverture, mehreren ſehr 
ausdrucksvoll begleiteten Recitativen und allen Enſemble⸗ 
ſtücken war ein Lärm, daß man kaum etwas von der 
Muſik hörte. In den meiſten Logen wurde Karten geſpielt 
und im ganzen Hauſe überlaut geſprochen. Es läßt ſich 
für einen Fremden, der gern aufmerkſam zuhören möchte, 
nichts Unausſtehlicheres denken als dieſer infame Lärm. 
Indeſſen iſt von ſolchen, die dieſelbe Oper vielleicht dreißig⸗ 
bis vierzigmal ſehen und das Theater nur der Geſellſchaft 
wegen beſuchen, keine Aufmerkſamkeit zu erwarten. Zu⸗ 
gleich kenne ich aber auch nichts Undankbareres als für ein 
ſolches Publikum zu ſchreiben. Nach dem erſten Acte wurde 
ein großes ernſtes Ballet gegeben. Da daſſelbe beinahe 
eine Stunde dauerte, ſo hatte man die erſte Hälfte der 
Oper ganz vergeſſen. Nach dem zweiten Acte wurde noch 
ein nicht viel kürzeres komiſches Ballet gegeben, ſodaß die 
ganze Vorſtellung von acht bis zwölf Uhr dauerte. Welche 
Arbeit für die armen Muſiker!“ Es iſt wohlbegreiflich, 
daß auf dieſem Wege die Oper dort zu jener Armſeligkeit 
und Stätigkeit bloßer Geſangseffecte herabſank, aus der 
ſie ſich endlich heute langſam zu erkräftigen beginnt. „Alles 
wurde auf dieſelbe Art und mit den ſchon tauſendmal ge⸗ 
hörten Verzierungen verbrämt vorgetragen, mochte es ko⸗ 
miſch oder ernſt ſein,“ ſagt er noch von dem Concerte 
einer Muſikgeſellſchaft. 

Gerade dieſe Vorliebe für alles Geſangsmäßige machte 
es aber, daß ſeine „Geſangsſcene“ mit großem Enthuſias⸗ 
mus aufgenommen wurde, jedoch ebenfalls vorwiegend in 
den Geſangsſtellen, ſodaß Spohr klagt: „Dieſer lärmende 
Beifall, ſo erfreulich und aufmunternd er für den Spieler 
iſt, bleibt doch für den Componiſten ein gewaltiges Aer⸗ 

gernis.“ Ja bald nennt er das Land „wo die Citronen 


46 Biographie Spohrs. 


blühen“ in Bezug auf Muſik ein „Sibirien der Kunſt“. 
In Venedig hatte er in einem Dilettantenconcert zuerſt 
eine „uralte Symphonie“ von Krommer, dann eine von 
Andreas Romberg, dem Componiſten von Schillers „Glocke“ 
gehört und dann ſelbſt Beethovens Ddur-Symphonie zu 
dirigiren. „Ich hatte meine liebe Noth,“ ſchreibt er. „Denn 
man war ganz andere Tempi gewöhnt als ich nahm und 
ſchien gar nicht zu wiſſen, daß es Nüancen von Stärke 
und Schwäche in der Muſik giebt: alles arbeitete, ſtrich 
und blies beſtändig aus Leibeskräften, ſodaß mir noch die 


ganze Nacht von dem hölliſchen Lärm die Ohren wehe 


thaten. Das Gute hat es indeſſen, daß die Muſikfreunde 
unſere Inſtrumentalcompoſitionen zu hören bekommen und 
wenn auch nur dunkel fühlen lernen, daß die Deutſchen in 
dieſer Gattung ihnen ungeheuer überlegen ſind. Sie ſagen 
dies zwar ſelbſt, aber nur um nachher um ſo ungenirter 
ihre Ueberlegenheit im Geſange herausſtreichen zu können. 
Die Selbſtzufriedenheit der Italiener bei ihrer Geiſtesar⸗ 
muth iſt überhaupt unerträglich. Habe ich ihnen etwas 
vorgeſpielt, ſo glauben ſie mich nicht glücklicher machen zu 
können, als wenn ſie mir verſichern, es ſei im echt ita⸗ 
lieniſchen Geſchmack.“ In demſelben Venedig führte im 
December 1882 Wagner zum letztenmal eines ſeiner Werke, 
die Jugendſymphonie in Cdur auf, und war von der Tüch⸗ 
tigkeit der Inſtrumentaliſten des Liceo Benedetto Marcello 
ſehr befriedigt. 

Nun begegnet er, der Rode beſiegt hatte, dem einzigen 
lebenden Rivalen, Paganini. „So wie er hat noch nie 


ein Inſtrumentaliſt die Italiener entzückt,“ heißt es da. 


„Erkundigt man ſich nun näher, ſo hört man von den 
Nichtmuſikaliſchen die übertriebenſten Lobſprüche, daß er 
Töne hervorbringe, die man früher nie gehört habe. Die 
Kenner hingegen meinen, daß ihm zwar eine große Ge⸗ 
wandtheit in der linken Hand, in Doppelgriffen und allen 
Arten von Paſſagen nicht abzuſprechen ſei, daß ihn aber 


Biographie Spohrs. 47 


gerade das, was den großen Haufen entzücke, zum Char- 
latan erniedrige und für ſeine Mängel, einen großen Ton, 
einen langen Bogenſtrich und einen geſchmackvollen Vortrag 
des Geſanges, nicht zu entſchädigen vermöge. Dasjenige 
aber, wodurch er den Namen des Unerreichbaren, den man 
ſogar unter ſein Porträt ſetzt, beſteht nach genauer Erkun⸗ 
digung in einer Reihe von Herrlichkeiten, welche in den 
Zeiten des guten Geſchmackes der weiland ſo berühmte 
Scheller zum Beſten gab, nämlich in Flageolettönen, in 
Variationen auf Einer Saite, in einer gewiſſen Art Pizzi⸗ 
cato der linken Hand ohne Hilfe der rechten oder des Bo⸗ 
gens und in manchen der Geige unnatürlichen Tönen, 
als Fagott⸗Ton, Stimme eines alten Weibes und der⸗ 
gleichen mehr.“ So ſagte er denn auch ſelbſt zu Spohr, 
als er ihn gehört hatte, ſeine Spielart ſei für das große 
Publikum berechnet und verfehle bei dieſem nie ſeine Wir⸗ 
kung. Wenn er aber ihm etwas vorſpielen ſolle, ſo müſſe 
er auf eine andere Art ſpielen und dazu ſei er jetzt viel 
zu wenig im Zuge, ſie würden einander aber wahrſcheinlich 
in Rom oder Neapel treffen. Dazu kam es aber nicht 
und Spohr blieb damals ohne Kenntnis des „Wunder- 
mannes“. Muß er nun ebenfalls Paganinis „ungefälliges 
und unartiges Betragen“ gegen die Muſikfreunde Venedigs 
beſtätigen, das zweifellos wieder in feinem Geldgeize wur— 
zelte, ſo iſt nicht zu vergeſſen, daß derſelbe Künſtler, der 
durch Paganinis egoiſtiſches Weſen zu dem Ausrufe „Génie 
oblige!“ getrieben wurde, andererſeits nichts Beſſeres zu 
thun hatte, als ſich dieſelbe bis dahin unerhörte Virtuoſität 
durch ſorgſamſtes Studium anzueignen und ſie ſo auch 
für das Klavier der ganzen Nachwelt zu überliefern. Spohr 
ſelbſt aber erhielt in Venedig das öffentliche Zeugnis, daß 
er die italieniſche Lieblichkeit mit der Tiefe des Studiums 
ſeiner Nation verbinde und daß man ihm unter den le⸗ 
benden Geigern den erſten Rang einräumen müſſe. 

All ſolches freundliche Begegnen hindert ihn aber nicht 


48 Biographie Spohrs. 


in feiner Kunſt klar zu ſehen. Roſſini, der als Com⸗ 
poniſt damals ebenſo wie Paganini vergöttert zu werden 
begann, begegnet ihm in Florenz mit ſeiner „L'Italiana 
in Algeri“. „Erſtlich fehlt ihr, was aller anderer italie⸗ 
niſchen Muſik fehlt, Reinheit des Styles, Charakteriſtik 
der Perſonen und vernünftige Berechnung der Länge der 
Muſik für die Scene“, urtheilt er. „Man iſt ja ſchon ge⸗ 
wöhnt, hier dieſelbe Perſon bald im tragiſchen, bald im 
komiſchen Style ſingen und von einer Bäuerin dieſelben 
pompöſen Geſangsverzierungen zu hören wie von einer 
Königin, bei der leidenſchaftlichſten Situation eine der Per⸗ 
ſonen allein viertelſtundenlang ſingen zu hören, während 
die übrigen im Hintergrunde ſpazieren gehen. Wohl aber 
habe ich Eigenſchaften erwartet, die Roſſinis Arbeiten aus⸗ 
zeichnen würden, Neuheit der Ideen, Reinheit der Har⸗ 
monie u. ſ. w. Aber auch hiervon habe ich nicht viel ge⸗ 


funden. Was den Italienern neu erſcheint, iſt es uns 


nicht, indem es größtentheils ſchon längſt bekannte Ideen 
und Modulationen ſind.“ Wie lange währte es, daß man 
ſich davon überzeugte! Mußten doch 1822 und 1823 noch 
Beethoven und Weber vor dem allerdings unvergleichlich 
aufgeführten Roſſini in den Schatten treten. Aber freilich 
heute leben dieſe Meiſter ſowie Roſſinis Hauptſchaffensquelle 
Mozart noch mit faſt all ihren Werken lebendig wirkend, von 
Roſſini hört man nur noch den allerdings ſprudelnd le⸗ 
bendigen „Barbier von Sevilla“ und den „Tell“. Spohrs 
Ausruf: „Wann werden doch die Deutſchen einmal aufhören, 
die blinden Bewunderer und Affen der Fremden zu ſein!“ 
ſcheint endlich weniger Berechtigung erlangen zu wollen. 


Aus Rom theilt Spohr die neapolitaniſche Dudelfad- 


Melodie mit, die Liſzt dem Hirtengeſang an der Krippe 
in ſeinem Oratorium „Chriſtus“ zu Grunde gelegt hat. 
In Neapel erlebte er wunderbare Dinge an dem Opern⸗ 
componiſten Zingarelli, der das dortige Conſervatorium 


leitete. „Bei einem Beſuche ſprach er lange von Haydn 


Fm 


Biographie Spohrs. 49 


und einigen anderen unſerer Componiſten ſehr ehrenvoll, 
ohne auch nur ein einzigesmal Mozarts zu erwähnen,“ 
heißt es da. „Ich brachte alſo die Rede auf dieſen, wor⸗ 
auf er äußerte, ja, auch dieſer ſei nicht ohne Anlage ge⸗ 
weſen, er habe nur zu kurze Zeit gelebt, um ſie gehörig 
ausbilden zu können; wenn er noch zehn Jahre fortſtudirt 
hätte, jo würde er wohl einmal etwas Gutes haben ſchrei⸗ 
ben können.“ Wozu Spohr ein großes Ausrufungszeichen 
und den Kopf eines — Eſels mit recht aufrecht ſtehenden 
Ohren hinzeichnet! 

Von Werth find noch die Bemerkungen über die da- 
mals weltberühmte Catalani, weil ſie ſo recht illuſtriren, 
was ſpäter R. Wagner über den kühlen Egoismus ſolcher 
berühmten Sängerinnen wie der Lind und anderer gegen- 
über wahrer Hingebung an die Kunſt ausgeſprochen hat. 
Er traf ſie in Neapel, wo ſie natürlich ebenfalls alle 
Muſikfreunde in Bewegung ſetzte und daher ſogleich den 
Eintrittspreis auf das Siebenfache erhöhte. „Sie gewährte 
durch ihre immer reine Intonation, durch die Vollendung, 
mit der ſie alle Arten von Verzierungen und Paſſagen 
macht, und durch ihre eigenthümliche Art zu ſingen großes 
Vergnügen, das Ideal einer Sängerin erreicht ſie aber 
nicht,“ ſchreibt er. „Was wir hauptſächlich vermißten, war 
Seele. Im Recitativ fingt fie ohne Ausdruck und im 
Adagio läßt ſie kalt. Wir waren auch nicht einmal er⸗ 
griffen, ſondern hatten nur das Gefühl der Freude, wenn 
man mechaniſche Schwierigkeiten mit Leichtigkeit beſiegen 
ſieht.“ 

So war denn der perſönliche Gewinn, den Spohr von 
Italien davon trug, nicht gerade groß und nicht entfernt 
demjenigen zu vergleichen, den der allerdings unvergleich- 
lich viel geiſtbegabtere Liſzt von dem Umgang mit der 
bildenden Kunſt der Antike und des Cinquecento hatte. 
Die italieniſche Muſik arte immer mehr in Ohrenlltzel 
aus und verlerne immer mehr aufs Herz zu wirken, ſagt 


4 


50 Biographie Spohrs. 


er; ſowie er denn ohne Uebertreibung behaupten könne, 
daß er von allen Compoſitionen auch nicht ein einzigesmal 
ergriffen worden ſei, eine oder zwei Stellen in der „Statua 
di Bronzo“ von dem aus Beethovens Leben bekannten 
Soliva abgerechnet. Auch Allegris Miſerere zur Oſter⸗ 
woche in der Sixtiniſchen Kapelle machte ihm bei den erſten 
Accorden durch die Quintenfolgen in der Ausführung 
einen geradezu barbariſchen Eindruck. Dann aber heißt 
es: „Dieſe einfachen Harmoniefolgen, faſt nur aus Drei⸗ 
klängen beſtehend, dieſes Miſchen und Tragen der Stimmen, 
bald zum brauſendſten Forte anwachſend bald im leiſeſten 
Pianiſſimo verhallend, dieſes ewig lange Aushalten ein⸗ 
zelner Töne und dann hauptſächlich das zarte Einſetzen 
eines Accordes, wenn von anderen Stimmen der vorher⸗ 
gehende noch ſchwach verklingend ausgehalten wird, geben 
dieſer Muſik bei allen Mängeln etwas ſo Eigenthümliches, 
daß man ſich unwiderſtehlich davon angezogen fühlt.“ Doch 
vermißte er bei allem Sinn dieſer neueren Italiener für 
Melodie mit Recht die Kenntnis der Harmonie und be⸗ 
ſtätigt dadurch R. Wagners Wort, daß man nach Anhö⸗ 
rung des Stabat mater von Paleſtrina unmöglich der 
Meinung bleiben könne, daß die neuere italieniſche Muſik 
eine legitime Tochter dieſer wundervollen Mutter ſei. 


6. In London. 
(1817—1820.) 


Spohrs Aufenthalt in London hat dadurch erhöhten 
Werth, daß er uns zu vielen Perſonen und Dingen führt, 
die in dem Leben unſerer größten Künſtler wie Beethoven, 
Weber, Liſzt, Berlioz, Wagner ebenfalls ihre Rolle ſpielen. 


Biographie Spohrs. . 


Die italieniſche Reiſe hatte unſere beiden Künſtler durch 
die ſchlechten Concerteinnahmen in arge Bedrängnis ge⸗ 
bracht und das Concertiren in der Schweiz und Weft- 
deutſchland im nächſten Frühjahr konnte dieſe ebenfalls 
nicht heben, denn es war die Zeit der ſchrecklichen Hun⸗ 
gersnoth von 1816—17, die auch aus Beethovens Leben 
wiederklingt. So ging es denn nach Holland. Allein 
mitten im beſten Zuge kam ihm der Antrag, die Muſik⸗ 
directorſtelle am Theater in Frankfurt am Main einzu⸗ 
nehmen. Hier hat denn Spohr einige Jahre gewirkt. 
Angeregt durch dieſen Verkehr mit der Oper begann er 
den „Freiſchütz⸗Stoff“ zu componiren, bis die Schröder⸗ 
Devrient ihm mittheilte, daß C. M. von Weber den- 
ſelben bearbeite. Da gab er das Werk auf. „Denn,“ ſo 
ſagte er ſich, „mit meiner Muſik, die nicht geeignet iſt ins 
Volk zu dringen und den großen Haufen zu enthuſiasmiren, 
würde ich nie den beiſpielloſen Erfolg gehabt haben, den 
der Freiſchütz fand.“ Ebenſo hatte Weber einmal die 
Tannhäuſerſage vorgelegen. Allein wie Spohrs Muſik 
für eine Volksoper zu „akademiſch“, ſo war Weber nicht 
eigentlich für das Tragiſche angelegt. Wie er denn ja 
auch den tragiſchen Schluß der Freiſchützſage, den Spohrs 
Text feſthalten wollte, in einen guten Ausgang umgebogen 
hat! Dagegen entſtand hier im Jahre 1818, angeregt 
durch den „wahren Beifallsſturm“, den bald darauf Roſ— 
ſinis „Tanered“ hatte, die Oper „Zemire und Azor“, die 
denn auch ſoviel Coloraturen enthält. Ein Stück daraus, 
„Roſe wie biſt du lieblich und mild“, lebt jedoch noch 
heute in weiteſten Kreiſen. 

Bald freilich merkte er, daß die Herrn Actionäre das 
Theater ebenfalls nur geſchäftsmäßig betreiben wollten: es 
gab Scenen, bei denen Spohr hören mußte, daß ſie für 
ihr Inſtitut keines berühmten Künſtlers bedürften, ſondern 
nur eines tüchtigen Arbeiters, der all ſeine Zeit und Kräfte 
dem Theater widme, und ſo kündigte er für den Herbſt 

4* 


52 Biographie Spohrs. 


1819, um aufs neue ſeiner Reiſeluſt nachzugehen, wie ſie 
ja heute auch ſeinen großen Künſtlerenkel Auguſt Wilhelmy 
ſogar um die Welt getrieben hat. Er beſuchte Norddeutſch⸗ 
land, wo beſonders Berlin die „Fülle und Zartheit des 
Tones, welche der fühlende Künſtler aus einem klangreichen 
Inſtrumente ziehe, und den trefflichen Vortrag des Cantabile“ 
rühmte, — Vorzüge, davon ja auch Wagner die herrlichſte 
künſtleriſche Verwendung machte, und ging auf Einla⸗ 
dung derſelben Philharmoniſchen Geſellſchaft, die auch 
Beethoven ſo gern bei ſich geſehen hätte und wenigſtens 
ein größtes Erzeugnis ſeines Genius, die Neunte Sym⸗ 
phonie, durch Beſtellung unmittelbar veranlaßt hat, im 
Jahre 1820 nach London. 

Dieſe Geſellſchaft war nicht lange zuvor von den da⸗ 
mals berühmteſten Künſtlern Englands wie Clementi, 
John Cramer, Moſcheles, Potter, Ries, Smart, Stumpff, 
alle aus Beethovens Leben bekannt, gegründet worden, um 
im Gegenſatz zu den der alten Muſik gewidmeten Vereinen 
dem Schaffen der neueren großen Künſtler Raum zu 
ſchaffen, und Spohrs Aufzeichnungen geben uns nun 
manches Charakteriſtiſche über London, das zum größeren 
Theile zwar ebenfalls bereits der Vergangenheit angehört 
und mehr anekdotiſch iſt, allein doch immerhin von Werth 
für uns bei einer Stadt und einem Volke bleibt, das 
auch in der Muſik ſo manchen wirkſamen Anſtoß gegeben 
und noch kürzlich den großen Tragiker unſerer Kunſt, 
Richard Wagner, ſo wahrhaft würdig aufgenommen hat. 

Er hatte auch eine Empfehlung an Rothſchild. Um 
den Empfang bei dieſem ganz zu würdigen, holen wir 
ein bezeichnendes Begegnis aus dem Jahre 1809 in Ham⸗ 
burg nach. „Ein reicher jüdiſcher Banquier, der mein 
Quartettſpiel hatte rühmen hören, wollte ſeine Geſellſchaft 
ebenfalls damit regaliren,“ erzählt Spohr. „Obgleich ich 
dort eine für ſolch edle Muſik wenig empfängliche Geſell⸗ 
ſchaft zu finden hatte, ſagte ich doch unter der Bedingung 


Biographie Spohrs. 53 


zu, daß zu meiner Begleitung die beſten Künſtler Ham⸗ 
burgs eingeladen würden. Wirklich fand ich auch nicht 
nur Andreas Romberg anweſend, ſondern auch noch einen 
andern ausgezeichneten Geiger. Als aber das Quartett 
beginnen ſollte, kam noch ein vierter — Geiger herbei 
und wir ſahen nun zu unſerem Erſtaunen, was der Haus⸗ 
herr eingeladen hatte. Als guter Rechner wußte er näm⸗ 
lich, daß zu einem Quartett Viere gehören, aber nicht 
daß unter dieſen auch ein Bratſchiſt und Violoncelliſt ſein 
müſſen.“ Als er aber Abſchied nahm, hieß es unter Vor⸗ 
reichung von vierzig Speciesthalern: „Ich höre, Sie geben 
ein zweites Concert, ſchicken Sie mir wieder vierzig Billets; 
ich habe zwar die andern noch faſt alle, will aber doch 
wieder neue nehmen.“ Empört über die „Unverſchämtheit 
des reichen Juden“ ließ er denſelben abermals verlegen 
und beſchämt vor ſeiner Geſellſchaft ſtehen und kehrte ihm 
den Rücken zu. 

Eine ebenſo ergötzliche Geſchichte alſo erlebte er in 
London, als er ſeinen Creditbrief und eine Empfehlung 
des Frankfurter Bruders perſönlich überbrachte. „Nachdem 
Rothſchild mir beide Briefe abgenommen und flüchtig über⸗ 
blickt hatte, ſagte er zu mir in herablaſſendem Tone: „Ich 
leſe eben‘ (auf die Times deutend) ‚daß Sie Ihre Sachen 
ganz gut gemacht haben. Ich verſtehe aber nichts von 
Muſik. Meine Muſik iſt dies (auf die Geldtaſche ſchlagend), 
die verſteht man an der Börjel‘ worauf er feinen Witz 
laut belachte. Dann rief er ohne mich zum Sitzen zu 
nöthigen, einen Commis herbei, gab ihm den Creditbrief 
und ſagte: ‚Zahlen Sie dem Herrn fein Geld aus“ Hier⸗ 
auf winkte er mit dem Kopfe und die Audienz war zu 
Ende. Doch als ich bereits in der Thüre war, rief er 
mir noch nach: ‚Sie können auch einmal zum Eſſen zu 
mir kommen, draußen auf mein Landgut!“ Einige Tage 
nachher ſchickte auch wirklich Madame Rothſchild. Ich ging 
aber nicht hin, obwohl ſie die Aufforderung noch einmal 


54 Biographie Spohrs. 


wiederholte.“ Der empfehlende Bruder aber war derſelbe, 
der eine Vorſtellung in Frankfurt in ſeinem Salon mit 
den Worten ausführte: „Mein Neffe, Herr Oppenheim, 
Maler, hat's aber nicht nöthig!“ 

Spohr hatte mit ſeiner Geſangsſcene und einem So⸗ 
loquartett in der That ſogleich den allgemeinſten Beifall 
gefunden und zeigt beſondere Freude, daß der alte Viotti, 
der, von jeher ſein Vorbild, auch ſein Lehrer hatte werden 
ſollen, ihm viel Lobendes geſagt hatte. So war er in der 
Rieſenſtadt bald ein geſuchter Mann, ſollte aber in Ernſt 
und Scherz auch bald den äſthetiſchen wie moraliſchen Bil⸗ 
dungsgrad der Engländer vor allem ſeiner Kunſt gegen⸗ 
über kennen lernen. „Die meiſten meiner Schüler waren 
ohne Talent und Fleiß und ließen ſich nur von mir un⸗ 
terrichten, um ſagen zu können, ſie ſeien Schüler von 
Spohr,“ erzählt er. Ein berühmter Arzt wollte ein Ur⸗ 
theil über ſeine zahlreichen Geigen. Spohr prüfte ſie alle 
getreulich und fand, daß diejenige, auf die der alte freund⸗ 
liche Herr die zärtlichſten Blicke warf, auch der Matador 
der ganzen Sammlung ſei. Beim Abſchiede überreichte 
der weiße Alte mit tiefem Bücklinge ihm noch eine Fünf- 
pfundnote. Spohr, anfangs erſtaunt, ſchüttelte dann lä⸗ 
chelnd mit dem Kopfe, legte das Papier auf den Tiſch und 
drückte dem Doctor die Hand. Allein dieſer folgte ihm 
bis auf die Straße und ſprach in ſichtlicher Erregung einige 
Worte zum Kutſcher. Sie lauteten in der Ueberſetzung: 
„Da fährſt du einen Deutſchen, der ein echter Gentleman 
iſt, bring' ihn mir unverſehrt in die Wohnung, das rathe 
ich dir!“ 

Von der geringen Schätzung des Künſtlers und gar 
des „Fiedlers“ in ſozialer Hinſicht, die dieſe beiden Käuze 
einigermaßen entſchuldigt, weiß man aus Haydns und 
Webers Leben. Spohr hat aber gerade in London den 
tonangebenden Kreiſen auch in dieſem Punkte eine Lection 
ertheilt, die ihn unmittelbar neben Beethoven ſtellt, der ja 


Biographie Spohrs. 90 


perſönlich erſt dem Künſtler feine volle geſellſchaftliche 
Ebenbürtigkeit errungen hat. 

Er ſah ſich bald auf allen Concertprogrammen der 
Saiſon figuriren, konnte ſich aber nie entſchließen, auch 
in Privatgeſellſchaften aufzutreten, da ihm die Aufnahme 
der Künſtler dort gar zu unwürdig vorkam. Dieſelben 
wurden nämlich nie zur Geſellſchaft gezogen, ſondern hatten 
das Zimmer nach dem Vortrage ſogleich wieder zu verlaſſen. 
Spohr und Frau waren nun zu den Brüdern des Königs 

eingeladen, deren einer eine Herzogin von Meiningen hatte. 

Als dabei ein Diener ihnen das Zimmer der übrigen Mu⸗ 
ſiker öffen wollte, übergab er ſeinem Dolmetſcher ſeinen 
Geigenkaſten und ſchritt, ſeine Frau am Arme, ſogleich die 
Treppe hinauf. Vor dem Zimmer nannte er dem dortigen 
Diener ſeinen Namen und als dieſer zu öffnen zögerte, 
machte er Miene es ſelbſt zu thun. Sogleich riß dieſer die 
Thüre auf und rief ſeinen Namen hinein. Die Herzogin, 
deutſcher Sitte eingedenk, erhob ſich ſogleich und führte 
ſeine Frau zum Damenkreiſe. Auch der Herzog ſtellte ihn 
ſelbſt nach einigen freundlichen Worten den Herren vom 
Hofe vor. Doch bald bemerkte er, daß die Dienerſchaft 
ihn ignorirte. Der Herzog jedoch winkte dem Haushof- 
meiſter und ſogleich wurde den beiden Künſtlern ebenfalls 
der Servirte präſentirt. 

Als nun das Concert beginnen ſollte, ließ der Haus⸗ 
hofmeiſter nach dem Programm die Künſtler heraufholen. 
Sie erſchienen mit Notenblatt oder Inſtrument und 
grüßten mit einer tiefen Verbeugung, die aber nur von der 
Herzogin erwidert wurde. Es war die Elite der Künſtler 
Londons und ihre Leiſtungen faſt alle entzückend ſchön. 
Dies ſchien die vornehme Geſellſchaft aber nicht zu fühlen, 
denn die Unterhaltung riß keinen Augenblick ab. Nur als 
eine ſehr beliebte Sängerin auftrat, wurde es etwas ruhiger 

und man hörte einige leiſe Bravos, für die ſie ſich ſogleich 
durch tiefe Verbeugungen bedankte. „Ich ärgerte mich 


56 Biographie Spohrs. 


ſehr über dieſe Entwürdigung der Kunſt und noch mehr 
über die Künſtler, die ſich ſolche Behandlung gefallen 
ließen und hatte große Luſt gar nicht zu ſpielen,“ erzählt 
er weiter. „Ich zögerte daher, als die Reihe an mich 
kam, abſichtlich ſo lange, bis der Herzog, wahrſcheinlich 
auf einen Wink ſeiner Gemahlin, mich ſelbſt zum Spielen 
aufforderte. Nun erſt ließ ich durch einen Diener mein 
Violinkäſtchen heraufholen und begann dann, ohne vorher 
eine Verbeugung zu machen, meinen Vortrag. Alle dieſe 
Umſtände mochten die Aufmerkſamkeit der Geſellſchaft er⸗ 
regt haben, denn es herrſchte während meines Vortrags 
eine große Stille im Saal. Als ich geendet hatte, ap⸗ 
plaudirte das herzogliche Paar und die Gäſte ſtimmten 
mit ein. Nun erſt dankte ich durch eine Verbeugung. 
Bald darauf ſchloß das Concert und die Muſiker zogen 
ſich zurück. Hatte es nun ſchon Senſation erregt, daß 
wir uns der Geſellſchaft angeſchloſſen, ſo ſteigerte ſich dieſe 
noch um Vieles, als man ſah, daß auch wir zum Souper 
dablieben und bei demſelben von dem herzoglichen Paare 
mit großer Auszeichnung behandelt wurden. Wir hatten 
dieſes Unerhörte wohl dem Umſtande zu verdanken, daß die 
Herzogin ſchon im elterlichen Hauſe Zeuge der guten Auf⸗ 
nahme in Meiningen geweſen war. Auch der Herzog von 
Suſſex zeichnete mich ſehr aus und unterhielt ſich viel mit 
mir.“ So ward denn auch hier Spohr's echte deutſche 
Würdigkeit im Gefühl des eigenen Werthes das Zeichen 
zum Durchbruch einer würdigen geſellſchaftlichen Aufnahme 
wahrer Künſtler auch in England. 

Sein Benefice⸗Concert war, gewiß zum großen Theile 
auch infolge dieſes männlichen Benehmens eines der glän⸗ 
zendſten und beſuchteſten der ganzen Saiſon: auch Lindley 
und Dragonetti, aus Beethovens Leben bekannt, wirkten 
dabei mit. Er erzählt dann noch von der Unterrichtsme⸗ 
thode Logier's, der in London eine Lehranſtalt hatte und 
bewundernswerthe Erfolge gerade in der Harmonielehre 


Biographie Spohrs. 57 


erzielte: ſein Lehrbuch war das erſte, wodurch wenig Jahre 
ſpäter Richard Wagner zuerſt in die Geheimniſſe dieſer 
Kunſt einzudringen verſuchte. Darauf kehrte er mit ſeiner 
Frau, die mit ihrem Harfenſpiele ebenfalls höchlich bewun⸗ 
dert worden war aber daſſelbe zu ihrem großen Leidweſen 
aus Rückſichten auf ihre Geſundheit gänzlich aufgeben 
mußte, aufs Feſtland zurück. 


7. In Paris. 


(1820—1821.) 


„Während ſich die Pariſer zu ſinnlichen 

Genüſſen drängen, muß man ſie zu gei⸗ 

ſtigen faſt an den Haaren herbeiziehen.“ 

Spohr. 

Die Schilderung der Zuſtände des muſikaliſchen Paris 
der zwanziger Jahre, die Spohr macht, gewinnt uns um 
ſo größeren Antheil ab, als ſich gerade an ihnen, freilich 
auf ſehr verſchieden geartete Weiſe die beiden Genien Liſzt 
und Wagner zur künſtleriſchen Mannheit erzogen: Liszt 
nahm die einſeitige aber bis dahin unerhörte Virtuoſität 
jener Tage auf, um damit auch in geiſtiger Weiſe Uner⸗ 
hörtes auszudrücken, Wagner ward durch jenen falſchen 
Glanz und Schimmer erſt völlig auf das einfach Echte und 
Wahrhaftige in unſerer Kunſt geführt. Es iſt ein Zeichen 
der innerlich ſicheren Künſtlernatur, daß Spohr von all 
dieſem Gleißen und Flimmern völlig unberührt blieb und 
ein tapfrer Deutſcher „ging ſeines Weges Schritt vor Schritt.“ 
Die volle Naivetät des franzöſiſchen Selbſtbewußtſeins, 
das ja damals in höchſter Blüte ſtand, hatte Spohr be⸗ 
reits einige Zeit vorher in Brüſſel kennen gelernt, wo 
der durch ſeine Aehnlichkeit mit Napoleon bekannte Alexan⸗ 
der Boucher aus Paris ſich hören ließ. „Er hatte ſich die 
Haltung des verbannten Kaiſers, feine Art den Hut auf- 


58 Biographie Spohrs. 


zuſetzen, eine Priſe zu nehmen möglichſt getreu eingeübt,“ 
erzählt Spohr. „Kam er nun in eine Stadt, wo er noch 
unbekannt war, ſo präſentirte er ſich ſogleich mit dieſen 
Künſten auf der Promenade oder im Theater. In Lille 
hatte er ſogar fein letztes Concert fo angekündigt: ‚Eine 
unglückliche Aehnlichkeit zwingt mich zur Verbannung, ich 
werde jedoch, ehe ich mein ſchönes Vaterland verlaſſe, ein 
Abſchiedsconcert geben.“ Auch andere Charlatanerien hatte 
jene Ankündigung enthalten, wie ‚Sch werde jenes berühmte 
Concert in Emoll von Viotti ſpielen, deſſen Ausführung 
mir in Paris den Namen des Alexander der Violiniſten 
erworben hat.“ Solche Ruhmredigkeit abgerechnet erwies 
er ſich aber gegen Spohr ſehr liebenswürdig gefällig und 
gab ihm einen Empfehlungsbrief nach Lille mit, in dem 
es nach einer Charakteriſtik des Spieles unſeres Künſtlers 
hieß: „Genug, wenn ich, wie man behauptet, der Napoleon 
der Geiger bin, iſt Herr Spohr gewiß der Moreau.“ 
Recht komiſche Züge ſolcher Naivetät der kindlichen 
Selbſtgefälligkeit erfuhr Spohr noch in Lille ſelbſt. Ein⸗ 
mal nämlich hatte der „Napoleon der Geiger“ mitten im 
Spiele, als ihm ſeiner Meinung nach etwas nicht recht 
geglückt war, plötzlich aufgehört und ohne auf die Be⸗ 
gleitenden Rückſicht zu nehmen, die verunglückte Stelle 
wiederholt, indem er ſich laut zurief: „Das war nicht rich⸗ 
tig, auf, Boucher, noch einmal!“ Im letzten Concert hatte 
er als letzte Nummer ein Rondo von ſeiner Compoſition 
gewählt, welches am Schluß eine improviſirte Cadenz hatte. 
Bei der Probe bat er die Dilettanten, die ihn begleiteten, 
nach dem Triller ſeiner Cadenz ja recht kräftig einzuſetzen, 
er werde ihnen dazu das Zeichen durch Niedertreten geben. 
Am Concertabend war es nun ſchon recht ſpät, als die 
Schlußnummer begann und die Herren mochten ſich nach 
dem Souper ſehnen. Als daher die Cadenz, in der Bou⸗ 
cher noch einmal all ſeine Kunſtſtücke vorführte, gar nicht 
enden wollte, legten einige der Herren ihre Inſtrumente 


Biographie Spohrs. 59 


fort und ſchlichen ſich davon. Dies ward ſo anſteckend, 
daß binnen wenig Minuten das ganze Orcheſter verſchwun⸗ 
den war. Boucher, der in der Begeiſterung nichts davon 
gemerkt hatte, hob ſchon beim Beginn ſeines Schlußtrillers 
den Fuß auf, um auf das Zeichen vorher aufmerkſam zu 
machen. Als er es nun am Ende wirklich gab, war er 
des Erfolges, nämlich des kräftigſten Einſatzes des Or- 
cheſters und des dadurch hervorgerufenen Beifalles der ent— 
zückten Zuhörer ganz gewiß. Man denke ſich alſo ſein 
Erſtaunen, als er außer ſeinem eigenen derben Fußtritte 
nichts weiter hörte. Erſchreckt ſah er um ſich und entdeckte 
nun die verlaſſenen Pulte. Das Publikum aber, das dieſen 
Augenblick hatte kommen ſehen, brach in ſchallendes Ge⸗ 
lächter aus, in welches Boucher wohl oder übel mit ein⸗ 
ſtimmte. 

So kannte Spohr die guten wie die üblen Seiten 
dieſer franzöſiſchen Künſtler recht gut und eben der Um⸗ 
ſtand, daß Paris künſtleriſch in der That damals ſo gut 
wie die Welt bedeutete, reizte ſeinen deutſchen Muth auch 
hier den Kampf aufzunehmen: es war in gewiſſer Weiſe 
ebenfalls ein Kampf mit dem Drachen, nämlich des horn- 
feſten allgemeinen Vorurtheils. 

„Mit klopfendem Herzen fuhr ich durch die Barriere,“ 
beginnt er ſeine ſchon damals veröffentlichten Reiſeberichte. 
„Der Gedanke, daß mir nun die Freude zutheil werden 
würde die Künſtler perſönlich kennen zu lernen, deren 
Werke mich ſchon in der früheſten Kindheit begeiſtert hatten, 
erregte dieſe lebhafte Bewegung in mir. Ich verſetzte mich 
in Gedanken in die Zeit meiner Knabenjahre zurück, als 
Cherubini mein Idol war. Den Schöpfer des Waſſer— 
trägers und mehrere andere Männer, deren Werke auf 
meine Ausbildung als Componiſt und Geiger den ent⸗ 
ſchiedenſten Einfluß gehabt hatten, ſollte ich nun bald 
ſehen.“ Von allen dieſen ward er denn auch freundlich 
empfangen und Cherubini, der ihm als gegen Fremde zu- 


60 Biographie Spohrs. 


rückhaltend, ja finſter geſchildert worden war, lud ihn ein, 
ſeinen Beſuch ſo oft er wolle zu wiederholen. Beſonders 
wurde ihm Derjenige befreundet, den Beethoven im Jahre 
1798 in Wien als Begleiter des franzöſiſchen Geſandten 
Bernadotte kennen gelernt hatte und dem er wenig Jahre 
ſpäter ſeine berühmte Kreutzer⸗Sonate gewidmet hat, 
Viotti's Schüler Rudolph Kreutzer, der ebenfalls als Com⸗ 
poniſt thätig war. 

Sogleich der erſte Eindruck einer Oper war aber der 
denkbar mißlichſte. Man gab in der Grand’ Opera Les 
mysteres d'Isis, die Zauberflöte. Dabei enthüllte ſich ihm 
der franzöſiſche Kunſtgeſchmack nach all ſeinen Richtungen. 
Die Entſtellung des Werkes war der Art, daß die Fran⸗ 
zoſen ſelbſt dieſe Verballhornung Les miseres d'ici nann⸗ 
ten. „Man ſchämt ſich, daß es Deutſche ſind, die ſich ſo 
an dem unſterblichen Meiſter verſündigen,“ ſchreibt er. 
„Es iſt nichts unangetaſtet geblieben als die Ouvertüre: 
alles übrige iſt durcheinander geworfen, verändert und 
verſtümmelt. Die Oper fängt mit dem Schlußchore an, 
dann folgt der Marſch aus Titus, dann bald dieſes bald 
jenes Bruchſtück aus anderen Mozartſchen Opern, ſogar 
auch ein Stückchen einer Haydnuſchen Symphonie, dazwiſchen 
denn Recitative von des Herrn Lachnith eigener Fabrik. 
Aerger aber als dies iſt es, daß die Bearbeiter vielen 
freundlichen, ſelbſt komiſchen Stellen ernſten Text unter⸗ 
gelegt haben, wodurch die Muſik nun zur Parodie des 
Textes und der Situation wird. So ſingt Papagena die 
Arie des Mohren, und das Terzett der drei Knaben ‚Seid 
uns zum zweitenmal willkommen“ wird von drei Damen 
geſungen. Aus dem Duett „Bei Männern, welche Liebe 
fühlen“ ift ein Terzett geworden, und fo giebt es der Ver⸗ 
ſündigungen mehr. Man muß den Franzoſen die Gerech⸗ 
tigkeit widerfahren laſſen, daß ſie dieſe vandaliſche Ver⸗ 
ſtümmelung entſchieden gemißbilligt haben. Aber wie 
kommt es, daß die mysteres demungeachtet ſeit 18—20 


Biographie Spohrs. 61 


Jahren ruhig auf dem Repertoire bleiben, da doch hier 
das Publikum ſo despotiſch im Theater regiert und alles 
durchzuſetzen weiß was es will?“ Die ernſte Antwort 
darauf geben die Verſtümmelung wie die Wiederherſtellung 
des „Freiſchütz“, von der ſeinerzeit R. Wagner berichtet 
hat, und die rohe Mißhandlung ſeines „Tannhäuſer“ im 
Jahre 1861. 

Er trug auch bald von ſeinen Werken vor: „Die Com⸗ 
poniſten ſagten mir viel Schönes über meine Compoſition, 
die Geiger über mein Spiel.“ Es waren Viotti, Kreutzer, 
Baillot, Lafont, Habeneck, alles Namen von europäiſchem 
Klang. Allein ſelbſt Cherubini war nicht weit genug vor⸗ 
geſchritten, er ſagte: „Ihre Muſik wie überhaupt die Form 
und der Stil dieſer Muſikgattung iſt mir noch ſo fremd, 
daß ich mich nicht ſogleich hineinfinden und gehörig folgen 
kann; es würde mir daher ſehr lieb ſein, wenn Sie das 
ſoeben geſpielte Quartett ſogleich noch einmal ſpielten.“ 
Er kannte nur erſt Haydns Quartette! Was war da von 
den bloßen Virtuoſen zu erwarten? Henry Herz gab ſelbſt 
in der Geſellſchaft von Künſtlern nur „halsbrechende Kunft- 
ſtücke“ zum Beſten. „Daß bei ſolchem Verfahren der Geiſt 
getödtet werden muß iſt leicht begreiflich. Man hört daher 
ſelten oder nie ein ernſtes gediegenes Muſikſtück, etwa 
ein Quartett von neueren großen Meiſtern, jeder reitet 
nur ſein Paradepferd vor, da giebt es denn nichts als 
Airs variées, Rondos favoris, Nocturne und dergleichen 
Bagatellen mehr, und wenn dies alles auch noch jo incor⸗ 
rect und fade iſt, es verfehlt ſeine Wirkung nie, wenn es 
nur recht glatt und ſüß vorgetragen wird,“ erzählt Spohr, 
— wer dächte dabei nicht an die Romanzen der Loiſa 
Puget, gegen die ein Wagner mit ſeinen Liedern nicht an⸗ 
kommen konnte? „Ebenſo iſt es in den Theatern; der 
tonangebende große Haufen weiß durchaus das Schlechteſte 
nicht vom Beſten zu unterſcheiden; man braucht nicht lange 
hier zu ſein, um der Meinung beizutreten, daß die Fran⸗ 


62 Biographie Spohrs. 


zoſen ein unmuſikaliſches Volk ſind,“ heißt es kurzab. Im 
Don Juan blieben die herrlichſten Stücke, das erſte Duett, 
das Quartett, das große Sextett ohne Eindruck, der Bei⸗ 
fall zweier Nummern galt mehr den Sängern als dem 
Componiſten. Spohrs ganzer Bericht iſt eine vortreffliche 
Erläuterung zu den bekannten Briefen Wagners vom 
Jahre 1840—41. 

Dazu die Anmaßung, dennoch auch in dieſem Punkte 
die grande nation zu ſein! Spohr giebt auch davon 
köſtliche Beiſpiele, indem er uns Urtheile über ſein eigenes 
Concert überliefert. 

„In all dieſen Berichten ſpricht ſich die franzöſiſche 
Eitelkeit recht ſelbſtgefällig aus,“ ſagt er. „Alle fangen 
damit an, ihre eigenen Künſtler und ihre Kunſtbildung 
über die aller übrigen Nationen zu erheben; ſie meinen, 
das Land, welches die Herren Baillot, Lafont, Habeneck 
beſitzt, brauche kein anderes um ſeine Geiger zu beneiden, 
und wenn man hier demungeachtet einen Fremden mit 
Enthuſiasmus aufgenommen habe, ſo ſei dies ein Beweis, 
wie gaſtfreundlich die Franzoſen überhaupt ſeien. Dieſe 
Eitelkeit abgerechnet ſind die Berichte aber ſehr widerſpre⸗ 
chend. Der Eine ſagte: „Spohr ergreift mit unglaublicher 
Kühnheit die größten Schwierigkeiten und man weiß nicht 
was mehr erſtaunt, ſeine Kühnheit oder die Sicherheit, mit 
der dieſe Schwierigkeiten ausgeführt werden.“ Der Andere: 
„Das vorgeführte Concert iſt durchaus nicht mit Schwie⸗ 
rigkeiten überladen.“ Seine Compoſitionen fand man gut, 
ohne indeſſen zu ſagen warum. Ein Blatt aber ſagte: 
„Das iſt eine Art germaniſchen Harmonie⸗ und Enhar⸗ 
monie-Gepäds, die als Contrebande, ich weiß nicht aus 
welcher Gegend Deutſchlands, eingeführt wird.“ Dafür 
iſt aber Roſſini deſſen Mann: „Dieſer moderne Orpheus 
hat das Concert mit ſeinem Geſange freigehalten und es 
genügte dazu eine kleine Arie und ein kleines komiſches 
Duett.“ Als Geiger fand Spohr jedoch hier mehr Gnade. 


Biographie Spohrs. 63 


Er ſei ein Mann von Verdienſt, hieß es da, er habe zwei 
ſeltene und koſtbare Eigenſchaften: „Reinheit und Richtig⸗ 
keit“. Dann aber kommt folgender Schluß: „Wenn er ei- 
nige Zeit in Paris bleibt, kann er feinen Geſchmack vervoll⸗ 
kommnen und zurückgekehrt den der guten Deutſchen bilden.“ 
„Wenn doch der gute Mann wüßte, was die bons Alle- 
mands von dem Kunſtgeſchmacke der Franzoſen denken!“ 
endigt Spohr. 

Zum Abſchluſſe geben wir noch einige Urtheile Spohrs 
über Kunſt und Künſtler des Paris jener Tage, die auf 
Liſzt, Chopin, Wagner warteten und den genialen Berlioz 
ſchon halbbekannt in ſich bargen. 

Die Sorgfältigkeit der Ausführung in der einmal er⸗ 
griffenen Aufgabe rühmt Spohr wie Wagner an den Pa⸗ 
riſer Künſtlern als einen Vorzug vor der deutſchen Ge— 
wohnheit. Doch vermißt er andererſeits deutſchen Werken 
gegenüber die Energie und Zartheit, die unſere Muſik zu⸗ 
gleich erfordere. Das Orcheſter der großen Oper nennt er 
wegen ſeiner Discretion im Begleiten mit Recht berühmt 
und ſtellt es darin ſelbſt manchem deutſchen als Muſter hin. 
Von den Geigern ſetzt er Lafont obenan, nur mangele ihm 
wie allen Franzoſen in der Muſik wahres tiefes Gefühl 
und er ſei zu einſeitig in ſeinen Stücken. Auch Baillots 
nüancenreiches Spiel, das beſonders Beethovens Romanze 
„jo ſchön fang“, litt unter der ſonſt waltenden Gehaltloſig⸗ 
keit der Compoſitionen. Im höchſten Grade ausgezeichnet 
fand er die Bläſer. „Es iſt unmöglich einen ſchöneren Ton 
zu hören,“ lobt er von dem berühmten Tulou. „Seitdem 
ich ihn gehört, kommt es mir nicht mehr jo unpaſſend 
vor, wenn unſere Dichter den Wohllaut einer ſchönen 
Stimme dem Flötenton vergleichen.“ Auch die vollkom- 
mene Gleichheit des Tones und des Anſatzes der Oboe, ſo— 
wie den Vortrag „voll Grazie und Geſchmack“ des Spielers 
bewundert er, doch weiſt deſſen Name Georg Vogt auf 
deutſche Herkunft, er war im Elſaß geboren. Man weiß 


64 Biographie Spohrs. 


heute in höherem Maße durch R. Wagner, was ſolche Ein⸗ 
zelinſtrumente dem dramatiſchen Componiſten bedeuten. 

Von lebenden Componiſten waren dort am bedeutſamſten 
Reicha und Cherubini. Erſterer, als Freund Beetho⸗ 
vens und Lehrer Liſzts für immer der Kunſtgeſchichte an⸗ 
gehörend, war ein geborener Böhme. „Deutſche Gründ⸗ 
lichkeit und Tüchtigkeit ſind auch dieſes Meiſters ſchönſte 
Zierden,“ ſagt Spohr. Das Urtheil über Cherubini zeigt 
uns den Künſtler, dem es um ſeine Kunſt Ernſt iſt. Er 
bedauert, daß auch dieſer Meiſter ſich vom wahren Kirchen⸗ 
ſtil entferne und in ſeinen Meſſen oft den Theaterſtil vor⸗ 
herrſchen laſſe, ſodaß der klug berechnete Effect und ein 
„ausſchweifender Stil“ den reinen Kunſtgenuß zurückdränge. 
„Was würde dieſer Mann geleiſtet haben, wenn er anſtatt 
für Franzoſen immer für Deutſche geſchrieben hätte!“ 
ſchließt er und erinnert dabei lebhaft an das milde Wort 
Wagners über den blitzenden Genius Roſſinis, der von 
dem ſchlaffen Geiſt der Reſtaurationsepoche in die Arme 
der Sinnenluſt gezogen und ſo in ſeiner beſten Entwick⸗ 
lung gehemmt wurde. 


8. Jeſſonda. 


(1822—1823.) 


Im Herbſt 1821 zog Spohr nach Dresden. Dort traf 
er abermals mit Weber zuſammen, der ihn aufs herzlichſte 
empfing und in alle muſikaliſche Cirkel einführte. Wich⸗ 
tiger aber als dieſe Neuanregung zur Compoſition von 
Kammermuſik ward ihm und uns die Aufführung des 
Freiſchütz, die eben damals in Dresden ſtattfand, denn ſie 
führte zu der Entſtehung von Spohrs poeſievollſtem Werke, 
der Jeſſonda. 


Biographie Spohrs. 65 


„Da ich das Compoſionstalent Webers bis dahin nicht 
ſehr hoch hatte ſtellen können,“ erzählt er, „ſo war ich 
begreiflicherweiſe nicht wenig geſpannt, dieſe Oper kennen 
zu lernen, um zu ergründen, wodurch ſie in den beiden 
Hauptſtädten Deutſchlands einen fo enthuſtaſtiſchen Erfolg 
gefunden habe. Die nähere Bekanntſchaft mit dem Werke 
in den Proben löſte mir das Räthſel ihres ungeheuren 
Erfolges freilich nicht, es ſei denn, daß ich ihn durch die 
Gabe Webers für die Faſſungskraft des großen Haufens 
ſchreiben zu können, erklärt finden wollte. Da mir nun 
dieſe Gabe von der Natur verſagt war, ſo iſt es ſchwer zu 
erklären, wie mich demungeachtet eine unbezwingliche Luſt 
anwandeln konnte, mich von neuem in einer dramatiſchen 
Compoſition zu verſuchen. Aber es war fol Kaum zu 
Hauſe angelangt ſuchte ich aus meinem Koffer eine halb⸗ 
vergeſſene Arbeit hervor, die ich bereits in Paris begonnen 
hatte. An einem langweiligen Regentage, der in dem 
kothigen Paris jedes Ausgehen unmöglich macht, bat ich 
meine Wirthin um Lectüre. Sie brachte mir einen alten 
ſchon ganz zerleſenen Roman ‚Die Witwe von Malabar“. 
Ich fand, daß der intereſſante Stoff derſelben ſich recht 
gut zu einer Oper eignen würde und erſtand das Buch 
für einige Sous. Ich hatte ſchon einen Scenenentwurf 
begonnen. Jetzt überarbeitete ich denſelben mit erneutem 
Eifer, beſtimmte aufs genaueſte, was in jeder Scene ge- 
ſchehen ſollte, und ſuchte nach einem Dichter. Ich fand 
ihn in Eduard Gehe. So entſtand die Dichtung der Oper 
Jeſſonda.“ 

N Ihr Inhalt iſt ein in ſeiner Einfachheit rührender. Eine 

Fremde, die in der Jugend den Portugieſenführer Triſtan 
kennen und lieben gelernt hat, iſt wider ihren Willen an 
einen greiſen Rajah verheirathet geweſen und ſoll nun mit 
ſeinem Leichnam verbrannt werden. Ein Brahmine Nadori, 
der ihr den Tod verkündigt, wird von ihrer und ihrer 
Schweſter Amazili Schönheit ſo ſehr ergriffen, daß ſein Herz 

5 


66 Biographie Spohrs. 

ihnen Theilnahme und Hilfe zuwendet. Triſtan iſt zur 
Wiedereroberung des indiſchen Gebietes zurückgekehrt und 
hat während der Verbrennungsfeier Waffenſtillſtand zugeſagt. 
Bei der vorausgehenden Ceremonie erkennt er Jeſſonda wie⸗ 
der und iſt nun in Verzweiflung ſie nach dem erneuten Be⸗ 
ſitze für immer verlieren zu ſollen. Allein ſein Wort bindet 
ihn. Da verräth der Brahmine, daß die Indier die frem⸗ 
den Schiffe heimlich anzünden wollen: ſo iſt er frei und 
rettet Jeſſonda und ihre Schweſter, die des helfenden Brah⸗ 
minen Gattin wird. 

Die Compoſition dieſes zu mancherlei Situationen und 
Spielen ausgeſponnenen Textes ward freilich zunächſt noch 
hinausgeſchoben: er erhielt durch den Einfluß Webers die 
Berufung nach Caſſel, wo heute ſein Denkmal ſteht. Denn 
wie Mozart zu Wien, Weber zu Dresden, ſo gehört Spohr 
zu Caſſel, er hat es zeitlebens nicht wieder verlaſſen. 
Weber hatte nach ſeiner ſchönen Denkungsart nicht ver⸗ 
geſſen, daß Spohrs höhere techniſche Ausbildung auch ihm 
einſt zugute gekommen war. Schon an jenem Tage, als 
die Oper für Wien beſtellt wurde, die ſein Schmerzenskind 
aber auch das Juwel ſeiner Werke werden ſollte, die Eu⸗ 
ryanthe, hatte er mit Spohr bei ſchäumendem Wein auf 
deren Heil angeſtoßen, und wenn auch nicht das „Com⸗ 
poſitionstalent“, den echten Künſtler in Weber wußte auch 
Spohr zu erkennen und zu würdigen. Da Weber, an den 
der Ruf nach Caſſel urſprünglich ergangen war, demſelben 
nicht folgen wollte, weil er mit ſeiner Stellung in Dres⸗ 
den zufrieden war, ſo empfahl er Spohr und dieſer ward 
denn kurz darauf wohlbeſtallter kurfürſtlich heſſiſcher Hof⸗ 
capellmeiſter auf Lebenszeit. 

In dem gleichen Jahre 1822 wurde denn auch in der 
behaglichen Sicherheit ſeines jetzigen Daſeins die Jeſſonda 
componirt. „Ich war in der letzten Zeit mit einer neuen 
Oper ſo eifrig beſchäftigt, daß ich darüber alles Andere 
ein wenig vernachläſſigt habe,“ ſchreibt er im Januar 1823 


Biographie Spohrs. 67 


au einen Freund. „Nun iſt ſie fertig und ich bin recht 
froh, eine ſo bedeutende Arbeit vollendet zu haben. Wenn 
ich von dieſer Oper mehr erwarte als von den früheren, 
ſo ſtützt ſich dies auf meine vermehrte Erfahrung und auf 
die Begeiſterung, mit der das wohlgerathene Buch mich 
faſt bei jeder Nummer erfüllte. Um nie anders als in 
Stunden der Weihe an die Arbeit zu gehen, habe ich mir 
bei dieſer auch mehr Zeit als bei allen früheren gegönnt.“ 
Die erſte Aufführung fand am 28. Juli zum Geburtstage 
des Kurfürſten ſtatt. „Sie wünſchen durch mich von der 
erſten Aufführung der Jeſſonda etwas zu erfahren,“ ſchreibt 
er weiter. „Dieſer Auftrag will ſich für mich nicht recht 
ſchicken, denn ich werde ohne es zu wollen doch wohl zu 
ihrem Lobredner werden müſſen. Der Effect war groß! 
Es iſt hier Sitte, daß an Geburtstagen nur der Hof mit 
Applaudiſſement empfangen und dann die Oper ohne laute 
Aeußerungen des Beifalls angehört wird. Dies hatte dies⸗ 
mal auch ſo ſein ſollen. Aber ſchon vor Ende des erſten 
Actes brach ein ſtürmiſcher Beifall los und nun war die 
Etiquette für den Reſt des Abends vergeſſen. Die Auf- 
führung war vorzüglich. Chöre und Orcheſter, Scenerie, 
Tänze, Schaugefechte, Decorationen, Kleider, alles vortreff⸗ 
lich. Mich hat dieſe Arbeit ſehr glücklich gemacht und ich 
darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten ſehr 
gefallen wird.“ 

Dies Letztere hat ſich erfüllt: die Jeſſonda lebt noch 
heute, und zwar trotz all des Bunterleis der Scene, das 
Spohr da ſelbſt aufzählt und das uns ſo gut wie ſeine 
Bezeichnungen „Buch“ und „Nummern“ völlig auf den 
Standpunkt der alten Oper zurückſtellt, ſie lebt durch das 
aufrichtig warme Gefühl, das dieſe einzelnen Nummern 
beſeelt, und den Adel der Sprache, den alles in ihr hat. 
Ja, an einzelnen Stellen wie in dem noch heute ſo be— 
liebten Duett zwiſchen Amazili und Nadori breitet die 
ſchönſte Seele völlig ihre Schwingen aus, und in der Tod- 

5 * 


68 Biographie Spohrs. 


kündigung Nadoris iſt etwas von der erhabenen Ruhe, mit 
der bald Wagner ſogar all dieſe Vorbilder von Gluck über 
Mozart bis zu Spohr im Dramatiſchen übertreffen und 
die volle Weihe des Antiken wiederherſtellen ſollte. Im 
ganzen Tone erinnert das Werk ebenſo an Gluck wie an 
Mozart, hat die gleiche edle Sentimentalität, wenn auch 
mit Hilfe des Chromatiſchen um ein Bedeutendes ſenti⸗ 
mentaler, wodurch denn die beſondere Bezeichnung „Spohr⸗ 
ſches weiches Chroma“ entſtanden iſt. Im übrigen iſt es 
gerade das größere „Compoſitionstalent“ Spohrs, was 
dem Werke die entſcheidende Bedeutung vorenthält und die 
ſtete Fortdauer geraubt hat: es iſt eben eine „Oper“; die 
Situationen ſind zu muſikaliſchen Einzelbildern zertheilt, die 
im Grunde nur Muſik ſind und wenn ſie auch geſungen 
erſt völlig erklingen, dennoch im Grunde ebenſo gut irgend 
einem Snftrumentalwerfe angehören könnten als fie ge⸗ 
ſungen werden. Doch hat das Ganze einige gute Fort⸗ 
ſchritte, die einzelnen „Nummern“ ſind häufig in einander 
übergeleitet und ſo in das Ganze mehr Fluß gebracht als 
die hergebrachte Oper hatte. Und in der leiſen Benutzung 
des „Leitmotives“ zeigt ſich das Beſtreben, auch für das 
rein ſinnliche Gefühl einen fühlbaren Zuſammenhang 
herzuſtellen, ſodaß das Werk der Kunſtgeſchichte zweifellos 
angehört und Spohrs Namen darin für immer aufgeſtellt hat. 

Gerade was an „Compoſitionstalent“ dem edlen Weber 
mangelte, nöthigte und befähigte ihn auf gleiche Weiſe, 
aus den Grenzen ſeiner Perſönlichkeit herauszutreten und 
den Dingen, mit denen er da dramatiſch zu thun hatte, 
näher auf den Leib zu gehen. Während daher Spohrs 
Geſtalten in einer gewiſſen Paſſivität des bloßen Fühlens 
verharren und daher einander ſoſehr gleichen, daß der Ein⸗ 
druck der Monotonie bei ſeinen Opern nicht überwunden 
wird, blitzt in Webers Partituren, vorab im Freiſchütz und 
im Oberon oft geradezu blendend der Genius auf, und dies 
manchmal mit überraſchend geringer Benutzung der uner⸗ 


Biographie Spohrs. 69 


ſchüpfiichen Mittel des Melodiſchen, Rhythmiſchen, Har- 
moniſchen oder auch blos Inſtrumentalen. Dazu kommt, 
daß die unausgeſetzte Verwendung der hergebrachten For⸗ 
men Spohr auch gar zu oft in gewiſſe Wendungen, Re⸗ 
densarten und Verbrämungen verfallen läßt, die in ihrer 
ſtehenden Weiſe am allerwenigſten mit dem ſcharf Charaf- 
teriſirenden und lebhaft Fortſchreitenden des Dramas zu 
thun haben. Daher gerade er denn auch gleich dem ihm 
nach dieſer Seite hin höchſt verwandten Händel, dem eben⸗ 
falls die mechaniſche Cadenzirung ſtets ſo verführeriſch nahe 
lag, am meiſten dem geiſtreichen Spott ihres doch gewiß auf- 
richtigen Verehrers Wagner verfällt, — man denke nur an die 
Meiſterſinger! Allein dieſer etwas breit behagliche, gemüth⸗ 
lich⸗bürgerliche Ton, dieſes Sichhineinweben in die eigene 
Empfindung, während da draußen die Welt laut toſt und 
brauſt und ebenſo ewig neu gebiert wie zerſtört, er iſt immer⸗ 
hin eine Idealiſirung des ewig bedürftigen Tagesdaſeins, wie 
ſie ſelbſt die der Kunſt Befliſſenen nur ſelten beſitzen, und 
was uns Wagner an Echtem, Tüchtigem und Erhebendem 
in ſeinem Hans Sachs zeichnet, Spohr war dies in völli⸗ 
ger Wirklichkeit. Dieſer verklärende Engel ſeines ganzen 
Daſeins aber iſt in wahrhaft lieblich holder Erſcheinung 
ſeine Jeſſonda. Daher ſie uns dauernd geweiht bleibe! 


9. Wachſende Erfolge. 


(1824 —1840.) 


In Caſſel ſollte Spohr während eines Zeitraums von 
faſt vierzig Jahren unter zwei Regenten die ganzen Wun⸗ 
der jener Reactionszeit erleben, die jedem freigeborenen 
Deutſchen ein Gräuel bis in die Seele war. Doch lin— 
derte ſeinen Widerwillen gegen ſolche Zuſtände die auf⸗ 


70 Biographie Spohrs. 


richtige Kunſtliebe ſeiner Fürſten ſowie deren perſönliche 
Geſinnung für ihn. Konnte er es zum Beiſpiel nicht durch⸗ 
ſetzen, daß die Leibgardiſten, die im Theaterorcheſter mit⸗ 
wirkten, ebenfalls in Civil erſchienen, ſodaß daſſelbe dem 
Auge ein komiſches Bunterlei zeigte, ſo wurden ſeine An⸗ 
träge um Vermehrung dieſer Capelle ſelbſt ſämmtlich ge⸗ 
nehmigt, und er rühmt mit Recht, daß dieſelbe „durch dieſen 
Zuwachs und ein fleißiges Einüben“ eine der vorzüglichſten 
in Deutſchland geworden ſei. 

Er richtete ſich nun bald in einem eigenen Häuschen ein, 
in dem dann vor allem viel Kammermuſik getrieben wurde, 
und genoß eines Behagens, um das ihn mancher Künſt⸗ 
ler beneiden konnte, das große Genien wie Mozart und 
Beethoven nicht gekannt haben. Auch der Ruf, der ihm 
als Geiger zutheil geworden, harrte bis in ſeine alten Tage 
aus und wurde ſogar noch durch den des Componiſten 
übertroffen. War dies letztere nun auch kurzſichtige Ueber⸗ 
treibung, da Spohr immer nur, namentlich gegen ſein 
Vorbild Mozart, wie Goethe den Mond beſingt, die 
„Schweſter von dem erſten Licht“ bleibt, ſo iſt es gerade 
für die Geſchichte unſerer Kunſt und ihrer Meiſter von 
Werth zu ſehen, wie meiſt eben erſt die Nachbildner des 
Großen dieſem ſelbſt den Weg bahnen: wie Spohr auch im 
weiteſten Kreiſe erſt den Sinn für ernſtere Muſik, au⸗ 
ßerhalb des Religiöſen, ſo hat ſpäter Mendelsſohn ins⸗ 
beſondere für die Auffaſſung von Bach und Beethoven 
vorbereitet, deren ſoviel ſchwächerer Nachbildner er war. 
Die Aufnahme Bachs, Mozarts, Beethovens aber hat erſt 
das Verſtändnis der großen Schöpfungen ermöglicht, die 
dann wir Heutigen auch auf dem Gebiete des Dramatiſchen 
erleben, und wir werden ſehen, daß Spohrs ernſte Liebe 
für ſeine Kunſt auch hier das wirklich Neue und Selbſt⸗ 
eigene ſogar in ſeinen jugendlichen Anfängen verſtand. 

Er ſelbſt blieb immer darauf bedacht, die Grenzen ſeiner 
Kunſt zu erweitern und ſie namentlich dem freien geiſtigen 


Biographie Spohrs. 71 


Leben anzunähern. Hatte er früher bereits das Doppel- 
quartett verſucht, ſo ſchrieb er jetzt eine Symphonie für 
zwei Orcheſter, und zwar ward er darauf durch ſein Thema 
geführt, welches lautete: „Irdiſches und Göttliches im 
Menſchenleben“. Sein unbefangener Sinn leitete ihn alſo 
zu jener Programm⸗Muſik, die im Grunde ſchon bei Beet⸗ 
hoven völlig vorhanden, in Berlioz, Liſzt und Wagner 
herrlichſte muſikaliſche Geiſtesfrüchte tragen ſollte. Seinen 
ferneren Compoſitionen hängt freilich ein vorwiegend for⸗ 
males Weſen an, das ſie eben doch auf die Dauer der 
Vergänglichkeit weiht. Zu dem Oratorium „Die letzten 
Dinge“, das ihm Hofrath Rochlitz geſchickt hatte, machte 
er noch „neue Studien des Contrapunktes und des Kirchen- 
ſtiles“. War aber ſchon ſelbſt ſeine beſte Oper opernhaft 
geblieben, fo ſchmeckt in dieſen und den folgenden orato⸗ 
riſchen Werken Spohrs eben alles nach „Kirchenſtil“. Erſt 
unſere Zeit hat dieſe unverbundene Miſchung des ſtrengen 
Stiles der Alten mit dem melodiſchen, dem ſogenannten 
Gala⸗Stile der claſſiſchen Zeit überwunden und in dieſer 
Hinſicht wirklich Neues und Eigenes erzeugt. Es ſei dafür 
einzig an Liſzts „Chriſtus“ und den „Parſifal“ erinnert. 

Wir laſſen nun ihn ſelbſt und ſeine zweite Gattin die 
ferneren Begebniſſe weiter erzählen. 

Im Jahre 1830 kam Paganini, den er ja in Italien 
perſönlich ſchon kennen gelernt hatte, und gab zwei Con⸗ 
certe. „Seine linke Hand ſowie die immer reine Intonation 
erſchienen mir bewunderungswürdig,“ ſagt er. „In ſeinen 
Compoſitionen und ſeinem Vortrage aber fand ich eine 
ſonderbare Miſchung von höchſt Genialem und kindiſch Ge⸗ 
ſchmackloſem, wodurch man ſich abwechſelnd angezogen und 
abgeſtoßen fühlte, weshalb der Totaleindruck nach öfterem 
Hören für mich nicht befriedigend war.“ Es mochte ihm 
dieſe phänomenale Erſcheinung zugleich ein Antrieb ſein, 
ſeine Wiolinſchule zu ſchreiben, um fo der Künſtlerſchaft 
auf ſeinem Inſtrumente eine erneute dauernde Grundlage zu 


1 


72 Biographie Spohrs. 
geben. Was daraus hervorgegangen, ſehen wir heute in 
entzückter Bewunderung an A. Wilhelmy, durch Davids 
Ausbildung ein Zögling der Schule Spohrs zu nennen. 

Im Jahre 1832 entſtand feine Symphonie „Die Weihe 
der Töne“, nach einem Gedichte R. Pfeiffers. „Im erſten 
Satze hatte ich die Aufgabe, aus den Naturlauten ein har⸗ 
moniſches Ganze zu bilden,“ ſagt er und fand ſich durch 
einen ſolchen Preis der eigenen Kunſt höchſt angezogen. 
Das Werk fand denn auch bald weite Verbreitung. Im 
Jahre 1835 ſchrieb er ebenfalls auf Rochlitz' Anregung 
das Paſſionsoratorium „Des Heilands letzte Stunden“. 
Sein Gemüth war bei dieſer erhabenſten aller Begeben⸗ 
heiten und Vorſtellungen um ſo tiefer mit betheiligt, als 
er eben damals ſeine ſo ſehr geliebte Frau verlor. „Heute 
noch gedenke ich mit tiefer Wehmuth des Momentes, als 
ich ihrer Stirne den letzten Kuß aufdrückte!“ ſchreibt er 
und nennt das Werk ſelbſt die „gelungenſte meiner Ar⸗ 
beiten“. 

Dieſe Werke waren es nun, mit denen er, vor allem 
in England, ſich höchſten Ruhm erwarb und ſo den Höhe⸗ 


punkt ſeines menſchlichen wie künſtleriſchen Daſeins erlebte. 


Er ward fortan ſehr häufig zur eigenen Leitung ſeiner 
Compoſitionen eingeladen, und dadurch wie durch ſeine 


fortgeſetzten Reiſen lernte er die Mehrzahl der mitlebenden 


Meiſter ſeiner Kunſt und andere ſchaffende Geiſter kennen. 
Spontini in Berlin, der mit gewiſſeſtem Selbſtbewußtſein 
als Heros der muſikaliſch-dramatiſchen Welt von damals 
dreinſchauende hochtoupirte Pariſer Italiener, hatte ihn 
ſchon 1825 zur Leitung der Jeſſonda eingeladen, die auch 
dort ihren Beifall fand. Eine Reiſe ins Seebad führte 
ihn über Düſſeldorf, wo Immermann und Mendels⸗ 
ſohn wirkten. Letzterer ſpielte ihm die erſten Nummern des 
„Paulus“ vor, an denen ihm nur das nicht recht gefallen 


wollte, daß ſie zu ſehr dem Händelſchen Stile nachgebildet 


waren. Deſtomehr ſchien dem jüngeren Meiſter ein neues 


Biographie Spohrs. 73 


Concertino zu gefallen, in dem Spohr als „Novität“ ein 
eigenthümliches Staccato in einem langen Striche ange⸗ 
bracht hatte. Er begleitete das Stück auf ſehr gewandte 
Weiſe aus der Partitur, konnte das Staccato nicht oft 
genug hören und ſagte zu ſeiner Schweſter: „Sieh, das 
iſt das berühmte Spohrſche Staccato, welches ihm kein 
Geiger nachmacht.“ Als er von da zu Immermann ging, 
ſchlug ihm dieſer einen Beſuch bei dem „Sonderling“ 
Grabbe, dem Dichter von „Fauſt und Don Juan“ vor, 
wobei etwas recht Drolliges paſſirte. „Als wir bei ihm 
eintraten und der kleine Menſch mich Koloß zu Geſicht 
bekam,“ erzählt Spohr, „zog er ſich ſchüchtern in eine Ecke 
des Zimmers zurück und die erſten Worte, die er ſprach, 
waren: „Es wäre Ihnen ein Leichtes, mich da zum Fenſter 
hinauszuwerfen“. Ich antwortete: „Ja ich könnte es wohl, 
aber darum bin ich nicht hierher gekommen“. Erſt nach 
dieſer komiſchen Scene ſtellte mich Immermann dem när⸗ 
riſchen aber intereſſanten Menſchen vor.“ Im übrigen 
verlebte er in Mendelsſohns wie Immermanns Geſell⸗ 
ſchaft abwechſelnd angenehme Tage. Man ſieht, der ältere 
Künſtler ſtand ſtets mit lebhaftem Intereſſe zu den jüngeren. 

Im Jahre 1838 machte er auf der Durchreiſe nach 
Carlsbad in Leipzig die „längſt gewünſchte“ Bekanntſchaft 
mit Robert Schumann, der, „obgleich im Uebrigen ſehr 
ſtill und ernſt“ doch mit großer Wärme ſeine Verehrung 
für ihn an den Tag legte und ihn durch den Vortrag 
mehrerer ſeiner intereſſanten Phantaſieſtücke erfreute. So 
erzählt, da Spohr ſelbſt ſeit dieſem Jahre nichts mehr 
aufzeichnete, ſeine zweite Frau, die Schweſter jenes früh 
verſtorbenen Dichters Pfeiffer. In demſelben Jahre hatte 
er den erſt kürzlich geſtorbenen Norweger Ole Bull ge⸗ 
hört. „Sein vollgriffiges Spiel und die Sicherheit der 
linken Hand ſind bewundernswerth,“ ſchrieb Spohr einem 
Freunde, „er opfert aber wie Paganini ſeinen Kunſtſtücken 
zuviel Anderes des edlen Inſtrumentes. Er ſpielt mit 


74 Biographie Spohrs. 


vielem Gefühl, doch nicht mit gebildetem Geſchmack.“ 
Kleine Züge von Charlatanerie, die ſeinem eigenen ein⸗ 
fachen Weſen ſtets ſo fern gelegen, waren ihm bei Bull 
nicht entgangen. So erzählte er ſpäter öfters unter gut⸗ 
müthigem Lächeln zu ſeinem und Anderer Ergötzen, wie 
derſelbe an einer Stelle, die Gelegenheit bot durch eines 
ſeiner unübertrefflichen pp. zu glänzen, noch ſecundenlang 
den Bogen dicht über den Saiten ſchwebend gehalten habe, 
um das Publikum, welches in athemloſer Stille dem letz⸗ 
ten Verklingen lauſchte, glauben zu machen, der Ton 
dauere noch in einem unerhörten ppp. fort. 

Im Sommer 1839 ging Spohr auf Einladung zu 
einem Muſikfeſte nach Norwich. Hier ſollte er ſeinen Ruhm 
in vollen Zügen trinken. Auf Befehl der Regierung blieb 
ſein Gepräck unviſitirt, dies war ein deutlicher Vorgeſchmack. 
Beim Beſuche der Kathedrale, in die ihn der Mayor der 
Stadt führte, ſtellten ſich am Schluſſe des Gottesdienſtes 
die Menſchenmaſſen zu beiden Seiten auf, um ſie durchgehen 
zu laſſen und Spohr wie ein Wunder anzuſtaunen. Selt⸗ 
ſamerweiſe war die Predigt gegen Spohr und ſein Paſ⸗ 
ſionsoratorium, das hier aufgeführt werden ſollte, gerichtet 
geweſen, es galt der pietiſtiſchen Partei für ſündlich einen 
ſo heiligen Gegenſtand zu einem Kunſtwerke zu benutzen, 
und die Predigt beſchwor die Andächtigen, ſie möchten nicht 
ihre Seele für eines Tages Vergnügen dahingeben. „Wir 
erblicken nun auf der Emporkirche dem fanatiſchen Eiferer 
gerade gegenüber ſitzend den großen Componiſten mit glück⸗ 
licherweiſe für Engliſch taubem Ohre, aber in ſo würdi⸗ 
ger Haltung, mit dem Ausdruck reinen Wohlwollens und 
ſoviel Demuth und Milde in den Zügen, daß ſein bloßer 
Anblick wie eine gute Predigt zum Herzen ſpricht,“ ſagte 
ein engliſches Blatt. „Wir machen unwillkürlich einen 
Vergleich und können nicht zweifeln, in welchem von beiden 
der Geiſt der Religion wohnt, die den wahren Chriſten 
bezeichnet.“ Das Urtheil über das Werk ſelbſt aber muß 


Biographie Spohrs. 75 


den mehr an formelle Dinge gewöhnten Engländern zugute 
gehalten werden. Es lautet: „Man kann mit Recht von 
dieſem Oratorium ſagen, daß ein göttlicher Hauch es 
durchweht; mehr als irgend ein Werk der neueren Zeit 
iſt es aus warmem Herzen gequollen und kann nicht ohne 
Thränen gehört werden.“ Die eigene Herzenswärme hat 
hier doch nicht die alte Form in Fluß gebracht und zu 
eigener Geſtaltung weiter geführt. Uebrigens waren die 
Zuhörer zu Tauſenden herbeigeſtrömt und der Erfolg war 
ein „wahrer Triumph der Kunſt und ungefälſchter Gottes⸗ 
empfindung.“ Die engliſchen Kirchenſänger ſind aber auch 
die rechten Kräfte, um ſolche Werke zur Geltung zu brin⸗ 
gen: ſie haben „tiefe Andacht und fromme Hingebung“ 
bei ſolchen Aufführungen. Spohr äußerte dies ſelbſt nach 
einer Anhörung von Händels „Iſrael in Egypten“. 

Ein weiterer Erfolg dieſer Reiſe war der Auftrag eines 
Oratoriums für das Norwicher Muſikfeſt von 1842: es 
entſtand dadurch „Der Fall Babylons“. Einen guten 
Rückſchlag hatte ſolche Aufnahme des Deutſchen in Eng⸗ 
land: man beſann ſich auch in weiteren Kreiſen gegenüber 
der damals noch allherrſchenden franzöſiſchen und italieni⸗ 
ſchen Kunſt dann und wann wieder der eigenen deutſchen. 
Es ſei davon unter vielen nur das eine Beiſpiel gegeben. 
Die Hamburger Zeitung ſchreibt 1840: „Am Sonnabend zog 
die ganze ſangluſtige Geſellſchaft italieniſcher Operiſten 
fröhlich zum Thore hinaus, am Sonntag nahm der deutſche 
Meiſter Spohr den Dirigentenſitz ein, um ſeine herrliche 
Jeſſonda zu leiten. Dort viel Geräuſch, Luſtigkeit, auch 
etwas Zank und Aufſehen, ſubmiſſe Höflichkeit, hier Ruhe, 
edle Würde, ehrliche Denkungsart, Anſtand und bleibendes 
Verdienſt!“ In demſelben Jahre war Wagners „Rienzi“ 
ſchon vollendet und wurde nicht lange hernach in Hamburg 
aufgeführt, erſchien aber leider noch als für dieſes Publi⸗ 
kum „zu hoch gegriffen“. Dennoch haben eben Spohr und 
Weber dafür geſorgt, daß der Faden einer wahrhaft deut⸗ 


\ 
76 Biographie Spohrs. 


ſchen Kunſt wenigſtens niemals völlig abgeriſſen ward. 
Aber auch ein Beiſpiel jener liebenden Hingebung deutſcher 
Fürſten an deutſche Kunſt, wie ſie ja in denkbar höchſtem 
Maße ſpäter R. Wagner erfahren ſollte, erzählt Spohr. 
Er mußte den Fürſten von Hohenzollern-Hechingen in 
Donaueſchingen eigens aufſuchen und es hat etwas tief 
Wohlthuendes zu leſen, wie dieſer ihn empfing. Er konnte 
ſich nicht mäßigen, hielt Spohr ſtets am Arme oder an 
der Hand feſt und flüſterte nicht nur ihm ſeine begeiſterten 
Empfindungen zu, ſondern ließ ſie oft ganz laut werden. 
In Deutſchland gehören die Fürſten in der That zum 
Volke, Spohr iſt einer derjenigen Künſtler geweſen, die 
wenigſtens auf ihrem Gebiete dieſe Empfindung wach er⸗ 
halten haben. Welch herrliche Früchte ſollte uns dies 
bringen! 


— — — 


10. Der fliegende Holländer. 


(1842—1843.) 


„Ich bin der hieſigen Vexationen ſo müde, daß ich mich 
in meinen alten Tagen noch entſchließen könnte, von hier 
wegzugehen,“ ſchreibt im Jahre 1843 von Caſſel aus 
Spohr an ſeinen Schüler und Freund, den ſo hervorra⸗ 
genden Theoretiker Moritz Hauptmann, welcher Cantor 
an derſelben Thomaskirche zu Leipzig war, die mehr als 
zwanzig Jahre der große Sebaſtian Bach mit ſeinem 
Schaffen erfüllt hatte. „Eine Veranlaſſung böte mir ein 
Antrag, die durch Dionys Weber erledigte Stelle als 
Director des Prager Conſervatoriums zu übernehmen. 
Ein ſolcher Wirkungskreis könnte mir ſchon zuſagen.“ Rück⸗ 
ſicht auf ſeine Familie veranlaßte ihn jedoch den ehren⸗ 
vollen Ruf abzulehnen; auch wußte er, daß durch ſeinen 
Abgang Caſſel eine „muſikaliſche Steppe“ werden würde. 


Biographie Spohrs. 77 


Um ſo mehr trachtete er daſſelbe ſtets weiter zu jener 
Oaſe auszubilden, die es für Wahrung des deutſchen Sti⸗ 
les in der Muſik ſeit Jahrzehnten war. Hatte er zum 
Beiſpiel auch die Matthäuspaſſion dort eingebürgert, indem 
er dieſe „großartige, überaus ſchwierige Muſik“ ſo ſicher 
einſtudirte, daß ſie in würdiger Weiſe vorgeführt werden 
konnte, ſo achtete er ebenſo aufmerkſam auf jede Regung 
in der deutſchen Oper. Denn was erzählt Richard Wagner 
im Gegenſatz zu Hamburg und dem dort nach Dresden 
zuerſt aufgeführten „Rienzi“? „Hiergegen machte ich wie— 
der andere Erfahrungen mit dem fliegenden Hollän⸗ 
der,“ heißt es in den „Drei Operndichtungen“ von 1852. 
„Bereits hatte der alte Meiſter Spohr dieſe Oper ſchnell 
zur Aufführung gebracht. Dies war ohne Aufforderung 
meiner Seits geſchehen. Dennoch fürchtete ich Spohr fremd 
bleiben zu müſſen, weil ich nicht einzuſehen vermochte, wie 
meine jugendliche Richtung ſich zu ſeinem Geſchmacke ver⸗ 
halten könnte. Wie war ich erſtaunt und überraſcht, als 
dieſer graue, von der modernen Muſikwelt ſchroff und kalt 
ſich abſcheidende ehrwürdige Meiſter in einem Briefe ſeine 
volle Sympathie mir kundthat und dieſe einfach durch die 
innige Freude erklärte, einem jungen Künſtler zu begegnen, 
dem man es in allem anſehe, daß es ihm um die Kunſt 
Ernſt ſei! Spohr der Greis blieb der einzige deutſche 
Kapellmeiſter, der mit warmer Liebe mich aufnahm, meine 
Arbeiten nach Kräften pflegte und unter allen Umſtänden 
mir treu und freundlich geſinnt blieb.“ 

Wir beſitzen zum Glück über dieſes Ereignis und Ber- 
hältnis die zuverläſſige Aufzeichnung von Spohrs Umge⸗ 
bung, müſſen uns jedoch vorher einigermaßen deutlich 
machen, in welchem Verhältnis Spohr zu der damaligen 
„modernen Kunſt“ ſtand. Auch dazu verhelfen uns ſeine 
eigenen Thaten und Aeußerungen. Spohr hatte nämlich 
im Jahre 1839 eine „Hiſtoriſche Symphonie im Stil und 
Geſchmack vier verſchiedener Zeitabſchnitte“ geſchrieben: 


78 Biographie Spohrs. 


erſter Satz Bach⸗Händelſche Periode 1720, Adagio Haydn⸗ 
Mozartſche 1780, Scherzo Beethovenſche 1810, Finale aller⸗ 
neueſte Periode 1840. Das Werk fand ſehr verſchieden⸗ 
artige Aufnahme. Am ſchärfſten und geiſtreichſten ſprach 
ſich Robert Schumann in ſeiner bahnbrechenden „Neuen 
Zeitſchrift für Muſik“ darüber aus. 

„Daß gerade Spohr auf dieſe Idee verfällt,“ ſagt er, 
„Spohr, der fertig abgeſchloſſene Meiſter, Spohr, der nie 
etwas über die Lippen gebracht, was nicht ſeinem eigenſten 
Herzen entſprungen, und der immer beim erſten Klange 
ſchon zu erkennen, — dies muß wohl uns allen intereſſant 
erſcheinen. So hat er denn ſeine Aufgabe gelöſt, wie wir 
es faſt erwarteten: er hat ſich in das Aeußere, die Formen 
verſchiedener Stile zu fügen angeſchickt, im Uebrigen bleibt 
er der Meiſter, wie wir ihn lange kennen und lieben, ja 
es hebt gerade die ungewohnte Form ſeine Eigenthümlich⸗ 
keit noch ſchreiender hervor, wie denn ein irgend von der 
Natur Ausgezeichneter ſich nirgends leichter verräth, als 
wenn er ſich maskirt. So ging Napoleon einſtmals auf 
einen Maskenball und kaum war er einige Augenblicke da, 
als er ſchon — die Arme in einanderſchlang. Wie ein 
Lauffeuer ging es durch den Saal: ‚Der Kaiſer!“ Aehnlich 
konnte man bei der Symphonie in jedem Winkel des 
Saales den Laut ‚Spohrl‘ hören. Am beſten, ſchien es 
mir, verſtellte er ſich noch in der Mozart-Haydnuſchen Maske. 
Der Bach⸗-Händelſchen fehlte viel von der nervigen Ge⸗ 
drungenheit der Originalgeſichter, der Beethovenſchen aber 
wohl alles. Als völligen Mißgriff möchte ich aber den 
letzten Satz bezeichnen. Dies mag Lärm ſein, wie wir 
ihn oft von Auber, Meyerbeer und Aehnlichen hören. 
Aber es giebt auch Beſſeres, jene Einflüſſe Paralyſirendes 
genug, daß wir die bittere Abſicht jenes Satzes nicht ein⸗ 
ſehen. Ja Spohr ſelbſt darf ſich nicht über Nichtaner⸗ 
kennung beklagen. Wo gute Namen klingen, klingt auch 
ſeiner, und dies geſchieht täglich an tauſend Stellen.“ 


Biographie Spohrs. 79 


Aehnlich ſchreibt von dieſem letzten Satze Mendelsſohn 
an Spohr ſelbſt: „Mir iſt dabei immer zu Muthe gewor- 
den, als wäre die neuere Zeit, gerade weil Sie ſie in 
Muſik ausdrücken, anders und großartiger hinzuſtellen ge⸗ 
weſen. Ich dachte, es würde dem Ganzen dadurch die 
Krone aufgeſetzt werden, wenn nach den drei erſten ein⸗ 
fachen Sätzen nun ein letzter nach Ihrem eigenen Sinn 
durchgeführt recht ernſthaft und vielſagend käme, der in 
ſich ſelbſt den Hauptgedanken der Symphonie ausſpräche.“ 
In Wien dagegen hatten gerade die „leichte pikante Ma⸗ 
nier“ und „fröhlichen Rhythmen“ dieſes Satzes am beſten 
gefallen. Ebenſo begreiflicherweiſe in England, und dadurch 
erfahren wir Spohrs eigentliche Meinung. „Die Berichte 
von London laſſen mich hoffen, daß ich die früheſten Pe⸗ 
rioden, wozu ich förmliche Vorſtudien gemacht hatte, ſowie 
die beiden mittleren gut charakteriſirt habe, nur über die 
neueſte war man dort getheilter Meinung. Einige glaubten 
zu erkennen, daß ich in dieſem Satze die allerneueſte Schule, 
dort ſpottweiſe die metallene genannt, habe perſifliren 
wollen, andere aber, Freunde dieſer Schule, fanden, daß 
dieſer Satz klar darthun ſolle, daß die allerneueſte Muſik in 
ihrer Wirkung doch alles Frühere übertreffe. Da dieſe 
Widerſprüche die allerneueſte Muſik am beſten charakteri⸗ 
ſiren, ſo kann ich auch mit der Wirkung dieſes letzten 
Satzes wohl zufrieden ſein.“ 

Daß ihm das an allen Ecken und Enden Geiſt, Aus⸗ 
druck und Leben Gewordene dieſer ſoeben erblühenden mo⸗ 
dernen Muſik nicht völlig klar geworden, erſehen wir 
daraus, daß er es an demjenigen Künſtler nicht erkennt, 
der zuerſt daſſelbe wenigſtens in der ſinnenhaften Dar⸗ 
ſtellung in höchſter Vollendung hinſtellte und dadurch fo- 
gar Wagner wieder ganz neue Aufſchlüſſe über Bach wie 
über Beethoven gab, — an Liſzt, der 1841 auch in Caſſel 
war. Es verlautet da nur von dem „ſtürmiſchen Beifall 
des begeiſterten Publikums“, von „großem Genuß“, von 


80 Biographie Spohrs. 


„unübertroffener Meiſterſchaft“, von der Bewunderung ſeines 
„Vom Blatt⸗Spielens in höchſter Vollendung“, — von dem 
abſolut Neuen dieſer plaſtiſchen Vortragsweiſe iſt keine 
Rede, und gar die eigenen Compoſitionen, die Liszt vor⸗ 
führte, werden keiner näheren Erwähnung würdig gefunden, 
obwohl darin doch ſogleich ein ganz neuer, höchſt poeti⸗ 
ſcher Stil ſich ankündigte. Wenn wir nun wiſſen, daß 
Spohr auch den letzten Werken Beethovens, namentlich 
der Neunten Symphonie, dem eigentlichen Ausgangspunkte 
der modernen Epoche, nie hat „Geſchmack abgewinnen 
können“, ſo iſt die Aufnahme des „Holländers“, der ganz 
unmittelbar an dieſen Beethoven anknüpft, ebenſo verwun⸗ 
derns⸗ wie anerkennenswerth: ſie bleibt ein Beweis, daß 
dieſer Künſtler in der That, wenn es darauf ankam, ſich 
auch über die Grenze des eigenen Urtheils zu erheben und 
das Neue freudig gelten zu laſſen wußte. 

Es heißt alſo in der Biographie weiter: „So war nun 
Spohr dem auch ihm als zweite Heimat liebgewordenen 
Caſſel erhalten und er fuhr fort, mit dem gewohnten Eifer 
ſeinen Berufsgeſchäften obzuliegen. Da galt es denn aber⸗ 
mals ein ſchwieriges Werk einzuſtudiren, nämlich den flie⸗ 
genden Holländer‘ von Richard Wagner, den Spohr zur 
Feſtoper für den zweiten Pfingſttag von 1843 vorgeſchla⸗ 
gen, nachdem er von Dresden viel Rühmliches darüber 
vernommen und bei Durchſicht des eingeſchickten Textbuches 
daſſelbe in jeder Beziehung ſo befriedigend gefunden hatte, 
daß er es ein kleines Meiſterſtück nannte und bedauerte, 
nicht zehn Jahre früher ein ähnliches ebenſo gutes zur 
eigenen Compoſition gefunden zu haben. Als er dann in 
den Proben die Oper genauer kennen gelernt, ſchrieb er 
darüber: ‚Dieſes Werk, obwohl es nahe die Grenze der 
neu⸗romantiſchen Muſik a la Berlioz ſtreift und mir un⸗ 
erhörte Arbeit wegen ſeiner immenſen Schwierigkeit macht, 
intereſſirt mich doch im höchſten Grade, da es augenſchein⸗ 
lich in reiner Begeiſterung geſchrieben iſt und nicht wie ſo 


Biographie Spohrs. 81 


vieles der modernen Operumuſik in jedem Takte das Be⸗ 
ſtreben, Aufſehen zu erregen oder gefallen zu wollen, her⸗ 
aushören läßt. Es iſt viel Phantaſie darin, durchaus edle 
Erfindung, iſt gut für die Singſtimmen geſchrieben und 
zwar enorm ſchwer und etwas überladen inſtrumentirt, 
aber voll neuer Effekte, und wird gewiß, wenn es erſt in 
den größeren Raum des Theaters kommt, vollkommen 
klar und verſtändlich werden. Ende dieſer Woche beginnen 
die Theaterproben, auf die ich beſonders geſpannt bin, um 
zu ſehen, wie ſich das phantaſtiſche Sujet und die noch 
phantaſtiſchere Muſik in Scene ausnehmen werden. Inſo⸗ 
weit glaube ich ſchon mit meinem Urtheil im Klaren zu 
ſein, daß ich Wagner unter den jetzigen dramatiſchen 
Componiſten für den begabteſten halte. Wenigſtens iſt 
ſein Streben in dieſem Werke dem Edlen zugewendet und 
dies beſticht in jetziger Zeit, wo alles darauf ausgeht, Auf⸗ 
ſehen zu erregen oder dem gemeinſten Ohrenkitzel zu 
fröhnen!“ 

Trotz der faſt unüberſteiglich ſcheinenden Schwierigkei⸗ 
ten, von denen man noch zwanzig Jahre ſpäter bei der 
ausgezeichneten Capelle in München unter Wagners eigener 
Leitung eine Probe hatte, brachte Spohr ſchließlich eine 
Aufführung zu Stande, die nichts zu wünſchen übrig ließ 
und auch beim Publikum die günſtigſte Aufnahme fand. 
Zur wahren Genugthuung gereichte es ihm dann, ſogleich 
ſelbſt hierüber an Wagner zu berichten, worauf dieſer 
hochbeglückt Folgendes erwiderte: 

„Mein hochverehrter Herr und Meiſter! 

Von der Freude, ja von dem Entzücken, das mir Ihr 
ſo außerordentlich liebenswürdiger Brief bereitete, mußte 
ich mich wirklich erſt etwas erholen, ehe ich daran gehen 
konnte, Ihnen zu ſchreiben, und mein dankbares Herz gegen 
Sie auszuſchüttenn 

Um Sie in den Stand zu ſetzen, ſich die außerordent⸗ 
liche Bewegung erklären zu können, die Ihre Nachrichten 

6 


82 Biographie Spohrs. 


in mir hervorbrachten, muß ich Ihnen zunächſt kaltblütig 
auseinanderſetzen, welches meine Erwartungen auf den 
Erfolg dieſer Oper waren. Bei den großen und unge⸗ 
wöhnlichen Schwierigkeiten, die ſie darbietet, konnte ich 
mir nur wenig davon erwarten, ſobald bei einer Bühne, 
möge ſie auch die beſten muſikaliſchen und dramatiſchen 
Kräfte aufweiſen können, nicht an der Spitze ein Mann 
ſtünde, der mit beſonders energiſcher Fähigkeit und gutem 
Willen ſich von vornherein meines Intereſſes gegen alle 
Hinderniſſe annähme. Daß Sie, mein hochverehrter Mei⸗ 
ſter, wie kein anderer die Eigenſchaften zu ſo energiſcher 
Ueberwachung beſäßen, wußte ich, — ob aber meine Arbeit 
Ihnen würdig erſcheinen konnte, ſich ihrer mit ſolch ent⸗ 
ſcheidendem Intereſſe anzunehmen, dies war der gewiß 
ſehr natürliche Zweifel, der, je näher die Zeit der mir 
angezeigten Vorſtellung rückte, mich immer entmuthigender 
einnahm, ſodaß ich es geſtehe, wenn ich in meinem Klein⸗ 
muthe nicht wagte, nach Caſſel zu gehen, um mich nicht 
perſönlich und zu meiner Beſchämung von der Wahrheit 
meiner Befürchtungen überzeugen zu müſſen. 

Nun ſehe ich aber wohl, daß ein Glücksſtern über mir 
aufgegangen iſt, da ich die Theilnahme eines Mannes ge⸗ 
winnen konnte, von dem ſchon eine nachſichtige Beobachtung 
mir zum Ruhme gereicht hätte: — ihn ſelbſt mit der för⸗ 
derndſten und entſcheidendſten Thätigkeit ſich meiner Sache 
annehmen zu ſehen, das iſt ein Glück, welches mich gewiß 
vor Vielen auszeichnet und welches mich denn wirklich 
zum erſten Male mit einem Gefühle des Stolzes erfüllt, 
das bis jetzt noch nie, durch kein Zujauchzen des Publi⸗ 
kums in mir hervorgerufen werden konnte.“ 

Selbſt die von Spohr gemachten Ausſtellungen, in wel⸗ 
chen er deſſen „wahre Theilnahme“ erkannte, nahm Wag⸗ 
ner mit gleicher Dankbarkeit und Freundlichkeit auf, ſowie 
er ſich in allen feinen fpäteren Briefen ſtets mit der wärm⸗ 
ſten Anhänglichkeit und Verehrung gegen ihn ausſprach. 


Biographie Spohrs. 83 


Der wahre „Glücksſtern“ freilich ſollte Wagner erſt 
zwanzig Jahre ſpäter aufgehen, als ein deutſcher König 
ſich mit der „förderndſten und entſcheidendſten Thätigkeit“ 
ſeiner annahm. Und was jedenfalls im Gegenſatz zu 
unſerer heutigen Auffaſſung Spohr hauptſächlich an dem 
Werke anzog, war das in demſelben noch waltende opern⸗ 
geſanghafte Element, um deſſentwillen er das „Phanta⸗ 
ſtiſche“ und namentlich das ausgeſprochen Dramatiſche gern 
mit in den Kauf nahm. Ehre aber auch hier ſeinem An⸗ 
denken, daß er wahrhaft ernſte Beſtrebungen deutſcher 
Kunſt von Anbeginn thätig unterſtützte! 


11. Das Ende des Gerechten. 
(1844 —1859.) 


„Die Muſik war bei ihm eng verbunden 
mit Glaube, Liebe, Hoffnung!“ 

Mit den ſteigenden Jahren unſeres Altmeiſters mehrten 
ſich ſeine Ehren der Zahl wie dem Grade nach. Er genoß 
ſeines Ruhmes vollſtändig, während Mozart und Beet⸗ 
hoven mit dem Bewußtſein ihn würdig verdient zu haben 
ins Grab ſanken. Um ihn bei einer Aufführung ſeines 
Oratoriums „Der Fall Babylons“ in Norwich zu haben, 
wandten ſich Lord Aberdeen und der Herzog von Cambridge 
perſönlich an den eigenſinnigen Kurprinzen von Heſſen, und 
als dies nichts fruchtete, kam eine Bittſchrift der Reprä⸗ 
ſentanten der geſammten Grafſchaft Norfolk (100000 Men⸗ 
ſchen). Es nutzte zwar ebenfalls nichts, aber Spohrs Ruhm 
ward dadurch nur vergrößert. Bei einer kurz darauf fol⸗ 
genden Einladung nach London wurde er „gleich einem 
Fürſten bewillkommt, indem die ganze Verſammlung ſich 
freiwillig von ihren Sitzen erhob, um ihn zu begrüßen.“ 
Ebenſo verſammelte bei einem Aufenthalte in Paris Ha⸗ 

a 


84 Biographie Spohrs. 


beneck zu feinen Ehren ſogar während der Ferien das Or- 
Heſter des Conſervatoriums, um ihm feine Symphonie 
„Die Weihe der Töne“ vorzuführen. Es iſt begreiflich, 
daß es in beiden Städten, zumal in London, wo Mendels⸗ 
ſohn womöglich noch höher gehalten war, ſpäter originalen 
Geiſtern wie Berlioz und Wagner ſchwer wurde durchzu⸗ 
dringen: ihre Werke leben aber dafür dauernd. 

Eine Folge der Einwirkung des „Fliegenden Holländers“ 
war die 1844 „mit beſonderer Vorliebe“ componirte Oper 
„Die Kreuzfahrer“ nach dem Kotzebueſchen Schauspiele. Sie 
iſt „ganz abweichend von der bisher gebräuchlichen Form 
ſowie von dem Stil ſeiner früheren Opernmuſik, das Ganze 
gleichſam als muſikaliſches Drama ohne Textwiederholun⸗ 
gen und Ausſchmückungen mit immer fortſchreitender Hand⸗ 
lung durchcomponirt“. Das Oleiche lobte er ſelbſt auch 
an R. Schumanns „Genoveva“, obgleich er ſonſt an ihm 
öfter „Wohllaut und melodiſche Harmoniefolgen“ vermißte. 
Die „Kreuzfahrer“ fanden in Caſſel eine „beiſpiellos glän⸗ 
zende“ Aufnahme und hatten auch 1845 in Berlin einen 
„überaus glücklichen Erfolg“, — in Berlin, wo das Jahr 
zuvor der „Fliegende Holländer“ nicht hatte durchdringen 
können! „Sieglinde ſtarb, doch Siegfried, der genaß!“ 
heißt es in Wagners Nibelungenring. 

Die rückſichtsloſe Zurückſendung der Partitur des Wer⸗ 
kes von Dresden brachte nun Spohr im Jahre 1846 auch 
in perſönliche Bekanntſchaft mit dieſem jüngeren Meiſter. 
Er hatte ihm zu ſeinem Verdruſſe zu melden, daß der 
Kurprinz die Aufführung des „Tannhäuſers“ abgeſchlagen 
habe, und macht dabei ausführliche Mittheilung von dem 
unbegreiflichen Verfahren der Dresdener Intendanz. Wag⸗ 
ner legte ebenfalls ſeine Entrüſtung darüber in ſcharf be⸗ 
zeichnenden Ausdrücken an den Tag und ward darauf von 
Spohr zu einem Rendez-vous nach Leipzig eingeladen. 
Er ergriff die Idee mit großer Befriedigung und ſo wurde 
denn die längſt gewünſchte Bekanntſchaft zu gegenſeitiger 


Biographie Spohrs. 85 


größten Befriedigung gemacht. „Wir verleben hier wonne⸗ 
volle Tage und ſchwelgen in den ſchönſten muſikaliſchen 
Genüſſen,“ berichtete Frau Spohr nach Hauſe. Spohr 
ſpielte mit Mendelsſohn Compoſitionen Beider, ein Diner 
bei Wagners Schwager Profeſſor Brockhaus, „mit lauter 
geiſtreichen Menſchen“, darunter H. Laube, lief jehr ver⸗ 
gnügt ab. „Am beſten gefiel uns Wagner, der mit jedem⸗ 
mal liebenswürdiger erſcheint und deſſen vielſeitige Bil⸗ 
dung wir immer mehr bewundern müſſen,“ heißt es dabei. 
„So äußerte er ſich auch über politiſche Angelegenheiten 
mit einer Theilnahme und Wärme, die uns wahrhaft 
überraſchte und umſomehr erfreute, da er in höchſt libera— 
lem Sinne ſprach.“ Den Abend fand man ſich bei Men⸗ 
delsſohn wieder zuſammen, der für Spohr „ganz rührend 
unverkennbare Liebe und Verehrung bezeugte“. Dieſer 
ſpielte von ſeinen Quartetten, darunter auch das neueſte 
dreißigſte, bei welchem Mendelsſohn und Wagner „mit 
entzückten Mienen“ in der Partitur nachlaſen: „Neidlos 
geb' ihrem Zauber ich mich hin“. Wagner nahm noch am 
Abend Abſchied, was beiden Theilen ſehr nahe ging. 
„Doch haben wir auch nach ſeiner Abreiſe uns noch viel 
mit ihm beſchäftigt, indem er uns einen neu gedichteten 
Operntext zurückließ, der höchſt eigenthümlich und anziehend 
iſt,“ heißt es vom Lohengrin. Ein Jahr ſpäter war Men⸗ 
delsſohn, als deſſen „Reizendſtes“ auch Spohr die Muſik 
zum Sommernachtstraum pries, todt und drei Jahre ſpäter 
Wagner in der Verbannung. „Sein Verluſt iſt ſehr zu 
beklagen, da er der begabteſte unter den jetzt lebenden 
Componiſten und ſein Kunſtſtreben ein ſehr edles war,“ 
ſchreibt Spohr von Erſterem. Dem lebenden Meiſter aber 
bewahrte er die thätige Theilnahme und zwar obwohl er 
im Grunde die Bedeutung ſeines Schaffens nicht ermaß, 
er war dazu zuviel „Componiſt“. Wir vernehmen denn 
auch darüber Spohrs eigene Worte. Er ſchreibt im Jahre 
1852 an Moritz Hauptmann: 


86 Biographie Spohrs. 


„Wir ſtudiren jetzt den Tannhäuſer. Die Oper hat 
viel Neues und Schönes, aber auch manches ohrzerreißende 
Unſchöne.“ Und ſpäter: „Die Oper hat durch ihren Ernſt 
und ihren Inhalt viel Freunde gewonnen, und vergleiche 
ich ſie mit anderen Erzeugniſſen der letzten Jahre, ſo ge⸗ 
ſelle ich mich auch zu dieſen. Manches was mir anfangs 
ſehr zuwider war, bin ich durch das öftere Hören ſchon 
gewohnt geworden; nur das Rhythmusloſe und der häu⸗ 
fige Mangel an abgerundeten Perioden iſt mir fortdauernd 
ſehr ſtörend. Die hieſige Aufführung iſt wirklich eine ſehr 
ausgezeichnete, man wird wenig ſo präciſe in Deutſchland 
hören. In den enorm ſchweren Enſembles im zweiten 
Akt iſt geſtern auch nicht eine Note weggeblieben. Dies 
hindert freilich nicht, daß ſich dieſe an einigen Stellen zu 
einer wahrhaft ſchaudervollen Muſik geſtalten, beſonders 
kurz vor der Stelle, ehe Eliſabeth ſich den auf Tann⸗ 
häuſer eindringenden Sängern entgegenwirft. Was wür⸗ 
den Haydn und Mozart für Geſichter machen, müßten ſie 
einen ſolchen Höllenlärm, den man jetzt für Muſik aus⸗ 
giebt, mit anhören! Die Chöre der Pilger wurden ſo rein 
intonirt, daß ich mich zum erſten Male mit den unnatür⸗ 
lichen Modulationen derſelben einigermaßen verſöhnte. Es 
iſt merkwürdig, woran ſich das menſchliche Ohr nach und 
nach gewöhnt!“ Ebenſo ſagt er nach Anhörung des „Ben⸗ 
venuto Cellini“ in London: „Es geht dem Berlioz, wie 
den anderen Koryphäen der Zukunftsmuſik: ſie überlaſſen 
ſich bei der Arbeit nicht ihrem natürlichen Gefühl, ſondern 
ſpeculiren auf Nochnichtdageweſenes. So geſchieht es, daß 
dieſe begabten Muſiker ſelten etwas Genießbares zuſtande 
bringen, beſonders für Leute, die bei Haydn, Mozart und 
Beethoven groß gezogen ſind.“ Und ein andermal von 
der Oper ſeines Schülers Jean Bott: „Es iſt mehr gute 
Muſik, überſichtliche Form und rhythmiſches Geſchick darin 
als in den Wagnerſchen Opern und doch gehört fie im 
Stil der ſogenannten Zukunftsmuſik an.“ 


Biographie Spohrs. 87 


Die Pilger⸗Chöre des „Tannhäuſer“ athmen, wie Liſzt 
es treffend ausgedrückt, eine „gewiſſe Exſtaſe und geheime 
überſchwängliche Wonne des Reuegefühls“, — wie follte da 
der bloße äußerliche Wohlklang herrſchen! Den „Höllen⸗ 
lärm“ aber verurſachte und verurſachen noch heute ſo oft in 
Wagnerſchen Aufführungen die Ungeſchicktheiten der Inſtru⸗ 
mentaliſten, beſonders der Bläſer, die an ſolchen Ste len 
wie die des „Tannhäuſer“ Tod und Teufel darauf los⸗ 
toſen, ſtatt auch hier den Ton geiſtig zu intoniren und ſo⸗ 
zuſagen ſprechen zu laſſen. 

Gleichwohl war Spohr ſehr geſpannt auch den „Lohen⸗ 
grin“ zu hören. Allein der Kurfürſt verſagte die Geneh⸗ 
migung und ſo hörte er daraus 1855 nur einige „Num⸗ 
mern“ in einem Concerte in Hannover. „Auch die Neunte 
Symphonie Beethovens, ſo abnorm manches darin, na⸗ 
mentlich der letzte Satz ſein mag, gewährte in dieſer Voll⸗ 
endung einen wahrhaft hohen Genuß,“ ſchreibt Frau 
Spohr 1853 von London aus. Woran ſich das menſchliche 
Ohr doch nicht gewöhnt! Hätte Spohr erſt Werke wie 
Triſtan und Parſifal hören können! 

Während auf ſolche Weiſe auch Spohr der geiſtbeſchrän⸗ 
kenden Wirkung feiner Zeitepoche verfiel, der ja ſelbſt grö⸗ 
ßere und ſogar genialiſche Geiſter oft nicht widerſtanden 
haben, — faßte doch der alte Fritz den Genius Goethes 
nicht und Schopenhauer nicht den geiſtigfreien Dichter in 
R. Wagner! — iſt eine Seite feines Daſeins und Wirkens 
von dauerndem Gewinn für Kunſt und Leben geblieben: er 
hat, wohin er kam, der Muſik die weiteſten Kreiſe der Bildung 
erobert und dem Muſiker die entſprechende Geltung und 
Stellung in der Geſellſchaft verſchafft. Er ließ der Würde 
ſeiner Kunſt auch in ſocialer Hinſicht niemals zu nahe 
treten und wie dem Souverain der Kunſträume imponirte 
er ſo dem Souverain des Thrones. Konnte doch Friedrich 
Wilhelm IV. nicht umhin, ihn durch den damals weltbe⸗ 
rühmten Alexander von Humboldt perfönlich zur königlichen 


88 Biographie Spohrs. 


Tafel laden zu laſſen und beſuchten die Potentaten, wo er 
weilte, die Productionen ſeiner Kunſt! Der letzte Grund 
dieſer Wirkung lag in ſeiner menſchlichen Perſönlichkeit, 
die ſich durchaus mit ſeiner Kunſt identificirte, weil dieſe 
eben ganz aus ihr, nicht aus einem angelernten Können 
ſtammte. Er hielt als Mann ebenſo auf Freiheit und 
Ehre, wie als Künſtler auf die Reſpectirung alles Idealen. 
Einige Beiſpiele aus ſeinen letzten Lebenstagen mögen uns 
dieſe wahrhaft würdige Künſtler- und Manneserſcheinung 
zum Abſchluß völlig vergegenwärtigen. 

Bei der Durchreiſe nach London trafen ſie in Gent ein 
großes Sängerfeſt. Der Erkennung folgte die Nöthigung 
in den Feſtſaal einzutreten. „Meine Herren, der große 
Meiſter Spohr kommt ſoeben in unſere Stadt, da iſt 
er!“ — auf dieſen Aufruf eines Mitgliedes erhob ſich die 
ganze ungeheure Verſammlung und rief: „Es lebe Spohr, 
der große Spohr!“ „Die Scene hatte durch das ganz 
Ueberraſchende etwas ſehr Eigenthümliches und faſt Ueber⸗ 
wältigendes,“ erzählt ſeine ihn begleitende Gattin. Die 
Märzrevolution von 1848 fand in Spohr einen lebhaften 
Vorkämpfer. „Geſchrieben zur Zeit der glänzenden Volks⸗ 
revolution zur Wiedererweckung der Freiheit, Einheit und 
Größe Deutſchlands,“ ſteht bei der Eintragung ſeines Sex⸗ 
tetts Op. 140, und die Schilderung: „reich an lebens⸗ 
friſchen Melodien und wahrhaft ätheriſchem Wohlklang 
wie kaum ein anderes Werk Spohrs“ bezeugt die freudige 
innere Antheilnahme an dieſem erſten Emporblühen poli⸗ 
tiſchwürdigerer Zuſtände. „Iſt auch die Einheit Deutſch⸗ 
lands noch nicht geſichert, ſo iſt es die Freiheit ganz 
gewiß und ich preiſe mich glücklich eine ſolche Zeit noch 
erlebt zu haben,“ ſchrieb er und wies es ab in einer Stadt 
wie Breslau zu ſpielen, wo der Belagerungszuſtand pro⸗ 
clamirt ſei, denn da könne man nicht frei athmen, viel 
weniger aber muſiciren! „Unſere Lage iſt jetzt eine ver⸗ 
zweiflungsvolle! In wenig Tagen wird der Kurfürſt zu⸗ 


Biographie Spohrs. 89 


rückkehren, mit ihm Haſſenpflug und ſeine ...!“ ſchrieb 
er 1850 und ließ von da an ſeine Geige, die er ſonſt ſo 
gern „zu Freude und Nutzen ſeiner Mitbürger“ hatte er⸗ 
tönen laſſen, öffentlich ferner nicht erklingen. Der Kurfürſt 
wußte den renitenten Capellmeiſter durch Urlaubsverweige⸗ 
rung zu treffen und verhängte, als Spohr dennoch abge- 
reiſt war, eine bedeutende Geldſtrafe über ihn. Spohr 
proceſſirte, verlor aber dabei, und ſein einziger Troſt war, 
daß das Geld an den von ihm geſtifteten Penſionsfonds fiel. 
Zwar hatte er ihn im Jahre 1847 zu ſeinem fünfund⸗ 
zwanzigjährigen Capellmeiſterjubiläum zum Generalmuſik⸗ 
director mit „Hoffähigkeit“ ernannt, aber er vermochte ihn 
auch nach dem Grundſatze des ancien regime: „Car tel 
est notre plaisir“ 1857 gegen ſeinen Willen kaltblütigſt 
zu penſioniren. Spohr jedoch ertrug, obwohl er noch rüſtig 
genug geweſen wäre, auch dieſen Schlag „mit der ihm ei⸗ 
genen Seelengröße“. 

Ungleich ſchmerzlicher war es ihm, als er wegen man⸗ 
gelnder Fähigkeit ſeine Ideen zuſammenzufaſſen, vom Com⸗ 
poniren laſſen mußte, ſogar ein Requiem blieb unvollendet. 
Ein Armbruch, der den durch ſeine Körperſchwere etwas 
unbeholfen Gewordenen traf, berührte ihn noch tiefer: 
der Arm zeigte die erforderliche Kraft und Elaſticität nicht 
mehr, worauf er dann abermals „um eines feiner köſt⸗ 
lichſten Lebenselemente ärmer geworden, trauernd die ge⸗ 
liebte Geige zur Ruhe legte“. Ihr Erbe ward fein ge- 
liebteſter Schüler, Auguſt Kömpel, Concertmeiſter in Wei⸗ 
mar. Er weiß denn auch dieſer Straduvari Töne zu 
entlocken, die uns Nachlebenden Spohrs Seelenweiſe zur 
erquickenden Empfindung bringen können. 

Jetzt war er dieſes Lebens müde, in dem er nichts mehr 
wirken konnte. Er habe ausgenoſſen, was das Erdenleben 
eben zu bieten vermöge, ſagte er; er habe namentlich eine 
ſo weit verbreitete Anerkennung und Liebe für ſeine Muſik 
erlebt, wie er es kaum je hätte hoffen können, jetzt wünſche 


90 Biographie Spohrs. 


er ſehnlich ſein Ende herbei. Es ward dem Fünfundſieb⸗ 
zigjährigen denn auch ohne beſondere Krankheit am 22. Oc⸗ 
tober 1859 im Kreiſe ſeiner Lieben in vollſter inneren 
Ruhe zutheil: „mit dem Ausdruck der größten Zufrieden⸗ 
heit in ſeinen ſchönen edlen Zügen“ lag er auf dem To⸗ 
desbette. 

„Wer in allen unſeren ſocialen Verhältniſſen, nament⸗ 
lich in den Beziehungen der modernen Künſtler zu einan⸗ 
der die grenzenlos eigenſüchtige Liebloſigkeit kennt, der muß 
mehr als erſtaunt, er muß durch und durch entzückt ſein, 
wenn er von dem Verhalten einer Perjönlichkeit Wahr⸗ 
nehmungen macht, wie ſie mir ſich von jenem außerordent⸗ 
lichen Menſchen au fdrängten,“ ſagt Wagner von ſeiner 
Begegnung mit Liſzt im Jahre 1849. Ebenſo erquickend 
und troſtreich beglückend iſt es zu ſehen, wie ſich über das 
ganze Leben dieſes Altmeiſters, des Neſtors der Tonkunſt 
ſeiner Tage „der uns das Bild des olympiſchen Zeus, mit 
dem Augenwink alles bewegend vergegenwärtigt“, ein ſchönes 
Gewebe von Freundſchaft und Liebe gegen alles ihm Begeg⸗ 
nende verbreitet. Den letzten Grund dieſes ſo reich ſpen⸗ 
denden Weſens aber giebt uns ſeine Selbſtbiographie an, 
wenn ſie ſagt, nichts ſei ihm lieber geweſen, als wenn von 
ſeinen Tonwerken ein Rückſchluß auf ſeine Gemüthsart und 
Religion gemacht worden ſei: „ſeine Kunſt war ihm ja 
auch heilig und Muſik bei ihm eng verbunden mit Glaube, 
Liebe und Hoffnung!“ 


Ende. 


Inhaltsverzeichnis. 


F 


Die Lehrzeit (1784—1803). 

Erſte Erfolge (1803 — 18060) 
Allerlei Erlebungen (1806—1812) . 
In Wien (1813—1815) 

In Italien (1815—1817). 

In London (1817—1820) . 

In Paris (1820—1821) 

Jeſſonda (1822—1823) . 

Wachſende Erfolge (1824—1840) 

Der fliegende Holländer (1842—1843) 


Das Ende des Gerechten (1844 — 1859) 


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Beethoven. Von C. Nohl. 1181. 
Bizet. Von Paul Voß. 3925. 
Cherubini. Von Wittmann. 3434. 
Franz. Von Prochäzka. 3273/74. 
Gluck. Von Heinr. Welti. 2421. 
Händel. Von Schrader. 3497. 
aydn. Von Cudw. Nohl. 1270. 
iſzt. 1. Thl. Von C. Nohl. 1661. 
Liſzt. 2. Thl. Von A. Göllerich. 2392. 


Erinnerungen an 


Lortzing. Von H. Wittmann. 2634. 
Marſchner. Von Wittmann. 3677. 
Mendelsſohn. Von Schrader. 3794. 
Meyerbeer. Von A. Kohut. 2734. 
Mozart. Von C. Nohl. 1121. 

Roſſini. Von Dr. A. Kohut. 2927. 
Schubert. Von A. Niggli. 2521. 
Schumann. Von K. Batka. 2882. 
Spohr. Von Ludw. Nohl. 1780. 
Wagner. Von L. Nohl. 1700. 

Weber. Von Ludw. Nohl. 1746. 


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„Bd.: Die National⸗Galerie. 1870. 
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1919. 
„Bd.: Stimmungsbilder. 2004. 
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‚ner, Dr. C. Fl. Aus den Papieren 
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Schubert, Friedr. Carl, Und ſie bewegt 
ſich doch. Roman. 1311. 1312. 

Stell, B., Luſtigi Thurgauer G'ſchichte. 
Humoresken. 2490. 

—, Studentenrache u. and. Geſch. 2719. 


Dacano, Humbug. Eine wunderliche 
Hiſtorie. 2321. 

—, Komödianten. 2607. 

Voß, R., Maria Botti. Novelle. 1706. 

Wichert, E., Eine Geige. — Drei Weih⸗ 
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—, Am Strande. Erzählung. 1227. — 
Geb. 60 Pf. 

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ihre Strafe. Zwei Erzählg. 1500. — 
Geb. 60 Pf. 

Wickede, Fr. C. v., Amerikaniſche No⸗ 
velletten. 909. 1234. 


Jeder Gebildete, der in unſerer materiellen Zeit 
Bedürfnis geiſtiger Anregung fühlt, wird in 
geistig gung 


Reclams Gpiversam 


eine Quelle reiner Freude und Belehrung finden. 
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illuſtrierte Zeitſchrift hat ſich während ihres nunmehr 
Beſtehens zu einer litterariſch wie künſtleriſch hochb 
Revue ausgebildet, in der alle berechtigten Richtungen d 
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dem Gebiete der Kunſt, Naturwiſſenſchaft, Völker⸗ u 
kunde ſowie alle Begebenheiten von aktuellem Inter 
mäßige Berückſichtigung finden. 

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techniſch gleich vortrefflich ausgeführten Illuſtratione 
meidet jedoch alle jene wohlfeilen Farbenkleckſereien, di 
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410 Spohr 
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